Generationenbeziehungen in den 'Confessiones' des Augustinus: Theologie und literarische Form in der Spätantike 351509721X, 9783515097215

In den 'Confessiones' spiegelt sich die Umbruchphase der Spätantike wider, in der traditionelles Denken als ni

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German Pages 317 [319] Year 2011

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INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
I. EINLEITUNG
II. EINORDNUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT
1. LITERATURWISSENSCHAFTLICHE FRAGESTELLUNGEN
a) Das Problem der literarischen Gattungsbestimmung
α) Aufbau der Confessiones
β) Die Confessiones in der Tradition autobiographischen Schreibens
γ) Der Titel: Confessiones
δ) Die Confessiones als Apologie
ε) Die Confessiones als christlicher Protreptikos
ζ) Aspekte der Leserlenkung
η) Die Confessiones und die spätantike cento-Technik
b) Intertextualität
c) Narratologie
α) Augustinus: Autor – Erzähler – Figur
β) Fokalisierung
d) Psychoanalytische Ansätze
2. KULTURHISTORISCHE FRAGESTELLUNGEN
a) Christianisierung der Wertebegründung
b) Geschlechterrollen in der Spätantike
α) Status der Frau
β) Ehe
3. THEOLOGISCHE FRAGESTELLUNGEN
a) Die Metapher im theologischen Sprach- und Vorstellungsraum
b) Metaphorische Generationenbeziehungen
III. GENERATIONENBEZIEHUNGEN IN DEN CONFESSIONES
1. GENERATIONENBEZIEHUNGEN IN DER THEOLOGIE AUGUSTINS
a) Eltern-Kind-Beziehungen in der römischen Familie
b) Eltern-Kind-Beziehungen in Bibel und antikem Christentum
α) Leibliche und geistige Eltern-Kind-Beziehungen
β) Gotteskindschaft
γ) Konflikt leiblicher mit geistiger Eltern- und Kindschaft
δ) Geistige Vater- und Mutterschaft zwischen Menschen
ε) Familie im Neuen Testament und im antiken Christentum
c) Generationenbeziehungen bei Augustinus
α) Grundlage: Augustinische Anthropologie
β) generatio
γ) Leibliche und geistige Generationenbeziehungen
δ) Mater ecclesia
2. LEIBLICHE UND GEISTIGE ELTERNSCHAFT IN DER KINDHEIT (BUCH 1)
a) infantia
b) pueritia
c) Rückblick: Buch 1
3. DER HERANWACHSENDE ZWISCHEN FAMILIE UND GESELLSCHAFT (BUCH 2)
a) Schulbildung und Ambitionen der Eltern
b) Säkulares Familiendenken
c) Rückblick: Buch 2
4. MONNICA ALS KORREKTIV DES IRRENDEN PROTAGONISTEN (BUCH 3–BUCH 8)
a) Buch 3
α) ‚Muttermilch‘
β) Der Traum der Monnica
b) Buch 4
α) Formen der Trauer
β) Weltliches und göttliches Vaterhaus
c) Buch 5
α) Aufbruch von Karthago nach Rom
β) Monnica als Dido?
d) Buch 6
e) Buch 7
f) Buch 8
g) Rückblick: Bücher 3–8
5. NEUE FORMEN DER GEMEINSCHAFT I (BUCH 9,1,1–9,7,16)
a) Neue Gemeinschaft
b) Mutter-Sohn-Linie
c) Vater-Sohn-Linie
6. CHRISTLICHE LAUDATIO FUNEBRIS AUF MONNICA (9,8,17–9,9,22)
a) Die laudatio funebris
b) Gliederung
c) Einleitung
d) Die Erziehung der Monnica
α) Das erzieherische Wirken der Magd
β) Das erzieherische Wirken Gottes
e) Das vorbildhafte ethische Verhalten Monnicas
α) Im Verhältnis zu Ehemann und Schwiegermutter
β) Monnica allgemein friedensstiftend
f) Monnica und die Topik der molestiae nuptiarum
g) Monnica nicht nur leibliche, sondern auch spirituelle Mutter
h) Zusammenfassung
7. NEUE FORMEN DER GEMEINSCHAFT II (BUCH 9,9–ENDE BUCH 13)
a) Ekstase von Ostia
b) Der Tod Monnicas
c) Trauer
d) Aufruf zum Gedenken an die Toten
e) Bücher 10–13
f) Rückblick: Bücher 9–13
IV. ZUSAMMENFASSUNG
V. LITERATURVERZEICHNIS
REGISTER
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Generationenbeziehungen in den 'Confessiones' des Augustinus: Theologie und literarische Form in der Spätantike
 351509721X, 9783515097215

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Jochen Schultheiß

Generationenbeziehungen in den Confessiones des Augustinus Theologie und literarische Form in der Spätantike

104 Klassische Philologie Franz Steiner Verlag

HERMES Einzelschriften - Band 104

Jochen Schultheiß Generationenbeziehungen in den Confessiones des Augustinus

HERMES Zeitschrift für klassische Philologie ---------------------------Einzelschriften Herausgegeben von Siegmar Döpp Karl-Joachim Hölkeskamp Wolfgang Kullmann Heft 104

Jochen Schultheiß

Generationenbeziehungen in den Confessiones des Augustinus Theologie und literarische Form in der Spätantike

Franz Steiner Verlag Stuttgart 2011

HERMES-EINZELSCHRIFTEN (ISSN 0341-0064) ———————————————————————————————————— Redaktion: Prof. Dr. Siegmar Döpp, Universität Göttingen, Seminar für Klassische Philologie, Humboldtallee 19, D-37073 Göttingen (verantwortlich für Latinistik) Prof. Dr. Karl-Joachim hölKeSKamp, Universität Köln, Institut für Altertumskunde/ Alte Geschichte, D-50923 Köln (verantwortlich für Alte Geschichte) Prof. Dr. Wolfgang Kullmann, Bayernstr. 6, D-79100 Freiburg (verantwortlich für Gräzistik) Erscheinungsweise: Jährlich 3–6 Bände verschiedenen Umfanges Bezugsbedingungen: Bestellung zur Fortsetzung möglich. Preise der Bände nach Umfang. Eine Fortsetzungsbestellung gilt, falls nicht befristet, bis auf Widerruf. Kündigung jederzeit möglich. Verlag: Franz Steiner Verlag GmbH Stuttgart, Birkenwaldstr. 44, D-70191 Stuttgart Der Redaktion angebotene Manuskripte dürfen nicht bereits veröffentlicht sein oder gleichzeitig veröffentlicht werden; Wiederabdrucke erfordern die Zustimmung des Verlages.

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des DFG-Graduiertenkollegs „Generationenbewusstsein und Generationenkonflikte in Antike und Mittelalter“, Otto-Friedrich-Universität Bamberg.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-515-09721-5 Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. © 2011 Franz Steiner Verlag, Stuttgart Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Printed in Germany

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT ............................................................................................................. 9 I. EINLEITUNG .................................................................................................... 11 II. EINORDNUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT ................................... 18 1. Literaturwissenschaftliche Fragestellungen................................................ 18 a) Das Problem der literarischen Gattungsbestimmung ............................. 20 α) Aufbau der Confessiones .......................................................................... 20 β) Die Confessiones in der Tradition autobiographischen Schreibens .................... 21 γ) Der Titel: Confessiones ............................................................................ 24 δ) Die Confessiones als Apologie .................................................................. 25 ε) Die Confessiones als christlicher Protreptikos ............................................... 26 ζ) Aspekte der Leserlenkung......................................................................... 29 η) Die Confessiones und die spätantike cento-Technik ....................................... 33 b) Intertextualität ........................................................................................ 37 c) Narratologie ........................................................................................... 42 α) Augustinus: Autor – Erzähler – Figur ......................................................... 43 β) Fokalisierung ......................................................................................... 44 d) Psychoanalytische Ansätze .................................................................... 47 2. Kulturhistorische Fragestellungen .............................................................. 50 a) Christianisierung der Wertebegründung ................................................ 50 b) Geschlechterollen in der Spätantike ...................................................... 59 α) Status der Frau ....................................................................................... 59 β) Ehe ...................................................................................................... 66 3. Theologische Fragestellungen .................................................................... 73 a) Die Metapher im theologischen Sprach- und Vorstellungsraum ........... 73 b) Metaphorische Generationenbeziehungen ............................................. 77 III. GENERATIONENBEZIEHUNGEN IN DEN CONFESSIONES .................. 80 1. Generationenbeziehungen in der Theologie Augustins .............................. 80 a) Eltern-Kind-Beziehungen in der römischen Familie ............................. 80 b) Eltern-Kind-Beziehungen in Bibel und antikem Christentum............... 82 α) Leibliche und geistige Eltern-Kind-Beziehungen .......................................... 82 β) Gotteskindschaft ..................................................................................... 83 γ) Konflikt leiblicher und geistiger Eltern- und Kindschaft ................................. 85 δ) Geistige Vater- und Mutterschaft zwischen Menschen ................................... 86 ε) Familie im Neuen Testament und im antiken Christentum ............................... 87

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Inhaltsverzeichnis

c) Generationenbeziehungen bei Augustinus ............................................. 90 α) Grundlage: Augustinische Anthropologie .................................................... 90 β) generatio............................................................................................... 92 γ) Leibliche und geistige Generationenbeziehungen .......................................... 94 δ) Mater ecclesia ...................................................................................... 102 2. Leibliche und geistige Elternschaft in der Kindheit (Buch 1) .................. 105 a) infantia ................................................................................................. 105 b) pueritia................................................................................................. 112 c) Rückblick: Buch 1................................................................................ 124 3. Der Heranwachsende zwischen Familie und Gesellschaft (Buch 2) ........ 125 a) Schulbildung und Ambitionen der Eltern ............................................ 125 b) Säkulares Familiendenken ................................................................... 134 c) Rückblick: Buch 2................................................................................ 140 4. Monnica als Korrektiv des irrenden Protagonisten (Buch 3–Buch 8) ...... 141 a) Buch 3 .................................................................................................. 141 α) ‚Muttermilch‘ ...................................................................................... 141 β) Der Traum der Monnica ......................................................................... 148 b) Buch 4 .................................................................................................. 160 α) Formen der Trauer ................................................................................ 160 β) Weltliches und göttliches Vaterhaus ......................................................... 162 c) Buch 5 .................................................................................................. 166 α) Aufbruch von Karthago nach Rom ........................................................... 166 β) Monnica als Dido? ................................................................................ 172 d) Buch 6 .................................................................................................. 178 e) Buch 7 .................................................................................................. 187 f) Buch 8................................................................................................... 189 g) Rückblick 3–8 ...................................................................................... 191 5. Neue Formen der Gemeinschaft I (Buch 9,1,1–9,7,16) ............................ 192 a) Neue Gemeinschaft .............................................................................. 192 b) Mutter-Sohn-Linie ............................................................................... 195 c) Vater-Sohn-Linie ................................................................................. 201 6. Christliche laudatio funebris auf Monnica (9,8,17–9,9,22) ..................... 213 a) Die laudatio funebris ........................................................................... 214 b) Gliederung ........................................................................................... 219 c) Einleitung ............................................................................................. 220 d) Die Erziehung der Monnica ................................................................. 224 α) Das erzieherische Wirken der Magd ......................................................... 224 β) Das erzieherische Wirken Gottes ............................................................. 227 e) Das vorbildhafte ethische Verhalten Monnicas ................................... 240 α) Im Verhältnis zu Ehemann und Schwiegermutter ........................................ 240 β) Monnica allgemein friedensstiftend .......................................................... 245 f) Monnica und die Topik der molestiae nuptiarum ................................ 245 g) Monnica nicht nur leibliche, sondern auch spirituelle Mutter ............. 253 h) Zusammenfassung ............................................................................... 256 7. Neue Formen der Gemeinschaft II (Buch 9,9–Ende Buch 11) ................. 257

Inhaltsverzeichnis

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a) Ekstase von Ostia ................................................................................. 257 b) Der Tod Monnicas ............................................................................... 262 c) Trauer ................................................................................................... 265 d) Aufruf zum Gedenken an die Toten .................................................... 268 e) Bücher 10–13 ....................................................................................... 273 f) Rückblick: Bücher 9–13 ....................................................................... 274 IV. ZUSAMMENFASSUNG .............................................................................. 276 LITERATURVERZEICHNIS ............................................................................. 285 REGISTER .......................................................................................................... 302

VORWORT Die vorliegende Studie stellt die für den Druck überarbeitete Fassung meiner Dissertationsschrift dar, die im Sommersemester 2008 von der Fakultät Geistes- und Kulturwissenschaften der Otto-Friedrich-Universität Bamberg angenommen wurde. An erster Stelle sei den Gutachtern der Arbeit gedankt. Durch weiterführende Fragen und stets konstruktive Kritik hat mich mein Doktorvater Prof. Dr. Thomas Baier von Beginn bis zum Abschluss mit großem Engagement unterstützt. Besonders durch ihre Hinweise auf Fragestellungen der Genderforschung hat Prof. Dr. Sabine Föllinger, die sich auch als Zweitgutachterin zur Verfügung gestellt hat, mir immer wieder neue Horizonte eröffnet. Gefördert wurde die Entstehung der Arbeit im Rahmen des DFGGraduiertenkollegs 1047 „Generationenbewusstsein und Generationenkonflikte in Antike und Mittelalter“ unter der Leitung von Prof. Dr. Hartwin Brandt. Die optimalen Arbeitsbedingungen im Kolleg haben die Entstehung der Arbeit sehr gefördert. Dem Graduiertenkolleg und der DFG gebührt ferner ein herzlicher Dank für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses. Ein dreimonatiger Forschungsaufenthalt an der University of StAndrews (GB), der durch ein Stipendium des DAAD ermöglicht wurde, hat wesentlich zum Voranschreiten meiner Arbeit beigetragen. Gespräche mit Frau Prof. Dr. Karla Pollmann haben mich wichtige Zusammenhänge erkennen lassen. Auf von ihr veranstalteten Tagungen in StAndrews und am Netherlands Institute for Advanced Study (NIAS) in Wassenaar konnte ich Thesen der Arbeit zur Diskussion stellen. Prof. Dr. Therese Fuhrer (jetzt Berlin) war so freundlich, in einer frühen Phase der Arbeit mein Forschungsvorhaben mit mir zu diskutieren. Ein besonderer Dank für die Förderung während des Studiums und der Promotion gilt meinem Freiburger Lehrer Prof. em. Dr. Dr. h.c. Eckard Lefèvre. Prof. Dr. Christian Tornau (Würzburg) ermöglichte mir, Thesen aus meiner Arbeit vor seinem Hauptseminar zu präsentieren. Wichtige Anregungen von literaturwissenschaftlicher Seite habe ich durch Dr. Bettina Full, von theologischer Seite durch Dr. Eva Harasta (beide Bamberg) erhalten. Dr. Katharina Wolf hat die Mühe nicht gescheut, das gesamte Manuskript mit philologischem Scharfsinn zu lesen. Ihr und Frau Dr. Elisabeth Wolf danke ich für zahlreiche lucubrationes. Eine wichtige Stütze des Bamberger Graduiertenkollegs war die Postdoktorandin Dr. Marilena Amerise, deren frühzeitiger Tod uns alle sehr getroffen hat. Die mit ihr verbrachte Zeit wird uns immer in warmer Erinnerung bleiben.

