Gerechtigkeit für Tiere: Unsere kollektive Verantwortung 3806245592, 9783806245592

Ein dringender Appell zum Schutz aller Tiere von der berühmten Philosophin Weltweit sind Tiere in Not: sei es durch die

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German Pages 416 [418] Year 2023

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Table of contents :
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Einleitung
1 Brutalität und Vernachlässigung
2 Die Scala Naturae und der „Uns-so-ähnlich“-Ansatz
3 Die Utilitaristen – Lust und Schmerz
4 Christine Korsgaards kantischer Ansatz
5 Der Fähigkeitenansatz
6 Empfinden und Streben: eine Arbeitsgrenze
7 Das Übel des Todes
8 Tragische Konflikte und wie man sie überwindet
9 Tiere, die mit uns leben und in unserer Nähe leben
10 „Wildtiere“ und die menschliche Verantwortung
11 Können Menschen und Tiere befreundet sein?
12 Die Rolle des Rechts
Schlussbetrachtung
Danksagung
Anmerkungen
Bibliografie
Register
Rückcover
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Gerechtigkeit für Tiere: Unsere kollektive Verantwortung
 3806245592, 9783806245592

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Martha Nussbaum ist die einflussreichste Philosophin der Gegenwart. Die Professorin an der University of Chicago wurde für ihr Werk mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet: Sie ist u. a. Trägerin des Kyoto-Preises, der als Nobelpreis der Philosophie gilt, des mit einer Million Dollar dotierten Berggruen-Preises, des Prinz-von-Asturien-Preises, des HolbergPreises und des Balzan-Preises. Die bekennende Musik-Liebhaberin wurde besonders bekannt durch ihre Arbeiten zum Thema Emotionen. Bei der wbg sind von ihr erschienen: Die neue religiöse Intoleranz (2014), Zorn und Vergebung (2017), Älter werden (mit Saul Levmore, 2018), Königreich der Angst (2019), Kosmopolitismus (2020).

Eine bahnbrechende neue Theorie und ein dringender Aufruf zum Handeln Weltweit erleiden Tiere Ungerechtigkeit und Grausamkeit: sei es durch die Zerstörung ihrer Lebensräume, durch die Qualen der industriellen Tierhaltung, durch Wilderei oder auch die Vernachlässigung von Haustieren, die wir angeblich so lieben. Martha Nussbaum entwickelt ausgehend von ihrem grundlegenden Fähigkeitenansatz eine neue philosophische, juristische und moralische Grundlage zum Schutz der Tiere. »Die Moral der Mensch-Tier-Beziehung bedarf dringend der Erneuerung. Dafür können wir uns keine scharfsinnigere und mitfühlendere Ratgeberin wünschen als die Philosophin Martha Nussbaum.« Frans de Waal, Autor von »Mamas letzte Umarmung«

ISBN 978-3-8062-4559-2

Umschlaggestaltung: Harald Braun, Helmstedt Umschlagabbildung: shutterstock/Jiri Fejkl

€ 35,00 [D] € 36,00 [A]

Mitmachen lohnt sich: Viele Vorteile für Mitglieder! wbg-wissenverbindet.de

Von Delfinen bis Krähen, von Elefanten bis Tintenfischen – Martha Nussbaum beleuchtet das gesamte Tierreich und schildert das Leben der Tiere mit Staunen, Ehrfurcht und Mitgefühl. Sie zeigt, wie wir eine Welt schaffen können, in der die Menschen wirklich Freunde der Tiere sind und nicht deren Nutzer oder Ausbeuter.

Martha Nussbaum

GERECHTIGKEIT FÜR TIERE Unsere kollektive Verantwortung

GERECHTIGKEIT FÜR TIERE

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Martha Nussbaum

GERECHTIGKEIT FÜR TIERE U N S E R E KOL L EK T I VE V E R A N T WO RT U NG Aus dem Englischen übersetzt von Manfred Weltecke

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Im Andenken an Rachel und für all die Wale

Die englische Originalausgabe ist 2022 bei SIMON & SCHUSTER, New York, unter dem Titel Justice for Animals erschienen. © 2022 by Martha Nussbaum Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. wbg Theiss ist ein Imprint der wbg. © der deutschen Übersetzung 2023 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Übersetzung: Manfred Weltecke, Dublin Lektorat: Dietlind Grüne, Heidelberg Satz: Arnold & Domnick, Leipzig Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Europe Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-4559-2 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): ISBN 978-3-8062-4602-5 eBook (epub): ISBN 978-3-8062-4603-2

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Inhalt Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1

Brutalität und Vernachlässigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

2 Die Scala Naturae und der „Uns-so-ähnlich“-Ansatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3 Die Utilitaristen – Lust und Schmerz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 4 Christine Korsgaards kantischer Ansatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 5 Der Fähigkeitenansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 6 Empfinden und Streben: eine Arbeitsgrenze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 7

Das Übel des Todes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

8 Tragische Konflikte und wie man sie überwindet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 9 Tiere, die mit uns leben und in unserer Nähe leben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 10 „Wildtiere“ und die menschliche Verantwortung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 11 Können Menschen und Tiere befreundet sein?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 12 Die Rolle des Rechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 Danksagung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Anmerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 Bibliografie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402

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Einleitung Tiere sind weltweit bedroht.1 Der Mensch beherrscht die gesamte Welt: an Land, auf den Meeren und in der Luft. Kein nicht menschliches Tier entkommt der menschlichen Herrschaft. Häufig fügt diese Herrschaft den Tieren unrechtmäßig Schaden zu: sei es durch die barbarischen Grausamkeiten der Fleischindustrie, durch Wilderei und Jagd, durch die Zerstörung von Lebensräumen, die Verschmutzung der Luft und der Meere oder die Vernachlässigung von Haustieren, welche die Menschen angeblich lieben. In gewisser Hinsicht ist dieses Problem uralt. Sowohl in westlichen als auch in nicht westlichen philosophischen Traditionen wird seit etwa zwei Jahrtausenden die Grausamkeit des Menschen gegenüber Tieren beklagt. Der Hindu-Kaiser Ashoka (ca. 304–232 v.  Chr.), der zum Buddhismus konvertiert war, schrieb über seine Bemühungen, auf Fleisch sowie auf sämtliches Verhalten, das Tieren schadet, zu verzichten. In Griechenland verfassten die platonischen Philosophen Plutarch (46–119 n. Chr.) und Porphyrius (ca. 234–305 n. Chr.) ausführliche Abhandlungen, in denen sie die Grausamkeit des Menschen gegenüber Tieren beklagten, deren hohe Intelligenz und Fähigkeit zum sozialen Leben beschrieben und die Menschen dazu aufforderten, ihre Ernährung und ihre Lebensweise zu ändern. Doch im Großen und Ganzen sind diese Stimmen auf taube Ohren gestoßen, selbst in der vermeintlich moralischen Welt der Philosophen, und die meisten Menschen haben die meisten Tiere weiterhin wie Objekte behandelt, deren Leiden keine Rolle spielt – auch wenn sie bei ihren Haustieren manchmal eine Ausnahme machen. Unterdessen haben unzählige Tiere unter Grausamkeit, Entbehrungen und Vernachlässigung gelitten. Wir tragen daher heute eine längst fällige moralische Verpflichtung: Wir müssen uns die Argumente anhören, die zu hören wir uns geweigert haben, uns um das kümmern, was wir gleichgültig ignoriert haben, und wir müssen auf der Grundlage des leicht zu erlangenden Wissens von unseren schlechten Verhaltensweisen handeln. Heute haben wir zudem Gründe dafür, etwas gegen das menschlich verursachte Unrecht an Tieren zu unternehmen, die die Menschen vor uns noch nie hatten. Erstens hat die menschliche Herrschaft über die Tiere in den letzten zwei Jahrhunderten exponentiell zugenommen. In der Welt von Porphyrius litten die Tiere, wenn sie zum Verzehr ihres Fleisches getötet wurden;

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Einleitung

bis zu diesem Zeitpunkt hatten sie jedoch ein ziemlich akzeptables Leben. Es gab keine Fleischindustrie, die diese Tiere heute züchtet, als wären sie bereits allein Fleisch, und sie unter schrecklichen Bedingungen auf engstem Raum isoliert einsperrt, bis sie sterben, bevor sie jemals ein tiergerechtes Leben geführt haben. Tiere wurden schon seit langer Zeit in freier Wildbahn gejagt, doch wurden ihre Lebensräume zumeist nicht als Wohngebiete des Menschen in Besitz genommen oder von Wilderern überfallen, die mit der Tötung eines intelligenten Wesens wie eines Elefanten oder eines Nashorns Geld verdienen wollten. In den Meeren hat der Mensch schon immer nach Nahrung gefischt, und Wale werden bereits seit langer Zeit wegen ihres kommerziellen Wertes gejagt. Das Meer war jedoch noch nicht voller Plastikmüll, der Tiere dazu verlockt, ihn zu fressen, und an dem sie dann ersticken. Ebenso wenig gab es Unternehmen, die überall im Meeresboden nach Öl bohrten. Sie verursachen dabei durch Bohrungen oder Schallkanonen zur Kartografierung des Meeresbodens eine Lärmbelästigung, die das Leben sozialer Lebewesen, deren wichtigstes Kommunikationsmittel der Gehörsinn ist, zunehmend erschwert. Vögel wurden als Nahrungsquelle erlegt, doch diejenigen, die entkamen, erstickten nicht an verschmutzter Luft oder starben durch tödlichen Aufprall an städtischen Wolkenkratzern, deren Lichter sie angelockt hatten. Kurz gesagt: Der Umfang der menschlichen Grausamkeit und Vernachlässigung hielt sich in relativ engen Grenzen. Heute tauchen ständig neue Formen von Tierquälerei auf – sogar ohne dass sie als solche erkannt werden, da ihre Auswirkungen auf das Leben intelligenter Wesen kaum berücksichtigt werden. Wir tragen also nicht nur die Altlasten der Vergangenheit, sondern auch eine neue moralische Schuld, die sich vertausendfacht hat und ständig weiter anwächst. Da sich die Reichweite der menschlichen Grausamkeiten vergrößert hat, hat auch die Beteiligung so gut wie aller Menschen daran zugenommen. Selbst Menschen, die kein Fleisch aus Massentierhaltung verzehren, benutzen sehr wahrscheinlich Einwegplastikartikel, verwenden fossile Brennstoffe, die unter dem Meeresboden abgebaut werden und die Luft verschmutzen, wohnen in Gebieten, in denen einst Elefanten und Bären umherstreiften, oder leben in Hochhäusern, die für Zugvögel den Tod bedeuten. Das Ausmaß unserer eigenen Verstrickung in für Tiere schädliche Verhaltensweisen sollte jeden Menschen mit einem Gewissen zum Nachdenken darüber bringen, was wir gemeinsam tun können, um diese Situation zu ändern. Schuldzuweisungen sind weniger entscheidend als die Akzeptanz der Tatsache, dass die gesamte Menschheit die kollektive Pflicht hat, sich diesen Problemen zu stellen und sie zu lösen.

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Einleitung

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Bisher habe ich noch nicht über das Aussterben von Tierarten gesprochen, da es in diesem Buch um die Vernichtung und das Leiden einzelner Lebewesen gehen soll, von denen jedes von Bedeutung ist. Arten als solche erfahren kein Leiden. Dennoch findet Artensterben nie ohne größtes Leiden einzelner Lebewesen statt: den Hunger eines Eisbären, der auf einer Eisscholle verhungert, da er das Meer zur Jagd nicht überqueren kann; die Traurigkeit eines der Fürsorge und Gemeinschaft beraubten verwaisten Elefanten, dessen Artgenossen immer weniger werden; das Massensterben von Singvogelarten infolge des Mangels von sauberer Luft zum Atmen – ein grausamer Tod. Wenn menschliche Verhaltensweisen Tierarten auf ihr Aussterben zutreiben, leiden die davon betroffenen Tiere stets massiv und führen ein stark unterdrücktes, eingeschränktes Leben. Nebenbei bemerkt, sind die Arten selbst wichtig für den Erhalt von Ökosystemen mit biologischer Vielfalt, in denen Tiere gut leben können (mehr hierzu in Kapitel 5). Das Aussterben von Arten würde auch ohne menschliches Zutun stattfinden, und selbst in solchen Fällen könnten wir aufgrund der Bedeutung der biologischen Vielfalt Gründe dafür haben, einzugreifen, um es aufzuhalten. Wissenschaftler sind sich jedoch darin einig, dass das heutige Artensterben tausend- bis zehntausendmal umfangreicher ist als die natürliche Aussterberate.2 (Bezüglich der wahren Situation herrscht beträchtliche Unsicherheit, da wir nicht wissen, wie viele Arten es tatsächlich gibt, insbesondere bei Fischen und Insekten.) Weltweit sind derzeit etwa ein Viertel der Säugetiere und über vierzig Prozent der Amphibien vom Aussterben bedroht.3 Dazu gehören mehrere Bärenarten, der Asiatische Elefant (gefährdet), der Afrikanische Elefant (vom Aussterben bedroht), der Tiger, sechs Walarten, der Grauwolf und viele weitere Arten. Nach den Kriterien des Artenschutzgesetzes der USA (Endangered Species Act) sind insgesamt mehr als 370 Tierarten gefährdet oder vom Aussterben bedroht, Vögel nicht mitgerechnet. Die Liste für Vögel hat eine vergleichbare Länge. Asiatische Singvögel gelten als Luxusgüter und sind aufgrund des lukrativen Handels mit ihnen in freier Wildbahn so gut wie ausgestorben.4 Zahlreiche andere Vogelarten sind in jüngster Zeit ebenfalls ausgestorben.5 Das internationale Abkommen CITES (Washingtoner Abkommen), das Vögel (und viele andere Lebewesen) schützen soll, ist indessen wirkungslos und wird nicht durchgesetzt.6 Noch einmal: Das Thema dieses Buches ist nicht die Geschichte dieses massenhaften Aussterbens, doch das Leiden einzelner Lebewesen findet vor dem Hintergrund der menschlichen Gleichgültigkeit gegenüber der biologischen Vielfalt statt.

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Einleitung

Es gibt noch einen weiteren Grund, warum die moralischen Ausflüchte der Vergangenheit jetzt ein Ende haben müssen. Wir wissen heute wesentlich mehr über das Leben der Tiere als noch vor fünfzig Jahren. Wir wissen viel zu viel, als dass wir die oberflächlichen Ausreden der Vergangenheit ohne Scham weiterhin vorbringen könnten. Porphyrius und Plutarch (und vor ihnen Aristoteles) wussten eine Menge über die Intelligenz und die Empfindsamkeit von Tieren. Doch die Menschen neigen dazu, zu „vergessen“, was die Wissenschaft der Vergangenheit eindeutig erwiesen hat. Über viele Jahrhunderte hinweg hielten die meisten Menschen, einschließlich der meisten Philosophen, Tiere für „rohe Bestien“, für Automaten ohne subjektives Erleben der Welt, ohne Gefühle, ohne Gemeinschaftssinn, ja vielleicht sogar ohne Schmerzempfinden. In den letzten Jahrzehnten haben jedoch Forschungsarbeiten in allen Bereichen der Tierwelt explosionsartig zugenommen. Eines der größten Vergnügen bei der Arbeit an diesem Buch war die intensive Beschäftigung mit diesen Arbeiten. Wir wissen heute nicht nur mehr über Tiere, die schon lange eingehend studiert wurden – wie Primaten und Haustiere –, sondern auch über Tiere, die nur schwer zu erforschen sind  – über Meeressäuger, Wale, Fische, Vögel, Reptilien und Kopffüßer. Was genau wissen wir? Wir wissen – nicht nur durch Beobachtung, sondern ebenso durch sorgfältig entwickelte Experimente –, dass alle Wirbeltiere sowie zahlreiche wirbellose Tiere ein subjektives Schmerzempfinden haben und ganz allgemein über eine eigene, subjektive Weltsicht verfügen: Es gibt so etwas wie eine bestimmte Art, auf die sich die Welt ihnen darstellt. Wir wissen, dass alle diese Tiere zumindest einige Emotionen empfinden (wobei Angst die allgegenwärtigste ist), und dass viele Tiere über Emotionen wie Mitgefühl und Trauer verfügen, die ein komplexeres „Erfassen“ einer Situation erfordern. Wir wissen auch, dass so unterschiedliche Tiere wie Delfine und Krähen zur Lösung komplizierter Probleme fähig sind und lernen können, Werkzeuge dafür zu verwenden. Wir wissen, dass Tiere über komplexe Formen der Sozialstruktur und des Sozialverhaltens verfügen. Erst in jüngster Zeit haben wir gelernt, dass diese sozialen Verbände nicht einfach nur der Kontext sind, in dem ein mechanisch vererbtes Repertoire ausagiert wird, sondern Orte des komplizierten sozialen Lernens. So unterschiedliche Tierarten wie Wale, Hunde und zahlreiche Vögel geben wichtige Teile des Verhaltensrepertoires ihrer Art nicht nur auf genetischem Wege, sondern auch durch ihr Verhalten in ihren Gemeinschaften an ihre Jungen weiter.

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Einleitung

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Ich werde mich in diesem Buch sehr auf diese Forschungsergebnisse stützen. Was für Konsequenzen haben sie für die Ethik? Offensichtlich ganz beträchtliche. Wir können nicht mehr die übliche Grenze zwischen unserer eigenen Art und „den Tieren“ ziehen – eine Grenze, die dazu bestimmt war, Intelligenz, Emotionen und Empfindungsvermögen vom dumpfen Leben eines „gefühllosen Tieres“ zu unterscheiden. Ja, wir können noch nicht einmal mehr eine Gruppe von Tieren, die wir bereits als „uns ähnlich“ erkennen – Affen, Elefanten, Wale, Hunde –, klar von anderen Tieren abgrenzen, die als unintelligent gelten. In der realen Welt nimmt Intelligenz vielfältige und faszinierende Formen an. So haben Vögel, die sich auf einem ganz anderen Weg als der Mensch entwickelt haben, zahlreiche ähnliche Fähigkeiten ausgebildet. Selbst ein wirbelloses Tier wie der Tintenfisch verfügt über erstaunliche Fähigkeiten intelligenter Wahrnehmung: Ein Tintenfisch kann einzelne Menschen erkennen, und er kann komplexe Probleme lösen, indem er einen seiner Arme – ausschließlich mithilfe seiner Augen – durch ein Labyrinth lenkt, um an Nahrung zu gelangen.7 Haben wir all dies einmal erkannt, kann es für unser ethisches Denken wohl kaum folgenlos bleiben. Ein „dumpfes Tier“ in einen Käfig zu sperren, scheint nicht falscher zu sein, als einen Stein in ein Terrarium zu legen. Doch wir tun damit etwas anderes. Wir deformieren die Existenz intelligenter und auf eine komplexe Weise empfindungsfähiger Lebenswesen. Jedes dieser Tiere strebt danach, sich vollständig zu entwickeln, und jedes von ihnen verfügt über soziale und individuelle Fähigkeiten, die es ihm ermöglichen, in einer Welt, die Tiere vor schwierige Herausforderungen stellt, ein gutes Leben zu führen. Der Mensch vereitelt dieses Streben – und das scheint falsch zu sein. (In Kapitel 1 werde ich diese moralische Intuition zu einer rudimentären Vorstellung von Gerechtigkeit weiterentwickeln.) Doch obwohl es an der Zeit ist, unsere ethische Verantwortung gegenüber den anderen Tieren zu akzeptieren, haben wir nur wenige intellektuelle Werkzeuge, um einen sinnvollen Wandel zu bewirken. Der dritte Grund, aus dem wir uns heute damit auseinandersetzen müssen, was wir den Tieren antun, besteht darin, dass in diesem Zusammenhang zwei der besten Methoden des menschlichen Fortschritts, das Recht und die politische Theorie, uns bislang keine oder nur wenig Hilfe bieten. Wie dieses Buch zeigen wird, hat das Recht – sowohl das nationale als auch das internationale – zwar ziemlich viel über das Leben von Haustieren zu sagen, doch sehr wenig über das aller anderen Tiere. In den meisten Ländern verfügen Tiere auch nicht über das, was Juristen als „Klagebefugnis“ bezeichnen,

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Einleitung

d. h. die Möglichkeit, einen Rechtsanspruch geltend zu machen, wenn ihnen Unrecht widerfährt. Natürlich können Tiere selbst keinen Rechtsanspruch geltend machen, doch das können die meisten Menschen ebenso wenig, wie etwa Kinder oder Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, aber – um die Wahrheit zu sagen – auch fast alle anderen Menschen, da sie nur über geringe juristische Kenntnisse verfügen. Jede und jeder von uns braucht einen Anwalt, um unsere Ansprüche durchzusetzen. Doch alle Menschen, die ich erwähnt habe, zählen – einschließlich der Menschen mit lebenslangen kognitiven Beeinträchtigungen –, und sie können mithilfe eines fähigen Anwalts einen Rechtsanspruch geltend machen. So, wie wir die Rechtssysteme der Welt gestaltet haben, verfügen Tiere nicht über dieses einfache Privileg. Sie zählen nicht. Das Recht wird von Menschen gemacht, und dabei stützen sie sich auf die vorhandenen Theorien. Waren diese Theorien rassistisch, so waren es die Gesetze auch. Schlossen die Theorien über Sexualität und die Unterschiede zwischen den Geschlechtern Frauen aus, so taten dies auch die Gesetze. Und es ist nicht zu leugnen, dass weltweit die meisten politischen Überlegungen der Menschen auf den Menschen ausgerichtet sind und Tiere ausschließen. Selbst Theorien, die vorgeben, Unterstützung im Kampf gegen Misshandlung zu bieten, sind zutiefst fehlerhaft, da sie auf einem unzureichenden Bild vom Leben und Streben der Tiere beruhen. Als Philosophin und politische Theoretikerin, die sich auch intensiv mit Fragen des Rechts und seiner Lehre befasst, hoffe ich, mit diesem Buch einen Wandel herbeizuführen. Ich lege darin eine philosophische Theorie vor, die auf einer sachgemäßen Sichtweise des Lebens der Tiere beruht und dem Recht kompetente Empfehlungen gibt. Ich habe gesagt, dass es von entscheidender Bedeutung ist, diese Dinge sachgerecht anzugehen: Die Theorie (unterstützt durch die Ergebnisse der aktuell besten Wissenschaft) muss auf einer korrekten Sichtweise eines vielfältigen Spektrums von Tierleben basieren und untersuchen, wie Tiere danach streben, sich vollständig zu entwickeln, und wie dies durch verschiedene menschliche Verhaltensweisen vereitelt wird. Im Folgenden möchte ich zunächst dazu einladen, fünf Tiere genauer zu betrachten, die für die geografischen Bereiche bzw. Kontexte stehen, in denen Tieren Schaden zugefügt wird: an Land, im Meer, in der Luft, in Fleischfabriken und der Haustierhaltung. Meine Beispiele decken nur den kleinsten Ausschnitt dessen ab, was einem Tier zustoßen kann, und auch nur eine kleine Auswahl von Tierarten. Ich werde zunächst beschreiben, wie das jeweilige Tier sein eigenes Leben führt und sich

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dabei optimal entwickelt, und im Anschluss daran, wie das Tier durch die ungerechte Behandlung durch den Menschen zu Schaden kommt. Nicht menschliche Tiere werden häufig wie bloße Sachen und nicht wie individuelle, empfindungsfähige Wesen behandelt, und ein Aspekt dieser verdinglichenden Behandlungsweise ist die Verweigerung eines eigenen Namens; daher bestehen Wissenschaftler heute darauf, den einzelnen Tieren, die sie untersuchen, Eigennamen zu geben. Ich schließe mich dieser Praxis hier an, indem ich im Folgenden die Namen real existierender Tiere verwende sowie fiktiven Tieren Namen gebe. In all meinen Fallbeispielen hatten die Tiere ein gutes Leben, als ich (oder andere) sie beobachtete und beschrieb – mit Ausnahme von Lupa, die sowohl schlechte als auch gute Zeiten erlebt hat. Meine zweite Darstellung ist zwar hypothetisch, doch basiert sie auf allzu häufigen unheilvollen Ereignissen im Leben von Tieren dieser Art.

Die Elefantenmutter: die Geschichte von Virginia Virginia ist eine sensible Elefantenkuh in Kenia, die von der Elefantenforscherin Joyce Poole in ihren Memoiren Coming of Age With Elephants beschrieben (und benannt) wird.8 Virginia hat große bernsteinfarbene Augen. Wenn sie Musik hört, die ihr gefällt, bleibt sie ganz still stehen, und ihre Augenlider senken sich. Joyce Poole verbringt ihre Tage mit der gesamten Muttertiergruppe und stellt fest, dass Virginia – die kleiner ist als das ältere Muttertier Victoria – eine besondere Vorliebe für Joyce’ Gesang hat; zu ihren Lieblingsliedern gehört „Amazing Grace“. Oft geht Virginia auf Wanderschaft und durchstreift dabei riesige Grasflächen, während ihre riesigen Füße geräuschlos über den Boden des kenianischen Amboseli-Nationalparks stapfen. Ihr erst vor Kurzem geborenes Baby läuft unter ihrem Bauch, beschützt vom massiven Körper seiner Mutter. (Elefantenkühe sind wunderbare Mütter, die ihre Jungen äußerst intensiv beschützen und sogar dafür bekannt sind, ihr Leben zu opfern, um junge Elefanten vor Gefahren zu retten.) Stellen Sie sich nun etwas vor, das passieren könnte, ja, häufig auch tatsächlich geschieht. Virginia liegt auf der Seite, tot, ihre Stoßzähne und ihr Rüssel wurden mit einer Machete abgehackt oder mit einer Säge abgetrennt, ihr Gesicht ist ein blutiges rotes Loch. (Der Elfenbeinhandel floriert trotz vieler Versuche, ihn einzudämmen, und der Markt für Tiertrophäen wie Schwänze und

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Einleitung

Rüssel wächst und gedeiht fast ungehindert: Es ist noch nicht einmal verboten, solche Trophäen in die USA einzuführen.) Die anderen Weibchen versammeln sich um Virginia und versuchen vergeblich, ihren Körper mit ihren Rüsseln anzuheben. Schließlich streuen sie, nachdem sie diese Versuche aufgeben haben, Erde und Gras auf ihren Körper.9 Das Elefantenbaby ist verschwunden – höchstwahrscheinlich wurde es mitgenommen, um es an einen Zoo in den USA zu verkaufen, der es mit der Herkunft nicht so genau nimmt.10

Der Buckelwal: Hals Geschichte Hal Whitehead ist ein bedeutender Walforscher, der sich vor allem mit dem Gesang der Wale befasst;11 daher habe ich seinen Namen einem Buckelwal gegeben, der gut singen kann. Er gehört zu einer Gruppe, die ich von einem Walbeobachtungsboot in der Nähe des Great Barrier Reefs in Australien aus beobachtet habe. Unser kleines Walbeobachtungsboot schneidet durch die unruhige Brandung. In der Ferne tauchen mehrere Gruppen von Buckelwalen auf, die die Wasseroberfläche durchstoßen und mit ihren Schwänzen und Brustflossen schlagen. Ihre riesigen Rücken glänzen in der Sonne. Einer von ihnen ist Hal. Über das Hintergrundgeräusch des Bootsmotors hinweg hören wir den Gesang der Wale. Die Klangmuster sind zu komplex, als dass unsere Ohren sie erfassen könnten, aber wir wissen, dass der Gesang der Buckelwale eine komplizierte melodische Struktur und eine enorme Vielfalt aufweist und sich ständig ändert – manchmal offenbar aus reiner Gewohnheit und aus Interesse an Neuem. Eine Variation, die von hier stammt, kann in einem Jahr bis nach Hawaii gelangen, da sich die Wale gegenseitig imitieren. Der Klang ist für uns wunderschön und zutiefst geheimnisvoll. Sehen wir uns Hal an, wie er jetzt aussieht: Er wurde tot an einen Strand auf den Philippinen gespült.12 Sein einst gesunder Körper ist ausgemergelt. In seinem Inneren fanden Forscher rund 195 Kilo Plastikmüll, darunter Tüten, Becher und andere Einwegartikel. (Bei einem anderen Wal, der in ähnlicher Weise an Plastik erstickt war, fand man unter den Abfällen auch ein Paar Flipflops aus Plastik.) Hal ist verhungert. Plastik gibt den Walen ein Gefühl der Sättigung, aber keine Nahrung. Irgendwann ist kein Platz mehr für echte Nahrung. Ein Teil des Plastiks in Hals Magen befand sich dort so lange, dass es verkalkte und zu einem Plastikziegel wurde. Er wird nicht mehr singen.

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Die Sau: die Geschichte der Kaiserin von Blandings Da ich im wirklichen Leben kein Schwein kenne, das gut behandelt wird, habe ich mich für eine vom Leben inspirierte Fiktion entschieden. Kein ausgedachtes Schwein ist mächtiger und beeindruckender als die Kaiserin von Blandings in den Romanen von P. G. Wodehouse, eine prächtige schwarze Berkshire-Sau in hervorragender Verfassung, die zahlreiche Medaillen gewinnt. Da Wodehouse ein berühmter Freund und Fürsprecher der Tiere war, ist klar, dass seine fiktive Beschreibung auf liebevoller Beobachtung beruht. Die Kaiserin von Blandings wird auf dem Anwesen von Blandings Castle wie ein geliebtes Haustier gepflegt. Sie liebt ihren Trog, in dem ihr Pfleger Cyril Wellbeloved ihr stets leckeres Futter anbietet. Als Wellbeloved jedoch wegen Trunkenheit und Ordnungswidrigkeiten für kurze Zeit ins Gefängnis muss, vermisst die Kaiserin ihn und verliert ihren Appetit. Ihre menschliche Familie, insbesondere der Schweinen sehr zugetane Lord Emsworth, sorgt sich hilflos um ihr Wohlergehen und lockt sie mit verschiedenen Leckereien, doch vergeblich. Durch eine glückliche Fügung taucht James Belford auf Blandings auf, und sein Geschick im Umgang mit Schweinen, das er während eines Arbeitsaufenthalts auf einer Farm in Nebraska entwickelt hat, stellt die gewohnte gute Laune der Kaiserin wieder her. Sie isst mit Genuss und gibt dabei „eine Art schluckendes, gurgelndes, blobberndes, matschiges, lustiges Geräusch“ von sich, das Lord Emsworth hoch erfreut. Kurz darauf erhält sie ihre erste Silbermedaille bei der 87. Landwirtschaftsschau in Shropshire in der Klasse der fetten Schweine.13 Stellen wir uns nun ein anderes Leben für die Kaiserin vor: Statt sich in der freundlichen Umgebung von Blandings Castle und in der sanften Welt von P. G. Wodehouse, in der alle Lebewesen mit Liebe und Humor behandelt werden, optimal zu entwickeln, hat die Kaiserin das Schicksal, Anfang des 21. Jahrhunderts auf einer Schweinefarm in Iowa zu leben.14 Gerade schwanger, wurde sie in einen „Kastenstand“ gezwängt, ein enges Metallgehäuse von der Größe ihres Körpers, ohne Einstreu, mit einem Boden aus Beton- oder Metallstäben, damit die Fäkalien in die darunter liegenden „Lagunen“ abfließen können. Sie kann nicht gehen, sich nicht herumdrehen, ja, sich noch nicht einmal hinlegen. Kein freundlicher „Schweineflüsterer“ spricht mit ihr; keine schweinebegeisterten Menschen bewundern und lieben sie; keine anderen Schweine oder anderen Nutztiere grüßen sie. Sie ist einfach nur eine Sache, eine Zuchtmaschine. Die meisten der rund sechs Millionen Sauen in den USA leben in Massentierhaltungsbetrieben,

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und die beschriebenen Käfige werden in fast allen Bundesstaaten verwendet, obwohl sie in neun Bundesstaaten und in mehreren Ländern verboten sind.15 Kastenstände führen zu einem Verlust von Muskel- und Knochenmasse aufgrund von Bewegungsmangel. Die Käfige zwingen die Schweine, dort zu koten, wo sie leben, was Schweine, die sehr saubere Tiere sind, verabscheuen. Und Käfige berauben diese sozialen Tiere jeglicher Geselligkeit.16

Der Fink: die Geschichte von Jean-Pierre Der bedeutende Flötist Jean-Pierre Rampal (1922–2000), hat viele Werke aufgenommen, in denen der Klang eines zwitschernden Vogels durch die Flöte wiedergegeben wird. Deshalb habe ich meinen geschickten Finken, dem ich auf der Website des Cornell Laboratory of Ornithology zuhöre, nach ihm benannt. Jean-Pierre ist ein männlicher Hausfink.17 Er hat direkt über dem Schnabel leuchtend rote Federn, die am Hinterkopf in rot-graue Farben übergehen. Unterhalb des Schnabels wird das Rot zu Rosa und Weiß, während der Unterbauch grau gestreift ist. Seine Flügel sind grau und weiß gestreift. Jean-Pierre erzeugt ein schnelles, aus kurzen Tönen bestehendes Trillern, das mit einem auf- oder abwärts gerichteten Legato endet.18 Jean-Pierre mit den zarten Farbabstufungen in seinem Gefieder und seiner aktiven und intelligenten Interaktion mit anderen Vögeln ist faszinierend anzusehen  – und vor allem hinreißend anzuhören, wenn er seine komplizierten Trillerkompositionen von sich gibt. Er singt unermüdlich. Sehen wir uns Jean-Pierre an, wie er jetzt aussieht: Nachdem er mit geschwächten Lungen nach Luft schnappte, liegt er tot auf dem Boden unter dem Baum, auf dem er einst so flüssig sang. Man geht davon aus, dass jedes Jahr Tausende von kleinen Zugvögeln (Finken, Spatzen und Grasmücken, das sind die Arten, die 86 Prozent der nordamerikanischen Landvogelarten ausmachen) an den Folgen von Luftverschmutzung sterben. Ozon schädigt die Atmungsorgane der Vögel und auch die Pflanzen, die jene Insekten anlocken, welche von Vögeln gefressen werden. In diesem Fall gibt es eine gute Nachricht: Programme zur Verringerung der Ozonverschmutzung im Rahmen des Gesetzes zur Reinhaltung der Luft (Clean Air Act) haben auch den Vögeln geholfen. Schätzungen zufolge haben diese Programme in den letzten vierzig Jahren den Verlust von 1,5 Milliarden Vögeln verhindert, was fast zwanzig Prozent des heutigen Vogel-

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bestands in den USA entspricht. Für Jean-Pierre kam diese Hilfe jedoch zu spät. Wie Hal wird er nie wieder singen.

Der Hund: die Geschichte von Lupa Lupa ist eine Hündin, die misshandelt wurde und eine Zeitlang in der Wildnis lebte, bevor sie ein glückliches Zuhause bei den Princeton-Professoren George Pitcher und Ed Cone fand. Pitcher beschreibt diese Geschichte in seinem Buch The Dogs Who Came To Stay.19 Lupa rennt ohne Leine über den Golfplatz von Princeton und überholt dabei ihren Gefährten, den Philosophen George Pitcher, und seinen Gast, mich – aber nicht ihren Sohn Remus, der – einer Fährte folgend  – vor ihr herspringt und dann zu ihr zurückkehrt. Sie ist ein dicklicher Hund mittlerer Größe, teils Deutscher Schäferhund, teils unbekannt; er ist schlank und klein, mit kürzerem Fell und weniger ausgeprägten Schäferhundmerkmalen. Beide Hunde haben ein glänzendes Fell und spielen fröhlich. Obwohl Lupa mir gegenüber sehr schüchtern ist, zeigt sie sich bei George sehr anhänglich – Remus ist uns beiden gegenüber anhänglich und verspielt. Die Hunde gedeihen offensichtlich prächtig in ihrer Lebensgemeinschaft mit George und seinem Partner Ed sowie im Kontakt mit verschiedenen Tieren und Menschen, die sie besuchen kommen. In diesem Fall liegt die schlimme Geschichte in der Vergangenheit. Lupa war eine Zeitlang eine wilde Hündin, bevor George und Ed sie fanden, als sie sich unter einem Schuppen auf ihrem Grundstück versteckte, um dort einen Wurf Welpen zur Welt zu bringen. Sie war in keinem guten Zustand – das Leben in der Wildnis ist hart für Hunde  –, und auf ihr Leben davor konnte man aufgrund ihrer ängstlichen Reaktionen schließen. Bestimmte Dinge machten ihr stets Angst, auch noch nach längerer Zeit: eine erhobene Hand, ein Telefonanruf von einem bestimmten Telefon im Erdgeschoss aus. Alle neuen Menschen mussten sich bei Lupa über einen langen Zeitraum bewähren, und nur wenige bestanden diese Prüfung. Sie zog sich am liebsten unter den Konzertflügel zurück. Grausamkeit und Vernachlässigung waren ihr fest ins Gedächtnis eingeschrieben. Remus hingegen kannte nur das gute Leben. Ich hätte Geschichten von so vielen anderen Tieren erzählen können: von Katzen, Pferden, Milchkühen, Hühnern, Delfinen, allen Arten von großen Landsäugetieren. Wir werden noch mehr über den Tintenfisch, über Vögel aller

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Art und über Fische hören. Und für die Tiere, die ich „porträtiert“ habe, hätte ich mir andere Hindernisse für ihre Entfaltung vorstellen können: bei Elefanten den Hunger aufgrund ihres schrumpfenden Lebensraums, da der Mensch in ihre Gebiete vordringt; bei Walen die Störung ihres normalen Lebens durch Meereslärm, einschließlich des Sonarprogramms der US-Marine, das die Wanderungen und ihr typisches Fortpflanzungsverhalten durcheinanderbringt; bei Nutztieren die Gesamtzahl der Institutionen und Praktiken, aus denen die Massentierhaltung besteht; bei Vögeln den Abschuss durch Freizeitjäger; bei Hunden die Geburt und das frühe Leben in einer Massenzucht mit all den damit verbundenen Krankheiten, die Züchtung speziell für Kämpfe oder einfach nur die Langeweile aus Mangel an Bewegung und Aufmerksamkeit. Die Geschichten von Brutalität und Vernachlässigung lassen sich beliebig fortsetzen. Der Gegensatz zwischen einem sich vollständig entfaltenden und einem beeinträchtigten Leben ist ein Kerngedanke dieses Buches. Er ist das Herzstück des Gerechtigkeitsbegriffs; so werde ich es in Kapitel 1 darlegen. Und das sachgerechte Reflektieren über diesen Gegensatz ist der Schlüssel zur Entwicklung einer nachvollziehbaren Theorie der Gerechtigkeit für Tiere. Ich werde darlegen, was an den drei führenden Theorien zu diesem Thema falsch ist: die Missachtung dieses Gegensatzes und der verschiedenen Formen, in denen er sich in den unterschiedlichen Leben von Tieren zeigt. Ich werde eine neue theoretische Grundlage für das Nachdenken über Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit gegenüber Tieren entwickeln. Sie beruht auf der Fähigkeit des Tieres, seine ihm eigene Form des Lebens zu realisieren, und ich werde Argumente dafür vorbringen, dass sie – da sie den Gegensatz zwischen einem voll entwickelten Leben und einem in seiner Entfaltung behinderten Leben in den Mittelpunkt stellt – in der Lage ist, mit Herausforderungen fertigzuwerden, die andere Theorien nicht bewältigen können. Theorien leiten das Handeln, und schlechte Theorien leiten das Handeln schlecht. Ich glaube, dass die vorherrschenden Theorien in diesem Bereich fehlerhaft sind und dass meine Theorien das Handeln besser leiten werden. Für mich ist dieses Buch aber auch ein Werk der Liebe und mittlerweile auch der konstruktiven Trauer – der Versuch, das Engagement eines Menschen weiterzuführen, den die Welt tragischerweise verloren hat. Meine Tochter Rachel Nussbaum war meine Mentorin und meine Inspiration, als ich relativ spät im Leben begann, mich für die leidvolle Situation nicht menschlicher Tiere zu interessieren. Nach ihrer Promotion und einer kurzen Lehrtätigkeit in deut-

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scher Geistesgeschichte beschloss sie, ihrer Leidenschaft für Tiere zu folgen und Jura zu studieren. Sie hatte das Glück, an der Universität von Washington studieren zu können, deren Lehrplan eine Fülle von Kursen zum Tierrecht und zu verwandten Themen anbietet. Inzwischen lebten sie und ihr Mann in Seattle, in der Nähe von Orten, die sich gut dafür eignen, Wale und Orcas zu beobachten, die ihre größte Leidenschaft waren. Noch mehr Glück hatte sie, als sie ihren Traumjob bekam: Sie arbeitete als Anwältin bei der Tierrechtsorganisation „Friends of Animals“ in der Wildlife Division in Denver, die von dem großartigen Tierrechtsexperten Michael Harris geleitet wird. Fünf Jahre lang befasste sie sich mit den rechtlichen Problemen von Wildtieren, darunter Elefanten, die in US-Zoos verschleppt wurden, Wildpferde, die von Viehzüchtern erlegt werden sollten, gefährdete Bisons und viele andere wilde Tiere. Sie übernahm Mandate und sagte vor bundesstaatlichen Gesetzgebungsinstanzen aus, die erwogen, tierfreundliche Gesetze zu erlassen. Und sie sprach mit ihrer Mutter und bewegte sie dazu, ihre Leidenschaft und ihr Engagement für Wildtiere zu teilen. Ihre hingebungsvolle Arbeit für die Verbesserung des Lebens misshandelter und leidender Kreaturen war anspruchsvoll und wunderbar. Sie inspiriert mich noch heute. Wir begannen, gemeinsam eine Reihe von Artikeln über den rechtlichen Status von Meeressäugern und allgemeinere Fragen der Beziehungen zwischen Wildtieren und dem Menschen zu schreiben. (Ich lieferte die philosophische Theorie, indem ich meinen Fähigkeitenansatz in eine neue Richtung lenkte. Sie lieferte die Fakten und das juristische Fachwissen.)20 Rachel starb im Dezember 2019 im Alter von 47 Jahren an einer medikamentenresistenten Pilzinfektion nach einer erfolgreichen Organtransplantation. Es stellte sich heraus, dass das Spenderorgan einen strukturellen Defekt aufwies, der dazu führte, dass es eine Infektion „streute“ und in den Körper pumpte. Der Defekt konnte erst bei der Autopsie festgestellt werden. Da aber zuvor bereits klar war, dass das Spenderorgan aus irgendeinem Grund seine Funktion nicht erfüllte, wurde ein Termin für eine erneute Transplantation festgesetzt. Ein Organ wurde gefunden, und sie sollte gerade in den Operationssaal gebracht werden, als man eine Pilzinfektion entdeckte, die sich als medikamentenresistent erwies. Zwischen der ersten Transplantation und ihrem Tod vergingen nur fünf Monate. Während dieser Zeit besuchten ihr Ehemann Gerd Wichert und ich sie fast täglich im Krankenhaus  – mit einer Ausnahme: Zu einem Zeitpunkt, als es ihr wirklich gut ging und sie

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kurz davor war, nach Hause geschickt zu werden, ermutigte sie mich, nach London zu reisen, um unseren letzten gemeinsamen Vortrag vor der Human Development and Capability Association zu halten. Sie unterhielt sich in einem transatlantischen Telefonat mit ihren HDCA -Freunden und freute sich darauf, im nächsten Jahr dabei zu sein. In jenen Tagen hatten wir auch viele Gespräche über die Tiere, die wir liebten. Glücklicherweise war dies noch vor dem Ausbruch von Covid-19, sodass ihr Vater und ihr Chef von „Friends of Animals“, Gerd und mich oft bei Besuchen begleiten konnten, und an ihrem letzten Tag waren wir alle bei ihr. Solange ich lebe, werde ich das Funkeln in ihren grünen Augen und ihr subversives Lächeln vor mir sehen. Wir waren wie ein Paradebeispiel von Gegensätzen: ich mit blondem Lockenhaar, sie mit sehr kurzen schwarzen Haaren; ich in femininen, bunten Kleidern, sie in schwarzen Hosenanzügen; doch in unseren Herzen waren wir zutiefst miteinander verbunden. Dies ist kein Buch über diese Tragödie. Dieses Buch ist anders: Es blickt nach vorne und versucht, die Angelegenheiten, die Rachel am Herzen lagen, durch eine Theorie voranzubringen, die sie kannte und unterstützte. Diese Theorie, eine Version meines Fähigkeitenansatzes, beurteilt Gerechtigkeit anhand der Frage, ob Menschen (oder in diesem Fall empfindungsfähige Tiere) durch Gesetze und Institutionen in die Lage versetzt werden, ein Leben zu führen, in dem sie sich voll entwickeln können, definiert durch eine Liste von Wahl- und Handlungsmöglichkeiten, die das Lebewesen in seinem politischen und rechtlichen Kontext hat (oder nicht hat). An der Universität von Denver, in der Nähe ihres Arbeitsplatzes, hat Rachel sogar Vorlesungen über den Fähigkeitenansatz gehalten. Sie hatte den kurzen Exkurs über tierrechtliche Fragen unter Verwendung dieses Ansatzes gelesen, den ich 2006 für mein Buch Die Grenzen der Gerechtigkeit geschrieben hatte. Wir haben oft über das Projekt dieses Buches gesprochen, und ich habe ihr sogar einige Entwürfe gezeigt, insbesondere das Kapitel über wilde Tiere. Auch unsere gemeinsam verfassten Arbeiten spielen in diesem Buch eine bedeutsame Rolle, insbesondere in den Kapiteln über das Recht und über die Freundschaft zwischen Mensch und Tier. Ich habe daher das Gefühl, dass sie durch mich spricht und ich die Stimme weitergebe, die ich geliebt habe. Der römische Philosoph und Staatsmann Cicero, dessen Tochter Tullia starb, als sie nur wenig jünger war als Rachel, brachte seine tiefe Trauer zum Ausdruck, indem er in seinem – wie sich herausstellte – letzten Lebensjahr plante, einen Schrein zu ihrem Gedenken zu errichten. Ich hoffe, dass ein Buch, welches die

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Dinge, für die sich Rachel eingesetzt hat, in der Welt lebendig hält und andere dazu anregt, ihnen zu folgen, ein noch besserer Ausdruck von Liebe und Trauer sein kann als dieser Schrein – da es ihre Werte veranschaulicht und weltweit verbreitet. Was ist der Fähigkeitenansatz (FA), und warum sollten sich Anwälte, die sich für Tiergerechtigkeit einsetzen, dafür interessieren?21 Es ist leicht zu sagen, was dieser Ansatz nicht ist. Er stuft Tiere nicht nach ihrer Ähnlichkeit mit dem Menschen ein oder strebt nach besonderen Privilegien für diejenigen, die als „uns am ähnlichsten“ gelten, wie dies einige andere verbreitete theoretische Ansätze tun. Der FA sorgt sich um den Fink und das Schwein ebenso wie um den Wal und den Elefanten, und er legt dar, dass die menschliche Lebensform schlichtweg irrelevant ist, wenn wir darüber nachdenken, was die einzelnen Tierarten benötigen und was ihnen zusteht. Was zählt, ist ihre je eigene Lebensform. So wie der Mensch danach strebt, die charakteristischen Güter eines menschlichen Lebens genießen zu können, so strebt der Fink nach dem Leben eines Finken und der Wal nach dem Leben eines Wals. (Und für beide ist der Raum für eine individuelle Differenzierung ein Teil des Lebens, nach dem sie streben.) Wir sollten unsere Perspektive erweitern und hinzulernen, statt uns denkfaul Tiere als minderwertige Menschen vorzustellen, die nach einem Leben streben, das unserem eigenen ähnlich ist. Nach dem FA sollte jedes empfindungsfähige Lebewesen (das in der Lage ist, eine subjektive Sicht auf die Welt zu haben sowie Schmerz und Freude zu empfinden) die Möglichkeit haben, sich in der für dieses Lebewesen charakteristischen Lebensform zu entfalten. Dem FA geht es auch nicht nur um Schmerz- und Lustempfindungen wie dem gegenwärtig bekanntesten Ansatz in der Frage der Gerechtigkeit für Tiere. Er beruht auf dem klassischen Utilitarismus des britischen Philosophen Jeremy Bentham aus dem 18. Jahrhundert und wurde von dem zeitgenössischen australischen Philosophen Peter Singer aktualisiert. Schmerz ist sehr, sehr wichtig und eine der Hauptursachen für Ungerechtigkeit und Leid im Leben von Tieren. Doch er ist nicht die einzige. Tiere bedürfen auch der sozialen Interaktion, oft in einer großen Gruppe von Artgenossen. Sie benötigen viel Platz, um sich bewegen zu können. Sie brauchen Spiel und Anregung. Sicherlich sollten wir Schmerzen, die keinen Nutzen bringen, vermeiden; doch wir sollten auch an die anderen Aspekte des sich vollständig entwickelnden Lebens eines Tieres denken. Wir würden uns nicht für ein schmerzfreies Leben entscheiden, wenn dies bedeuten würde, dass wir auf Liebe, Freundschaft, Aktivität und die anderen Dinge ver-

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zichten müssten, die uns wichtig sind. Die Bedürfnisse von Tieren sind ebenso vielfältig. Mangelhafte Theorien führen zu mangelhaften Empfehlungen. Das umfassende Anliegen dieses Buchs ist es, zu erklären, warum wir eine neue Theorie benötigen, um der Politik und der Gesetzgebung den Weg zu weisen, wenn wir versuchen, unserer ethischen Verantwortung gegenüber den fünf von mir beschriebenen Tieren und so vielen anderen gerecht zu werden – und warum der FA die beste Grundlage für ethische und politische Interventionen in Bezug auf Verhaltensweisen ist, die diese Leben zerstören und behindern. Ich beginne in Kapitel 1 damit, dass ich darüber spreche, was Gerechtigkeit bedeutet, und einige Fähigkeiten darlege, die wir Menschen besitzen und die es uns ermöglichen, Ungerechtigkeit zu erkennen und darauf zu reagieren. In den folgenden drei Kapiteln untersuche ich drei fehlerhafte Theorien, die derzeit in der Rechtswissenschaft und der Philosophie in Gebrauch sind: eine auf den Menschen ausgerichtete Theorie, die ich den „Uns-so-ähnlich-Ansatz“ nenne und die versucht, (ausschließlich) Lebewesen zu helfen, die dem Menschen sehr ähnlich sind; die utilitaristische Theorie von Jeremy Bentham, John Stuart Mill, Henry Sidgwick und Peter Singer, die sich auf Lust- und Schmerzempfinden konzentriert und andere Aspekte des Lebens eines Tieres auf Quantitäten von Lust und Schmerz reduziert (obwohl Mill hier von den anderen abweicht); und schließlich der kantische Ansatz der Philosophin Christine Korsgaard, der große Fortschritte in Bezug auf die Achtung der Würde des Lebens von Tieren macht, aber – so lautet meine Behauptung – bei einigen Schlüsselaspekten hinter dem Geforderten zurückbleibt. In den beiden zentralen Kapiteln 5 und 6 lege ich sodann meine eigene Theorie dar und vertrete die Auffassung, dass Tiere Rechte besitzen, d. h. einen auf Gerechtigkeit beruhenden Anspruch auf ein Leben, in dem sie sich vollständig entwickeln können. Ich zeige, was dies in Bezug auf meine eigene Theorie bedeutet. Im Anschluss daran erörtere ich das Schlüsselkonzept der Empfindungsfähigkeit und begründe, warum Gerechtigkeit nur für Tiere gilt, die über eine Anschauung der Welt verfügen, und nicht für solche, die keine besitzen, ebenso wenig wie für Pflanzen. In Kapitel  7 geht es um die Frage, ob einem Tier durch den Tod immer ein Schaden zugefügt wird, und damit um die immer wieder erörterte philosophische Frage, ob der Tod uns schadet. Kapitel 8 befasst sich mit „tragischen Konflikten“ zwischen zwei ethisch bedeutsamen Pflichten – ein Problem, auf das wir bei der Förderung des Wohlergehens von Tieren häufig stoßen – und

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fragt, wie wir sie lösen können, damit wir den Schaden verringern, den wir vorübergehend anrichten müssen, um knifflige Probleme zu lösen, wie sie beispielsweise im Zusammenhang mit Tierversuchen auftauchen. Kapitel 9 und 10 befassen sich dann mit den beiden Haupttypen von Tieren in unserer Welt: Tieren, die mit uns und in unserer Nähe leben, und „wilden Tieren“, für die dies nicht gilt und die sich nicht als mit dem Menschen symbiotische Tiere entwickelt haben – die meiner Meinung nach dennoch gar nicht wirklich wild sind, da alle Tiere in von Menschen beherrschten Räumen leben. In jedem Fall stelle ich die Frage, was der FA dazu zu sagen hat, wie Recht und Politik mit diesen Tierleben umgehen sollten. Kapitel 11 wendet sich dem wichtigen Ziel der Freundschaft zwischen Menschen und anderen Tieren zu und zeigt, wie solche Freundschaften entstehen können – sogar mit „wilden“ Tieren. Ich behaupte, dass das Ideal der Freundschaft uns helfen wird, die vor uns liegenden Aufgaben positiv zu sehen. Kapitel 12 wendet sich schließlich dem Recht zu – den bestehenden nationalen wie auch internationalen Gesetzen mit ihren zahlreichen Mängeln – und fragt, über welche juristischen Ressourcen wir verfügen, um einen besseren Weg zu finden. Wir Menschen können und müssen bessere Antworten finden. Das Recht kann und muss besser werden. Nach meiner Auffassung ist die heutige Zeit die Zeit eines großen Erwachens: Wir werden uns unserer Verwandtschaft mit einer Welt bemerkenswerter intelligenter Lebewesen bewusst und verstehen, dass wir für unseren Umgang mit ihnen wirkliche Verantwortung übernehmen müssen, um eine wahrhaft globale Gerechtigkeit zu erreichen, die alle empfindungsfähigen Wesen umschließt. Ich hoffe, dass dieses Buch dazu beitragen wird, dieses Erwachen zu lenken, indem es ihm moralische Dringlichkeit verleiht und eine theoretische Struktur gibt sowie mehr Menschen dazu inspiriert, sich für die Gerechtigkeit für Tiere einzusetzen, ebenso wie Rachels Leidenschaft für Meeressäuger mich neugierig und bereit gemacht hat, mich auf eine schwierige Reise zu begeben, die sich als lohnender erwiesen hat als jede andere Reise in meinem Leben – mit Ausnahme des Abenteuers der Mutterschaft.

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Brutalität und Vernachlässigung: Ungerechtigkeit im Leben von Tieren

Tieren geschieht durch uns Unrecht. Dieses Buch zielt darauf ab, diese Aussage zu bestätigen sowie eine wirksame theoretische Strategie vorzuschlagen, um Ungerechtigkeit zu identifizieren und Abhilfemaßnahmen zu empfehlen: eine Version meines „Fähigkeitenansatzes“. In diesem Kapitel werde ich zunächst auf unsere alltägliche, vorphilosophische Vorstellung von Ungerechtigkeit eingehen, die nach meiner Auffassung darin besteht, dass jemand danach strebt, etwas einigermaßen Bedeutsames zu erreichen, und von jemand anderem daran gehindert wird – und zwar zu Unrecht, sei es böswillig oder fahrlässig. Dieser Gedanke bringt uns bereits auf die Spur meines Fähigkeitenansatzes, denn in diesem geht es zentral um sinnvolle Aktivitäten und um die Bedingungen, die es einem Lebewesen ermöglichen, diesen ohne Beeinträchtigung oder Behinderung nachzugehen oder, mit anderen Worten, ein sich vollständig entwickelndes Leben zu führen. Im Gegensatz zu anderen Ansätzen, die sich in einer Engführung auf Schmerzen als das in erster Linie Schlechte konzentrieren, richtet dieser Ansatz sein Augenmerk auf zahlreiche verschiedene Arten von sinnvoller Aktivität (einschließlich Bewegung, Kommunikation, sozialer Bindungen und Spiel), die sämtlich durch das Eingreifen anderer blockiert werden können, und auf viele Arten dieser unrechtmäßigen Blockierung, sei es durch böse Absicht oder durch Unachtsamkeit. In diesem Kapitel werde ich zunächst Tiere, die ein gutes Leben führen, mit Tieren vergleichen, die in ihrem Streben behindert werden, um so eine elementare Erklärung von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit vorzubereiten. Als Nächstes werde ich unsere gewöhnliche vorphilosophische Vorstellung von Ungerechtigkeit betrachten, um zu zeigen, warum die Tiere in meinen Beispielen ungerecht behandelt wurden. Nachdem ich die Idee der unrechtmäßigen Behinderung einer bedeutsamen Aktivität entwickelt habe, werde ich drei Fähig-

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keiten untersuchen, über die sämtliche Leser dieses Buches verfügen und die die Tiere unserer Aufmerksamkeit und Fürsorge anempfehlen: Staunen, Mitgefühl und Empörung. Diese drei Emotionen sind zugleich Ressourcen: Wenn sie angemessen entwickelt und kultiviert werden, helfen sie uns, den umfassenderen ethischen und philosophischen Rahmen der Rechte von Tieren besser zu verstehen. Diejenigen, die bezweifeln, dass Tiere einen Anspruch auf eine gerechte Behandlung haben und diesen auch einfordern dürfen, müssen bis zur Darlegung meiner Theorie in Kapitel 5 warten, wo ich meine Argumentation für diesen entscheidenden Punkt vorstelle, da verschiedene Theorien unterschiedliche Antworten auf diese Frage geben. Um jedoch meinen wesentlichen Punkt in aller Kürze wiederzugeben: Alle Tiere, die menschlichen und die nicht menschlichen, leben auf diesem zerbrechlichen Planeten, von dem wir in Bezug auf alles, was wichtig ist, abhängig sind. Wir haben es uns nicht ausgesucht, hier zu sein. Wir haben uns hier vorgefunden. Wir Menschen glauben, dass wir, weil wir uns hier vorgefunden haben, das Recht besitzen, den Planeten zu nutzen, um uns zu ernähren, und Teile davon als unser Eigentum zu betrachten. Doch wir sprechen anderen Tieren das gleiche Recht ab, obwohl ihre Situation genau dieselbe ist. Auch sie haben sich hier vorgefunden und müssen versuchen, so gut es geht, zu leben. Mit welchem Recht sprechen wir ihnen das Recht ab, den Planeten zu nutzen, um zu leben, so wie wir dieses Recht beanspruchen? In der Regel wird hierfür kein einziges Argument vorgebracht. Ich glaube, dass jeder Grund, der unseren eigenen Anspruch auf die Nutzung des Planeten zu unserem Überleben und Wohlergehen stützt, auch ein Grund für die Behauptung ist, dass Tiere das gleiche Recht haben.1 Zunächst müssen wir jedoch über eine funktionierende Vorstellung von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit verfügen. Diese zu erarbeiten, ist das Vorhaben für dieses Kapitel. Um damit beginnen zu können, benötigen wir einige Beispiele: Fälle, die uns über die Komplexität und die beeindruckenden Aktivitäten eines Tieres staunen lassen und ein schmerzliches Mitgefühl wecken, verbunden mit einer handlungsorientierten Empörung darüber, was aus diesem Tier in einer Welt der menschlichen Brutalität und Vernachlässigung geworden ist.

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Brutalität und Vernachl ässigung

Tiere, die gedeihen, und Tiere, deren Entwicklung eingeschränkt wird In der Einführung habe ich fünf konkrete Tiere vorgestellt, die zu leben versuchen, dabei jedoch auf verschiedene Weise blockiert und frustriert werden. Ich habe zunächst die gesunde Aktivität des Tieres beschrieben, das seiner typischen Lebensform nachgeht, und sodann das gleiche Tier, das durch menschliche Misshandlung in Bedrängnis gerät. Virginia, die Elefantenmutter, genoss die freie Bewegung und die Geselligkeit in ihrer weiblichen Gruppe, zusammen mit den kleinen Elefantenbabys, welche die Gruppe gemeinsam aufzieht. Dann wurde sie von Wilderern angegriffen und getötet, um an das Elfenbein ihrer Stoßzähne zu gelangen, ihr Gesicht wurde ­entstellt und ihr Baby der Gruppe entrissen, um es an einen Zoo zu verkaufen, der ihm nicht die Möglichkeit bieten wird, sich vollständig zu entwickeln. Der Buckelwal Hal genoss die freie Bewegung, die soziale Interaktion mit der Gruppe seiner Artgenossen und das Singen. Nachdem er Plastikmüll verschluckt hatte, verhungerte er, weil dieser seinen Verdauungstrakt verstopfte, und er wurde an der Küste angespült. Die Kaiserin von Blandings hatte ein glückliches Leben auf Blandings Castle, gut gefüttert und umsorgt von Menschen, die Schweine liebten und ihre besonderen Persönlichkeiten und Bedürfnisse verstanden. Auf einer Schweinefarm in Iowa erlebte sie ein ganz anderes Leben: eingesperrt in einen Kastenstand, gezwungen, in der Nähe ihrer eigenen Fäkalien zu fressen, jeglichen sozialen Lebens und jeder freien Bewegung beraubt. Jean-Pierre flog früher frei umher, gab wunderbar trillernde Gesänge von sich und genoss die soziale Interaktion mit anderen Finken. Doch die verschmutze Luft kostete ihn sein Leben. Die Geschichte Lupas ist eine Geschichte, die sich von Schmerz zu Glück und von Ungerechtigkeit zu einem blühenden Leben wendet. Früher von einem grausamen Menschen geschlagen, wurde sie eine streunende Hündin, die auf der Straße ihr Auskommen suchte. Doch dann fand sie ein langes und glückliches Leben bei Menschen, die sie freundlich, liebevoll und mit Respekt behandelten, ihr eine exzellente medizinische Versorgung und viel Auslauf boten und auch ihren Welpen Remus adoptierten (sowie ein gutes Zuhause für die anderen Geschwister fanden), sodass Lupa die Gesellschaft eines anderen Hundes ebenso wie die von Menschen hatte.

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Gerechtigkeit: die grundlegende intuitive Idee

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Dies sind lediglich fünf von Millionen von Geschichten, die man erzählen könnte. Die Geschichten von Brutalität und Vernachlässigung ließen sich endlos fortsetzen, doch sie geben uns auch so schon das Anschauungsmaterial, das wir benötigen, um uns mit den Ideen von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit auseinanderzusetzen. In all diesen Geschichten sehen wir ein blühendes Leben – und bezeichnenderweise geht es in jeder von ihnen um freie Bewegung, soziales Leben und die Realisierung von Fähigkeiten, die für jede der beschriebenen Arten typisch sind. Im Gegensatz dazu sehen wir dann, wie diese Fähigkeiten behindert, die Bewegungsfreiheit blockiert und der soziale Austausch unmöglich gemacht werden. Der Gegensatz zwischen einem blühenden und einem eingeschränkten Leben ist die zentrale intuitive Idee dieses Buches. Allerdings stellt nicht jede Einschränkung eine Ungerechtigkeit dar, gegen die wir vorgehen sollten. Wenden wir uns also der Frage nach Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit zu.

Gerechtigkeit: die grundlegende intuitive Idee Was bedeutet es, Ungerechtigkeit zu erleiden? Wann stellen Beeinträchtigungen des Lebens nicht nur Beeinträchtigungen dar, sondern auch ein Unrecht, für das wir jemanden zur Rechenschaft ziehen können und das wir, wenn möglich, wiedergutmachen oder zumindest in Zukunft verhindern sollten? Hier komme ich zu den allergrundlegendsten Intuitionen meiner Theorie, bei denen es wirklich sehr schwierig ist, noch weiter zu argumentieren. Ich will jedoch versuchen, die Grundgedanken auszuformulieren, da sie uns im Folgenden leiten werden. Was bedeutet es für ein Lebewesen, Ungerechtigkeit zu erleiden und auf Gerechtigkeit basierende Ansprüche zu haben? Stellen wir uns ein Tier vor: Da auch ein hypothetisches Tier, das uns als Beispiel dient, einen Namen haben muss, nennen wir es Susan. Susan lebt ihr Leben: Sie plant, handelt, stellt Beziehungen her und geht all den Dingen nach, die für ein Tier von Susans Art von Bedeutung sind. Susan nutzt ihre sinnlichen und intellektuellen Fähigkeiten. Sie strebt nach Dingen und begehrt sie. Sie bewegt sich auf sie zu und versucht, sie zu erlangen. Hierbei stößt Susan auf Hindernisse, die ihren Bemühungen im Wege stehen. Einige von ihnen sind unwichtig: Sie vereiteln Absichten, die nur am Rande eine Rolle spielen und nicht von zentraler Bedeutung für ihr Leben sind. Zu den ernsteren Hindernissen

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g­ ehören einige, die auf körperliche Einschränkungen zurückzuführen sind, für die niemand verantwortlich zu sein scheint: Susan wird von einer Krankheit heimgesucht; ein schwerer Sturm verwüstet ihre Behausung. Bisher scheint Susan keine Ungerechtigkeit erlitten zu haben, obwohl sie kleineres und größere Leid erfahren hat. Nehmen wir jedoch an, dass Susan durch ein anderes Wesen oder durch eine von einem anderen Wesen herbeigeführte Situation beeinträchtigt wird. Selbst dann hat Susan möglicherweise kein Unrecht erlitten, wenn das andere Wesen nichts Falsches getan hat – es ging lediglich seinen eigenen Angelegenheiten nach und stieß zufällig auf Susan oder konkurrierte mit ihr. Es nahm etwas zu essen, das Susan haben wollte. Oder es hat sein Leben und das seiner Familie zu Recht verteidigt, indem es sich gegen Susan wehrte und sie dabei verletzte. Nehmen wir nun jedoch an, dass Susans Behausung von einem anderen Lebewesen, das es besser wusste und besser hätte machen können, absichtlich zerstört wurde. Nehmen wir an, Susan sei absichtlich eingesperrt und getötet worden, zusammen mit Tausenden ihrer Artgenossen. Das ist das Los der meisten Hühner auf der Welt und vieler Schweine und Kälber. Nehmen wir an, Susan sei – wie die Kaiserin von Blandings – in einen Metallkäfig gesperrt und dazu gezwungen worden, ihren Kot durch Gitterstäbe in eine übel riechende Grube zu entleeren, während sie durch den Bewegungsmangel krank geworden sei. Nehmen wir an, ihr Gesicht sei wie das von Virginia mit einer Machete zu einem blutigen Brei zerhackt worden, um den Elfenbeinhandel zu befriedigen, hinter dem eine illegale, weltweit operierende kriminelle Organisation steckt. Nehmen wir an, sie sei, wie Lupa, von jemandem geschlagen worden, der behauptete, sie sei sein Besitz. Nun sind wir im Bereich der Ungerechtigkeit angekommen, denn jetzt werden Susans Bemühungen durch Interventionen vereitelt, die unrechtmäßig erscheinen. Wäre Susan ein Mensch, würden wir schnell zu dem Schluss gelangen, dass es sich um Ungerechtigkeit handelt. Die Fälle von Hal und Jean-Pierre scheinen anders gelagert zu sein, denn es liegt bei ihnen keine vorsätzliche Handlung vor, die den Schaden verursacht hat. Wäre Hal harpuniert worden (eine grausame Praxis, die von der Internationalen Walfangkommission nicht mehr erlaubt, in Japan aber dennoch praktiziert wird, das wegen dieser Frage aus der Kommission ausgeschieden ist), dann könnten wir uns schnell darauf einigen, dass das Fehlverhalten vorsätzlich war.

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Selbst wenn Hal durch das von der US-Marine entwickelte Sonarprogramm mit guten Absichten in seinem normalen Lebensvollzug beeinträchtigt worden wäre – ein US-Gericht hat das Programm wegen unrechtmäßiger Beeinträchtigung der Aktivitäten der Wale gestoppt.2 Würde die Marine also trotz des Gerichtsentscheids weitermachen, so würde sie ein vorsätzliches Unrecht begehen. Doch der Fall von Hal, dem gestrandeten Wal, der an menschlichem Müll erstickt ist, ist komplizierter. Gewiss, wir Menschen waren vielleicht etwas gedankenlos, was den Verbleib des Plastikmülls betrifft: Doch reicht das aus, um von Fahrlässigkeit zu sprechen? Und wer trägt die Verantwortung? Selbst wenn uns dieses Mal keine Schuld trifft: Was ist dann mit der Zukunft? Sind wir uns nun, da wir den gestrandeten Wal gesehen haben, darüber im Klaren, dass wir das nächste Mal schuldig sein werden – auch wenn sich der Müll draußen in den Meeren befindet und diese sehr schwer zu reinigen sind?3 Der an Luftverschmutzung erstickte Jean-Pierre ist ein ähnlich schwieriger Fall: Die Abfallprodukte unserer industriellen Produktion schaden zahlreichen Arten, auch unserer eigenen; doch ab wann ist dies ein unrechtmäßiger Schaden? Und wer ist schuld daran? Unser Rechtssystem (insbesondere das Gesetz zur Reinhaltung der Luft) ringt mit dieser Frage, wenn die Betroffenen Menschen sind, doch einklagbare Maßnahmen zum Schutz vor Umweltverschmutzung im Rahmen des Gesetzes zum Schutz von Zugvögeln sind ein politisch umstrittenes Thema (siehe Kapitel 12). Wenn Susan Hal wäre, würden ihre Freunde allerdings darauf hinweisen, dass es bereits Gesetze gibt, welche die Schädigung von Meeressäugern verhindern sollen, und dass diese Schädigung vielleicht nicht böswillig, aber doch eindeutig vorhersehbar und fahrlässig war, auch wenn sie nicht einem einzelnen Täter angelastet werden kann. Die Meere sind gesetzlich auf bedauerlich schlechte Weise geschützt, aber es ist prinzipiell möglich, diese Art der Müllverklappung gesetzlich zu regeln, wenn die einzelnen Nationen zusammenarbeiten würden. Auch die Luftverschmutzung wurde durch Gesetze eingeschränkt, und wer gegen diese Gesetze verstößt – und sei es auch nur fahrlässig und nicht vorsätzlich –, handelt unrechtmäßig. Sind Vögel etwas anderes? Zeit und Politik werden die Antwort geben, aber ich weiß, was ich denke. Unrecht beinhaltet demnach, dass Susan danach strebt, etwas zu bekommen, das für ihr Leben zumindest einigermaßen bedeutsam ist, und es beinhaltet nicht nur ihre Einschränkung, sondern auch das Fehlverhalten eines anderen, sei es vorsätzlich oder fahrlässig.

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Bis jetzt scheint das Opfer von Ungerechtigkeit kein Mensch sein zu müssen, sondern es kann ebenso ein nicht menschliches Tier sein. Ungerechtigkeit hängt von der Handlung ab, die gegen ein empfindungsfähiges Wesen gerichtet wird, und nicht von der Art dieses Wesens: Susan könnte ein Mensch, ein Schwein oder ein Elefant sein. (In Kapitel 6 werde ich die Frage aufwerfen, ob alle Tiere Unrecht erleiden können oder nur einige, und diese Abgrenzung näher bestimmen.) In den meisten Fällen von vorsätzlichem Unrecht ist der Täter ein Mensch, denn Menschen sind in einer Weise zu vorsätzlicher Böswilligkeit fähig, wie es nur wenige Tiere sind. Wir werden jedoch später sehen, dass der Mensch nicht das einzige ethische Lebewesen ist und auch nicht das einzige Lebewesen, dem Pflichten zugewiesen werden können. Dies wird später wichtig sein, wenn es darum gehen wird, eine überzeugende Theorie einer Gemeinschaft aus mehreren Tierarten aufzustellen. Manchmal handelt es sich bei scheinbar zufälligen Ereignissen bei näherem Hinsehen um Unrecht, da eine schuldhafte Fahrlässigkeit vorliegt. Das ist aus der Welt der Menschen bestens bekannt. Sie bekommen eine Krankheit, gegen die es einen bekannten Impfstoff gibt, doch Ihr Arzt hat Ihnen gesagt, dass Impfstoffe schädlich sind. Sie haben einen schweren Autounfall, der auf einen Fehler des Fahrzeugherstellers zurückzuführen ist. Sie bekommen eine Vergiftung durch verdorbene Lebensmittel, weil die Kontrollen fehlerhaft waren. Hier tut sich die gesamte Landschaft der Schadenshaftung vor uns auf. Während der Covid-19-Pandemie sind die Zusammenhänge zwischen Leid und Schuld noch komplizierter und undurchsichtiger geworden. Wie viele Menschen wären nicht gestorben, wenn Tests effizienter durchgeführt worden und Lockdowns strenger gewesen wären? (Sehr viele, wie sich am Fall Neuseelands zeigt.) Wie viele wären darüber hinaus nicht gestorben, wenn sie nicht ihr Leben lang von Krankheiten und Behinderungen betroffen gewesen wären, die mit Armut zusammenhängen, wie Diabetes und Unterernährung? Liegt hier eine Schuld vor, und, wenn ja, wen trifft sie? Wer ist schuld daran, dass Menschen aufgrund von Falschinformationen keine lebensrettenden Impfungen erhalten? Die Person selbst, weil sie leichtgläubig war und mangelndes Interesse an wissenschaftlichen Erkenntnissen hatte? Diejenigen, die Falschinformationen verbreiten? Beide Gruppen? Das kann man immer fortführen. Wann immer Menschen Verantwortung tragen oder tragen sollten und wo immer es Medien gibt, die sich um Wahrheit und zuverlässige Informationen bemühen sollten, beginnen Schäden wie Unrecht auszusehen: Sie hätten den Schaden vorhersehen müssen,

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und sie hätten ihn angesichts ihrer Macht abwenden können. Der Fall von Hal sieht danach aus, und der von Jean-Pierre auch. Es gibt auch Fälle, in denen an irgendeiner Stelle Fahrlässigkeit vorzuliegen scheint, die genau festzustellen aber schwierig ist. Wie verhält es sich zum Beispiel mit Schäden, die Lebewesen in „der Natur“ erleiden, wenn Menschen vor Ort sind und helfen könnten, etwa wenn Elefanten aufgrund einer Dürre verhungern, weil die Vegetation, von der sie sich ernähren, verdorrt ist? (Die Nutzung des umliegenden Landes durch den Menschen ist wahrscheinlich eine der Hauptursachen dieser Dürre.) Was ist, wenn Tiere durch eine Krankheit verkrüppeln, von der wir wissen, wie man sie heilen kann? (Einem Tiger im Brookfield Zoo von Chicago wurde erfolgreich die Hüfte operiert. Bei einem Tiger in einem Naturschutzgebiet, das von Menschen überwacht und kontrolliert wird, der aber dennoch „wild“ ist, kann ein chirurgischer Eingriff vorgenommen werden oder auch nicht.) Und was ist mit Raubtieren? Sollten wir versuchen, ein Rudel wilder Hunde davon abzuhalten, ein Reh zu töten und zu fressen, wenn wir das können, da wir wissen, dass wir einen Haushund oder eine Hauskatze mit ziemlicher Sicherheit von ähnlichen Angriffen abhalten würden? Es ist also sehr schwer herauszufinden, wann und von wem Unrecht begangen wird, doch die allgemeine Intuition sollte allmählich klarer hervortreten: Ungerechtigkeit setzt wesentlich ein Streben nach bedeutsamen Zielen voraus, das nicht nur durch Unglück, sondern auch durch unrechtmäßige Vereitelung, egal ob fahrlässig oder vorsätzlich, blockiert wird. Zu einer solchen Beeinträchtigung gehört oft auch das Zufügen von Schmerzen, die fast jede normale Aktivität eines Organismus (Wahrnehmen, Essen, Bewegen, Lieben) behindern. Fürs Erste nehme ich einmal an, Sie seien davon überzeugt, Tiere könnten nicht nur Schaden erleiden, sondern auch Unrecht im Sinne einer unrechtmäßigen Vereitelung eines bedeutsamen Strebens. Im Folgenden werde ich Gründe dafür nennen, warum Sie dies denken sollten, aber ich hoffe, dass die genannten Beispiele Sie bereits für diese Auffassung empfänglich gemacht haben. Der Mensch und die Spuren seiner Lebensform sind allgegenwärtig: an Land, wo er die Lebensräume großer Säugetiere stark reduziert und das Wasser verbraucht, das diese Tiere benötigen; in der Luft, wo er die Flugbahnen der Vögel, ja selbst die Luft, die sie atmen, verändert; in den Meeren, wo er den Lebensraum von Säugetieren und Fischen auf vielfältige Weise verändert. Die Allgegenwärtigkeit der menschlichen Herrschaft über die Welt hat zur Folge,

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dass die menschliche Verantwortung in Bereiche vordringt, die wir bisher nur als „Wildnis“ und „Natur“ betrachteten. Wo beginnt die Gerechtigkeit, und wo endet sie? Dieses Buch wird sich nicht mit jedem schwierigen Fall befassen, doch es wird versuchen zu zeigen, wie die Vorstellung eines sich vollständig entfaltenden Lebens von Tieren und dessen Einschränkung uns helfen kann, mit den schwierigen Fällen besser umzugehen als andere, mit ihr konkurrierende Theorien. Ich werde dafür argumentieren, dass wir Menschen kollektiv dafür verantwortlich sind, die wichtigsten Lebensaktivitäten der Lebewesen, mit denen wir diesen Planeten teilen, zu unterstützen, indem wir einerseits die unrechtmäßige Beeinträchtigung so vieler dieser Aktivitäten beenden, und andererseits die Lebensräume schützen, damit alle empfindungsfähigen Lebewesen (alle, die eine Sicht der Welt haben, für die Dinge von Bedeutung sind)  – eine Gruppe, die alle Wirbeltiere und viele wirbellose Tiere einschließt  – eine reale Möglichkeit haben, ein sich voll entfaltendes Leben zu führen. Diese Möglichkeit, bedeutsamen Aktivitäten nachzugehen, ist das, was ich mit „Fähigkeiten“ meine, woraus folgt, dass wir gemeinsam die zentralen Fähigkeiten unserer Mitgeschöpfe unterstützen sollten.

Staunen, Mitgefühl, Empörung: der Seele die Augen öffnen Ich habe versucht, bei der Beschreibung der Fälle ein Gefühl dafür zu wecken, dass ein Unrecht begangen wurde. Um es noch einmal zu sagen: Dies ist das Anliegen des gesamten Buches, denn ich versuche, meine Leser davon zu überzeugen, dass viele menschliche Handlungen gegenüber Tieren eine Form unrechtmäßiger Vereitelung ihrer Lebensziele sind. Jeder weiß, dass die Aktivitäten des Menschen den Tieren viel Leid und viele andere Beeinträchtigungen zufügen, doch geben viele Menschen nicht zu, dass dies moralisch falsch ist. Sie meinen, wir hätten das Recht, so weiterzumachen wie bisher, obwohl es vielleicht schön wäre, etwas mehr Mitgefühl zu zeigen. Selbst John Rawls, der größte Gerechtigkeitsphilosoph des 20. Jahrhunderts, vertrat die Ansicht, dass es tugendhaft sei, Tiere mit Mitgefühl zu behandeln, sie aber weder gerecht noch ungerecht behandelt werden könnten. Zu einem späteren Zeitpunkt, wenn ich meine eigene Theorie vorlegen werde, werde ich meine Argumentation dafür, dass Tiere Rechte haben, ent-

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falten. Doch bevor sich Menschen für ein philosophisches Argument interessieren, müssen sie dazu motiviert werden, sich um Tiere zu sorgen. Über welches Rüstzeug verfügen wir Menschen, das uns dabei helfen könnte, dieses Ziel zu erreichen? Einige Menschen haben bereits eine liebevolle Beziehung zu einigen Tieren; diese Liebe kann der Ausgangspunkt für ein umfassenderes Mitgefühl sein. Doch bestehende liebevolle Beziehungen allein reichen nicht aus, denn Menschen lieben, was sie kennen, aber allzu oft nicht all die Millionen von Tieren, die sie nicht kennen – ebenso sind menschliche Eltern, die ihre eigenen Kinder lieben, nicht immer motiviert, sich dafür einzusetzen, den Hunger von Kindern und sexuellen Kindesmissbrauch in der ganzen Welt zu bekämpfen. Was sonst also kann uns noch helfen? Welche Gefühle besitzen das Potenzial, unseren Blick über unser alltägliches Umfeld hinaus zu weiten? Mit meinen Beschreibungen habe ich versucht, ein Gefühl des moralisch gestimmten Staunens zu wecken, das zu einem moralisch ausgerichteten Mitgefühl führen kann, wenn das Streben von Tieren zu Unrecht vereitelt wird, und zu einer vorausschauenden Empörung, die sagt: „Das ist inakzeptabel. Das darf sich nicht wiederholen.“ Wie sich herausstellen wird, sind all diese moralischen Gefühle eng mit meinem Fähigkeitenansatz verbunden, denn sie alle helfen uns, die Welt so zu sehen, wie mein Ansatz sie letztlich darstellen wird: als eine Welt mit bemerkenswert vielfältigen Formen tierischen Strebens, die bedeutsam und unterstützenswert zu sein scheinen. Staunen erregt unsere Aufmerksamkeit und zeigt uns die Bedeutung und den Wert dessen, was wir sehen und hören. Mitgefühl macht uns auf das Leiden anderer und dessen Bedeutung aufmerksam. Und die Empörung, die ich später als Zorn des Übergangs bezeichnen werde, bringt uns dazu, nicht einfach nur zu reagieren, sondern die Zukunft neu zu gestalten, indem sie uns zu korrigierenden Maßnahmen veranlasst. Nehmen wir uns also die Zeit, diese Gefühle zu untersuchen. Wenn wir Hal sehen, wie er ins Sonnenlicht emporspringt, und seinen geheimnisvollen Gesang hören, wenn wir Virginia sehen, wie sie sanft durch das Gras geht, ihr Baby unter dem Bauch, und ihr dröhnendes Trompetengeräusch hören, wenn wir sehen, wie die Kaiserin von Blandings glücklich ihr Futter zu sich nimmt und ihre Fressgeräusche – „plob, squish, woffle“ – hören (die erfundenen Worte selbst bringen liebevolle Aufmerksamkeit zum Ausdruck), wenn wir Jean-Pierre mit seinem bunten Gefieder auf einem Ast sehen und seinem kunstvollen Trillern lauschen, wenn wir Lupa über den Golfplatz hüpfen sehen und ihr Schnaufen nach der Rückkehr von einem längeren Auslauf

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hören – in all diesen Fällen sind wir geneigt, eine Emotion zu empfinden, die ich als Staunen bezeichnen möchte. Es ist mit der Ehrfurcht verwandt – beide sind starke Emotionen, die auf etwas Beeindruckendes und Geheimnisvolles reagieren, aber das Staunen ist aktiver als die Ehrfurcht, stärker mit der Neugier verbunden.4 Wie Aristoteles schon vor langer Zeit schrieb: Zum Staunen gehört, dass man zunächst von etwas beeindruckt ist, dass es einen verdutzt und dass man dann versucht herauszufinden, was hinter dem Gesehenen und Gehörten, das uns beeindruckt, vor sich geht. Er verbindet das Staunen eng mit dem Erkennen empfindungsfähigen Lebens. Als seine Schüler sich angeblich dagegen wehrten, etwas über Tiere und ihre Fähigkeiten zu lernen, weil sie dachten, Tiere seien nur niedere Wesen und nicht göttlich wie die Sterne am Himmel, sagte er ihnen, man könne in der gesamten Natur staunenswerte Formen strukturierter Organe finden. Und dann erzählte er eine Geschichte: Einige kluge Leute seien von weither gekommen, um den Philosophen Heraklit zu besuchen. Wahrscheinlich erwarteten sie, den Weisen auf einem erhöhten Sitz vorzufinden, umgeben von ehrerbietigen Schülern. Stattdessen fanden sie ihn „an der Feuerstelle“. (Fachleute halten es für sehr wahrscheinlich, dass mit diesem Ausdruck die Toilette gemeint ist.) Er sagte: „Kommt herein, habt keine Angst. Auch hier gibt es Götter.“5 Die meisten Emotionen sind eng mit unserem persönlichen Wohlbefinden verbunden. Angst, Trauer, Wut, Eifersucht, Neid, Stolz – sie alle beziehen sich auf das eigene Ich und auf die Dinge, die ihm in dieser Welt wichtig sind. Ich habe das Wort „eudämonistisch“ verwendet, um diese Eigenschaft von Emotionen zu beschreiben: Sie beziehen ihren Gegenstand auf das Selbst und die Vorstellung des Selbst von seinem Wohlergehen.6 Beim Staunen verhält es sich anders: Es führt uns von uns selbst weg und zum anderen hin. Es scheint nicht eudämonistisch zu sein, und es hat nichts mit unserem persönlichen Streben nach Wohlbefinden zu tun. Es ist mit unserer ursprünglichen Freude am Leben selbst verbunden, am weitesten von Narzissmus oder Stolz entfernt und steht dem Spiel näher. Staunen ist kindlich; es entspricht unserem spielerischen Menschsein in einer Welt voller bemerkenswerter Wesen. Das Staunen ist demnach nicht immer feierlich. Ich denke, die Erfindung von Wörtern wie „plob“ und „woffle“ ist eine Form von komischem Staunen, ein kindliches Spiel mit der Sprache, das die Freude darüber ausdrückt, wie ein edles Schwein frisst. (Wodehouse war, wie gesagt, ein berühmter Tierfreund.)

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Wir staunen über viele Dinge. (Es ist schwer zu sagen, was die beste Präposition ist: Staunen „über“ oder „angesichts“? Der Philosoph Jeremy BendikKeymer ist der Meinung, „über“ sei besser, da es langsamer und bedächtiger sei.) Aber in Aristoteles’ Konzept, das ich übernehmen und erweitern möchte, ist das Staunen besonders eng mit unserer Wahrnehmung von Bewegung und Empfindung verbunden. Wir sehen und hören Geschöpfe, die sich bewegen und alle möglichen Dinge tun, und wir stellen uns vor, dass in ihrem Inneren etwas vor sich geht: Sie bewegen sich nicht zufällig, sondern sind irgendwie von einem inneren Bewusstsein, von irgendjemandem gelenkt. Das Staunen hängt mit unserer Wahrnehmung des Gedeihens zusammen. Wir sehen, dass Lebewesen einen Zweck verfolgen, dass die Welt für sie auf eine Weise bedeutsam ist, die wir nicht ganz verstehen, und wir sind neugierig und fragen uns: Was bedeutet ihnen die Welt? Warum bewegen sie sich? Wonach streben sie? Wir interpretieren die Bewegung als sinnvoll, und das bringt uns zur Vorstellung eines empfindungsfähigen inneren Lebens. Genau das geschieht, wenn wir anderen Menschen begegnen. Unsere Sinne liefern uns nur eine äußere Form, aber unsere Neugier, unsere Vorstellungskraft macht den Sprung zu der Vorstellung, dass die Welt für diese andere Gestalt ein bestimmtes Aussehen hat, dass es sich um ein anderes empfindungsfähiges Wesen und nicht um einen Automaten handelt.7 In Kapitel 6 werde ich darlegen, dass unsere Gründe, aus denen wir einer Reihe von Tieren Empfindungsvermögen zuschreiben, die gleichen sind wie unsere Gründe dafür, ein „anderes Bewusstsein“ anzunehmen, wenn wir menschenähnlichen Gestalten begegnen. Manchmal irren wir uns auch: Wir denken, dass im Inneren etwas vor sich geht, obwohl es sich in Wirklichkeit um eine sehr intelligente Maschine handelt. Oder wir halten die Bewegungen mancher Tiere für bedeutungsvoll, stellen aber bei näherer Untersuchung fest, dass die Beweise nicht dafür sprechen, ihnen Empfindungsvermögen zuzuschreiben: Dieser Auffassung bin ich bezüglich der meisten Insekten. Doch in vielen Fällen wird eine weitere Untersuchung die Zuschreibung von Empfindungsvermögen, einer subjektiven Weltsicht unterstützen. Wie hängt das Staunen mit moralischem Engagement zusammen? Aristoteles selbst hat diese Verbindung nicht hergestellt. Im Gegensatz zu vielen anderen griechischen Denkern der Antike scheint er seine Überlegungen über das Staunen nicht im Bereich der Ethik fortgesetzt zu haben. Er hat nichts zu den moralischen Argumenten für den Vegetarismus oder zu anderen Fragen der huma-

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nen Behandlung von Tieren zu sagen (zumindest nichts, was erhalten geblieben ist). Und doch: Wenn wir beim Anblick der komplexen Aktivität und des Strebens eines Tieres Staunen empfinden, dann legt dieses Staunen zumindest den Gedanken nahe, dass es für dieses Wesen lohnenswert ist, als ein Wesen seiner Art zu bestehen und sich zu entfalten.8 Dieser Gedanke steht zumindest in engem Zusammenhang mit dem moralischen Urteil, dass es unrecht ist, wenn das Gedeihen eines Lebewesens durch das schädliche Handeln eines anderen behindert wird. Dieser komplexere Gedanke ist der Kern des Fähigkeitenansatzes. Wie die Liebe ist das Staunen epistemisch: Es führt uns über uns selbst hinaus und erweckt eine aufkeimende moralische Anteilnahme. Wie entwickeln wir das Staunen? Ich denke, kleine Kinder sind in Bezug auf das Leben der Tiere normalerweise sehr neugierig, und diese Neugier ist mit einem starken Interesse verbunden. Häufig entwickeln sie ihre Vorstellungen, indem sie Tiere aus der Nähe betrachten. Doch sie können dies auch anhand von Bilderbüchern, Filmen oder Fernsehdokumentationen und, was allerdings problematischer ist, durch Besuche in einem Zoo oder Freizeitpark tun. (Auf die Probleme von Letzteren gehe ich in Kapitel 10 ein.) In unserer Welt gibt es viele ausgezeichnete Möglichkeiten, das Staunen in Kindern zu wecken und zu fördern – auch wenn Eltern sich fragen müssen, ob das, was der Film zeigt, korrekt ist und ob er nicht falsche Stereotype über das Verhalten von Tieren enthält, so wie sie es bei jedem anderen Film tun würden, den ihre Kinder sehen. Ich denke, das Staunen beginnt ganz natürlich. Unser Hauptproblem ist nicht, dass wir nicht damit beginnen, sondern dass der Alltag, der allgemeine Konkurrenzkampf und die Überhäufung mit Eindrücken unsere inneren Augen überfordern und uns vergessen lassen, was wir einmal gesehen haben. Das Staunen ist nicht die einzige Emotion, die durch meine gegensätzlichen Szenarien hervorgerufen wird. Wenn das positive Szenario die Aufmerksamkeit meiner Leser erregt hat, wird ihre Reaktion auf das schlechte Szenario wahrscheinlich sowohl Empörung (so etwas sollte nicht geschehen) als auch ein schmerzliches Mitgefühl sein. Auf die Empörung werde ich später zurückkommen. Denken wir zunächst über das Mitgefühl nach. Wenn wir angesichts des beträchtlichen Leidens eines anderen Lebewesens Schmerz empfinden, hat dieses Gefühl nach Aristoteles drei Aspekte – und ich habe einen vierten hinzugefügt.9 Erstens muss man Leiden für bedeutsam und nicht für trivial halten. Das habe ich in die Geschichten integriert, indem ich gezeigt habe, wie sehr das Leben des Tieres durch die Ereignisse beeinträchtigt wird. Zweitens muss

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man annehmen, dass das Tier selbst keine Schuld an seiner bedauerlichen Situation trifft. Auch das wird in den Geschichten deutlich, und dieser Aspekt steht im Gegensatz zu Fällen, in denen wir unser Mitgefühl zurückhalten, weil wir glauben, dass das Verhalten des Tieres bösartig war. (Wir verweigern unser Mitgefühl auch in Fällen, in denen die Aggression eines Tieres unser Leben bedroht, wie ich später darlegen werde, wenn ich über das Prinzip der Selbstverteidigung spreche, das es manchmal rechtfertigen kann, einem Tier zu schaden. In vielen dieser Fälle ist es falsch, dem Tier die Schuld zu geben: Ratten etwa gehen lediglich ihrem artgemäßen Leben nach; doch die potenzielle Gefährlichkeit ihres Verhaltens kann es rechtfertigen, dass wir unser Mitgefühl zurückhalten). Drittens, so Aristoteles, müssen wir eine Art Kameradschaft zu dem leidenden Wesen empfinden: Wir müssen denken, dass unsere eigenen Möglichkeiten den seinen ähneln. In früheren Arbeiten habe ich dies zurückgewiesen und behauptet, dass wir nicht immer an ähnliche Möglichkeiten glauben müssen, um Mitgefühl zu empfinden, und habe das Beispiel der nicht menschlichen Tiere angeführt, um dies zu veranschaulichen. Heute denke ich, dass dies sowohl richtig als auch falsch war. Wenn wir aus uns herausgehen, um uns um einen Wal oder ein Schwein zu kümmern, dann ist es sehr wohl wichtig, dass wir die Fremdheit dieser Lebensform erkennen. Wir kümmern uns nicht deshalb, oder sollten es zumindest nicht tun, weil wir uns vorstellen, dass der Wal uns sehr ähnlich ist, wie ich später noch weiter erläutern werde. Doch ich denke, dass dieses Gefühl der Fremdheit durch ein Gefühl einer größeren allgemeinen Ähnlichkeit aufgewogen wird. Wir sind alle Tiere, die gemeinsam in diese Welt geworfen wurden, die nach den Dingen streben, die sie zum Leben benötigen, und deren Versuche häufig vereitelt werden. Wir sind alle Animalia, und diese Familienähnlichkeit ist bedeutsam, wenn es darum geht, unsere Erfahrung zu deuten. Entscheidend ist, dass unser Sinn für Ähnlichkeit nicht von der Art ist, die in der traditionellen Scala Naturae oder „Leiter der Natur“ dargestellt wird: die Vorstellung, die Tierarten seien in einer linearen Hierarchie angeordnet, mit dem Menschen an der Spitze, dem Göttlichen am nächsten stehend. Ich weise diese Idee in Kapitel 2 zurück. Sie ist einfach kein guter Leitfaden für die Welt, die sich uns darstellt, wenn wir Tiere ernsthaft studieren. Die Fähigkeiten von Tieren sind bemerkenswert und komplex, und in zahlreichen Eigenschaften sind viele Tiere dem Menschen überlegen. Letztlich ist die ganze Idee einer einzelnen Rangliste wenig hilfreich. Ich möchte also keineswegs sagen, dass wir

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den Wal höher bewerten sollten als einen Hund oder ein Schwein, weil er dem Menschen ähnlicher zu sein scheint. Wir sollten allerdings feststellen, dass all diese Lebewesen eine Ähnlichkeit aufweisen: Die Welt stellt sich für sie auf eine bestimmte Weise dar, und als Reaktion auf das, was sie wahrnehmen, streben sie danach, zu bekommen, was sie wollen. Auf dieser Grundlage sah sich Aristoteles in De motu animalium in der Lage, eine, wie er es nannte, „gemeinsame Erklärung“ für die Bewegung der Tiere vorzuschlagen.10 Ähnlichkeit ist verführerisch und kann zu Irrtümern verleiten. Sie kann dazu führen, dass wir die erstaunliche Vielfalt und Andersartigkeit der Tierwelt vernachlässigen und vielleicht noch nicht einmal sehen. Sie kann ferner dazu führen, dass wir unsere kritischen Fähigkeiten außer Kraft setzen und Lebewesen Empfindungen zuschreiben, obwohl keine hinreichenden Beweise dafür vorliegen. Das Gefühl eines gemeinsamen Schicksals in dieser Welt, das uns mit den Tieren in einer familiären Beziehung verbindet, ist jedoch vielfältig gerechtfertigt und erkenntnistheoretisch wertvoll. Verbinden wir dieses Gefühl der Ähnlichkeit mit dem Staunen, das uns neugierig macht und uns Unterschiede und überraschende Andersartigkeiten sehen lässt, so ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass wir irrgeleitet werden. Aber es gibt noch einen vierten Aspekt: Wir müssen glauben, dass das leidende Wesen von Bedeutung ist, dass es zum Bereich dessen gehört, was uns wichtig ist. In meinen Büchern über Emotionen bezeichne ich dies als eudämonistisches Element, doch möglicherweise ist das zu eng gefasst: Ein Lebewesen kann in den Bereich des uns Wichtigen aufgenommen werden, ohne dass wir meinen, sein Wohlergehen sei Teil unseres eigenen Wohlbefindens. Durch das Staunen werden viele Lebewesen in diesen Bereich aufgenommen, ohne dass wir uns auf uns selbst beziehen: Unsere Sorge gilt dem Anderen als dem Anderen und nicht als einem an sich wertvollen Teil unseres eigenen Lebens (wie es ein Verwandter oder Freund sein könnte). Die Aufnahme dieses vierten Aspekts ist sinnvoll, da wir von vielen Katastrophen in der Welt und von vielen Ungerechtigkeiten wissen, aber nur einige uns bewegen. Unsere Aufmerksamkeit muss gefesselt und unser Denken über Zwecke und Ziele muss verändert werden. Manchmal ist die Veränderung nur von kurzer Dauer. Man hört von Menschen, die bei einer Überschwemmung ums Leben gekommen sind, und ist bewegt – doch dann vergisst man es schnell wieder und geht seinem Leben unverändert weiter nach. Damit ein anhaltendes Mitgefühl Wurzeln schlagen kann, muss die Vorstellungskraft die Kreatur uns

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auf irgendeine Weise dauerhaft näher rücken, sie zu einem Teil unserer Ziele und Projekte machen. Wie die Experimente des bedeutenden Psychologen C. Daniel Batson gezeigt haben, regt Mitgefühl an sich bereits zu helfendem Verhalten an.11 Es erweist sich jedoch häufig als schwaches oder zumindest unvollständiges Motiv. Seine Botschaft lautet: Diese Dinge sind nicht in Ordnung, und es wäre gut, wenn sie verbessert werden könnten. Mitgefühl motiviert zu einem Verhalten, das dem Opfer hilft. Da es jedoch auf das Leiden des Opfers gerichtet ist, reagiert es nicht vollumfänglich auf die Unrechtmäßigkeit der Handlungen des Täters, welche die Ursachen des Leidens sind. (Um seine Aufgabe begrifflich zu vereinfachen, betreffen die meisten von Batsons Experimenten Fälle von Leiden, ohne dass ein Unrecht vorliegt, wie etwa den Fall einer Schülerin, die sich ein Bein gebrochen hat und Hilfe braucht, um zum Unterricht zu gelangen.) Mitgefühl allein bringt uns also nicht dazu, den Verursacher davon abzuhalten, weiteren Schaden zuzufügen. Dafür brauchen wir eine andere Emotion, die ich bisher „Empörung“ genannt habe. Ich muss sie nun weiter erläutern. Empörung ist eine Form von Zorn. Aber Zorn, wie er von Philosophen seit Jahrhunderten definiert wird, ist zum Teil eine Emotion der Vergeltung. Sie reagiert auf eine als ungerecht empfundene Schädigung, doch sie strebt auch eine als genugtuend empfundene Vergeltung an, eine Art Heimzahlung. Für Aristoteles und sämtliche Philosophen der westlichen Tradition, die ihm folgen, (und ebenso für buddhistische wie hinduistische indische Philosophen) ist der Wunsch nach Vergeltung ein begriffliches Element des Zorns. Ich habe an anderer Stelle begründet, dass dieser Gedanke der Vergeltung niemandem nützt: Es ist eine leere Fantasie, anzunehmen, Schmerz in der Gegenwart könne die Vergangenheit sühnen oder wieder gut machen.12 Wenn man zum Beispiel einen Mörder tötet, wird das Opfer nicht wieder lebendig, obwohl viele Familien von Opfern die Todesstrafe fordern, als ob sie das Unheil des Verbrechens irgendwie sühnen oder aufheben würde. Der Zorn der Vergeltung motiviert uns häufig zu Handlungen, die nicht nur aggressiv, sondern auch kontraproduktiv sind. Menschen, die in einem vergeltenden Geist der „Rache“ in eine Scheidungsverhandlung eintreten und versuchen, das Leid des „bösen“ Ehepartners zu vergrößern, machen die Situation oft noch viel schlimmer, nicht nur für Kinder und Freunde, sondern auch für sich selbst. Es gibt allerdings eine Art von Zorn, die frei ist von vergeltenden Rachegelüsten  – eine außergewöhnliche Art, die von den beschriebenen philo-

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sophischen Definitionen übersehen wird. Diese Art des Zorns ist nach vorne gerichtet, und ihr Ziel ist es, eine bessere Zukunft zu schaffen. Aus diesem Grund nenne ich sie Übergangszorn, und von nun an werde ich diesen erfundenen Ausdruck verwenden, da kein Begriff der gewöhnlichen Sprache wie „Empörung“ oder „Entrüstung“ vollständig verdeutlicht, dass es sich um einen Zorn ohne Vergeltungswünsche handelt. Eine gute Möglichkeit, sich diese Art von Zorn vorzustellen, besteht darin, an das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern zu denken. Kinder tun schlimme Dinge, und die Eltern sind empört. Doch sie streben in der Regel nicht nach Vergeltung, schon gar nicht nach einer Strafe, die dem lex talionis, „Auge um Auge“, gehorcht. Sie konzentrieren sich stattdessen darauf, wie sie die Zukunft besser gestalten können: wie sie das schlechte Verhalten beenden und ihr Kind dazu bringen können, sich in Zukunft anders zu verhalten. Der Inhalt des Übergangszorns lässt sich auf umfassende Weise folgendermaßen ausdrücken: „Das ist inakzeptabel, das ist unerhört. Das darf von nun an nicht mehr passieren.“ Der Übergangszorn zielt manchmal auf die Bestrafung von unrechtmäßigem Verhalten ab – aber nicht als eine Form der Rache oder Vergeltung. Wir können auch strafen, um Menschen davon abzuhalten, sich in Zukunft auf eine bestimmte Art zu verhalten: entweder um dieselbe Person davon abzuhalten, eine ähnliche kriminelle Handlung zu begehen („spezifische Abschreckung“), oder um andere Menschen davon abzuhalten, die schlechte Tat nachzuahmen („allgemeine Abschreckung“). Ferner können wir einen Täter bestrafen, um ihn zu bessern und die nachfolgende Generation zu erziehen, indem wir ihr deutlich machen, dass sie ein solches Verhalten nicht nachahmen sollte. Damit geben wir auch eine explizite Erklärung über unsere Werte als Gesellschaft ab. All dies wird von Befürworterinnen des Übergangszorns gutgeheißen. Übergangszorn ist die dritte Emotion, die wir benötigen. Ich denke, es ist in der Regel nutzlos und sogar ichbezogen, unsere schuldhafte Vergangenheit zu bejammern oder die fehlerhaft Handelnden (in diesem Fall uns alle) zu beschämen. Was wir brauchen, ist eine neue Einstellung für die Zukunft: Lasst uns damit aufhören; es gibt etwas zu tun; lasst uns die Dinge künftig anders machen. Die Empörung führt uns zu einem Vorhaben, das sowohl eine Konfrontation bedeutet – wir stellen uns gegen die Akteure des Unrechts und setzen uns dafür ein, sie zu stoppen (manchmal durch straf- oder zivilrechtliche Strafen) –, als auch konstruktiv ist. Lasst uns einen besseren Weg zu handeln finden. Wir können so nicht weitermachen.

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Dieses Buch thematisiert eine große menschliche Ungerechtigkeit, aber es würde nichts nützen, wenn es seine Leser lediglich dazu anregte, die menschliche Ungerechtigkeit zu studieren und uns selbst mit finsterem Blick im Spiegel zu betrachten. Letztlich muss moralisches Denken praktisch werden, ansonsten ist es nutzlos. Es geht hier um sehr schwerwiegende Probleme, doch es gibt vieles, das getan werden kann, um uns der Gerechtigkeit näher zu bringen, und jeder Leser kann einen Ort finden, an dem er sich einbringen kann, eine Aufgabe, mit dem er einen kleinen Teil unserer großen kollektiven Verantwortung schultert. Staunen erregt unsere Aufmerksamkeit, lässt uns aus uns selbst herausgehen und weckt unsere Neugier auf eine fremde Welt. Mitgefühl verbindet uns durch eine starke emotionale Erfahrung mit einem leidenden Tier. Übergangszorn bereitet uns auf das Handeln vor. Doch wir benötigen noch etwas Weiteres: eine angemessene Theorie, die unseren Bemühungen die Richtung weisen kann. In den nächsten drei Kapiteln werde ich zeigen, dass drei führende Theorien der Tiergerechtigkeit (bzw. Tierethik, da sie nicht alle das Wort „Gerechtigkeit“ verwenden) schwerwiegende Mängel aufweisen, die sie zu unzureichenden Leitfäden für unsere künftigen konstruktiven Bemühungen machen – obwohl ich auch Punkte der Übereinstimmung mit meiner eigenen Theorie aufzeigen werde, um darzulegen, dass sich Menschen guten Willens aus „unterschiedlichen Lagern“ in einer gemeinsamen Anstrengung zusammenschließen können und wie das geschehen kann. In den folgenden vier Kapiteln werde ich also die wichtigsten theoretischen Alternativen untersuchen. In Kapitel 2 werde ich einen einflussreichen Ansatz analysieren, der sich darauf konzentriert, für eine begrenzte Anzahl von Tieren Schutz zu erwirken, weil sie dem Menschen sehr ähnlich sind: den „Uns-soähnlich“-Ansatz. Ich werde begründen, warum diese Theorie meines Erachtens zu eng gefasst ist: Sie würdigt die Fremdheit und schiere Vielfalt des Tierlebens nicht und ist als Strategie des Beistands für ungerecht behandelte Tiere kontraproduktiv. In Kapitel 3 werde ich den Ansatz der britischen Utilitaristen untersuchen. Im Zentrum ihrer Überlegungen standen Schmerz und Lust als universelle Normen, die das Leben aller empfindungsfähigen Wesen bestimmen. Dieser Ansatz hat zwar viele Vorteile, doch letztlich sind seine Mängel zu groß und zahlreich, als dass er eine uns vollwertige Orientierungshilfe sein könnte. In Kapitel 4 wende ich mich der besten philosophischen Theorie des Tierlebens

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in der neueren Literatur zu, die allein ein ganzes Kapitel verdient: dem Ansatz von Christine Korsgaard in ihrem neuesten Buch Fellow Creatures. Korsgaard stützt ihre philosophische Theorie auf Gedanken, die sie dem Werk Immanuel Kants entnimmt, wobei sie allerdings sehr sensibel für die Mängel von Kants tatsächlichen Ansichten über Tiere ist. Ihre eigenen Ansichten sind weitaus interessanter, und ihre komplexe Sichtweise, die eine Wertschätzung der Möglichkeit jedes Lebewesens, sein eigenes Leben zu führen, einschließt, stimmt in vielen Punkten mit dem von mir empfohlenen Ansatz überein. Dennoch, so werde ich argumentieren, erweist sich die Tatsache, dass sie einer Sichtweise verpflichtet ist, die Vernunft und moralische Entscheidungsfähigkeit allen anderen Fähigkeiten vorzieht, bei der Entwicklung eines völlig angemessenen Ansatzes für die Gesetzgebung und die öffentliche Politik als Hindernis. In Kapitel 5 gelangen wir schließlich zu dem Ansatz, den ich selbst empfehle: meine Version des „Fähigkeitenansatzes“ (FA), der ursprünglich entwickelt wurde, um internationalen Entwicklungsagenturen, die mit Menschen arbeiten, als Leitfaden zu dienen; er eignet sich aber ebenso dazu, eine tragfähige Grundlage für die Rechte von Tieren bereitzustellen. Diese Theorie wird uns zu den Themen dieses ersten Kapitels zurückführen. Der FA ist mit dem Thema des Staunens verbunden, da er auf der Anerkennung einer großen Vielfalt tierischer Lebensformen aufbaut, und zwar einer Vielfalt, die eher „horizontal“ als „vertikal“ angeordnet ist, d. h. sie stellt keine Rangordnung oder Hierarchie auf, obwohl sie einige generelle Gemeinsamkeiten anerkennt. Der FA ist darüber hinaus auch mit der Thematik des Mitgefühls verbunden, da er sich auf das Bedürfnis jedes Tieres richtet, Bedingungen vorzufinden, unter denen es auf seine ihm eigene charakteristische Weise leben, sich bewegen, wahrnehmen und agieren kann. Wenn diese Bedingungen eingeschränkt werden, ist Mitgefühl gerechtfertigt. Und ebenso gerechtfertigt ist häufig (wenn die Einschränkung unrechtmäßig erfolgt) auch der Übergangszorn. Wenn wir zu Zeugen einer unrechtmäßigen Beeinträchtigung werden, dann ist das nicht der Zeitpunkt, zu jammern und die Hände zu ringen, sondern der Zeitpunkt zu sagen: „Schluss damit!“

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2Die Scala Naturae und der

„Uns-so-ähnlich“-Ansatz

Wenden wir uns nunmehr der zentralen Frage dieses Buches zu: Welcher theoretische Ansatz zur Ungerechtigkeit im Leben von Tieren eignet sich am besten dazu, ernsthafte Überlegungen über dieses Leben und insbesondere über Fragen des Rechts und der Politik anzustellen? Zweifellos haben wir Menschen gegenwärtig die Kontrolle über die Welt, und wir sind die Gesetzgeber. Doch auch wenn die Gesetze von uns gemacht werden, so werden sie dennoch nicht nur für uns gemacht und betreffen nicht nur uns. Gesetze und politische Maßnahmen legen fest, wie andere Lebewesen ihre eigenen Ziele verfolgen können, und bieten ihnen Möglichkeiten der Entfaltung oder schließen diese aus. Bislang sind die Menschen dieser Aufgabe in Bezug auf andere Tiere nur auf sehr willkürliche Art und Weise nachgekommen. Das müssen wir künftig besser machen. Dafür müssen wir theoretisch reflektieren und Denkansätze auswählen, die mit dem übereinstimmen, was wir über die Welt der Natur wissen und was uns moralische Argumente über unsere Verantwortung sagen. In diesem Kapitel werde ich einen einflussreichen Ansatz analysieren, der sich darauf konzentriert, für eine begrenzte Anzahl von Tieren aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit dem Menschen Schutz zu erwirken: den „Uns-so-ähnlich“-Ansatz, der durch die Arbeit des Rechtswissenschaftlers und Aktivisten Steven Wise in der Gesetzgebung und Politik der USA sehr einflussreich geworden ist. Diese Theorie ist zu eng gefasst und wird der Fremdartigkeit und großen Vielfalt des Tierlebens nicht gerecht. Als Strategie zur Ausweitung der Rechte von Tieren ist sie zudem kontraproduktiv. Wise wählte seinen Ansatz pragmatisch aus, da er hoffte, damit Richter anzusprechen, die eine durchschnittliche westliche Bildung genossen haben. Daher scheint es wichtig, zunächst kurz zusammenzufassen, wohin uns die Unzulänglichkeiten der westlichen Philosophie (und Religion) geführt haben. Diese Geschichte enthält einige hervorragende Ansätze zum Tierleben, die jedoch im

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Großen und Ganzen ohne Einfluss geblieben sind, während in der westlichen Welt solche Ansichten dominierten, welche die moralische Relevanz der Fähigkeiten und des Lebens der Tiere leugnen.

Die Geschichte der abendländischen Philosophie und die Scala Naturae Die meisten Menschen in den europäisch-nordamerikanischen Kulturen haben im Laufe vieler Jahrhunderte ein bestimmtes Bild der Natur verinnerlicht: Die Natur ist eine Leiter mit niedrigeren und höheren Sprossen, die bis zum Göttlichen hinaufreicht. Auf der obersten Sprosse steht der Mensch, der dem Göttlichen näher steht als jedes andere Lebewesen, weil er Vernunft und Sprache besitzt – sowie die Fähigkeit, den Unterschied zwischen dem moralisch Richtigen und Falschen zu verstehen, auch wenn er diesen in seinem Handeln nicht unbedingt beachtet. Es ist nun nicht so, dass einzelne Lebewesen oder ganze Arten diese Leiter tatsächlich hinaufklettern könnten: Das mittelalterliche Bild der Scala Naturae ist lange vor der Evolutionstheorie entstanden, und selbst die Evolution erlaubt es den Lebewesen nicht, ihre eigene Entwicklung in gezielter Art und Weise zu steuern. Der Kontext der Scala Naturae ist eine Welt von Arten, die als festgelegt und unveränderlich gelten. Es handelt sich also um eine Leiter, die niemand jemals erklimmt und deren einziger Zweck darin besteht, eine immerwährende Über- bzw. Unterlegenheit zu markieren. Nicht alle Religionen und Weltanschauungen haben den Menschen als eine überlegene Spezies angesehen. Buddhismus und Hinduismus weisen eine großzügigere Sicht der Natur auf.1 Unter dem Einfluss hinduistischer Traditionen hat ein indisches Gericht sogar entschieden, dass Zirkustiere „Personen“ im Sinne dieses Wortes in der indischen Verfassung sind (siehe Kapitel 12).2 Viele Hindus sind strenge Vegetarier, und jede indische Fluggesellschaft bietet heute standardmäßig die Wahl zwischen „vegetarischem“ und „nicht vegetarischem“ Essen. Der Buddhismus verbietet die Misshandlung von Tieren sogar noch strenger: Sein zentraler Gedanke ist die Gleichheit allen Lebens, und er rückt das Leiden, das allen empfindenden Wesen gemeinsam ist, in den Vordergrund. Die buddhistische Ethik steht in vielerlei Hinsicht den Ansichten der britischen Utilitaristen nahe, die wir im folgenden Kapitel kennenlernen werden und die

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der modernen westlichen Tierrechtsbewegung wichtige Impulse gaben. Die Auffassung, dass die ethische Sensibilität für unseren Umgang mit Tieren eine neuere Erfindung ist, zeugt von Unkenntnis anderer Traditionen. Wie der britische Philosoph Richard Sorabji gezeigt hat, wurde die Ansicht, dass der Mensch an der Spitze des Tierreichs steht, selbst in der westlichen Tradition nicht von allen griechisch-römischen Philosophenschulen der Antike vertreten; die meisten von ihnen weigerten sich, eine scharfe Trennlinie zwischen Menschen und anderen Tieren zu ziehen, und einige verboten es, Fleisch zu verzehren sowie Tieren Schmerzen zuzufügen.3 (Sorabji, ein führender Historiker auf dem Gebiet des griechisch-römischen Denkens in der Antike, teilt seinen Lesern mit, dass die Motivation für seine Schwerpunktsetzung auf die indische Herkunft seiner Familie zurückgeht, die ihn mit einer Haltung Tieren gegenüber bekannt machte, die großzügiger ist als diejenige, mit der er in England aufwuchs.) Einige vorsokratische griechische Denker bestanden auf Vegetarismus, darunter sowohl Pythagoras (und seine Schule) im 6. Jahrhundert als auch Empedokles im 5. Jh. v. Chr. Sie begründeten dies mit der Verwandtschaft der gesamten Natur und waren der Auffassung, dass Tiere und sogar Pflanzen über lebende und fühlende Seelen verfügen. Platon (gest. 347 v. Chr.) glaubte an eine Seelenwanderung zwischen verschiedenen Arten. Obwohl er sich in den uns erhaltenen Dialogen nicht ausführlich mit der Tierethik befasst, bilden seine Werke die Grundlage für spätere Schriften, die den Vegetarismus nachdrücklich verteidigten. Und Aristoteles, dem die Scala Naturae am häufigsten zugeschrieben wird, betont in seinen Schriften zur Naturphilosophie und Biologie, dass jedes Lebewesen auf seine eigene Weise danach strebt, sich vollständig zu entfalten. Das Ziel oder der Zweck eines jeden ist das eigene Leben und Gedeihen, und kein Lebewesen existiert um anderer „höherer“ Arten willen. Einige Texte legen ein anderes Bild nahe, doch Aristoteles hatte ein relativ langes Leben (384/3– 322 v. Chr.) und entdeckte die Freude an zoologischen Studien erst nach einer Zeit der Verbannung aus Athen nach Platons Tod. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, die einander widerstreitenden Texte von Aristoteles zu deuten, ohne ihm eine Gesamtsicht der Natur zu unterstellen, die durch so viele Aussagen in seinen biologischen Werken (die leider nur wenige Philosophen lesen) widerlegt wird.4 Wie ich in der Einleitung erwähnt habe, bietet das Spätwerk Über die Bewegung der Lebewesen eine „allgemeine Erklärung“ für die Bewegungen von Tieren vieler verschiedener Arten zu den Objekten ihres Begehrens hin, und es

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fordert uns dazu auf, diese allgemeine Erklärung einer solchen vorzuziehen, die den Menschen als eine von allen anderen separate Art behandelt.5 Es ist äußerst wichtig, die eigentlichen Schriften des Aristoteles von ihrer Verwendung im Mittelalter zu unterscheiden, wo sie dazu dienten, die als Scholastik bekannte christliche Form des Aristotelismus zu schaffen, die die Scala Naturae, wie wir sie heute kennen, erfand. In der hellenistischen Epoche (die um die Zeit von Aristoteles’ Tod begann) kam es jedoch zu einem Wandel. Die Epikureer scheinen weiterhin eine großzügige und inklusive Sicht auf die Tiere gehabt zu haben, und ihre Texte betonen häufig die Ähnlichkeiten zwischen dem Menschen und anderen empfindungsfähigen Wesen. (Beispielsweise gibt der römische epikureische Dichter Lukrez, der seine Werke im 1. Jahrhundert v. Chr. verfasste, eine wunderbare Beschreibung der Träume von Tieren, um deren Ähnlichkeit mit dem Menschen in Bezug auf sein Wahrnehmungs- und Begehrensvermögen zu zeigen.) Da sie der Meinung waren, dass Lust und Schmerz das Einzige ist, was um seiner selbst willen gut oder schlecht ist, stellten die Epikureer eine enge Verbindung zwischen dem Menschen und anderen empfindungsfähigen Lebewesen her und inspirierten damit – viel später – die utilitaristische Ethik, die im 18. Jahrhundert aufkam. (Das Denken der Griechen und Römer gehörte zur frühen Ausbildung der britischen Denker der Oberschicht, und so verfügten sie über einen reichen Fundus an alternativen Ansichten, als man die normativen Ansichten der konventionellen Religion infrage zu stellen begann.) Die griechischen und römischen Stoiker, die sowohl in der Antike als auch bei der Entwicklung der christlichen Ethik sehr einflussreich waren, teilten die Meinung der Epikureer allerdings nicht. Sie vertraten die Auffassung, nicht menschliche Tiere verfügten weder über Gedanken noch über Gefühle, während der Mensch quasi göttlich sei und deshalb auch berechtigt, mit den Tieren nach seinem Gutdünken zu verfahren. Die stoische Schule wurde vom späten 4. Jahrhundert v. Chr. bis zum frühen römischen Reich (in den ersten zwei Jahrhunderten n. Chr.) kulturell dominant und prägte das Alltagsdenken auf eine tiefgreifende Weise. Später beeinflusste das stoische Denken das Christentum – genau wie das Judentum, das auch die Auffassung vertrat, dem Menschen komme eine Sonderstellung zu. Nach allgemeinem Verständnis lehrten beide Religionen, dass der Mensch, nach dem Ebenbild Gottes geschaffen, das einzige wirklich intelligente und spirituelle Wesen sei, dem das Heil offenstehe.

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Bereits in der griechisch-römischen Welt gab es eine lebhafte Debatte. Die späten Platoniker Plutarch und Porphyrius (siehe S. 182) verfassten eloquente Schriften, die wir heute studieren können, in denen sie für die Intelligenz und Empfindungsfähigkeit von Tieren eintraten und für eine fleischlose Ernährung plädierten. Porphyrius’ Über die Enthaltung vom Beseelten ist ein großartiges Werk voller detaillierter und äußerst stichhaltiger Argumente, das in den Lehrplänen der Philosophie eine wichtige Rolle spielen sollte und über das nur wenige Philosophen etwas wissen. Diese Ansichten wurden jedoch durch die Vorherrschaft des Christentums immer mehr an den Rand gedrängt. Wie die Stoiker unterschieden auch die meisten christlichen und jüdischen Denker scharf zwischen dem Menschen und allen anderen Tieren, und in beiden Religionen diente diese Unterscheidung lange Zeit als Rechtfertigung für das Nutzen der Tiere für unsere eigenen Zwecke.6 Die mittelalterliche Kodifizierung dieser Unterscheidung durch die Metapher der Scala Naturae scheint etwas großzügiger zu sein als die stoische Sichtweise, da sie von einer graduell ansteigenden Reihe von Stufen ausgeht, auf denen einige Tiere höher stehen als andere. In der Praxis wird die Leitermetapher allerdings auf stoische Weise verstanden, um eine tiefe Kluft zwischen dem Menschen und allen anderen Tieren nahezulegen. Diese Vorstellung von einem großen Abstand prägt bis heute die Auffassungen der Philosophen, die in der jüdisch-christlichen Tradition wurzeln.7 Die Vorstellung von der Stufenleiter der Natur ist im Wesentlichen eine religiöse Idee, sei es in ihrer stoischen Form (in welcher nur der Mensch an Zeus’ vernünftigem Plan für das Universum teilhat) oder in ihrer jüdisch-christlichen Form. Sie beruht weniger auf Argumenten und Beobachtungen als auf einem Glaubenssystem, das die Menschen als Rahmen für ihr Leben akzeptieren sollen, ohne es gründlich zu prüfen. Die Stoiker waren Rationalisten und befürworteten kritisches Denken; doch in diesem entscheidenden Punkt unterwarfen sie ihre Überzeugungen keiner vernünftigen Prüfung. Ihre Gegner haben ihre Behauptungen über die gefühllose Rohheit der Tiere auf vernichtende Weise widerlegt. Ein bezeichnendes und recht amüsantes Beispiel, das von antiken Skeptikern verwendet wurde, um ihre stoischen Gegner zu kritisieren, handelt von einem fiktiven Hund, der Chrysippus selbst, dem bedeutendsten der stoischen Philosophen, gehört haben soll. Dieser Hund ist auf der Jagd nach einem Kaninchen und kommt an eine dreifache Weggabelung. Er schnüffelt an Weg A, dann an Weg B – und da er bezüglich der Wege A und B eine negative Rückmeldung erhält, hält er nicht inne, um an Weg C zu schnüf-

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feln, sondern rennt, ohne zu schnüffeln, in diese Richtung, als sei er davon überzeugt, dass das Kaninchen den Weg C genommen haben muss. Die Gegner der Stoiker wollten zeigen, dass Chrysippus’ eigener Hund die Behauptung widerlegt, Tiere haben keine Intelligenz, denn dieser Hund beherrscht den disjunktiven Syllogismus: entweder A oder B oder C, nicht A, nicht B, also C!8 Wie Hundeliebhaber wissen, ist das nicht nur eine witzige Geschichte. Obwohl der Stoizismus in Rom in anderer Hinsicht großen Einfluss hatte, akzeptierten die Römer dessen Ansichten über die Rohheit aller Tiere nicht in vollem Umfang. Sie waren inkonsequent und selektiv, beobachteten aber überraschende Beweise für die Empfindungsfähigkeit und Komplexität von Tieren. Im Jahr 55 v.  Chr. inszenierte der römische Feldherr Pompeius einen Kampf zwischen Menschen und Elefanten.9 In der Arena umzingelt, realisierten die Tiere, dass sie keine Chance hatten zu entkommen.10 Nach Plinius „flehten sie die Menge an, versuchten mit unbeschreiblichen Gesten ihr Mitleid zu gewinnen und bejammerten ihre Notlage mit einer Art Wehklagen“.11 Das Publikum, das durch die Notsituation der Tiere zu Mitleid und Protest veranlasst wurde, hatte das Gefühl – so schreibt der anwesende Philosoph und Staatsmann Cicero –, dass die Elefanten in einer Beziehung der Gemeinschaft (societas) zum Menschengeschlecht stünden, und erhob sich, um Pompeius zu verfluchen.12 Die stoische und jüdisch-christliche Überzeugung von der Rohheit der Tiere wurde nie belegt und ist auch nicht überprüfbar: Sie entspringt einer anthropozentrischen und anthropomorphen Religion, der zufolge Gott – der uns ähnlich ist, aber besser als wir – uns durch Sprache und Verstand zu etwas Besonderem gemacht hat, gottgleich, und uns wertschätzt, weil wir ihm gleich sind. Obwohl die Stufenleiter der Lebewesen ebenso wie die Kluft zwischen dem Menschen und den Tieren zu zentralen Annahmen der jüdisch-christlichen Religion geworden sind, sollten wir hier innehalten und darauf hinweisen, dass sie zu bestimmten, tieferen Merkmalen dieser Religionen nicht passen. Erstens wird die Vorstellung, Gott (im Falle des Christentums Gott der Vater) habe eine menschliche Gestalt, sowohl von Juden als auch von vielen Christen als Abgötterei angesehen. Weiterhin gehen beide Religionen davon aus, dass Gott sämtliche Arten erschaffen hat und sich an der Schöpfung erfreute, weil sie insgesamt „gut“ war. Die Schöpfungsgeschichte ermutigt das Staunen über die Schönheit und Vielfalt der lebendigen Schöpfung.13 Später, als Noah und seine Familie vor der Sintflut in die Arche steigen, werden sie von Gott aufgefordert, von jeder Tierart, einschließlich der Vögel, ein Paar mitzunehmen, ein Männ-

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chen und ein Weibchen, als ob sämtliche Arten es verdienten, geschützt und respektiert zu werden.14 Der Bund nach der Sintflut wird zwischen Gott und „euch und allen Lebewesen, die bei euch sind, auf ewige Zeiten“ geschlossen.15 Wir finden in der Thora (den fünf Büchern Mose) keinen Hinweis darauf, dass die Tiere als Nahrung und Beute für den Menschen erschaffen wurden. In beiden Geschichten geht es vorrangig um das Staunen und zumindest eine begrenzte Art von Ehrfurcht. Es stimmt, dass Gott in Genesis 1,26–28 den Menschen die „Herrschaft“ über die anderen Lebewesen überträgt. Und das mit „Herrschaft“ (in anderen Übersetzungen „Unterwerfung“) übersetzte Wort, radah, bedeutet eine bestimmte Art von Herrschaft: Wie der Gelehrte und Übersetzer Robert Alter ausführt, handelt es sich dabei um eine sehr starke Form von Herrschaft oder Beherrschung. Doch nehmen wir normalerweise an, gute Herrscher seien solche, die sich um die Menschen kümmern, über die sie herrschen, und nicht solche, die sie wie Eigentum behandeln und ihnen Qualen zufügen. Und da die Menschen in der Schöpfungsgeschichte für Gott Herrscher sind, welche die Verantwortung für eine von Gott geliebte und für gut befundene Schöpfung übernehmen, sollten die Menschen sicher auf eine intelligente und vernünftige Weise „herrschen“. Außerdem steht die Gabe des „Beherrschens“ im Gegensatz zu Gottes Gabe der Pflanzen als „Nahrung“ für Menschen und andere Tiere. In den Versen 29 und 30 sagt Gott: „Und Gott sprach: Seht da, ich habe euch gegeben allerlei Kraut, das sich besamt, auf der ganzen Erde und allerlei fruchtbare Bäume, die sich besamen, zu eurer Speise, und allem Getier auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel und allem Gewürm, das da lebt auf Erden, daß sie allerlei grünes Kraut essen. Und es geschah also.“16 Diese Passage legt deutlich nahe, dass vor dem Sündenfall vegetarische Kost die Norm war und der Fleischkonsum mithin Ausdruck unserer gefallenen Natur sein könnte. Im Garten Eden scheinen noch nicht einmal die Tiere Fleischfresser zu sein. Es ist völlig klar, dass „Herrschaft“ nicht als Berechtigung zur Ausbeutung und Misshandlung der erschaffenen Tiere verstanden werden sollte. Kurz gesagt, die jüdisch-christliche Tradition ist respektvoller gegenüber Tieren, als der Volksglaube und die Praxis oft behaupten. Ein wunderbares Buch, das den Implikationen dieser Idee nachgeht und sie mit der Realität unserer gegenwärtigen brutalen Praktiken konfrontiert, ist Dominion von Matthew Scully.17 Scully ist ein Konservativer, der als Redenschreiber für die Republikaner tätig ist, insbesondere für Ex-Präsident George W. Bush. Er ist auch ein religiöser Mensch, und das Ziel seines eloquenten B ­ uches ist

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es, für eine mitfühlende, verantwortungsbewusste „Herrschaft“ zu plädieren. Sein anschaulicher Bericht von einigen der schauerlichsten Praktiken, denen die US-Amerikaner gegenwärtig Tiere unterziehen, enthält eine grausame Beschreibung der Massentierhaltung, eine beißende Satire auf die heuchlerischen Selbstrechtfertigungen des Safari Clubs, der die Jagd auf Wildtiere mit spirituellen Begriffen anpreist, sowie eine gekonnte Abrechnung mit Philosophen, die über die „Heiligkeit“ der Fuchsjagd schwadronieren. (Zu Recht verspottet er den 2020 verstorbenen Roger Scruton.)18 Scully analysiert sowohl Texte der Bibel als auch Schriften späterer christlicher Denker, die Grausamkeit und Brutalität gegenüber Tieren anprangern und von denen einige jegliches Töten von Tieren ablehnen. Scullys Hauptziel besteht darin zu zeigen, dass die abscheuliche und mutwillige Grausamkeit gegenwärtiger Praktiken ein Ergebnis menschlicher Gier ist und im wahren Christentum keinerlei Rechtfertigung besitzt. Das Buch ist ein ausgezeichneter Beitrag zur Debatte, der eine selbstzufriedene Haltung zunichte macht, ob man nun im jüdisch-christlichen Sinne religiös ist oder nicht. Die philosophischen Schulen der griechisch-römischen Antike und die kanonischen Texte des Judentums wie des Christentums entstanden in einer Welt, in der man generell davon ausging, die Arten seien konstant. Darwins Evolutionstheorie hat in den USA in vielen Teilen der Gesellschaft enorme Turbulenzen ausgelöst und tut das immer noch, da sie besagt, dass der Mensch nicht direkt durch einen besonderen Akt Gottes geschaffen wurde, sondern dass unsere Art ihre Merkmale über ausgedehnte Zeiträume in einer allmählichen Entwicklung aus Primatenvorfahren erlangt hat. Die enge historische Verwandtschaft zwischen dem Menschen und nicht menschlichen Tieren, die diese Theorie herstellt, wurde oft als abscheulich angesehen: zum einen, weil sie die besondere Erschaffung des Menschen durch Gott zu leugnen scheint, und zum anderen, weil eine enge Verbindung zwischen unserer Art und den Affen von vielen Menschen als abstoßend empfunden wird. Aus diesen Gründen wurde die Lehre der Evolutionstheorie zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten in den USA verboten – am bekanntesten ist ein Gesetz von Tennessee, der sogenannte Butler Act, der 1925 zum sogenannten Affenprozess führte.19 Heute ist es zwar nirgendwo in den USA verboten, die Evolutionstheorie zu lehren, doch verlangen 14 Bundesstaaten die gleichzeitige Lehre der „Schöpfungswissenschaft“ als alternative Sichtweise, obwohl diese und das mit ihr verwandte Intelligent Design von der Gemeinschaft der Wissenschaftler

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abgelehnt werden: Sie stellen einfach keine Wissenschaft dar, egal welche alternativen Erkenntnisse sie auch anbieten mögen. In der Wirklichkeit steht Darwins Theorie  – die in ihren Grundzügen inzwischen fest etabliert ist  – zwar im Widerspruch zu einer wörtlichen Auslegung des Buches Genesis; das gilt jedoch auch für sämtliche wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Alter der Erde, wie Clarence Darrow im Affenprozess eindrucksvoll bewies, als er William Jennings Bryan im Zeugenstand befragte. Bryan glaubte an eine buchstabengetreue Berechnung des Erdalters auf der Grundlage der Angaben zu den Propheten im Buch Genesis, die das Datum der Schöpfung auf 4004 v. Chr. festlegte, ein aus Sicht der Archäologie völlig absurdes Datum. Nur wenige Amerikaner würden sich heute Bryan in dieser Überzeugung anschließen. Aber das bedeutet, die nicht wörtliche Lesart muss sich irgendwann durchsetzen, und die Frage ist nur, an welchem Punkt. Darwins Theorie ist nicht unvereinbar mit der Vorstellung, dass der Mensch einen besonderen Platz einnimmt und von Gott besonders berücksichtigt wird. Doch für einen religiösen Darwinisten muss diese Sonderstellung mit der gebotenen Demut untersucht werden: Was genau unterscheidet den Menschen von anderen, historisch mit ihm verwandten Geschöpfen? Haben wir vielleicht nicht nur besondere Privilegien, sondern auch besondere Pflichten? Die westliche Tradition ist komplizierter, als wir manchmal annehmen. An diesem Punkt ist es für einen einfühlsamen Darwinisten, dem die Idee der Scala Naturae weiterhin gefällt, selbstverständlich, die Frage aufzuwerfen, ob Affen und andere Lebewesen, die am „oberen“ Ende der Leiter stehen, irgendwie an unserer Besonderheit teilhaben. Wenn wir an anderen Affen vorbei an die Spitze der Leiter der Natur geklettert sind, bedeutet das dann nicht auch, dass sie fast genauso weit nach oben geklettert sind wie wir und daher aufgrund dieser Ähnlichkeit zumindest eine gewisse Sonderbehandlung verdienen? An diesem Punkt tritt der „Uns-so-ähnlich“-Ansatz auf den Plan.