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Vorwort

In der Abschlussphase konnte die Arbeit von der reichhaltigen Bibliothek am Zentrum für Augustinusforschung in Würzburg, einer wahren regio ubertatis, profitieren. Hier gilt mein Dank im Besonderen Herrn Dr. Andreas E.J. Grote. Den Herausgebern der Hermes Einzelschriften, Prof. Siegmar Döpp, Prof. Wolfgang Kullmann und Prof. Karl-Joachim Hölkeskamp sei für die Aufnahme dieser Arbeit in die Reihe recht herzlich gedankt. Gewidmet sei das Buch meinen Eltern, die meinen Lebensweg immer vorbehaltlos unterstützt haben. Mein Vater konnte den Abschluss dieser Arbeit leider nicht mehr erleben. Würzburg, Juli 2011

I. EINLEITUNG Generationenbeziehungen misst Augustinus in der gesamten Lebensbeschreibung der ersten neun Confessiones-Bücher eine entscheidende Rolle bei. 1 Gerade die Figur der Mutter Monnica nimmt eine zentrale Position auf dem Weg des Protagonisten zum richtigen Gottesverständnis ein, weshalb es kaum Verwunderung hervorruft, dass an Untersuchungen zu Monnica kein Mangel zu beklagen ist. 2 Im Gegensatz zur Mutter bleibt der Vater für die geistige Entwicklung unbedeutend, was in der Augustinusforschung dazu geführt hat, dass die Vaterlinie in den Confessiones weitgehend unterbelichtet geblieben ist. Die vorliegende Arbeit versucht die hieraus entstandene Lücke zu schließen, indem sie mit einem breiteren Ansatz durch einen erweiterten Blick auf die Darstellung und Deutung von Generationenbeziehungen neben der Mutter-Sohn-Linie auch Vater-Sohn-Verhältnisse stets im Auge behält. In den Confessiones durchdringen sich die Inhalte und ihre sprachliche Vermittlung an den Leser auf äußerst kunstvolle Weise, wodurch die wissenschaftliche Betrachtung nicht nur vor die Aufgabe gestellt ist, den theologischen Gehalt zu eruieren, sondern auch mit dem Instrumentarium einer literaturwissenschaftlichen Methodik die Form zu untersuchen, in der dieser zum Ausdruck gebracht wird. Die Confessiones präsentieren die literarische Darstellung einer Selbstfindung, die darauf abzielt, durch Exemplarität dem Leser Identifikationsmöglichkeiten anzubieten. Ferner sind sie daraufhin angelegt, intertextuelle Bezüge herzustellen. 3 Hierin steht das Werk ganz im Kontext der griechischen und lateinischen 1

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Der Begriff der Generation kennt eine „semantische Dopplung von Generationen familialer Abstammung einerseits und Generationen gesellschaftlicher Gleichzeitigkeit andererseits“ (Parnes / Vedder / Willer 2008, 11). Dieser Arbeit liegt ein genealogisch-familiales Generationenverständnis zugrunde, das durch die lineare genealogische Abfolge innerhalb einer Familie definiert ist und sich auf das Verhältnis von Eltern zu Kindern bezieht. Dieser Begriff der Generation bezeichnet nach Riedel 1974, 274 „die jeweiligen Glieder der Geschlechterfolge bei Lebewesen“. Generation ist hierbei eine biologische Tatsache, die jedoch auch eng mit sozialen Beziehungsmustern verbunden ist. Zu familialen Generationen vgl. Jureit 2006, 10; 30–31; 62–64. Dieser Generationenbegriff unterscheidet sich von einem gesellschaftlichen, der in horizontaler Strukturierung altersspezifische Prägungs-, Deutungs- und Handlungsgemeinschaften umfasst und besonders in der soziologischen, historischen und politikwissenschaftlichen Forschung Anwendung findet. Die Augustinus-Literaturdatenbank des Zentrums für Augustinusforschung in Würzburg erbringt unter dem Lemma ‚Monnica‘ allein 279 Ergebnisse (geprüft am 21.02.2011). Die umfassendsten Untersuchungen zur Figur der Monnica, die sämtliche Erwähnungen der Mutter sowohl in den Confessiones als auch in den Cassiciacum-Dialogen berücksichtigt, stellen die Arbeiten von van Kempen-van Dijk 1978 und Seelbach 2002, 24–92 dar. Vgl. Clark 1999, 9–10; Clark 2005, 73–74. Bahnbrechend für die Untersuchung intertextueller Zusammenhänge waren die Arbeiten von Courcelle 1963 und 21968.

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I. Einleitung

Literaturgeschichte, die sich durch einen hohen Grad an Intertextualität auszeichnet. Unter der Annahme einer solchen literarischen Konstruktion 4 müssen auch die Generationenbeziehungen betrachtet werden. Theologisch-philosophischer Inhalt und literarische Form des Werkes sind eng miteinander verbunden und erklären sich gegenseitig. Auch wenn die Confessiones mit der Darstellung der Suche nach Welterklärung in Form einer Ich-Erzählung es bis heute vermögen, zeitlose Bedürfnisse bei einer sehr großen Leserschaft anzusprechen, muss das Werk zunächst als ein Produkt seiner Zeit angesehen werden, in dem sich der die Spätantike kennzeichnende Transformationsprozess paganer Bildungsinhalte widerspiegelt, durch den die antike Kultur an das Mittelalter und an die Neuzeit tradiert wird. 5 Die Confessiones stellen den Versuch Augustins dar, in einem breiten Angebot philosophischer und theologischer Denkrichtungen und vor dem Hintergrund einer in klassischer Tradition stehenden Schulbildung eine eigene Position zu finden. Wir haben es mit dem Versuch der Selbstverortung eines christlichen Intellektuellen der Spätantike zu tun. Eine besondere Leistung der Confessiones besteht darin, dass diese intellektuelle Auseinandersetzung in die Darstellung eines lebensgeschichtlichen Entwicklungsprozesses eingefügt ist und somit Theologie dem Leser in einer zum Fachschrifttum alternativen literarischen Form vermittelt wird. Zu den bestimmenden Lebenserfahrungen, die Augustinus in den Confessiones verarbeitet, gehört die Einbindung des Menschen in Generationenbeziehungen. Generationenbeziehungen als elementare Lebenserfahrung: In der modernen psychologisch-pädagogischen Forschung wird der Familie und hier insbesondere der Eltern-Kind-Beziehung elementare Bedeutung für die Identitätsbildung, die Entwicklung eines subjektiven Selbstverständnisses, und die Sozialisation des Menschen beigemessen: Grundlegende Prägungen ereignen sich durch Tradierung von Generation zu Generation. 6 In diesem Prozess sind es insbesondere Wertvorstellungen, die an nachfolgende Generationen weitergegeben werden. Dieser Vorgang kann auf Seiten des heranwachsenden Kindes, dessen Sozialisation spätestens mit der Schule auch außerhalb der Familie stattfindet, auf Zustimmung oder auch auf Ablehnung stoßen.

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Treffend spricht Clark 1999, 10 von der “literary constructedness of the Confessions“. Vgl. die Prämissen, unter denen nach Fuhrer 2004a, 123 die Confessiones gelesen werden sollten: „Die Frage nach dem Grad der Historizität oder Spiritualität kann jedoch dann in den Hintergrund treten, wenn man die Confessiones weder als dokumentarischen noch als ‚konfessionellen‘, sondern als literarischen Text liest: als nach rhetorischen und narratologischen Kriterien organisiertes Zeichensystem, in dem bestimmte Ereignisse aus dem Leben eines Menschen, der durch die Ich-Erzählung vom Leser mit dem Autor identifiziert werden soll, in der Erzählform dargestellt und im Dialog mit einem als Gott angeredeten Du reflektiert werden.“ Vgl. ferner Horn 1995, 24 speziell zum Beispiel der Konversionsszene im 8. Buch. Vgl. Fuhrer 2008, 7. Vgl. Jureit 2006, 10–11; 16–17; 62–64; 70–71. Parnes / Vedder / Willer 2008, 324 behandeln „das Genealogische als zentrales Erzähl- und Deutungsmuster menschlicher Selbstverständigung“.

I. Einleitung

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Generationenbeziehungen verfügen über eine hohe Bindungsintensität und können von emotionaler Nähe und starker Solidarisierung bestimmt sein. Gleichzeitig ist ihnen auch ein großes Konfliktpotential inhärent, da sie in Konkurrenz zu anderen Formen sozialer und mentaler Bindung des Individuums stehen können. 7 Differenz ergibt sich u.a. durch das unterschiedliche Lebensalter und durch eine daraus hervorgehende abweichende Mentalität und Weltanschauung infolge einer unterschiedlichen Verarbeitung von Erfahrungen politischer Großereignisse und sozialer oder kulturgeschichtlicher Umbrüche. Zu dem im Rahmen der Beziehungen zwischen Eltern und Kindern tradierten gesellschaftlichen Wissen gehören Vorstellungen über Geschlechterrollen. Das eigene Erlebnis von MutterSohn- oder Vater-Tochter-Beziehungen stellt eine elementare Erfahrung dar, die die Wahrnehmung des anderen Geschlechtes bestimmen. Nicht zuletzt im Kontext der Tradierung des Glaubens und seiner Inhalte kommt dem Elternhaus eine maßgebliche Rolle zu. 8 Generationenbeziehungen in der antiken Literatur: Literaturwissenschaftliche und historische Forschungen stellen die eben allgemein umrissenen Zusammenhänge auch für das Altertum fest. Trotz zahlreicher notwendiger Differenzierungen bei eingehender Untersuchung können anthropologische Konstanten von der Antike zur Gegenwart ausgemacht werden. Auch Generationenverhältnisse können als „menschliche Grundphänomene (…) unter dem Gesichtspunkt ihrer Zeitlichkeit, ihrer Veränderbarkeit, ihrer je spezifischen Bedeutung für Gruppen und Kulturen“ 9 untersucht werden. Wenn der Althistoriker Jens-Uwe Krause feststellt: „Die Familie war die wichtigste soziale Einheit“ 10, so darf man auch für die Antike davon ausgehen, dass das Eingebundensein in familiäre Zusammenhänge sowie die sich daraus ergebenden sozialen und psychischen Konsequenzen elementare Lebenserfahrungen eines jeden Menschen darstellen. Ein herausragendes Beispiel für die große Bedeutung, die die Einordnung in Generationenbeziehungen in der Antike erfährt, ist der seit der griechischen Frühzeit bis in die Spätantike in

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Vgl. Jureit 2006, 62–64. Einen Beitrag zur theologischen Frage nach der Bedeutung der Familie als religiöser Erfahrungsraum leistet mit Blick auf Augustinus Lössl 2004. Er kommt zur abschließenden Feststellung: “in spite of fundamental differences between the Late Antique situation and the situation today there may be areas where we can compare the two; for today, too, one important question is whether the family (…) can offer space for religious experience and development” (415). 9 Martin 2006 (1994), 152 über den „Wandel des Beständigen“ als Untersuchungsgegenstand historisch-anthropologischer Forschung. 10 Krause 2003, 21. Auch wenn der lateinische Quellenbegriff familia von einem modernen Familienverständnis abweicht, insofern er auch die zum Hause gehörigen Sklaven umfasst, kann man für die Antike dennoch feststellen, dass emotionale Bindungen sich auf die Kernfamilie von Ehemann, Ehefrau und Kindern konzentrieren. Dieses Familienbild vermitteln griechische und römische Autoren sowie auch die Grabinschriften. Dennoch kann auch Sklavinnen und Sklaven eine bedeutende Position zukommen, insofern Ammen eine große Rolle in der Erziehung spielen. Vgl. Krause 2003, 43.

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I. Einleitung

verschiedenen Formen weit verbreitete Ahnenkult und die mit ihm verbundene Aufforderung zur Zeugung von Nachkommen. 11 Die Relevanz von Generationenbeziehungen wird jedoch nicht erst von der heutigen Forschung erkannt, 12 vielmehr entwickelte die Antike selbst ein ausgeprägtes Bewusstsein für die große Bedeutung familiärer Zusammenhänge. Dieses spiegelt sich in den römischen Wertbegriffen wider, unter denen die pietas als die für den Lebensbereich der Beziehungen zwischen den Generationen grundlegende Norm einen zentralen Platz einnimmt. Familiäre Bindungen können jedoch auch in Konflikt mit außerfamiliären Rollen geraten. Eine antike Reflexion bezüglich einer solchen Problematik mit einem Vorschlag der Hierarchisierung bietet Cicero in De officiis, wo die officia des Sohnes gegenüber dem Vater der Treue gegenüber den Göttern und dem Vaterland nachgeordnet werden. 13 Die für die menschliche Lebenswelt so bedeutende Thematik der Generationenbeziehungen findet breiten Niederschlag in der Literatur. Dies gilt für die Antike nicht weniger als für das Mittelalter und die Neuzeit. 14 Hierbei lässt sich feststellen, dass das Thema familiärer Erfahrung eng mit den Inhalten bestimmter literarischer Gattungen verknüpft ist. Als paradigmatische Gattung für die Verarbeitung der Generationenbeziehungen darf das Drama gelten, für das die Generationenthematik ein bedeutendes Merkmal darstellt. Ein kurzer Blick auf dieses in Hinblick auf die vorliegende Fragestellung bereits gut erforschte Genre soll dazu dienen, das Problemfeld abzustecken, in dem in der Antike Eltern-KindBeziehungen beleuchtet werden. Vater-Sohn-Konflikte sind ein häufig begegnendes Motiv im Drama, sowohl in Tragödie als auch Komödie. Ein zentrales Thema von Tragödie und Komödie ist die Begrenztheit menschlicher Erkenntnisfähigkeit. Sie äußert sich in der Unfähigkeit der Protagonisten zur richtigen Einsicht und führt zu Verblendung und zur Unfähigkeit, Zusammenhänge zu erkennen. Eine Grenze, die eine hieraus hervorgehende, für das antike Drama konstitutive Verständigungshürde zwischen Menschen markiert, ist die der Generation. 15 Der Konflikt zwischen einem liebenden jungen Paar und der Elterngeneration kann als „archetypisches komisches Motiv“ 16 gelten. Neben dem Generationenspalt als Verständigungshürde ist der Geschlechterfluch, der sich von Generation zu Generation fortsetzt, paradigmatisches Kennzeichen der Tragödie. Beispiele aus der 11 Vgl. Speyer 1976, 1147; 1153. Speziell zur römischen Memorialkultur vgl. Walter 2003; Flower 2006. 12 Eine Sammlung von einschlägigen Aufsätzen bietet Bertman 1976. Bedauerlicherweise bleibt in dem gesamten Band sowie in der allgemeinen Einleitung Reinhold 1976 die Spätantike gänzlich unbeachtet. Sehr verdienstvoll, wenngleich unter Beschränkung auf die Vaterlinie, ist der Sammelband zum Vaterbild Tellenbach 1978. 13 Vgl. off. 1,160: in ipsa autem communitate sunt gradus officiorum, ex quibus quid cuique praestet intellegi possit, ut prima dis immortalibus, secunda patriae, tertia parentibus, deinceps gradatim reliquis debeantur. 14 Vgl. zur mittelalterlichen Literatur Bennewitz 2000; Bennewitz 2004; Brinker-von der Heyde 2004. Epochenübergreifende Darstellungen bieten von Matt 1995 und Koschorke 32001. 15 Vgl. Baier 2007b, 7. 16 Baier 2007b, 7.