Der „Uns-so-ähnlich“-Ansatz: Fortschritte mit der Scala Naturae erzielen Warum sollte man nicht dort ansetzen, wo sich die meisten Amerikaner scheinbar befinden, und versuchen, sie langsam in Richtung begrenzter Rechte für eine begrenzte Gruppe von Lebewesen zu bewegen? Ein bekannter und ein-

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flussreicher Ansatz in der Tierethik und im Tierrecht, den ich den „Uns-soähnlich“-Ansatz nenne, tut genau dies. Er strebt für eine bestimmte Gruppe von Tierarten die Anerkennung von Persönlichkeitsrechten und einiger Autonomierechte an, und zwar aufgrund ihrer menschenähnlichen Fähigkeiten. Dieser Ansatz wird vor allem mit dem Aktivisten und Autor Steven M. Wise in Verbindung gebracht.20 Wise ist einer der bedeutendsten Pioniere des Tierrechts. Mit seinem Buch Rattling the Cage aus dem Jahr 2000 hat er den Bereich der Tierethik in die Rechtswissenschaft eingeführt  – mit beeindruckenden Ergebnissen.21 Seine Lehrveranstaltung über Tierrecht an der Harvard Law School war eine der ersten Veranstaltungen dieser Art an einer juristischen Fakultät, vielleicht sogar die erste. Als zentrale Figur in dem Dokumentarfilm Unlocking the Cage, der 2016 auf dem Sundance Festival gezeigt wurde, beschreibt er den zahlreichen Zuschauern des Films eloquent die Ziele des von ihm geleiteten „Nonhuman Rights Project“ [Projekt zum Schutz der Rechte nicht menschlicher Wesen]. Der Film verfolgt Wises juristische Auseinandersetzungen, mit denen er für mehrere in Gefangenschaft gehaltene Schimpansen begrenzte Persönlichkeitsrechte erlangen wollte.22 Wise ist ein heldenhafter Pionier, und er wählte seinen konzeptionellen Ansatz nicht, weil er ihn für den letztlich besten hält, sondern weil er glaubt, dass dieser hier und jetzt zu Fortschritten in Bezug auf Tiere führen kann, die unter schwerem Unrecht leiden. Meine Bewunderung für Wise und seine juristische Arbeit soll durch meine Kritik an seinem Ansatz auf keine Weise geschmälert werden. Wise gründet seinen Ansatz nicht auf unsere evolutionsgeschichtliche Verwandtschaft mit den Affen, sondern auf die unmittelbare Ähnlichkeit. Er ist daher sowohl mit der ursprünglich festgelegten Scala Naturae als auch mit einer modifizierten darwinistischen Variante vereinbar. Doch er konzentriert sich nicht auf die evolutionäre Verwandtschaft oder beschränkt sein Anliegen auf Lebewesen, die eine enge evolutionäre Beziehung zum Menschen haben. In seinem Buch aus dem Jahr 2000 legt Wise den Schwerpunkt auf Schimpansen und Bonobos,23 zwischenzeitlich bezieht er jedoch ausdrücklich alle vier Arten von Menschenaffen sowie Elefanten (vermutlich alle drei Arten), Wale und Delfine (vermutlich sämtliche Arten beider) ein.24 Seine Argumentation stützt sich in hohem Maße auf Behauptungen über die Ähnlichkeit dieser Tiere mit dem Menschen. Sie sind sich ihrer selbst bewusst, so sagt er; sie bestimmen sich selbst, sie verfügen über eine Theory of Mind, sie besitzen eine Kultur, sie sind

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nicht „durch den Instinkt eingesperrt“, sie können über ihre eigene Zukunft nachdenken. Generell sind sie „wirklich sehr, sehr klug“.25 Zentral ist für Wise die Auffassung, dass diese Tiere „autonome Geschöpfe“ sind, die aus diesem Grund „autonome Leben“ führen können sollten.26 Wise ist kein Philosoph, und er erklärt nicht, welche der von Philosophen verwendeten Autonomiebegriffe er im Sinn hat. Da er ebenfalls sagt, dass sich Schimpansen seiner Meinung nach auf dem Niveau eines fünfjährigen Kindes befinden, ist nicht klar, ob er ihnen tatsächlich Autonomie zuschreiben sollte, wenn damit – wie dies typischerweise der Fall ist – die Fähigkeit gemeint ist, die eigenen Bedürfnisse im Lichte von Prinzipien höherer Ordnung zu hinterfragen, oder, nach der berühmten Auffassung Kants: die Fähigkeit, sich von den Einflüssen der Religion und Kultur zu befreien.27 Wahrscheinlich denkt Wise an eine weniger anspruchsvolle Form der Selbstbestimmung, etwa die Fähigkeit, zwischen Alternativen zu wählen. (Doch zahlreiche andere Tierarten wählen zwischen Alternativen!) Auf jeden Fall ist Wise der Auffassung, dass diese Tierarten dem Menschen sehr ähnlich sind – das wird sowohl im Buch als auch im Film immer wieder betont –, und er macht diese Ähnlichkeit zur Grundlage seines Feldzugs, um einige begrenzte Rechtsansprüche für sie zu erstreiten.28 Indem er zeigt, wie ähnlich bestimmte Tiere uns sind, hofft Wise, so sagt er im Film, zu demonstrieren, dass die typischerweise vom Gesetz gezogene Grenze zwischen dem Menschen und den Tieren irrational ist und neu durchdacht werden muss.29 Wenn wir der Meinung sind, dass Kinder und Menschen mit schweren geistigen Behinderungen Rechte haben – wenn auch mit einigen Einschränkungen und in bestimmten Grenzen – und dass sie eines Vormunds bedürfen, dann sollten wir auch zugeben, dass manche Tierarten Rechte besitzen. Es ist irrational und inkonsistent, alle Menschen als Personen mit Rechten zu behandeln und alle Tiere als bloße Dinge. An dieser Stelle verwendet Wise eine Analogie zur Sklaverei: So wie wir nun erkannt haben, dass es moralisch abscheulich war, Sklaven früher rechtlich als Eigentum zu behandeln, so sollten wir ebenfalls erkennen, dass es moralisch abscheulich ist, wie wir gegenwärtig Tiere behandeln.30 Im Film stößt die Analogie zur Sklaverei bei einigen von Wises Gesprächspartnern auf heftigen Widerstand, vermutlich, weil sie – unpassenderweise – so verstanden werden kann, dass Afroamerikaner Schimpansen ähnlich sind, was nicht die Idee ist, die er vermitteln will.31 Er rückt daher von der Analogie ab; allerdings nicht von dem Kerngedanken, dass wir in Bezug auf das Recht eine Veränderung vollziehen müssen und Tiere nicht als Sachen

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und Eigentum betrachten dürfen, sondern als Personen.32 Er weist wiederholt darauf hin, dass Unternehmen nach dem Gesetz Rechte gegeben werden – ein sehr gutes Argument; die Ausweitung der Rechte auf selbstbestimmte Tiere ist ein einfacherer Schritt!33 Wie diese letzte Analogie zeigt, ist Wise vor allem Anwalt. Er versucht weniger, die beste philosophische Theorie des Tierrechts zu entwickeln, als den Tieren einen höheren Stellenwert zu verschaffen, indem er das ihm zur Verfügung stehende juristische und theoretische Material verwendet. Zahlreiche Menschen sind der Meinung, dass die Ausweitung des Personenbegriffs auf Unternehmen ein großer Fehler war, und nach allem, was wir wissen, könnte auch Wise dieser Meinung sein. Doch er argumentiert wie ein scharfsinniger Jurist auf der Grundlage von Präzedenzfällen: Wir haben bereits eine Entscheidung getroffen, jetzt müssen wir sehen, welche Auswirkungen sie auf die Frage bezüglich der Tiere hat. Dass er den Ähnlichkeitsbegriff in den Mittelpunkt stellt, ist eher eine strategische als eine philosophische Vorgehensweise: Er versucht einfach, die Richter zu überzeugen, indem er dort ansetzt, wo sie stehen. Seine Theorie als solche zu kritisieren, ist daher möglicherweise ein wenig kleinlich. Sie wird trotz alledem hier als guter Ausgangspunkt für öffentliche Diskussionen vorgebracht, und sie überzeugt, wenn überhaupt, nur in dem Maße, in dem Menschen ihr Glauben schenken. Bei allem Respekt für Wises kluge juristische Strategie werde ich also seine Ansicht als theoretische Grundlage für die Rechtfertigung (von einigen) Ansprüchen von Tieren untersuchen. Sowohl in seinem Buch als auch in seinem Film liefert Wise zahlreiche Beweise dafür, dass die ausgewählten Tierarten über viele Arten menschenähnlicher Fähigkeiten verfügen.34 Seine zentrale Strategie im Film besteht darin, uns Schimpansen und andere Affen zu zeigen, die Dinge tun, die der Zuschauer unmittelbar als menschenähnlich erkennt: Sie verwenden Zeichensprache, zeigen Empathie beim Abspielen eines Films, in dem Menschen Gefühle zeigen, und so weiter.35 Wise vermutet klugerweise, dass er das Publikum da abholen muss, wo es steht, wenn er in der Frage der Tierrechte vorankommen will. Er nennt diesen Ansatz „die erste Salve in einem strategischen Krieg“ und spricht auch davon, „die erste Tür aufzutreten“.36 Das größere Projekt, allen Tieren in irgendeiner Form Rechte zu verschaffen, ist ihm also offensichtlich nicht gleichgültig, und seine detaillierte und entschlossene Aufmerksamkeit für die Fähigkeiten und Benachteiligungen einiger Arten ist anerkennenswert. Trotzdem könnte man

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auf gewisse Probleme hinweisen. Die Wahl eines begrifflichen Rahmens beeinflusst, welche Wege für uns theoretisch gangbar sind. Sowohl aus Gründen der Wahrheit als auch des möglichen Verstehens ist es wichtig, die richtige Theorie zu finden; und es ist ebenfalls wichtig, eine Strategie zu finden, die uns in die richtige Richtung führt, statt uns in eine Sackgasse zu lenken. Welche Probleme mit der Strategie von Wise könnten sich nun aus philosophischer Sicht ergeben? Am offensichtlichsten ist, dass sie die unwissenschaftliche und anthropozentrische Idee der Scala Naturae, an deren oberem Ende wir uns befinden, bestätigt und sich zunutze macht. Einige Tiere werden bevorzugt behandelt, doch nur weil sie (fast) so sind wie wir. Die erste Tür wird geöffnet, dann jedoch hinter uns zugeschlagen: Niemand sonst wird einbezogen. Statt der alten Argumentationslinie haben wir eine etwas andere, doch ist sie nicht wirklich anders, und der größte Teil der Tierwelt liegt weiterhin ausgeschlossen im dunklen Bereich der Welt bloßer Dinge. Das Bild der Scala Naturae ist nicht der Betrachtung der Natur entnommen, und es entspricht auch nicht dem, was wir in ihr sehen können, wenn wir es schaffen, unsere Arroganz abzulegen. Was wir sehen, sind Tausende von verschiedenen tierischen Lebensformen, die allesamt eine Art geordneten Strebens nach Überleben, vollständiger Entwicklung und Fortpflanzung zeigen. Die Lebensformen sperren sich gegen eine Einstufung auf einer einzigen Skala: Sie sind einfach wunderbar verschieden. Wenn wir das Spiel der Einstufung spielen wollen, dann sollten wir es fair spielen. Wir Menschen gewinnen bei den Parametern Intelligenzquotient und Sprache. Aber wer hat diese Tests erfunden? Viele Tiere sind viel stärker und schneller als wir. Vögel schneiden bei der räumlichen Wahrnehmung und der Fähigkeit, sich entfernte Ziele zu merken, weitaus besser ab. Die meisten Tiere haben einen besseren Geruchssinn. Unser Gehör ist sehr begrenzt; einige Tiere (z. B. Hunde) können höhere Frequenzen als wir hören, und viele Tiere (Elefanten, Wale) können niedrigere Frequenzen hören.37 Wir singen Opern, Vögel singen fantastische Vogelgesänge und Wale Walgesänge. Ist das eine „besser“ als das andere? Für einen Musikliebhaber ist das so, als würde man fragen, ob man Mozart oder Wagner bevorzugen sollte: Sie sind so unterschiedlich, dass es eine dumme Zeitverschwendung wäre, sie auf einer einzigen Skala zu vergleichen. Was die Fähigkeiten der Lebenserhaltung betrifft, sind Ratten bei der Fortpflanzung und im Überleben weitaus erfolgreicher; zahlreiche Tiere, vom Röhrenwurm bis zum Grönlandwal, haben eine höhere individuelle Lebens-

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erwartung. Sollen wir nach moralischen Fähigkeiten fragen? Nun, wir sind zwar diesbezüglich stolz auf uns selbst, doch tatsächlich verüben wir Menschen absichtlich Grausamkeiten und Folter in einem Ausmaß, das keine andere Tierart kennt, und wir werden später sehen, dass zahlreiche Tierarten die Fähigkeit zu Freundschaft und Liebe zeigen. Halten wir uns für die Schönsten? Jonathan Swifts Schilderung, wie Gulliver nach Jahren mit den reizenden pferdeähnlichen Houyhnhnms die menschliche Gestalt und den menschlichen Geruch abstoßend fand, war überzeugend.38 Kein anderes Tier ist so arrogant in Bezug auf seine Schönheit, aber zugleich hasst kein anderes Tier sich selbst und flieht vor sich. Kurzum, wenn wir die Fähigkeiten auf eine faire Weise ordnen und nicht die Dinge bevorzugen, in denen wir zufälligerweise gut sind, „gewinnen“ viele andere Tiere in zahlreichen verschiedenen Vergleichen. Doch mittlerweile wird die ganze Idee des Bewertungsspiels wahrscheinlich etwas albern und konstruiert erscheinen. Wirklich interessant hingegen scheint das Studium der gänzlichen Unterschiedlichkeit und Unverwechselbarkeit der einzelnen Lebensformen zu sein. Der Anthropozentrismus erweist sich dann als eine verlogene Arroganz: Wie großartig wir doch sind! Wenn doch nur alle Lebewesen so wären wie wir (nun ja, einige sind es ein wenig)! Anstatt unser Denken in einer Weise zu erschüttern, die wirklich dazu führen könnte, das tierische Leben auf revolutionäre Weise einzubeziehen, behält Wise einfach das alte Denken und die alte Argumentationslinie bei und verschiebt lediglich einige Arten auf die andere Seite. Nochmals: Das mag eine kluge Strategie sein, wenn man sich an Richter mit begrenzter Vorstellungskraft wendet, doch letztlich wird eine fehlerhafte Theorie wahrscheinlich langfristig zu fehlerhaften Ergebnissen führen. Die Idee der Scala Naturae ist auch in anderer Hinsicht potenziell gefährlich. Sie hält von nützlicher Selbstkritik ab. Sie führt zu abstoßenden Plänen, in denen Menschen sich vorstellen, dass sie ihre „tierischen Körper“ überwinden, indem sie Gerüche und Körperflüssigkeiten negativ besetzen.39 Derartige Pläne werden häufig von Versuchen begleitet, eine andere Gruppe von Menschen zu unterdrücken, mit der Begründung, sie seien die wahren Tiere.40 Einer relativ machtlosen Untergruppe werden ein schlechter Geruch, eine schmutzige Körperlichkeit und übertriebene Sexualität zugeschrieben, um gewalttätige Formen der Unterdrückung zu rechtfertigen. Man kann diese Ideen im USamerikanischen Rassismus, in der indischen Kastenhierarchie, in der globalen Frauenfeindlichkeit und Homophobie sowie in Vorurteilen gegenüber älteren

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Menschen wiederfinden.41 Die Strategie von Wise trägt nichts dazu bei, diese verabscheuungswürdigen menschlichen Praktiken zu untergraben. Vielmehr birgt sie die Gefahr in sich, dass diese durch ihre Art der Abgrenzung noch verstärkt werden. Obwohl wir eine völlig neue Sichtweise auf unsere Körper benötigen, gibt sie uns wieder die alte Sichtweise, nur mit ein paar kleinen Anpassungen. Gleichzeitig hat Wises Ansatz zur Folge, dass der größte Teil der Tiere ins Abseits gerät, ohne dass seine Einlassungen ihnen helfen. Natürlich beabsichtigt er dieses Ergebnis nicht, dennoch ist es schwer zu sagen, welche Verbesserungen seine Theorie für das furchtbare Leid von Schweinen und Hühnern, für den Verlust des Lebensraums von Eisbären und Dutzenden von anderen Wildtieren bringt. Besser gesagt: Es ist nicht schwer, sondern nur allzu leicht zu wissen, welche Verbesserungen seine Theorie bringt – nämlich keine. Ein völlig neuer Ansatz müsste entwickelt werden, wenn wir den besonderen Kreis der Arten verlassen, die uns sehr ähnlich sind. Es ist ziemlich deutlich, dass Wise auf längere Sicht irgendeinen Ansatz finden möchte, um mit diesen Fällen umgehen zu können. Er gibt uns jedoch keinerlei Vorstellung davon, wie dieser neue Ansatz aussehen würde oder wie er später mit dem durchgängigen Anthropozentrismus seines Ausgangspunkts in Einklang gebracht werden könnte. Was fehlt, ist das Staunen über die Vielfalt der Natur, die Liebe zu den vielen besonderen Formen des Lebens. Es gibt noch eine weitere beunruhigende Konsequenz des „Uns-so-ähnlich“Ansatzes: Er führt dazu, dass der Schwerpunkt auf künstliche Leistungen gelegt wird, die nicht wirklich charakteristisch für die Art in ihrem Leben in freier Wildbahn sind. So wird in Unlocking the Cage viel Zeit auf die Zeichensprache verwendet, und es ist zutreffend und beeindruckend, dass Schimpansen, Bonobos und Gorillas Zeichensprachen lernen können.42 Sie machen davon jedoch keinen Gebrauch, wenn sie nicht unter Menschen leben. Delfine nehmen tatsächlich manchmal vom Menschen erlernte Verhaltensweisen mit in die freie Wildbahn und bringen sie anderen Delfinen bei.43 Mir ist aber kein Fall bekannt, in dem Affen dasselbe getan hätten. Es hat einfach keinen Nutzen für sie. Und obwohl Wise die Empathie und die Emotionen von Affen und Elefanten anhand zahlreicher Verhaltensweisen ihren Artgenossen gegenüber hätte aufzeigen können, wie Frans de Waal es seit Jahrzehnten tut,44 behandelt er in dem Film stattdessen ausführlich ein Beispiel für Einfühlungsvermögen, das durch den Gebrauch von Zeichensprache vermittelt wird.45 Ein Gorilla

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sieht sich einen Film an, in dem sich ein menschliches Kind von seiner Familie verabschiedet, und macht die Zeichen für „traurig“ und so weiter. Auch hier ist die Verwendung von Zeichensprache zum Anzeigen von Emotionen etwas, was Affen für und mit Menschen tun, jedoch nichts, was sie untereinander tun – obwohl sie über eine Fülle von Möglichkeiten verfügen, Emotionen untereinander zu kommunizieren, wie de Waal wiederholt zeigt.46 Und warum musste es ausgerechnet ein Film über Menschen sein? Vermutlich gefällt Wise das Beispiel der Zeichensprache und der Empathie, weil es ihm hilft, eine Ähnlichkeit mit uns herzustellen, doch es ist ein Taschenspielertrick. Tatsächlich wird es schwer verständlich, weshalb Wise einige Affen beigebrachte Tricks verurteilt – z. B. einem Affen beigebrachte Karatetritte – und gleichzeitig die sprachlichen Tricks liebt und in den Vordergrund stellt. Mir scheint, dass sich beide ähneln (vorausgesetzt, der Karatetritt wurde durch positive Verstärkung und nicht durch Grausamkeit beigebracht): Es sind zur Unterhaltung vorgeführte Tricks, die etwas über das Tier zu erkennen geben, aber nicht etwas über den Kern seiner Lebensform. Man kann darüber diskutieren, ob es moralisch vertretbar ist, solche Tricks zu lehren, und ich bin sicher, Wise würde den Sprachtrick verteidigen, weil er uns etwas lehrt. Aber genau das ist der Punkt: Es geht ihm darum, was er uns lehrt, nicht darum, was er für das Leben des Tieres bedeutet. Wise behauptet, dass wir uns zunächst auf einige wenige Rechte für einige wenige Arten konzentrieren müssen, weil die Menschen erschrecken würden, wenn die Tür für alle möglichen Rechte für alle möglichen Lebewesen offen stünde. Später werden wir allerdings noch sehen, dass man den Tieren ein politisches Mitspracherecht auf eine vernünftige Weise einräumen kann, sodass es als langfristiges Ziel akzeptabel ist. Konsistenz und theoretische Integrität werden generell geschätzt. Früher oder später werden die Menschen aufwachen und erkennen, dass Wise von einer Lockvogeltaktik Gebrauch macht: Er gewährt Menschenähnlichkeit für einige Lebewesen, und verspricht eine andere, noch nicht angekündigte Begründung für andere Lebewesen. Wise ist ein geschickter Anwalt. In einem mittlerweile berühmten Fall, in dem er versuchte, zwei Schimpansen zu Personen erklären zu lassen, um ihre Überführung in ein Schutzgebiet zu erreichen, hatten er und sein Nonhuman Rights Project einen begrenzten Erfolg. Obwohl der Oberste Gerichtshof von New York Wises Antrag mit 5:0 Stimmen abwies, war ein Richter von seiner Argumentation offensichtlich tief bewegt. In einer bemerkenswerten bei-

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pflichtenden Stellungnahme schrieb Richter Eugene Fahey: „Hat ein intelligentes nicht menschliches Tier, das denkt und plant und das Leben schätzt wie ein menschliches Wesen, das Recht auf den Schutz des Gesetzes gegen willkürliche Grausamkeiten und erzwungene Inhaftierungen, die ihm oder ihr angetan werden? Das ist nicht nur eine Frage der Definition, sondern ein tiefgreifendes ethisches und politisches Dilemma, das unsere Aufmerksamkeit verlangt.“47 Wise glaubt also zu Recht, dass sein Ansatz etwas bewirken kann, doch kann das auch der Fähigkeitenansatz – und zwar auf theoretisch kohärentere und sachdienlichere Weise.

Eine modifizierte Scala Naturae: Whites „Fremde Intelligenz“ Bevor wir die Vorstellung der Scala Naturae hinter uns lassen, lohnt es sich, Zeit mit einem großartigen philosophischen Buch zu verbringen, das nicht nur die Lebensform einer bestimmten Tierart liebevoll beschreibt, sondern auch einen ethisch-politischen Ansatz vertritt, der wesentlich nuancierter und vorsichtiger ist als der von Wise und zumindest einige der Fallstricke von Wises Anthropozentrismus vermeidet. Es handelt sich dabei um In Defense of Dolphins: The New Moral Frontier von Thomas I. White.48 White ist Philosoph, und sein Buch wurde mit beeindruckender begrifflicher und argumentativer Sorgfalt verfasst. Er besitzt außerdem ein umfassendes Wissen über Delfine, sowohl durch persönliche Beobachtung als auch durch gründliche Lektüre der wissenschaftlichen Literatur. Er schreibt deutlich und anschaulich und ist in der Lage, mit einem großen Publikum effektiv zu kommunizieren. Sein Ziel ähnelt letztlich dem von Wise, beschränkt sich aber auf eine Spezies: Er will die Leser davon überzeugen, dass Delfine ein hochentwickeltes kognitives und emotionales Leben haben, dass der philosophische und juristische Standardbegriff der „Person“ auf Delfine ebenso gut anwendbar ist wie auf Menschen und dass es deshalb wichtig ist, Delfine nicht als Dinge oder Eigentum zu behandeln, sondern als ein Selbst; jeder von ihnen stelle einen individuellen Zweck an sich selbst dar, der den Kantischen Status von „Würde“ verdient und nicht nur einen „Preis“ hat. Whites konkretes Ziel ist es, die Thunfischfangmethoden zu beenden, bei denen Delfine verletzt und getötet werden, und Menschen dazu zu bringen, die Haltung von Delfinen in Gefangenschaft radikal zu überdenken. Auf das letztgenannte komplexe

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Thema werde ich in Kapitel 10 noch genauer eingehen, weshalb ich mich im Folgenden auf Whites allgemeinen Ansatz konzentriere. Ebenso wie Wise verwendet auch White einen vertrauten philosophischen Begriff der Persönlichkeit, der Folgendes umfasst: Selbstbewusstsein, einen Sinn für das eigene Selbst (der sich durch die Fähigkeit zeigt, den „Spiegeltest“49 zu bestehen), „fortgeschrittene“ kognitive und emotionale Fähigkeiten,50 die Fähigkeit, sein Verhalten hinsichtlich der eigenen Ziele zu kontrollieren, die Fähigkeit, „frei“ zwischen Handlungsalternativen zu wählen, sowie die Fähigkeit, andere Personen zu erkennen und sie angemessen zu behandeln.51 Ein großer Teil des Buches wird darauf verwandt, die Leser davon zu überzeugen, dass Delfine all diese Fähigkeiten besitzen, und es ist klar, dass White möchte, dass die Leser Delfine anders behandeln, weil sie über diese „fortgeschrittenen“ Fähigkeiten verfügen. Daher ist sein Ansatz anfällig für viele der Kritikpunkte, die ich gegen Wise vorgebracht habe. Insbesondere geht White viel zu schnell von der korrekten Behauptung, dass die Lebensform eines Lebewesens bestimmt, was für dieses Lebewesen ein Schaden sein kann, zu der scheinbaren Schlussfolgerung über, dass Nicht-Personen Dinge und Besitztümer sind, die man in wesentlichen Punkten nicht wirklich schädigen kann.52 White ist Kantianer, und er gibt diesen Attributen des Personseins eine zentrale normative Bedeutung bei der Verleihung des „moralischen Status“. Letztlich unterscheidet sich Whites Ansicht also auf subtile Weise von derjenigen von Wise. Letzterer beruft sich lediglich auf die Ähnlichkeit: Diese Tiere sind wie wir. Persönlichkeit und Autonomie sind nur deshalb wichtig, weil wir sie haben, und nicht aus einem davon unabhängigen Grund. White geht noch weiter, indem er bestimmten menschlichen Fähigkeiten einen unabhängigen Wert zuschreibt und dann argumentiert, dass Delfine diese besitzen. Seine Sichtweise ist weniger direkt narzisstisch als die von Wise, obwohl sie in ähnlicher Weise eingeschränkt ist. Um seine Behauptung zu widerlegen, dass die genannten Fähigkeiten wichtiger sind als andere, benötigen wir eine umfassendere Argumentation: Wir müssen zeigen, dass Fähigkeiten dann richtig bewertet werden, wenn man ihre Rolle im Ganzen der Lebensform eines Lebewesens betrachtet. Einige menschliche Fähigkeiten würden nicht in das Leben von Vögeln passen, genauso wie einige bemerkenswerte Fähigkeiten von Vögeln in einem menschlichen Leben nicht nützlich wären. In Kapitel 5 werde ich dieses Argument ausführlicher entwickeln. Für den Moment können wir sehen, dass Whites eingeschränkte Betrachtungsweise nicht nur seine Bewertung des Le-

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bens von Tieren betrifft, sondern auch seine Ansicht darüber, wie wir uns selbst bewerten sollten: Wir sollten stolz darauf sein, dass wir über diese bemerkenswerten Eigenschaften verfügen. Diese Sichtweise scheint letztlich ähnlich engstirnig und arrogant zu sein wie die von Wise. Dennoch bringt Whites Buch drei wesentliche Verbesserungen gegenüber der Wise leitenden Auffassung, die er auf ähnliche Weise kritisiert wie ich, weil sie sich zu sehr auf die Sprache und auf gekünstelte Leistungen konzentriert.53 Erstens ist er zwar der Meinung, sein Ansatz, der sich auf Ähnlichkeit und Personsein konzentriert, sei dazu geeignet, auf die aktuelle Sichtweise der Öffentlichkeit einzugehen, und reiche aus, um umfassende Veränderungen in unserer Behandlung von Delfinen zu begründen. Er liefere eine Rechtfertigung, die „selbst die anthropozentrischsten Menschen“ akzeptieren würden. Doch er bestreitet wiederholt, dies sei die einzige Grundlage für ethische Bedenken gegenüber nicht menschlichen Tieren.54 Hierzu ein Beispiel: „Ich möchte von Anfang an klarstellen, dass ich nicht behaupte, das Personsein sei der einzige oder notwendigerweise der wichtigste Grund, um nicht menschlichen Lebewesen einen moralischen Rang zuzuerkennen.“55 Es gibt Passagen in dem Buch, in denen er sich nicht ganz daran hält, sondern – ergriffen von seinem kantischen Enthusiasmus für Selbstbewusstsein und Wahlmöglichkeiten – nahelegt, dass ein Wesen ohne die Merkmale des Personseins als ein Ding ohne Würde betrachtet werden könne. Seine offizielle Position ist jedoch, dass er zu den hinreichenden Bedingungen moralischer Anerkennung keinen Standpunkt eingenommen hat. Zweitens ist in Whites Argumentation für das Personsein der Delfine eine faszinierende Darstellung ihrer „fremdartigen Intelligenz“ eingeflochten. Während Wise sich auf die menschenähnlichen Leistungen der Affen konzentriert, denen im normalen Leben der Affen gar keine wichtige Bedeutung zukommt, ist White sensibel für die zahlreichen Weisen, auf die Delfine zwar intelligent, aber völlig anders sind: Ihre Intelligenz ist der unseren „fremd“. Durch seine detaillierte Beschreibung der Fähigkeiten und Lebensformen der Delfine zeigt uns White, wie selbst die Wahrnehmung und das Bewusstsein im Leben von Menschen und Delfinen auf sehr unterschiedliche Weise verwirklicht sind – was eigentlich nicht überrascht, wenn man bedenkt, dass sie sich an das Leben im Wasser und wir uns an das Leben an Land angepasst haben. So nehmen Delfine beispielsweise viel mehr durch Geräusche als durch den Gesichtssinn wahr, und sie verfügen über eine bemerkenswerte Fähigkeit zur „Echoortung“, d. h.,

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sie können ein Objekt mithilfe sonarähnlicher Klickgeräusche „beobachten“. Mit der Echoortung können Delfine nicht nur die Außenseite eines Objekts erfassen, sondern auch sein Inneres wahrnehmen. (In einem bemerkenswerten Fall wusste ein Delfin, dass seine Trainerin schwanger war, bevor sie selbst es wusste!) In einem liebenswerten Abschnitt des Buches wird die Vorstellung beschrieben, wie der Mensch aus der Sicht eines Delfins aussehen könnte: ähnlich, doch seltsamerweise auch ohne einige wesentliche Fähigkeiten. Dieses Staunen über die Komplexität und Fremdartigkeit anderer Lebensformen lässt Wises Ansatz schmerzlich vermissen. Manchmal geht White in seiner Betonung der Fremdartigkeit von Delfinen zu weit. Zum Beispiel sagt er immer wieder, Delfine seien äußerst soziale Lebewesen, während zumindest viele oder die meisten Menschen Einzelgänger seien. Er verweist auf Studien, in denen Menschen gebeten werden, sich selbst zu charakterisieren: Einige Menschen erwähnen Beziehungen, viele nicht.56 Doch was Menschen in einer Umfrage sagen, ist nicht sehr hilfreich, wenn es darum geht zu verstehen, was ihr Handeln wirklich leitet. Im Zeitalter des Coronavirus werden wir alle daran erinnert, wie zutiefst sozial der Mensch tatsächlich ist, denn selbst wenn uns körperliche Nähe verwehrt ist, schreiben wir E-Mails, telefonieren und treffen uns per Zoom – oder führen, wie in einem Fall in Chicago, sogar eine öffentliche Trauung in einem Park durch, indem wir einen angemessenen „sozialen Abstand“ von 1 Meter 80 einhalten. Manche Menschen haben vielleicht gedacht, es sei besonders männlich oder stark, auf Kontakt zu anderen verzichten zu können; das bedeutet jedoch nicht, dass es ihnen nicht zutiefst widerstrebt, allein zu sein, wenn sie tatsächlich dazu gezwungen sind.57 Wie dem auch sei: Die dritte und in gewisser Weise wichtigste Art und Weise, wie White seine Behauptungen zum Personsein qualifiziert, ist sein ehrliches Eingeständnis, dass die gesamte Kategorie der „Person“ – selbst wenn man sie so versteht, dass sie Platz für die sozialen Instinkte von Delfinen und ihre fremdartige Intelligenz lässt – unangemessen anthropozentrisch sein könnte.58 Letzten Endes hat Whites Fähigkeit zu staunen jedoch Grenzen. Er kann sich für die fremdartige Weise, etwas zu tun, das auch wir Menschen tun, interessieren und davon beeindruckt sein, doch er wagt sich nicht in die völlig andersartigen Welten von Kreaturen, deren eigener evolutionärer Weg sie zu Fähigkeiten und Formen der Intelligenz geführt hat, die uns weitaus fremder sind – vor allem jene von Vögeln und Fischen. Delfine haben ein Nervensystem, das mit dem unseren in vielerlei Hinsicht vergleichbar ist, und ihre Intelligenz

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ist zwar fremdartig, doch nicht allzu sehr. Vögel haben durch „konvergente Evolution“ zwar bemerkenswerte Fähigkeiten entwickelt (siehe Kapitel 6), doch auf eine Art und Weise, die uns noch viel fremder und in vielerlei Hinsicht rätselhafter erscheint. Aufgrund seiner Bevorzugung der Ähnlichkeit gegenüber der Fremdheit erhält White eine lineare Vorstellung von der Natur aufrecht, in der einige menschenähnliche „Personen“ an der Spitze einer Stufenleiter stehen, statt die ganze Vorstellung der Linearität zugunsten der reichen und staunenswerten Welt, in der wir uns tatsächlich befinden, zu sprengen. Ich freue mich, berichten zu können, dass White kürzlich seinen Standpunkt geändert hat und nun den Fähigkeitenansatz empfiehlt (vgl. die Schlussbetrachtung, S. 356).

Jenseits der Scala Naturae: wundersame und fremde Lebewesen Whites Buch fordert uns dazu auf, die Welt mit den Augen eines Lebewesens zu sehen, das ganz anders ist als wir selbst, mit echter Neugier und einem Sinn für das Erstaunliche seiner wundersamen Lebensform. Das ist ein bemerkenswerter Beitrag zur Ethik, und ich denke, dies sollten wir auch für die gesamte Tierwelt übernehmen. Er schließt seinen Vergleich mit der Aufforderung, bei der Frage, wie wir ein Lebewesen behandeln sollen, zu bedenken, welche Grundbedürfnisse dieses Lebewesen hat und wie diese in seiner charakteristischen Lebensform verwirklicht werden. Erst dann könnten wir entscheiden, ob eine bestimmte Form der Behandlung (z. B. die Gefangenschaft von Delfinen in Zoos) angemessen ist oder nicht.59 Genau diese Fragen zu stellen, und zwar in Bezug auf alle empfindungsfähigen Tiere, ist die Forderung meines eigenen Ansatzes. Whites Darstellung ist faszinierend und ergreifend, doch schlichtweg zu eng gefasst. Letztlich glaube ich nicht, dass White uns gute Gründe dafür gegeben hat, diese Untersuchung auf Kreaturen zu beschränken, die uns sehr ähnlich sind. Der Begriff der Person, wie weit er auch immer gefasst sein mag, ist auf eine unzulässige Weise anthropozentrisch. Zugegebenermaßen ist es viel einfacher, solche Fragen zu stellen und zu beantworten, wenn es sich um Lebewesen handelt, die uns recht ähnlich, aber in mancher Hinsicht fremd sind. Doch die Schwierigkeit, dieser Frage weiter nachzugehen, sollte uns nicht davon abhalten, den Versuch zu unternehmen, und zwar mit der Art von Bescheidenheit, Neugier und Hingabe an die Fakten,

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wie White sie an den Tag legt. Das epistemische Problem löst unsere normative Frage nach der besten Vorgehensweise und dem besten Gesamtrahmen nicht. Wenn es möglich ist, sich vorzustellen, wie seltsam die menschliche Wahrnehmung für einen Delfin aussehen mag, dann sollte es auch möglich sein, intensiv und einfallsreich darüber nachzudenken, wie sich die Welt Vögeln, allen Säugetieren und sogar Fischen darstellt. Natürlich ist jede sprachliche Darstellung eine Verzerrung. Doch wir kennen dieses Problem aus unseren eigenen Studien über die Wahrnehmung von Säuglingen oder aus unseren Versuchen, für eine visuelle oder musikalische Erfahrung Worte zu finden. Wie dem auch sei: Das Medium für philosophische und wissenschaftliche Untersuchungen ist nun einmal die Sprache, sodass die „stotternde Übersetzung“ (wie der Komponist Gustav Mahler seine eigenen Versuche bezeichnete, seine Musik in Worten zu beschreiben) unternommen werden muss. Es ist nicht klar, warum das nicht für die gesamte Tierwelt möglich sein sollte, wenn wir dabei vorsichtig, bescheiden und einfallsreich vorgehen. Wir haben nun eine theoretische Konzeption von Tierrechten und Tiergerechtigkeit untersucht, die nicht nur einflussreich ist, sondern auch mehr als alle anderen den ungeprüften Gedanken der meisten Menschen entspricht, die in westlichen Kulturen aufgewachsen sind. Diese Konzeption hat Scheuklappen. Ohne Neugier und mit beträchtlichem, ungerechtfertigtem Narzissmus ordnet und bewertet sie andere Wesen. Wenden wir uns nun einer Sichtweise zu, die eine mächtige Herausforderung für diese Auffassung darstellt, und zwar, indem sie die gemeinsame Schmerzempfindlichkeit aller Tiere hervorhebt.

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Im späten 18. Jahrhundert veröffentlichte der berühmte britische Utilitarist Jeremy Bentham (1748–1832) einen deutlichen Appell. Er verglich die damalige Behandlung anderer Tiere mit der Sklaverei und sagte, die richtige Frage, die man bezüglich der Tiere stellen müsse, sei nicht: „Können sie vernünftig denken?“, sondern: „Können sie leiden?“ Für Bentham sind Lust und Schmerz die ausschlaggebenden ethischen Tatsachen, auf die sich alle anderen zurückführen lassen. Ferner ist für ihn die Lustempfindung einheitlich und variiert nur hinsichtlich ihrer Quantität, ihrer Intensität und Dauer, jedoch nicht hinsichtlich ihrer Qualität. Ziel einer rationalen Politik sollte es sein, die Nettobilanz von Lust- gegenüber Schmerzempfindungen im Universum zu maximieren. Bentham war auch nicht der einzige Utilitarist, der sich mit dem Leiden der Tiere befasste. Sein Schüler und Nachfolger John Stuart Mill (1806–1873) leistete bedeutsame Beiträge zu dieser Frage, auch wenn seine Gesamtauffassung in entscheidenden Punkten von derjenigen Benthams abwich; er hinterließ sein Vermögen der Society for the Prevention of Cruelty to Animals [Gesellschaft zur Verhinderung von Tierquälerei]. Der angesehene viktorianische Philosoph Henry Sidgwick (1838–1900), der zu den Ansichten Benthams zurückkehrte und Mills Kritik zurückwies, entwickelte die philosophischen Aspekte von Benthams Auffassungen weitaus konsequenter fort, allerdings ohne dabei den Tieren besondere Aufmerksamkeit zu widmen. In unserer Zeit gehört der Utilitarist Peter Singer (geb. 1946), der den Ideen von Bentham und Sidgwick sehr nahe steht, zu den führenden Denkern, die sich mit der Frage der Tierquälerei auseinandergesetzt haben, und zwar in seinem berühmten Buch Animal Liberation1 sowie in zahlreichen anderen wissenschaftlichen Veröffentlichungen. In diesem Kapitel werde ich den einflussreichen Ansatz der Utilitaristen zum Schutz der Tiere untersuchen – mit Bewunderung und viel wohlwollender Zustimmung, jedoch auch mit erheblicher Kritik. Der utilitaristische Ansatz verdient enormen Respekt für seine große Sensibilität gegenüber dem Leiden der Tiere. Er scheint das Gegenteil des „Uns-

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so-ähnlich“-Ansatzes zu sein, den ich im vorigen Kapitel kritisiert habe, und in einer Hinsicht ist er das auch: in seinem Angriff auf die Arroganz der menschlichen Spezies. In anderer Hinsicht weisen die beiden Ansätze allerdings einen gemeinsamen Fehler auf. Beide verkennen, dass die Welt der Tiere von überraschender Vielfalt und Verschiedenheit ist. Eine sorgfältige Beobachtung zeigt weder eine „Stufenleiter“ noch eine einzige homogene Natur, sondern stattdessen eine große Komplexität ineinandergreifender Aktivitäten, die zu jeder tierischen Lebensform gehören. Beiden Ansätzen fehlt es am Staunen, an einer Neugier mit weit geöffneten Augen. Der erste Ansatz ist bereit, lediglich ein Muster zu sehen, nämlich das der menschlichen Lebensform; der zweite Ansatz, den wir als Ansatz des „kleinsten gemeinsamen Nenners“ bezeichnen könnten, lässt nur einen Aspekt des tierischen Lebens gelten.

Benthams Fußnote Bentham war bekanntlich der Ansicht, dass die einzigen wichtigen ethischen Fakten Lust und Schmerz seien. Er bestand nachdrücklich darauf, dass Lust und Schmerz nicht in ihrer Qualität variieren, sondern lediglich in verschiedenen quantitativen Dimensionen (von denen Dauer und Intensität die wichtigsten sind). Ziel jedes einzelnen empfindungsfähigen Wesens sei die Maximierung des Nettowerts der Lustempfindungen,2 und dies sollte auch so sein. Das Ziel einer vernünftigen Gesellschaft sollte die Maximierung des Nettowerts der Lustempfindungen aller ihrer Mitglieder sein. Das – und nichts anderes – bedeutet Glück. Aber um welche Mitglieder handelt es sich hier? Erst relativ spät, in Principles of Morals and Legislation, geht Bentham auf diese äußerst wichtige Frage ein.3 Ethik und Recht, so fordert er, sollten sich mit allen Lebewesen befassen, die in seinem Sinne „des Glückes fähig“ sind. Dabei handelt es sich „um zwei Arten“: erstens um „Menschen, die als Personen bezeichnet werden“,4 und zweitens um „andere Tiere, die aufgrund der Vernachlässigung ihrer Interessen durch die mangelnde Sensibilität der antiken Rechtsgelehrten in die Klasse der Dinge herabgestuft wurden“.5 Bentham lehnt also die herkömmliche Unterscheidung zwischen (menschlichen) Personen und Dingen ab; er lehnt die Degradierung der Tiere in die letztere Klasse ab und damit offenbar auch die Vorstellung, sie seien Besitztümer. Er behauptet nicht, andere Tiere seien Personen, doch die

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Textpassage legt eindeutig nahe, dass die richtige Klasse Menschen und Tiere umfassen muss. An dieser Stelle hat er dann eine berühmte Fußnote angefügt. Sie wird oft auszugsweise zitiert, verdient es aber, im vollen Wortlaut wiedergegeben zu werden: In den Religionen der Gentoo [Hindus] und der Mahometaner [Muslime] scheinen die Interessen der übrigen tierischen Geschöpfe eine gewisse Beachtung gefunden zu haben. Warum hat man im Allgemeinen nicht so viel Rücksicht auf den Unterschied in der Empfindungsfähigkeit genommen wie bei den menschlichen Geschöpfen? Weil die bestehenden Gesetze das Ergebnis gegenseitiger Furcht waren  – ein Gefühl, das die weniger vernünftigen Tiere nicht wie der Mensch für sich nutzen konnten. Warum hätten sie es nicht tun sollen? Es kann kein Grund dafür angeführt werden. Wäre das Gefressenwerden alles, so gäbe es einen sehr guten Grund, aus dem man uns erlauben sollte, so viel von ihnen zu essen, wie wir essen wollen: Uns bringt es Vorteile und ihnen keine Nachteile. Sie haben keine dieser sich lang hinziehenden Vorahnungen künftigen Elends, die wir haben. Der Tod, den sie von unserer Hand erleiden, ist in der Regel  – das ist immer möglich – ein schnellerer und damit weniger schmerzhafter als derjenige, der sie im unvermeidlichen Lauf der Natur erwarten würde. Wäre das Getötetwerden alles, so gäbe es sehr gute Gründe, aus denen man es uns erlauben sollte, diejenigen zu töten, die uns eine Last sind: Wir wären schlechter dran, wenn sie lebten, und sie sind niemals schlechter dran, wenn sie tot sind. Aber gibt es irgendeinen Grund, aus dem es uns erlaubt sein sollte, sie zu quälen? Keinen, den ich nennen könnte. Gibt es einen Grund, aus dem es uns nicht erlaubt sein sollte, sie zu quälen? Ja, es gibt mehrere. [Bentham bezieht sich hier auf ein anderes eigenes Manuskript.] Es gab eine Zeit – und ich bedaure sagen zu müssen, dass sie vielerorts noch nicht vorüber ist –, zu der der größere Teil unserer Art unter der Bezeichnung „Sklaven“ durch das Gesetz genau so behandelt wurde, wie zum Beispiel in England die minderwertigen Tierrassen heute noch immer behandelt werden. Es könnte die Zeit kommen, in welcher der Rest der tierischen Schöpfung jene Rechte erlangt, die ihnen allein durch die Hand der Tyrannei vorenthalten wurden. Die Franzosen haben bereits entdeckt, dass die Hautfarbe kein Grund ist, ein menschliches Wesen schutzlos der Willkür eines Peinigers zu überlassen. Vielleicht wird man eines Tages

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erkennen, dass die Anzahl der Beine, die Zottigkeit des Fells oder das Ende des Kreuzbeins ebenfalls keine ausreichenden Gründe dafür sind, ein empfindungsfähiges Wesen demselben Schicksal zu überlassen. Wie sonst könnte man die unüberwindliche Grenze ziehen? Ist es die Fähigkeit der Vernunft oder etwa die Fähigkeit, eine Unterhaltung zu führen? Ein ausgewachsenes Pferd oder ein ausgewachsener Hund sind unvergleichlich vernünftigere und gesprächigere Tiere als ein Säugling von einem Tag, einer Woche oder sogar einem Monat. Aber wenn wir annehmen, die Dinge lägen anders: Was würde es nützen? Die Frage ist nicht: Können sie denken? Ebenso wenig: Können sie sprechen? Sondern: Können sie leiden?6

Schockierenderweise besteht Bentham darauf, dass die Tiere, rechtlich gesehen, gemeinsam mit den Menschen behandelt werden sollten (sei es unter dem Begriff der Person oder, was wahrscheinlicher ist, unter einem neuen Begriff, der die gemeinsame Verletzlichkeit hervorhebt). Sie sollten nicht als Dinge oder Besitztümer behandelt werden, und ihre Interessen sollten mit der gleichen Aufmerksamkeit wie diejenigen der Menschen wahrgenommen werden, „unter Berücksichtigung des Unterschieds in der Empfindungsfähigkeit“.7 Damit diese Einschränkung nicht den Anschein erweckt, sie nehme das meiste von dem, was er gesagt hat, zurück, erklärt Bentham uns recht deutlich, was sie bedeutet: Ähnliche Interessen sollten ähnlich behandelt werden, wobei etwas, das für die Interessen eines Lebewesens irrelevant ist, bei der Abwägung seiner Bedürfnisse keine Rolle spielen sollte. An anderer Stelle stellt er folgendes Gebot auf: Jedes Geschöpf sollte gleichwertig sein und keins mehr zählen als ein anderes. Hier und in anderen Texten räumt Bentham allerdings einen Unterschied in Bezug auf die Zulässigkeit des Tötens ein. Andere Tiere haben (seiner Meinung nach) aufgrund der anderen Beschaffenheit ihres Bewusstseins kein vergleichbares Interesse daran, nicht getötet zu werden, da sie ihren eigenen Tod nicht vorhersehen und antizipieren können. Sie leben in der Gegenwart, weshalb ein schmerzloser Tod für sie kein Unrecht bedeutet. Ich stimme einem Teil dieses Grundsatzes zu, bestreite aber, dass er auf die meisten Tiere zutrifft. Ferner besteht Bentham – zu Recht – darauf, dass für andere Tiere wie für den Menschen der Grundsatz der Selbstverteidigung gilt: Wir dürfen tödliche Gewalt anwenden, wenn Tiere uns schweres Leid zuzufügen drohen. Diese Behauptungen werden uns in Kapitel 7 noch beschäftigen. Der Hauptgedanke ist jedoch, dass dort, wo ähnliche Interessen bestehen, auch deren Berücksichtigung durch das

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Gesetz ähnlich sein sollte, und das bedeutet, dass wir Tieren – ebenso wenig wie Menschen  – weder vorsätzlich noch fahrlässig Schmerzen zufügen dürfen. Auch wenn Bentham an anderer Stelle die Idee von Rechten herabmindert, macht er sie hier doch geltend: Tiere haben Rechte, die sie vor grausamer Behandlung schützen, unabhängig davon, ob das Gesetz diese Rechte anerkannt hat oder nicht. Als Nächstes stellt sich Bentham einem fiktiven Gesprächspartner, der eine Version der Scala-Naturae vertritt und auf körperliche Unterschiede als Zeichen eines unterschiedlichen moralischen Status verweist. Bentham zeigt zunächst auf, dass wir im Falle der Sklaverei mittlerweile die Vorstellung ablehnen, dass ein körperlicher Unterschied eine „Grenzlinie“ im Wesen bedeutet. Auf gleiche Weise, so sagt er voraus, werden wir letztlich die Vorstellung ablehnen, dass die körperlichen Merkmale nicht menschlicher Tiere eine solche „Grenzlinie“ begründen. Im Verlauf des erdachten Gespräches beruft sich das Gegenüber nun auf die „Vernunft“ und das Führen einer „Unterhaltung“ als die echten Begründungen für das Ziehen einer solchen „Grenzlinie“ zwischen uns und den Tieren, einer „Grenzlinie“, die angeblich eine grausame Behandlung erlaubt. Bentham leugnet zunächst die Existenz einer solchen scharfen Grenze: Manche Tiere seien vernünftiger als manche Menschen. Doch dann gibt er seine eigentliche Antwort: Es spielt keine Rolle. Die ausschlaggebende moralische Tatsache ist nicht die Fähigkeit zu denken, sondern die Fähigkeit zu leiden. Benthams Interesse an Tieren war echt, wie zahlreiche von seinem ihm treu ergebenen Herausgeber John Bowring (1792–1872) gesammelte Bemerkungen belegen. Er zeigte eine Vorliebe für eine Vielzahl von Tieren, darunter Katzen, Esel, Schweine und Mäuse. Er unterhielt eine Freundschaft mit einem Schwein, das ihm auf seinen Spaziergängen zu folgen pflegte. Eine Katze, die er „Reverend John Langborn“ nannte, aß mit ihm am Tisch Makkaroni. Er liebte es, wenn Mäuse in seinem Arbeitszimmer spielten und Krümel von seinem Schoß fraßen. „Ich liebe alles, was vier Beine hat“, schrieb er. Mit Schrecken erinnerte er sich an die Grausamkeiten, die er selbst als Kind Tieren angetan hatte, und an die heilsame Wirkung, die das Tadeln seines Onkels auf ihn hatte.8 Sicherlich war Bentham nicht der extremste Verfechter des viktorianischen Tierschutzes: Andere Denker traten für ein völliges Verbot der Verwendung von Tieren zur Herstellung von Lebensmitteln oder für Kleidungsstücke ein.9 Er verteidigte jedoch die Grenzen seiner Argumentation (siehe Kapitel 7) und behauptete wiederholt, dass dort, wo es ähnliche Interessen gibt, auch die recht-

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lichen Bedenken ähnlich sein sollten. Für die meisten von Benthams Zuhörern waren diese Forderungen radikal. Der christliche Prälat William Whewell war ein scharfer Kritiker dieses Radikalismus. Wie wir noch sehen werden, widerlegte Mill seine Kritik auf elegante Weise.

Benthams antiviktorianischer Radikalismus Bentham war jedoch noch radikaler. Wie erst in jüngster Zeit durch die Veröffentlichung von Werken, die zu seinen Lebzeiten nicht erschienen sind, deutlich wurde, stellte er den puritanischen Hass der britischen Moral auf körperliche Lust und unsere menschliche Animalität kühn infrage – denn jene Haltung brachte die viktorianische Verachtung für Tiere hervor, die er ablehnte. Da auch wir unsere häufig negative Einstellung zu unserer eigenen Animalität hinterfragen sollten, ist dieser Zusammenhang heute von großer Bedeutung. Vor allem in dem erst 2013 erschienenen Buch Not Paul But Jesus, einer radikalen Neuinterpretation der christlichen Ethik,10 verkündet Bentham, sämtliche Lust- und Schmerzempfindungen hätten den gleichen Wert, unabhängig von ihrer Quelle, und greift die Vorstellung an, einige Freuden seien „besser“ und andere „niedriger“. Er beharrt darauf, dass Jesus sexuellem Vergnügen sicher nicht abgeneigt war und dass allein die Heuchelei der herrschenden Gruppe vorgeschrieben hat, dass nur eheliche Sexualität gut ist, während andere Arten schlecht sind und eine strafrechtliche Verfolgung verdienen. So führt Bentham eine Reihe bemerkenswerter und schlagkräftiger Argumente für die Entkriminalisierung gleichgeschlechtlichen Verhaltens und für eine größere sexuelle Autonomie der Frauen an. Vor allem aber fordert er seine Leser auf, den Hass auf den Körper abzulegen, der die viktorianische Kultur so stark prägt. Von Benthams Standpunkt aus können wir eine bedeutsame Wahrheit erkennen: Ein großer Teil der Verunglimpfung anderer Tiere durch den Menschen geht auf Selbsthass und Angst zurück. Weil uns unsere eigene animalische Natur beunruhigt, ekelt und ängstigt, bezeichnen wir diesen Teil von uns selbst als schlecht und projizieren eine ähnliche Verachtung und Abscheu auf den Rest des Tierreichs – ebenso wie auf sozial untergeordnete Gruppen, die wir irrationalerweise für animalischer halten als uns selbst. Puritanismus und Verachtung für andere Tiere verstärken sich gegenseitig, und Speziesismus [Diskriminierung aufgrund von Artzugehörigkeit] sowie andere Übel

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wie Rassismus, Sexismus und Homophobie haben möglicherweise einen gemeinsamen Ursprung. Bentham forderte also nicht nur eine bessere Behandlung der Tiere – er verfolgte unsere schlechte Behandlung anderer Tiere bis zu ihrem Ursprung und forderte uns dazu auf, uns selbst mutig zu hinterfragen.

Schwierigkeiten: Qualität, Aktivität, Identität Der Utilitarismus ist erfrischend radikal, und seine Ideen waren ausschlaggebend für viele Fortschritte in jüngster Zeit bei der Begrenzung menschlicher Grausamkeit gegenüber den Tieren. Leiden ist ein weitreichendes Faktum im Leben der Tiere. Den Utilitaristen ist diesbezüglich Recht zu geben, und sie sind mutig, wenn sie dies hervorheben  – auch wenn Bentham dabei wahrscheinlich vor allem an körperliches Leiden und nicht an seelische Qualen dachte. Er bestand nicht darauf – wie er es hätte tun sollen –, dass Tiere über eine komplexe Psyche verfügen und seelische Qualen sowie Frustrationen erleiden können. Benthams tiefsinniger Angriff auf die viktorianischen Ansichten macht seine Argumente für zeitgenössische Verfechter von Tierrechten bedeutsam, unabhängig davon, ob wir mit seinen spezifischen Vorschlägen einverstanden sind oder nicht. In mehrfacher Hinsicht ist seine Sichtweise allerdings zu einfach. Erstens bietet Bentham keine Erklärung für Lust und Schmerz, und er erkennt nicht einmal an, dass es eine diesbezügliche philosophische Frage gibt, wie Mill hervorhebt. Ferner beweist er sicher nicht, dass sämtliche Freuden und Schmerzen von gleicher Qualität sind. Die griechischen und römischen Philosophen der Antike debattierten heftig darüber, was Vergnügen eigentlich ist: Ist es ein Gefühl? Ist es eine Art, aktiv zu sein (ohne Stress oder Hindernisse)? Oder ist es – was vielleicht am plausibelsten ist – ein Gefühl, das sehr eng mit Aktivität verbunden ist, sodass wir es nicht davon trennen und für sich bemessen können? Das Vergnügen, eine köstliche Mahlzeit zu essen, scheint sich sehr von dem Vergnügen zu unterscheiden, ein geliebtes Kind im Arm zu halten, und beide unterscheiden sich von dem Vergnügen, zu lernen und zu studieren – und so weiter. Aristoteles hat überzeugend dargelegt, dass Freude etwas ist, das zur Tätigkeit „hinzukommt“, so „wie die Frische auf der Wange“ eines gesunden jungen Menschen. Mit anderen Worten: Sie ist sehr eng mit der Tätigkeit verbunden; man kann

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sie nicht erleben, ohne dieser Tätigkeit nachzugehen. Wenn das jedoch zutrifft, dann steckt das gesamte Projekt der Maximierung des Nettowertes von Freude und Vergnügen von Anfang an in Schwierigkeiten. Haben wir diese qualitativen Unterschiede erkannt, dann müssen wir wohl auch herausfinden, welche Freuden es wert sind, gefördert zu werden: Die Vorstellung, alle seien gleich viel wert, ist zweifelhaft. Viele Menschen empfinden Vergnügen an Grausamkeit, andere am Anhäufen von grenzenlosem Reichtum. Möglicherweise handelt es sich dabei nicht um die Freuden, denen der Vorzug gegeben werden sollte, wenn man eine anständige Gesellschaft gestalten will. Dieses Thema ist von größter Bedeutung, wenn es um die Beziehungen zwischen dem Menschen und den Tieren geht. Im Laufe der gesamten überlieferten Geschichte haben viele – wenn nicht sogar die meisten – Menschen Vergnügen an der Herrschaft über andere Tiere empfunden, ebenso wie an vielen Praktiken – von der Massentierhaltung bis zur Pelzindustrie –, die Tieren ein elendes Leben auferlegen. Würden all diese Vergnügen im sozialen Kalkül als positiv gelten, dann dürfte es für Utilitaristen schwer sein, überzeugend dafür zu argumentieren, dass diese Praktiken abgeschafft werden sollten. Doch warum in aller Welt sollten sie als positiv gelten? Wir können Benthams Grund dafür, dass er diese Fragen ignorierte, respektieren – er war intensiv darum bemüht, eine bestimmte viktorianische Hierarchie der Vergnügungen zu untergraben. Dennoch müssen wir darauf bestehen, dass er eine grundlegende Frage außer Acht gelassen hat. Doch selbst wenn wir diese grundsätzliche Frage für einen Moment beiseitelassen, weist Benthams Kalkül weitere Probleme auf. Das gesellschaftliche Ziel ist für Bentham ein Gesamtergebnis: entweder eine Summe oder ein Durchschnittswert. Die Verteilung von Lust und Schmerz bleibt unberücksichtigt. Gute Gesamtergebnisse können auf unterschiedliche Weise erzielt werden, wobei einige mit großem Elend für diejenigen verbunden sind, die am unteren Ende der sozialen Hierarchie stehen. In Benthams Theorie gibt es keine Möglichkeit, den am wenigsten Begüterten besondere Aufmerksamkeit zu schenken, deren Status für Menschen, denen es um gleiche oder selbst nur angemessene Entfaltungsmöglichkeiten für alle geht, von größter Bedeutung ist. Das Problem des Gesamtergebnisses ist sogar noch beunruhigender, wenn man das Ziel als Gesamtvergnügen, nicht als durchschnittliches Vergnügen versteht: Denn dieses Ziel könnte es rechtfertigen, Lebewesen – gleich welcher Art – in die Welt zu setzen, deren Leben extrem unglücklich ist, solange diese Leben nur eine geringe Nettobilanz

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von Vergnügen im Verhältnis zu Schmerzen aufweisen. (Könnte dies nicht auf viele von der Lebensmittelindustrie erzeugte Tierleben zutreffen?) Eine andere Art, das Problem des utilitaristischen Gesamtergebnisses zu betrachten, wurde von Christine Korsgaard auf subtile Weise angesprochen. Sie argumentiert plausibel, dass die Utilitaristen bei der Berechnung des Gesamtergebnisses die Bedeutung individueller Leben missachten.11 Bentham scheint zu behaupten, dass allein der Umfang des Vergnügens in der Gesellschaft wichtig ist. Einzelne Lebewesen zählen lediglich als Gefäße für Vergnügen oder Befriedigung. Könnten wir ein Individuum durch ein anderes ersetzen, das nur ein winziges Maß an zusätzlichem Vergnügen „enthält“, so sollten wir dies tun. Kurzum: Die Gesellschaft ist den einzelnen empfindungsfähigen Wesen gegenüber zu keinerlei Rechenschaft verpflichtet. Diese Betrachtungsweise respektiert sie nicht. Sie sind wie Gefäße, in die man mehr oder weniger viel Vergnügen gießen kann, aber die Tatsache, dass sie es sind – jedes einzelne ein Wesen, das nur ein Leben zu leben hat –, spielt überhaupt keine Rolle. Vielleicht lässt sich eine utilitaristische Sichtweise entwickeln, die diesen Einwand entkräftet: Ich denke, der Ansatz von Mill leistet dies. Es ist jedoch klar, dass Bentham diesen Einwand nicht einmal in Erwägung gezogen hat, geschweige denn, dass er darauf eingegangen wäre. Ein anderes Problem ergibt sich, wenn wir bedenken, dass sämtliche Tiere fähig sind, sich an widrige Bedingungen anzupassen. Menschen lernen manchmal, Demütigungen und Entbehrungen nicht als schmerzlich zu erleben, und zwar durch einen Prozess, der als „Anpassung“ und Entwicklung „adaptiver Präferenzen“ bekannt ist.12 Manche Anpassungen sind harmlos: Wenn wir erwachsen werden, hören wir auf, uns darüber zu ärgern, dass wir nicht fliegen können, und wir gewöhnen uns an unseren zweibeinigen Zustand. Manche Anpassungen spiegeln jedoch auch die schädliche Tyrannei sozialer Gepflogenheiten wider. Frauen in sexistischen Gesellschaften lernen häufig, Dinge nicht zu wollen, die ihnen von der Gesellschaft verwehrt werden, wie höhere Bildung, sexuelle Autonomie und volle politische Teilhabe. Auch bei Tieren besteht dieses Problem: Beispielsweise empfinden Tiere, die von Geburt an in Zoos aufgezogen werden, möglicherweise keinen Schmerz und keine Unzufriedenheit angesichts ihrer fehlenden Bewegungsfreiheit oder der fehlenden Gesellschaft von Artgenossen, da sie diese Dinge nie erfahren haben und da sie, wie Frauen, von ihren Wärtern für Gefügigkeit belohnt und für Protest und Aggression bestraft werden.

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Darüber hinaus gibt uns Benthams Darstellung nur eine sehr eingeschränkte Vorstellung von dem, was im Leben von Tieren (einschließlich der menschlichen Tiere) wichtig ist: Sie betrifft nur behagliches Vergnügen (als ein qualitativ homogenes Gefühl) und das Vermeiden von Schmerz. So bleibt kein Raum für den besonderen Wert der freien Bewegung, der Gesellschaft und der Beziehungen zu anderen Mitgliedern der eigenen Art, der sinnlichen Stimulation sowie eines angenehmen und geeigneten Lebensraums. In diesem Punkt stimmen Benthams Auffassungen mit dem „Uns-so-ähnlich“-Ansatz überein: Beide Sichtweisen weigern sich, die zahlreichen komplexen Formen von Leben, die Tiere tatsächlich führen, umfassend zu bedenken und positiv zu bewerten. Vergnügen und Schmerz sind nun einmal nicht die einzigen relevanten Aspekte, wenn es darum geht, die Chancen eines Tieres, sich vollständig zu entwickeln, zu beurteilen. Es gibt auch eine Frage der Aktivität. Wie wir gesagt haben, betrachtet Bentham Vergnügen als ein Gefühl. Dieses Gefühl wird typischerweise durch eine Tätigkeit hervorgerufen: Die Freude am Essen wird durch das Essen hervorgerufen, die Freude der Freundschaft durch das Führen einer Freundschaft. Aber natürlich kann es auch auf andere Weise hervorgerufen werden, und im Gegensatz zu Aristoteles sind in Benthams Konzept das Vergnügen und die Tätigkeit nicht eng miteinander verbunden. Aktivität ist jedoch für Lebewesen wichtig. Der Philosoph Robert Nozick stellt sich eine „Erlebnismaschine“ vor: An diese Maschine angeschlossen, hätte man den Eindruck, dass man isst, sich mit Freunden unterhält und so weiter, und man würde das Vergnügen, das mit diesen Beschäftigungen verbunden ist, empfinden  – allerdings ohne irgendetwas zu tun.13 Nozick wettet darauf, dass die meisten Menschen eine Erlebnismaschine ablehnen würden, da es für sie wichtig ist, Urheber ihrer eigenen Handlungen zu sein und nicht nur der Erfahrungen, die sie machen. Dasselbe gilt auch für Tiere. Die meisten Tiere lieben es, etwas zu tun; für sie ist es wichtig, der Urheber ihrer Aktivitäten zu sein. Der utilitaristische Ansatz hat Mühe, dies zu erklären.14 Wir sollten die mutige Ausrichtung des Utilitarismus auf das Leiden und seine ebenso mutige Anerkennung der weitgehenden Gemeinsamkeiten zwischen dem Menschen und anderen Tieren für uns übernehmen. Wir sollten auch Benthams radikalen Angriff auf das elitäre viktorianische Denken und die Prüderie in Bezug auf körperliches Vergnügen in irgendeiner Form übernehmen. Doch hat ein Utilitarist, der seine Sichtweise neu formulieren will, sodass diese lange Liste von Einwänden entkräftet wird, sehr viel Arbeit vor sich.

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Benthams Nachfolger: Sidgwick und Singer Der viktorianische Philosoph Henry Sidgwick war ein bemerkenswert kenntnisreicher und gründlicher Philosoph, dessen monumentales Werk The Methods of Ethics15 von allen, die sich für gelingendes Leben interessieren, eingehend studiert werden sollte – unabhängig davon, ob sie den utilitaristischen Ideen zustimmen oder nicht. Mit seiner sorgfältigen Verteidigung des Utilitarismus gegen zahlreiche Einwände (einschließlich derjenigen von J. S. Mill, auf die ich im folgenden Abschnitt eingehen werde) gelingt es Sidgwick sehr viel besser als Bentham, die philosophische Stärke dieser Auffassung zu demonstrieren. Wie Bentham war auch Sidgwick ein Aktivist, ein Pionier der Hochschulbildung für Frauen. Mit seiner Frau Eleanor gründete er das Newnham College in Cambridge, eine der ersten Einrichtungen in Großbritannien, die Frauen Universitätsabschlüsse anbot.16 Ich gehe aus drei Gründen nicht näher auf seine Ideen ein. Erstens antwortet Sidgwick nirgendwo angemessen auf die Kritikpunkte an Benthams Theorie, die ich vorgebracht habe. Die meisten von ihnen zieht er nicht einmal in Betracht. Zweitens geht Sidgwick niemals auf Tiere und ihre Ansprüche ein, obwohl einzelne Äußerungen darauf hindeuten, dass er davon ausging, seine Theorie sei auch auf sie anwendbar. Drittens ist der bedeutendste von Benthams direkten Nachfolgern, Peter Singer, ein wichtiger Theoretiker der Rechte von Tieren, was Sidgwick nicht war. Da Singer außerdem ein Kenner von Sidgwicks Philosophie ist und diese als Grundlage für seine eigenen Ideen betrachtet, können wir Sidgwicks Version der Auffassungen Benthams untersuchen, indem wir uns mit Singer beschäftigen.17 In der Geschichte der Tierrechtsbewegung ist Peter Singer zweifellos einer ihrer wichtigsten Protagonisten. Sein Buch Die Befreiung der Tiere war mit seinem lebendigen Schreibstil und seinen klaren Argumenten ein Weckruf an die Welt. Im Gegensatz zu Bentham, der seine wichtigsten Beobachtungen in einer Fußnote in einem Buch über die Bestrafung von Kriminellen unterbrachte, und zu Mill, der seine Beobachtungen zu diesem Thema auf eine Antwort in einer Zeitschrift beschränkte, wandte sich Singer mit der Beschreibung all der Schrecken, welche die Behandlung der Tiere durch den Menschen bereithält, direkt an die Öffentlichkeit. Singer ist auch ein gewandter Philosoph, der mit den Einwänden gegen seine Ansichten geschickt umzugehen weiß.18 Auch wenn das, was er äußert, nicht jeden zufriedenstellen wird, so äußert er wenigstens etwas über Dinge, über die Bentham praktisch schwieg.

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Wie Bentham ist auch Singer entschieden gegen eine Einstufung von einigen Leben als wertvoller als andere. Er argumentiert ausführlich gegen den Speziesismus, aber da ich meine eigenen Argumente zu diesem Punkt bereits dargelegt habe, muss ich seine nicht noch einmal wiedergeben. Wie Bentham besteht auch Singer darauf, dass alle Interessen gleich behandelt werden müssen. Der Grundsatz der gleichen Berücksichtigung besagt dabei nicht, dass alle Lebewesen gleich behandelt werden müssen, da die Interessen der Lebewesen unterschiedlich sein können. Vielmehr schreibt er vor, dass ähnliche Interessen ähnlich zu behandeln sind. Dies ist ein wichtiger Punkt der Übereinstimmung zwischen Singers Version von Benthams Auffassungen und meinen eigenen. Singer ist ein Aktivist, der intellektuelle Konvergenz anstrebt, um die Sache der Tierrechte voranzubringen. Er weist darauf hin, dass er in populären Schriften wie Die Befreiung der Tiere keine Zustimmung zu seiner Version des Utilitarismus voraussetzt, sondern so argumentiert, dass ihm auch Menschen mit anderen, ähnlichen Ansichten zustimmen könnten.19 Ich glaube, dass Konvergenz ein wichtiges Thema ist, und werde es in Kapitel 5 und in meiner Schlussbetrachtung erörtern. Singer und ich sind uns jedoch auch darin einig, dass die philosophische Auffassung ihrem Gegenstand gerecht werden muss. Es gibt noch zwei weitere Punkte, in denen Singers Ansicht mit meiner eigenen konvergiert. Zum einen besteht er darauf, dass die Empfindungsfähigkeit oder bewusste Aufmerksamkeit eine wichtige Trennlinie in der Natur darstellt und dass in einer Theorie der Gerechtigkeit Tiere ohne Empfindungsfähigkeit (er erörtert die Fälle, über die ich in Kapitel 6 nachdenken werde) sowie Pflanzen keine angemessenen Gegenstände moralischen Interesses sind, obwohl sie durchaus angemessene Gegenstände anderer Arten von Rücksicht sein können. Die andere (teilweise) Konvergenz unserer Auffassungen betrifft die Unrechtmäßigkeit des Tötens. Wie Bentham ist auch Singer der Ansicht, dass es zulässig ist, ein Lebewesen zu töten, das vollständig in der Gegenwart lebt. Er hat jedoch eine unplausible Vorstellung davon, welche Tiere zu dieser Gruppe gehören; für ihn sind es die meisten Tiere.20 In Kapitel 7 stimme ich einem diesem ähnlichen Prinzip zu, allerdings mit einer sehr anderen Auffassung darüber, welche Lebewesen tatsächlich in der Gegenwart leben (in meiner Sichtweise nur sehr wenige). So viel zu Singers Übereinstimmung mit Bentham. Kommen wir allerdings zu den Einzelheiten von Singers Auffassung, so beginnen sich erhebliche Abweichungen abzuzeichnen.

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Bentham scheint Lust und Schmerz für objektive Tatsachen in der Welt zu halten, die ein Wissenschaftler messen könnte. So wurde er von Sidgwick verstanden, dem Singer sich später anschließen wird. Zu Beginn seiner Karriere konzentrierte sich Singer jedoch nicht auf die Fakten von Lust und Schmerz, sondern auf die subjektiven Präferenzen der Menschen, und seine Version des utilitaristischen Ziels war die Maximierung der tatsächlichen Befriedigung von Präferenzen. Obwohl sich diese Sichtweise scheinbar von derjenigen Benthams unterscheidet – und auch tatsächlich von ihr verschieden ist –, lassen sich sämtliche Einwände, die ich gegen Bentham vorgebracht habe, auch gegen diesen Ansatz vorbringen. Erstens spielt Verteilung in Singers Kalkül keine bedeutsame Rolle. Er muss sich einfach darauf verlassen, dass die Verringerung der Tierquälerei tatsächlich zur Maximierung der reinen Befriedigung von Präferenzen beiträgt. Das ist schwierig, denn für Bentham  – und vermutlich auch für Singer  – ist die Intensität ein wichtiger Faktor bei der Bewertung von Erfahrungen, und es ist schwer auszuschließen, dass Menschen eine sehr intensive Befriedigung aus dem Verzehr von Fleisch ziehen, was möglicherweise die Schmerzen vieler Tiere aufwiegen würde. Die Kalkulation ist an diesem Punkt vollkommen undurchsichtig und nicht sehr nützlich. Ebenso wenig erkennt Singer, so lautet mein zweiter Einwand, irgendwelche qualitativen Unterschiede zwischen Befriedigungen an. Wie Bentham und Sidgwick ist er im Gegensatz zu Mill entschlossen, nur eine einzige Kalkulation anzuwenden. Ob Singer adaptive Präferenzen diskutiert hat, ist mir nicht bekannt. Doch er würde sich vermutlich darauf versteifen zu sagen, dass eine Befriedigung eine Befriedigung ist, unabhängig von dem Prozess, der zu ihr geführt hat. Auch zu dem besonderen Wert der Handlungsfähigkeit äußert er sich nicht (so findet sich zum Beispiel keine Antwort zur Behandlung dieses Aspekts bei Nozick),21 doch würde er vermutlich sagen, dass die „Erfahrungsmaschine“ in Ordnung ist, wenn sie tatsächlich zur Befriedigung von Präferenzen führt. Zwar äußert sich Singer, wie ich bereits erwähnt habe, zu dem Aspekt des Gefäßes und seiner Ersetzbarkeit, allerdings nicht in einer Weise, die Korsgaard, welche den Einwand ursprünglich erhob, zufriedenstellen würde. Jedenfalls hat es Singer mittlerweile aufgegeben, darauf zu beharren, dass Vergnügen subjektiv ist, und ist zu einer Auffassung wie derjenigen von Sidg­ wick und Bentham gekommen: Vergnügen ist eine messbare Tatsache in der Welt.22

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Insgesamt sind Singers Argumente also philosophisch ausgefeilter als die von Bentham; sie weisen allerdings ähnliche Probleme auf. Zwar gehen sie einen riesigen Schritt über den traditionellen „Uns-so-ähnlich“-Ansatz hinaus, in der Nachfolge Mills aber können und sollten wir es noch besser machen.

Kann Mill diese Probleme lösen? Benthams bedeutender Nachfolger John Stuart Mill hat in Bezug auf die meisten der beschriebenen Fragen bedeutende Fortschritte gemacht. Da er wie Bentham aufgrund seines Atheismus keine akademische Position bekleiden oder gar einen akademischen Abschluss erlangen konnte23 und im Gegensatz zu Bentham nicht finanziell unabhängig war, musste Mill seinen Lebensunterhalt teils durch eine Anstellung bei der British East India Company und teils durch journalistische Arbeiten verdienen. Infolgedessen sind die von ihm veröffentlichten Werke manchmal kurz und nur schwer verständlich. Zwar wünscht man sich, er hätte viele Punkte ausführlicher dargelegt, doch liefert er uns vielversprechendes Material, auf dem wir aufbauen können – auch wenn es von Sidg­ wick ausdrücklich abgelehnt wurde und von zeitgenössischen Utilitaristen oft einfach ignoriert wird.24 Erstens beharrt Mill darauf, dass sich Vergnügen nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ voneinander unterscheidet. Außerdem unterstreicht er den Wert der Handlungsfähigkeit und verbindet sie mit der Würde eines Lebewesens. Er hebt die Bedeutung bestimmter Werte wie Gesundheit, Würde, Freundschaft und Selbstkultivierung hervor. Und er scheint der Meinung gewesen zu sein, dass diese wertvollen Dinge, wenn sie verwirklicht werden, normalerweise mit Vergnügen einhergehen. Allerdings klingt es bei ihm so, als ob das Vergnügen seinen Wert aus der Tätigkeit erhält, mit der es verbunden ist, und nicht umgekehrt. Mill macht sehr deutlich, dass Befriedigung allein nicht ausreicht, um ein vollständig entwickeltes Leben zu führen: Aktivität und die spezielle Qualität einer Aktivität sind von großer Bedeutung. Kurz gesagt: Seine Vorstellung vom guten Leben ähnelt Aristoteles’ Idee der mehrdimensionalen vollständigen Entwicklung bzw. der eudaimonia. Darüber hinaus ist er sich der Tatsache bewusst, dass in einer lasterhaften Gesellschaft das Vergnügen der Menschen möglicherweise kein zuverlässiger Indikator für den Wert einer Sache ist. In seinen wichtigen Schriften über die Gleichberechtigung der Frau, insbesondere in Die Hörig-

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Kann Mill diese Probleme lösen?

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keit der Frau, weist er darauf hin, dass die Wünsche und Vorlieben der Frauen durch die männliche Herrschaft verzerrt und verdreht wurden: Frauen lernen, ängstlich und fügsam zu sein, und glauben, dass darin ihre sexuelle Attraktivität besteht. So haben die „Herren der Frauen“ den Verstand der Frauen „versklavt“. Damit antizipiert er die neuesten Kritiker des Utilitarismus, die über „adaptive Präferenzen“ schreiben. Außerdem liegt Mill offensichtlich die Verteilung des Nutzens innerhalb der Gesellschaft sehr am Herzen. In seinem Buch Utilitarismus besteht er darauf, dass die Vorstellungen von Gerechtigkeit und von Rechten eine Untergrenze darstellen müssen, unter die das Gesetz die Bürger nicht drängen darf, auch nicht zum allgemeinen Wohl. In seinen politischen Schriften ist er Sozialdemokrat und befürwortet eine starke Rolle des Staates in Bezug auf die Sicherstellung einer angemessenen Bildung für alle, den Schutz guter Arbeitsbedingungen und die Ausweitung des Wahlrechts. (Als Abgeordneter brachte er 1872 den ersten Gesetzesvorschlag, der das Wahlrecht für Frauen vorsah, ins britische Parlament ein.) Er schlug ferner Gesetze gegen häusliche Gewalt und Vergewaltigung in der Ehe vor. Mill besteht darauf, dass „im gegenwärtigen unvollkommenen Zustand der Gesellschaft“ eine große Kluft zwischen demjenigen existiert, von dem die Menschen glauben, es führe zu einem gedeihlichen Leben, und dem, was tatsächlich zu einem gedeihlichen Leben für alle führt. Er hoffte, dass dieses Problem letztlich durch erzieherische Aufklärung angegangen wird; in der Zwischenzeit müsse jedoch das Gesetz die Führung übernehmen. Entscheidend ist, dass Mill auf das „Gefäß“-Problem eingeht, wenn auch nur in seiner Korrespondenz. Auf die Frage eines Freundes, wie genau man das Glück verschiedener Leben übergreifend zusammenfassen könne, antwortet er, man zähle dazu einfach die Anzahl der Menschen, die ein glückliches Leben führen (glücklich vermutlich bis zu einer gewissen Grenze), zusammen: „Ich wollte mit diesem Satz lediglich sagen, dass die Summe all dieser Güter ein Gut sein muss, da das Glück von A ein Gut ist, das Glück von B, das Glück von C usw.“25 Auch wenn wir uns eine ausführlichere theoretische Diskussion wünschen würden, wirkt es dennoch so, als bestehe seine Sichtweise daraus, das Leben eines jeden Lebewesens als eigene Wertquelle zu betrachten. In vielen seiner Schriften spricht Mill nur über den Menschen und die menschliche Gesellschaft. Allerdings ist völlig klar, dass er seine Ideen auch auf andere Tiere und deren umfassende Entwicklung ausdehnen wollte. Obwohl er seine eigenen Vorstellungen über das philosophische Fundament für die Rechte

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von Tieren nie detailliert dargelegt hat, macht er seine grundlegende Position doch in einem als „Antwort auf Whewell“ bekannten Artikel sehr deutlich. William Whewell war ein christlicher Geistlicher und Intellektueller, der eine Version der Scala Naturae vertrat, nach welcher der Mensch einen einzigartigen Platz an der Spitze der Schöpfung einnimmt. Er veröffentlichte eine sehr feindselige Darstellung von Benthams Ansichten, in der er sagt, es sei eine reductio ad absurdum des utilitaristischen Kalküls, von uns zu verlangen, die Freuden und Schmerzen der Tiere als gleichwertig mit denen der Menschen zu betrachten. Whewell führt aus, dass wir stattdessen den Wert der Freuden eines jeden Lebewesens danach beurteilen sollten, ob es uns ähnlich ist, und dass wir uns durch die Bande der „menschlichen Brüderlichkeit“ dazu verpflichtet sehen sollten, den menschlichen Freuden Priorität zu geben und die Freuden anderer Tiere nicht einmal in dasselbe Kalkül einzubeziehen. In einem langen Zeitschriftenartikel antwortete Mill mit bissigem Witz und vernichtender Logik und widerlegte Whewell in einer Reihe von Punkten, darunter auch in Letzterem. Mill besteht darauf, dass die Wahrnehmung von Ähnlichkeit kontingent und in hohem Maße manipulierbar ist. Im Süden der USA, so stellt er fest, werden die Freuden und Leiden der Schwarzen als denen der Weißen vollkommen unähnlich angesehen. Vor fünf Jahrhunderten wurden die Freuden und Leiden des Feudaladels für in keiner Weise mit denen der Leibeigenen vergleichbar gehalten. Whewell zufolge wäre es in jedem Fall richtig, wenn die herrschende Gruppe sich weigerte, die Freuden und Leiden der untergeordneten Gruppe im gleichen Kalkül zu berücksichtigen. Aber diese Ansichten seien „abergläubischer Egoismus“.26 Für Mill müssen wir stattdessen stets Folgendes fragen: „Angenommen, irgendeine Praxis verursacht den Tieren mehr Schmerzen, als sie den Menschen Freude bereitet: Ist diese Praxis moralisch oder unmoralisch? Und wenn die Menschen in dem Maße, in dem sie ihren Kopf aus dem Sumpf des Egoismus erheben, nicht mit einer Stimme ‚unmoralisch‘ antworten, dann sei die Moral des Prinzips der Nützlichkeit für immer verdammt.“27 Mills Prinzip ist vage, und in diesem Textabschnitt sagt er uns nicht, wie er Benthams Kalkül umgestalten würde, um seine eigenen Einsichten in Bezug auf die Frage der qualitativen Unterschiede, die entscheidende untere Grenze von Rechten und Gerechtigkeit, das Problem der adaptiven Präferenzen und die heikle Frage der Summierung von Vergnügen einzubeziehen. Wir müssen diese Arbeit für ihn übernehmen, aber das ist durchaus möglich. Mein positiver Vorschlag in Kapitel 5 wird stark von Mill inspiriert sein.

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Über Benthams Kalkül hinausdenken

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In einem wichtigen Punkt müssen wir uns allerdings von Mill distanzieren. Anstelle von Benthams radikaler Demokratisierung des Vergnügens führt Mill die vertraute viktorianische Unterscheidung zwischen „höheren“ und „niedrigen“ Vergnügen wieder ein. Schlimmer noch: Er illustriert Letztere mit einem Beispiel aus dem Tierreich, dem „zufriedenen Schwein“. Mills verbleibender Puritanismus in Bezug auf körperliches Vergnügen ist definitiv nicht hilfreich, wenn es darum geht, die richtige Vorstellung von unserer Verwandtschaft mit den anderen Tieren zu entwickeln und diese Verwandtschaft uneingeschränkt tatsächlich anzuerkennen. Er hätte die qualitativen Unterscheidungen beibehalten können, ohne zur konventionellen Hierarchie zurückzukehren, indem er einfach mit Aristoteles gesagt hätte, dass jede Aktivität mit ihrem eigenen, unverwechselbaren Vergnügen verbunden ist. Man könnte also sagen, dass mein Fähigkeitenansatz zum Ausdruck bringen wird, was Mill über Tiere gesagt hätte, wenn er weniger von viktorianischer Prüderie und Scham geplagt gewesen wäre!

Über Benthams Kalkül hinausdenken Die Utilitaristen waren  – und sind  – Helden in Fragen der Moral. Sie sahen und hörten, was andere nicht sehen und nicht hören wollten, und sie hatten nicht nur Mitgefühl, das ungleichmäßig verteilt sein könnte, sondern trafen darüber hinaus auch die prinzipielle Entscheidung, sämtliche empfindungsfähigen Geschöpfe gleich zu behandeln. Die Unzulänglichkeiten des Utilitarismus sollten uns dazu veranlassen, nach einem Ansatz zu suchen, der Benthams mutige Betonung des Leidens als das allen Tieren gemeinsame Band teilt und die Empfindungsfähigkeit als augenfällige Trennlinie in der Natur ansieht, welche diejenigen Geschöpfe voneinander abgrenzt, die gerecht oder ungerecht behandelt werden können. Zugleich muss dieser Ansatz jedoch auch über Bentham hinausgehen, indem er die gesamte Lebensform jeder Tierart und die vielen verschiedenen Aspekte der gedeihlichen Entwicklung und der Entbehrungen von Tieren berücksichtigt. In diesem Bemühen wird Mills Kritik an Bentham sehr wichtig sein, und ich stimme ihr in weiten Teilen zu: der Bedeutung der Würde jedes Lebewesens, der Bedeutung von Aktivitäten und von Zuständen sowie der Notwendigkeit, eine nicht weiter reduzierbare Vielfalt von wichtigen Werten anzuerkennen. Was Mill jedoch im Gegensatz zu Bentham fehlte, war dessen

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leidenschaftliches Bestreben, den Körper und seine Freuden zu rehabilitieren. Daher müssen wir bei unserem Versuch, Fortschritte zu erzielen, sowohl Bentham als auch Mill im Auge behalten. Mein Ansatz ähnelt dem Utilitarismus darin, dass er die Interessen aller empfindungsfähigen Lebewesen als gleichwertig ansieht und die Empfindungsfähigkeit als äußerst wichtige Grenze betrachtet. Doch obwohl Schmerz sehr wichtig ist und es ein dringendes Ziel darstellt, unnötige Schmerzen abzuschaffen, sind Tiere handelnde Wesen, und ihr Leben hat noch andere wichtige Aspekte: Würde, soziale Fähigkeiten, Neugier, Spiel, Planung und freie Bewegung, um nur einige zu nennen. Ihr Wohlergehen lässt sich am besten in Form der Möglichkeit, Aktivitäten zu wählen, begreifen, nicht nur als Zustand der Befriedigung. Lernen wir also von den Utilitaristen, doch gehen wir über sie hinaus.

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Christine Korsgaards kantischer Ansatz

Kant, Würde und Zwecke Ansätze, die den Menschen auf ein Podest stellen und Tiere nur in dem Maße als schützenswert betrachten, in dem sie uns ähnlich sind, habe ich abgelehnt. Ich habe auch Benthams Form des Utilitarismus abgelehnt und eine Sichtweise gefordert, welche die Würde jedes empfindungsfähigen Lebewesens respektiert und die Tiere als handelnde Wesen und nicht nur als Behälter befriedigender Gefühle wertschätzt. Nun kommen wir zu einem dritten theoretischen Ansatz, der meinem eigenen sehr viel näher steht und sich in vielerlei Hinsicht mit ihm überschneidet: Christine Korsgaards Ansatz, der auf dem Denken von Immanuel Kant basiert, insbesondere auf Kants Idee, dass wir Geschöpfe (für Kant nur Menschen, für Korsgaard alle empfindungsfähigen Tiere) immer als Zwecke behandeln müssen und nicht einfach nur als Mittel zu unseren eigenen Zwecken. Ihr Buch ist die bedeutendste philosophische Publikation über Tierrechte, die in den letzten Jahren erschienen ist. Schon allein aufgrund ihrer Qualität lohnt sich eine Beschäftigung damit. Es ist allerdings auch wichtig zu verstehen, warum der Ansatz, so beeindruckend er auch ist, nicht weit genug geht und warum er der Handlungsfähigkeit von Tieren sowie der Komplexität ihres Lebens nicht voll gerecht wird. Immanuel Kant (1724–1804) war ein Zeitgenosse Benthams und ein weiterer wichtiger Vertreter der liberalen Aufklärung. Beiden ging es um mehr menschliche Entscheidungsfreiheit und weniger willkürliche Autorität in der Gesellschaft. Beide lehnten die Vorherrschaft autoritärer Religionen und Bräuche ab und strebten eine staatliche Politik an, die nur der menschlichen Vernunft unterworfen ist. Beide waren mutige Internationalisten, denen es um die Zusammenarbeit zwischen den Nationen ging, die den Kolonialismus kritisierten und Sklaverei und Sklavenhandel ablehnten.1 Dennoch unterschieden sie sich auf grundlegende Weise. Bentham hielt Lust und Schmerz für die einzig relevanten normativen Tatsachen; Kant schrieb

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der Lust als solcher keinen moralischen Wert zu und konzentrierte sich stattdessen auf die Würde der menschlichen Fähigkeit zur ethischen Entscheidung.2 In ihren praktischen Schlussfolgerungen wichen sie außerdem auf eine Weise voneinander ab, die mit diesem grundlegenden Unterschied zusammenhängt. Bentham war sich deutlich dessen bewusst, dass sexuelle Normen häufig dazu dienten, machtlose Gruppen, einschließlich Frauen und Menschen, die nach gleichgeschlechtlichen Beziehungen suchten, zu unterdrücken, und er strebte das Recht aller an, auf die von ihnen bevorzugte Weise Freude zu erlangen. Kant hingegen scheint wenig oder gar kein Interesse an der Gleichberechtigung von Frauen gehabt zu haben und vertrat strenge konventionelle Ansichten über sexuelles Fehlverhalten. (Er war sogar der Ansicht, Masturbation sei schlimmer als Vergewaltigung!) Er verachtete Lust und Begierde zutiefst. Während Bentham sich des Leidens der Tiere bewusst war, das sie durch den Menschen erfahren, und es ebenfalls als eine unannehmbare Form der „Tyrannei“ betrachtete, war Kant der Auffassung, dass Tiere, denen die Fähigkeit zu einer ethischen Entscheidung fehlt, keinerlei Würde besitzen, und folgerte daraus, der Mensch dürfe sie „nach Belieben“3 benutzen. Durch seine großherzige Anteilnahme am Leiden und seine skeptische Entlarvung sämtlicher Formen von Herrschaft korrigiert Bentham (gewissermaßen, denn er hat ihn wahrscheinlich nie gelesen) einige der schlimmsten Fehler Kants. Doch die Sache ist nicht einfach, denn wir können das Ganze auch umkehren. Während Bentham, der sich besessen auf die Bildung der Summe von Lust und Schmerz konzentriert, den Sinn für die Unantastbarkeit und die Würde des einzelnen Lebewesens vermissen lässt, stellt Kant diese Würde in den Mittelpunkt seiner Moralphilosophie (nur für Menschen) und vertritt die Auffassung, dass die Grundform des Unrechts darin besteht, einen Menschen als bloßes Mittel und nicht als Zweck zu behandeln. Es scheint, dass wir von beiden etwas lernen können, das wir auf das Leben und Leiden der Tiere anwenden können, wenn wir uns bemühen, die Fehler beider zu vermeiden.4 In diesem Kapitel werde ich dafür argumentieren, dass Tierfreunde durch das Nachdenken über Kant zwar vieles lernen können, aber auch kritisch darüber nachdenken müssen, was ein kantischer Ansatz bietet. Ich tue dies, indem ich mich auf die Arbeit von Christine Korsgaard konzentriere, einer der bedeutendsten Kant-Kommentatorinnen und -Erben sowie einer unserer überzeugendsten zeitgenössischen Philosophinnen. Außerdem liebt Korsgaard Tiere, und sie ist eine der besten Denkerinnen, wenn es um das Selbst der

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Tiere und ihre Rechte geht. Obwohl ihr klar ist, dass Kant selbst Tieren wenig Respekt entgegenbringt, glaubt sie seit Langem, dass seine Moraltheorie Materialien enthält, die wir dazu verwenden können, eine Auffassung über die Rechte von Tieren auszuarbeiten. Sie hat ihre Ansichten in zwei wichtigen Veröffentlichungen dargelegt: in ihren Tanner Lectures von 2004 mit dem Titel „Fellow Creatures: Kantian Ethics and our Duties to Animals“5 sowie in ihrem 2018 erschienenen Buch Tiere wie wir: Warum wir moralische Pflichten gegenüber Tieren haben.6 Wie die ähnlich klingenden Titel vermuten lassen, liegen die beiden Werke in ihrer Argumentation sehr nahe beieinander; das Buch, das wesentlich länger ist, ist aus den Vorlesungen hervorgegangen. Dennoch gibt es bedeutende Unterschiede, die es rechtfertigen, sie nacheinander zu behandeln. Auch wenn ich nicht mit allen Aussagen in Korsgaards Buch von 2018 übereinstimme, halte ich es doch für eine große philosophische Leistung, und ich empfehle all meinen Lesern, es ebenfalls zu lesen, da ich nur auf einige ihrer reichhaltigen und wichtigen Diskussionen eingehe. Korsgaard ist zwar Kantianerin, doch sie hat auch viel von Aristoteles gelernt. (Ihre in Harvard verfasste Dissertation beschäftigt sich sowohl mit Kant als auch mit Aristoteles.)7 Aristoteles – über den ich noch viel mehr sagen werde, wenn ich meine eigene Sichtweise darlege – interessierte sich sehr für die Gemeinsamkeiten zwischen Menschen und anderen Tieren. Er war der Auffassung, dass sämtliche Tiere ihre Ziele mithilfe von kognitiven Fähigkeiten (Wahrnehmung, Einbildungskraft, Begehrungsvermögen) sowie Formen des Verlangens und der Gefühle anstreben und dass sie versuchen, ihre charakteristische Lebensform aufrechtzuerhalten. Korsgaard hält diese Erkenntnisse für wichtig. Von Aristoteles entlehnt sie das Verständnis dafür, wie empfindungsfähige Lebewesen jeglicher Art danach streben, ihre Ziele zu erreichen, und wie sie versuchen, in Übereinstimmung mit denjenigen Aktivitäten zu leben, die jeder Art eigen sind. Dies sind Einsichten, die bei Kant fehlen,8 und Korsgaard nutzt ein aristotelisches Verständnis davon, wie Tiere (einschließlich des Menschen) danach streben, ihre Ziele zu erreichen, um in Kants unerbittlich anthropozentrischer Ethik einen Raum zu eröffnen, in dem ein Tierfreund beginnen kann, den Tieren und ihrem Streben Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen. Doch warum sollten wir dann überhaupt an Kant festhalten? Der Grund dafür liegt in seiner Einsicht in die unantastbare Würde des einzelnen Geschöpfes, einer Einsicht, die Aristoteles so nie zum Ausdruck brachte.

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Ich stimme mit Korsgaard darin überein, dass jeder gute Ansatz zur Tiergerechtigkeit sowohl ein aristotelisches als auch ein kantisches Element benötigt. Aristoteles fehlt der Begriff der Würde und der Behandlung als Selbstzweck. Wir brauchen diese Ideen. Obwohl Korsgaard und ich die aristotelischen und kantischen Elemente auf sehr unterschiedliche Weise kombinieren, kommen wir dennoch zu vielen gleichen Schlussfolgerungen. Dementsprechend wird dieses Kapitel sowohl die Untersuchung einer konkurrierenden Sichtweise als auch der Auftakt zu dem von mir favorisierten Ansatz sein.

Kant über die Behandlung der Tiere Für Kant ist das Entscheidende am Menschen die Fähigkeit, ethisch zu reflektieren und zu entscheiden, unsere Fähigkeit, uns an von uns selbst geschaffene Gesetze zu binden. Diese Fähigkeit schien ihm ein über jeden Preis erhabener Wert zu sein, während andere tierische Fähigkeiten keinen Wert hatten. Am Ende seiner Kritik der praktischen Vernunft macht er die folgende berühmte Aussage: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir.“9 Unser Respekt und unsere Ehrfurcht vor dieser Fähigkeit ist für ihn der grundlegende Ausgangspunkt der Ethik. Kant dachte, dass es auch andere moralisch vernünftige Wesen geben könnte, Engel zum Beispiel. Doch in seiner alltäglichen Welt ist der Mensch allein. Wie die Stoiker leugnete er, dass Tiere irgendeinen Anteil an der Fähigkeit zur moralischen Gesetzgebung haben: Sie seien nur von Instinkt und Begehren bestimmte Geschöpfe, die an und für sich keinen moralischen Wert haben. Aufgrund unserer (in dieser Welt) einzigartigen Fähigkeit zur Selbstgesetzgebung sind wir, verglichen mit „den […] vernunftlosen Thieren […], mit denen man nach Belieben schalten und walten kann, durch Rang und Würde ganz unterschiedene Wesen“.10 Kant formuliert die normativen Konsequenzen der Menschenwürde in den vier Formulierungen seines berühmten „Kategorischen Imperativs“.11 „Kategorisch“ steht im Gegensatz zu „hypothetisch“. Ein hypothetischer Imperativ sagt, dass man Handlung A tun soll, wenn man B erreichen will: Er ist abhängig von einem vorausgehenden Ziel. Ein kategorischer Imperativ ist in allen Situatio-

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nen verbindlich, unabhängig davon, was man will oder fühlt. Der kategorische Imperativ ist wahrscheinlich am besten als eine Möglichkeit zu betrachten, das Prinzip der von einer Person vorgeschlagenen Handlung zu prüfen, um festzustellen, ob sie ethisch vertretbar ist. Verkörpert er also die Art von Gesetz, das wir uns selbst geben sollten, wenn wir uns auf eine Handlung vorbereiten? Über die verschiedenen Formulierungen von Kants kategorischem Imperativ ist viel geschrieben worden, und vieles davon ist für unsere Zwecke hier irrelevant. Ich stimme mit Korsgaard darin überein, dass Kants zentrale Idee am besten in der zweiten Formulierung erfasst wird, der Formel der Humanität oder des Selbstzweckes:12 „Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner eigenen Person, als auch in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel gebrauchest.“13 Der Schlüsselgedanke besteht also darin, ein Geschöpf nicht (oder nicht nur) als Mittel für die eigenen Zwecke, als Objekt für die eigenen Absichten zu behandeln, sondern immer als ein Wesen, dessen Interessen an sich allein deshalb zählen, weil das Geschöpf, das sie hat, an sich zählt. Natürlich kann man ein Lebewesen sowohl als Mittel als auch als Zweck benutzen, z. B. indem man einen Arbeiter anstellt, um Dinge für einen zu erledigen, und ihn gleichzeitig mit Respekt und echter Sorge behandelt. Ein Kantianer besteht darauf, dass eine solche instrumentelle Nutzung eines Lebewesens durch die vorherrschende Idee begrenzt werden sollte, dass man das Lebewesen um seiner selbst willen schätzt und versucht, sein Streben nach seinen eigenen Zielen zu respektieren. Dies ist ein Gedanke, den Gesetze und Verfassungen weltweit in das Grundgerüst von Nationen einbauen, um auf diese Weise einzuschränken, was Mehrheiten tun dürfen und was nicht. Kant veranschaulicht diese Formel (wie auch seine anderen) anhand von vier Beispielen. Das klarste von ihnen ist das des trügerischen Versprechens: Ein trügerisches Versprechen zum persönlichen Vorteil abzugeben, ist offensichtlich eine Weise, eine andere Person als Mittel zu benutzen; der kategorische Imperativ verbietet daher ein solches Verhalten. Das Vorliegen einer Täuschung zeigt, dass die Person als Entscheidungsträger nicht ausreichend respektiert wird. Wir können aus diesem Fall ableiten, dass die Behandlung der Menschheit als Zweck von uns verlangt, andere nicht durch Zwang oder Betrug auszubeuten. Kant meint jedoch, dass wir auch Pflichten gegenüber uns selbst haben. So begründet er anhand eines anderen Beispiels, dass Menschen, die für das Vergnügen leben und ihre Talente nicht entwickeln, auch einen Mangel an Respekt

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für ihre eigenen moralischen Fähigkeiten zeigen und diese als Mittel zum Vergnügen verwenden. Es ist nicht vollkommen klar, dass Kant Recht hat. In einem sehr extremen Fall kann das Streben des Menschen nach Vergnügen vielleicht seine Entscheidungsfähigkeit völlig zerstören, und dieser extreme Fall könnte zu kritisieren sein. Häufig werden solche Argumente jedoch als Vorwand für Puritanismus benutzt, und Kant ist gegen diese Kritik nicht gefeit. Anhand eines weiteren Beispiels argumentiert Kant, dass Menschen, die in komfortablen Verhältnissen leben und nichts tun, um Bedürftigen zu helfen, diese im Grunde nur als Mittel zum Zweck betrachten, da sie selbst gerne Hilfe annehmen würden, wenn sie bedürftig wären. Dieser Gedanke ist interessant, bedarf aber einer viel stärkeren Ausarbeitung, als Kant sie vornimmt. Es ist wahrscheinlich, dass wohlhabende Menschen zuweilen andere, die weniger wohlhabend sind, ausbeuten und sich auf sie als Diener ihrer eigenen Interessen verlassen, anstatt sie als Zwecke an sich selbst zu respektieren. Doch es erfordert Sorgfalt, die Bedingungen zu formulieren, unter denen diese Kritik gerechtfertigt wäre.14 Eine andere Möglichkeit zu erkennen, worum es bei der Achtung für die Menschheit geht, besteht darin, darüber nachzudenken, wie die Welt aussehen würde, wenn wir das Prinzip unseres eigenen Handelns zu einem universellen Gesetz machen würden. Diese „Formel des allgemeinen Gesetzes“, Kants erste Formulierung des kategorischen Imperativs, soll eng mit der Formel der Menschheit verbunden sein und uns eine weitere Möglichkeit geben, diese zu verstehen. Kant glaubt, eine zentrale Form moralischen Versagens bestünde darin, dass wir uns selbst zu einem Sonderfall machen, indem wir uns Ausnahmen von Regeln zugestehen, die wir anderen auferlegen. Die Verallgemeinerung unseres Prinzips enthüllt den Selbstbetrug, der mit einem solchen Verhalten einhergeht, und hilft uns, den ausbeuterischen Aspekt zu erkennen. Wer ein falsches Versprechen abgibt, will nicht, dass jeder falsche Versprechungen machen kann, denn dann würde die Institution des Versprechens nicht mehr existieren; er verlässt sich auf diese Institution, um sich selbst auf Kosten anderer einen Vorteil zu verschaffen. Kant denkt auch, dass der faule Vergnügungssüchtige unmöglich eine Welt wollen kann, in der alle faul sind und nur zum Vergnügen leben, da niemand die Dinge tun würde, die notwendig sind, um die Welt stabil und lebenswert zu machen. Kurz gesagt, er ist ein Parasit, der sich auf der Arbeit anderer ausruht. Die Person, die nicht bereit ist, anderen zu helfen, kann wiederum nicht wollen, dass alle Welt sich so verhält. Denn dann würde ihr niemand

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helfen, wenn sie der Hilfe bedarf. Auch in diesem Fall nutzt die Person daher andere aus. Kants Grundgedanke ist demnach, dass jeder Mensch als ein Wesen mit Eigenwert und Autonomie zu achten ist, das wie wir selbst Entscheidungen treffen kann, und dass seine Ziele den unseren nicht untergeordnet werden dürfen. Schauen wir uns an, wie dieses Prinzip auf unseren Umgang mit anderen Tieren angewendet werden könnte. Würden wir Menschen die Grundsätze unseres Handelns gegenüber anderen Tieren prüfen, weil wir denken, dass wir die Welt der Natur mit ihnen teilen, so würde nur sehr wenig eine Prüfung anhand des kategorischen Imperativs überstehen. Menschen finden es in Ordnung, Schweine in Kastenstände einzusperren – wären aber entsetzt, wenn man ihnen ihre eigenen Kinder wegnähme und diesen eine schmerzhafte und entwürdigende Form der Gefangenschaft aufzwingen würde.15 Menschen finden es in Ordnung, schmerzhafte und oft tödliche Aggressionen gegen Tiere auszuüben, aber wir tolerieren die Aggressionen anderer Tiere gegen den Menschen nicht. Menschen halten es in der Regel nicht für wichtig, Tieren zu helfen, die in Not sind – obwohl wir uns darauf verlassen, dass Tiere uns mit allen möglichen Dingen versorgen, die wir brauchen, ohne nach Zustimmung zu fragen. Außerdem denken wir Menschen nicht darüber nach, dass eine unserer Pflichten uns selbst gegenüber darin bestehen könnte, unsere Fähigkeit zum Staunen und zur Ehrfurcht vor dem Leben der Tiere zu entwickeln. Der größte Teil unseres Verhaltens den anderen Tieren gegenüber besteht darin, sie also als Dinge, als Mittel zu benutzen – und wir versäumen es auch zu wollen, dass wir selbst uns ändern. Der kategorische Imperativ scheint also ergiebige kritische Ressourcen zu enthalten, was unseren gegenwärtigen Umgang mit Tieren anbelangt – wenn Tiere in unsere Überlegungen überhaupt einbezogen werden. Kant aber denkt keinen dieser Gedanken, denn er hat bereits eine Grenze gezogen zwischen den Geschöpfen des selbst gegebenen moralischen Gesetzes und den Geschöpfen des Instinkts, und er hat kurzerhand entschieden, dass Letztere keinerlei ethische Berücksichtigung verdienen. In seinem Aufsatz „Mutmaßlicher Anfang der Menschheitsgeschichte“ beschreibt Kant als entscheidendes Stadium des menschlichen Fortschritts das Stadium, in dem die menschliche Vernunft „den Menschen über die Gesellschaft der Tiere gänzlich“ erhob. Der Mensch erkannte an diesem Punkt, „er sei eigentlich der Zweck der Natur“. An diesem Punkt wandelte sich sein Verhältnis zu den Tieren: Der

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Mensch betrachtet sie „nicht mehr als seine Mitgenossen an der Schöpfung, sondern als seinem Willen überlassene Mittel und Werkzeuge zum Verwirklichen beliebiger Absichten“.16 Es ist daher etwas überraschend, dass Kant die grausame Behandlung von Tieren verbietet: Er tut dies nicht, weil sie Selbstzweck sind, sondern aus einem ganz anderen Grund. In Anlehnung an eine im 18. Jahrhundert verbreitete Ansicht behauptet Kant, die grausame Behandlung von Tieren mache die Menschen gefühllos und erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass sie grausam gegenüber Menschen werden. Eine berühmte Illustration dieser Ansicht ist Die vier Stufen der Grausamkeit (1751) des Malers William Hogarth: Der kleine Junge Tom Nero quält zunächst einen Hund, schlägt dann als Erwachsener ein Pferd, wird zum Räuber und ermordet anschließend brutal eine Frau. Am Ende wird er durch Erhängen hingerichtet, und seine Leiche wird von Medizinstudenten seziert. In seinen Vorlesungen über Ethik sagt Kant über diese Stiche, sie sollten „eine eindrucksvolle Lektion für Kinder sein“.17 Kant hielt die genannten psychologischen Gesetze für ausreichend, um Grausamkeiten auszuschließen, zu denen für ihn viele der Handlungen gehörten, die auch Bentham verbietet: die Jagd und das Angeln als Freizeitbeschäftigung, Sportarten wie Bärenhetze und Hahnenkämpfe. Kant ist der Meinung, dass wir Tiere töten (und vermutlich auch essen) dürfen, aber dass wir dies schmerzlos tun müssen. Wir dürfen Tiere für uns arbeiten lassen, aber wir dürfen sie nicht überanstrengen. Und wir dürfen keine medizinischen Experimente an Tieren um der „bloßen Spekulation“ willen durchführen, wenn wir das, was wir wissen wollen, auch auf andere Weise erfahren könnten. Er kritisiert auch die Praxis, Tiere zu töten, wenn sie zu alt sind, um noch nützlich zu sein.18 Generell vertritt er die Ansicht, dass Tiere in uns zahlreiche Gefühle wie Mitgefühl, Dankbarkeit und Liebe wecken, die nützlich sind und gestärkt werden sollten – weil sie uns helfen, uns Menschen gegenüber gut zu verhalten.19 All dies geschieht jedoch nicht um der Tiere willen. Sie werden vielmehr als Mittel zur moralischen Selbstkultivierung des Menschen eingesetzt. Wir schulden diese Pflichten nicht den Tieren, sondern uns selbst. Wie Korsgaard darlegt, ist Kants Position instabil. Er möchte, dass wir die Tiere als uns in vielerlei Hinsicht ähnlich ansehen und ihnen gegenüber eine Reihe echter Gefühle aufbringen  – dass wir sie lieben und nicht nur so behandeln, als würden wir sie lieben. Doch wenn wir Tiere lieben, wollen wir sie dann nicht um ihrer selbst willen gut behandeln, und nicht um unserer eigenen

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Besserung willen? Korsgaard zitiert: „Es besteht sicherlich eine gewisse Spannung zwischen der Liebe zu einem Lebewesen um seiner selbst willen und der Auffassung, diese Liebe sei eine ,im Verhältnis zu anderen Menschen sehr diensame Anlage‘“.20 Korsgaard ist überzeugt davon, dass ein Kantianer es besser machen kann und sollte.

Korsgaards erste kantische Sicht der Tierrechte Für Korsgaard wie für Kant sind wir Menschen die einzigen Geschöpfe, die zu etwas verpflichtet sein und Pflichten haben können, weil wir über die Fähigkeit der moralischen Reflexion und Entscheidung verfügen. Nach Korsgaard folgt hieraus jedoch nicht, dass wir die einzigen Geschöpfe sind, die Gegenstände von Pflichten sein können, also Geschöpfe, denen Pflichten geschuldet werden. Kant geht davon aus, dass diese beiden Arten, auf die etwas ein Zweck an sich selbst sein kann, dieselbe Klasse von Wesen identifizieren, nämlich alle Menschen und nur diese. Korsgaard weist darauf hin, dass ein Wesen ein Selbstzweck im erstgenannten Sinn sein kann – eine Katze zum Beispiel kann ein Wesen sein, dem wir verpflichtet sind, es mit Respekt zu behandeln, obwohl der Katze die Fähigkeit zur moralischen Gesetzgebung fehlt, die entscheidend ist, um ein Zweck im zweiten, moralisch gesetzgebenden Sinn zu sein.21 Korsgaards Verständnis der tierischen Natur ist nicht kantisch, sondern aristotelisch, wie auch das meine es sein wird: Sie sieht Tiere, einschließlich der tierischen Natur des Menschen, als sich selbst erhaltende Systeme, die ein Gut anstreben und sich selbst wichtig sind. Sie beschreibt sehr schön, wie wir Tiere als in diesem Sinne intelligent ansehen können – als Wesen, die ein Verständnis ihrer selbst und eine Vorstellung von ihrem eigenen Wohlergehen haben und daher Interessen, deren Erfüllung für sie von Bedeutung ist. Wir Menschen, so argumentiert Korsgaard, sind genauso; und wenn wir ehrlich sind, werden wir erkennen, dass sich unser Leben in diesem Sinne nicht von dem anderer Tiere unterscheidet. Ihrer Ansicht nach bleibt jedoch eine Trennung bestehen: Wir Menschen verfügen noch über einen anderen Teil, nämlich denjenigen, der moralische Überlegungen anstellt und Entscheidungen trifft. Tatsächlich deckt sich ihre Ansicht also nicht mit meiner, wie wir noch sehen werden. Ich bin der Überzeugung, dass alle unsere Fähigkeiten Teil unseres tierischen Wesens sind.

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Wenn ein Mensch Entscheidungen trifft und „Gesetze gibt“, so tut er dies nach Kant und Korsgaard aufgrund einer moralischen Fähigkeit, über die kein anderes Tier verfügt. Das bedeutet allerdings nicht, dass die gesamte menschliche Gesetzgebung für und in Bezug auf den autonomen Willen erfolgt. Tatsächlich hat vieles in der Ethik mit den Interessen und Bestrebungen zu tun, die für diejenigen Fähigkeiten charakteristisch sind, die nach Korsgaard zu unserer tierischen Natur gehören: Wir stellen moralische Überlegungen darüber an, wie wir unsere körperlichen Bedürfnisse und Wünsche erfüllen sowie andere Projekte durchführen können. Wenn wir für uns selbst Gesetze bezüglich der (legitimen) Erfüllung unserer tierischen Bedürfnisse und Wünsche festlegen, ist es nach Korsgaard einfach inkonsequent und arglistig, wenn wir es unterlassen, andere Wesen, die – wie Katzen, Hunde und alle möglichen anderen Mitgeschöpfe – ähnliche Bedürfnisse und Wünsche haben wie wir, in den Geltungsbereich dieser Gesetze einzubeziehen. Ebenso wie eine Maxime Kants Test nicht bestehen kann, wenn sie eine Gruppe von Menschen oder einen einzelnen Menschen für eine Sonderbehandlung auswählt und andere Menschen, die sich in einer ähnlichen Lage befinden, davon ausschließt, kann sie auch Kants Test, wie Korsgaard ihn neu interpretiert, nicht bestehen, wenn sie den tierischen Anteil des menschlichen Lebens vom tierischen Leben unserer Mitgeschöpfe abschneidet. Jane hat die Pflicht, Maßnahmen zum Schutz ihrer körperlichen Gesundheit zu ergreifen; doch sie ist inkonsequent, wenn sie keine Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit ihrer Katze, ihres Hundes und anderer Tiere ergreift, die ebenfalls tierischen Zielen nachstreben. Korsgaards Auffassung von den Pflichten gegenüber Tieren vereint zwei Elemente, wie es eine angemessene Sichtweise tun sollte, das heißt, sie hat einen kantischen und einen aristotelischen Aspekt. So besagt sie, dass wir Tiere als Zwecke an sich behandeln sollten, als Wesen, deren Zwecke an sich wichtig sind, nicht nur als Mittel menschlicher Zwecke. Darüber hinaus betrachtet sie die Leben von Tieren, einschließlich unserer eigenen, als reichhaltige, sich selbst erhaltende Systeme, die komplexe Arten von Intelligenz einschließen. So weit, so gut – auch wenn die Spaltung zwischen einer tierischen und vernünftigen Natur Anlass zur Sorge gibt. Ich habe bis jetzt einen Teil von Korsgaards Konzept zurückgestellt, der aber seinen Kern ausmacht. Sie besteht darauf, dass wir Menschen wertschöpfende Wesen sind. Werte existieren nicht in der Welt, um entdeckt oder gefunden zu werden; sie entstehen durch die Funktion unseres autonomen Willens. Unsere

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Ziele sind nicht an sich gut; gut sind sie allein in Beziehung zu unseren eigenen Interessen. Wir gehen davon aus, dass unser Interesse an einer Sache „ihr eine Art Wert verleiht“, der sie würdig macht, sie zu wählen. Das bedeutet seinerseits, dass wir uns selbst eine Art Wert zuschreiben, und zwar nicht nur unserer vernünftigen, sondern auch unserer tierischen Natur. Tiere sind wichtig, weil sie mit einem Wesen verwandt sind, das wichtig ist, und dieses Wesen ist wichtig, weil es sich selbst einen Wert verliehen hat. Nach meiner Auffassung ist dies einfach zu indirekt. Das Wunderbare am Leben eines Tieres – sagen wir, am Leben einer Katze – ist sein eigenes aktives Streben nach Zielen; unser Staunen und unsere Ehrfurcht vor einem solchen Leben ist also etwas ganz anderes als unsere Reaktion auf den Grand Canyon oder den Pazifischen Ozean: Es ist eine Reaktion auf den Wert oder die Würde eines aktiven Wesens, das danach strebt, das für sich Gute zu erreichen. Da es sich bei Tieren um aktive, empfindungsfähige Wesen handelt, die ein System von Zielen verfolgen, können sie in ihrem Streben durch menschliches Eingreifen gehindert werden. Diese Eigenschaft des aktiven, sich entfaltenden Tätigseins legt es nahe, dass Tiere nicht nur Objekte des Staunens, sondern auch Subjekte der Gerechtigkeit sind. In den Kapiteln 5 und 6 werde ich diesen Gedanken weiter ausführen. Das Staunen deutet darauf hin, dass Tiere unmittelbar wichtig sind, um ihrer selbst willen – nicht aufgrund einer gewissen Ähnlichkeit mit uns selbst. Das Staunen richtet uns nach außen der Katze zu, nicht nach innen auf uns selbst. Korsgaard leitet den Wert von Tieren nicht wirklich vom Wert des Menschen ab. Stattdessen entwirft sie ein Bild, in dem wir, wenn wir uns selbst einen Wert zuschreiben, den Mitgliedern der Art einer Gattung einen Wert zuschreiben. Und wenn wir dies einmal getan haben, ist es arglistig zu leugnen, dass die Mitglieder anderer Arten dieser Gattung, sofern sie uns ähnlich sind, denselben handlungsleitenden Wert besitzen. Dennoch wirkt diese Argumentation für den Wert der Tiere immer noch auf seltsame Weise indirekt. Ihr zufolge sind wir gezwungen, auch tierischem Leben einen Wert beizumessen, nur weil wir selbst eine ähnliche tierische Natur besitzen und dieser Natur einen Wert beimessen. Hätten wir eine ganz andere Natur, sagen wir die eines Androiden, so hätten wir keinen Grund, das Leben von Tieren zu schätzen; und soweit ich sehe, haben die von Kant anerkannten vernünftigen Wesen, die keine Tiere sind (Engel, Gott), keinen Grund, das Leben von Tieren zu schätzen. Das scheint falsch zu sein: Tiere sind wichtig aufgrund dessen, was sie sind, nicht wegen ihrer Verwandtschaft mit uns. Selbst wenn es keine solche Ver-

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wandtschaft gäbe, wären sie dennoch wichtig, weil sie sind, was sie sind, und ihr Streben wäre unterstützenswert. Anders ausgedrückt: Für Korsgaard ist es faktisch ein Zufall, dass Tiere wichtig sind; wir sind ihnen zufälligerweise ziemlich ähnlich. Ich denke jedoch, dass der Wert des Lebens von Tieren aus diesen Leben selbst hervorgehen sollte. Es gibt viele Arten von Wert in der Welt, und jede besondere Art ist wertvoll, weil sie diese Art ist, und nicht aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit uns.22 Kurzum, Korsgaard vermeidet zwar die meisten Fehler des „Uns-so-ähnlich“-Ansatzes, bindet sich am Ende aber doch an eine seiner Versionen: Der Wert der Tiere leitet sich von der Ähnlichkeit mit dem Menschen ab. Dies ist mein erster Einwand gegen Korsgaard. Wenden wir uns nun der Spaltung zwischen dem Vernünftigen und dem Animalischen zu. Korsgaard plädiert auf sehr überzeugende Weise dafür, bei Tieren eine Reihe von Bewusstseinsarten anzuerkennen. Selbst diejenigen, die den Spiegeltest nicht bestehen können, verfügen über eine Sicht der Welt und Ziele, die für sie bedeutsam sind. All dies scheint mir genau zuzutreffen. Während man also erwarten könnte, dass eine kantische Sichtweise eine zu scharfe Grenze zwischen Mensch und Tier ziehen würde, scheint dies auf Korsgaards Sicht der Dinge bis zu einem gewissen Punkt nicht zuzutreffen. Die ureigenen Ziele des Kaninchens, so sagt sie, sind die einzigen, die für das Kaninchen relevant sind. Letztlich zieht sie jedoch eine zu scharfe Grenze. Korsgaard behauptet, der Mensch sei das einzige wirklich moralische Tier und als einziges in der Lage, zu seinen Zielen auf Distanz zu gehen, sie zu prüfen und zu überlegen, ob er sie annehmen sollte. Von Kindern und Menschen mit geistigen Behinderungen sagt sie allerdings, auch sie seien vernünftige Wesen im moralischen Sinne, nur dass sie ihre Vernunft fehlerhaft gebrauchten. Wenn sie diesen Schritt einmal getan hat, kann sie es aus meiner Sicht nicht vermeiden, zumindest einen Teil der moralischen Rationalität auf viele, wenn nicht gar die meisten Tiere auszudehnen. Da sich dieses Problem durch das gesamte Buch von Korsgaard zieht, werde ich meinen Widerspruch im nächsten Kapitel ausführlich darlegen und dafür argumentieren, dass unsere moralische Natur tatsächlich Teil unserer tierischen Natur und nicht von ihr getrennt ist. Kurz gesagt: Korsgaard hat Kant an seine Grenzen gebracht, indem sie ein äußerst einfühlsames und ansprechendes Bild davon zeichnet, wie Kant und Aristoteles zusammenwirken können. Doch tatsächlich muss man sich radikaler von Kant distanzieren, wenn man anerkennen will, dass unsere moralischen

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Fähigkeiten selbst tierische Fähigkeiten sind, Teil und Bestandteil einer tierischen Natur. Kapitel 2 hat uns daran erinnert, dass jede Konzeption, die dies nicht anerkennt, moralisch in Gefahr ist und die drohende Selbstspaltung und Selbstverachtung heraufbeschwört (die so oft mit der Verachtung von Frauen, von Menschen mit Behinderungen, von allem, was uns zu sehr an die tierische Seite unseres Selbst erinnert, verbunden ist). Obwohl Korsgaard diese Gefahr überall dort, wo sie sich zeigt, auf kluge Weise abwehrt, wird sie sich dennoch nicht gänzlich von ihr befreien; diese Gefahr verbirgt sich immer noch in der Vorstellung, dass wir, indem wir moralisch sind, irgendwie über der Welt der Natur stehen.

Tiere wie wir: die Weiterentwicklung der kantischen Sichtweise Tiere wie wir ist ein wichtiges Buch, das wortgewandte Argumente zu den meisten Themen enthält, die für Tierfreunde wichtig sind. Und es stellt eine anregende Herausforderung für diejenigen dar, die nicht bereits Tierfreunde sind, sondern einfach nur vernünftigen Argumenten folgen wollen. Ich konzentriere mich hier nur auf die Hauptargumentationslinie und werde einige Kritikpunkte daran vorbringen. In Kapitel 5, in dem ich meine eigene Sichtweise entwickle, werde ich jedoch einfach eine Argumentation von Korsgaard in Bezug auf das Recht und die Begründung von Rechten übernehmen, die sie in zwei Aufsätzen unabhängig von ihrem Buch entwickelt. Korsgaard erwartet nicht, dass ihre Leser mit den Einzelheiten ihrer früheren Vorlesungen vertraut sind. Sie schildert daher nur ihre Sichtweise, ohne darauf hinzuweisen, in welcher Hinsicht sie sich weiterentwickelt hat. Die Leser müssen dies selbst herausfinden, und da die Unterschiede häufig sehr subtil sind, beschreibe ich sie mit großer Vorsicht. Korsgaard entwickelt nunmehr das, was ich als die aristotelische Seite ihrer Sichtweise bezeichnet habe, in wesentlich umfassenderer Form und stützt sich viel zentraler darauf. Sie betont, dass alle Tiere, sowohl die menschlichen als auch die nicht menschlichen, zweckmäßige Systeme sind, die nach einem eigenen Gut streben, das für ihre Lebensform wesentlich ist. Sämtliche Tiere bestehen aus instabilen Bausteinen, doch sie erneuern sich ständig selbst und versuchen auch, ihre Art zu erhalten. Ferner sind alle Tiere der Wahrnehmung fähig, und sie können sich eine Vorstellung von der Welt machen. Darüber

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­ inaus ist ihre Wahrnehmung wertend, sodass sie manche Dinge als gut und h andere als schädlich ansehen und sich zu manchen Dingen hingezogen fühlen, während sie sich von anderen abwenden. All dies seien nicht lediglich irgendwelche Tatsachen über Tiere, sondern ein wesentlicher Teil dessen, was es bedeutet, ein Tier zu sein (im Unterschied zu einem Stein, einem unsterblichen Gott oder gar einer Pflanze). Alle Tiere haben demnach Ziele, nach denen sie streben, und legen ihnen einen Wert bei. Ein Kaninchen schätzt den Wert der Nahrung, der Freiheit von Gefahren und der Fortpflanzungsmöglichkeiten, die Teil seiner Lebensweise sind. Der Mensch versucht fälschlicherweise, die Ziele der verschiedenen Lebewesen zu bewerten und zu behaupten, dass einige Ziele, nach denen einige Lebewesen streben, wichtiger seien als andere. (Damit spielt Korsgaard auf die Scala Naturae und andere ähnliche Ansichten an.) Das ist jedoch keine kohärente Position: Jeglicher Wert, jede Bedeutung ist eine Bedeutung für jemanden. Es gibt keinen Standpunkt, von dem aus wir auf schlüssige Weise fragen könnten, welche Lebewesen wichtiger sind – sämtliche Werte sind „gebunden“. Für ein Kaninchen spielen die Ziele der Menschen keinerlei Rolle: Alles, was für es zählt, ist in seinen eigenen Zielen und Zwecken zusammengefasst. Mit dem Tod wird das Kaninchen die ganze Welt verlieren. Es ist eine notwendige Wahrheit, dass für ein Wesen, das auf diese Weise sein Tätigsein entfaltet, das Leben ein Gut darstellt. Alle Tiere haben außerdem Tod und Altern in ihre Lebensform eingebaut, doch nicht auf dieselbe Weise: Sie erstreben diese Dinge nicht, sie sind nicht Teil ihres Gutes.23 Und wenn wir glauben, wir seien die einzigen Lebewesen, die ein Bewusstsein oder ein Selbst haben, dann irren wir uns: Sämtliche Tiere erfahren die Auswirkungen der Welt auf ihren Zustand.24 Alle Tiere verorten sich in Relation zur Welt, und sie verfügen über eine Vielzahl von Möglichkeiten, sich in Bezug zur Welt zu erleben, vor allem durch Schmerz und Sinneswahrnehmung. Ein tierisches Selbst zu haben, bedeutet, eben dieses Bewusstsein und diese Sichtweise auf die Welt zu haben. All dies, so hebt Korsgaard hervor, können wir aus einer Haltung der Empathie heraus verstehen. Die Tatsache, dass wir Empathie so selten auf diese Weise einsetzen und es vorziehen, Tiere als gefühllose Wesen anzusehen, ist ein Fehler unserer moralischen Wahrnehmung und eine Art genereller moralischer Fehler im Leben des Menschen. „Es ist die ständige Versuchung, vor allem der

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Geschützten und Privilegierten, den Gedanken zu hegen, dass diejenigen, die weniger Glück haben als sie, auch einfachere Wesen sind, denen das Unglück wahrscheinlich nicht so viel ausmacht, beziehungsweise nicht auf die selbe lebhafte Weise zu schaffen macht, wie es das tun würde, wenn uns das Gleiche zustoßen würde.“25 Wenn wir unsere Ziele verfolgen, behandeln wir uns als Selbstzweck: Wir wehren uns dagegen, als Mittel für die Zwecke anderer Menschen benutzt zu werden. Doch das tut auch jedes Tier, und diese Art, unsere Ziele zu bewerten, ist einfach unsere Art, ein Tier zu sein.26 Alle Tiere verleihen ihren Zielen einen absoluten Wert. Für Korsgaard genügt dies für die Schlussfolgerung, dass Tiere Selbstzwecke im Sinne Kants sind, was bedeutet, dass jedes von ihnen eine Würde hat und nicht, wie Besitztümer, nur einen Preis. Tiere als bloße Mittel zu behandeln, verstößt gegen diese Würde.27 Ein Tier als Zweck zu behandeln, bedeutet, das, was für das Tier gut ist, um dieses Lebewesens willen zu bewerten, nicht um unsertwillen oder um irgendeines absoluten, ungebundenen Wertes willen.28 Wenn wir es versuchen, können wir verstehen, was für ein Kaninchen gut ist, und ein Kaninchen als Zweck zu behandeln, bedeutet, diese Dinge (Leben, Nahrung, Sicherheit) für dieses Kaninchen wertzuschätzen, weil sie für das Kaninchen wichtig sind. So wie das Recht eines jeden Menschen, seine eigenen Ziele zu verfolgen, durch die Rechte aller anderen Menschen begrenzt ist, so ist auch unser Recht, unsere Ziele zu verfolgen, durch unser einfühlsames Verständnis für das Wohl anderer Tiere begrenzt (oder sollte es sein). Kurz gesagt: Der Anspruch der anderen Tiere auf den Status eines Selbstzweckes hat die gleiche letzte Grundlage wie unser eigener Anspruch, die gleiche letzte Grundlage wie sämtliche Moralität – die selbstbejahende Natur des Lebens selbst.29 Ein weiterer Grund dafür, Tiere uns nah sein zu lassen, besteht darin, dass sie gut für uns sind. Sie erinnern uns an „das Allerwichtigste, was wir mit ihnen teilen: die pure Freude und den Schrecken der bewussten Existenz“.30 All dies scheint mir genau zuzutreffen, und durch die Betonung dieser (aristotelischen) Fakten macht Korsgaard einen wesentlichen Fortschritt gegenüber ihrer Argumentation in den Tanner-Vorlesungen. In den Vorlesungen schien sie zu sagen, dass wir Tiere wertschätzen sollten, weil wir erkennen, dass sie uns ähnlich sind, und ich stellte diesen Schritt in Frage. Jetzt ist es viel deutlicher, dass die Wahrnehmung der Ähnlichkeit zwischen uns und anderen Tieren lediglich eine heuristische Funktion hat, die uns zu verstehen hilft, welche

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Art von Lebewesen sie sind, und dass sie nicht der Grund für ihren Anspruch an uns ist. Ihr Anspruch an uns und unsere Ansprüche aneinander haben genau dieselbe Quelle. Mein Einwand, dass wir keinen Grund hätten, uns um andere Tiere zu sorgen, wenn wir anders wären, wie beispielsweise Roboter, scheint diese Sichtweise nicht mehr zu treffen. Unsere moralischen Gründe wären dieselben: Weil Tiere ein Gut verfolgen und ihm einen Wert verleihen, sollten wir sie allein aus diesem Grund als Selbstzweck behandeln. Es wäre lediglich schwerer für uns, ein empathisches Verständnis für ihr Leben zu entwickeln. Bis zu diesem Punkt sind Korsgaard und ich uns vollkommen einig. Ein großer Unterschied ergibt sich jedoch aus der Tatsache, dass Korsgaard hier wie in den Vorlesungen darauf besteht, dass sämtliche Werte eine menschliche Schöpfung sind. Sie existieren nicht „draußen in der Welt“, wo sie gefunden werden können. Wenn wir also das Leben von Tieren wertschätzen, dann tun wir dies, weil wir diesem Leben einen Wert beimessen, so wie wir es mit unserem eigenen Leben tun. Korsgaards Gründe für ihre Ansicht sind kantisch: Unsere Vernunft ist begrenzt und berechtigt uns nicht zu Behauptungen, die über die Grenzen unserer Erfahrung hinausgehen. Meine ausführliche Antwort auf dieses Argument werde ich in Kapitel 5 darlegen. Kurz gesagt, besteht sie darin, dass diese umstrittene metaphysische Position für Korsgaards Schlussfolgerung über den Wert von Tierleben nicht notwendig ist. Darüber hinaus ist sie tatsächlich unangemessen, wenn es uns darum geht, gute politische Grundsätze aufzustellen, die Menschen mit unterschiedlichen religiösen und metaphysischen Ansichten zusammenbringen können. Wenn wir politische Grundsätze anstreben – und ich denke, das tun wir beide –, dann müssen wir uns darum bemühen, eine politische und juristische Perspektive auszuarbeiten, die für Menschen mit vielen verschiedenen metaphysischen und säkularen Auffassungen davon, woher unsere Werte letztlich stammen, im Ergebnis akzeptabel ist. Und dies bedeutet, dass wir nicht versuchen sollten, eine vollumfängliche moralische Perspektive zu rechtfertigen, indem wir zu sämtlichen Fragen einer umfassenden Metaphysik Stellung beziehen. In Kapitel 5, in dem ich meine eigene Sichtweise beschreibe, werde ich dies näher erläutern. Korsgaard sagt nie, ob sie eine Grundlage für politische Prinzipien und Gesetze entwirft, doch es scheint so, als würde sie genau das tun und nicht nur ihre eigene, bevorzugte moralisch-metaphysische Perspektive ausarbeiten: Letztendlich will sie, dass es zu guten Gesetzen kommt. Sie sollte daher keine kontroversen metaphysischen Elemente aufnehmen, die nicht erforderlich sind,

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um für die Rechte der Tiere zu plädieren. Dies ist demnach ein Punkt, an dem Korsgaard und mich eine große Meinungsverschiedenheit trennt, sowie ein weiterer Einwand gegen ihr Projekt, selbst in seiner modifizierten Form.

Instinkt, Kultur, Wahl: gegen die kantische Dichotomie Ich hatte zwei Einwände gegen Korsgaards erste Sichtweise der Rechte von Tieren. Der eine Einwand, dass sie die Tiere nur aufgrund einer zufälligen Ähnlichkeit mit uns wertschätzt, wurde durch die subtile Analyse des Buches ausgeräumt. Der zweite Einwand bleibt jedoch bestehen. Korsgaard zieht in Bezug auf den Bereich der moralischen Fähigkeiten auch weiterhin eine sehr scharfe Grenze zwischen dem Menschen und allen anderen Tieren. Die Welt, so behauptet sie, begegnet den Tieren bereits praktisch ausgedeutet: Objekte erscheinen dem Tier als Objekte, vor denen zu fliehen ist, die zu verfolgen sind usw. Es ist der vererbte Instinkt, der diese Abgrenzungen vornimmt. Tiere sind hochintelligent, und ihre Intelligenz ermöglicht es ihnen, aus Erfahrungen zu lernen und auf diese Weise die Reichweite und den Erfolg ihres Instinkts zu vergrößern. Sie sind jedoch weiterhin an ihre Instinkte gebunden, und sämtliche ihrer „Entscheidungen“ werden vom Instinkt diktiert und sind keine wirklichen Entscheidungen. Aus diesem Grund, so folgert Korsgaard, können sie nie mehr als „passive Bürger“ sein. Damit scheint sie zu meinen, dass Tiere nie an der Art von moralischer Gegenseitigkeit teilhaben können, die unerlässlich ist, um gute politische Entscheidungen zu treffen. Wir können sehen, was ihr angestrebtes Gut ist, und es berücksichtigen. Aber sie können nicht ihre Sicht des Guten ändern, unangemessene Verhaltensweisen einschränken oder in einen Dialog über Normen eintreten. All dies wäre ein wesentlicher Bestandteil aktiver Bürgerschaft. (Moralische) Vernunft ist etwas anderes: Sie ist eine Fähigkeit, die Gründe für unsere Handlungen zu analysieren, „zu fragen, ob die möglichen Gründe für unsere Überzeugungen und Handlungen gut sind, und unsere Überzeugungen und Handlungen den Antworten, die wir erhalten, entsprechend anzupassen“.31 Intelligenz schaut nach außen auf die Welt und ihre Zusammenhänge. Rationalität blickt hingegen nach innen auf die Funktionsweise unseres Verstandes und stellt normative Fragen zu den Zusammenhängen, die sie findet.32 Diese Fähigkeit zur normativen Selbststeuerung, so hebt Korsgaard her-

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vor, fehlt anderen Tieren vollständig. Ihr instinktives Handeln ist zwar nicht immer mechanisch und kann auch flexibel sein, doch wird es von einer teleologischen Wahrnehmung beherrscht. Wir Menschen prüfen und bewerten hingegen unsere Gründe. Da wir den Ursprung unseres Handelns in uns selbst sehen, bewerten wir uns selbst. Unser Selbstverständnis ist im Wesentlichen normativ oder evaluativ.33 Korsgaard räumt zwar ein, dass selbstbewertende Emotionen wie Stolz und Scham im Leben von Tieren zu existieren scheinen, doch hält sie diese für Approximationen, nicht für die Sache selbst, und weigert sich zuzugeben, dass andere Tiere sich selbst bewerten – obwohl sie einräumt, dass es sich hierbei um eine empirische Frage handelt.34 Sie stellt noch zwei weitere Unterschiede fest: Menschen haben eine Vorstellung von ihrer Art und von ihrem Leben als Teil des umfassenderen Lebens der menschlichen Art.35 Außerdem kann der Mensch sich fragen, wie die Welt für ein anderes Selbstzentrum aussieht, sei es der gleichen oder einer anderen Art.36 Kein anderes Tier könne das; darauf besteht sie: Tiere sähen die Welt immer aus dem Blickwinkel ihrer eigenen Interessen. Abermals bin ich der Auffassung, dass wir es dort, wo Korsgaard eine scharfe binäre Trennung sieht, in Wirklichkeit mit einem Kontinuum zu tun haben. Wenn ein Hund heldenhaft ein ertrinkendes Kind rettet, wenn Elefantenmütter ihr Leben riskieren und manchmal auch verlieren, um ein Elefantenbaby zu retten, das sich auf ein Bahngleis verirrt hat,37 wenn Wildhunde Fleisch an verletzte Hunde austeilen, die nicht mehr mit dem Rudel mithalten können,38 dann handeln sie altruistisch und behandeln andere Lebewesen als Zweck, wobei sie normalerweise egoistische Wünsche zurückstellen, um dies zu tun.39 Durch die bahnbrechenden Arbeiten von Frans de Waal sind Schimpansen, Gorillas und Bonobos mittlerweile für ihre zahlreichen Formen altruistischen Verhaltens bekannt.40 Und nur wenige Menschen, die mit einem Hund zusammenleben, können leugnen, dass dieser auf die Notlage seines menschlichen Begleiters lebhaft reagiert oder dass er bereit ist, ein persönliches Risiko einzugehen, um einem Menschen oder manchmal auch einem anderen Tier zu Hilfe zu kommen. Dieses Verhalten hat seine Grundlage zwar zweifellos im Instinkt, doch wir sollten an dieser Stelle zwei Punkte anführen. Erstens beruht unser eigenes moralisches Verhalten auch auf unserer instinktiven, evolutionären Ausstattung: Die vererbte Disposition, anderen beizustehen, hat dem Menschen dabei geholfen, zu überleben und zu gedeihen. Und zweitens müssen sowohl Menschen

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als auch andere Tiere darin unterwiesen werden, ihre Instinkte in angemessener Weise zu entwickeln. Wenn wir mit Tieren zusammenleben, können wir dieses kulturelle Element in ihrem Verhalten deutlich erkennen: Hunde, die nicht richtig trainiert wurden, verhalten sich unbeherrscht, und sie können sogar zu gefährlicher Aggression erzogen werden (etwa wenn Pitbulls, die liebevoll und kooperativ sein können, stattdessen dazu erzogen werden, anzugreifen). Hunde, die gut trainiert sind, verinnerlichen Normen, die für ihr Verhalten relevant sind. Das Gleiche gilt für viele Wildtiere. Wissenschaftler haben beobachtet, dass Elefantenbabys, wenn ihre Gemeinschaften durch Wilderei zerstört werden und sie ohne eine mütterliche Gruppe, die sie aufzieht, zurückbleiben, in der Folge ein wildes und, wie wir es nennen könnten, pathologisches Verhalten zeigen – das zu erwartende Ergebnis, wenn Liebe und eine angemessene Erziehung fehlen. Bedauerlicherweise sehen wir dies auch bei anderen Tierarten: zum Beispiel bei Orcas, die aus ihrer Gruppe gerissen werden, um der Unterhaltung in Meeres-Themenparks zu dienen (siehe Kapitel  10). Und wir wissen, dass Primaten, die als Jungtiere missbraucht wurden, genau wie Menschen später selbst Missbrauch verüben. In Experimenten des Primatenforschers Dario Maestripieri mit Rhesusaffen wurden Jungtiere ausgetauscht: Eine misshandelnde Affenmutter erhielt das Kind einer guten Mutter zur Erziehung, und das Kind der misshandelnden Mutter wurde der guten Mutter gegeben. Das Experiment zeigt eindeutig, dass das Verhalten von der Umgebung und nicht von den Genen abhängt: Die misshandelnde Mutter machte ihr Pflegekind zu einem Missbrauchstäter, und die gute Mutter zog ein anständiges Kind auf.41 Der Umfang, in dem das Verhalten von Tieren durch die Kultur und nicht durch den Instinkt bestimmt wird, ist bei verschiedenen Arten sicherlich unterschiedlich, und wir müssen noch viel mehr über dieses Thema erfahren. Doch erweist sich der Einfluss der Kultur in fast allen Fällen als größer, als wir es bisher vermutet haben. In einer besonders gründlichen Studie zur Frage „Gene oder Kultur?“ bei einer großen Gruppe von Säugetieren haben die Biologen Hal Whitehead und Luke Rendell schlüssig bewiesen, dass viele Aspekte im Leben von Walen und Delfinen stärker durch das Lernen innerhalb einer Gruppe als durch den Instinkt geprägt sind.42 Eine weitere hervorragende Untersuchung dieses Unterschieds ist Carl Safinas Die Kultur der wilden Tiere: Wie Wale Familien gründen, Papageien Schönsein lernen und Schimpansen Frieden schließen.43 Safina ist kein Wissenschaftler, doch seine Kenntnis der einschlägigen

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Forschung ist umfassend, und er begleitet die Wissenschaftler bei ihrer Arbeit. Anhand von drei Tierarten – Pottwalen, Aras und Schimpansen – zeigt er die große Bedeutung des sozialen Lernens. Alle drei Arten verfügen über soziale Mechanismen, um Jungtieren ihrer Gruppen angemessene Normen beizubringen und so die instinktiven Anlagen in eine Richtung zu entwickeln, die das Wohl der Gruppe und des Einzelnen fördert. Ist dies nicht genau das, was alle guten Eltern zu tun versuchen? Als Nächstes drängt sich die logische Frage auf: „Und was glauben wir eigentlich, wer wir sind?“ Wir sind keine Engel oder Außerirdische von einem besonderen Rationalitätsplaneten. Da auch wir zum Teil Instinktwesen sind, müssen wir ebenfalls lernen, unangemessene Verhaltensweisen zu unterdrücken und gemeinschaftsförderliche zu entwickeln. Wenn das nicht geschieht, kommt es zu Auswüchsen und Narzissmus in vielen Formen. Der Unterschied, wenn es denn einen gibt, scheint also eher einer des Grades als der Art zu sein. Nur wenige Menschen sind perfekte Kantianer: Das ist ja gerade der Inhalt von Kants anspruchsvoller Moralphilosophie mit ihren so hoch gesteckten Zielen. Die Unterweisungen im sozialen Verhalten der Menschen sind höchst unterschiedlich und haben eine Vielzahl sozialen Fehlverhaltens zur Folge. Wie Korsgaard in einer Antwort auf de Waal selbst einräumt, können die Dinge, wenn sie schiefgehen, außerordentlich schiefgehen: Menschen sind zu Entstellungen und Perversionen fähig, die in der übrigen Tierwelt unbekannt sind.44 Manchmal erteilen uns Tiere Lektionen in moralischem Verhalten, vor allem, wenn sie die Fähigkeit zu bedingungsloser Liebe und Hingabe zeigen, während die Liebe unter Menschen so häufig durch Egoismus entstellt wird. Im wirklichen Leben gibt es zahlreiche solcher Fälle, doch betrachten wir einen fiktiven Fall, der auf den Beobachtungen des Autors im wirklichen Leben basiert: die Liebe des Hundes Rollo zu Effi in Theodor Fontanes tragischem Roman Effi Briest (1895). Effi wird im Alter von 16 Jahren von ihren Eltern mit einem achtbaren, aber ernsten Mann in den Vierzigern verheiratet und führt ein Leben ohne Freude und Freundschaft. Sie lässt sich auf eine Affäre ein, die sie aber bald wieder beendet, weil sie glaubt, dass ihre Ehe besser werden kann. Und so kommt es auch: Es wird ein Kind geboren, und der Ehemann beschließt, nach Berlin zu ziehen, um Effi so mehr Freude und Freundschaften zu ermöglichen. Doch nach acht Jahren eines glücklichen Lebens entdeckt der Ehemann Beweise für die lange zurückliegende Affäre. Obwohl er sie liebt und ihr in seinem Herzen verzeiht, sieht er sich aufgrund der gesellschaftlichen Normen gezwungen,

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sie zu verstoßen und zu meiden und sich mit dem Liebhaber (den er dabei tötet) zu duellieren. Auch Effis Eltern sehen sich gezwungen, sie zu verstoßen. In ihren letzten Tagen, in denen sie immer schwächer wird und schließlich stirbt, kümmert sich nur der Neufundländer Rollo um sie, unter Verzicht auf Essen und vergnügliche Aktivitäten. Nur er trauert an ihrem Grab. Effis Vater gibt ihrer Mutter zu bedenken, dass Tiere vielleicht etwas Wichtiges wissen, das Menschen nicht wissen – und mit dieser Frage endet der Roman. Was Rollo nicht kannte, war ein ganzes Bündel repressiver gesellschaftlicher Konventionen, die Effi als „gefallene Frau“ brandmarkten. Was er aber kannte, war die Liebe, und dies ist ein Punkt, den Fontane, ein genauer Beobachter von Tieren, in seinem Werk öfters hervorhebt. Zurück zu Korsgaards Behauptung, Tiere seien nicht in der Lage, die Welt aus dem Blickwinkel eines anderen zu sehen: Diese Fähigkeit zur perspektivischen Sicht ist bei vielen Arten vorhanden, einschließlich Hunden, zahlreichen Primaten, Elefanten, Delfinen, vielen Vögeln und sehr wahrscheinlich auch vielen anderen, wie wir in Kapitel 6 noch sehen werden. Die Primatenforscherin Barbara Smuts beschreibt, wie ihre Begleithündin Safi so gut auf Barbaras Stimmungen eingestellt war, dass sie eine bevorstehende schwere Depression erkannte, obwohl Barbara sich derer selbst noch nicht bewusst war. Safis Sorge zeigte Barbara, dass es einen Grund zur Sorge gab. So etwas ist nicht ungewöhnlich, wenn Menschen Tieren mit Respekt und inniger Nähe begegnen.45 Auch die Tatsache, dass wir die Sprachen, in denen andere Tiere ihre Gedanken mitteilen, nicht verstehen (siehe Kapitel  6), sollte uns nicht zu der Annahme verleiten, dass sie keine Gedanken haben. Eines Tages wird sich unser Verständnis für diese Kommunikationssysteme möglicherweise verbessern. In der Zwischenzeit sollten wir (wie Korsgaard selbst vorschlägt) Einfühlungsvermögen zeigen und uns einfach vorstellen, wie die Welt für ein Tier aussehen könnte, das wir zu verstehen versuchen. Korsgaard behauptet, andere Tiere seien nicht in der Lage, sich als Mitglieder einer Spezies zu sehen, was eine gewichtige moralische Einschränkung bedeute. Nun, als Erstes stellt sich die Frage, ob ein ausgeprägtes Bewusstsein der Zugehörigkeit zur menschlichen Spezies und die Tendenz, sich über das Schicksal „der Menschheit“ zu definieren, eine Tugend oder ein Laster ist. Ich neige zu der Ansicht, dass es eher ein Laster als eine Tugend ist, da es allzu oft dazu führt, dass wir uns von anderen empfindungsfähigen Wesen abkapseln. Ich denke, es wäre gut, wenn die Menschen stattdessen an ein gemeinsames Projekt denken

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könnten, wie es möglich ist, diese Erde mit Gerechtigkeit und Freundlichkeit zu bewohnen. Doch selbst das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Art ist kein rein menschliches: Es macht Elefanten traurig, wenn sie Elefantenknochen sehen, auch wenn es sich um Knochen von Tieren handelt, die nicht zu ihrer eigenen Gruppe gehörten. Sehr wahrscheinlich werden wir mit zunehmendem Wissen viele weitere derartige Beispiele finden. Was bedeutet all dies für die Art der „Mitbürgerschaft“, die Tiere ausüben können? Zunächst einmal sollten wir zugeben, dass sämtliche Tiere Ansprüche stellen. Sie geben uns Hinweise darauf, was sie zu ihrem Wohlergehen benötigen; wir müssen nur aufmerksam genug sein, sie zu entschlüsseln. Das allein ist für mich bereits eine Weise, wie Tiere als aktive, und nicht als „passive“ Bürger verstanden werden sollten. Die meisten Tiere verfügen jedoch auch über die Fähigkeit zu lernen und ihr Verhalten an Normen anzupassen, und diese Fähigkeit ist ausschlaggebend für das Schaffen einer gemeinsamen, artenübergreifenden Gesellschaft. Welche Auswirkungen dies auf Gesetze und Regeln hat, ist je nach Tierart sehr verschieden, und ich werde in meinen Kapiteln über Haus- und Wildtiere ausführlicher darauf eingehen. Was man von Tieren nicht erwarten kann, ist die Teilnahme an parlamentarischen Verfahren, an der Ausarbeitung von Gesetzen, an Abstimmungen, an Gerichtsverfahren und so weiter. Wenn man der Meinung ist, dass diese Dinge den Kern der Staatsbürgerschaft ausmachen, wird man bezweifeln, ob Tiere aktive Bürger sein können. Ich denke allerdings, dass dies zu eng gefasst ist: Der Kern der Staatsbürgerschaft besteht darin, sich irgendwie an der Gestaltung der Bedingungen zu beteiligen, die unser Zusammenleben auf diesem Planeten bestimmen, und dazu sind Tiere durchaus in der Lage, auch wenn sie menschliche Stellvertreter benötigen, die in ihrem Interesse Gesetze verfassen, Prozesse führen und so weiter. Kants ganzes Unternehmen ist der Versuch, den Menschen über das Tierreich zu erheben. Er stellt uns auf eine Stufe mit den Engeln, oder besser gesagt: Er stellt uns als gefallene Engel dar. Es ist daher unmöglich, dass Kant selbst die Idee akzeptieren würde, unsere moralischen Fähigkeiten seien ein Teil unserer tierischen Natur und wir seien – so gut und tiefsinnig wir manchmal auch sein mögen – nichts Herrlicheres und nichts weniger Herrliches als eine einzigartige Tierart. Korsgaard befindet sich in einer unbequemen Position – sie kann Kant nicht darin zustimmen, dass die anderen Geschöpfe keine Zwecke haben und ohne eigenen Wert sind. Doch ebenso wenig kann sie die kantische Idee preisgeben, dass in unseren Fähigkeiten etwas wirklich Einzigartiges und

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einzigartig Wunderbares liegt, etwas, das uns vom Rest der Natur abhebt, wenn auch nicht über sie hinaus. Ihre Position wäre nicht unbequem, wenn sie einfach sagen würde: Dies ist die menschliche Lebensform, und sie unterscheidet sich zu einem gewissen Teil von anderen Lebensformen. Alle Lebensformen sind auf ihre eigene Weise einzigartig und wunderbar. Doch sie will eindeutig höhere Ansprüche an die moralische Vernunft des Menschen stellen und bleibt in dieser Hinsicht eine Kantianerin – obwohl sie diese Ansprüche nicht braucht, um ihre Argumentation für Tierrechte darzulegen. Sie verwirren den Leser und rücken den Ansatz in unangenehme Nähe zu den Ansichten, die ich in Kapitel 2 zurückgewiesen habe. Für mich besteht der richtige Weg, der uns weiterbringt, darin, unsere Fähigkeiten als das zu sehen, was sie sind: eine besondere und wunderbare Art der tierischen Natur, eine unter den zahlreichen wunderbaren Arten der tierischen Natur, die sich alle auf zahllose Weisen voneinander unterscheiden. Und anstatt Moral als etwas zu verstehen, das uns von unseren Mitgeschöpfen unterscheidet, sollten wir sie als ein Band sehen, das uns mit ihnen verbindet. Das Bewusstsein für diese Gemeinsamkeit sollte unsere Neugierde vertiefen und unser Verstehen durchdringen. Korsgaards und meine eigene Sichtweise weisen zahlreiche Gemeinsamkeiten auf; ihr Ansatz reicht auf jeden Fall aus, um ein umfassendes moralisches und politisches Interesse an anderen Tieren zu begründen. Auch ihre praktischen Schlussfolgerungen stimmen in den meisten Punkten mit meinen überein. Im nächsten Kapitel werden wir sehen, dass mein Fähigkeitenansatz einen Teil der kantischen Sichtweise problemlos übernehmen kann: eine einnehmende Darstellung der Grundlage von Tierrechten und der Funktion des Rechts. Wenn die Leser der Besonderheit des Menschen (nicht einer Überlegenheit, die Korsgaard ablehnt) mehr verbunden sind, als ich es bin, dann kann Korsgaards Sichtweise attraktiv sein und sie mögen an ihr festhalten wollen. Sie geht weit über den „Uns-so-ähnlich“-Ansatz und sogar über den utilitaristischen Ansatz hinaus (auch wenn sie vielleicht nicht besser ist als Mills Version). Der Leser, der versucht ist, sich an Korsgaards Sichtweise zu klammern, sollte jedoch deren Nachteil bedenken, dass sie weitreichende – und, wie ich sagen würde, unnötige – metaphysische Behauptungen aufstellt. Auf meine diesbezügliche Meinungsverschiedenheit mit Korsgaard habe ich bereits hingewiesen, und ich werde bei der Darlegung meiner eigenen Ansicht

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noch ausführlicher darauf eingehen. Wenn die Leser von Kapitel 5 mir darin zustimmen, dass solche metaphysischen Behauptungen für die Formulierung gemeinsamer politischer Grundsätze ungeeignet sind, so wird dies ein weiterer Grund dafür sein, Korsgaards Ansicht abzulehnen. Korsgaards kantische Argumente haben die Idee von der Achtung der Würde eines anderen individuellen Lebewesens erhellt – eine Idee, die ich im Utilitarismus schmerzlich vermisst habe. In diesem Punkt können Menschen, denen es um das Wohl der Tiere geht, viel von Kant lernen. Für mich spalten Korsgaards Argumente jedoch nach wie vor die menschlichen Tiere von der Welt der Natur ab, und zwar in einer Weise, die für die meisten ihrer eigenen moralisch-politischen Projekte nicht erforderlich ist. Korsgaard und ich können übereinstimmend die tiefe Einsicht akzeptieren, dass Tiere Zwecke sind; und ich glaube, dass sie zum Zweck der Formulierung politischer Grundsätze ihre Behauptungen über die moralische Sonderstellung des Menschen zurücknehmen könnte. Täte sie dies, so würden sich unsere Sichtweisen fast vollständig überschneiden. Es ist also Zeit, sich dem Fähigkeitenansatz zuzuwenden.