I. Einleitung

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Tragödie belegen auch mögliche Konfliktlinien, die nicht auf der Auseinandersetzung zwischen den Vertretern zweier Generationen beruhen, sondern aus der Solidarisierung von Eltern und Kindern hervorgehen. So kommt Sabine Föllinger in einer Untersuchung zum Väter-Töchter-Verhältnis bei Aischylos zu dem Ergebnis, dass Konfliktlinien auch anders als zwischen den Generationen gelagert sein können und dass gerade Affirmation zwischen den Generationen zu einem Gegensatz zu anderen sozialen Bindungen und zur Zerstörung familiärer (Orestie) 17 und politischer Ordnung (Hiketiden) 18 führen kann. Am Beispiel des Dramas lässt sich aber auch die Einordnung der Darstellung und Deutung familiärer Konstellationen in angrenzende und übergreifende Diskussionen der jeweiligen Zeit feststellen: Die Entwicklung der Generationenthematik von einem Anliegen von politischer Dimension in der dramatischen Dichtung des ausgehenden 5. Jahrhunderts vor Christus zur rein innerfamiliären, privaten Dimension in der Komödie des Hellenismus 19 – eine Entwicklung, die bedingt ist durch den politischen Bedeutungsverlust der Polis und einhergeht mit einem in der Philosophie sich niederschlagenden Interesse an der Psychologie menschlicher Charaktere – lässt den Zusammenhang von der Darstellung und Deutung von Generationenbeziehungen mit politischen und philosophischen Vorstellungen erkennen. Die kurzen Betrachtungen zur paradigmatischen Gattung des Dramas haben erkennen lassen, dass in der antiken Literatur die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Generationen einerseits Trennung, andererseits Solidarisierung bedeuten kann. Ferner kann die Eltern-Kind-Beziehung in ein Konfliktverhältnis zu anderen emotionalen, sozialen oder geistigen Bindungen treten. Schließlich schlagen sich in der literarischen Verarbeitung von Generationenbeziehungen zeitgenössische Diskussionen, etwa der Philosophie, nieder. In Anbetracht der eben umrissenen Relevanz der Generationenthematik in der Antike verwundert es nicht, wenn diesem im Altertum häufig reflektierten menschlichen Erfahrungsraum auch im autobiographischen Schreiben eine zentrale Stelle zukommt. Dies gilt besonders für die Confessiones des Augustinus. Generationenbeziehungen in der christlichen Theologie: Auch in der Theologie kommt Generationenbeziehungen ein prominenter Platz zu. Neben der sich auf ein leibliches Verhältnis gründenden genealogischen Generationenbeziehung kennt das christliche Denken Metaphern des Eltern-Kind-Verhältnisses. 20 Meta17 Föllinger 2007, 18 richtet den Fokus auf den auffälligen Kontrast zwischen dem gestörten Tochter-Vater-Verhältnis von Iphigenie zu Agamemnon und dem affirmativen von Elektra zu Agamemnon. 18 Vgl. Föllinger 2007, 11–16. In den Hiketiden entspinnt sich ein Konflikt zwischen Oikos und Polis, der letztendlich beide Ordnungen gefährdet. Föllinger verweist hier auch auf Platons Idealstaatsutopien, die den Konflikt zugunsten des Staates und zu Ungunsten des Privaten lösen. 19 Vgl. die hierzu einschlägige Arbeit Zimmermann 1998. 20 Auch in der paganen antiken Literatur ist dieses Phänomen, wenn auch weniger ausgeprägt, zu finden. Vgl. Speyer 1976, 1150–1151. Zur übertragenen Verwendung im frühen Christentum vgl. Speyer 1976, 1214.

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I. Einleitung

phorische Sprache kann als ein spezifisches Element des religiösen Vorstellungsraumes betrachtet werden. 21 Die Theologie der letzten Jahrzehnte hat die Bedeutung von Metaphorik als unverzichtbare Voraussetzung, von Gott zu reden, betont. Bei der sprachlichen Erfassung der Beziehung Mensch–Gott nehmen Metaphern aus dem familiären Bereich einen zentralen Platz ein. 22 Die fundamentale Relevanz von Generationenbeziehungen in der menschlichen Lebenswelt hat somit ihren Niederschlag auch im religiösen Denken und in seiner Metaphorik gefunden. Generationenbeziehungen und Familie stellen bevorzugte Bildfelder für die Figur der Metapher im religiösen Sprechen dar. 23 So entwickelt das Christentum eine durch das Bild der Neugeburt in der Taufe begründete Konstruktion einer geistigen Verwandtschaft, wodurch neben die sich auf leiblicher Geburt beruhende Blutsverwandtschaft ein auf spiritueller Ebene definierter Zusammenhang zwischen den Generationen tritt. 24 Die Metaphorik, wenn sie auf das Verhältnis Gott–Mensch und Kirche– Mensch angewandt wird, kann eine Substituierung der verwandtschaftlichen Eltern-Kind-Beziehung bewirken. Metaphern aus dem Bildfeld der Generationenbeziehungen werden jedoch auch dazu verwendet, um interpersonale Beziehungen auf einer spirituellen Ebene neu zu bestimmen. Eine Person, die eine andere zum Glauben bringt, kann als geistige Mutter oder als geistiger Vater bezeichnet werden. Hierbei wird im Falle von Verwandten das sich auf Leiblichkeit gründende Verhältnis durch ein religiös bestimmtes ersetzt. Mit seiner metaphorischen Sprache schafft das Christentum in der Spätantike tiefgreifende semantische Verschiebungen 25 und hierdurch nicht selten, wie im Fall der Generationenbeziehungen, auch eine Konkurrenzlage, die zu einer gänzlichen Absage an Familie und zum Ersatz durch eine geistige Gemeinschaft führen kann. In diesem Spannungsfeld ist auch die Darstellung der Generationenbeziehungen in den Confessiones angelegt. Der sich ergebende Konflikt manifestiert sich in der Spätantike häufig und zeigt weitreichende Folgen bis in die weltliche, volkssprachliche Literatur des Mittelalters und der Neuzeit. 26 Die Vorstellung einer geistlichen Verwandtschaft wirkt somit weit über den primär theologischen Kontext hinaus und entfaltet eine gewaltige Prägekraft von der Literatur bis hin

21 Vgl. als grundlegenden Beitrag zur Bedeutung metaphorischen Sprechens für christliche Sprache und Verstehen Ricoeur / Jüngel 1974; ferner Wischmeyer 2004, 145–147 zur Bedeutung metaphorischen Sprechens für die biblische Hermeneutik sowie Lutterbach 2003, 21–26 und Lutterbach 2004, 561–563. 22 Vgl. Lutterbach 2003, 18–21 mit dem Hinweis darauf, dass die Familienmetaphorik trotz ihrer großen Bedeutung in der Heiligen Schrift von Seiten der Forschung zur Geschichte des christlichen Denkens noch nicht die gebührende Aufmerksamkeit erhalten hat. 23 Vgl. Lutterbach 2003, 23–34. 24 Vgl. Kuchenbuch 1998, 421. 25 Vgl. Berschin 1986, 44. 26 Bennewitz 2000, 18 weist für die mittelalterliche Literatur darauf hin, dass neben den im primären Sinn definierten familialen Strukturen stets auch eine „radikale Gegenperspektive“, wie sie religiöse Sinnstiftung eröffnet, ihre Wirkungskraft entfaltet.

I. Einleitung

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zum politischen Denken, wo die Konzeption spiritueller Verwandtschaft der Herrschaftslegitimation dienen kann. 27 Vorgehen: In der vorliegenden Arbeit sollen Erkenntnisgewinne über autobiographisches Schreiben im Lichte eines Deutungshorizontes erzielt werden, der sich aus der literarischen Tradition und insbesondere aus der Bibel als dem zentralen Referenztext eines Christen konstituiert. Den ersten Hauptteil der Arbeit bildet ein Überblick über Fragestellungen der Forschung, die den Hintergrund für die Untersuchung zu den Generationenbeziehungen in den Confessiones bilden. Ein interdisziplinärer Zugang zu dieser Schrift Augustins braucht nicht begründet zu werden, vielmehr ist er hinsichtlich des hohen literarischen Anspruches und des breiten intellektuellen Horizonts des Autors unabdingbar. Die Konzepte aus der Literaturwissenschaft, der Geschichtswissenschaft und der Theologie, die in der Untersuchung zur Anwendung kommen, werden in Teil 1 vorgestellt. Der zweite Hauptteil ist der eingehenden Textanalyse gewidmet. Nach einem kurzen Überblick über das spätantike und das augustinische Bild von Generationenbeziehungen werden die Confessiones im textchronologischen Sinne untersucht. Diese Methode bietet im Gegensatz zu einer thematischen Gliederung der Beobachtungen zu den Generationenbeziehungen den Vorzug, dass sie den Text als Gewebe von Erzählsträngen und somit die Confessiones als literarisches Werk angemessener erfassen kann. Die Erzählstruktur des Texts ist bestimmt von der Darstellung und Meditation über die mit dem äußeren Lebensweg verbundene geistige Entwicklung des Protagonisten Augustinus aus der Perspektive des Erzählers. Es wird die Entwicklung einer Identität beschrieben, die am Ende des 9. Buches an ein Ziel gelangt. Nur durch ein Vorgehen im textchronologischen Sinne besteht die Möglichkeit, die Generationenbeziehungen am Parameter dieser Entwicklung zu erschließen. Folglich können die Einzelbeobachtungen in ihrem erzählerischen Kontext nur so richtig untersucht werden. Damit übergreifende Zusammenhänge dem Leser nicht verloren gehen, erfolgt am Ende eines jeden Kapitels eine Zusammenfassung der erzielten Ergebnisse. Den längeren lateinischen Zitaten, die im Fließtext angeführt werden, sind in den Fußnoten deutsche Übersetzungen beigefügt. Es handelt sich hierbei um eigene Wiedergaben, die für den pragmatischen Zweck erstellt sind, dem Leser die Lektüre der lateinischen Textabschnitte zu erleichtern. Für die Confessiones bot die Übersetzung von Flasch / Mojsisch 2003 meist zuverlässige Orientierung. Die deutschen Wiedergaben von Plotin sind der Übersetzung Tornau 2001 entnommen.

27 Zu einem Beispiel aus dem byzantinischen Bereich vgl. Amerise 2008.

II. EINORDNUNG IN DEN FORSCHUNGSKONTEXT 1. LITERATURWISSENSCHAFTLICHE FRAGESTELLUNGEN Im Folgenden soll eine Einordnung der Untersuchung von Generationenbeziehungen in den Confessiones in Fragestellungen der aktuellen Forschung verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen vorgenommen werden, in deren Fokus Augustinus steht. In diesem Methodenkapitel soll der Fragehorizont abgesteckt werden, der den Hintergrund für die darauf folgende eingehende Textinterpretation darstellen wird. Zunächst soll in einem in dieser Arbeit nur verknappt möglichen Rahmen das Thema der umstrittenen Gattungsbestimmung angerissen werden, da sich fundamentale Zusammenhänge zwischen Augustins Darstellung der Generationenverhältnisse und der literarischen Form erkennen lassen. 1 Auch wenn eine klare Einordnung unerreichbar erscheint, 2 so können die Confessiones doch in den Kontext verschiedener Gattungstraditionen gestellt werden, die Aufschlüsse über die mit dem Werk verfolgten Wirkabsichten des Autors geben. Ein weiterer Punkt in dieser Vorüberlegung ist die die antike Literatur in besonderem Maße prägende Intertextualität. Von den Confessiones geht ein äußerst weitgespanntes Netz intertextueller Beziehungen zu einer großen Bandbreite an Prätexten aus. Dies gilt sowohl für den Verweis auf die Bibel als auch auf die Kirchenväter und die pagane Literatur. 3 Im anschließenden Kapitel sollen Ansätze aus der Narratologie vorgestellt werden, die sich im close reading als erkenntnisförderlich erweisen. Die Erzähltechnik ist in den Confessiones eng mit der theologisch-philosophischen Aussage verbunden. Hier haben sich neuphilologische Forschungserträge, insbesondere die Kategorisierungen G. Genettes, für die Untersuchung als weiterführend erwiesen. 4 Vielfach wurden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Versuche unternommen, den autobiographischen Teil der Confessiones unter Rückgriff auf die Erkenntnisse der Psychoanalyse zu erschließen, weshalb eine Auseinandersetzung mit dieser Herangehensweise in der vorliegenden Arbeit nicht ausbleiben kann. 5 Die Frage nach Generationenbeziehungen rückt die Untersuchung auch in den Kontext der besonders von der Geschichtswissenschaft und der Klassischen Philologie betriebenen kulturhistorischen Forschung, die die Spätantike als eine 1 2 3 4 5

S. Kap. II.1.a. Treffend ist die Einschätzung bei Herzog 1989, 32, nach der die Confessiones „alle vertrauten Gattungen sprengen“. S. Kap. II.1.b. S. Kap. II.1.c. S. Kap. II.1.d.

1. Literaturwissenschaftliche Fragestellungen

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Umbruchsphase deutet und für diese Epoche tiefgreifende kulturelle und mentale Veränderungen infolge der Verbreitung des Christentums feststellt. 6 Hier rücken ganz besonders auch das Rollenbild der Frau und normative Vorstellungen zum Verhältnis der Geschlechter zueinander in den Blickpunkt der Forschung. In diesem Bereich können Ergebnisse der an den Gender Studies orientierten altertumswissenschaftlichen Forschung herangezogen werden. 7 Im abschließenden Kapitel über Fragestellungen aus dem Bereich der Theologie soll zunächst die Bedeutung der Metapher im religiösen Sprach- und Vorstellungsraum behandelt werden, die für die Deutung der den Eltern beigemessenen Funktionen wichtige Aufschlüsse liefert. 8 Die in diesem Kapitel gewonnenen Erkenntnisse sollen die Grundlage für den nachfolgenden Hauptteil mit der Untersuchung zu den Vorstellungen von eigentlichen und metaphorischen Generationenbeziehungen allgemein in der Theologie der Spätantike und speziell in den Confessiones bilden. Ein Hauptpunkt der Arbeit besteht darin, die literarischen Gestaltungstechniken aufzuzeigen, die zur sprachlichen Vermittlung der den Figurenbeziehungen eingeschriebenen theologischen Deutungen dienen. Unter ‚literarisch‘ wird hierbei die besondere ästhetische Gestaltung des Sprachmaterials verstanden, durch die sich die antike Prosa als eine Kunstprosa auszeichnet. 9 Die literarische Formung von Sachthemen stellt eine Eigenart der antiken Literatur dar, die dazu dienen sollte, dem Leser den Zutritt zu schwerer zugänglichen Themenbereichen wie etwa der Philosophie zu erleichtern. 10 In diesem Sinne liegt der Blickpunkt dieser Arbeit auf der sprachlich-literarischen Gestaltung, durch welche die augustinische Theologie dem Leser vermittelt werden soll. Ein solcher Ansatz kann für Augustinus jedoch nur gewinnbringend sein, wenn er in einen Dialog mit theologischen, philosophischen und geschichtswissenschaftlichen Forschungsleistungen tritt. 11 Entsprechend der Herangehensweise aus literaturwissenschaftlicher Perspektive liegt bei der aufgrund der bibliographischen Fülle notwendigerweise eingeschränkten Auswahl der Sekundärliteratur ein Schwerpunkt bei den Forschungsbeiträgen, die von Seiten der Klassischen Philologie erbracht worden sind. Den6 7 8 9

S. Kap. II.2. S. Kap. II.2.b. S. Kap. II.3. Vgl. zu einer Definition von ‚Literatur‘ im Sinne der Klassischen Philologie, die ein weites Spektrum an Textsorten einschließlich Sachtexten behandelt, beispielshalber von Albrecht 1994, 1: „Ein Unterschied zur heute geläufigen Vorstellung von Literatur sei vorweg genannt: Antike Literatur umfaßt außer Poesie und Romanschriftstellerei auch Reden, historische und philosophische Schriften – also Kunstprosa im weitesten Sinne. Darüber hinaus sind im Prinzip auch Sachbücher – über Landwirtschaft, Recht, Kriegswesen, Architektur usw. – zu berücksichtigen.“ Künstlerische Formung als konstituierendes Element eines der Klassischen Philologie zugrunde liegenden Literaturbegriffs auch bei Fuhrmann 1974, 1–2. 10 Vgl. von Albrecht 1994, 1. Als Beispiel sei hier auf Lukrez verwiesen mit der programmatischen Absicht des Dichters, durch eine ästhetisch ansprechende Darbietung dem Leser den zu vermittelnden Stoff zu ‚versüßen‘ (1,936–941). 11 Zu einer Standortbestimmung der Klassischen Philologie in der Augustinus-Forschung vgl. Fuhrer 2003, 169–171.

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II. Einordnung in den Forschungskontext

noch soll dem Anspruch auf Interdisziplinarität, den eine Untersuchung zum Denken eines christlichen Intellektuellen in der Spätantike nahe legt, so gut wie nur möglich Rechnung getragen werden. a) Das Problem der literarischen Gattungsbestimmung α) Aufbau der Confessiones Eine Untersuchung zu den Generationenbeziehungen in den Confessiones ist, wie diese Arbeit herausstellen möchte, eng verbunden mit der Frage nach der Gattungsbestimmung des Werkes. Deshalb soll diesem Problem ein kurzer Überblick gewidmet werden, in dem solche Deutungen besprochen werden, die im Rahmen der Fragestellung zur Bedeutung der Generationenbeziehungen Aufschlüsse erbringen können. Die Confessiones sind an zwei Adressaten gerichtet. Neben Gott, der vom Erzähler direkt angeredet wird, tritt das intendierte Lesepublikum, über dessen mögliche Reaktionen an mehreren Stellen reflektiert wird. 12 Wie der Autor in seinen Retractationes explizit äußert, sind die Confessiones aus verschiedenen Teilen zusammengesetzt: a primo ad decimum de me scripti (sc. libri) sunt, in tribus ceteris de scripturis sanctis. 13 Augustins eigene Gliederung hält somit eine Dichotomie des Werkes fest. Die Aussage des Autors, er schreibe über sich selbst (de me), legt die Bezeichnung dieses ersten Teiles als ‚autobiographischer Teil‘ nahe. 14 Gliederungsversuche neueren Datums heben nochmals Buch 10 von einem aus den Büchern 1–9 bestehenden autobiographischen Teil ab. Sie trennen zwischen der Erzählung der bis 10 Jahre vor der Abfassung dauernden erzählten Zeit (Bücher 1–9) und der Selbstprüfung zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Niederschrift, auf die eine ausgedehnte Reflexion über das Wesen der memoria folgt (Buch 10). 15 Für eine Zäsur zwischen den Büchern 1–9 und 10 spricht kompositionstechnisch die Einleitung des 10. Buches durch ein Binnenproömium (10,1,1– 10,5,7), in dem der Erzähler über die Differenz zwischen der bisherigen Schilderung der Vergangenheit (qualis fuerim) und dem neu einsetzenden, auf die Gegenwart bezogenen Abschnitt im Gedankengang (qualis sim) reflektiert. Es ist von großer Bedeutung auch für diese Arbeit, am Ende des 9. Buches den Endpunkt eines geschlossenen ersten Teiles der Confessiones zu sehen, der die Entwicklung bis zu einem bestimmten, am Ende von Buch 9 erreichten Ziel darstellt. Die Frage nach der Einheit der Confessiones, also die Frage, wie ein Zusammenhang der autobiographischen Selbstanalyse vor Gott in den Büchern 1–9 mit (1) den Reflexionen über den gegenwärtigen intellektuellen und mentalen Zustand zur Zeit der Abfassung und über die memoria in Buch 10 sowie (2) mit der Gene12 13 14 15

Vgl. Consolino 1981, 132 und passim. Retr. 2,6. Diese Bezeichnung bei Fuhrer 2004a, 106 u.ö. Vgl. Fuhrer 2004a, 106; Frederiksen 2007, 294–296; 308.

1. Literaturwissenschaftliche Fragestellungen

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sis-Exegese in den Büchern 11–13 herzustellen ist, beschäftigt die Forschung seit jeher und bringt immer wieder neue Lösungsvorschläge hervor. Die Frage nach der Einheit des Werkes ist eng verbunden mit der Frage nach seiner Gattungszugehörigkeit. β) Die Confessiones in der Tradition autobiographischen Schreibens Seitdem Georg Misch in seiner Geschichte der Autobiographie die Confessiones als Autobiographie aufgefasst hat, 16 wird diesem Werk bis zu den jüngsten Darstellungen 17 ein wichtiger Platz in der Entwicklungsgeschichte dieser Gattung eingeräumt. Günter Niggl stellt für die griechisch-römische Antike eine Entwicklung von Vorstufen autobiographischen Schreibens fest, die sich im Griechenland des 7. und 6. Jahrhunderts vor Christus in zwei Traditionslinien vollzieht: Zum einen finden sich Rechenschaftsberichte zur Selbstverteidigung, die auch zum Lob auf den Redner oder Autor selbst werden konnten. Zum anderen entwickelt sich aus dem Brauch der Sphragis (ein verbales ‚Siegel‘, durch das der Dichter ein Gedicht als sein Eigentum kenntlich macht) die Selbstvorstellung der Dichter hin zu umfassenderen Darstellungen des ganzen Lebens. Die Selbstpräsentation im ersten Sinne blieb aber bis in die augusteische Zeit auf Stoffe mit politischgesellschaftlicher Relevanz beschränkt und begrenzte sich dadurch auf äußere Lebenszusammenhänge, während innere außer Betracht blieben. 18 Nach der Vorbereitung durch die Stoa legte schließlich das Christentum die Grundlage eines verinnerlichten Menschenbildes, das das Interesse auf moralische und psychologische Aspekte des eigenen Ich lenkte. Eine innerweltliche Perspektive wurde abgelöst durch den Blick auf das Verhältnis des Menschen zu Gott. 19 Die Zuordnung zur Autobiographie wird durch Augustins eigene Aussage aus den Retractationes gestützt, die die ersten 10 Bücher als de me scripti qualifiziert. In den vergangenen Jahren sind zwei bedeutende Tagungsbände zur Autobiographie in der Antike erschienen, 20 in denen die Bestimmung der Confessiones als Autobiographie von Jean-Claude Fredouille 21 und Bernhard Zimmermann 22 verteidigt worden ist. Gegen die Gattungsbestimmung der Gesamtschrift als Autobiographie dürfen jedoch berechtigte Einwände erhoben werden. So sind die eingefügten Exkurse über die memoria, über die Zeit sowie die Genesis-Exegese in den Büchern 11– 13, bei der die Hermeneutik des mehrfachen Schriftsinns paradigmatisch angewandt wird und die über die Hälfte des Werkes umfasst, kaum mehr als Teil einer sich aus der Lebensbeschreibung konstituierenden Gattung zu erklären. Mit der 16 31950 (Erstauflage: 1907), zu den Confessiones 637–678. 17 Vgl. Görgemanns 1997, 350–351; Berschin 1997, 351–352; Wagner-Egelhaaf 2000, 107– 113; Holdenried 2000, 89–93. 18 Vgl. Niggl 2004, 10–24. 19 Vgl. Niggl 2004, 24–25. 20 Baslez / Hoffmann / Pernot 1993 und Reichel 2005. 21 Vgl. Fredouille 1993. 22 Vgl. Zimmermann 2005. Vgl. auch Zimmermann 1996, 197–198.

22

II. Einordnung in den Forschungskontext

Bestimmung der Confessiones als Autobiographie lässt sich die Gesamtstruktur des Werkes somit nicht erfassen. 23 Bei aller Skepsis, die Gattungsbezeichnung ‚Autobiographie‘ auf die Confessiones als Gesamtwerk anzuwenden, sollte zumindest doch in Hinblick auf die Bücher 1–9 von einem ‚autobiographischen Teil‘ 24 gesprochen werden. Hier begegnen zwei das autobiographische Schreiben konstituierende Elemente: einerseits die „Rückblicksperspektive“, andererseits die kontinuierliche Darstellung des eigenen Lebens von Geburt an. 25 Bedeutendes Merkmal des autobiographischen Teiles der Confessiones ist die Verknüpfung von innerer Entwicklung und äußeren Lebensumständen. Durch die Verschränkung der Erzählung von Ereignissen im Leben mit Reflexionen darüber wird der Verlauf des inneren Entwicklungsprozesses als von äußeren Lebensumständen angestoßen dargestellt. 26 Diese Darstellung einer Wechselwirkung von Außen und Innen wird literarisch ausgestaltet und ist ein zentrales Thema der Confessiones. In der Verbindung dieser beiden Ebenen sollten die Confessiones traditionsbildend auf die Gattung der Autobiographie wirken, über die Günter Niggl allgemein schreibt: „Vielfach wird das eigene Leben auch als Wechselspiel dieser inneren und äußeren Mächte gesehen: Gott und die Seele, Ich und Welt, Ich und Jahrhundert sind häufig begegnende Pola27 ritäten, und manchmal sind alle vier Instanzen daran beteiligt, den Lebenstext zu weben.“

Es ist berechtigt, den Confessiones einen entscheidenden Platz in der Gattungsgeschichte der Autobiographie zuzuschreiben, wenn man mit Wilhelm Dilthey als Wesensmerkmal der „Selbstbiographie“ die Konstitution von Sinn in der Lebensbetrachtung sieht:

23 Vgl. hierzu in der Forschung jüngeren Datums Feldmann 1998, 30. Nach Fuhrer 2004a, 127 „lassen sich die Confessiones als Ganzes kaum als Autobiographie bezeichnen, und zwar nicht, weil sie – wie etwa geltend gemacht wird – das Leben des Autors nur sehr selektiv darstellen, sondern weil die autobiographische Darstellung ja nur einen Teil der ganzen Schrift umfasst und im Hinblick auf die Genesis-Exegese im anderen Teil funktionalisiert ist.“ Vgl. ferner auch Brachtendorf 2005, 290. 24 Dieser Bezeichnung bedienen sich neben vielen anderen Holzhausen 2000, 553 u.ö.; Fuhrer 2004a, 106 u.ö. Die Tatsache, dass die Antike noch keine eigene Gattungsbestimmung ‚Autobiographie‘ kennt, braucht zu dieser Bezeichnung nicht im Gegensatz zu stehen. Auch andere Gattungen können für die Antike als avant la lettre existent festgestellt werden, wie z.B. Roman, Utopie oder Enzyklopädie; vgl. Zimmermann 1996, 183–184; Zimmermann 2005, 237–239. 25 Vgl. Niggl 2004, 9; Niggl 2005, 2–3. Brachtendorf 2005, 292 wendet gegen die Bezeichnung selbst der ersten 9 Bücher als Autobiographie ein: „Es geht Augustinus von vornherein nicht um das Individuelle, sondern um das Allgemeine, das in seinem persönlichen Schicksal sichtbar wird.“ Brachtendorf betont zu Recht die zugrunde liegende Vorstellung der Exemplarität der Lebensbeschreibung. Dennoch muss aus diesem Grund kein Verzicht auf die Zuordnung zum autobiographischen Schrifttum erfolgen. 26 Die Einschätzung Heinrich Dörries, dass die Konversion eine Umkehr ohne Zwischenpositionen ist und somit keine entwicklungsgeschichtlichen Stufen kennt (vgl. Dörrie 1962, 502– 503), kann hier nicht geteilt werden. 27 Niggl 2005, 6.

1. Literaturwissenschaftliche Fragestellungen

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„Die Selbstbiographie ist die höchste und am meisten instruktive Form, in welcher uns das Verstehen des Lebens entgegentritt. Hier ist ein Lebenslauf das Äußere, sinnlich Erscheinende, von welchem aus das Verstehen zu dem vorandringt, was diesen Lebenslauf innerhalb ei28 nes bestimmten Milieu hervorgebracht hat.“

Mit der Berücksichtigung eines metaphysischen Rahmens gehen die Confessiones über die antiken Vorgänger hinaus und sind wegweisend für die nachfolgende Entwicklung. Ursula Schulze, die auf die Schwierigkeiten einer präzisen Gattungsbestimmung hinweist, möchte unter Autobiographien „Schriften, in denen eine Reihe von Merkmalen mit unterschiedlicher Konsequenz repräsentiert ist“, 29 auffassen. Unter diese Merkmale zählt sie „Gestaltung des Lebenszusammenhangs, Wechselwirkung zwischen Ich und Außenwelt, retrospektive Wertung individueller Erfahrungen, Entwicklung der Persönlichkeit, Totalität des Individuums.“ 30 Alle diese Merkmale sind in den Confessiones enthalten und nehmen eine zentrale Stellung ein. Gerade in dem Punkt der „Gestaltung des Lebenszusammenhangs“ können die Confessiones berechtigterweise in die Gattungstradition der Autobiographie eingeordnet werden. In der Tradition der Autobiographie kommt ihnen ein herausragender Platz zu, insofern sie bereits in Bezug auf die Quantität alles bisherige autobiographische Schreiben bei Weitem überragen. 31 Charakteristikum der Confessiones ist die Deutung des geistigen Entwicklungsweges mithilfe theologischer Strukturen. 32 Kurt Flasch weist auf die Bedeutung der Gnadenlehre in der Lebensbeschreibung hin und bezeichnet die Confessiones als eine „Selbstverständigung im Lichte einer bestimmten These“. 33 Die Selbstverständigung wird jedoch nicht speziell im Lichte nur einer theologischen These vollzogen, sondern vor dem Hintergrund eines umfassenden philosophisch-theologischen Systems, das auf der Auseinandersetzung mit der Bibel sowie der paganen und der christlichen Tradition beruht. Es ist somit durchaus berechtigt, den Confessiones eine bedeutende Rolle in der Gattungstradition der Autobiographie zuzuweisen, eine befriedigende Deutung der Einheit der Confessiones, die auch die Bücher 10–13 erklärt, ist mit dieser Einordnung jedoch noch nicht erreicht.