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Der Fähigkeitenansatz: Lebensformen und die Achtung vor den Lebewesen, die sie leben

Wozu sind Menschen wirklich fähig – was können sie tun und sein? Diese sehr grundlegende Frage ist der Ausgangspunkt meines eigenen Ansatzes, des Fähigkeitenansatzes (FA). Dieser Ansatz besagt, dass eine Gesellschaft nur dann auch nur annähernd gerecht ist, wenn sie jedem einzelnen Bürger einen Mindestumfang zentraler Fähigkeiten garantiert, die als wesentliche Freiheiten oder Wahl- und Handlungsmöglichkeiten in von Menschen im Allgemeinen sinnvollerweise wertgeschätzten Lebensbereichen definiert sind. Bei Fähigkeiten handelt es sich um zentrale Rechte, die mit einer Liste von Grundrechten gut vergleichbar sind. Der Fähigkeitenansatz betont jedoch, dass das Ziel nicht nur aus wohlklingenden Worten auf Papier besteht. Es geht darum, Menschen tatsächlich in die Lage zu versetzen, eine Aktivität auch wirklich auszuüben, wenn sie dies wollen. Er legt daher einen größeren Wert auf die materielle Befähigung als viele andere auf Rechten basierende Ansätze. Wie bei diesen bleibt jedoch auch hier Raum für individuelle Freiheit: Jemand, der über sämtliche in der Liste der Fähigkeiten aufgeführten grundlegenden Möglichkeiten oder Rechte verfügt, ist nicht verpflichtet, sie auch zu nutzen. Die Entscheidung zu handeln, bleibt der Person selbst überlassen. Obwohl der FA eine Theorie der politischen Gerechtigkeit ist und sich einer theoretischen Sprache bedient, konzentriert er sich darauf, den konkreten Bemühungen der Menschen nahezukommen, indem er Bürger als aktive, zielstrebige Wesen sieht, die versuchen, ein vollständig entwickeltes Leben zu führen, das sie selbst gestalten. Im Wesentlichen geht es dem FA also darum, strebenden Lebewesen eine Chance zu geben, sich vollständig zu entwickeln und zu gedeihen. Für den Fähigkeitstheoretiker bedeutet eine Chance zum Gedeihen nicht nur das Vermeiden von Schmerz, sondern auch eine Liste positiver Möglichkeiten, die wir

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Der Fähigkeitenansatz

später in der Liste der Fähigkeiten finden werden: die Möglichkeit, sich guter Gesundheit zu erfreuen, die eigene körperliche Unversehrtheit zu schützen, den Gebrauch der eigenen Sinne und der Einbildungskraft zu entwickeln und zu genießen; die Möglichkeit, ein Leben zu planen, in einer Vielzahl von sozialen Zusammenhängen zu stehen, zu spielen und sich zu vergnügen, zu anderen Arten und der Natur in Beziehung zu treten sowie die eigene Umwelt in zentralen Aspekten zu kontrollieren. Diese Betonung der gedeihlichen Entwicklung und der großen Vielfalt zentraler Möglichkeiten macht den Ansatz besonders dafür geeignet, als Grundlage für eine Theorie der Gerechtigkeit für Tiere und auch für Menschen zu dienen. In dieser Theorie wird, wie in der kantischen Theorie von Korsgaard, jedem einzelnen Lebewesen eine Würde zuerkannt, die das Recht und die Politik respektieren müssen, indem sie das Individuum als Zweck und nicht nur als Mittel behandeln. Im Gegensatz zu Korsgaards Theorie hebt der FA allerdings die moralischen Fähigkeiten des Menschen nicht als für politische Entscheidungen ausschlaggebender hervor als andere Aspekte des Lebens von Tieren. Stattdessen betrachtet er sämtliche menschlichen Fähigkeiten als Teilelemente der Anlagen eines sterblichen und verletzlichen Tieres, das – wie alle empfindungsfähigen Tiere – in seinem Leben eine faire Chance verdient. (In Kapitel 6 werden wir die zentrale Frage behandeln, was Empfindungsfähigkeit ist und welche Tiere darüber verfügen.) Aufgabe dieses Kapitels ist es, diese gedrängte Zusammenfassung zu konkretisieren und zu zeigen, wie der FA erweitert werden kann, um die Fragen der Gerechtigkeit, denen wir im Leben der Tiere begegnet sind, mit abzudecken.1 Ich werde versuchen, meine Leser davon zu überzeugen, dass der FA der Vielfalt und Komplexität der Tierwelt besser gerecht werden kann als konkurrierende Ansätze und dass er in Fragen der Tiergerechtigkeit eine solide moralische Grundlage für Politik und Recht bereitstellt. Der Ansatz wurde ursprünglich für die Welt des menschlichen Lebens ausgearbeitet, und zwar als ein theoretisches Werkzeug für die Entwicklungsökonomie und darüber hinaus als Grundlage für eine Beschreibung minimaler Gerechtigkeit und verfassungsmäßig garantierter Rechte. Daher muss ich zunächst mit dem menschlichen Hintergrund beginnen, bevor ich zeige, was uns dieser Ansatz bietet, wenn wir über Fragen der Gerechtigkeit für alle empfindungsfähigen Tiere nachdenken, und wie er umgestaltet werden muss, damit er diese Aufgabe erfüllen kann.

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Der Fähigkeitenansatz in der Welt der Menschen

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Der Fähigkeitenansatz in der Welt der Menschen Zur Ausarbeitung des Fähigkeitenansatzes und für seine Verbreitung habe ich über viele Jahre hinweg mit einer internationalen Gruppe von Ökonomen und Philosophen zusammengearbeitet.2 Entworfen wurde er ursprünglich von dem mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Wirtschaftswissenschaftler und Philosophen Amartya Sen, einem indischen Staatsbürger, der in den USA lebt und lehrt. 1985 begann ich, mit Sen zusammenzuarbeiten, und schließlich entwickelte ich den Ansatz in einer etwas abgewandelten Richtung weiter.3 Eine 2004 gegründete internationale Organisation, die Human Development and Capability Association (HDCA ),4 bringt Wissenschaftler und politische Entscheidungsträger aus der ganzen Welt zusammen, um mithilfe von Jahrestagungen, Seminaren und einer Zeitschrift die verschiedenen Versionen des Ansatzes weiterzuentwickeln. Wir sind in vielem unterschiedlicher Auffassung und führen kontroverse Diskussionen; zwischen Sens Ideen und meinen eigenen gibt es beispielsweise subtile Unterschiede. In diesem Abschnitt werde ich den Ansatz zunächst in einer allgemeinen Form vorstellen und dann auf meine eigene Version eingehen. In der Wirtschaft geht es um das Leben der Menschen, und in der Entwicklungsökonomie geht es darum, dieses Leben zu verbessern. Das bedeutet das Wort „Entwicklung“. Über viele Jahre waren die vorherrschenden politischen Ansätze in der Entwicklungsökonomie in Bezug auf die Menschen einfältig. Sie maßen den Erfolg eines Landes oder einer Region anhand des Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro Kopf, ohne genauer zu untersuchen, wie das Wachstum das Leben der einzelnen Menschen in Bereichen von zentraler menschlicher Bedeutung verbessert oder nicht verbessert. Der verstorbene Mahbub ul Haq – ein pakistanischer Wirtschaftswissenschaftler, der die Berichte über die menschliche Entwicklung des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen ins Leben rief – schrieb im ersten dieser Berichte im Jahr 1990: „Der wahre Reichtum einer Nation besteht in ihren Menschen, und der Zweck von Entwicklung besteht darin, ein Umfeld zu schaffen, das es den Menschen ermöglicht, ein langes, gesundes und kreatives Leben zu führen. Diese zwar einfache, doch wirkmächtige Wahrheit wird im Streben nach materiellem und finanziellem Reichtum allzu oft vergessen.“5 Was ist daran falsch, den Fortschritt eines Landes anhand des durchschnittlichen BIP der Bevölkerung zu messen? Natürlich ist es gut, Wachstum zu fördern, solange alle anderen Faktoren gleich sind. Diese Zahl ist jedoch nur

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ein Durchschnittswert. Sie sagt nichts über die Verteilung aus, und sie kann große Ungleichheiten bezüglich der grundlegenden Lebenschancen von Einzelpersonen und Gruppen verschleiern. Jeder Mensch hat nur ein Leben zu leben, und es ist unwahrscheinlich, dass sich Menschen mit einem Leben voller Hindernisse und Entbehrungen abfinden, wenn sie hören, dass es ihrem Land (oder ihrem Staat) im Durchschnitt sehr gut geht. Weltweit streben Menschen – ebenso wie die anderen Tiere – nach Leben, und zwar nach einem guten Leben, das ihrer angeborenen Menschenwürde entspricht. Jeder Mensch ist ein Individuum und sollte als Zweck an sich betrachtet werden, nicht nur als Mittel für die Zwecke anderer. (In diesem Punkt stimmt der FA mit Kant überein.) Der am Bruttoinlandsprodukt orientierte Ansatz vernachlässigt außerdem die Pluralität und qualitative Heterogenität der verschiedenen Teilaspekte eines menschlichen Lebens. Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Bildung, Zugang zu politischer Teilhabe, Freizeit, Beziehungen, die von Respekt und nicht von Demütigung geprägt sind – diese und andere Elemente des Lebens sind alle wichtig, und ein Mehr von einem dieser Elemente wiegt das Fehlen eines anderen nicht auf. Menschen streben nach einem pluralistischen und vielfältigen Leben, und Regierungen müssen auf die verschiedenen Ziele achten, die Menschen aus guten Gründen wertschätzen und die nicht auf eine einzige messbare Größe reduziert werden können. Manchmal verbessert Wachstum alle diese wichtigen Dinge, doch keineswegs immer und keineswegs gleichmäßig. Einen weiteren Schritt hin zu einer angemessenen Theorie macht ein anderer wirtschaftlicher Entwicklungsansatz, der auf dem ökonomischen Utilitarismus basiert. Der ökonomische Utilitarismus bemüht sich in der Regel, die Präferenzen der Menschen maximal zu befriedigen (normalerweise geht es ihm um die durchschnittliche, nicht die totale Befriedigung). Vergleicht man ihn mit den tatsächlichen Zielen der Menschen, so weist dieser Ansatz vier Mängel auf. Es genügt, auf diese hier nur kurz einzugehen, da wir sie bereits in Kapitel 3 kennengelernt haben. Erstens handelt es sich, wie beim BIP-Ansatz, um einen Durchschnittswert, der Verteilungsungleichheiten vernachlässigt. Länder, die große Ungleichheiten tolerieren, können nach den Maßstäben des ökonomischen Utilitarismus daher eine gute Beurteilung erhalten. Zweitens vernachlässigt er, auch darin dem BIP -Ansatz ähnlich, die zahlreichen unterschiedlichen Aktivitäten, die Menschen anstreben, und behandelt Aktivitäten als Quellen eines einheitlichen Zustands der Zufriedenheit.

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Drittens verschleiert der utilitaristische Ansatz Ungleichheit noch auf eine weitere Art und Weise. Unter entbehrungsreichen Bedingungen bilden Menschen oft „adaptive Präferenzen“ aus, d. h. Präferenzen, die auf das niedrige Niveau zugeschnitten sind, von dem allein sie glauben, dass sie es erreichen können (siehe Kapitel 3). Diese verhängnisvolle Dynamik kann zur Folge haben, dass Menschen sich mit der Situation einer nachgeordneten Stellung zufrieden geben, sobald sie sich daran gewöhnt haben. Auf diese Weise kann der utilitaristische Ansatz zum Verbündeten eines ungerechten Status quo werden. Dieses Problem ist besonders akut, wenn Frauen das Gefühl vermittelt wird, höhere Bildung oder politische Teilhabe sei „nicht für sie“ bestimmt. Obwohl sie von diesen Dingen ausgeschlossen sind, können sie dennoch angeben, mit ihrer Situation zufrieden zu sein. Wie Untersuchungen von Sen gezeigt haben, geben sie manchmal sogar an, mit ihrem geschwächten und unterernährten Gesundheitszustand zufrieden zu sein, da sie glauben, dass Frauen von Natur aus schwächer sind und dass es ihnen „für eine Frau“ gut geht.6 Schließlich bewertet das utilitaristische Kalkül einen Zustand des Vergnügens oder der Befriedigung, nicht jedoch die Aktivitäten, die ihn letztlich herbeiführen. Wie wir sahen, wird durch diese Abwertung von Aktivitäten (wie sie in Robert Nozicks Gedankenexperiment der „Erfahrungsmaschine“, das wir in Kapitel 3 kennengelernt haben, erfasst wird) der Wert, den das tatsächliche Ausführen einer Aktivität für die Menschen hat, zu Unrecht herabgestuft. Die „Erfahrungsmaschine“ liefert ein sicheres Ergebnis und eliminiert den Zufall, während menschliche Aktivitäten zufällige Rückschläge und Möglichkeiten der Frustration umfassen. Trotzdem wollen Menschen tätig sein und Dinge anstreben und Befriedigung erreichen, indem sie dies tun, und zwar als das Resultat einer Aktivität, die ihre eigene ist. Eine kurzsichtige Entwicklungspolitik zielt oft darauf ab, Menschen ein gutes Gefühl zu geben, anstatt sie mit Fähigkeiten auszustatten. Eine derartige Politik zeugt normalerweise von einem Mangel an Respekt für arme Menschen, die lediglich als „Gefäße der Zufriedenheit“ und nicht als vollwertige Menschen behandelt werden, die ihr Leben aktiv gestalten. In der hochgradig bürokratisierten Welt der Entwicklungspolitik ist es sinnvoll, sich auf einige Menschen zu konzentrieren, die im realen Leben um ihre Entfaltung kämpfen, damit wir fragen können, was sie zu sein und zu tun versuchen und was sie daran hindert, sich zu entfalten. In einer früheren Arbeit habe ich mich mit dem Leben einer armen Frau namens Vasanti beschäftigt, die ich 1998 bei der Self-Employed Women’s Organization (SEWA, eine Organisation

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beruflich selbstständiger Frauen) in Ahmedabad im westindischen Bundesstaat Gujarat kennenlernte. Vasanti, ein Opfer häuslicher Gewalt, hatte ihren Mann verlassen und war zu ihrer Ursprungsfamilie zurückgekehrt. Sie verdiente sich ein verschwindend geringes Einkommen mit Näharbeiten und schlief auf dem Boden des ehemaligen Geschäfts ihres Vaters. Sie wurde dann von SEWA unterstützt, lernte lesen, wurde ermutigt, sich politisch zu engagieren, und erhielt einen Kredit für eine bessere Nähmaschine, um ihr Einkommen zu steigern. Befürworter des vorherrschenden Entwicklungsansatzes würden sagen, dass es Vasanti sehr gut geht, weil Gujarat ein reicher Staat mit einem relativ hohen Pro-Kopf-BIP ist. Doch was bedeutet dieses durchschnittliche BIP, so rühmlich es auch sein mag, für Vasanti? Es erreicht ihr Leben nicht, und es löst nicht ihre Probleme. Irgendwo in Gujarat ist der Wohlstand durch ausländische Investitionen gestiegen, sie aber bekommt davon nichts ab. Zu hören, dass das Pro-Kopf-BIP erfreulich angestiegen ist, ist für sie so, als würde man ihr sagen, es gebe zwar irgendwo in Gujarat ein wunderschönes Gemälde – nur könne sie es nicht anschauen, oder einen Tisch mit köstlichem Essen, nur könne sie nichts davon abbekommen. Als ich sie traf, ging es ihr zwar besser, doch nicht dank der Regierung von Gujarat, sondern lediglich dank der Arbeit der SEWA, einer Nichtregierungsorganisation. In seinem Roman Schwere Zeiten von 1854 schildert Charles Dickens, der die wirtschaftliche Entwicklung seiner Zeit scharfsinnig kritisierte, ein Klassenzimmer, in dem Kindern der auch heute noch vorherrschende, wachstumsorientierte Ansatz der wirtschaftlichen Entwicklung vermittelt wurde. Dem Zirkusmädchen Sissy Jupe, das erst seit Kurzem in der Klasse ist, wird gesagt, es solle sich vorstellen, dass das Klassenzimmer ein Land sei, in dem es Geld in Höhe von „fünfzig Millionen“ gebe. Nun sagt die Lehrerin: „Mädchen Nummer zwanzig“ (um der Zusammenfassung gerecht zu werden, haben die Schüler Nummern und keine Namen), „ist dies nicht ein wohlhabendes Land, und befindest du dich nicht in einem blühenden Staat?“ Sissy bricht in Tränen aus und rennt aus dem Zimmer. Sie erzählt ihrer Freundin Louisa Gradgrind, dass sie die Frage nicht beantworten konnte, „solange ich nicht wusste, wer das Geld bekommen hatte und ob etwas davon mir gehörte. Aber das hatte nichts damit zu tun. Es war überhaupt nicht in den Zahlen enthalten“.7 Dickens hatte Recht: Was wir in der Entwicklungspolitik brauchen, ist ein Ansatz, der die Frage von Sissy Jupe stellt, ein Ansatz, der Errungenschaften im Hinblick auf die Möglichkeiten jedes Einzelnen definiert und jeden als Zweck

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an sich betrachtet. Ein solcher Ansatz sollte nahe an der Basis ansetzen und sich mit den Lebensgeschichten konkreter Menschen und der Bedeutung politischer Veränderungen für sie befassen. Um eine Politik zu entwickeln, die für ein breites Spektrum der Lebensumstände von Menschen tatsächlich relevant ist, muss man neben den wirtschaftlichen, rechtlichen und wissenschaftlichen Daten viele Geschichten wie diejenige von Vasanti studieren und eine geschulte Sensibilität für die verschiedenen Faktoren entwickeln, die sich auf die Lebensqualität eines Menschen auswirken – und für jeden Lebensbereich fragen: „Was können die Menschen (und was kann jeder einzelne Mensch) tatsächlich tun und sein?“ Der Fähigkeitenansatz stellt und beantwortet diese sehr grundlegende und sehr praktische Frage. Das Wort „Fähigkeit“ bedeutet nicht „Fertigkeit“. Es steht für eine konkrete, wesentliche Freiheit oder Möglichkeit, in einem bestimmten, als wertvoll angesehenen Lebensbereich zu handeln. Um die Terminologie etwas genauer zu erläutern, unterscheide ich drei verschiedene Arten von Fähigkeiten, die alle in meiner Theorie eine Rolle spielen. Erstens gibt es die grundlegenden Fähigkeiten: die angeborene Ausstattung des Menschen, die ihn in die Lage versetzt, seine Ziele zu verfolgen. Zweitens gibt es interne Fähigkeiten, und diese sind wie Fertigkeiten: Eigenschaften, die in der Regel mithilfe von Familie und Gesellschaft entwickelt werden und die reifen, um – unter günstigen Umständen – in Aktivitäten zum Einsatz zu kommen. Lesen zu können, ist eine interne Fähigkeit.8 Doch sind die Umstände nicht immer günstig: Viele Menschen besitzen zwar die innere Fähigkeit, ihre Meinung zu wichtigen Themen zu äußern, können dies aber aus Angst vor politischer Repression nicht tun. Die meisten Menschen können religiöse Überzeugungen und das entsprechende Verhalten einnehmen, dennoch sind viele Menschen auf der Welt nicht in der Lage, ihre Religion auszuüben. Die dritte und wichtigste Art von Fähigkeiten sind daher diejenigen, die ich als kombinierte Fähigkeiten bezeichne, d. h. interne Fähigkeiten, die mit geeigneten Umständen verbunden sind, um die damit verbundene Tätigkeit wählen zu können. Im (auf den Menschen bezogenen) Fähigkeitenansatz ist jeder einzelne Mensch ein Zweck an sich, was bedeutet, dass das Ziel der Politik darin bestehen sollte, die Fähigkeiten jedes Einzelnen zu schützen und zu fördern und niemanden als bloßes Mittel zu den Zwecken anderer zu behandeln. Der Ansatz ist zwar eine allgemeine Theorie, doch er ist stets auf Geschichten wie diejenige von Vasanti bezogen, auf das reale Leben und Streben der Menschen. In jeder

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Entwicklungstheorie muss man die Daten auf irgendeine Weise zusammenfassen, obwohl die Zusammenfassung immer die Gefahr birgt, dass Individuen als Mittel zum Zweck benutzt werden. Bei der Zusammenfassung der Daten wird den am schlechtesten Gestellten besondere Aufmerksamkeit gewidmet, um sicherzustellen, dass auch sie ein angemessenes Niveau erreicht haben. Jede Fähigkeit wird von den anderen getrennt betrachtet und nicht als Mittel zum Erreichen der anderen eingesetzt. (Das Ziel besteht also nicht darin, die Gesamtheit der Fähigkeiten der Menschen zu maximieren.) Es kann sein, dass Menschen in Bezug auf eine Fähigkeit gut dastehen, während sie hinsichtlich einer anderen schlecht abschneiden. Für die Frage der Gerechtigkeit spielen sie alle eine Rolle. Der Ansatz zielt auch nicht darauf ab, die Fähigkeiten innerhalb jedes Fähigkeitsbereichs zu maximieren. Er beabsichtigt stattdessen, in jedem Bereich einen hohen, jedoch angemessenen Schwellenwert zu erreichen. Häufig gibt es einige Punkte, bei denen man besonders gut ansetzen kann: Fähigkeiten, die sich auf andere Fähigkeiten fruchtbar auswirken. Ein guter politischer Entscheidungsträger wird sich zuerst auf diese konzentrieren, um so das Fähigkeitsniveau insgesamt anzuheben. In ihrem ausgezeichneten Buch Disadvantage9 bezeichnen Jonathan Wolff und Avner de-Shalit diese als fertile functionings („fruchtbare Funktionen“).10 So ist Bildung häufig ein universeller Fähigkeitenverstärker, der Beschäftigungsmöglichkeiten, politische Teilhabe, Gesundheit, Selbstachtung und vieles mehr verbessert. Die entsprechende negative Situation ist das, was Wolff und de-Shalit als corrosive disadvantage („schädigende Benachteiligung“) bezeichnen: das Ausfallen einer Fähigkeit, das sich in allen anderen Bereichen negativ auswirkt. In Vasantis Geschichte war die häusliche Gewalt eine schädigende Benachteiligung. Sie beeinträchtigte ihre körperliche Unversehrtheit, ihre Gesundheit und ihre emotionale Ausgeglichenheit; dadurch wurden auch ihre Beschäftigungsmöglichkeiten, ihre politische Teilhabe und ihre Beziehungen zu anderen beeinträchtigt. Diese Begriffe sind auch bei der Betrachtung des Lebens von Tieren wertvoll, und ich werde auf sie zurückkommen. Mittlerweile können wir erkennen, wie viele Informationen man bei der Verwendung dieses Ansatzes benötigt, um die richtigen Fragen stellen und Gesetzgebung wie Politik hilfreiche Empfehlungen geben zu können. Um zusammenzufassen, an welchem Punkt wir stehen: Der FA ist eine normative Theorie der Entwicklung – eine Theorie, die Wege aufzeigen soll, wie man Situationen verbessern kann, und die sich darauf konzentriert, sich den Be-

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strebungen konkreter Menschen und den Hindernissen für diese Bestrebungen anzunähern, indem sie die Menschen als aktive Wesen wahrnimmt, die ein gelingendes Leben anstreben, das sie selbst gestalten.

Von der vergleichenden Beurteilung zu einer Liste der grundlegenden Rechte Als der FA ursprünglich entwickelt wurde, sollte er eine neue Grundlage für den Vergleich eines Landes oder einer Region mit anderen bieten, eine Grundlage, die sich an realen Menschen orientiert und die konkreten Probleme nicht außer Acht lässt. Bei seiner Verwendung in den Berichten über die menschliche Entwicklung (Human Development Reports) wurden einige Fähigkeiten aufgrund ihrer Bedeutung für das Leben der Menschen bereits bevorzugt. So wurden beispielsweise Bildung und Gesundheit als besonders wichtig herausgestellt, und Sen hat in seinen Schriften immer wieder die Bedeutung der Rede- und Pressefreiheit betont; doch es gab keine konkrete Liste der wichtigsten Ziele. Das war auch nicht erforderlich, solange der Ansatz nur vergleichend verwendet wurde. In dem Moment jedoch, in dem wir anfangen zu fragen, was eine annehmbare gerechte Gesellschaft all ihren Mitgliedern bieten sollte, müssen wir uns über den Inhalt klar werden – zwar auf bescheidene und flexible Art und Weise, aber dennoch durch die Nennung von Rechten, die in der Verfassung eines Landes verankert werden könnten, wenn es über eine geschriebene Verfassung verfügt, oder die auf andere Weise rechtlich formuliert werden könnten, wenn das Land keine Verfassung besitzt. Auf welches Minimum an Gerechtigkeit hat jeder einzelne Mensch einen Anspruch, den er oder sie einfordern darf? Diese Grundlage für fundamentale Rechte habe ich in Form einer Liste zentraler Fähigkeiten formuliert, die in der Sprache der Theorie kombinierte Fähigkeiten sind.11

Die zentralen Fähigkeiten 1. Leben. In der Lage sein, ein Menschenleben normaler Länge zu führen; nicht vorzeitig sterben müssen oder nicht, bevor das Leben so eingeschränkt ist, dass es nicht mehr lebenswert ist.

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2. Körperliche Gesundheit. In der Lage sein, sich guter Gesundheit zu erfreuen, einschließlich der mit Sexualität und Fortpflanzung zusammenhängenden Aspekte; angemessen ernährt sein; eine angemessene Unterkunft haben. 3. Körperliche Integrität. Sich von einem Ort zu einem anderen frei bewegen können; vor gewalttätigen Übergriffen einschließlich sexueller Übergriffe und häuslicher Gewalt geschützt sein; Möglichkeiten zur sexuellen Befriedigung und zur Wahl in Fragen der Fortpflanzung haben. 4. Sinne, Fantasie und Denken. In der Lage sein, die Sinne zu benutzen, sich Dinge vorzustellen, zu denken und zu argumentieren – und dies auf eine „wahrhaft menschliche“ Weise, die durch eine angemessene Bildung gegeben ist, welche die Fähigkeit zu lesen und zu schreiben sowie mathematische und naturwissenschaftliche Grundkenntnisse einschließt, aber auch darüber hinausgeht. In der Lage sein, Fantasie und Denken selbstbestimmt anzuwenden, um religiöse, literarische, musikalische und andere Werke und Ereignisse zu erleben und selbst gestalten zu können. In der Lage sein, seinen Verstand auf eine Weise zu gebrauchen, die durch die Garantie der Meinungsfreiheit in Bezug auf politische und künstlerische Sprache sowie der Freiheit der Religionsausübung geschützt wird. In der Lage sein, angenehme Erfahrungen zu machen und unnötige Schmerzen zu vermeiden. 5. Emotionen. In der Lage sein, Beziehungen zu Dingen und Personen außerhalb unserer selbst zu haben, diejenigen zu lieben, die uns lieben und sich um sie zu sorgen, ihre Abwesenheit zu betrauern, ganz allgemein zu lieben, zu trauern, Sehnsucht, Dankbarkeit und berechtigten Ärger zu empfinden; keine Beeinträchtigung der eigenen emotionalen Entwicklung durch Furcht und Angst erleiden müssen. (Diese Fähigkeit zu unterstützen, bedeutet, Formen der menschlichen Zusammenkunft zu unterstützen, von denen sich zeigen lässt, dass sie für die Entwicklung des Einzelnen bedeutend sind.) 6. Praktische Vernunft. In der Lage sein, sich eine Vorstellung vom Guten zu machen und die Planung des eigenen Lebens kritisch zu hinterfragen. (Dies umfasst den Schutz der Gewissens- und Religionsfreiheit.)

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7. Zugehörigkeit. A. In der Lage sein, mit anderen zu leben und in Beziehung zu ihnen zu treten, andere Menschen anzuerkennen und Sorge für sie zu tragen sowie sich an verschiedenen Formen sozialer Interaktion zu beteiligen; sich die Situation eines anderen vorstellen können. (Der Schutz dieser Fähigkeit bedeutet, Institutionen zu schützen, die solche Formen der Zugehörigkeit entstehen lassen und fördern, sowie außerdem die Freiheit zu schützen, sich zu versammeln und die eigene politische Meinung zum Ausdruck zu bringen.) B. Über die sozialen Grundlagen von Selbstachtung verfügen und nicht gedemütigt werden; als ein Wesen mit eigener Würde behandelt werden, dessen Wert dem der anderen entspricht. Dies beinhaltet Bestimmungen gegen die Diskriminierung aufgrund von ethnischer Zugehörigkeit, Geschlecht, sexueller Orientierung, Kaste, Religion oder nationaler Herkunft. 8. Andere Arten. Mit Sorge für Tiere, Pflanze und die Welt der Natur sowie in Beziehung zu ihnen leben können. 9. Spielen. In der Lage sein zu lachen, zu spielen oder Freizeitaktivitäten zu genießen. 10. Kontrolle über die eigene Umwelt. A. Politisch: In der Lage sein, effektiv an politischen Entscheidungen teilzunehmen, die das eigene Leben betreffen; das Recht auf politische Partizipation haben; den Schutz der Rede- und Versammlungsfreiheit genießen. B. Materiell: In der Lage sein, Eigentum (sowohl Land als auch bewegliche Güter) zu besitzen und Eigentumsrechte auf der gleichen Grundlage wie andere zu haben; das Recht haben, sich gleichberechtigt mit anderen um einen Arbeitsplatz zu bewerben; vor ungerechtfertigter Durchsuchung und Festnahme geschützt sein; in der Arbeitswelt als Mensch arbeiten, praktische Vernunft ausüben und mit anderen Arbeitnehmern sinnvolle Beziehungen in gegenseitiger Anerkennung eingehen können. Es ist vorgesehen, dass diese Grundrechte entsprechend den besonderen Bedürfnissen und der Situation jedes Landes weiter präzisiert werden können, indem dieses Land eine Reihe von Maßstäben für ein Mindestmaß an Gerechtigkeit ausarbeitet, die es, wenn auch nicht sofort, so doch innerhalb eines angemessenen Zeitraums zu verwirklichen hoffen kann. Zu diesem Zweck muss

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die Verfassung des Landes für jeden dieser Punkte einen Schwellenwert vorgeben, sei es in schriftlicher Form oder durch schrittweise richterliche Auslegung. Wenn ein Staat nicht jedem seiner Bürger ein Minimum jedes einzelnen dieser Rechte gewährt, hat er das Mindestmaß an Gerechtigkeit verfehlt, egal wie umfangreich seine Vorsorge in anderen Bereichen auch sein mag. Wie dies bei allen verfassungsrechtlichen Auflistungen von grundsätzlichen Rechtsansprüchen der Fall ist, werden die einzelnen Punkte als qualitativ unterschiedlich und nicht als austauschbar angesehen. Wenn sich also eine Person darüber beklagt, dass ihre Redefreiheit beeinträchtigt ist, ist es keine gute Antwort zu sagen: „Aber sehen Sie sich doch an, welch umfassende Bildung wir anbieten!“ (Einige Nationen geben diese Antwort tatsächlich, doch sie ist lediglich eine fadenscheinige Ausrede für Tyrannei.) Warum ist die Liste eine Liste von Fähigkeiten und nicht von tatsächlichen Aktivitäten? Schließlich geht es doch darum, dass Menschen in die Lage versetzt werden sollen zu handeln! Menschen treffen jedoch unterschiedliche Entscheidungen. Einige werden nicht sämtliche Möglichkeiten auf der Liste nutzen wollen. Es gibt Menschen, die kein Interesse an Religion haben und sich nicht an religiösen Aktivitäten beteiligen. Sie würden sich vehement gegen eine Verfassung wehren, die vorschreibt, dass alle Menschen sich religiös betätigen müssen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass sie die Möglichkeit dazu ablehnen, da zahlreiche andere Menschen davon Gebrauch machen wollen. Manche Menschen wünschen sich keine Freizeit und entscheiden sich für ein Leben als Workaholic. Auch sie wollen nicht zum Müßiggang gezwungen werden. Sie haben jedoch nichts dagegen, wenn anerkannt wird, dass Freizeit für die meisten Menschen wertvoll ist. Die Auflistung der Möglichkeiten zeigt, dass die unterschiedlichen Lebensentscheidungen der Menschen und ihre Freiheit, verschiedene Wege zu gehen, respektiert werden. (Gelegentlich, wie bei der Schulpflicht für Kinder, haben wir das Recht, eine Aktivität vorzuschreiben – da den Kindern selbst die Reife für diese Entscheidung fehlt, eine reife Entscheidung aber getroffen werden muss.) Punkt 8 der Liste erkennt Tiere als wichtige Partner in Beziehungen mit Menschen an, macht sie aber nicht selbst zu Zwecken an sich. Dies war ein Schritt, den viele Menschen, die an der Entwicklung des FA beteiligt waren, zum damaligen Zeitpunkt noch nicht bereit waren zu gehen. Auch heute wollen nur wenige die weiteren Schritte gehen, die ich zwischenzeitlich gegangen bin. Punkt 8 sollte folglich lediglich als ein halber Schritt gesehen werden, der zu der Zeit,

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als ich die Liste formulierte (vor etwa dreißig Jahren), auf breite Zustimmung stieß. Wir können und müssen ihn jedoch verbessern! Doch wie lassen sich Fähigkeiten überhaupt erfassen? Die Schwierigkeit dieses Unterfangens ist einer der Gründe, aus denen die Entwicklungsökonomie häufig das unzureichende Kriterium des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf bevorzugt hat, da es zumindest messbar ist. Wir sollten jedoch nicht von dem ausgehen, was wir gerade messen können, und dies zum Wichtigsten erklären. Stattdessen sollten wir mit den wichtigsten Dingen beginnen und herausfinden, wie wir diese erfassen können. Viele Bücher und viele Tagungen der Human Development and Capability Association (HDCA) haben sich damit beschäftigt, wie man die einzelnen Fähigkeiten erfassen kann, und einzelne Länder haben Wege gefunden, mithilfe von Gesetzen grobe Maßstäbe für viele der Bereiche festzulegen, die dafür am wenigsten zugänglich erscheinen. Denken wir an die Rede- und Religionsfreiheit: Um beurteilen zu können, wie es um diese Freiheiten in einem Land bestellt ist, müssen wir uns die Herausforderungen ansehen, denen diese verfassungsrechtlichen Grundlagen ausgesetzt waren, und sehen, wie mit diesen Herausforderungen im Laufe der Jahre umgegangen wurde. In den USA gibt es beispielsweise ein Verständnis dieser Freiheiten, das sich von Fall zu Fall weiterentwickelt hat, wodurch die Grenzen des Rechts allmählich abgesteckt wurden. Eine Möglichkeit zu benennen, was alle Punkte der Liste gemeinsam haben, besteht darin zu sagen, dass sie alle in der intuitiven Vorstellung enthalten zu sein scheinen, die wir uns von einem menschenwürdigen Leben machen. Die Liste geht davon aus, dass alle Menschen eine angeborene Würde besitzen, und wir wollen, dass diese Würde geachtet wird: Die Menschen sollen das bekommen, was sie benötigen, um ein ihrer Würde entsprechendes Leben zu führen. Die Idee der Würde ist unbestimmt, und sie ähnelt der Idee, dass ein Mensch es verdient, als Zweck und nicht nur als Mittel behandelt zu werden. Wir können ihr keinen weiteren Inhalt geben, ohne sie mit einem Gefüge politischer Grundsätze zu verbinden. Doch hier wie in der internationalen Menschenrechtsbewegung erweist sie sich als intuitiv hilfreich: Wenn wir uns Menschen vorstellen, denen keine Möglichkeiten offenstehen, haben wir das Gefühl, dass ihre Würde verletzt wurde und sie lediglich als Mittel benutzt wurden.12 Diese Betonung der Würde ist eine Verbindung zum kantischen Ansatz.13 Sie bringt die Theorie jedoch auch mit Mills nuancierter Form des Utilitarismus in Zusammenhang.

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Diese Sichtweise macht jeden Menschen zu einem Zweck und ist auf diese Weise mit dem klassischen Liberalismus verbunden. Allerdings ist diese Art von Liberalismus nicht ausschließlich westlich: Die jedem Menschen innewohnende Würde bildet auch die Grundlage der indischen und der südafrikanischen Verfassung, um nur zwei Beispiele anzuführen. Diese beiden Nationen haben sich im Zuge der Befreiung von ungerechten Zwangsherrschaften, die Völker und einzelne Gruppen erniedrigten, die Würde des Einzelnen zu eigen gemacht. Sie sagten sich: Jeder Einzelne von uns ist wichtig, und wir lassen uns nicht unterwerfen. Diese Sichtweise ist antimonarchistisch und antiimperialistisch und wendet sich ebenso gegen Hierarchien aufgrund von Geschlecht und Rasse. Kant war der Auffassung, nur der Mensch habe eine Würde. Mill und ich sind (mit Korsgaard) anderer Meinung: Alle empfindungsfähigen Tiere haben eine eigene Würde, die Respekt verdient. Sie sollten nicht als bloße Mittel behandelt werden, und die zentrale Frage dieses Buches lautet, was diese Einsicht von Gesetzgebung und Politik verlangt. Menschen mögen häufig dazu in der Lage sein, aus eigener Kraft oder durch die Bemühungen informeller Gruppen Schwellenwerte von Fähigkeiten zu erreichen, auch wenn das Land oder der Staat, in dem sie leben, wenig oder gar nichts zur Unterstützung ihrer Bemühungen unternimmt. Eliten können normalerweise auch dann eine angemessene Gesundheitsversorgung oder eine gute Bildung erreichen, wenn es keine staatlichen Maßnahmen dafür gibt. Selbst Vasanti, eine arme Frau, hat ein recht gutes Lebensniveau erreicht, da sie das Glück hatte, dass eine der besten Frauen-NGOs der Welt in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft tätig war. Doch es ist klar, dass das nicht ausreicht, um eine Nation oder einen Staat gerecht zu machen. Das Land hat die Bedürfnisse der Menschen ignoriert, und die Eliten haben ihre Ziele mit Glück erreicht, während andere leiden. Die Garantie der Fähigkeiten für alle ist eine Aufgabe der Regierung, und meine Liste ist, wie eine virtuelle Verfassung, eine Liste grundlegender Aufgaben einer Regierung. Regierungen können sich häufig privater Organisationen bedienen, um ihre Ziele zu erreichen, doch die endgültige Verantwortung liegt bei der jeweiligen Regierung: Wenn es ihr nicht gelingt, Menschen mehr als die reinen Schwellenwerte der Fähigkeiten erreichen zu lassen, dann hat die Regierung die Verantwortung dafür zu übernehmen. Dies bedeutet nicht, dass sich die Menschen bei der Lösung ihrer Probleme stets auf den Staat verlassen sollten. Manchmal können sie es nicht, da die Regierung korrupt oder hoffnungslos ineffizient ist. Doch es bedeutet, dass die gesamte Frage der Ge-

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„Politischer Liberalismus“: eine wichtige Einschränkung

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rechtigkeit von einer stabilen politischen Struktur abhängt, die für einen ausreichenden Teil der Zeit in der Lage ist, den Menschen, die sie gewählt und ihr zur Macht verholfen haben, die Fähigkeiten verfügbar zu machen.

„Politischer Liberalismus“: eine wichtige Einschränkung Die politischen Grundsätze, die sich an der Liste der Fähigkeiten orientieren, sind ein Teil der politischen Prinzipien eines Landes. Um die menschliche Vielfalt und Freiheit angemessen zu respektieren, müssen politische Prinzipien jedoch einige Einschränkungen erfahren. In seinem bedeutenden Buch Politischer Liberalismus hat John Rawls ein wichtiges Argument dargelegt, dem ich voll und ganz zustimme und das ich in meinen Ansatz zur Gerechtigkeit für Tiere ebenso wie für Menschen aufnehme.14 Unter Bedingungen der Freiheit, so argumentiert Rawls, schließen sich Menschen einem breiten Spektrum „umfassender Lehren“ an, die normative Anweisungen dafür enthalten, wie man leben sollte. Katholizismus, Protestantismus, Marxismus, Utilitarismus oder Buddhismus sind nur einige der umfassenden Wertlehren, die in den meisten Gesellschaften existieren. Jede Lehre, die mit dem Grundgedanken der Gerechtigkeit vereinbar ist – mit (so sieht es Rawls) dem Angebot und der Anerkennung fairer Bedingungen der Zusammenarbeit –, sollte respektiert werden. Nicht respektvoll ist es hingegen, Menschen, die ihre eigenen Vorstellungen haben und an ihnen festhalten, eine allgemeine Doktrin des guten Lebens politisch aufzuzwingen. Selbst wenn ein Land die Freiheit andersdenkender Menschen nicht einschränkt – etwa, wenn es zwar eine etablierte Kirche hat, aber eine weitgehende Freiheit des Glaubens und der Religionsausübung zugesteht –, erklärt es dennoch, dass seine eigene Ansicht die beste ist, und ordnet ihr andere Ansichten unter. Nun bedarf jedoch eine Reihe politischer Grundsätze natürlich ebenfalls eines bestimmten moralischen Inhalts. Was lässt sich hier tun? Die von Rawls nachdrücklich empfohlene Lösung des Problems (der ich schon seit Langem zustimme), besteht darin, politische Grundsätze vorzuschlagen, die erstens eng gefasst sind und nicht sämtliche Bereiche menschlicher Anliegen abdecken (die z. B. nicht auf die Möglichkeit eines Lebens nach dem Tod eingehen) und zweitens zugänglich sind, d. h. in einer unparteiischen ethischen Sprache ausgedrückt werden, nicht in der metaphysisch aufgeladenen Sprache einer Gruppe, die einer anderen vorgezogen wird. (So wäre zum Bei-

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spiel die ethische Rede von der Menschenwürde der religiösen Vorstellung der Seele vorzuziehen).15 Wenn wir die Dinge mit Zurückhaltung angehen, dann können die politischen Prinzipien zu etwas werden, das Rawls als ein „Modul“ bezeichnete, welches alle Staatsbürger, die unterschiedliche vernünftige, umfassende Lehren vertreten (wobei „vernünftig“ bedeutet, dass sie bereit sind, faire Bedingungen der Zusammenarbeit vorzuschlagen und zu akzeptieren), ihren eigenen Lehren, wie auch immer diese aussehen mögen, hinzufügen können. Schließlich besteht die Hoffnung, dass die politischen Grundsätze Gegenstand eines „übergreifenden Konsenses“ zwischen den Anhängern all dieser Lehren werden.16 Dieser Prozess kann lange dauern, doch sollten Befürworter des FA einen Weg skizzieren können, wie es Menschen mit unterschiedlichen Ansichten schließlich gelingen kann, sich auf diese Kernprinzipien zu einigen. Nicht alle Befürworter des FA stimmen dieser Einschränkung zu, daher ist es wichtig zu verstehen, dass sie ein zentraler Bestandteil meiner eigenen Auffassung ist, aber nicht sämtlicher Versionen des FA. Ohne diese Einschränkung könnte meiner Meinung nach eine politische Sichtweise, die sich auf den FA stützt, die Unterschiede und die Freiheit der Menschen nicht ausreichend respektieren. Nun lässt sich der Einwand gegen Korsgaard, den ich in Kapitel  4 angesprochen, dessen Behandlung ich dort aber aufgeschoben habe, schärfen. Sie bezieht keine Stellung zu Rawls’ Argumenten, weder für noch gegen sie – was für eine Studentin von Rawls, die sein Buch kennt und sich seiner Bedeutung voll bewusst ist, etwas seltsam ist. Sie erklärt nicht, ob ihre eigene Sichtweise beansprucht, eine politische Sichtweise zu sein. Doch es muss sich um eine politische Sichtweise handeln, denn sie will, dass sich praktische politische Konsequenzen daraus ergeben. Auf eloquente Weise verteidigt sie die Auffassung, dass Tiere Rechte haben, die durch das Gesetz verteidigt werden sollten; und da sie Rawls’ äußerst überzeugende Argumente gegen die Verwendung einer umfassenden Metaphysik bei der Formulierung politischer Grundsätze nicht widerlegt, scheint es gerecht, sie dafür zu kritisieren, dass sie ihre Auffassung auf eine umstrittene metaphysische Lehre gründet (siehe Kapitel 4). Der Verteidiger einer politischen Lehre, die sich auf den FA stützt, muss einige metaphysische Auffassungen ablehnen – und zwar solche, die Tiere herabwürdigen und erklären, der Wert einer Art entspreche ihrer Stellung auf der Scala Naturae. Solche Auffassungen könnten sich dem „übergreifenden Konsens“ nicht anschließen, ohne ihre Behauptungen in wesentlichen Punkten zu

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ändern. (Die Verfechter derartiger Ansichten hätten zwar weiterhin die Freiheit, sie zu äußern; da die Verfassung des Landes ihnen jedoch widerspricht, könnten sie über ihre Vorschläge nicht mit einfacher Mehrheit abstimmen lassen – sie müssten die Verfassung ändern.) Es besteht allerdings gar keine Notwendigkeit, sich zwischen Korsgaards Ansicht, dass jeglicher Wert immer zu einem bestimmten Standpunkt gehört, und der Position, dass Tiere einen Eigenwert besitzen (einer Ansicht, die ich vertrete), zu entscheiden. Beide Ansichten sind mit guten politischen Grundsätzen zum Schutz der Rechte von Tieren voll und ganz vereinbar.17 Der FA ist demnach eine partielle (keine umfassende) politische Lehre (und keine umfassende moralische). Ebenso wie Mills Auffassung strebt sie eine Reihe mehrerer unterschiedlicher Ziele an, wobei diese Ziele nicht nur als gut angesehen werden, sondern auch als obligatorisch für eine Gesellschaft, die auch nur ein Minimum an Gerechtigkeit beanspruchen will. Aktivitäten und Möglichkeiten werden von beiden Auffassungen als Teile des Ziels betrachtet, nicht als Mittel zu einem Endzustand wie etwa der Zufriedenheit. Da die Ziele der Gesellschaft pluralistisch sind, lässt der FA Raum für Konflikte; und da diese Ziele obligatorisch sind und nicht nur optional, sind sämtliche Kompromisse, die man in schwierigen Situationen eingehen muss, nicht nur bedauerlich, sondern oft auch tragisch: Wenn sie einige Staatsbürger unter die Mindestschwelle der Gerechtigkeit drücken, stellen sie eine schwere Gesetzesverletzung dar. Die Gesellschaft muss daher vorausschauend denken und arbeiten, um die Zahl solcher tragischen Konflikte auf ein Minimum zu reduzieren. Kapitel 8 wird sich mit diesem Thema in dem noch konfliktbelade­ neren Bereich der Tiergerechtigkeit befassen.

Der Fähigkeitenansatz als Grundlage der Gerechtigkeit für Tiere Der Mensch ist ein verletzliches, empfindungsfähiges Wesen, das inmitten von Gefahren und Hindernissen versucht, ein gutes Leben zu führen. Gerechtigkeit bedeutet, die Möglichkeit jeder einzelnen Person zu fördern, sich gemäß ihren eigenen Entscheidungen zu entfalten, und zwar mithilfe von ermöglichenden und einschränkenden Gesetzen. Menschen werden häufig als Werkzeuge benutzt, doch der FA besteht darauf, dass ein Staat nur dann minimal gerecht ist, wenn jeder Mensch in einigen sehr wichtigen Lebensbereichen als Zweck an

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sich behandelt und seine Würde geachtet wird. Als ich darüber nachdachte, was in die Liste von Fähigkeiten aufgenommen werden sollte, habe ich unweigerlich an Möglichkeiten gedacht, die vermutlich einer großen Zahl von Menschen wichtig sind, und ich habe vorgeschlagen, dass wir uns auf diejenigen Möglichkeiten konzentrieren, die mit der Idee eines menschenwürdigen Lebens intuitiv verbunden zu sein scheinen. Da es sich bei den Zielen jedoch um Möglichkeiten handelt, werden auch Menschen geschützt, die in Bereichen von zentraler Bedeutung mit ihren Entscheidungen in der Minderheit sind. So schützt etwa die freie Religionsausübung sowohl die zahlreichen römisch-katholischen Menschen als auch die Mitglieder kleinerer Religionen – genauso wie Atheisten und Menschen, denen die Religion gleichgültig ist. Warum um alles in der Welt sollte ein solcher Ansatz nicht auch für das Leben anderer Tiere angemessen sein, und zwar aus ähnlichen Gründen? Auch sie sind verletzliche, empfindungsfähige Tiere. Auch sie leben inmitten einer überwältigenden und aktuell zunehmenden Zahl von Gefahren und Hindernissen, von denen viele von uns zu verantworten sind. Auch sie haben eine angeborene Würde, die Achtung und Staunen erweckt. Die Tatsache, dass die Würde eines Delfins oder eines Elefanten nicht genau dieselbe ist wie diejenige eines Menschen – und dass die Würde eines Elefanten sich von derjenigen eines Delfins unterscheidet –, bedeutet nicht, dass hier keine Würde vorhanden ist; diese schwer zu beschreibende Eigenschaft besagt im Grunde, dass ein Wesen eher eine Behandlung als Zweck an sich als eine Verwendung als Mittel verdient. Korsgaard hatte Recht mit ihrem Argument, dass schon allein das Streben eines Tieres nach Zielen, die für es wertvoll sind, das Recht des Tieres, als Zweck behandelt zu werden, begründet: Es hat eine Würde, nicht nur einen Preis. Wir sehen diese Würde intuitiv, wenn wir Delfine beobachten, die in sozialen Gruppen frei durch das Wasser schwimmen, Hindernisse durch ihre Echoortung umgehen und vor Freude aus dem Wasser springen, oder wenn wir eine Elefantenherde sehen, die sich gemeinschaftlich um ihre Jungen kümmert und versucht, sie trotz der allgegenwärtigen Bedrohung durch den Menschen in Sicherheit aufzuziehen. Unser Sinn für das Staunen ist eine Erkenntnisfähigkeit, die auf Würde ausgerichtet ist; er sagt uns: „Dies ist nicht nur irgendein Müll, etwas, das ich benutzen kann, wie es mir beliebt. Dies ist ein Wesen, das als Zweck an sich behandelt werden muss.“ Warum sollten wir also annehmen, dass wir wichtiger sind als diese Wesen, dass wir einen grundlegenden rechtlichen Schutz mehr verdienen als sie?

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Ich werde in Kürze ein Argument für die Idee darlegen, dass Tiere einklagbare Rechte besitzen, doch zunächst möchte ich die Grundgedanken des FA entwickeln.

Eine typische Lebensform Wie der Mensch, so hat auch jedes Tier eine Lebensform, die eine Reihe wichtiger Ziele umfasst, nach denen es strebt. Wir wollen diese Lebensform vorläufig als diejenige einer Art betrachten, obwohl ich das später noch differenzieren werde. Bei unseren Überlegungen zum Menschen sind wir auf einige Dinge gestoßen, die für Menschen, die leben wollen, besonders wichtig sind. Wir können das Gleiche für jede Tierart tun, wenn wir genug lernen und genau hinschauen. Jedes Tier ist ein teleologisches System, das auf eine Reihe von Gütern als seine Ziele ausgerichtet ist, bei denen es zentral um das Überleben, die Fortpflanzung und in den meisten Fällen um soziale Interaktion geht. Der FA ist in Bezug auf den Menschen der Ansicht, dass diese Bestrebungen nicht vereitelt werden sollten und dass es arrogant, anmaßend, unbegründet und schlichtweg egoistisch ist, zu behaupten, dass wir wichtiger sind als die Tiere (hierin stimmt er mit Korsgaard überein). Jede Lebensform ist zwar anders, doch ist jede die richtige für die jeweilige Art von Lebewesen. Wenn eine Elster sich gut entwickelt, dann geschieht das auf eine Weise, die für das Leben dieser Vogelart charakteristisch ist. Einem Menschen ähnlicher zu sein, wäre für eine Elster weder gut noch sinnvoll. Wir Menschen ähneln der Elster, den Delfinen und den Elefanten in ihrem Streben nach Überleben und einer gedeihlichen Entwicklung in einer größtenteils feindlichen Welt; wir unterscheiden uns von ihnen in der spezifischen Art der Güter, die wir erstreben. Dem Fähigkeitenansatz geht es im Wesentlichen darum, dass Wesen, die Ziele anstreben, eine angemessene Chance einer guten Entwicklung erhalten. Darin sieht er auch die Rolle von Gesetzen und Regierungen. Bei der Ausarbeitung von Gesetzen und der Einrichtung von Regierungsinstitutionen müssen Menschen die Führung übernehmen, aber es gibt keinen Grund, warum Menschen dies nur für andere Menschen tun sollten. Es gibt keinen guten Grund für die Behauptung, dass nur einige empfindungsfähige Lebewesen wichtig sind. Jedes ist auf seine eigene Weise wichtig. Der Maßstab der Menschenähnlichkeit ergibt aus der Perspektive eines Pferdes oder eines Wales keinen Sinn. Er nützt auch keinem fairen Gesetzgeber, der versucht,

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empfindungsfähigen Lebewesen dabei zu helfen, ein gutes Leben zu führen, wie sie es sich wünschen. (In Kapitel 6 werde ich Gründe dafür vorbringen, dass Empfindungsfähigkeit  – die Fähigkeit zu fühlen, eine subjektive Perspektive auf die Welt zu haben  – eine notwendige Grundlage dafür ist, ein Subjekt zu sein, das Rechte hat, und ich werde erläutern, welche Lebewesen nach meiner Meinung über diese Fähigkeit verfügen.) Wie ich in Kapitel 4 bei meiner Kritik an Korsgaard sagte, gibt es auch keinen guten Grund, aus dem allein Menschen aktiv an der Gesetzgebung und dem Aufbau von Institutionen beteiligt sein sollten. Tiere sprechen zwar keine menschliche Sprache, doch verfügen sie über eine breite Palette sprachähnlicher Möglichkeiten, sich bezüglich ihrer Situation mitzuteilen (wie wir in Kapitel 6 noch sehen werden). Und wenn wir Menschen politische Verantwortung tragen, dann sollte es unsere Aufgabe sein, auf diese Stimmen zu hören, herauszufinden, wie es den Tieren geht und mit welchen Hindernissen sie es zu tun haben. Wir tun dies bereits für Menschen mit Behinderungen, die sie daran hindern, auf die übliche Weise am politischen Leben teilzunehmen: Wir stellen ihnen Betreuer oder Unterstützer zur Seite,18 denen sie ihre Situation schildern können und die es lernen, ihre Bedürfnisse zu erkennen. Wir sollten nie sagen, dass Kinder, die noch nicht sprechen können, passive Staatsbürger sind oder dass sie am politischen Leben nicht teilnehmen: Sie drücken sich auf vielfältige Weise aktiv aus, und es liegt in unserer Verantwortung, dies in politisches Handeln umzusetzen. Außerdem kennen auch die meisten normalen Bürger ihre gesetzlichen Rechte nicht und könnten sich vor Gericht nicht selbst vertreten oder viele andere Aufgaben eines Staatsbürgers wahrnehmen, wenn es niemanden gäbe, der sie dabei vertritt. Entsprechendes gilt, so behaupte ich, auch für nicht menschliche Tiere. An diesem Punkt müssen wir uns fragen, ob die direkte, nicht repräsentative Teilnahme an der Politik an sich oder nur instrumentell wertvoll ist. Dieser Punkt ist unter den Anwendern des Fähigkeitenansatzes umstritten. Ich selbst halte politische Teilnahme für instrumentell wertvoll: Wichtig ist, dass man die Bedingungen, die das eigene Leben bestimmen, durch eigenes Handeln beeinflussen kann. Das bedeutet allerdings nicht, dass jeder Mensch vor Gericht gehen oder politische Projekte organisieren oder gar wählen muss – solange es jemanden gibt, der die Forderungen der Person vor Gericht und in Legislaturen vertritt und in ihrem Namen wählt (wie ich es für Menschen mit schweren kognitiven Behinderungen gefordert habe). Bei Tieren denke ich, die Lösung

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muss oder sollte nicht darin bestehen, dass jedes Tier bei jeder Wahl durch einen Vertreter seine Stimme abgibt. Dies würde schnell zu Absurditäten führen. Vielmehr sollten auf geeignete Weise qualifizierte „Unterstützer“ von Tieren damit beauftragt werden, in ihrem Namen Politik zu machen und ungerechte gesetzliche Regelungen vor Gericht anzufechten. In Kapitel  9 und 10 werden zahlreiche Beispiele dafür angeführt, wie dies geschehen kann. Wenn wir sozusagen als ihre Betreuer und als ihre Zuhörer auf die Stimmen der Tiere hören, werden wir uns nicht nur auf Lust und Schmerz konzentrieren. So wie der Fähigkeitenansatz bei den Überlegungen zum Leben von Vasanti nicht nur berücksichtigte, wie und ob sie Schmerz oder Vergnügen empfand, sondern auch ihre vielen anderen Möglichkeiten (bzw. das Fehlen von Möglichkeiten) für wertvolle Aktivitäten, so scheint auch die reduktive Sichtweise Benthams, was die von einem Lebewesen erstrebten Güter betrifft, im Fall nicht menschlicher Lebewesen falsch zu sein. Der FA verfügt über eine nicht zu leugnende Wirkungsmacht; der Mensch fügt gegenwärtig nicht menschlichen Lebewesen so viel unnötiges Leid zu, und es wäre bereits ein großer Fortschritt, wenn dies einfach abgeschafft würde. Allerdings benötigen wir eine genauere Vorstellung von dem Ziel, welches die Komplexität des Lebens der Tiere angemessen berücksichtigt. Für andere Tiere ist, wie auch für uns, das Vermeiden von Schmerzen nicht das Einzige, was zählt. Soziale Beziehungen, Verwandtschaft, Fortpflanzung, freie Bewegung, Spiel und Vergnügen – all das ist für die meisten Tiere wichtig, und je besser wir die einzelnen Lebensformen verstehen, desto vollständiger kann diese Liste werden. Damit die relevanten Themen in die Diskussion einbezogen werden, müssen wir uns viele Lebensgeschichten von Tieren von Experten erzählen lassen, die eng mit einer bestimmten Tierart zusammengelebt und diese Tiere über lange Zeiträume hinweg studiert haben – wobei unser Blick auf gemeinsame Ziele, innere Vielfalt und vorherrschende Probleme und Hindernisse gerichtet sein sollte. Wir würden die Geschichten von misshandelten und vernachlässigten Haustieren berücksichtigen (z. B. die Geschichte von Lupa in meiner Einleitung). Diese Geschichten – die in zahlreichen Punkten mit der von Vasanti übereinstimmen – geben uns eine Vorstellung davon, wie Gesetze die gute Entfaltung von domestizierten Tieren unterstützen, Grausamkeiten verhindern, die artgerechte Ernährung fördern und, auf das Ganze gesehen, Modelle von Gegenseitigkeit, Respekt und Freundschaft vermitteln müssen. Wir würden uns mit den Geschichten auseinandersetzen, die Wissenschaftler, welche mit Wild-

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tieren gelebt haben, über die Tiere erzählen, mit denen sie arbeiten, und über die Hindernisse, die deren gedeihlicher Entwicklung im Wege stehen. Wir würden sowohl nach Fachwissen als auch nach Vielfalt in unseren Quellen Ausschau halten und darauf achten, auf welche Weise verschiedene Experten unterschiedliche Aspekte hervorheben. Diese aufregende und dringliche Aufgabe ist möglicherweise nicht abzuschließen, da sich immer wieder neue Erkenntnisse ergeben und Probleme und Umstände sich ändern. Das gilt allerdings auch für unsere Erforschung der Situation von Menschen in verschiedenen Teilen der Welt. Die Aufgabe ist langwierig, doch bei domestizierten Tieren arbeiten wir schon seit Langem auf diese Weise, führen öffentliche Anhörungen durch und erarbeiten Gesetze, die den Tieren gerecht werden. Wir wissen also, dass es machbar ist.

Eine virtuelle Verfassung Im Falle der Menschen liefert der FA eine Vorlage für den Entwurf einer Verfassung. Die Liste enthält sowohl eine Beschreibung als auch einen vorläufigen Schwellenwert für jeden ihrer Punkte. Ein Land, das ein Mindestmaß an Gerechtigkeit anstrebt, kann diese Liste konsultieren, muss aber auch sein eigenes Umfeld und seine eigene Geschichte berücksichtigen und seine eigene Liste mit jeweils spezifischeren Angaben zu jeder der wichtigsten aufgelisteten Fähigkeiten erstellen. Aus zwei Gründen ist dieser Ansatz für die anderen Tiere zurzeit nicht umsetzbar. Erstens wandern Tiere häufig über nationale Grenzen hinweg oder bewohnen Luft- und Meeresregionen, die nicht Eigentum eines einzelnen Staates sind; daher reicht die Verfassung eines einzelnen Landes nicht aus, um migratorische Arten zu schützen. Zweitens gibt es in den meisten Ländern der Erde bei Weitem keinen ausreichenden politischen Willen, einen derartigen Schutz in absehbarer Zeit einzuführen. Idealerweise würden sich alle Länder der Welt auf eine rechtlich durchsetzbare Verfassung für die verschiedenen Tierarten einigen (indem sie den Forderungen der Tiere und ihrer mit relevantem Fachwissen ausgestatteten Vertreter aufmerksam zuhören), jede Art mit ihrer eigenen Liste von zu schützenden Fähigkeiten und mit einem Schwellenwert, unterhalb dessen ein fehlender Schutz zu Ungerechtigkeit wird. Die Tiere wären dann unabhängig von ihrem jeweiligen Standort geschützt, so wie Wale weltweit (allerdings unzureichend) durch die IWC (Internationale Walfangkommission, siehe

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Kapitel  12) geschützt sind. Eine solche Verfassung könnte durch speziellere nationale, auf den jeweiligen Kontext zugeschnittene Gesetze für Tiere, die innerhalb einer bestimmten nationalen Gerichtsbarkeit leben, ergänzt werden. Nun wissen wir allerdings, dass die zögerlichen Schritte der Menschheit in Richtung einer internationalen Rechenschaftspflicht für Menschenrechtsverletzungen nicht sonderlich erfolgreich gewesen sind. Selbst im Falle des Menschen ruht unsere beste Hoffnung auf den Gesetzen der einzelnen Länder. Wenn das schon für Menschen gilt, dann gilt es erst recht für Tiere. Ich werde später noch auf die Rolle internationaler Verträge und Konventionen eingehen, doch größtenteils müssen Tiere in absehbarer Zukunft durch die Gesetze der Länder, Staaten und Gemeinden vor Ort geschützt werden. Das bedeutet jedoch nicht, dass eine internationale Vereinbarung über das Ziel der Bemühungen nicht von Nutzen wäre. Im Moment zielt der FA daher darauf ab, eine virtuelle Verfassung bereitzustellen, an der sich Nationen, Staaten und Regionen orientieren können, wenn sie versuchen, ihre Tierschutzgesetze zu verbessern (oder neu zu gestalten). Ich hoffe, dass diese virtuelle Verfassung mit der Zeit immer mehr zum Gegenstand eines politisch „übergreifenden Konsenses“ im Sinne von Rawls werden kann, sowohl innerhalb jeder Nation als auch über nationale Grenzen hinweg. Dies wird Zeit und Arbeit erfordern; dasselbe gilt auch für die Aufgabe, Menschenrechte zu formulieren und zu schützen. Immerhin erlaubt es dieser flexible Ansatz einzelnen Nationen, mutig voranzuschreiten, ohne einen globalen Konsens abzuwarten. (Später werde ich eine juristische Argumentation zur Grundlage dieser Tierrechte anführen.) Das wesentliche Ziel besteht darin, dass sämtliche Tiere die Möglichkeit haben, ein Leben zu führen, das mit ihrer Würde und ihren Bestrebungen im Einklang steht, und dass sie bis zu einem angemessenen Schwellenwert geschützt sind. Diese virtuelle Verfassung ist, ebenso wie die auf Menschen bezogene Fassung des Fähigkeitenansatzes, politisch und nicht metaphysisch. Da ihr Ziel darin besteht, im Laufe der Zeit einen sich überschneidenden Konsens aller aufgeschlossenen, umfassenden Wertlehren zu erreichen, wird sie keine strittigen metaphysischen Behauptungen aufstellen und nicht zu allen Fragen Stellung beziehen. Es wird nicht behauptet, dass die Fähigkeiten von Tieren einen intrinsischen Wert besitzen; ebenso wenig wird jedoch die Behauptung eines intrinsischen Wertes bestritten. Ich hoffe, dass die Unterstützung tierischer Fähigkeiten aus vielen Richtungen kommen wird: von religiösen Standpunkten

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aus, die zwar aus religiösen und metaphysischen Gründen an die Überlegenheit des Menschen glauben, aber trotzdem bereit sind, Tieren faire Bedingungen des Zusammenlebens einzuräumen und ihre Fähigkeiten zu unterstützen; von ökozentrischen Standpunkten aus, die tatsächlich davon überzeugt sind, dass Ökosysteme und nicht Individuen im Mittelpunkt der Rücksichtnahme stehen sollten, die aber dennoch dazu bereit sind, die Fähigkeiten von Tieren als ein entscheidendes Element für das Gedeihen von Ökosystemen politisch zu unterstützen; von buddhistischen Anschauungen, die in ähnlicher Weise die Bedeutung des Individuums leugnen, aber dennoch eine faire Behandlung von Tierleben empfehlen; von Ansichten wie derjenigen von Korsgaard aus, die zur Behauptung eines intrinsischen Werts eine agnostische Position einnehmen; und von Ansichten aus, die meiner eigenen ähneln, die (ethisch, allerdings nicht in der politischen Theorie) davon ausgeht, dass Tierleben einen intrinsischen Wert haben.

Listen und Lebensläufe Idealerweise sollten wir über so viel Wissen verfügen, dass wir für jede Art von Lebewesen eine eigene Liste erstellen könnten, auf der die Dinge stehen, die für sein Überleben und Gedeihen am wichtigsten sind. Tatsächlich wird die Liste von den Tieren selbst geschrieben, indem sie bei ihrem Versuch zu leben ihre wesentlichsten Bedürfnisse zum Ausdruck bringen. Die Menschen, denen man es anvertrauen kann, die ungehörten Stimmen der Tiere aufzuzeichnen, sind Menschen, die über Jahre hinweg mit Liebe und Sensibilität mit einer bestimmten Tierart gelebt haben, zum Beispiel Barbara Smuts mit Pavianen, Joyce Poole und Cynthia Moss mit Elefanten, Luke Rendell und Hal Whitehead mit Walen, Peter Godfrey-Smith mit Kraken, Frans de Waal mit Schimpansen und Bonobos oder Janet Mann und Thomas White mit Delfinen. Im Idealfall sollte es für jede Art eine Gruppe solcher Personen geben, denn jeder Einzelne ist fehlbar. Diese „Anwälte“ und Zuhörer sollten einzelne Individuen der jeweiligen Art mit ihrer ganzen Vielfalt kennen und in der Lage sein, zahlreiche Geschichten wie die der in Kapitel  1 erwähnten einzelnen Tiere zu erzählen: darüber, mit welchen Hindernissen jedes der Lebewesen es zu tun hat und welche Interventionen sich als hilfreich erweisen. Ein bemerkenswertes Beispiel für die Grundlage einer solchen Liste ist das Elefanten-Ethogramm, das Joyce Poole und ihre Mitarbeiter für den afrikani-

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schen Savannenelefanten erstellt haben. Diese beachtliche Datenbank enthält alles, was wir bisher über die Lebensform (dieser Art) des Elefanten wissen: über Kommunikation, Bewegung und alle charakteristischen Aktivitäten.19 Wenn sie das Ethogramm konsultieren, können Elefantenfreunde diejenigen Fähigkeiten vorschlagen, die als die wichtigsten erscheinen und die es am meisten zu schützen gilt. Meine Idee umfasst eine große Anzahl verschiedener Listen, die auf zahlreichen verschiedenen Ethogrammen basieren. Ich glaube jedoch, dass die Liste des FA für Menschen, wenn wir uns auf die großen allgemeinen Kategorien konzentrieren, in praktisch allen Fällen eine gute Orientierung als Ausgangspunkt bietet. Das sollte nicht überraschen, da die Liste des FA im Grunde den gemeinsamen Bereich des verletzlichen, seinen Zielen nachstrebenden Tierseins erfasst, den jede Art auf ihre eigene Weise bewohnt. Alle streben nach Leben, nach Gesundheit, nach körperlicher Unversehrtheit, nach der Möglichkeit, die für diese Art von Lebewesen charakteristischen Sinne, ihre Einbildungskraft und ihr Denken einzusetzen. Praktische Vernunft klingt auf den ersten Blick zu menschlich, um als gutes Richtmaß dienen zu können, doch das ist nicht der Fall. Alle Lebewesen wollen die Möglichkeit haben, einige wichtige Entscheidungen über den Verlauf ihres Lebens zu treffen, Pläne zu schmieden und Entscheidungen zu treffen. Zugehörigkeit ist für alle Tiere von entscheidender Bedeutung, auch wenn sie sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Alle Tiere wollen eine gute Beziehung zur sie umgebenden Natur aufbauen, und dazu gehören in der Regel auch Angehörige anderer Arten. Spiel und Vergnügen sind nicht nur für den Menschen typisch, wie Forscher zunehmend begreifen, sondern Schlüsselaspekte des tierischen Gemeinschaftslebens; und alle Tiere streben nach Formen der Kontrolle über ihre materielle und soziale Umwelt. Andere umfassende Kategorien, die für das Leben von Tieren relevant sind und die in der menschlichen Liste fehlen, fallen mir im Moment nicht ein – doch ich wäre durchaus bereit dazu, die umfassenden Kategorien der Liste zu erweitern, sollten solche überzeugend vorgeschlagen werden. Man könnte befürchten, dass eine solche Liste zwangsläufig anthropomorph ausfällt und dazu tendiert, die Fehler des „Uns-so-ähnlich“-Ansatzes zu wiederholen. Ich verstehe diesen Vorwurf, halte ihn jedoch für falsch. Bei der Aufstellung der Liste ging es nicht um die Frage, was den Menschen auszeichnet, sondern um eine sehr allgemeine Betrachtung der Tierwelt, die zwar auf der

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spezifischen Ebene erhebliche Unterschiede zulässt, jedoch darauf besteht, dass auf einer allgemeinen Ebene ein gemeinsames Muster gefunden werden kann. Wir müssen allerdings stets auf der Hut vor mangelnder Einsicht oder einer das eigene Selbst privilegierenden Wahrnehmung sein. Manchmal werden die von uns für Tiere erstellten Listen Punkte aus den feineren Kategorien der für den Menschen aufgestellten Liste enthalten, die auf den ersten Blick für das Leben der Tiere scheinbar nicht von Bedeutung sind – man denke an „Versammlungsfreiheit“ und „Redefreiheit“. Doch was sind die meisten Zoos anderes als Einrichtungen, die es den Tieren verweigern, mit ihren Artgenossen zusammen zu sein? Was das Reden betrifft, so drücken Tiere ihre Bedürfnisse und Wünsche auf ihre eigene, oft sehr hochentwickelte Weise aus. Selbst nach dem formalen Recht der USA bezieht sich die Redefreiheit auf zahlreiche Ausdrucksformen, nicht nur auf Worte auf Papier. Warum sollte diese rechtliche Kategorie dann nicht auch die Art und Weise umfassen, wie Tiere sich ausdrücken? Das könnte sie sicherlich, wenn Tiere nur überhaupt über einen rechtlichen Status verfügten.20 Es geht nicht darum, dass sie nicht sprechen, sondern darum, dass wir Menschen normalerweise nicht zuhören. Tiere können jedoch nicht frei sprechen, wenn ihre Leiden ignoriert werden, wenn Informationen über die Bedingungen in der Massentierhaltung systematisch von der Öffentlichkeit ferngehalten werden, wenn selbst menschliche Anwälte der betroffenen Schweine und Hühner durch Gesetze zur Einschränkung der Berichterstattung daran gehindert werden, diese Bedingungen zu beschreiben. Redefreiheit ist für Tiere wichtig, und zwar aus genau den Gründen, die John Stuart Mill, ein Verteidiger der Rechte von Tieren, in seinem Buch Über die Freiheit anführte: Redefreiheit liefert uns Informationen, die wir benötigen, um unsere Gesellschaft zu verbessern; sie stellt Selbstgefälligkeit und Arroganz infrage; sie verschafft unbequemen Positionen Gehör, die es verdienen, ja sogar erfordern, gehört zu werden. Und wie verhält es sich mit „Pressefreiheit“ und „politischer Teilhabe“? Tiere schreiben zwar keine Zeitungsartikel, aber die freie Verbreitung von Informationen über ihre Notsituation ist ein entscheidender Aspekt ihres Wohlergehens in einer Welt, in welcher der Mensch das Leben aller Tiere beherrscht. In Poverty and Famines argumentiert Amartya Sen, dass eine freie Presse eine wesentliche Voraussetzung für das Verhindern von (menschlichen) Hungersnöten ist, weil es öffentliche Informationen geben muss, welche die Menschen zu politischen Maßnahmen veranlassen.21 Ich würde Sens Argu-

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ment weiterführen: Wahrheitsgemäße Informationen über sämtliche fürchterlichen Probleme, denen Tiere gegenwärtig ausgesetzt sind – der Verlust von Lebensraum, die qualvollen Bedingungen in der Fleischindustrie, Wilderei, die Belastung der Meere mit riesigen Mengen von Plastik –, müssen an die Öffentlichkeit gelangen, wenn jemals etwas gegen das schreckliche Leiden von Tieren unternommen werden soll. Natürlich müssen die Artikel, Bücher und Filme von Menschen geschrieben bzw. produziert werden. Doch sie sind wichtig für die Leben der Tiere, deren Leiden sie aufzeichnen und deren unerträgliche Bedingungen sie sichtbar machen. Ähnliches gilt für die politische Teilhabe. Die meisten Tiere sind zwar innerhalb der Gruppe ihrer eigenen Art oft politisch genug, haben aber in der vom Menschen dominierten Welt wenig Interesse an politischer Partizipation und wissen nichts von Wahlen, Versammlungen oder Ämtern. Dennoch ist das, was dort geschieht, von immenser Bedeutung für sie. In der vom Menschen beherrschten Welt bestimmt die Politik die Rechte und Privilegien sämtlicher Bewohner eines bestimmten Ortes und trifft wichtige Entscheidungen über das Gemeinwohl, den Lebensraum und so weiter. Daher ist es wichtig, dass Tiere ein politisches Mitspracherecht haben, was meiner Meinung nach bedeutet, einen rechtlichen Status (das Recht, als Kläger vor Gericht zu gehen) und eine Art von Rechtsvertretung zu haben. Gegenwärtig erlauben wir Menschen mit kognitiven Behinderungen, sich durch einen Stellvertreter repräsentieren zu lassen; daher ist der Vorschlag nicht sonderlich überraschend. Lebewesen, die an einem Ort leben, sollten das Recht haben, darüber mitzureden, wie sie leben. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass Pressefreiheit und politische Partizipation für Tiere nur deshalb von Bedeutung sind, weil wir Menschen die Welt beherrschen und den Tieren zahllose Probleme bereitet haben. So würde man denken, wenn man der Meinung wäre, die Welt der Natur sei ohne menschliche Eingriffe idyllisch oder wunderbar oder friedlich oder in irgendeiner Weise gut für die Tiere. Dieser Meinung bin ich nicht, wie ich in Kapitel 10 noch näher erläutern werde. Auch ohne unsere schädlichen Eingriffe in die Natur gäbe es immer noch Hungersnöte, Überschwemmungen und andere Arten von Klimakatastrophen. Ich bin daher der Meinung, dass wir auch ohne unser eigenes schädliches Verhalten gute Gründe haben, dafür zu sorgen, dass Informationen über die Notsituationen von Tieren an die Öffentlichkeit gelangen und dass sie ein Mitspracherecht darüber haben, wie sie leben.

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Wenn es um die konkreten Einzelpunkte der Liste geht, wird es jedoch auch viele Abweichungen geben, und wir sollten immer offen für Überraschungen und Lernprozesse sein: So hat etwa jede Tierart ihre eigene Form der sozialen Organisation und sogar der Sinneswahrnehmung. Nur eine sorgfältige und liebevolle Beobachtung wird zeigen, was hierüber gesagt werden sollte.

Förderliche Umstände, schädliche Nachteile Da der Ansatz, den ich mir vorstelle, für jede Art tierischen Lebens spezifisch ist, sind seine Anforderungen vielfältig und heterogen. Doch für jeden Fall und selbst über mehrere Fälle hinweg gibt es wahrscheinlich Fähigkeiten, die besonders fruchtbar sind und ein gutes Leben auf ganzer Linie fördern, sowie bestimmte Fähigkeiten, deren Fehlen besonders schädlich ist. Für sämtliche Tiere ist es ein schädlicher Nachteil, wenn sie willkürlicher menschlicher Gewalt ausgesetzt sind, sei es, dass Wale harpuniert werden, Elefanten der Wilderei ausgesetzt sind, Schweine in „Kastenständen“ eingesperrt werden oder Hunde der Grausamkeit und Vernachlässigung durch ihre „Besitzer“ ausgesetzt sind. Ein weiterer schädigender Nachteil ist die Umweltverschmutzung der Luft und des Wassers, die für viele Tierarten tödliche Folgen hat und die ihre Lebensräume zerstört. Das Gegenteil dieser bedrohlichen Zustände – das Verbot grausamer Praktiken sowie der Einsatz für die Säuberung der Umwelt – wird sich demnach als förderlich erweisen und die Fähigkeiten zahlreicher Tiere generell verbessern.

Die Mitglieder einer Art sind Individuen Bis jetzt habe ich von einer Liste für jede Tierart gesprochen, doch sollte bei Tieren wie bei Menschen jedes einzelne Lebewesen als ein Selbstzweck behandelt werden. Zudem sind Tiere nicht nur zahlenmäßig Individuen (jedes Einzelne ist wichtig), sondern auch qualitativ: Jedes Mitglied einer Art unterscheidet sich auf subtile Weise von jedem anderen. Menschen, die mit Haustieren leben, wissen, dass die Persönlichkeiten und Vorlieben ihrer Gefährten sehr individuell sind und dass das, was für einen Hund oder eine Katze gut ist, nicht unbedingt für alle Tiere ihrer Art gut ist. Bei Tieren, mit denen wir nicht zusammenleben, bemerken wir diese Vielfalt meistens nicht; doch Menschen, die mit einer bestimmten Tierart zusammenleben, erkennen und

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betonen diese Unterschiede. Jeder Pavian, jeder Elefant ist ein Mitglied der Gesellschaft der Paviane bzw. Elefanten, aber jedes Individuum hat eine besondere Art, in dieser Welt zu leben. Das Gleiche gilt für jede Tierart, die wir ausführlich beobachten konnten.22 Für Biologen ist der Begriff der Art ungenau; in Wirklichkeit arbeiten sie mit Populationen, die sich aus einzelnen Lebewesen zusammensetzen. Wenn jedoch jedes Individuum von den anderen getrennt ist (es hat sein eigenes Leben zu leben, nicht das eines anderen Tieres) und sich qualitativ von ihnen unterscheidet: Ist es dann nicht ein Fehler, die Listen so zu gestalten, dass sie sich auf die Lebensform einer bestimmten Art konzentrieren? Würde man damit nicht die Einzigartigkeit eines jeden Tieres leugnen? Ist es nicht stumpfsinnig, ja sogar objektivierend, von „dem Delfin“ und „der Lebensform des Delfins“ zu sprechen, statt für jeden einzelnen Delfin eine eigene Geschichte und eine eigene Liste zu erstellen  – wie etwa für Fungie, den geliebten Delfin in der Bucht von Dingle in Irland, dessen Verschwinden im Oktober 2020 große Bestürzung auslöste?23 Die Einwohner von Dingle hatten Fungie im Laufe der Jahrzehnte als einen Delfin mit einer einzigartigen Persönlichkeit kennengelernt  – schrullig, seltsam einzelgängerisch für einen Delfin, ungewöhnlich gesellig gegenüber Menschen. Wie könnte Fungies Einzigartigkeit durch einen auf die Art bezogenen Ansatz nicht aufgehoben werden? Denken wir jedoch noch einmal an Vasanti. Ausgehend vom Verständnis ihrer einzigartigen Geschichte (und vieler anderer solcher Geschichten) haben die Urheber des Fähigkeitenansatzes einen allgemeinen Ansatz für die Förderung von Lebensqualität und politische Gerechtigkeit entwickelt, eine Reihe von berechtigten menschlichen Ansprüchen, die der Lebensform des Menschen angemessen zu sein scheinen und die durch Anpassung an den jeweiligen Kontext in jedem Land und jeder Region gesetzlich festgeschrieben werden können. Die Kenntnis sehr vieler Einzelheiten hilft uns dabei, auf das Allgemeine hinzuarbeiten, auf eine Reihe von verfassungsmäßigen Rechten. Doch ist diese Allgemeinheit nicht ungerecht angesichts der Besonderheit des realen Lebens? Ist es nicht unfair oder respektlos gegenüber Vasanti, dieser besonderen Frau, sie als „Datensatz“ für eine Liste von verfassungsmäßigen Rechten zu verwenden? Nein, das ist es nicht, und zwar aus drei Gründen. Erstens ist die Liste eine Liste von Fähigkeiten, nicht von obligatorischen Aktivitäten. Die Möglichkeiten, die sie eröffnet, können von verschiedenen Menschen unterschiedlich genutzt werden oder aber auch nicht, wenn die Person sie nicht

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nutzen möchte. Fähigkeiten sind Ansprüche, eine Art von Rechten.24 In der Regel ist man nicht der Meinung, dass die Menschenrechte alle Menschen auf ein vorgefertigtes Modell reduzieren: Sie stellen einen Raum dar, in dem unterschiedliche Individuen frei wählen können. Zweitens werden in einem laufenden Prozess der gerichtlichen Auslegung von Rechten einzelne Kläger mit all den Besonderheiten ihrer Geschichten vorstellig werden, um gehört zu werden. In den USA zeigt jede Aufzeichnung der gerichtlichen Auslegung der Grundrechte (Bill of Rights) ein ständiges Hin und Her zwischen dem besonderen Einzelnen und dem Allgemeinen, wenn der Einzelfall die Grenzen des allgemeinen Textes testet und eine neue Entscheidung den allgemeinen Text für alle weiteren Einzelfälle spezifiziert. Drittens: Wenn es wirklich etwas gibt, was ein Einzelner zutiefst anstrebt, für das aber die Liste selbst auf der Ebene der allgemeinen Möglichkeiten keinen Raum bietet, so ist eine Änderung der Liste der Rechte immer möglich. Ich denke, das ist bei jeder Tierart das Gleiche. Wir untersuchen Gemeinschaften, die zu einer bestimmten Art gehören (wobei „Art“, wie wir uns erinnern, ein unscharfer Begriff für das ist, was verschiedenen Populationen gemeinsam ist, keine metaphysische Entität). Wir erstellen eine Liste. Dann können die Mitglieder der qualitativ unterschiedlichen Arten diese Rechte auf ihre jeweils eigene Weise nutzen. Fungie unterscheidet sich von jedem anderen Delfin, aber die Fähigkeiten, die Delfine im Allgemeinen schützen, werden auch ihn schützen und von ihm auf seine einzigartige Weise genutzt werden. Er muss sich nicht mit einer großen Gruppe von Delfinen zusammentun, wenn er das nicht will, und es steht ihm völlig frei, sich in der Nähe der Küste aufzuhalten. Und wenn er eines Tages beschließt, sich auf die Suche nach einer größeren Gruppe zu machen, ist er auch in dieser Entscheidung geschützt. (Genau das könnte mit ihm passiert sein; obwohl angesichts seines relativ hohen Alters auch der Tod eine Möglichkeit ist. Seine angebliche Sichtung im Jahr 2021 hat diejenigen aufgemuntert, die sich um ihn sorgen.) Auf diese Weise respektiert der Ansatz die einzelnen Lebewesen: Er schafft geschützte Räume, in denen sie sich entfalten können, jedes auf seine Weise. Durch künftige rechtliche Präzisierungen wird die Liste verfeinert werden, und wenn Menschen, die mit dieser Art von Tieren leben und sich um sie sorgen, dagegen protestieren, dass die Liste unvollständig ist oder auf Irrtümern beruht, dann kann sie jederzeit geändert werden.

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Ein Teil des Guten könnte artenübergreifend sein Die Liste der menschlichen Fähigkeiten enthält unter anderem „Beziehungen zu anderen Tieren und zur Natur“, das heißt in anderen Worten: Eine angemessene Gesellschaft sollte gute Beziehungen zwischen den Arten ermöglichen. Es gibt einige Tiere, deren normales Leben ziemlich eng mit dem Leben ihrer Artgenossen verwoben ist. Delfine und Elefanten scheinen nicht auf solide Beziehungen zu anderen Arten als ein entscheidender Aspekt ihres Wohlergehens angewiesen zu sein (was nicht heißen soll, dass unter geeigneten Bedingungen keine Freundschaft über die Artengrenze hinweg entstehen könnte). Es gibt jedoch andere Tiere, deren Lebensform weitaus stärker an Beziehungen über die Artengrenze hinweg orientiert ist: Hunde, Katzen, viele Pferde und Nutztiere. Diese Tiere pflegen Beziehungen untereinander, und alle scheinen Beziehungen zum Menschen zu suchen und zu brauchen. Kapitel 9 wird sich diesem Thema umfassend widmen. Dieser Aspekt wird daher einfach in die Liste aufgenommen, die wir für jede Art von Lebewesen erstellen, und zwar als ein Bedürfnis der jeweiligen Art. Die Abhängigkeit von der Norm einer bestimmten Art bedeutet nicht, dass ein Lebewesen in seiner eigenen Art gefangen ist. Entwickeln sich Beziehungen im Laufe der Zeit weiter, können die Listen entsprechend angepasst werden.

Die vier Ansätze im Vergleich Der Fähigkeitenansatz ordnet die Arten nicht in eine „Rangliste“ ein oder gibt ihnen „Pluspunkte“ für ihre Ähnlichkeit mit uns. Stattdessen überlässt er sich dem Staunen und der Neugier und entdeckt so die vielfältigen und bemerkenswerten Weisen, auf die Tiere nach einem vollständig entwickelten Leben streben. Er sieht einige Gemeinsamkeiten darin, wie sich Tiere bewegen und wie sie leben: Alle verfügen über eine Art Sinneswahrnehmung; alle haben die Fähigkeit, Informationen über die Umwelt weiterzugeben; alle ernähren sich, pflanzen sich fort und sind gesellig, wenn auch auf sehr unterschiedliche Art. Im Gegensatz zum „Uns-so-ähnlich“-Ansatz legt der FA keinen besonderen Wert auf die Fähigkeit eines Lebewesens, mit einer der menschlichen ähnlichen Art von Sprache zu kommunizieren (z. B. einer Zeichensprache). Stattdessen untersucht er die zahlreichen Methoden, mit denen Lebewesen tatsächlich kommu-

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nizieren, von denen einige „sprachähnlicher“ sind als andere, jedoch alle an den Kontext, den Körper und die Lebensform des jeweiligen Lebewesens angepasst sind. Schon der bloße Gedanke, es könnte für einen Wal besser sein, über eine menschenähnliche Sprache zu verfügen, erscheint höchst seltsam. Seine Physiologie, seine Umwelt und seine Bedürfnisse sind vollkommen anders als unsere. Es ist wesentlich interessanter zu untersuchen, welche Arten der Kommunikation es tatsächlich gibt. Es versteht sich von selbst, dass der FA Schmerzen sehr ernst nimmt, da sie für alle empfindungsfähigen Lebewesen ein großes Übel darstellen. Doch außer Schmerzen gibt es auch noch andere schlimme Dinge. Lebewesen können der freien Bewegung, der artgerechten Gesellschaft, der Möglichkeit, zu spielen und ihre Begabungen entspannt zu verwenden, beraubt werden – und all dies, ohne dabei körperliche Schmerzen erdulden zu müssen. Wenn wir – statt Bentham zu folgen – unser Augenmerk auf die Fähigkeiten richten, sehen wir zahlreiche Aspekte der Entbehrung im Leben eines Tieres, ebenso wie in Vasantis menschlichem Leben: Der FA behandelt Tiere als aktive Wesen, nicht als Behälter von Lust und Schmerz, und erweist ihnen auf diese Weise Respekt. Der FA steht Korsgaards kantischer Sichtweise in vielerlei Hinsicht nahe. Er besteht darauf, dass die Würde sämtlicher Tiere Respekt verdient, dass wir nicht eine Art von Lebewesen als wichtiger einstufen dürfen als andere, und dass jedes Lebewesen eine Chance verdient, sich auf seine eigene Weise voll zu entwickeln. Dabei betrachtet der FA Tiere als Akteure, als potenziell aktive, nicht „passive“ Angehörige der Gemeinschaft, die ihre Bedürfnisse denen mitteilen, die bereit sind, ihnen zuzuhören. Außerdem besteht der FA darauf, dass in der Natur Korsgaards scharfe Trennung zwischen dem Folgen von Instinkten und der moralisch begründeten Wahl und Entscheidung nicht zu finden ist. Viele – wenn nicht sogar die meisten – Tiere verfügen über eine Kultur: Sie folgen zum Teil ihrem Instinkt, zum Teil jedoch auch erlernten Verhaltensweisen, und treffen zeitweilig eine eigene Wahl. Darüber hinaus sind die moralischen Fähigkeiten in der Natur nicht diskontinuierlich. Viele Arten von Lebewesen befolgen Verhaltensregeln, bei denen es häufig auch um andere Lebewesen geht, und sie geben diese Regeln an ihre Jungtiere weiter. Menschliche Regeln mögen ausgefeilter und philosophischer sein, doch völlig anders sind sie nicht; und wie die Regeln der Tiere haben sie sich entwickelt, um dem Kontext des menschlichen Lebens zu entsprechen. Hunde, Elefanten, Geparde und viele andere Tiere stellen das Wohl anderer Wesen

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über ihr eigenes, und hierbei handelt es sich nicht lediglich um Instinkt, sondern teilweise auch um Kultur. Trotz meiner Bewunderung für Korsgaards Buch und obwohl wir in vielerlei Hinsicht Verbündete sind, bin ich dennoch der Meinung, dass der FA unserer Welt und den Tieren darin sowie unserer eigenen Animalität etwas besser gerecht wird. Durch die Formulierung politischer Prinzipien in einer nicht metaphysischen Sprache zeigt er außerdem mehr Respekt vor Pluralität und Unterschiedlichkeit. Obwohl ich glaube, dass der FA unserer Welt angemessener ist als die anderen drei Ansätze, ist es dennoch wichtig festzustellen, dass alle vier Sichtweisen in ihrem Widerspruch gegen einige der schlimmsten Praktiken in der Beziehung zwischen dem Menschen und den Tieren konvergieren. Obwohl Steven Wise sich zur Massentierhaltung nicht äußert und seine Bemühungen auf die grausame Behandlung von in Gefangenschaft gehaltenen Primaten und Elefanten beschränkt, lässt er absichtlich die Tür für eine zeitnahe Ausweitung auf andere Arten offen. Zwischenzeitlich bin ich gerne bereit, seine praktischen juristischen Anstrengungen zu unterstützen.25 Utilitaristen haben die Massentierhaltung, das Quälen von Tieren in Laboratorien und all die von Peter Singer in Die Befreiung der Tiere dokumentierten Erniedrigungen aufs Schärfste kritisiert. Singer und ich sind politische Verbündete, auch wenn wir uns in philosophischer Beziehung unterscheiden. Dasselbe gilt für Korsgaard: Ihr und mein Ansatz sind in praktischer Hinsicht Verbündete, die sich eher bezüglich spezieller moralischer Argumente als in politischen Prinzipien unterscheiden. Diese Konvergenz bedeutet, dass wir uns – was politische Grundsätze betrifft – auf dem besten Weg zu einem „überlappenden Konsens“ der verschiedenen Ansätze befinden. Auch wenn ich der Meinung bin, dass der FA der beste Ausgangspunkt für politische Grundsätze ist, können die anderen Theorien zu gegebener Zeit daran anknüpfen und ihn in eine überarbeitete Fassung ihres eigenen Ansatzes einbauen.

Gefährdete Individuen und gefährdete Arten Die FA konzentriert sich auf jedes einzelne Tier und stellt das Individuum, egal ob menschlich oder nicht, in den Mittelpunkt seines Interesses. Dahinter steht der allgemeine Gedanke, dass kein Individuum oder keine Gruppe von Individuen jemals als das Eigentum anderer oder als Mittel zu deren Zwecken benutzt werden sollte. Jedes Individuum ist ein Selbstzweck.

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Doch wie verhält es sich mit der Art? Einige der Tierschutzgesetze, die heute existieren, sind Gesetze zum Schutz gefährdeter Arten. Den FA zu verteidigen, verlangt daher, sein Verhältnis zur Artenschutzbewegung zu bestimmen: Unterstützt der FA den Schutz gefährdeter Arten? Meine Antwort ist kompliziert. Zunächst einmal ist der Begriff der Art selbst problematisch, wie ich bereits sagte.26 Die Grenzen in der Natur stehen nicht so fest, wie viele Biologen früher annahmen, und Wissenschaftler arbeiten heute größtenteils mit dem weniger exakten Begriff der „Populationen“. Kreuzungen markieren keine scharfe Trennungslinie. Trotzdem bezeichnet der traditionelle Begriff der Art sozusagen einen groben Schnitt, was hilfreich sein kann, solange wir uns der Grenzen dieses Begriffs bewusst sind. Doch selbst wenn wir einen Arbeitsbegriff von Art beibehalten, müssen wir darauf bestehen, dass es so etwas wie das Gut einer Art nicht gibt. Die einzelnen Mitglieder der Art haben ein als solches wahrgenommenes Gut, nach dem sie streben, und sie sind als Selbstzwecke zu behandeln. Es wäre genauso falsch, einzelne Lebewesen als bloße Mittel zum Gedeihen ihrer Art zu behandeln, wie sie als Mittel zum Zweck anderer Lebewesen zu behandeln. Eine Art verfügt über keine perspektivische Sicht der Welt. Sie fühlt nicht, leidet nicht, nimmt nicht wahr. „Der Wal“ stirbt nicht, weil er Plastik verschluckt; „der Elefant“ wird nicht von Wilderern getötet. Es sind einzelne Wale und einzelne Elefanten, die leiden und sterben. Wenn man eine Art mit der Bewegung eines Zauberstabs plötzlich aussterben lassen könnte, würde kein einzelnes Lebewesen leiden, und keinem empfindungsfähigen Wesen würde Unrecht getan. Diese Feststellung deutet darauf hin, dass der Erhalt von Arten zwar einen wissenschaftlichen oder ästhetischen Wert haben mag, dass sie aber als solche nicht als Ziel im Sinne der politischen Gerechtigkeit infrage kommt. Der Erhalt der Arten hat allerdings einen großen instrumentellen Wert für die einzelnen Lebewesen, die Selbstzwecke sind. Biodiversität ist in der Regel gut für Lebewesen, und obwohl die Vorstellung von der Natur als ein schönes, harmonisches System ein Mythos ist, den ich in Kapitel 10 kritisieren werde, wissen wir, dass das Verschwinden einer Art, selbst wenn es sich um nicht empfindungsfähige Lebewesen handelt, vielen empfindungsfähigen Lebewesen Schaden zufügen kann, da sie diese Art für eine Vielzahl von Zwecken benötigen (als Nahrungsquelle, als Bestäubungshilfe, als Lebewesen, die gefährliche Parasiten abtöten, als Bewahrer eines vielfältigen und gesunden Lebensraums und so weiter). Normalerweise wissen wir viel zu wenig über diese Zusammenhänge,

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als dass wir etwa sagen könnten: „Diese Art kann verschwinden, ohne den verbleibenden Lebewesen zu schaden.“ Außerdem benötigen Lebewesen Vielfalt im Genpool ihrer eigenen Art, wenn ihre Jungtiere nicht an Krankheiten leiden sollen, die durch Inzucht entstehen. In der Regel ist das Aussterben einer Art auch mit großem Leiden für viele ihrer verbliebenen Mitglieder verbunden. Denken wir an Eisbären, die sich nicht mehr paaren oder auf Nahrungssuche gehen können, da sie auf Eisschollen gefangen sind, während das Polareis schmilzt. Denken wir an vom Aussterben bedrohte Elefanten und Nashörner, die von Wilderern bedroht werden und mit ansehen müssen, wie Mitglieder ihrer Gruppe wegen ihrer Stoßzähne abgeschlachtet werden. Diejenigen, die überleben, führen oft ein traumatisiertes Leben, während sie durch den Verlust ihres Lebensraums gleichzeitig vom Verhungern bedroht sind. Denken wir an Wale (viele Arten sind inzwischen vom Aussterben bedroht), die gestrandet sind und ihr Leben aushauchen, weil ihre Körper mit Plastik vollgestopft sind, mit dem sich die Ozeane zunehmend füllen. Generell sind der Verlust von Lebensräumen (der zu einem großen Teil auf die globale Erwärmung zurückzuführen ist) und ihre Zerstörung (z. B. die Verschmutzung der Meere durch Plastik) die Hauptursachen für das gegenwärtige Artensterben auf der Welt, und sie fügen einzelnen Lebewesen normalerweise großes Leid zu. Wenn uns das Leben einzelner Lebewesen am Herzen liegt, haben wir gute Gründe, diesen Formen der Artenvernichtung entgegenzutreten. Und schließlich steht kein Lebewesen für sich allein da. Das Gut von Lebewesen ist in allen Fällen eine Art von sozialem Gut, das zusammen mit und gegenüber anderen ausgeübt wird.27 Einige Lebewesen brauchen für ein normales soziales Leben eine größere Gruppe als andere. Delfine sind sozialere Wesen als viele Vögel. Doch selbst die weniger geselligen Vögel (die sich vielleicht für ihr ganzes Leben mit einem Partner zusammentun und ansonsten nur selten mit anderen interagieren) sind auf eine ausreichend große Zuchtgemeinschaft angewiesen, damit die Population nicht unter den gesundheitlichen Schäden von Inzucht leidet. Selbst bei Papageien ist das Wohlergehen jedes einzelnen Individuums von der Gesundheit und Diversität einer es umgebenden Artengemeinschaft und in einigen Fällen einer Gemeinschaft zwischen unterschiedlichen Arten abhängig. Kurz gesagt: Das Ziel unserer Bemühungen und das zentrale Anliegen einer Theorie der Gerechtigkeit ist das einzelne Lebewesen; da Arten im Leben von

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Individuen jedoch eine entscheidende Rolle spielen, ist dies ein Grund dafür, uns um die aktuellen Gefahren zu kümmern, denen viele Arten ausgesetzt sind.

Eine Auffassung von der Grundlage der Rechte Indem der Fähigkeitenansatz die mögliche Ausübung zentraler Fähigkeiten zwingend vorschreibt, um von politischer Gerechtigkeit sprechen zu können, vertritt er die Auffassung, dass Tiere ein Recht auf Unterstützung der für ihre verschiedenen Lebensformen zentralen Fähigkeiten haben, und zwar bis zu einem gewissen vernünftigen Schwellenwert und begrenzt durch die nachvollziehbaren Ansprüche anderer. (Wie in Kapitel 7 noch deutlich werden wird, umfassen diese Grenzen auch das Prinzip der Selbstverteidigung.) Die Rechte sind Ansprüche, die sich aus der Würde jedes einzelnen Tieres begründen. Sie verlangen nach Erfüllung. Ebenso wie wir untereinander Ansprüche auf die Möglichkeit zu leben, zu sprechen, uns unserer Gesundheit zu erfreuen usw. erheben, tut dies auch jedes Tier. Allerdings ist ein Recht nur dann real, wenn es prinzipiell auch juristisch durchsetzbar ist. Und selbst wenn zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Weltgeschichte der Mensch die Gesetze erlässt und vollstreckt, gibt es keinen Grund, warum der Mensch nur die menschlichen Rechte durchsetzen sollte und nicht auch die Rechte anderer empfindungsfähiger Wesen. Nun könnte ein Leser den Fähigkeitenansatz interessant und sogar wichtig finden, um Ziele und Bestrebungen zu definieren, ohne jedoch davon überzeugt zu sein, dass Tiere tatsächlich ein Recht auf die Dinge haben, die auf der Liste der Fähigkeiten stehen, oder dass ihr Fehlen ein Zeichen von Ungerechtigkeit und Rechtsverletzung ist. Dieser Punkt verlangt nach einer weiteren Ausführung. Ein Teil unserer Aufgabe besteht darin, einen angemessenen Pflichtbegriff zu gewinnen. Normalerweise geht man davon aus, dass Rechte und Pflichten miteinander korrelieren. Wenn also jedes Tier eine Reihe von Rechten hat, wer hat dann die damit verbundenen Pflichten? Menschen, die leugnen, dass Tiere Rechte haben, tun dies häufig, weil sie keine vernünftige Antwort auf diese Frage finden können. Das Problem ist sogar noch heikler: Rechte sind nicht nur mit Pflichten verbunden, sondern auch mit Gesetzen. Wie Korsgaard (mit Bezug auf Kant) überzeugend darlegt hat und wie ich selbst ebenfalls glaube, sind Rechte begrifflich mit Gesetzen verbunden. Sagt man demnach, dass ein Lebewesen ein Recht auf etwas hat, dann bedeutet dies auch, dass es Gesetze

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geben sollte, die diesen Anspruch schützen. Wir können uns jedoch Leute vorstellen, welche schon die bloße Idee von Gesetzen zum Schutz der Rechte von Tieren für unmöglich utopisch halten. Solche Menschen werden sich gegen die Vorstellung wehren, dass Tiere Rechte haben. Was können wir ihnen sagen? Wer hat die Pflicht, diese Rechte zu verteidigen, schließlich sogar mithilfe des Gesetzes? Hier hält Kant, erweitert durch Korsgaard, die richtige Antwort bereit: Die Rechte der Tiere sind „unvollkommene Rechte“, d. h. Rechte nicht gegenüber einer bestimmten Person oder einem bestimmten Tier, sondern vielmehr gegenüber sämtlichen Menschen, gegenüber einer zu kollektivem Handeln fähigen Menschheit.28 (In Kapitel  10 werde ich darüber nachdenken, ob Tiere Rechte gegenüber anderen Tieren haben, wie etwa das Recht, nicht gefressen zu werden, das in einer gerechten Gesellschaft auf irgendeine Weise durchgesetzt werden sollte.) Unvollkommene Rechte sind Ansprüche von Individuen auf gerechte Behandlung, bei denen wir noch nicht wissen, wie wir wirksame Maßnahmen organisieren können, um sie durchzusetzen. In solchen Fällen besteht unsere unmittelbarste Pflicht als Einzelperson darin zu versuchen, unsere Gruppe so zu organisieren, dass alle Rechte geschützt werden. Doch warum sollten wir Tieren überhaupt Rechte zugestehen? Die meisten moralischen Auffassungen gehen von etwas viel Schwächerem aus, nämlich davon, dass wir Tiere aus Güte oder Mitgefühl tiergerecht behandeln sollten. Doch das ist nicht stark genug: Wann immer einzelne empfindungsfähige Lebewesen schlecht behandelt werden, wird ihnen ein Unrecht zugefügt. Der FA entwirft ein attraktives Bild der Würde und des Strebens der Tiere, die als sie selbst nach einem reaktiven Schutz durch Gesetze und Institutionen verlangen. Lässt sich über die Grundlage dieser Rechte noch mehr sagen? Ist das nicht möglich, so mag der FA vielen Lesern als ein attraktives Ideal erscheinen, allerdings als eines, das keine direkten Auswirkungen darauf hat, was wir tun sollten. An diesem Punkt leistet uns Korsgaards Kant erneut Hilfestellung. Kant war der Auffassung, Rechte schützten den Menschen davor, von anderen beherrscht zu werden. Wir alle befinden uns in einer Welt, in der wir durch die Beherrschung durch andere äußerst verletzbar sind. Ohne Rechte (verstanden als juristisch einklagbare moralische Ansprüche) wären wir nicht in der Lage, zur Befriedigung unserer Bedürfnisse von Ressourcen Gebrauch zu machen, ohne ständig von der Herrschaft anderer bedroht zu sein. Unseren Rechten liegt ein sehr einfacher Gedanke zugrunde: Jeder Mensch hat ein Recht darauf, dort zu

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sein, wo er oder sie sich befindet. Bevor man etwas besitzt oder davon Gebrauch macht, hat man einfach das Recht, dort zu sein, wo man ist. Daher herrscht Ungerechtigkeit, wenn die Dinge so verteilt sind, dass einige nicht leben können. Auf diese Weise begründet Kant nicht nur Eigentumsrechte, sondern auch ein Recht auf demokratische Teilhabe, auf Mitbestimmung über das, was in der Welt geschieht. Der Mensch ist nun jedoch nicht das einzige empfindungsfähige Wesen, das in die Welt geworfen ist und sich der Beherrschung durch andere entziehen muss, wenn es ein gutes Leben haben will. Kant selbst war der Meinung, Tiere seien einfach nur Besitztümer, was den Menschen dazu berechtige, sie auch so zu benutzen. Doch Korsgaard widerspricht dem: Andere Tiere befinden sich in der gleichen Situation wie wir; auch sie sind in die Welt geworfen, wollen leben und sind einer möglichen Beherrschung durch andere Wesen ausgeliefert. Gegenwärtig werden sämtliche anderen Tiere vom Menschen beherrscht. Nach Kants Argumentation scheint dies eine Ungerechtigkeit darzustellen: Andere Tiere müssen ebenfalls das Recht haben, dort zu sein, wo sie sind, und wie wir einen Anteil daran haben, was geschieht. Sie haben eigene Zwecke und dürfen nicht ohne Ungerechtigkeit unserer Herrschaft unterworfen werden.29 Dieser intuitive Gedanke eines Rechts, dort zu sein, wo man ist, ist tief verwurzelt, und es überrascht nicht, dass er bereits in einigen unserer Gesetze und Institutionen anerkannt wird. In ihrem Buch Wildlife as Property Owners: A New Conception of Animal Rights30 untersucht die Rechtswissenschaftlerin Karen Bradshaw, auf welch vielfältige Weise Gesetze den Tieren bereits Rechte auf einen Lebensraum und auf bestimmte Arten von Eigentum zuerkannt haben. Natürlich sind diese Gesetze, wie alle unsere Gesetze, die Tiere betreffen, lückenhaft und unvollständig. Sie zeigen jedoch, dass Menschen, die mit Tieren in der „Wildnis“ leben, für das kantische Argument empfänglich sind, ohne dass sie es ausdrücklich vorbringen. Diese Tiere sind da; sie haben ein Recht darauf, dort zu sein, und wir haben kein Recht, sie zu vertreiben. Diese Idee kann und muss durch Gesetze konkretisiert werden, wie ich in Kapitel  12 darlegen werde. Doch diese Vorstellung von einem Recht, das Beziehungen zwischen Arten betrifft, ist nicht vollkommen einseitig, indem sie den Menschen sämtliche Pflichten zuweist und den Tieren hingegen nur Rechte zugesteht. Auch Tiere können rechtlich verpflichtet werden, und ihren Rechten können gesetzliche Grenzen gezogen werden, um das Zusammenleben der verschiedenen Arten auf der Welt zu ermöglichen. Dieser Gedanke ist uns be-

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reits vertraut, wenn wir an Haustiere denken, denen es, wie in Kapitel  9 erläutert wird, auf bestimmte Weise verboten ist, Menschen und anderen Tieren zu schaden. Normalerweise ist es der „Besitzer“, dem Pflichten auferlegt werden – er darf nicht zulassen, dass „sein“ Hund Kinder beißt, dass „seine“ Katze den Vogel des Nachbarn frisst. Doch können wir diese Pflichten problemlos als Pflichten des betreffenden Tieres umformulieren, die durch Zusammenarbeit und Erziehung eingehalten werden müssen. In ähnlicher Weise sind die gesetzlichen Pflichten von kleinen Kindern und von Menschen mit schweren kognitiven Behinderungen tatsächlich ihre eigenen, obwohl sie durch die wachsame Vermittlung von Betreuungspersonen erfüllt werden.

Der neue Ansatz in der Praxis Der Fähigkeitenansatz gibt ein Ziel vor. Er sagt uns nicht, wie wir es erreichen können. Er gleicht, so habe ich gesagt, einer virtuellen Verfassung für die Tiere der Welt. Allerdings gibt es kein Land, in dem Tiere Bürger sind, obwohl sie als solche gesehen und mit Rechten ausgestattet werden sollten, deren Nichterfüllung eine Ungerechtigkeit bedeuten würde. Da wir uns erst am Anfang einer politischen Entwicklung hin zu einer Gerechtigkeit auch für die Tiere befinden, muss jede Umsetzung der Ideen des Fähigkeitenansatzes in Einzelschritten erfolgen, einschließlich der Arbeit an besseren internationalen Verträgen und Abkommen, besseren Gesetzen in jedem Land und der Verbesserung vieler staatlicher und lokaler Gesetze, die auf absehbare Zeit ein verwirrendes und unkoordiniertes Flickwerk bleiben werden. In Kapitel 12 wird dieses Flickwerk näher untersucht. An diesem Punkt ist es jedoch hilfreich, einen Vorgeschmack darauf zu bekommen, wohin wir uns in praktischer und rechtlicher Hinsicht bewegen. Ein entsprechendes Beispiel könnte unsere Diskussion voranbringen  – als glücklicher Vorbote einer möglicherweise neuen Ära in der Rechtsprechung, und zwar in Form eines bemerkenswerten Urteils des US-Berufungsgerichts für den neunten Bezirk aus dem Jahr 2016. In dem Rechtsstreit Natural Resources Defense Council gegen Pritzker31 entschied das US-Berufungsgericht für den neunten Bezirk, dass die US-Marine gegen das Gesetz verstieß, als sie versuchte, ein Sonarprogramm fortzusetzen, das einen Einfluss auf das Verhalten von Walen hatte.32 Bis zu einem gewissen Grad ist das Urteil eine technische Übung in

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der Auslegung des Marine Mammal Protection Act (Gesetz zum Schutz der Meeressäugetiere):33 Das Gericht entschied, die Tatsache, dass ein Programm „vernachlässigbare Auswirkungen“ auf Meeressäuger habe, befreie es nicht von einer anderen gesetzlichen Pflicht, nämlich derjenigen, Maßnahmen zur „geringstmöglichen Beeinträchtigung“ von Meeressäugerarten einzuführen.34 Bezeichnend  – und faszinierend  – ist, dass sich die Argumentation stark auf die Berücksichtigung der Fähigkeiten der Wale stützt, die durch das Programm gestört werden: Die Wirkungen, die sich ergeben, wenn [ein Wal Geräuschen von] unter 180 dB ausgesetzt wird, können zu einer kurzfristigen Störung oder der Aufgabe natürlicher Verhaltensmuster führen. Diese Verhaltensstörungen können dazu führen, dass betroffene Meeressäuger die Kommunikation untereinander einstellen, aus dem beschallten Gebiet fliehen oder es meiden, nicht mehr nach Nahrung suchen, sich von ihren Kälbern trennen und ihr Paarungsverhalten unterbrechen. Ein Sonargerät, das Schall niedriger Frequenz erzeugt, kann bei Meeressäugern auch zu gesteigerten Stressreaktionen führen. Solche Verhaltensstörungen können Meeressäuger dazu zwingen, Kompromisse einzugehen, z. B. ihre Migration zu verschieben, ihre Fortpflanzung zu verzögern, ihr Wachstum zu reduzieren oder ihren Wanderungen mit reduzierten Energiereserven nachzugehen.35

Das Gutachten verleiht den Walen keinen rechtlichen Status (ein Begriff, den ich in Kapitel 12 noch ausführlich erörtern werde); ein solch radikaler rechtlicher Schritt ist jedoch auch nicht erforderlich, um zu dem eindeutigen Ergebnis zu gelangen, dass das Programm inakzeptabel ist. Da die Wale rechtlichen Status hatten, mussten sie sich auf das Glück verlassen, durch den Marine Mammal Protection Act geschützt zu werden, ein Gesetz, das von menschlichen Gesetzgebern gemacht wurde, aber die Interessen von Walen berücksichtigt. Die Wale mussten sich auch auf ein ins Moralische gewendetes Staunen verlassen – auf Richter, die das Gesetz mit Fantasie lasen und eine Reihe von Einschränkungen der Lebensform der Wale, die nicht mit dem Zufügen von Schmerzen verbunden waren, sehr ernst nahmen. Das Urteil wurde (für ein einstimmiges Gremium aus drei Richtern) von dem Richter Ronald Gould verfasst, der im Bundesstaat Washington lebt, wo die Beobachtung von Walen ein beliebter Zeitvertreib ist. Er kam zu dem Schluss, dass die Einschränkung

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einer charakteristischen Form der Lebensaktivität, auch ohne Schmerzen, eine „nachteilige Auswirkung“ darstellt.36 Ich stelle mir diesen Richter als jemanden vor, der Wale wirklich mit Neugier und Staunen betrachtet hat. Aber unabhängig davon, ob er oder seine Mitarbeiter wirklich zur Walbeobachtung auf das Meer gefahren sind oder nicht: Das Urteil zeigt eine moralische und fantasievolle Haltung, wie sie in den Küstengebieten der USA, vielleicht vor allem in der Gegend um Seattle, immer häufiger anzutreffen ist. Sie sieht Wale als komplexe Wesen mit einer aktiven Lebensform an, die emotionales Wohlbefinden, Zugehörigkeit und freie Bewegung, also eine Vielzahl von artspezifischen Aktivitätsformen umfasst. Die Stellungnahme geht weit über Bentham hinaus und vermeidet auch den „Uns-so-ähnlich“-Ansatz. Zudem werden die Wale nicht – wie bei Kant – als bloße „passive Bürger“ betrachtet. Das Urteil ist hoffentlich ein Vorbote einer neuen Ära des Tierschutzrechts im Rahmen der Gerechtigkeit für Tiere.

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Auf diese Weise also drängen die Lebewesen zum Sich-Bewegen und Handeln, da die unmittelbare Ursache des Sich-Bewegens eine Strebung ist und diese entweder durch Wahrnehmung oder durch Vorstellung und Denken zustande kommt.1 Aristoteles, Über die Bewegung der Tiere

Wir haben den Fähigkeitenansatz nun in Aktion gesehen, einen Ansatz, der auf den Lebensformen empfindungsfähiger Tiere basiert. Als Theorie der grundlegenden Gerechtigkeit zielt er darauf ab, ihr Streben in zentralen Bereichen zu unterstützen. Hierbei konzentriert er sich nicht nur auf Schmerzen, sondern auch auf die verschiedenen Ziele, nach denen die einzelnen Arten der Lebewesen streben (mit großem Spielraum für individuelle Vielfalt und Wahlmöglichkeiten innerhalb einer Art). Doch wer sind diese empfindungsfähigen Wesen? Sie sind es, die nach meiner Theorie einen Anspruch auf eine gerechte Behandlung haben. Der FA ist eine Theorie der minimalen Gerechtigkeit, die als ideale „virtuelle Verfassung“ dienen und unseren vielfältigen Bemühungen bei der Formulierung von Gesetzen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene die Richtung weisen kann. Da ich Ungerechtigkeit als unrechtmäßige Beeinträchtigung der charakteristischen Lebensaktivitäten eines empfindungsfähigen Tieres verstehe, stelle ich mir minimale Gerechtigkeit als den Schutz  – bis zu einer angemessenen Schwelle – der zentralen Fähigkeiten von Tieren vor. Doch welche Lebewesen sollten als Selbstzweck behandelt werden? Angesichts meines Verständnisses von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit läuft dies auf die Frage hinaus: Welche Lebewesen sind in der Lage, für sie bedeutsamen Zielen nachzustreben? Welche sind in ihrem Streben nicht nur beeinträchtigt, sondern zu Unrecht vollkommen unterdrückt? Der FA gibt zwar durch seine Betonung des bedeutsamen Strebens selbst Antworten auf diese Frage, doch müssen wir nun das, was die Theorie besagt, genauer ausführen.

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Die Lebewesen, von denen im FA die Rede ist, deren bedeutsames Streben zu schützen die Theorie von uns verlangt, müssen scheinbar zu Wahrnehmung und Begehren fähig sein und sich als Reaktion auf diese Kombination bewegen können. Unter Wahrnehmung verstehe ich (wie schwierig es auch sein mag, dies in praktischer Hinsicht zu erreichen) die Fähigkeit, sich auf Objekte in der Welt auszurichten, und zwar in einer Weise, die nicht nur in einem kausalen Aufeinandertreffen besteht, sondern in einem wirklichen Ausgerichtetsein oder in dem, was Philosophen als Intentionalität bezeichnen. Die Welt hat für diese Lebewesen ein bestimmtes Erscheinungsbild. Sie verfügen über eine Art subjektiver Erfahrung. Mit dem Begehren verhält es sich ähnlich: Die Lebewesen, nach denen wir suchen, distanzieren sich nicht einfach mechanisch von schädlichen Einflüssen oder bewegen sich auf Nahrung zu – sie haben eine gefühlte Ausrichtung auf das, was sie als gut ansehen, und eine gefühlte Abneigung gegen das, was sie als schlecht ansehen. Das ist es, was ihr Streben bedeutsam sein lässt. Sie sind nicht bloße Automaten. Mit anderen Worten: Sie besitzen jene schwer fassbare Eigenschaft, die man als Empfindungsvermögen bezeichnet. Die Welt erscheint ihnen auf eine bestimmte Weise, und sie streben nach demjenigen, was sie als das für sie Gute ansehen. Empfindungsvermögen wird manchmal auf die Fähigkeit der Schmerzempfindung reduziert, doch tatsächlich ist es ein viel weiter gefasster Begriff, der die Vorstellung einer subjektiven Perspektive auf die Welt umfasst. Ich denke, es ist hilfreich, den Begriff der Empfindungsfähigkeit auf diese Weise einzuführen, bevor wir zu den schwierigen wissenschaftlichen Debatten darüber kommen, wie man nachweisen kann, dass ein bestimmtes Tier empfindungsfähig ist; diese konzentrieren sich normalerweise relativ eng auf den Schmerz. Damit will ich sagen, dass meine Kernvorstellung von Ungerechtigkeit nur auf Lebewesen zutreffen kann, die zu einem bedeutsamen Streben fähig sind; und dazu gehören nicht nur gefühlter Schmerz und gefühlte Freude, sondern auch ein wahrnehmendes Bewusstsein und in den meisten Fällen außerdem noch die Fähigkeit, sich auf Objekte zuzubewegen oder sich von ihnen zu entfernen, so wie es die Sichtweise des jeweiligen Tieres vorgibt. Häufig sind damit nicht nur Wünsche, sondern auch Emotionen verbunden, da sich Emotionen als Indikatoren entwickelt haben, denen Lebewesen Informationen darüber entnehmen, wie es um ihre wichtigsten Ziele und Projekte steht. Nach vielen faszinierenden Arbeiten sind sich die Wissenschaftler nun darin einig, dass es sich bei den meisten Tieren – einschließlich aller Säuge-

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tiere, aller Vögel und Knochenfische – um solche empfindungsfähigen Lebewesen handelt, so schwierig diese wissenschaftlichen Debatten auch waren. In anderen Fällen (bei Insekten, Krustentieren, Kopffüßern, Knorpelfischen) sind die Dinge weniger klar. Und dann gibt es noch den Fall der Pflanzen, die einige Wissenschaftler sozusagen „in das Lager der Gerechtigkeit schieben“ wollen. Ich werde diese Diskussionen vorstellen, doch das Wichtigste ist die Theorie: Da wir ständig neue Entdeckungen machen, können wir die Lebewesen leicht umgruppieren und anders klassifizieren, wenn wir die Theorie als Vorlage haben. Meine Schlussfolgerung ist in gewissem Sinne neoaristotelisch: Tiere sind komplexe Lebewesen, die mithilfe von Wahrnehmung, Einbildungskraft, Gedanken sowie Wünschen und Emotionen vieler Art die für sie charakteristischen Ziele anstreben. Alle diese Fähigkeiten sind nicht im Geringsten mysteriös: Sie haben einen evolutionären und erklärenden Wert. Was die Anwendung der moralischen Intuition betrifft, ist alles in diesem Kapitel nicht ausreichend und hinterfragbar; neue Erkenntnisse können meine vorläufigen Schlussfolgerungen ändern.

Beweise und Fallstricke Ein Fallstrick, vor dem wir uns hüten müssen, ist eine Art anthropozentrischer Selbstgefälligkeit: Die Humanforschung hält es für sonnenklar, dass der Mensch über Bewusstsein (wie auch immer wir diesen schwer fassbaren Begriff definieren), Emotionen, Einbildungskraft, subjektiv empfundene Wahrnehmungen und Erkenntnisvermögen verschiedener Art verfügt. (Wissenschaftler definieren „Erkenntnis“ in der Regel sehr weit als jeden Prozess, durch den ein Lebewesen Informationen erwirbt, verarbeitet, nutzt oder speichert; daher gibt es zwischen den Kategorien beträchtliche Überschneidungen: Wahrnehmung und Einbildungskraft haben kognitive Inhalte, Emotionen haben in der Regel kognitive oder Informationen enthaltende Elemente.) Während der Blütezeit des Behaviorismus waren einige Psychologen der Auffassung, dass der Mensch über nichts von alledem verfüge, sondern nur aus einem Reiz-Reaktions-Mechanismus bestehe. Diese Idee widersprach der Lebenserfahrung jedoch so sehr, dass sie nie sehr weit in die Welt der biologischen Forschung vordrang und inzwischen aufgegeben wurde.

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Trotz der allgemeinen Rückkehr der Biologie zu einem humanistischeren Menschenbild, das reichhaltige Formen der Intentionalität (der inneren Ausrichtung auf äußere Gegenstände) und eines bedeutsamen Strebens – so habe ich es genannt –, eines von persönlicher Bedeutung durchdrungenen Strebens einschließt, müssen die erkenntnistheoretischen Schwierigkeiten eines solchen Konzepts offen angesprochen werden. Typischerweise tun dies Philosophen, die das „Problem des Fremdpsychischen“ erörtern, weniger häufig jedoch Wissenschaftler, welche die Intelligenz von Tieren erforschen. Denn tatsächlich sind unsere Beweise für das humanistische Menschenbild kompliziert und unsicher. Wir haben Zugang zu unserer eigenen subjektiven Erfahrung, aber selbst die ist schwankend. Wir wissen, dass wir nicht immer wissen, was wir tun, oder welches unsere wahren Gefühle und Absichten sind; und was andere Menschen anbetrifft: Was veranlasst uns dazu, den Sprung vom Ich zum Anderen zu machen? Eigentlich sind es dieselben Dinge, auf die wir uns (sehr vorsichtig) stützen, wenn wir über andere Tiere sprechen: Biologie, Verhalten, Rückschlüsse auf die beste Erklärung und interpretierende Einbildungskraft. Wir wissen, dass andere Menschen eine ähnliche Neuroanatomie aufweisen wie wir, woraus wir folgern, dass ihre Leistungen wahrscheinlich den unseren ähneln: Wenn wir aufgrund der Funktionen unseres neuronalen Mechanismus über ein subjektives Bewusstsein verfügen, dann verfügen auch andere mit einer ähnlichen Neuroanatomie sehr wahrscheinlich darüber. Das ist die einfachste Erklärung und eine höchst plausible noch dazu. Wir sehen, dass andere sich auf eine Weise verhalten, die auf solche Handlungen schließen lässt, welche – wenn wir selbst sie ausführen – von vielen Formen subjektiven Bewusstseins begleitet werden; und deshalb folgern wir, dass die beste Erklärung für diese Ähnlichkeit des Verhaltens darin besteht, eine Ähnlichkeit der Erfahrungsgrundlagen anzunehmen. Doch was legitimiert uns letztlich, diese Sprünge der Einbildungskraft von uns selbst zu anderen zu machen? Woher wissen wir, dass dieser vermeintliche Freund, der redet und lacht, nicht in Wahrheit eine schlaue Maschine ist? Ich will nicht sagen, dass wir keinen Grund dafür haben, anderen Menschen ein bewusstes Leben zuzuschreiben. Ich möchte stattdessen sagen, dass wir tatsächlich einen Grund dafür haben, allerdings nicht die Art von schlagendem Beweis, der üblicherweise im Fall von nicht menschlichen Tieren gefordert wird. Das Übersehen der Problematik in unserem eigenen Fall führt dazu, dass die Forscher die Messlatte in ihren eigenen Fällen unmöglich hoch legen. In beiden Fällen sind die Beweise und die Probleme in etwa gleich.

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Die erste Beweisquelle, auf die Wissenschaftler zurückgreifen, wenn sie sich mit der Frage des tierischen Bewusstseins beschäftigen, ist die Neuroanatomie. Ist die Neuroanatomie der unseren hinreichend ähnlich, so ist es sehr wahrscheinlich, dass auch ihre Funktionen ähnlich sind: Sie spielt dieselbe evolutionäre Rolle. Wenn sie bei uns zu Wahrnehmungserfahrungen, Gefühlen und Emotionen führt, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie dies auch bei anderen, ähnlich ausgestatteten Lebewesen tut – einschließlich anderen Menschen. So weit, so vernünftigerweise gut. Jede gegenteilige Hypothese ist wahrscheinlich unnötig extravagant, da sie ähnliche Fälle unterschiedlich behandelt. Der Umkehrschluss stimmt allerdings nicht, d. h., wenn wir eine Neuroanatomie vor uns haben, die weit von der unseren entfernt ist (kein Neokortex, vielleicht nicht einmal ein zentralisiertes Gehirn), dann haben wir nicht das Recht, daraus zu folgern, dass die Funktionen des Systems, das an ihre Stelle tritt, extrem verschieden sein müssen. Lange wurden auf diese Weise Fehler gemacht: kein Neokortex, keine kognitiven Inhalte, Schmerzen oder Emotionen – so behaupteten die Wissenschaftler. Zwischenzeitlich haben wir allerdings gelernt, dass die Evolution irreführende Wege geht und häufig konvergierenden Pfaden folgt, um ein ähnliches Ziel zu erreichen. So haben sich, wie wir noch sehen werden, Menschen und Vögel im Stammbaum der Evolution so früh voneinander entfernt, dass sie viele große neuroanatomische Unterschiede aufweisen. Dennoch leben Vögel in derselben Natur wie wir Menschen und stehen vor einer Reihe von Herausforderungen, die unseren nicht allzu unähnlich sind. Wie sich herausstellt, haben sich die Vögel an diese Herausforderungen angepasst, allerdings mit auffallend anderen Strukturen. Die Ähnlichkeit der Struktur ist also ein ziemlich guter Beweis für eine ähnliche Funktion (einschließlich ihrer subjektiven Eigenschaften); ein Unterschied der Struktur ist jedoch kein guter Beweis für einen Unterschied der Funktion, wenn wir die Art und Weise, wie das Lebewesen funktioniert, unabhängig untersuchen und herauszufinden versuchen können, wie ihm das gelingt. An dieser Stelle müssen wir bedenken, dass das subjektive Erleben kein überflüssiges Beiwerk ist; es spielt zahlreiche entscheidende erklärende Rollen. Nehmen wir den einfachsten Fall: Die Schmerzempfindung ist nützlich, um Tiere am Leben zu erhalten, und sie hat sich zweifellos so entwickelt, dass sie eine wichtige Rolle dabei spielt, die Anwesenheit schädlicher Substanzen zu signalisieren. Schmerz steht also in einem nützlichen Zusammenhang mit dem Verhalten von Tieren und hat sich aufgrund seines Nutzens für das Überleben entwickelt.