28 Dilthey 21998 (1906–1911 / 1927), 28. Dilthey geht auch auf Augustinus als Paradigma für seine These ein. Vgl. Dilthey 21998 (1906–1911 / 1927), 26–27. 29 Schulze 1980, 1262. 30 Schulze 1980, 1262. 31 Zu diesem Urteil gelangte Walter Berschin in seinem Vortrag zur „Autobiographie im Schatten Augustins (V.–XII. Jahrhundert)“ in Bamberg am 28. Januar 2008. 32 Vgl. die Einschätzung bei Döpp 1988, 30: „[S]ie überbieten nicht allein die Tradition heidnischer und christlicher Bekenntnisliteratur, sondern erschließen darüber hinaus der Autobiographie, der Analyse der eigenen geistigen Entwicklung eine ganz neue Dimension, indem sie die individuelle Existenz mit Hilfe ontologischer Strukturen erfassen und deuten.“ – wenngleich es zu bedenken gilt, dass es durchaus eine Tradition der Lebensbetrachtung im Lichte philosophischer Ideen auch schon davor gegeben hat – man denke an Marcus Aurelius. 33 Flasch 2003a, 10.

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II. Einordnung in den Forschungskontext

γ) Der Titel: Confessiones Ein traditioneller Ansatz erklärt die Einheit der Confessiones aus dem Titel des Werkes. Ein solches Vorgehen liegt sehr nahe, wird doch die Lesererwartung während der Lektüre entscheidend vom Titel gesteuert. Bei den Confessiones liegt der für die Überlieferung antiker Werke nicht selbstverständliche glückliche Fall vor, dass der Titel mit Sicherheit vom Autor stammt. 34 Die Wortfamilie von confessio / confiteri zeichnet sich durch ihre in der Entwicklungsgeschichte erworbene Polysemie aus. 35 Diese Mehrdeutigkeit spiegelt der Plural im Titel des Werkes wider: 36 Hier kommen (1) das ‚Bekenntnis‘, die ‚Beichte‘, das ‚Eingeständnis‘ der eigenen Beschränktheit infolge der Geschöpflichkeit und des Sündenfalls (confessio peccatorum), 37 (2) der Dank an Gott für sein Wirken am Menschen, das ‚Lob‘ (confessio laudis) 38 und (3) die ‚Bezeugung / das Bekenntnis des Glaubens‘ (confessio fidei) 39 zusammen. Unter dem Aspekt des Glaubensbekenntnisses kann auch der exegetische Teil eingegliedert werden. 40 Hier stellt die confessio ein Bekenntnis auch zur orthodoxen Lehrmeinung der Kirche, zur fides catholica, dar. 41 Dem Glaubensbekenntnis steht eine weitere explizit angeführte Bedeutung der confessio nahe, die einer (4) confessio scientiae: 42 Auch diese ermöglicht es, den exegetischen Teil als eine Form der confessio aufzufassen, wie die Einleitung zum 11. Buch zu erkennen gibt: et olim inardesco meditari in lege tua et in ea tibi confiteri scientiam et imperitiam meam. 43 Der Titel erlaubt somit, einen Zusammenhang zwischen den verschiedenen Teilen des Werkes herzustellen. Während jedoch bei einer Erklärung der Einheit ausschließlich durch den Titel die Confessiones weitgehend ein Werk sui generis ohne Zusammenhang mit der literarischen Tradition bleiben, sind in der jüngeren Forschungsgeschichte weitere Vorschläge gemacht worden, die durch die Einordnung in Gattungszusammenhänge der antiken Literatur wichtige Aspekte beleuchten können und vor allem die Wirkabsicht gegenüber dem intendierten Leser in den Blickpunkt rücken. Nicht zuletzt die Frage, warum in dem zweiten, exegetischen Teil gerade eine Demonstration verschiedener Auslegungsmöglichkeiten des Schöpfungsberichtes gewählt wurde, hat in der neueren Forschung eine nähe-

34 Den Titel verdankt die Nachwelt Augustins eigener Werkübersicht, den Retractationes: confessionum mearum libri tredecim (retr. 2,6,1). 35 Vgl. Courcelle 21968, 13–20; Mayer 1986–1994a; Fuhrer 2004a, 106. 36 Vgl. Fuhrer 2004a, 106. 37 Vgl. Mayer 1986–1994a, 1129–1130. 38 Vgl. Mayer 1986–1994a, 1131–1132. 39 Vgl. Mayer 1986–1994a, 1127–1128; Fuhrer 2005, 6. 40 Vgl. Steidle 1982, 507–527; Steidle 1983, 95–96. 41 Vgl. Fuhrer 2005, 6. 42 Vgl. Pfligersdorffer 1987 (1970); Mayer 1986–1994a. 43 11,2,2.

1. Literaturwissenschaftliche Fragestellungen

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re Bestimmung des adressierten Lesers in den Blickpunkt gerückt 44 und zu Gattungsbestimmungen geführt, die sich nicht auf eine Deutung des Werktitels beschränken. Bei der Fragestellung nach dem adressierten Leser und der Eigenart der Confessiones wird die Auffassung vertreten, das Werk lasse die aktuelle Situation Augustins zum Zeitpunkt der Abfassung erkennen. Mit diesem Hinweis auf die wesentliche Bedeutung, die der Situation Augustins zum Zeitpunkt der Abfassung des Werkes für die Interpretation beizumessen ist, ist ein weiterer wichtiger Anstoß für die Interpretation gegeben. 45 δ) Die Confessiones als Apologie Versuche, die Confessiones als Apologie zu deuten, sind immer wieder unternommen worden. 46 So werden die Confessiones als ein apologetisches Werk gegen Vorwürfe, Augustinus hinge auch als christlicher Bischof noch dem Manichäismus, seinem Rhetorenberuf oder seinem Sexualleben an, gelesen. Gegen solche Vorwürfe, die Augustinus einer mangelnden Rechtgläubigkeit zeihen, habe der neu gewählte Bischof vorgehen müssen. Unter die möglichen Absichten, die hinter dem Werk stehen könnten, fällt auch die Verteidigung gegen Vorwürfe von Seiten der Donatisten und Manichäer. 47 Mit dieser Interpretation soll auch die Wahl des Schöpfungsberichtes für die Exegese und die Betonung der verschiedenen Lesarten erklärt werden, denn am Alten Testament allgemein und besonders auch am biblischen Schöpfungsmythos nahmen die Manichäer Anstoß. So sehr Therese Fuhrer zuzustimmen ist, wenn sie den Confessiones die Funktion zuweist, „den historischen Autor in seinem zeitgenössischen theologischen und kirchenpolitischen Diskurs zu positionieren“ 48, so erfasst die alleinige Bestimmung der Confessiones als Apologie der eigenen Orthodoxie gegen die Polemik von Seiten der Manichäer und Donatisten nicht ein weiter gefasstes Spektrum an Adressaten, das aus expliziten Äußerungen in den Confessiones zu erschließen ist. Wenn Augustinus beim Leser den fraternus animus (10,4,5) voraussetzt, kann er als Zielpublikum nicht primär eine mit Vorbehalten behaftete oder gar feindlich gesinnte Leserschaft erwarten. Ferner hat Augustinus auch andernorts, in der Schrift De Genesi adversus Manicheos libri duo diesen Bibelabschnitt gegen manichäische Einwände verteidigt, sowie in De Genesi ad litteram libri duodecim, De Genesi ad litteram liber unus imperfectus und in De civitate dei 11–12. Augustinus hat somit fünfmal den Schöpfungsbericht ausgelegt. 49 Karla Pollmann ist in einer 44 Hiermit folgt die Augustinus-Forschung einem Ansatz, der auch für andere Kirchenväter ertragreich zur Anwendung kommt. Feichtinger 1995 setzt in ihren Untersuchungen zum hieronymianischen Briefwerk den Fokus auf die „‚Öffentlichkeit‘ als intendierter Adressat“ (Zitat: 25). 45 Vgl. hierzu den Forschungsüberblick bei Feldmann 1998, 23–25. 46 Vgl. zuletzt Chadwick 2003; Kotzé 2004. 47 Vgl. Fuhrer 2005. 48 2005, 11. 49 Vgl. Pollmann 2007, 203; 205.

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II. Einordnung in den Forschungskontext

vergleichenden Untersuchung zu den verschiedenen Genesis-Auslegungen 50 zu der Feststellung gelangt, dass sich gerade der exegetische Teil der Confessiones an ein christliches und der augustinischen Hermeneutik gegenüber weniger skeptisch eingestelltes Publikum richtet, während eine dezidiert antimanichäische Stoßrichtung gerade den anderen Schriften zugeschrieben werden muss. ε) Die Confessiones als christlicher Protreptikos Seit den 80er Jahren findet, angestoßen durch den Theologen Erich Feldmann, die Deutung der Confessiones als ein ‚christlicher Protreptikos‘ zusehends Anklang. 51 Für diese Deutung spricht vor allem, dass Augustinus seine eigene geistige Entwicklung als in wesentlichen Teilen von Lektüreerlebnissen angeregt darstellt. 52 So ist es auch ein Protreptikos, der in den Confessiones an zentraler Stelle steht. Der Beginn seiner Hinwendung zu Gott ist von einer protreptischen Schrift, dem ciceronischen Hortensius, angeregt, wie Augustinus in den Confessiones unter expliziter Nennung des Titels darstellt (3,4,7). Lektüreerlebnisse spielen im gesamten autobiographischen Teil eine große Rolle. Im Lob auf die Freundschaft in 4,8,13 wird als gemeinschaftliche Unternehmung das simul legere libros dulciloquos aufgenommen. Aristoteles’ Categoriae (4,16,28), die libri Platonicorum (7,9,13; 8,2,3) und schließlich die Bibel geben entscheidende Impulse. Als weitere Darstellungen von wichtigen Lektüreerlebnissen sind in einer Binnenerzählung die Antoniuslektüre einer Gruppe in Trier mit der unmittelbar im Anschluss vollzogenen Konversion des Lebensweges (8,6,15), das tolle-legeErlebnis und die darauf folgende Pauluslektüre in der Erzählung der eigenen Konversion sowie Ambrosius’ Empfehlung der Jesaja-Lektüre zu sehen. Auch der Bischof, an den sich Monnica wendet, prophezeit, dass der Sohn durch Lesen den rechten Weg finden wird. 53 Man kann hier von einer Abbildung der mit den Confessiones verfolgten Wirkabsicht innerhalb des Werkes sprechen, wobei gerade diese Abbildung einer Erweckung infolge von Lektüreerlebnissen zur intendierten Wirkung beitragen soll: Dadurch, dass der Leser der Confessiones erkennt, wie die Figuren entscheidende Anstöße aus Leseerfahrungen gewonnen haben, soll bei ihm die Bereitschaft gesteigert werden, sich selbst durch die Lektüre des Buches zu einer Veränderung in seinem Leben anleiten zu lassen. Im Begriff excitare ist von Erich Feldmann zu Recht der programmatische Leitgedanke in Augustins literarischer Intention ausgemacht worden. 54 Passagen, in denen der Erzähler über das Ziel einer öffentlichen Darlegung seiner Bekenntnisse nach50 Vgl. Pollmann 2007, 208–209; 212–214. 51 Vgl. Feldmann 1986–1994 und Feldmann 1998. Das protreptische Anliegen in Hinblick auf ein manichäisches Publikum untersucht Kotzé 2004. 52 Insofern diese Impulse in seiner intellektuellen Lebenswelt erfolgt sind; diese steht neben der familialen Lebenswelt als eine weitere wichtige Quelle von Impulsen. In der Familie stellt die Mutter die entscheidende Kraft dar. 53 3,12,21: ipse legendo reperiet, quis ille sit error et quanta impietas. 54 Vgl. Feldmann 1998, 44–48, mit Analysen von 1,1,1; 5,1,1; 8,4,9; 11,1,1.

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denkt, machen die mit dem Werk verfolgte Absicht deutlich. In einer Reflexion über die mögliche Wirkung der Confessiones auf den Leser im 2. Buch wünscht der Erzähler, dieser möge durch die Lektüre zur Gottesliebe angeregt werden. 55 Eine in den Confessiones immer wieder anzutreffende Denkfigur ist die Vorstellung, dass das Leben eines Menschen exemplarisch betrachtet und dass vom Einzelnen auf Allgemeinmenschliches geschlossen werden kann. Die mit den Confessiones beabsichtigte Anregung durch ein persönliches Vorbild wird in der Handlung des Werkes widergespiegelt. In den Confessiones findet sich eine Reihe von Konversionsdarstellungen, die von Augustinus selbst als stimulierende Momente seiner eigenen Konversion gedeutet werden. 56 Von leitenden exempla spricht er am Beginn des 9. Buches: sagittaveras tu cor nostrum caritate tua, et gestabamus verba tua transfixa visceribus et exempla servorum tuorum, quos de nigris lucidos et de mortuis vivos feceras, congesta in sinum cogitationis nostrae urebant et absumebant gravem torporem, ne in ima vergeremus, et accendebant nos valide, ut omnis ex «lingua subdola» (Ps 119,2 sq.) contradictionis flatus 57 inflammare nos acrius posset, non extinguere.

Auch nach der eigenen Konversion werden im 9. Buch Konversionen anderer Personen dargestellt: Verecundus (9,3,5), Nebridius (9,3,6), Alypius (9,4,7) und Evodius (9,8,17). 58 Ein Beispiel, wie sich in den Konversionen der anderen Augustins eigene Konversion widerspiegelt, ist die Darstellung der geistigen Entwicklung des Nebridius. Der wechselseitige Bezug der beiden Konversionserlebnisse wird besonders durch die Verwendung identischer Terminologie deutlich. So wird in dem kurzen Referat der manichäischen Phase bei Nebridius in 9,3,6 der frühere Zweifel an der Leiblichkeit Christi, der in der Erzählgegenwart abgelehnt wird, in derselben Terminologie ausgedrückt wie in Augustins Reflexion über die eigene manichäischen Phase in 5,9,16 (in cruce phantasmatis). Die manichäische Phase wertet Augustinus bei Nebridius genau wie bei sich selbst als ei55 2,7,15: qui enim vocatus a te secutus est vocem tuam et vitavit ea, quae me de me ipso recordantem et fatentem legit, non me derideat ab eo medico aegrum sanari, a quo sibi praestitum est, ut non aegrotaret, vel potius ut minus aegrotaret, et ideo te tantundem, immo vero amplius diligat, quia per quem me videt tantis peccatorum meorum languoribus exui, per eum se videt tantis peccatorum languoribus non implicari. Vgl. ferner 2,3,5. 56 Die Bedeutung des Mitmenschen für den Prozess des Erkenntnisfortschrittes kommt auch in Augustins Vorstellungen zur Hermeneutik zum Tragen. Nach doctr. chr. prol. 6,13–8,17 sind es die Mitmenschen, durch die der Einzelne zur rechten Erkenntnis gelangt. 57 9,2,3: „Du hattest unser Herz mit den Pfeilschüssen deiner Liebe durchbohrt, und wir trugen deine Worte, die in unserem Inneren festhafteten, mit uns. Die Beispiele deiner Diener, die du aus der Finsternis in die Helligkeit gebracht und aus Toten zu Lebendigen gemacht hattest, wurden im Innersten unseres Denkens zusammengeführt. Sie verbrannten und entfernten die schwere Lähmung, so dass wir uns nicht in die Tiefe neigten, und sie setzten uns so heftig in Brand, dass jedes Wehen des Widerspruchs aus einer hinterhältigen Zunge uns nur noch stärker entflammen, nicht auslöschen konnte.“ 58 Die gesamte Textstelle: Quamvis enim et ipse nondum christianus in illam foveam perniciosissimi erroris inciderat, ut veritatis filii tui carnem phantasma crederet, tamen inde emergens sic sibi erat, nondum imbutus ullis ecclesiae tuae sacramentis, sed inquisitor ardentissimus veritatis (9,3,6). Zu Nebridius s. 201–204.

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nen ‚Reinfall‘: itaque incidi in homines superbe delirantes (3,6,10). Durch die Wiederaufnahme des Bildes (in illam foveam inciderat) stellt Augustinus einen Bezug zu Nebridius’ Hinwendung zu dieser religiösen Bewegung her. Als weiteres Beispiel kann die laudatio funebris auf die Mutter angeführt werden, in der in einer Binnenerzählung auch an ihrem Beispiel mit der Abkehr vom Weingenuss ein Konversionserlebnis dargestellt wird. 59 Im Rahmen eines protreptischen Programmes ist die autobiographische Betrachtung insgesamt zu sehen. Hierbei greift Augustinus auf eine etablierte Form zurück. Selbstaussagen haben in der vorausgehenden literarischen Tradition die Aufgabe, die Bedeutung des behandelten Themas für den Autor herauszustreichen und somit auch dem Leser als Adressaten dessen Wichtigkeit zu vermitteln. Die philosophisch-theologische Literatur der Spätantike bietet Beispiele, in denen Autoren ihren Traktaten autobiographische Erzählungen voranstellen, um die Bedeutung des philosophischen Inhalts, von dem der Leser überzeugt werden soll, zu unterstreichen. In diesem Zusammenhang ist auch die verbreitete Praxis der Spätantike zu sehen, an der Vita eines Philosophen dessen Philosophie zu exemplifizieren. Das Leben des einzelnen Philosophen dient als exemplum für eine philosophische Lebensform allgemein. 60 Als bedeutendes Beispiel kann hier Iamblichs De vita Pythagorica angeführt werden. 61 Nicht nur biographisches, sondern auch autobiographisches Schreiben wird in der Spätantike in den Dienst des philosophischen und theologischen Schrifttums gestellt. Somit kann antikes biographisches und autobiographisches Schreiben nicht mit dem Anspruch an Authentizität gemessen werden, 62 den der heutige Leser an zeitgenössische Werke dieser Gattungen stellt. Kennzeichen dieser literarischen Genera in der Antike ist ihre Topizität. Autobiographische Abrisse enthalten oft Darstellungen von Konversionserlebnissen des Autors. Einschlägige Beispiele liefern Hilarius von Poitiers (De Trinitate), Cyprian von Karthago (Ad Donatum) und Justin der Märtyrer (Dialogus cum Tryphone). 63 Es handelt sich hierbei um Autoren und Texte, die Augustinus teils mit Sicherheit, teils mit hoher Wahrscheinlichkeit kannte. 64 In dieser Tradition stehend hat Augustinus autobiographische Passagen auch in die

59 S. Kap. III.6.d. 60 Schirren 2005 spricht von der Vita als einer „symbolischen Form“. Ob mit dieser Terminologie ein Erkenntnisfortschritt gegenüber dem antiken exemplum-Begriff erreicht wird, der sich auch im Vokabular der literaturwissenschaftlichen Forschung etabliert hat, kann zu Recht bezweifelt werden. Vgl. Schorn 2006. 61 Vgl. Clark 1993, 132. 62 In Hinblick auf die Märtyrerakten unterstreicht dies Berschin 1986, 41. 63 Vgl. Courcelle 1963, 95–96 (zu Hilarius von Poitiers), 119–125 (zu Cyprian von Karthago); Pfligersdorffer 1987 (1970), 82; Kotzé 2006. 64 Zur Begründung der hohen Wahrscheinlichkeit, mit der Augustinus diese Texte kannte, vgl. Pfligersdorffer 1987 (1970), 84; Kotzé 2006, 665. Grundlegend zur literarischen Tradition von Konversionsdarstellungen Courcelle 1963, 89–197.

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Proömien seiner Frühdialoge De beata vita, 65 Contra Academicos 66 und De utilitate credendi 67 sowie in Briefe der 80er Jahre eingeflochten. 68 Die autobiographischen Erzählungen und Reflexionen stehen in diesen Werken stets in einem inhaltlichen Zusammenhang zur theologischen Erörterung. Wenn Augustinus der autobiographischen Betrachtung eine Modellexegese folgen lässt, so entsteht eine Verbindung der beiden Teile auch durch die von Augustinus in De doctrina christiana vorgenommene Bestimmung der exegetischen Betätigung als des universalen Lebenszwecks eines Christen. Die im zweiten Teil durchgeführte Demonstration einer erfolgreichen Exegese stellt somit das Ergebnis des Lebensweges dar. Die besonders vermittels der allegorischen Methode durchgeführte, erfolgreiche Bibelexegese wird zum Höhepunkt und zur Erfüllung eines christlichen Lebens. 69 Die Confessiones dienen somit dazu, das Lehrgebäude als das Ende einer intellektuellen Entwicklung darzustellen. 70 Wenn die Darstellung dieser Entwicklung mit dem Schluss von Buch 9 an ihrem Ende angelangt ist und in der Erzählgegenwart das erzählte Ich und das erzählende Ich Augustins zusammenfallen, folgt das Bekenntnis zum Bibeltext und zu den hermeneutischen Prinzipien für eine erfolgreiche Auslegung. 71 ζ) Aspekte der Leserlenkung 72 Im Rahmen des protreptischen Programms kommt der Darstellung des Lebensweges eine bedeutende Rolle zu. Der Augustinus der Erzählung, sowohl als reflektierender Erzähler als auch als dargestellter Protagonist, soll beispielhaft auf andere wirken können. Der Leser soll in den Erlebnissen und Gedanken Augustins Identifikationsangebote finden und die eigenen Lebenserfahrungen darin wiedererken65 Beata v. 1,4. 66 Acad. 2,3–5. 67 Util. cred. 2 und 20. Durch diese Schrift soll ein manichäischer Adressat vom richtigen Glauben überzeugt werden. Vgl. Fuhrer 2004a, 18. 68 Ep. 1–14. Vgl. Fuhrer 2004a, 18; 126–127. Diese Passagen in den Frühschriften sind, da sie Motive der Confessiones enthalten, von Pierre Courcelle 21968, 269–290 „premières confessions“ genannt worden. Bedenkt man jedoch, dass der eine Bekenntnisschrift auszeichnende Aspekt der confessio peccati / laudis hier noch nicht ausgeprägt ist, erweist sich diese Bezeichnung als unzutreffend. 69 Vgl. Pollmann 2002, 282; Pollmann 2005, 217–218; Pollmann 2007, 205. Eine mit der Struktur der Confessiones vergleichbare Zweiteilung lässt sich auch bei De doctrina christiana feststellen. Sie geht, wie Karla Pollmann überzeugend darlegt, auf eine in der philosophischen Denktradition verwurzelte Zweiteilung der Funktion von Sprache und Hermeneutik zurück, die einerseits in Bezug auf die Dinge (Verstehen), anderseits in Bezug auf die Zuhörer (Kommunikation) bestimmt wird. 70 Vgl. Fuhrer 2005, 6. 71 Vgl. Fuhrer 2005, 7. 72 Aus darstellerischen Gründen wird in diesem Abschnitt nur die männliche Form „Leser“ benutzt, wodurch nicht ausgeschlossen werden soll, dass die Confessiones sich auch an ein weibliches Publikum wenden. Ebendies soll im Folgenden aufgezeigt werden.

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nen. Einen für die vorliegende Untersuchung der Generationenbeziehungen mit Gewinn zu berücksichtigenden Hinweis gibt Therese Fuhrer mit ihrem Verweis auf das auf Hans Robert Jauß zurückgehende Konzept einer „sympathetischen Identifikation“, die beim Leser mit dem Protagonisten stattfindet. 73 In diesem Sinne ist es Augustins Ziel, den Leser seine eigenen Erfahrungen in den Gedanken und Darstellungen des Erzählers erkennen zu lassen und ihm auf diese Weise zu ermöglichen, Gottes Wirken in seinem eigenen Leben nachzuvollziehen. Augustinus fordert den Leser dazu auf, die Darstellungen der Confessiones mit seinen eigenen Lebenserfahrungen abzugleichen. In der Reflexion über den Sinn seines literarischen Schaffens kommt Augustins Absicht, den Leser durch sein eigenes Beispiel Allgemeingültiges über das Verhältnis Mensch–Gott erkennen zu lassen, deutlich zum Ausdruck (2,3,5). Der Erzähler bestimmt als Zielgruppe des Werkes das „Menschengeschlecht“ (genus humanum). 74 Am Beispiel des Augustinus als Figur und Erzähler soll dem Leser die universelle condicio humana dargelegt werden, nach der sich der irdische Mensch in einem Stadium des Gefallenseins (profundum) befindet, in dem er sich an Gott wenden kann. Dieser Gedanke steht als literarisches Programm hinter den Confessiones. Augustinus lenkt den Leser dahin, den Text in diesem Sinne zu lesen, indem er im gesamten autobiographischen Teil aus seinen eigenen Erfahrungen allgemeine Deutungen über den Menschen zieht. Hierbei muss man sich für die Confessiones nicht auf nur ein Muster der Jauß’schen „Ästhetischen Identifikation“ beschränken. Es wird zwar nicht in Hinblick auf den Protagonisten Augustinus auf eine „admirative Identifikation“ 75 abgezielt, bei der der Leser einer vorbildhaften, zu bewundernden Figur begegnet, sehr wohl aber in Hinblick auf die Mutter. Bei der Frage nach dem impliziten Leser darf die Betrachtung nicht auf die Wirkung der Figur des Protagonisten beschränkt bleiben, sondern muss auch auf die Figur der Monnica und somit auf Frauen als angedachtes Lesepublikum ausgedehnt werden. Nicht weniges spricht dafür, dass Augustinus auch Frauen als Adressatenkreis im Blick hat. Im Verhältnis zur paganen Antike nehmen Frauen in der christlichen Spätantike in verstärktem Maße am intellektuellen Leben teil. Während die griechischen und römischen Philosophen ihre moralischen Vorstellungen für einen männlichen Schülerkreis entwickelten und an öffentlichen Orten 73 Vgl. Fuhrer 2004a, 128 mit Verweis auf Jauß 1982, 271–277; die Definition 271: „Unter sympathetischer Identifikation soll der ästhetische Affekt des Sich-Einfühlens in das fremde Ich verstanden werden, der die bewundernde Distanz aufhebt und den Zuschauer oder Leser durch seine Rührung hindurch zur Solidarisierung mit dem leidenden Helden führen kann. (…) dem unerreichbar gewordenen oder zum Klischee erstarrten Vorbild läßt sich die neue Norm eines unvollkommenen, alltäglicheren Helden entgegensetzen, in welchem der Zuschauer oder Leser den Spielbereich seiner eigenen Möglichkeiten erkennen und sich mit einem Wesen von gleichem Schrot und Korn solidarisieren kann.“ 74 Explizit formuliert in 2,3,5: cui narro haec? neque enim tibi, deus meus, sed apud te narro haec generi meo, generi humano, quantulacumque ex particula incidere potest in istas meas litteras. et ut quid hoc? ut videlicet ego et quisquis haec legit cogitemus, de quam profundo clamandum sit ad te. et quid propius auribus tuis, si cor confitens et vita ex fide est. 75 Zu dieser Form der „Ästhetischen Identifikation“ vgl. Jauß 1982, 264–270.

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unterrichteten, an denen sich keine Frauen aufhielten, mussten die christlichen Prediger vor einer Gemeinde predigen, die sowohl aus Männern als auch aus Frauen bestand, wobei die Frauen sogar die Mehrheit gebildet haben dürften. 76 Frauen treten im Christentum zusehends auch als Adressatinnen literarischen Schaffens und als Autorinnen in Erscheinung. Bei diesen Frauen gilt es jedoch zu bedenken, dass sie nicht wie die christlichen Männer ein klassisches Bildungscurriculum durchlaufen haben, sondern dass sich ihre Belesenheit in der Regel auf die Heilige Schrift und deren Kommentierungen beschränkt. 77 Insbesondere die rege Kommunikation mit Frauen mittels Briefen fällt bei spätantiken Autoren ins Auge. Briefe an Frauen schreiben im östlichen christlichen Bereich Johannes Chrysostomos, im paganen Umfeld Libanios. 78 Beispielhaft für den intellektuellen Austausch sind die an Frauen gerichteten, aber auch zur Veröffentlichung verfassten Briefe des Hieronymus mit ihrer Absicht, zu einem asketischen Leben in Jungfräulichkeit aufzurufen. 79 Als Adressatinnen dürfen jedoch nicht nur die explizit angeschriebenen Frauen gelten. Über diese hinaus versucht Hieronymus in literarisch ansprechender Form ein weiteres Laienpublikum für das asketische Ideal zu gewinnen. 80 Neben Briefen sind es vor allem Schriften über die Jungfräulichkeit 81 oder Berichte von und über Märtyrerinnen, wie etwa die Passio Sanctarum Perpetuae et Felicitatis, die den Blick auf spezifisch weibliche Belange lenken und an Frauen als intendierten Leserkreis gerichtet sind. 82 Auch Augustinus verfasst Schriften, deren Adressaten explizit Frauen oder Frauen miteinschließende Gruppen sind. 83 Ein Reflex der Vorstellung einer intellektuellen Beziehung zwischen Mann und Frau findet sich in den Soliloquia, wo der Umgang mit einer gebildeten Frau als eine große Herausforderung für die

76 Vgl. Clark 1993, 119–120. Zur Überzahl der Frauen innerhalb der christlichen Bewegung vgl. Hartmann 2007, 185. 77 Vgl. Clark 1993, 136. 78 Vgl. Clark 1993, 134. 79 Der Untersuchung dieser Schriften und den darin entwickelten Vorstellungen zur Weiblichkeit ist die Arbeit von Feichtinger 1995 gewidmet. Zum Aspekt der intendierten Veröffentlichung vgl. Feichtinger 1995, 25; 28; 30–31. Explizit spricht Hieronymus eine weitere Öffentlichkeit, die beide Geschlechter umfasst, in ep. 128,3 an: ad utrumque sexum, non solum ad vas infirmius, noster sermo dirigitur. Hier geht Hieronymus sogar von dem Normalfall aus, dass Frauen, nicht Männer, seine Briefe lesen. Zum Brief als literarischer Form, die für eine Publikation und ein größeres Publikum konzipiert ist, vgl. auch Divjak / Red. 1996–2002, 894–896. 80 Vgl. Feichtinger 1995, 35. 81 Vgl. Clark 1993, 131. Mit der allerdings erst zwischen 517 und 526 n. Chr. verfassten vita Isidori des neuplatonischen Philosophen Damaskios liegt auch eine Philosophenvita vor, die einer Frau (Theodora) gewidmet ist. Vgl. Clark 1993, 132–133. Zu weiteren Büchern, deren Widmung Frauen gilt, vgl. Clark 1993, 137. 82 Vgl. Hartmann 2007, 182–185. Zur Authentizität des Tagebuchs der Vibia Perpetua vgl. Habermehl 2000, 175. Als typisch weiblicher Belang in der Passio kann die mütterliche Furcht um das eigene Kind angeführt werden. 83 Vgl. Seelbach 2007, 82–83.