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Die zweite und in vielerlei Hinsicht wichtigste Beweisquelle ist folglich das Verhalten unter einer Vielzahl von Versuchs- und Beobachtungsbedingungen. Das Verhalten ist von entscheidender Bedeutung, doch es ist nicht leicht zu deuten. Bei einigen beweglichen Lebewesen mag es sich um Mechanismen zur Schadensvermeidung ohne subjektives Bewusstsein handeln. Wie wir noch sehen werden, haben Wissenschaftler Wege gefunden, diese Lebewesen von anderen zu unterscheiden, die über ein echtes Bewusstsein verfügen. Hier spielt der Schmerz eine nützliche Rolle, denn er ist eine deutliche subjektive Erfahrung, die normalerweise Konsequenzen für das Verhalten hat. Doch entsprechende Experimente sind umstritten und werden in unterschiedlicher Weise interpretiert. Sowohl Wissenschaftler als auch viele Philosophen greifen an dieser Stelle darauf zurück, auf die beste Erklärung zu folgern, so wie wir es selbst tun, wenn wir anderen Menschen im normalen Leben mentale Zustände zuschreiben.2 Diese Art der Schlussfolgerung ist mit Unsicherheiten behaftet (sind die anderen Erklärungen wirklich schlechter?) und bestenfalls ungenau. In Verbindung mit anderen Hinweisen führt sie so, wie sie von Wissenschaftlern üblicherweise verwendet wird, allerdings zu einigermaßen sicheren Ergebnissen. Der Philosoph Michael Tye kommt mit dieser Strategie ein gutes Stück weiter. Über Schmerz schreibt er zum Beispiel: Die Hypothese, dass es eine phänomenale Qualität in mir gibt, welche Stöhnen, körperliche Anspannung, Rückzugsverhalten usw. verursacht, und eine andere phänomenale Qualität in dir, die eben diese Wirkungen hat, ist komplexer und zudem ad hoc. Es wird ein Unterschied postuliert, ohne dass es dafür Beweise gibt, ohne dass es einen Grund für die Annahme eines Unterschieds gibt […]. Meine endgültige Schlussfolgerung lautet also: Es ist für mich rational zu akzeptieren, dass du Schmerz empfindest, wenn ich dich blutüberströmt neben deinem beschädigten Fahrrad sehe, denn das ist die beste verfügbare Erklärung für dein Verhalten. Was für den Schmerz gilt, gilt auch für die Angst und das visuelle Bewusstsein von Rot. Es gilt sogar für Gefühle und Erfahrungen im Allgemeinen.3

Manchmal werden diese vielversprechenden Schlussfolgerungen durch die Überbetonung eines Unterschieds oder von Unterschieden zwischen Menschen und anderen Tieren blockiert. Besonders häufig ist das, was ich als die falsche

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Verlockung der Sprache bezeichnen werde. Wissenschaftler neigen häufig zu der Annahme, dass das menschliche Bewusstsein sprachlich strukturiert ist und dass ein Lebewesen ohne Sprache eine ganz andere Art von Bewusstsein haben muss, sofern es überhaupt Bewusstsein hat. Doch das menschliche Wahrnehmungs- und Gefühlserleben ist natürlich nicht immer sprachlich strukturiert. Wir gewöhnen uns daran, über unsere Erfahrungen mithilfe der Sprache zu berichten, dabei leisten wir jedoch eine Art von Übersetzung. Es ist nicht so, dass uns Sätze durch den Kopf gehen, während wir eine Erfahrung machen – oder zumindest nicht sehr oft. Wir sind daran gewöhnt, Romane zu lesen, in denen die menschliche Erfahrung detailliert sprachlich wiedergegeben wird. Doch das ist eine kunstvolle Wiedergabe von etwas, das sich in unserem eigenen Kopf stark komprimiert und mit geringer verbaler Ausarbeitung abspielt. Romanautoren schildern sogar in kunstvoller Sprache das Innenleben von Kindern; sie geben allerdings zu, dass sie versuchen, etwas wiederzugeben, das sich im Inneren des Kindes ganz anders vollzieht. So schreibt Henry James in seinem Vorwort zu Was Maisie wusste: „Kleine Kinder haben viel mehr Wahrnehmungen als Begriffe, um sie zu übersetzen; was sie sehen, ist in jedem Moment viel reicher, ihre Auffassungsgabe sogar ständig umfassender als ihr […] Wortschatz.“4 Das gilt jedoch nicht nur für Kinder: Wahrscheinlich verfügen nur Romanautoren über das Vokabular von Romanautoren, und das zweifellos nicht vollständig, wenn sie sich schnell durch ihr eigenes Leben bewegen. Aus diesem Grund behauptete Proust kühn, dass das einzige vollständig verwirklichte Leben Literatur ist, womit er sagen wollte, dass die reiche Sprache des Romanciers die Lückenhaftigkeit, Dumpfheit und Verarmung der täglichen Erfahrung transzendiert. Wir sollten Proust nicht glauben, wenn er behauptet, die Sprache des Schriftstellers sei der Alltagserfahrung der meisten Menschen überlegen. Wir sollten stets bedenken, dass sie ganz anders ist. Kurzum, die menschliche Erfahrung ist alles andere als romanhaft, und sie ist in der Regel noch nicht einmal besonders sprachlich – sie verwendet häufig bildliche und akustische Darstellungen. Selbst wenn sie bis zu einem gewissen Grade sprachlich ist, ist sie nicht so klar und präzise, wie es ein Satz, der sie beschreibt, zu sein versuchen würde. Und in den seltenen Fällen, in denen unsere Erfahrung in komplexe Muster gegliedert ist, sind nicht alle von ihnen sprachlich, sondern teilweise bildlich oder sogar musikalisch. Wir alle beginnen unser Leben, ohne zu wissen, wie man Sprache benutzt, und wir wissen nicht einmal, wie wir unseren eigenen Körper von denen anderer Menschen abgrenzen kön-

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nen. In diesem frühen Stadium haben wir tiefgehende und wirkmächtige Wahrnehmungen und Emotionen, von denen viele erhalten bleiben und das Bewusstsein des Erwachsenen beeinflussen. Wenn Romanautoren versuchen, aus der Sicht eines nicht menschlichen Tieres zu schreiben, wird ihnen unerlaubter Anthropomorphismus vorgeworfen. Manchmal ist eine gewisse Kritik angebracht, wenn der Autor sich nicht die Mühe gemacht hat, die Lebenswelt dieser Art von Lebewesen zu erforschen, sondern sich das Tier eher wie einen Menschen in einem Kostüm vorgestellt hat. Autoren erliegen diesem Irrtum nicht immer.5 Was Kritiker jedoch vergessen, ist die Tatsache, dass ein Roman, der die Welt aus der Sicht verschiedener menschlicher Charaktere beschreibt, sich ebenfalls des Anthropomorphismus schuldig macht – wenn man das so nennen darf –, indem er so tut, als würden sich unsere verworrenen, chaotischen Innenwelten in klaren und eloquenten Sätzen artikulieren, die für das literarische Konstrukt „Mensch“ charakteristisch sind. Es ist äußerst schwierig, den falschen Verlockungen der Sprache aus dem Weg zu gehen. Aus verwandten Gründen ist es genauso schwierig, die falschen Verlockungen der Metakognition zu meiden, die damit zusammenhängen. Viele Menschen, darunter auch einige Wissenschaftler und Philosophen, sind von der Idee angetan, dass die reflexive Selbstwahrnehmung, das Bewusstsein der eigenen mentalen Zustände, die Menschen auszeichnet. Manchmal wird das Bewusstsein anhand solcher Metakognitionen definiert, und alles, was nicht über dieses Bewusstsein verfügt, gilt dann als etwas ohne Bewusstsein. Wie Tye und andere mit überzeugenden Argumenten gezeigt haben (und es ist wirklich erstaunlich, dass jemand jemals eine andere Ansicht vertreten hat), vollzieht sich der größte Teil unserer Erfahrung, während wir unserem Leben in der Welt nachgehen, ohne reflexives Bewusstsein. Wir sehen, hören, fühlen. Die Dinge fühlen sich für uns wie etwas an und sehen nach etwas aus – und dennoch richten wir den Laserstrahl der Reflexion meistens nicht auf diese Zustände, obwohl wir es sicherlich manchmal tun. Die falsche Verlockung ist in diesem Fall eine doppelte: Erstens werden wir zu der Annahme verleitet, dass diese besondere Fähigkeit, über unsere Zustände nachzudenken, eine notwendige Bedingung dafür ist, dass wir Schmerzen empfinden und viele andere subjektive Erfahrungen machen können. Wie uns die tägliche Erfahrung lehrt, ist das nicht der Fall. Und zweitens irren wir uns, wenn wir meinen, dass nur Menschen über diese Fähigkeit verfügen. Experimente haben gezeigt, dass eine

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ganze Reihe von Tieren über diese Fähigkeit verfügen. Wir müssen nicht nach einem erhabenen Lichtstrahl in ihren Köpfen suchen: Wir können diese Fähigkeit aus dem ableiten, was sie in der Lage sind zu tun. Ein Schlüssel dazu ist das Täuschungsverhalten: Um ein anderes Tier täuschen zu können – beispielsweise darüber, wo sich ein begehrtes Futter befindet –, muss ein Tier über die Fähigkeit verfügen, über Erscheinungen nachzudenken, d. h. darüber, wie eine bestimmte Reihe von Hinweisen dem zu täuschenden Tier erscheinen und von ihm gedeutet werden wird. Wie wir später noch sehen werden, können so unterschiedliche Tiere wie Hunde und Krähen Täuschungen vornehmen, was zeigt, dass sie über Metakognition verfügen. Metakognition ist demnach nicht die erhabene Fähigkeit, für die manche sie halten, die ein Lebewesen auf ein Podest hebt. Ebensowenig ist sie die besondere, erhabene Eigenschaft allein des Menschen. Es handelt sich um eine gewöhnliche Fähigkeit, die für viele Lebewesen nützlich ist, für die Verstecken und Täuschen nützlich sind – und zweifellos in vielerlei anderer Hinsicht. Um nur ein weiteres Beispiel zu nennen: Wir werden später Vögeln begegnen, die wahrscheinlich in der Lage sein müssen, darüber zu reflektieren, wie ein Weibchen die kunstvolle Laube, die sie bauen, oder das endlos geprobte Lied, das sie singen, aufnehmen wird – ebenso wie wir selbst neue Kleidungsstücke auswählen, indem wir darüber nachdenken, was andere (vielleicht bestimmte andere) davon halten werden. Obwohl die Metakognition nur einen kleinen Teil der bewussten Wahrnehmung ausmacht, hilft sie uns, das Vorliegen bewusster Aufmerksamkeit zu beweisen. Wenn wir einem Lebewesen begegnen, das in der Lage ist, ein anderes Lebewesen auf eine Weise zu täuschen, die zeigt, dass es sich bewusst ist, wie die Welt diesem Lebewesen erscheint, dann verfügt dieses Lebewesen a fortiori über ein grundlegendes Bewusstsein: Die Welt erscheint ihm auf eine bestimmte Weise.6 Dies kann manchmal nützlich sein, wenn wir zu starken Zweifeln darüber neigen, ob die Welt für eine bestimmte Art von Lebewesen auf eine bestimmte Weise aussieht und sich anfühlt. Wenn es um Vögel geht, kann die Analyse von Täuschungsverhalten solche Zweifel überwinden. Allerdings ist die Metakognition, obwohl sie eine hinreichende Bedingung für gewöhnliches Bewusstsein darstellt, keine notwendige Bedingung dafür.7

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Was ist Empfindungsvermögen, und wie können wir es ­feststellen? Wie können wir herausfinden, welche Lebewesen über das verfügen, was man gemeinhin als Empfindungsvermögen bezeichnet? Nun, zunächst müssen wir definieren, wonach wir suchen. Erstens: Wir müssen uns immer vor Augen halten, dass sich Tiere durch natürliche Selektion entwickelt haben. Ihre wichtigsten Eigenschaften und Fähigkeiten haben einen Nutzen für sie, da sie ansonsten aller Wahrscheinlichkeit nach nicht selektiert worden wären. Das Empfindungsvermögen ist demnach nicht nur eine schöne, bewundernswerte Eigenschaft, sondern ein nützliches Merkmal. Wir müssen das stets im Hinterkopf behalten, damit wir uns nicht von der Neigung ablenken lassen, die Subjektivität übermäßig zu bewundern. Die Empfindungsfähigkeit hat einen Nutzen für das Lebewesen, sonst gäbe es sie nicht. Auch ohne eine Selektionstheorie betonte Aristoteles, Tiere seien teleologische (auf ein Ziel ausgerichtete) Systeme, die auf Überleben und Fortpflanzung abzielen, und man sollte sie so verstehen, dass sie nur über solche Systeme und Eigenschaften verfügen, die das integrierte System ihrer Ziele fördern. Aristoteles wusste nichts von der Evolution, aber wir wissen, wie sie funktioniert, und haben daher umso mehr Grund zu der Annahme, dass die meisten Strukturen von Tieren einen bestimmten Zweck haben. Natürlich gibt es gelegentlich etwas, das nutzlos ist. (Aristoteles verweist auf den Blinddarm.) Aber im Allgemeinen ist alles „für etwas da“, und sämtliche Fähigkeiten sind in eine im Ganzen erfolgreiche Lebensform integriert. Da wir heute von der Evolution wissen, haben wir erst recht Grund dazu, Aristoteles’ Ansatz zu folgen und Erklärungen zu bevorzugen, die zeigen, dass die Dinge tatsächlich eine Funktion haben und für etwas geeignet sind. Wissenschaftler unterteilen das „Empfindungsvermögen“ in drei Elemente: 1) die Nozizeption, was wörtlich übersetzt „das Erkennen des Schädlichen“ bedeutet, 2) die subjektive Sinneswahrnehmung, d. h. die Welt sieht auf eine bestimmte Weise aus bzw. fühlt sich auf eine bestimmte Weise an, 3) ein Sinn für Bedeutsamkeit oder Dringlichkeit.

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Wissenschaftler neigen dazu, sich obsessiv auf Schmerzen zu konzentrieren. Deshalb ist das erste Element die Nozizeption, das Bewusstsein für das, was schädlich ist – eine Fähigkeit, die zum Überleben notwendig ist und aversives Verhalten auslöst. Da unsere Aufmerksamkeit umfassender ist und Fitness sowie Streben einschließt, sollten wir auch das Bewusstsein für Dinge einbeziehen, die gut für das Lebewesen sind und es dazu veranlassen, sich auf diese Dinge zuzubewegen. Aristoteles stellt sich ein durstiges Tier vor, das zu sich selbst sagt: „Ich muss trinken“, und dann, da es Glück hat: „Hier ist etwas zu trinken“.8 „Hier ist etwas zu trinken“ wäre das Gegenteil der Nozizeption, die Wahrnehmung des Guten. Tiere benötigen ein Bewusstsein davon, wo es etwas zu essen und zu trinken gibt, ebenso wie die Fähigkeit, Schmerzen und Gefahren zu meiden. Nennen wir dieses Element daher das Erkennen des Guten und des Schädlichen. Doch ein Lebewesen könnte über diese Fähigkeit verfügen und trotzdem wie ein Automat auf Reize reagieren, ohne sich dessen bewusst zu sein. Wissenschaftler verwenden üblicherweise den Begriff „Nozizeption“, um einen Reflex des peripheren Nervensystems zu beschreiben, den an sich kein subjektives Schmerzempfinden begleitet.9 (Da sie sich auf den Schmerz konzentrieren, haben sie keinen entsprechenden Begriff für die reflexartige Wahrnehmung von Nahrung oder anderen guten Dingen.) Einige Lebewesen, so wird sich herausstellen, sind wahrscheinlich mehr oder weniger wie Automaten. (Ich werde dafür argumentieren, dass dies nicht nur auf Pflanzen, sondern auch auf einige Tiere zutrifft.) Das zweite Element, nach dem wir suchen, ist also die subjektive Wahrnehmung: Die Welt hat für das Lebewesen ein bestimmtes Aussehen – es verfügt über eine gefühlte Perspektive. Auch hier sollten wir uns nicht obsessiv auf das Schmerzempfinden konzentrieren, sondern auch an das Sehen von Farben, das Empfinden von Lust und Vergnügen sowie an Leid und Kummer denken. Schmerz spielt in der Forschung deshalb eine große Rolle, weil er leichter zu untersuchen ist als andere subjektive Zustände; wir sollten jedoch über die breite Vielfalt von Dingen nachdenken, die ein Lebewesen benötigt. Dies ist unsere gewöhnliche Vorstellung von bewusster Wahrnehmung. Um ein Beispiel für das gewöhnliche Bewusstsein eines intelligenten Lebewesens zu geben, müssen wir seine Gedanken in unsere Sprache übersetzen, und wir sollten dabei nicht nach poetischen Verzierungen suchen, da das Bewusstsein der meisten intelligenten Tiere höchst praktisch ist. Kommen wir daher auf die Kaiserin von Blandings zurück, denn Wodehouse fängt mit Einfühlungsvermögen und Humor die Art von Gedanken ein, die dieses bemerkenswerte

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Schwein haben könnte, nachdem es entführt, durch ganz Shropshire gefahren und dann in seinen eigenen Stall zurückgebracht wurde: Sie schaute sich um und war froh, wieder in der alten, vertrauten Umgebung zu sein. Es war angenehm, sich wieder zuhause zu fühlen. Sie war eine Philosophin und konnte die Dinge nehmen, wie sie kamen, aber sie mochte ein geruhsames Leben. All das Herumgehetze in der Versorgung und das Abgeladenwerden in fremden Küchen tat einem Schwein mit festen Gewohnheiten nicht gut. In dem Trog neben ihr schien sich etwas Essbares zu befinden. Sie stand auf und untersuchte es. Ja, etwas Essbares, eindeutig. Es war vielleicht ein wenig spät, aber einen Snack kann man immer gebrauchen […]. Sie senkte ihr edles Haupt und machte sich ans Fressen.10

Die Beschreibung von Woodhouse ist nicht weit von Aristoteles’ „praktischem Syllogismus“ der Tiere entfernt, der die Prämissen „Ich muss trinken“ und „Hier ist etwas zu trinken“ enthält – wobei die Schlussfolgerung im Akt des Trinkens besteht.11 Beide Autoren erfassen die Art und Weise, wie Wahrnehmung und Verlangen in einem intelligenten Leben, das nach verschiedenen guten Dingen wie Nahrung, Ruhe, Stabilität strebt, miteinander verbunden sind. Dies ist alltägliche Empfindungsfähigkeit, und es ist offensichtlich, dass die meisten Wirbeltiere darüber verfügen. Ein subjektives Bewusstsein ist für Lebewesen nützlich. Schmerz ist ein starker Anreiz für abwehrende Bewegungen, so wie Lust und Vergnügen die Bewegung zu etwas hin bewirken. Wir wissen dies aus der Beobachtung von Menschen, die die Fähigkeit verloren haben, in einem Teil ihres Körpers Schmerz zu empfinden (z. B. wenn sämtliche Nerven in einem Arm entfernt wurden). Für solch eine Person besteht ein hohes Risiko, sich zu verletzen. Sie muss diesen Arm ständig im Auge behalten, für den Fall, dass er mit etwas in Berührung kommt, das scharf oder heiß ist oder dessen raue Oberfläche verletzend sein könnte, denn keine Schmerzempfindung wird ihr mitteilen, dass sie den Arm schnell wegziehen soll. Ähnlich verhält es sich, wenn man beim Zahnarzt ein Betäubungsmittel bekommen hat: Man beißt sich auf die Zunge und verletzt sie, wenn man zu früh wieder zu essen versucht. Kurz gesagt: Das subjektive Bewusstsein ist sehr nützlich, und wir können verstehen, warum die Natur es selektiert hat. Es ist nicht bloß eine ausgefallene Spielerei, sondern ein Teil der

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Überlebensausrüstung von Tieren. Es ist daher logisch, dass viele Lebewesen darüber verfügen. Doch es gibt darüber hinaus noch etwas anderes. Ich habe von bedeutsamem Streben gesprochen. Lebewesen verfolgen einige Ziele, die für ihr Leben wichtig sind, und sie vernachlässigen andere, die eher trivial sind. Sinneswahrnehmungen berichten sowohl über Wichtiges als auch über Triviales; um jedoch Entscheidungen treffen und in der Welt handeln zu können, brauchen Lebewesen einen Sinn für Bedeutsamkeit, mehr „Dampf “ hinter bestimmten Erfahrungen, unabhängig davon, ob sie aversiv wirken oder vorwärts treiben. Dieser „Dampf “ wird in der Regel als die evolutionäre Rolle von Emotionen angesehen, auf die wir später noch eingehen werden. Bleiben wir zunächst bei einem einfacheren Fall, dem Schmerz. Wenn ein Schmerz gering ist, kann sich das Lebewesen bewegen, um ihn zu vermeiden, oder auch nicht. Ist er groß, erwarten wir normalerweise eine abwehrende Bewegung. Doch die Sache hat einen Haken: Manchmal ist es möglich, sogar einen sehr starken Schmerz zu spüren, ohne dass dieser als schädlich empfunden wird. Unter normalen Lebensbedingungen kommt das nicht vor, aber wir wissen, dass einige Opiate genau so wirken: Die Empfindung ist da, aber sie stört einen nicht. Eine Art von Dissoziation hat sich eingestellt. Wir sehen also, dass zumindest in der Theorie die Empfindung und ihre Bedeutung auseinanderfallen können. Vielleicht denkt ein strenggläubiger Asket, dass Hunger in Ordnung oder vielleicht sogar gut ist, weil er ein Zeichen dafür ist, dass er seinem Ziel näherkommt. Zahlreiche Menschen haben zu vielen Zeiten solche dissoziativen Erfahrungen bezüglich ihres sexuellen Verlangens gemacht: Der starke Drang ist da, er wird jedoch als Zeichen der Sünde oder Gefahr empfunden und führt daher nicht zu einer Suche nach Befriedigung, sondern zu abwehrenden Bemühungen. Wahrscheinlich ist diese Art der Trennung von Wahrnehmungserfahrung und Lebenssinn bei nicht menschlichen Tieren ungewöhnlich, wenn ihnen keine dissoziationsauslösende Droge injiziert wird. Ihre Kulturen verzerren sie nicht in der Weise, in der viele menschliche Kulturen Menschen verzerren. (Das meinte Walt Whitman, als er schrieb: „Ich glaube, ich könnte mich umwenden und mit Tieren leben […]. Sie liegen nicht im Dunkeln und weinen über ihre Sünden.“) Wie dem auch sei: Wir müssen die Idee der Bedeutsamkeit in unser Bild integrieren, denn ohne diese ist die Auswahl der Bewegungen und Aktivitäten wahrscheinlich zufällig und nicht darauf ausgerichtet, die Ziele des Lebewesens zu erreichen. Die Kaiserin von

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Blandings hat nicht einfach nur essbare Dinge gesehen, sie hat diesen Dingen eine große Bedeutung zugeschrieben. Da Subjektivität und Bedeutung in der Regel zusammengehören, und Subjektivität in der Tat nutzlos wäre, wenn sie keine Ziele vermittelte, die für die Aktivitäten des Tieres von Bedeutung sind, lautet die eigentliche Frage, ob wir berechtigt sind, Tieren ein subjektives Bewusstsein zuzuschreiben. Einige Wissenschaftler sind diesbezüglich skeptisch. Marian Stamp Dawkins kommentiert: Sind Tiere wie wir, weil sie viele Gehirnstrukturen mit uns gemeinsam haben, oder sind sie nicht wie wir, weil ihnen eine entscheidende Leitungsbahn fehlt, was sie daran hindert, die zusätzlichen Schritte zum bewussten Erleben zu gehen? […] Die Unbestimmbarkeit unseres eigenen Bewusstseins und seine frustrierende Weigerung, sich an bestimmte neuronale Strukturen binden zu lassen, macht es uns im Moment vollkommen unmöglich, zwischen diesen recht gegensätzlichen Ansichten über das tierische Bewusstsein zu unterscheiden.12

Man beachte, dass Dawkins sich Bewusstsein als eine mysteriöse, irgendwie verborgene Größe vorstellte. Sie scheint nicht an das zu denken, worüber ich gesprochen habe, d. h. an die gewöhnliche, alltägliche subjektive Wahrnehmung von Gegenständen. Andernfalls wäre es seltsam, Bewusstsein als mysteriös und unbekannt zu behandeln, wie Tye wiederholt erfolgreich begründet hat. Erklärungen des Verhaltens, die sich auf psychologische Strukturen berufen und diese nicht in jedem Fall auf einen bestimmten neuronalen Mechanismus reduzieren, sind – wenn es um Verhalten geht, das in mehreren verschiedenen neuronalen Strukturen realisierbar ist – reduktiven Erklärungen vorzuziehen, denn diese Erklärungen sind einfacher und erlauben genauere Vorhersagen. Für die Geometrie gilt dasselbe. Um beispielsweise zu erklären, warum eine Bronzekugel mit dem Radius r durch einen hölzernen Reifen mit einem etwas größeren Radius passt, müssen wir uns nicht auf Atomdiagramme stützen, die alle spezifischen Bewegungsbahnen der Bronze- bzw. Holzatome angeben, selbst wenn wir sie kennen würden. Dieses Maß an Detailgenauigkeit ist irrelevant: Es belastet den Verstand mit für die Vorhersage unbrauchbaren Daten. Die Gesetze der Geometrie liefern eine Erklärung, die für diesen Fall und auch für eine unbestimmte Anzahl weiterer Fälle gilt, mit Kugeln aus Gold oder Mar-

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mor oder jedem anderen festen Material, und Entsprechendes gilt für die Reifen. Niemand behauptet, dass Kugeln nicht jeweils aus einem bestimmten Material bestehen; es ist lediglich so, dass die Besonderheit der Materie nicht hilfreich ist, wenn wir erklären wollen, was wir zu erklären versuchen.13 Es gibt gute Gründe, aus denen Wissenschaftler heute vielen Tieren fast durchgängig subjektives Erleben (sowie einen Sinn für Bedeutung oder Wichtigkeit) zuschreiben: Schmerz ist ein hervorragender Lehrer für lebenserhaltendes Verhalten. Er warnt die Tiere vor Gefahren, die zu Beeinträchtigungen oder sogar zum Verlust ihres Lebens führen können. Außerdem trainiert er das Gedächtnis, indem er Lebewesen dazu motiviert, eine Situation zu meiden, die in der Vergangenheit Schmerzen verursacht hat.14 (So hat die Kaiserin von Blandings jetzt gelernt, dass sie lieber in ihrem eigenen Stall bleibt und unsichere Transportmethoden meidet.) Gleiches gilt für gute Dinge, nur in umgekehrter Richtung.

Experimentelle Bestätigungen: der Fall der Fische Selbst wenn wir bereit sind zu glauben, dass ein ähnliches Verhalten eine ähnliche Art von Erklärung erfordert und dass das Bewusstsein auch im Fall von Zielen nachstrebenden und Ziele vermeidenden Tieren entscheidend ist, wenn es in unserem Fall entscheidend ist, bleibt uns noch mehr zu tun. Insbesondere in Fällen, bei denen sich die neuronalen Strukturen grundlegend unterscheiden, ist es wichtig, das betreffende Verhalten experimentell zu untersuchen, um festzustellen, inwieweit unsere Arbeitshypothese sinnvoll ist. Noch einmal: Wir suchen nach subjektivem Bewusstsein. Experimentell werden wir dieses fast immer in Bereichen finden, die für das Lebewesen auch eine Bedeutung oder einen Sinn haben, denn die bewusste Wahrnehmung von Belanglosigkeiten ändert das Verhalten nicht. Die meisten empirisch arbeitenden Wissenschaftler sind zu dem Schluss gekommen, dass Fische Schmerz empfinden.15 Die wichtigsten Befürworter dieser These sind die Biologinnen Victoria Braithwaite von der Pennsylvania State University und Lynne Sneddon von der University of Liverpool. Doch es gibt auch Skeptiker: 2012 veröffentlichte James Rose, emeritierter Professor der Universität Wyoming, zusammen mit sechs Kollegen in der Fachzeitschrift Fish and Fisheries einen Aufsatz mit dem Titel „Can fish really feel pain?“, in dem

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er die Frage, ob Fische wirklich Schmerzen empfinden, verneinte.16 Der Ansatz von ihm und anderen Autoren setzt das, was zu beweisen wäre, bereits als wahr voraus, da er von der Prämisse ausgeht, dass nur Lebewesen mit einem Neokortex Schmerz empfinden können. Weil Fischen offensichtlich ein Neokortex fehlt, können sie nicht wirklich Schmerz empfinden, was auch immer Experimente nahelegen. Es ist keine gute Vorgehensweise, die eigene Schlussfolgerung als Prämisse der eigenen Argumentation aufzustellen, und ich bin mir nicht sicher, ob dieser Aufsatz es wirklich verdient, widerlegt zu werden. Ein offensichtliches Problem besteht in dem mittlerweile überwältigenden Konsens darüber, dass Vögel über subjektive Erfahrungen vielerlei Art verfügen, obwohl sie keinen Neokortex haben. Dennoch ist es sinnvoll zu fragen, warum Braith­waite und Sneddon zu dem Schluss gekommen sind, dass Fische Schmerz empfinden. Immerhin haben wir darauf bestanden, dass Nozizeption für subjektives Bewusstsein nicht ausreicht, und wir werden später sehen, dass einige Lebewesen Nozizeption und Vermeidungsverhalten ohne subjektives Bewusstsein haben. Wie sich herausgestellt hat, sind die scharfsinnigen, in Braithwaites Buch Do Fish Feel Pain?17 zusammengefassten Experimente der beiden überzeugend. Zunächst untersuchten sie sorgfältig die Neuroanatomie der Fische und fanden dabei Nerven, die sowohl A-delta- als auch C-Fasern enthalten, also die beiden Typen von Nervenfasern, die bei Menschen und anderen Säugetieren mit Schmerzen in Verbindung stehen. A-delta-Fasern signalisieren den intensiven Anfangsschmerz einer Verletzung (z. B. die Berührung eines heißen Ofens), während C-Fasern die nachfolgende Empfindung der Verletzung signalisieren, bei der es sich wahrscheinlich um ein dumpferes, pochendes Gefühl handelt. Fische haben also vielleicht keinen Neokortex, aber sie verfügen über die zur Schmerzempfindung erforderliche neuronale Ausstattung. Als Nächstes setzten Braithwaite und Sneddon die Haut von Forellen in dem Bereich, in dem empfindliches Nervengewebe gefunden wurde, schmerzhaften Reizen aus.18 Die Behandlung erfolgte in vier Gruppen: Einer Gruppe wurde Bienengift injiziert, einer anderen Essig, einer weiteren eine neutrale Kochsalzlösung, und eine Gruppe wurde zwar angefasst, aber ihr wurde nichts injiziert, um auszuschließen, dass das bloße Anfassen Auswirkungen auf das Verhalten hatte. Die Fische der ersten beiden Gruppen zeigten im Gegensatz zu denen der dritten und vierten Anzeichen von Stress: eine erhöhte Anzahl von Kiemenschlägen, ein Reiben der Lippen am Wasserbecken, ein seitliches

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Hin- und Herschaukeln. Der nächste Schritt basierte auf einer einfachen Tatsache: Lebewesen, denen ein schmerzlinderndes Medikament wie Morphin verabreicht wird, empfinden keinen Schmerz. (Es ist bekannt, dass Fische auf Morphin körperlich reagieren.) Durch die Verabreichung von Morphin wurde das Stressverhalten beseitigt. All dies deutete nachdrücklich darauf hin, dass die Fische Schmerzen empfinden und nicht nur ein reflexartiges nozizeptives Verhalten zeigen. Der nächste Schritt bestätigte diese Schlussfolgerung. Fische sind in der Regel sehr misstrauisch gegenüber neuen Objekten, die plötzlich in ihrer Umgebung auftauchen. Die Experimentatoren bauten einen Turm aus roten Bausteinen und setzten ihn in ihr Aquarium. Die Fische, denen nichts injiziert worden war, wichen dem Turm aus. Die Fische, die eine Injektion erhalten hatten, änderten ihr Verhalten jedoch nicht in der gewohnten Weise. Es schien, als seien sie nicht in der Lage, sich normal zu verhalten: Sie bewegten sich in die Nähe des fremden Objekts und schienen abgelenkt zu sein. Diese Verhaltensänderung deutet darauf hin, dass sie tatsächlich ein Signal wahrnahmen, das ausreichend stark war, um sie abzulenken und ihre Aufmerksamkeit für andere Teile ihrer Umgebung zu verändern. Und dann wurde das entscheidende Experiment durchgeführt: Als man den Fischen in den Gruppen 1 und 2 Morphium verabreichte, zeigten sie wieder ihr normales, wachsames Verhalten.19 Braithwaite weist darauf hin, dass sich dieses Experiment deutlich von demjenigen unterschied, das man mit Schnecken durchgeführt hatte. Dabei blockierte Morphin ein nozizeptives Nervensignal, das eine reflexartige Reaktion auslöst: Im Fall der Fische ist „das Vermeiden neuer Objekte keine reflexartige Reaktion, da sie eine bewusste Wahrnehmung einschließt, die ein kognitiver Prozess ist – der kognitive Prozess wird durch das subjektive Gefühl, das von der Essigsäure hervorgerufen wird, beeinträchtigt“.20 Andere Abwandlungen dieser Experimente, auf die ich hier nicht näher eingehen werde, wurden über einen langen Zeitraum hinweg durchgeführt, wodurch die Schlussfolgerungen des Teams weiter bestätigt wurden. Kurz gesagt: Wir haben neuroanatomische Fakten – ein Verhalten, für das die beste Erklärung subjektives Schmerzempfinden ist, sowie die Signifikanz des Schmerzes für zielgerichtetes Verhalten (Verfolgung und Vermeidung).

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Emotionen: ein Wegweiser zur Bedeutsamkeit Tiere haben normalerweise viele subjektive Gefühlszustände. Doch wir wissen mittlerweile, dass sie mit noch etwas Weiterem, eng Verwandtem ausgestattet sind: mit Emotionen. Sie empfinden also nicht nur Schmerz, sondern auch Angst und eine ganze Reihe anderer Emotionen. Je nach Tier und seiner Lebens- und Erkenntnisform kann es sich dabei um Freude, Trauer (wenn das Lebewesen eine Vorstellung vom Tod und dem Verlust von Wertvollem hat), auch um Wut (wenn das Lebewesen über kausales Denken verfügt), Mitleid (wenn das Lebewesen klar zwischen sich und anderen unterscheiden kann sowie über eine gewisse Fähigkeit zur Empathie verfügt, worunter ich verstehe, dass man sich in der Vorstellung in andere hineinversetzen kann), vielleicht auch Neid und Eifersucht handeln. Wie der große biologische Experte auf diesem Gebiet, Frans de Waal, hervorhebt, sind diese Bezeichnungen Namen für allgemeine Kategorien. In der realen Welt begegnen wir jedoch häufig gemischten Gefühlen und subtilen Unterschieden zwischen den verschiedenen Arten.21 Emotionen werden oft eng mit Gefühlen in Verbindung gebracht, doch sie können nicht auf Gefühle reduziert werden, denn sie beinhalten nicht nur eine (zum Beispiel) stechende Empfindung, sondern auch eine Wahrnehmung von wichtigen, guten oder schädlichen Dingen oder Umständen. Emotionen sind der Punkt, an dem wir endgültig von der Subjektivität zur Bedeutsamkeit übergehen, dem dritten Punkt auf meiner Liste. Aus einer Zeit gekommen, in der Behavioristen dachten, dass keine fortschrittliche Psychologie des tierischen (oder menschlichen) Verhaltens auf Emotionen anspielen würde, sind wir nun am entgegengesetzten Punkt angelangt, an dem Biologen Emotionen als Schlüssel zur evolutionären Fitness betrachten. Tiere müssen sich dessen bewusst werden, wie sich die Dinge in der Welt bezüglich ihrer wichtigsten Ziele und Projekte verhalten. Emotionen erfüllen dieses Bedürfnis: Tatsächlich sind sie Wahrnehmungen von Bedeutung, von dem, was der große Psychologe Richard Lazarus „zentrale Beziehungsthemen“ nannte.22 Wie Frans de Waal berichtet, haben Neurowissenschaftler, wie so viele Menschen (nicht zuletzt Philosophen), Emotionen früher verächtlich gemacht und sie strikt der „Vernunft“ entgegengesetzt. Das ist nicht mehr der Fall: „Als Ergebnis von Damá­ sios Erkenntnissen und anderen Studien, die seither durchgeführt wurden, hat die moderne Neurowissenschaft die gesamte Vorstellung von Emotionen und Rationalität als gegensätzliche Kräfte wie Öl und Wasser, die sich nicht ver-

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mischen, über Bord geworfen. Emotionen sind ein wesentlicher Teil unseres Intellekts.“23 Worin bestanden Damásios Erkenntnisse?24 In Descartes’ Irrtum geht es António Damásio in erster Linie darum, seine Leser davon zu überzeugen, dass die Unterscheidung zwischen Emotion und Vernunft ungenau und irreführend ist: Emotionen sind Formen intelligenten Bewusstseins. Sie sind „ebenso kognitiv wie andere Wahrnehmungen“,25 und sie stellen dem Organismus wesentliche Aspekte der praktischen Vernunft bereit. Sie dienen als „innere Führer“ für die Beziehung zwischen dem Subjekt und seinen Lebensumständen.26 Sein zweites Ziel besteht darin zu zeigen, dass die emotionalen Funktionen beim Menschen mit bestimmten Zentren im Gehirn verbunden sind. Damásios Ausgangspunkt ist der traurige Fall von Phineas Gage, einem Vorarbeiter, der 1848 einen bizarren Unfall erlitt: Eine Explosion trieb ihm eine Eisenstange durch das Gehirn. Gage kam nicht ums Leben, sondern erholte sich auf erstaunliche Weise. Sein Wissen und seine Wahrnehmungsfähigkeiten waren unverändert, doch sein Gefühlsleben war völlig verändert. Er schien wie ein Kind zu sein, ohne ein sicheres Gefühl dafür, was wichtig war und was nicht. Er war rastlos, unbeherrscht, obszön. Es schien ihm nichts wichtiger zu sein als irgendetwas anderes. Er wirkte auf bizarre Weise wie von der Realität seines Verhaltens losgelöst, sodass er keine guten Entscheidungen treffen und keine guten Beziehungen zu seinen Mitmenschen aufbauen konnte. Damásio entdeckte zufällig eine moderne Version dieses Falls in einem Patienten namens Elliot, einem ehemals erfolgreichen Geschäftsmann, der einen gutartigen Hirntumor hatte. Elliot war seltsam kühl, distanziert und ironisch, selbst gegenüber zudringlichen Diskussionen über persönliche Angelegenheiten gleichgültig – als ob es dabei nicht wirklich um ihn ginge. In seinem früheren Leben war er nicht so gewesen; er war ein liebevoller Ehemann und Vater gewesen. Elliot blieben zahlreiche kognitive Funktionen erhalten: Er konnte Rechenaufgaben erledigen, hatte ein gutes Gedächtnis für Daten und Namen und besaß die Fähigkeit, über abstrakte Themen und das allgemeine Weltgeschehen zu diskutieren. Nach der operativen Entfernung des Tumors (bei der ein Teil des geschädigten Frontallappens mit entfernt wurde) war er noch weniger in der Lage, Dinge wichtig zu nehmen oder Prioritäten zu setzen. Er konnte sich wie besessen mit einer Aufgabe beschäftigen und sie sehr gut ausführen. Doch wie aus einer Laune heraus konnte er seine Aufmerksamkeit umlenken und etwas völlig anderes tun. „Man könnte sagen, dass Elliot in Bezug auf den

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größeren Zusammenhang seines Verhaltens, der seine Hauptpriorität betraf, irrational geworden war.“27 Bei Intelligenztests zeigten sich bei Elliot keine Beeinträchtigungen. Selbst die kognitiven Aufgaben (Sortieren usw.), die häufig zur Prüfung von Frontallappenschäden verwendet werden, waren für ihn ein Kinderspiel. Standard-IQ-Tests zeigten einen überdurchschnittlichen Intellekt. Zwei Dinge waren nicht in Ordnung: seine Emotionen sowie seine Fähigkeit, Prioritäten zu setzen und Entscheidungen zu treffen. Emotional fehlte ihm jegliches Gefühl dafür, dass für ihn bei Ereignissen, die er kühl schildern konnte, etwas auf dem Spiel stand. „Er war stets kontrolliert, beschrieb Szenen immer als leidenschaftsloser, unbeteiligter Zuschauer. Nirgends war ein Gefühl für sein eigenes Leiden zu beobachten, obwohl er der zentrale Akteur war […]. Er schien dem Leben mit der gleichen neutralen Einstellung gegenüberzutreten.“28 Damásios Deutung bestand darin, dass dieses Versagen – das eindeutig mit seiner Hirnschädigung zusammenzuhängen schien (sogar Elliot selbst konnte sich daran erinnern, dass er früher anders war) – sein Scheitern bei der Entscheidungsfindung erklärte. Wie soll man im Leben Prioritäten setzen können, wenn keine Sache wichtiger zu sein scheint als irgendeine andere? Auch wenn Elliot in der Lage war, sich durch Nachdenken einen Weg durch ein Problem zu bahnen, fehlte ihm dennoch die Art von innerer Beteiligung, die ihm ein Gefühl dafür hätte geben können, was zu tun war.29 Damásios Untersuchungen bestätigen die Arbeit von Lazarus und anderen kognitiven Psychologen: Emotionen verleihen einem Tier (in diesem Fall dem Menschen) eine Übersicht darüber, wie die Welt in Beziehung zu seinen eigenen Zielen und Projekten steht. Ohne einen Sinn dafür entgleisen die Entscheidungsfindung und das Handeln. Des Weiteren weist Damásio darauf hin, dass diese Vorgänge ihren Sitz in einer bestimmten Region des Frontallappens haben, in der Hirnregion, von der bekannt ist, dass sie bei Elliots Operation betroffen war, und die ein Kollege von Damásio als den wahrscheinlichen Ort der Hirnschädigung von Phineas Gage rekonstruiert hatte. Solche Schlussfolgerungen sind höchst interessant. Sie deuten keineswegs darauf hin, dass es sich bei Emotionen um nicht intentionale physiologische Prozesse handelt: Tatsächlich hat die gesamte Argumentation von Damásio eine stark antireduktionistische Richtung. Sämtliche kognitiven Prozesse haben ihre Wurzeln in Funktionen des Gehirns, und das bedeutet nicht, dass wir sie als nicht kognitive Gefühle ansehen sollten. Damásio weist darauf hin, dass dies auch auf Emotionen zutrifft: Sie helfen uns, die Beziehung zwischen uns selbst und der Welt zu ordnen. Die Tat-

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sache, dass diese Prozesse von der normalen Funktion eines bestimmten Gehirnbereichs abhängen, ist relevant und äußerst interessant. Allerdings müssen wir uns über jede Spezies gesondert informieren, insbesondere bei Lebewesen wie Vögeln, die eine sehr andere Neuroanatomie aufweisen. Dies sind die Schlussfolgerungen, die de Waal erörtert. Er sagt zu Recht, dass diese und ähnliche Untersuchungen der Einstellung der Wissenschaftler zu Gefühlen und tierischer Intelligenz eine neue Ausrichtung gegeben haben. Tatsächlich gelangt de Waal letztlich zu der Schlussfolgerung, dass wir – obwohl klar ist, dass die meisten Tiere Gefühle vielerlei Art haben – viel weniger über ihre Gefühle wissen als über ihre Emotionen. Denn Emotionen, die fest mit der Welt und dem Handeln verbunden und Teil der intelligenten Lebensausrüstung eines Tieres sind, sind als Teil der Erklärung des Verhaltens eines Tieres ebenso zugänglich wie Überzeugungen, während Gefühle, obwohl sie vorhanden sind, häufig nur schwer erfasst werden können. Wie es sich subjektiv tatsächlich anfühlt, diese oder jene Art von Tier zu sein, wird immer einigermaßen rätselhaft bleiben, obwohl das Gefühl von Schmerzen sehr wahrscheinlich eine Ausnahme bildet. Emotionen fühlen sich typischerweise auf eine bestimmte Weise an; Gefühle sind hingegen wenig konstant, selbst innerhalb einer Art. Manchmal sind Emotionen auch verinnerlicht und nicht Teil des Bewusstseins, wie z. B. die Angst vor dem Tod, die unsere Handlungen ständig leitet, aber selten bemerkt und sicher nicht immer von Bangen oder Zittern begleitet wird.

Empfinden und Streben Wir sind nunmehr in der Lage, das Leben derjenigen Art von Lebewesen zu skizzieren, um die es in unserer Theorie der Gerechtigkeit geht – ein Leben bedeutsamen Strebens. Noch zwei weitere Bestandteile sind erforderlich: das Begehren und die Bewegung von einem Ort zu einem anderen. (Bereits Aristoteles hat auf beiden bestanden.) Wahrnehmung und subjektive Gefühle, einschließlich der Empfindungen von Freude und Schmerz, sowie die in den Emotionen enthaltenen Informationen über den Nutzen informieren das Tier darüber, wo Zuträgliches und Schädliches zu finden sind. Dies wiederum führt zu einem Verlangen oder einer Abneigung, die in der Regel – bei ansonsten gleichen Bedingungen – eine Bewegung in Richtung auf das Ziel oder von ihm weg auslösen. Einige Aspekte der Empfindungsfähigkeit, insbesondere Schmerz- und

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Lustempfindungen, sind in der Regel begrifflich mit Wünschen und Handlungstendenzen verknüpft; auch Emotionen sind sehr eng mit diesen Empfindungen verbunden. Wann immer sich ein Tier bei dem Streben nach seinen Zielen von einem Ort zu einem anderen bewegt, sind mit seiner Wahrnehmung Wünsche und Emotionen im selben Umfang verbunden. Angst ist keine Garantie für die Bewegung von etwas weg, da andere emotionale Faktoren (z. B. die Liebe zu den Jungen) dazwischentreten können. Manche Emotionen haben nur unklare und sehr allgemeine Handlungstendenzen: Liebe und Mitgefühl führen oft zu einem helfenden Verhalten, doch kann die Verbindung zum Handeln durch Distanz oder das Fehlen eines klaren Weges nach vorn aufgehoben sein. Deshalb enthält Aristoteles’ „praktischer Syllogismus“ für Tiere immer einen Schritt, den er als „Prämisse des Möglichen“ bezeichnet, z. B. „Hier gibt es (etwas) zu trinken“.30 In dem Maße, in dem ein Tier fähig ist zu planen, kann der Schritt nur der erste in einer Kette von Schritten sein, die am Ende zu einem guten Ergebnis führen. Raben beispielsweise, die ihre Nahrung verbergen, um andere Raben dadurch zu täuschen – wobei sie sich von ihrer eigenen Erfahrung, beraubt worden zu sein, leiten lassen –, tun dies in einem Zwischenschritt, um sie in einer Welt der Nahrungskonkurrenz zu einem späteren Zeitpunkt zu fressen. Alle diese Fähigkeiten sind eng miteinander verbunden, allerdings nicht ausnahmslos. Ich habe gesagt, dass es Lebewesen gibt, die über Nozizeption verfügen, ohne ein Empfindungsvermögen zu haben. (Wir werden bald darauf zurückkommen.) Diese Lebewesen bewegen sich zwar von Ort zu Ort, verfügen jedoch über keine subjektive Wahrnehmung, keine Emotionen oder Wünsche (eine Form der Subjektivität). Dann wiederum gibt es andere Lebewesen, die sich anscheinend zu Dingen hin- und von ihnen wegbewegen, ohne die für eine Nozizeption erforderliche physische Ausstattung zu besitzen (Knorpelfische). Und einige Lebewesen (die von Aristoteles als „ortsgebundene Tiere“ bezeichneten Schwämme, Seeanemonen usw.) verfügen möglicherweise über eine gewisse Fähigkeit, schädlichen Einflüssen auszuweichen, ohne ein Empfindungsvermögen oder die Fähigkeit, ihren Körper von Ort zu Ort zu bewegen, zu haben. Diese schwierigen Fälle werden uns später beschäftigen. Ich behaupte, dass eine notwendige und hinreichende Bedingung dafür, Gegenstand einer Theorie der Gerechtigkeit zu sein, der Besitz dessen ist, was ich als das „tierische Standardpaket“ bezeichnen kann: Empfindungsvermögen, Emotionen, kognitives Bewusstsein von Gegenständen, Bewegung hin zum Guten und weg von Schädlichem. Für solche Lebewesen ist die Welt mit Be-

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deutsamkeit ausgestattet: Die Dinge werden subjektiv als für ihr Wohlbefinden relevant erlebt. Diese Lebewesen reagieren auf das Gute als Gutes und wenden sich von Schädlichem als Schädlichem ab. An dieser Stelle kommen wir auf die große Wahrheit des Utilitarismus zurück: Es gibt eine Trennlinie in der Natur, die durch die Empfindungsfähigkeit, diese alle Tiere einigende Eigenschaft, gezogen wird. Doch wir müssen diese Wahrheit breiter fassen: Es geht nicht nur um die Fähigkeit, Schmerz (und Lust) zu empfinden, sondern auch um die Fähigkeit, über subjektive Wahrnehmungserfahrungen vielfältiger Art, emotionale Erfahrungen und das kognitive Bewusstsein von Gutem und Schädlichem zu verfügen, also die Gesamtheit dessen, was ich das „Standardpaket“ genannt habe. Angenommen, wir fänden ein Lebewesen, das einer arttypischen Lebensform nachgeht und sich zum Guten hin- sowie vom Schädlichen wegbewegt, jedoch die Fähigkeit, Schmerz und Lust zu empfinden, verloren hat (oder nie besaß) – vielleicht durch eine Schädigung des sympathischen Nervensystems. Fällt dieses Lebewesen unter meine Theorie der Gerechtigkeit oder nicht? Würden wir eine Ungerechtigkeit begehen, wenn wir diesem Lebewesen etwas antun, was normalerweise schmerzhaft wäre? (Tye beschreibt den realen Fall eines Mädchens, das ohne eine Schmerzempfindung geboren wurde.)31 Erstens stellt Schmerz in meiner Theorie eine Schwelle dar, allerdings nicht die einzige, die zählt, und dieses versehrte Lebewesen unterscheidet sich sehr von einem, dessen gesamte Lebensform aus Roboterbewegungen besteht, die von keiner Empfindung begleitet werden. Schmerz ist nicht die einzige Form von Empfindungsfähigkeit (durch welche die Welt einem Lebewesen auf eine bestimmte Weise erscheint), obwohl er eine besonders auffällige Form ist, auf die man sich aus diesem Grund bei Experimenten leicht konzentrieren kann. Empfindungsvermögen ist ein subjektives Bewusstsein, und das tritt in vielen verschiedenen Formen auf, einschließlich des subjektiven visuellen, auditiven und sonstigen sensorischen Bewusstseins. Das vorgestellte Wesen ist verstümmelt, und da ein Schmerzempfinden typischerweise zu seiner Lebensform gehört, wird sein Leben wahrscheinlich nur sehr kurz sein. Das Schmerzempfinden ist für die Lebewesen, die es haben, nützlich, ja entscheidend. Dieses Lebewesen muss ständig auf der Hut sein, damit es sich nicht schneidet, verbrennt und so weiter. Doch das bedeutet, dass es, um auch nur einen Tag leben zu können, über eine Art von Empfindungsvermögen in meinem erweiterten Sinne verfügen muss, auch wenn es nicht die Fähigkeit besitzt, Schmerz zu empfinden – vor

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allem Wahrnehmungsbewusstsein. Es muss seine Gliedmaßen mit einer subjektiv auffassenden Wahrnehmung beobachten und sich ihrer ständig bewusst sein. Auch wenn einige seiner Sinne geschädigt sind (in diesem Fall der Tastsinn), ist es dennoch empfindungsfähig. Helen Keller konnte weder sehen noch hören; sie verfügte jedoch über einen ausgeprägten Tastsinn und nutzte diesen, um zu überleben und zu kommunizieren. Das vorgestellte Lebewesen, das sich in einer Helen Keller entgegengesetzten Situation befindet, ist also ein Subjekt der Gerechtigkeit, wenn auch ein unglückliches und sehr verletzliches. In der Theorie geht es um die gesamte Form des Lebens, nicht (wie bei Bentham) um den Schmerz als das allein Wichtige. Wenn wir eine Art von Streben und von subjektivem Bewusstsein vorfinden – wie eingeschränkt sie auch sein mögen –, dann ist dieses Lebewesen empfindungsfähig. Solche atypischen Fälle können von Fall zu Fall behandelt werden, aber wir sollten uns in der Regel an den zu erwartenden typischen Merkmalen einer Art orientieren, wenn wir unsere Vorstellung von der Schwelle der Gerechtigkeitstheorie erläutern. Das Ziel der Theorie ist der Schutz von Individuen, aber erkenntnistheoretisch ist die Art der Punkt, an dem wir am besten ansetzen können. Dies bringt uns zu einer weiteren wichtigen Feststellung. Um ein vollständig entfaltetes Leben führen zu können, muss ein Lebewesen so weit wie möglich über diejenigen Fähigkeiten verfügen, die es ihm erlauben, Teil seiner eigenen Artgemeinschaft zu sein. Nur in diesem Rahmen findet es Freundschaft und Gemeinschaft, kann es Nachkommen und eine Familie haben, wenn überhaupt – auch wenn bei manchen Lebewesen, wie z. B. bei Hunden, zu der betreffenden Gemeinschaft auch Mitglieder einer anderen Art gehören. Deshalb ist es so wichtig, menschlichen Kindern mit kognitiven Behinderungen eine Art von Sprache beizubringen, oft eine Zeichensprache, während es nicht wichtig ist, Schimpansen Zeichensprache beizubringen. Sie können sie zwar erlernen, doch sie spielt in ihrer Form des Lebens mit anderen Schimpansen keine Rolle. Wenn wir also bei einer anderen Art auf eine Behinderung stoßen, ist es ebenso wichtig, so gut wie möglich zu versuchen, das eingeschränkte Lebewesen mit den charakteristischen Fähigkeiten seiner Artgenossen in Kontakt zu bringen – sei es individuell oder mithilfe irgendwie gearteter zusätzlicher Unterstützung. So kann zum Beispiel ein Deutscher Schäferhund mit Hüftdysplasie mit einem speziellen Rollstuhl für die hinteren Gliedmaßen ein gutes Leben führen. Es gibt zahllose ähnliche Fälle, in denen das Leben mithilfe von Prothesen relativ unbeschwert sein kann. (Im Falle von Hunden, zu deren Gemeinschaft auch

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Menschen gehören, ist die Prothese für die Zugehörigkeit zu dieser größeren Gemeinschaft wichtig, nicht nur für die Gemeinschaft der Hunde.) Für mein hypothetisches Lebewesen, das keinen Schmerz empfinden kann (offenbar gibt es weltweit etwa hundert Menschen mit diesem Defekt), wäre es also wichtig zu fragen, welche Lebensform man sich vorstellen kann, um die Behinderung auszugleichen. Wenn es keine solche gibt, müssen die Defizite des Lebewesens durch aufmerksame Helfer kompensiert werden. Erkenntnistheoretisch gesehen konstruieren wir also die Theorie der Gerechtigkeit um die Artnorm herum und versuchen dann, die Gerechtigkeit auf jedes Mitglied der Art auszudehnen. Dabei sollten wir stets bedenken, dass eine Vielzahl von Lebewesen ihre Fähigkeiten nicht nur durch Vererbung, sondern auch durch Unterweisung innerhalb der Kultur der Gruppe ihrer Art erlernen (siehe Kapitel 4). Eine allgemeine Veranlagung kann vererbt werden; ihre spezifische Umsetzung hängt dagegen häufig von kulturellem Lernen ab. Dies ist einer der Gründe, aus denen das Vorhandensein einer repräsentativen Artengruppe für das Gedeihen von Tieren so wichtig ist. Bedeutsames Streben umfasst folglich die subjektive Wahrnehmung von Dingen, die hilfreich und schädlich sind (die Welt stellt sich so für das Tier dar), sowie eine Vielzahl subjektiver Zustände wie Schmerz- und Lustempfindungen und darüber hinaus zahlreiche andere subjektive Verfassungen, die zu einem bestimmten Verhalten anregen: die Wünsche und Emotionen. Die von uns beschriebenen empfindungsfähigen Tiere verfügen über all diese Fähigkeiten. Wir müssen uns nun fragen, was das für eine Theorie der Gerechtigkeit bedeutet.

Lebewesen und die Frage ihres Anspruchs auf gerechte ­Behandlung Wo also ziehen wir nun die Grenze, wenn es um Gerechtigkeit geht? Welche Lebewesen sind eingeschlossen, und welche scheint unser derzeitiger Kenntnisstand auszuschließen? Zunächst einmal müssen wir unsere Augen und unseren Verstand stets offen halten und die Grenze demütig und vorläufig ziehen, da wir uns dessen bewusst sind, dass unser Wissen höchst unvollständig ist. Die Theorie darüber, wie ein Lebewesen beschaffen sein muss, damit ihm Gerechtigkeit widerfahren kann, ist weitaus sicherer als konkrete Schlussfolgerungen bezüg-

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lich der Frage, welche Lebewesen zu dieser Gruppe gehören. Dennoch lohnt es sich, die allgemeine Theorie anzuwenden, um einen Eindruck davon zu vermitteln, wohin sie uns führt. Ich lasse die Säugetiere beiseite, da es angesichts des wissenschaftlichen Konsenses mittlerweile offensichtlich ist, dass meine Theorie der Gerechtigkeit sie in ihrer Gesamtheit einschließt.

Fische Wie wir gesehen haben, sind Fische definitiv empfindungsfähige Lebewesen, die darüber hinaus nach etwas streben und sich vollständig entwickeln können, und damit trifft meine Theorie auf sie zu. Die Nachweise hierfür stellen die große Mehrheit der Wissenschaftler und mich ebenfalls zufrieden. Es gibt noch viel mehr über Fische zu sagen; die Leser können es in Balcombes Buch in leicht zugänglicher Form dargestellt finden. Sie sind zu erstaunlichen Intelligenzleistungen fähig, einschließlich transitiver Inferenz.32 Sie verfügen über eine Vielzahl anspruchsvoller Methoden zur Wahrnehmung der Welt, darunter ein scharfes Seh- und Hörvermögen und einen hervorragenden Geruchssinn – und diese nehmen zudem subjektiv wahr, wie wir aus Experimenten wissen, die zeigen, dass Fische auf optische Täuschungen hereinfallen.33 Sie haben sogar einen Sinn, der uns fehlt: die Fähigkeit, Objekte durch elektrische Wellen wahrzunehmen. Sie sind zu zahlreichen Emotionen fähig, darunter Angst und Freude, wahrscheinlich zu einer Art von Liebe. Sie haben ein reichhaltiges Sozialleben, einschließlich Paarbeziehungen. Kurzum, sie haben ein sehr kompliziertes und faszinierendes Leben und scheinen unsere Sorge und Zurückhaltung ebenso zu verdienen wie die Säugetiere. In den Worten von Braithwaite: „In Anbetracht all dessen sehe ich keinen Grund, warum wir uns über das Wohlergehen von Fischen nicht die gleichen Gedanken machen sollten, die wir uns gegenwärtig über Vögel und Säugetiere machen.“34 Es ist erhebend, noch sehr viel mehr über diese bemerkenswerten Mitbewohner unserer Welt zu erfahren. Bisher habe ich, wie Braithwaite und Balcombe, über Knochenfische oder Teleostei gesprochen, die etwa 96 Prozent der uns bekannten Arten ausmachen. Über Knorpelfische oder Elasmobranchii, zu denen Haie und Stachelrochen zählen, ist eine völlig andere Geschichte zu erzählen.35 Diese Lebewesen sind erdgeschichtlich betrachtet weit von den Teleostei entfernt: Die beiden Gruppen trennten sich bereits in der Devon- und Kreidezeit. Obwohl wir beide Gruppen also zusammendenken und beide als „Fische“ bezeichnen, sind sie in jeder Hin-

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sicht extrem verschieden. Da es keine Beweise dafür gibt, dass die Anatomie von Elasmobranchiern für die Nozizeption ausreicht – sie haben „einen generellen Mangel an nozizeptiven Rezeptoren“36 –, gibt es gute Gründe für die Schlussfolgerung, dass sie nicht empfindungsfähig sind. Eine Folge davon ist, dass sie sich von Arten ernähren, die in der Tat schädlich sind: Man findet Dutzende Stachel von Rochen in ihrem Maul. Sie zappeln zwar und versuchen zu fliehen, wenn sie in ihrer Bewegung behindert werden, doch wie sich noch zeigen wird, trifft dies auf zahlreiche Lebewesen zu, bei denen es keinerlei Hinweise auf Empfindungsfähigkeit gibt. Außerdem setzen Knorpelfische ihre Nahrungsaufnahme auch dann ungestört fort, wenn sie in zwei Hälften geteilt werden – ein Verhalten, das sich bei empfindungsfähigen Lebewesen nicht findet. Tye kommt zu dem Schluss: „Soweit mir bekannt ist, gibt es bei Elasmobranchiern kein Verhalten, das sich am besten dadurch erklären lässt, dass sie Schmerz empfinden.“37

Vögel Obwohl sich ein klarer Konsens über die Empfindungsfähigkeit von Fischen abzuzeichnen beginnt, ist sie nach wie vor umstritten. Die Empfindungsfähigkeit von Vögeln wird dagegen nicht mehr angezweifelt. Dies war aber nicht immer so. Noch bis vor Kurzem führte die geringe Größe von Vogelgehirnen und das Fehlen eines Neokortex zu der weit verbreiteten Auffassung, Vögel seien „schöne Automaten, die nur stereotyper Aktivitäten fähig sind“.38 Vor allem seit den 1990er-Jahren hat sich unser Wissen über Vögel rasant erweitert, da „komplexe Konzepte wie die Planung für die Zukunft oder die Vorstellung eines Verstandes in sorgfältig kontrollierte Tests übersetzt wurden. Die Ergebnisse waren sehr aufschlussreich und wegen der Strenge der Experimente von Skeptikern schwer zu leugnen“.39 Tatsächlich, so fährt de Waal fort, hat unser Wissen über die hochentwickelte und flexible Intelligenz von Vögeln mehr als jedes andere Gebiet der Tierforschung das Gesamtbild der Wissenschaft von der Intelligenz revolutioniert: Früher stellten wir uns die Intelligenz als eine lineare Stufenleiter mit dem Menschen an der Spitze vor. Heute wissen wir jedoch, dass es sich eher um einen Strauch mit vielen verschiedenen Ästen handelt, an dem jede Art die kognitiven Fähigkeiten entwickelt, die sie zum Überleben benötigt.40

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Lange Zeit wurde unser Verständnis durch eine engstirnige Sicht auf die Anatomie behindert: kein Neokortex, keine oder nur sehr geringe Intelligenz. Der Wissenschaftler William Thorpe fasste das bereits 1963 zusammen: „Es besteht kein Zweifel daran, dass diese vorgefasste Meinung, die auf einer falschen Vorstellung von den Mechanismen des Gehirns beruht, der Entwicklung experimenteller Studien über das Lernen von Vögeln im Wege gestanden hat.“41 Inzwischen zeigt ein genauer Blick auf die sprichwörtlich „schwachen“ Gehirne der Vögel, dass sie in Wirklichkeit reich an Neuronen sind, die das Vogelgehirn durch konvergente Evolution anders organisiert, nämlich in Clustern statt in Schichten. Doch die Zellen selbst sind „im Grunde genommen dieselben, fähig zu schnellem und wiederholtem Feuern, und die Art und Weise, wie sie funktionieren, ist ebenso ausgeklügelt, flexibel und erfinderisch“.42 Ebenso revolutionär war die Erforschung des Verhaltens von Vögeln, die mit alten Klischees aufgeräumt hat. Wir wissen heute, dass Vögel eine hohe Anpassungsfähigkeit an ihre Umwelt sowie ein breites Spektrum an hochentwickelten Fähigkeiten besitzen. Dieses Wissen ist das Ergebnis der Arbeit einer großen Zahl von Wissenschaftlern, die sich in der Regel auf eine Art oder eine Gruppe von Arten spezialisiert haben. Papageien und Raben verfügen nachweislich über eine außergewöhnliche begriffliche Intelligenz und Flexibilität. Raben verwenden und bauen Werkzeuge besser als die meisten anderen nicht menschlichen Tiere.43 Wie Irene Pepperberg in ihren anfangs belächelten, inzwischen aber viel beachteten Experimenten mit dem Graupapagei Alex eindrucksvoll gezeigt hat, verfügen Papageien über weitreichende und hochentwickelte intellektuelle Fähigkeiten.44 Auf Schritt und Tritt wurden Pepperbergs Experimente von Leuten verspottet, die der Meinung waren, dass „nur Menschen X tun können“. Doch inzwischen hat die Sorgfalt und Stringenz ihrer Arbeit, in Verbindung mit ähnlichen Arbeiten anderer Forscher an Papageien und Raben, die Skeptiker verstummen lassen. Wenn es um Sprache und Ausdruck geht, haben nicht nur Papageien linguistische Begabung. So hat sich herausgestellt, dass der Gesang von Vögeln nicht nur schön ist, sondern auch ein hochintelligentes Kommunikationssystem darstellt. Bei vielen Arten wird der Gesang endlos geprobt  – selbst wenn die Vögel allein sind, üben sie  –, und die individuellen Unterschiede in der Beherrschung werden von anderen Vögeln (vor allem von Weibchen) geschätzt. Vögel verfügen über eine Anatomie, um die sie viele menschliche Sänger beneiden würden: Die Syrinx, das Analogon unseres Kehlkopfes, kann

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zwei Töne auf einmal erzeugen. Der Gesang von Vögeln ist also nicht nur mit komplizierten ästhetischen Fähigkeiten verbunden, sondern verfügt außerdem auch über kombinatorische Leistungen, die zumindest bei einigen Arten mit denen der Sprache vergleichbar sind. Die Rufe der Meisen zum Beispiel gelten als „eines der ausgeklügeltsten und anspruchsvollsten Kommunikationssysteme aller Landtiere“ mit einer Syntax, die eine unbegrenzte Anzahl von Ruftypen erzeugen kann.45 Sprache ist Teil der sozialen Interaktion, und Vögel gehören zu den am höchsten entwickelten sozialen Tieren, die dauerhafte Paarbindungen eingehen (80 Prozent der Vogelarten sind monogam) und ihren Jungen eine breite Palette von Verhaltensweisen beibringen – ein eindrucksvolles Beispiel für kulturelles Lernen. Die Fütterung von Jungtieren in Nestern ist anstrengend und erfordert eine intensive Kommunikation sowie die Zuwendung der Eltern. Ebenso beeindruckend ist die Aufmerksamkeit, die einige Arten beim Bau ihrer Unterkunft ästhetischen Aspekten widmen: Laubenvögel etwa sind außergewöhnliche Künstler. Elstern bestehen den Spiegeltest und zeigen ein besonders ausgeprägtes Bewusstsein für sich selbst und andere, während sich Raben im Allgemeinen durch Gegenseitigkeit auszeichnen, die damit einhergeht, dass sie Geschenke machen.46 Dabei erleben die Vögel eindeutig ein breites Spektrum von Emotionen, darunter Angst, aber auch Liebe und Trauer, und sie spüren nicht nur ihren eigenen Schmerz, sondern sind auch höchst sensibel für den Schmerz anderer Artgenossen.47 Ebenso beeindruckend sind Fähigkeiten, die sich nur schwer mit denen des Menschen vergleichen lassen, vor allem die erstaunlichen Fähigkeiten der Vögel, ihre räumliche Position zu bestimmen – teils durch Sehen (Vögel haben von allen Wirbeltieren das am höchsten entwickelte visuelle System, das besonders empfindlich auf Farbunterschiede reagiert), teils durch den Geruchssinn. Auf diese Weise finden die Vögel ihren Weg zu weit entfernten Zielen und wieder zurück – eine Fähigkeit, in der sie den Menschen so weit übertreffen, dass die Funktionsweise des GPS-Systems der Vögel noch immer kaum verstanden wird.48 Ich bin so ausführlich auf Vögel eingegangen, weil sich der Irrtum der anatomischen Analogie hartnäckig hält und viele Menschen immer noch glauben, Vögel seien dumm und könnten unmöglich empfindungsfähig sein. Wenn es jedoch um das Verfolgen von Zielen geht, sind diese zerbrechlichen und relativ schwachen Kreaturen mit am erfolgreichsten; sie verfügen über scharfe Sinne

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und eine flexible Lebensform, die es einer jeden ihrer Arten ermöglicht hat, sich in ihrer eigenen Umgebung erfolgreich zu entwickeln.

Reptilien Reptilien sind mit den Vögeln verwandt (Vögel stammen von Dinosauriern ab), obwohl Letztere irgendwann zu Warmblütern wurden, während Erstere Kaltblüter blieben. Wie den Vögeln fehlt auch den Reptilien ein Neokortex, aber ihr Verhalten zeigt weit weniger Flexibilität und Komplexität. Ihr Verhalten und ihre Neuroanatomie wurden zwar wissenschaftlich weniger erforscht, dennoch deuten sowohl ihr Verhalten als auch ihre Physiologie darauf hin, dass sie wahrscheinlich über eine Empfindungsfähigkeit verfügen und nicht nur Schmerzen erleben, sondern auch andere sinnliche Erfahrungen machen (obwohl ihre verschiedenen Sinnesmodalitäten anders als bei den Vögeln scheinbar nicht miteinander verbunden sind). Zumindest ist bei der Erklärung des Verhaltens von Reptilien die Hypothese der Empfindungsfähigkeit wahrscheinlich der gegenteiligen Annahme vorzuziehen.49

Kopffüßer Wir wenden uns nun den wirbellosen Tieren zu und betreten damit einen Bereich, der durch erhebliche Unsicherheiten und kontroverse Diskussionen gekennzeichnet ist. Unter den Wirbellosen sind die Kopffüßer (Tintenfische, Sepien und Kraken) die wahrscheinlichsten Kandidaten für Empfindungsfähigkeit. Tintenfische können lernen, einen Verschluss zu öffnen, der als menschliche Kindersicherung gedacht ist. Die detaillierte Studie von Peter Godfrey-Smith zur gesamten Gruppe dieser Lebewesen liefert ein überzeugendes Argument dafür, dass sie über ein empfindungsfähiges Innenleben verfügen, und etablierte Wissenschaftler wie Braithwaite sind geneigt, dieser Schlussfolgerung, wenn auch zögerlich, zuzustimmen.50 Godfrey-Smith (ein Wissenschaftstheoretiker) kommt zu dem Schluss, dass diese Gruppe „eine Insel mentaler Komplexität im Meer der wirbellosen Tiere ist […], ein unabhängiges Experiment in der Evolution großer Gehirne und komplexer Verhaltensweisen“. Da Kraken einst eine schützende Schale besaßen, die sie irgendwann verloren haben, waren sie äußerst verletzlich und entwickelten, um überleben zu können, sehr große und komplexe Gehirne. Godfrey-Smith weist darauf hin, dass die Anzahl der Neuro-

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nen eines typischen Krakengehirns mit derjenigen im Gehirn eines Hundes oder eines kleinen menschlichen Kindes vergleichbar ist. Diese Neuronen sind jedoch über den ganzen Körper verteilt, was den Kraken eine über ihren gesamten Körper ausgebreitete Empfindungsfähigkeit und ihren Gliedmaßen ein erstaunliches Maß an Aktionsvermögen und Unabhängigkeit verleiht. Außerdem stellen sich Kraken nicht nur den Herausforderungen ihrer Umwelt, sondern manipulieren diese auch. So spritzen sie beispielsweise im Labor Wasser auf Glühbirnen, um diese so abzuschalten. (Sie mögen kein Licht.) Das Studium der Fische hat Forschern gezeigt, dass es auch ohne einen Neokortex Empfindungsfähigkeit geben kann; das Studium des Kraken hat ihnen gezeigt, dass Empfindungsfähigkeit selbst bei wirbellosen Tieren vorkommen kann, auch wenn die Wissenschaftler diesbezüglich noch keine Einigkeit erzielt haben.51

Krustentiere Bei den Krebstieren (Garnelen, Krabben, Hummern) ist die Sache nicht so eindeutig, obwohl neuere Erkenntnisse zu einer Ablehnung der gängigen Praxis, Hummer lebendig in kochendes Wasser zu werfen, geführt haben. Vor allem Experimente mit Einsiedlerkrebsen haben bewirkt, dass Wissenschaftler zumindest darüber diskutieren, ob diese Tiere Schmerzen empfinden. Bei den Experimenten des Belfaster Wissenschaftlers Robert Elwood52 wurden die Schalen von Einsiedlerkrebsen an eine Stromquelle angeschlossen, die den Krebsen geringe Stromstöße versetzte. Ihre Reaktion darauf bestand darin, dass sie ihre Schalen selbst dann verließen, wenn gerade keine leere Schale zur Verfügung stand – ein ungewöhnliches Verhalten, welches nahelegt, dass der Schmerz als sehr unangenehm empfunden wurde, da sich die Krebse durch das Verlassen ihrer Schale höchst angreifbar machten. (Einsiedlerkrebse nutzen leere Schneckenhäuser und wechseln ihr Gehäuse häufig.) Die Krebse, die Stromstöße erhalten hatten, zeigten ein verändertes Verhalten, selbst wenn keine Stromstöße mehr verabreicht wurden, was darauf hindeutet, dass die Erinnerung an das unangenehme Erlebnis mindestens zwanzig Sekunden lang anhielt. Elwood kam zu dem Schluss, dass die Krebse Schmerz empfinden und sich daran erinnern können, was andere Wissenschaftler und selbst Tye, der Verhalten stets großzügig interpretiert, immer noch bezweifeln. Elwood hat zweifellos gezeigt, dass Krebse und Garnelen intelligenter sind, als wir bisher

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angenommen haben; und was die Empfindungsfähigkeit betrifft, so haben wir uns diesbezüglich schon früher geirrt. In diesem Fall können wir jedoch – zum Teil aus anatomischen Gründen (Krebse haben viel weniger Neuronen als Kopffüßer und sogar Honigbienen) – noch zu keiner endgültigen Schlussfolgerung gelangen. Wir sollten uns daher wahrscheinlich mit einem positiven Urteil zurückhalten und zugleich versuchen, mehr hierüber in Erfahrung zu bringen.

Insekten Die Gehirne von Insekten weisen in ihrer Struktur eine beträchtliche Ähnlichkeit mit denen von Säugetieren auf, und einige Insekten (Honigbienen) verfügen über eine beeindruckend große Anzahl von Neuronen. Das Gehirn von Bienen enthält etwa eine Million Neuronen; angesichts seiner geringen Größe ist die neuronale Dichte zehnmal größer als in der Großhirnrinde eines Säugetiers. Anatomisch betrachtet ist ein Empfindungsvermögen also nicht unmöglich.53 Andererseits unterscheidet sich das Verhalten von Insekten in einigen wichtigen Punkten sehr vom Verhalten von Säugetieren. Insekten schützen keine verletzten Körperteile; sie fressen auch dann weiter, wenn sie schwer verletzt wurden: Beispielsweise setzen Tse-Tse-Fliegen die Nahrungsaufnahme fort, nachdem sie zerteilt wurden, und Heuschrecken fressen weiter, während sie von Gottesanbeterinnen gefressen werden. Insekten reagieren im Allgemeinen nicht auf Reize, die für Säugetiere sehr schmerzhaft wären. Es gibt also Gründe, daran zu zweifeln, ob Insekten Schmerz empfinden können. Bienen scheinen eine Ausnahme von dieser Regel darzustellen, denn sie können ein Vermeidungsverhalten erlernen. Generell zeigt der Fall der Bienen, dass wir noch mehr lernen müssen. Scheinbar können Experimente bei ihnen einen Zustand hervorrufen, der an Angst oder Furcht grenzt. So wurde Bienen ein „Geschirr“ angelegt, das sie unbeweglich machte, und sie lernten sodann, einen Geruch mit einem angenehmen Geschmack (Zucker) und einen anderen mit einem unangenehmen Geschmack (Chinin) zu assoziieren. Sobald diese Assoziation hergestellt war, streckten die Bienen typischerweise ihre Mäuler aus, wenn sie den Geruch registrierten, der auf etwas Gutes hindeutete, und zogen ihre Mäuler zurück, wenn sie den „unheilvollen“ Geruch wahrnahmen. Anschließend wurden sie in zwei Gruppen aufgeteilt. Eine Gruppe wurde heftig geschüttelt (etwa so, wie ein Bienenstock von einem Dachs geschüttelt werden könnte); die andere Gruppe wurde nicht

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geschüttelt. Die Forscher machten sich die allgemeine Beobachtung zunutze, dass Angst pessimistisch sein und Schlimmes erwarten lässt, während Lebewesen, die nicht ängstlich sind, optimistischer sind. Wenn man den Bienen einen Geruch präsentierte, der zwischen dem angenehmen und dem unangenehmen lag, streckten die geschüttelten Bienen viel seltener ihren Mund aus, um den Geruch zu probieren, als die nicht geschüttelten Bienen. Scheinbar interpretierten sie den uneindeutigen Reiz negativer. Anscheinend befanden sie sich eher in einem Zustand der Angst, was ein pessimistisches kognitives Vorurteil zur Folge hatte. Doch empfanden sie dies wirklich auf eine subjektive Weise? Die Experimentatoren behaupten, dass dies ebenso sicher nachgewiesen wurde wie bei Ratten und anderen Säugetieren. Es gibt jedoch Grund zur Zurückhaltung. So ist es etwa möglich, dass durch das Schütteln lediglich die generelle Geruchswahrnehmung der geschüttelten Bienen beeinträchtigt wurde.54 Die Experimente sind zwar sehr aufschlussreich, wirken aber weniger schlüssig als die Experimente, die Braithwaite und Sneddon mit Fischen durchgeführt haben. Da die Anatomie der Bienen jedoch zumindest eine Empfindungsfähigkeit zulässt und ihr Verhalten im Allgemeinen eine solche nicht ausschließt, sollten wir die Frage, ob Bienen empfindungsfähig sind, wahrscheinlich weiter diskutieren.

Aristoteles’ „ortsgebundene Tiere“: Nesseltiere (Korallen, Quallen, Seeanemonen) und Porifera (Schwämme) Seit Aristoteles haben Wissenschaftler bestimmte, eher pflanzenähnliche Lebewesen nicht als Pflanzen, sondern als Tiere klassifiziert. Mit „eher pflanzenähnlich“ meine ich, dass diese Lebewesen ortsgebunden sind, nicht in der Lage, sich von Ort zu Ort zu bewegen. Aristoteles bezeichnete eine Gruppe von Lebewesen, die wir heute als Nesseltiere (Korallen, Quallen, Seeanemonen) und Porifera (Schwämme) klassifizieren würden, als „ortsgebundene Tiere“. Einige Tiere (Quallen) bewegen sich tatsächlich, zeigen jedoch im Allgemeinen nicht die Art von zielgerichteter Bewegung auf einen angestrebten Gegenstand zu, nach der wir in meinem Modell suchen sollten. Nesseltiere verfügen zwar nicht über ein Gehirn oder ein zentrales Nervensystem, doch sie haben Netze aus Nervengewebe, die offenbar eine Wahrnehmungsfunktion haben. Und sie leben, vermehren sich (sexuell) und sterben als individuelle Wesen. Daher stimmen Wissenschaftler heute mit Aristoteles darin überein, dass sie über einen Tastsinn verfügen und sich nicht nur in Richtung eines Reizes oder von ihm weg be-

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wegen, wie dies bei Pflanzen der Fall ist (Tropismen). Die Schwämme sind noch einfachere Lebewesen, die sich vor allen anderen von dem gemeinsamen Vorfahren sämtlicher Tierarten abzweigten. Schwämme haben keinerlei Nervensystem, doch sie haben Neuronen und koordinieren ihre Aktivitäten, und sie pflanzen sich fort, leben und sterben als Individuen, was sie eher zu Tieren als zu Pflanzen macht. Allerdings scheint keines dieser Lebewesen Empfindungen zu haben.

Was ist mit Pflanzen? Was die Tiere betrifft, so habe ich einige allgemeine Kriterien für auf Gerechtigkeit basierende Interessen aufgestellt und versucht, daraus einige Schlussfolgerungen darüber zu ziehen, welche Tierarten diese Kriterien erfüllen. Trennungslinien sollten stets nur vorläufig gezogen werden, und wir sollten angesichts der Unvollständigkeit unseres Wissens eher die allgemeinen Kriterien definieren, als die Frage beantworten, wer diese erfüllt. Ich habe allerdings durchgängig von Tieren gesprochen und damit implizit Pflanzen aus der Theorie der Gerechtigkeit ausgeklammert. Viele Menschen würden dem nicht zustimmen. Mit dieser Frage muss ich mich nun auseinandersetzen. Pflanzen sind eindeutig das, was wir als teleonomische Systeme bezeichnen könnten. Das heißt, sie sind organisierte Gestalten, deren Funktionen größtenteils darauf ausgerichtet sind, ihr Leben zu erhalten und sich fortzupflanzen. Dies sind die Grundfunktionen von Lebewesen, und Pflanzen sind zweifellos lebendig. Mineralien und andere Stoffe gehorchen in ihren Bewegungen bestimmten Gesetzen; Pflanzen ernähren und vermehren sich jedoch selbstständig, während dies für Mineralien nicht gilt. Das haben Pflanzen mit den Tieren gemeinsam. Außerdem ist ihr Verhalten gesetzmäßig: d. h., wir können vorhersagen, dass Pflanzen in einer Vielzahl von Situationen tun werden, was erforderlich ist, um am Leben zu bleiben, zu gedeihen und ihre Art zu reproduzieren. Im Laufe der Geschichte wurde immer wieder die Frage debattiert, ob Pflanzen empfindungsfähig sind. Aristoteles verneinte dies und unterschied sie sogar von den „ortsgebundenen Tieren“, den Schwämmen und Anemonen, die ihm rudimentäre Formen der Wahrnehmung, insbesondere des Tastsinns, zu haben schienen, obwohl ihnen die Fernsinne  – der Hör-, Gesichts- und Geruchs-

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sinn – fehlen, welche für die Lebensfunktionen von Tieren, die sich von Ort zu Ort bewegen, entscheidend sind, um das von ihnen Benötigte zu bekommen. Diese Abgrenzung zwischen Pflanzen und ortsgebundenen Tieren ist jedoch nur schwer zu verteidigen: Nimmt eine Venusfliegenfalle nicht ihre Beute wahr? Spüren nicht alle Pflanzen Wärme und Kälte, Licht und Dunkelheit? Einige angesehene Botaniker haben die Auffassung vertreten, dass Pflanzen nicht nur über Wahrnehmung verfügen, sondern auch über das, was ich als Empfindungsvermögen bezeichnet habe. Der griechische Platoniker Porphyrius (siehe Kapitel 2) bestritt dies in seinem bedeutenden Werk über die Tierethik: Im Gegensatz zu Tieren, so sagte er, seien wir Pflanzen keine Gerechtigkeit schuldig, da sie weder Schmerz noch Angst empfänden. Einige bedeutende moderne Botaniker zogen jedoch den gegenteiligen Schluss. Charles Darwins Großvater Erasmus Darwin (1731–1802) führte um 1800 Experimente mit Pflanzen durch, die ihn davon überzeugten, dass sie sowohl Schmerz als auch „Reizbarkeit“ empfinden.55 Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war der deutsche Biologe Gustav Fechner (1801–1887) der Ansicht, Pflanzen hätten Emotionen, da es den Anschein habe, dass ein Gespräch mit ihnen ihre Gesundheit und ihr Wachstum verbessern könne. Und der große indische Botaniker Jagadish Chandra Bose (1858–1937) behauptete, Pflanzen hätten so etwas wie ein Nervensystem. Bose entwickelte ein Instrument, das er „Crescograph“ nannte, um die winzigen Bewegungen von Pflanzen aufzuzeichnen.56 Er stellte fest, dass Pflanzen auf zahlreiche äußere Reize wie Wärme, Kälte, Licht und Lärm sehr empfindlich reagieren. Indem er zeigte, wie flexibel und intensiv diese Reaktionen waren, versuchte er, die Menschen davon zu überzeugen, dass Pflanzen subjektive Gefühle haben, einschließlich des Schmerzempfindens. Bose war kein Sonderling; aufgrund seiner Leistungen wurde er in den Ritterstand erhoben, und er war sehr geachtet. Doch gelang es ihm, die Empfindungsfähigkeit der Pflanzen nachzuweisen, oder führte er nur eine schwächere Schlussfolgerung ein? Außer dieser Frage besteht ein weiteres Problem darin, dass Wissenschaftler seine Ergebnisse nicht reproduzieren konnten.57 Seit Kurzem gibt es eine Gruppe von Wissenschaftlern, die sich selbst als „Pflanzenneurobiologen“ bezeichnen. Sie untersuchen die Informationsnetzwerke in Pflanzen und vergleichen diese mit dem Nervensystem von Tieren.58 Diese Gruppe wurde von einer Reihe führender Botaniker scharf kritisiert, die 2007 gemeinsam einen Brief verfassten, in dem es hieß, die Schlussfolgerungen der Gruppe beruhten „auf oberflächlichen Analogien und fragwürdigen Extra-

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polationen“.59 Ihre Experimente zeigen, dass Pflanzen mithilfe elektrischer Signale Informationen über die Intensität und sogar die Farbe von Licht an andere Pflanzen weitergeben. Diese kaskadenartigen Reaktionen sind jedoch kein ausreichender Beweis für Empfindungsvermögen oder eine kognitive Bewertung. Trotz dieser faszinierenden Beweise dafür, dass Pflanzen weitaus empfindlicher auf äußere Bedingungen reagieren, als wir bislang angenommen haben, gibt es mehrere Gründe, aus denen es nicht plausibel scheint, ihnen Gefühle zuzuschreiben. Beginnen wir mit der Neuroanatomie. Pflanzen haben keine Gehirne. Sie verfügen auch nicht über so etwas wie ein zentrales Nervensystem, also spezialisierte Netzwerke von Zellen, die eine Signalfunktion erfüllen. Wir sollten vorsichtig sein und uns daran erinnern, dass wir uns bei Vögeln und Fischen geirrt haben: Ein Neokortex ist für die Empfindungsfähigkeit nicht erforderlich. Dennoch haben diese Lebewesen ein erkennbares zentrales Nervensystem, auch wenn es sich von demjenigen der Säugetiere unterscheidet. Wie steht es mit dem Verhalten? Angesichts der fehlenden strukturellen Ähnlichkeit zwischen Pflanzen und Tieren sollten wir beim Rückschließen auf die beste Erklärung sehr vorsichtig sein und uns fragen, ob es andere Möglichkeiten gibt, die zugegebenermaßen zu beobachtenden Reaktionen zu erklären. Und es scheint solche zu geben. Pflanzen sind bewegungslos, und bei ihren Reaktionen handelt es sich um Tropismen. Ihre Wurzeln wachsen in Richtung der Schwerkraft und zeigen also geotropische Reaktionen. Sie zeigen auch fototropische Reaktionen, da sie sich dem Licht zuwenden. Außerdem weisen sie jahreszeitliche Rhythmen auf. Diese sind jedoch starr und unflexibel und jeweils für die betreffende Art wesentlich. Der Tropismus ähnelt in einer Hinsicht dem Verhalten von Tieren: Er ist ein lebenserhaltendes, der eigenen Ernährung dienendes Verhalten. Doch ihm fehlt jene situative Flexibilität, die uns zu dem Schluss kommen lässt, dass Fische empfindungsfähige Wesen sind. Für Pflanzen gibt es nichts den Experimenten von Braithwaite Vergleichbares, die ziemlich deutlich zu erkennen geben, dass die wichtigsten, das Verhalten bestimmende Faktoren subjektive Gefühle sind. Deren Fehlen macht es schwierig, sich vorzustellen, dass Pflanzen irgendetwas beabsichtigen und ein gutes Leben anstreben. Außerdem zeigen Pflanzen nicht die individuellen Unterschiede in den Reaktionen, die flexible Handlungsfähigkeit, die für Fische und Vögel charakteristisch sind: Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass ihr Verhalten demjenigen ihrer Art entsprechen wird.

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Darüber hinaus sind Pflanzen keine individuellen Lebewesen. Tiere werden als Individuen geboren und sterben individuell. Während ihres Lebens sind sie voneinander abgegrenzt. Wie sehr sie auch aufeinander reagieren, ein Tier spürt nicht den Schmerz eines anderen, und die Nahrung, die das eine frisst, ernährt nicht das andere (mit Ausnahme heranwachsender Embryonen). Die offensichtliche Tatsache, dass sie, wie Aristoteles es ausdrückt, „eins an der Zahl“ sind, ist ein großer Teil von dem, was unserer deutlichen intuitiven Auffassung zugrunde liegt, dass etwas, was jedem von ihnen individuell zustößt, von Bedeutung ist, dass jedes von ihnen als ein Selbstzweck behandelt werden sollte. Wenn Philosophen vorschlagen – und sowohl Utilitaristen als auch Buddhisten haben dies getan –, dass Vergnügen und Schmerz ein einziges System ausmachen und dass unsere Aufgabe darin besteht, Ersteres zu maximieren und Letzteres zu minimieren, so verstößt dies gegen unser grundlegendes moralisches Gespür, dass jedes Leben das einzige Leben ist, das ein Lebewesen jemals haben wird, und dass jedes Leben seinen eigenen Wert hat. Auf diese Intuition habe ich mich bereits berufen, als ich dafür argumentierte, dass für die Ethik das einzelne Lebewesen der Zweck ist, nicht die jeweilige Art. Pflanzen sind jedoch keine Individuen in diesem Sinne. Es ist unmöglich, eindeutig zu sagen, wann eine Pflanze geboren wird oder stirbt: Stecklinge, aufgepfropfte Zweige, das Bewurzeln von Setzlingen, die jahreszeitliche Wiederkehr von Blumen aus Zwiebeln – all diese normalen Praktiken und Vorkommnisse zeigen uns, dass eine Pflanze im Grunde kein Individuum ist, sondern dass ihr Gebilde eher ein Cluster ist, eher ein Plural als ein Singular. Selbst wenn wir sehr an einem bestimmten Baum hängen, können wir nicht sicher sein, was es für den Baum bedeutet zu überleben: Überlebt er, wenn ein Samen aufgeht oder wenn ein Steckling Wurzeln schlägt? Bei Pflanzen scheint es wichtig zu sein, dass die Art erhalten bleibt. Ich habe aber dafür argumentiert, dass dies kein Gebot der Gerechtigkeit ist, sondern eine andere Art moralisches Interesse, vielleicht eher wie das Interesse, das wir am Fortbestand eines Ökosystems haben. Der Erhalt eines Baumes kann uns dennoch sehr am Herzen liegen; aber dies scheint mir etwas anderes zu sein als die Sorge um ein Tier, welches nur ein einziges Leben hat. Wenn dieses (häufig verbunden mit qualvollem Leiden) zu Ende geht, dann ist dieses Ende endgültiger als bei einer Pflanze. Ich ziehe daraus die Schlussfolgerung, dass Pflanzen keinerlei auf Gerechtigkeit basierende Ansprüche haben. Sie können zwar geschädigt werden, aber es kann ihnen kein Unrecht zugefügt werden. Eine bestimmte moralische An-

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teilnahme scheint dennoch unerlässlich zu sein. Die natürliche Umwelt hat eine moralische Bedeutsamkeit, sowohl eine instrumentelle (sie unterstützt die Fähigkeiten der empfindungsfähigen Lebewesen) als auch eine intrinsische; wir haben daher die moralische Verpflichtung, für sie Sorge zu tragen. (Im Allgemeinen vermeide ich in diesem Buch den Ausdruck „moralischer Status“, weil ich glaube, dass es sich hierbei nicht nur um eine einzelne Sache handelt, und ich hier aber von einer ganz bestimmten Sache spreche, der Gerechtigkeit.) Die genannten Verpflichtungen sind jedoch keine Pflichten von der Art, die wir gegenüber einem Wesen haben, das geboren wird, versucht, ein gutes Leben zu führen, leidet und stirbt.

Ethische Konsequenzen Ich habe Gründe dafür angeführt, dass Lebewesen von überraschend unterschiedlicher Art einen Platz in der Theorie der Gerechtigkeit verdienen, und dass wir uns bezüglich anderer Lebewesen eines Urteils enthalten sollten, da unser Wissen unvollständig ist. Dies weist darauf hin, dass unsere Pflichten sehr umfangreich, ja sogar erdrückend sind. Wie können wir uns ihnen stellen? Bedenken wir dabei, dass die Zugehörigkeit eines Lebewesens zur Gruppe derjenigen, denen wir eine gerechte Behandlung schulden, uns noch nicht sagt, was wir ihm schulden. Es gibt keine Stufenleiter der Natur. Lebewesen streben auf unterschiedlichen Wegen nach einem vollständig entwickelten Leben: Diese lassen sich nicht auf einer einzigen Skala anordnen, und die Komplexität des Lebens entscheidet nicht über den Anspruch auf gerechte Behandlung. Die Stufe und Komplexität des Lebens bestimmen jedoch genau, wodurch einem Lebewesen, das eine gerechte Behandlung verdient, ein Schaden zugefügt wird. Menschen sind nicht besser oder stehen nicht höher als Delfine; aber es gibt Dinge, die für einen Menschen eine ernsthafte Schädigung und ein Unrecht bedeuten, die für einen Delfin kein Unrecht darstellen würden: zum Beispiel die Verweigerung eines Unterrichts, der eine grundlegende Lese- und Schreibfähigkeit vermittelt. Andererseits ist die Fähigkeit, ungehindert durch große Wasserareale zu schwimmen, eine zentrale Fähigkeit der Lebensformen von Fischen und Meeressäugern. Wer einem Menschen die Möglichkeit nimmt, meilenweit zu schwimmen, begeht jedoch kein Unrecht. Und so weiter.

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Kurz gesagt: Wenn wir über Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit nachdenken, müssen wir die Lebensform eines jeden Lebewesens im Auge behalten. Das Ziel besteht darin, dass jedes Lebewesen eine angemessene Chance erhält, sich auf seine eigene Weise zu entfalten. Wenn wir Menschen die Entfaltung dieser Leben behindern – und wir sind in ihnen allgegenwärtig, da wir die Erde, die Meere und sogar die Lüfte kontrollieren –, müssen wir unser anmaßendes Verhalten korrigieren. Eines können wir mit Sicherheit feststellen  – das ist die große Wahrheit des Utilitarismus –: Schmerz ist für alle empfindungsfähigen Wesen äußerst schlecht. Daher stellt das absichtliche Zufügen von Schmerz (das nicht dem Wohl des Tieres dient) nach meiner Theorie in jedem Fall eine Ungerechtigkeit für ein empfindungsfähiges Lebewesen dar. Im nächsten Kapitel werde ich darlegen, dass die Antwort auf die Frage, ob ein schmerzloser Tod für ein Lebewesen einen Schaden bedeutet, von einigen spezifischen Faktoren seiner Lebensform abhängt. Wenn der Tod nicht einmal eine Schädigung bedeutet, ist es wahrscheinlich, dass er keine Ungerechtigkeit darstellt. In den Kapiteln 9 und 10 werde ich auf ähnliche Weise die Frage der Gefangenschaft erörtern und zu dem Schluss gelangen, dass sie manchmal eine Ungerechtigkeit darstellt und manchmal nicht. In Kapitel 8 werde ich dann auf Fälle eingehen, in denen wir gegenwärtig aus gewichtigen menschlichen Gründen Unrecht begehen, aber vielleicht einmal in der Lage sein werden, diese höchst schwierigen Situationen durch neue wissenschaftliche und medizinische Möglichkeiten hinter uns zu lassen. Wenn wir diese Argumente erst einmal durchdacht und verarbeitet haben, dann könnten die Forderungen meiner Theorie wie Vorschriften aussehen, mit denen ernsthafte und einfühlsame Menschen leben oder die sie zumindest im Laufe der Zeit immer besser einzuhalten versuchen könnten.

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Was ist vom vollkommen schmerzlosen Tod eines Tieres zu halten, das für einen angemessenen Zeitraum ein gutes, erfülltes Leben geführt hat? Ist ein solcher Tod ein Übel für das Tier, und ist es ethisch zulässig, dass wir ihn herbeiführen? Bentham war der Ansicht, das humane (schmerzlose) Töten eines Tieres sei moralisch vertretbar, wenn es einem „nützlichen“ menschlichen Zweck dient und nicht nur „mutwillig“ erfolgt  – also nicht aus Sadismus oder zum Vergnügen. Neuere Utilitaristen wie R. M. Hare und Peter Singer stimmen dem im Wesentlichen zu, sodass zumindest ein Teil des Tötens von Tieren als moralisch vertretbar angesehen wird, auch wenn sie in ihrer Argumentation den Großteil des gegenwärtigen Fleischverzehrs verurteilen, da er auf Praktiken der Massentierhaltung beruht, die Schmerz und Leid verursachen. Zahlreiche Denker vieler Epochen  – von alten hinduistischen, buddhistischen und platonischen Philosophen bis hin zu zeitgenössischen Vertretern wie Christine Korsgaard und Tom Regan – haben eine radikalere Position vertreten: Es ist immer falsch, Tiere für menschliche Zwecke zu töten. Das Töten zu menschlichen Zwecken wäre nur dann zu legitimieren, wenn Tiere zu Recht als Eigentum des Menschen betrachtet werden könnten. Sie sind jedoch keine Besitztümer, sondern Subjekte des Lebens: Das Töten muss daher aufhören. In diesem Kapitel werde ich eine sehr unbequeme Position zwischen diesen beiden Gruppen einnehmen (obwohl ich der zweiten näher stehe) und zeigen, wohin uns der Fähigkeitenansatz führt, wenn er mit einer philosophischen Betrachtung über den Schaden des Todes verbunden wird. Dieses Thema gehört zu den dringlichsten und schwierigsten jedes Buches über Tierethik. Allzu häufig wird es jedoch mit zu wenig philosophischer Klarheit angegangen. Der Tod ist kein einfaches Thema. Es ist alles andere als klar, warum und unter welchen Umständen der Tod für ein Lebewesen schlecht ist; und wenn das unklar ist, dann ist auch unklar, wann durch das Beenden eines empfindungsfähigen Lebens ein Schaden zugefügt wird und wann es sogar unzulässig ist. Mein Haupteinwand gegen die zweite Gruppe lautet, dass sie diese

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Frage nicht ausreichend untersucht; ich glaube, wenn wir das tun, ist die Antwort kompliziert. Treten wir einen Schritt zurück und denken mithilfe der Geschichte der Philosophie gründlich über den Schaden des Todes nach. Und vergessen wir nicht, zwei Dinge, die schlecht sein könnten, voneinander zu unterscheiden: den Prozess des Sterbens und den Zustand des Totseins. Beginnen wir mit dem Menschen und weiten unsere Überlegungen dann auf Tiere aus. Dabei werden wir sehen, wie der Fähigkeitenansatz uns dabei hilft, uns auf die relevanten Fragen zu konzentrieren. Tiere töten sich gegenseitig, und das wirft ebenfalls ethische Fragen auf, da wir in einigen Fällen eingreifen können. Auf diesen Komplex gehe ich in diesem Kapitel allerdings noch nicht ein; er erwartet uns in Kapitel 10, nachdem wir uns mit dem Thema der „Wildnis“ und unserer Verantwortung für die ethische Verwaltung in verschiedenen Bereichen umfassend auseinandergesetzt haben. In diesem Kapitel geht es einzig darum, was wir Menschen tun, wenn wir Tiere töten. Es ist wichtig, gleich zu Beginn darauf hinzuweisen, dass dieses Kapitel in Bezug auf die gegenwärtigen Verhaltensweisen des Menschen mit einem Randthema beginnt. Die meisten menschlichen Tötungen von Tieren sind nicht schmerzlos. Und, was noch wichtiger ist, sie folgen auch nicht auf ein erfülltes, gedeihliches Leben. Das Leben von Tieren, die in der Massentierhaltung als Nahrungsmittel gezüchtet werden, ist von Anfang an beeinträchtigt und von Schmerzen geprägt. In Kapitel 1 habe ich das Leben von Sauen in Kastenständen beschrieben. In Kapitel  9 werde ich das eingeschränkte Leben von Hühnern und Milchkühen beschreiben. In Kapitel  12 werde ich diese Themen wieder aufgreifen und fragen, was mit Gesetzen gegen diese Praktiken unternommen wurde und unternommen werden muss. Hier erörtere ich nun die Frage der Züchtung von Säugetieren und Fischen zu Nahrungszwecken. Sie stellt nur einen winzigen Teil dessen dar, was weltweit geschieht. Ich bleibe bei diesem Randthema, weil es aus ethischer Sicht tatsächlich kompliziert ist, während die Schrecken der Massentierhaltung es nicht sind und von allen ethisch sensiblen Menschen verurteilt werden sollten. Ein weiteres verwandtes Thema, das ich an anderer Stelle erörtere, ist die Entscheidung eines Hunde- oder Katzenbesitzers, das Leben dieses Tieres zu beenden. In Kapitel 9 behaupte ich, dass eine solche Entscheidung ethisch vertretbar ist, wenn der Mensch das Tier gut kennt, seine Lebensform versteht und auf Hinweise des Tieres reagiert, dass seine derzeitige eingeschränkte Existenz unerträglich schmerzhaft oder erbärmlich ist. Wenn

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Menschen das Leben eines tierischen Gefährten aus Bequemlichkeit beenden oder weil sie keine Lust haben, für die medizinische Behandlung zu zahlen, so ist das in jedem Fall falsch – ebenso wie es falsch wäre, das Leben eines Kindes mit einer Behinderung oder eines älteren Verwandten zu beenden, weil die Pflege zu belastend oder zu teuer ist. Ich behandele hier also nur Fälle, in denen das Tier einigermaßen gesund ist – was aus offensichtlichen Gründen bei Tieren, die wir zum Verzehr töten, normalerweise der Fall ist, obwohl die Tiere, die in der Massentierhaltung getötet werden, kaum ein wahrhaft gedeihliches Leben haben. Ich beginne mit einem Problem bezüglich des Todes, das Philosophen, die über das menschliche Leben nachdenken, bereits seit langer Zeit zusetzt. Wir müssen dieses Problem am Beispiel des Menschen so klar wie möglich ins Auge fassen, bevor wir uns dem Leben von Tieren zuwenden, wo ethische Diskussionen so viel weniger entwickelt sind.

„Der Tod geht uns nichts an“ Die Angst vor dem Tod verursacht im menschlichen Leben viel Schmerz  – manchmal bewusst, manchmal durch ein Gefühl der Schwere und des Unbehagens im Hintergrund. Das dachte der radikale griechische Philosoph Epikur (341–270 v.  Chr.) im vierten Jahrhundert v.  Chr., und er hat zumindest teilweise Recht. Auch wenn diese Angst nicht all die Übel hervorruft, die er und sein römischer Schüler Lukrez (ca. 99–55 v. Chr.) mit ihr in Verbindung brachten – darunter Neid, Krieg, sexuelle Gewalt, herdenhafte Unterwürfigkeit unter religiöse Autoritäten, sogar vorzeitigen Selbstmord –, ist es in jedem Fall doch recht schwer, damit fertig zu werden. Doch Epikur war der Meinung, dass es keinen guten Grund gibt, den Tod zu fürchten: Er schadet uns nicht. Er formulierte seine Ansicht auf prägnante Weise: „Der Tod, dieses furchterregendste aller Übel, bedeutet uns nichts. Denn wenn wir da sind, ist der Tod nicht da; und wenn der Tod da ist, sind wir nicht da.“1 Epikur leugnet nicht, dass der Prozess des Sterbens häufig schmerzhaft ist. Er hinterließ einen auf dem Sterbebett verfassten Brief, in dem er seine eigenen unerträglichen Schmerzen aufgrund einer Darminfektion und Harnverstopfung beschreibt. Er war jedoch der Meinung, dass diese Schmerzen durch die Freuden der Freundschaft und der Erinnerung ausgeglichen werden könn-

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ten, denen er sich selbst dann noch hingab: So behauptete er, selbst noch auf seinem Sterbebett ein Gleichgewicht zwischen Freude und Schmerz gefunden zu haben. Das ist jedoch nicht sein Hauptthema: Er spricht über das Übel, das Ende seines Leben erreicht zu haben, tot zu sein. Wir können seine Argumentation folgendermaßen rekonstruieren: 1) Ein Ereignis kann für jemanden nur dann gut oder schlecht sein, wenn diese Person zu dem Zeitpunkt, zu dem das Ereignis eintritt, als Subjekt einer zumindest möglichen Erfahrung existiert. 2) Die Zeit nach dem Tod einer Person ist eine Zeit, in der diese Person nicht als Subjekt möglicher Erfahrung existiert. 3) Daher ist der Zustand, tot zu sein, für diese Person nicht schlecht. 4) Es ist irrational, ein zukünftiges Ereignis zu fürchten, es sei denn, dieses Ereignis wird schlecht für einen sein, wenn es eintritt. 5) Es ist irrational, den Tod zu fürchten.

Hier ist zu beachten, dass die Argumentation mit einem Begriff möglicher, nicht tatsächlicher Erfahrung arbeitet. Epikur sagt nicht: „Was du nicht fühlst, kann nicht schlecht für dich sein“  – das wäre eine offensichtlich nicht überzeugende Behauptung, da viele Dinge, die außerhalb unserer unmittelbaren Wahrnehmung geschehen, schlecht für uns sein können, etwa der Tod eines geliebten Menschen, eine symptomfreie Krebserkrankung, ein Feuer, das unser Haus verwüstet, während wir in seliger Unwissenheit schlafen. Er sagt, wenn es kein „Du“ in der Welt gibt, dann gibt es nichts, woran sich die Vorstellung von Schlechtigkeit oder Entbehrung festmachen ließe, ebensowenig wie die Vorstellung von Nutzen. Epikur und Lukrez gehen nicht einfach davon aus, dass es kein Leben nach dem Tod gibt; vielmehr begründen sie diese Schlussfolgerung ausführlich mit ihrer Atomtheorie der Person. Dies muss uns jedoch nicht interessieren. Das Publikum, an das sie sich richteten, fürchtete den Tod ihrer Meinung nach vor allem deshalb, weil es sich vor Strafen nach dem Tod fürchtete. Wenn man das Leben nach dem Tod loswurde, so beseitigte das die meisten Gründe für die Furcht vor dem Tod – so dachten sie zumindest. Heute denken Menschen, die an ein Leben nach dem Tod glauben, in der Regel, dass durch diese Möglichkeit die Dinge besser werden, nicht schlechter; sie fürchten gerade, dass mit dem Tod alles vorbei ist. Die Behauptung, es gäbe kein Leben nach dem Tod,

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verstärkt also nur die Angst vor dem Nichts, welche die meisten von uns ohnehin empfinden. (Das galt auch für zahlreiche Menschen in der griechischen und römischen Antike, wie wir der zeitgenössischen Kritik an den Epikureern entnehmen können). Aber selbst Menschen, die an ein glückliches Leben nach dem Tod glauben, haben dennoch vor dem Tod als dem Ende des Lebens Angst. Diese Angst vor dem Nichts, vor dem Ende, sollte unser Thema sein. Und da unser Ziel letztlich politische und rechtliche Grundsätze sind, die in pluralistischen Gesellschaften mit einer breiten Zustimmung rechnen können, dürfen wir sie nicht auf einer strittigen Hypothese über ein Leben nach dem Tod aufbauen. Schließen wir uns also der Annahme Epikurs an, dass alle mögliche individuelle Erfahrung mit dem Tod endet, oder zumindest, dass das Problem einer posthumen Existenz eine Frage betrifft, auf die wir uns bei der Formulierung politischer Grundsätze nicht berufen dürfen. Die Argumentation Epikurs ist höchst überzeugend. Es gibt nur wenige Darlegungen aus der griechisch-römischen Antike, die von Philosophen der jüngeren Zeit so ernst genommen und so intensiv diskutiert wurden. Sie richtet sich scheinbar gegen starke Intuitionen, da die meisten von uns denken, dass der Tod in der Mehrzahl der Fälle (wenn eine Person noch intakt ist und keine unerträglichen Schmerzen erleidet) ein Übel ist und der Person schadet. Doch wie kann das sein, so fragt Epikur, wenn es keine Person gibt, der Schaden zugefügt werden kann? Vielleicht fürchten wir den Verlust der Freuden des Lebens, doch wenn der Vorhang endgültig gefallen ist, gibt es keinen Verlust, weil es kein Du mehr gibt. Lukrez schildert anschaulich die Irrationalität der meisten Menschen, die sich vorstellen, dass ein kleines Selbst an ihrer eigenen Beerdigung teilnimmt und miterlebt, wie es aller guten Dinge beraubt ist: [Er] bedauert sich selbst; denn er trennt von dort sich nicht selbst, zieht nicht genug sich zurück vom hingestreckten Kadaver, meint, das sei er, und befleckt ihn mit eigener Empfindung beim Anblick. (Buch III, 881 ff.)2

Wir widersprechen uns einfach selbst: Wir stellen uns vor, dass es uns noch gibt, doch der ganze Sinn unserer Trauer besteht darin, dass es uns nicht mehr gibt.

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Einige Philosophen versuchen, dieses überzeugende Argument zu entkräften, indem sie auf Fälle verweisen, in denen wir einräumen sollten, dass es Dinge gibt, von denen wir nichts wissen und vielleicht sogar nie wissen können, die aber anerkannterweise schlecht für uns sind.3 So ist einer Person, die von jemandem betrogen wurde, von dieser Tatsache aber niemals etwas erfährt, dennoch ein Schaden zugefügt worden; so denken zumindest einige. Einer Person, die bei einem Unfall alle höheren geistigen Funktionen verloren hat und sich dessen nicht bewusst ist, wurde trotzdem ein Schaden zugefügt (und könnte sogar Schadenersatz erhalten). Wir können uns auch Fälle vorstellen, in denen es für eine Person unmöglich ist, jemals etwas von der schlimmen Sache zu erfahren. Selbst in solchen Fällen denken wir dennoch oft, dass die Person einen Schaden erlitten hat.4 Ja, aber: In all diesen Beispielen geht es um ein fortbestehendes Subjekt, für das zumindest der Anspruch erhoben werden kann, die ursprüngliche Person zu sein. Die eingeschränkte Person könnte nur deshalb auf Schadenersatz klagen, weil es einen Kläger gibt. (Wenn der Unfall die Person in einen dauerhaft vegetativen Zustand versetzt hat, sollten wir wahrscheinlich bezweifeln, ob es tatsächlich noch eine Person gibt; und vielleicht hat unser Gefühl, dass der Person ein Schaden zugefügt wurde, tatsächlich Teil an dem von Lurez kritisierten verworrenen Denken.) Nimmt man hingegen die Person vollkommen aus dem Bild, sieht die Sache völlig anders aus: Welchem Subjekt sollten wir die Begriffe „schlimm“ und „geschädigt“ zuordnen? Bislang sind Epikur und Lukrez also unwiderlegt.

Das Argument der Unterbrechung und zwei falsche Tröster Es ist nicht überraschend, dass es noch mehr zu sagen gibt. Wir können nun das sogenannte „Argument der Unterbrechung“ einführen, das, wie ich glaube, zuerst von dem Altertumswissenschaftler David Furley eingeführt, von mir erweitert und von dem Philosophen Jeff McMahan unabhängig weiterentwickelt wurde.5 Dieses Argument besagt, dass der Tod oft die Gestaltung eines Lebens beeinflusst, indem er Projekte, die sich über einen bestimmten Zeitraum entwickeln, unterbricht und sie ganz oder teilweise bedeutungslos und vergeblich sein lässt. Wir unternehmen viele Dinge, um uns auf spätere Dinge vorzubereiten: zum Beispiel sind der Eignungstest für das Jurastudium oder sogar

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das Jurastudium selbst keine erstrebenswerten Aktivitäten an sich, sondern notwendige Vorbereitungen für eine Karriere als Anwalt. Wenn der Tod unser Leben in der Vorbereitungsphase vorzeitig beendet, werden diese Aktivitäten sinnlos. Vieles von dem, was junge Erwachsene tun, ist von dieser Art. Der Tod ist ein Übel, weil er im Nachhinein die beabsichtigte Gestaltung der Aktivitäten, die wir im Leben unternehmen, verändert, wodurch viele unserer Handlungen bedeutungs- und sinnlos werden. Furley richtete sein Augenmerk auf Todesfälle, die landläufig als vorzeitig angesehen werden. In meinem Essay „The Damage of Death“ habe ich diese Diskussion auf jeden Tod ausgedehnt, der Aktivitäten unterbricht, die sich über einen bestimmten Zeitraum entwickeln. Und ich wies darauf hin, dass ein großer Teil der menschlichen Aktivitäten  – Projekte, die die Arbeit, das Familienleben, Freundschaften und vieles mehr betreffen – auf diese Weise abläuft. Menschen haben in der Regel keinen Masterplan, doch sie verfolgen eine Reihe von Projekten, die sich über einen bestimmten Zeitraum entfalten und die unterbrochen werden können. Wir könnten versuchen, uns nicht auf zeitlich ausgedehnte Projekte einzulassen, um das Risiko zu umgehen, dass einige von ihnen durch den Tod vereitelt werden. Dazu raten Epikur und Lukrez. (Sie glaubten beispielsweise, die Betrachtung der Ordnung des Universums sei in einem Augenblick abgeschlossen.) Aber in diesem Fall würden wir eine große Zahl menschlicher Werte aufgeben: die sich entwickelnde Gestaltung von Liebe und Freundschaft, die generationenübergreifende Dynamik des Familienlebens und viele alltäglichere Beschäftigungen wie etwa das Anlegen eines Gartens oder das Lesen eines langen Romans. Und dann gibt es noch die reine Freude daran, weiterzuleben und zu sehen, was aus den eigenen Plänen und Projekten wird. Wenn der Projektor mitten im Film ausfällt, hat man das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Auf ähnliche Weise unterbricht der Tod den erfreulichen Fortgang der zahlreichen Projekte eines Lebens. Wir benötigen keinen umfassenden Masterplan, um eine Vielzahl von Projekten zu haben, die wir im Laufe der Zeit verfolgen. Auch wenn es sich bei unseren Aktivitäten um Wiederholungen von Tätigkeiten handelt, die wir schon viele Male zuvor ausgeführt haben, erhalten sie ihre Prägnanz und Bedeutung durch die Erinnerung, unser Bewusstsein für Wiederholungen und durch unseren Wunsch, sie zu wiederholen. Dies ist der Grund dafür, dass Rituale häufig mit starken Gefühlen verbunden sind: Sie erhalten zusätzliche Bedeutung durch die Tatsache, dass wir uns zum Beispiel daran erinnern, wann wir in der Vergangenheit an einem Sederabend zu

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Beginn des Pessach-Festes teilgenommen haben und wie dieselben Menschen herangewachsen sind und sich verändert haben. Wir sind, kurz gesagt, zeitliche Wesen: Wir schwimmen im Fluss der Zeit, sind zugleich jedoch auch von jedem einzelnen Moment losgelöst, um die Zeitfolge zu beobachten. (Marcel Proust erfasst diesen Aspekt der menschlichen Zeit auf wunderschöne Weise.) Wenn wir uns nicht wiederholen, sondern eine neue Aufgabe übernehmen, ergibt sich der Wert des Neuen aus dem Bewusstsein, dass es neu ist, und auch das ist ein Aspekt unserer Beziehung zur Zeit. Viele oder sogar die meisten menschlichen Todesfälle schädigen das Leben der Person also rückwirkend, indem sie zeitlich ausgedehnten Projekten ein Ende setzen. Wir kennen einige Menschen, die anders zu leben scheinen und jeden Moment so nehmen, wie er kommt; das ist allerdings ungewöhnlich und vielleicht am häufigsten am Ende eines langen Lebens der Fall, wenn eine Person beschließt, dass es Zeit ist, die Dinge abzuschließen und keine Aktivitäten mehr zu unternehmen, die Planung und einen zeitlichen Ablauf erfordern. Als meine Großmutter im Alter von 104 Jahren nach einem gesunden Leben starb, schien dies zumindest weniger schlimm zu sein als die meisten anderen menschlichen Todesfälle – eben weil sie bis zu einem gewissen Grad danach strebte, die Dinge zu Ende zu bringen, obwohl ihre Liebe zu täglichen Vorhaben (der Umgang mit ihrer Familie, die Pflege ihrer schönen Möbel) ihrem Leben noch immer eine zeitlich unterbrechbare Struktur verlieh. Epikur stützt seine Argumentation also auf ein verarmtes Bild des menschlichen Lebens und seines Werts. Wenn wir eine umfassendere und realistischere Sichtweise akzeptieren, sind viele oder sogar die meisten Todesfälle ein Übel für die Person, die stirbt, und zwar nicht auf die unlogische Art und Weise, die Lukrez sich vorstellt, sondern auf ganz einfache Weise: Sie verändern das gelebte Leben, und zwar zum Schlechteren. Die Sichtweise des Fähigkeitenansatzes und das Argument der Unterbrechung sind Verbündete. Der Fähigkeitenansatz betont die Art und Weise, wie sich Lebensaktivitäten im Laufe der Zeit entfalten, und er lehnt es ab, Vergnügen und Schmerz als statisch und vorübergehend zu betrachten, wie dies Utilitaristen in der Regel tun. Ebenso stellt das Argument der Unterbrechung keine Hierarchie auf, wie es der „Uns-so-ähnlich“-Ansatz macht: Seine Behauptungen über Unterbrechung und Schaden sind deskriptiv, und es erklärt nicht, dass unterbrechbare Leben edler oder besser sind als andere; auch hier stimmt es mit den Behauptungen des Fähigkeitenansatzes überein. Das Argument stellt zwar keine Rangfolge auf, doch es hebt ein charakteristisches Merkmal von Tierleben

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hervor, das sie auf ganz bestimmte Weise verletzlich macht. Wenn ein Leben eine zeitliche Entfaltung beinhaltet, derer sich das Subjekt bewusst ist und die es wertschätzt, dann kann ihm der Tod schaden. Allerdings haben nicht alle Lebewesen ein solches Leben – wenn auch wesentlich mehr, als Bentham annahm; und daher beweist das Argument nicht, dass der Tod für alle Lebewesen ein Übel bedeutet. Ich werde auf diese wichtige Tatsache zurückkommen. Einige Philosophen haben versucht, Epikurs Schlussfolgerung, wenn auch nicht seine Argumentation, zu verteidigen, indem sie aufzeigten, wie der Tod für den Menschen tatsächlich gut sein kann, wenn er ein Leben abrundet und Langeweile und Sinnverlust verhindert.6 Bernard Williams hat begründet dargelegt, dass alle menschlichen Projekte zwangsläufig sinnlos und langweilig werden, wenn sie auf unbestimmte Zeit verlängert werden. Mag der Tod auch als Unterbrechung erscheinen, ist er doch besser als das, was Williams als „die Langeweile der Unsterblichkeit“ bezeichnete. Als Beispiel dient ihm Janáčeks Oper Die Sache Makropulos, in der die Sängerin E. M. im Alter von 341 Jahren ihrem Leben ein Ende setzt, indem sie die regelmäßige Einnahme des Unsterb­ lichkeitselexiers verweigert.7 Williams versteht sie so, dass sie sämtlicher Beschäftigungen, die das Leben bietet, überdrüssig ist, und behauptet, so würde es allem menschlichen Verlangen gehen. Ich halte dies für eine Übertreibung, die sich auf einen atypischen Fall stützt. Wie ich in „The Damage of Death“ dargelegt habe, war Elina Makropulos des Lebens überdrüssig, weil sie von den Männern in ihrem Leben wiederholt als Objekt betrachtet und ausgenutzt wurde. Ihr Selbstmord verweist daher nicht auf eine notwendige Wahrheit menschlichen Begehrens, sondern auf die Tatsache, dass sich die Beziehungen zwischen den Geschlechtern ändern müssen oder dass zumindest E. M. neue Männer kennenlernen müsste! Eine weitere Trösterin, die ich in „The Damage of Death“ als „die jüngere Martha“ bezeichnete, gelangte mit einer anderen Begründung zur selben Schlussfolgerung. In The Therapy of Desire (1994) behauptete ich, der Tod sei eine notwendige Bedingung für die meisten Arten menschlicher Werte und stelle eine Art Grenze dar, durch die Bemühungen, Opfer und andere gute menschliche Bestrebungen ihren Sinn bekämen.8 Indem ich Wallace Stevens’ Gedicht „Sonntagmorgen“ als Motto wählte – der Dichter gelangt darin zu dem Schluss, der Tod sei „die Mutter der Schönheit“ –, versuchte ich zu zeigen, dass in einem Leben ohne Tod zwangsläufig Liebe, Freundschaft, die Tugenden und sogar sportliche Höchstleistungen in ihren üblichen menschlichen Formen ­fehlen

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würden. Heute denke ich, dass diese Argumentation falsch war: Damit diese Tätigkeiten ihren üblichen menschlichen Wert haben können, ist ein gewisses Gefühl des Strebens und des Widerstands erforderlich, jedoch nicht unbedingt der Tod. Wir können uns leicht vorstellen, dass es den Tod nicht mehr gäbe, und der Meinung sein, dass die Menschen weiterhin in der Lage sein würden, Mut zu beweisen, Leiden zu widerstehen sowie großzügig zu sein und Opfer zu bringen. Da ewige Schmerzen als schlimmer als der Tod angesehen werden könnten, könnte die Möglichkeit der Aufopferung sogar noch zunehmen. Und weil Menschen Wiederholungen mögen und nicht auf der Struktur einer umfassenden großen Erzählung bestehen, gibt es keinen Grund für die Annahme, dass ein Endpunkt eine notwendige Bedingung für die meisten menschlichen Werte ist. Philosophen haben immer wieder die Tatsache hervorgehoben, dass Menschen oft davon ausgehen, ihr Leben habe eine narrative Struktur. Jeff McMahan ist der Ansicht, dass dieser Aspekt des menschlichen Lebens uns wertvoller macht als andere Tiere, die seiner Meinung nach keine Vorstellung von einer narrativen Struktur haben. (Er hat die komplexen Praktiken vieler Tierarten im Zusammenhang mit Geburt und Tod nicht berücksichtigt, und spricht einfach von „Tieren“, ohne sich für unterschiedliche Arten zu interessieren.) Ich habe diesen Ansatz einer „Stufenleiter des Seins“ strikt abgelehnt; die narrative Struktur ist unsere Weise, Dinge umzusetzen (zumindest für einige Menschen), doch andere Arten haben ihre eigene Weise, und unsere wäre für die meisten von ihnen nicht angemessen. Allerdings hilft uns das Nachdenken über die Erzählstruktur manchmal dabei, darüber nachzudenken, wann der Tod eines Menschen oder eines Tieres ein Übel für das Lebewesen ist, und insofern hatte die jüngere Martha Recht: Für Menschen, denen die Erzählstruktur sehr wichtig ist, ist ein Tod, der die Erzählung abrundet, zum Beispiel einer Unterbrechung oder einem langen Niedergang oder vielleicht sogar einer ewigen Wiederholung vorzuziehen. Wie ich bereits sagte, lieben viele Menschen Wiederholungen und finden auf zahlreiche unterschiedliche Weisen einen Sinn. Daher denke ich, dass die jüngere Martha sich irrte, als sie diese Norm für alle Leben aufstellte. Die ältere Martha ist der Meinung, dass es viele Möglichkeiten gibt, sich ein unsterbliches Leben vorzustellen, das nicht im Geringsten langweilig wäre. Es gäbe sozusagen dieselbe Hauptfigur, die sich in vielen verschiedenen Episoden engagiert, neue Karrieren ausprobiert und so weiter. Das Fehlen eines einzigen Erzählbogens würde dieses Leben jedoch nicht langweilig oder uninteressant machen. Es wäre weniger wie ein Roman von Jane Austen, sondern mehr wie

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die „losen und bauschigen Monster“ von Tolstoi und Dostojewski oder die freudige Bejahung der Rituale des täglichen Lebens, die wir bei James Joyce finden. Für diejenigen, die Henry James’ Verachtung für die „losen und bauschigen Monster“ teilen, können Überlegungen zur narrativen Einheit erklären, warum für diese Menschen einige Tode, einschließlich verfrühter Tode, anderen vorzuziehen sind. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass jeder, der eine derartige Ästhetik vertritt, das wirkliche menschliche Leben zwangsläufig als unbefriedigend empfinden wird. Da es mir jedoch hier nicht um diese Frage geht, werde ich diesen Punkt nicht weiter ausführen. Kurz gesagt: Leben entfaltet sich in der Zeit, und für ein Lebewesen, das sich der Zeit sehr bewusst ist und das sowohl in der Vergangenheit und der Zukunft, als auch in der Gegenwart lebt, wie dies beim Menschen typischerweise der Fall ist, kann der Tod ein Übel sein, da er den zeitlichen Fluss unterbricht – allerdings, wie wir soeben gesehen haben, nicht immer und nicht für alle Menschen. Der Fähigkeitenansatz liefert uns eine Sichtweise auf charakteristische Aktivitäten, die diese Urteile unterstützt, indem er uns auffordert, stets die gesamte Lebensform eines Lebewesens zu berücksichtigen, einschließlich seiner zeitlichen Gestalt. Eine Konzentration auf die Maximierung des Glücks von Augenblick zu Augenblick lässt demgegenüber zeitlich ausgedehnte Projekte außer Betracht. Bis hierher passt unsere Theorie daher gut zu den Einschätzungen, zu denen wir neigen. Sie kann sowohl der Zeitlichkeit als auch der narrativen Struktur das Gewicht geben, das ihnen im menschlichen und in vielen tierischen Leben zukommt, und sie kann auch der Tatsache gerecht werden, dass viele menschliche und tierische Lebenstätigkeiten zwar nicht grandios, aber dennoch reizvoll und auf eine wertvolle Weise menschlich sind.

Tiere, die wir töten: utilitaristische und sonstige Begründungen Nun zum Thema des Todes von Tieren. Zunächst sollten wir nochmals entschieden die Behauptung einiger Philosophen zurückweisen, dass die narrative Struktur menschlichen Lebens oder die Gefahr, dass seine Aktivitäten durch den Tod unterbrochen werden, dieses besser macht als das Leben anderer Tiere. Unterschiede in der Beziehung der verschiedenen Tierarten zur Zeit sind jedoch von Bedeutung für die Frage, was für ein Lebewesen ein Übel sein kann. Die Tatsache, dass der Mensch dem Geruchssinn relativ wenige Informationen

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über die Welt entnimmt, bedeutet, dass sein Verlust (auch wenn er manchmal das Symptom einer Krankheit ist) an sich nicht den großen Verlust bedeutet, der er für die meisten anderen Tiere wäre, die sehr stark auf ihn angewiesen sind. Der Verlust des Gehörs wäre für einen Wal tödlich, für den es die wichtigste Informationsquelle über die Welt ist, während viele Menschen gut ohne Gehör leben können. Wenden wir uns nun jedoch der Bedeutung des Todes im Leben nicht menschlicher Tiere zu. Wie ich bereits sagte, ist der Fall der Haustiere ein besonderer, der uns in Kapitel 9 noch eigens beschäftigen wird. Hier vermittelt die Kommunikation des Tieres mit einem einfühlsamen menschlichen Begleiter sozusagen eine Reihe fortgeschrittener Angaben dazu, ob und wann der Tod ein Übel darstellt. Generell gestatten es unsere Gesetze einem Menschen nicht, sich im Voraus für einen ärztlich assistierten Suizid zu entscheiden, wenn ein gutes Leben nicht mehr möglich ist, obwohl ich meine, dass sie es wohl erlauben sollten. Befindet sich ein Tier in einem Zustand chronischer Schmerzen und/oder kognitiver Beeinträchtigung, dann entscheiden sich die meisten menschlichen Begleiter, die die Signale des Tieres deuten, für dessen Tod, und dieser Tod ist nach meiner Auffassung kein Übel. Solche Tode werden um des Tieres willen gewählt. Wenn dies mit Feingefühl und nicht mit Hintergedanken geschieht (z. B. um die Last einer teuren Pflege loszuwerden oder ein Vermögen zu erben), sind sie akzeptabel und kein Zufügen eines Schadens. All dies ist sehr weit von dem entfernt, was geschieht, wenn wir Tiere essen. (Ich werde als zentrales Beispiel den Fall verwenden, in dem uns Tiere als Nahrung dienen; bei vielen Tierversuchen stellt sich jedoch das gleiche Problem.) Hier fällen wir in der Regel nicht stellvertretend im Namen des Tieres ein Urteil, sondern wir tun uns selbst einen Gefallen: Wir verwenden das Tier als Mittel für unsere Zwecke. Ich habe meine Leser gebeten, die Massentierhaltung ohne weitere Argumente abzulehnen, da sie allen von ihr betroffenen Tieren ein schmerzhaftes und eingeengtes Leben beschert, ohne den für sie charakteristischen Lebensaktivitäten wie der freien Bewegung an frischer Luft und sozialen Beziehungen nachgehen zu können oder die Möglichkeit zu haben zu wählen, wie sie ihren Tag verbringen. Betrachten wir nun Beispiele humaner Landwirtschaft unter optimalen Bedingungen, in denen die Tiere ein einigermaßen gutes Leben haben, d. h. gutes Futter, frische Luft, die Gesellschaft anderer Tiere usw., und dann auf wirklich schmerzlose Weise getötet werden.

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Einige Tiere, die wir für den Verzehr töten, sind sehr junge Tiere, die noch keine Chance hatten, ihre charakteristische Lebensform in ihrer reifen Gestalt zu entfalten. Mir scheint, dass der Fähigkeitenansatz von uns verlangt, diese Praktiken abzulehnen, selbst wenn er um das Argument der Unterbrechung ergänzt wird. Zum Fähigkeitenansatz gehört das Empfinden eines moralisch gewendeten Staunens über die Vielfalt der Lebensformen in der Natur, und diese Leben erheben einen moralischen Anspruch darauf, dass es ihnen erlaubt wird, sich zu entwickeln und zu entfalten. Der Übergang von der Kindheit zur Reife ist in allen Tiergemeinschaften zu beobachten und Teil des Bewusstseins der jungen Lebewesen. Es ist realistisch, davon auszugehen, dass junge Lebewesen lernen, die Reife als eines ihrer zentralen Ziele anzustreben. Wird dieses Ziel nicht erreicht, erleiden sie eine schmerzliche Art von Unterbrechung. Es gibt jedoch auch andere Fälle, in denen das auf humane Weise gehaltene Tier für einen angemessenen Zeitraum ein adultes Leben geführt hat. Die Natur sieht für keinen von uns eine bestimmte Zeitspanne vor, und vor dem Einsetzen von Krankheit und Verfall zu sterben, scheint nicht offensichtlich widerwärtig zu sein. Im Falle des Menschen habe ich begründet, warum solche Todesfälle nur aufgrund des Arguments der Unterbrechung ein Übel darstellen. Wir müssen der Frage daher weiter nachgehen. Bentham war der Meinung, nicht menschliche Tiere fürchteten – im Gegensatz zum Menschen – den Tod nicht im Voraus. Er folgerte ziemlich voreilig, der Tod sei aus diesem Grunde für nicht menschliche Tiere kein Übel, sofern er schmerzlos erfolge und die Tiere vorher keinen schmerzhaften Praktiken ausgesetzt seien. Die Behauptung über die Todesangst hat er einfach aufgestellt, ohne sie zu belegen, und sie ist falsch: Zahlreiche Tierarten erkennen unmittelbare Bedrohungen und fürchten daher den nahenden Tod. Viele von ihnen verhalten sich so, dass sie Bedrohungen ausweichen, die sie entweder selbst erlebt oder durch andere Tiere kennengelernt haben. Seine Argumentation kann daher nicht überzeugen, und wir sollten nach besseren Begründungen suchen.9 Moderne Utilitaristen schneiden etwas besser ab. Sowohl Peter Singer als auch Jeff McMahan beharren auf einem höheren Wert des menschlichen Lebens und behaupten, dass nur der Mensch seinem Leben eine narrative Struktur gibt. Diese Tatsachenbehauptung habe ich bereits zurückgewiesen, ebenso wie die Idee der Überlegenheit, die sie daraus ableiten. Selbst wenn es zuträfe, dass das menschliche Leben, und nur dieses, eine „narrative Struktur“ besitzt, macht dies das menschliche Leben nicht besser, sondern nur anders. Wir soll-

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ten, wie wir es bereits in Kapitel 3 getan haben, die Verpflichtung dieser Utilitaristen auf das Modell eines „Gefäßes“ zurückweisen, demzufolge das Wichtige im Leben das Ausmaß von Vergnügen oder Zufriedenheit ist, die es enthält.10 Dieses Bild, welches impliziert, ein Leben könne prinzipiell durch ein anderes ersetzt werden, das ein ähnliches Maß an Vergnügen enthält, wird einem ganzheitlich geführten Leben nicht gerecht. Wir sind ebenso wie andere Tiere nicht wie Flaschen, in die Vergnügungen hineinfließen: Wir sind Akteure, die Ziele verfolgen, und jeder Einzelne ist für sich wertvoll. John Stuart Mill hat dies verstanden und den Utilitarismus so modifiziert, dass er der Eigenständigkeit und Würde jedes einzelnen Lebens Raum gibt. Erwägen wir daher von nun an eine Form des Utilitarismus, die in diesem Punkt mit Mill übereinstimmt. Neuere Utilitaristen verwenden allerdings auch eine Version des Arguments der Unterbrechung, und hier können wir ihnen vorsichtig folgen. Was zeigt dieses Argument bezüglich der Frage, ob und wann der Tod für verschiedene nicht menschliche Tiere ein Übel ist? Wie ich bereits sagte, ist der Tod eindeutig ein Übel, wenn er zu früh eintritt und die Entwicklung eines Tieres unterbricht, bevor es seine adulte Gestalt erreicht hat – vorausgesetzt das Lebewesen ist sich dieser Entwicklung bewusst. Er ist auch dann ein Übel, wenn ein Tier zeitlich ausgedehnte Vorhaben oder sogar wiederholte Vorhaben mit einem Gedächtnis und einem Bewusstsein für Wiederholungen verfolgt. Singer und McMahan scheinen anzunehmen, dies treffe nur auf eine kleine Anzahl von Arten zu (Affen, Wale und Elefanten). Wir sollten ihnen darin jedoch nicht folgen: Wir sollten aus der Forschung lernen. Zeitlich ausgedehnte Vorhaben gibt es eindeutig im Leben aller Primaten, Elefanten, Vögel, Nagetiere, Rinder, Schweine, Meeressäuger, Hunde, Katzen und Pferde. Der Tod kann daher ein Übel für diese Lebewesen sein, und es wäre falsch, sie diesem Übel auszusetzen. Nur wenige Menschen essen heutzutage Hunde, Katzen, Pferde, Elefanten, Affen und Nagetiere, viele Menschen jedoch Wale, Vögel, Schweine und Rinder. Wie wir uns ebenfalls erinnern, gelangten wir in Kapitel 6 zu der Schlussfolgerung, dass es einige Tiere gibt, die über keine oder nur geringe Empfindungen zu verfügen scheinen. Dies gilt für diejenigen Tiere, die Aristoteles als „ortsgebunden“ bezeichnete, d. h. für Schwämme und Seeanemonen, ebenfalls für die meisten oder sogar alle Insekten und möglicherweise auch für Krebstiere – allerdings ausdrücklich nicht für Kopffüßer. Wir fügen Lebewesen ohne Empfindungen keinen Schaden zu, wenn wir sie töten, und da sie keinen Schmerz empfinden, müssen wir uns nicht allzu viele Gedanken über die Art und Weise

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der Tötung zu machen. Allerdings ist es stets eine gute Idee, sie schmerzlos zu töten, da wir möglicherweise durch künftige Erfahrung feststellen werden, dass wir uns geirrt haben, wie es im Fall der Hummer der Fall zu sein scheint. Eine weitere Tiergruppe, für die Bentham sich interessierte, waren die von ihm als „Schädlinge“ bezeichneten Tiere, die uns ständig zu belästigen versuchen. Viele von ihnen (Kakerlaken, Mücken, Fliegen) sind ohnehin Insekten, doch sollten wir auch Straßenratten (nicht Laborratten) in diese Kategorie einordnen. Hier war Bentham der Meinung, sie zu töten sei nach dem Prinzip der Selbstverteidigung akzeptabel, und ich stimme ihm darin grundsätzlich zu. Die meisten vernünftigen Selbstverteidigungsgesetze verlangen jedoch, dass sich der Angegriffene zurückzieht, bevor er tödliche Gewalt anwendet. Analog dazu sollten Menschen, wo immer sie können, nicht tödliche Mittel wie z. B. vorbeugende Mittel zur Selbstverteidigung einsetzen, statt die Schädlinge zu töten. Für Insekten gibt es solche Methoden bereits, und bei Ratten hat sich inzwischen gezeigt, dass sie für die Reduktion der Populationen sogar noch wirksamer sind als tödliche Methoden.11 Wir kommen nunmehr zum zentralen Thema. Die Hauptnahrungstiere sind Rinder, Schweine, Vögel und Fische. (Lämmer wurden ebenso wie Kälber wegen des Grundsatzes, keinem Tier das Erreichen seiner adulten Gestalt zu verwehren, bereits von der Liste gestrichen.) Bevor wir das Argument der Unterbrechung anwenden, sollten wir das kognitive Leben der einzelnen Tiere untersuchen. Schweine sind außerordentlich intelligent und haben eindeutig einen Sinn für zeitlich sich erstreckende Vorhaben. Vögel sind zu wunderbaren und hochentwickelten Planungen fähig, daher erscheint es mir vollkommen unplausibel, dass Hühnern diese gemeinsame Fähigkeit der Vögel fehlen sollten. Auch Rinder scheinen die Grenze zur Verwendung des Arguments der Unterbrechung eindeutig zu überschreiten. Selbst die humane Tötung dieser Tiere stellt für sie daher ein schweres Übel dar und ist aus diesem Grund falsch. Es ist jedoch plausibel, dass es einige Lebewesen gibt, vielleicht einige Fischarten, für die das Argument der Unterbrechung nicht gilt. Sie leben in einer immerwährenden Gegenwart, in der es keine sich über eine bestimmte Zeit erstreckenden Vorhaben gibt, die unterbrochen werden könnten, und sie erinnern sich nicht an das routinemäßige Verhalten, das sie wiederholt ausführen. Die Forschung ist sich in diesem Punkt nicht ganz sicher: Wenn eine Fischart in einer permanenten Gegenwart lebt, scheint es falsch zu sein, ihr zeitlich bezogene Emotionen wie Angst zuzuschreiben, wie es einige Wissenschaftler tun

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(vgl. Kap. 6). Es scheint jedoch wahrscheinlich zu sein, dass ihnen Angst aufgrund von aversivem Verhalten voreilig zugeschrieben wurde. Nun gut: Nehmen wir an, wir seien davon überzeugt, dass es Wesen gibt, die auf diese Weise von Moment zu Moment leben. Der utilitaristische Philosoph R. M. Hare stellt sich einen Fisch vor, der von seinem örtlichen Fischhändler mit einem Betäubungshammer fachgerecht schmerzlos getötet wird.12 Dieser Fisch schwamm frei herum und hatte bis kurz vor diesem Moment ein gutes (adultes) Leben. Der Fischexperte Jonathan Bolcombe beschreibt humane Fischereibetriebe, in denen solche Praktiken in großem Umfang verwendet werden.13 Bolcombe hält die Moral des Fischverzehrs für eine komplizierte Angelegenheit, die am besten dem Urteil jedes Einzelnen überlassen werde, sagt jedoch, dass er selbst Fisch isst. Hare hält den Verzehr eines auf diese Weise getöteten Fisches für moralisch vertretbar. In einer Antwort auf Hares Artikel stimmt Peter Singer ihm zu, obwohl er sagt, dass er selbst keinen human getöteten Fisch isst, da eine öffentliche Person einer deutlich einfacheren Richtlinie ihres Handelns folgen müsse. Wenn meine Argumentation richtig ist, ist der Tod für diese Lebewesen kein Übel. Obwohl wir uns den Tod intuitiv als die endgültige Vereitelung jeglichen Strebens vorstellen, vereitelt er in diesem Fall nicht die Vorhaben des Tieres, weil es keine zeitlich ausgedehnten Vorhaben gibt, die vereitelt werden könnten. Epikur hat in Bezug auf diese Lebewesen Recht, obwohl er sich in Bezug auf den Menschen und die meisten anderen Tiere geirrt hat. Fische sind insofern Subjekte der Gerechtigkeit, als ihnen durch das Zufügen von Schmerzen, durch Verhungernlassen oder durch einen schmerzhaften Tod ein Unrecht zugefügt werden kann. Treffen meine Argumente jedoch zu, dann wird ihnen durch einen schmerzlosen Tod mitten in einem gedeihlichen Leben kein Leid zugefügt. Müssen wir überhaupt warten, bis der Fisch das Erwachsenenalter erreicht hat? Haben Fische ein Bewusstsein für Reife als ein Ziel? Offenbar nicht, wenn sie tatsächlich im Augenblick leben. Dennoch kann man sich vorstellen, dass ein sehr junger Fisch ein flüchtiges Bewusstsein dafür hat, dass er klein ist, während andere Fische groß sind – der Fall ist demnach unklar. Deshalb ist es immer gut, vorsichtig zu sein und das Töten von Jungfischen zu vermeiden. Seit einigen Jahren esse ich etwa viermal pro Woche Fisch, obwohl ich aufgrund der zunehmenden Erkenntnisse über das kognitive Leben der Fische viele Bedenken und Zweifel habe. Der hohe Eiweißbedarf alternder Frauen, vor allem wenn sie sich viel bewegen, wie ich das tue, und meine Probleme bei der Verdauung von Linsen und Bohnen machen es mir schwer, mich auf eine

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vollständig vegane Ernährung umzustellen. Nach aktuellen Berechnungen benötigt eine 74 Jahre alte Frau mit einem Gewicht von 52 Kilo und einem hohen Maß an körperlicher Aktivität täglich zwischen 70 und 100 Gramm Protein. Während ich dieses Buch schrieb, habe ich einen ernsthaften Versuch unternommen, zu einer überwiegend vegetarischen Ernährung zu wechseln und nur noch ein- oder höchstens zweimal pro Woche Fisch zu essen. Das ist moralisch nicht eindeutig besser, denn die Milchindustrie (ich habe viel Joghurt gegessen) ist weniger human als eine humane Fischfabrik. Ich habe immer wieder versucht, auf Linsen umzusteigen, jedoch mit schlechten Verdauungsreaktionen. Und ich entdeckte rein zufällig, dass die Ernährungsumstellung mich schwächer gemacht hat. Ich habe das Nachlassen meiner sportlichen Leistungen einfach mit dem „Älterwerden“ erklärt. Doch im Mai 2021 traf es sich, dass ich die Reste eines Essens, das nach der Trauerfeier für meine Tochter serviert wurde – darunter eine größere Menge Heilbutt, eine ausgezeichnete Proteinquelle –, zufällig mit nach Hause nahm. Nachdem ich eine Woche lang jeden Tag Heilbutt gegessen hatte, stellte ich eine plötzliche Verbesserung meiner Muskelleistung fest; daher bin ich nun wieder zu einem höheren Fischkonsum zurückgekehrt.14 Was soll ich ethisch hierüber denken? Das Argument der Unterbrechung gibt mir zwar etwas, das ich mir selbst sagen kann; doch ich fühle mich nicht wohl dabei. Das Argument könnte falsch sein. Oder es könnte richtig sein, aber in Bezug auf Fische falsch. Es hilft auch nicht, dass angesichts des Leidens der Tiere in der Milchindustrie die Alternative einer milchlastigen vegetarischen Ernährung moralisch schlechter erscheint.