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II. Einordnung in den Forschungskontext

Abwendung von weltlichen Gütern dargestellt wird. 84 Neben den mehrheitlich an Männer gerichteten Briefen steht eine nicht unbeträchtliche Anzahl an Briefen Augustins, die an Frauen adressiert sind. So korrespondiert Augustinus mit einem Ehepaar, Paulinus von Nola und dessen Frau Therasia. Er schreibt an Italica (ep. 92), eine Frau aus der obersten Gesellschaftsschicht Roms, einen Kondolenzbrief anlässlich des Todes ihres Mannes und führt auch danach den brieflichen Austausch fort (ep. 99). Ein weiterer Kondolenzbrief an eine Frau stellt ep. 263 an Sapida dar. Ep. 124 und ep. 126 an Albina, Pinianus und Melania, sowie ep. 127 an Armentarius und Paulina geben Auskunft über regen geistigen Austausch auch mit Frauen. Ep. 130, adressiert an Proba, enthält eine Abhandlung über die richtige Form des Betens und zeigt, dass Augustinus Frauen auch als Kommunikationspartner über theologische Themen ernst nimmt. Ferner schreibt Augustinus ep. 131 an Proba, ep. 150 an Proba und Iuliana, ep. 188 an Iuliana, ep. 208 an Felicia, ep. 264 an Maxima, ep. 265 an Seleuciana, schließlich ep. 267 an Fabiola. An die Letztgenannte, mit der auch Hieronymus im Austausch steht, richtet Augustinus ferner ep. 20*. Der Kirchenvater korrespondiert in ep. 210 mit den sorores (Klosterschwestern) und den Vorstehenden über Verhaltensregeln in Frauenklöstern. In ep. 262 gibt Augustinus der asketisch lebenden Frau Ecdicia Hinweise zum Verhalten gegenüber ihrem Ehemann. Erhalten ist auch ep. 266 an Florentina mit Hinweisen auf vorausgehenden Briefkontakt Augustins mit ihrer Mutter. 85 Auch die Mehrzahl der erhaltenen Traktate über die Jungfräulichkeit ist an ein weibliches Publikum gerichtet und enthält direkte Aufrufe an Frauen. 86 Bei solch starker Präsenz von Frauen in der literarischen Kommunikation der Spätantike liegt auch für die Confessiones die Annahme nahe, dass das weibliche Publikum zum intendierten Adressatenkreis des Werkes zu rechnen ist. Fasst man die Confessiones als eine protreptische Schrift auf, stellt sich zwingend die Aufgabe, den adressierten Leserkreis, soweit dies möglich ist, näher zu bestimmen. Mit der Untersuchung der Leserlenkung geht die Rekonstruktion der Erwartungshaltung eines antiken Lesers einher. Besonders hohe Nachvollziehbarkeit erhalten Reflexionen, die in allgemein bekannten Lebenserfahrungen situiert werden. Hierbei rücken in Hinblick auf autobiographisches Schreiben Themen wie Familie, Lebensalter und Generationenbeziehungen, die als elementare Lebenserfahrungen auch des antiken Menschen gelten können, an herausragende Position. Ein Ziel dieser Arbeit ist es, in Hinblick auf die protreptische Intention und die Erzielung einer sympathetischen und admirativen Identifikation einerseits speziell Frauen als adressiertes Lesepublikum zu bedenken. 87 Andererseits sollen diejenigen Mitglieder christlicher Gemeinden in den Blickpunkt treten, die nicht 84 Vgl. sol. 1,10,17, wo sich die Ratio mit der Frage an den Dialogpartner ‚Augustinus‘ wendet: Quid uxor? Nonne te interdum delectat pulchra, pudica, morigera, litterata, vel quae abs te facile possit erudiri (…)? Bildung wird zu einem grundlegenden Element in der Vorstellung einer gelungenen Beziehung zwischen Mann und Frau. Vgl. Clark 1993, 135. 85 Eine Übersicht über das augustinische Briefcorpus bietet Divjak / Red. 1996–2002. 86 Vgl. Clark 1993, 131. 87 Von Mayer 2004a als unerfülltes Forschungsdesiderat reklamiert.

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den asketischen Weg wählen, sondern der familiären Lebenswelt verhaftet bleiben. η) Die Confessiones und die spätantike cento-Technik Die vorausgehende Darlegung hat gezeigt, dass die Confessiones in der Tradition verschiedener Gattungen stehen. Versuche, über eine Bestimmung der Gattungszugehörigkeit die Einheit der Confessiones zu erklären, vermögen nie, alle im Werk enthaltenen Elemente zu erfassen. Das Problem einer Erklärung von Einheit und Gattungszugehörigkeit der Confessiones verliert an Schärfe, wenn man nicht an einem zu starr gefassten Gattungsbegriff festhält, sondern wenn man feststellt, dass Gattungen „offene Systeme von Form- und Gestaltungsmerkmalen sind, an denen die einzelnen Werke in unterschiedlichem Maße partizipieren.“ 88 Sowohl innerliterarische Veränderungen, wie das Auftreten neuer Formen, als auch außerliterarische Umbrüche, wie gesellschaftliche Änderungsprozesse und Veränderungen des Weltbildes, können Wandlungen der literarischen Gattungen mit sich bringen. Die entsprechenden kulturhistorischen Gegebenheiten liegen für die Confessiones zweifelsohne vor. Man kann infolge der Flexibilität von Gattungen feststellen, dass ein Werk auch an den Merkmalen mehrerer Gattungen teilhaben und somit wahlweise der einen oder der anderen oder auch mehreren Gattungen zugeordnet werden kann. 89 Zuschreibungen zu unterschiedlichen literarischen Genera brauchen sich deshalb nicht unbedingt auszuschließen. Infolge der offensichtlichen Schwierigkeiten der Gattungszuordnung wurde neustens von Johannes Brachtendorf der Vorschlag gemacht, von Versuchen einer Gattungszuordnung abzusehen und die Einheit ausschließlich durch den Inhalt zu bestimmen. Für ihn ist das umfassende inhaltliche Element die Darstellung des richtigen Weges zur vita beata. 90 Das Zusammenhang schaffende Thema der Confessiones sei das ‚Glück des Menschen‘. Er macht zahlreiche verbindende Elemente zwischen Augustins philosophischem Denken und der hellenistischen und neuplatonischen Ethik aus: in der Frage nach wahren und falschen Gütern, nach dem Ursprung der Laster und nach der Möglichkeit zu deren Therapie und zu einem Weg zur Tugend. 91 Augustinus schließt sich, wie Brachtendorf herausstellt, an die anthropologischen und metaphysischen Erweiterungen dieser Fragestellungen durch den Neuplatonismus an. Über die der Ethik beigemessene Aufgabe einer Bestimmung und Begründung moralischer Wertmaßstäbe hinaus kommt der Philosophie in der Antike die Aufgabe zu, Lebenshilfe anzubieten, und als moralische Pädagogik zur Therapie der Seele beizutragen. 92 Die Deutungen Brachtendorfs sind grundlegend für das Verständnis des Werkes. Die 88 89 90 91 92

Wenzel 1998, 174. Vgl. von Wilpert 82001, 291. Vgl. Brachtendorf 2005 passim, zusammenfassend 296–300. Vgl. Brachtendorf 2005, 13–16. Vgl. Brachtendorf 2005, 20.

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II. Einordnung in den Forschungskontext

Confessiones sind der antiken philosophischen Tradition verpflichtet. Ihnen liegt eine inhaltliche Einheit in der Suche nach der beata vita zugrunde. Dennoch bleiben wesentliche Erkenntnisse über das Werk verborgen, wenn von der Herstellung von Gattungszusammenhängen gänzlich abgesehen wird. Einen wichtigen Schlüssel zur Aufdeckung von Gattungstraditionen kann die genauere Bestimmung des adressierten Lesers liefern, dessen Rolle prinzipiell die Gestaltung eines jeden literarischen Werkes bestimmt, da Texte daraufhin konzipiert sind, dass sie den Leser in einer bestimmten Weise ansprechen sollen. 93 Im Falle der Confessiones liefern Abschnitte der Selbstreflexion des Autors im Werk selbst (2,3,5; 10,3,3–10,4,6) sowie die Textrevision in den Retractationes Hinweise, die die Vermutung gerechtfertigt erscheinen lassen, dass Augustinus ein durchaus heterogenes Publikum im Sinn hat. Im Binnenproömium des 10. Buches listet der Erzähler auf, welche Personengruppen als Adressatenkreis intendiert sind: Hic est fructus confessionum mearum, non qualis fuerim, sed qualis sim, ut hoc confitear non tantum coram te secreta exultatione cum tremore et secreto maerore cum spe, sed etiam in auribus credentium filiorum hominum, sociorum gaudii mei et consortium mortalitatis meae, civium meorum et mecum peregrinorum, praecedentium et consequentium et comitum vitae meae. 94

Wenn der Erzähler von den cives mei et mecum peregrini, praecedentes et consequentes spricht, so hat er sowohl die in ihrer Hinwendung zu Gott Fortgeschrittenen im Sinn als auch die, die noch der Hinleitung zum rechten Glauben bedürfen. Geht man davon aus, dass sich Augustinus mit seinem Werk an ganz unterschiedliche Gruppen von Lesern richten wollte, dann liegt die begründete Vermutung nahe, dass er sich bei der literarischen Gestaltung an mehreren Gattungstraditionen orientierte: a) Indem Augustinus einen Rückblick auf sein Leben in chronologischer Reihung gibt, ordnet sich die Schrift in die Tradition des autobiographischen Schreibens ein. 95 b) Indem Augustinus sich an einen seinem Werdegang gegenüber kritisch gesinnten Leser wendet, der ihm vorwerfen könnte, in vergangenen Lebensphasen ein den Sinnenfreuden und dem beruflichen Erfolg zugewandtes Leben geführt zu haben oder immer noch dem Manichäismus 93 Diese Erkenntnis hat vor allem die Konstanzer rezeptionsästhetische Schule unter Wolfgang Iser betont. Eine auf dieser Grundvorstellung aufbauende biblische Hermeneutik vertritt Wischmeyer 2004, 156. Zum Adressatenbezug bei Augustinus vgl. Consolino 1981. 94 10,4,6: „Dies ist der Ertrag meiner Bekenntnisse, dass ich bekenne, nicht wie ich gewesen bin, sondern wie ich bin, und dass ich dies nicht nur in deiner Gegenwart in geheimem Frohlocken gepaart mit Zittern und geheimem Schmerz vereint mit Hoffnung tue, sondern auch in den Ohren der gläubigen Menschenkinder, die meine Freude, aber auch das Los meiner Sterblichkeit teilen, meiner Mitbürger und Gefährten meiner Wanderschaft, sowohl derer, die mir vorausgegangen sind, als auch derer, die folgen werden, als auch derer, die mein Leben begleiten.“ 95 S. Kap. II.1.a.β.

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anzuhängen, müssen die Confessiones als eine Apologie angesehen werden. 96 c) Indem Augustinus Menschen ansprechen will, die vom Christentum überzeugt werden sollen, kommen die Confessiones einer philosophischen Werbeschrift gleich, einem Protreptikos, wie Erich Feldmann herausgestellt hat.97 Hier ist vor allem an ein in der klassischen römischen Bildungstradition geschultes Publikum zu denken, das mit den paganen Denktraditionen und den antiken literarischen Formen vertraut ist. Im Prolog zu Buch 10 wendet sich Augustinus an den fraternus animus des Lesers, der die notwendige Haltung gegenüber dem Autor darstelle, um zu glauben und zu verstehen, was dieser ausdrücken wolle. 98 Diese Formulierung legt, wie Johannes Brachtendorf aus dieser Stelle im 10. Buch folgert, 99 nahe, dass Augustinus den engeren Kreis bereits fortgeschrittener Christen ansprechen will. Da jedoch auch die gläubigen Christen stets der excitatio bedürfen, muss man den Begriff der Protreptik so weit fassen, dass er auch die Paränese einschließt, also die Ermunterung innerhalb des Kreises derer, die bereits zum christlichen Glauben gefunden haben. Weiterführend ist eine Einordnung der Confessiones, die verschiedene Aspekte berücksichtigt, wie Volker Henning Drecolls Bestimmung der Confessiones als „christlicher Protreptikos mit apologetischer Tendenz“. 100 Eine einseitige Zuordnung erklärt das Werk nicht hinreichend, da verschiedene Standpunkte im Text festgemacht werden können. Stellen in den Confessiones, an denen Augustinus über sein Schaffen reflektiert, legen die Vermutung nahe, dass Augustinus sich eines sehr heterogenen Lesepublikums bewusst ist und dass er verschiedene mögliche Leser als Adressaten im Sinne hat, die den Text auf verschiedenen Ebenen verstehen können. Unterschiedliche Adressaten erfordern unterschiedliche Formen der Kommunikation, was sich in der Verwendung eines größeren Spektrums an literarischen Formen niederschlägt. 101 In der schwierigen Frage der Gattungszuordnung soll hier der Auffassung gefolgt werden, die für die Confessiones eine Verschmelzung von Gattungstraditionen feststellt. Durch dieses Charakteristikum des Werkes wird jedoch eine eindeutige Gattungszuordnung unmöglich. Man kann von einem patch work, einem

96 Vgl. Chadwick 2003; Kotzé 2004; Fuhrer 2005. S. Kap. II.1.a.δ. 97 Vgl. Feldmann 1986–1994; Feldmann 1998; Fuhrer 2004a, 127–128. S. Kap. II.1.a.ε. 98 10,4,5: amet in me fraternus animus quod amandum doces, et doleat in me quod dolendum doces. animus ille hoc faciat fraternus, non extraneus, non «filiorum alienorum, quorum os locutum est vanitatem, et dextera eorum dextera iniquitatis» (Ps 143,7–8), sed fraternus ille, qui cum approbat me, gaudet de me, cum autem improbat me, contristatur pro me, quia sive approbet sive improbet me, diligit me. indicabo me talibus: respirent in bonis meis, suspirent in malis meis. 99 Vgl. Brachtendorf 2005, 290–295. 100 Vgl. Drecoll 1999, 255–270. 101 Vgl. Fontaine 1990, 14.