Zur Verteidigung moralischer Schwierigkeiten Gegenwärtig sieht es so aus, als ob Fischen durch einen schmerzlosen Tod kein Schaden zugefügt wird, wie dies bei Tieren mit anderen Formen kognitiven Lebens und mit zeitlich ausgedehnten Vorhaben zutreffen würde. Fische werden in der Regel im adulten Stadium getötet, und wenn sie zuvor vergnügt umherschwimmen und dann wirklich schmerzlos getötet werden, könnte man behaupten, dass der Tod für Fische überhaupt kein Übel ist, obwohl wir offen für neue Erkenntnisse sein müssen. Ich neige daher zu der Behauptung, dass Menschen wie ich Fische nicht nur als Mittel zu ihren eigenen Zwecken benutzen, denn ihnen wird kein Schaden

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zugefügt. Es ist nicht in jedem Fall unmoralisch, eine Person oder ein Lebewesen als Mittel zu benutzen: Ich benutze meine Forschungsassistenten als Mittel, um mein Manuskript zu verbessern; ich benutze Ärzte als Mittel, um meine Gesundheit zu erhalten. Problematisch wird es, wenn wir eine Person als bloßes Mittel benutzen, d. h. wenn wir ihre Würde nicht respektieren und sie auf verschiedene Weise ausbeuten. Ich würde zum Beispiel meine Forschungsassistenten ausbeuten, wenn ich sie schikanieren oder drangsalieren würde, oder wenn ich ihnen nicht den versprochenen Lohn zahlen würde. Ist jedoch Respekt vorhanden und wird kein Schaden zugefügt, dann sollten wir meiner Meinung nach zu dem Schluss kommen, dass die Person nicht bloß als Mittel benutzt wird. In Kapitel 9 werde ich erläutern, dass wir Schafe gebrauchen, wenn wir sie scheren, um ihre Wolle zu bekommen, aber eben nicht allein: Den Schafen wird hierdurch kein Schaden zugefügt, und sie profitieren in der Regel sogar davon. Die Frage ist also, ob das Töten von Fischen zum Verzehr eine Form von nicht schadendem Gebrauchen oder aber eine schädliche Form des bloßen Gebrauchens darstellt. Im Fall des Scherens von Schafen können wir uns eine Art hypothetischer Zustimmung vorstellen, wie im Fall human eingeschläferter Hunde oder Katzen („Diese Wolle ist schwer und lästig; ich willige ein, von ihr befreit zu werden“). Es ist jedoch schwer vorstellbar, dass ein Fisch eine stillschweigende Zustimmung zu seiner Tötung geben würde. Es gibt hier meines Erachtens vier moralische Probleme. Erstens sind wir Richter und Geschworene in unserem eigenen Fall, und die Möglichkeit, besondere Umstände geltend machen zu wollen – so wie es in diesem Kapitel der Fall war –, scheint immer auf. Warum bin ich so ausführlich auf das Argument der Unterbrechung eingegangen? Warum interpretiere ich die Befunde über Fische gerade so, wie ich dies tue? Ich versuche, ehrlich vorzugehen, aber wir sollten, wenn ein so eklatanter Interessenkonflikt vorliegt, aus guten Gründen skeptisch sein. Zweitens ist die Gewohnheit, empfindungsfähige Wesen als Mittel zu Zwecken zu verwenden, eine Art von Gewohnheit, die sich auf Fälle ausweiten kann, in denen das Argument der Unterbrechung uns noch nicht einmal vorgeblich entlastet. Wenn Fisch gegessen werden kann, warum dann nicht auch Fleisch aus humaner Haltung jeglicher Form? Wir vernachlässigen unsere moralische Wachsamkeit auf eigene Gefahr. Ein drittes Problem hängt damit zusammen: Wenn Fisch als Nahrungsmittel zulässig ist, warum sollte dann nicht auch die Sportfischerei erlaubt sein? Ein

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nützlicher Zweck ist einem anderen sehr ähnlich, und wenn wir Argumente dafür vorbringen, dass kein Schaden zugefügt wird, könnten wir noch weiter gehen und nicht nur das Fischen, sondern auch die Jagd befürworten. Freilich habe ich festgelegt, der Tod müsse schmerzlos sein. Das ist bei der Verwendung von Leinen und Netzen zum Fischfang nie der Fall, doch man könnte sich eine verbesserte Form dieser Praktiken vorstellen. Die Jagd kann, wenn sie von hoch qualifizierten Schützen durchgeführt wird, schmerzlos sein. Die meisten Jäger sind allerdings de facto nicht hoch qualifiziert. Viertens ist da noch die reine Tatsache der instrumentellen Verwendung eines anderen empfindungsfähigen Wesens. Selbst wenn sie dem Wesen keinen wirklichen Schaden zufügt, stellt sie doch eine Art von Herrschaft über dieses andere Leben dar. Sie beansprucht eine Autorität, die ungerechtfertigt erscheint. Das ist die Wahrheit des Veganismus. Wer hat uns gesagt, dass wir das tun dürfen? Ich lehne die vegane Argumentation zwar im Falle des Scherens von Schafen ab, doch der Fall des Fischverzehrs bleibt ungewöhnlich schwierig. Müssten wir aufgrund unserer artspezifischen Fähigkeiten zur moralischen Abwägung in diesem Fall, in dem so Vieles noch unbekannt ist, nicht vorsichtiger sein? Bestimmen die Lebensform und die artspezifischen Fähigkeiten mit darüber, was für ein empfindungsfähiges Lebewesen ein Übel sein kann, dann bestimmen sie auch darüber mit, was für ein empfindungsfähiges Lebewesen ein Fehlverhalten sein kann. Mit unserer spezifischen Lebensform verbindet sich eine besondere Verantwortung.

Welche Alternativen gibt es? Was können und sollten wir tun, wenn wir mit diesen komplexen Fragen ringen? Zunächst einmal können wir uns mit ihnen intensiv auseinandersetzen, was bereits einen Fortschritt darstellt. Das Ringen mit diesen Fragen macht das gegenwärtige Verhalten allerdings nicht richtig. Wir stehen damit vor einer bekannten Frage der politischen Theorie: Sollen wir gradualistisch oder revolutionär vorgehen? Mit anderen Worten: Sollten wir uns und andere dazu ermutigen, zahlreiche, das Leben der Tiere verbessernde Veränderungen vorzunehmen, ohne dadurch das maximale ethische Ziel (wie ich es entwickelt habe) zu erreichen? Manche Leute halten diese Art der schrittweisen Verbesserung für einen verwerflichen liberalen „Revisionismus“: Akzeptabel scheint allein der vollständige

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Das Übel des Todes

revolutionäre Wandel zu sein, den wir uns ausmalen können, und es dürfen dabei keine Abstriche gemacht werden. In jeder Gerechtigkeitsbewegung hat diese Diskussion stattgefunden, und sie wurde von Fall zu Fall unterschiedlich gelöst. Nur wenige Leser meiner Texte wird es überraschen, dass ich im Grunde eine liberale Revisionistin bin, allerdings mit einer revolutionären Ader. Einige Übel, wie die Sklaverei, wirken so abscheulich, dass nur eine vollständige, totale und sofortige Abschaffung moralisch akzeptabel zu sein scheint. In diese Kategorie würde ich die industrielle Massentierhaltung, die Verwendung von Tieren zur Pelzgewinnung sowie die Jagd als eine Sportart einordnen. Wenn wir die Sklaverei schon nicht sofort abschaffen können, so sollten wir uns zumindest weigern, uns daran zu beteiligen, und zwar sofort und umfassend. Bei anderen Missständen sieht es anders aus: Ist das Gewissen der Menschheit erst einmal aufgerüttelt, können wir mit der Zeit daran arbeiten, unsere Kultur zu verändern und die Übel schließlich zu beseitigen. Der Sexismus scheint mir ein solcher Fall zu sein: Er ist so vielfältig, so tief in das Gefüge des täglichen Lebens jeder Gesellschaft eingewoben, dass seine Abschaffung auf einen Schlag nicht möglich ist, und die Verweigerung der Teilnahme an davon betroffenen Institutionen dürfte sich als persönlich schwierig, aber auch als kontraproduktiv erweisen – obwohl in den Anfängen des Feminismus einige separatistische Feministinnen diesen Weg zu gehen versuchten. Dieser Kategorie würde ich (mit dem Argument der Unterbrechung) die nicht schädigende Tötung von Tieren zuordnen, die dennoch ein Fall von instrumentellem Gebrauch und von Herrschaft ist, wovor wir zurückschrecken sollten. Ich bin daher der Meinung, dass die humane Züchtung, zumindest von Fischen, ein großer Fortschritt wäre, wenn auch nicht das endgültige Ziel. So, wie viele Menschen versuchen, ihren CO2-Fußabdruck zu reduzieren, auch wenn sie noch nicht in der Lage sind, ihn vollständig zu minimieren, können wir allmählich das Ausmaß verringern, in dem unser Leben von diesen scheußlichen Praktiken abhängt. Nun müssen wir ein weiteres Thema behandeln: die Kosten. Zumindest gegenwärtig ist Fisch aus humaner Haltung, ebenso wie Eier aus Freilandhaltung, ziemlich teuer. Treten wir daher dafür ein, zu dieser Art von Ernährung überzugehen, dann ignorieren wir Fragen der Klasse und der wirtschaftlichen Möglichkeiten, d. h. die Tatsache, dass die moralisch bessere Option  – und damit der von mir empfohlene allmähliche Übergang – für ärmere Familien nur unter Opfern möglich ist. (Gleiches könnte auch für eine hochwertige vegane Ernährung gelten, obwohl die dafür notwendigen Berechnungen nur schwer

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durchzuführen sind.) Wenn, wie wir in der Philosophie oft sagen, das „Sollen“ das „Können“ einschließt – d. h. dass etwas nur verpflichtend sein kann, wenn es auch möglich ist –, dann ist es nicht offensichtlich, dass wir die von mir beschriebene Ernährung (selbst mit Vorbehalten) als moralische Norm für alle empfehlen können. Dennoch werden die Kosten erst dann sinken, wenn sich viele dafür entscheiden. Mit diesem Problem werden wir uns im nächsten Kapitel erneut befassen, wenn wir uns fragen werden, wie diese und andere scheinbar tragische Dilemmata behoben werden können. Wenden wir uns daher nun dem Thema der tragischen Dilemmata zu, um weiter und mit besseren Ergebnissen über diesen moralischen Wandel nachzudenken.

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Tragische Konflikte und wie man sie überwindet

Zwischen den Interessen der Menschen und denen der anderen Tiere kommt es häufig zu Konflikten. Bei manchen Konflikten geht es um Land und Ressourcen, beispielsweise zwischen Elefanten und Dorfbewohnern, die um denselben Raum, dieselben Bäume konkurrieren. Zahlreiche medizinische Experimente, die sowohl Menschen- als auch Tierleben retten, fügen den dafür verwendeten Tieren Schaden zu. Es gibt viele Fälle, in denen gefährdete Bevölkerungsgruppen behaupten, dass ihre Existenz als Volk die Fortsetzung grausamer Praktiken, die den betroffenen Tieren großes Leid zufügen, erforderlich macht. Diese Konflikte sind kompliziert, und es ist schwer, sie zu durchdenken. Zumindest bei einigen von ihnen scheint es sich um ernste Konflikte zu handeln. Wenn wir den Fähigkeitenansatz verteidigen wollen, müssen wir uns diesem Thema stellen, denn es könnte der Eindruck entstehen, dass uns die Wertschätzung der Fähigkeiten verschiedener Tiere lediglich in ein gedankliches Durcheinander führt. In diesem Kapitel lege ich Argumente dafür vor, dass uns das Nachdenken über die Idee tragischer Dilemmata helfen wird, hier weiterzukommen. Zwei übliche Herangehensweisen an diese tragischen Dilemmata sind meines Erachtens höchst abträglich. Die erste besteht in dem, was man als Jammern und Wehklagen bezeichnen könnte: Man ringt die Hände und sagt, wie schrecklich es um die Dinge in unserer Welt gegenwärtig bestellt ist, ohne auch nur neugierig darauf zu sein, wie sie sich verbessern ließen. Die zweite, mit der ersten eng verwandte Herangehensweise besteht in dem, was wir als selbsthassenden Defätismus bezeichnen könnten: Es ist der menschlichen Maßlosigkeit geschuldet, dass wir uns in der derzeitigen schlimmen Situation befinden. Es gibt nichts, was wir daran ändern könnten, außer viele unserer Ambitionen aufzugeben und ein eingeschränktes und demütiges Leben zu führen. (Viele griechische Tragödien enden mit dieser Botschaft.) Beide Herangehensweisen sind heute weit verbreitet. Der Begriff „Anthropozän“ wird häufig deskriptiv

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verwendet, um unser Zeitalter der Beherrschung der Welt durch den Menschen zu beschreiben, aber auch normativ, um ein Übel zu benennen und eine starke negative Reaktion auf dieses Übel zum Ausdruck zu bringen. Was in beiden Fällen falsch ist, ist das Fehlen einer auf die Zukunft gerichteten Veränderung. Wir können zwar die Vergangenheit, die zu der schlimmen Situation geführt hat, nicht ungeschehen machen, doch es lassen sich möglicherweise Wege finden, wie wir sie hinter uns lassen können. Und obwohl der menschliche Ehrgeiz viele Probleme in unserer Welt verursacht hat, kann er auch eine Quelle der Verbesserung sein.

Was sind tragische Dilemmata? Tragische Dilemmata tragen diese Bezeichnung, weil sie in der antiken griechischen Tragödie eine herausragende Rolle spielen. Ein typischer Fall ist Aischylos’ König Agamemnon, der von den Göttern aufgefordert wird, ihnen seine eigene Tochter Iphigenie zu opfern; anderenfalls müsste er die Vernichtung seiner gesamten Armee (einschließlich des Königs und seiner Tochter) hinnehmen. Zutiefst erschüttert schreit er auf: „Welcher dieser beiden Ausgänge ist ohne Übel?“ Es ist wichtig zu erwähnen, dass Agamemnon keine schlechte Tat begangen hat, die ihn in diese schreckliche Lage versetzte.1 Der Fall Agamemnon ist schwer zu entscheiden. So wie ich ihn beschrieben habe, ist er zwar tatsächlich überhaupt nicht schwer zu entscheiden, da die zweite Alternative den Tod aller zur Folge hat – dennoch verlangen beide Alternativen von ihm, dass er etwas moralisch Furchtbares tut. Entweder er tötet seine eigene Tochter, für die er die väterliche Verantwortung trägt, oder er tötet die gesamte Armee, für die er die Verantwortung eines Heerführers trägt. (Nehmen wir an, er habe keine dritte Alternative, wie z. B. sich zurückzuziehen.) Da wir gerne davon ausgehen, dass das, was wir tun sollten, auch stets in unserer Macht steht – „Sollen impliziert Können“ –, ist die Existenz solcher Dilemmata eine Zumutung für unser Gefühl von Kompetenz und Macht. Es ist schlimm genug, wenn das Universum uns einen Verlust zufügt. Schlimmer ist es, wenn es moralisch gesinnte Menschen dazu zwingt, einen moralischen Fehler zu begehen. Das Leben ist voll kleiner und großer tragischer Zwangslagen. Sie kommen dadurch zustande, dass Menschen, mit guten Gründen, eine Vielzahl von Werten

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pflegen, es aufgrund von Ereignissen, die sich ihrer Kontrolle entziehen, jedoch unmöglich ist, die moralischen Anforderungen sämtlicher Werte zu erfüllen. Manchmal werden sie durch die Notsituation eines Krieges gezwungen. In Bürgerkriegen befinden sich die Mitglieder einer Familie häufig auf entgegengesetzten Seiten des Streits und geraten so in ein tragisches Dilemma zwischen der Verpflichtung gegenüber ihrer Sache und der Verpflichtung gegenüber ihren Verwandten. Es überrascht daher nicht, dass die fatalen Aspekte von Bürgerkriegen in der tragischen Literatur vieler Kulturen eine zentrale Rolle spielen. Bei tragischen Dilemmata geht es nicht nur darum, Kosten und Nutzen abzuwägen. Um herauszufinden, was zu tun ist, sollten wir dies immer tun. Hier aber sollten wir zusätzlich beachten, dass es sich um eine besondere Art von Kosten handelt, die darin bestehen, dass man – unabhängig von dem, was man tut – eine wichtige Norm verletzt, die man einhalten möchte.2 Was sollte daraus folgen? Eine angemessene Reaktion umfasst offenbar sowohl das Eingeständnis einer schweren Schuld aufgrund der eigenen Handlung als auch den Entschluss, die Schuld zukünftig auf jede denkbare Weise wiedergutzumachen, indem man sein allgemeines Engagement für jenen Wert bekräftigt, der in der Krisensituation unser Handeln nicht bestimmt hat.3 Darüber hinaus kann eine gute Vorsorge möglicherweise verhindern, dass moralische Menschen in Zukunft in solche tragischen Situationen geraten. An dieser Stelle möchte ich auf die Behandlung der Tragödie durch den Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel eingehen, der ich mich anschließe. Tragische Konflikte zwischen zwei Wertesphären, so behauptet er, regen die Fantasie an, um weiterzudenken und die Welt zu verändern, denn es wäre besser, wenn man einen Weg finden könnte, um die Situation der tragischen Wahl von vornherein zu verhindern. Jetzt befinden wir uns in der Situation der schlechten Wahl – beim nächsten Mal sollten wir jedoch herauszufinden versuchen, wie sie verhindert werden kann. Dies ist nicht immer möglich, doch Hegel verstand, dass Tragödien die moralische Vorstellungskraft dazu anregen, eine Welt zu entwerfen, die frei wäre von dem Dilemma, das den Akteuren solche Schrecken bereitet, und so eine „Aufhebung“ des Dilemmas herbeizuführen. Bezüglich des Dilemmas in Sophokles’ Antigone, wo der Staat Antigone befiehlt, ihre heilige religiöse Pflicht zu verletzen, meinte Hegel, der moderne liberale Staat habe Wege gefunden, sowohl die bürgerliche Ordnung als auch das Recht der Menschen, ihre religiösen Pflichten zu erfüllen, zu schützen.

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Es ist nicht so einfach, wie er behauptet hat, doch es ist ein gutes Ziel, mit dem man arbeiten kann. George Washington schrieb 1789 an die Quäker, dass sie nicht zum Militärdienst verpflichtet werden würden: „Ich versichere ihnen ausdrücklich, dass meines Erachtens die Gewissensskrupel aller Menschen mit großem Feingefühl und großer Rücksicht behandelt werden sollten; und es ist mein Wunsch und mein Verlangen, dass die Gesetze ihnen immer so weit entgegenkommen, wie es die gebührende Rücksicht auf den Schutz und die wesentlichen Interessen der Nation rechtfertigen und erlauben mag.“ Viele tragische Dilemmata, wenn auch nicht alle, werden durch diese Vorgehensweise „aufgehoben“, und zwar genau auf die von Hegel empfohlene Weise. Wenn wir Hegels Auffassung verstanden haben, erscheinen viele alltägliche Tragödien schlichtweg empörend. Besorgte Eltern fühlen sich oft schmerzlich zwischen den Verpflichtungen des Arbeitsplatzes und der Kinderbetreuung hin- und hergerissen. Die uns vertrauten Arbeitsplätze wurden ursprünglich für Männer konzipiert, die sich nicht viel um die Kinderbetreuung kümmerten. Diese Arbeitsplätze boten in der Regel nicht die Flexibilität, die Eltern benötigen. Heute versucht man oft, eine Zeitplanung zu entwerfen, die Eltern von diesen schmerzlichen Konflikten entlastet (oft, jedoch nicht oft genug). So versucht man beispielsweise von Mitarbeitern nicht zu verlangen, dass sie zu den Zeiten, zu denen Schulen und Kindertagesstätten geschlossen sind, im Büro anwesend sind. Also: Ertragen wir nicht schweigend Schuld verursachende Entscheidungssituationen, sondern verändern wir die Welt. Veränderungen im Sinne Hegels sind nicht immer möglich, doch wer weiß schon, was wir tun können, bevor wir unsere politische Fantasie in Bewegung setzen? Die Regierungen der indischen Bundesstaaten Kerala und Tamil Nadu stellten fest, dass viele arme Eltern ihre Kinder von der Schule fernhielten, weil nur durch die Arbeit der Kinder das Überleben der ganzen Familie gesichert werden konnte. Doch indem sie die Kinder von der Schule fernhielten, waren diese Familien zu einem Leben am Existenzminimum verdammt, statt ihr Problem lösen zu können. Die Landesregierungen unternahmen zwei Schritte im Sinne Hegels: Erstens wurden die Schulzeiten aufgeteilt, sodass die Eltern die Stunden wählen konnten, die mit einer Weiterarbeit ihres Kindes in gewissem Umfang vereinbar waren. Zweitens, und das war noch wichtiger, subventionierte die Regierung eine nahrhafte Mittagsmahlzeit für alle Kinder, welche die Schule besuchten. Der Kalorien- und Proteingehalt war gesetzlich festgelegt und glich den Verdienstausfall des Kindes mehr als aus. In der Folge

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ordnete der Oberste Gerichtshof Indiens an, dass sämtliche Schulen in allen Bundesstaaten eine Mittagsmahlzeit anbieten müssen, und ihr Eiweiß- und Kaloriengehalt ist weiterhin vorgeschrieben. Was die Regierung hier unternahm, steht vollständig im Einklang mit dem Fähigkeitenansatz. Zunächst hat sie mehrere Ziele benannt, die eine gerechte Gesellschaft erreichen muss: Gesundheit und Bildung. Sodann erkannte sie, dass die aktuelle Situation zu einem tragischen Konflikt zwischen zwei wichtigen Fähigkeiten führte. Sie analysierte diese Fähigkeiten und überzeugte die Menschen, dass beide für wirklich wichtige Werte stehen, die respektiert werden müssen. Statt eine der beiden Fähigkeiten zu ignorieren oder ihre Priorität zu verringern, stellte sie sich schließlich eine Lösung vor, die es ermöglicht, beide Fähigkeiten bis zu einem angemessenen Schwellenwert zu realisieren. Bei der Anwendung des Fähigkeitenansatzes auf eine bestimmte Situation, die nach einem tragischen Dilemma aussieht, müssen alle drei Schritte durchlaufen werden. Kann uns die Hegel’sche Auffassung bei den Dilemmata weiterhelfen, durch die unser Umgang mit den anderen Tieren geprägt ist? Ich glaube, ja, wenn wir uns dem moralischen Gewicht dieser Dilemmata stellen. Betrachten wir vier Lebensbereiche, in denen wir moralisches Unbehagen erleben: medizinische Experimente, Fleischverzehr, Fragen, die durch die Jagdpraktiken bedrohter traditioneller Kulturen aufgeworfen werden, und schließlich größere und allgemeinere Konflikte im Zusammenhang mit Raum und Ressourcen. Stellen wir in jedem dieser Fälle Hegels Frage: Welche gesellschaftlichen und rechtlichen Veränderungen würden das Dilemma – sofern es tatsächlich tragisch ist – „aufheben“ oder beseitigen?

Medizinische Experimente an Tieren Medizinische Tierversuche stellen gegenwärtig einen tragischen Konflikt dar. Auf der einen Seite geht es darum, das Leben von Menschen und Tieren zu retten, wozu die Forschung an Tieren in der Vergangenheit einen großen Beitrag geleistet hat. Andererseits haben die Versuche den Tieren fürchterliche Qualen zugefügt und zu unzähligen vorzeitigen Toden geführt. Die Behandlung von Versuchstieren zeigte zudem fast kein Verständnis für ihre komplexen Lebensformen. So ist die isolierte Haltung in Einzelkäfigen die Norm, obwohl die Forschung gezeigt hat, dass selbst Ratten und Mäuse komplexe soziale Lebewesen sind.

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Nur sehr wenige Tierschützer wollen, dass jegliche Tierversuche sofort beendet werden. Es gibt dabei zu viel zu gewinnen, auch für die Tiere selbst. Peter Singer hat daher eine differenzierte Position eingenommen, die besagt, dass Tierversuche in einigen Fällen gerechtfertigt sind.4 Zu fragen ist jedoch nicht nur, ob die Versuche insgesamt gerechtfertigt sind, sondern auch, ob und wann sie tragisch sind und eine moralische Norm verletzen. Wenn Versuche tragisch sind, zeigt uns dies an, dass wir so schnell wie möglich handeln müssen, um die Tragödie „aufzuheben“, indem wir unsere Praktiken ändern. Gliedern wir diesen Komplex in drei Probleme auf. Zum einen geht es um die Schäden, die vielen Tieren durch die Einschränkung ihrer Fähigkeiten und einen vorzeitigen Tod zugefügt werden, selbst wenn dies schmerzfrei erfolgt und sie vorher ein voll entwickeltes Leben geführt haben. Zweitens ist da der Schaden, der den Tieren zugefügt wird, indem ihnen während der Experimente Schmerzen zugefügt werden, unabhängig davon, ob sie zum Tod führen oder nicht. Das Dritte sind die Entbehrungen, welche die Tiere – mit oder ohne Todesfolge – aufgrund der Versuchsbedingungen erleiden. Alle drei Probleme stellen im Moment ein scheinbar tragisches Dilemma dar: Die Forscher müssen durch die Experimente eine moralische Norm verletzen, um nicht auf ein wichtiges Gut zu verzichten. Das zweite Problem kann ohne größere Veränderungen der Vorgehensweise, welcher die Wissenschaftler bei der Durchführung der Experimente folgen, so gelöst werden, dass der tragische Konflikt beseitigt wird. Schmerzlinderung ist heute die Norm in den Richtlinien der Forschung. Das erste und dritte Problem aber setzen einer Lösung einen größeren Widerstand entgegen: Sie bedarf neuer Forschungsmethoden. Wenden wir uns dem dritten Problem zu, und betrachten wir die Bedingungen, unter denen Versuchstiere normalerweise leben. Ihre gesamte Welt besteht aus einem kahlen, einsamen Käfig, als seien sie bloße Sachen ohne komplexe Lebensformen. Menschen, die sich über die dürftigen Lebensbedingungen vieler Tiere in Zoos empören, sind sich oft nicht dessen bewusst, dass das typische Leben eines Versuchstiers noch viel verarmter ist. Der Fähigkeitenansatz empfiehlt, die gesamte Lebensform jeder Art von Lebewesen so gut wie irgend möglich zu erfassen und ein artgerechtes Leben zu ermöglichen, das nicht nur Freude und Schmerz, sondern auch Bewegung, Anregung und Freundschaft berücksichtigt. Damit setzt er ein viel anspruchsvolleres Ziel als die meisten aktuellen Forschungsleitlinien, die sich auf das Lindern von Schmerzen konzentrieren. Doch wenn man ernsthaft darüber nach-

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denken würde, sollten seine Forderungen relativ leicht zu erfüllen sein. All dies setzt voraus, dass wir über eine Forschung reden, die nicht ihrem Wesen nach Krankheiten und Schmerzen verursacht. Wir können viel von Tieren lernen, selbst wenn wir sie gut behandeln. Einige Tiere sollten überhaupt nicht in Gefangenschaft gehalten werden  – hierauf werde ich in Kapitel  10 eingehen. Doch für diejenigen Tiere, für die eine Gefangenschaft moralisch vertretbar sein könnte, sollte die „Gefangenschaft“ eine Welt voller Möglichkeiten zur Erkundung, zu sozialem Kontakt, zur gesunden Ernährung und zu freier Bewegung umfassen. Dieses Ziel ist natürlich weit davon entfernt, verwirklicht zu werden, doch lenkt der Fähigkeitenansatz unseren Blick zumindest auf eine umfassendere – und erreichbare – Zielvorstellung. In Forschungsbereichen, die zur Einschränkung von Fähigkeiten und zum Tod führen, sind durch Vorschriften und Gesetze einige Fortschritte erzielt worden. Die drei „Rs“, das Mantra des Nuffield Council of Bioethics in Großbritannien (2005)  – Reduction, Refinement und Replacement (Verringerung, Verfeinerung und Verdrängen) –, sind zu Schlagwörtern sämtlicher Regulierungsbehörden geworden: Die Schäden sollen verringert werden; die Techniken sollen verfeinert werden, um weniger Schäden zu verursachen; und die Forschung mit Tieren soll, wo möglich, von anderen Arten der Forschung verdrängt werden.5 Die von der Kommission erarbeiteten Leitlinien sind wenig ehrgeizig, was auf die oft erwähnten Meinungsverschiedenheiten zwischen den Mitgliedern zurückzuführen ist. Dennoch ist heute nicht mehr alles erlaubt, was früher Routine war. Die Kommission formuliert als fernes Ziel für die Forscher eine Welt ohne Tierversuche und besteht in der Zwischenzeit auf einer Rechtfertigung der noch durchgeführten Forschungen für jeden Einzelfall.6 Darüber hinaus stellt die Kommission in nützlicher Weise fest, dass eine Kultur der Regulierung, obwohl sie alles in allem höchst wünschenswert ist, die Menschen auch von moralischen Überlegungen abhalten kann. Der Bericht des Council ist zwar kein rechtlich durchsetzbares Dokument, aber dennoch ein Vorbote des Fortschritts. Die Gesetzgebung zur Umsetzung dieser Ideen ist der nächste Schritt für jedes einzelne Land. Die gesamte Debatte über Begrenzung und Regulierung ist jedoch durch das Scala-Naturae-Denken zutiefst mit Fehlern behaftet: So hängt selbst in den Schriften führender Ethiker das, was erlaubt ist, oft davon ab, wie „hoch“ ein Lebewesen auf der Leiter steht, und Ratten, Mäuse und Fische werden als den großen Wirbeltieren vollkommen unähnlich eingestuft. Besonders verdächtig

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ist, dass Menschenaffen unter besonderen Schutz gestellt werden.7 Schon die Struktur der Debatte ist problematisch. So erkennt das Nuffield Council beispielsweise drei Positionen an: 1) Die Sichtweise der klaren Linie: „Es gibt etwas Besonderes am Menschen, und alle Menschen verfügen über eine moralisch wichtige Eigenschaft, die sämtlichen Tieren fehlt.“ 2) Die Sichtweise des Abstiegs auf einer moralischen Skala: „Es gibt eine Hierarchie der moralischen Bedeutung, an deren Spitze der Mensch steht, gefolgt von Primaten und anderen Säugetierarten […] und wirbellosen Tieren sowie den einzelligen Lebewesen am unteren Ende.“ 3) Die Sichtweise der moralischen Gleichwertigkeit: „Es gibt keine kategorische Unterscheidung zwischen menschlichen und nicht menschlichen Tieren, und sie sind moralisch gleichwertig.“

Nur die Optionen 1 und 2 sind ausdrücklich in der Scala Naturae verankert. In der gesamten Liste, einschließlich der dritten Option, fehlt jedoch der Gedanke, dass jede Art von Lebewesen eine besondere Lebensform besitzt und dass diese vorgibt, was für ein bestimmtes Tier ein Schaden sein kann und was nicht. Wir können und sollten auffällige Unterschiede zwischen den Arten anerkennen (mit der Empfindungsfähigkeit als Schwellenwert, wie ich es in Kapitel 6 empfehle), wenn wir fragen, welchen Schaden eine vorgeschlagene Untersuchungsform anrichten wird. Das bedeutet aber ausdrücklich nicht, dass wir alle Lebewesen in eine Hierarchie einordnen. Außerdem wächst das Bewusstsein dafür, dass nicht alle menschlichen Ziele wichtig sind. Bereits Bentham hat hierauf bestanden (vgl. Kapitel 3 und 7), aber wir müssen dieses Argument wiederentdecken. So sind etwa die Tests von Kosmetika an Kaninchen in die Kritik geraten, und es gibt heute im Bereich der Schönheitspflege nicht tragische moralische Optionen. Die Anwendung von Tierversuchen in der toxikologischen Forschung hat zwar aufgrund der öffentlichen Sorge über die Risiken chemischer Stoffe zugenommen, sie ist allerdings auch zunehmend in die Kritik geraten, sodass einige führende Bioethiker ihre vollständige Abschaffung fordern. Eine andere Herausforderung für das derzeitige Denken und sogar für die schrittweisen Reformbemühungen des Nuffield Counsils ergibt sich aus dem Vorliegen von immer mehr Beweisen dafür, dass Tiermodelle nicht sehr zu-

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verlässig sind. Wissenschaftliche Debatten in diesem Bereich sind hochgradig politisiert, und für den Laien ist es schwer zu sagen, wem er vertrauen kann. Das Nuffield Council bezieht in der Frage der Zuverlässigkeit von Tiermodellen eine bewusst agnostische Position, wahrscheinlich aufgrund mangelnder Übereinstimmung unter ihren Mitgliedern. In jüngerer Zeit hat Aysha Akhtar eine wachsende Zahl wissenschaftlicher Arbeiten zu dieser Frage herangezogen und begründet, warum wir inzwischen mit Sicherheit sagen können, dass viele tiergestützte Forschungsarbeiten unzuverlässig sind und dadurch hohe Kosten entstehen, indem sie zu falschen Behandlungen führen und andere Behandlungen, die sich als besser hätten erweisen können, aufgegeben werden. Akhtar kommt zu dem Schluss, dass die Kosten der Tierversuche – selbst wenn wir uns nur auf den Menschen konzentrieren – den Nutzen überwiegen.8 In derselben Publikation, die sich mit Toxizitätstests befasst, kommt Andrew Rowan zu dem Schluss, dass die Vorhersagewahrscheinlichkeit bei Tierversuchen im Durchschnitt nur bei 50 bis 60 Prozent liegt, bei Studien mit Nagetieren sogar unter 50 Prozent, und damit weniger genau ist als eine Entscheidung per Münzwurf.9 Trifft diese neue Argumentationslinie zu, dann stellt die Forschung an Tieren kein tragisches Dilemma dar, weil dadurch nichts gewonnen wird; doch es ist unwahrscheinlich, dass eine solch pauschale Schlussfolgerung richtig ist. In den Bereichen, in denen Tierversuche nicht sinnvoll sind, sollten wir sie einfach aufgeben und die Forderung der Kommission begrüßen, Tierversuche von Fall zu Fall auf der Grundlage solider Beweise zu rechtfertigen. Es gibt allerdings auch andere Bereiche, in denen mit unmoralischen Praktiken ein großer medizinischer Nutzen sowohl für den Menschen als auch für andere Tiere erzielt wird.10 Die potenziell nützliche Forschung ersatzlos einzustellen, würde sowohl Menschen als auch anderen Tieren schaden. Zumindest hier befinden wir uns also in einem tragischen Dilemma, sofern wir der Überzeugung sind – wie ich es bin –, dass es ein moralisches Gebot zum Retten von Leben gibt. Trotz alledem ist dies ein Fall, in dem wir eindeutig Hegels Licht am Ende des Tunnels erblicken können. Computersimulationen und andere Technologien entwickeln sich rasant, und sie versprechen nicht nur eine Linderung von schädlichen Folgen, sondern den vollständigen Ersatz der Verwendung von Tieren, zumindest in Fällen, in denen wir ähnliche Forschungsstrategien mit Menschen nicht zulassen würden. Selbst das vorsichtige Nuffield Council empfiehlt das „dritte R“, das Replacment (die Verdrängung), wo immer dies möglich ist. Ethiker gehen noch weiter: Sie empfehlen massive Investitionen in Computer-

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modelle. Angesichts der Probleme mit der Zuverlässigkeit versprechen diese Ersatzmethoden sowohl qualitative Vorteile als auch das Vermeiden ethischer Belastungen. Während der Übergangszeit, die so kurz wie möglich sein sollte, müssen die Versuchstiere angemessen untergebracht werden, d. h. es muss auf ihre artspezifischen physischen, psychischen und emotionalen Bedürfnisse eingegangen werden. Das Zufügen von Schmerzen muss strengstens begrenzt und das Lindern von Schmerzen muss obligatorisch werden. All dies und noch vieles mehr wird in der wichtigen neueren Arbeit von Tom L. Beauchamp und David DeGrazia in ihrem 2020 erschienenen Buch Principles of Animal Research Ethics11 in systematischer Form dargelegt. Diese Arbeit wird in Kürze den Ansatz des Nuffield Council als normatives Regelwerk in diesem Bereich ablösen, und das ist auch gut so. Sie enthält mehrere definitive Fortschritte. Erstens bestehen die Autoren darauf, dass sämtliche Wirbeltiere und Kopffüßer empfindungsfähig sind, dass sie über eine eigene Sicht der Welt verfügen und dass sie demzufolge eine ernsthafte moralische Berücksichtigung verdient haben. Sie vermeiden jegliche Wertung im Sinne der Scala-Naturae, obwohl sie bei diesem Thema auf Nummer sicher gehen, indem sie dieses Denken auch nicht kritisieren. Zweitens formulieren sie eine Reihe von Grundsätzen, die sowohl eindeutiger sind als der bisherige Ansatz als auch umfassender, da sie sich de facto einen Fähigkeitenansatz für den Schutz einer bestimmten Lebensform zu eigen machen. Beauchamp und DeGrazia empfehlen drei Grundprinzipien: 1) Das Prinzip „Kein unnötiger Schaden“: Tieren als Versuchsobjekten darf kein Schaden zugefügt werden, es sei denn, ein bestimmter Schaden ist für wissenschaftliche Zwecke notwendig und moralisch zu rechtfertigen. 2) Das Prinzip der Grundbedürfnisse: Die Grundbedürfnisse von Versuchstieren müssen bei der Durchführung von Untersuchungen erfüllt werden, es sei denn, das Nichtbeachten bestimmter Grundbedürfnisse ist für wissenschaftliche Zwecke notwendig und moralisch zu rechtfertigen. 3) Das Prinzip der Schadensbegrenzung: Versuchstiere dürfen nicht über einen längeren Zeitraum leiden. In seltenen, außergewöhnlichen Fällen können Ausnahmen gemacht werden, wenn die Unter-

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suchung für entscheidend wichtige soziale und wissenschaftliche Zwecke notwendig und moralisch zu rechtfertigen ist.

Die Autoren haben zu den einzelnen Prinzipien noch sehr viel mehr zu sagen. Sie sind gewiss strenger als der Ansatz des Nuffield Council, obwohl es einige offensichtliche Lücken gibt, wie etwa ihre Enthaltung bezüglich der Frage, ob das Übel eines vorzeitigen Todes gerechtfertigt werden kann. Immerhin erkennen sie die tragische Natur der Entscheidung an: Ein vorzeitiger Tod ist ein Übel. Und sie erkennen ferner an, dass ein von Hegel inspirierter Ansatz sämtlichen Schaden verursachenden Ansätzen überlegen ist, indem sie darauf bestehen, dass eine keinen Schaden verursachende Alternative – so es sie denn gibt – allem vorzuziehen ist, was Tieren schadet. Von besonderer Wichtigkeit ist ihre Darstellung der Grundbedürfnisse, die sich weitgehend mit den Empfehlungen des Fähigkeitenansatzes deckt. Ihre Liste umfasst folgende Punkte: −  nahrhaftes Futter und sauberes Wasser −  eine sichere Unterbringung −  angemessene Anregung, Bewegung sowie Möglichkeiten für artspezifisches Verhalten −  ausreichende Ruhezeiten zum Erhalt des körperlichen und (gegebenenfalls) seelischen Wohlergehens −  tierärztliche Versorgung −  bei geselligen Tierarten Zugang zu passenden Artgenossen oder Mitgliedern der sozialen Gruppe −  Freiheit von erheblichen experimentellen Beeinträchtigungen wie Schmerzen, Ängsten und Leiden −  Freiheit von Krankheit, Verletzung und Behinderung −  Bewegungsfreiheit mit ausreichendem Platz12 Am Ende fügen sie hinzu, es sei umstritten, ob das Folgende ein Grundbedürfnis ist: die Freiheit von einem vorzeitigen Tod. Ich würde darauf bestehen, dass es sich um ein Grundbedürfnis handelt (vorbehaltlich der in Kapitel 7 genannten Einschränkungen); und ich würde weiter oben „gegebenenfalls“ streichen, da alle empfindungsfähigen Geschöpfe ein Seelenleben haben – das ist es, was mit Empfindungsfähigkeit gemeint ist. Im Großen und Ganzen ist es jedoch eine gute Liste. Frans de Waal weist darauf

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Nochmals zum Verzehr von Fleisch

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hin, dass es keinerlei Grund gibt, einen Affen von einer Gruppe anderer Affen zu trennen, auch nicht für kurze Zeit. Wenn der ein Experiment durchführende Forscher ein einzelnes Tier für eine gewisse Zeit isolieren muss, kann er den Affen durch eine Tür oder eine Pforte aus seiner Gruppe holen.13 Er bemerkt hierzu, dass es nicht nur besser für die Wissenschaft wäre, sondern auch humaner, wenn Primaten ihr arttypisches Leben beibehalten könnten. Wir können seinen Hinweis auf alle empfindungsfähigen Tiere ausweiten. Noch haben wir das Ziel Hegels nicht erreicht: eine Welt ohne Tragödien, wie sie an den Schwellenwerten meines Ansatzes abgelesen werden können, die in den Listen der Fähigkeiten für die Lebewesen der Welt festgelegt sind. Die Festlegung dieser Schwellenwerte ist, wie immer, eine umstrittene Angelegenheit, über die es auch weiterhin berechtigte Meinungsverschiedenheiten geben darf. Aber selbst in einer Welt, in der die Schwellenwerte eingehalten werden, wird es zulässige Forschungsarbeiten geben müssen, die einer sorgfältigen Regulation bedürfen. Beauchamp und DeGrazia haben also einen wertvollen Beitrag zum Fortschritt auf unserem Weg hin zu minimaler Gerechtigkeit geleistet.

Nochmals zum Verzehr von Fleisch Kehren wir nun kurz zum Essen von Fleisch zurück. Gibt es hier tatsächlich tragische Situationen? Und wie verbreitet sind sie? Veganer werden behaupten, dass die meisten – wenn nicht sogar alle – Menschen schnell und gesund auf eine pflanzliche Ernährung umsteigen können und sich damit nicht schaden, sondern sogar Gutes tun würden. Ich habe dies zumindest bezweifelt, indem ich auf den Eiweißbedarf älterer Menschen (wir könnten auch Kinder anführen) hingewiesen und erwähnt habe, dass das Verdauungssystem mancher Menschen nicht mit größeren Mengen Bohnen, Linsen usw. fertig werden kann. In diesem Fall könnte es also zu einem tragischen Dilemma für den Betreffenden kommen, da wir uns selbst gegenüber die Pflicht haben, unsere Gesundheit zu erhalten. Die Kosten sind für Familien, die nicht zu den Besserverdienenden gehören, ebenfalls ein Problem. Diese Dilemmata werden bis zu einem gewissen Grad durch die in Kapitel 7 beschriebene Alternative der humanen Tierhaltung gemildert (insbesondere durch den schmerzlosen Tod eines Fisches, der keine oder nur wenige zeitlich ausgedehnte Pläne und Vorhaben verfolgt). Die Schwierigkeiten werden jedoch nicht vollständig beseitigt.

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Ein weiteres potenzielles Problem ist die Zerstörung der Lebensräume von Tieren durch die massive Umstellung im Anbau der Pflanzen, die erforderlich wäre, wenn wirklich alle Menschen auf eine vegane Ernährung umsteigen würden. Dieses Problem ist gegenwärtig noch unklar, sollte aber ernsthaft untersucht werden. Doch auch hier ist eine Lösung im Sinne Hegels in Aussicht: künstliches Fleisch. Als ich mit der Planung dieses Buches begann, war es noch praktisch unbekannt. Heute gibt es hingegen eine massiv anwachsende Industrie mit vielen verschiedenen Arten von „Fleisch“, das aus pflanzlichen Zutaten hergestellt wird. Der Grund für die Beliebtheit dieser Fleischersatzprodukte ist nur zum Teil moralischer Natur; die Konsumenten wollen auch von den gesundheitlichen Vorteilen eines geringeren Gehalts an gesättigten Fettsäuren und oft auch an Natrium profitieren. Die Wissenschaft steckt noch in den Kinderschuhen, denn manche behaupten, dass es den Fleischersatzprodukten an Geschmacksvielfalt und Textur fehle. Und soweit ich weiß, gibt es keinen künstlichen Fisch für diejenigen unter uns, die gerne Fisch essen. Doch das ist die Zukunft: Wir können sie sehen und für sie arbeiten. Wenn sogar in Baseballstadien VeggieHotdogs und Veggie-Burger angeboten werden,14 ist die Zukunft der „Aufhebung“ nahe gerückt. Im Labor gezüchtetes Fleisch, d. h. „echtes“ Fleisch aus tierischen Stammzellen, das jedoch ohne das Töten von Tieren hergestellt wird, ist bereits erhältlich und zumindest in Singapur auf dem Markt. Auch hier scheinen Investitionen in diese Entwicklungen durchaus gerechtfertigt zu sein, und inzwischen gibt es genügend tierfreundliche Köche, sodass wir davon ausgehen dürfen, dass diese einfallsreichen Leute auf diesen Anfängen aufbauen werden.

Kulturelle Bewahrung? Grausame Praktiken haben in jüngster Zeit kulturell-politischen Aufwind bekommen, indem man sich auf die kulturellen Rechte seit Langem unterdrückter indigener Völker beruft. Es folgen drei Beispiele.15 Im Jahr 2009 verteidigte das Landwirtschaftsministerium von KwaZulu-Natal öffentlich das Töten von Zulu-Stieren bei einem jährlichen Festival als „kulturelle Zeremonie“, die durch Abschnitt 31 der südafrikanischen Verfassung geschützt sei, in dem „das Recht jedes Menschen auf Ausübung seiner Religion, Kultur und Sprache“ verankert ist.16 Die Stiere werden in einer langsamen, quä-

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lenden Prozedur geschlachtet, bei der „die Augen ausgestochen, die Zunge und der Schwanz herausgerissen, die Hoden verknotet und Sand und Schlamm in den Hals gestopft werden“.17 Die Zulu verteidigen dieses Ritual als einen wichtigen Initiationsritus, der notwendig sei, um ihre Traditionen zu erhalten. Das Volk der Chippewa jagt Weißwedelhirsche und betrachtet dies als notwendigen Bestandteil ihres materiellen Überlebens und ihrer kulturellen Integrität. Sie behaupten, das Wild stelle nicht nur eine lebenswichtige Nahrungsgrundlage dar, sondern die Jagd fördere auch den Zusammenhalt der Gemeinschaft; durch das rituelle Teilen der Jagdbeute mit körperlich schwächeren Mitgliedern des Volkes werde das Gefühl der gleichen Würde aller Mitglieder der Gemeinschaft gestärkt. Die Jagd selbst wird durch Gebete und Regeln strukturiert, die für das Glaubenssystem der Chippewa von zentraler Bedeutung sind.18 Das Internationale Übereinkommen zur Regelung des Walfangs (ICRW) enthält eine „kulturelle Ausnahmeregelung“: Die Vorschriften zur Beschränkung des Harpunierens gelten nicht für „an den Küsten der Hoheitsgebiete“ der Vertragsparteien lebende Ureinwohner, sofern sie traditionelle Fischerboote benutzen, keine Gewehre mit sich führen und den Walfang nur für den lokalen Verbrauch betreiben. Letztere Bestimmung wird regelmäßig ignoriert, und ein Großteil des Walfleisches wird in Restaurants und insbesondere in Grönland auf Märkten für den kommerziellen Gebrauch verkauft (vgl. auch Kapitel 12). Dennoch verteidigte Dänemark die kulturelle Ausnahme so energisch, dass es öffentlich erklärte, es sei ihm gleichgültig, ob die Einheimischen das Walfleisch an Touristen verkauften, und die Walfänger könnten sogar Baseballschläger zum Töten von Walen verwenden, wenn sie wollten.19 Wenn die Menschen wirklich daran interessiert sind, die Machtlosen vor Machtmissbrauch zu schützen, dann ist zu beachten, dass es keine Gruppe intelligenter und empfindungsfähiger Wesen gibt, die in der heutigen Welt stärker dominiert und weniger respektiert wird als die nicht menschlichen Tiere, die ebenfalls über Kulturen verfügen. Diese Art der Verteidigung von Kultur scheint daher vollkommen irrgeleitet zu sein: Sie stärkt die Machtlosen nicht, sondern entmachtet sie umso mehr. Es gibt allerdings noch sehr viel mehr zu dieser Thematik zu sagen. Die Berufung auf die Kultur wirft zwei praktisch unüberwindbare Probleme der Logik und der Definition auf. Das erste können wir mit der Frage „Wer ist gemeint, und wer nicht?“ umreißen. Wer sind „die Inuit“? Alle Menschen mit InuitHerkunft, die irgendwo auf der Welt leben? Nur eine bestimmte, ­geografisch

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­ egrenzte Gruppe (z. B. die auf Grönland lebenden Inuit)? Da keineswegs alle b Inuit Walfang betreiben, muss diese Frage beantwortet werden, wenn man die Behauptung untermauern will, dass für die „Inuit-Kultur“ der Walfang erforderlich ist. Ferner muss man auch eine Definition des Begriffs „Kultur“ selbst liefern, da es zahlreiche konkurrierende Definitionen dafür gibt.20 Verbunden damit ist die Frage, „wessen Stimmen zählen“. In der Regel wird die Berufung auf die Werte einer Kultur durch die Stimmen der mächtigen, zumeist männlichen Anführer dieser Gruppen geäußert. Dabei ignorieren sie Frauen, kritische Stimmen, entfremdete Stimmen und so weiter.21 In diesem Fall werden die jungen männlichen Jäger angehört, und alle möglichen anderen Menschen mit Anspruch auf Zugehörigkeit zu den Inuit werden nicht angehört: Frauen; diejenigen, die aus Unzufriedenheit mit der Tradition weggezogen sind; Personen, die die Tradition kritisieren. Kulturen sind weder monolithisch noch statisch: Sie sind Schauplätze von Debatten und Auseinandersetzungen und unterliegen ständiger Veränderung.22 Einer kleinen Untergruppe, die archaische Praktiken verteidigt und andere, dissonante Stimmen zurückweist, die Vorherrschaft einzuräumen, bedeutet, eine Entscheidung zu treffen. Was könnte jedoch die normative Grundlage für diese Entscheidung sein?23 All diese Probleme sind mit der Berufung auf die Kultur verbunden, wenn sie zur Verteidigung des Walfangs von Ureinwohnern herangezogen wird. Mat­ thew Scully zeigt in seinem Buch Dominion, dass die Makah von den japanischen Walfangbefürwortern dazu angeregt wurden, eine Tradition neu aufzunehmen, die sie seit vielen Jahren nicht mehr praktiziert hatten. Diejenigen, deren Stimme gehört wurde, waren diejenigen, die diesem japanischen Einfluss folgten.24 Scully räumt ein, dass die Inuit-Jäger in Alaska einen höheren Anspruch darauf haben, „echte“ einheimische Walfänger zu sein. Und doch zeigt seine Studie, dass „die meisten Eskimos, die heute Wale jagen, keine Primitiven sind, die in den rauen Randgebieten der Zivilisation um ihr Überleben kämpfen. Es sind junge Männer, für die der Walfang eine Leidenschaft und, wie man uns sagt, ein Akt der kulturellen Selbstbestätigung ist. Sie jagen Wale nicht, weil sie es tun müssen, sondern weil sie es tun wollen“.25 Scully gelangt zu dem Schluss, dass sich diese Praxis nicht allzu sehr von der Trophäenjagd unterscheidet, zumal der Lebensstil der Ureinwohner Alaskas heute weitgehend von der Erdölindustrie abhängt. Ihr angeblicher Respekt vor „Bräuchen“ ist ebenfalls selektiv, da die Methoden, mit denen die Wale aus dem Wasser geholt werden, in der Regel alles andere als traditionell sind.26

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Kurz gesagt: Appelle an die Kultur treten so auf, als hätten sie normative Kraft, doch sie erklären nie, woher diese Kraft stammt. Alle möglichen schlimmen Praktiken haben eine lange Tradition: zum Beispiel häusliche Gewalt, Rassismus, sexueller Missbrauch von Kindern und natürlich das Quälen von Tieren. Die Tatsache, dass es diese Praktiken seit Langem gibt, spricht nicht für sie.27 Wenn die Tradition eine normative Kraft besitzt, dann müssen ihre Verteidiger sich stärker darum bemühen, zu sagen, worin diese Kraft besteht. Das Argument kann nicht einfach lauten, dass Kulturen zusammenbrechen, wenn sie einen einzelnen Wert, den sie einmal hochhielten, später ablehnen. Selbst wenn es wahrscheinlich ist, dass die Werte, die mit dem Nationalsozialismus verbunden waren, tief in deutschen kulturellen Traditionen verankert waren, hat eine deutlich erkennbare Form deutscher Kultur die völlige Ablehnung des Nationalsozialismus überlebt. Alle Kulturen haben damit begonnen, eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts abzulehnen – zwar mit Mühe, aber doch ohne völligen kulturellen Kollaps. Christliche Kulturen waren einst zutiefst feindselig gegenüber Juden, Muslimen und Hindus; heute sind sie dies in weit geringerem Umfang. Sie haben ihre Kultur neu erfunden, um den religiösen Bindungen von Nichtchristen Respekt zu zollen. Und obwohl der Lordrichter Devlin 1958 voraussagte, dass die britische Kultur ohne ein gesetzliches Verbot gleichgeschlechtlicher Handlungen nicht überleben werde, hat die Geschichte ihn eines Besseren belehrt.28 Und was ist mit der Kultur der Wale selbst? Befürworter der kulturellen Rechte von Ureinwohnern sprechen häufig über die Achtung dieser Gruppen vor der Natur; zugleich ist es nicht möglich, den Walfang als Zeichen der Achtung vor dem Leben und der Kultur der Wale zu sehen. Wie Antony D’Amato und Sudhir Chopra zu Recht anmerken, „hat niemand die Grönlandwale gefragt, ob die Gruppen von Männern, die sie mit Keulen erschlagen und harpunieren, Respekt zeigten“.29 In einem hervorragenden Aufsatz haben die Philosophinnen Breena Holland und Amy Linch kürzlich darauf hingewiesen, dass es einheimische Völker herabsetzt, wenn man sie lediglich als reine Sklaven der Vergangenheit ansieht.30 Eine Kultur ist selbst ein „Werkzeugkasten“ (hier berufen sie sich auf die Arbeit der Soziologin Ann Swidler), mit dem Menschen fortwährend ihre eigenen Geschichten konstruieren. Es gibt viele Gruppen, die in der Vergangenheit Grausamkeiten gegenüber Tieren praktiziert haben, aber einige haben sich aufgrund ethischer Argumente angepasst. Sie behaupten, es sei einer traditio-

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nellen ­Gesellschaft gegenüber respektvoller, wenn man von ihr erwartet, dass sie nachdenkt und sich weiterentwickelt. Wie der Philosoph Jonathan Lear in Radikale Hoffnung, seiner bewegenden Studie über die Crow-Indianer, gezeigt hat, kann eine Gruppe völlig unvorhergesehene Wege finden, sich weiterzuentwickeln, selbst wenn sie scheinbar vor der völligen kulturellen Zerstörung steht.31 Ich gelange daher zu dem Schluss, dass wir es hier nicht mit einem wahrhaft tragischen Dilemma zu tun haben, denn eines der Ziele lässt sich so neu denken, dass es weiterhin geachtet und gleichzeitig das Leben der Tiere respektiert werden kann. Linch und Holland scheinen sich mit der humanen Tötung zufrieden zu geben. Ich würde noch weiter gehen und auf Hegels Frage sowie den Fähigkeitenansatz zurückkommen: Wie wäre es, sich eine Welt vorzustellen, in der das tragische Dilemma zwischen der Zerstörung einer Kultur oder eines Volkes sowie dem Schädigen und Verletzen von Tieren nicht mehr existierte? Hier weist uns Hegels ursprüngliche Inspirationsquelle, das griechische Theater, den Weg zur Antwort: Eine Gruppe kann den Wert einer Praxis, die sie zusammenhält, bewahren, indem sie diese theatralisiert und die tödlichen Mittel gänzlich abschafft. Das griechische tragische Drama war höchstwahrscheinlich das Ergebnis einer kulturellen Wandlung, in der eine Theateraufführung an die Stelle von Menschenopfern trat. Kein junger Mensch wurde mehr auf dem Altar geschlachtet, sondern die Opferung von Iphigenie findet als Theaterstück statt, welches der Gruppe ihre Geschichte in Erinnerung ruft und gleichzeitig ihren Fortschritt feiert, der solche Auffassungen von kultureller Tradition hinter sich lässt.32 In ähnlicher Weise lässt sich Sport als theatralischer Ersatz für tödliche Kämpfe ansehen (auch wenn man sich im Falle des American Football fragen mag, ob die tödlichen Möglichkeiten völlig beseitigt wurden). Lösungen müssen von den Gruppen selbst kommen, doch angesichts der wachsenden Beliebtheit des kulturellen Tourismus lässt sich unschwer vorstellen, dass die Gruppen selbst das Potenzial von rituellem Theater für ihr kulturelles Überleben erkennen. Der langjährige Erfolg des Cherokee-Historiendramas „Unto These Hills“, das seit 1950 eine der wichtigsten kulturellen Attraktionen in North Carolina darstellt, zeigt, was die Zukunft für die Zulu, die Chippewa und die Inuit bereithalten könnte.33 Ich komme zu dem Schluss, dass wir das Töten von Tieren als Form des kulturellen Ausdrucks ebenso wenig tolerieren sollten, wie wir heute Gewalt gegen Frauen als kulturellen Ausdruck von Männlichkeit tolerieren. Alle Grup-

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pen sind zu Veränderungen fähig, und Veränderungen müssen von allen gefordert werden: aus Respekt vor den eigenen moralischen Möglichkeiten, vor allem aber aus Respekt vor den Tieren. Alle Menschen haben die gemeinsame Verpflichtung, für bessere Gesetze und Institutionen einzutreten.

Konflikte um Raum und Ressourcen Bislang ließen sich unsere tragischen Konflikte mit Fantasie und Arbeit lösen. Weitaus hartnäckiger aber sind die allgegenwärtigen tragischen Situationen, die durch Konflikte zwischen Menschen und Tieren um Raum und Ressourcen zustande kommen. Trotz der weit verbreiteten Bemühungen um den Schutz und Erhalt der Elefanten führt ihre Anwesenheit in Afrika häufig zu großen Schwierigkeiten für Dorfbewohner, die die Bäume brauchen, deren Rinde den Elefanten als Nahrung dient. Diese Form des Konflikts ist weit verbreitet und betrifft zahlreiche Tierarten. Es sind gerade die Rückkehr und das Wiedererstarken einer Tierart, die häufig den Beginn von Konflikten bedeuten, wie z. B. die Raumkonflikte zwischen Menschen und Berglöwen in den westlichen Staaten der USA. Diese Konflikte sind höchst fundamental: Auf der einen Seite steht die Fähigkeit der Tiere, ihre Lebensform voll zu entwickeln, wobei es um zahlreiche Fähigkeiten auf der Liste geht; auf der anderen Seite steht das Bedürfnis verarmter Menschen, bestimmte Fähigkeiten zu realisieren, um so ein gesundes Leben führen zu können. Um über solche Fälle erfolgreich nachdenken zu können, sollte der erste Schritt darin bestehen, den Konflikt klar zu analysieren. Geht es auf beiden Seiten wirklich darum, dass Individuen unter die Schwelle einer wirklich wichtigen Fähigkeit gedrückt werden? Nicht alle Interessen haben das gleiche Gewicht. Wie uns der Erfolg von Städten gelehrt hat, können sich Menschen beispielsweise leichter an einen kleineren Raum anpassen als die meisten großen Tiere. Wir sollten daher nicht meinen, dass notwendigerweise eine tragische Situation vorliegt, wenn von Menschen verlangt wird, mit weniger Raum auszukommen, um die gedeihliche Existenz einer Tiergruppe zu fördern. Die finanziellen Interessen von Menschen führen ebenfalls nicht automatisch zu tragischen Situationen. So sind beispielsweise in Wyoming die Bemühungen von Ranchern, die Größe der Herden von Wildpferden zu verringern und Zuchtkorridore zu blockieren, mit denen die Gesundheit der Individuen dieser Art gestärkt würde –,

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mit wirtschaftlichen Interessen verbunden, die für Gesundheit und Überleben nicht entscheidend sind. Für alle beteiligten Parteien bessere Ergebnisse ließen sich durch ein besseres wissenschaftliches Verständnis der Rolle von Wildpferden im umfassenderen Ökosystem erreichen.34 Oft haben die Interessen jedoch mehr Gewicht: Es geht um Gesundheit und Überleben auf beiden Seiten. Dann hängt viel von den Zahlen ab. Da die Zahl der Kojoten in den Städten relativ gering und ihre Bedrohung für Menschen und Haustiere überschaubar ist, haben sich bereits Einstellungen nach dem Motto „Leben und leben lassen“ entwickelt.35 Bei den gefährlicheren Berglöwen ist es möglich, sie auf eine humane Weise einzufangen und in eine Auffangstation für Wildtiere zu bringen, von wo aus sie später wieder in die freie Wildbahn entlassen werden. Dies geschah mit den Geschwistern eines Löwen,36 den ein furchtloser Wanderer in Notwehr erwürgt hatte.37 Zweifellos werden sich solche Fälle wiederholen. Elefanten stellen an sich keine Bedrohung für Menschen dar. Doch sie benötigen große Lebensräume und fressen große Mengen an Baumrinde und Pflanzen. Menschen brauchen ebenfalls viel Platz, und auch sie haben einen dringenden Bedarf an Bäumen und Pflanzen. Diese Art von Konkurrenz kann durch die Einrichtung von durch den Ökotourismus großzügig unterstützten Wildtierreservaten mit klaren Regeln verringert werden. Solange Tiere allerdings ungehindert in menschliche Siedlungsgebiete eindringen können, wird es zu wirklich tragischen Szenarien kommen. Diese Szenarien werden durch ländliche Armut noch verschärft, die den Wettbewerb um Ressourcen mit großen Tieren noch verzweifelter machen und die Menschen sogar dazu bringen kann, auf der Suche nach finanziellem Gewinn mit Wilderern gemeinsame Sache zu machen. Ein an Hegel orientierter Lösungsvorschlag muss daher komplex sein: Er muss zum einen klar abgegrenzte und sichere Wildschutzgebiete fördern, zum anderen den Gemeinschaften aber auch helfen, ihr Land optimal zu nutzen.38 Interventionen zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in Afrika sind ebenfalls entscheidend, um der Wilderei ein Ende zu setzen, ebenso wie Maßnahmen zur Reduktion der Nachfrage. Als Nächstes müssen wir das Thema der Bevölkerungskontrolle ansprechen. Das menschliche Bevölkerungswachstum ist ein Teil des Problems, und eine vernünftige Kontrolle muss Teil der Lösung sein. Wie Amartya Sen in seinem einflussreichen Aufsatz „Fertility and Coercion“ dargelegt hat, hat die drakonische

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Festlegung bestimmter Geburtenzahlen einige gravierende moralische Nachteile.39 Glücklicherweise ist das Dilemma zwischen Freiheit und Bevölkerungskontrolle nur scheinbar, denn es hat sich erwiesen, dass die wirksamste Methode zur Begrenzung der Bevölkerungszahl in der Aufklärung von Frauen besteht – eine Maßnahme, die die Freiheit eher fördert, als sie zu beschränken. Frauen und Männer werden sich jedoch nur dann für eine begrenzte Zahl von Kindern entscheiden, wenn die staatliche Hygienemaßnahmen und die verfügbare Gesundheitsversorgung ihnen Grund zu der Annahme geben, dass zwei Kinder bis zum Erwachsenenalter überleben können. Sollte die Geburtenkontrolle bei Tieren ebenfalls diskutiert werden? Zahlreiche große Tiere – darunter Elefanten, Nashörner, Giraffen, Tiger und Löwen – sind so stark gefährdet, dass es unvernünftig wäre, die Größe ihrer Populationen zu begrenzen. Doch es gibt auch andere Konfliktfälle, in denen eine Geburtenkontrolle bei Tieren vorsichtig geprüft werden könnte, solange die Untersuchungen dazu sorgfältig durchgeführt werden und den Tieren kein Schaden zugefügt wird. Bei Wildtieren wissen wir derzeit noch zu wenig über mögliche Schäden. Die für Wildpferde vorgeschlagenen empfängnisverhütenden Medikamente scheinen schädliche Nebenwirkungen zu haben. Das bedeutet allerdings nicht, dass keine weitere Forschung betrieben werden sollte. Wie im Falle der menschlichen Verhütungsmittel sollten die Untersuchungen fortgesetzt werden, bis eine sichere Option gefunden wurde. Indem ich mich auf spezifische Fälle des Konflikts zwischen dem Menschen und den Tieren konzentriert habe, bin ich – so wird man mir entgegenhalten – dem größten Konflikt von allen ausgewichen: Können wir es in einer Welt, in der Menschen verhungern und aufgrund mangelnder medizinischer Versorgung sterben, überhaupt rechtfertigen, dass wir in nennenswertem Umfang Zeit und Geld für die Sorge um andere Tiere aufwenden? So in etwa lautete die erschütterte Reaktion einiger junger Entwicklungsexperten in unserer Human Development and Capability Association, als ich einen Teil dieser Arbeit vorstellte. Ich vertrete in der Tat die Auffassung, dass wir den Interessen der Menschen keinen absoluten Vorrang einräumen sollten, wie es diese Kritiker scheinbar von mir verlangen. Ich bin der Überzeugung, dass alle Lebewesen gleichermaßen zählen. Allerdings behaupte ich auch, dass das Dilemma falsch dargestellt wird: Die Mehrzahl der aktuellen Bedrohungen des menschlichen Lebens durch Armut und Krankheit sind auf das Fehlen wirksamer staatlicher

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Institutionen zurückzuführen, nicht auf die „natürlichen“ Grenzen der Kapazitäten der Erde. Wir können und sollten uns eine artenreiche Welt vorstellen und darauf hinarbeiten, dass alle Lebewesen die Möglichkeit haben, zu voller Entfaltung zu gelangen. Ich denke sogar, dass wir noch weiter gehen und darauf bestehen sollten, dass eine ethische Einstellung zum Leben der Tiere und ein Gefühl der Ehrfurcht angesichts ihrer Komplexität und Würde Teil unserer Menschlichkeit ist, ohne die das menschliche Leben selbst ärmer wäre. Generell gilt: Wann immer wir glauben, wir müssten Tieren Leid zufügen, um eine intakte menschliche Gemeinschaft zu gewährleisten, sollten wir einen Schritt zurücktreten und uns fragen, wie wir in diese schlimme Situation geraten sind und was wir tun können, um eine zukünftige Welt zu schaffen, in der sich diese furchtbare Wahl nicht mehr stellt. Weinen und Jammern stellen ein ichbezogenes Verhalten dar, wenn Aufgaben in Angriff zu nehmen sind. Die Dilemmata sind tatsächlich schwierig, und es gibt keine Garantie dafür, dass es nicht zumindest einige Verluste geben wird, die nicht wieder gut gemacht werden können. Sehen wir jedoch, was sich erreichen lässt. Ein an Hegel orientierter Optimismus wird diejenigen, die sich an der Feststellung freuen, dass alles unerbittlich schlecht ist, und die gerne glauben wollen, dass das Anthropozän eine Zeit der Apokalypse darstellt, weil wir uns sündhaft übernommen haben, nicht zufriedenstellen. Ich glaube das einfach nicht. Ich bin der Überzeugung, dass wir die sich uns stellenden Probleme kompetent durchdenken und eine Welt mit vielen Arten realisieren können. Die einzige Frage ist: Werden wir es tun?

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In der Mehrzahl der Haushalte der USA leben Tiere als Gefährten des Menschen: Laut einer Studie aus dem Jahr 2020 sind es 67 Prozent.1 Menschen lieben ihre Hunde und Katzen und haben oft eine sehr starke emotionale Bindung zu ihnen (wie auch zu Pferden und einigen anderen Tieren, die in ihrer Nähe leben). Normative Vorstellungen in Bezug auf Gegenseitigkeit und Fürsorge nehmen zu. Umfragen zufolge betrachten 89 bis 99 Prozent der Menschen, die mit einem Hund oder einer Katze leben, das Tier als Familienmitglied.2 In der Antike waren echte Gegenseitigkeit und Respekt zwischen Menschen und Tieren, die in ihrem Umfeld lebten, keine Seltenheit. Als Odysseus nach zwanzig Jahren Abwesenheit nach Ithaka zurückkehrt, findet er seinen geliebten Jagdhund Argos vernachlässigt auf einem Misthaufen liegen; sein Fell ist befallen von Zecken.3 Trotz seines fortgeschrittenen Alters und seiner Verwahrlosung ist Argos das einzige empfindungsfähige Wesen in Ithaka, das Odysseus trotz seiner Verkleidung als Bettler wiedererkennt (nicht einmal seine Frau Penelope und sein Freund, der Schweinehirt Eumaios erkennen ihn). Die gegenseitige Achtung und Fürsorge der beiden ist offensichtlich: Argos versucht, aufzustehen und auf Odysseus zuzugehen, ist aber zu krank dazu und wedelt stattdessen mit dem Schwanz. Odysseus (der den Hund aufgrund seiner Tarnung in der Öffentlichkeit nicht wiedererkennen darf) bezeichnet ihn als „edlen Hund“, und Tränen treten ihm in die Augen. Argos, scheinbar erfüllt durch das Wiedersehen mit dem von ihm geliebten Menschen, legt sich zu Boden und stirbt.4 Diese Geschichte, die uns die tiefe Loyalität und Fürsorge vor Augen führt, die zwischen Menschen und ihren Tieren bestehen kann, zeigt jedoch auch die Schattenseiten der menschlichen Beziehungen zu ihren Begleitern aus dem Tierreich: Vernachlässigung und Misshandlung, insbesondere wenn ein Hund zu alt war, um noch nützlich zu sein, waren das übliche Los von Hunden und

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Katzen, und Argos wurde von den Freiern schändlich misshandelt. Odysseus weiß sogar, dass manche Hunde ihr ganzes Leben lang schlecht behandelt werden: Er vergleicht Argos’ edles Aussehen (trotz seinem erbärmlichen aktuellen Zustand) mit der Situation anderer Hunde, die „bei Tisch betteln und nur zur Schau gehalten werden“.5 In der Welt der griechischen Antike arbeiteten Hunde in der Regel an der Seite des Menschen, erhielten viel Auslauf und wurden allgemein für ihre Tätigkeiten geachtet. Die von gegenseitigem Respekt geprägte Symbiose von Odysseus und Argos hat sich überall dort erhalten, wo Mensch und Hund als Partner gemeinsame Ziele verfolgen. In Rousham House, einem Landsitz in Steeple Aston außerhalb von Oxford, findet der Besucher das Grab von Ringwood, einem „Otterhund von außerordentlicher Klugheit“, dessen Grabinschrift von keinem geringeren Dichter als Alexander Pope verfasst wurde, einem berühmten Hundeliebhaber, der den Landsitz besucht hatte (er schrieb viel über seinen eigenen Lieblingsbegleiter, eine Deutsche Dogge namens Bounce [dt. „Sprung“]). Heute, wo Hunde weniger arbeiten und oft auf engstem Raum leben, hat sich die Beziehung zu ihnen allerdings verändert, wie das Wort „Haustier“ bereits andeutet. Viele Hunde werden lediglich wie Spielzeuge behandelt, mit denen man sich schmückt. Wenn man in letzter Zeit eine Zunahme von Respekt und Fürsorge beobachten kann, dann geschieht dies vor dem Hintergrund einer früheren Abnahme dieser Verhaltensweisen. Noch immer werden Hunde und Katzen allzu oft als Eigentum betrachtet, das einem Menschen gehört und daher unter dessen Duldung lebt – nicht als Selbstzweck, sondern als Anhängsel: mal nützlich zum Schutz, mal zur emotionalen Unterstützung, mal als niedliches Spielzeug, mal als wertvolle Trophäe, die den Status des Besitzers demonstriert. Heute lehnen viele diese Ansicht ab und sind der Meinung, dass Hunde und Katzen kein Eigentum sind, sondern Gefährten, Mitglieder des Haushalts, genauso wertvoll wie andere Mitglieder. Sie fordern mehr Zugang für ihre Haustiere – zu Parks, Hotels oder Flugzeugen. Dieser Wandel vollzieht sich schleichend und unbeständig, und er geht mit einer Vielzahl von Misshandlungen und Vernachlässigungen einher. Sehr oft vernachlässigen dieselben Menschen, die ihre Hunde und Katzen mit ins Flugzeug nehmen wollen, diese gleichzeitig, indem sie ihnen zu wenig Auslauf geben und sie nicht konsequent oder nur unzureichend dabei unterstützen, soziale Grenzen zu erlernen. Sie sehen diese Tiere nicht länger als ihr Eigentum an, aber sie respektieren sie auch

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nicht in ­vollem Umfang und kümmern sich nicht um sie. Und oft kaufen diese Menschen Hunde von Welpenfarmen, in denen sie missbräuchlich und vernachlässigend aufgezogen und mit zahlreichen Krankheiten infiziert wurden. Selbst wenn ein menschlicher Haushalt ein gesundes Tier erwirbt, entscheiden sich seine Mitglieder oft für dieses Tier, weil es ihnen gefällt oder weil sie es in einem Film gesehen haben – ohne zu wissen, welche Bedürfnisse an Bewegung und Geselligkeit diese Tierart hat. So wird das ursprünglich gesunde Tier wie ein vernachlässigtes Kind häufig ängstlich und asozial. Kurz gesagt: Viele der Menschen, die glauben, dass sie ein Haustier lieben, missbrauchen es oft auch.6 Unser Verhältnis zu Haustieren verbessert sich zwar, ist aber nach wie vor mit Mängeln behaftet, bestenfalls eine „Baustelle“, eine Art von Beziehung, die in vielen Fällen moralisch abscheulich und im rechtlichen Sinne anzuklagen wäre, wenn es sich bei dem fraglichen Wesen um ein menschliches Kind handeln würde. In diesem Kapitel geht es um die Frage, was der Fähigkeitenansatz über unsere moralischen bzw. politischen Verpflichtungen gegenüber Tieren, die mit uns leben, zu sagen hat und wie wir ihre Fähigkeiten optimal fördern können – und zwar in Partnerschaft mit ihnen. Ich werde mich zunächst auf Hunde und Katzen konzentrieren, die Analyse später jedoch auf Pferde und andere Begleitoder Arbeitstiere ausweiten. Dabei werde ich mich mit der Idee auseinandersetzen, dass Begleittiere als „Mitbürger“ betrachtet werden sollten, einer Idee, die in dem wichtigen Buch Zoopolis entwickelt wurde, das die Philosophen Sue Donaldson und Will Kymlicka gemeinsam geschrieben haben.7 In Kapitel  5 habe ich bereits angekündigt, dass der Fähigkeitenansatz Tiere als aktive Bürger behandelt. In diesem Kapitel werden wir zu sehen beginnen, was das in der Praxis bedeutet.

Symbiotisches Gedeihen Der Fähigkeitenansatz fordert uns dazu auf, die charakteristische Lebensform einer Tierart zu respektieren. Obwohl jedes einzelne empfindungsfähige Tier als Zweck an sich selbst zu behandeln ist, ist es ein guter Anfang bei der Formulierung politischer Leitlinien für die Behandlung der Angehörigen bestimmter Arten, die Lebensform dieser Art zu berücksichtigen – einschließlich der Bandbreite individueller Variationen, die typischerweise innerhalb der Art

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anzutreffen sind. Und obwohl wir sicherlich zugeben können, dass Elefanten und sogar Wale unter bestimmten Umständen wichtige Beziehungen zu den Angehörigen anderer Arten, einschließlich dem Menschen, aufbauen können, gibt es so etwas wie die ungehinderte Entwicklung eines Elefanten oder Wals, die ein einem Elefanten oder Wal gemäßes Leben führen. Ich glaube nicht, dass diese Beobachtung gleichbedeutend mit der Feststellung ist, „die Wildnis“ sei eine Umgebung, die der gedeihlichen Entwicklung von Wildtieren förderlich ist, wie ich im nächsten Kapitel noch weiter ausführen werde. Ich glaube ebenso wenig, dass in einer Welt, in der wir überall die bestimmende Tierart sind, der richtige Weg für uns darin besteht, wilde Tiere einfach in Ruhe zu lassen – als ob das überhaupt vorstellbar wäre. Trotzdem ist es zumindest möglich, sich ein einem Elefanten gemäßes Leben vorzustellen, in dem keine Menschen vorkommen, und es ist möglich, sich vorzustellen, dass dieses Leben gut verläuft. Im Fall von Haustieren liegen die Dinge anders. Über Jahrtausende hinweg wurden diese Tiere vom Menschen gezüchtet, um für menschliche Zwecke nützlich zu sein. Sie haben seelische Eigenschaften wie Fügsamkeit und Ansprechbarkeit und sogar physische Merkmale wie die „Neotenie“ (das Beibehalten von Jugendmerkmalen wie ein großer Kopf und große, runde Augen bei adulten Tieren) entwickelt, die sie für den Menschen attraktiv und nicht bedrohlich erscheinen lassen. Vor allem aber haben sie eine Verletzlichkeit und Abhängigkeit entwickelt. Das bedeutet zweierlei: Erstens können wir ihre Lebensform nicht beschreiben, ohne eine Beziehung zu Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Und zweitens ist diese symbiotische Beziehung asymmetrisch. Wir können Menschen begegnen, die keine tiefe Beziehung zu anderen Tieren haben – tatsächlich begegnen wir solchen Menschen ständig. In meiner Liste der Fähigkeiten wird die Möglichkeit, bereichernde Beziehungen zu anderen Tieren aufzubauen, als eine wertvolle menschliche Fähigkeit aufgeführt, doch nicht jeder wird davon Gebrauch machen wollen. Für Haustiere besteht hingegen eine reale Chance, sich vollständig zu entwickeln, nur dann, wenn sie in einer Beziehung von asymmetrischer Abhängigkeit zu Menschen leben. Verwilderte Hunde und Katzen führen in der Regel ein schlechtes Leben, und sie sterben früh. Sollte sich hingegen eine Rasse entwickeln, die abseits leben kann – wie dies bei Wildpferden der Fall war –, so handelt es sich um eine völlig andere Art, und diese Entwicklung hat riesige

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Evolutionszeiträume gebraucht. Sollen domestizierte Hunde und Katzen (und nicht irgendeine neue Hunde- oder Katzenrasse) gedeihen, dann ist dies nur in Form einer asymmetrischen Abhängigkeit von uns möglich. Domestizierte Tiere werden manchmal mit Sklaven verglichen. Dieser Vergleich verkennt die Tiefe und in gewisser Weise auch die Ungerechtigkeit dessen, was wir getan haben. Sklaven wurden unterdrückt, aber sie waren durchaus in der Lage, Freiheit und Selbstbestimmung zu erlangen, und als ihnen dies gelang, ergriffen sie diese bereitwillig. Der Schaden, der durch die Sklaverei angerichtet wurde, war tiefgreifend, aber umkehrbar. Kein Kind eines Sklaven ist biologisch für die Sklaverei vorgezeichnet (auch wenn die sozialen Schäden der Sklaverei immer noch andauern und noch nicht beseitigt sind). Würden wir hingegen eine Emanzipationserklärung für alle Hunde, Katzen und nicht verwilderten Pferde unterzeichnen, so wäre das kein Glück für diese Tiere oder ihre Nachkommen. Ganz im Gegenteil: Es würde Elend und Tod für sie bedeuten. Der Mensch hat Lebewesen wie Aristoteles’ hypothetische „natürliche Sklaven“ geschaffen, deren biologische Natur sie für eine asymmetrische symbiotische Beziehung bestimmt.

Abolitionismus? Wir können darüber diskutieren, ob es moralisch vertretbar war, dass die Menschen in grauer Vorzeit (zweifellos nach vielen Versuchen und Irrtümern über Jahrtausende hinweg) aus wilden Hunden Haushunde und aus wilden Katzen Hauskatzen züchteten. Man könnte sogar etwas Gutes darin sehen und argumentieren, dass die domestizierten Arten besser als ihre wilden Vorfahren vor den Gefahren der Natur geschützt waren. Es ist jedoch völlig klar, dass es den Menschen damals nicht um Schutz, sondern um Nutzen ging. Für eine Vielzahl von menschlichen Zwecken, unter anderem für die Jagd, für das Hüten von Herden und die Begleitung des Menschen, waren wilde Hunde unzuverlässig, so wie sie auch heute unzuverlässig sein würden. Und obwohl ich gesagt habe, dass einige der Beziehungen, die beim Hüten und Jagen entstanden, auf Gegenseitigkeit und Zuneigung beruhten, ging es den Urmenschen, die schließlich einen Argos züchteten, nicht um Respekt oder Liebe; sie wollten, dass das, was zu tun war, zuverlässig und von einer nicht bedrohlichen Kreatur erledigt wurde. Die Domestizierung wäre also nicht mit Sklaverei gleichzusetzen, sondern mit dem

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bewussten Schaffen einer Rasse „natürlicher Sklaven“, die nur in einem Verhältnis asymmetrischer Abhängigkeit leben und gedeihen können. Was sollen wir von dieser fragwürdigen Vergangenheit halten? Wir sollten sicherlich darauf bestehen, dass Vulnerabilität und Abhängigkeit, auch wenn sie asymmetrisch sind, für sich genommen nicht schlecht sind. Verschiedene Phasen des menschlichen Lebens  – Kindheit, Alter und Zeiten vorübergehender Hilfsbedürftigkeit  – sind mit asymmetrischer Vulnerabilität und Abhängigkeit verbunden, und nichts daran ist verachtenswert oder würdelos. Viele Menschen, die mit uns leben, sind ihr Leben lang auf diese Weise asymmetrisch abhängig: Menschen mit schweren erblichen Behinderungen, insbesondere kognitiven Behinderungen. Wir lieben diese Menschen, oder wir sollten es zumindest tun. Und wir denken nicht, dass es moralisch verwerflich ist, sie so zu lieben, wie sie sind, und ihnen zu helfen, sich auf die ihnen eigene Weise zu entfalten. Tatsächlich sind wir heute der Überzeugung, dass es ein schlimmes Unrecht ist, dies nicht zu tun.8 Im Fall von Haustieren ist dies allerdings anders. Menschen mit Behinderungen werden nicht absichtlich gezüchtet, um asymmetrisch abhängig zu sein. Es sind Zufälle in der Rekombination von Genen, und obwohl man heute dazu neigt, solche Kinder auszutragen und ihnen zu helfen, sich zu entwickeln, anstatt den Fötus abzutreiben, werden solche Kinder nicht absichtlich gezeugt. Selbst Fürsprecher von Menschen mit dem Down-Syndrom oder anderen genetisch bedingten Behinderungen würden es angesichts der medizinischen Probleme und sozialen Schwierigkeiten, mit denen eine solche Person leben wird, für unmoralisch halten, das Entstehen eines Kindes mit Down-Syndrom absichtlich herbeizuführen – selbst wenn es darum ginge, einem Kind mit Down-Syndrom, das bereits im eigenen Haushalt lebt, einen Gefährten zu verschaffen. Und stellen Sie sich das moralische Grauen vor, wenn man absichtlich eine ganze Untergruppe von Menschen mit kognitiven Behinderungen züchten würde, die sich genetisch von anderen Menschen unterscheiden, um anspruchslose und fügsame Haushaltshilfen zu haben. Wahrscheinlich wären einige Menschen sogar auf diese abstoßende Idee gekommen, wäre da nicht die Tatsache, dass die meisten erwachsenen Menschen mit kognitiven Behinderungen körperlich nicht widerstandsfähig sind, sondern andere körperliche Probleme haben, die das abscheuliche Experiment zum Scheitern verurteilen würden; andere, wie manche Menschen im Autismus-Spektrum, sind zwar körperlich robust, aber nicht gefügig und gehorsam.

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Wir können erkennen, dass moralische Menschen, die sehen würden, was aus diesem Experiment erwüchse, ein Ende der absichtlichen Züchtung dieses Menschentyps fordern würden. In meinem Gedankenexperiment wäre dies einfach, denn bisher war der unterwürfige Typus keine eigene Spezies, sondern wurde in jedem Einzelfall speziell hervorgebracht, beispielsweise durch die künstliche Befruchtung mit Eiern, die das entsprechende Gen enthielten. Einige Kämpfer für die Rechte von Tieren, die sich selbst als „Abolitionisten“ bezeichnen, befürworten bei Haushunden und -katzen genau diese Vorgehensweise. Gary Francione, der Anführer dieser Bewegung, schreibt, die einzige Möglichkeit, das furchtbare Unrecht, das wir Menschen diesen ehemals wilden Kreaturen angetan haben, ungeschehen zu machen, bestehe darin, ihre Fortpflanzung systematisch zu unterbinden, bis sie schließlich ausgestorben sind.9 Wie verlockend dieses Argument ist, lässt sich erkennen, doch es weist eine Reihe von Problemen auf. Erstens ist, wie bei anderen Argumenten in Bezug auf die Wiedergutmachung vergangener Übel, nicht klar, wer die Verantwortung und die Schuld trägt. Am besten kann man sich eine Wiedergutmachung als symbolische Entschuldigung vorstellen  – doch ist selbst das wahnsinnig unspezifisch: Wer entschuldigt sich im Namen von wem und mit welcher Berechtigung? Außerdem ist es bestenfalls eine Art nutzloses Händeringen, wenn jetzt eigentlich kühne, zukunftsweisende Schritte zur Verbesserung des Lebens der heute lebenden Tiere erforderlich sind. Warum sollten heutige Menschen, die Hunde und Katzen vielleicht sehr lieben – oder sie respektieren, auch wenn sie sie nicht lieben –, für ihre Züchtung durch Menschen büßen, die in einer so fernen Vergangenheit lebten, dass wir sie uns nicht einmal vorstellen können? Zweitens würde Franciones Vorschlag genau den Wesen, die der Abolitionist zu respektieren vorgibt, gewaltsam ein massives Trauma zufügen. Man kann eine Art nicht mit einem Zauberstab wegwünschen. Das Aussterben einer Art geschieht, wie ich in Kapitel 5 darlegte, stets auf dem Weg der Schädigung ihrer lebenden Angehörigen – in diesem Fall durch eine massenhafte, unfreiwillige, weltweite Sterilisationsbewegung, bei der ein zentrales Ministerium alle lebenden Hunde und Katzen zusammentreiben, sie aus ihren Häusern holen und kastrieren würde. Dies erinnert daran, wie Sanjay Gandhi während des Ausnahmezustands in Indien dafür sorgte, dass Angehörige der unteren Kasten zusammengetrieben und zwangssterilisiert wurden, um die wachsende Bevölkerung in den Griff zu bekommen. Selbst diejenigen unter uns, welche die Vorstellung ablehnen, dass Tiere Eigentum sind, könnten dazu gebracht

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­ erden, Eigentumsrechte als Bollwerk gegen die eindringende Armee von Akw tivisten – denen die Wünsche der Tiere selbst und derjenigen, die eng mit ihnen zusammenleben, gleichgültig sind – als wertvoll zu betrachten. Zudem wäre die massenhafte Zwangssterilisation für die Hunde und Katzen nicht schmerzfrei. Sterilisationen können akzeptabel und in vielen Fällen sogar ratsam sein, wie ich später noch darlegen werde. Die von Francione geforderte Sterilisation würde jedoch bestehende Beziehungen zerstören. Die Sterilisation, die ich befürworte, wird entweder von menschlichen Tierhaltern durchgeführt, um die Geburt von Jungtieren zu verhindern, die kein gutes Zuhause finden würden, oder von entsprechenden Institutionen an verwilderten Haustieren vorgenommen, um zu verhindern, dass weitere wild lebende Haustiere massenhaft verhungern und unter elenden Bedingungen leben. Ein plausibleres Argument für den Abolitionismus, das nicht auf der Idee beruht, vergangenes Unrecht ungeschehen zu machen, könnte lauten, dass die symbiotische Beziehung zwischen Menschen und Haustieren eine fortwährende Ungerechtigkeit darstellt. Aber dieses Argument kann nicht überzeugen, wenn nicht zuvor die Frage des vollständig entwickelten Lebens angesprochen wird: Können Hunde und Katzen in ihren symbiotischen Beziehungen mit Menschen ein solches Leben führen oder nicht? Die einzige mögliche Rechtfertigung dafür, eine Art absichtlich aussterben zu lassen, würde darin bestehen, dass ihre einzelnen Angehörigen kein lebenswertes Leben führen können. Hunde und Katzen können jedoch ein vollständig entwickeltes, gesundes Leben führen, wenn Menschen sie so behandeln, wie sie es tun sollten – was freilich ein großes „Wenn“ darstellt, das später noch genauer erläutert werden wird. Doch machbar ist es. Diese Arten wurden zwar für die Symbiose gezüchtet, jedoch auch mit Blick auf eine robuste Gesundheit – abgesehen von Fällen, auf die ich bald eingehen werde. Wie Kinder mit schweren Behinderungen werden auch diese Tiere in ihrer eigenen Artgemeinschaft nicht stigmatisiert. Sie können zahlreiche Freundschaften eingehen  – mit anderen Angehörigen ihrer eigenen Art, mit Tieren anderer Arten sowie mit den Menschen, mit denen sie leben. Sie sind zwar auf asymmetrische Weise abhängig, doch ist dies normalerweise keine schmerzhafte, von Isolation und Krankheit geprägte Abhängigkeit. Es ist gut möglich, dass wir, wenn wir in die menschliche Vorgeschichte zurückgehen könnten, keine Tiere domestizieren sollten. Doch das bleibt letztlich unklar, denn wir wissen zu wenig über die Vorgeschichte der Zähmung

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von Tieren zu Haustieren. Schuldgefühle wegen der fernen Vergangenheit helfen allerdings nicht weiter für eine sinnvolle Politik für die Gegenwart. Es gibt nun einmal Hunde und Katzen als Haustiere. Sie können ein vollständig entwickeltes und glückliches Leben führen, auch wenn es ein symbiotisches Leben in asymmetrischer Abhängigkeit ist. Aus welchem Grund sollten wir das so schlecht finden? Abhängigkeit kann würdevoll sein. Anstatt mit Francione die Vergangenheit zu bedauern und zu versuchen, sie ungeschehen zu machen, sollten wir uns der Gegenwart stellen – der Existenz dieser symbiotischen Arten – und gemeinsam eine Zukunft gestalten. Legen wir nun dar, unter welchen Bedingungen diese Zukunft möglich sein kann. Doch vorher will ich noch meine Meinung darüber kundtun, wo im Leben von Hunden und Katzen eine Art „Abolition“ [Abschaffung] erforderlich ist. Wie Bernard Rollin, ein philosophischer Experte auf dem Gebiet der Veterinärethik, gezeigt hat, sind die beliebtesten Hunderassen häufig am stärksten von genetischen Krankheiten betroffen. Gezüchtet nach einem strengen Rassestandard, erleiden sie das Schicksal aller Inzuchtpopulationen: Sie sind kränklich. Der Labrador-Retriever, die heute beliebteste Hunderasse, ist von über sechzig genetischen Krankheiten bedroht. Das Gleiche gilt für andere beliebte Rassen wie den Deutschen Schäferhund, die Englische und Französische Bulldogge, den Mops und zahlreiche andere. Der American Kennel Club schreibt die Inzucht zwar vor, doch stellt sie tiermedizinisch eine schlechte Praxis dar, und sie ist schlecht für die einzelnen Tiere, die auf diese Weise gezüchtet werden. Wie Rollin darlegt, wäre man entsetzt, wenn Menschen ihre Kinder auf diese Weise züchten würden, indem sie diese nach Merkmalen selektieren würden, die ihnen nach ästhetischen Kriterien zusagen, aber gleichzeitig den Kindern eine riskante und sehr wahrscheinlich schmerzhafte Existenz aufbürden würden. Ich genieße zwar die nationale Hundeschau und bewundere sehr die Schönheit der Hunde, die dort auf der Bühne stehen, doch es ist Zeit, die Inzucht nach ästhetischen Kriterien abzuschaffen. Sie ist inhuman. Es ist eine Züchtung, die der menschlichen Eitelkeit und oft dem Geldbeutel des Züchters dient, aber nicht einer gegenseitigen respektvollen Symbiose. Es gibt einige gute Gründe dafür, Hunde zu züchten. Der erste von ihnen ist die Arbeit: Bestimmte Rassen können Aufgaben erfüllen (z. B. Schafe hüten, Blinde führen), die andere nicht erfüllen können. Da ich die Arbeit von Hunden verteidige, wenn die Bedingungen human sind, haben wir hier einen Grund, eine bestimmte Art von Züchtung zu tolerieren, wenn eine bestehende Rasse

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genetische Defekte aufweist, allerdings nicht nach den anspruchsvollen ästhetischen Standards des American Kennel Clubs (AKC). Ein gewisses Maß an genetischer Durchmischung ist mit dem Erhalt der nützlichen Eigenschaften einer Rasse vereinbar. Zweitens können Menschen Hunden unterschiedlicher Größe und mit verschiedenen sportlichen Anforderungen ein unterschiedlich gutes Zuhause bieten. In der Stadt, in der ich wohne, stellt die derzeitige Regelung eine gute Antwort auf die entsetzlichen Zustände in Welpenfarmen dar (vgl. Kapitel  12): Tierhandlungen dürfen nur Hunde von Rettungsorganisationen oder Tierheimen legal erwerben. Diese humane Praxis ist dennoch mit der fortbestehenden Legalität legitimer Züchter vereinbar, die nach meinem Verständnis Tiere züchten würden, welche zu unterschiedlichen Lebensstilen und Wohnsituationen passen, jedoch ohne die extreme Inzucht der AKC-Standards. Kurz gesagt: Die Zielvorstellung guter Hundeleben erfordert die Abschaffung der meisten der derzeit praktizierten Züchtungen, sie rechtfertigt jedoch eine gewisse Fortsetzung der Züchtung, um Hunde an verschiedene Situationen und Kontexte anzupassen. Ein menschlicher Begleiter kann dann einen Hund auswählen, wenn er in etwa weiß, wie groß er sein wird, wie viel Bewegung er brauchen oder ob er ein geeigneter Begleiter für Kinder sein wird. Es ist zu radikal, die Zucht nach AKC-Kriterien mit einem Schlag zu verbieten. Doch die Kombination einer Adoptionspolitik mit einer starken ethischen Kampagne gegen überzüchtete „reine“ Rassen sollte schon in kurzer Zeit Ergebnisse bringen. Gesunde Mischlinge werden Englischen Bulldoggen, die kaum noch atmen können, bereits jetzt vorgezogen. Diese Art der „Abschaffung“ schadet den Tieren nicht, ganz im Gegenteil. Und sie liegt mühelos in unserer Macht, im Gegensatz zur Rückkehr zu einer Vorgeschichte, in der es noch keine Hunde und Katzen gab.

Vom Besitztum zur Bürgerschaft In der gesamten Geschichte der menschlichen Beziehung zu Haustieren wurden diese als Besitztümer betrachtet. Sie wurden gekauft und verkauft, und sie wurden als Dinge betrachtet, die vollkommen unter der Kontrolle des „Besitzers“ stehen. Auch Frauen und Sklaven wurden früher als Besitztümer angesehen. Sklaven wurden seit jeher gekauft und verkauft und in zahlreichen Gesellschaften auch Frauen, obwohl andere Gesellschaften dies durch die höf-

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lichere Fiktion des Werbens mit anschließender coverture, dem vollständigen Verlust der gesetzlichen Rechte einer Frau bei der Heirat, ersetzten. Für Sklaven bedeutete der Eigentumsstatus keinen echten Rechtsschutz, nicht einmal gegen Mord. Frauen erging es etwas besser: So war der Mord an der Ehefrau in der Regel ein Verbrechen  – obwohl ihre Vergewaltigung und andere körperliche Gewalt als normale Ausübung des Privilegs ihres Besitzers angesehen wurden. In ähnlicher Weise wurden auch Hunde und Katzen früher als Gegenstände betrachtet, die man kaufen und verkaufen kann – und in gewissem Maße geschieht das auch heute noch. Das Gesetz schützte sie vor einigen Formen des Missbrauchs, vor vielen anderen jedoch nicht. Heute ist zwar der Begriff „Haustier“ üblicher geworden, doch der Begriff „Besitzer“ hat sich erhalten. Hunde und Katzen werden in den meisten Ländern weiterhin legal gekauft und verkauft, obwohl die Adoption aus einem Tierheim immer mehr an Bedeutung gewinnt. Der Status des Eigentums bedeutete, lediglich als Objekt der Interessen des Eigentümers behandelt zu werden. Eigentum ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zu den Zwecken eines anderen. Die große Wahrheit der kantischen Sichtweise besteht darin, dass ein Wesen erst dann als Selbstzweck respektiert werden kann, wenn es nicht mehr als Eigentum betrachtet wird.10 Für Sklaven und Frauen war der Weg in die Freiheit die Emanzipation: Sie gab ihnen volle Autonomie als Erwachsene. Aus den von mir dargelegten Gründen ist dieser Weg für Hunde und Katzen, die den Menschen als Partner und dessen asymmetrische Pflege benötigen, nicht wirklich gangbar. Doch es gibt noch zwei weitere Analogien, die wir jetzt untersuchen müssen: Kinder und Erwachsene mit schweren Behinderungen. Kinder galten früher ebenfalls als Eigentum: Sie konnten von ihren Eltern zu schweren Arbeiten herangezogen werden, und kein Gesetz hinderte die Eltern daran, sie körperlich zu misshandeln oder sexuell zu missbrauchen. Auch Menschen mit Behinderungen waren zunächst nicht geschützt; ob sie freundlich oder grausam behandelt wurden, war reine Glückssache. Heute hingegen werden Kinder und Menschen mit Behinderungen als Bürger mit eigenen Rechten und als Selbstzwecke betrachtet – auch wenn sie zur Ausübung ihrer Rechte die Partnerschaft mit vorübergehenden oder ständigen menschlichen „Helfern“ benötigen, die als gesetzliche Vormunde bestimmte Entscheidungsbefugnisse über sie haben.11 Was würde es also bedeuten, Hunde und Katzen so zu behandeln, wie wir heute Kinder und Erwachsene mit kognitiven Behinderungen behandeln (sollten)?

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Es bedeutet in erster Linie, dass sie als Zweck und nicht als Mittel behandelt werden sollten, dass ihre Interessen von Politik und Gesetzgebung berücksichtigt werden sollten und dass sie sowohl vor Missbrauch als auch vor Vernachlässigung geschützt werden sollten. Die Begleitung durch einen Menschen (die in der Regel durch Adoption zustande kommt) ist zwar ein rechtlicher Status, der dem menschlichen Begleiter bestimmte Rechte verleiht, aber sie beinhaltet auch zahlreiche Pflichten; und der Status kann widerrufen werden, wenn die Pflichten vernachlässigt werden. Ebenso wie Kinder aus einem Zuhause, in dem sie misshandelt oder vernachlässigt werden, herausgenommen und zur Adoption freigegeben werden können, gilt dies auch für Hunde und Katzen. Als Mitglied des Lehrkörpers meiner Universität musste ich vor einiger Zeit eine Online-Schulung zum Erkennen von Kindesmisshandlung und -vernachlässigung absolvieren. Dabei fiel mir auf, dass die als „besorgniserregend“ bzw. „meldepflichtig“ beschriebenen Szenarien das übliche Los eines Großteils der Hunde und Katzen sind: Hierzu gehören zum Beispiel stundenlanges Alleinsein ohne Gesellschaft, zu wenig oder schlechtes Futter und Wasser, zu wenig Auslauf in frischer Luft und nicht genug Beschäftigung. In ihrem Fall greift das Recht jedoch nur ein, wenn extreme Grausamkeit vorliegt. Die Analogie legt auch nahe, dass Haustiere gleichberechtigte Bürger sind, deren Interessen bei öffentlichen Entscheidungen berücksichtigt werden sollten. Ihre Stimmen sollten gehört werden. Die Situation von Kindern ist eine besondere, denn ihnen wird das Wahlrecht in der Regel mit der Begründung vorenthalten, sie seien unreif und würden das Recht zu wählen erst später erhalten. Betrachten wir also Erwachsene mit schweren kognitiven Behinderungen. Diese Menschen haben volle gesetzliche Rechte, einschließlich des Wahlrechts, auch wenn sie zur Ausübung vieler dieser Rechte auf eine „Begleitperson“ angewiesen sind. Wenn ihre Rechte verletzt werden, kann die „Begleitperson“ in ihrem Namen vor Gericht ziehen. Im Gegensatz dazu haben Haustiere in den USA gegenwärtig keine Klagebefugnis, d. h. sie können nicht als Kläger vor Gericht gehen und sich von einem Anwalt vertreten lassen, weshalb ihre Stimmen bei politischen Entscheidungen viel zu selten gehört werden. Ich werde diese Rechtslage in Kapitel 12 hinterfragen. Was würde es bedeuten, Haustiere als Mitbürger zu betrachten? Sue Donaldson und Will Kymlicka haben diesen hervorragenden Vorschlag gemacht, doch wir müssen noch weiter ausführen, was dieser konkret bedeutet. Es gibt viele Theorien über Bürgerschaft, ihre Rechte und Pflichten. Donaldson und

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Kymlicka geben wertvolle Anregungen. Besonders wertvoll ist ihr durch die Rechte von Menschen mit Behinderungen inspirierter Vorschlag, dass Bürger ihre politische Handlungsfähigkeit ausüben können, auch wenn sie von Helfern abhängig sind, die versuchen zu erkennen, was ihnen wichtig ist. Zunächst möchte ich allerdings auf die Bedeutung der Bürgerschaft eingehen, wie sie vom Fähigkeitenansatz formuliert wird. Die Bürgerschaft von Haustieren bedeutet nach der Auffassung des Fähigkeitenansatzes vor allem, dass es sich bei diesen Tieren um Selbstzwecke handelt, deren artspezifische Fähigkeiten von der öffentlichen Politik bis zu einer angemessenen Schwelle, die in einer Art Grundgesetz festgeschrieben wird, gefördert werden sollten. Und Bürgerschaft bedeutet auch, dass domestizierte Tiere bei politischen Maßnahmen, die sich auf ihr Leben auswirken, mitentscheiden können sollten – das bedeutet unter anderem die Fähigkeit des Gebrauchs der „praktischen Vernunft“ in einem politischen Kontext. Es handelt sich um eine Art politische Handlungsfähigkeit, unabhängig davon, ob sie durch traditionelle Formen des demokratischen Handelns ausgeübt wird oder nicht. Wie könnte die Ausübung dieser Fähigkeit aussehen, wenn es um Tiere geht? Kurz vor der Bestätigung meines Freundes Cass Sunstein als Leiter des Office of Information and Regulatory Affairs in der Obama-Regierung wurden seine Schriften von seinen politischen Gegnern gelesen, darunter sein ausgezeichneter Aufsatz „Standing for Animals“, der die Absurditäten dokumentiert, zu denen das Fehlen einer Klagebefugnis für Tiere geführt hat, und in dem er für eine Reform plädiert.12 Der konservative Internetstar Glenn Beck schrieb häufig, Sunstein sei „der gefährlichste Mann Amerikas“,13 weil er „der Meinung ist, dass ihr Hund Sie verklagen können sollte“.14 Das waren die im Internet verbreiteten Verschwörungstheorien einer einfacheren Zeit. Diese hatte den Vorteil, wahr zu sein. Ja, in der Tat: Für mich sollte ebenso wie für Sunstein (wie ich in Kapitel 12 ausführen werde) ein Hund in der Lage sein, Anklage zu erheben (z. B. um zu verlangen, dass unzureichend eingeführte Gesetze gegen Grausamkeit durchgesetzt werden) und durch einen menschlichen Vertreter alle grundlegenden Rechte eines Bürgers wahrzunehmen. Natürlich wird dies durch einen menschlichen „Assistenten“ geschehen, so wie auch Menschen mit schweren Behinderungen vor Gericht durch Helfer vertreten werden. Der Vorschlag ist also nicht absurder als der Gedanke, dass ein alternder Elternteil, der an einer geis-

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tigen Behinderung leidet, ein Pflegeheim wegen mangelhafter Pflege verklagen können sollte – auch in diesem Fall durch einen menschlichen „Fürsprecher“ vertreten. (Und vergessen wir nicht, dass auch Sie und ich einen Anwalt beauftragen müssen, um unsere Rechte einzuklagen.) Aber wie steht es um die Stimmabgabe bei Wahlen? Ich bin mir sicher, dass Beck die Vorstellung, dass Tiere wählen, für einen noch schlimmeren Alptraum halten würde als die von Tieren, welche Klagen einreichen. Stellen wir uns ein Wahllokal vor, in dem sich eine Gruppe von Hunden und Katzen versammelt hat, um ihre Stimmen ihren Bedürfnissen gemäß abzugeben, und zwar in Begleitung ihrer Besitzer, die sie häufig vernachlässigen, sodass die schlecht trainierten Tiere kläffen und beißen und ein Chaos verursachen würden. Das ist Becks Albtraum. Doch die Vorstellung, dass jedes einzelne Tier zur Wahl geht und seine Stimme für die Kandidaten abgibt, die zur Wahl stehen, ist eine vollkommen irrige Art und Weise, sich eine Vertretung für Hunde und Katzen vorzustellen. Mein Grundgedanke ähnelt demjenigen von Donaldson und Kymlicka: Die Vorlieben und Anforderungen, die Tiere in ihrem täglichen Leben zum Ausdruck bringen, sollen durch geeignete Begleitung, Kooperation und Vertretung in politische Entscheidungen umgesetzt werden. Eine Idee wäre, in jeder Stadt und in jedem Bundesstaat ein Amt für den Schutz von Haustieren einzurichten. Seine menschlichen Mitarbeiter hätten den Auftrag, das Wohlergehen von Hunden und Katzen systematisch zu untersuchen und dieses Wohlergehen (diese Fähigkeiten) durch eine Vielzahl von Maßnahmen zu unterstützen – in etwa so, wie das durch ein Amt für das Wohl von Kindern und Jugendlichen in einer gut funktionierenden Stadt oder einem Staat geschieht. Dies würde erfordern, eine Menge zu lernen, indem man unter anderem das Leben von Hunden und Katzen zahlreicher verschiedener Arten beobachtet, Gespräche mit ihren menschlichen Begleitern führt und einfach die Signale beobachtet, die diese Tiere selbst in Bezug auf ihr Wohlergehen von sich geben. Eine aufmerksame Wahrnehmung der Fähigkeiten von Menschen mit Behinderungen hat gezeigt, dass sie durch den mangelnden Zugang zu Gebäuden und öffentlichen Verkehrsmitteln stark eingeschränkt werden; Gebäude und Busse wurden daraufhin so umgestaltet, dass sie besser geeignet sind. Auf die gleiche Weise können auch die Bedürfnisse von Haustieren zu politischen Entscheidungen führen, die ihre Fähigkeiten schützen – bei Bedarf mit Unterstützung von Bundesgesetzen, wie es sich im Fall von Behinderungen als entscheidend wichtig erwiesen hat. Städte und Gemeinden wären dann dazu verpflichtet, Haustieren geeignete Plätze

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zur Verfügung zu stellen, um ihre Bewegungsfreiheit zu verbessern, so wie sie gegenwärtig dazu verpflichtet sind, Rollstuhlplätze in Bussen und Rampen in Gebäuden bereitzustellen. Wie wir im nächsten Abschnitt sehen werden, würde die Idee der Bürgerschaft von Tieren den menschlichen Begleitern weitere spezielle Pflichten auferlegen, um die Fähigkeiten der mit ihnen lebenden Tiere zu fördern; und da Bürgerschaft auf Gegenseitigkeit beruht, würde sie auch den Tieren Pflichten auferlegen: Sie dürften Menschen oder andere Tiere nicht beißen, an ungeeigneten Orten weder ihre Blase noch ihren Darm entleeren und auf Flughäfen keine Ärgernisse verursachen. Wenn Tiere wegen Verstößen zur Rechenschaft gezogen würden, müsste zwar ihr menschlicher Begleiter die Kosten dafür tragen, doch es scheint gerecht, das Tier zur Rechenschaft zu ziehen, da dies ein Zeichen von Respekt ist. Der Vorgang der Züchtung, der zur Domestizierung führte, bedeutet, dass diese Pflichten bei entsprechender Erziehung normalerweise zuverlässig befolgt werden können – wohingegen wir von einem Tiger oder sogar einem Schimpansen nicht erwarten können, dass er ähnliche Verpflichtungen einhält. Aus diesem Grund sollten diese Tiere nicht als Haustiere gehalten werden. Es liegt auf der Hand, dass die genannten Pflichten von Mensch und Tier gemeinsam wahrgenommen werden müssen. Gut gepflegte Tiere lernen, keinen Ärger zu verursachen, wenn ihre Lernfähigkeit ausreichend respektiert wird und ihre menschlichen Begleiter sich genügend Zeit für sie nehmen. Und wenn Städte und Gemeinden den Tieren Auslaufflächen zur Verfügung stellen, ist es wahrscheinlicher, dass sie sich in engeren Räumen gut benehmen. Auch wir Menschen müssen Kompromisse eingehen und dürfen zum Beispiel nicht erwarten, dass ein Hund niemals bellt. Hundehalter sollten zudem lernen, die Körpersprache ihrer Schützlinge zu verstehen, Anzeichen dafür zu erkennen, dass ein Hund ein bestimmtes Verhalten nicht mag, und lernen, einen Hund nicht plötzlich zu umarmen oder ihm die Hand direkt ins Gesicht zu halten. Wenn eine Interaktion zwischen Hund und Mensch nicht gut verläuft, trägt nicht immer der Hund die Schuld daran!

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Allgemeine und besondere Verpflichtungen Alle Menschen haben eine kollektive Verpflichtung, die Lebensmöglichkeiten von Tieren zu sichern und zu schützen. Dies gilt für Wild- ebenso wie für Haustiere, wie ich im nächsten Kapitel darlegen werde. Der Fall der Haustiere ist jedoch etwas einfacher, denn sie haben einen festen Wohnsitz innerhalb einer Stadt und eines Staates. Deren Institutionen sollten letztlich dafür verantwortlich sein, Gesetze zum Schutz ihres Wohlergehens zu erlassen und deren Einhaltung zu überwachen. Sämtliche Menschen eines bestimmten Gebiets sind also dafür verantwortlich, Maßnahmen und Gesetze zu unterstützen, welche die Lebensmöglichkeiten von Haustieren angemessen schützen, unabhängig davon, ob sie mit einem Haustier zusammenleben oder nicht. Für Menschen, die sich dafür entscheiden, ein Tier in ihr Zuhause aufzunehmen, gelten allerdings noch einige besondere Verpflichtungen. Wie Keith Burgess-Jackson in einem ausgezeichneten Artikel darlegt, kann diese Entscheidung mit der Entscheidung, ein Kind zu bekommen, verglichen werden: Man muss (oder sollte) die Verantwortung für das Wohlergehen eines verletzlichen Wesens übernehmen, das bei einem einzieht.15 Eltern, die ein Kind bekommen, übernehmen die Verantwortung für seine Ernährung und Pflege, für das Verhindern von Grausamkeit und Missbrauch, für die Bereitstellung von Möglichkeiten zum Lernen und zur Anregung, zu Bewegung und Spiel und vor allem dafür, ihnen behütende Liebe zuteil werden zu lassen. Das Gleiche gilt für die Entscheidung, einen Hund oder eine Katze als Haustier zu adoptieren. Diese Entscheidung wird jedoch häufig schockierend beiläufig getroffen, und die große Zahl von Hunden und Katzen in Tierheimen – und auf der Straße – zeigt uns, dass Menschen ein Tier oft aus einer Laune heraus zu sich nehmen und es für vollkommen in Ordnung halten, das Tier auszusetzen, wenn sie wegziehen oder einfach keine Lust mehr haben, sich darum zu kümmern. (Dies kam erschreckend häufig vor, als sich die Gesellschaft nach dem Covid-Lockdown wieder öffnete.) Eltern, die ein menschliches Kind auf diese Weise behandeln, würden eines schweren Vergehens angeklagt. Aber selbst bei Menschen, die ihr Haustier zu lieben glauben, herrscht weiterhin noch große Unkenntnis darüber, was diese besondere Verantwortung konkret bedeutet. Viele Tiere sind schlecht ernährt. Zahlreichen Hunden, wenn nicht sogar den meisten, wird zu wenig Auslauf gegeben. Und etliche menschliche Haustierhalter denken, dass ein Haustier ihnen zur Verfügung steht  – d. h.

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dass sie mit ihm spielen können, wenn ihnen danach ist, dass sie es aber in Ruhe lassen können, wenn sie zu beschäftigt sind oder keine Lust haben, sich mit ihm zu befassen. (Viele Leute denken, ein „Haustier“ zu haben, bedeutet, ein lebendes Spielzeug zu besitzen.) Katzen kommen oft gut zurecht, wenn sie vernachlässigt werden, aber Hunde benötigen Interaktion und Zuneigung, und häufig bekommen sie davon nicht genug. Menschen recherchieren auch viel zu wenig über die spezielle Art des Hundes oder der Katze, die sie adoptieren. Sie entscheiden sich für eine Art, die gut aussieht oder beliebt ist, ohne sich zu fragen, ob ihr eigener Lebensstil zu den Bedürfnissen des Tieres passt. Manche Hunde sollten niemals in einer kleinen Wohnung mitten in einer Stadt gehalten werden, denn sie werden unruhig und sogar aggressiv, wenn sie einen Großteil des Tages eingesperrt sind. Andere sind anpassungsfähiger. Doch alle Hunde benötigen Bewegung, Sinnesanregungen und sehr viel Liebe und Zuneigung. Da wir hier über eine Gesellschaft sprechen, die aus mehreren Arten besteht, müssen Hunde ebenso wie Kinder zu guten Bürgern erzogen werden; und dies ist ebenfalls eine besondere Verantwortung des menschlichen Begleiters. Stubenreinheit ist bei Hunden zwar leicht zu erreichen, aber sie müssen dazu eigens erzogen werden. Sie müssen auch lernen, Fremde nicht zu beißen oder anzuspringen. Katzen sollten lernen, keine der ortsansässigen Vögel zu jagen – oder daran gehindert werden, wenn sie es nicht lernen können. Soziales Verhalten kann und sollte Tieren ebenso wie bei Kindern durch positive Verstärkung sanft beigebracht werden. Ein Kind, dem man nicht beigebracht hat, wie man sich wäscht oder dass man niemanden beißt, wurde sträflich vernachlässigt, und Entsprechendes gilt meiner Meinung nach auch für Hunde. Das Sorgerecht für ein Tier ist ein Privileg, das in Fällen schwerer oder wiederholter Vernachlässigung entzogen werden sollte. Es gibt zwei Verantwortungsbereiche, die einander ergänzen und sich gegenseitig verstärken: Die besondere ethische Verantwortung schützt die Tiere nicht wirklich, solange es an einer institutionellen und rechtlichen Durchsetzung fehlt. Hier kommt die kollektive Verantwortung ins Spiel. Der Hauptunterschied zwischen gezähmten und wilden Tieren besteht – wie wir später noch sehen werden – darin, dass bei Wildtieren Menschen mit einer institutionellen Rolle (z. B. Beamte in einem Wildtierreservat) eine besondere Verantwortung tragen, die ihnen als Teil ihrer Arbeit offiziell übertragen wird. Wilde Tiere sollten von Menschen niemals in ihr Haus aufgenommen werden.

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Die Förderung der symbiotischen Fähigkeiten Betrachten wir nun die Hauptpunkte der Liste von Fähigkeiten und fragen uns, welche Fassung jedes einzelnen dieser Punkte wir für Tiere, die in menschlichen Haushalten leben, schützen sollten  – wobei wir daran denken müssen, dass sämtliche Fähigkeiten dieser Tiere in einem gewissen Sinne symbiotisch sind.

Leben und Gesundheit Gegenwärtig bieten die meisten Rechtssysteme Haustieren einen gewissen Schutz. Sie müssen gegen Tollwut und einige andere Krankheiten geimpft werden. Zunehmend wird verlangt, dass Menschen Tiere adoptieren und nicht etwa von einer Welpenfarm kaufen, wodurch zahlreiche andere Krankheiten eingedämmt werden. Eine schwere Vernachlässigung kann zu Vorladungen wegen Tierquälerei führen. Die Schutzmaßnahmen sind allerdings wenig kraftvoll und unvollständig. Manchmal stellen Tierheime zusätzliche Anforderungen an die Menschen, die Tiere von ihnen adoptieren. Eine regelmäßige tierärztliche Versorgung, regelmäßiger Auslauf oder eine hochwertige Ernährung sind allerdings nicht zwingend vorgeschrieben. Man muss sich nur den Unterschied zwischen Kindern und Haustieren vor Augen führen, um zu erkennen, wie viel mehr getan werden könnte und meiner Meinung nach auch getan werden sollte. Das Wohl von Kindern wird heute von einer großen Zahl von Beamten überwacht. Wie ich bereits erwähnt habe, sind beispielsweise alle Lehrkräfte und Verwaltungsangestellten meiner Universität verpflichtet, Kindesmissbrauch oder -vernachlässigung zu melden, und zwar einfach deshalb, weil unsere Universität einige Programme anbietet, an denen junge Menschen unter 18 Jahren teilnehmen. Es gibt detaillierte Definitionen meldepflichtiger Vernachlässigung. Wenn ich also beobachte, dass ein gut gekleidetes und offensichtlich gut genährtes Kind morgens vor der verschlossenen Schultür steht, bevor diese geöffnet wird, bin ich verpflichtet, die Eltern wegen Vernachlässigung zu melden, da der Eingang einer Schule als unsicherer Ort gilt.16 Bei Haustieren ist dies anders. Mangelnde Pflege, offensichtlich unzureichende Ernährung und unregelmäßiger Auslauf werden einfach nicht bemerkt, und wenn doch, dann gibt es niemanden, dem dies gemeldet werden sollte oder würde. Nur in einem sehr extremen Fall, in dem Nachbarn eine

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systematische Vernachlässigung beobachten, würde es zu einer Meldung kommen. Meiner Ansicht nach sollten Haustiere und Kinder gleich behandelt werden: Eine Tierschutzbehörde sollte diese Beschwerden entgegennehmen, und Nachbarn sollten als Meldepflichtige geschult werden. Leider reicht das nicht aus, weder für Kinder noch für Tiere: Beispielsweise kann niemand sagen, wie gut oder schlecht die Ernährung in einem Haushalt ist. Kinder bekommen zumindest ein nahrhaftes Schulessen, Hunde und Katzen bekommen hingegen vielleicht immer sehr minderwertiges Futter. In diesem Punkt sind öffentliche Information und Überzeugungsarbeit unsere besten Verbündeten. Da jedoch wirklich nahrhaftes Futter für Hunde teuer ist, sollte durch ein öffentliches Programm auch nicht wohlhabenden Familien geholfen werden. Was die ärztliche Versorgung betrifft, so ist es eine traurige Tatsache, dass Millionen von Kindern in den USA nicht krankenversichert sind. Daher überrascht es nicht, dass auch Millionen von Haustieren nicht versichert sind. Ohne Versicherung ist die Versorgung häufig unzureichend. Wohlhabende Familien bezahlen eine Krankenversicherung für ihre Kinder oder sind über ihre Arbeitsstelle versichert, und sie schließen oft eine private Krankenversicherung für ihre Haustiere ab, die relativ preiswert und ziemlich gut ist. Das Problem besteht also darin, sicherzustellen, dass Haustiere in nicht wohlhabenden Familien – und in sie vernachlässigenden wohlhabenden Familien – die notwendige Pflege erhalten. Ich bin sehr dafür, dass bei der Adoption eines Tieres aus einem Tierheim die adoptierende Person eine Versicherung für das Tier abschließen muss, ebenso wie eine Person, die ein Auto erwirbt, eine Kfz-Versicherung abschließen muss. Da eine Versicherung für ein Tier gegenwärtig nicht sehr kostspielig ist, würde eine solche Auflage die Zahl der Adoptionen nur unwesentlich verringern. Damit ginge es Tieren in den USA vorübergehend besser als Kindern, da es den US -Amerikanern zuwider ist, die Freiheit der Menschen, Kinder in die Welt zu setzen, zu beschneiden, indem sie diese Entscheidung von einer Krankenversicherung abhängig machen, und da es keine umfassende subventionierte Krankenversicherung für sie gibt, sobald sie auf der Welt sind. Auch dieses Problem, das eine ungeheuerliche Ungerechtigkeit darstellt, muss dringend gelöst werden; und für beides muss es eine staatliche Regelung geben, sodass sich auch nicht wohlhabende Familien die Versicherung leisten können. Manchmal wird behauptet, es sei unmoralisch, einem Haustier eine teure medizinische Versorgung zukommen zu lassen, während so viele arme Men-

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schen leiden. Dies ist ein sehr wirrer Einwand. Es ist so, als würde man sagen, dass man sich nicht um die medizinische Versorgung der eigenen Kinder kümmern sollte, weil nicht alle Kinder über eine Krankenversicherung verfügen. Wer diesen Einwand vorbringt, hat spezielle und allgemeine Verantwortlichkeiten verwechselt. Hat ein erwachsener Mensch ein Haustier adoptiert (hat er sich entschieden, ein Kind in die Welt zu setzen), so trägt er eine besondere Verantwortung dafür, dass dieses Wesen eine angemessene medizinische Versorgung bekommt. Doch wir alle haben auch die allgemeine Verantwortung, es nicht wohlhabenden Menschen zu ermöglichen, ihrer besonderen Verantwortung gerecht zu werden, und sie dazu zu zwingen, wenn sie diese vernachlässigen.17 Menschen behandeln die verschiedenen Mitglieder ihres Haushalts oft unterschiedlich, ohne dies zu rechtfertigen – sie organisieren für einen älteren Verwandten eine umfassende und effektive Krebstherapie, entscheiden sich aber für das Einschläfern eines Hundes, wenn dieser an Krebs erkrankt ist. Diese Asymmetrie, die mir vollkommen unmoralisch zu sein scheint, ist ein Überbleibsel der „Haustier“-Mentalität, die in diesen Lebewesen optionale Spielzeuge sieht, die man abschieben kann, wenn sie zum Problem werden. Verantwortungsbewusste Begleiter verhalten sich nicht auf diese Weise. Es gibt im Leben von Hunden und Katzen tatsächlich Situationen, in denen es moralisch vertretbar ist, sie einschläfern zu lassen; ich glaube, dass es ähnliche Situationen im Leben von Menschen gibt, in denen ein ärztlich assistierter Suizid gerechtfertigt werden kann. Meine Leser mögen Letzteres vielleicht bezweifeln, während sie mir in Bezug auf Ersteres zustimmen. Eine entsprechende Situation tritt ein, wenn das Tier Signale sendet, dass sein Leben einfach nicht mehr lebenswert ist, sei es aufgrund von unerträglichen Schmerzen oder eines Gefühls der Scham und Entwürdigung. Bear, ein wunderbarer deutscher Schäferhund, den ich kannte und der bei einem Freund von mir lebte, litt unter Hüftdysplasie, das Los so vieler seiner Artgenossen als Ergebnis von Inzucht. Mit einem Rollstuhl, der seine Hinterbeine stützte, konnte Bear das Leben genießen; er konnte überall hingehen und war nur auf seinen menschlichen Begleiter angewiesen, der ihn die Treppe hinauftragen musste. Als er jedoch inkontinent wurde, war er beschämt und unglücklich; seine Signale deuteten darauf hin, dass sein Leben nicht mehr lebenswert war, und diese Signale wurden befolgt.

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Körperliche Unversehrtheit Einige offensichtliche Formen der Tierquälerei sind bereits gesetzlich verboten: Schlagen, sexuelle Übergriffe, das Abrichten eines Tieres für den Kampf mit anderen Tieren. Doch es gibt einige Formen, die immer noch beliebt sind. Betrachten wir nur zwei von ihnen: das Entfernen der Krallen (bei Katzen) und das Kupieren der Schwänze (bei Hunden). An diesen Beispielen wird deutlich, was der Fähigkeitenansatz über einen utilitaristischen Ansatz hinaus leisten kann. Der FA verbietet alle körperlichen Veränderungen, auch schmerzlose, durch die ein zentrales Element der charakteristischen Lebensform eines Lebewesens – aus Gründen der Bequemlichkeit oder aus ästhetischen Erwägungen – entfernt wird. Man will Katzen die Krallen entfernen, weil man sich um Möbel, Vorhänge und so weiter sorgt. Man zweifelt an der Wirksamkeit von Training und will damit keine Zeit verschwenden. Das Entfernen der Krallen kann, genau wie jeder andere medizinische Eingriff, ohne Schmerzen durchgeführt werden, so wie das Ziehen eines Zahns. Ein Einwand dagegen kann also nicht utilitaristisch begründet werden. Hier beweist der Fähigkeitenansatz erneut seine Überlegenheit. Das Problem der Krallenentfernung besteht darin, dass eine Katze dadurch an der Ausübung eines wichtigen Teils ihrer Lebensform gehindert wird, in dem sie ihre Krallen zum Klettern und zur Fortbewegung einsetzt. Wenn eine Katze mit zurückgeschnittenen Krallen nach draußen geht, kann sie nicht auf Bäume klettern und sich nicht verteidigen. Einer hauptsächlich außerhalb des Hauses lebenden Katze die Krallen zu entfernen, ist echte Grausamkeit. Aber auch bei einer in der Wohnung lebenden Katze sind die Pfoten der Katze durch die Krallenentfernung so gut wie unbrauchbar für die Fortbewegung, das Klettern und Kratzen. Das ist natürlich der eigentliche Sinn der Sache – eine Katze soll in eine bequeme Nicht-Katze verwandelt werden. Die Antwort auf die Frage nach der Entfernung der Krallen sollte lauten: Wenn jemand nicht mit einer Katze zusammenleben will, sollte er oder sie keine Katze aufnehmen. Tierheime, die Katzen zur Adoption freigeben, fordern die potenziellen Halter zu Recht häufig auf, ein Dokument zu unterschreiben, in dem sie sich verpflichten, keine Krallen zu entfernen, und das ihnen hohe finanzielle Strafen androht, falls sie gegen diese Vereinbarung verstoßen.18 Tierhalter sollten in ihrer Wohnung genügend Gelegenheiten zum Kratzen anbieten: Wenn die Kratzbäume attraktiv genug sind, werden die Möbel wahrscheinlich überleben.

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Das Kupieren der Schwänze bei bestimmten Hunderassen wird weniger diskutiert, ist aber ebenso wichtig. Auch hier geht es um eine Abwägung zwischen Ästhetik und Bequemlichkeit und der Lebensform des Tieres. Früher wurden die Schwänze aus falsch verstandenen gesundheitlichen Bedenken kupiert: Man glaubte, nicht kupierte Boxer und andere verwandte Hunderassen seien anfälliger für Tollwut. Heute wird eine Vielzahl unterschiedlicher Gründe angeführt, wie Barbara Orlans schreibt: „Man will nicht mit der Tradition brechen, man will das Aussehen verbessern, verhindern, dass sich Hunde bei der Jagd verletzen, die Hygiene erhöhen und ein harmonischeres Zusammenleben mit dem Menschen auf engem Raum ermöglichen.“19 Die Schwänze der Hunde von fünfzig Rassen werden üblicherweise kupiert. Da das Kupieren der Rute bei neugeborenen Welpen in der Regel ohne Betäubung durchgeführt wird, sind Schmerzen zwar ein Problem, aber vielleicht kein unüberwindbares, da ein Betäubungsmittel verabreicht werden kann. Die Befürworter des Kupierens sind in erster Linie Züchter, die Hunde für Ausstellungen verkaufen und der Meinung sind, dass sie aus wirtschaftlichen Gründen auf dem traditionellen Aussehen bestehen müssen. Die Hauptgegner sind Tierärzte (deren Berufsverbände in Großbritannien und in Europa das Kupieren verbieten) und der Europarat, dessen Multilateral Convention for the Protection of Pet Animals das Kupieren ebenso verbietet wie andere Grausamkeiten, beispielsweise das Kupieren von Ohren, das Entfernen von Zähnen und die besonders grausame Prozedur der Stimmbandentfernung (die als „Devokalisierung“ bezeichnet wird). Zwei plausible Gründe, die für das Kupieren angeführt werden, sind das Vermeiden von Schwanzverletzungen und die Hygiene. Die Daten zum ersten Grund sind bestenfalls uneindeutig. Man ist versucht zu sagen, dass man sämtliche Verletzungen eines Hundes verhindern kann, indem man Körperteile, die verletzt werden könnten, amputiert  – aber das ist kein zwingender Grund für eine Amputation. Dem Einwand der Hygiene kann durch bessere Pflege begegnet werden, und er erscheint ohnehin fadenscheinig, weil viele langhaarige Rassen nicht kupiert werden. Das Kupieren ist erstens eine ästhetische Präferenz und zweitens eine Entscheidung für Bequemlichkeit statt Pflege. Es sollte verboten werden, dass solche Gründe die anatomische und funktionelle Integrität eines Tieres beeinträchtigen. Der Schwanz ist ein Gleichgewichtsorgan, ein großes, mit Tastsinn ausgestattetes Organ, das aus Wirbeln und Muskeln besteht und nicht nur der Fortbewegung, sondern auch der Kommunikation dient (Freundlichkeit, Ver-

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spieltheit, Verteidigungsbereitschaft, Aggression usw.). Außerdem besitzt der Schwanz eine Duftdrüse, die der Reviermarkierung dient. Es sollte demnach kein Zweifel daran bestehen, dass ein Einwand, der sich auf die Fähigkeiten des Tieres beruft, die Praxis des Kupierens entschieden verbieten würde, selbst wenn die in jungem Alter vorgenommene Operation schmerzlos erfolgen könnte.

Mobilität und öffentlicher Raum In der Liste der Fähigkeiten ist die Freiheit der Bewegung als eine der wichtigsten menschlichen Fähigkeiten angeführt. Für den Menschen ist klarerweise eine ausreichende Bewegungsfreiheit erforderlich. Niemand würde behaupten, dass jeder Mensch in der Lage sein sollte, überall zu Fuß hinzugehen oder mit dem Auto zu fahren. Ohne Gesetze gegen Hausfriedensbruch, ungerechtfertigte Durchsuchung und Beschlagnahmung usw. gäbe es keine Eigentumsrechte und keinen Schutz der Privatsphäre. Meine Bewegungsrechte werden auch durch Verkehrsregeln, durch Gesetze über den Besitz und das Benutzen von Kraftfahrzeugen und vieles mehr eingeschränkt – vor allem durch die Rechte anderer. Ich darf mich nicht nur keiner Körperverletzung schuldig machen, sondern ich darf auch niemanden belästigen oder ihm nachstellen, was in der Regel ebenfalls bedeutet, dass ich nicht unaufgefordert in seinen persönlichen Bereich eindringen darf, selbst wenn es sich nicht um das Eigentum der Person handelt. All dies gilt auch für Haustiere: Ihr Anspruch auf Bewegungsfreiheit ist zu Recht in ähnlicher Weise eingeschränkt. In der Regel werden sie jedoch in vielerlei zusätzlicher Hinsicht weiter eingeschränkt. Zahlreiche Katzen dürfen überhaupt nicht ins Freie. Hunde sind durch Gesetze eingeschränkt, die vorschreiben, dass sie an einer Leine geführt werden müssen, sowie durch einen Mangel an speziellen Freiflächen, in denen sie unangeleint laufen können. Selbst Menschen, die ihre besonderen Pflichten höchst gewissenhaft erfüllen, haben es angesichts der üblichen Gestaltung des öffentlichen Raums oft sehr schwer, ihren Hunden genügend Auslauf zu verschaffen. Sprechen wir zuerst über Katzen. Donaldson und Kymlicka legen Argumente dafür vor, dass es unmoralisch ist, eine Katze ausschließlich im Haus zu halten. Sie scheinen sich mit dieser Behauptung auf starke Gründe des Fähigkeitenansatzes zu stützen. Katzen lieben es, zu klettern, im Gras zu laufen usw. Es ist allerdings offensichtlich, dass in städtischen und sogar in vielen vorstädtischen Umgebungen die Gefahren im Freien das durchschnittliche Leben

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einer Katze um Jahre verkürzen. Dazu gibt es belastbare Daten, die für die meisten besorgten Katzenliebhaber in den USA überzeugend sind. (Donaldson und Kymlicka leben in Kanada.) Kraftfahrzeuge, Viren anderer Tiere, Raubtiere wie größere Hunde oder sogar Kojoten – das sind die unvermeidlichen Risiken der freien Natur, und Katzen können nicht darauf trainiert werden, ihnen aus dem Weg zu gehen. Im Gegensatz zu Hunden können sich Katzen  – ähnlich wie Menschen – an ein Leben in geschlossenen Räumen und an etwas weniger Bewegung gut anpassen. Daher behaupten viele große Katzenliebhaber, es sei unmoralisch, eine Katze nicht im Haus zu halten, es sei denn, man wohne in einer sicheren ländlichen Umgebung ohne Raubtiere. Ich selbst gehöre der zweiten Gruppe an. Menschen können in geschlossenen Räumen ein gutes Leben führen, und in Städten tun wir das alle. Katzen sind in ähnlicher Weise anpassungsfähig. Bei Hunden liegen die Dinge anders. Das Bewegungsbedürfnis hängt von der jeweiligen Rasse ab, doch sämtliche Hunde benötigen ziemlich viel Auslauf und bekommen selten genug davon. Ein eingezäuntes Grundstück ist ideal, allerdings nicht für alle verfügbar. Und selbst ein Hund mit einem Garten braucht Abwechslung. Leider finden die Menschen in den Städten nicht immer gute Plätze, an denen sie mit ihrem Hund an der Leine laufen können, geschweige denn, dass sie ihren Hund frei und unangeleint spielen, erkunden und mit anderen Hunden Kontakte knüpfen lassen können. So wie die Gestaltung des öffentlichen Raums revolutioniert wurde, um ihn für Menschen mit Behinderungen zugänglich zu machen, so muss er auch für Hunde neu gestaltet werden. Doch ist auch hier Vorsicht geboten, denn leider sind viele Hunde schlecht erzogen und können Kinder, Erwachsene und andere Hunde beißen. Das ist der Grund für die Pflicht, sie an einer Leine zu führen. Es gibt auch Menschen, die allergisch auf Hundehaare reagieren und deshalb selbst von einem sehr netten Hund nicht beschmust werden wollen. Im Gegensatz zu Donaldson und Kymlicka bin ich also nicht gegen Gesetze, die das Anleinen verlangen; sie haben ihre Berechtigung. Doch stimme ich ihnen voll und ganz darin zu, dass wir viel mehr Orte schaffen müssen – vor allem in städtischen Gebieten –, an denen Hunde (und Menschen) toben und spielen können. (Für menschliche Kinder muss es auch viele Spielplätze geben.) Hundeparks müssen leichter zugänglich und größer sein und mehr Möglichkeiten zum Klettern und Springen bieten. Ebenso wie die Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen die Umgestaltung bestehender Anlagen

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erforderte, gilt auch hier, dass bestehende Parks anders gestaltet werden müssen; dies sollte ein Teil von Stadtplanung sein und nicht ein Spezialanliegen, das nur von einer lautstarken Minderheit vertreten wird.

Sexualität und Fortpflanzung Im Gegensatz zu Menschen können Hunde und Katzen ihr Sexualleben nicht durch Vorausplanung und Zustimmung selbst bestimmen. Sie können sich nicht für eine Verhütungsmethode entscheiden, selbst wenn sie die Last zahlreicher früherer Geburten drückt. Menschen müssen entweder den Zugang zu ihren Haustieren einschränken, indem sie diese während ihrer fruchtbaren Zeit im Haus halten, oder zumindest eine Kastration in Erwägung ziehen, wenn sie der Meinung sind, dass eine Einschränkung der Geburten im Interesse des Tieres bzw. der Tiere, die geboren werden würden, liegt. Der Fähigkeitenansatz geht davon aus, dass in einer gut organisierten Welt jedes Tier, ob männlich oder weiblich, mindestens eine oder zwei Möglichkeiten haben sollte, sich zu paaren und fortzupflanzen. Das scheint zwar eine niedrige, aber auch eine vernünftige Schwelle zu sein, wenn man die Bedeutung dieser Lebensmöglichkeit und die damit verbundenen Erfahrungen bedenkt. Es gibt mehrere Gründe dafür, ein Haustier nach dieser ersten Erfahrung von Sexualität, Trächtigkeit und Geburt zu sterilisieren oder zu kastrieren: die Verhinderung der Erschöpfung weiblicher Tiere durch wiederholte Schwangerschaften, die Schwierigkeit, nicht kastrierte Kater als Gefährten zu halten (aggressives Verhalten, das Setzen von Duftmarken), und vor allem die Schäden für die vielen Würfe von Welpen und Kätzchen, die kein geeignetes Zuhause finden würden und wahrscheinlich entweder ausgesetzt werden oder die bereits überlastete Population in den Tierheimen anwachsen lassen würden. Wenn wir eine hypothetische Zustimmung der Elterntiere annehmen wollten, können wir uns – angesichts der starken Bindung weiblicher Tiere an ihre Nachkommen – leicht vorstellen, sie würden nicht wollen, dass ihre Nachkommen ein elendes Leben führen müssen, und deshalb der Operation zustimmen. Leider ist unsere Welt weit davon entfernt, perfekt zu sein. Es gibt so viele verwilderte Katzen, die ein elendes Leben führen (und sich dabei fortpflanzen), und so viele ungewollte Welpen, dass die ideale Lösung vorläufig noch zu freizügig ist. Eine gute Politik schreibt wahrscheinlich vor, dass alle Streuner kastriert werden müssen (in vielen Ländern ist dies bereits gesetzlich vor-

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geschrieben), und fordert zumindest die Menschen dazu auf, ihre Haustiere kastrieren zu lassen, bevor sie sich fortpflanzen – es sei denn, sie verpflichten sich, die Nachkommen zu behalten oder ein wirklich geeignetes Zuhause für sie zu finden. Dies kann eine Bedingung für die Adoption sein und ist es auch oft. Tierschutzorganisationen wie Friends of Animals führen aktive Kastrationsprogramme durch und leisten damit einen wichtigen Beitrag zum Tierschutz. Je weniger Tiere in Tierheimen landen, desto wahrscheinlicher ist es, dass diejenigen, die dort sind, ein geeignetes Zuhause finden.20 In einigen Ländern gibt es zusätzliche Gründe für die Kastration, nämlich die Schäden, die verwilderte Katzen einheimischen Vögeln und Säugetieren zufügen. Australien hat ein grässliches Programm zur Ausrottung von Katzen gestartet.21 Eine vernünftigere Politik, die vielerorts angewandt wird, ist die Sterilisation verwilderter Katzen, und man kann davon ausgehen, dass diese Politik, wenn sie intelligent verfolgt wird, zu guten Ergebnissen führt. Ich glaube, dass das Prinzip der Selbstverteidigung es uns erlaubt, Tiere (wie z. B. Ratten) zu töten, die das Leben und die Sicherheit von Menschen und anderen Tieren bedrohen, aber die Tötung (die human sein muss, was das australische Programm nicht ist) sollte das letzte Mittel sein, nachdem die Verhütung versucht wurde.

Bildung und Ausbildung Ich habe bereits gesagt, dass in einer Gesellschaft mit mehreren Arten alle Mitglieder Verantwortung für das Wohlergehen der anderen übernehmen müssen, und das bedeutet, dass ein verantwortungsbewusster menschlicher Begleiter sein Haustier zu gutem Sozialverhalten erziehen wird: Es darf nicht beißen, den Teppich nicht beschmutzen und so weiter. Aber Erziehung ist nicht nur Kontrolle: Sie umfasst die Entwicklung der sozialen Reife des Tieres. Hunde sind wie Kinder voller Lerneifer und haben Freude daran, eine soziale Gewohnheit zu erlangen, sodass die Erziehung keine langweilige Tätigkeit ist, wenn der Mensch sie nicht dazu macht.

Arbeit In der Liste der menschlichen Fähigkeiten ist die Arbeit nicht als eigene Kategorie aufgeführt, sondern nur als ein Lebensbereich, in dem es keine Diskriminierung geben darf und in dem das Gefühl der Zugehörigkeit gefördert

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werden kann. Die Tatsache, dass Arbeit nicht aufgelistet ist, spiegelt aber nicht ihre mangelnde Wichtigkeit, sondern ihre Allgegenwärtigkeit wider. Es kommt vor, dass Menschen ihre Arbeit nicht lieben oder dass manche von ihnen, sei es aufgrund von Reichtum oder Ruhestand, gar nicht arbeiten; doch gibt es solche Menschen nur selten. Im Leben von Haustieren ist Arbeit hingegen nicht allgegenwärtig. Katzen arbeiten selten. Hunde arbeiten, wenn sie Rassen angehören, die für spezielle Aufgaben trainiert werden können: als Hüte- oder Jagdhund, als Rettungs- oder Blindenhund oder für eine Vielzahl von Aufgaben, bei denen es darum geht, mit ihrem Geruchssinn Detektivarbeiten auszuführen (z. B. indem sie Sprengstoff, Drogen oder sogar eine Covid-Infektion finden bzw. erkennen). Donaldson und Kymlicka stehen der Verwendung von Tieren für Arbeiten äußerst kritisch gegenüber und kommen zu dem Schluss, dass Tiere nur dann arbeiten sollten, wenn sie es wollen, und nur so viel, wie sie wollen. Arbeitshunde werden häufig durch die Methode negativer Verstärkung trainiert; sie müssen oft so viele Stunden arbeiten, dass sie nur wenig Gelegenheit zum Spielen haben und nur wenig Zuneigung bekommen. Außerdem wurden Hunde für Aufgaben gezüchtet, die selbst inhuman sind, wie etwa die Fuchsjagd. Eine Reform von Arbeitspraktiken bedeutet allerdings nicht, dass sie abgeschafft werden. Für Hunde kann  – wie für Menschen  – eine gut erledigte Arbeit eine große Befriedigung darstellen. Denken wir noch einmal an Argos: Er lag apathisch auf dem Misthaufen, weil er zu alt zum Arbeiten war, und er hatte das Gefühl, seinen Status verloren zu haben und nutzlos zu sein. So würde ich mich auch fühlen, wenn ich gezwungen wäre, in den Ruhestand einzutreten. Und ich glaube, dass viele Hunde der entsprechenden Rassen ein erfüllteres Leben führen, wenn sie beschäftigt sind, als wenn sie untätig in einem Haus herumsitzen. Das Gleiche gilt für Pferde, die für die Jagd und das Springen gezüchtet wurden: Wenn sie ihre Sprünge gut ausführen, erfüllt sie dies mit der Freude eines guten Athleten. Schickt man sie auf die Weide, bevor es ihr Alter gebietet, wird ihnen eine bedeutsame Quelle ihres Lebenszwecks genommen. Kurzum: Wenn die Arbeit dem Leben eines Tieres alles in allem Bedeutung und Erfüllung verleiht, dann muss das Tier, wie wir alle, die regelmäßigen Arbeitszeiten akzeptieren, die ein ordentlicher Arbeitsplatz erfordert (d. h. Arbeitszeiten, die ausreichend Zeit für Spiel und Geselligkeit lassen). Das bedeutet zwar, dass sie manchmal arbeiten, wenn sie keine Lust dazu haben, aber das gilt für uns alle.

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Alle Arbeitstiere, einschließlich der Menschen, werden in gewisser Weise am Arbeitsplatz als Mittel zum Zweck eingesetzt. In anständigen Gesellschaften wird jedoch angestrebt, dass der Arbeitnehmer in erster Linie als Selbstzweck behandelt wird, auch wenn er verschiedene nützliche Funktionen erfüllt.

Anregung und Spiel Den Fähigkeiten der Sinne, der Vorstellungskraft und des Denkens sowie derjenigen des Spielens entsprechend, brauchen alle Haustiere eine Umgebung, die ihre Sinne und ihre Neugier anregt und sie zum Spielen einlädt – sowohl mit anderen Tieren als auch mit Menschen. Vor allem ein großer Teil der Hunde langweilt sich. Wenn ihr menschlicher Besitzer nur einen oder zwei kurze Spaziergänge mit ihnen unternimmt und sie den Rest der Zeit allein im Haus lässt – was ein übliches Verhalten vielbeschäftigter, berufstätiger Menschen ist –, werden sie lustlos, nehmen oft zu, bekommen Krankheiten wie Diabetes und haben generell keine Lebensfreude. Einen Hund zu adoptieren, bedeutet, die Verantwortung dafür zu übernehmen, dem Hund ein kognitiv abwechslungsreiches und interessantes Leben zu bieten: angemessene Bewegung in einer abwechslungsreichen Umgebung, abwechslungsreiches und schmackhaftes Futter und Gelegenheiten zum Spielen mit anderen Tieren sowie Spielzeit mit einem nicht gelangweilten und liebevoll engagierten Menschen. Die Expertin für Tierethologie Barbara Smuts, auf die ich in Kapitel  11 eingehen werde, weist auf einen weiteren wichtigen Punkt hin: Der Hund muss in der Lage sein  – zumindest zeitweise – das Sagen zu haben. Wenn sie mit ihrem Hund Safi spazieren geht, lässt Smuts ihn etwa die Hälfte der Zeit den Weg bestimmen, indem er einem interessanten Geruch oder einer Spur folgen darf. Die meisten Menschen machen das nicht: Sie haben ihre feste Lauf- oder Gehstrecke, und der Hund muss mitkommen. Die Neugierde ist erloschen, und der Hund hat abermals ein langweiliges Leben. Viele Menschen zerren ihre Kinder auf ähnliche Weise mit sich, doch das ist schlechte Erziehung – gute Erziehung bedeutet, das Kind oft dorthin zu bringen, wo es selbst hin will.

Zugehörigkeit und praktische Vernunft Dies sind die Schlüsselfähigkeiten auf der menschlichen Fähigkeitenliste, denn sie organisieren alle anderen und durchdringen sie, indem sie auf alles andere

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abfärben. Für Hunde und Katzen ist die praktische Vernunft eng damit verbunden, als Selbstzweck behandelt zu werden. Ein Leben praktischer Vernunft zu führen, bedeutet für symbiotische Tiere nicht, dass sie sich selbst überlassen werden; das kann kein gutes Leben für einen Hund oder eine Katze sein. Es bedeutet stattdessen, dass innerhalb der umfassenderen Beziehung zu einem Menschen die eigenen Interessen respektiert werden und es genügend Wahlmöglichkeiten gibt, also hinsichtlich aller zentralen Fähigkeiten eines Hundes oder einer Katze, ein gutes Leben führen zu können, welches das jeweils eigene ist, und nicht ein Leben, das ausschließlich von den Interessen des Menschen diktiert wird. Und da dieses gute Leben nie ein einsames Leben sein wird, sondern immer eines, das mit dem Leben von Menschen (und oft auch von anderen Tieren) verwoben ist, ist es entscheidend, dass die Beziehung zum Menschen von gegenseitiger Zuneigung und gegenseitigem Respekt geprägt ist. Wenn Zuneigung und Respekt vorhanden sind und der Mensch wirklich lernt, sein Haustier als eigenständiges Wesen mit eigenen Zielen zu betrachten, nicht nur als Spielzeug oder Instrument, dann wird sich alles andere ergeben.

Tiere, die nicht im Haus gehalten werden: Pferde, Rinder, Schafe, Hühner Ich habe mich zwar ausgiebig mit Katzen und Hunden beschäftigt, aber sie bieten auch ein gutes Beispiel für verwandte Fälle. Ich denke, dass Pferde (gezähmter Arten) einen sehr ähnlichen Fall bilden, obwohl sie nicht unseren direkten Wohnraum teilen. Sie sind in hohem Maße interaktiv, erleben Freude und Lebenssinn in einer guten Beziehung zum Menschen und können sich an ihren eigenen hervorragenden Leistungen sowie der Partnerschaft, die damit verbundenen ist, erfreuen. Auch sie könnten kein gutes Leben führen, wenn sie auf sich selbst gestellt wären und sich ihren Weg durch die Welt allein bahnen müssten. Das soll nicht bedeuten, dass die Welt des Reitsports nicht voll von Grausamkeit und Korruption ist, aber es sollte nach dem bisher Gesagten möglich sein, dies zu erkennen und dagegen vorzugehen. Es gibt noch etwas hinzuzufügen, das mit meiner Argumentation für die Abschaffung der Massenhundezucht in Hinblick auf Krankheiten zusammenhängt: Die gesamte Industrie der Vollblutpferderennen muss abgeschafft werden. Pferde werden daraufhin gezüchtet, so dünne Beine zu haben, dass sie oft

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schon beim geringsten Anlass brechen und das Tier dadurch zu einem frühen Tod verurteilt ist. Sie haben abnormal kleine Herzen und eine Vielzahl anderer gesundheitlicher Probleme. Hier geht es nur um Geld, nicht um das Tier, und ich denke, dass die Zucht solcher Tiere verboten werden muss, und zwar besser früher als später. Bei Hürdenrennen bestehen ähnliche Gesundheitsprobleme. Ein hierfür gezüchtetes Pferd muss stärker und ausdauernder sein als ein Vollblutpferd, das seine Leistung auf der Rennbahn erbringt, doch offenbar sind die Gesundheitsprobleme hier ähnlich oder sogar noch größer.22 Springpferde sind anders: Sie können ein gesundes, symbiotisches Leben mit ihren menschlichen Begleitern führen, ebenso wie Dressurpferde. Was Rinder betrifft, so sind Ochsen Arbeitstiere, die, wenn sie gut behandelt werden, bei ihrer Arbeit aufblühen. Wie verhält es sich mit Milchvieh? Wie Donaldson und Kymlicka darlegen, ist die derzeitige Milchindustrie ein moralischer Horror.23 Milchkühe, die gezüchtet werden, um reichlich Milch zu produzieren, haben schwache Knochen, weil ihnen Kalzium entzogen wurde. Darüber hinaus werden die Kühe nach der Geburt von ihren Kälbern getrennt (um den Anteil der Milch zu maximieren, der von Menschen konsumiert wird) und ständig trächtig gehalten, was zahlreiche gesundheitliche Probleme zur Folge hat. Ich stimme Donaldson und Kymlicka darin zu, dass eine umgestaltete Milchwirtschaft vorstellbar ist, doch wäre sie unwirtschaftlich, da die Kälber einen Großteil der Muttermilch trinken würden und die Muttertiere nicht ständig schwanger wären. Sie stellen sich vor, dass Kuhmilch dann zu einem Luxusgut werden könnte, „was zu einer begrenzten, aber stabilen Anzahl von Kühen führen würde“.24 Die Situation von Schafen ist viel besser. Einzelne Schafe werden zwar oft nicht sehr gut behandelt, aber im Gegensatz zu einigen Veganern habe ich wie Donaldson und Kymlicka keine prinzipiellen Einwände gegen die menschliche Nutzung tierischer Produkte, solange das Tier sein charakteristisches Leben weiterführen kann. Die Nutzung muss nicht ausbeuterisch sein, und Hausschafe müssen geschoren werden, da sie ihre Wolle nicht automatisch abwerfen. Es ist gut für sie, denn es entlastet sie. Sie nicht zu scheren, wäre tatsächlich eine Form von Misshandlung. Wir können uns also leicht ethische Bedingungen vorstellen, unter denen Menschen Schafe scheren und ihre Wolle nutzen. Darüber hinaus kann es moralisch vertretbar sein, den Schafsmist zu sammeln und als Dünger zu verwenden. Donaldson und Kymlicka stellen fest: „Diese Verwendungszwecke scheinen völlig unbedenklich zu sein  – die Schafe tun lediglich das,

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was Schafe so tun, und die Menschen profitieren von diesem ungezwungenen Leben.“25 Sie fügen hinzu: „Wenn wir die Schafe als Bürger ansehen, bemerken wir, dass dies eine große Chance für sie ist, zum Gemeinwohl beizutragen.“26 Und wie verhält es sich mit Hühnern (die wegen ihrer Eier und nicht zum Schlachten aufgezogen werden)? Auch hier ist das gegenwärtige System der kommerziellen Eierproduktion nicht akzeptabel, denn dazu gehört das Leid verursachende Einsperren, das Töten männlicher Küken sowie das Töten der Hennen, sobald ihre Eierproduktion nachlässt. Hier können wir uns allerdings mühelos eine moralische Reform vorstellen, die nachhaltig wäre und in einigen Betrieben bereits praktiziert wird. Haushühner in Freilandhaltung produzieren eine große Anzahl von Eiern. Man kann ihnen erlauben, einige auszubrüten und Junge aufzuziehen, während immer noch viele Eier übrig bleiben. Gegen das Nutzen dieser überschüssigen Eier durch den Menschen scheint nichts einzuwenden zu sein, solange die Hühner genügend Platz haben, um ein artgerechtes Leben zu führen, in dem sie umherlaufen, Beziehungen eingehen und viel Zeit zum Erkunden und Spielen haben.27 Veganer leugnen wie Abolitionisten die Möglichkeit einer für beide Seiten vorteilhaften Symbiose. Wir müssen zwar jeden einzelnen Fall genau betrachten, doch ich glaube, dass eine Symbiose sowohl mit Tieren innerhalb des Hauses als auch außerhalb möglich ist. Andere Hoftiere werden speziell für das Schlachten gezüchtet, aber dieses Thema spare ich für das Kapitel über rechtliche Fragen auf. Gibt es andere Tiere, die gleichsam Gefährten sind? Die meisten Tiere, die unter dieser Bezeichnung in Haushalten leben – Hamster, Wüstenrennmäuse, Wellensittiche, Goldfische, Schildkröten, Kanarienvögel –, sind eigentlich gar keine symbiotischen Tiere: Es handelt sich um in Gefangenschaft gehaltene Wildtiere, auch wenn sie sich in einem Privathaushalt und nicht in einem Zoo befinden. Mit diesem Thema wird sich das nächste Kapitel befassen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass zahlreiche Tierarten mit dem Menschen durch und durch symbiotisch verbunden sind – in der Regel durch gezielte Züchtung in der Vorgeschichte. Sie leben in unseren Häusern oder direkt daneben. Dagegen ist nichts einzuwenden, solange sie nicht als „lebende Spielzeuge“ oder Besitztümer behandelt werden, sondern als aktive, abhängige Bürger, die ihr eigenes Leben zu leben haben. Sie wären nicht in der Lage, ein gutes Leben zu führen, wenn sie einfach freigelassen würden. Es wird nicht leicht sein, unser altes, auf dem Paradigma des Eigentums basierendes Verhalten zu ändern. Es ist

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Tiere, die mit uns leben und in unserer Nähe leben

jedoch eine Revolution, die in Bezug auf Hunde, Katzen und Pferde bereits im Gange ist, und es gibt sogar einzelne Beispiele für ein verändertes menschliches Verhalten gegenüber Hühnern, Schafen und Milchkühen. Der Abolitionismus ist nicht gut für diese Tiere, die nur in Partnerschaft mit dem Menschen ein gedeihliches Leben haben können. Auch die vegane Idee, sie nicht zu nutzen, ist keine gute Richtschnur für moralisches Verhalten. Der Fähigkeitenansatz, der die charakteristische Lebensweise eines Tieres als Maßstab nimmt, ist ein weitaus besserer Leitfaden.

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„Wildtiere“ und die menschliche Verantwortung

Sei du ich, Ungestümer! Treibe meine toten Gedanken durch das Universum Wie verwelkte Blätter, um eine neue Geburt zu beschleunigen! Percy Bysshe Shelley, Ode an den Westwind

Das Töten, die verbrecherischste Handlung, die von menschlichen Gesetzen benannt wird, wird von der Natur einmal an jedem Lebewesen vollzogen und in einem großen Teil der Fälle nach herausgezögerten Qualen, wie sie nur die größten Monster, von denen wir lesen, ihren lebenden Mitgeschöpfen jemals absichtlich zugefügt haben. John Steward Mill, Natur

Sollten wir versuchen, nicht domestizierte Tiere in der „Wildnis“ sich selbst zu überlassen – ihrem evolutionären Lebensraum, der aber auch ein Bereich voller Grausamkeit, Mangel und Tod ist? Oder sollten wir aktiv eingreifen, um wilde Tiere zu schützen? Auf welche Weise könnte Letzteres geschehen? Und was ist eigentlich „die Wildnis“? Gibt es sie überhaupt? Welchen Interessen dient dieses Konzept? In diesem Kapitel setze ich mich mit schwierigen Fragen auseinander, die durch die Vorstellung von „wilden Tieren“ und „der Wildnis“ aufgeworfen werden: Haben wir eine Verantwortung, „wilde“ Tiere vor Mangel und Krankheit zu schützen? Wie können und sollten wir dies tun, ohne die Lebensform dieser Tiere zu verletzen? Können wir in Anbetracht der Tatsache, dass Zoos wilde Tiere in der Vergangenheit grausam behandelt und eher den Interessen der Menschen als denjenigen der Tiere, die sie gefangen hielten, gedient haben, dennoch zumindest einige Wildtiere in irgendeiner Art von Zoo halten? Und wenn ja: Welche Tiere dürfen wir in welcher Art von Zoos halten? Können wir

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uns so etwas wie eine kooperative, aus mehreren Arten bestehende Gemeinschaft überhaupt vorstellen, wenn es dabei um „wilde“ Tiere geht? Und wie sieht es mit dem Rauben von gefährdeten Tieren durch andere Tiere aus? Könnte es in unserer Verantwortung liegen, diesem Grenzen zu setzen? Meine Antworten auf diese Fragen werden in einigen Fällen kontrovers ausfallen; in anderen Fällen wird man zwar die allgemeine Skizzierung des Fähigkeitenansatzes akzeptieren können, jedoch über die Anwendungen im Einzelnen unterschiedlicher Meinung sein. Was die Gemeinschaft der Tierliebhaber betrifft, ist dies wahrscheinlich das umstrittenste Kapitel des Buches.1 Meine Schlussfolgerungen sind provokativ, aber ebenfalls vorläufig, da wir nach neuen Wegen suchen, um in einer Welt zu denken und zu leben, die überall von menschlicher Macht und Aktivität beherrscht wird. Ausgehend von einer skeptischen Prüfung der romantischen Legitimation einer gemeinsamen westlichen Vorstellung von „Wildnis“ und „Natur“ argumentiere ich dafür, dass diese Vorstellung von Menschen für menschliche Zwecke geschaffen wurde und den Interessen anderer Tiere nicht dient oder diese auch nur ansatzweise berücksichtigt. Außerdem gibt es, jedenfalls heute, keine eigentliche „Wildnis“ mehr, also keinen Raum, der nicht vom Menschen kontrolliert würde: Zu behaupten, dass es „die Wildnis“ gibt, stellt eine Möglichkeit dar, sich der Verantwortung zu entziehen. Ich habe mich bislang mit der Situation der Tiere befasst, mit denen wir Menschen täglich zusammenleben und die sich auf eine Weise entwickelt haben, dass sie mit uns in einer Symbiose leben. Ich habe in diesem Zusammenhang eine Version der Idee einer „Gesellschaft mit verschiedenen Arten“ und von Tieren als unseren Mitbürgern verteidigt. Ich frage nun weiter: Wie weit kann und sollte diese Idee auf „wilde Tiere“ ausgedehnt werden? Welche Verantwortung für den Schutz des Lebens „wilder“ Tiere tragen wir als ihre eigentlichen Hüter?

„Die Wildnis“ als romantische Traumvorstellung Die Faszination von der Idee einer „wilden“ Natur ist tief im Denken der modernen Umweltbewegung verankert. Die Idee ist zwar sehr anziehend, jedoch meines Erachtens auch zutiefst verwirrend. Bevor wir in dieser Sache weiterkommen können, müssen wir die kulturellen Ursprünge dieser Idee und das

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Problem, welches sie für diejenigen, die von ihr Gebrauch machten, lösen sollte, verstehen. Knapp zusammengefasst, ist die romantische Vorstellung von der Natur folgende: Die menschliche Gesellschaft ist morsch, vorhersehbar und verweichlicht. Es fehlt ihr an kraftvollen Quellen der Energie und Erneuerung. Die Menschen sind voneinander und von sich selbst entfremdet. Die Industrielle Revolution hat Städte in schmutzige Orte verwandelt, an denen der menschliche Geist (wie in Blakes „dunklen satanischen Mühlen“) auf Schritt und Tritt erdrückt wird. Im Gegensatz dazu lockt irgendwo da draußen – auf den Bergen, in den Ozeanen, sogar im wilden Westwind – etwas Wahrhaftigeres, Tieferes, etwas Unverdorbenes und Erhabenes, eine Art Lebenskraft, die uns wiederherstellen kann, weil sie unseren eigenen profundesten Tiefen entspricht. Die anderen Tiere sind ein großer Teil dieser „Wildnis“, der geheimnisvollen und vitalen Energie der Natur. (Man denke an Blakes „Tiger, Tiger, brennend hell“.) Das typische romantische Szenario ist ein einsamer Spaziergang in der wilden Natur: Chateaubriand, der die Niagarafälle besucht (obwohl er nie dort war), Rousseaus Träumereien eines einsamen Wanderers, Goethes Werther, der sich in die Umarmung der Winde stürzt, Shelley, der sogar fühlt, er selbst sei der Wind, Wordsworths einsame Wanderungen, die in einer ruhigeren Offenbarung goldener Narzissen enden, Henry David Thoreau, der sich in die Wälder um Walden Pond begibt. Die „wilde“ Natur ruft in uns tiefe Gefühle des Staunens und der Ehrfurcht hervor, und durch diese Gefühle werden wir regeneriert. Ist diese Gefühlskonstellation hilfreich, wenn es darum geht, darüber nachzudenken, wie wir uns anderen Tieren gegenüber verhalten sollten? Ich denke, nicht. Die romantische Vorstellung von „der Wildnis“ ist aus den Ängsten der Menschen entstanden, insbesondere der Ängste vor dem Leben in Städten und vor der Industrialisierung. In dieser Vorstellung soll die Natur etwas für uns tun; die Idee hat wenig mit dem zu tun, was wir für die Natur und andere Tiere tun können. Der Narzissmus dieser Idee ist zumeist explizit, etwa in Shelleys ständig wiederholtem „Ich“ oder in Wordsworths letzten Zeilen: „Denn oft, wenn ich auf meiner Couch liege, / In flauer oder nachdenklicher Stimmung, / Blitzen sie vor jenem inneren Auge auf, / Das ist der Einsamkeit Glückseligkeit. / Dann füllt sich mein Herz mit Freude / Und tanzt mit den Narzissen.“ Auch Blakes „Tiger“ ist eindeutig ein Sinnbild für etwas in der menschlichen Psyche, und das Gedicht sagt nichts darüber aus, wie wir nach Blake mit realen Tigern umgehen sollten.

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Viele Romantiker des 19. Jahrhunderts vertraten sogar die Auffassung, Bauern und andere arme Menschen seien ein Teil der Natur oder stünden ihr näher und sollten dort in ländlicher Armut bleiben, anstatt sich in die Stadt zu wagen und zu versuchen, sich zu bilden. Tolstois Lewin findet seinen Frieden, als er seine städtische Kultiviertheit ablegt und sich dem natürlichen Arbeitsleben der Bauern anschließt. (Was hätten wirkliche Bauern wohl von dieser Anmaßung gehalten?) Thomas Hardy nahm diese Fiktion in Jude the Obscure [dt. Jude Fawley, der Unbekannte] aufs Korn, indem er deren schlimme Folgen für reale arme Menschen mit Intelligenz und Ehrgeiz aufzeigte; doch die Fiktion hielt sich. Selbst E. M. Forster glaubte noch daran, als er Leonard Bast in Wiedersehen in Howards End als einen Menschen darstellte, dem es auf dem Land besser ging: Sein Fehler bestand darin, nach London zu ziehen und den Versuch zu unternehmen, sich zu bilden. Man denke statt an Bauern an andere Tiere und wird sehen, worauf ich hinaus will. Oh, diese Tiere, die so tief unter uns stehen, wie lebendig, wie robust sie doch sind! Wenn wir doch nur für eine kurze, fünftägige Safari (aus sicherer Entfernung) an ihrer Welt der Gewalt und des Mangels teilhaben könnten! Natürlich würden wir nicht im Traum daran denken, ein solches Leben real zu führen. Doch wir erleben einen Schauer durch die kurze Berührung, und wir fühlen uns lebendiger. (Viele Menschen, die an Öko-Safaris teilnehmen, denken und sprechen auf genau diese Weise.) Diese romantische Fiktion ist aber keineswegs eine Besonderheit des neu industrialisierten Europas und Nordamerikas: In anderen Gesellschaften gibt es andere Abwandlungen der Vorstellung von „natürlicher“ Reinheit, Energie und Tugend. Wir sehen sie in der antiken römischen Besessenheit von Ackerbau und Landwirtschaft als Quellen der Erneuerung oder in Gandhis Vorstellung, die Tugendhaftigkeit der indischen Bevölkerung lasse sich durch ländliche Armut, das Spinnen der eigenen Kleiderstoffe usw. wiederherstellen. In zahlreichen Kontexten scheinen die Menschen glauben zu müssen, ihre städtische Kultiviertheit sei schlecht und sie würden glücklicher und besser werden, wenn sie irgendwie mit der „wilden“ Natur verschmelzen würden. In der Regel ist diese „Verschmelzung“ ein ziemlicher Schwindel, wie bei Chateaubriands Beschreibung eines Ortes, den er gar nicht erst zu besuchen versucht hat, oder wie in der immensen Kultiviertheit, mit der die Dichter der Romantik die ländliche Einfachheit für sich beanspruchten. Zugegeben, es ist dennoch gute Dichtung. Ich will damit sagen, dass diese Idee eine Idee von und über den Menschen ist, nicht über die Natur oder die Tiere oder

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das, was wir für sie tun sollten. Das Staunen, das mit dem romantischen Erhabenen verbunden ist, ist auf ähnliche Weise egozentrisch. Es ist nicht die Form des Staunens, von der ich seit dem ersten Kapitel spreche, eines Staunens, das uns tatsächlich nach außen ausrichtet. Die romantische Vorstellung von der Natur hatte allerdings auch eine gute Seite. Da die Menschen eine bestimmte Art von Erfahrung suchten, schützten sie solche Orte, die diese zu bieten schienen. Der Sierra Club und ein Großteil der US-amerikanischen Naturschutzbewegung haben hier ihren Ursprung, ebenso wie die Naturschutzbewegungen anderer Länder. Heute finden Menschen an „wilden“ Orten häufig körperliche und geistige Erholung, und die Länder, die solche Orte geschützt haben, bieten den Menschen ein wirkliches Gut, das an anderen Orten verschwunden ist. Doch das Gute ist nur allzu oft rein zufällig: Es geht um uns, nicht um diese Orte. Gleichzeitig gibt es auch viel Schlechtes: die Verherrlichung der Jagd, des Walfangs und des Angelns sowie das grauenhafte Theater dessen, was man als den gegenwärtigen Sado-Tourismus bezeichnen könnte, bei dem Menschen viel Geld ausgeben, um zu sehen, wie Tiere andere Tiere in Stücke reißen, ähnlich wie gefangene Sklaven und Löwen vor langer Zeit, die gezwungen wurden, bei den Gladiatorenspielen gegeneinander zu kämpfen.

Die „Wildnis“ ist nicht gut und existiert ohnehin nicht Wenn wir mit „Natur“ und „Wildnis“ den Lauf der Dinge meinen, den sie nehmen, wenn der Mensch nicht eingreift, dann ist dieser für nicht menschliche Tiere nicht gut.2 Natur bedeutet seit Jahrtausenden Hunger, unerträgliche Schmerzen und häufig das Aussterben ganzer Tiergruppen. Vergleichen wir „die Wildnis“ mit der Massentierhaltung oder den ethisch weniger sensiblen Formen der Gefangenschaft in Zoos, dann sieht sie etwas freundlicher aus; als Quelle normativen Denkens kann uns die Idee der Natur für sich genommen jedoch keinerlei nützliche Orientierung bieten. Wie John Stuart Mill richtig sagt, ist die Natur grausam und gedankenlos. Selbst die altehrwürdige Vorstellung von einem „Gleichgewicht der Natur“ ist durch das moderne ökologische Denken mittlerweile gründlich widerlegt. Wenn der Mensch nicht eingreift, erreicht die Natur weder einen stabilen oder ausgeglichenen Zustand noch einen, der für andere Lebewesen oder die Um-

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welt der beste wäre.3 Tatsächlich verdanken die natürlichen Ökosysteme, sofern sie sich selbst in einem stabilen Gleichgewicht erhalten, diese Tatsache verschiedenen Formen des Eingreifens durch den Menschen. Die Idee des „Gleichgewichts der Natur“ sieht anders aus als die romantische Idee, doch sie ist in Wirklichkeit eine andere Form derselben Idee: Unser (städtisches) Leben ist von Konkurrenzangst und Neid geprägt, die Natur ist jedoch friedlich und ausgeglichen. Diese Vorstellung entspringt den Bedürfnissen des Menschen und seiner Fantasie; durch Beweise gestützt wird sie nicht. Es gibt sicherlich einige gute Gründe, nicht in das Leben von „wilden“ Tieren einzugreifen. Zwei dieser Gründe sind, dass uns Wissen fehlt und wir viele Fehler machen würden und dass Eingriffe häufig auf eine unzulässige Weise paternalistisch sind, während wir eigentlich die Entscheidung der Tiere für eine bestimmte Lebensweise respektieren sollten. Dies sind jedoch nur Primafacie-Gründe. Unwissenheit kann durch Wissen ersetzt werden, so wie unsere Unwissenheit darüber, was für die Kinder und Haustiere, die mit uns leben, gut ist, größtenteils durch Wissen ersetzt wurde. In den Fällen, in denen wir weiterhin unwissend bleiben, ist die Gesellschaft der Auffassung, dass Unwissenheit in solchen Angelegenheiten nicht entschuldbar ist: So sind Eltern, die Impfungen für ihre Kinder (oder auch für Haustiere) ablehnen, (in den meisten Fällen) für die Unwissenheit, die dieser Entscheidung zugrunde liegt, zur Rechenschaft zu ziehen. Und was die Autonomie betrifft: Wir werfen Regierungen normalerweise nicht vor, aus einem abzulehnenden Paternalismus heraus zu handeln, wenn sie umfassende Gesetze zur Sozial- oder Krankenversicherung verabschieden – ja sogar, wenn sie Gesetze erlassen, die Mord, Vergewaltigung und Diebstahl als Verbrechen definieren, und diese Gesetze dann durchsetzen. Wenn es um die Grundlagen des Lebens geht, haben die Menschen unserer Meinung nach einen Anspruch auf Schutz (auch wenn AntiPaternalisten zu Recht darauf bestehen, dass bei Erwachsenen Entscheidungen über ihre Gesundheit zumindest bis zu einem gewissen Grad ihre persönliche Angelegenheit bleiben). Wenn wir mit den Schultern zucken, wenn Tiere verhungern – sagen wir damit dann nicht, Tiere seien nicht wichtig? Und wenn wir unsere Politik des Laissez-faire mit mangelnder Kenntnis bezüglich ihres Wohls begründen – wie glaubwürdig ist dieses Argument im Zusammenhang mit grundlegenden Überlebensfragen? So interessant diese Diskussion auch sein mag, sie setzt voraus, dass es in der Welt so etwas wie eine „wilde“ Natur gibt: Bereiche, die nicht unter mensch-

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licher Kontrolle und Aufsicht stehen. Sie setzt voraus, dass es für Menschen überhaupt möglich ist, Tiere in Ruhe zu lassen. Diese Annahme ist jedoch falsch. Unabhängig davon, wie groß die betreffenden Landstriche sind: In unserer Welt untersteht jegliches Land ganz und gar menschlicher Kontrolle. So leben etwa „wilde Tiere“ in Afrika in Tierschutzgebieten, die von den Regierungen unterschiedlicher Länder unterhalten werden. Sie kontrollieren den Zugang zu ihnen, verteidigen sie gegen Wilderer (nur gelegentlich mit Erfolg) und unterstützen das Leben der Tiere in diesen Gebieten mit einer Reihe von Strategien (u. a. auch durch Sprühmaßnahmen zum Schutz vor Tsetsefliegen sowie zahlreiche andere Maßnahmen). Es gäbe keine Nashörner oder Elefanten mehr auf der Welt, wenn der Mensch nicht eingreifen würde. In den USA leben „wilde Pferde“ und andere „wilde“ Tiere unter der Gerichtsbarkeit unserer Nation und ihrer Bundesstaaten. Sofern sie über begrenzte Rechte auf Nichteinmischung, Freizügigkeit und sogar eine Art von Eigentumsrechten verfügen, liegt dies daran, dass die menschliche Gesetzgebung es für angebracht gehalten hat, ihnen diese Rechte zu gewähren.4 Der Mensch hat überall die Kontrolle. Die Menschen entscheiden, welche Lebensräume sie für die Tiere schützen, und sie überlassen den Tieren nur das, was sie selbst nicht nutzen wollen. Der Luftraum und die Ozeane mögen als wahrhaft „wild“ erscheinen, doch was in ihnen passieren kann, wird in vielerlei Hinsicht durch nationales wie internationales Recht kontrolliert und in hohem Maße durch menschliche Aktivitäten bestimmt. Wie die Geschichte von Hal in Kapitel 1 und die Erörterung des Sonarprogramms der Marine der USA in Kapitel  5 zeigen, wird das Leben von Walen und anderen Meerestieren durch die menschliche Nutzung der Ozeane permanent beeinträchtigt – durch akustische Störungen, kommerziellen Walfang, die Verschmutzung mit Plastik und vieles andere mehr. In Kapitel 12 werde ich ausführen, was die Gesetzgebung zum Schutz der Meereslebewesen bisher getan hat und wie wenig es in der Lage war, die menschliche Gier effektiv einzudämmen. Im Hinblick auf die Luft erinnert uns Jean-Pauls Geschichte in Kapitel 1 daran, dass der Mensch diese in einer Weise verschmutzt, die das Leben der Vögel stark beeinträchtigt. Die von Menschen errichteten Gebäude und die Beleuchtung der Städte verursachen jedes Jahr den Tod zahlloser Vögel: Das Licht lockt die Vögel an, stört ihren Tagesrhythmus und verändert das Schema ihrer Wanderungsbewegungen.5 Menschliche Aktivitäten verändern außerdem die Lebensräume der Vögel; häufig zerstören sie diese.

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Ein Buch wie dieses könnte zwar einräumen, dass der Mensch gegenwärtig weltweit alle anderen Tiere dominiert, aber dennoch empfehlen, dass der Mensch sich einfach zurückzieht und all die „wilden“ Tiere in den genannten Gebieten alleine lässt, damit sie so gut sie können allein zurechtkommen. Selbst dieser Vorschlag würde allerdings ein aktives Eingreifen des Menschen erfordern, um menschliche Praktiken zu unterbinden, die das Leben der Tiere beeinträchtigen: Wilderei, Jagd, Walfang. Und es wäre, so scheint es, eine grobe Verleugnung der Verantwortung. Wir haben alle diese Probleme verursacht, würden ihnen aber den Rücken zukehren und sagen: „Nun, ihr seid wilde Tiere – lebt daher damit, so gut ihr könnt.“ Es ist nicht klar, was mit dieser vorgetäuschten Politik des Laissez-faire erreicht werden soll. Es wäre nicht wirklich eine Laissez-faire-Politik, sondern einfach nur die Entscheidung, zur Lösung der Probleme, die unsere allgegenwärtigen Aktivitäten den Tieren verursacht haben, nichts beizutragen. Einmal abgesehen von der Frage des Artenschutzes, die ich (wie in Kapitel 5) in gewisser Weise außer Acht lasse, scheint dies eine sehr herzlose Politik zu sein. Darüber hinaus ist nicht klar, ob wir uns moralisch betrachtet überhaupt distanziert verhalten können – selbst in Fällen, in denen wir ein Problem nicht verursacht haben. Kontrollieren und überwachen wir die Lebensräume der Tiere in bestimmten Gebieten, so erscheint es tatsächlich als hartherzige Betreuung, wenn wir massenhaftes Verhungern, Krankheiten und andere ganz und gar „natürliche“ Arten von Schmerzen und Qualen zulassen. Wir würden diesem Elend zuschauen, uns jedoch weigern, es zu beenden. Mit dem Jagdverhalten von Raubtieren beschäftigen wir uns später noch, und das ist ein wirklich schwieriges Thema. Doch wie verhält es sich mit dem Verhungern und vermeidbaren Krankheiten, mit Situationen, die zu verhindern in bestehenden Schutzgebieten für wilde Tiere routinemäßig versucht wird? Und was ist mit Situationen, die sehr wahrscheinlich vom Menschen mit verursacht wurden? Es gibt hierfür ein lehrreiches Beispiel: In Kirgisistan hat ein Nationalpark namens Ala-Artscha Areale geschaffen, die von wilden Tieren kontrolliert werden. Der Park ist dieser Idee zufolge in drei Zonen unterteilt: eine, in der Menschen wandern und picknicken können, eine, in der Tiere ohne menschliche Einmischung leben, und eine, in der dieselben Tiere brüten und ihre Jungen aufziehen, ebenfalls ohne Einmischung – sozusagen. Dieses Konzept wurde entwickelt, weil seltene Arten wie der Schneeleopard geschützt werden müssen, um sich selbst erhalten und fortzupflanzen zu können, und weil alle Arten in

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einer Welt mit vielen Arten am besten gedeihen, wenn ihre Fortpflanzung bis zu einem gewissen Grad von den anderen Lebensaktivitäten getrennt wird. So habe ich bei einem kürzlichen Besuch des Parks beispielsweise nur Eichhörnchen und Elstern gesehen. All dies ist natürlich vollkommen künstlich und erfordert ständige Eingriffe. Jeder Lebensraum wurde so eingerichtet und wird so gepflegt, dass die Tiere ein blühendes, artspezifisches Leben darin führen können. Obwohl ich nicht in die Nähe der beiden anderen Zonen gelangen konnte, weiß ich, dass auch dort intern sehr viele Management-Aufgaben ausgeführt werden, um eine erfolgreiche Ernährung und Fortpflanzung zu unterstützen. Dieses Arrangement ist für die Tiere viel besser als eines, in dem alle Lebewesen aufeinandertreffen würden. Wir dürfen sogar annehmen, dass die Tiere selbst sich für diese Anordnung entscheiden würden, wenn sie sprechen könnten, denn sie fördert ihre Gesundheit und ihr Gedeihen am besten. Aber damit sagen wir, dass Tiere – genau wie Menschen – sich nicht dafür entscheiden, ohne Beschützer auf sich selbst gestellt zu sein: Sie würden sich vermutlich für eine Welt mit einer ordentlichen Betreuung entscheiden, die ihr Gedeihen fördert, eine nicht „wilde“ Welt. Es gibt noch ein weiteres Beispiel für den Fall, dass einige meiner Leser immer noch darauf bestehen, die Lufträume seien der letzte Bereich wahrer Freiheit für wilde Tiere. In Neuseeland gibt es, anders als in Australien, keine wilden mittelgroßen Säugetiere. Es gibt jedoch eine Vielzahl von Nagetieren, die hauptsächlich von weißen Siedlern eingeführt wurden: Kaninchen, Eichhörnchen, Mäuse und Ratten. Und selbstverständlich gibt es auch domestizierte Tiere, Hunde und Katzen, von denen viele frei herumlaufen. Doch die Inseln beherbergen eine erstaunliche Vielfalt an Vögeln – keine Raubvögel, die im Wettbewerb mit den Nagetieren einen Vorteil haben könnten, sondern viele Arten kleiner Singvögel und mehrere Papageienarten. Wie man sich leicht vorstellen kann, sind die kleinen Vögel  – und bis zu einem gewissen Grad auch die Papageien – durch Nagetiere und Katzen gefährdet. Hätte sich der „Lauf der Natur“ durchgesetzt, wären viele Vogelarten bereits ausgestorben, und – was für meine Argumentation noch wichtiger ist – viele kleine Vögel wären zerfetzt worden und qualvoll verendet. Außerhalb von Wellington besuchte ich ein Vogelschutzgebiet, das in Wirklichkeit ein großes Areal ist, in dem die Vögel in etwa wie in einem Zoo leben. Menschen dürfen das Gebiet zwar betreten und darin wandern, sie müssen sich jedoch einer Kontrolle unterziehen, damit sie keine Vögel füttern oder Nagetiere, Hunde oder Kat-

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zen mit in das Schutzgebiet hinnehmen; diese Tierarten werden durch ein großes und sehr hohes Netz von dem Gebiet ferngehalten. Es hat drei Seiten und ist so aufgestellt, dass Vögel es verlassen können, wenn sie dies wollen, um außerhalb nach Futter zu suchen. Es wurde jedoch sorgfältig so berechnet, dass es für die üblichen Nagetiere zu hoch und unüberwindbar ist: Eine Informationstafel am Eingang zeigt, wie hoch Kaninchen und Katzen springen können und welche Art von Hindernissen den Kletterfähigkeiten der jeweiligen Tiere in den Weg gestellt wurden. Die Vögel sind frei – eben weil das Gebiet betreut wird. Diese beiden Beispiele zeigen, dass die Freiheit und Autonomie von Tieren mit einer intelligenten menschlichen Aufsicht nicht unvereinbar sind. Tatsächlich benötigen Tiere in der Regel Betreuung, da die Natur kein Bereich wunderbarer Freiheit ist. Versucht der Mensch in einer Welt, in der er allgegenwärtig ist und jeden Lebensraum mitgestaltet, in dem die einzelnen Tiere leben, sich seiner Verantwortung zu entziehen, so ist dies keine ethisch vertretbare Entscheidung und auch keine, die für ein gutes Leben der Tiere förderlich ist. Die einzigen Optionen, die wir in der Welt, wie sie ist, haben, bestehen in verschiedenen Formen und Graden von Betreuung. Wir müssen dieser Tatsache ins Auge sehen, sonst werden wir keine gute Diskussion darüber führen können, wie wir die Macht ausüben sollen, über die wir zweifellos verfügen.

Grundsätze moralischer Verantwortung: wilde Tiere und ihre Lebensräume Zunächst möchte ich einige allgemeine Grundsätze aufstellen, an denen wir uns orientieren können, wenn wir unser Verhalten in einer Welt bestimmen, die wir auf Gedeih oder Verderb (gegenwärtig hauptsächlich auf Verderb) beherrschen.

Grundsatz 1 Jeder Lebensraum für wilde Tiere ist ein vom Menschen beherrschter Raum Tiere benötigen gute Lebensräume, um ein Leben führen zu können, das ihnen eine gedeihliche Entwicklung erlaubt. Der Mensch kontrolliert jedoch sämt-

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liche Lebensräume: auf dem Lande, im Wasser und in der Luft. Oft ist diese „Kontrolle“ diffus und chaotisch, und es gibt Herrschaft ohne Autorität. Diese Situation leistet zahllosen Verletzungen „wilder“ Tiere Vorschub, von der Wilderei bis zum Erstickungstod als Folge von Umweltverschmutzung. Die Anerkennung von Grundsatz 1 als Ausgangspunkt ist der Beginn der Übernahme von Verantwortung und von effektiven Überlegungen dazu, wie die Fähigkeiten von Tieren geschützt werden können.

Grundsatz 2 Die kausale Verantwortung des Menschen für schädliche Lebensräume wird häufig verschleiert und kann – wenn überhaupt – nur selten ausgeschlossen werden Es ist verlockend, zu meinen, der Mensch sei für offensichtliche Schäden wie Wilderei, Jagd und Walfang verantwortlich und möglicherweise sogar für Schäden, die zwar weniger offensichtlich, aber eindeutig menschlichen Ursprungs sind (wie etwa Plastik in den Ozeanen, akustische Störungen durch Sonar, Schifffahrt und Ölplattformen),6 nicht jedoch für andere Schäden, die scheinbar von „der Natur“ verursacht werden, wie zum Beispiel Dürren, Hungersnöte und der Verlust eines typischen Lebensraums für die Nahrungssuche (wie etwa Eisschollen, auf denen sich Eisbären für die Nahrungssuche durch den Ozean bewegen müssen). Bereits wenig Nachdenken wird allerdings zeigen, dass sich diese Grenze  – wenn überhaupt  – nicht eindeutig ziehen lässt. Der Mensch spielt eine zentrale Rolle bei den globalen Veränderungen des Klimas, die ausschlaggebend für die Zerstörung des Lebensraums zahlreicher Tierarten sind und darüber hinaus Dürren, Hungersnöte, Überschwemmungen und Brände verursachen. Menschliche Aktivitäten verschmutzen die Luft. Die menschliche Bevölkerung breitet sich in Lebensräumen aus, die vormals von Tieren bewohnt wurden, sodass ihr Habitat und ihre Nahrungsquellen reduziert werden. Mill hatte sicherlich Recht, als er feststellte, dass „die Natur“ noch nie eine förderliche Umgebung für das Leben der Tiere war. Heute gehen die größten „natürlichen“ Probleme der Tiere hingegen auf den Menschen zurück. Wir sollten mit der Annahme fortfahren, nichts sei „nur Natur“ und all die großen schädlichen Faktoren würden in erster Linie von uns verursacht. Kurz gesagt: Wir sollten uns niemals aus der Verantwortung stehlen.

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Grundsatz 3 Betreuung ist keine Kameradschaft, und Wildtiere sind keine Haustiere Was für mich vom Begriff der „Wildnis“ übrig bleibt, ist die Warnung, wilde Tiere nicht wie Haustiere zu behandeln. Sie haben sich nicht entwickelt, um mit dem Menschen symbiotisch zusammenzuleben, und ihre Lebensform ist nur zufälligerweise mit der unseren verflochten. Manchmal kann es zu Freundschaften zwischen Menschen und Wildtieren kommen (worauf ich in Kapitel 11 eingehen werde); diese Möglichkeit erfordert jedoch große Demut und Respekt vor der Lebensform der wilden Tiere. Man wird mit sehr viel Feingefühl Grenzen ziehen müssen: Wann sollte man ein verletztes Tier medizinisch versorgen? Wie weit sollte man sich zurückhalten? Der folgende Abschnitt wird einige dieser Fragen untersuchen. Prüfstein sollte immer die Vorstellung einer idealen Entwicklung der jeweiligen Art von Lebewesen sein, und wir sollten in dieses Bild normalerweise nur am Rande eingreifen, indem wir Lebensräume erhalten, Gefahren beseitigen und gelegentlich Krankheiten bekämpfen. Doch wir sollten die wild lebenden Tiere – seien es junge Vögel oder verwaiste Elefanten – dabei nicht so behandeln, als seien sie unsere Haustiere. Dies bedeutet ausdrücklich nicht, dass wir die Tiere in Ruhe lassen, als ob wir keinerlei Verantwortung für ihre Notsituation hätten. Es bedeutet, nach Lösungen zu suchen, die respektieren, was das Tier benötigt, um selbstbestimmt leben zu können.

Betreuung und die Fähigkeiten Betrachten wir nun, wie in Kapitel  9, die größeren Kategorien der Liste der Fähigkeiten, und nennen wir Beispiele dafür, wie der Mensch die Fähigkeiten von Tieren schützen kann – und dass er häufig auch moralisch dazu verpflichtet ist. Es gibt hier so viele Tierarten zu berücksichtigen, dass ich lediglich schemenhaft andeuten kann, was der Fähigkeitenansatz empfehlen würde.

Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit Zuerst und am dringendsten müssen wir Menschen sämtliche Praktiken beenden, die das Leben, die Gesundheit und die körperliche Unversehrtheit von

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Wildtieren direkt verletzen. Die Wilderei ist ein offensichtliches Beispiel hierfür, und um den kriminellen Wildtierhandel zu stoppen, ist eine wirkungsvollere globale Zusammenarbeit dringend erforderlich: Es muss an seinem Ursprung überwacht und der Verkauf von Elfenbein muss weltweit verboten werden. Auch der kommerzielle Walfang und andere Formen der Jagd auf Wildtiere zum Profit oder als Vergnügen sollten verboten und wirksam überwacht werden. Die Ausfuhr von tierischen Körperteilen (Jagdtrophäen) aus dem Land, in dem das Tier getötet wurde, sowie ihre Einfuhr in das Land des Jägers sollten verboten werden. Einige Länder und Staaten haben bereits damit begonnen, dies umzusetzen. Ebenso wichtig ist es, das Importieren von jungen Wildtieren in die Zoos reicher Länder zu unterbinden, wie im Fall der 18 Tiere aus Eswatini, auf die ich im nächsten Abschnitt eingehe, und wie bei den Orcas, die aus den Schulen ihrer Artgenossen weggefangen werden, um die Besucher in Meeres-Themenparks zu unterhalten. Diese Praktiken töten das Tier zwar nicht, aber sie verletzen seine Gesundheit und körperliche Unversehrtheit, indem sie es aus seinem Gruppenzusammenhang herausreißen und in einen Kontext versetzen, der weder seiner körperlichen noch seiner seelischen Gesundheit förderlich sein kann. Zweitens muss der Mensch sämtliche Verhaltensweisen beenden, die rücksichtslos den Tod und das Leiden von Tieren verursachen, auch wenn nicht die Absicht bestand, den Tieren zu schaden: Es wurde einfach nicht ausreichend darüber reflektiert, um den Schaden vorauszusehen. Die Verwendung von Einwegplastikartikeln und deren Entsorgung im Meer ist eine solche Verhaltensweise. Wir müssen nicht nur damit aufhören, sondern auch das Plastik, was sich dort bereits angesammelt hat, so gut wie möglich entsorgen, da es sich fast gar nicht zersetzt. Eine weitere entsprechende Verhaltensweise ist die helle Beleuchtung städtischer Gebäude, die Tausende von Zugvögeln ins Verderben lockt. Allein in den USA kommen jährlich etwa eine Milliarde Vögel auf diese Weise ums Leben.7 Es ist möglich, die Beleuchtung zu den Zeiten, in denen zahlreiche Vögel ihre Wanderrouten entlangfliegen, zu verdunkeln, ohne den Menschen zu schaden, oder aber vogelsicheres Glas zu verwenden. Städte wie die meine, die zentral auf den Zugrouten liegen, tragen eine große Verantwortung für diese Todesfälle (vgl. meine Schlussbetrachtung). In die gleiche Kategorie würde ich den Einsatz von Sonargeräten im Meer sowie die Verwendung von Schallkannonen durch Ölförderungsunternehmen einordnen. Diese Unternehmen versuchen, Karten des Meeresbodens zu erstellen, aber die dazu ver-

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wendeten Schallwellen verursachen höchst schädliche Störungen bei Meeressäugetieren (vgl. Kapitel 12). Diese ersten beiden Maßnahmen können und müssen sofort ergriffen werden. Weitaus schwieriger ist die dritte: Der Mensch muss die Lebensräume von Wildtieren vor Schäden durch den Klimawandel und andere Umweltfaktoren schützen, die wahrscheinlich menschlichen Ursprungs sind. Ich habe gesagt, einer der Grundsätze laute, man dürfe sich nicht so leicht aus der Verantwortung stehlen und es sei ethisch vertretbar, davon auszugehen, dass Dürren, Hungersnöte, Überschwemmungen, das Zurückweichen des Gletschereises und viele andere Umweltveränderungen, die das Leben von Wildtieren bedrohen, letztlich auf den Menschen zurückzuführen sind. Jedenfalls sollten wir proaktiv handeln und einfach davon ausgehen, dass wir dafür verantwortlich sind. Doch es ist so schwierig, genau zu wissen, was zu tun ist. Um den Klimawandel aufzuhalten, ist ein globaler Wille erforderlich, der noch nicht vorhanden ist, und selbst wenn er vorhanden wäre, könnte er die bereits eingetretenen Veränderungen nicht mehr rückgängig machen. Was ist nun mit den Tieren, die gegenwärtig leiden? Im Fall von Hungersnöten und Dürren müssen wir Maßnahmen ergreifen, von denen bekannt ist, dass sie für die menschliche Bevölkerung wirksam sind, und die sowohl Menschen als auch Tieren zugute kommen werden. Am schwierigsten sind diejenigen Fälle, in denen der Klimawandel eine bestimmte Lebensform in Zukunft unmöglich zu machen droht. Wir können das Eis, auf dem die Eisbären früher nach Nahrung suchten, nicht ersetzen; daher müssen wir uns darauf konzentrieren, sein weiteres Abschmelzen zu verhindern. Die vierte Maßnahme ergibt sich von selbst: Wir müssen unsere eigene Nutzung der knappen Lebensräume einschränken, um Platz für Tiere zu schaffen. Ich habe diese Konflikte in Kapitel  8 erörtert. Sie erfordern eindeutig eine Begrenzung des menschlichen Bevölkerungswachstums und den Schutz zahlreicher Gebiete, damit diese von menschlicher Besiedlung frei bleiben. Fünftens würde ich dafür argumentieren, dass wir unser Wissen auf kluge und ganz bewusste Weise nutzen müssen, um das Leben von wilden Tieren zu schützen. Große Wildtierreservate schützen Tiere, indem sie Tsetsefliegen und andere tödliche Bedrohungen durch Sprühmaßnahmen bekämpfen. Hier überschreiten wir die Grenze zwischen dem Beseitigen von durch Menschen verursachte Schäden und einem proaktiven Schutz. Es scheint jedoch undenkbar, diese Grenze nicht zu überschreiten, da der Mensch diese Wildtierreservate

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schließlich verwaltet, vermutlich um der Tiere willen und nicht nur wegen der Touristen und des Geldes, das sie einbringen. Und wie verhält es sich mit veterinärmedizinischer Versorgung? Hier besteht die große Gefahr, dass wir die Lebensform der Tiere stören, wenn unsere Eingriffe zu häufig erfolgen und zu viel Unruhe stiften. Da wir jedoch in der Nähe von Wildtieren allgegenwärtig präsent sind, werden medizinische Eingriffe zunehmend als ein moralisches Gebot betrachtet, das mit Respekt und Empathie erfüllt werden kann. In vom Menschen besiedelten Gebieten geben die örtlichen Behörden den Bewohnern Ratschläge, was sie tun sollen – und was nicht –, wenn sie einen scheinbar verlassenen kleinen Vogel oder ein Kaninchen oder ein Reh in derselben Situation finden.8 Auf diese Weise werden zahlreiche Tierleben gerettet, ohne dass aus dem Wildtier dadurch ein Haustier wird: Es wird notversorgt und seiner Familie zurückgegeben. In einem ordentlichen Zoo werden die Tiere bei lebensbedrohlichen Problemen routinemäßig von Tierärzten operiert. Ein Beispiel aus jüngster Zeit ist die gewagte Hüftoperation an einem Tiger im Brookfield Zoo in Chicago.9 Sollte man diese Art von fähigkeitserhaltenden Interventionen auch in Wildtierreservaten durchführen, bei denen es sich in Wirklichkeit um große, nicht geschlossene Zoos handelt? Es handelt sich hier um ein sich entwickelndes tiermedizinisches Spezialgebiet. Experten werden so ausgebildet, dass sie mit den Lebensräumen und Lebensformen der Tiere bestens vertraut sind. In diesem Bereich werden zunehmend viele schwierige Entscheidungen getroffen werden müssen.10 Es erscheint unakzeptabel, dass ein Tiger wieder laufen können soll, weil er sich zufällig in einem Zoo in Chicago befindet, während ein Artgenosse in einem großen Tierreservat in Asien nicht die gleiche Behandlung erhält – nur weil das Reservat größer ist als der Zoo! (Und welchen anderen relevanten Unterschied gibt es, außer dass das Reservat ein besserer Lebensraum ist?) Es gibt viele schwierige Fragen, mit denen sich menschliche Experten künftig werden auseinandersetzen müssen, da die gegenseitige Verflechtung der Leben von Menschen und Tieren immer stärker zunimmt. Der Fähigkeitenansatz bietet im Gegensatz zu utilitaristischen Ansätzen eine gute Orientierungshilfe: Ziel sollte es immer sein, ein Tier mit seiner Fähigkeit, eine erfüllte arttypische Lebensform zu realisieren (oder von dieser artspezifischen Norm abzuweichen, wenn es sich dafür entscheidet), zu schützen. Es wird immer wieder zu Konflikten zwischen dem Wohlergehen einer Art und demjenigen anderer Arten kommen, wobei die Jagd einer Tierart auf eine andere der wichtigste Fall ist. Doch

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in der Regel dienen die allgemeinen Maßnahmen zum Schutz der Lebensräume von Tieren dem Wohl aller Tiere in diesen Lebensräumen.

Sinne, Vorstellungskraft, Denken; Gefühle; praktische Vernunft; Zugehörigkeit; andere Spezies; Spiel; Kontrolle über die Umwelt Sind Leben, Gesundheit und körperliche Unversehrtheit geschützt, dann erledigt sich der Rest der Fähigkeiten auf der Liste von selbst. (Wie zuvor übergehe ich den Fall der Jagd auf Beute, dem ich mich später widmen werde.) Wenn der Lebensraum eines Tieres frei von schwerwiegenden Eingriffen und Gefahren ist, wenn er genügend Raum für gesunde Bewegung, Gruppenaktivität und ausreichend hochwertige Nahrung bietet, so wird das Leben des Tiers weder von Monotonie abgestumpft (wie in schlechten Zoos) noch von Angst erstickt. Außerdem mangelt es ihm dann nicht an Möglichkeiten des selbstbestimmten Lebens, es erlebt das Gefühl der Zugehörigkeit und hat Gelegenheit zum Spielen, sowohl innerhalb einer Gruppe seiner Art als auch in guten Beziehungen zu anderen Arten.

Sind Zoos moralisch vertretbar? Einen nützlichen Gefallen hat uns die Idee der „Wildnis“ getan: Sie hat die moralische Rechtfertigung von Zoos und Meeres-Themenparks infrage gestellt. Dennoch werde ich dafür argumentieren, dass uns die Idee der „Wildnis“ – wie immer – nur grob und ungenau die Richtung weist. „Zoo“ ist in dieser Diskussion ein relativer Begriff. Er bezeichnet einen Bereich, in dem Tiere leben, der a) viel kleiner und b) wesentlich begrenzter ist als die großen Tierreservate, die zum größten Teil das einzige sind, was von der Idee der „Wildnis“ an Land noch übrig geblieben ist. Natürlich gibt es auch außerhalb dieser Schutzgebiete wilde Tiere, doch leben diese zunehmend auf eine nicht mehr wilde Art und Weise, in regelmäßigem Kontakt mit dem Menschen und in menschlichen Lebensräumen. Wir sollten nicht vergessen, dass auch große Tierreservate in gewisser Weise begrenzt sind: Die Tierpfleger verfolgen die Bewegungen fast aller Tiere und können sie (aus ökologischen oder gesundheitlichen Gründen) bei Bedarf umsiedeln. In Zoos werden die Tiere gefüttert und gepflegt, allerdings oft schlecht – während die Tierpfleger in Reservaten

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dies nur am Rande tun, bei extremen Fällen von Hunger und Dürre. Allerdings besteht ein Kontinuum. Die Forschungseinrichtung der Affenkolonie von Arnheim (siehe Kapitel 11) ist nicht stark eingegrenzt – die ganze Insel wird von den Affen bewohnt. Sie wird hier den Zoos zugerechnet, aber man hat dort mehrere Schritte in Richtung eines großen Reservats getan, und es werden keine Touristen zugelassen. Die Größe eines „Zoos“ richtet sich in der Regel nach der Art seiner Besucher: Je größer das Areal ist, umso kompliziertere Vorkehrungen müssen getroffen werden, damit die Menschen die Tiere sehen können – in San Diego hauptsächlich von einer Seilbahn aus, die über den Tieren schwebt. Dieser Zoo entwickelt sich also in Richtung eines großen Tierreservats. Derartige Reservate haben auch ein touristisches Publikum (was für die Länder, die solche Reservate unterhalten, wirtschaftlich von entscheidender Bedeutung ist), und auch sie sorgen dafür, dass die Menschen sich in der Regel mit Jeeps innerhalb des Geländes bewegen können, damit sie die Tiere sehen können. Vor fünfzig Jahren war ein typischer Zoo häufig ein Ort der Tierquälerei, kaum besser als ein Zirkus. Die Tiere wurden in beengten, trostlosen Gehegen gehalten, ohne jegliche Flora aus ihrem typischen Lebensraum. So sah man z. B. oft einen einzelnen Elefanten auf Beton (was schlecht für seine Füße ist) in einem kahlen Gehege ohne Bäume oder Gras stehen. Die Tiere in den Zoos wurden mit unangemessenem Futter gefüttert, und das Publikum – was noch schlimmer war – wurde oft dazu ermuntert, die Tiere zu füttern und sie zu berühren. Sie hatten in der Regel nur wenig oder gar keine Gesellschaft von Artgenossen. Manchmal wurden sie unter Anwendung von körperlichen Grausamkeiten statt positiver Verstärkung zusammengepfercht. Insbesondere in Meeres-Themenparks wurden sie häufig dazu gezwungen, Kunststücke vorzuführen, die den Menschen gefielen, aber nicht zum normalen Verhaltensrepertoire des jeweiligen Tieres gehörten. Die Ähnlichkeit zwischen Zoos und Zirkussen reicht weit, da Zoos zur Unterhaltung für ein menschliches Publikum konzipiert wurden, nicht zum Nutzen der Tiere. (Auch an dieser Stelle sollten wir die großen Tierreservate nicht romantisieren, da sie in ähnlicher Weise als Teil einer Tourismusindustrie unterhalten werden.) Es gibt zwar heute Fortschritte, doch sind sie sehr ungleich, was zum Teil daran liegt, dass für Zoos unterschiedliche Gesetze gelten. (Zoos, die keinen Profit erwirtschaften müssen, unterliegen beispielsweise strengeren Vorschriften als solche, die dies müssen.) In einigen Ländern gibt es zahlreiche Vorschriften, in anderen nur sehr wenige oder gar keine. So hat Indien Zirkustieren

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beispielsweise verfassungsmäßige Rechte zuerkannt (siehe Kapitel 12). In den meisten Ländern haben Tiere allerdings keinerlei rechtlichen Status, und sowohl in gewinnorientierten als auch in gemeinnützigen Zoos (die auf das Geld von Spendern angewiesen sind) besteht immer die Gefahr der Ausbeutung und des Missbrauchs, insbesondere bei Tieren wie Elefanten, die ein großes Publikum anziehen. Dass Geld vorhanden ist, bedeutet für sich genommen noch nicht, dass ein Zoo schlecht sein muss. Universitäten, Kunst fördernde Organisationen und viele andere Einrichtungen müssen sich Geld von Spendern, Gesetzgebern oder von der Öffentlichkeit beschaffen. Wenn sie ihren Auftrag auf eine integre Weise verfolgen, so ist das eher gut als schlecht. Unsere Frage lautet also: Lässt es sich von Zoos jemals behaupten, dass sie auf seriöse Weise versuchen, einen den Tieren dienenden Auftrag zu erfüllen? Zirkusse streichen die Ausbeutung großer Säugetiere wie Löwen und Elefanten zunehmend aus ihrem Programm und gehen entweder zu einer rein menschlichen Akrobatikshow oder zu einer Show über, an der nur Menschen und symbiotische Begleittiere wie Pferde beteiligt sind. Warum sollte das nicht auch für Zoos die richtige Zukunft sein, auch wenn dies bedeuten würde, dass es Zoos nur noch als Forschungseinrichtungen gäbe, die für Touristen nicht zugänglich sind? Mit anderen Worten: Was lässt sich aus der Sicht von Menschen, die sich um das Wohlergehen von Tieren sorgen, zur Verteidigung von Zoos vorbringen? Der Gradunterschied zwischen Zoos und großen Schutzgebieten ist aus der Perspektive des Fähigkeitenansatzes sehr wichtig: Die großen Flächen in Kenia und Botswana bedeuten, dass die Tiere dort nicht eingeschränkt werden müssen und dass sie – wenn auch unter sorgfältiger Pflege des Lebensraums – ihr mehr oder weniger normales Leben leben und ihre gewöhnlichen sozialen Beziehungen pflegen können. Das ist eine gute Zielvorstellung: Wenn wir es mit einem kleineren Lebensraum zu tun haben, sollten wir genau dasselbe anstreben. Ein Argument, das häufig zur Verteidigung von Zoos angeführt wird, lautet: Zoos bilden die Öffentlichkeit, insbesondere Kinder. Wenn Kinder nicht damit aufwachsen, „wilde“ Tiere zu sehen, werden sie sich auch nicht um sie kümmern oder Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen unterstützen. Der Ökotourismus bietet zwar fantastische Möglichkeiten, aber in den meisten Fällen nur für Menschen, die ihn sich leisten können. Dieses Argument ist wichtig, doch lässt sich das pädagogische Ziel nicht gut durch Zoos erreichen, die

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den Tieren ein elendes, meist einsames Leben bieten. Wenn Kinder etwas lernen sollen, müssen sie eine genuine Lernerfahrung machen, indem sie die typische Lebensform des Tieres in einem ebenfalls einigermaßen typischen Lebensraum beobachten. Hier geben utilitaristische Ansätze keinen guten Leitfaden, da sie suggerieren, es komme vor allem darauf an, dass ein Tier keine Schmerzen habe. Der Fähigkeitenansatz verlangt wesentlich mehr: ein Leben in Gemeinschaft und freie Bewegung in einem artentypischen Gelände. Die moderne Welt stellt so viele neuartige Lernressourcen zur Verfügung – Dokumentationen jeglicher Art –, die es nicht erfordern, das tägliche Leben der Tiere weiter zu verzerren, als es die Allgegenwart und Kontrolle des Menschen bereits getan hat. Es gibt viele wunderbare Filme, die jüngere und ältere Zuschauer zum Staunen anregen. Die ausgezeichneten Filme Blackfish und Sonic Sea dokumentieren die Schäden, die Meeressäuger erleiden, wenn man sie aus ihrem Lebensraum herausreißt oder ihn mit schädlichem Lärm und Müll verunstaltet. The Ivory Game klärt die Zuschauer sachlich darüber auf, wie Elefanten aufgrund der internationalen kriminellen Verschwörung der Elfenbeinwilderei und des Elfenbeinhandels ermordet werden. Einige populäre Filme dieser Art erscheinen mir weniger wertvoll zu sein, zum Beispiel der mit dem Oscar ausgezeichnete Film Mein Lehrer, der Krake, der zwar viele schöne und wunderbare Momente enthält, sich jedoch zu sehr darauf konzentriert, was eine romantisierte Beziehung zu einem (weiblichen) Oktopus dem menschlichen Protagonisten bietet. Dennoch kommen die Zuschauer dabei nicht umhin, zu lernen und zu staunen. Kurzum: Angesichts der breiten Verfügbarkeit und Qualität dieser neuen Ressourcen brauchen wir keine Zoos, um uns über Tiere zu bilden. In Zukunft werden noch weitere Ressourcen entwickelt werden, z. B. Virtual-Reality-Erfahrungen und interaktive Videos. Zoos sind jedoch auch Orte wertvoller wissenschaftlicher Forschungen, die unser Wissen über die Fähigkeiten von Tieren erweitern und für die Gesundheit der Tiere förderlich sind. Einige dieser Forschungsarbeiten können in einem großen Gebiet nur sehr schwer durchgeführt werden. (Dies hängt selbstverständlich sehr von der jeweiligen Tierart ab.) Die in Zoos durchgeführten Untersuchungen haben unser Wissen über die Intelligenz und die Emotionen von Primaten erheblich erweitert. Sie haben gezeigt, wie vielseitig und intelligent viele Vögel sind und dass asiatische Elefantenweibchen sich in einem Spiegel selbst erkennen können. (Obgleich viele hervorragende Forschungsarbeiten an Elefanten „in freier Wildbahn“ unternommen wurden, wäre dieser spezielle

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Test nur schwer durchzuführen gewesen, da die Herden bei der Suche nach ihrer Nahrung Hunderte von Kilometern zurücklegen.) Die Erforschung der kognitiven Fähigkeiten von Tieren kommt ihnen zugute, indem sie unser Verständnis ihrer tatsächlichen Lebensform verbessert und ihnen so neuen Respekt verschafft, der dazu führt, dass sie besser behandelt werden. Es ist unmöglich, den Fähigkeitenansatz angemessen zur Anwendung zu bringen, wenn wir nicht wesentlich mehr über die Fähigkeiten und Lebensformen der Tiere lernen. Darüber hinaus konnten einige verheerende Krankheiten von Tieren durch die Untersuchungen in Zoos geheilt oder unter Kontrolle gebracht werden – zum Beispiel die Herpesinfektionen, die kleinen Elefanten oftmals zum Verhängnis werden. Die meisten Zoos betreiben zwar keine nennenswerte Forschung, aber in einigen ist das doch der Fall. Es gibt also einige wahrhaft wertvolle Ziele, deren Verfolgung in einigen Fällen möglicherweise ein gewisses Maß an räumlicher Kontrolle erfordert. Dies verlangt jedoch kein ungesundes, emotional entfremdendes oder sinnlich nur mangelhaft stimulierendes Einsperren. Sehr treffend weist Frans de Waal darauf hin, dass Untersuchungen an Tieren, die nicht unter normalen sozialen und physischen Bedingungen leben, wahrscheinlich zu irreführenden Ergebnissen führen.11 Er zeigt auf, dass es keinen Grund dafür gibt, in der Erforschung von Primaten ein Tier jemals von seiner Gemeinschaft zu isolieren. Schließlich können Zoos Tiere vor zahlreichen Bedrohungen schützen. Ist eine Art vom Aussterben bedroht, so kann die kontrollierte Vermehrung in einem Zoo – zumindest vorübergehend – eine Rettung darstellen; und wo sich Wilderei in größeren Gebieten nicht erfolgreich bekämpfen lässt, können die gefährdeten Tiere in Zoos geschützt werden. Diese Argumente sprechen für den Fortbestand von Zoos, d. h. von relativ kleinen, begrenzten Räumen, die von Menschen sorgfältig überwacht und kontrolliert werden – sehr viel stärker, als dies in einem großen Tierreservat in Afrika der Fall wäre. Doch für welche Tiere greifen diese Argumente? Die wesentliche normative Frage, so habe ich argumentiert, lautet: Wie können wir die Fähigkeiten der Tiere unterstützen, damit sie ein für ihre Art charakteristisches Leben führen können? Mit Blick auf diese Frage sind die Größe und die Qualität des Lebensraums, seine Flora und andere Aspekte dessen, was wir als „förderliche Umgebung“ bezeichnen könnten, relevant – in Anlehnung an den Psychoanalytiker Donald Winnicott, nach dessen Theorie sich Menschen in der Kindheit nur dann gut entwickeln können, wenn sie

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von anderen Menschen und von ihrer Umgebung in vielerlei Hinsicht Unterstützung erfahren. Dazu gehören die Verfügbarkeit sozialer Interaktionen, das Vorhandensein sinnlicher Stimulation, die Bereitstellung einer geeigneten und angemessenen Nahrung, die Abwesenheit von lähmender emotionaler Belastung sowie die Möglichkeit, zu spielen und sich zu entwickeln. Man beachte, dass diese Fähigkeiten in der „freien Wildnis“ häufig stark beeinträchtigt sind, die – wie wir bereits gesagt haben – nur allzu oft ein Ort des Hungers, der Krankheit, der Angst und Qual ist. Es wäre grotesk, dafür zu argumentieren, dass in ein artgerechtes umfriedetes Gelände Hunger, Dürre und Wilderer eingeführt werden müssten, weil es sie in „der Wildnis“ eben gibt. Ebenso grotesk wäre es meiner Meinung nach zu behaupten, dass in einem artgerechten begrenzten Gelände für Raubtiere für Jagdmöglichkeiten gesorgt werden müsste, da kleine Tiere in „der Wildnis“ Nahrung für größere Tiere sind. Ich werde auf dieses Argument im nächsten Abschnitt noch ausführlicher eingehen. Was wir anstreben sollten, sind Räume, welche die Ausübung der tierischen Fähigkeiten tatsächlich „ermöglichen“. Oft sind größere Reservate solche förderlichen Umgebungen, die angesichts der Gefahr der Wilderei jedoch nicht als stabil gelten können. In Fällen, in denen ein Tier in einem „Zoo“ die gesamte Bandbreite seiner charakteristischen Aktivitäten einschließlich seines Sozialverhaltens ausleben kann, könnte dies für das Tier von Vorteil sein. Zum Glück müssen wir dennoch nicht gegen die Romantiker und für eine verwaltete Umwelt argumentieren. Um es zu wiederholen: Ein großes Naturreservat in Afrika unterscheidet sich vom Zoo in San Diego nicht in der Art und Weise, sondern nur hinsichtlich der Größe. Beides sind intensiv verwaltete Lebensräume und tatsächlich auch besucherfreundliche Gehege. (Die von mir beschriebenen Gebiete in Kirgisistan sind zwar ungewöhnliche, aber dennoch klug gewählte, für Besucher gesperrte Räume. Auch sie werden jedoch intensiv verwaltet.) Sind wir der Meinung, dass der Verlust der freien Bewegung an sich moralisch inakzeptabel ist, so müssen wir die gesamte moderne Welt ablehnen, denn alle Räume, in denen Tiere leben, sind eingegrenzte und verwaltete Gebiete, auch wenn diese Einschränkung manchmal unserer Aufmerksamkeit entgeht, weil die Räume flächenmäßig so groß sind. Ausgehend von dieser Einsicht, gelange ich zu der allgemeinen Schlussfolgerung, dass ein kleinerer, begrenzter Raum zu rechtfertigen ist, sofern die Tiere darin ihrer charakteristischen Lebensform nachgehen können, und zwar

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dank der Größe des Geheges, der sensorischen Stimulation, der Ernährung sowie hinsichtlich der sozialen und emotionalen Bedürfnisse. Werden Zoos vernünftig geführt, dann kann dieses Ziel für viele Tiere einschließlich Affen – vielleicht auch für Menschenaffen und einige Vogelarten – erreicht werden. Was Meerestiere betrifft, so können bei ausreichend großen Becken die meisten Fische in einen Meeres-Themenpark aufgenommen werden; außerdem können fast sämtliche kleinen Säugetiere sowie die meisten Reptilien und Amphibien in einem geschlossenen, artgerecht ausgestalteten Raum ein gedeihliches Leben führen. Wir haben das Feld eingegrenzt und kommen nunmehr zu den schwierigsten Fällen. Elefanten können aus moralischen Gründen so gut wie gar nicht in Zoos gehalten werden, weil sie sich über weite Strecken bewegen müssen, um ihren immensen Bedarf an Nahrung (zu der in der Regel auch die von Bäumen abgezogene Rinde gehört) zu decken; hinzu kommt ihr Sozialverhalten: Jungtiere werden von mindestens vier Weibchen aufgezogen, während die ausgewachsenen Bullen allein umherziehen und sich nur zur Paarungszeit mit der Gruppe zusammentun. Dies ist selbst in den besten Zoos wie z. B. dem von San Diego nicht möglich, obwohl Letzterer den Geländebedarf der Tiere versteht und daher ihre Beobachtung auf Aufnahmen aus der Luft beschränkt. Wilde Herden können an einem einzigen Tag über fünfzig Meilen weit wandern. Elefanten brauchen also viel mehr Platz, als sich selbst ein großer Zoo leisten kann. Außerdem geben die Statistiken bezüglich ihrer Gesundheit und Zuchterfolge in Gefangenschaft ein schlechtes Bild ab: Die Anzahl der Totgeburten und der Komplikationen bei der Fortpflanzung ist erschreckend hoch.12 Hinzu kommt, dass die meisten Zoos demjenigen in San Diego nicht ähneln. Seit Beginn der 1990er-Jahre haben mehr als zwanzig Zoos in den USA ihre Elefantengehege aus moralischen Gründen geschlossen oder angekündigt, dass sie dies tun werden. Im Jahr 2011 veröffentlichte die Association of Zoos and Aquariums strenge Richtlinien in Bezug auf die Geländegröße und andere Bedingungen, aber selbst diese reichen noch nicht aus. Der Direktor des Zoos von Detroit, der sein Elefantengehege 2004 geschlossen hat, erklärte: Wir erkannten, dass – so sehr wir uns auch bemühten – realistischerweise nichts, was wir tun konnten, den Elefanten die Möglichkeit gab, ihre Lebensform vollständig zu entfalten. [Er spielte auf Mängel sowohl in der physischen als auch der sozialen Umwelt an.] Es gab einfach so viele

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Punkte, von denen wir wussten, dass sie für die Elefanten große Kompromisse bedeuteten. Ganz gleich, wie sehr wir Elefanten lieben und in ihrer Nähe sein und sie sehen wollten – wir sagten uns, es sei für uns einfach grundlegend falsch, so zu handeln.13

Bedauerlicherweise verfügen viele Zoos nicht über eine solche moralische Sensibilität. Sie wissen, dass Elefanten eine große Attraktion für die Öffentlichkeit sind. Unabhängig davon, ob die Zoos gewinnorientiert sind und direkte Einnahmen benötigen oder ob sie gemeinnützig und auf Spenden angewiesen sind: Elefanten bedeuten ein großes Geschäft. Diese Tatsache hat  – in Verbindung mit den Schwierigkeiten, denen Zoos bei der Aufzucht von Elefanten begegnen – schändliche Vorgehensweisen zur Folge gehabt, bei denen Elefanten aus Afrika in Zoos in den USA gebracht wurden. Es handelt sich um betrügerische Projekte, bei denen Elefanten mit erlogenen Geschichten über Hungersnöte und Dürren aus einem großen Gebiet in kleine, ungenügend ausgestattete Zoos gebracht werden. Die Geschichte der „Swaziland Eighteen“ wurde von Charles Siebert ausführlich in „The Swazi 17“ im New York Times Magazine erzählt.14 Es handelte sich dabei um Elefanten, die zusammengetrieben und unter dem (nachweislich falschen) Vorwand, eine Dürre bedrohe die Nashorn- und Elefantenpopulationen, in Zoos in die USA gebracht wurden. Es hieß, die einzige Möglichkeit, die Nashörner zu retten, bestehe darin, die Elefanten zu töten oder sie in die USA umzusiedeln. Tatsächlich wurden nur 17 Elefanten abtransportiert: Es wird angenommen, dass der 18. Elefant noch vor der Reise an einer Magen-Darm-Erkrankung starb. Die Organisation Friends of Animals erwirkte eine einstweilige Verfügung bei einem Bundesrichter, der noch am selben Abend eine Dringlichkeitsanhörung anberaumte. Zu diesem Zeitpunkt waren die Elefanten im Schutze der Dunkelheit bereits in das Flugzeug verfrachtet und betäubt worden, sodass der Richter das Flugzeug starten ließ. Die Tatsache, dass die Elefanten an Bord gebracht wurden, ohne den Richter und die Anwälte zu benachrichtigen, war zwar formaljuristisch nicht illegal, da mit der einstweiligen Verfügung kein Aufschub beantragt worden war, doch es war hinterhältig. Die Tiere wurden auf verschiedene Zoos verteilt, unter anderem in Dallas und Wichita. Elefanten bedeuten für Zoos viel Geld, sei es direkt (im Fall von gewinnorientierten Zoos) oder in Form von Spendern und öffentlicher Unterstützung (im Fall von gemeinnützigen Zoos). Friends

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of Animals arbeitet nunmehr an einer Klage, um Umsiedlungen wie diese als solche „zu kommerziellen Zwecken“ einzustufen, was nach internationalem Vertragsrecht illegal ist. Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass die meisten Zoos kommerzielle Unternehmen der einen oder anderen Art sind (an Gewinn orientiert oder durch Spenden finanziert). Großtierreservate haben zwar auch eine kommerzielle Ausrichtung, aber zumindest ein Teil ihrer Aufgabe besteht darin, Tiere um ihrer selbst willen zu schützen. Bei allen anderen großen Säugetieren  – Nashörnern, Giraffen, Bären, Eisbären, Geparden, Hyänen, Löwen, Tigern und anderen – sollten wir uns fragen, worin eine „förderliche Umgebung“ für sie bestehen würde und ob ihnen eine solche Umgebung in einem relativ kleinen, eingegrenzten Lebensraum geboten werden kann. Für die Zulässigkeit eines kleineren Lebensraums sprechen die besonderen Gefahren, denen das Tier in der größeren Welt der Freiheit ausgesetzt ist (Eisbären durch das Abschmelzen der Gletscher, Nashörner durch aggressive Wilderei), sowie der Nutzen, der für die Tiere selbst durch Forschungstätigkeiten erzielt werden kann, die in freier Wildbahn nicht durchgeführt werden können. Wir sollten immer auf einer Lösung bestehen, die für die Tiere selbst gut oder, wie Winnicott es ausdrücken würde, „gut genug“ ist, obwohl sie auch für die menschlichen Besucher erwünschte Nebeneffekte haben mag. Lösungen, in denen die Tiere behandelt werden, als wären sie die Haustiere der menschlichen Besucher, wie es die Geschichte von Knut, dem Eisbären, beschreibt, auf die ich in Kapitel 11 eingehen werde, sollten wir entschieden ablehnen. Doch ein pauschales Bevorzugen vollkommen unbeaufsichtigter Gebiete ist sowohl unrealistisch (es gibt keine) als auch schlecht für einige Tiere (sie möchten nicht gewildert werden, verhungern usw.). Allerdings müssen wir uns vor Betrug in Acht nehmen, wie bei der Vortäuschung einer Dürre im Fall der Elefanten aus Eswatini. Ich glaube, dass die meisten der größeren Landsäugetiere auf meiner Liste in Zoos nicht gedeihen können; Bären und Affen können es, sofern die sozialen und physischen Lebensbedingungen gut genug sind (wie im Falle der Kolonie in Arnheim). Für sämtliche Tierarten, die sich durch kulturelles Lernen entwickeln, ist es von entscheidender Bedeutung, dass eine typische und ausreichend große soziale Gruppe vorhanden ist. Es reicht nicht aus, zu sagen: „Jetzt haben wir fünf Schimpansen“ oder was auch immer – sie müssen eine kulturelle Gruppe der für ihre Art typischen Größe bilden, mit sämtlichen charakteristischen Typen und Rollen.

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Wenden wir uns den Meeren und dem Luftraum zu: Es ist moralisch nicht vertretbar, sehr große Meeressäuger wie Orcas und Wale in einem MeeresThemenpark zu halten. Der Dokumentarfilm Blackfish aus dem Jahr 2013 hat gezeigt, wie schlecht Orcas in Gefangenschaft leben, vor allem, wenn sie, wie es typischerweise der Fall ist, in sehr jungem Alter aus ihren Schulen weggeholt werden und daher nicht in der Lage sind, die artgerechten Verhaltensweisen eines Orcas von älteren Orcas zu erlernen.15 Der Fall des Schwertwals Tilikum zeigt die zerstörerische Wut, zu der dieser grausame Entzug führt. Der Film löste in der Öffentlichkeit eine Welle des Protests aus und führte schließlich zu der richtigen Entscheidung von Sea World, keine Orcas mehr zu züchten oder Shows mit ihnen zu veranstalten.16 In jüngerer Zeit hat Kalifornien den Orca Welfare and Safety Act (2016) verabschiedet, der darauf abzielt, die Gefangenschaft von Orcas schrittweise zu beenden und eine humane Behandlung der Tiere zu gewährleisten, die sich noch in Gefangenschaft befinden. Das Gesetz verbietet es, Orcas in Gefangenschaft zu züchten und in Gefangenschaft lebende Orcas zu Zwecken der öffentlichen Unterhaltung einzusetzen. Im Jahr 2020 hat Sea World damit begonnen, mit den verbliebenen Orcas Lehrveranstaltungen anzubieten, in denen sie natürliches Verhalten zeigen, das parallel dazu wissenschaftlich fundiert erklärt wird – obwohl unklar bleibt, wie es ihnen möglich sein soll, „natürliches“ Verhalten zu zeigen, ohne in einer Gruppe der typischen Größe zu leben.17 Orcas sind in hohem Maße kulturell geprägt und lernen die meisten Verhaltensweisen auf sehr spezifische Weise von ihrer Gruppe: So spielen Weibchen, die mit vierzig Jahren aufhören zu gebären und bis zu achtzig Jahre alt werden, eine Schlüsselrolle bei der Unterweisung der Jungen und der Vermittlung von Normen (Orcas sind eine der wenigen nicht menschlichen Spezies, deren Weibchen eine Menopause durchlaufen).18 Ohne diese Struktur sind junge Orcas genauso auf sich allein gestellt wie der Wilde von Aveyron, dem die Erfahrung menschlichen kulturellen Lernens fehlte. Delfine sind ein anderer, sehr schwieriger Fall, weil sie derartig gesellig und interaktiv sind, dass sie sich auch in Gefangenschaft bis zu einem gewissen Grad gedeihlich entwickeln können. Es ist sogar bekannt, dass sie Tricks, die sie in Gefangenschaft gelernt haben, in die „freie Wildbahn“ mitnehmen und sie ihren Jungen beibringen.19 Einerseits scheint es auf eine verwerfliche Weise erniedrigend zu sein, diese wunderbaren, intelligenten Säugetiere für die Unterhaltung von Besuchern einzusetzen. Andererseits ist die Freude an geschickten sportlichen Leistungen ein hervorstechendes Merkmal im Leben zahlreicher

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Tiere, und was eindeutig zu einem gedeihlichen Leben von Schäferhunden, Retrievern und Springpferden gehört, sollte nicht als unauthentisch gelten oder tabuisiert werden, nur weil das Tier „wild“ ist und dieses Verhalten vom Menschen gelernt hat. Ja, wir sollten wahrscheinlich die Idee zurückweisen, dass jegliche Kooperation und Gegenseitigkeit zwischen Mensch und Tier für „wilde“ Tiere unangemessen ist. Wo ist also die Grenze richtig zu ziehen? Thomas White erforscht dieses Thema mit der für ihn typischen Ausgewogenheit und Sensibilität.20 Er konzentriert sich dabei auf Merkmale des Lebens von Delfinen, die er bereits in einem früheren Teil seines Buches untersucht hat: ihre extreme Geselligkeit und ihr Bedürfnis, sich in einem sehr großen Raum mit einer großen Gruppe anderer Delfine zu bewegen. Selbst sensible Zoos, die Delfine gut behandeln, bieten ihnen seiner Meinung nach nicht ausreichend Platz oder eine ausreichend große Gruppe von Artgenossen. Sie schützen sie zwar vor vielen Gefahren, was jedoch ein zweischneidiges Schwert sei, da die geschützten Delfine ihre Fähigkeit verlören, auch in Freiheit zu überleben. Aus diesem Grund gelangt er zu der Schlussfolgerung, ihre Gefangenschaft sei moralisch unakzeptabel. Dies sind ausgezeichnete Argumente, und ich bin geneigt, ihnen zuzustimmen. Delfine benötigen gewiss große Lebensräume und eine repräsentative soziale Gruppe. Sie sind jedoch auch sehr anpassungsfähig und können sich in vielen unterschiedlichen Umgebungen gedeihlich entwickeln. Eine Zwischenlösung könnte in einem wesentlich größeren und teilweise offenen Areal bestehen, in dem die Delfine kommen und gehen und so viel mit Menschen zusammen sein können, wie sie möchten. Das Dolphin Reef im israelischen Eilat könnte ein solcher Ort sein, auch wenn es nach wie vor umstritten ist.21 Vor allem sollten Delfine jedoch mit Respekt behandelt werden, als kraftvolle und wunderbare Geschöpfe mit einer hohen Intelligenz, die ihre eigenen Vorstellungen davon haben, was sie tun möchten. Dies bedeutet auch, ihre Interaktivität, ihren Einfallsreichtum und ihren Sinn für Humor zu respektieren – Eigenschaften, die sie manchmal gegenüber Menschen und anderen Arten sowie anderen Delfinen an den Tag legen. Die Vögel gehören zahlreichen unterschiedlichen Arten an. Einige von ihnen bewegen sich innerhalb ihrer Lebensräume normalerweise nicht über weitere Entfernungen, so z. B. Papageien, Elstern und Krähen. Andere wiederum fühlen sich in einer Voliere zu sehr eingeschlossen. Manche sind sehr gesellig, andere Einzelgänger. Vogelkundler lieben es, nach jeder Vogelart an ihrem für sie

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charakteristischen Ort zu suchen, und dies sollte auch die bevorzugte Art der Vogelbeobachtung sein, obwohl auch ein geschützter, jedoch freier Raum – wie das neuseeländische Gehege mit seinen schützenden Seiten und seinem offenen Dach – ebenfalls für sie geeignet ist. In dem Maße, indem wir die verschiedenen Vogelarten besser verstehen als bisher, werden wir in der Lage sein, artspezifische Empfehlungen auszusprechen. All diese Fragen sind schwer zu beantworten, und gute Zoos ringen täglich mit ihnen. Die Änderung der Denkmuster, die von guten Zoos heute vorgelebt wird, muss durch bessere rechtliche Vorschriften auch von allen anderen Zoos verlangt werden, und wir alle müssen die schwierigen Fragen auch weiterhin stellen, geleitet von der Idee des Respekts vor unterschiedlichen Lebensformen. Zusammenfassend möchte ich feststellen, dass der Fähigkeitenansatz uns eine gute Orientierung an die Hand gibt, wenn wir über die Ethik von Zoos nachdenken. Der Prüfstein sollte immer die Lebensform des jeweiligen Tieres sein: Können Zoos angemessene Möglichkeiten zu seiner Entfaltung bieten? Solange dies der Fall ist, sind Zoos meiner Meinung nach vertretbar, auch wenn angesichts der Rolle, die der Mensch (und häufig die menschliche Gier) in sämtlichen Zoos spielt, immer Vorsicht geboten ist. Wenn Zoos diese Möglichkeiten nicht bieten können, müssen wir auf andere Weise Verantwortung wahrnehmen und die Tiere in großen Wildtierreservaten und Schutzgebieten vor Bedrohungen schützen.

Jagd und Leidensdruck „Die Wildnis“, so hatten wir gesagt, ist ein Ort des Mangels und der Gewalt. Viele Menschen, denen Tiere am Herzen liegen, sind heute der Meinung, dass wir zwar die menschliche Gewalt gegenüber Tieren (in Form von Wilderei, Jagd, Walfang) eindämmen, jedoch gegen die Gewalt „der Natur“ (in Form von Hunger, Dürren und Raubtieren) nichts unternehmen sollten. Ist diese allgemeine Haltung zu rechtfertigen? Der Ansatz, der in diesem Buch entwickelt wurde, konzentriert sich auf die Lebensmöglichkeiten der einzelnen Kreaturen: Sie sollten die Chance bekommen, ein sich vollständig entwickelndes Leben zu führen. Leiden sowie die Möglichkeit, verschiedenen Formen von Lebensaktivitäten nachgehen zu können, sind hierbei die beiden wichtigsten Aspekte. Aus der Perspektive von

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Lebewesen, die Opfer der Gewalt „der Natur“ sind, ist die Tatsache, dass alles „Natur“ ist, kein Trost. Wie Mill sagt, leiden sie oft sogar noch mehr: Zu verhungern gehört zu den schmerzhaftesten Todesarten, ebenso wie von einem Rudel wilder Hunde in Stücke gerissen zu werden. Ein Kopfschuss wäre dem auf jeden Fall vorzuziehen, auch wenn die erste Todesart „natürlich“ ist und die zweite durch den Menschen herbeigeführt wurde. Wir denken in Wirklichkeit auch nicht in der von mir beschriebenen Weise, wenn wir uns unserer eigenen Kontrolle und Verantwortung bewusst sind. Wenn ich menschliche Maßnahmen zum Schutz von Tieren vor Überschwemmungen, Hungersnöten und Dürren verteidige, mache ich keinen radikalen Vorschlag, sondern berichte lediglich über gängige Denkweisen und Praktiken. Nationen, die Tierreservate unterhalten, bekämpfen die Wilderei, aber ebenso auch die Auswirkungen „natürlicher“ Katastrophen – die meisten von ihnen sind ohnehin menschlich verursacht. Wenn wir diese Dinge tun können, dann müssen wir sie wohl auch tun, so kommt es mir jedenfalls vor. Bei Raubtieren scheinen die Dinge allerdings anders zu liegen. Verwalter von Großtierreservaten schränken nicht nur das Jagdverhalten von Raubtieren nicht ein, sondern sie fördern es oft sogar. Sie verhalten sich also ganz anders als Halter von Haustieren, die ihre Hunde und Katzen in der Regel nicht dazu ermutigen, kleine Vögel zu fressen oder Füchse zu jagen, auch wenn dieses Verhalten zum typischen Repertoire einiger Hunde- und Katzenrassen gehört. Sie lenken die natürliche Aggression auf eine Ersatzbeschäftigung um und verhindern auf diese Weise, dass die Instinkte frustriert werden, aber auch, dass andere Lebewesen zu Schaden kommen. Ähnlich wie man ein Kind eher zum Leistungssport als zum Ausleben seiner Aggression durch brutales Verhalten gegenüber anderen Menschen anhält, wird die Aufmerksamkeit einer Katze eher auf einen Kratzbaum als auf einen Vogel gelenkt. Doch wird dadurch nicht die Fähigkeit des Tieres beeinträchtigt, ein artgerechtes Leben zu führen? Ja und nein. Eine Fähigkeit kann auf verschiedene Weise beschrieben werden. Wir könnten sagen, dass die Fähigkeit, kleine Vögel zu töten, arttypisch für Katzen ist. Man könnte auch sagen, dass es arttypisch und von kritischer Bedeutung ist, Jagdverhalten auszuleben und so den Schmerz der Frustration zu vermeiden. Vererbt wird eine allgemeine Tendenz, die in mehr als einer Weise ausgelebt werden kann. In einer Welt mit mehreren Arten, in der wir alle – um friedlich zusammenleben zu können – einige Verhaltensweisen einschränken müssen, ist es sinnvoll, sich auf die zuletzt genannte, allgemeinere Beschreibung

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der Fähigkeit zu konzentrieren  – es sei denn, wir haben überwältigende Beweise dafür, dass dieser Ansatz nicht praktikabel ist, d. h. dass Katzen, die keine Gelegenheit zum Töten von Vögeln haben, depressiv und unglücklich werden. Dies ist jedoch nicht der Fall. Eine Katze braucht ein Ventil für ihre räuberische Natur – genau wie ein Mensch. Aber es gibt keinen Grund dafür, dass dieses Ventil einem Opfer schreckliches Leid zufügen muss. Warum denken wir nicht genauso, wenn wir es mit Raubtieren in „freier Wildbahn“ zu tun haben? Für diese Asymmetrie gibt es einen guten Grund. Wir sind sehr unwissend, und wenn wir versuchen würden, in großem Maßstab in das Jagdverhalten von Raubtieren einzugreifen, würden wir sehr wahrscheinlich eine Katastrophe großen Ausmaßes verursachen. Wir haben im Grunde keine Ahnung davon, wie sich die Anzahl der Arten verändern würde, welche Engpässe entstehen würden. Außerdem sind wir völlig unvorbereitet auf die wahrscheinlichen Folgen solcher Eingriffe. Die einzige Möglichkeit, schwächere Lebewesen vor Raubtieren zu schützen, würde darin bestehen, größere Tierreservate in Zoos der schlechten alten Art zu verwandeln, in denen jedes Lebewesen oder jede Tiergruppe in einem eigenen Gehege leben würde. Das wäre jedoch der falsche Weg. Ohne diesen Weg einzuschlagen, gibt es allerdings kein realisierbares Konzept für ein Ersatzverhalten, das mit der Rolle vergleichbar wäre, die dieses im Leben von Haushunden und -katzen spielt. In einem typischen Zoo können Menschen versuchen, Ersatz anzubieten: Sie geben beispielsweise einem Tiger einen beschwerten Ball, um seine Raubtierfähigkeiten zu trainieren, und füttern ihn gleichzeitig mit Fleisch, das von einem auf humane Weise getöteten Tier stammt.22 Der Zoo von San Diego beschreibt die Ernährung seiner Leoparden wie folgt: Im Zoo von San Diego werden unsere Leoparden im Allgemeinen mit kommerziellem Hackfleisch gefüttert, das für fleischfressende Tiere im Zoo hergestellt wurde, und gelegentlich erhalten sie einen großen Knochen oder einen aufgetauten Kaninchen- oder Schafskadaver. Um ihre Jagdfähigkeiten auf einem hohen Niveau zu erhalten, arrangieren die Raubtierpfleger für die Katzen gelegentlich eine „Jagd“ auf Fleischbällchen, bei der ein Teil des Futters zu Bällchen gerollt und über ihren gesamten Lebensraum verteilt versteckt wird.23

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Auf diese Weise wird die Quälerei der Jagd in eine Fleischfabrik verlagert, die die Besucher nicht sehen. Das ist keine Verbesserung. Synthetisches Fleisch aus dem Labor oder sogar Fleisch auf pflanzlicher Basis wäre weitaus besser. Selbst ein human getötetes Tier wäre besser, da der durch Raubtiere herbeigeführte Tod normalerweise sehr schmerzhaft ist. Ohne getrennte Gehege wäre es jedoch nicht möglich, solche Alternativen zu realisieren. Der Philosoph Jeff McMahan hat in einem Zeitungskommentar den spekulativen Vorschlag gemacht, Raubtierverhalten aus der Welt zu schaffen.24 Diese Idee würde zwar das Problem der getrennten Gehege lösen, aber sie zeugt einfach nicht von Respekt gegenüber den meisten dieser Tiere, denen man ihre Neigungen nicht zum Vorwurf machen sollte. (Sie haben sich nicht so entwickelt, dass man sie wie Hunde und Katzen erziehen kann, und obwohl viele von ihnen soziales Lernen zeigen, entstammt dieses einer Raubtiergemeinschaft.) Außerdem würde eine Eliminierung jeglicher Jagd auf Beute mit Sicherheit ein Überbevölkerungschaos verursachen, auf das wir nicht vorbereitet sind. Dies sind also die guten Gründe dafür, nur sehr vorsichtig gegen Raubtierverhalten vorzugehen, wenn überhaupt. Andererseits sind das Leiden der gefährdeten Beutetiere und ihr vorzeitiger Tod von großer Bedeutung und scheinen irgendeine Form intelligenter Intervention einzufordern. Es gehört nun einmal nicht zur Lebensform dieser Lebewesen, von Raubtieren gefressen zu werden. Ihre Lebensform ist ihre eigene, und sie versuchen, sie ungestört zu leben, genau wie wir – auch wenn wir manchmal ebenso eine Beute für Angreifer sind. Diese Arten hätten nicht überlebt, wenn sie nicht ziemlich gut darin wären, ihren Jägern zu entkommen. Zu behaupten, es sei das Schicksal der Antilopen, von Raubtieren zerrissen zu werden, ist so, als ob man sagte, es sei das Schicksal der Frauen, vergewaltigt zu werden. Beides ist ein schrecklicher Irrtum und missachtet das Leid der Opfer. Es ist eine unglückselige Tatsache, dass die Sehnsucht der Tiere nach einem friedlichen Leben in „freier Wildbahn“ so häufig frustriert wird und stattdessen in Schmerzen endet. Die Situation wirkt wie eines der tragischen Dilemmata, die wir in Kapitel 8 besprochen haben, nur dass die Welt nicht ohne Weiteres eine Hegel’sche Lösung für sie bietet. Es gibt auch einige sehr schlechte Gründe dafür, nicht gegen Raubtiere vorzugehen. Ein Teil der romantischen Vorstellung von „der Wildnis“ ist eine Sehnsucht nach Gewalt. Blakes „Tiger“ und Shelleys „Westwind“ sind Sinnbilder für etwas, was einige Menschen durch ihre Hyperzivilisation verloren zu

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haben glauben. Die Sehnsucht nach einer (vermeintlich) verlorenen Aggression ist der Grund für die Faszination vieler Menschen für große Raubtiere und für das Schauspiel der Jagd selbst. Verwalter von Tierreservaten wissen, dass Raubtiere eine sichere Touristenattraktion sind. Bei meinem Besuch in einem herrlichen Reservat in Botswana stellte ich fest, dass eine der größten Attraktionen eine seltene Wildhundart war, die sich in einem Rudel auf eine Antilope stürzte und das Tier in Stücke zerriss, noch bevor es tot war. Vom Beginn der Jagd an über die qualvolle Todesszene und die obligatorische Aufteilung der Beute bis hin zur Schlussszene, in der die Geier den Kadaver säuberten, waren die reichen Touristen in meinem Jeep mit Begeisterung bei der Sache und hatten dafür bereits um vier Uhr morgens ihre Zeltkolonie verlassen; nur wenige reagierten mit Entsetzen und Abscheu. Menschen verfügen über widerwärtige sadistische Neigungen, und sie erdenken Vergnügungen, um diese zu befriedigen. So wie die Römer ihren Blutdurst zum Teil durch Gewalt an Tieren befriedigten (einschließlich Elefanten, wogegen Cicero und Plinius heftige Einwände erhoben, obwohl sie das Foltern von Menschen nicht ablehnten), so verdienen auch heute die von mir besuchten, hoch angesehenen Tourismuseinrichtungen in Botswana ihr Geld mit stellvertretendem Sadismus. Darüber hinaus ist das Tierreservat insgesamt auf dieses Spektakel ausgerichtet: Die Wildhunde sind stark gefährdet, und es werden große Anstrengungen unternommen, um sie zu erhalten. Ich weiß nicht, ob es wünschenswert ist, diese Tierart zu erhalten, aber ich denke, das Hauptanliegen, das zum Erhalt der Tiere motiviert, ist ein denkbar schlechtes: Geld mit Sado-Tourismus zu verdienen. Es gibt einige bescheidene Maßnahmen gegen das Jagdverhalten von Raubtieren, die wir in Erwägung ziehen sollten, während wir gleichzeitig das größere Problem zurückstellen. Die erste besteht darin, kein Geld mehr mit SadoTourismus zu verdienen. So wie die Fuchsjagd verboten wurde – eine weitere Sportart des Menschen, bei der Tiere gequält werden, um den menschlichen Sadismus zu befriedigen –, würde ich dafür plädieren, das Raubtierverhalten auf Räume ohne Menschen einzuschränken, wie dies in Kirgisistan klugerweise getan wurde. Es gäbe viel weniger Gemetzel, wenn es nicht für ein menschliches Publikum teilweise inszeniert wird. In einem großen Reservat können Menschen vielleicht nicht ganz von den Raubtieren ferngehalten werden; es gibt jedoch keinen Grund, Touristen zu den Raubtieren hinzufahren, die ohnehin meist in der Dämmerung und nachts auf die Jagd gehen.

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Zweitens können wir dort, wo es unter menschlicher Obhut zu Grausamkeiten zwischen Tieren kommt, vorsichtig zumindest einige Wege finden, zugunsten der Schwächeren einzugreifen, zum Beispiel, indem wir das schwächere oder verstoßene Jungtier aus einem Wurf oder Nest vor dem Tod schützen, wie es häufig getan wird. Das neuseeländische Vogelreservat dafür ist ein wunderbares Vorbild. Dort hält man die Kaninchen, Ratten, Mäuse und Katzen, die ohnehin reichlich Nahrung haben – da es sich um sehr widerstandsfähige Arten handelt –, von den Vögeln fern. Selbstverständlich wird dadurch das Jagdverhalten dieser Tiere auf andere kleine Lebewesen außerhalb des Reservats umgelenkt, sodass meine Befürwortung dieser Praxis fraglich ist. Die neuseeländischen Vögel sind allerdings äußerst gefährdet, weil sie sich nicht auf eine Weise entwickelt haben, dass sie dieser Art von Raubtieren entkommen können – denn die auf sie Jagd machenden Tierarten sind zumeist nicht in Neuseeland heimisch. Wir Menschen können den anderen Tieren eine Ersatznahrung anbieten, die nicht aus der Jagd stammt, und wir tun dies auch. Katzen können mit Fleisch von human getöteten Tieren oder mit Fisch gefüttert werden, was zumindest etwas besser ist, oder mit pflanzlichem oder im Labor gezüchtetem Fleisch, was noch besser ist. Ich denke also, dass die Entscheidung des Landes, die Vögel zu schützen, vertretbar ist. Wie weit können wir noch in diese Richtung gehen? Diese Frage müssen wir stets aufs Neue stellen. Ein Paar des seltenen Gelbfuß-Regenpfeifers, das am Montrose Beach in Chicago nistete, stellte zu seinem Entsetzen fest, dass ein Stinktier seine beiden Eier gefressen hatte, die schon fast fertig ausgebrütet gewesen waren. Daraufhin legte das Weibchen weitere Eier, und die Leitung des Naturparks installierte eine neue, stärkere Umzäunung um das Nest herum, um es zu schützen. Wird sich jemand trauen, dies als „unnatürlich“ zu beanstanden? Ende Juli 2021 schlüpften vier Küken, von denen zwei erfolgreich aufgezogen wurden, bis sie erwachsen waren. Nach dem Schlüpfen war der Lebensraum der Küken nicht mehr auf das Gehege beschränkt, und zwei von ihnen scheinen in der gefährdeten Phase vor dem Erlernen des Fliegens einem Raubtier zum Opfer gefallen zu sein. Hätte man die jungen Küken noch mehr schützen sollen? Wahrscheinlich nicht, denn so hätten sie nicht gelernt, ein erwachsener Regenpfeifer zu werden. Drittens gibt es einige Fälle der Jagd auf Beutetiere, die nach meiner Theorie in jedem Fall zulässig sind. Das Jagen von Insekten verursacht keinen Schaden, den der Fähigkeitenansatz thematisieren müsste. Und das Jagen von Ratten

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sowie einigen anderen lästigen Tierarten kann durch den Grundsatz der Selbstverteidigung begründet werden. Dadurch werden Nahrungsquellen für zahlreiche Lebewesen erschlossen. Kurz gesagt: Wir brauchen eine ernste, kontinuierliche Diskussion über das Raubtierproblem sowie die Möglichkeiten, etwas dagegen zu tun, und wir müssen fortgesetzt nach Hegel’schen Lösungen suchen, wie z. B. nach dem Anbieten von Ersatzverhalten für bestimmte Tiere. (Die Kaninchen und Katzen in Kirgisistan gehen einem Ersatzverhalten nach, wenn sie Nahrung finden, ohne dafür Vögel töten zu müssen.) Vor allem müssen wir unsere Mitmenschen davon überzeugen, dass das Jagdverhalten von Raubtieren ein Problem darstellt. Zu viele Menschen wachsen mit einer Begeisterung für Raubtiere auf, und das hat negative Auswirkungen auf unsere gesamte Kultur. Es ist wichtig, immer wieder darauf hinzuweisen, dass Antilopen nicht als Nahrung erschaffen wurden, sondern um das Leben einer Antilope zu führen. Die Tatsache, dass sie dieses Leben so oft nicht führen können, ist ein Problem, und da wir eine weltweite Verantwortung tragen, müssen wir herausfinden, wie viel wir dagegen tun können und sollten.

„Tiere im Grenzbereich“ Einige Tiere, die früher in großem Abstand zum Menschen lebten, sind heute in die Siedlungsgebiete des Menschen eingedrungen. Sie sind zu vertrauten Mitgliedern der städtischen Ökosysteme geworden. Ratten, Mäuse, Eichhörnchen, Waschbären und Wildvögel wie Tauben oder Kanadagänse leben schon seit Langem mit dem Menschen zusammen. Zu den neueren Bewohnern gehören Kojoten, Affen, Rehe, Pumas und sogar Paviane und Bären. Das besondere Problem dieser Tiere ist, dass sie oft mit dem Menschen konkurrieren und gegenüber Haustieren und sogar Kindern aggressiv werden können. Dies ist ein neues Forschungsgebiet in der Tierethik, das sehr spannend ist, und wir müssen viel mehr über diese Tiere wissen, um ein defensives Vorgehen durch Ausrottung zu vermeiden. Ich glaube, dass das Prinzip der Selbstverteidigung bei Schädlingen vernünftig ist, wie ich in Kapitel 7 dargelegt habe. Häufig machen wir jedoch den Fehler, eine Kreatur für einen Schädling zu halten, nur weil sie uns Angst macht. Kojoten zum Beispiel sind sehr scheu und nähern sich normalerweise dem Menschen nicht. Die Kommunen haben das zunehmend gelernt und

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gehen ihnen gegenüber eher vorsichtig und behutsam vor. Manchmal tragen wir auch selbst die Schuld: Wenn Menschen Kojoten füttern, gewöhnen sie sich daran, sich in der Nähe menschlicher Behausungen aufzuhalten, was dazu führen kann, dass sie zu Raubtieren werden. Diese Fälle sind zwar faszinierend, sie werfen jedoch keine besonderen theoretischen Fragen auf, die sich nicht schon bei anderen von uns erörterten potenziellen Konflikten gestellt hätten. Sie werden in der aktuellen Literatur bereits unter Berufung auf den Fähigkeitenansatz diskutiert.25 Ich behandle sie daher hier nur sehr kurz, doch halte ich es für wichtig zu erkennen, dass es sich hier um eine in mancher Hinsicht neue und ständig wachsende Kategorie von Tieren handelt.

Populationen und deren Kontrolle In zur „Wildnis“ gehörenden Gebieten kommt häufig ein Ungleichgewicht von Populationen vor. Nehmen wir als Beispiel die Elche in Teilen von Nordamerika. Wenn sie zu zahlreich werden, finden sie nicht mehr genug Nahrung und leiden darunter. Die Menschen schlagen dann zwei Dinge vor: die Einführung der Jagd und die Einführung von Wölfen als „natürliche“ Raubtiere. Selbstverständlich ist die Einführung von Wölfen überhaupt nicht „natürlich“: Es handelt sich dabei nur um eine Jagd mit anderen Mitteln, die für die Elche viel schmerzhafter ist, zumindest, wenn man davon ausgeht, dass die Jäger wissen, wie man schießt. Was sollten wir über solche Fälle denken? Erstens sollten wir schnell erkennen, dass es sich hier um eine Frage der Wahlmöglichkeit und Verantwortung handelt, nicht der „Natur“. Zweitens sollten wir fragen, warum das Problem besteht. Die Wildpferde in Wyoming haben zu wenig Futter, da die Rancher aus kommerziellen Gründen versuchen, das gesamte Weideland für ihre Rinder zu monopolisieren. Es muss also eine Basis ausgehandelt werden, die eine vernünftige Verteilung der entsprechenden Eigentumsrechte von Tieren und Menschen vorsieht. Gier sollte nicht den Ton angeben. Dies macht zahlreiche Proteste und Rechtsstreite erforderlich. Doch selbst bei einer vernünftigen Ausgangslage wird es zu Populationsproblemen kommen, wie im Falle der Elche. In Kapitel 8 habe ich vorgeschlagen, dass die menschliche Bevölkerung unbedingt kontrolliert und die menschliche Gier eingedämmt werden muss. Doch ich habe auch vorgeschlagen, dass wir ebenso, wie wir routinemäßig Empfängnisverhütung bei Haustieren einsetzen, auch für Populationsungleichgewichte von

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Tieren in „freier Wildbahn“ vorsichtig und allmählich diese Hegel’sche Lösung in Betracht ziehen sollten, solange die betroffene Art zahlreich ist. Wir wissen noch zu wenig über das Thema, und die Forschung steckt noch in den Kinderschuhen. Bei der Empfängnisverhütung für den Menschen wird weiterhin nach Methoden gesucht, die frei von unangenehmen Nebenwirkungen sind. Es ist zu erwarten, dass die Suche nach Verhütungsmitteln für Tiere viele Jahrzehnte dauern wird, zumal die Methoden für jede Tierart neu entwickelt werden müssen und die Forschung vorsichtiger sein muss als beim Menschen, wo eine Einverständniserklärung möglich ist. Dennoch scheint diese Alternative den anderen, die in diesem speziellen Fall infrage kommen (verhungern, von Menschen gejagt und von Wölfen gerissen werden), vorzuziehen zu sein. Zumindest sollten wir uns nicht durch den Vorwurf, „Gott zu spielen“, davon abschrecken lassen, diesen Weg zu gehen. In Anbetracht der Stellung des Menschen in der heutigen Welt liegt sämtliche Macht in unseren Händen. Wir können uns nicht vor dieser Tatsache verstecken; der Versuch, sich zu verstecken, ist selbst eine Entscheidung mit Konsequenzen. Wir haben allein die Wahl, ob wir unsere Verantwortung grausam und dumm oder mit intelligenter Sorge um das Wohlergehen der Tiere wahrnehmen. Wir können nunmehr erkennen, dass der Fähigkeitenansatz eine gute Richtschnur für unseren sich in Entwicklung befindenden Umgang sowohl mit Haustieren als auch mit wilden Tieren bietet. Im letzteren Fall sind seine Vorteile gegenüber utilitaristischen Ansätzen noch deutlicher, denn er gibt uns klare Gründe für die Ablehnung von Zoos, auch in Fällen, in denen sie keine Schmerzen verursachen. Die Berücksichtigung der gesamten Lebensform eines Tieres führt zu einer vernünftigeren Politik, die das Sozialleben und Streben der Tiere respektiert.

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Eines Nachmittags, als ich in die Höhle schaute, fand ich sie zum ersten Mal nicht in völliger Dunkelheit versteckt, sondern sie kauerte nur einen oder zwei Meter von der Stelle entfernt, an der ich kniete. „Hallo“, sagte ich leise und bemühte mich sehr, sie nicht zu verschrecken. Ich wagte kaum zu atmen. Ich wollte die Hand ausstrecken und sie berühren, aber ich konnte es nicht riskieren. Sie wandte den Kopf ab, und ich dachte, sie würde sich in den hinteren Teil der Höhle verkriechen, aber nein, sie blieb an ihrem Platz. Gleich darauf begann sie, ganz langsam mit dem Schwanz zu wedeln. Er klopfte gegen die Höhlenwand. Mit dieser sanften Bewegung waren alle meine Abwehrkräfte augenblicklich wie weggefegt. „Nun denn“, sagte ich zu mir selbst, als sie mich plötzlich verschwommen ansah, „ich gehöre für immer dir!“1 George Pitcher, The Dogs Who Came to Stay

Alex, Daphne und ich ruhen uns im Schatten eines Baumes aus und betrachten faul die Landschaft, in der hier und da Zebra- und Impalaherden stehen. Eine Brise kommt auf und wirbelt die Haare auf Daphnes Kopf durcheinander. Ich spiele mit einem bunten Stein, und Alex beugt sich vor, um mein Fundstück zu begutachten. Dann lehnt er seinen Kopf gegen den Baum und döst. Ich schaue an ihm vorbei zu Daphne und unsere Blicke treffen sich. Sie macht ein freundliches Gesicht und rückt ein wenig näher. Auch Daphne beginnt ein Nickerchen zu machen, und bald schlafe ich ebenfalls ein, eingelullt von ihrem sanften Atem und den Vögeln, die im Baum über mir flattern. Mein Körper entspannt sich vollkommen, geborgen in der Gegenwart meiner Gefährten.2 Die Primatologin Barbara Smuts beschreibt ein Nachmittagsschläfchen mit den Pavianen Alex und Daphne.

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Kann es überhaupt Freundschaft zwischen Menschen und anderen Tieren geben? In der Liste der Fähigkeiten wird Zugehörigkeit als einer der zentralen Punkte aufgeführt, und es wird betont, dass der Schutz der Fähigkeit, Beziehungen gegenseitiger Anteilnahme zu pflegen, den Schutz von Institutionen erfordert, die diese Fähigkeit unterstützen und erhalten. Was den Menschen betrifft, so gibt es zahlreiche Möglichkeiten, seine Fähigkeit zu wertvollen Formen von Liebe und Freundschaft zu schützen. Familien werden auf verschiedene Weise durch das Gesetz geschützt; so verbietet es auch Gewalt oder Missbrauch innerhalb der Familie. Gesetze gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz sind der Schlüssel zur Entwicklung von Arbeitsplätzen, an denen es echte Freundschaft geben kann und nicht nur Herrschaft. Gesetze zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz spielen ebenfalls eine Rolle, und möglicherweise auch besondere Gesetze zur Begrenzung der Arbeitszeit, damit arbeitende Menschen Zeit für Familie und Freunde haben. Gute Schulen fördern die sich entfaltende Fähigkeit der Kinder zu Gegenseitigkeit und die Entwicklung von Zugehörigkeitsgefühlen, während sie ihnen Fähigkeiten und Interessen vermitteln, die Freundschaften eine Struktur verleihen und Erfüllung geben. Gesetze zum Schutz der Rede-, Religions- und Vereinigungsfreiheit sowie der Privatsphäre schaffen Räume, in denen Freundschaften entstehen können. Gesetze und Institutionen können durch das Ziel der Entstehung von Zugehörigkeit noch auf zahlreiche andere Weise geschärft werden. Doch wie sieht das Ganze bei den anderen Tieren aus? Ich habe bereits viel über die Beziehungen zwischen Tieren selbst gesagt, aber auch über die sozialen Strukturen, die diese unterstützen. Doch wie verhält es sich mit Freundschaft zwischen dem Menschen und anderen Tieren? Ist diese ein erstrebenswertes Ideal? Ist sie möglich? Und ist sie möglich in Bezug auf wilde Tiere oder nur auf Haustiere? Und wenn sie erstrebenswert und möglich ist: Was können wir tun, um sie zu fördern? Dieses Buch könnte sich darauf beschränken, schlimme Missstände zu verhindern. Doch dem Fähigkeitenansatz geht es um die vollständige Entfaltung von Lebensmöglichkeiten; und so wie eine menschliche Gemeinschaft, die gut ernährt und gebildet und mit politischen Freiheiten ausgestattet ist, leer und unvollständig wäre, wenn sie keinen Raum für Freundschaft und Liebe ließe, so gilt auch für die große, artenreiche Gemeinschaft, die wir fördern sollten, das Gleiche. In diesem Kapitel werde ich für die Möglichkeit und den Wert solcher Freundschaften plädieren. Aber ich werde auch dafür

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argumentieren, dass wir sie nicht erreichen können, ohne die Beziehungen der meisten Menschen zu Haustieren und – was noch radikaler ist – unsere Beziehung zu wilden Tieren zu überdenken und einige der häufigsten Formen von Beherrschung und Ausbeutung zu beenden, an denen wir heute beteiligt sind. Dazu zählen nicht nur schreckliche Dinge wie die Trophäenjagd, die Wilderei und der Walfang, sondern auch unauffälligere Formen der Beherrschung, bei denen wilde Tiere als Objekte menschlicher Unterhaltung behandelt werden statt als Subjekte eines eigenen Lebens. Dieses Kapitel wird daher sowohl (einen Teil) einer Fähigkeit eingehend untersuchen, als auch gleichzeitig den Geist vermitteln, in dem wir meiner Meinung nach sämtliche Fähigkeiten verfolgen sollten. Es wird uns zu den Gefühlen des Engagements zurückführen, die ich in Kapitel 1 erörtert habe: Staunen, Mitgefühl und Empörung. Doch nun können wir noch zwei weitere hinzufügen: Freundschaft und Liebe.

Was ist Freundschaft? Es ist gefährlich, einen allgemeinen Wesenszug auf die menschliche Erfahrung von dieser Eigenschaft zu stützen. Selbst wenn wir auf Menschen in anderen Ländern zugehen, machen wir häufig den Fehler, unsere eigenen Gewohnheiten auf andere zu projizieren. Nähern wir uns jedoch einer anderen Spezies, so ist das Problem der Projektion stets von großer Bedeutung. Eine wesentliche Voraussetzung für jedwede sinnvolle Reflexion ist das Studium der Lebensform des jeweiligen Lebewesens. Denken wir beispielsweise an die Wahrnehmung von Tieren, dann müssen wir an Formen des Gesichts-, Hör- und Geruchsinnes denken, die sich sehr von unseren eigenen unterscheiden, sowie an Sinne, die uns einfach fehlen, wie die Wahrnehmung mithilfe von Magnetfeldern oder die Ortung durch reflektierte Schallwellen (Echolokation). Das Gleiche gilt für Freundschaft: Was wir bevorzugen, ist nicht unbedingt dasselbe wie das, was eine andere Spezies bevorzugt. Wir haben gesehen, dass viele Arten mit einer relativ großen Gruppe von Artgenossen zusammenleben. Für einen Elefanten ist Freundschaft eine Beziehung im Kontext der von einem Weibchen geführten Gruppe; obwohl jeder Elefant ein eigenständiges Individuum ist, isolieren sich die Freunde nicht von der größeren Herde, es sei denn, die ausgewachsenen Männchen ziehen sich in

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ihr eigenes, vergleichsweise einsames Leben zurück. Für Delfine ist eine große Gruppe ebenfalls der wesentliche Bezugspunkt für sämtliche Formen der Zugehörigkeit, und wenn eine Freundschaft mit einem Delfin möglich ist, dann vor diesem Hintergrund. Dessen ungeachtet können wir von den Idealen menschlicher Freundschaft lernen, sofern wir darauf achten, Freundschaft in einer demütigen und offenen Weise zu definieren, ohne von vornherein einen Bezug zu menschlichen Verhaltensweisen zu integrieren, sondern indem wir bereit sind zu lernen. Eine Conditio sine qua non für Freundschaft, die seit Aristoteles und Cicero in Diskussionen zu diesem Thema immer wieder betont wird, besteht darin, dass Freunde einander als Selbstzweck behandeln, nicht lediglich als ein Mittel zu dem Zweck materiellen Gewinns oder der Vergnügung. Dies ist eben das Merkmal des kantischen Ansatzes für den Menschen, das Korsgaard und ich in unseren Ansatz für Tiere einbeziehen; bedauerlicherweise fehlt es in den meisten menschlichen Beziehungen zu Tieren ganz offensichtlich. Darüber hinaus ist Freundschaft dynamisch: Freunde sind aktiv und versuchen, dem anderen um seiner selbst willen zu helfen, nicht zum eigenen Vorteil. Nicht jeder Nutzen für andere behandelt den anderen als Zweck an sich selbst. Zum Beispiel behandeln Männer seit Jahrtausenden ihre Frauen als Trophäen. Sie sorgen zwar für sie, jedoch in erster Linie, um den eigenen Status zu glorifizieren. Eine solche Instrumentalisierung ist in den menschlichen Beziehungen zu Tieren allgegenwärtig, auch wenn sich ihre Besitzer ansonsten gut um sie kümmern. Es gibt Menschen, die für ihre „tierischen Lieblinge“ sorgen und ihnen Luxusfutter und Pflege geben, ohne sie dabei jedoch als mehr als ein Spielzeug zu betrachten. Eine andere Person als Selbstzweck zu behandeln, bedeutet stets, die Lebensform dieser Person zu respektieren. Dies wird in Diskussionen über menschliche Freundschaft nur selten erwähnt, da man es für selbstverständlich hält, dass Menschen eine grundlegende Lebensform gemeinsam haben. Dies ist jedoch wichtig, denn Menschen haben unterschiedliche Werte und Lebensentwürfe, und eine Freundschaft unter der Bedingung, dass die andere Person ihre eigenen Pläne komplett fallen lässt und stattdessen unsere Werte und Präferenzen akzeptiert, ist von einer echten Freundschaft weit entfernt. (Das Versäumnis, darüber nachzudenken, hat im Laufe der Jahrtausende der Menschheitsgeschichte viele – wenn nicht sogar die meisten – Beziehungen zwischen Männern und Frauen beeinträchtigt.)

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Soll es Freundschaften zwischen Menschen und anderen Tieren geben können, so sind Respekt vor den unterschiedlichen Lebensformen und Aktivitäten dafür von entscheidender Bedeutung. Daran mangelt es in den meisten Beziehungen zwischen Menschen und Tieren. Selbst bei Haustieren ist es ein gewaltiger Unterschied, ob die Beziehung zugunsten der Bequemlichkeit des Menschen eingerichtet oder die Lebensform des Tieres durchgängig respektiert wird. An dieser Art von Respekt mangelt es insbesondere in den Beziehungen des Menschen zu „wilden“ Tieren. Selbst Menschen mit guten Absichten fehlt es möglicherweise an wirklichem Respekt. In der Natur schalten Menschen häufig auf Autopilot um, und nähern sich damit dem Klischee des unempathischen US-amerikanischen Urlaubers in einem fremden Land. Dieser unempathische Tourist hat wenig echtes Interesse an den Einwohnern und ihrer Kultur; er beobachtet nicht oder lernt nichts darüber, ja er versucht nicht einmal, ihre Sprache zu sprechen. Er spricht nur Englisch und isst nur amerikanisches Essen, weil es ihm vertrauter ist. Er schwärmt jedoch von den beeindruckenden Bauwerken, die diese seltsamen Menschen geschaffen haben. Das ist bedauerlicherweise weiterhin ein typisches US-amerikanisches Touristenverhalten, und es ist auch ein typisches Safari-Verhalten gegenüber „wilden“ Tieren. Die Menschen lieben es, fremde Kreaturen zu sehen und die wilde Natur „samt blutigen Zähnen und Klauen“ zu bestaunen  – allerdings nur mit viel zu wenig wirklicher Wissbegier, was die Lebensform des Tieres betrifft, und ohne den Versuch, sich in die Perspektive des Tieres hineinzuversetzen. Auf solch trockenem Boden kann keine Freundschaft wachsen. Aber natürlich ist dieses touristische Verhalten, so mangelhaft es auch sein mag, schon viel besser als das, was wir nur allzu häufig beobachten. Zumindest reist der Tourist auf einer Safari an einen anderen Ort, um zu sehen, was dort in dessen Umgebung zu beobachten ist – das ist weit entfernt von vielen üblichen Verhaltensweisen des Menschen gegenüber Tieren. Häufiger werden „wilde“ Tiere dabei beobachtet, wie sie in Zoos und Themenparks – die kaum mehr als Gefängniszellen sind – ein von Menschen choreografiertes Verhalten vorführen und in beinahe jeglicher Hinsicht daran gehindert werden, ihrer arttypischen Lebensweise nachzugehen. Der Respekt vor den Lebensformen anderer Arten erfordert viel Demut und sehr viel Lernen. Respekt kann man sich, wenn auch mit Mühe, durch intellektuelle Anstrengung aneignen, sozusagen von außen, durch das Verständnis von Ähnlich-

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Was ist Freundschaft ?

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keiten und Unterschieden. Damit eine Freundschaft überhaupt beginnen kann, ist jedoch mehr erforderlich: Einfühlungsvermögen oder zumindest der ernsthafte Versuch, die Welt aus der Perspektive des Tieres zu sehen, zu verstehen, wie ein solches Tier kommuniziert und welche Präferenzen es hat, und sich auf die Sichtweise des Tieres einzustellen. Wir erzielen niemals eine völlig korrekte perspektivische Sicht, selbst bei anderen Menschen nicht, wie nah sie uns auch stehen mögen. Wir sollten nicht erwarten, dass wir jemals ein umfassendes Bild der Welt aus der Sicht eines nicht menschlichen Tieres erlangen werden. Es ist jedoch wichtig, dies zu versuchen, und manchmal gelingt es uns sogar teilweise. All diese Voraussetzungen für eine Freundschaft können auch ohne eine Freundschaft gegeben sein – bis jetzt haben wir es nur mit einer respektvollen Beziehung zu tun. Zu einer Freundschaft gehört allerdings mehr: gemeinsame Aktivitäten und Vergnügungen, Freude an der Gesellschaft des anderen. Normalerweise erfordert Freundschaft also eine längere gemeinsame Anwesenheit am selben Ort. Freundschaft erfordert auch Vertrauen, und Vertrauen braucht Zeit. Die gemeinsame Anwesenheit muss sich also über längere Zeiten erstrecken und darf nicht nur flüchtig sein. Interessanterweise hat die Liebe unter Menschen bessere Chancen, sich auf Distanz und innerhalb eines kurzen Zeitraums zu entwickeln, als die Freundschaft mit ihrem Vertrauen, ihrem Engagement für das Wohl des anderen und dem für sie typischen Muster gemeinsamer Aktivitäten. Gegenwärtig scheint diese Voraussetzung eine Freundschaft zwischen Menschen und Walen auszuschließen, da eine längere gemeinsame Präsenz nur in der moralisch inakzeptablen Enge eines Freizeitparks zu realisieren ist. Auch die meisten Vogelarten stellen diesbezüglich eine Herausforderung dar, obwohl es Vogelarten gibt, die mit einem entsprechend eingestellten Menschen befreundet sein können. Der Respekt vor der Lebensform eines Tieres schließt das Beachten von Besonderheiten nicht aus, und das sollte auch nicht so sein, wenn es um Freundschaft geht. Unter Menschen versteht sich dies von selbst: Es ist nicht wahrscheinlich, dass jemand, der Menschen behandelt, als seien sie austauschbar, ein möglicher Freund sein kann. Dies gilt auch für Freundschaften zwischen Menschen und Tieren. Respektiert ein menschlicher Freund die Lebensform eines anderen Tieres, so muss er verstehen, wie unterschiedlich zentrale Fähigkeiten beim Menschen und der jeweiligen Tierart realisiert werden. Zum Beispiel: Wenn wir an Freund-

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schaft denken, denken wir unter anderem an Spiel. Alle Tiere spielen, doch was als Spiel gilt, muss sorgfältig untersucht werden: So wäre etwa das spielerische Zubeißen von jungen Wölfen in einer menschlichen Kindertagesstätte nicht akzeptabel! Jede mögliche Freundschaft muss damit beginnen, diese Unterschiede zu untersuchen, und zwar vor einem sehr allgemeinen Hintergrund von Ähnlichkeiten. Und es gibt eindeutig Unterschiede in der weiteren Spezifizierung der Schlüsselfähigkeit, Zugehörigkeitsgefühle zu entwickeln. Die Struktur einer menschlichen Familie variiert je nach kulturellem und historischem Kontext; doch sämtliche bekannte menschliche Familien unterscheiden sich stark von Elefantenfamilien, in denen die Jungen von einer kooperierenden Gruppe von Weibchen aufgezogen werden, während die Männchen nach der Pubertät die Gruppe verlassen und außerhalb der Paarungszeit allein umherziehen. Die Freundschaft unter Menschen hängt in hohem Maße von der Sprache und von anderen Formen der Kommunikation (Musik, Kunst, Gesten) ab. Angehörige der meisten Tierarten sind in ihrer Kommunikation ebenfalls flexibel und äußerst geschickt: Sie teilen einander ihre Erfahrungen, Vorlieben, Ängste und Wünsche auf vielfältige Weise mit. Die Herausforderung besteht darin, einen Ort der Begegnung auf halbem Wege zwischen den menschlichen und den tierischen Systemen der Kommunikation zu konstruieren. Manchmal liegt die Schwierigkeit einfach nur im Verstehen, was durch den Erwerb von Wissen überwunden werden kann. Manchmal gibt es aber auch handfeste physische Hindernisse: So können wir zum Beispiel viele der von Walen und Elefanten erzeugten Laute nicht hören, obwohl Aufnahmegeräte, die auf niedrige Tonhöhen eingestellt sind, die Kommunikation aufzeichnen und möglicherweise in etwas von Menschen Hörbares übersetzen können. Ein Wort noch zum Verhältnis von Freundschaft und Liebe. Manchmal wird der Begriff „Freundschaft“ für eine Beziehung verwendet, die gefühlsmäßig schwächer ist als Liebe. Ich folge den Griechen und Römern: Deren Begriffe philia und amicitia hatten diese Einschränkung nicht. Einige der Beziehungen, die ich besprechen werde, sind emotional sehr intensiv. Ich spreche vor allem deshalb von Freundschaft und nicht von Liebe. Erstens möchte ich damit darauf hinweisen, dass es sich um philia und nicht um eros handelt: Sexuelles Begehren und Intimität sind kein integraler Bestandteil der Beziehung (in artenübergreifenden Fällen existieren sie nicht). Zweitens umfasst Freundschaft wie im Sinne von philia Gegenseitigkeit in der Form guter Wünsche, in Gefühlen und guten Handlungen, während Liebe, sie sei erotisch oder nicht, einseitig sein

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und sogar existieren kann, wenn das Objekt der Liebe nie getroffen wird. Viele Menschen lieben Tiere zutiefst, ohne ein bestimmtes Tier so gut zu kennen, dass eine Freundschaft entstehen könnte. Wer wie meine Tochter Wale liebt, muss sich mit einer Liebe aus der Ferne begnügen, die nicht erwidert wird. Ich selbst pflege keine Freundschaften mit Tieren, empfinde jedoch viel Liebe für sie. Angesichts meiner Reiseverpflichtungen kann ich die Verantwortung für einen Hund nicht übernehmen, und ich kann nicht unter Elefanten leben, obwohl ich mich danach sehne, eine Freundschaft mit einer Elefantengruppe einzugehen. Freundschaft ist also in diesem Sinne anspruchsvoller als Liebe, auch wenn wechselseitige Liebe selbstverständlich ein Teil von ihr sein kann.

Beispiele der Freundschaft zwischen Mensch und Tier: Haustiere Haustiere, die nicht als „tierische Spielzeuge“ behandelt werden, sondern denen man ihre eigene Würde und ihren Handlungsfreiraum zugesteht, können oft zu Freunden der Menschen werden, mit denen sie zusammenleben. Viele Leser dieses Buches werden schon in solchen Freundschaften gestanden haben, und noch viel mehr von ihnen werden sie aus Berichten verschiedener Art kennen. Dennoch ist es nützlich, einen paradigmatischen Fall einer solchen Freundschaft genauer zu betrachten. Schauen wir uns daher die Freundschaft zwischen dem Philosophen George Pitcher (1925–2018) und den beiden Hunden Lupa und Remus an, mit denen er und sein Partner, der Komponist und Musikprofessor Ed Cone (1917–2004), von 1977 bis 1988 (dem Jahr von Lupas Tod) bzw. 1991 (dem Jahr von Remus’ Tod) in ihrem Haus in Princeton, New Jersey, lebten.3 Wir haben die beiden Hunde in der Einleitung kennengelernt. Ihre Geschichte wird außerordentlich detailliert und mit Empathie (einschließlich Selbstempathie) von Pitcher erzählt, der  – was nicht überrascht – einer derjenigen Philosophen ist, die das Thema der Emotionen in der neueren Philosophie wieder aufgegriffen haben, als es noch als ein Thema galt, mit dem man sich besser nicht beschäftigen sollte. Außerdem hat die Geschichte den zusätzlichen Vorteil, dass ich für sie aus persönlicher Erfahrung bürgen kann. Da ich mit den beiden Männern befreundet war, habe ich sie häufig in Princeton besucht, in ihrem Haus am Golfplatz gewohnt und viele Spaziergänge mit George und den Hunden gemacht. Remus war sehr zutraulich mir gegenüber, während Lupa, wie im Buch beschrieben, ihre Angst vor

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Fremden stets behielt und gewöhnlich unter dem Konzertflügel saß, wenn ich zugegen war. Lupa war für eine ganze Weile eine wilde Hündin, und ihre Welpen wurden wahrscheinlich von einem anderen Mitglied der Gruppe wilder Hunde, in der sie lebte, gezeugt. Davor scheint sie misshandelt worden zu sein. Bestimmte Gesten, insbesondere eine erhobene Hand, lösten bei ihr Angst aus (siehe Einleitung), und es beunruhigte sie, wenn jemand das Telefon im Erdgeschoss benutzte (keines der anderen Telefone), sodass sie sich dann niederkauerte. George hatte sie mit ihrem soeben erst zur Welt gebrachten Wurf zitternd in einem dunklen, niedrigen Kellerraum unter einem Geräteschuppen auf seinem und Eds Grundstück gefunden. Anfangs schreckte Lupa aus Angst vor Fremden vor jedem Kontakt zurück, und es dauerte Tage, ehe sie Futter fraß, das man ihr am Eingang ihrer „Höhle“ hingestellt hatte, und Wochen, bis sie sich ein wenig aus der „Höhle“ herauswagte, um sich das Futter zu holen. Während dieser ganzen Zeit sprach George sanft und beruhigend zu ihr, versuchte, sich vorzustellen, was sie durchgemacht hatte, das eine solche Angst auslösen konnte, und „spürte […] eine große Verletzlichkeit in ihr“.4 Wie das Buch deutlich macht, entdeckte Pitcher gleichzeitig seine eigene Verletzlichkeit bzw. entdeckte er sie wieder, da er nach einer schwierigen Kindheit viele Emotionen „zugemauert“ hatte. Die im Zitat am Anfang dieses Kapitels beschriebene Episode markierte den Zeitpunkt, ab dem Lupa erstmals positiv auf Georges Annäherungsversuche reagierte, und von diesem Moment an war er ihr auf das engste verbunden. Obwohl Ed anfangs gegen einen Hund war, ließ er sich dafür gewinnen, Lupa und einen ihrer Welpen zunächst draußen zu halten und sie später in ihr Haus aufzunehmen. Für die anderen Welpen wurden gute Familien gefunden. Als Ed und George den beiden Hunden Namen gaben (nach der Wölfin, die die beiden Gründer Roms gesäugt hatte, und einem ihrer beiden menschlichen „Kinder“), war dies „eine Anerkennung der Tatsache, dass sie für uns so etwas wie Personen waren, und zwar Personen, für die wir nun verantwortlich waren. Wir verpflichteten uns auf ernste Weise, wie man es bei einem Gelübde tut.“5 (Pitcher betont, dass Ed für seine absolute Ernsthaftigkeit bekannt war und dafür, seine Meinung unverblümt mitzuteilen. Diese Eigenschaft erfuhr ich mit Dankbarkeit und einigem Unbehagen, als er kritische Kommentare zu einigen meiner Texte über Musik abgab.) Pitcher räumt ein, dass die Hunde für die beiden Ersatzkinder waren. (Für zwei homosexuelle Männer bestand zu dieser Zeit, in der solche Dinge verheim-

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licht wurden, nicht die Möglichkeit, zu heiraten oder Kinder zu adoptieren.)6 Doch er betont auch, dass die Hunde noch andere emotionale Rollen übernahmen: Lupa wurde zu einer Mutterfigur, und Remus war ein furchtloser Begleiter. Es hätte geschehen können, dass die Vorstellung von Ersatzkindern zu einer unangemessenen Behandlung der Hunde führte, die ihr Sein als Hunde nicht respektiert hätte. Zahlreiche Menschen verhalten sich auf diese Weise, etwa indem sie Hunden Babykleider anziehen usw. Ich fand keinerlei Hinweise auf ein derartig problematisches Verhalten. Stattdessen wurde ständig auf die artspezifischen Wünsche und Ausdrucksformen der Hunde geachtet – ebenso wie auf ihre Besonderheit, darauf, wie sie sich voneinander und von anderen Hunden unterschieden. Da keine menschlichen Kinder im Haus lebten, wurden die beiden Männer nicht durch andere Aufgaben abgelenkt, sondern konnten ihre Aufmerksamkeit vollständig Lupa und Remus widmen. Von Anfang an war Pitcher ein Freund im aristotelischen Sinne, der Lupa und Remus als Zwecke an sich betrachtete und ihnen um ihrer selbst willen, nicht aus einem selbstbezogenen Grund, half. Er war stets offen für die Wünsche der beiden und sehr sensibel für ihre besonderen individuellen Ausdrucksformen: für Remus’ Angewohnheit, sich in der Nähe eines Gegenstandes, den er haben möchte, „bedeutungsvoll niederzulassen“, und für Lupas davon unterschiedene Art, ihr Verlangen auszudrücken, indem sie „ihre Pfote sanft auf unser Knie legt und uns erwartungsvoll in die Augen schaut, vielleicht auch leise winselt“.7 Remus konnte starken Protest zum Ausdruck bringen: Als die Hündin eines Freundes, auf welche die Männer aufpassten, es wagte, in Georges Zimmer zu schlafen, ertrug Remus diesen Übergriff mit Geduld. Doch als dieselbe Hündin ein zweites Mal zu Besuch kam, überraschte Remus Pitcher dadurch, dass er zu dessen Stuhl kam und den ganzen Teppich vollpinkelte. Obwohl Pitcher anfangs verärgert war, verstand er, dass Remus „einen seiner Meinung nach legitimen Grund hatte, sich zu beschweren, und natürlich jedes Recht, dies zum Ausdruck zu bringen […]. Ich musste zugeben, dass dieser Ausdruck seines Protests eloquent, kühn und originell war“.8 Pitcher verstand außerdem Remus’ meisterliche Fähigkeiten der Täuschung und seine Schauspielkunst, die er einsetzte, um Dinge zu erhalten, die er bekommen wollte, und berichtete ausführlich über sie. Und die Hunde revanchierten sich. Sie schenkten beiden Männern ihre uneingeschränkte Hingabe – und sie zeigten Pitcher, was es heißt, Liebe auszudrücken. (Pitcher schreibt, dass er zu der Zeit, als er Lupa fand, wegen seiner Schwierigkeiten, Liebe auszudrücken, dreimal wöchentlich eine Psychiaterin

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in New York aufsuchte. Nach einer Weile sagte ihm die Psychiaterin, dass die Hunde ihm mehr geholfen hätten als sie.) So wie die Männer auf die Kommunikation der Hunde eingestimmt waren, „so haben diese ihrerseits einen Großteil unserer Worte, Handlungen und sogar Gemütszustände verstanden“.9 Als Pitcher in Tränen aufgelöst eine Fernsehdokumentation über ein Kind mit einem angeborenen Herzfehler sah, das während einer lebensrettenden Operation starb, „stürzten sich beide Hunde auf mich, warfen mich fast zu Boden und leckten mir mit kläglichem Winseln inbrünstig die Augen und die Wangen, um mich zu trösten – was ihnen auch gelang“.10 Wahrscheinlich verstanden die Hunde mehr, als die Erzählung verrät. Pitcher geht in dem Buch nur kurz auf seine Kindheit ein, doch ich weiß, dass er sich der Liebe unwürdig und von jeglicher Geborgenheit abgeschnitten fühlte; zweifellos identifizierte er sich mit dem einsamen und kranken kleinen Jungen in dem Film, was ein Grund für seine starke Reaktion war. Die bedingungslose Liebe und der Trost, die ihm die Hunde entgegenbrachten bzw. zuteilwerden ließen, waren die genauestens passende Antwort auf sein lebenslanges Gefühl der Wertlosigkeit. Es gibt demnach auf beiden Seiten Empathie und Eingestimmtsein, eine reichhaltige gegenseitige Kommunikation und viel Freude an gemeinsamen Aktivitäten. Was die Freiheit betrifft, so geben die meisten Hundehalter dem Hund nie die Möglichkeit, in der Wildnis zu leben, und für die meisten wäre dies auch eine grausame und riskante Option. Lupa hatte allerdings erfolgreich als wilder Hund gelebt, weshalb Pitcher der Meinung war, er solle ihr eine faire Chance geben, wieder zurück in die Wildnis zu gehen. Eines Tages, als sie auf dem Golfplatz unterwegs waren, rannte Lupa in den Wald, der Fährte eines Kaninchens folgend. George und Ed gingen ihr absichtlich nicht hinterher, sondern warteten ab, wie sie sich entschied. Als sie pessimistisch wieder nach Hause kamen, stand sie da, erschöpft von der Jagd, und folgte ihnen langsam nach. „Ihre Lippen waren aus dem leicht geöffneten Kiefer zurückgezogen, so dass sie zu lächeln schien. Ich sah zum ersten Mal, dass sie schön war. Sie sah zu mir auf, als wollte sie sagen: ,Junge, das war ein großer Spaß!‘ Doch was ich dem entnahm, war, dass sie zu uns gehörte, jetzt und für immer.“11 Für viele Hundebesitzer ist dieses „uns“ asymmetrisch: Der Hund ist ein wertvoller Besitz, und sie sehen sich ausdrücklich nicht als dem Hund zugehörig. Für George und Ed war es ebenso wahr, dass sie zu den Hunden gehörten, wie dass die Hunde zu ihnen gehörten. Lupa liebte ihr Halsband besonders, das sie eindeutig als „Symbol des

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Bandes sah, das sie mit uns verband […]. Sie trug es, wie es schien, mit Stolz und einer gewissen stillen Freude“.12 Sie wurde ängstlich und apathisch, wenn es ihr, um sie zu bürsten, abgenommen werden musste. „Um ihr Vertrauen wiederherzustellen, brauchten wir ihr nur das Halsband wieder anzulegen.“13 Die Männer erkannten zwar eine Asymmetrie, da die Hunde völlig abhängig von ihnen waren, sie jedoch nicht völlig abhängig von den Hunden. Doch verstanden sie diese Asymmetrie als Grund für eine große Verantwortung, nicht als Grund für Stolz. Eine traurige Asymmetrie der Freundschaft zwischen Mensch und Hund ist der unumgängliche Unterschied der Lebensspanne. Ed wurde 87 Jahre alt, George 93 Jahre. Ihre gut gepflegten Hunde (sie erhielten eine erstklassige medizinische Versorgung) wurden beide etwa 17 Jahre alt (Lupas Geburtsdatum hatten sie nie erfahren) – ein sehr langes Leben für diese relativ großen Hunde. So endet die Geschichte unweigerlich mit dem Alterungsprozess der Hunde und schließlich zwei Todesfällen – und damit, dass Pitcher noch etwas Weiteres für sich selbst lernte: wie man trauert. Viele Leser werden ihre eigenen Geschichten zu erzählen haben, aber diese, die so meisterhaft erzählt wird, gibt uns ein Beispiel dafür, was Freundschaft (und gegenseitige Liebe) über die Artengrenze hinweg sein können.

Beispiele der Freundschaft zwischen Tier und Mensch: Wildtiere Da Wildtiere im Gegensatz zu Haustieren keine Wohnung mit dem Menschen teilen, ist das erste Hindernis für eine Freundschaft räumlicher Natur: Wo, auf wessen Boden sollen sich die beiden Parteien treffen? Wenn wir die schwierige Frage, ob es jemals Freundschaft zwischen dem Menschen und Tieren in Gefangenschaft geben kann, einmal beiseitelassen, haben wir es mit Fällen zu tun, in denen das Wildtier seiner eigenen Lebensform in einem Raum nachgeht, der im Großen und Ganzen zwar vom Menschen beherrscht wird, ihm jedoch viel Platz lässt, um sich darin frei zu bewegen und mit einer Gruppe seiner eigenen Art als es selbst zu leben. Wie könnte dann eine Freundschaft überhaupt ihren Anfang nehmen? Freundschaft erfordert ein Zusammenleben, und wenn Menschen auch manchmal Freundschaften online eingehen, so erfordern art­ übergreifende Beziehungen doch körperliche Anwesenheit. Der Mensch muss sich also an den Ort begeben, an dem die betreffenden Wildtiere leben, und

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sich dort über einen längeren Zeitraum aufhalten; es muss ihm gelingen, dort willkommen zu sein und schließlich gewissermaßen zu einer Beziehung eingeladen zu werden, obwohl er als fremd und zunächst bedrohlich empfunden wird. Für einige Arten, wie z. B. Wale, lässt sich dieser gemeinsame Raum nicht finden. Auch wenn es heute möglich ist, unter Wasser vieles aus nächster Nähe zu erforschen, was früher so nicht möglich war, schließen die Einschränkungen für den Menschen, der sich in diese Umgebung wagt, doch gemeinsame Aktivitäten und Vergnügen aus. Vielleicht wird sich das ändern. Peter Godfrey-Smiths Erzählungen über seine Tauchgänge auf der Suche nach dem zurückgezogen lebenden Oktopus zeugen von großer Freude und großem Vergnügen; und vielleicht werden unerschrockene Walforscher eines Tages in der Lage sein, irgendwie für längere Zeit mit Walen zusammenzuleben. Bei zahlreichen anderen Arten jedoch können Entschlossenheit, Forschungsexpertise, Fördergelder und eine tiefe Liebe zu der jeweiligen Tierart die Forscher schon jetzt dazu antreiben, sich in eine Lebensform zu begeben, in der eine Welt wirklich gemeinsam gestaltet werden kann. Ein paradigmatisches Beispiel ist der Bericht der Ethologin Barbara Smuts über ihre Beziehungen zu den Pavianen in Ostafrika, mit denen sie viele Jahre lang zusammenlebte.14 Smuts berichtet, dass sie durch eine tiefe Neugierde zu ihrer Arbeit geführt wurde. Sie glaubt, diese Neugier bezüglich anderer Tiere sei unser evolutionäres Erbe von unseren menschlichen Vorfahren, das jedoch in der Regel vom modernen Leben überlagert werde. „Jeder von uns hat die Fähigkeit geerbt, sich in das Wesen eines anderen hineinzufühlen, allerdings ermutigt uns unser schnelllebiger städtischer Lebensstil nur selten dazu.“15 Smuts begab sich in den Lebensraum der Paviane und lebte dort ohne menschliche Gesellschaft. Sie betont, dass sie über lange Zeiträume keinen anderen Menschen sah und mit niemandem sprach, was sich als sehr hilfreich erwies, um zu lernen, sich in das Leben der Paviane „einzufühlen“.16 (Auch hier ist die Analogie zum Tourismus abermals von Nutzen: Es ist viel einfacher, fließend Französisch sprechen zu lernen, wenn man vollkommen in die Sprache eintaucht und keine Gelegenheit hat, ins Englische zurückzukehren.) Smuts erste Aufgabe bestand darin, die Paviane davon zu überzeugen, dass sie keine Bedrohung für sie darstellte. Nachdem sie sich gut auf diese Herausforderung vorbereitet hatte, näherte sie sich ihnen allmählich, mit großer Sensibilität für ihre Reaktionen, indem sie sich auf die subtilen Signale der Angst einstellte, die sie sich gegenseitig gaben, wenn sie sich zu schnell bewegte oder

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ihnen zu nahe kam. Anfangs riefen die Mütter ihre Kinder zu sich und warfen ihnen ernste, warnende Blicke zu. Mit der Zeit jedoch, als sie sahen, dass Smuts auf ihre Signale reagierte, änderte sich ihr Verhalten: Wenn sie das Gefühl hatten, dass sie ihr zu nahe kam, warfen sie ihr „böse Blicke“ zu – sie behandelten sie nicht länger als Objekt, sondern als ein Subjekt, mit dem sie kommunizieren konnten, wie sie anmerkt. In dem Prozess, ihr Vertrauen zu gewinnen, „veränderte ich fast alles an mir, einschließlich der Art, wie ich ging und saß, wie ich meinen Körper hielt und wie ich meine Augen und meine Stimme einsetzte. Ich lernte eine ganz neue Weise, in der Welt zu sein – die Seinsweise des Pavians“.17 Mit ihrem menschlichen Körper und ihrer Art, sich zu bewegen, war sie natürlich kein Pavian; sie trat jedoch in ihre Welt ein, indem sie aufmerksam auf ihre Signale reagierte, bis die Tiere sie als soziales Wesen akzeptierten, das sie wie ein Mitglied ihrer Gruppe behandeln konnten. Der Respekt vor dem persönlichen Raum, der in der Welt der Paviane sehr wichtig ist, war unerlässlich für die Vertrautheit und das Vertrauen, das die Gruppe und Smuts gemeinsam aufbauten. Sie lernte zum Beispiel, die Paviane nicht zu ignorieren, wenn sie sich ihr näherten, wie es Wissenschaftlern oft beigebracht wird. Stattdessen erwies sie ihnen auf Pavianart Respekt, indem sie einen kurzen Blickkontakt zu ihnen herstellte und grunzte. Schließlich konnten die Gruppe und sie sich in der Gesellschaft des jeweils anderen entspannen, wie es in dem Beispiel von Alex und Daphne beschrieben wird, das am Beginn dieses Kapitels angeführt wurde. Am Ende der Zeit mit den Pavianen bemerkte Smuts, dass sich ihr gesamtes Gefühl für ihre eigene Identität verschoben hatte: Sie war viel körperorientierter und weniger verkopft geworden. Smuts’ Freundschaft galt der gesamten Gruppe, nicht nur einem oder zwei einzelnen Tieren. Sie lernte sie alle als besondere Individuen kennen, sogar als „hochgradig spezifische Individuen, die sich so sehr voneinander unterscheiden wie wir Menschen auch“.18 Smuts betont, dass sie engere individuelle Beziehungen hätte aufbauen können und manchmal von dem einen oder anderen Pavian auch dazu ermutigt wurde – aufgrund ihrer Forschungsziele wollte sie jedoch das Verhalten der Paviane nicht in diesem Maße ändern. Die scheinbare Einseitigkeit der Freundschaft – sie lernte die Verhaltensweisen der Paviane kennen, und die Paviane nahmen sie einfach in eine anhaltende Art zu leben auf – wurde von ihr bewusst gewählt; sie hätte sich auch anders entscheiden können, was zu einer größeren Nähe geführt hätte. Manchmal kam eine solche Nähe auch kurzzeitig zustande. Smuts berichtet, dass sie einmal erkältet

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war und einschlief, während die Gruppe weiterzog. Als sie aufwachte, fand sie einen Pavian namens Plato an ihrer Seite. Sie fragte ihn, wohin die anderen gegangen seien, und er schritt mit ihr an seiner Seite selbstbewusst davon. „Ich fühlte mich, als wären wir Freunde, die zusammen einen Nachmittagsspaziergang machten.“19 Diese Beziehung setzte allerdings voraus, dass sie ein gutes Gruppenmitglied war. In einem anderen Fall, in dem die Paviane ihr ihre Hilfe anboten, war es die gesamte Gruppe, die ihr half: Bei einem Unwetter rückten sie alle zusammen, um Platz zu machen, damit auch sie sich in einem von ihnen gewählten Unterstand hinsetzen konnte. Indem sie ihre Freundin wurde, verhielt sie sich nach ihren Regeln und nicht umgekehrt, aber die Tiere änderten sich doch, einfach dadurch, dass sie sie aufnahmen. Die Forscherin war in ihre Welt gekommen, nicht umgekehrt, und wie ein guter Gast in einem fremden Land hielt sie sich an die dort herrschenden Sitten. Auf dieser Grundlage behandelten die Paviane sie als Subjekt und Mitglied der Gruppe und beschützten sie, als sie Schutz benötigte. Smuts gelangt zu der Schlussfolgerung: „Es ist überraschend einfach, Beziehungen zu Vögeln oder anderen Tieren aufzubauen, wenn wir ihren Raum betreten, solange wir uns mit Sensibilität und Demut in diese Erfahrung begeben.“20 Eine weitere, ähnliche Geschichte über die Vertrautheit innerhalb einer Gruppe und die letztendliche Aufnahme in diese ist der Bericht von Joyce Poole über ihr Leben mit Elefanten im Amboseli-Nationalpark in Kenia in ihrem Buch Coming of Age With Elephants.21 Poole ist in Bezug auf die beziehungsstiftenden Aspekte ihrer Forschung weniger selbstbewusst als Smuts; es wird allerdings deutlich, dass es ihr nicht nur gelang, das Vertrauen der matriarchalischen Gruppe erwachsener Weibchen, die die Herde anführen, zu gewinnen, sondern auch das der männlichen Elefanten, die normalerweise Einzelgänger sind und sich gegen Beziehungen sträuben und denen das Hauptinteresse ihrer Forschung galt. Sie schuf mit den Elefanten eine gemeinsame Welt, und diese lernten sogar, auf ihre sehr menschlichen Äußerungen zu reagieren, etwa wenn sie Virginia, einer Matriarchin, und ihrer weiblichen Gruppe Amazing Grace vorsang – ein Moment, den ich in Kapitel 1 festgehalten habe. „Es war ein Ritual, das wir hatten […]. Virginia stand stumm da, öffnete und schloss langsam ihre bernsteinfarbenen Augen und bewegte die Spitze ihres Rüssels. Ich sang fünf oder zehn Minuten lang oder so lange, wie sie zuhören wollten.“22 (Wir sehen hier die Mitwirkung von beiden Seiten, wobei die Elefanten eine neue Freude an menschlichem Gesang entwickelten.)

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Anders als Smuts hatte sich Poole nicht weit von den Menschen entfernt. Sie lebte mit einer Gruppe von Forschern zusammen und kam mit vielen Kenianern unterschiedlicher Art in Kontakt. Ihr Buch macht deutlich, dass es in Pooles menschlicher Welt sehr schwierig war, liebevolle Beziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Sie war mit allgegenwärtigem Sexismus konfrontiert und erlebte einen traumatisierenden Fall von sexueller Gewalt. Eine liebevolle, intime Beziehung zu einem kenianischen Mann ging schmerzlich in die Brüche, da ihre weiße Forschergemeinschaft rassenübergreifende Beziehungen nicht tolerierte. Am Ende war sie in der menschlichen Welt zutiefst einsam, während sie in der Welt der Elefanten glücklich und engagiert war – was uns daran erinnert, dass Menschen zwar manchmal Freundschaften schließen, diese aber auch mit bedauerlicher Häufigkeit durch einige in der Welt der Elefanten unbekannte Laster wieder zerstören. Es gab für Poole aufgrund der Beschränktheit und Härte der Menschenwelt, wie sie sie kennenlernte, starke Anreize, sich in die Gedankenwelt der Elefanten hineinzudenken. Als sie schließlich erkannte, dass sie kein Kind auf die übliche Art und Weise durch eine Liebesbeziehung bekommen würde, verließ Poole die Forschergruppe und bekam ein Kind (wahrscheinlich durch künstliche Befruchtung, obwohl sie sich zu diesem Punkt nicht äußert). Sie verglich sich selbst mit einer Elefantenmutter: „Ich durchlebte die Wehen und die Geburt meines Babys wie ein Elefant, umgeben und unterstützt von meinen weiblichen Gefährtinnen […]. Und als mein Kind endlich auf die Welt kam, kam es wie ein Elefantenbaby an, inmitten großer Aufregung und Feierlichkeit.“23 Für Poole sind gegenseitige Unterstützung und Gemeinschaft Eigenschaften von Elefanten, denen sie im Vergleich zu den üblichen Eigenschaften der menschlichen Gesellschaft, wie sie sie kennt, d. h. Spaltung, Sexismus und Egoismus, den Vorzug gibt. Nach einer Abwesenheit von zwei Jahren kehrte sie zu den Amboseli-Elefanten zurück. Sie umzingelten ihr Auto „mit ihren ausgestreckten Rüsseln und betäubten unsere Ohren mit einer Kakophonie aus Rumpeln, Trompeten und Schreien, bis unsere Körper von dem Lärm vibrierten. Sie drückten sich aneinander, urinierten und defäkierten, und ihre Gesichter waren von der frischen schwarzen Farbe der Schläfendrüsensekrete bedeckt.“24 Wie Poole weiß, ist diese Zeremonie bei Elefanten typischerweise Familien- und Gruppenmitgliedern vorbehalten, die lange Zeit abwesend waren. Sie steht auch mit der Geburt eines neuen Elefantenbabys in Zusammenhang. Poole verstand, dass die Elefanten sie wiedererkannt hatten und nicht nur ihre Rückkehr, sondern auch

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das Kind feierten, das sie mitgebracht hatte, „meine kleine Tochter, die ich ihnen in meinen Armen entgegenhielt“.25 Hatten die Elefantenmatriarchinnen Poole als unglücklich angesehen, weil sie kinderlos war? Sicherlich haben sie intuitiv auf die tiefe Depression und Einsamkeit reagiert, die sie als ihren Gemütszustand über mehrere Jahre hinweg beschreibt. Smuts schildert, wie Safi, der sie begleitende Hund, intuitiv eine depressive Stimmung bei ihr wahrnahm, bevor sie selbst sich ihres Leidens voll bewusst war. Elefanten sind emotional mindestens so intelligent wie Hunde und für ihre äußerst feinfühlige Wahrnehmung berühmt. Es ist also nicht abwegig, dass sie bei Poole einen Wechsel von der Depression zur Freude wahrnahmen. Zumindest hießen sie sie als Gruppenmitglied willkommen und feierten ein neues Leben. Doch wer weiß: Vielleicht haben sie ja in der Tiefe ihres weisen und verständnisvollen Herzens den Übergang von einer einsamen Frau zu einer erfüllten Elefantenmutter bejubelt? Es ist kein Zufall, dass Smuts ihren Memoiren den Titel Coming of Age with Elephants gab. Die Menschen haben sie nicht verstanden oder ihr beim „Erwachsenwerden“ geholfen; ihren Wunsch, sich als Frau zu entfalten, haben sie auf viele verschiedene Arten behindert. Die beschriebenen Beispiele sind zwar Fälle von Freundschaft, sie setzen jedoch voraus, dass man sich für längere Zeit in die Welt der Tiere begibt, was den meisten von uns nur selten möglich ist. Smuts besteht jedoch darauf, dass solche Beziehungen überall um uns herum existieren, wenn wir danach suchen. Sie nennt das Beispiel einer Maus, zu der die Beziehung nur von kurzer Dauer ist. Cynthia Townley beschreibt die Freundschaft mit wilden Vögeln.26 Keiner dieser Fälle bietet jedoch die beschriebene langjährige, vertrauensvolle Mitgestaltung einer gemeinsamen Welt, die sich in den Erfahrungen von Smuts und Poole zeigt. Smuts verdeutlicht diesen Zusammenhang, indem sie der Erzählung über die Paviane einen bewegenden Bericht über ihre langjährige Beziehung zu Safi, ihrem Begleithund, gegenüberstellt. Da Hunde mit Menschen eine Wohnung teilen können, können sie auf eine tiefe und bedeutsame Weise mit Menschen befreundet sein, die in der üblichen menschlichen Welt leben und nicht zu Forschungsstationen in Afrika reisen. (Safi kennt Smuts besser als jeder andere Mensch, den sie je kennengelernt hat, und ist sich der Nuancen ihrer Stimmungen ebenso bewusst wie Smuts der von Safi.) Ein solches gemeinsames Leben mit wilden Tieren ist für die meisten von uns nicht wirklich möglich, wenn wir ihre Lebensweise in der Gruppe und ihr Bedürfnis nach einem großen und relativ menschenfreien Lebensraum respektieren. Die

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Schriften dieser Forscher geben uns jedoch ein ideenreiches Beispiel dafür, wie eine solche Freundschaft aussehen kann. Wir alle sind in der Lage, diejenige Art von Neugier, Einfühlungsvermögen und Empfänglichkeit für tierische Lebensformen zu kultivieren, die diese Forscher bei ihrer Arbeit erlernt haben. Und selbst wenn uns die Freundschaft versagt bleibt, können wir immerhin eine unerwiderte Liebe empfinden.

Kann es Freundschaft mit Tieren in Gefangenschaft geben? Wir müssen uns nun einer schwierigen Frage stellen: Kann es jemals Freundschaften zwischen Menschen und wilden Tieren geben, die in Gefangenschaft leben? Wir haben gesagt, dass „die Wildnis“ in gewissem Sinne menschlicher Herrschaft unterliegt und im weiteren Sinne Gefangenschaft bedeutet. Nunmehr müssen wir jedoch darüber nachdenken, was üblicherweise mit „Gefangenschaft“ gemeint ist: nicht riesige Wildparks, sondern Zoos, in denen Menschen und andere Tiere einander auf engstem Raum begegnen. Hier ist immer Raum für Skepsis bezüglich des Kontexts der Beherrschung: Ist der potenzielle menschliche Freund ein Zooangestellter und somit an der Beherrschung beteiligt oder nur ein Besucher, der weniger stark involviert zu sein scheint? Wir werden sehen, inwieweit dieser Sorge Rechnung getragen werden kann. Freundschaft beruht, wie wir sagten, auf dem Respekt vor der Lebensform einer bestimmten Tierart. Daher ist sie mit Praktiken, die dieser Lebensform Gewalt antun, nicht vereinbar. Besonders offensichtlich ist dies in der gängigen Praxis, einen jungen Elefanten oder Orca aus seiner Gruppe zu entfernen und ihn in einem Zoo oder Themenpark zur Belustigung von Menschen auszubeuten, wie ich es in Kapitel 10 dargelegt habe. Manchmal wird die Öffentlichkeit dazu verleitet, Geld zu zahlen, um die Farce einer Freundschaft mit Tieren in Gefangenschaft zu sehen, deren Lebensform zerstört wurde. Blackfish zeigt zum Beispiel, wie Sea World scheinbar liebevolle Beziehungen zwischen Trainern und gefangenen Orcas vorführte, um die Zuschauer dazu zu bringen, für die Stunts, die den Orcas durch Zufügen von Schmerzen beigebracht wurden, Geld auf den Tisch zu legen. Manchmal scheinen die Trainer selbst getäuscht worden zu sein: Einige der vor der Kamera interviewten Personen liebten offensichtlich die Tiere, mit denen sie arbeiteten, und waren entweder tatsächlich un-

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wissend bezüglich der Gewalt, die ihrer Lebensweise angetan wurde, oder sie wurden so manipuliert, dass sie nicht so genau hinsahen. Eine allgegenwärtige Gefahr sowohl für die Zuschauer als auch für die Trainer ist Narzissmus und der Mangel an wirklicher Neugier: Wir stellen uns so leicht vor, dass das Tier so ist wie wir, oder wir projizieren menschenähnliche Gefühle auf das Tier, die wahrscheinlich nicht den tatsächlichen Reaktionen des Tieres entsprechen. So können sich die Menschen in dem irrigen Glauben wiegen, sie seien Teilnehmer oder Zeugen einer Freundschaft und nicht diejenigen, die eine grausame Verletzung von Fähigkeiten möglich machen. Echte Empathie muss auf Wissen basieren, und Zoos und Themenparks haben ein starkes Interesse daran, dass weder die Zuschauer noch die Trainer über eine genaue Kenntnis der Lebensform des Tieres verfügen, sodass sie sich in Freundschaftsfantasien ergehen können, ohne zu erkennen, wie verarmt und entbehrungsreich die Umgebung eines Zoos ist. Ein verwandter Fallstrick besteht darin, das Tier zu Aktivitäten zu drängen, die seiner Art nicht entsprechen, da dies die menschlichen Besucher unterhält oder ihren Freundschaftsfantasien entspricht. Auch in diesem Fall kann das entweder durch zynische Ausbeutung oder aber durch gutgläubige Unwissenheit geschehen. Ich habe bereits über die Zeichensprache der Affen gesprochen. Andere Tricks, die man Schimpansen beibringt, sind noch schlimmer. Bis vor Kurzem war es – in Filmen und im Fernsehen – üblich, Schimpansen in menschlicher Kleidung auf Dreirädern oder wie Babys in Windeln gewickelt zu zeigen.27 Diese Darbietungen dienten der Belustigung der Menschen, indem sie die Fantasie nährten, der Schimpanse sei einem menschlichen Kind ähnlich. Dabei handelt es sich nicht um Freundschaft, sondern um eine Parodie von Freundschaft, inszeniert von Menschen, denen es an echter Demut und Neugierde mangelt. Delfine sind ein komplizierter Fall, wie ich in Kapitel 10 erläutert habe. Sie sind sehr neugierig in Bezug auf Menschen und interagieren gerne mit ihnen. In ihrem Leben in Freiheit suchen sie häufig den Kontakt zu Menschen und gehen mit ihnen gemeinsamen Aktivitäten nach. Hal Whitehead und Luke Rendell beschreiben, wie eine Gruppe von Küstendelfinen mit Küstenfischern zusammenarbeitete und ihnen half, Muscheln in ihre Netze zu locken.28 Solche Kooperationen sind zumindest Vorläufer von Freundschaft. Whitehead und Rendell zeigen auch, dass Delfine, die in einem Vergnügungspark Tricks gelernt haben und dann in ein freies Meereshabitat entlassen werden, diese Tricks

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manchmal beibehalten und ihren Jungen beibringen. Es stellt sich also die Frage, ob das Erlernen von Tricks unangemessen ist: Wenn es ausschließlich mithilfe positiver Verstärkung geschieht, kann es ein erfreulicher Aspekt einer kooperativen Interaktion und für diese hochintelligenten Säugetiere stimulierend sein – zumindest manchmal. In einem halb geschlossenen, jedoch nicht eingegrenzten Raum wie der Shark Bay in Australien könnte es möglicherweise Anfänge einer Freundschaft nach den Vorbildern von Smuts und Poole geben. Wie verhält es sich mit Tieren, die sich scheinbar in einem kleineren Lebensraum wohlfühlen? Können sie in Gefangenschaft Freundschaften schließen? Eine traurige und umstrittene Geschichte ist die von Knut (2006–2011), dem verwaisten Eisbären im Berliner Zoo, der zu einem Publikumsliebling wurde und mit mehreren Tierpflegern vermeintlich Freundschaft schloss.29 Dieser Fall ist kompliziert, weil Knut von seiner Mutter verstoßen wurde und gestorben wäre, wenn er sich nicht in einem Zoo mit freundlichen Tierpflegern befunden hätte. Besonders zu nennen ist hier Thomas Dörflein, der den kleinen Bären eindeutig liebte, an seiner Seite schlief und ihn mit Babynahrung fütterte. Elefanten-Matriarchinnen ziehen ihre Jungen gemeinsam auf, sodass ein Baby, dessen Mutter tot ist, nicht einfach ausgesetzt wird. Bei Eisbären scheint dies nicht der Fall zu sein, und im üblichen Lebensraum von Bären hätte dieses Jungtier wahrscheinlich keine Chance gehabt, seine artgerechte Lebensform zu leben. Einige Tierschützer meinten, der Zoo hätte den Mut haben sollen, den jungen Bären sterben zu lassen.30 Doch die Öffentlichkeit, die sich bereits in Knut verliebt hatte, protestierte vor dem Zoo. Ich glaube, dass die anfänglichen Maßnahmen der Tierpfleger vertretbar, ja sogar lobenswert waren. Und es bleibt unklar, ob sie überhaupt die Möglichkeit hatten, Knut ein normales Leben mit anderen Eisbären, auch mit den anderen Eisbären im Zoo, zu bieten. Es ist daher unklar, ob ihre Behandlung von Knut einen Mangel an Respekt für Knuts Lebensform darstellte; sie könnte die unter den gegebenen Umständen bestmögliche gewesen sein. Was der Fall jedoch sicherlich zeigt, ist das mangelnde Wissen und die fehlende Neugier der Öffentlichkeit bezüglich der charakteristischen Lebensform von Eisbären. Die Menschen wollten, dass Knut sich wie ein Plüschtier verhält, und mochten sein typisches Eisbärenverhalten nicht. Es gab einen Aufschrei der Empörung, als Knut Fische tötete, und man sprach von einem Verstoß gegen die deutschen Tierschutzgesetze. Der Zoo machte wenig Anstalten, die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, was Eisbären wirklich sind und tun  – und das aus

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offensichtlichen Gründen, denn Knut musste niedlich und „harmlos“ sein, was Eisbären ganz und gar nicht sind. Knut war eine finanzielle Goldgrube für den Zoo, der seinen Namen markenrechtlich schützen ließ, alle möglichen KnutProdukte verkaufte und sogar seine sterblichen Überreste ausstellte. Zoos brauchen ständig Geld, und ihre Beweggründe sollten daher stets sorgfältig hinterfragt werden. Es gibt bessere Kandidaten für „Freundschaften in Gefangenschaft“. Einige Forschungsumgebungen bieten eingesperrten Tieren so etwas wie eine artgemäße Lebensform und zugleich Interaktionen mit Menschen. Menschenaffen sind die logischen Kandidaten für solche potenziellen Freundschaften, da ihre arttypischen Anforderungen in einer Forschungseinrichtung oft erfüllt werden können. Zoos kümmern sich häufig nicht um das Sozialleben von Menschenaffen, oder sie tun dies nur auf eine anthropozentrische Art und Weise, die sehen möchte, dass die Tiere sich „wie wir“ verhalten. Heute gibt es jedoch auch Zoos, die eine respektvollere, forschungsorientierte Haltung einnehmen. Ein Wissenschaftler, der in einer solchen Einrichtung arbeitet, kann Freundschaften schließen, die denen von Barbara Smuts ähneln. Ein Beispiel dafür scheint die Beziehung des Biologen Jan van Hooff mit dem Schimpansen Mama zu sein, der Heldin in Frans de Waals Momma’s Last Hug.31 Der Professor und der Schimpanse kannten sich seit vierzig Jahren (van Hoof war de Waals Doktorvater, daher kannte auch de Waal Mama schon lange und war mit ihr befreundet). Der Hauptzweck seiner Forschungstätigkeiten bestand darin, die Sozialstruktur von Schimpansen und ihre Interaktionen zu erforschen, und so lebte Mama ihr ganzes Leben lang mit einer großen Verwandtschaftsgruppe zusammen, wie es für in Freiheit lebende Schimpansengruppen charakteristisch ist, und wurde schließlich deren matriarchalische Anführerin. Van Hooff hatte gescheiterte Versuche der Unterbringung von Affengruppen beobachtet, als er in seiner Jugend für eine NASA-Einrichtung arbeitete, die Schimpansen für die Entsendung ins All vorbereitete. Die Unzulänglichkeiten der NASA-Einrichtung in Bezug auf Unterbringung, Fütterung und die Möglichkeiten sozialer Interaktion inspirierten ihn dazu, die Arnheim-Kolonie zu gründen. Dabei handelt es sich um eine zwei Hektar große Insel mit etwa 25 Schimpansen, die sowohl das Bilden von größeren Gruppen ermöglichte als auch vertrautere familiäre Rückzugsräume bot, wie es von Schimpansen in „freier Wildbahn“ bevorzugt wird. „Obwohl Mama in Gefangenschaft lebte, genoss sie ein langes Leben in ihrem eigenen sozialen Universum, das reich war an Geburten, Tod,

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Sex, Machtkämpfen, Freundschaften, Familienbanden und allen anderen Aspekten der Primatengesellschaft.“32 Es war die erste große Schimpansenkolonie, die zum Vorbild für zahlreiche weitere auf der ganzen Welt wurde. „Einen Monat vor Mamas 59. und zwei Monate vor Jan van Hooffs 80. Geburtstag fand ein emotionales Wiedersehen zwischen diesen beiden älteren Hominiden statt.“33 De Waal beschreibt, wie Mama den Professor auf ihrem Sterbebett umarmt, und zwar auf eine Weise, die ihre tiefe Verbundenheit deutlich macht. Mama begrüßte ihn mit einem breiten Grinsen und tätschelte seinen Nacken, eine bei Affen (und auch bei Menschen) übliche Geste der Beruhigung. Sie griff nach Jans Kopf, streichelte sanft sein Haar und umarmte ihn mit ihren langen Armen, um ihn näher an sich zu ziehen. Sie streichelte rhythmisch seinen Kopf und seinen Hals, so wie Schimpansen ein Jungtier trösten. Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass die schwache und ausgemergelte Mama sich ihres eigenen Zustands bewusst war, in dem sie auf das Ende zuging, und dass sie auch Jans Angst und Trauer spürte. Die Qualität dieses Abschieds gibt uns einen kleinen Einblick in die Jahre der Freundschaft, die ihm vorausgingen. De Waal zeichnet seine eigene Freundschaft mit Mama im Kontext ihrer Rolle innerhalb der gesamten Schimpansengruppe auf. Diese Beziehungen sind Freundschaften. Auch wenn sie ihre Grenzen haben – die Tiere bleiben stets Gefangene –, sollten wir doch bedenken, dass die „Wildnis“ für Schimpansen ebenfalls ein Bereich der Gefangenschaft ist, in dem der Mensch (insbesondere Wilderer) häufig eine weitaus grausamere Tyrannei ausübt. Ich sehe keinen Grund dafür, warum in einer so respektvollen Umgebung (de Waal beschreibt die Gruppe und ihre Beziehungen und Aktivitäten ausführlich) keine Freundschaft hätte entstehen können, obwohl dies vielleicht unmöglich gewesen wäre, wenn die Kolonie für die Öffentlichkeit zugänglich gewesen wäre. Eine Beziehung ganz anderer Art zu einem Forschungstier ist die berühmte Freundschaft der Psychologin Irene Pepperberg mit Alex (1976–2007), einem afrikanischen Graupapagei, mit dem sie dreißig Jahre lang Umgang pflegte. Diese Beziehung, die von gegenseitiger Zuneigung und tiefem Respekt geprägt war, beschreibt Pepperberg ausführlich in ihrem Buch Alex und ich: Die einzigartige Freundschaft zwischen einer Harvard-Forscherin und dem schlausten Vogel der Welt. Der Titel setzt Alex passenderweise an die erste Stelle.34 Pepperbergs Interaktion mit dem Papagei fand ebenso wie die van Hooffs mit Mama im Rahmen von Forschungsarbeiten statt. Die Forschung mag auf den ersten

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Blick auf unangenehme Weise anthropozentrisch erscheinen, da sie die Fähigkeit von Papageien testet, die menschliche Sprache zu erlernen und auf sprachlich vermittelte Weise zu denken. Sie war jedoch durchweg von dem Respekt vor einem Lebewesen getragen, vor dem die meisten Wissenschaftler keinen Respekt hatten. Pepperbergs Ziel war es, die wissenschaftliche Gemeinschaft von der hohen Intelligenz der Papageien zu überzeugen, da man bisher davon ausging, ein Vogel könne unmöglich komplexe Denkleistungen vollbringen. In der Lebensform von Papageien spielt (im Gegensatz zu der von Schimpansen) die Nachahmung kommunikativer Laute eine zentrale Rolle. Die Sprache scheint daher keine fremdartige Zumutung zu sein, sondern eher ein Medium, das dazu dient, den Papageien charakteristische Rationalitätsleistungen zu entlocken. Alex hat sich nicht freiwillig in das Labor begeben  – Pepperberg hat ihn in einer Zoohandlung gekauft –, aber sobald er im Labor war, übte er in einem fast komischen Ausmaß Kontrolle aus. Er betrachtete es als seine freie Entscheidung, die ihm gestellten Aufgaben zu erfüllen oder abzulehnen, und er fand viele Wege, Langeweile und sogar Verachtung zu zeigen, sodass die Beziehung voll von etwas war, das man nur mit Mühe nicht als humorvolles Geplänkel bezeichnen kann. Papageien gehören nach der allgemeinen Auffassung von Wissenschaftlern zu den geistreichsten Tierarten,35 und es scheint keinen Zweifel an der gegenseitigen Zuneigung der beiden zu geben, obwohl Alex keine Arme hatte, um Pepperberg zu umarmen, wie Mama van Hooff. Sein Tod kam sehr plötzlich, in der Nacht, sodass Pepperberg keine Gelegenheit hatte, sich von ihm zu verabschieden, doch sein Verlust erschütterte sie, wie sie erzählt. Seine letzten Worte an sie waren Worte, die er jeden Abend sagte, wenn sie nach Hause ging: „Sei brav. Ich habe dich lieb. Wir sehen uns morgen.“ Sicher, er wiederholte, was er Pepperberg sagen hörte. Aber dieser Austausch von Abschiedsworten wurde im Laufe der Jahre eindeutig zu einem echten gegenseitigen Austausch. Für ernsthafte Bedenken über Alex und Irene Pepperberg als Kandidaten für eine Freundschaft sorgt die Tatsache, dass Alex keine Beziehungen zu anderen Papageien unterhielt, abgesehen von den beiläufigen und manchmal eher verächtlichen Interaktionen, die er mit anderen Papageien im Labor hatte. Graupapageien sind allerdings im Gegensatz zu Schimpansen, Elefanten und Delfinen keine sehr sozialen Wesen und leben nicht in Gruppen. Über ihr Verhalten in freier Wildbahn ist wenig bekannt, doch es ist klar, dass sie sich im Laufe der Evolution zu stillen Einzelgängern entwickelt haben, weil sie für viele Arten

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eine potenzielle Beute darstellen. Eine ihrer wichtigsten Überlebensstrategien ist ihre Fähigkeit zur Nachahmung: Im Dschungel entgehen sie dem Entdecktwerden, indem sie lernen, andere Tier- und Vogelstimmen zu imitieren. Alex wurde also aus keinem reichen Gemeinschaftsleben herausgerissen. Allerdings fehlte ihm eine Partnerin: Papageien sind, wie viele Vögel, monogam und ziehen ihre Jungen gemeinsam auf. In seiner Welt gab es also kein „geburtenreiches“ Leben „voller Sex“, wie das von Mama. Aber Papageien sind keine Schimpansen, und eine Gruppe von Artgenossen ist bei ihnen für ein gedeihliches Leben definitiv nicht erforderlich; ob eine Partnerin oder ein Partner notwendig sind, oder ob manche Papageien einfach Einzelgänger sind, ist nicht bekannt. Auf jeden Fall schien Alex weder deprimiert noch einsam zu sein, und es ist gut möglich, dass es bei Papageien wie bei Menschen verschiedene Formen eines blühenden Lebens gibt: als Einzelgänger oder in einer Paarbeziehung. Artenübergreifende Freundschaften sind also in Gefangenschaft durchaus möglich, sofern die Lebensform des Tieres und seine zentralen Fähigkeiten innerhalb dieser Lebensform als wesentliche Grundlagen für die Interaktion und den Ausdruck von Zuneigung respektiert werden. Solche Freundschaften sind für Menschen ohne eine spezielle Ausbildung und besondere Möglichkeiten nicht immer möglich, aber – wie Smuts sagt – es gibt überall in der uns umgebenden Welt Fälle, die wir mit Neugier und Demut weiter erforschen sollten: Freundschaften mit Papageien sicherlich, vielleicht mit Rabenvögeln und anderen Vögeln, vielleicht auch mit Nagetieren vieler verschiedener Arten.

Freundschaft als Ideal: die Erweiterung der menschlichen ­Fähigkeiten Einige Menschen haben das Glück, Freundschaften mit „wilden“ Tieren zu schließen. Viele weitere werden Freundschaften mit Hunden, Katzen oder Pferden pflegen. Viele werden eine unerwiderte Liebe zu Tieren empfinden, die ihnen fernbleiben. Doch alle Menschen können von den Beispielen artenübergreifender Freundschaft etwas lernen. Sie erweitern unser Bewusstsein und lehren uns neue Gewohnheiten der Demut und Neugierde, wenn wir uns anderen Lebewesen, auch anderen Menschen, nähern. Sind diese Freundschaften für die „wilden“ Tiere genauso wichtig wie für uns und für Haustiere? Die Bedeutung ist für sie eine andere. Wir kontrollieren

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das Leben aller Tiere und fügen ihnen derzeit Schaden zu: Freundschaft ist für uns daher ein Muss, um unsere ausbeuterische Lebensweise zu korrigieren. Für Tiere, die unser Leben begleiten, ist die artenübergreifende Freundschaft ein hohes Gut, das für ihr Gedeihen unerlässlich ist. Aber „wilde“ Tiere brauchen diese nahen Freundschaften nicht, um zu gedeihen, obwohl sie auf Menschen angewiesen sind, die ihre Macht mit einer nicht ausbeuterischen und freundlichen Haltung ausüben  – „als ob“ sie Freunde wären, sozusagen. Allerdings bereichern viele gute Dinge unser aller Leben, ohne dass sie für das Gedeihen unbedingt notwendig sind, und ich glaube, dass in den Fällen, die ich hier erörtert habe, die Freundschaften mit Menschen ein Gut im Leben der „wilden“ Tiere waren. Wenn wir der Überzeugung sind, dass Freundschaften zwischen Mensch und Tier möglich und ein erstrebenswertes Ziel sind, so wird dies unsere politischen und rechtlichen Bemühungen leiten und unsere Fähigkeiten erweitern. Das Ideal der Freundschaft verpflichtet jeden von uns, einige der ausbeuterischs­ ten Aktivitäten zu beenden, denen der Mensch in Bezug auf wilde Tiere nachgeht: nicht nur die Jagd, die Massentierhaltung, die Trophäenjagd, die Wilderei und den Walfang, nicht nur das Quälen von Tieren in der experimentellen Forschung, sondern auch die vielen weniger offensichtlichen Formen der Beherrschung, bei denen Wildtiere als Objekte des touristischen Vergnügens von Menschen behandelt werden, und nicht als Subjekte mit eigener Lebensform. Beide Seiten werden davon profitieren. Der durch das Wissen über andere Arten und ihre Lebensformen in geeigneter Weise erweiterte Fähigkeitenansatz bietet uns eine gute Orientierung, wenn wir dieses schwierige Ziel verfolgen.

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Unerlässlich, aber so schwierig Haben Tiere Rechte, so bedeutet dies, dass rechtliche Vorkehrungen entweder bereits existieren oder aber geschaffen werden müssen, um diese Rechte durchzusetzen. Rechte und Recht sind begrifflich voneinander unabhängig; dafür habe ich in Kapitel 5 Argumente vorgelegt. Und Rechte bedeuten, dass dort, wo die entsprechenden Strukturen noch nicht existieren, alle Menschen – da sie das Monopol der Festlegung des Rechts in dieser Welt besitzen – die kollektive Pflicht haben, sie so gut wie eben möglich ins Leben zu rufen. Allerdings stellen sich uns enorme Schwierigkeiten in den Weg. Solange es keine Institutionen gibt, die diese Rechte durchsetzen können, ist die Idee einer virtuellen Verfassung nur eine Metapher. Unsere erste Schwierigkeit besteht darin, dass es in unserer Welt kein einklagbares Rechtsdokument gibt. Die internationalen Menschenrechte und die internationalen Menschenrechtsdokumente sind äußerst schwach und kaum belastbar. Rechtlich durchgesetzt werden können sie im Grunde nur durch Nationen, die den Inhalt eines solchen Dokuments unterstützen. Im Großen und Ganzen ist dies meiner Meinung nach nicht schlecht, denn die Nation hat eine moralische Bedeutung: Sie ist die größte uns bekannte politische Einheit, die den Menschen gegenüber voll rechenschaftspflichtig ist und ihre Stimmen sowie ihre Autonomie (wörtlich: ihre Selbstgesetzgebung) zum Ausdruck bringt. Menschenrechtsdokumente können Ausdrucks- und Überzeugungskraft besitzen und den Wählern in jedem demokratischen Land helfen, Maßnahmen zu ergreifen, um sie durchzusetzen. Die Situation bei den Tierrechten ist jedoch aus zwei sehr unterschiedlichen Gründen weitaus unsicherer als die bei den Menschenrechten. Erstens gibt es keinen globalen Konsens in diesen Fragen, ja nicht einmal eine Einigung darüber, dass das Wohlergehen von Tieren überhaupt ein Thema von globaler

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Bedeutung sein sollte. Das war früher in Bezug auf Frauen ebenso der Fall, und dennoch hat es in Bezug auf die Stellung der Frauen im Rahmen der internationalen Menschenrechte im Laufe der Zeit zumindest einige Fortschritte gegeben (insbesondere durch die Frauenrechtskonvention CEDAW). In dieser Frage wie auch in anderen Bereichen, in denen gewisse Fortschritte erzielt werden konnten, z. B. der Gleichbehandlung von Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft oder der Rechte von Menschen mit Behinderungen und von LGBTQ-Personen, hat die sogenannte Status-quo-Verzerrung den Fortschritt verlangsamt. Bei Tieren ist diese Tendenz, den Status quo gegenüber Veränderungen zu bevorzugen, noch viel starrer. Ich werde später auf die fehlenden Fortschritte bei den Bemühungen, den Walfang durch internationale Verträge weltweit zu beenden, eingehen. Bei all diesen Fragen machen Habgier und der Wunsch, keinen Preis für Veränderungen zu zahlen, Fortschritte noch unsicherer. Es gibt jedoch noch eine weitere Frage, die uns daran hindert, das Problem durch einen aussagekräftigen internationalen Rechtsvertrag mit nationalstaatlicher Umsetzung zu lösen: Wo befinden sich die Tiere, und in welchem Staat leben sie? Wenn Tiere als Bürger betrachtet werden sollen, die Bürger von welchem Land sind sie dann? Haustiere sind in hohem Maße ortsgebunden. Dies ist ein Grund, warum die von mir vorgeschlagene Lösung für einige der genannten Probleme, die Parallelen zum Kinderschutz aufweist, funktionieren kann; die meisten Wildtiere sind jedoch nicht ortsgebunden. Sie wandern über Grenzen hinweg. Vor allem der Luftraum und die Meere kennen keine klaren Grenzen, auch wenn es in beiden Fällen Gebiete mit nationaler Gerichtsbarkeit gibt. Für viele Lebewesen, mit denen ich mich in diesem Buch beschäftige, müsste selbst ein aussagekräftiges, überzeugendes Dokument international sein, um sie vollständig zu erfassen. Wie wir noch sehen werden, hat dieses Problem manche Staaten nicht davon abgehalten, sich um die Bedürfnisse einiger Vögel und Meeressäuger in ihren Küstengewässern zu kümmern. Es bedeutet jedoch, dass es für um das Tierwohl besorgte Bürger eine äußerst schwierige Aufgabe darstellt, missbräuchliche Praktiken sämtlicher Nationen, die diese ausüben, zu beenden, und dass sie sich dabei gerade auf diejenigen internationalen Institutionen stützen müssen, die wahrscheinlich schwach sind und leicht eingeschüchtert werden können. Selbst innerhalb der einzelnen Länder gibt es eine große Lücke zwischen den geltenden Gesetzen und dem, was tatsächlich durchgesetzt wird, da Tiere keine

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Klagebefugnis haben (ein verbrieftes Recht, als Kläger vor Gericht zu gehen), und Menschen, denen Tiere am Herzen liegen, können in der Regel keine Klagebefugnis erhalten, um in ihrem Namen zu klagen und die Durchsetzung bestehender Gesetze zu fordern. In den USA gibt es auf zahlreichen Ebenen einige vielversprechende Gesetze, die einen Fähigkeitenansatz verkörpern – und doch werden sie bestenfalls sporadisch durchgesetzt. Unser Gesetzgebungsprozess wird von Blockaden, Parteispaltungen und Lobbyismus im Namen von Finanzinteressen heimgesucht, wobei die Fleischindustrie zu den mächtigsten Akteuren gehört. In unserer heutigen Welt, in der es keine nennenswerten Grenzen für die Rolle des Geldes in der Politik gibt, ist es schwierig, gegen solch festgefahrene Interessen etwas zu erreichen. Ein weiteres Problem besteht darin, dass es auf jeder Ebene eine verwirrende Vielzahl von sich oft überschneidenden Zuständigkeiten gibt: Bund, Länder, Städte oder Gemeinden und Landkreise; dabei geht es oft um Tiere, die bei ihren Wanderungen deren Grenzen überschreiten, sodass sich ein Zuständigkeitsproblem ergibt. Als Beispiel für dieses Problem werde ich später auf die Bemühungen eingehen, „Welpenfabriken“ zu schließen, also kommerzielle, gewinnorientierte Zuchtbetriebe, die Welpen unter schockierenden Bedingungen aufziehen und sie dann an Zoohandlungen verkaufen. Dort sehen sie dann niedlich aus und werden in der Regel auch gekauft, ohne dass sich die Käufer ihrer Herkunft oder der medizinischen Probleme bewusst sind, von denen die Tiere aufgrund ihrer schlechten Behandlung betroffen sind.

Ein realistisches Ideal Gesetze beschreiben ein Idealbild, werden aber gleichzeitig auch strategisch eingesetzt. Angesichts der Frage, wie wir weiter vorgehen sollten, kann man leicht in Verlegenheit geraten. Sollten wir eine Idealsituation entwerfen oder mit dem mangelhaften Material beginnen, das uns zur Verfügung steht, und versuchen, die Dinge etwas zu verbessern? Einige Philosophen sind der Auffassung, dass eine „ideale“ Theorie und eine in der realen Welt verwurzelte Theorie, deren Ziel ein gewisser Fortschritt ist, zwei sehr unterschiedliche Dinge sind, und dass eine ideale Theorie nicht besonders praktisch ist.1 Für mich ist es hingegen völlig klar, dass sich beide ergänzen. Wenn wir von dort aus, wo wir uns befinden, ein Ziel erreichen wollen, so ist es, nachdem wir uns über das Ziel klar geworden

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sind, ein Leichtes, eine Route von hier nach dort aufzuzeigen. Wenn wir aber losgehen und nur irgendwie an einen „besseren“ Ort gelangen wollen, so ist unser Weg unklar. Die ideale Theorie steuert unsere praktischen Bemühungen. Das Ideal muss erreichbar und realistisch sein; ich habe versucht, die Ideale, die in meinem Fähigkeitensatz enthalten sind, so darzustellen, dass sie dieser Forderung gerecht werden. Gegner der idealen Theorie könnten einwenden, dass meine Vorschläge für moderne Gesellschaften viel zu teuer sind, als dass sie sich diese leisten könnten. Wie Kapitel 8 allerdings gezeigt hat, sind mit der Entwicklung von Alternativen ebenfalls Kosten verbunden. Die Umstellung auf eine weitgehend fleischlose Ernährung wird durch die Entwicklung von Fleischersatzprodukten und von synthetischem Fleisch zunehmend einfacher. Die in Kapitel  9 empfohlenen Veränderungen im städtischen Raum (z. B. mehr Hundeparks) sind weitaus weniger kostspielig als die im Behindertengleichstellungsgesetz der USA geforderten Veränderungen. Dieses Gesetz wurde von einem moralischen Imperativ vorangetrieben, und seine Kosten wurden größtenteils von den zumeist privaten Einrichtungen getragen, die umgestaltet werden mussten, um dem Gesetz zu entsprechen. Außerdem handelt es sich sowohl bei der Einrichtung von Hundeparks als auch bei der Umsetzung von Barrierefreiheit in erster Linie um einmalige Kosten für die Umstrukturierung. Der Neuentwurf eines Gebäudes mit einem barrierefreien Zugang ist nicht teurer als derjenige eines Gebäudes ohne behindertengerechte Zugänge. Ebenso ist eine Stadtplanung, welche die Bedürfnisse von Haustieren berücksichtigt, nur dann teuer, wenn diese in der Vergangenheit nicht berücksichtigt wurden. Der kostspieligste Teil meines Vorschlags ist das Verhindern von Lebensraumverlusten und die Sanierung der bestehenden Lebensräume. Wie alle mutigen Umweltvorschläge wird auch dieser Kosten verursachen. Viele dieser Kosten sind jedoch ohnehin für das menschliche Wohlergehen zwingend erforderlich. Die Luft, die Jean-Pierre atmet, ist die gleiche, die die Menschen einatmen, und sie wurde durch das Gesetz zur Reinhaltung der Luft sauberer. Maßnahmen gegen das Abschmelzen der Gletscher, das den Eisbären Schaden zufügt, sind Teil eines Programms, das sich mit der menschlichen Zukunft in Zeiten der globalen Erwärmung befasst. Wenn wir damit aufhören, Kunststoffe zu verwenden, welche die Meere verschmutzen, ist das mit Übergangskosten verbunden, doch neue Lösungen ersetzen die alten schon nach kurzer Zeit. Besser gesagt: Noch ältere Lösungen ersetzen die alten – an zahlreichen Arbeits-

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plätzen und sogar an Urlaubsorten geht man zu Modellen über, bei denen Einwegplastik durch die vor Jahren verwendeten recycelbaren Dosen ersetzt wird, oder man verlangt sogar, dass die Mitarbeiter ihre eigenen wieder befüllbaren Wasserflaschen mitbringen. Und was die Lebensräume von Elefanten und anderen großen Säugetieren betrifft, so können die Kosten für den Schutz großer Flächen, auf denen Elefanten Nahrung finden, durch internationale Zusammenarbeit, durch den Kampf gegen die menschliche Überbevölkerung sowie durch die Einnahmen aus dem Ökotourismus, der mit gut erhaltenen Lebensräumen stets einhergeht, gestemmt werden.

Aktuelle Ressourcen Schauen wir uns an, was die Gesetze derzeit bieten: auf dem Papier sehr viel, in der Praxis allerdings nur wenig. Zunächst werde ich mich auf die USA beschränken. Internationales Recht und Vergleiche zwischen verschiedenen Ländern werden später jedoch noch wichtig werden. In den USA (wie auch in den meisten anderen Ländern) haben Tiere bereits Rechte, die in einer Vielzahl von einzelstaatlichen und bundesstaatlichen Gesetzen festgeschrieben sind.2 Auch wenn die Öffentlichkeit glaubt, dass das Thema „Tierrechte“ höchst umstritten ist, so ist es doch eine Tatsache, dass den Tieren in den letzten Jahren durch Gesetze eine beträchtliche Anzahl von Rechten zugestanden wurden, die gewissermaßen einen „Grundrechtekatalog“ darstellen – allerdings mit zahlreichen Lücken und Versäumnissen (ausgenommen sind in der Regel Tiere, die zur Ernährung gezüchtet, und solche, die zu Versuchszwecken verwendet werden). Staatliche Gesetze bieten Tieren eine breite Palette von Schutzmaßnahmen gegen Grausamkeiten, die sehr großzügig ausgelegt werden. Die Gesetze gehen in der Regel weit über den Schutz vor sogenannter „aktiver Grausamkeit“ (Schläge, Tötungen usw.) hinaus und erlegen den für die Tiere verantwortlichen Personen (in der Regel deren Halter) eine ganze Reihe von Pflichten auf: Sie müssen den Tieren angemessene Nahrung und Unterbringung bieten und dürfen sie, wenn diese für sie arbeiten, nicht überanstrengen. Um ein repräsentatives Beispiel zu nennen: In New York muss jeder, der ein Tier in einem eingeschränkten Lebensraum hält, für frische Luft, Wasser, Unterbringung und Nahrung sorgen.3 Mit strafrechtlichen Konsequenzen muss rechnen, wer ein

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Tier auf grausame oder unmenschliche Weise transportiert. Tiere, die mit der Bahn befördert werden, müssen alle fünf Stunden aus ihren Waggons gelassen werden, damit sie sich ausruhen sowie mit Nahrung und Wasser versorgt werden können. Andere Gesetze verbieten es, die Tiere zu überanstrengen oder ihnen unnötiges Leid zuzufügen. In Kalifornien sind die Gesetze gegen „Tierquälerei“ sogar noch weiter gefasst: Sie definieren auch das fahrlässige Zufügen unnötiger Leiden als „Quälerei“. Wie ich bereits erwähnte, gelten diese Gesetze nicht für Tiere, die zur Ernährung gezüchtet oder für medizinische oder wissenschaftliche Zwecke verwendet werden. Diese Gesetze haben noch zwei zusätzliche Mängel: Erstens werden Tiere, die nicht unter der direkten Kontrolle eines Menschen stehen, durch sie nicht geschützt – sie gelten nur für Tiere, die das Eigentum von Menschen sind oder von ihnen kontrolliert werden. Zweitens müssen sie staatlich durchgesetzt werden, doch der Staat tut dies nur selten, lediglich in den allerschlimmsten Fällen. Die Gesetze bleiben größtenteils nur Worte auf dem Papier. Auf Bundesebene haben die USA mittlerweile eine ganze Reihe von Schutzgesetzen erlassen. Die meisten dieser Gesetze stammen aus einer Zeit, als „Tierrechte“ noch nicht in aller Munde waren, und können somit kaum als Fälle von „politischer Korrektheit“ betrachtet werden. Viele Leser werden erstaunt sein zu erfahren, dass der Kongress von 1966, also während der Eisenhower-Regierung, ein sehr umfassendes Gesetz verabschiedete, den Animal Welfare Act (AWA), das weiter gefasst ist als die meisten einzelstaatlichen Gesetze, da es bei seiner Einführung auch Tiere einschloss, die man zu wissenschaftlichen Zwecken verwendet. Der Hauptgrund für die Verabschiedung des Gesetzes war die öffentliche Empörung über die Behandlung von Tieren in Forschungseinrichtungen.4 Es schützte in seiner ursprünglichen Form sämtliche warmblütigen Tiere, die in der Forschung eingesetzt, ausgestellt oder als Haustiere gehalten wurden. Es enthält ein breites Spektrum an zivil- und strafrechtlichen Sanktionen bei Misshandlungen, und verpflichtet das Landwirtschaftsministerium, für jede Tierart detailliert darzulegen, was unter „humaner Behandlung“ zu verstehen ist, und zwar in Bezug auf „allgemeine Behandlung, Unterbringung, Fütterung, Versorgung mit Wasser, Hygiene, Luftzufuhr, Schutz vor extremen Witterungs- und Temperatureinflüssen sowie eine angemessene tierärztliche Versorgung“.5 Bestimmte Abschnitte verlangen ein Minimum an Auslauf für Hunde sowie eine Umgebung für Primaten, die für den Schutz ihres „seelischen Wohlbefindens“ geeignet ist.6 Primaten müssen soziale Gruppen bilden können und Zugang zu einer

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„bereichernden Umgebung“ haben, die es ihnen ermöglicht, „nicht verletzenden, arttypischen Aktivitäten“ nachzugehen.7 Das Gesetz enthält ein generelles Verbot von Praktiken, bei denen Tiere zum Kämpfen gezwungen werden. Indem es auf bestimmte Arten besonders eingeht und die Bewegungsfreiheit wie die psychische Gesundheit schützt, geht das Gesetz über einen rein utilitaristischen Ansatz hinaus und nähert sich dem, was der Fähigkeitenansatz empfehlen würde. In seiner gegenwärtigen Form hat das Gesetz es versäumt, auf eine Reihe wichtiger Dinge einzugehen. Zum einen werden wechselwarme Tiere vollkommen übergangen. Dieses Versäumnis war offensichtlich durch den Wunsch eines Gesetzgebers motiviert, das nationale Krabbenrennen in Maryland von diesem Gesetz auszunehmen. Des Weiteren wird das Töten selbst nicht angesprochen. Das Gesetz besagt nicht, dass Versuchsleiter den Tod von Versuchstieren nicht herbeiführen dürfen, sondern lediglich, dass sie dabei human vorgehen müssen. Drittens nimmt das Gesetz, indem es sich auf drei Kategorien konzentriert (Versuchs-, Ausstellungs- und Haustiere), auch die fabrikmäßige Lebensmittelindustrie von seinen Vorschriften aus. Und noch schlimmer: 2002 wurde das Gesetz so geändert, dass Vögel sowie alle Ratten und Mäuse, die für Forschungszwecke gezüchtet werden, davon ausgenommen sind, womit ein großer Teil der ursprünglichen Absicht des Gesetzes zunichte gemacht wurde. Im Jahr 2002 erklärte sich das nationale Landwirtschaftsministerium USDA bereit, Vögel, die nicht für Forschungszwecke verwendet werden, zu schützen und einen Pflegestandard für sie auszuarbeiten. Es kam allerdings immer wieder zu weiteren Verzögerungen. Die Frage der unangemessenen Verzögerung wird derzeit vor Gericht verhandelt.8 Dem Gesetz über gefährdete Arten (Endangered Species Act, ESA) geht es natürlich um den Erhalt von Arten, nicht um das Wohlergehen einzelner Tiere; doch seine Vorkehrungen einschließlich des Schutzes von Lebensräumen und vor Störungen dienen auch einzelnen Tieren. Eine Art stirbt schließlich nur dann aus, wenn ihre einzelnen Mitglieder in vielfältiger Weise leiden.9 Obwohl ich mich auf das Wohlergehen einzelner Tiere konzentriere und es bedauerlich ist, dass man, um den Schutz eines Lebensraums zu erreichen, zuerst die Gefährdung einer Art nachweisen muss, wird durch die Maßnahmen zumindest vielen einzelnen Tieren geholfen. Der Lebensraum wird in einer Weise definiert, die dem Fähigkeitenansatz entgegenkommt: Er muss die für eine Art charakteristischen Verhaltensweisen berücksichtigen. Hierzu ist es nötig, dass diese Bestimmung auf der Grundlage der besten verfügbaren wissenschaftlichen Er-

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kenntnisse erfolgt, was wiederum dem Fähigkeitenansatz entgegenkommt, da er die politischen Entscheidungsträger dazu auffordert, die aktuelle Forschung über das Verhalten und die Kognition von Tieren zurate zu ziehen. Drei erwähnenswerte Gesetze schützen bestimmte Arten von Lebewesen. Der Wild Free-Roaming Horses and Burros Act (WFHBA) geht auf die Situation von Wildpferden und Eseln ein, die als „lebende Symbole des historischen Pioniergeistes des Westens“ gelten.10 Trotz dieses äußerst anthropozentrischen Anfangs heißt es in dem Gesetz weiter, dass diese Arten „zur Vielfalt der Lebensformen in der Nation beitragen und das Leben der amerikanischen Bevölkerung bereichern“ – eine Aussage, die diesen Tieren offenbar einen gewissen Eigenwert zubilligt.11 Tatsächlich war dieses Gesetz das Projekt einer sehr besorgten Tierschützerin, Velma Bronn Johnston, die vielen als „Wild Horse Annie“ bekannt war, und sein ursprüngliches Ziel bestand darin, diese Tiere zu schützen. In jüngster Zeit jedoch verbreitet das Bureau of Land Management (BLM, eine Landverwaltungsbehörde auf Bundesebene, die für die Umsetzung des WFHBAGesetzes zuständig ist) ein falsches Narrativ über explodierende Populationen von Wildpferden, durch die öffentliche Landstriche in den USA angeblich bedroht werden. Obwohl es in den meisten Fällen unbegründet ist, fand dieses Geschrei des BLM bei einigen gewählten Amtsträgern, der Öffentlichkeit und in einigen Fällen sogar bei den Fürsprechern von Wildpferden Anklang. Das Ergebnis war, dass man Zehntausende von Wildpferden von öffentlichem Land entfernt hat, was nach dem Gesetz eine vollständige Vernachlässigung der Verantwortung des BLM zu sein scheint. Selbst die Idee, es gebe zu viele Wildpferde, beruht nicht auf fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern auf der Lobbyarbeit von Ranchern, die ihr Vieh auf diesen Flächen grasen lassen. Wie die Nationale Akademie der Wissenschaften 2013 berichtete, fehlen dem BLM bei der Verwaltung von Wildpferden wissenschaftlich fundierte Methoden, um die Populationsgrößen von Pferden und Eseln schätzen zu können. Diese Informationen dienen dazu, Modelle der Auswirkungen von Verwaltungsmaßnahmen auf die Tiere zu erstellen oder die Verfügbarkeit und Nutzung von Futter auf Weideflächen zu bewerten. Das BLM, das den Bericht selbst in Auftrag gab, hat sich niemals darum bemüht, die Probleme zu beseitigen. Ein Gesetz, das zeitgleich mit dem ESA und dem WFHBA erlassen wurde, ist das Gesetz zum Schutz der Meeressäugetiere (Marine Mammals Protection Act, MMPA), das ich im Zusammenhang mit dem Sonarprogramm der Marine bereits in Kapitel 5 erörtert habe.12 Dieses Gesetz verbietet jegliche „Ent-

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nahme“ von Meeressäugern aus Gewässern der USA und durch Bürger der USA in internationalen Gewässern. Es verbietet außerdem die Einfuhr, die Ausfuhr und den Verkauf von Meeressäugetieren, Teilen von ihnen oder von ihnen stammenden Produkten innerhalb der Vereinigten Staaten. „Entnahme“ wird als „Belästigung, Jagd, Fang, Einsammeln oder Töten von Meeressäugetieren oder Versuch, sie zu belästigen, zu jagen, zu fangen, einzusammeln oder zu töten“ definiert.13 Das Gesetz definiert Belästigung darüber hinaus als „jede Handlung der Verfolgung, Quälerei oder Störung, die das Potenzial hat, a) einen Meeressäuger in freier Wildbahn zu verletzen oder b) einen Meeressäuger zu behindern, indem sie zu einer Störung seiner Verhaltensmuster führt, wozu unter anderem die Wanderung, das Atmen, das Säugen, das Brüten, das Füttern oder das Aufsuchen eines Zufluchtsortes gehört.“14 Es handelt sich um ein hervorragend verfasstes Gesetz, das sich auf die gesamte Lebensform des Tieres ausrichtet, nicht nur auf das Töten oder das Zufügen von Schmerz. Die Entscheidung in der Rechtssache Natural Resources Defense Council gegen Pritzker wurde also durch den Text des Gesetzes diktiert und nicht allein durch ein weises Urteil. Auf Bundesebene kommt sie der rechtlichen Umsetzung des Fähigkeitenansatzes am nächsten. Die Durchsetzung soll zwischen den US Fish and Wildlife Services (die dem Innenministerium unterstehen) und der National Oceanic and Atmospheric Administration (die dem Handelsministerium untersteht) aufgeteilt werden, wobei die Behörden jeweils für bestimmte Arten zuständig sind. (Wale fallen in den Zuständigkeitsbereich des Handelsministeriums, weshalb die damalige Handelsministerin Penny Pritzker die Beklagte in diesem bahnbrechenden Fall war.) Es hat sich gezeigt, dass Rechtsstreitigkeiten erforderlich sind, um die im Gesetz geforderte Durchsetzung zu erreichen, und in diesem Fall wurde dem NRDC die Klagebefugnis zuerkannt (siehe unten). Dieses Gesetz macht einen vergleichsweise guten Eindruck, und es hat die Wale tatsächlich vor „Belästigung“ geschützt, selbst gegen einige sehr mächtige Interessen. Man darf hierbei allerdings nicht vergessen, dass es in den USA niemals eine große kommerzielle Walfangindustrie gegeben hat und dass Umweltgruppen daher nicht gegen mächtige kommerzielle Interessen ankämpfen müssen. Ein drittes wichtiges Gesetz zum Schutz einer bestimmten Tiergruppe stammt aus einer viel früheren Zeit: der Migratory Bird Treaty Act (MBTA, Gesetz zum Schutz von Zugvögeln).15 Dieses Gesetz ist aus einem bilateralen Ver-

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trag zwischen den USA und Kanada hervorgegangen und umfasst heute weitere bilaterale Abkommen mit Mexiko, Japan und der ehemaligen UdSSR. Darin wird es als illegal erklärt, Vögel oder Teile von Vögeln „zu verfolgen, zu jagen, zu fangen, zu töten, zu versuchen, sie zu fangen oder zu töten, zu besitzen, zum Verkauf anzubieten, zu verkaufen, zum Tausch anzubieten, zu tauschen, zum Kauf anzubieten, zu kaufen, zum Versand zu liefern, zu versenden, auszuführen, einzuführen, ihren Versand, Export oder Import zu verursachen, zum Transport zu liefern, zu transportieren oder transportieren zu lassen, zu befördern oder befördern zu lassen oder zum Versand, zum Transport, zur Beförderung oder zur Ausfuhr entgegenzunehmen“.16 Die Strafen sind hoch und umfassen Geldstrafen bis zu 15.000 Dollar sowie Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren. Der Innenminister muss per Verordnung festlegen, welche Vögel in den Geltungsbereich des Gesetzes fallen. Ein erstes offensichtliches Problem, das mit Lücken in anderen Gesetzen zusammenhängt, stellt die Tatsache dar, dass das Gesetz auf „Zugvögel“ beschränkt ist und somit Hühner, Enten und die meisten anderen Wildvögel ausnimmt, die alle üblicherweise zur Nahrungsgewinnung gejagt, aufgezogen und getötet werden. Darüber hinaus schränkt das Gesetz seinen Geltungsbereich ausdrücklich auf Vogelarten ein, „die in den Vereinigten Staaten oder ihren Territorien heimisch sind“.17 Diese beinahe bedeutungslose Aussage – wir besitzen nur wenige Informationen über die Vogelpopulation Nordamerikas in vorgeschichtlicher Zeit, und damals gab es jedenfalls noch keine Vereinigten Staaten  – lässt dem Innenministerium viel Spielraum, um Vögel aufzunehmen oder auszuschließen. Es gibt noch weitere Schwachstellen. Das Gesetz richtet sich in erster Linie gegen die Jagd und Wilderei von Vögeln. Darüber hinaus sagt es nichts Eindeutiges über den Schutz des Lebens und der Fähigkeiten dieser Tiere. Man hätte annehmen können, dass die Zerstörung von Lebensräumen und der Umwelt eine sichere Methode ist, um zahlreiche Vögel zu töten (wie uns der Fall von Jean-Pierre vor Augen führt). Und tatsächlich haben Gerichte das Gesetz manchmal so ausgelegt, dass es Aktivitäten verbietet, welche die Umwelt schädigen. Im Jahr 1980 entschied das Bezirksgericht von Washington DC , das Verbot der Tötung von Vögeln lege „auf jeden Fall und auf jede Weise“ nahe, dass das Töten durch Zerstörung von Lebensräumen durch das Gesetz untersagt ist.18 Im Jahr 1999 kam ein Bundesbezirksgericht zu demselben Schluss: Es ging in dem Fall um ein Elektrizitätswerk, das es versäumt

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hatte, den Tod von Vögeln durch Stromschlag zu verhindern, indem es kostengünstige Geräte an seinen Stromleitungen installiert. Das Gesetz sei nicht auf die Jagd und die Wilderei beschränkt, entschied das Gericht. Ferner sei die Tatsache, dass das Unternehmen keine bösen Absichten gegenüber den Vögeln hegte, nicht relevant: Das MBTA ist ein Gesetz, bei dem die Haftung von einer Verschuldung unabhängig ist.19 Andere Gerichte waren allerdings anderer Auffassung. Im Jahr 1997 erklärte das Achte Bundesberufungsgericht in einem Fall, in dem es um den Tod von Vögeln durch Holzeinschlag und die daraus resultierende Zerstörung von Lebensräumen ging, dass die Auslegung des Gesetzes als Verbot der Zerstörung von Lebensräumen „dieses Gesetz von 1918 weit über die Grenzen der Vernunft hinaus ausdehnen würde“.20 In einem verwandten Fall gelangte das Neunte Bundesberufungsgericht zu einer ähnlichen Schlussfolgerung.21 Aufgrund der Befugnisse, welche das Gesetz dem Innenminister einräumt, hat das Gesetz seinen Anwendungsbereich mit jeder Regierung erweitert und verkleinert, manchmal sogar dramatisch. Vor der Trump-Regierung vertrat das Innenministerium die Auffassung, das zufällige Töten von Vögeln durch den Austritt von Giftmüll sei nach dem Gesetz illegal.22 Die Trump-Regierung änderte die Rechtsprechung und beschränkte das Gesetz auf die Jagd und die Wilderei.23 Jedes dieser Gesetze weist gravierende Lücken und Mängel auf. Trotz all ihrer Unzulänglichkeiten bieten die derzeit geltenden Bundes- und Landesgesetze der USA jedoch zumindest einigen Tieren einen erstaunlich umfassenden Schutz.

Zwei wichtige Rechtsfragen: Klageberechtigung für Tiere und treuhänderische Pflichten Es gibt allerdings ein großes Problem im Zusammenhang mit sämtlichen dieser bestehenden Gesetze: Sie werden nur relativ selten durchgesetzt, und es gibt keinen Mechanismus, mit dem besorgte Bürger eingreifen können, um ihre Durchsetzung zu verlangen. Hiermit kommen wir zu einer der kritischsten rechtlichen Fragen für jeden, dem der Tierschutz am Herzen liegt: der Frage der Klagebefugnis. Klagebefugt zu sein, bedeutet, dass man berechtigt ist, vor Gericht als Kläger aufzutreten. Die Klagebefugnis wird in der Regel nur jemandem zuerkannt, der

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einen bestimmten Schaden erlitten hat. Ein betroffener Dritter hat in der Regel keine Klagebefugnis. Im Allgemeinen ist dies eine kluge Voraussetzung, die viele unangenehme Rechtsstreitigkeiten verhindert. Betrachten wir zwei herausragende Beispiele aus den letzten Jahren, in denen eine Klagebefugnis verweigert wurde. In Hollingsworth gegen Perry, dem Rechtsstreit um die gleichgeschlechtliche Ehe in Kalifornien, entschied der Oberste Gerichtshof der USA, dass die Privatpersonen, die ursprünglich versucht hatten, die gleichgeschlechtliche Ehe durch das Referendum „Proposition 8“ zu verbieten, nicht berechtigt seien, Berufung einzulegen, als das Verbot vom Berufungsgericht für verfassungswidrig erklärt wurde und der Staat Kalifornien sich weigerte, das Gesetz zu verteidigen.24 Diese Privatpersonen, so entschied der Gerichtshof, hätten nicht die Art unmittelbarer besonderer Schädigung erlitten, die eine Klagebefugnis begründet. Im Jahr 2000 klagte Michael Newdow in dem Fall Elk Grove Unified School District gegen Newdow im Namen seines minderjährigen Kindes gegen die Verwendung der Worte „unter Gott“ im rituellen Treueschwur der Schule als Verstoß gegen die Religionsfreiheit.25 Obwohl er eine sehr überzeugende Klage vorbrachte, entschied der Oberste Gerichtshof – der wahrscheinlich unwillig war, in diesem höchst umstrittenen Fall zu entscheiden –, dass Newdow als nicht sorgeberechtigter Elternteil nach einer Scheidung nicht befugt wäre, die Klage zu führen. Mit anderen Worten: Selbst seine elterliche Sorge und seine überzeugenden Argumente berechtigten ihn nicht dazu, vor Gericht zu gehen. Die Messlatte liegt also recht hoch. Da Tiere nun einmal nicht vor Gericht ziehen können und die Bemühungen der besorgtesten Anwälte ihrer Sache in der Regel an mangelnder Klagebefugnis scheitern, wie der Naturschützer in der Rechtssache Lujan gegen Defenders of Wildlife und ähnliche menschliche Anwälte von Tieren in Fällen, die wir sogleich darlegen werden, müssen wir den Tieren einen Weg vor die Gerichte bahnen, da ihre Interessen ansonsten ungeschützt bleiben.26 Die einzige wirkliche Lösung dieses Problems besteht darin, den Tieren die Möglichkeit zu geben, durch einen ordnungsgemäß bestellten Treuhänder selbst als Kläger vor Gericht aufzutreten. Die geschädigte Person muss nicht diejenige sein, die vor Gericht erscheint. Minderjährige Kinder können von ihren Eltern vertreten werden, Menschen mit kognitiven Behinderungen von einem ordnungsgemäß bestellten Vormund oder „Betreuer“, um den in der Behindertenbewegung bevorzugten Begriff zu verwenden. Wäre Newdow ein sorgeberechtigtes Elternteil gewesen, hätte er aufgrund der angeblichen Beeinträchtigung seiner Tochter eine Klagebefugnis besessen.

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Das Problem ist jedoch, dass Tieren nach den Gesetzen der USA noch nie eine Klagebefugnis eingeräumt wurde. Ein Gericht in Indien hat Zirkustieren eine Klagebefugnis zuerkannt und entschieden, dass sie Personen im Sinne von Artikel 21 der indischen Verfassung sind. Dieser Artikel verbietet, jemandem ohne ein ordnungsgemäßes Verfahren das Leben zu nehmen oder ihn der Freiheit zu berauben. Das Gericht schrieb: Obwohl es sich um keine Vertreter von Homo sapiens handelt, haben auch sie ein Recht auf ein würdiges Dasein und eine humane Behandlung ohne Grausamkeit und Folter […]. Daher ist es unsere grundlegende Pflicht, unseren tierischen Freunden nicht nur Mitgefühl zu erweisen, sondern auch ihre Rechte anzuerkennen und diese zu schützen […]. Wenn Menschen einen Anspruch auf Grundrechte haben, warum dann nicht auch Tiere?27

Auch Kolumbien gesteht Tieren eine Klagebefugnis zu, wie ich in meiner Schlussbetrachtung darlege. In ähnlicher Weise könnte der Kongress der USA Tieren eine Klagebefugnis nach Artikel III der Verfassung einräumen, wenn er dies wollte: Es gibt kein verfassungsrechtliches Hindernis für einen solchen Schritt, erklärt Cass Sunstein, ein Experte auf diesem Gebiet, und ich kenne keinen Wissenschaftler, der anderer Meinung ist.28 Bislang haben die USA allerdings einen anderen Weg eingeschlagen: Man verweigert Tieren eine direkte Klagebefugnis und gesteht Menschen nur in wenigen Fällen eine Klagebefugnis zu, um als Vertreter von Tieren aufzutreten zu können. Ein möglicher Weg, wie Menschen Prozesse im Namen von Tieren hätten führen können, hätte das Nutzen der „Informationsbefugnis“ sein können, des Anspruchs darauf, wesentliche Informationen zu erhalten. Es erscheint höchst plausibel, dass besorgte Menschen das Recht haben, Auskünfte darüber zu bekommen, wie bestimmte Tiere behandelt werden. Doch weder das Tierschutzgesetz (Animal Welfare Act, AWA) noch das Gesetz zum Schutz der Meeressäugetiere (Marine Mammals Protection Act, MMPA) räumen den Menschen ausdrücklich einen Anspruch auf Information ein; in Ermangelung einer diesbezüglichen ausdrücklichen Bestimmung müssen besorgte Menschen auf das Verwaltungsverfahrensgesetz zurückgreifen, das in der Rechtssache Animal Legal Defense Fund gegen Espy so ausgelegt wurde, dass es menschlichen Organisationen, die Informationen über das Wohlergehen von Tieren einholen wol-

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len, diese Art von Anspruch verweigert.29 Wie wir später noch sehen werden, ist die bisherige Bilanz der Versuche, sogenannte Anti-Whistleblower-Gesetze – d. h. Gesetze, die Personen explizit daran hindern, Informationen über die Behandlung von Tieren in der Massentierhaltung zu bekommen – aus Gründen der Meinungsfreiheit für ungültig zu erklären, tatsächlich recht gemischt. Auf andere plausible Weise könnten Menschen eine Klagebefugnis erlangen, indem sie als besorgter Beobachter von Misshandlungen auftreten.30 Und genau dies haben Menschen immer wieder zu tun versucht. Nach geltendem Recht können sie allerdings nur dann eine Klagebefugnis erlangen, wenn sie zwei Bedingungen erfüllen: Ihre Betroffenheit muss „ästhetisch“ sein, d. h. sie darf nicht auf ethischen Gründen oder Gründen des Mitgefühls beruhen, und sie muss unmittelbar sein. Haben Kläger lediglich ein prinzipielles Interesse am Wohlergehen von Tieren, so ist es klar, dass sie keine Klagebefugnis haben, wie Lujan eindeutig festgestellt hat.31 Sofern sie konkrete Pläne zur Erforschung einer bedrohten Tierart haben und nachweisen können, dass das von ihnen angefochtene Verhalten die Anzahl der für Studien zur Verfügung stehenden Tiere dieser Art verringert, können sie sehr wahrscheinlich eine Klagebefugnis bekommen.32 Ist die Art hingegen nicht bedroht und handelt es sich lediglich um besorgte Beobachter, müssen sie eine „ästhetische“ Betroffenheit nachweisen, und diese muss sehr direkt und unmittelbar sein. Marc Jurnove, ein Angestellter und ehrenamtlicher Mitarbeiter von Tierschutzorganisationen, reichte eine Klage gegen den Game Farm Park und Zoo auf Long Island ein, und zwar wegen dessen unethischer Behandlung von Tieren.33 (Es sei darauf hingewiesen, dass diese Behandlung nach dem Recht des Staates New York höchstwahrscheinlich illegal war, dass das Gesetz jedoch von niemandem durchgesetzt wurde.) Um eine Chance auf Erfolg zu haben, musste Jurnove angeben, er sei ein regelmäßiger Besucher des Zoos und sein „ästhetisches Interesse an der Beobachtung von Tieren, die unter humanen Bedingungen leben“, sei verletzt worden.34 Sein ethisches Anliegen als Tierschützer half ihm überhaupt nicht. Die Klagebefugnis wurde ihm nur deshalb gewährt, weil es sich um eine höchst besondere Schädigung handelte, er den Zoo häufig besuchte und die Schädigung ästhetischer Natur war. Selbst in diesem Fall war das Gremium geteilter Meinung, weil die schlechte Behandlung durch den Zoo verursacht worden sei, nicht durch die Regierung (den Beklagten). Die Dinge sind vollkommen aus dem Ruder gelaufen: Der Grund für die Besorgnis sollte der Schaden für das Tier sein, nicht Jurnoves ästhetisches und

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nicht einmal sein ethisches Interesse. Menschliche Interessen sind unbeständig und eigentlich irrelevant. Die Schädigung des Tieres ist das, worum es eigentlich geht. Man stelle sich vor, das Strafrecht würde sich auf die ästhetischen oder selbst die ethischen Reaktionen von Beobachtern stützen statt auf die Schäden, die dem eigentlichen Opfer zugefügt werden. Die Rechtsprechung würde dann vollkommen unberechenbar werden und eine Geisel der Vorlieben einer jeweiligen Mehrheit. Auch die Häufigkeit der Besuche von Jurnove hat keine wirkliche Bedeutung, abgesehen von einer gewissen Beweiskraft: Er wurde häufig Zeuge des schlechten Verhaltens. Der menschliche Beobachter ist ein Zeuge eines Verbrechens. Er oder sie ist nicht das Opfer. Tiere werden nicht durch Gesetze geschützt, damit wir ästhetische Verzückung oder moralische Befriedigung empfinden können. Die geltenden Gesetze schützen sie als sie selbst. Werden diese Gesetze nicht durchgesetzt, so liegt es auf der Hand, dass Tiere die Opfer staatlichen Fehlverhaltens sind und daher auch das Recht haben sollten, über besorgte menschliche Anwälte wie beispielsweise Jurnove auf Einhaltung der Gesetze zu klagen. Genau eine solche Änderung geltenden Rechts wurde bereits 1972 von Richter William Douglas in seiner abweichenden Meinung in dem Fall Sierra Club gegen Morton befürwortet.35 Die Klagebefugnis, so schrieb er, solle auf den Schutz der „nicht sprachfähigen Mitglieder der ökologischen Gruppe“ ausgeweitet werden, die nicht für ihre eigenen Interessen eintreten können.36 (Und selbstverständlich gewähren wir, was er nicht erwähnt, auf genau diese Weise minderjährigen Kindern und Menschen mit schweren kognitiven Behinderungen bereits eine Klagebefugnis.) Er stellt fest, dass die Blockade dieser Befugnisausweitung hauptsächlich auf Bundesbehörden zurückgehe, die „bekanntermaßen unter der Kontrolle mächtiger Interessen stehen, die sie manipulieren“.37 Und er stellt sich eine Zukunft vor, in der „es die Zusicherung geben wird, dass sämtliche Lebensformen, die [gemeinsam die Umwelt] ausmachen, eine Klagebefugnis haben werden – der Helmspecht ebenso wie der Kojote und der Bär, die Lemminge ebenso wie die Forellen in den Bächen“.38 Sollte er mit der Formulierung „sämtliche Lebensformen“ seine Absicht bekunden, die Klagebefugnis über empfindungsfähige Tiere hinaus auszudehnen, so muss ich ihm bei allem Respekt widersprechen. Doch alle seine Beispiele stammen aus dem Tierreich. In Anbetracht der Tatsache, dass die abweichenden Meinungen von gestern manchmal die Mehrheiten von morgen sind, könnte diese Stellungnahme Fort-

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schritt verheißen. Auch in dem Rechtsstreit Cetacean Community gegen Bush,39 einem erfolglosen Versuch, das Sonarprogramm der Marine anzufechten, welcher dem erfolgreichen Streit Natural Ressources Defence Counsel gegen Pritzker vorausging, bemerkte das Neunte Bundesberufungsgericht – obwohl es den klagenden Organisationen kein Recht zu klagen zugestand –, dass „nichts im Text von Artikel III die Befugnis, eine Klage vor einem Bundesgericht einzureichen, ausdrücklich auf Menschen einschränkt“.40 Die Richter zitierten einen früheren Fall vor dem Neunten Bundesberufungsgericht, in dem das Gericht feststellte, dass der Palila-Vogel auf Hawaii „eine Klagebefugnis hat und seinen Flug zum Bundesgericht als selbstständiger Kläger antritt“.41 Sie bestanden darauf, dass diese Aussage lediglich ein „Diktum“ sei, d. h. nicht Teil einer durchsetzbaren Entscheidung; solche Dikta können allerdings den Weg für spätere Urteile ebnen. Und tatsächlich führte das Neunte Bundesberufungsgericht in der Rechtssache Natural Ressources Defence Counsel gegen Pritzker eine ausführliche Erörterung der Klagebefugnis aus. Den Walen selbst wurde zwar keine Klagebefugnis zuerkannt; die Interessen und Schädigungen des Natural Ressources Defence Counsel wurden jedoch weit und großzügig ausgelegt, was im Fall der Cetacean Community nicht geschehen war. Die Klagebefugnis für Tiere wäre eine einfache und unkomplizierte Sache, wenn der Kongress diesbezüglich aktiv würde. Es gibt kein verfassungsrechtliches Hindernis, das der Klagebefugnis von Tieren gemäß Artikel III im Wege stünde. Wird der Kongress nicht tätig, so ist nicht auszuschließen, dass die Gerichte allmählich in diese Richtung gehen werden. Wenn Tiere eine Klagebefugnis haben sollten, wer würde sie dann vertreten? In diesem Buch habe ich  – in Übereinstimmung mit Christine Korsgaard  – dafür argumentiert, dass alle Menschen eine kollektive Verpflichtung haben, die Rechte der Tiere zu sichern. Der derzeitige Ansatz, wonach ehrenamtliche Organisationen oder Einzelpersonen sich bemühen, im Namen von Tieren vor Gericht zu gehen, ist jedoch unorganisiert und unterliegt dem Zufall: Er muss durch ein geordneteres System ersetzt werden. Für Haustiere habe ich lokale Regierungsorganisationen vorgeschlagen, ähnlich denen, die gegenwärtig Kinder vor Missbrauch und Vernachlässigung schützen. In vielen anderen Fällen hat ein Gesetz die Durchsetzung an bestimmte Regierungsorganisationen delegiert, wie etwa das Landwirtschafts- oder das Innenministerium. Es hat sich allerdings gezeigt, dass dieser Ansatz nicht ausreicht, um einen großen Teil inakzeptabler Praktiken zu beenden – aus diesem Grund haben sich gemein-

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nützige Organisationen so intensiv und auf so vielfältige Weise bemüht, eine Klagebefugnis für die Durchsetzung der Rechte zu erhalten. Was wäre besser? Wir könnten eine Idee aus einem bekannten Rechtsgebiet übernehmen: dem Treuhandrecht.42 Ein Treuhänder ist jemand, der rechtlich verpflichtet ist, die Interessen eines Begünstigten zu fördern (Standardbeispiele sind Vormünder, Bevollmächtigte und Sachwalter). Normalerweise ergibt sich die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung aus der Tatsache, dass sich der Treuhänder gegenüber dem Begünstigten in einer mächtigen Position befindet und der Begünstigte kaum in der Lage ist, die Aktivitäten des Treuhänders zu überwachen.43 Die Aufgabe des Treuhänders besteht nicht nur darin, den Interessen des Begünstigten keinen Schaden zuzufügen, sondern er hat sie aktiv und in Übereinstimmung mit dessen Wünschen und Präferenzen zu fördern. Es besteht jedoch immer die Gefahr, dass der Treuhänder stattdessen seine eigenen Interessen fördert. Aus diesem Grund erlegt das Gesetz Treuhändern zwei Pflichten auf: die Pflicht zur Fürsorge sowie die Pflicht zur Treue. Die Fürsorgepflicht besteht darin, „Entscheidungen zu treffen, welche die Pflege, die Erziehung, die Gesundheit, die Finanzen und das Wohlergehen des Begünstigten optimal fördern, wobei die Autonomie des Begünstigten zu berücksichtigen ist. Dies bedeutet, dass der Treuhänder versuchen muss, den Begünstigten nach Möglichkeit in den Entscheidungsprozess einzubeziehen und sich mit den Werten und Interessen des Begünstigten vertraut zu machen.“44 Die Treuepflicht besagt, dass man sich vor Eigengeschäften hüten muss, und die Bundesstaaten haben verschiedene Überwachungsvorschriften erlassen, um sicherzustellen, dass die Treuhänder dieser Pflicht nachkommen. Genau das ist es, was für jede einzelne Tierart erforderlich ist. Darüber hinaus passt dieser Ansatz besonders gut zum Fähigkeitenansatz: Im Treuhandrecht geht es nicht allein darum, Schmerzen oder sogar Schaden für den Begünstigten abzuwenden, sondern vielmehr darum, die Interessen des Begünstigten aktiv und umfassend zu fördern. Im Falle von Haustieren ist der menschliche Halter der Treuhänder erster Instanz. Ich habe jedoch dafür plädiert, dass die Regierung diese Regelung sorgfältig überwachen sollte, um Fälle von Vernachlässigung zu verhindern. In anderen Fällen sollte die Regierung als Treuhänder für eine bestimmte Tierart oder mehrere Tierarten eine geeignete Tierschutzorganisation benennen. Der Treuhänder soll sich aktiv für die Interessen der Tiere einsetzen: Wäre das Landwirtschaftsministerium untätig und

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entstünde dadurch die Gefahr einer Schädigung, so könnte die genannte Organisation der Sache nachgehen. Im Falle von Wildtieren sollte der Treuhänder nicht tatenlos zusehen, wenn sie aufgrund unterschiedlicher Schädigungen leiden müssen (durch die Zerstörung ihres Lebensraums, Wilderei, Krankheiten), sondern sich aktiv für die Interessen der Tiere einsetzen. Ohne eine Reform des Klagerechts bliebe diese Regelung wirkungslos. Sobald Tiere jedoch eine Klagebefugnis haben, kann eine Treuhandvereinbarung dem Treuhänder die Befugnis verleihen, im Namen des Tieres oder der Tiere vor Gericht zu ziehen. Wenn es um menschliche Interessen geht, hat sich das Recht als ideenreich erwiesen. Diese guten Ideen schützen seit Langem verletzliche menschliche Wesen. Es gibt keinen Grund, warum es nicht möglich sein sollte, sie in entsprechend abgewandelter Form auch auf Tiere anzuwenden. Schauen wir uns nun drei Probleme genauer an, die beispielhaft und anschaulich die Lücken der derzeitigen Gesetzgebung verdeutlichen. Das erste ist das Problem der Welpenfabriken; es veranschaulicht die Schwierigkeiten, die bei der Durchsetzung des Tierschutzgesetzes auftreten, wenn es dem Landwirtschaftsministerium an Dienstbeflissenheit fehlt, aber auch den Einfallsreichtum örtlicher Gerichtsbarkeiten beim Versuch, das Problem zu lösen. Das zweite Beispiel betrifft die gesetzlichen Vorschriften für die Massentierhaltung; es veranschaulicht, was man tun kann, wenn keinerlei Bundesvorschriften existieren, und auf welch heftigen Widerstand Bemühungen in dieser Situation stoßen können. Es zeigt auch, dass andere Länder mit einem umfassenderen Ansatz in dieser Sache größere Fortschritte erzielt haben. Das dritte Problem sind die verschiedenen Schädigungen, die Walen und anderen Meeressäugetieren zugefügt werden; es zeigt, wie vielversprechend und gleichzeitig auch wie schwach die internationalen gesetzlichen Vorschriften gegenwärtig sind.

Welpenfabriken Welpenfabriken werden von kommerziellen, gewinnorientierten Züchtern betrieben, denen es in erster Linie um hohe Geburtenraten geht und die die jungen Welpen an Tierhandlungen weiterverkaufen. Die Käufer glauben dann häufig, dass sie die Tiere aus Hundezuchtbetrieben mit hohen Qualitätsstandards bekommen. Die Humane Society of the United States beobachtet diese Züchter

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seit vielen Jahren genau und veröffentlicht jedes Jahr einen Bericht über die „schrecklichen Hundert“, um die Art und das Ausmaß des Problems zu dokumentieren.45 Vielen der Hunde wird minderwertiges Futter gegeben, und oft werden sie mit zu wenig Wasser versorgt. Häufig werden sie gar nicht oder nur unzureichend tierärztlich versorgt und haben daher Krankheiten, Parasiten und andere Probleme. In Welpenfabriken haben die Hunde in der Regel wenig Platz, um sich zu bewegen. Oft werden sie unter unhygienischen Bedingungen in Käfigen gehalten, in denen sich Krankheiten verbreiten. Vor Hitze und Kälte sind sie zu wenig geschützt. Viele dieser Bedingungen verstoßen gegen das Tierschutzgesetz. Drei Jahre lang, von 2017 bis 2020, stellte das Landwirtschaftsministerium die Berichterstattung über die Durchsetzung des Tierschutzgesetzes ein, und die Maßnahmen gegen bestimmte Züchter gingen um 90 % zurück. Die Inspektoren berichteten, dass sie aktiv davon abgebracht wurden, ihre Arbeit zu tun.46 Im Februar 2020 wurde das Landwirtschaftsministerium auf Anweisung des Kongresses dazu verpflichtet, die online gespeicherten Daten über die Durchsetzungsmaßnahmen wiederherzustellen. Im Jahr 2019 gewann die Humane Society einen Rechtsstreit, der das Landwirtschaftsministerium dazu verpflichtete, der Öffentlichkeit auf Anfrage umfassende Daten zur Verfügung zu stellen. Der Bericht für das Jahr 2020 enthält umfassende Informationen über Züchter in jedem einzelnen Bundesstaat. Das Problem der Welpenfabriken ist in Bezug auf den Verkauf der Welpen ein landesweites: Zoohandlungen in allen Bundesstaaten bieten oder boten noch bis vor Kurzem Hunde aus diesen problematischen Zuchtbetrieben an. Wenn es um den Ursprung der Tiere geht, ist das Problem allerdings kein landesweites: Missouri ist mit dreißig problematischen Zuchtbetrieben seine Hauptstadt. Es folgen Ohio mit neun, Kansas und Wisconsin mit je acht und Georgia mit sieben Zuchtbetrieben. (Diese Zahlen sind unzuverlässig, da einige Bundesstaaten lokale Ermittlungen blockieren.) In Missouri, das die Liste der „schrecklichen Hundert“ seit acht Jahren anführt, kämpfen Tierschutzorganisationen achon lange auf dem Rechtsweg für gesetzliche Verfügungen gegen die dubiosen Zuchtbetriebe; auf bundesstaatlicher Ebene sind sie allerdings wiederholt gescheitert. Ein Gesetz zur Verhinderung von Grausamkeiten in Welpenfabriken wurde 2010 per Volksabstimmung verabschiedet, unterstützt von der Humane Society, der American Society for the Prevention of Cruelty to Animals (ASPCA) sowie von anderen Gruppen. Erbittert bekämpft wurde es

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von der Agrarindustrie und von Züchterverbänden, der National Rifle Association (NRA) und – seltsamerweise – der Missouri Veterinary Medical Association. Nach den alten Vorschriften konnten Hunde in einem Käfig gehalten werden, der nur zehn Zentimeter länger war als ihr Körper und in dem sie dauerhaft eingesperrt und den Elementen ausgesetzt waren, ohne dass sie tierärztlich versorgt werden mussten. Das neue Gesetz schreibt angemessene Nahrung, hygienische und etwas größere Käfige, tierärztliche Versorgung und einen Schutz vor extremen Temperaturen vor. In den zwei Monaten nach der Verabschiedung des Gesetzes wurden fünf Gesetzesvorlagen zur Aufhebung oder Änderung des Gesetzes eingebracht. Gouverneur Jay Nixon unterzeichnete 2011 ein stark abgeschwächtes Gesetz. In dem überarbeiteten Gesetzentwurf wurde die Forderung nach Auslauf im Freien gestrichen, und die Käfiggrößen können nun vom Landwirtschaftsministerium festgelegt werden.47 Trotzdem verfügt der Bundesstaat im Gegensatz zu anderen Bundesstaaten über ein Durchsetzungssystem und schließt bisweilen die Zuchtbetriebe der schlimmsten Straftäter.48 Da die gesetzliche Kontrolle am Ort der Züchtung unzuverlässig ist, reglementieren zahlreiche Bundesstaaten, Städte und Landkreise den Verkauf. Die bevorzugte Strategie besteht darin, Tierhandlungen zu verpflichten, nur gerettete Hunde aus zugelassenen Tierheimen zu verkaufen. Sehen wir uns den Versuch meiner eigenen Stadt an, diese Strategie anzuwenden. Im Jahr 2014 erließ die Stadt Chicago eine Verordnung, die vorschreibt, dass sämtliche Zoohandlungen ihre Tiere von einem Tierheim, einem staatlichen Zwinger, einer staatlichen Ausbildungseinrichtung oder aber „einer privaten, gemeinnützigen, humanen Gesellschaft oder Tierrettungsorganisation“ beziehen müssen.49 Ein weiteres Ziel des Gesetzes bestand darin, die Quote der lebend aus Heimen abgegebenen Tiere zu erhöhen. Tatsächlich stieg diese von 62 % im Jahr 2016 auf 92 % im Jahr 2019. Die Zoohandlungen begannen sofort, gegen das Gesetz zu protestieren, da es ihnen ein profitables Geschäft abschnitt. Einige Kritiker behaupteten, das Gesetz verstoße gegen die Verfassungen der USA und des Bundesstaates Illinois, doch das siebte Bundesberufungsgericht wies die Klagen als rechtlich unbegründet ab.50 In der Zwischenzeit stellte sich heraus, dass das Gesetz schlecht formuliert war, sodass die Besitzer von Tierhandlungen seine Vorschriften umgehen konnten. Welpenzüchter mussten lediglich eine gemeinnützige Gesellschaft gründen und die Hunde dann über diese an die Tierhandlungen in Chicago ausliefern.

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Ein Bericht der Chicago Tribune zeigte, dass zwei Züchter, die Welpenfabriken betrieben, J. A. K.’s Puppies und Lonewolf Kennels (Ersterer in Iowa, Letzterer in Missouri), gemeinnützige Unternehmen mit den Namen Hobo K-9 Rescue und Dog Mother Rescue Society gegründet hatten, die als Tarnung für die Welpenfabriken dienten. In Chicago wurden von diesen Organisationen über tausend Hunde verkauft. Es ist interessant, dass die beiden Herkunftsstaaten auf die Enthüllung auf entgegengesetzte Weise reagierten: Missouri unternahm nichts, während Iowa gegen die Zuchtbetriebe und andere Welpenfabriken in diesem Staat schließlich Strafen in Höhe von insgesamt 600.000 Dollar verhängte.51 In Chicago brachte der Stadtrat Brian Hopkins unterdessen eine Gesetzesänderung ein, nach der Zoohandlungen Tiere von Rettungsorganisationen beziehen müssen, die keine Verbindungen zu gewinnorientierten Züchtern oder Unternehmen haben. Ferner sollten Tierhandlungen nur eine geringe Adoptionsgebühr erheben, um den Anreiz zu erhöhen, keine teuren, angeblich reinrassigen Hunde zu verkaufen. Nach vielen Debatten wurde diese Änderung schließlich am 12. April 2021 verabschiedet.52 Ein seltsames Merkmal dieses Prozesses belegt die anhaltende Macht der Verbindung zwischen Welpenfabriken und Tierhandlungen: Der Stadtrat Raymond Lopez, welcher die Verordnung zunächst unterstützt hatte, widersetzte sich der Änderung später, und man fand heraus, dass er eine Wahlkampfspende von einem Tierladenbesitzer angenommen hatte. Lopez hatte jedoch ein gutes Argument vorgebracht, als er sich dagegen aussprach, eine Ausnahme für die „Hinterhofzucht“ zu ermöglichen, was ein Zugeständnis an den American Kennel Club war. Hopkins behauptete, dass Menschen, die ihre Hunderassen liebten, sie nicht unter grausamen Bedingungen aufziehen würden; Lopez entgegnete, dass viele der Hunde, die in Tierheimen landeten, überzüchtete Rassehunde von genau solchen Züchtern seien. Er weist damit auf einen Punkt hin, den ich in Kapitel 9 dargelegt habe: Hunde werden nicht nur durch das ihnen in Welpenfabriken offensichtlich zugefügte Leid missbraucht, sondern auch dadurch, dass sie überzüchtet und daher zahlreichen Krankheiten ausgesetzt sind. Geschäftige, nicht professionelle „Hinterhofzüchter“ ignorieren genetische Untersuchungen besonders häufig.53 Dieses langwierige Drama zeigt, wie schwierig es ist, an den Verkaufsstellen in dieser Frage weiterzukommen, wenn die Bundesstaaten die Herkunft der Hunde nicht ausreichend reglementieren. Die Reglementierung am Ort des Verkaufs ist nicht nur schwierig, sondern an sich auf einen engen Zuständigkeitsbereich

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begrenzt. Ein Einwohner von Chicago, der einen Hund aus einer Welpenfabrik haben möchte (vielleicht in Unkenntnis der schlechten Bedingungen und da er nur einen niedlichen Welpen möchte, keinen ausgewachsenen Hund aus einem Tierheim), muss lediglich in die Vororte fahren. Dort sind die Vorschriften bestenfalls lückenhaft und bestehen häufig aus einem Flickenteppich uneinheitlicher Stadt- und Bezirksvorschriften. Das gesamte Problem ließe sich durch eine beherzte bundesstaatliche Durchsetzung des Tierschutzgesetzes lösen – oder durch ein neues Bundesgesetz, das eigens auf dieses Problem ausgerichtet ist. Die Bundesstaaten können relativ wenig tun, solange es mindestens einen geschäftstüchtigen Herkunftsstaat und eine Menge profitorientierter Tierhandlungen gibt. In der Zwischenzeit haben unzählige junge Hunde keine Möglichkeit, sich zu entwickeln und die Fähigkeiten ihrer Art auszuleben.

Massentierhaltung (und Anti-Whistleblower-Gesetze) In den Kapiteln 1, 7 und 9 habe ich bereits einige der Missstände in der Massentierhaltung erwähnt. Nutztiere sind nicht durch Bundesgesetze wie das Tierschutzgesetz (Animal Welfare Act, AWA), das Gesetz zum Schutz bedrohter Arten (Engangered Species Act, ESA) und das Gesetz zum Schutz von Zugvögeln (Migratory Bird Treaty Act, MBTA) geschützt. In 37 Bundesstaaten sind sie außerdem vom Schutz vor Grausamkeiten gegen Tiere durch die staatlichen Gesetze ausgenommen. Und noch schlimmer: Die Bemühungen der Massentierhaltungsbetriebe, sich vor Kritik zu schützen, sind so erfolgreich gewesen, dass viele Staaten sogenannte Anti-Whistleblower-Gesetze erlassen haben, die Personen kriminalisieren, welche diese Missstände an die Öffentlichkeit bringen wollen.54 (Geheime Fotos und Videoaufnahmen haben sich als sehr effektiv erwiesen, wenn es darum ging, Missstände aufzudecken und öffentliche Empörung auszulösen.) Das genannte Gesetz kriminalisiert typischerweise verdeckte Aufnahmen in landwirtschaftlichen Betrieben; einige Gesetze sind weiter gefasst und gelten auch für Aufnahmen in anderen Unternehmen. Anti-Whistleblower-Gesetze gibt es zurzeit in sechs Bundesstaaten: Alabama, Arkansas, Iowa, Missouri, Montana und North Dakota (obwohl in Iowa und Arkansas Klagen eingereicht wurden und zwei frühere Gesetze in Iowa von Gerichten für verfassungswidrig erklärt wurden). In fünf weiteren Staaten – North Carolina,

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Kansas, Utah, Wyoming und Idaho – wurden die Gesetze mit der Begründung außer Kraft gesetzt, dass sie gegen die Rechte des ersten Zusatzartikels zur Verfassung der USA verstoßen. In 18 Staaten wurden entsprechende Gesetze zwar eingeführt, später aber wieder verworfen: Maine, New Hampshire, Vermont, New York, New Jersey, Pennsylvania, Florida, Tennessee, Kentucky, Indiana, Illinois, Minnesota, Nebraska, Colorado, New Mexico, Arizona, Kalifornien und Washington. In den übrigen Bundesstaaten ist diese Auseinandersetzung bislang noch nicht aufgenommen worden. Dieser Kampf zeigt die enorme Bedeutung der gemeinnützigen juristischen Organisationen, die diese juristischen Auseinandersetzungen überall in den USA führen. Inzwischen gibt es immer Informationen, die auf den Websites dieser Organisationen und in Büchern zugänglich sind, so beispielsweise in Timothy Pachirats eindrucksvollem Exposé Every Twelve Seconds: Industrial Slaughter and the Politics of Sight,55 das den Leser in das verborgene Leben eines Schlachthofs führt und seine täglichen Aktivitäten aus der Sicht eines Arbeiters zeigt. (Pachirat recherchierte heimlich als Angestellter in einem Rinderschlachthof, dessen Namen er nicht nennt.) Jeder, der herausfinden möchte, welche Missstände die Industrie so beflissen zu verbergen versucht, kann dank der Arbeit solch mutiger Whistleblower Informationen erhalten. Die Bundesgesetze tragen nur wenig zur Bekämpfung von Misshandlungen bei. So sind nicht nur alle landwirtschaftlichen Nutztiere vom AWA ausgenommen: Das Gesetz über humane Schlachtungsmethoden sowie das TwentyEight Hour Law (Achtundzwanzig-Stunden-Gesetz), welches regelt, wie Tiere während des Transports behandelt werden müssen, nehmen Geflügel aus, obwohl es sich bei 95 % der in den USA zu Ernährungszwecken aufgezogenen Tiere um Geflügel handelt. Wie steht es um die Gesetze der einzelnen Staaten? Wir stoßen hier auf mehr oder weniger dasselbe Problem wie bei den Welpenfabriken, d. h. die Staaten, in denen die meisten Missbräuche stattfinden, unternehmen nichts, während es in den Staaten, die ausreichende Gesetze verabschiedet haben, im Großen und Ganzen ohnehin nur selten zu Misshandlungen kommt (obwohl die Hühnerzucht geografisch nicht so zentralisiert ist wie die Zucht von Schweinen und Rindern). Zu den Misshandlungen, die von einigen Staaten verboten wurden, gehören die Verwendung von Trächtigkeitskäfigen (zehn Staaten), die Verwendung von Kastenständen (neun Staaten) sowie die Verwendung von Hennenkäfigen (acht Staaten). Kalifornien und Massachusetts sind in Sachen

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rechtlicher Regulierung besonders aktiv. Da es sich bei Staaten, die rechtliche Vorschriften erlassen, allerdings nicht um diejenigen mit den großen Betrieben handelt, sind ihre Vorschriften für die meisten Zuchtbetriebe kaum von Bedeutung. Aus diesem Grund haben die Bundesstaaten, genau wie beim Problem der Welpenfabriken, Strategien für die Verkaufsstellen durchgesetzt: ein Verbot des Verkaufs von Stopfleber, die durch Zwangsfütterung von Enten und Gänsen hergestellt wird (in Kalifornien und New York City), ein Verbot des Verkaufs von Kalb- und Schweinefleisch von Tieren, die in Käfigen gehalten werden (in Kalifornien und Massachusetts), sowie ein Verbot des Verkaufs von Eiern von Hennen, die auf eine nach den Gesetzen dieser Staaten illegale Weise gehalten werden (in sieben Staaten). In der Zwischenzeit haben sich andere Staaten in die entgegengesetzte Richtung bewegt. Iowa, der Bundesstaat mit der größten Eierproduktion und einer der größten Schweinefleischproduktionen der USA, hat zum Schutz von Praktiken im Zusammenhang mit Nutztieren spezielle Ausnahmen von den Gesetzen, die Grausamkeiten verbieten, eingeführt. Einige Misshandlungen werden zwar noch strafrechtlich verfolgt, doch muss es sich dabei um sehr extreme Fälle handeln. So gab es beispielsweise einen Fall, bei dem Arbeiter auf einer Schweinefarm die Tiere mit Metallstangen schlugen und ihnen Nadeln ins Gesicht stießen. Iowa hat außerdem ein Gesetz erlassen, das sämtliche Lebensmittelgeschäfte, die an einem landesweiten Programm zur Subventionierung von Eiern von freilebenden Hühnern teilnehmen, dazu verpflichtet, auch Eier von Hennen aus Käfighaltung zu verkaufen. Strategien, die an den Verkaufsstellen ansetzen, werden sich wahrscheinlich nur langsam durchsetzen, da sie – anders als die gesetzliche Reglementierung von Zoohandlungen – eine finanzielle Belastung für die Verbraucher bedeuten. Und in den Staaten mit den größten Fleischindustrien sind Strategien, die am Ort der Erzeugung ansetzen, vorerst zum Scheitern verurteilt. Europa hingegen konnte zwischenzeitlich deutlich mehr Fortschritte erzielen, was offenbar daran liegt, dass die EU nicht in dem Maße von der Massentierhaltungsindustrie beherrscht wird wie die Gesetzgeber in den USA. Das 1976 in Kraft getretene Europäische Übereinkommen zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen Tierhaltungen enthält eine breite Palette von Schutzmaßnahmen für Nutztiere und hat ein Überwachungssystem eingerichtet.56 Das Übereinkommen wird durch artenspezifische Vorschriften ergänzt, die u. a. vorsehen, dass die Ställe für Schweine mindestens so groß sein müssen, dass die

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Tiere aufstehen und sich hinlegen und mit anderen Schweinen zusammen sein können. Außerdem muss den Schweinen ausreichend Heu, Stroh und anderes Material zur Verfügung stehen, damit sie ihrem natürlichen „Erkundungsund Manipulationsverhalten“ nachgehen können.57 Für Masthühner und eierlegende Hühner gibt es ebenfalls einen angemessenen Schutz. Eine Richtlinie für Kälber erkennt ihr soziales Wesen an und schreibt eine Gruppenhaltung für Kälber im Alter von mehr als acht Wochen vor. Kurz gesagt: Europa ist auf dem Weg, die Fähigkeiten von Tieren zu respektieren. Obwohl die EU-Rechtsvorschriften einen recht hohen Schutz bieten, haben einige Länder wie z. B. Österreich und Schweden den Schutz von Schweinen und Hühnern noch weitergehend verbessert.58 Engagierte Leser in den USA mögen an dieser Stelle den Mut verlieren. Aus der Sicht dieses Buches sollten diese hochintelligenten und komplexen Tiere gar nicht erst zum Verzehr gezüchtet werden. Wenn schon diese schrittweisen Reformen in Richtung einer humanen Behandlung so erfolglos sind: Wie können wir dann erwarten, dass die Ziele dieses Buches erreicht werden? Zugegeben, die Vereinigten Staaten sind angesichts des enormen Einflusses der Fleischindustrie auf unsere politischen Entscheidungen ein Land, in dem man das nur schwer hoffen kann. Dennoch: Die Fortschritte, die mithilfe von Gesetzen und durch den Einsatz von Rechtsbeiständen erzielt werden konnten, insbesondere gegen die Gesetze, welche die Berichterstattung über Missstände in der Massentierhaltung unterbinden, sind beeindruckend. Und je mehr Informationen an die Öffentlichkeit gelangen, umso mehr ändert sich die öffentliche Meinung. Die neue Popularität von Fleischersatzprodukten auf pflanzlicher Basis und die Aussicht auf synthetisches Fleisch könnten sich weltweit als wegweisend erweisen.

Die Zukunft der Wale: die Schwäche des internationalen Rechts59 Seit Jahrhunderten werden Wale auf scheinbar widersprüchliche Weise betrachtet: als Ehrfurcht gebietende, schöne Tiere, aber auch als Tiere, aus denen der Mensch großen Profit schlagen kann. In bedeutenden literarischen Texten finden sich beide Sichtweisen. D. H. Lawrence, der zum industriellen Kapitalismus eine in vielerlei Hinsicht kritische Haltung einnimmt, vertrat in seinem Gedicht „Weint nicht, Wale“ (1909) die erstere Sichtweise:

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Man sagt, das Meer sei kalt, doch das Meer enthält das heißeste Blut von allen, das wildeste, das leidenschaftlichste. Alle Wale in den weiten Tiefen, heiß sind sie, wie sie weiter drängen und immer weiter und unter die Eisberge tauchen. Die Glattwale, die Pottwale, die Hammerhaie, die Killerwale dort blasen sie, dort blasen sie heißen wilden weißen Atem aus dem Meer!

Man betrachte im Gegensatz dazu diesen Auszug aus Obed Macys History of Nantucket (1835): Im Jahre 1690 standen einige Menschen auf einem hohen Hügel und beobachteten die Wale, die gemeinsam ihren Blas ausstießen und miteinander tollten, als einer von ihnen auf das Meer zeigte und feststellte: „Dort ist eine grüne Weide, auf die die Enkelkinder unserer Kinder ziehen werden, um ihr Brot zu finden.

Herman Melville, der die Macy-Passage zusammen mit vielen anderen Textauszügen zitiert, mit denen er Moby Dick beginnt, wird in beide Richtungen gezogen: Einerseits akzeptiert er kritiklos die Walfangindustrie, andererseits hebt er die ehrfurchtgebietenden Eigenschaften von dessen Beute hervor. Wie wir sogleich sehen werden, wird auch unser gegenwärtiges internationales Recht in beide Richtungen gezogen, wobei eine Seite versucht, die tödliche Grausamkeit gegenüber den Walen zu beenden, während die andere lediglich bemüht ist, die „Bestände“ der Wale für die zukünftige Ausbeutung zu erhalten. Der Walfang, der bislang einzige Schwerpunkt internationaler Bemühungen, verursacht nur einen kleinen Teil der Leiden, die den Walen in internationalen G ­ ewässern zugefügt werden. Akustische Signale sind die wichtigste Kommunikationsform der Wale untereinander, und Störungen ihrer akustischen Umgebung beeinträchtigen ihre Lebensform in vielerlei Hinsicht, wie in dem Rechtsstreit NRDC gegen Pritzker zu Recht festgestellt wurde. Doch es gibt neben denjenigen, die von der Marine der USA verursacht werden, noch zahlreiche weitere Störungen. Auch andere Nationen verwenden Unterwasserschallgeräte. Die weltweite Schifffahrtsindustrie verursacht überall auf der Welt sehr viel Lärm, und die Öl- und Gasindustrie verursacht Schallstörungen nicht allein durch den Lärm der Bohrinseln, die unter Wasser nach Öl bohren, sondern auch durch die

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kartografischen Arbeiten, die auf der Suche nach Öl durchgeführt werden. Zum Kartografieren der Konturen des Meeresbodens verwenden diese Unternehmen leistungsstarke Schallkanonen, die in regelmäßigen Abständen – mehr oder weniger weltweit – Schallwellen in die Tiefe schicken. Eine ausgezeichnete Untersuchung dieser Störungen findet man in dem zu Recht gelobten Dokumentarfilm Sonic Sea von Daniel Hinerfeld und Michelle Dougherty aus dem Jahr 2016.60 Die energiereichen Schallwellen können in einigen Fällen sogar zu Hirnschäden und zum Tod von Walen führen. Die Tatsache, dass das internationale Recht es nicht einmal für nötig gehalten hat, über die gesetzliche Regelung von Störungen durch Schallwellen auch nur zu diskutieren, zeigt, wie kleinmütig es ist und wie wenig es zu erreichen versucht. Warum ist das Fangen von Walen ein Unrecht? Im Sinne dieses Buches ist die Antwort offensichtlich: Es beendet vorzeitig das Leben dieser komplexen, empfindungsfähigen Tiere, indem es sie zu Objekten degradiert, aus denen der Mensch Fleisch, Öl und andere nützliche Produkte gewinnen kann. Doch genau das macht die Tötung der meisten Tiere für den menschlichen Verzehr zu einem Unrecht, wie in Kapitel 7 dargelegt wurde. Man kann dem gewiss hinzufügen, dass die Walfangindustrie grausam ist: Das Harpunieren verursacht ein lang hingezogenes Sterben, das manchmal durch Keulenschläge noch schmerzhafter wird. Neue Technologien haben die Dinge etwas verändert: Heute werden viele Wale mit einer Sprengstoffharpune gefangen, deren Kopf im Inneren des Wals explodiert, was den Sterbevorgang verkürzt. Trotzdem ist es ein schlimmer Tod. Doch die meisten Tiere, die für den Verzehr getötet werden, sterben ebenfalls einen schlimmen Tod am Ende eines unglücklichen Lebens, und der Wal war vorher zumindest frei und hat es daher viel besser als die meisten Kühe, Schweine oder Hühner. Bevor wir uns daher an eine Kritik der gegenwärtigen Praktiken machen, ist es wichtig festzustellen, dass der Walfang kein Übel einschließt, das diese anderen gängigen Praktiken nicht auch enthalten. Es ist daher heuchlerisch, wenn Länder wie die USA, die kaum Walfang betreiben, sich über den Walfang anderer Nationen beklagen und dabei die abscheulichen Praktiken außer Acht lassen, an denen sie selbst Tag für Tag beteiligt sind. Bedauerlicherweise verlangsamt dieser (berechtigte) Vorwurf der Heuchelei häufig die Bemühungen um den Schutz der Wale im Rahmen des internationalen Rechts. Eine weitere Frage, über die man sich im Klaren sein muss, ist die Art des Übels, gegen das nach gesetzlichem Schutz gesucht wird. Es gibt hier zwei Fraktionen. Für die eine (im Grunde dieselbe Fraktion, die Wale als Mittel zum

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Zweck für den Menschen nutzen will) ist das einzige Übel, das es zu verhindern gilt, das Aussterben einer oder mehrerer Walarten und damit das Ende (eines Teils) einer lukrativen Industrie. Diese Fraktion spricht typischerweise von „Walbeständen“, als ob der einzelne Wal ohne jede Bedeutung wäre. Für andere, mich eingeschlossen, besteht das Übel im unnötigen und grausamen Tod einzelner Wale. Die Spezies ist wichtig, da die kontinuierliche Fortpflanzung sowie ihre Vielfalt normalerweise für die Gesundheit und das Gedeihen des einzelnen Tieres einschließlich seiner sozialen Interaktion unerlässlich sind. Den Walen innerhalb der Gerichtsbarkeit der USA geht es einigermaßen gut. Das Gesetz zum Schutz von Meeressäugetieren (MMPA) schützt einzelne Wale nicht nur davor, getötet zu werden, sondern auch vor „Belästigung“, und der Fall Pritzker zeigt, wie effektiv der Schutz durch Gerichte sein kann, selbst gegen mächtige militärische Interessen. Orcas waren nicht immer vor „Belästigung“ geschützt, wie das schändliche Verhalten im Film Blackfish zeigt; doch die Dinge haben sich – zumindest in Kalifornien dank des Orca Welfare and Safety Act – mittlerweile geändert. Inzwischen gedeihen Orcas in freier Wildbahn in den Küstengewässern der USA, insbesondere vor den San Juan Islands in Washington. Dies bedeutet allerdings nicht, dass in den USA keine Wale gejagt werden. Bei der Jagd auf Belugawale, die vom Alaska Beluga Whale Committee überwacht wird, werden jedes Jahr etwa 300 Wale getötet. Zwei indigene Bevölkerungsgruppen jagen gefährdete Arten gegen den Protest von Tierschützern: Der Grönlandwal wird von neun indigenen Gemeinschaften in Alaska „für den Lebensunterhalt“ gejagt, und die Makah im Bundesstaat Washington haben die Jagd auf den Grauwal wieder aufgenommen. In beiden Fällen wird diese Jagd mit Berufung auf kulturelle Rechte verteidigt, wie ich sie in Kapitel 8 erörtert habe. Nunmehr kommen wir jedoch dazu, was in internationalen Gewässern geschieht. Die gesamte Waljagd, einschließlich derjenigen durch Jäger in den USA, wird durch einen 1946 unterzeichneten Vertrag geregelt, das Internationale Abkommen zur Regelung des Walfangs (International Convention for the Regulation of Whaling, ICRW). Diese Übereinkunft rief eine Überwachungsgruppe ins Leben, die Internationale Walfangkommission (International Whaling Commission, IWC).61 Ziel des ICRW war es nicht, das Töten von Walen zu beenden, sondern ihre Nutzung nachhaltig zu gestalten. Motiviert wurde das Abkommen durch den nachweislichen Rückgang der „Walbestände“. In der Präambel beschreibt der damalige US-Außenminister Dean Acheson die Wale als „Schutzbefohlene der

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ganzen Welt“ und als „gemeinsame Ressource“. Das Wort „Ressource“ deutet darauf hin, dass Wale als Objekte für die menschliche Nutzung betrachtet werden; und de facto wurde bei der Ausarbeitung des Abkommens nicht daran gedacht, den kommerziellen Walfang vollständig zu verbieten: Das Ziel war ein Quotensystem für jedes der teilnehmenden Länder. Zwei Formen des Walfangs waren außerhalb der angekündigten Quoten ausdrücklich erlaubt: der Walfang der Ureinwohner und der Walfang „zu wissenschaftlichen Zwecken“. Sowohl damals als auch heute kann ein Land, das einer bestimmten Vorschrift nicht zustimmt, Mitglied der IWC bleiben, sich aber von dieser Vorschrift ausnehmen, wobei für jede Änderung die Zustimmung von drei Vierteln der Länder erforderlich ist. Mit diesen Bestimmungen waren die Weichen für eine Stagnation bereits gestellt – trotz der Tatsache, dass der Innenminister der USA, C. Girard Davidson, den Vertrag als Wegbereiter einer „friedlicheren und glücklicheren Zukunft für die Menschheit“ ankündigte. (Das künftige Glück der Wale fand keine Erwähnung!) Und dennoch wären ohne diese Ausnahmeregelung zahlreiche Nationen, die Walfang im größeren Umfang betreiben  – darunter Russland, Japan und Norwegen –, der IWC gar nicht erst beigetreten. Anfänglich war der kommerzielle Walfang im Rahmen eines Quotensystems und unter sorgfältiger Überwachung erlaubt. Im Jahr 1982 wurde für den kommerziellen Walfang jedoch ein vollständiges Moratorium verhängt. Das Moratorium sollte nur vorübergehend gelten, bis sich die Bestände wieder erholt haben würden, doch da keine Einigkeit über die Umstände besteht, die eine Wiederaufnahme des Walfangs rechtfertigen würden, hält es noch an. Diese Meinungsverschiedenheit hat sich noch verschärft: Einige Mitglieder der IWC haben zunehmend die Sichtweise des Tierschutzes angenommen und lehnen den Walfang aus ethischen Gründen generell ab, während andere Mitglieder den kommerziellen Walfang wieder aufnehmen wollen. Ein Schwachpunkt des Abkommens war stets seine Durchsetzung, da der Vertrag jedem Land die Aufgabe zuweist, seine eigenen Mitglieder zu disziplinieren. Norwegen und Island haben sich einfach aus dem Moratorium verabschiedet und betreiben nun legalen kommerziellen Walfang. Andere Staaten nutzen unterdessen die im Vertrag vorgesehenen Schlupflöcher. Sehen wir uns jede dieser Ausnahmen der Reihe nach an. Zweck der wissenschaftlichen Ausnahme war es, die Biologie der Wale zu verstehen. Da Medizinstudenten ihr anatomisches Wissen durch das Sezieren menschlicher

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Leichname erlangen, dachte man, dass für eine Verbesserung des Wissens über den Wal tote Wale benötigt würden. Doch während keine Menschen für die Zwecke der medizinischen Wissenschaft getötet werden, da es genügend Leichname durch natürliche Tode gibt, ging man davon aus, dass Walkadaver in der Regel in der Tiefsee verloren gehen und die gelegentlich gestrandeten Wale nicht repräsentativ für die Art seien. Daher sei die Tötung von Walen zu Forschungszwecken notwendig, so argumentierten einige Nationen. Auch wenn derartige Behauptungen über den wissenschaftlichen Zweck stets in gutem Glauben aufgestellt würden, hat sich unsere Welt doch verändert. Neue Technologien haben es ermöglicht, Wale in der Tiefsee aus nächster Nähe zu studieren, ohne sie zu töten, wie es Hal Whitehead und Luke Rendell routinemäßig tun, indem sie hierfür Tiefseetauchgeräte und vor allem Tiefseefotografie einsetzen. Die neuen Geräte erforschen zwar nicht das Innere der Wale, doch ebenso wie ein guter Arzt das, was wir bereits über die menschliche Anatomie wissen, mit der klinischen Untersuchung eines Patienten kombinieren kann, um so ein genaues Ergebnis zu erhalten, kann dies auch ein Wissenschaftler tun, der Wale erforscht. Der Gedanke, dass wir gezwungen sind zu töten, um unser Wissen zu erweitern, hat sich bei keiner anderen Tierart durchgesetzt; und inzwischen ist es möglich, mit anderen Methoden Fortschritte zu erzielen. Die Berufung auf wissenschaftliche Ziele insbesondere durch Japan war nicht überzeugend. Im März 2014 entschied der Internationale Gerichtshof, dass Japans Programm für den wissenschaftlichen Walfang in der Antarktis, bekannt als JARPA II, nach internationalen Gesetzen nicht gerechtfertigt werden kann, da es nicht als wissenschaftliches Programm einzustufen sei. Der Fall wurde von Australien vorgebracht, wobei Neuseeland als Streithelfer auftrat.62 Das Gericht verwies darauf, dass es im Rahmen des Programms weder wissenschaftliche Ergebnisse noch von Experten begutachtete Studien gäbe. Zahlreiche Umweltorganisationen sahen in der gesamten Praxis einen verkappten kommerziellen Walfang, und es ist schwierig, dem nicht zuzustimmen. Japan gab jedoch nicht auf: Das Land kündigte an, das Programm „umzugestalten“, und sein Recht dazu wurde vom Institute of Cetacean Research (ICR) verteidigt. Das ICR ist eine japanische Nichtregierungsorganisation, die behauptet, eine unabhängige Forschungseinrichtung zu sein, obwohl sie die bei der Zerlegung von Walen anfallenden „Nebenprodukte“ kommerziell als Lebensmittel verkauft. (Bezeichnenderweise wird das ICR im Fall Sea Shepherd, auf den ich weiter unten eingehen werde, vom Neunten Bundesberufungsgericht

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nicht provokativ, sondern schlicht und einfach folgendermaßen beschrieben: „japanische Forscher, die im Südpolarmeer tödlichen Walfang betreiben“.) Das Urteil des Gerichts war zurückhaltend. Es ging nicht auf die Behauptung ein, Wale hätten ein Recht auf Leben, und definierte den Zweck des ICRW als das Herstellen eines Gleichgewichts zwischen dem Schutz der Tiere und ihrer nachhaltigen Nutzung. Die Idee, Sondergenehmigungen für die wissenschaftliche Forschung zu erteilen, wurde jedoch nicht beanstandet; es wurde lediglich festgestellt, das japanische Programm komme für diesen Zweck nicht infrage. Nach 2014 verringerte Japan zwar die Anzahl der im Südpolarmeer gefangenen Wale, doch es setzte die Fangpraxis fort. Im Jahr 2015 legte das Land einen neuen Plan für den „wissenschaftlichen“ Walfang vor und verhinderte eine erneute Klage, indem es seine optionale Deklaration über die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs änderte und sämtliche Streitigkeiten im Zusammenhang mit lebenden Meerestieren aus der Zuständigkeit dieses Gerichts herausnahm. Das Thema ist nunmehr hinfällig, da Japan, frustriert über den wachsenden Widerstand in der zunehmend am Naturschutz ausgerichteten IWC, die Kommission im Dezember 2018 verließ und den kommerziellen Walfang 2019 wieder aufnahm, allerdings nicht in der Antarktis. Im Jahr 2020 erklärt das ICR, dass seine Forscher nur noch Methoden einsetzen würden, bei denen kein Tier getötet wird.63 Offensichtlich räumt es also ein, dass für seine genuin wissenschaftliche Arbeit kein Wal den Tod finden muss. Sobald der kommerzielle Walfang erst einmal aufgedeckt ist, wird eine Verschleierung nicht mehr vonnöten sein. Was kann und sollte getan werden? Vom IWC, einem schwachen und zunehmend zerstrittenen Gremium, das von den mächtigen Nationen einfach ignoriert wird, ist derzeit wenig zu erhoffen. Auch der Widerstand extremer Umweltschutzgruppen ist gescheitert. Besonders berüchtigt waren die Aktivitäten der Sea Shepherd Conservation Society, einer Vereinigung, die der Ansicht ist, Wale besäßen ein angeborenes Recht auf Leben. Um für die Sache der Wale zu kämpfen, hat sie sich wiederholt in die japanischen Walfangaktivitäten in der Antarktis eingemischt. Sea Shepherd tut dies auf eine sehr aggressive Art und Weise, die von zahlreichen Umweltgruppen bedauert wird – zu Recht, wie ich finde. So werfen Aktivisten beispielsweise mit Buttersäure gefüllte Flaschen auf Walfangschiffe und versuchen, den Walfängern die Sicht zu versperren. Die Gruppe um ihren Gründer Paul Watson behauptet, dies sei die einzig wirksame Methode, um den Walfang zu stoppen, da sich bloßer Protest ebenso wie das

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internationale Recht als unwirksam erwiesen hätten. Rechtlich hat sich diese Taktik allerdings als ein Bumerang erwiesen. Das ICR verklagte Sea Shepherd auf der Grundlage des Alien Torts Statute (eines Gesetzes, das ursprünglich entwickelt wurde, um Seepiraten vor Gerichten in den USA anklagen zu können) und forderte – mit der Begründung, dass ihre Aktionen Piraterie darstellten – eine einstweilige Verfügung gegen die Vereinigung. Ein Bundesbezirksgericht entschied zugunsten von Sea Shepherd und sagte, das ICR habe nicht bewiesen, dass die Aktionen der Vereinigung Piraterie darstellten, obwohl es Sea Shepherds Vorgehensweise missbilligte. In der Berufung hob das Neunte Bundesberufungsgericht das Urteil auf.64 Die entscheidende Stellungnahme wurde, kurz vor seinem plötzlichen Rücktritt und bevor er öffentlich in Ungnade fiel, von Richter Alex Kozinski verfasst.65 Der Leiter von Sea Shepherd, Paul Watson, beendete die aggressiven Aktivitäten im Jahr 2017 unter Berufung auf neue Anti-Terror-Gesetze, die Japan verabschiedet hatte. Kurzum: Der „wissenschaftliche“ Walfang ließ sich weder mit rechtlichen noch mit außerrechtlichen Mitteln beenden, und der Vorwand der wissenschaftlichen Tätigkeit ist jetzt auch nicht mehr erforderlich, da die Länder zum offenen kommerziellen Walfang zurückgekehrt sind. Die IWC erweist sich als entmutigend machtlos – ein Problem, das aus der Geschichte des internationalen Menschenrechts bekannt ist. Was aber hat es mit der anderen von dem Abkommen vorgesehenen Ausnahme auf sich, dem Walfang von Ureinwohnern für ihren Lebensunterhalt (bekannt als Aboriginal Subsistence Whaling, ASW)? In Kapitel 8 habe ich die Behauptungen der Makah und der Inuit, der Walfang sei für das kulturelle Überleben notwendig, infrage gestellt. Ich kann nun noch hinzufügen, dass nicht alle indigenen Völker mit diesen Argumenten einverstanden sind. Die Maori haben der IWC gegenüber ihren großen Respekt vor den Walen und ihren Wunsch, sich von todbringenden Praktiken zu distanzieren, zum Ausdruck gebracht.66 Was die Behauptung betrifft, Walfleisch sei zur Deckung des Nahrungsbedarfs notwendig, so hält sie einer Überprüfung nicht stand. Die IWC verweist auf den „Handel mit Nebenprodukten von Fängen zur Deckung des Lebensunterhalts“.67 Der Handel mit Walerzeugnissen bedeutet offensichtlich, dass es einen Überschuss gibt, der über den unmittelbaren Nahrungsbedarf hinausgeht; und zu diesem Überschuss gehört in der Regel auch Fleisch: Walfleisch landet so in Touristenrestaurants in Grönland. Auf den Einwand, dass Walfleisch, wenn es in Restaurants verkauft wird, nicht lebensnotwendig für die Inuit sein kann,

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antwortete Grönland: „In Bezug auf Restaurants stellte es [Grönland] fest, dass es nicht kontrolliert, wer bestimmte Produkte in Grönland essen darf, und sah kein Problem darin, dass Touristen in Restaurants Walfleisch essen. […] Der Nährwert lokaler Lebensmittel ist besser und umweltverträglicher als das Einfliegen importierter Lebensmittel aus dem Westen mit den damit verbundenen Gesundheitsproblemen.“68 Doch eine Bevorzugung lokaler Lebensmittel aus gesundheitlichen Gründen (ganz abgesehen davon, dass mit dem Verzehr von Walfleisch ernsthafte Gesundheitsprobleme verbunden sind) ist etwas völlig anderes als der Nahrungsbedarf zum Zweck des Überlebens. Wenn akuter Hunger ein Problem ist, sollte dieses Problem durch eine vernünftige öffentliche Politik auf breiter Front angegangen werden. Dänemark hat dies de facto getan: Die grönländischen Inuit (fast 90 % der Einwohner Grönlands) sind tatsächlich ziemlich wohlhabend, was sie zu einem großen Teil den umfangreichen Subventionen Dänemarks verdanken. Die IWC beweist ihre Schwäche, indem sie sich auf derartig leere Nichtargumente einlässt. Trotz der trostlosen Lage, in der wir uns gegenwärtig befinden, glaube ich jedoch an eine bessere Zukunft für die Meeressäuger. Es gibt so viele internationale und nationale Gruppen, die sich für sie einsetzen. Auf staatlicher und nationaler Ebene sind zahlreiche Fortschritte erzielt worden. Viele gute Filme, wie Blackfish und Sonic Sea, haben die Menschen auf die Notlage der Wale und Delfine aufmerksam gemacht. Es werden so viele hervorragende Bücher über die Schönheit der Wale und ihre derzeitige Notlage geschrieben.69 Zahlreiche Walbeobachter haben ihre eigene Ehrfurcht vor diesen Tieren in die Gerichtssäle und Gesetzgebungsorgane getragen. Etliche fähige Anwälte und Jurastudenten, die sich von den anstehenden Aufgaben inspirieren lassen, widmen sich diesem Bereich. Staunen, Mitgefühl und Empörung nehmen rings um uns zu. Es bleibt noch viel mehr zu tun. Das internationale Recht ist schwach. Im Moment müssen wir diese Probleme mithilfe nationaler Gesetze (wie dies bei den Menschenrechten auch der Fall ist) und durch eine internationale Protestbewegung angehen. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass sich die Menschheit in dieser Frage zu den notwenigen Schritten aufraffen wird.

Das Gesetz sind wir alle Wie dieses Kapitel gezeigt hat, befinden sich die Rechtssysteme der Welt in einem primitiven Zustand, wenn es um das Leben von Tieren geht. Ansprüche

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Die Rolle des Rechts

erfordern Gesetze, um sie zu verwirklichen, so habe ich gesagt: wenn schon nicht tatsächliche Gesetze, so doch wenigstens die Möglichkeit solcher Gesetze in der Zukunft. Auf lokaler, bundesstaatlicher und sogar auf nationaler Ebene sind in verschiedenen Ländern große Fortschritte erzielt worden  – in den USA allerdings stets in ungleicher Weise, da sie beim Schutz der in der Fleischindustrie gehaltenen Tiere versagen. Für sämtliche Tiere verhindert das Problem der Klagebefugnis einen realen Fortschritt, da die Gesetze in den USA Tiere noch nicht als vollwertige Rechtssubjekte behandeln, die vor einem Gericht (mit einem geeigneten Stellvertreter) in eigener Sache eine Klage erheben können. Die Klagebefugnis könnte ihnen durch eine Abstimmung im Kongress erteilt werden, doch wir alle wissen, in wie weiter Ferne diese Abstimmung liegt. Die Sache der Tiere scheint auf internationaler Ebene einstweilen höchst ungewiss zu sein, da selbst die bestehenden Gremien in Konflikte verstrickt und nicht in der Lage sind, abtrünnigen Mitgliedern Einhalt zu gebieten. Was kann also getan werden? In all diesen Fällen ist es vonnöten, dass sich das Bewusstsein der Menschheit weiterentwickelt, um Lösungen zu erdenken. Dass dies möglich ist, können wir sehen, wenn wir den Fortschritt im Bereich der Frauenrechte betrachten. In der Vergangenheit wurden Frauen überall auf der Welt nach dem Gesetz als Objekt oder Besitztümer behandelt, um von Männern benutzt und kontrolliert zu werden. Eine verheiratete Frau hatte keine eigenständige rechtliche Handlungsmacht: Sie konnte weder vor Gericht klagen, noch ihre eigenen Finanzen verwalten. Vor allem aber hatten Frauen kein Mitspracherecht bei der Gestaltung zukünftiger Gesetze, da sie nicht wählen durften. Neuseeland war 1893 das erste Land, das Frauen das Wahlrecht gewährte.70 Im Jahr 2015 wurde Saudi-Arabien das letzte Land der Welt, das Frauen das Wahlrecht zugestand. Dank des mutigen Einsatzes vieler Frauen und Männer haben Frauen nach und nach die Gesetze gegen sexuelle Übergriffe und sexuelle Belästigung verbessert und sich Zugang zu Universitäten, Parlamenten und zur Arbeitswelt verschafft. Die Geschichte ist auf furchtbare Weise unvollendet, doch nach Jahrtausenden der Stagnation hat es überall auf der Welt einen Energieschub gegeben. Das Gleiche kann mit den Rechten der Tiere geschehen, und es geschieht meiner Meinung nach bereits. Ja, in der Tat: Es hat bereits begonnen. Die Zukunft, die Jeremy Bentham zuversichtlich voraussagte, hat zu lange auf sich warten lassen. Doch sie ist im Kommen, und sie ist erreichbar, wenn wir dafür sorgen. Die Hindernisse sind die gleichen wie im Fall der Frauenrechte: Habgier

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und Stolz. Mit Stolz meine ich die Überzeugung der dominanten Gruppe, dass sie über allem steht und dass die untergeordnete Gruppe nicht vollständig real ist.71 Bei Dante krümmen sich die Stolzen wie Reifen, so dass sie nur sich selbst sehen und nicht auf die Welt oder die Gesichter der anderen blicken können. Seit Jahrtausenden hat ein großer Teil der Menschheit nur auf sich selbst geschaut und sich nie nach außen gewandt, um die anderen empfindungsfähigen Wesen, mit denen wir diesen kleinen und zerbrechlichen Planeten teilen, wirklich anzuschauen. Inzwischen haben sich die Dinge geändert, wenn auch nur teilweise und ungleichmäßig. Es gibt mehr Hinsehen, mehr Staunen und in diesem Zusammenhang auch mehr Mitgefühl und Empörung über das, was wir getan haben und noch tun. Die Zukunft, das sind wir. Werden wir unsere Augen wirklich öffnen? Werden wir unseren Mitgeschöpfen die Hand der Freundschaft reichen? Und werden wir die schwierige Aufgabe angehen, unsere Lebensweise sowie unsere Gesetze und Institutionen zu ändern? Ich weiß es nicht. Es liegt in unser aller Hand. Dazu bedarf es vieler verschiedener Menschen: Wissenschaftler, die mit Hingabe und Engagement daran arbeiten, die Fähigkeiten von Tieren und ihre komplexen Lebensformen zu beschreiben; Aktivisten, die selbstlos ihr Leben für Arten einsetzen, deren Sprache die meisten Menschen nicht zu verstehen versuchen (und die sie sogar als „dumme Tiere“ bezeichnen); Gesetzgeber und Richter, die gute und häufig unpopuläre Entscheidungen treffen; Anwälte, die gegen sämtliche Missbrauchstäter vorgehen, Fall für Fall; Lehrer und Eltern, die Kinder erziehen, welche die Welt mit unvermindertem Staunen betrachten. Selbst der Markt hat seinen Platz in diesen Bemühungen: Wäre mit synthetischem Fleisch kein Geld zu verdienen, so würden die Menschen nicht so hart daran arbeiten, es herzustellen und zu verkaufen. Ich glaube, dass auch der Philosoph eine Rolle bei der Lösung dieser Aufgabe hat. Deshalb habe ich dieses Buch geschrieben.

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Schlussbetrachtung „Tiere sind weltweit bedroht. Der Mensch beherrscht die gesamte Welt: an Land, auf den Meeren und in der Luft. Kein nicht menschliches Tier entkommt der menschlichen Herrschaft. Häufig fügt diese Herrschaft den Tieren unrechtmäßig Schaden zu: sei es durch die barbarischen Grausamkeiten der Fleischindustrie, durch Wilderei und Jagd, durch die Zerstörung von Lebensräumen, die Verschmutzung der Luft und der Meere oder die Vernachlässigung von Haustieren, welche die Menschen angeblich lieben.“ Mit dieser Zustandsbeschreibung habe ich dieses Buch begonnen. Das ist der Punkt, an dem wir uns heute befinden. Dieses Buch allein hat die schreckliche Situation der Tiere, für die wir alle eine kollektive Verantwortung tragen, noch nicht verändert. Doch ich hoffe, dass die einzelnen Kapitel dazu beigetragen haben, die drei Emotionen, die ich in meinem ersten Kapitel erörtert habe, zu wecken oder zu stärken: das Staunen über die Komplexität und Vielfalt des Lebens der Tiere, ein Mitgefühl für das, was diesem Leben in unserer vom Menschen dominierten Welt allzu oft widerfährt, sowie eine produktive, zukunftsgerichtete Empörung (ein „Übergangszorn“, um meine Terminologie zu verwenden), die auf eine Verbesserung der Situation abzielt. In diesem Buch geht es jedoch nicht nur darum, diese Gefühle zu wecken und zu produktivem Handeln aufzurufen. Es ist auch ein Buch über eine philosophische Theorie, das darauf abzielt, eine Sichtweise zu beschreiben, die diese Bemühungen lenken kann, und zu zeigen, dass sie anderen derzeit gebräuchlichen Theorien überlegen ist. Der Kampf um die Verbesserung des Schicksals der Tiere und die Beseitigung von Missständen erfordert einiges: mutigen Aktivismus, engagierte und einfallsreiche juristische Arbeit, Organisationen und ihre engagierten Mitarbeiter, die sich dem Leben der Tiere widmen, Spenden für diese Organisationen, kreative und gründliche wissenschaftliche Forschung, Bemühungen, die Schönheit, die staunenswerten Fähigkeiten und die gegenwärtige Notsituation der Tiere durch Medienberichte, Filme und die bildende Kunst einem breiteren Publikum nahezubringen. Alle Leser dieses Buches können – je nach ihrer Situation und ihren Fähigkeiten – ihre eigene Rolle bei diesen Bemühungen finden. Selbst innerhalb der Philosophie leisten

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viele unterschiedliche Projekte hierzu wertvolle Beiträge: Sie liefern Erkenntnisse über die Natur des Geistes, über Wahrnehmung und Empfindungsvermögen, über die Struktur von Emotionen. Diese und andere Projekte tragen entscheidend zum Verständnis des Lebens der Tiere bei. Doch der Kampf benötigt auch eine übergreifende philosophisch-politische Theorie. Theorien weisen den Bemühungen der Menschen die Richtung, indem sie einige Dinge für wichtig erklären und andere vernachlässigen, indem sie die Gesetzgebung dazu drängen, ihre Anstrengungen eher in diese als in jene Richtung zu lenken. Und allzu oft weisen mangelhafte Theorien in die falsche Richtung, indem sie Fragen von großer Bedeutung ignorieren und sich ganz auf ein eng begrenztes oder verzerrtes Spektrum von Problemen konzentrieren. Die Theorie gibt Juristen und Politikern ein Brennglas, durch das sie die Welt sehen können, und bestärkt sie häufig darin, wichtige Dinge zu ignorieren, welche die Menschen in ihrem täglichen Leben sehr wohl wahrnehmen. Ist diese Situation eingetreten, wird die Notwendigkeit einer Theorie dringlicher als zuvor, da dann nicht einfach eine weitere Theorie erforderlich ist, sondern eine Gegentheorie, die mit stichhaltigen Argumenten die Schwachstellen schlechter Theorien aufzeigt und eine Alternative vorschlägt – auf diese Weise schützt sie häufig die alltäglichen Wahrnehmungen der Menschen vor Vernachlässigung und Ohnmacht. Die Theorien, die der Menschheit bislang beim Umgang mit dem Leben von Tieren die Richtung gewiesen haben, waren alle in mancher Hinsicht vielversprechend, in anderen Aspekten jedoch unausgereift oder verzerrend. Alle drei von mir als mangelhaft vorgestellten Theorien können ihre Behauptungen revidieren, um politische Prinzipien zu akzeptieren, die auf dem Fähigkeitenansatz basieren; so denke ich zumindest. Korsgaards kantische Sichtweise kann ihre tiefe Einsicht unterstreichen, dass Tiere Zwecke an sich selbst sind, und sie kann dazu dienen, Behauptungen über die moralische Sonderstellung des Menschen – die von einem prinzipiellen politischen Konsens ablenken – zu entkräften. Utilitaristen können mit den subtilen Einsichten der Theorie von Mill arbeiten, statt mit Benthams eher reduktiver Sichtweise. Ja, sogar der anthropozentrische „Uns-so-ähnlich“-Ansatz kann Teil des „übergreifenden Konsenses“ werden, wenn er weniger die Ähnlichkeit mit dem Menschen als Quelle rechtlicher und politischer Prinzipien betont und dafür das Staunen über die Andersartigkeit bzw. den Respekt davor in den Vordergrund rückt. Es gibt Grund zu der Annahme, dass eine solche Theorie sich in diese Richtung entwickeln

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könnte, wenn man bedenkt, dass die dahinterstehende Sichtweise ursprünglich von der christlichen Ansicht inspiriert war, dass die gesamte Natur Gottes Schöpfung sei und der Mensch ihr verantwortungsvoller Verwalter, nicht ihr arroganten Beherrscher. Als man Thomas White, den einfühlsamsten philosophischen Vertreter eines „Uns-so-ähnlich“-Ansatzes, bat, für eine Gruppe von Delfinforschern einen Aufsatz über Ethik zu schreiben, empfahl er ihnen als beste Leittheorie nicht seine eigene frühere anthropozentrische Theorie, sondern stattdessen den Fähigkeitenansatz!1 Der Fähigkeitenansatz kann besser als die anderen Theorien auf das Faktenwissen reagieren, das uns heute über das Leben der Tiere zur Verfügung steht: über die erstaunliche Vielfalt ihrer Fähigkeiten und Aktivitäten, über ihre Fähigkeiten der Wertschätzung, zum Bilden sozialer Netzwerke, zu kulturellem Lernen, zu Freundschaft und Liebe. Wäre Jeremy Bentham hautnah mit Hal, dem Wal, oder der Hündin Lupa oder der Kaiserin von Blandings konfrontiert worden (Bentham mochte ein freilaufendes Schwein sehr, das ihn auf seinen Spaziergängen begleitete),2 so hätte er als intelligenter Mensch mit umfassendem Einfühlungsvermögen aller Wahrscheinlichkeit nach sämtliche dieser Aspekte des Lebens dieser drei Kreaturen gesehen. In seiner offiziellen Theorie ist jedoch für Vieles, das ein besorgter Tierfreund beobachten kann, kein Raum. Der Fähigkeitenansatz basiert auf der Idee, dass wir genauestens hinschauen und erkennen müssen, was das Leben der einzelnen Tiere umfasst und was sie wertschätzen, und dass wir die wichtigsten Elemente in dieser Vielfalt von Bestrebungen schützen müssen, ohne sie zu reduzieren. Ich habe gezeigt, wie der Fähigkeitenansatz unseren praktischen Erwägungen die Richtung weist, etwa wenn wir fragen, ob Zoos akzeptabel sind, wenn wir Gesetze und politische Maßnahmen für Haustiere und wild lebende Tiere ausarbeiten, wenn wir uns mit den Schwächen des internationalen Rechts beim Schutz von Meeressäugern vor Belästigungen auseinandersetzen, wenn wir versuchen zu artikulieren, was an der Massentierhaltungsindustrie so schrecklich ist, und wenn wir versuchen, die Schädigungen zu benennen, die Welpenfabriken verursachen. Dies sind nur wenige Beispiele, und es gibt zahllose andere Themen, bei denen ein artspezifischer Ansatz, der sich an Lebensformen orientiert, uns helfen kann, uns eine gerechtere Welt vorzustellen. Politiker und Akademiker sprechen häufig von „globaler Gerechtigkeit“ als einem Ziel, dem wir nachstreben sollten. Allzu oft sind ihre Bemühungen und Projekte jedoch nicht wirklich global. Mit diesem Begriff meinen sie in der

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Regel Gerechtigkeit für die Menschen, unabhängig davon, wo sie leben. Das ist natürlich durchaus ein hehres Ziel, das wir anstreben sollten. Wir dürfen dabei allerdings nicht vergessen, dass eine wirklich globale Gerechtigkeit eine Gerechtigkeit ist, die sich für den Schutz der Rechte aller empfindungsfähigen Lebewesen einsetzt, ganz gleich, wo sie leben, ob an Land, im Meer oder in der Luft; und es muss wirklich eine Gerechtigkeit sein, der es – wie ich bereits sagte – darum geht, die Hindernisse zu beseitigen, die empfindungsfähigen Lebewesen bei dem Versuch, ihre Ziele zu erreichen, im Wege stehen. Wir leben in einer Zeit des großen Erwachens: Wir werden uns unserer Verwandtschaft mit einer Welt bemerkenswerter intelligenter Geschöpfe sowie der realen Verantwortung, die wir für unseren Umgang mit ihnen tragen, bewusst. Der Fähigkeitenansatz ist der beste theoretische Verbündete aller betroffenen Menschen, die sich für dieses Erwachen und die Übernahme dieser Verantwortung engagieren. Wir haben eine kollektive Verantwortung, die Rechte der Tiere zu wahren, und endlich beginnen wir, uns dieser Verantwortung zu stellen. Wir benötigen dazu allerdings eine angemessene Theorie, die uns den Weg weist. Ich denke, wir verfügen heute über solch eine Theorie, auch wenn sie zweifellos noch viele Mängel aufweist und durch künftige Arbeiten verbessert werden wird. Die Aufgabe erscheint entmutigend. Es gibt so viel Schlimmes, so viel Leid, so viel Frustration bei Tieren, die nach freier Bewegung, Gesundheit und einem Leben in Gemeinschaft streben, und die Frustration und das Leid bringen vielen Menschen so viel Geld ein. Tiere sind so furchtbar schwach in dieser Welt, und auch die Verbündeten der Tiere scheinen oft furchtbar schwach zu sein – gegenüber der Macht der Fleischindustrie, der Hinterlist der Wilderer, der nicht enden wollenden Flut von Plastikmüll, der Lärmbelästigung durch die unter der Meeresoberfläche detonierten Schallkanonen der Ölindustrie . Dennoch glaube ich, dass unsere Zeit eine Zeit großer Hoffnung für die Zukunft der Tiere ist. Denken wir einen Moment über die Hoffnung nach.3 Hoffnung zu haben, hängt nicht von Wahrscheinlichkeiten ab. Wenn ein Angehöriger von uns krank ist, können wir hoffen, auch wenn die Aussichten ziemlich schlecht sind; und wir können auch dann Angst haben – das Gegenteil von Hoffnung –, wenn die Aussichten gut sind. Die beiden Gefühle sind Ausdruck verschiedener Blickwinkel, verschiedener Arten, in eine ungewisse Zukunft zu sehen, die sich unserer Kontrolle entzieht; und die beiden Emotionen unterscheiden sich in den Anstrengungen, zu denen sie uns anspornen. Angst lähmt die Menschen und

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macht sie oft willensschwach. Hoffnung gibt den Menschen Auftrieb und beflügelt sie. Das Glas wird entweder als halb voll oder als halb leer angesehen – aus dem Blickwinkel ergibt sich jedoch ein großer praktischer Unterschied. Aus diesem Grund sagte Immanuel Kant, dass wir alle die Pflicht haben, Hoffnung in uns zu kultivieren, um uns in unseren praktischen Bemühungen zu unterstützen. Ich denke, Kant hat Recht. Wir müssen alle Menschen der Hoffnung sein, wenn wir denken, dass unsere Bemühungen wichtig und durchaus unsere gemeinsame Verantwortung sind. Wir können die Hoffnung kultivieren, indem wir sie einfach aus unserem eigenen Staunen und unserer Liebe ableiten, doch wir haben außerdem noch besondere Gründe dafür, in dieser besonderen Zeit Hoffnung zu haben. Heute haben so viele Menschen ein so detailliertes Wissen über Tiere, beobachten sie (aus der Nähe oder im Film), sorgen für sie auf kompetente Weise und nicht nur durch narzisstische Fantasien vermittelt. Diese Revolution im Bewusstsein hat schon jetzt zu konkreten politischen Fortschritten geführt. −  Ein Beispiel ist die Wiedereinführung einer Reihe von Schutzmaßnahmen für Vögel im Rahmen des Gesetzes zum Schutz von Zugvögeln (Migratory Bird Treaty Act) von 1918, die unter der vorherigen Regierung abgeschafft wurden.4 Nun stellt auch das versehentliche Töten von Vögeln im Rahmen von industriellen Tätigkeiten wieder einen Verstoß gegen das Gesetz dar. −  Das britische Oberhaus hat ein umfassendes Gesetz zum Schutz von (empfindungsfähigen) Tieren vorgeschlagen, das sich auf neuere wissenschaftliche Arbeiten über das Empfinden von Tieren und ihre Gefühle stützt und die Regierung dazu verpflichtet, zu prüfen, wie sich ihre gesamte Politik – nicht nur der Teil, der sich direkt mit Tieren befasst – auf das Wohlergehen von empfindungsfähigen Tieren auswirkt.5 Dieses Gesetz soll schließlich durch eine Reihe spezifischerer Gesetze umgesetzt werden und scheint breite Unterstützung zu finden. −  Oder man denke an die bemerkenswerte Entscheidung des Bezirksgerichts für den südlichen Bezirk von Ohio vom 20. Oktober 2021, dass Flusspferde juristische Personen im Sinne eines Gesetzes der USA sind; dieses gestattet es „interessierten Personen“, die Erlaubnis zu beantragen, Aussagen zu machen, die in einem ausländischen Gerichtsverfahren verwendet werden können – das ist das erste Mal, dass ein Gericht in den USA Tiere als juristische Personen anerkannt hat. Die von Pablo Escobar nach Kolumbien gebrachten Nilpferde sind so zahlreich geworden, dass die Regierung plant,

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viele von ihnen zu töten. Da das kolumbianische Recht Tieren eine Klagebefugnis gewährt, sind die Nilpferde die Kläger in einem kolumbianischen Verfahren, mit dem die Tötung gestoppt werden soll, und Experten aus den USA wollen in diesem Fall unter Eid aussagen. Ohne die restriktiveren Auffassungen unseres Landes bezüglich der Klagebefugnis zu ändern, hat ein US-Gericht daher auf einem sehr merkwürdigen Weg eine folgenschwere Entscheidung getroffen.6 (Um einen Präzedenzfall handelt es sich nicht, weil er auf der Entscheidung des kolumbianischen Rechts beruht, den Nilpferden Klagebefugnis zu gewähren; dennoch ist er höchst aufschlussreich, und der umfassendere Begriff der Klagebefugnis im kolumbianischen Recht ist ebenfalls ein Grund zu Optimismus.)7 −  Ein weiteres Beispiel ist die Verabschiedung eines Gesetzes über vogelsichere Gebäude durch den Gesetzgeber des Staates Illinois im Juli 2021. Dieses von Gouverneur Pritzker unterzeichnete Gesetz schreibt für sämtliche Neubauten oder Renovierungen von Gebäuden im Besitz des Staates Illinois die Verwendung von vogelfreundlichen Bautechniken vor. Mindestens 90 % des freiliegenden Fassadenmaterials neuer staatlicher Gebäude müssen aus einem Glas bestehen, das dafür sorgt, dass Vögel nicht mehr dagegenfliegen. Außerdem wird verlangt, dass die Außenbeleuchtung von Gebäuden zum Schutz von Wildtieren nach Möglichkeit auf sinnvolle Weise abgeschirmt wird.8 Auch im privaten Bauwesen, zum Beispiel an unserer eigenen Universität, werden die Richtlinien des Gesetzes allmählich umgesetzt. Diese und viele andere konkrete politische Entwicklungen beweisen, dass ein Wandel möglich ist, und sie zeigen ferner, dass der Wandel von uns allen abhängt: Solche Veränderungen sind politisch und fragil. Sie hängen von der Beteiligung engagierter Bürger am politischen Prozess ab, und das wiederum ist eine Möglichkeit, wie wir alle unsere kollektive Verantwortung wahrnehmen können und sollten. Aus demselben Grund mögen sie angesichts der Instabilität unseres politischen Prozesses jedoch auch sehr zerbrechlich erscheinen und nicht gerade einen Grund zur Hoffnung darstellen. Hoffnung, so habe ich gesagt, braucht jedoch keine Gründe. Wollen wir aber Mut zur Hoffnung haben, dann ist es hilfreich, sich an Fortschritten und nicht an Rückschritten zu orientieren – auch wenn schreckliche Nachrichten, wie die jüngste Ölpest vor der kalifornischen

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Küste, die zahllose Meerestiere getötet hat,9 ebenfalls zu Empörung und politischem Handeln führen können. Ein ziemlich gutes Beispiel für eine positive Veränderung, die sich wahrscheinlich nicht mehr rückgängig machen lässt, ist der bemerkenswerte, beinahe unglaubliche Erfolg von Fleischersatzprodukten auf pflanzlicher Basis bei den Verbrauchern. Daran wird sich schon bald die weitere Option von laborgezüchtetem Fleisch anschließen, das „echtes Fleisch“ ist, ohne dass dafür Tiere getötet werden müssen. Es wird von der US-Firma Eat Just vermarktet und ist jetzt in Singapur – und zweifellos bald auch anderswo – zum Verkauf zugelassen.10 Der Wandel wird durch das Geld aufgehalten, das Menschen an der Ausbeutung von Tieren verdienen. Jetzt kann man jedoch auch mit Unternehmen Geld verdienen, die etwas Gutes tun. Diese Entwicklungen belegen, dass Tierfreunde ohne schmerzhafte Opfer und Kämpfe zunehmend triumphieren können, da die Menschen eine gesündere Ernährung anstreben und immer mehr Menschen sich für Gerechtigkeit entscheiden, wenn sie die Wahl haben. Jedem Leser werden ähnliche Beispiele für Dinge einfallen, die getan werden können und bereits getan werden; viele von ihnen wurden in diesem Buch angeführt. Wenn wir an diese Dinge denken, fällt es uns leichter zu hoffen, und wir bekommen neuen Mut, während wir uns für unsere Ziele einsetzen. Denn schließlich sind wir alle auf unsere eigene Weise Tiere, die nach Zielen streben, die ihnen wichtig sind, und die häufig dabei behindert werden. Dies ist jedoch nicht immer der Fall, und besonders dann nicht, wenn wir uns eng genug zusammenschließen können, um gemeinsame Ziele zu verfolgen. Ich hoffe, dass die Leser dieses Buches auf ihre je eigene Art und Weise dazu bewegt werden, sich für die Gerechtigkeit zu entscheiden und sich am Leben der Tiere zu erfreuen: mit Staunen, mit Mitgefühl, mit Empörung – und mit Hoffnung.

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Danksagung Die Entstehung dieses Buches hat sich über mehrere Jahre erstreckt, sodass ich vielen Menschen zu danken habe. Zuallererst bin ich meiner verstorbenen Tochter Rachel Nussbaum Wichert (1972–2019) zutiefst dankbar. Sie war Anwältin und arbeitete im Bereich Regierungsangelegenheiten für Friends of Ani­ mals in deren Wildlife Division in Denver. In ihrer Arbeit konzentrierte sie sich besonders auf Meeressäugetiere. Auf die Beiträge, die sie durch ihre beruflichen Leistungen erbracht hat, gehe ich in Kapitel 1 ein, und man findet ihre Spuren überall in diesem Buch. Durch Rachel habe ich die Mitarbeiter von Friends of Animals kennengelernt, von denen und deren inspirierender juristischer Arbeit ich sehr viel gelernt habe. Auch ihnen habe ich vieles zu verdanken – mein besonderer Dank gilt Michael Harris, dem Leiter der Abteilung für Wildtiere, und Priscilla Feral, der Direktorin der gesamten Organisation. Rachels Ehemann Gerd setzt ihre Liebe zu Orcas und anderen Walen fort. Ihm danke ich für seine liebenswürdige Unterstützung dieses Projekts. Während der Zeit, in der ich dieses Buch vorbereitete, hatte ich das Glück, außerordentlich begabte und sorgfältige Forschungsassistenten zu haben, die alle einen großen Beitrag zu diesem Buch geleistet haben, sogar mehr, als es für ein Buch von mir üblich ist, da es so viele Forschungstätigkeiten und Wissen erforderte. In chronologischer Reihenfolge sind dies Matthew Guillod, Jared Mayer, Tony Leyh, Claudia Hogg-Blake und Cameron Steckbeck. In der letzten Phase der Arbeit habe ich den Entwurf einem Seminar mit zwölf wunderbaren Studenten vorgestellt, von denen einige aus der Rechtswissenschaft kamen, andere aus der Philosophie, und ihre Kommentare waren so wertvoll, dass ich sie alle namentlich erwähnen muss: Franchescha Alamo, Michael Buchanan, Spencer Caro, Ben Conroy, Kristen De Man, Benjamin Elmore, Micah Gibson, Jack Johanning, Psi Simon, Cameron Steckbeck, Nico Thompson-Lleras und Andres Vodanovic. Wie immer hat die harte Kritik meiner Kollegen am juristischen Seminar der University of Chicago in Work-in-Progress-Workshops und in schriftlichen Kommentaren zu den Kapiteln einen großen Beitrag zu diesem Buch geleistet, wofür ich Lee Fennell, Brian Leiter, Saul Levmore und Richard McAdams besonders dankbar bin. Ich habe frühe Entwürfe auf Tagungen an den juristi-

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Danksagung

schen Seminaren der Universitäten von New York und Yale vorgestellt und auf der Graduiertenkonferenz des politikwissenschaftlichen Seminars der Harvard University einen Vortrag zum Thema gehalten; jedes Mal habe ich viel gelernt. Besonders zu danken habe ich Sam Scheffler, Jeremy Waldron, Thomas Nagel, Priya Menon und Doug Kysar. Mein Lektor Stuart Roberts von Simon and Schuster war fantastisch. Während des gesamten Projekts schickte er mir äußerst hilfreiche Kommentare.

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Anmerkungen Einleitung 1 In diesem Buch folge ich häufig der unter Tierschützern üblichen Praxis, das Wort „Tiere“ für „nicht menschliche Tiere“ zu verwenden, obwohl ich die Leser von Zeit zu Zeit daran erinnern werde (wie im übernächsten Satz), dass dies eine Kurzform ist. Auch Menschen sind Tiere, aber es wäre umständlich, überall „nicht menschliche Tiere“ zu sagen, und ich hoffe, dass das von mir Gemeinte stets klar ist. 2 Vgl. den Bericht des World Wildlife Fund über die biologische Vielfalt: wwf.panda. org/discover/our_focus/biodiversity/biodiversity [zuletzt abgerufen am 13.09.2022]. 3 Die Studie des Animal Welfare Institute (AWI), die auf den im Endangered Species Act der USA [Gesetz über bedrohte Tierarten] verwendeten Klassifizierungen beruht, enthält eine vollständige Liste der Arten, die derzeit als gefährdet oder bedroht eingestuft werden: awionline.org/content/list-endangered-species [zuletzt abgerufen am 13.09.2022]. 4 Platt 2021. 5 Birdlife 2017, www.birdlife.org/news/2017/01/24/10-amazing-birds-have-gone-extinct [zuletzt abgerufen am 13.09.2022]. 6 Nuwer 2019. 7 Siehe Godfrey-Smith 2016, S. 68 f., 73 f. 8 Poole 1997. 9 Dieses Verhalten wurde bereits mehrfach beschrieben; eine besonders schöne Beschreibung findet sich bei Moss 1988. 10 Ein vergleichbarer berüchtigter Fall war der einer Gruppe von Elefanten aus Swasiland, die mit dem Flugzeug illegal in die USA gebracht wurden. Ich werde den Fall in Kapitel 10 beschreiben. 11 Whitehead und Rendell 2016. 12 Siehe Victor 2019. Bei dem Wal handelte es sich nicht um einen Buckelwal, sondern um einen Cuvier-Schnabelwal. Allerdings verschlucken auch Buckelwale Plastik, ebenso wie praktisch sämtliche anderen Walarten. 13 Wodehouse [1935] 2008, S. 60–86. 14 Shapiro 2007. 15 Für weitere Informationen siehe Kapitel 12. 16 Siehe Rollin 1995, eine grundlegende Studie zu diesem Thema. 17 Für Bilder hierzu siehe Leonard 2020. 18 Dies kann man auf der Website des Cornell Lab of Ornithology hören: www.allaboutbirds.org/guide/House_Finch/sounds.

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ANHANG

19 Pitcher 1995. Auf Lupa und ihre menschlichen Freunde gehe ich in Kapitel 11 näher ein. 20 Auf diese Artikel stütze ich mich in den Kapiteln 3, 11 und 12. Vier von ihnen haben wir auf den Jahrestagungen der Human Development and Capability Association (HDCA) vorgestellt, einer internationalen Gruppe von Forschern, hauptsächlich Ökonomen und Philosophen, die sich mit globaler Armut und Ungleichheit befassen und deren Gründungsvorsitzende der Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen und ich sind. 21 Der Ansatz wird von der gesamten „Organisation of the Friends of Animals“ verwendet, für die Rachel arbeitete. Ihr Chef, Michael Harris, hat vor Kurzem einen Artikel darüber veröffentlicht, in dem er sich für einen vernachlässigten Elefanten in Gefangenschaft einsetzt, siehe Harris 2021. Auch ich habe mich in den Fall eingemischt, indem ich ein Unterstützungsschreiben verfasste und in einer lokalen Nachrichtensendung auftrat, siehe Lee 2021. 1  Brutalität und Vernachlässigung: Ungerechtigkeit im Leben von Tieren 1 Dieses Argument verdanke ich Christine Korsgaard, auf deren Verteidigung dieser (im Grunde kantischen) Idee ich später noch eingehen werde. In diesem Punkt sind wir uns völlig einig. 2 Natural Resources Defense Council v. Pritzker, 828 F.3d 1125 (9th Cir. 2016). 3 Zahlreiche Betriebe und sogar Ferienanlagen haben Einwegplastik zugunsten von recycelbaren Dosen und Wasser in eigenen Flaschen abgeschafft. 4 Ein führender Denker zum Thema Staunen ist Jeremy Bendik-Keymer. Drei maßgebliche aktuelle Veröffentlichungen sind: Bendik-Keymer (2017), Bendik-Keymer (2021a) und Bendik-Keymer (2021b). Siehe auch seine Website: sites.google.com/case. edu/bendikkeymer [zuletzt abgerufen am 20.09.2022]. 5 Aristoteles, Die Teile der Tiere, I.5. 6 Siehe Nussbaum 2001, Kap. 1. 7 Vgl. die Diskussion von „Fancy“ in Nussbaum 1996. 8 Siehe eine ähnliche Schlussfolgerung in Nussbaum 2006, Kap. 6. 9 Siehe Nussbaum 2001, Kap. 6. 10 Siehe Nussbaum 1978, das auf meiner Dissertation basiert. 11 Batson 2011. 12 Siehe Nussbaum 2016a. Für eine kürzere Version desselben Arguments siehe auch Nussbaum 2018a. 2 Die Scala Naturae und der „Uns-so-ähnlich“-Ansatz 1 Nussbaum 2006. 2 Nair v. Union of India, Kerala High Court, Nr. 155/1999, Juni 2000. 3 Sorabji 1995. 4 Siehe die Dissertation zu diesem Thema von Comay del Junco 2020.

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Anmerkungen

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5 Nussbaum 1978. 6 Es gibt in beiden Richtungen abweichende Strömungen, und es gibt eine Form des Kaddish, des Totengebets, die das Gebet für tote Tiere einschließt. 7 Siehe zum Beispiel Kraut 2010, S. 250, 256. Kraut benutzt diese Kluft, um medizinische Experimente an Tieren, aber nicht an Menschen zu rechtfertigen. Siehe auch meine Antwort auf Kraut in Nussbaum 2010c, S. 463, 467. 8 Sextus Empiricus, Grundzüge der pyrrhonischen Skepsis. 9 Siehe Plutarch, Leben des Pompeius, LII, 4; Plinius der Ältere, Naturgeschichte, VIII,7.20. 10 Sorabji 1993 zitiert Plinius. 11 Ebd., S. 124, Nr. 21 (mit einem Zitat von Plinius). Siehe auch Seneca, Von der Kürze des Lebens, 13; Cassius Dio XXXIX, 38, der sagt, dass die Elefanten ihre Rüssel erhoben, als würden sie den Himmel anflehen, das Unrecht zu rächen. 12 Sorabji 1993, S. 124 f. zitiert Cicero, Briefe an Freunde VII, 1. 13 Siehe White 2007, S. 219 f. 14 In Genesis 7 finden sich eigentlich zwei verschiedene Berichte: In der ersten Version gibt es sieben Paare von jedem „reinen“ Tier und von jeder Vogelart, jedoch nur ein Paar von den „unreinen“ Tieren; spätere Überlieferungen interpretieren dies so, dass Opfer erlaubt sind. Die zweite Version, direkt nach der ersten, erwähnt nur ein einziges Paar von jeder Tierart, sowohl von den reinen als auch von den unreinen, und von den Vögeln. 15 Genesis 9,12; Alter 2004. 16 Genesis 1,26–28 (Verse 29 und 30); Luther-Bibel 1545. 17 Scully 2002. 18 Scruton 1999. 19 In diesem landesweit bekannten Prozess traten zwei der berühmtesten Anwälte der Nation gegeneinander an: der kämpferische Liberale Clarence Darrow und der Expolitiker und dreimal gescheiterte Präsidentschaftskandidat William Jennings Bryan. Der Angeklagte, der Lehrer John T. Scopes, wurde beschuldigt, unter Verstoß gegen das staatliche Gesetz die Evolutionstheorie gelehrt zu haben. Der Prozess, in dem sich Religion und Evolutionslehre gegenüberzustehen schienen, erregte landesweit Aufmerksamkeit. Da die Behauptung der Evolutionstheorie, der Mensch stamme von einer „niedrigeren Ordnung von Tieren“ ab, so viel Aufsehen erregte, wurde der Prozess als „Affenprozess“ bekannt. Am Ende wurde Scopes zwar verurteilt, aber nur zu einer Geldstrafe von 100 Dollar. Die Geldstrafe wurde später aufgrund einer juristischen Formalität aufgehoben, doch Versuche, das Butler-Gesetz aus Gründen der Meinungsfreiheit und wegen der Etablierung religiöser Ansichten für verfassungswidrig zu erklären, scheiterten – bis 1968, als ein ähnliches Gesetz in Arkansas vom Obersten Gerichtshof der USA aufgrund des Verbots der Einführung einer Staatsreligion im Ersten Verfassungszusatz für verfassungswidrig erklärt wurde. Der Scopes-Prozess wurde 1955 in dem Stück Inherit the Wind von Jerome Lawrence und Robert E. Lee verarbeitet, das später mit Frederic March als Bryan und Spencer Tracy als Darrow (1960) verfilmt wurde.

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20 Andere Aktivisten, die mit Primaten arbeiten, wie Jane Goodall, scheinen eine ähnliche Ansicht zu vertreten. 21 Wise 2000. 22 Unlocking the Cage 2016. 23 Wise 2000. 24 Unlocking the Cage 2016. 25 Ebd. 26 Ebd. 27 Siehe grundsätzlich Schneewind 1998, der die Ideengeschichte der Autonomie in der westlichen Philosophie darstellt, und Dworkin 1988, dessen Arbeit als führende philosophische Darstellung in Bezug auf Wünsche höherer Ordnung gilt. 28 Wise 2000; Unlocking the Cage 2016. 29 Unlocking the Cage 2016. 30 Ebd. 31 Ebd. 32 Ebd. 33 Ebd. 34 Unlocking the Cage 2016; Wise 2000. 35 Unlocking the Cage 2016. 36 Ebd. 37 Vgl. Whitehead und Rendell 2017, S. 120 f. 38 Swift (1726) 2005, S. 135–184. 39 Vgl. hierzu generell Nussbaum 2004. 40 Vgl. generell ebd. 41 Vgl. hierzu generell Nussbaum 2010a. Vgl. auch Hasan, Huq, Nussbaum und Verma 2018. 42 Unlocking the Cage 2016. 43 Vgl. Whitehead und Rendell 2016. 44 Vgl. de Waal 1996. 45 Unlocking the Cage 2016. 46 Vgl. ebd. 47 Brulliard 2018. 48 White 2007. 49 Der „Spiegeltest“ überprüft die Fähigkeit eines Tieres, sein eigenes Bild in einem Spiegel zu erkennen. Dabei wird ein dunkler Fleck auf den Hinterkopf des Tieres gemalt, der nur im Spiegel sichtbar ist, sowie ein scheinbarer Fleck vergeben, den das Tier fühlt, der aber im Spiegel nicht sichtbar ist. Das anschließende Verhalten des Tieres – es reibt sich am Kopf, um den dunklen Fleck zu entfernen – zeigt, dass es den Fleck im Spiegel gesehen und mit seinem eigenen Kopf in Verbindung gebracht hat, und dass es nicht die taktile Empfindung des Flecks war, die zu dem Reibeverhalten führte. Dieser Test steht in engem Zusammenhang mit dem Erweis eines Selbstbewusstseins, obwohl umstritten

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ist, ob sein Bestehen nur eine notwendige oder eine hinreichende Bedingung für Selbstbewusstsein ist. 50 Wise sagt nicht viel über Emotionen, obwohl er auf das bemerkenswerte Beispiel einer angemessenen einfühlsamen emotionalen Reaktion hinweist. White hingegen hat einiges über die emotionalen Fähigkeiten von Menschen und Delfinen, ihre neuronale Basis und ihre Vielfalt zu sagen. 51 Dieses letzte Element wird von White nicht theoretisch hervorgehoben, doch viele seiner Beispiele scheinen davon Gebrauch zu machen. Es ist ein wenig unklar, ob dieser „angemessene“ Umgang mit anderen Personen für White eine notwendige Bedingung für das Personsein sein sollte, da er immer wieder betont, dass Menschen Delfine im Allgemeinen nicht wiedererkennen, obwohl sie tatsächlich Personen sind. Außerdem weist er auf die menschliche Aggressivität gegenüber anderen Menschen hin, die im Gegensatz zum nicht aggressiven Verhalten von Delfinen steht. 52 White 2007, S. 47. 53 Ebd., S. 166 f. 54 Ebd., Fußnote 8. 55 Ebd. 56 Ebd., S. 176. 57 Im Laufe des Buches vermengt White mehrere Bedeutungen des Begriffs „Individualismus“ miteinander: Zum einen bedeutet „Individualismus“, dass jedes einzelne Lebewesen zählt, ein Wesen mit Würde ist, das als Selbstzweck behandelt werden muss und nicht als Sache oder Eigentum behandelt werden darf. In dieser Bedeutung des Begriffs sind sowohl Delfine als auch Menschen Individuen, und das gilt (meiner Meinung nach) auch für alle anderen empfindungsfähigen Tiere. Eine zweite Bedeutung von „Individualismus“ ist die einsame Selbstgenügsamkeit: Ein Lebewesen kommt gut ohne andere aus. An dieser Stelle behauptet White, dass es einen großen Unterschied zwischen Delfinen und Menschen gibt: Sie sind zutiefst mit ihrer sozialen Gruppe verbunden, während wir Einzelgänger sind. Doch ich bin der Meinung, dass diese Behauptung nicht zutrifft. Schließlich verwendet White den Begriff „Individualismus“ auch im Sinne von „Egoismus“ und „Selbstsucht“ und meint damit, dass Menschen persönlich egoistischer sind als Delfine, für welche die Gruppe von entscheidender Bedeutung ist. Das ist eine interessante Behauptung, die aber schwer zu überprüfen ist. White weist nach, dass Delfine im Vergleich zu Menschen deutlich weniger aggressiv sind und offenbar nie tödlich aggressiv. Aber ist das wirklich ein Zeichen von Altruismus und der Kontrolle egoistischer Tendenzen? Das ist schwer zu sagen. Jedenfalls sollte White in dem Maße, in dem der Egoismus für das menschliche Leben von zentraler Bedeutung ist, entweder seine Kriterien für das Personsein überarbeiten (und die „angemessene Anerkennung und Behandlung anderer Personen“ nicht als notwendige Bedingung einbeziehen), oder er sollte bezüglich der Frage, ob Menschen Personen sind, skeptischer sein! 58 White 2007, S. 182. 59 Ebd., S. 188–200.

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3  Die Utilitaristen – Lust und Schmerz 1 Singer 1975. 2 Bekanntlich bringt Bentham für den Übergang vom „Ist“ zum „Soll“ kein Argument vor. 3 Bentham (1780) 1948. 4 Ebd., S. 310–311. 5 Ebd. 6 Ebd. 7 Ebd. 8 Zu den Quellen für diese und andere Anekdoten vgl. Boralevi 1984, S. 166. 9 Vgl. die Dissertation zu diesem Thema von Lee 2003. 10 Siehe Bentham (1823) 2021, als kostenloses E-Book unter www.gutenberg.org/ ebooks/42984 [zuletzt abgerufen am 28.09.2022]. 11 Korsgaard 2021, S. 159 (zitiert Singer). 12 Zu den adaptiven Präferenzen siehe Elster 1983. Amartya Sen entwickelt dieses Konzept in zahlreichen Artikeln; die wichtigsten Referenzen finden sich in Nussbaum 2000b, Kap. 2. 13 Nozick 1974, S. 42 f. In Anarchy, State, and Utopia ist der Wunsch, aktiv zu sein, der von Nozick am stärksten betonte Grund dafür, sich gegen das Anschließen an eine Erlebnismaschine zu entscheiden. In späteren Versionen betont er auch das Interesse, mit der Realität in Kontakt zu stehen und nicht in einer Traumwelt zu leben. 14 Natürlich könnte man ein besonderes Vergnügen erfinden und es das Vergnügen des Handelns nennen; Mill scheint dies zu tun. Aber solange dieses Vergnügen nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ von anderen Vergnügungen unterschieden wird, wird es schwierig sein, die in dem Beispiel enthaltene Intuition zu erfassen. Mill hat diesen Punkt verstanden, und seine Ansicht ist gegen meine Kritik immun. 15 Sidgwick (1907) 1981. 16 Zu Sidgwicks Leben und seinen politischen Aktivitäten siehe Schultz 2004. 17 Siehe de Lazari-Radek und Singer 2014. 18 So hat er sich zum Beispiel mit der Thematisierung des „Gefäßes“ bei Korsgaard auseinandergesetzt. Seine Antwort ist komplex. Zu seiner Darstellung der Ansicht über das „Gefäß“ vgl. Korsgaard 2021, S. 159. An anderer Stelle legt er diese, offenbar als Antwort auf ihre Kritik, jedoch in einer eingeschränkteren Form dar: „[I]n einigen Fällen – wenn Tiere ein angenehmes Leben führen, schmerzlos getötet werden, ihr Tod anderen Tieren kein Leid zufügt und die Tötung eines Tieres seinen Ersatz durch ein anderes ermöglicht, das sonst nicht gelebt hätte – ist die Tötung von Tieren ohne Selbstbewusstsein nicht falsch.“ (Singer 2011, S. 108). Wir sollten beachten, dass Singer der Meinung ist, die meisten Tiere hätten kein „Selbstbewusstsein“. 19 Singer 1975. 20 Singer 2011, S. 101.

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21 In The Point of View of the Universe erwähnen de Lazari-Radek und Singer einen weiteren Aspekt von Nozicks Szenario (de Lazari-Radek und Singer 2014, S. 257). Die objektive Sichtweise des Vergnügens, die in diesem Buch vertreten wird, macht Singer anfälliger für Nozicks Argumente, aber er schlägt vor, dass unsere Vorliebe für den Kontakt mit der Realität das Ergebnis einer Voreingenommenheit gegenüber dem Status quo ist. 22 Er führt den Wandel seiner Ansichten auf die Argumente von Sidgwick zurück und hat die Darlegung seiner neuen Sichtweise in dem gemeinsam mit de Lazari-Radek verfassten Buch fortgesetzt. Dieser Wandel trennt Singer von den ökonomischen Utilitaristen, mit denen er früher verbündet war, da diese die Wohlfahrt als Befriedigung von Präferenzen betrachten. Der Wandel ändert jedoch wenig an seinen Ansichten über die Behandlung von Tieren oder an den Einwänden gegen diese Ansichten. 23 Das University College in London bot Atheisten ab 1826 Abschlüsse und Stipendien an, wurde aber erst 1836 rechtlich als Hochschule innerhalb der Universität London anerkannt, und das war vermutlich zu spät für den Autodidakten Mill ohne Hochschulabschluss, der bereits 1823 begonnen hatte, gegen Bezahlung für die Britische OstindienKompanie zu arbeiten. Er blieb bis 1858 in dem Unternehmen. 24 Siehe Nussbaum (2004) 2005 und Nussbaum 2010b. Eine gute Gesamtdarstellung von Mill, mit deren Interpretationen ich weitgehend übereinstimme, findet sich in Brink 2013. 25 Mill 1963, Bd. XVI, S. 1414. 26 Mill 1963, Bd. X, S. 223. 27 Ebd. 4  Christine Korsgaards kantischer Ansatz 1 Kant macht gelegentlich anstößige rassistische Bemerkungen, die zu Recht kritisiert wurden. 2 Kant las die Stoiker (auf Latein, da er kein Griechisch konnte) und wurde offensichtlich von ihnen beeinflusst. Bentham schenkte der Geschichte der Philosophie nicht viel Aufmerksamkeit, und Mill warf ihm vor, er habe es versäumt, „Licht von anderen Köpfen zu erlangen“. 3 Kant (1798) 1974, 7, S. 127. 4 J. S. Mill, der die deutsche Philosophie liebte, kannte wahrscheinlich Kant, und er scheint die Fehler beider zu vermeiden, siehe Kapitel 3 und 5. 5 Korsgaard 2004. 6 Korsgaard 2018b. 7 Korsgaard 1981. John Rawls war der Vorsitzende ihres Dissertationskomitees, und ich war die Zweitgutachterin. 8 Kant zeigt keine detaillierte Kenntnis von Aristoteles, und seine kursorischen Verweise sind inkorrekt. 9 Kant (1788) 1955, AA, 5, S. 161. 10 Kant (1798) 1974, 7, S. 127, 425.

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11 Kant (1785) 2012. 12 Korsgaard 1996a. 13 Kant AA, S. 429. 14 Kants viertes Beispiel, das Verbot der Selbsttötung, ist unter Kantianern umstritten, und einige sehr angesehene Kantianer haben sich auf die kantische Idee der Autonomie berufen, um für den ärztlich assistierten Suizid zu argumentieren. 15 Natürlich geschieht dies gerade jetzt mit den Kindern von Einwanderern in die USA, aber es hat eine breite Empörung ausgelöst. 16 Siehe Korsgaard 2018b, S. 99, die einen längeren Abschnitt des Textes zitiert. Offensichtlich hat diese Passage sie zu ihrem Buchtitel inspiriert. 17 Es scheint eine klare Korrelation zwischen der grausamen Behandlung von Tieren und schlechtem Verhalten gegenüber Menschen zu geben, aber es ist schwer zu sagen, ob die Beziehung kausal ist oder ob es zwei miteinander verbundene Aspekte einer verzerrten Psychologie sind. 18 Siehe Korsgaard 2018b, S. 99–101 (mit Verweis auf Kants Vorlesungen über Ethik). 19 Ebd., S. 100 f. 20 Ebd., S. 103. Vgl. hierzu § 17 von Kants Metaphysik der Sitten, 6, S. 443. 21 Tiere wie wir ist den Katzen von Korsgaard gewidmet. 22 Korsgaard würde einwenden, dass ich mich bereits zu sehr auf Intuitionen verlasse, wie sie es den Aristotelikern in Korsgaard 1996b vorwirft. 23 Korsgaard 2018b, S. 27. 24 Ebd., S. 31. 25 Ebd., S. 14. 26 Ebd., S. 145, 426. 27 Ebd., S. 77. 28 Ebd., S. 139. 29 Ebd., S. 146. 30 Ebd., S. 237. 31 Ebd., S. 43. 32 Ebd., S. 40. 33 Ebd., S. 48. 34 Ebd., S. 47. 35 Ebd., S. 48–50. 36 Ebd., S. 50. 37 Der Tod von Elefanten auf indischen Bahngleisen, auf denen die Züge sich selten an die Geschwindigkeitsbegrenzung halten, kommt beklagenswert häufig vor, wie eine zufällige Internetrecherche zeigen kann; die Gruppe der erwachsenen Kühe versucht in der Regel, die Babys vor Schaden zu bewahren, selbst wenn dies für sie selbst tödlich ist. Siehe de Waal (1996), der sich mit der Selbstaufopferung von Elefanten beschäftigt. 38 Beobachtet auf einer Safari in Botswana im Jahr 2012. 39 Siehe de Waal 1996; de Waal 2006.

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Siehe de Waal 1989; de Waal 1996; de Waal 2006. Maestripieri und Mateo 2009. Whitehead und Rendell 2016. Safina 2020. Korsgaard 2006. Siehe Smuts 2001. Siehe auch de Waal 2019, S. 427.

5  Der Fähigkeitenansatz: Lebensformen und die Achtung vor den Lebewesen, die sie leben 1 Ich habe den Fähigkeitenansatz bereits in Kapitel 6 von Nussbaum 2006 auf Tiere ausgedehnt. Der Ansatz in diesem Kapitel (und den folgenden Kapiteln) ist ähnlich, aber weitaus detaillierter. 2 Der Ansatz wird auch als Human Development Approach bezeichnet, aber aus offensichtlichen Gründen verwende ich diesen Namen nicht mehr, und ich habe versucht, andere davon zu überzeugen, ihn nicht zu verwenden. Siehe meine Ausführungen in Nussbaum 2019. 3 Ich habe meine Version des FA in drei Büchern entwickelt: Nussbaum 2000b, Nussbaum 2006 und Nussbaum 2012. Das Letztgenannte enthält auch eine ausführliche Bibliografie anderer einschlägiger Veröffentlichungen von Sen und mir zu diesem Thema. Da es um die Arbeit vieler Theoretiker und nicht nur um meine eigene geht, verwende ich den Untertitel „menschliche Entwicklung“, obwohl ich ihn selbst nicht mag. 4 Siehe die Webseite der Human Development & Capability Association: hd-ca.org [zuletzt abgerufen am 05.10.2022]. 5 Ul Haq 1990. 6 Nussbaum 2000b, Kapitel 2. 7 Siehe Dickens (1854) 2021, Kapitel IX, als kostenloses E-Book unter www.gutenberg. org/ebooks/786 [zuletzt abgerufen am 05.10.2022]. 8 Wie ich in Nussbaum 2012 erörtere, entsprechen die internen Fähigkeiten dem, was im Humankapitalansatz als „Fähigkeiten“ bezeichnet wird, wie zum Beispiel in der Arbeit von James Heckman (die im Anhang dieser Publikation behandelt wird). 9 Wolff und de-Shalit 2008. 10 Anm. d. Übers.: Martha Nussbaum kritisiert in dieser Endnote die Terminologie von Wolff und de-Shalit. Eigentlich hätten sie von „fertile capabilities“ reden sollen, doch die Alliteration „fertile functionings“ sei wohl zu verlockend gewesen. 11 Dies ist meine Ansicht, nicht die von Sen. Er verwendet den Begriff der Fähigkeiten nur zu Vergleichszwecken. 12 Siehe Nussbaum 2012 und Nussbaum 2008, S. 428. 13 Nussbaum 2000b, Kapitel 2. 14 Rawls 1986. Rawls ist sich darüber im Klaren, dass es einige Zeit dauern kann, bis der übergreifende Konsens erreicht ist, und er bietet eine überzeugende Darlegung, wie sich die Menschen im Laufe der Zeit auf ihn zubewegen könnten.

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15 Dieses Beispiel stammt von dem französischen Philosophen Jacques Maritain, einem der Verfasser der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der beschrieb, wie die Verfasser aus Ägypten, China und anderen Nationen und Traditionen nach einer ethischen Sprache suchten, die einen Konsens herbeiführen könnte. Siehe Maritain 1951, Kapitel 4. 16 Vgl. dazu Nussbaum 2011. 17 Menschen, die sich für philosophische Typologien interessieren (Leser, auf die dies nicht zutrifft, überspringen bitte diese Endnote!), fragen häufig, ob meine Version des FA deontologisch oder konsequentialistisch ist: Erkennt er eine Reihe von moralischen Pflichten als zentral an oder strebt er in der Art des Utilitarismus nach einer Reihe guter Konsequenzen? Da es sich hierbei um Klassifizierungen aus dem Schulbuch und nicht um subtile philosophische Positionen handelt, dürfte es nicht überraschen, dass meine Antwort auf diese Frage kompliziert ausfällt. Dieser Ansatz hat eine starke deontologische Komponente in dem Sinne, dass der FA von einem Land verlangt, die Förderung jeder der Fähigkeiten des FA zu garantieren, und zwar bis zu einem bestimmten Schwellenwert – ansonsten hat es bei der Durchsetzung einer minimalen Gerechtigkeit versagt; und der Einzelne ist moralisch dazu verpflichtet, zu versuchen, diese Gerechtigkeit zu verwirklichen. Die Fähigkeiten sind jedoch ein ineinandergreifendes Bündel von Zielen, so wie die Menschen in ihrem Leben nach ineinandergreifenden Zielen streben. Menschen sind teleologische (zielgerichtete) Wesen, und die Fähigkeiten sind als Grundlage für ihr effektives Streben nach einer wie auch immer gearteten, von ihnen gewählten Form des gedeihlichen Lebens gedacht. (In gewisser Weise ist die eigene Aktivität der Menschen das Ziel, und die Fähigkeiten sind nur die Grundlage dafür; in politischer Hinsicht besteht das Ziel jedoch darin, die Fähigkeiten zu garantieren  – was danach kommt, bleibt den Entscheidungen der einzelnen Menschen überlassen.) Der Konsequenzialismus nimmt manchmal die Form der Förderung eines statischen Zustands wie Zufriedenheit oder Wohlbehagen an. Ich habe diese Art des Konsequenzialismus kritisiert. Es gibt aber auch Formen, die Aktivitäten oder die Möglichkeit zu Aktivitäten als intrinsisch wertvolle Ziele ansehen. Wie ich in Kapitel 3 angedeutet habe, scheint der Utilitarismus von John Stuart Mill dazu zu gehören. Mill bestand auch darauf, dass die Ziele vielfältig sind und sich in ihrer Qualität, nicht nur in ihrer Quantität voneinander unterscheiden. Außerdem zählte er die Achtung der Menschenwürde zu den wichtigen Merkmalen einer angemessenen Reihe von Zielen. Mill betrachtete seinen Utilitarismus als eine umfassende politische (und persönliche) Lehre, die andere, insbesondere religiöse Lehren ersetzen sollte. Das ist ein großer Unterschied zwischen meinem FA und Mills Ansichten, obwohl sich meine und Mills Ansichten in anderer Hinsicht ähnlich sind. Auch Amartya Sen hat seit Langem betont, dass der Konsequenzialismus mehrere Ziele haben kann, die sich qualitativ voneinander unterscheiden. 18 Dieses Wort wird in der Literatur zu den Rechten von Menschen mit Behinderungen häufig bevorzugt, da es mehr auf gemeinsame Aktivitäten hindeutet als das Wort „Vormund“.

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19 Poole et al. 2021, www.elephantvoices.org/elephant-ethogram.html [zuletzt abgerufen am 05.10.2022]. Siehe auch Angier 2021. 20 Siehe Nussbaum 2018b. 21 Amartya Sen 1983. 22 Siehe Smuts 2001. 23 Siehe Gordon 2020. Eine mögliche Sichtung von Fungie wurde noch 2021 von einer Tierschutzgruppe gemeldet, siehe Watkins und Truelove 2021. 24 Zum Zusammenhang siehe Nussbaum 2012. 25 Wie in der Einleitung erwähnt, habe ich dies als Amicus Curiae im Namen des Elefanten Happy eine schriftliche Stellungnahme abgegeben. Wise war sich meiner Differenzen zu seinem Ansatz voll bewusst, lud mich aber dennoch ein, den Schriftsatz beizusteuern und den FA hervorzuheben. Zu Thomas Whites jüngstem Eintreten für den FA siehe die Schlussfolgerung am Ende dieses Buches. 26 Siehe auch Korsgaard 2018b, S. 196, 191–214. 27 Vgl. ebd., S. 204–206. 28 Korsgaard 2018a; Korsgaard 2013. 29 Korsgaard formuliert diesen Gedanken unter Verwendung einer starken Unterscheidung zwischen Instinkt und Willen, die ich abgelehnt habe; ich akzeptiere allerdings ihren Grundgedanken. 30 Bradshaw 2020. 31 Natural Resources Defense Council v. Pritzker, 828 F.3d 1125, 9th Cir. 2016. 32 Vgl. ebd., S. 1142. Siehe allgemein Horwitz 2015, der das Sonarprogramm im Detail beschreibt. 33 Marine Mammals Protection Act (MMPA), 16 U.S.C. § 1361 et seq 1972. In Kapitel 12 werde ich auf das Gesetz näher eingehen. 34 Pritzker, 828 F.3d, S. 1142. 35 Ebd., S. 1130 f. 36 Richter Gould praktizierte 25 Jahre lang als Anwalt in Seattle, bevor er von Präsident Clinton zum Richter ernannt wurde. Er war auch als außerordentlicher Professor an der University of Washington School of Law tätig, ebenfalls in Seattle. Der Lehrplan dieser juristischen Fakultät umfasst eine breite Palette von Angeboten zum Thema Tiere, darunter „Küstenrecht“ und „Seerecht“. Rachel Nussbaum erhielt dort eine erstklassige Ausbildung im Tierrecht, die sie auf ihre spätere berufliche Laufbahn als Anwältin für Wildtiere vorbereitete. 6  Empfinden und Streben: eine Arbeitsgrenze 1 Aristoteles, Über die Bewegung der Tiere, Kap. 7, 701a33–36. 2 Es überrascht nicht, dass Philosophen mehrere unterschiedliche Ansichten vertreten; ich stelle hier eine gängige Ansicht vor, die ich selbst am überzeugendsten finde. 3 Tye 2017, S. 67 f. 4 James (1897) 2021, Vorwort, als kostenloses E-Book unter www.gutenberg.org/ ebooks/7118 [zuletzt abgerufen am 10.10.2022].

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5 Ein Beispiel ist Gowdy 1999, eine Schilderung des Lebens von Elefanten aus der Sicht der Elefanten. Sie basiert natürlich auf Sprache, allerdings auch auf Gowdys hervorragendem Verständnis der Forschungen darüber, wie Elefanten leben und denken. 6 Tye 2017, S. 86–88. 7 Siehe auch Tye 2016. 8 Nussbaum 1978, Kap. 7. 9 Balcombe 2016, S. 72. 10 Wodehouse (1952) 2008, S. 248. 11 Nussbaum 1978, Kap. 7. 12 Dawkins 2012, S. 92; siehe auch Tye 2017, S. 85. 13 Hilary Putnam und ich haben in Nussbaum und Rorty 1992 ein ähnliches Beispiel verwendet, um die aristotelische Ansicht zu illustrieren, dass Erklärungen auf der formalen Ebene als Erklärungen häufig denen vorzuziehen sind, die auf der untersten Ebene der Materie ansetzen. 14 Siehe Balcombe 2016, S. 72. 15 Anm. d. Übers.: Hier macht die Autorin Anmerkungen zur Pluralbildung, die zwar im Deutschen nicht zutreffen, aber trotzdem wiedergegeben werden sollen. Einige Tierschützer verwenden „fishes“ als Plural von „fish“, weil sie denken, dass der Plural „fish“ impliziert, dass diese Lebewesen keine Individuen seien. Das ist sprachlich gesehen falsch: Das Englische enthält solche unregelmäßigen Pluralbildungen. „Sheep“ ist ein weiterer solcher Fall, und ich kenne niemanden, der glaubt, dass die Verwendung des Plurals „sheep“ impliziert, dass jedes einzelne Schaf kein Individuum ist. 16 Rose et al. 2014. 17 Braithwaite 2010. 18 Ebd., Kap. 3. Siehe auch Balcombe 2016, S. 78–80. 19 Braithwaite 2010, S. 103 f. 20 Ebd., S. 104. 21 De Waal 2019. Weitere wichtige Studien über tierische Emotionen sind Bekoff 2008 und Safina 2015. 22 Lazarus 1991. Siehe Nussbaum 2001, Kap. 2. 23 De Waal 2019, S. 205. 24 Damasio 1994. Ich erörtere seine Erkenntnisse und die einiger anderer Neurowissenschaftler und Kognitionspsychologen in Nussbaum 2001, Kap. 2. 25 Damasio 1994, Kap. XV. 26 Ebd. 27 Ebd., S. 36. 28 Ebd., S. 44 f. 29 Siehe ebd., S. 46–51. Elliot durchläuft eine Reihe von Entscheidungstests, die nur eine Analyse und keine persönliche Entscheidung erfordern, und schneidet dabei sehr gut ab. Er formulierte eine Fülle von Handlungsoptionen. „‚Und nach all dem‘, sagte Elliot zu Damasio, ‚wüsste ich immer noch nicht, was ich tun sollte!‘“

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30 Nussbaum 1978, Kap. 7. 31 Tye 2017, Kap. 9. 32 Braithwaite 2010, S. 92 f. Sie beschreibt komplexe Experimente, in denen Fische, die vor der Wahl stehen, wie sie sich gegenüber potenziellen Konkurrenten positionieren sollen, eindeutig dieses Denkmuster anwenden. 33 Siehe Balcombe 2016, S. 25–39; Tye 2017, S. 114. Siehe allgemein Tye 2017, Kapitel 6. 34 Braithwaite 2010, S. 113. 35 Die eigentliche Taxonomie ist komplexer: Die beiden Hauptgruppen sind die ­Osteichthyes, die Knochenfische, von denen die Teleostier die bei Weitem größte Untergruppe sind, und die Chondrichthyes, die Knorpelfische, von denen die Elasmobranchier die größte Untergruppe sind; eine dritte Hauptgruppe umfasst die kieferlosen ­Fische Agnatha. 36 Tye 2017, S. 102. 37 Ebd., S. 103. 38 Ackerman 2016, S. 55 (dort wird Harvey Karren zitiert). 39 Emery 2016, S. 8. 40 Ebd. 41 Ebd., S. 11 (dort wird Thorpe 1956 zitiert). 42 Ackerman 2016, S. 58 fasst die Forschungen von Erich Jarvis zusammen. 43 Ebd., Kap. 3 fasst diese Forschung zusammen. 44 Pepperberg 2008. 45 Ackerman 2006, S. 40; Ackerman 2006, Kapitel 5; Emery 2016, S. 77–87, 174 f. 46 Ackerman 2006, Kapitel 4, siehe auch das bemerkenswerte Foto eines Laubenvogelbaus in Emery 2016, S. 77. 47 Tye 2017, S. 127 f. beschreibt Experimente, bei denen Hennen körperliche Anzeichen von Stress zeigten, wenn sich die Küken unwohl fühlten, weil die Luft ihr Gefieder zerzauste; die Hennen fingen dann an, beruhigend in Richtung ihrer Küken zu gackern. Viele Experimente haben gezeigt, dass Rabenvögel und Papageien – oft zum Zwecke der Täuschung – in der Lage sind, die Perspektive eines anderen Vogels einzunehmen. Andere Experimente zeigen, dass Raben mit Freude und Spielverhalten auf die fröhlichen spielerischen Darbietungen eines anderen Raben reagieren, aber auch negativ auf die Notsituation anderer, siehe Ackerman 2020, S. 162. Emery 2016, S. 158 f. findet Belege für Empathie im tröstenden Verhalten nach einem Kampf. Siehe auch Safina 2015 und Safina 2020, die ausführlich über die Fähigkeiten von Papageien berichten. 48 Ackerman 2006, Kapitel 7 fasst die Forschung zusammen. 49 Tye 2017, S. 131–133. 50 Godfrey-Smith 2016; Braithwaite 2010, S. 122, 134. 51 Braithwaite 2010, S. 122. 52 Siehe ebd., S. 122–129. Ähnliche Experimente wurden mit Garnelen durchgeführt. Siehe auch Tye 2017, S. 156–158. 53 Siehe Tye 2016 und Tye 2017, S. 141–156.

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54 Tye 2017, S. 144. 55 Ebd. S. 188. 56 Siehe „Jagadish Chandra Bose“ unter www.famousscientists.org/jagadish-chandrabose [zuletzt abgerufen am 10.10.2022]. 57 Siehe die Verweise in Tye 2017, S. 189. 58 Vgl. ebd., S. 189. Siehe auch Karpinski et al. 1999, S. 657. 59 Tye 2017, S. 189. 7  Das Übel des Todes 1 Ich habe dieses epikureische Argument in Nussbaum 1994, Kapitel  6 untersucht (und dabei Epikurs Brief an Menoiceus zitiert), und bin später mit einer etwas veränderten Position in Nussbaum 2013 wieder darauf eingegangen. 2 Lukrez, De rerum natura, übersetzt von Karl Büchner, Stuttgart 2008. 3 Siehe Nagel 1979, S. 1–10. Ähnliche Beispiele wurden in wichtigen Artikeln von John Martin Fischer entwickelt, auf die Nussbaum 2013 dialogisch antwortet. Vollständige Verweise auf Fischers Artikel finden sich dort. Fischer ist auch Herausgeber der wertvollen Sammlung Fischer 1993. Die neueste Zusammenfassung seiner Position findet sich in Fischer 2019. 4 Hier antworte ich direkt auf Fischer, der ein solches Beispiel anführt. 5 Furley 1986; McMahan 2002. 6 Für weitere Ausführungen zu diesen beiden falschen Tröstungen siehe Nussbaum 2013. 7 Siehe „The Makropulos Case: Reflections on the Tedium of Immortality“, in: Williams 1983, S. 82–100. 8 Siehe Nussbaum 1994. 9 Tatsächlich beschränkt Bentham das Töten auf wichtige menschliche Zwecke und schließt „mutwillige“ Tötungen aus, also Tötungen nur zum Vergnügen oder zur Erheiterung. Er hielt den Verzehr von Tieren für zulässig, wenn die Praktiken human sind, und aß sein ganzes Leben lang Fleisch – im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen, die das Essen von Fleisch ablehnten. 10 Siehe jedoch meine Einschränkungen zu Singer in Kapitel 3. 11 Lupo 2019. 12 Hare 1999, Kapitel 11, ursprünglich veröffentlicht in Hares Essays on Bioethics. Die Antwort von Singer findet sich allerdings nur im Jamieson-Band. 13 Siehe Balcombe 2016. 14 Für eine Verteidigung einer rein veganen Ernährung siehe Sherry 2013. 8  Tragische Konflikte und wie man sie überwindet 1 Der vererbte Fluch über das Haus, der das Dilemma verursachte, war nicht Agamemnons Schuld, und die Griechen glaubten auch nicht, dass er schuldig war. Tragische Dilemmata sind ebenso in anderen Kulturen der Welt bekannt – zum Beispiel im indischen Epos Mahabharata, einer Erzählung über einen Bürgerkrieg.

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2 Siehe Nussbaum 2000a. Das Beispiel des Agamemnon wurde von Bernard Williams in seinem wichtigen Artikel „Ethical Consistency“ in Williams 1973 verwendet. Siehe auch Nussbaum 1986, Kapitel 2. Hinsichtlich der Frage, wie diese Dilemmata logisch zu bewerten sind, plädieren einige für den Verzicht auf den Grundsatz „Sollen impliziert Können“, während Williams vorschlägt zu bestreiten, dass „Ich sollte A tun“ und „Ich sollte B tun“ den Satz „Ich sollte A und B tun“ impliziert. 3 Eine wichtige Abhandlung zu dieser Frage findet sich bei Walzer 1973. 4 Crawley 2006. 5 Die „3 V“ stammen von Russell und Burch 2012 [Anm. d. Übers.: im Englischen 3 „R“: reduction, refinement und replacement]. 6 Nuffield Council on Bioethics 2005, www.nuffieldbioethics.org/assets/pdfs/The-ethics-of-research-involving-animals-full-report.pdf [zuletzt abgerufen am 12.10.2022]. 7 Einschließlich Beauchamp und De Grazia 2020. 8 Akhtar 2015. 9 Ebd., Rowan 2015. 10 Siehe Kitcher 2015. 11 Beauchamp und De Grazia 2020. Dieses wertvolle Buch enthält kritische Beurteilungen der von Beauchamp und De Grazia vorgeschlagenen Grundsätze, die von einer Vielzahl von Wissenschaftlern und Ethikern stammen. 12 Ebd., S. 15. 13 Ebd., S. 66. 14 Das Guaranteed Rate Field [Anm. d. Übers.: Name des Baseballstadions der Chicago White Sox] bietet vegetarisches Chili und Veggie-Burger an; das Coors Field in Denver bietet vegane Pizza, Veggie-Burger und Veggie-Hotdogs an. 15 In diesem Abschnitt stütze ich mich stark auf zwei Artikel: Holland und Linch 2017 sowie Nussbaum (Wichert) und Nussbaum 2017a. 16 Holland und Linch 2017, S. 322. 17 Ebd. 18 Diese beiden Fälle sind Holland und Linch 2017) entnommen, die weitere Quellen dafür angeben. 19 Für eine ausführliche Behandlung dieses Falles siehe Nussbaum (Wichert) und Nussbaum 2017a mit Verweis auf verschiedene Quellen zu dieser Kontroverse. Der zitierte Satz, der die Ausnahme formuliert, stammt eigentlich aus einem Vorgängergesetz von 1931; das aktuelle Übereinkommen (von 1946) ist jedoch sehr ähnlich. 20 Siehe White und Rendell 2015, Kapitel 2, die alle prominenten Kontrahenten untersuchen. 21 Siehe Narayan 1997. 22 Siehe Benhabib 1995, S. 235–255. 23 Man könnte hiermit die Behauptung der kommunitaristischen politischen Philosophen Dan M. Kahan und Tracey L. Meares vergleichen, dass die Rechte aus dem Vierten Verfassungszusatz gegen ungerechtfertigte Durchsuchung und Beschlagnahme

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immer dann aufgehoben werden sollten, wenn die lokale afroamerikanische Gemeinschaft (d. h. alle, die zu einer Versammlung erscheinen) dafür stimmt, sie auszusetzen, siehe Kahan und Meares 1999. 24 Scully 2002, S. 175 f. 25 Ebd. 26 Ebd. 27 Siehe Nussbaum 2000b, Kapitel 1. 28 Devlin 1959. 29 D’Amato und Chopra 1991, S. 59. 30 Linch und Holland 2017, S. 322–336. 31 Lear 2008. 32 Siehe Burkert 1996. 33 Eine der erfolgreichsten Opern der letzten Zeit ist Jake Heggies Moby Dick, die beispielhaft zeigt, wie zeitgenössische Medien die Brutalität gegenüber Walen für die Bühne verfügbar machen. 34 Siehe Conor 2021. 35 Siehe Delon 2021. 36 Siehe Swanson 2019. 37 Siehe Bever 2019. 38 Eine Gruppe, die sich für eine solche komplexe Lösung einsetzt, ist GroupElephant, die sowohl mit Elefanten als auch mit Nashörnern in Afrika arbeitet und gleichzeitig die ländlichen Dörfer einbezieht, siehe groupelephant.com [zuletzt abgerufen am 12.10.2022]. 39 Sen 1996. 9  Tiere, die mit uns leben und in unserer Nähe leben 1 Befragung von Haustierbesitzern in den Jahren 2019/20, durchgeführt von der American Pet Products Association (APPA). 2 Siehe Rollin 2018. Diese Zahl ist, verglichen zu 56 Prozent im Jahr 1988, angestiegen. 3 Obwohl es sich hier um eine poetische Fiktion handelt, schildert sie Tier-MenschBeziehungen, die in der griechischen Welt üblich gewesen zu sein scheinen. 4 Homer, Odyssee, Buch XVII, S. 290–327. 5 Siehe grundsätzlich Homer, Odyssee, Buch XVII. 6 Siehe Rollin 2018. Ich werde diesen Aufsatz an späterer Stelle besprechen. Siehe auch Katz 2004. 7 Donaldson und Kymlicka 2011. 8 Für wichtige philosophische Arbeiten zur asymmetrischen Abhängigkeit siehe Kittay 1999. 9 Francione 2008; Francione und Charlton 2015. Für weitere Kritiken an seinem Ansatz siehe Donaldson und Kymlicka 2011 sowie Zamir 2007.

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10 Und natürlich kann ein Besitzstück selbst keine Eigentumsrechte haben. Dennoch haben Tiere nach geltendem Recht überraschenderweise einige Eigentumsrechte, siehe meine Besprechung von Karen Bradshaws Buch in Kapitel 5. 11 Das englische Wort collaborator [Helfer, Begleiter, Mitstreiter] wird in der Bewegung für Behindertenrechte verwendet und von Donaldson und Kymlicka 2001, Kapitel 2 gewinnbringend auf die Mensch-Tier-Beziehung übertragen. 12 Sunstein 2000, S. 1333, 1342, 1363 f., 1366. 13 Cole 2014. 14 Beam 2009. 15 Burgess-Jackson 1998. 16 Ich danke Rory Hanlon für diese Information. 17 Anm. d. Übers.: Dies ist eine USA-spezifische Verpflichtung, denn in Deutschland ist es üblich, dass Kinder alleine zur Schule gehen und gegebenenfalls vor dem Eingang auf Einlass warten müssen. 18 Ich danke Rory Hanlon für diese Information. 19 Siehe „Should the Tail Wag the Dog?“, in: Orlans et al. 1988, Kapitel 15, S. 273–287. 20 Eine nützliche Zusammenfassung der American Society for the Prevention of Cruelty to Animals (ASPCA) zur Situation von Hunden und Katzen in Tierheimen findet man unter www.aspca.org/animal-homelessness/shelter-intake-and-surrender/pet-statistics [zuletzt abgerufen am 18.10.2022]. 21 Aguirre 2019. 22 Piscopo 2004, thehorse.com/16147/injuries-associated-with-steeplechase-racing [zuletzt abgerufen am 18.10.2022]. 23 Siehe Donaldson und Kymlicka 2011, S. 139. 24 Ebd. 25 Ebd., S. 136. 26 Ebd. 27 Siehe ebd. (Diskussion über Höfe als Zufluchtsorte). 10  „Wildtiere“ und die menschliche Verantwortung 1 Einen Entwurf dieses Kapitels zeigte ich meiner Tochter Rachel vor ihrer letzten Erkrankung, als sie noch bei Friends of Animals in Denver als Anwältin für Regierungsangelegenheiten arbeitete. Sie sagte, sie stimme mit meinem Ansatz überein, doch viele andere Leute würden das nicht tun! 2 Dieser Abschnitt überschneidet sich mit einem Abschnitt von Kapitel 6 in Nussbaum 2006, obwohl ich die Behauptung jetzt noch deutlicher formuliere. 3 Siehe ebd. (dort wird Botkin 1996 diskutiert). 4 Siehe Bradshaw 2020. 5 Siehe beispielsweise van Doren et al. 2017. 6 Für eine Diskussion siehe Kapitel 12. 7 Feingold 2019.

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8 Siehe z. B. Renkl 2021. Ein gutes Beispiel für eine Organisation in meiner Stadt, die eine solche Beratung anbietet, ist die Flint Creek Wildlife Rehabilitation, flintcreekwildlife.org [zuletzt abgerufen am 21.10.2022]. 9 Chicago Zoological Society 2001, www.czs.org/Chicago-Zoological-Society/ About/Press-room/2021-Press-Releases/Update-on-Amur-Tiger’s-Second-Surgery-atBrookfiel [zuletzt abgerufen am 21.10.2022]. 10 Siehe „Veterinarians in Wildlife and Ecosystem Health“, in: National Research Council 2013, Kapitel 7. 11 Beauchamp und de Grazia 2020. 12 Siehe Siebert 2019a. Siehe auch Siebert 2019b. 13 Siebert 2019a, S. 42. 14 Ebd. S. 26–33, 42, 45. Der Artikel erörtert alternative und realisierbare Vorschläge, die gemacht wurden, um den Umweltstress, dem die Herde ausgesetzt war, zu bewältigen, und er macht auch deutlich, dass die Naturschutzgruppe GroupElephant angeboten hatte, alle Kosten für den Transfer der Elefanten in ein Wildtierreservat in Südafrika zu übernehmen. 15 Blackfish 2013. 16 Siehe die Diskussion in Nussbaum (Wichert) und Nussbaum 2019. 17 Stevens 2020, 8forty.ca/2020/06/10/even-years-after-blackfish-seaworld-still-hasorcas [zuletzt abgerufen am 21.10.2022]. 18 Siehe Whitehead und Rendell 2016. 19 Ebd. 20 White 2007, S. 198–215. 21 Berger 2020, www.buckettripper.com/snorkeling-and-diving-with-dolphins-in-eilat-israel [zuletzt abgerufen am 21.10.2022]. 22 Dieses Beispiel stammt vom Zoo in der Bronx; ich kann die Quelle jedoch nicht mehr online finden. 23 Siehe allgemein animals.sandiegozoo.org/animals/leopard [zuletzt abgerufen am 21.10.2022]. 24 McMahan 2010. Angesichts der Kürze und des spekulativen Charakters dieses Beitrags scheint es unfair, McMahan eine philosophische Theorie zu diesem Thema zuzuschreiben. 25 Ein hervorragendes Beispiel für die neue philosophische Forschung zu diesen Fragen findet sich in Delon 2021. 11  Können Menschen und Tiere befreundet sein? 1 Pitcher 1995, S. 20. 2 Siehe Smuts 2001. 3 Krug 1995. 4 Krug 1995, S. 20. 5 Ebd., S. 32.

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6 Pitcher erwähnt die Beziehung in dem Buch nicht – teils, weil es in einer Zeit geschrieben wurde, in der man solche Dinge unter Verschluss hielt, teils, weil es für Familien gedacht war. In ihrem Leben haben sie jedoch nichts verheimlicht. 7 Pitcher 1995, S. 30 f. 8 Ebd., S. 160 f. 9 Ebd., S. 161. 10 Ebd., S. 162. 11 Ebd., S. 46 f. 12 Ebd., S. 53. 13 Ebd. 14 Smuts 2001. 15 Ebd., S. 295. 16 Ebd. 17 Ebd., S. 295. 18 Ebd., S. 299. 19 Ebd., S. 300. 20 Ebd., S. 301. 21 Siehe Poole 1996. 22 Ebd., S. 275. 23 Ebd., S. 270. 24 Ebd., S. 276. Sowohl männliche als auch weibliche afrikanische Elefanten sondern diese Sekrete ab. 25 Ebd., S. 276. 26 Townley 2011. 27 Ein hervorstechender Fall ist der Film Bedtime for Bonzo aus dem Jahr 1951, in dem ein Psychologieprofessor (gespielt von Ronald Reagan) versucht, einem Schimpansen menschliche Moral beizubringen und damit die Überlegenheit der Erziehung gegenüber der Natur zu beweisen. Niemand, der an diesem Film beteiligt war, scheint sich für das reale moralische Leben der Schimpansen in ihrer eigenen Gruppe interessiert zu haben. 28 Vgl. Whitehead und Rendell 2016. 29 Amos 2015. 30 Siehe web.archive.org/web/20070701010523/http://news.ninemsn.com.au/article. aspx?id=255770. Der Artikel fasst die Ansichten der Aktivisten zusammen, die sich gegen die Adoption von Knut durch den Zoo einsetzten. 31 De Waal 2019. 32 Ebd., S. 20. 33 Ebd., S. 13. 34 Pepperberg 2008. Für weitere wissenschaftliche Details siehe Pepperberg 1999. 35 Vgl. Bekoff 2008.

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12  Die Rolle des Rechts 1 Siehe Sen 2009. Ich antworte auf Sen in Nussbaum 2016b. 2 Für diesen Abschnitt bin ich Sunstein 2000 zu Dank verpflichtet. 3 Sunstein 1999, S. 5 f. 4 Animal Welfare Act (AWA), 7 U.S.C. § 2131 ff. 1966. 5 Ebd. 6 Ebd. 7 Ebd. 8 Anti-Vivisection Society v. United States Department of Agriculture, 946 F.3d 615, D.C. Cir. 2020: Das Berufungsgericht hat den Klägern vor Kurzem eine Klagebefugnis zuerkannt und den Antrag des USDA, die Klage abzuweisen, abgelehnt. 9 Gesetz über gefährdete Arten (Endangered Species Act, ESA), 16 U.S.C. § 1531 ff.1973. 10 Das Gesetz über wilde, freilebende Pferde und Esel (Wild Free-Roaming Horses and Burros Act, WFHBA), 16 U.S.C. § 1331 ff. 1971. 11 Ebd. 12 Gesetz zum Schutz der Meeressäugetiere (Marine Mammals Protection Act, MMPA), 16 U.S.C. § 1361 ff. 1972. 13 Ebd. 14 Ebd. 15 Gesetz zum Schutz von Zugvögeln (Migratory Bird Treaty Act, MBTA), 16 U.S.C. § 703 ff. (1918). 16 Ebd. 17 Für die aktuelle Liste der geschützten Vögel siehe „List of Migratory Birds“, 50 C.F.R. 10.13 (2000), www.govinfo.gov/app/details/CFR-2000-title50-vol1/CFR-2000-title50vol1-sec10-13 [zuletzt abgerufen am 27.10.2022]. 18 North Slope Borough v. Andrus, 486 F.Supp. 332, 361-2, D.C. Cir. 1980. 19 Vereinigte Staaten v. Moon Lake Elec. Association, 45 F.Supp.2d. 1070, 1074, D. Colo. 1999. In der Folge gingen andere Energieversorgungsunternehmen Vergleiche ein, um einen Prozess in derselben Angelegenheit zu vermeiden. 20 Newton County Wildlife Association v. Vereinigte Staaten, 113 F.3d 110, 115, 8th Cir. 1997. 21 Seattle Audubon Soc. v. Evans, 952 F.2d 297, 302, 9th Cir. 1991. 22 Siehe Friedman 2021; Friedman und Einhorn 2021. 23 Siehe „Regulations Governing Take of Migratory Birds“. 50 C.F.R. 10 (2021). www. govinfo.gov/app/details/FR-2021-01-07/2021-00054 [zuletzt abgerufen am 27.10.2022]. 24 Hollingsworth v. Perry, 570 U.S. 693, 2013. 25 Elk Grove Unified School District v. Newdow, 542 U.S.1, 2004. 26 Lujan v. Defenders of Wildlife, 504 U.S. 555,1992. 27 Nair v. Union of India, Kerala High Court, Nr. 155/1999, Juni 2000. Für spätere Fälle, die zu demselben Ergebnis kamen, einschließlich eines Falles am Obersten Gerichtshof aus dem Jahr 2014, siehe Shah 2019, www.nonhumanrights.org/blog/punjab-haryanaanimal-rights [zuletzt abgerufen am 27.10.2022].

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28 Sunstein 1999; Sunstein 2000. 29 Animal Legal Defense Fund v. Espy, 23 F.3d 496, D.C. Cir. 1994. 30 „Wettbewerbsverletzungen“ übergehe ich. Sie wurden von Sunstein kurz behandelt und für wenig aussichtsreich befunden. 31 Lujan v. Defenders of Wildlife, 504 U.S. 555, 1992; Sierra Club v. Morton, 405 U.S. 727, 1972; Humane Society of the United States v. Babbitt, 46 F.3d 93, D.C. Cir. 1995. 32 Japan Whaling Association v. American Cetacean Society, 478 U.S. 221, 1986. 33 Animal Legal Defense Fund v. Glickman, 154 F. 3d 426, 1998. 34 Ebd., S. 429. 35 Sierra Club v. Morton, 405 U.S. 727, 1972. 36 Ebd., S. 752 (Widerspruch von Douglas). 37 Ebd., S. 745 (Widerspruch von Douglas). 38 Ebd., bei 752 (Widerspruch von Douglas). 39 Cetacean Community v. Bush, 386 F.3d. 1169, 9th Cir. 2004. 40 Ebd., S. 1175. 41 Palila v. Hawaii Department of Land and Natural Resources, 639 F.2d 495, 9th Cir. 1981. 42 Für diese Anregung bin ich Jared B. Mayer zu Dank verpflichtet. Nachdem ich dieses Kapitel verfasst hatte, lernte ich die entsprechenden Arbeiten von David Favre in Favre 2000 und Favre 2010 kennen. Favres Tätigkeit bezieht sich auf das geltende Rechtssystem, das nur Tieren, die jemandem gehören, treuhänderische Rechte und eine Art Klagebefugnis einräumt. Er geht also davon aus, dass es – zumindest um konkrete Fortschritte zu erzielen – zulässig ist, Tiere als „lebendes Eigentum“ zu halten. Dies bestreite ich natürlich. Außerdem bieten sie nur für eine begrenzte Kategorie von Tieren einen rechtlichen Fortschritt, in erster Linie für Haustiere. Dennoch sind es sehr gute Arbeiten, und es ist interessant zu sehen, wie weit der Schutz aufgrund eines Ansatzes gehen kann, der im geltenden Recht mit all seinen Mängeln verwurzelt ist. 43 Siehe Scott und Chen 2019, S. 227, 229. 44 Mayer 2020. 45 Für den neuesten Stand vgl. www.humanesociety.org/sites/default/files/docs/2020Horrible-Hundred.pdf [zuletzt abgerufen am 27.10.2022]. 46 Brulliard und Wan 2019. 47 Siehe Source Watch: www.sourcewatch.org/index.php/_puppy_mills [zuletzt abgerufen am 27.10.2022]. 48 Holman 2020. 49 Gesetz der Stadt Chicago, § 4-384-015, 2014. 50 Part Pet Shop v. City of Chicago, 872 F.3d 495, 7th Cir. 2017. 51 Associated Press 2020, apnews.com/article/8f5dada41cb7a4afc25403d4c93365f5 [zuletzt abgerufen am 27.10.2022]. 52 Spielman 2021.

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53 Siehe PAWS: www.paws.org/resources/puppy-mills [zuletzt abgerufen am 27.10.2022]. 54 Für einen umfassenden Überblick des Animal Legal Defense Fund zu diesem Thema mit einer Karte, die zeigt, wie die Dinge in den Vereinigten Staaten derzeit stehen, siehe aldf.org/issue/ag-gag [zuletzt abgerufen am 27.10.2022]. 55 Pachirat 2011. 56 Vgl. die Website der Europäischen Kommission zur Diskussion der Lebensmittelsicherheit: ec.europa.eu/food/sites/food/files/animals/docs/aw_european_convention_ protection_animals_en.pdf [zuletzt abgerufen am 27.10.2022]. 57 Verordnung Nr. 2008/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, L47/5, 2018. 58 Siehe Animal Protection Index: api.worldanimalprotection.org [zuletzt abgerufen am 27.10.2022]. 59 In diesem Abschnitt stütze ich mich weitgehend auf drei Artikel, die von mir und meiner verstorbenen Tochter Rachel Nussbaum Wichert gemeinsam verfasst wurden. Die meisten rechtlichen Analysen und Diskussionen über das Internationale Übereinkommen zur Regelung des Walfangs und die Internationale Walfangkommission stammen von ihr. Diese Artikel enthalten umfangreiche Verweise auf die juristische Literatur, die ich hier nicht wiedergeben möchte. Siehe Nussbaum (Wichert) und Nussbaum 2017a; Nussbaum (Wichert) und Nussbaum 2017b; Nussbaum (Wichert) und Nussbaum 2019. 60 Sonic Sea 2016. 61 Eine umfassende Darstellung des Vertrages und seiner Geschichte findet sich in Fitzmaurice 2017, legal.un.org/avl/pdf/ha/icrw/icrw_e.pdf [zuletzt abgerufen am 27.10.2022]. Siehe auch ihr Buch Fitzmaurice 2015. Siehe auch Dorsey 2014, S. 448. 62 Whaling in the Antarctic (Australia v. Japan: New Zealand intervening), International Ct. 2014, www.icj-cij.org/en/case/148 [zuletzt abgerufen am 27.10.2022]. 63 Fujise 2020. 64 Institute of Cetacean Research v. Sea Shepherd Conservation Society, 725 F.3d 940, 9th Cir. 2013. 65 Siehe mein ausführlicher Bericht über Kozinskis Rücktritt aufgrund von Vorwürfen der sexuellen Belästigung in Nussbaum 2021. 66 Gillespie 2005, S. 218 f. (dort wird der neuseeländische Vertreter bei der IWC zitiert). 67 Siehe us.whales.org/issues/aboriginal-subsistence-whaling [zuletzt abgerufen am 27.10.2022]. 68 Ebd. 69 Besonders bemerkenswert ist Rebecca Giggs 2020. In ihren lebendigen und leidenschaftlichen Texten legt Giggs eindringlich dar, dass Wale nicht nur für sich genommen wichtig sind, sondern auch die Tiefe und Einsichtsfähigkeit unserer Menschlichkeit auf die Probe stellen.

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70 Zu dieser Zeit war Neuseeland zwar noch nicht völlig unabhängig von Großbritannien, aber es gab auch andere Provinzen, die Frauen ebenfalls frühzeitig das Wahlrecht gewährten. 71 Siehe mein Kapitel über Stolz in Nussbaum 2021. Schlussbetrachtung 1 Siehe White 2015. Er zitiert insbesondere meine frühere Arbeit Nussbaum 2006. 2 Zu diesem und anderen Beispielen für Benthams Tierliebe siehe Kapitel 3. 3 Ich diskutiere diese Emotion ausführlicher im letzten Kapitel von Nussbaum 2018a. 4 Rott 2021. 5 Harvey 2021. 6 Animal Legal Defense Fund 2021, aldf.org/article/animals-recognized-as-legal-persons-for-the-first-time-in-u-s-court [zuletzt abgerufen am 28.10.2022]. Für die Stellungnahme siehe Community of Hippopotamuses Living in the Magdalena River v. Ministerio de Ambiente y Desarrollo Sostenible, 1:21MC00023, S.D. Ohio 2021. 7 Wie in Kapitel 12 erörtert, haben indische Gerichte seit 2000 (in Kerala) und seit 2014 (im ganzen Land) Tieren den Status von Personen zuerkannt. Eine Richterin in Argentinien entschied 2016, dass Cecilia, ein Schimpanse, der anschließend in eine Auffangstation in Brasilien überführt wurde, eine Person mit rechtlichem Status ist. Siehe Samuels 2016. Auch Kaavan, einem pakistanischen Elefanten, der 2020 in ein Schutzgebiet in Kambodscha überführt wurde, wurden Persönlichkeit und Rechtsfähigkeit zugesprochen. Seine Geschichte ist Gegenstand des Dokumentarfilms Cher and the Loneliest Elephant (2021), der die Rolle der Schauspielerin Cher sowie verschiedener Tierschutzgruppen bei seiner Freilassung beschreibt. Nach Angaben des Nonhuman Rights Project (E-Mail-Korrespondenz) sind dies (und die Nachrichten aus Kolumbien) die einzigen Beispiele für den Schutz der Persönlichkeit von Tieren, die es bisher gibt. 8 Osborne 2021. 9 Levenson 2021. 10 Carrington 2020.

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Register

A Acheson, Dean  348 Achtundzwanzig-Stunden-Gesetz, USA, Geflügel ausgenommen von  343 adaptive Präferenzen  73, 77, 79 f., 111, 370 Affen  11, 50–52, 54, 57 f., 61, 101, 200, 219, 276 f., 281, 284, 293, 314, 316 f., 36 Affen, die in menschlichen Lebensräumen leben  293 Afrika  225 f., 267, 281, 283, 312, 380 Aischylos 209 Akhtar, Aysha  216 Alabama, Gesetze zur Einschränkung der Berichterstattung in  342 Alex (Papagei)  175, 317–319 Alex (Pavian)  296, 309 Alex und ich (Pepperberg)  317 Alien Torts Statute [Gesetz zur Anklage von Piraten in den USA], USA (1798) 352 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 374 Alter, Robert  49 Altruismus, bei Tieren  100, 369 Amboseli-Nationalpark (Kenia)  13, 310 f. American Kennel Club (AKC)  237 f., 341 Amerikanische Gesellschaft zur Verhütung von Grausamkeiten gegenüber Tieren (ASPCA)  339, 381 Anarchie (Nozick)  370 Angst  34, 359 Anpassungsfähigkeit 175 Anpassung  57, 73, 135 Anthropomorphismus  48, 131, 155 Anthropozän  208, 228 Anthropozentrismus  48, 56 f., 59, 61–63, 85, 150, 316, 318, 328, 357 f. Antigone (Sophokles)  210

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Antwort auf Whewell (Mill)  80 Aras, soziales Lernen durch  102 Argos (Odysseus’ Hund)  229 f., 233, 255 Aristoteles  10, 34–37, 45 f., 71, 74, 78, 81, 85 f., 94, 148, 157–159, 168 f., 180, 184, 200, 233, 299, 371 Arnheimer Affenkolonie  276, 284, 316 artgerechte Tierhaltung  188 f., 198 Ashoka (Hindu-Kaiser)  7 Asiatische Singvögel, Aussterben in freier Wildbahn 9 Australien  14, 254, 269, 315, 350

B Balcombe, Jonathan  173, 202 Bär (ein Hund)  248 Bären  8 f., 293 f., 315, 335 Bärenhetze 90 Batson, C. Daniel  39 Beauchamp, Tom L.,  217, 219 Beck, Glenn  241 f. Behaviorismus  150, 165 Belugawale, Jagd auf  348 Beluga-Wal-Komitee von Alaska  348 Bendik-Keymer, Jeremy  35, 366 Bentham, Jeremy  21 f., 65–78, 80–84, 90, 127, 138, 147, 171, 187, 195, 199, 201, 215, 354, 357 f., 370 f., 378, 387 Berglöwen  225 f. Berichte über die menschliche Entwicklung, UN-Entwicklungsprogramm  109, 115 Berufungsgericht der USA für den 8. Bezirk, Entscheidung zum Wandervogelschutzgesetz  329, 342, 360 Bewegung  16, 18, 24, 26–28, 35, 38, 45, 73 f., 127, 131, 138, 140, 147 f., 159–161, 168 f., 174, 180–182, 198, 211, 213, 218, 231, 235, 238, 243–245, 251, 256, 276, 279, 281, 296, 327, 359

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Register

Beziehungen zu anderen Tierarten, als zentrale Fähigkeit  117 Beziehungen zwischen verschiedenen Arten,  136 f.; siehe auch Begleittiere Bezirksgericht für den südlichen Bezirk von Ohio, Flusspferde als juristische Personen anerkannt vom  360 Bienen, Vermeidungslernen von  179 f. Bill of Rights (Grundrechtskatalog), USA 136 Biodiversität  9, 140 Blackfish (Der Killerwal, Dokumentarfilm)  279, 284, 313, 348, 353 Blake, William  263, 290 Bonobos  52, 100, 130 Bose, Jagadish Chandra  182 Botswana, große Reservate in  278, 290 f. Bowring, John  69 Bradshaw, Karen  144 Braithwaite, Victoria  162–164, 173, 177, 180, 183 Brände, menschliche Ursachen  271 Brookfield Zoo (Chicago)  31, 275 Bruttoinlandsprodukt  109 f., 119 Bryan, William Jennings  51, 367 Buddhismus  7, 39, 44, 121, 130, 184, 187 Bundesberufungsgericht für den Bezirk Washington, Gesetz über den Schutz von Zugvögeln und der  331 Burgess-Jackson, Keith  244 Bush, George W.  49 Butler-Gesetz (Tennessee)  50, 367

C Cecilia (Schimpanse), ihr rechtlicher Status 387 Chateaubriand, François-Rene de  263 f. Cher and the loneliest Elephant (Cher und der einsamste Elefant) (Dokumentarfilm) 387 Cher, Tierschutzaktivismus von  387 Chippewa, Volk der  221, 224

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Chopra, Sudhir  223 Christentum  46–48, 50, 223 Chrysippus  47 f. Cicero  20, 48, 291, 299 CITES (internationaler Vertrag über den Handel mit gefährdeten frei lebenden Tieren und Pflanzen)  9 Coming of Age with Elephants (Poole)  13, 310–312 Cone, Ed  17, 303 Cornell Labor für Ornithologie  16 COVID -19 Pandemie  20, 30, 62, 244, 255 Crow, Volk der  224

D D’Amato, Anthony  223 Damásio, António  166 f. Dänemark, Verkauf von Walfleisch in  221, 353 Dante Alighieri  355 Daphne (Pavian)  296, 309 Darrow, Clarence  51, 367 Darwin, Charles  50 f. Darwin, Erasmus  182 Davidson, C. Girard  349 Dawkins, Marian Stamp  161 de Lazari-Radek, Katarzyna  371 De motu animalium (Aristoteles)  38 de Waal, Frans  57 f., 100, 102, 130, 165, 168, 174, 218, 280, 316 f. DeGrazia, David  217, 219 Delfine  10, 17, 57, 59–64, 101, 103, 124, 130, 135 f., 141, 185, 285 f., 299, 314, 353, 358, 369 Denver, Universität von  20 Descartes’ Error (Descartes’ Irrtum) (Damásio) 166 de-Shalit, Avner  114 Detroit, Zoo von  282 Deutsche Schäferhunde  17, 171, 237, 248, 285 Devlin, Herr  223 Dickens, Charles  112

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ANHANG

Die Befreiung der Tiere (Singer)  65, 75 f., 139 Die Grenzen der Gerechtigkeit (M. C. Nussbaum) 20 Die Kultur der wilden Tiere (Safina)  101 Die vier Stufen der Grausamkeit (Hogarth) 90 Disadvantage (Wolff und de-Shalit)  114 Do Fish Feel Pain? (Fühlen Fische Schmerz?) (Braithwaite)  162 f. Dog Mother Rescue Society  341 Dolphin Reef (Israel)  286 Dominion (Buch von Matthew Scully)  49, 222 Donaldson, Sue  231, 240, 242, 251 f., 255, 258 Dörflein, Thomas  315 Dougherty, Michelle  347 Douglas, William O., Sierra Club v. Morton  335 Dürreperioden  31, 271, 274, 276, 281, 283 f., 287 f.

E Echoortung  61, 124, 298 Effi Briest (Fontane)  102 f. Eichhörnchen  268 f., 293 Eigentumsrechte, als zentrale Fähigkeit 177 Einsiedlerkrebse 178 Eisbären  9, 57, 140, 271, 274, 284, 315 f., 324 Elche, übergroße Population der  294 Elefanten  8 f., 13 f., 19, 21, 26, 30 f., 48, 52, 55, 100 f., 103 f., 124 f., 130 f., 134, 136, 138, 140 f., 200, 208, 225–227, 232, 267, 272, 277–280, 282–284, 291, 298, 302 f., 310–313, 318, 325, 365–367, 372, 375 f., 380, 382 f., 387 Elk Grove Unified School District gegen Newdow 332 Elfenbeinhandel  13, 28, 279 Elliot (Patient von Damásio)  166 f., 376

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Elstern  125, 176, 268, 286 Elwood, Robert  178 Emotionen, bei Tieren  10, 100, 126 f., 165–168, 172 Emotionen, evolutionäre Rolle der  165–168, 152 Emotionen und Moral  33; siehe auch Mitgefühl; Empörung; Wunder Empedokles, Vegetarismus von  45 Empfindungsvermögen  11, 22, 35, 47 f., 67 f., 76, 81 f., 108, 126, 149, 157–162, 168–170, 174, 177–180, 182 f., 215, 218, 357 Empörung  25, 32 f., 36, 39 f., 298, 315, 326, 353, 355 f., 362, 372 Enten  330, 344 Epikur, Epikureer  46, 189–195, 202, 378 Erde, Herrschaft des Menschen über Land, Meer und Luftraum  7, 31 f., 133, 313, 270, 356 Erster Zusatz der Verfassung der USA 343 Erziehung und Bildung  43, 73, 79, 84, 101, 110 f., 114–116, 118, 120, 145, 212, 243, 254, 256, 337, 383 Escobar, Pablo  360 Ethik, ethische Bedenken, in Bezug auf Tiere  11, 22, 25, 30, 36, 44–46, 59, 61, 63, 65 f., 70, 84–86, 89 f., 92, 121 f., 130, 184, 187–189, 203, 205, 214, 216 f., 223, 228, 245, 258, 265, 270, 274, 287, 334 f., 349, 358, 374; siehe auch Fähigkeitenansatz, für Tiere; Korsgaard, Christine; scala naturae; „Uns-so-ähnlich“Ansatz; Utilitarismus Ethische Grundsätze der Tierforschung (Beauchamp und DeGrazia)  217 Ethogramm von Elefanten (Poole)  130 f. Eudaimonie  34, 38, 78 Europäisches Übereinkommen zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen Tierhaltungen (1976)  344 Europarat 250

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Register

Every Twelve Seconds: Industrial Slaughter and the Politics of Sight (Alle zwölf Sekunden: Industrielle Schlachtung und die Politik der Sichtbarkeit) (Pachirat) 343 Evolutionstheorie  44, 50, 157, 367

F FA als Leitfaden für  108, 128 f. Fahey, Eugene  58 Fähigkeiten, als Kernansprüche  107, 135 f. Fähigkeiten, Messen von  119 Fähigkeiten, als Möglichkeiten der Wahl wichtiger Aktivitäten  32, 113 Fähigkeitenansatz (FA), für Tiere  21–23, 42, 110, 114 f., 118, 122 f., 125, 127–129, 131, 137–139, 143, 148 f., 249, 373–375 Fähigkeitsliste  107 f., 115, 118–121, 127 f., 130–137, 142, 165, 201, 215, 218 f., 225, 232, 246, 251, 254, 272, 276, 297 Fechner, Gustav  182 Fehlinformationen 30 Fellow Creatures (Korsgaard-TannerVorlesungen)  85, 97 Fertility and Coercion (Fruchtbarkeit und Zwang, A. Sen)  226 Fische, Knochenfische  150, 173, 377 Fische, Knorpelfische  150, 169, 173 f., 377 Fischfang, Freizeitfischerei  90, 205, 265 Fish and Wildlife Service, der USA 329 Fontane, Theodor  102 f. Formel der Menschheit, in Kants Grundlegung  87 f. Formel des Allgemeinen Gesetzes, in Kants Grundlegung  87 f. Forster, E. M.  264 Francione, Gary  235–237 Frauen  12, 56, 70, 73, 75, 78 f., 84, 90, 95, 103, 111 f., 120, 135, 202 f., 222, 224, 227, 229, 238 f., 290, 299, 312, 322, 354, 387 Freie Wahl des Aufenthaltsortes  27, 73,

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82, 127, 138, 198, 214, 218, 251 f., 267, 279, 281, 327, 359 Freundschaft, unter Menschen  78, 300–303 Freundschaft zwischen Menschen und Tieren  20, 23, 69, 297–319 Friends of Animals (Tierschutzorganisation in den USA)  19 f., 254, 283, 363, 366, 381 Fungie (Delfin)  135 f., 375 Furley, David  192 f.

G Gage, Phineas  166 f. Gandhi, Mohandas K.  264 Gandhi, Sanjay  235 Gänse, Zwangsfütterung von  344 Gefühle, Emotionen vs.  165, 167 Gelbfuß-Regenpfeifer 292 Gemeinschaft der Wale und Delfine gegen Bush 336 Genesis, Buch der  49, 51, 367 Genesis-Erzählung, die  49 Georgia, Welpenfabriken in  339 Gerechtigkeit für Tiere  108, 185, 358 f. Geschichte von Nantucket (Macy) 346 Gesellschaft zur Verhinderung von Grausamkeiten gegen Tiere (Society for the Prevention of Cruelty to Animals)  65, 339 Gesellschaften, umfassende Wertlehren in  121, 129 Gesetz über Bürger der USA mit Behinderungen, USA (1990)  324 Gesetz über gefährdete Arten, USA (1973)  9, 327, 342 Gesetz über vogelsichere Gebäude, Illinois (2021)  361 Gesetz über wilde freilaufende Pferde und Esel (WFHBA), USA (1971)  328

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ANHANG

Gesetz über Zugvögel (Migratory Bird Treaty Act), USA (1918)  29, 329, 342, 360 Gesetz zum Schutz von (empfindungsfähigen) Tieren, Großbritannien  360 Gesetz zur Reinerhaltung der Luft (Clean Air Act, USA 1970)  16, 29, 324 Gesundheit, körperliche  78, 92, 110 f., 141, 212, 266, 276 Gesundheit, psychische  218, 272, 322 Giraffen  227, 284 globale Erwärmung der Erde  141, 324 Godfrey-Smith, Peter  130, 177, 308 Goethe, Johann Wolfgang von  263 Gorillas, altruistisches Verhalten bei  100 Gould, Ronald  146, 375 Grauer Wolf, als vom Aussterben bedrohte Art  9 Grauwale, als gefährdete Art  348 Griechische Tragödie  208 f., 216, 224 Grönland, Walfleischverkauf in  221–223, 352 f. Grönlandwale, als gefährdete Art  223, 348 Großbritannien, viktorianischer Puritanismus in  70–72, 74 Großes Barriere Reef  14 GroupElephant (afrikanische Organisation zum Schutz von Elefanten)  380, 382

H Hahnenkämpfe 90 Hal (Buckelwal)  14, 17, 26, 28 f., 31, 33, 267, 358 Hamster 259 Handelsministerium, US 329 Handlungsfähigkeit, von Menschen  36, 77 f., 126, 241, 370 Handlungsfähigkeit, von Tieren  77 f., 83, 147, 183, 303 Hard Times (Schwere Zeiten) (Ch. Dickens) 112

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Hardy, Thomas  264 Hare, R. M.  187, 202 Harris, Michael  19, 363, 366 Harvard Law School  52 Haustiere  7, 10–12, 15, 127, 144, 198, 226, 230–232, 234, 236–238, 240–248, 251, 253–256, 266, 271 f., 275, 284, 288, 293 f., 298, 300, 303, 307, 319, 322, 324, 326 f., 336 f., 356, 358, 385 Hegel, G. W. F.  210–212, 216, 218–220, 224, 226, 228, 292, 294 Heraklit 34 Hinduismus  44, 187 Hinerfeld, Daniel  347 Hirsche, in menschlichen Lebensräumen 293 Hobo K-9 Rescue  341 Hoffnung 359–362 Hogarth, William  90 Holland, Breena  223 f. Hollingsworth vs. Perry  332 Homophobie  56, 71 Hopkins, Brian  341 Hühner  17, 28, 57, 132, 188, 201, 257, 259 f., 330, 343–345, 347 Human Development and Capability Association (Vereinigung für menschliche Entwicklung und Leistungsfähigkeit) (HDCA)  20, 109, 115, 119, 227, 366 Humane Society of the United States (Tierschutzorganisation in den USA), Überwachung und Bekämpfung von Welpenfabriken durch die  338 f. Hummer  178, 201 Hunde  10 f., 17 f., 27, 31, 38, 47 f., 55, 68, 90, 92, 100–103, 134, 137 f., 144, 156, 171 f., 188, 200, 204, 229–233, 235–245, 247–257, 260, 269, 279, 287 f., 290, 303–307, 312, 319, 324, 326, 338–342, 381 Hungersnot  132 f., 271, 274, 283, 288 Hyänen 284

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Register

I Idaho, Aufhebung der Gesetze zur Einschränkung der Berichterstattung in 343 In Defense of Dolphins (Zur Verteidigung der Delphine) (T. I. White)  59–63 Indien  212, 235, 277, 333 Inherit the Wind (Theaterstück von Lawrence und Lee)  364 Innenminister, USA  330 f., 349 Innenministerium, USA  329–331, 336 Insekten  9, 16, 35, 150, 179, 200 f., 292 Institute of Cetacean Research (ICR, Institut für Wal- und Delfinforschung) 350 Intelligenz  46, 49, 99, 166, 358 Intelligenz von Tieren  7 f., 10 f., 16, 23, 47 f., 58, 61 f., 91 f., 99, 151, 158 f., 168, 173–175, 178, 201, 279, 285 f., 312, 315, 318, 345, 359 intelligent Design  50 International Whaling Commission (IWC, Internationale Walfangkommission  28, 128, 348–353 Internationaler Gerichtshof (IGH), JARPA-II-Urteil des  350 Internationales Übereinkommen zur Regelung des Walfangs (ICRW)  221, 348 Inuit, Volk der  221 f., 224, 352 f. Island, Walfang praktiziert von  349

J J. A. K.’s Puppies (Name einer Hundezuchtfabrik) 341 Jagdverhalten von Raubtieren  31, 268, 288 f., 291–293 James, Henry  154, 197 Janáček, Leoš  195 Japan  28, 330, 349–352 Jean-Pierre (Hausfink)  16 f., 26, 28 f., 31, 33, 324, 330

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Johnson, Regierung von  326 Johnston, Velma Bronn  328 Jude the Obscure (Hardy)  264 Judentum  46, 48, 50 Jurnove, Marc  334 f.

K Kaavan (Elefant), Rechtsstellung des Elefanten 387 Kaiserin von Blandings (Sau)  15, 26, 28, 33, 158, 161, 358 Käfige, Freiheit raubende  11, 16, 213, 340, 344 Kalbfleisch 344 Kanada, Zugvogelabkommen, unterzeichnet von  329 Kant, Immanuel  42, 53, 59, 83–94, 97, 102, 104–106, 110, 120, 142–144, 147, 360, 371 Kantische Philosophie  22, 59, 83–106, 119, 138, 144, 239, 299, 354, 372 Kastenstände  15 f., 26, 89, 134, 188, 343 Katzen  17, 69, 91–93, 134, 137, 144, 188, 200, 229–233, 235–240, 242, 244 f., 247–249, 251–255, 257, 260, 269 f., 288–293, 319, 372, 381 Keller, Helen  171 Kenia  13, 278, 310 Kerala, Indien  211, 387 Kinder  33, 36, 39 f., 53, 57, 69, 71, 89 f., 94, 100–102, 112, 118, 126, 144 f., 154, 166 f., 171, 177 f., 199, 211, 219 f., 223, 227, 231, 233 f., 236–240, 242, 244–248, 252, 254, 256, 266, 278, 288, 293 f., 297, 302, 304–306, 309, 311 f., 314, 322, 332, 335, 346, 355, 372, 381 Kindesmissbrauch und Vernachlässigung  33, 101, 223, 240, 244, 246, 297, 336 Kirgisistan, Ala-Artscha-Nationalpark in  268, 281, 291 Klimakatastrophen 133

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ANHANG

Klimawandel, verursacht durch den Menschen  273 f., 271 Knut (Eisbär)  244, 315 f. Kojoten  226, 252, 293, 335 Krabben  178, 327 Kolumbien, rechtliche Stellung der Tiere in  333, 360 Kongress, der USA 333 Können Fische wirklich Schmerz empfinden? (Rose et al.)  162 Kontrolle über das eigene Umfeld, als zentrale Fähigkeit  117 Kopffüßer  10, 150, 177, 200, 217 körperliche Unversehrtheit  108, 110, 114, 131, 249, 272 f., 276 Körperschaften, Ausweitung der Rechtspersönlichkeit auf  53 f. Korsgaard, Christine  22, 42, 73, 77, 83–106, 108, 120, 122–126, 130, 138 f., 142–144, 187, 299, 336, 357, 366, 370, 372, 375 Kozinski, Alex  352, 386 Krabben 178 Krähen  10, 156, 286 Kraken  130, 177 f., 279 Krustentiere, Empfindungsvermögen von  150, 178, 200 Kritik der praktischen Vernunft (Kant) 86 Kulturtourismus  224 f. Kummer, Trauer  10, 34, 158, 165, 176, 191, 317 Kymlicka, Will  231, 240–242, 251 f., 255, 258

L Labrador Retriever, genetische Krankheiten des  237 Landwirtschaftsministerium, Missouri  339 f. Landwirtschaftsministerium, USA (USDA)  327, 337 f.  Laubenvögel 176

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Lawrence, D. H.  345 Lazarus, Richard  165, 167 Lear, Jonathan  224 Lebensraum  18, 32, 57, 74, 132 f., 140, 144, 261, 269–271, 275–280, 284, 289, 292, 308, 312, 315, 325, 327, 338 LGBTQ-Personen, Rechte von  322 Linch, Amy  223 f. Liste der zentralen Fähigkeiten und  115– 117 Liverpool, Universität von  162 London, Universität von  371 Lonewolf Kennels (eine Hundezuchtfabrik) 341 Long Island Game Farm Wildlife Park und Kinderzoo  334 Lopez, Raymond  341 Löwe  226 f., 265, 278, 284 Luft  12, 31, 198, 240, 267, 269 f., 282, 284, 322, 324–326, 356, 359 Luftverschmutzung  7–9, 16, 26, 29, 134, 271 Lujan v. Defenders of Wildlife  332, 334 Lukrez  46, 189–194 Lupa (Hündin)  13, 17, 26–28, 34, 127, 303–307, 358, 366

M Macy, Obed  346 Maestripieri, Dario  101 Mahabharata 378 Makah, Volk der, Walfang praktiziert vom  222, 348, 352 Makropulos, der Fall (Janáček)  195 Mama (Schimpanse)  316–319 Mama’s Last Hug (Mamas letzte Umarmung) (de Waal)  316 Mann, Janet  130 Maori, Volk der  352 Marine Mammal Protection Act (MMPA, Gesetz zum Schutz der Meeressäuger), USA (1972)  145 f., 328, 348, 333

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Register

Massachusetts, Gesetz über Kastenstände in 344 Massentierhaltung  8, 15, 50, 72, 132, 139, 187–189, 198, 206, 265, 320, 334, 338, 342, 344 f., 358 Mäuse  69, 212, 214, 269, 291, 293, 312, 327 McMahan, Jeff  192, 196, 199 f., 290, 382 Meeressäugetiere  10, 19, 23, 29, 145 f., 185, 200, 279, 284, 322, 328 f., 338, 348, 353, 358, 363, 384 Meisen, Kommunikationssysteme von 176 Melville, Herman  346 Menschenrechte  129, 135, 142, 321 f., 352 f., 374 Menschenrechtsbewegung, internationale 119 Metakognition, falsche Verlockungen der  155 f. Methods of Ethics, The (Sidgwick)  75 Mexiko, Zugvogelabkommen unterzeichnet von  330 Mill, John Stuart  22, 65, 70 f., 73, 75, 77– 82, 105, 119 f., 123, 132, 200, 261, 265, 271, 287, 357, 370 f., 374 Missouri Veterinary Medical Association 340 Mitgefühl  10, 25, 32 f., 36 f., 39, 41 f., 81, 90, 143, 169, 333 f., 353, 355 f., 362 Mitgefühl der Tiere  10, 25, 54, 57, 165, 311 f., 369 Mitgefühl in Mensch-Tier-Beziehungen  303, 306, 311 f. Mitgefühl von Menschen für Tiere  32 f., 36 f., 41, 90, 96, 103, 143, 303, 311 f., 333, 356, 358 Moby Dick (Melville)  346, 380 Montana, Gesetze zur Einschränkung der Pressefreiheit in  342 moralische Konsistenz (Williams)  379 Moss, Cynthia  130 Multilaterale Übereinkunft zum Schutz von Heimtieren  250

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My Octopus Teacher (Mein Lehrer, der Krake) (Film)  279

N Nagetiere, zeitliche Wahrnehmung bei  200, 246, 269, 319 NASA, Schimpansen in den Weltraum geschickt von der  316 Nashörner  8, 141, 227, 267, 283 f., 380 National Hard Crab Derby, in Maryland (jährlich stattfindendes Krabbenrennen) 327 Nationale Akademie der Wissenschaften (der USA) 328 Nationale Behörde zum Schutz der Ozeane und der Atmosphäre (USA) 329 Nationale Hunde Show (der USA) 237 Natur (Mill)  261 Natur, freie („die Wildnis“)  32, 144, 188, 252, 261–263, 265, 267, 269, 271, 276, 281, 287, 290, 294, 313, 317 Natur, der Tiere  70, 91–95, 104, 288 Natural Resources Defense Council, Inc. gegen Pritzker (prominenter Rechtsstreit)  145, 329, 336, 346 Navy, der USA, Sonarprogramm der  18, 29, 145, 267, 328, 336 Neokortex  152, 163, 174 f., 183 Neugierde  35 f., 41, 63 f., 82, 105, 137, 146, 256, 308, 313–315, 319 Neuntes Bundesberufungsgericht (der USA), Pritzker-Urteil  145; Sea Shepherd-Urteil  350 f. Neuroanatomie der Tiere  151 f., 163 f., 168, 177, 183 Neuseeland  30, 269, 292, 350, 354, 387 New York, Tierrechte in  325, 334 Newdow, Michael  332 Newnham College, Cambridge  75 Nicht Paulus, sondern Jesus (Bentham) 70

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ANHANG

Nilpferde, die vom Bezirksgericht für den südlichen Bezirk von Ohio in den USA als juristische Personen anerkannt wurden  360 f. Nixon, Jay  340 Noah (biblische Figur)  48 North Carolina, Aufhebung der Gesetze zur Einschränkung der Pressefreiheit in 343 North Dakota, Gesetze zur Einschränkung der Pressefreiheit in  342 Norwegen, Walfang praktiziert von  349 Nozick, Robert  74, 77, 111 Nozizeption  157 f., 163, 169, 174 Nicht-menschliche Rechte, Projekt zu  52, 58, 387 NRDC gegen Pritzker  145, 329, 336, 346 Nuffield Council (britisch)  214–218

O Oberster Gerichtshof, der USA  332, 367 Oberster Gerichtshof, von Indien  212 Oberster Gerichtshof, von New York  58 Ode an den Westwind (Shelley)  261, 290 Odysseus  229 f. Ohio, Welpenfabriken in  339 Ökotourismus  226, 278, 325 Ölbohrungen, unterseeische Lärmbelästigung durch  8, 271, 273, 346 f., 359 Orca Welfare and Safety Act (Kalifornien; 2016)  285, 348 Orcas  19, 101, 273, 284 f., 313, 348, 363 Orlans, F. Barbara  250 Ostindien-Kompanie, britische  371, 356 Ozeane  93, 141, 263, 267, 271 Ozeane, Lärmbelästigung in den  346

P Pachirat, Timothy  343 Papageien  101, 141, 175, 269, 286, 317–319, 377 Paviane  130, 134, 293, 296, 308–310, 312

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Pelzindustrie 72 Penelope (Frau von Odysseus)  229 Pennsylvania, staatliche Universität von 162 Pepperberg, Irene  175, 317 f. Persönlichkeitsrechte  52, 62 f., 369 Pferde  17, 68, 90, 125, 137, 200, 229, 231, 233, 255, 257 f., 260, 278 Pferde, wilde  19, 225–227, 232, 267, 294, 328 Pflanzen  16, 22, 45, 49, 96, 117, 150, 158, 180–184, 220, 226 Pitcher, George  17, 296, 303–307 Plastik / Plastikmüll  8, 14, 26, 29, 132, 140 f., 267, 271, 273, 359, 365 Platon (Pavian)  310 Platon, Platoniker  45, 47, 182 Plinius  48, 291 Plutarch  7, 10, 47 Politik, politische Beteiligung  22, 108 Politik, siehe Recht und Politik für Tiere; Recht und Politik für Menschen Politischer Liberalismus (Rawls)  121 Pompeius 48 Poole, Joyce  13, 130, 310–312, 315 Pope, Alexander  230 Porphyrius  7, 10, 47, 182 Poverty and Famines (Armut und Hungersnöte) (Sen)  132 Pressefreiheit  115, 132 f. Primaten  10, 50, 101, 103, 139, 200, 215, 219, 279 f., 317, 326, 368 Principles of Morals and Legislation (Grundsätze der Moral und der Gesetzgebung) (Bentham)  66 Pritzker, J. B.  361 Pritzker, Penny  329 Proposition 8, Kalifornien  332 Protestantismus 121 Proust, Marcel  154, 194 Pumas, in menschlichen Lebensräumen 293 Pythagoras, Vegetarismus von  45

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Register

R Raben  169, 175 f., 319, 377 Rabenvögel  169, 175 f., 319, 377 Radikale Hoffnung (Lear)  224 Rampal, Jean-Pierre  16 Rassismus  12, 56, 71, 223, 371 Rationalität im Gegensatz zu Intelligenz  99 f. Ratten  37, 55, 180, 201, 212, 214, 254, 269, 291–293, 327 Rattling the Cage (Rütteln am Käfig) (Wise) 52 Rawls, John  32, 121 f., 129, 371 Redefreiheit  115, 117–119, 132, 297 Regan, Tom  187 Regierungen 266 Recht und Politik, für Menschen  158, 171, 175, 220, 302, 308, 318, 355, 374, 376 Recht und Politik, für Tiere  12, 20, 43, 105, 108, 125, 128, 320, 353 f. Religionsfreiheit  116, 119, 124, 332 Remus (Hund)  17, 26, 303, 305 Rendell, Luke  101, 130, 314, 350 Reptilien  10, 177, 282 Reverend John Langborn (Katze)  69 Rinder, Milchvieh  17, 188, 203, 258, 260 Rinder, Rindfleisch  201, 257 f., 343; siehe auch Kalbfleisch Ringwood (Hund)  230 Rollin, Bernard  237 Rollo (Hund)  102 f. Rom, in der Antike  46, 48, 291, 302, 304 Rose, James  162 Rousseau, Jean-Jacques  263 Rowan, Andrew  216 Russland, Walfang praktiziert von  349

S Sado-Tourismus  265, 291 Safari Club  50 Safi (Hund), Smuts’ Beziehung zu  103, 256, 312

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Safina, Carl  101 San Diego, Zoo von  277, 281 f., 289 Saudi-Arabien, Frauenwahlrecht in  354 Säugetiere, Empfindungsfähigkeit der  31, 149 f. scala naturae  37, 43–64, 69, 80, 96, 122, 214 f., 217 „Schaden des Todes, der“ (Nussbaum)  187 f. Schafschur 258 Schildkröten 259 Schimpansen  52–54, 67 f., 100–102, 130, 171, 243, 284, 314, 316–319, 383, 387 Schlafenszeit für Bonzo (Film)  383 Schmerz  10, 21, 24, 31, 39, 45, 64, 96, 107, 116, 138, 143, 148 f., 152 f., 155, 158–160, 162–165, 168, 170–172, 174, 176–179, 182, 184, 186–191, 196, 198, 200, 213 f., 217, 248–250, 265, 268, 279, 288, 290, 313, 329, 337 Schmerz, emotionaler  26, 31, 36, 165 Schmerz und Vergnügen  21 f., 41, 46, 65–83, 127, 138, 170, 172, 184, 194, 213 Scholastik 46 Schöpfungsgeschichte, jüdisch-christlich 48–51 Schöpfungslehre  48–51, 67, 80, 90, 358 Schwämme, Empfindungsvermögen und  169, 180 f., 200 Schweden, Tierrechte in  345 Schweine  15 f., 21, 26, 28, 30, 35, 37 f., 57, 69, 81, 89, 132, 134, 159, 200 f., 229, 344 f., 347, 358 Scopes, John T.  367 Scopes-Prozess 367 Scruton, Roger  50 Scully, Matthew  49 f., 222 Sea Shepherd Conservation Society  350– 352 SeaWorld  285, 313 Seeanemonen, Empfindungsvermögen von  169, 180 f., 200

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ANHANG

Seitenzahlen, die mit 365 beginnen, beziehen sich auf Endnoten. Selbstverteidigung  68, 142, 201, 254, 293 Sen, Amartya  109, 111, 115, 132, 226, 366, 370, 373 f. Sexismus  71, 206, 311 Shark Bay, Australien  315 Shelley, Percy Bysshe  261, 263, 290 Sidgwick, Eleanor  75 Sidgwick, Henry  22, 66, 75, 77, 371 Siebert, Charles  283 Siebter Bundesberufungsgerichtshof in den USA 340 Sierra Club vs. Morton 335 Sierra Club  265 Singer, Peter  21 f., 65, 75–78, 139, 187, 199 f., 202, 213 Sinn, Vorstellungskraft und Denken, als zentrale Fähigkeiten  108, 116, 131 Sklaven  53, 67, 223, 233 f., 238 f., 265 Sklaverei  53, 65, 69, 83, 206, 233 Smuts, Barbara  103, 130, 256, 308–312, 315 f., 319 Sneddon, Lynne  162 f., 180 Sonic Sea (Dokumentarfilm)  279, 347, 353 Sonntag Morgen (Gedicht von W. Stevens) 195 Sophokles 210 Sorabji, Richard  45 Sowjetunion, Zugvogelabkommen, unterzeichnet von der  330 Speziesismus  70, 76 Spiel, Spielen  21, 24, 34 f., 55, 82, 117, 127, 131, 148, 159, 167, 230, 244 f., 248, 252, 255–257, 259, 276, 302, 377 Spiegeltest  41, 60, 94, 176, 368 Sport, als ritueller Ersatz für tödliche Kämpfe 224 Sprache  35, 40, 44, 48, 55, 61, 64, 103, 107, 115 f., 121, 126, 137 f., 154 f. Sprung (Hund)  230 Staatsbürgerschaft, Bürger  79, 99, 107, 118, 123, 126, 238–241, 243, 245

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Staatsbürgerschaft für Tiere  104, 145, 240, 242, 259, 322 Standing for Animals (Für Tiere eintreten) (Aufsatz von C. Sunstein)  241 Staunen  25, 32–36, 38, 41 f., 48 f., 57, 62, 66, 89, 93, 124, 137, 146, 199, 263, 265, 279, 298, 353, 355–357, 360, 362, 366 Stevens, Wallace  195 Stoiker, Stoizismus  46–48, 86, 371 Stolz  34, 100, 307, 354 f. Streben  5, 11 f., 24, 31, 33 f., 85, 87 f., 93 f., 109, 113, 124 f., 143, 148 f., 151, 158, 160, 168 f., 171 f., 196, 202, 295, 374 f. Stufenleiter der Natur, siehe scala naturae Suizid, ärztlich assistierter  198, 248, 372 Sunstein, Cass  241, 333 Swasiland 365 Swidler, Ann  223 Swift, Jonathan  53

T Tamil Nadu, Indien  211 The Ivory Game (Dokumentarfilm über den Elfenbeinhandel)  279 The Point of View of the Universe (Der Blickwinkel des Universums) (de Lazari-Radek und Singer)  371 The Subjection of Women (Mill, Die Hörigkeit der Frau)  The Therapy of Desire (Nussbaum) 195 The Swazi 17 (Gruppe von Elefanten) (Siebert) 283 Thora 49 Thoreau, Henry David  263 Thorpe, William  175 Thunfischfang, bei dem Delphine zu Tode kommen  59 Tierarten, Aussterben von  9, 140 f. Tierschutzgesetz (Animal Welfare Act), USA (1966)  326, 333, 342 Tiere wie wir (Korsgaard)  42, 85, 95–99

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Register

Tiere, empfindungsfähige  11, 13, 20 f., 23, 32, 34 f., 41, 46, 63, 66, 68, 81–83, 85, 93, 103, 108, 120, 123–125, 138, 140, 142–144, 148–150, 171–174, 176 f., 180 f., 183, 185–187, 204 f., 217–219, 221, 229, 231, 335, 347, 359 f., 369 Tiere, nicht empfindungsfähige  140 Tierhaltung, humane  198 f., 202–204, 206, 219, 237 f., 285, 326, 333 Tierhaltung, zu Forschungszwecken  212–216, 276, 278–280, 312, 316 f., 320, 326 f., 350 Tierhaltung, zur Selbstverteidigung  201, 254 Tierhandlungen  238, 340–342 Tierheime  238 f., 244, 246 f., 249, 253 f., 340–342, 381 Tierreservate  275–277, 280, 288–291 Tierrechte  19, 54, 61 f., 64, 71, 76, 83, 91, 105, 129, 321, 325 f., 375 Tiere; Recht und Politik, für Tiere  23 Tierversuche  23, 198, 212–216 Tiger  9, 31, 227, 243, 263, 275, 284, 289 f. Tilikum (Orca)  285 Tod, von Tieren  96, 165 Tod, von Menschen  189–197 Todesstrafe 39 Tötung von Tieren  8, 188, 201, 294, 296, 224, 254, 325, 330, 347, 350, 361, 370, 378 Townley, Cynthia  312 tragische Konflikte  22, 123, 207, 208–228, 290 Träumereien eines einsamen Wanderers (Rousseau) 263 Treuhänder, Pflichten von  337 f. Trump, Regierung von, und das Gesetz über Zugvögel (Migratory Bird Treaty Act)  331, 360 Tye, Michael  153, 155, 161, 170, 174, 178 Tyger, The (Gedicht von Blake)  263, 290

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U Über den mutmaßlichen Anfang der Menschheitsgeschichte (Kant)  89 Über den Verzicht auf den Verzehr von tierischem Fleisch (Porphyrius)  47 Über die Bewegung der Tiere (Aristoteles)  45, 148 Über die Freiheit (Mill)  132 Übereinkommen zur Beseitigung jeglicher Form der Diskriminierung von Frauen (CEDAW) 322 Überschwemmungen  38, 133, 150, 271, 274, 288 Ul Haq, Mahbub  109 UN-Entwicklungsprogramm 109 Ungerechtigkeit  18, 21 f., 24–28, 30 f., 38, 41, 128, 142, 144 f., 148 f. University College London  371 Unlocking the Cage (Die Entriegelung des Käfigs) (Dokumentarfilm)  52, 57 „Uns-so-ähnlich“-Ansatz  22, 41, 43, 51, 57, 65 f., 74, 78, 94, 105, 131, 137, 147, 194, 357 f., 366 Unto These Hills (historisches Drama über das Volk der Cherokee)  224 USA, Vereinigte Staaten von Amerika  247, 282 f., 347 Utah, Aufhebung der Gesetze zur Einschränkung der Pressefreiheit  343 Utilitarismus  21, 41, 44, 65–83, 106, 110, 119, 121, 139, 170, 184, 186 f., 194, 199 f., 357, 371, 374

V van Hooff, Jan, Freundschaft des Schimpansen mit  316–318 Vasanti (indische Frau)  111–114, 120, 127, 135, 138 Veganer, Veganismus  202 f., 205 f., 219 f., 258–260 Vegetarier, Vegetarismus  36, 44 f., 49, 203, 379

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ANHANG

Verband der Zoos und Aquarien  282 Verband selbständig erwerbstätiger Frauen (SEWA)  111 f. Vereinigungsfreiheit  132, 297 Verfassung, der USA 340 Verfassungen, nationale  87, 115, 123 Verfassung, Illinois  340 Verfassung, virtuelle  120, 128–130, 145, 148, 321 Verfassung, von Indien  44, 120, 333 Verfassung, von Südafrika  120, 220 Vergnügen, Vergnügungen  70–74, 77 f., 80 f., 88, 127, 131, 158 f., 184, 194, 200, 273, 299, 301, 308, 314, 320, 370 f., 378 Vernachlässigung, schuldhafte  30 Vernunft, praktische, als zentrale Fähigkeit  116, 131, 256 f. Verschmutzung  16, 29, 78, 134, 141, 267, 270 f., 324 Verwaltungsverfahrensgesetz, der USA (1946) 333 Victoria (afrikanischer Elefant)  13 Virginia (afrikanischer Elefant)  13 f., 26, 28, 33, 310 Vögel  8–11, 16–18, 29, 31, 48 f., 55, 60, 62, 64, 103, 141, 150, 152, 156, 163, 168, 173–177, 183, 200 f., 245, 254, 267, 269 f., 272 f., 279, 286, 288, 292 f., 296, 312, 319, 322, 327, 330 f., 360 f. Vorlesungen über Ethik (Kant)  90

W Wale  8, 10 f., 14, 18 f., 29, 52, 55, 101, 125, 128, 130, 134, 140 f., 145–147, 200, 221– 223, 232, 267, 284, 301–303, 308, 329, 336, 338, 345–353, 363, 380, 386 Walfang  28, 128, 221–223, 265, 268, 271 f., 287, 320, 322, 329, 346–352, 386 Waschbären 293 Washington, George  211 Washington, Universität von  19, 375 Watson, Paul  351

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Welpenfabriken  231, 238, 246, 323, 338– 344, 358 Welpenfabriken, Gesetz zur Verhinderung der Grausamkeit in, (Missouri, 2010)  334 Whales Weep Not! (Weint nicht, Wale!, Gedicht von D. H. Lawrence)  345 What Maisie Knew (Was Maisie wusste, Roman von Henry James)  154 Whewell, William  70, 80 White, Thomas I.  59–63, 130, 286, 358 Whitehead, Hal  14, 101, 314, 350 Whitman, Walt  160 Wichert, Gerd  19 „wild“, siehe Natur („die Wildnis“) Wilder Junge vom Aveyron  285 Wilderei  7, 101, 132, 134, 226, 268, 271 f., 280 f., 284, 287 f., 298, 330 f., 338, 356 Wildlife as Property Owners (Wilde Tiere als Eigentümer) (Buch von K. Bradshaw) 141 Wildtiere  19, 50, 57, 101, 104, 127, 226 f., 232, 245, 259, 261–295, 307, 320, 322, 338, 361, 363, 375 Williams, Bernard  195, 379 Winnicott, Donald  280, 284 Wirbellose Tiere  10 f., 32, 177 f., 215 Wirbeltiere  10, 32, 159, 176, 214, 217 Wirtschaft, der Entwicklungsländer  108 Wisconsin, Welpenfabriken in  339 Wise, Steven  43, 52–62, 139, 369, 375 Wodehouse, P. G.  15, 35, 158 Wolff, Jonathan  114 Wolkenkratzer, als tödliche Gefahr für Vögel  8, 267, 273 Wordsworth, William  263 Würde  59, 61, 78, 81–86, 93, 106, 108, 117, 119 f., 200, 204, 221, 228, 369 Würde der Tiere  22, 84, 86, 93, 97, 120, 124, 129, 138, 142 f., 303 Wüstenrennmäuse 259 Wut  10, 15, 89, 133

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Register

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Wyoming, Aufhebung der Gesetze zur Einschränkung der Pressefreiheit in 343 Wyoming, Universität von  162

Z Zeichensprache  54, 57 f., 137, 171, 314 Zentrale Fähigkeiten  32, 107, 115, 142, 148, 185, 257, 301, 319 Zentrale Fähigkeiten der Tiere  148 Zirkusse  277 f. Zirkustiere in Indien als Personen betrachtet  44, 277, 333 Zoologische Gärten  14, 19, 26, 31, 36, 63, 73, 132, 213, 259, 261, 265, 269, 273, 275–284, 286 f., 289, 295, 300, 313–316, 334, 358, 383 Zoopolis (Donaldson und Kymlicka)  231 Zorn des Übergangs  33, 39 f., 42, 356 Zugehörigkeit, soziale  147, 276

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Martha Nussbaum ist die einflussreichste Philosophin der Gegenwart. Die Professorin an der University of Chicago wurde für ihr Werk mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet: Sie ist u. a. Trägerin des Kyoto-Preises, der als Nobelpreis der Philosophie gilt, des mit einer Million Dollar dotierten Berggruen-Preises, des Prinz-von-Asturien-Preises, des HolbergPreises und des Balzan-Preises. Die bekennende Musik-Liebhaberin wurde besonders bekannt durch ihre Arbeiten zum Thema Emotionen. Bei der wbg sind von ihr erschienen: Die neue religiöse Intoleranz (2014), Zorn und Vergebung (2017), Älter werden (mit Saul Levmore, 2018), Königreich der Angst (2019), Kosmopolitismus (2020).

Eine bahnbrechende neue Theorie und ein dringender Aufruf zum Handeln Weltweit erleiden Tiere Ungerechtigkeit und Grausamkeit: sei es durch die Zerstörung ihrer Lebensräume, durch die Qualen der industriellen Tierhaltung, durch Wilderei oder auch die Vernachlässigung von Haustieren, die wir angeblich so lieben. Martha Nussbaum entwickelt ausgehend von ihrem grundlegenden Fähigkeitenansatz eine neue philosophische, juristische und moralische Grundlage zum Schutz der Tiere. »Die Moral der Mensch-Tier-Beziehung bedarf dringend der Erneuerung. Dafür können wir uns keine scharfsinnigere und mitfühlendere Ratgeberin wünschen als die Philosophin Martha Nussbaum.« Frans de Waal, Autor von »Mamas letzte Umarmung«

ISBN 978-3-8062-4559-2

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Von Delfinen bis Krähen, von Elefanten bis Tintenfischen – Martha Nussbaum beleuchtet das gesamte Tierreich und schildert das Leben der Tiere mit Staunen, Ehrfurcht und Mitgefühl. Sie zeigt, wie wir eine Welt schaffen können, in der die Menschen wirklich Freunde der Tiere sind und nicht deren Nutzer oder Ausbeuter.

Martha Nussbaum

GERECHTIGKEIT FÜR TIERE Unsere kollektive Verantwortung