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centon de genres, einer commixtio sprechen. 102 Abschließend ist also festzustellen, dass sich die literarische Form als ein äußerst kunstvolles und innovatives Amalgam auffassen lässt, das eine Vielzahl von Gattungstraditionen aufgreift, diese aber auch erweitert: autobiographisches Schreiben, Protreptikos, confessio, exegetische Fachschriftstellerei. Eine solche Mischung von Gattungstraditionen ist ein in der Literatur zur Zeit des Theodosius häufig anzutreffendes Phänomen. 103 In ihr zeigt sich die „enorme Experimentierfreude“, 104 die ein Merkmal der Blütezeit der spätantiken Literatur in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts darstellt. Trotz dieses Patchworks bildet das Werk eine Einheit. Unter dem polysemen Titel als confessio laudis / peccati / fidei lässt sich die Tradition des Protreptikos mit autobiographischer Einleitung integrieren. Eine Einheit entsteht nicht nur durch den Titel und die Gattungstradition des Protreptikos, wobei eine Lebensbetrachtung den Weg zu den Einsichten wiedergeben soll, die im Anschluss dargelegt werden, sondern auch durch inhaltliche Analogien zwischen autobiographischem und exegetischem Teil. Als verbindender Gedanke lässt sich eine Darlegung über den „Menschen im göttlichen Heilsgeschehen“ auffassen. Das Individuum erscheint als Teil der Schöpfung. 105 Aufgrund der in den gesamten Confessiones ausgebreiteten theologischen Anschauungen können die Confessiones mit Kurt Flasch durchaus als „theologisches Thesenbuch“ 106 gelesen werden. Verschiedene theologische und philosophische Themen durchziehen das gesamte Werk. Als Beispiel verwiesen sei hier auf das Thema Zeit, dem im 11. Buch ein ganzer Exkurs gewidmet ist, das aber bereits im autobiographischen Teil eine tragende Rolle spielt. 107 Weitere das Werk durchziehende Fragestellungen richten sich auf Gewohnheit (consuetudo), die Theorie der Zeichen, die Philosophie der Sprache oder die Erklärung des Bösen (unde 102 Bezeichnungen von Fontaine 1990, 14. Fontaine möchte darin die Neuschöpfung einer Gattung feststellen: «Mais ce processus de fusion achemine vers le principe d’unification de ces genres et ces styles, en une œuvre, qui inaugure un nouveau genre littéraire et par suite un style nouveau: c’est l’unité profonde de ce nouveau genre qui se découvre finalement au lecteur.» Zu dieser «naissance d’une forme littéraire», diesem «chef-d’œuvre fondateur» stellt Fontaine fest (20): «ce point de départ d’un genre nouveau n’est intelligible que comme par le point de convergence et d’un aboutissement de bien d’autres genres anciens.» 103 Vgl. Fontaine 1990, 17: «La succession ou le mélange des genres dans les Confessions n’est donc pas un phénomène insolite et isolé. Ces techniques d’expression ancrent solidement l’œuvre en son temps: le dernier quart, et même la dernière décennie du IVe siècle.» Vgl. ferner Holzhausen 2000, 523–525. 104 Fuhrmann 1967, 75. Vgl. Engels / Hofmann 1997, 41. 105 Das Leben eines Individuums wird zum Beispiel des göttlichen Wirkens an der gesamten Schöpfung. Vgl. Desch 1988, die hierin die Grundstruktur und den Kerngedanken der den Confessiones zugrunde liegenden Kompositionsprinzipien sieht. Vgl. ferner Miles 1982, 350: ”His reminiscences make sense to him only in the context of the experiences of unification which are the foundations of his understanding of himself, the world, and God. Books X–XIII are an extended description of the cosmic setting of the individual life unfolded in the earlier works.” Vgl. auch Fuhrer 2004a, 124. 106 2003, 9–10. 107 S. 111–112.

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malum?). 108 Die Lebensbetrachtung erscheint als eine literarische Alternative zu einer theoretischen theologischen Abhandlung, bei der der Stoff, das autobiographische Material, die Theorie anschaulich macht und deren ‚Sitz im Leben‘ verdeutlicht. 109 Eine solche Darstellungsweise ist der Vermittlung des Stoffes an das Lesepublikum in ganz herausragender Weise dienlich, da der Leser die Erzählungen und die Deutungen mit der eigenen Lebenserfahrung abgleichen kann. Flasch schätzt die literarische Gestaltung des Werkes völlig falsch ein, wenn er behauptet, „philosophische Fragestellungen durchziehen das ganze Werk und dringen sogar in dessen erzählende Partien ein.“ 110 Vielmehr muss man feststellen, dass die gesamte Erzählung von theologisch-philosophischen Fragestellungen durchdrungen ist. 111 b) Intertextualität Die Darstellung und Deutung der Generationenthematik in den Confessiones sind im intertextuellen Dialog mit der Bibel, der christlichen und auch der paganen Literatur zu sehen, auf den nun in einigen grundlegenden Gedanken einzugehen sein wird. Die Confessiones weisen eine hohe Dichte an Bezügen zur Bibel auf. Die Mehrzahl der modernen Textausgaben bemüht sich, diese mit dem Ziel der Vollständigkeit nachzuweisen, zumindest insofern es sich um wörtliche Zitate handelt. Seit den einschlägigen Untersuchungen Pierre Courcelles ist die Forschung auf die Wirkung nicht nur der Bibel, sondern auch anderer literarischer Modelle aus der christlichen sowie der klassischen Tradition auf die Confessiones aufmerksam gemacht worden. 112 Intertextualität bezeichnet den „Bezug zwischen einem Text und anderen Texten“ 113. Die Archegetin des Begriffes, Julia Kristeva, will die Intertextualität unter der Prämisse einer „Dezentrierung des Subjekts“ 114 aufgefasst wissen. Nach ihrer 108 Vgl. Flasch 2003a, 20. 109 Vgl. Clark 1999, 20; Flasch 2003a, 10; Fuhrer 2005, 10. Eine literarische Alternative zu theologischen Traktaten bieten die Confessiones auch, insofern sie das distanzierte Verhältnis Individuum–Gott als Ich-Es-Beziehung, wie es ein Sachtext darstellt, in der Dialogform durch ein ursprüngliches, unmittelbares Ich-Du-Erlebnis ersetzen. Vgl. zu diesem Punkt Zimmermann 1996, 188–190, der Martin Bubers Theologie für die Augustinusinterpretation heranzieht. 110 2003, 20. 111 Es ist mehrfach die Deutung angeboten worden, Augustinus wende eine allegorische Interpretation auf sein Leben an. Vgl. u.a. Mohrmann 1961 (1954), 378. Hier scheint Vorsicht vor zu weit gehender Deutung geboten: 1. Augustinus hat seine Vorstellungen vom mehrfachen Schriftsinn explizit nur für die Bibelexegese entwickelt; 2. Viele Inhalte der Confessiones widersetzen sich einer Allegorisierung, z.B. die Mutter in ihrer Rolle als exemplum einer christlichen Frau. Monnica werden auch Eigenschaften des Alten Menschen zugeschrieben (reliquiarium Evae, 5,8,15). 112 Vgl. Courcelle 1963; Courcelle 21968. 113 Broich 2000, 175. 114 Schmitz 22006, 92.

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Theorie gehen alle Texte aus anderen Texten hervor und stehen zueinander in Beziehung. Eine Autorenintention tritt dabei gänzlich zurück. 115 Ein enger gefasster Begriff beschränkt die Intertextualität „auf nachweisbare Bezüge zwischen Texten.“ 116 Trotz seines theoretischen Ursprungs, bei dem von der Frage nach der Autorenintention abgesehen wird – ein Ansatz, der hier nicht vertreten wird –, soll in dieser Arbeit am Begriff der Intertextualität festgehalten werden. Er erweitert die traditionelle autorzentrierte Fragestellung nach der Imitation von Vorbildern um weitere Formen des Bezugs zwischen den Texten117 und rückt die Perspektive des Lesers in den Blickpunkt. 118 Zu unterscheiden ist zwischen einer expliziten Intertextualität, bei der der Autor dem Leser den Bezug durch ein gekennzeichnetes Zitat verdeutlicht, und einer impliziten Intertextualität, bei der eine intendierte Anspielung nicht kenntlich gemacht wird. Auch die unbewusste Übernahme eines Textes kann unter Intertextualität gefasst werden. 119 Der frühere Text, auf den Bezug genommen wird, wird als Referenz- oder Prätext bezeichnet. 120 Im Zusammenhang dieser Arbeit zu den Confessiones kann das Konzept der Intertextualität Erhellung über wichtige Zusammenhänge liefern. Im Folgenden sollen die systematisierenden Überlegungen zur Intertextualität in der antiken Literatur vorgestellt werden, die von den beiden italienischen Altphilologen Gian Biagio Conte und Alessandro Barchiesi entwickelt wurden und sich auch bei Augustinus anwenden lassen. Conte / Barchiesi definieren die Intertextualität als die Gegenwart eines Textes in einem anderen. 121 Diese Definition erlaubt es, das Augenmerk auf bestimmte Zusammenhänge zu lenken. Es sind zwei Akteure, die in diesem Begriff in den Blickpunkt rücken: zum einen der Autor, der die Einfügung vornimmt, zum anderen der Leser, der die Zusammenhänge erkennen soll. 122 Eine treffende Unterscheidung nehmen Conte / Barchiesi vor, wenn sie zwei Formen der Intertextualität, ein Modello-Esemplare und ein Modello-Genere, feststel-

115 Vgl. Broich 2000, 175–176. 116 Vgl. Broich 2000, 176. 117 Vgl. die verschiedenen Formen von Intertextualität, die in Wischmeyer 2004, 188–190 angeführt werden: Palintextualität (Wiederholung), Metatextualität (Sprechen über einen anderen Text), Hypertextualität (Imitation). 118 Vgl. aus der wissenschaftsgeschichtlichen Perspektive der Klassischen Philologie Schmitz 2 2006, 97: „die Beziehungen zwischen griechischer und lateinischer Literatur [waren] schon seit langem Gegenstand der Forschung. Lange Zeit jedoch stellte man die Frage vor allem aus der Perspektive des Autors (…) und wollte wissen, welche Quellen und Vorlagen etwa Horaz oder Virgil verarbeitet hatten. Im letzten Jahrhundert änderte sich die Perspektive. Philologen begannen, aufmerksamer darauf zu werden, dass die lateinischen Texte mit Lesern rechnen, die die verarbeiteten Vorlagen kennen, und dass sie ständig zu Vergleichen zwischen Vorbild und Neugestaltung auffordern.“ 119 Broich 2000, 176–177. 120 Broich 2000, 176; vgl. Wischmeyer 2004, 188. 121 Vgl. Conte / Barchiesi 1989, 87: Die Intertextualität ist ein „fenomeno della compresenza di uno o piú testi in un altro.“ 122 Conte / Barchiesi 1989, 87: „l’attività cooperativa del lettore che il testo prevede vi è compresa allo stesso titolo che la trasformazione dei modelli operata dall’autore.“

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len. 123 Im ersten Fall des Modello-Esemplare dient das Modell als Vorlage („Exemplar“), aus der zitiert wird. 124 Man kann hierbei von gezielten Aufnahmen von Wörtern (riprese puntuali) sprechen. 125 Ein anderer Fall von Intertextualität liegt vor, wenn ein Autor wie ein anderer Autor schreibt. Das Verhältnis zwischen den beiden Texten besteht dann in einer Analogie. Diese Form eines ModelloGenere bedeutet ein „Schreiben in der Art von“. 126 Hierbei werden Stile, Konventionen, Normen oder Gattungen imitiert. 127 Conte / Barchiesi bieten mit ihrer Kategorisierung von Intertextualität ein geeignetes Instrumentarium, das sich auch auf Augustins Umgang vor allem mit der Bibel übertragen lässt. Für die Confessiones lässt sich feststellen, dass Augustinus sogar beide Formen der Bezugnahme zur Anwendung bringt. So sind die direkten Bibelzitate dem Modello-Esemplare zuzuschreiben, während das Modello-Genere seinen Ausdruck vorrangig in der Sprache, dem Stil und der Semantik, sowie in der Übertragung von Motiven findet. 128 Der Schreibstil orientiert sich an dem biblischen sermo humilis. 129 In doct. chr. 4, 22–58 verankert Augustinus seine Lehre über eine christliche Rhetorik in der Sprache der Bibel und der christlichen Tradition. In einem Punkt muss für Augustinus eine Spezifizierung gegenüber den insbesondere aus der lateinischen Poesie gewonnenen Erkenntnissen der beiden italienischen Philologen vorgenommen werden. Wenn Conte / Barchiesi bezüglich des Modello-Genere feststellen: „ora il modello non è piú un testo, una totalità concreta, ma un insieme di tratti distintivi, una struttura generativa.“ – so muss in Hinblick auf die Rezeption der christlichen Literatur festgestellt werden, dass hier auch die generativen Strukturen besonders aus dem einen Text, der Bibel, entlehnt werden. 130 Eine besondere Rolle spielen in den Confessiones die Psalmen, die als Vorbild einer Kommunikation mit Gott dienen. Sie nehmen sowohl bei der exemplarischen als auch bei der generischen Rezeption eine zentrale Rolle ein. So besteht die Intertextualität einerseits darin, dass in Zitaten sehr häufig Wortlaut aus den Psalmen in die Confessiones übernommen wird, 131 als auch darin, dass die Psalmen ein äußerst wichtiges Formmuster für die Confessiones darstellen. So geben 123 124 125 126 127

128 129 130 131

Vgl. Conte / Barchiesi 1989, 94–95. Conte / Barchiesi 1989, 94. Conte / Barchiesi 1989, 94: „un’imitazione formata solo di parole localizzate.“ Conte / Barchiesi 1989, 95: „scrivere alla maniera di”. Vgl. Conte / Barchiesi 1989, 94–95. Beim Vergleich der beiden Typen lässt sich feststellen (94): „Nel caso del Modello-Esemplare interessa la produzione di un uguale o simile; nell’altro, si va alla ricerca di una proporzionalità che possa generare un analogon, e per fare questo si interpreta il modello non come un insieme di loci ma come un tessuto di relazioni.“ Eine solche (eher verdeckte) Textstruktur nennt sich in der Intertextualitätstheorie Anagramm. Vgl. Blänsdorf 1986, 22. Zu Augustins Konzeption einer christlichen Rhetorik und Stilistik in doctr. chr. 4 vgl. die einschlägigen Publikationen Auerbach 1941; Auerbach 1958, 25–53; Mohrmann 21961 (1947), 360; Consolino 1981, 124; Blümer 1996; Blümer 2002, Pollmann 2002. Dies entspricht Augustins Programm einer Ausrichtung der christlichen Homiletik an der Rhetorik der Bibel in Buch 4 von doctr. chr. Vgl. Knauer 1955, der die große Bedeutung der Psalmenzitate in den Confessiones eruiert.

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beide eine in Schriftlichkeit hinübergeführte mündliche Kommunikation mit Gott wieder. Das Zitat dient somit dazu, den Leser nicht nur auf die entsprechenden Inhalte zu verweisen, sondern auch auf das mit dem Inhalt verbundene Werk. Schließlich lässt auch ein Blick auf Augustins Konzepte zur biblischen Hermeneutik interessante Aufschlüsse über die Bedeutung der Intertextualität in den Confessiones gewinnen. Bei den frühen Christen gilt die Bibel als ein erbauliches Werk Gottes, das seine menschlichen Geschöpfe belehrt und ihnen Orientierung gibt. 132 Für Augustinus wird die Bibel zu dem Text, der universale Deutungskraft besitzt. Es wird somit zur elementaren Aufgabe für einen Christen, in täglicher Auslegung die Botschaft der Bibel auf seinen Alltag zu übertragen, sei es in theoretischer Kontemplation, sei es im praktischen Handeln. 133 Nach doctr. chr. 2 dient die Bibel als der Metatext, an dem alles Menschliche gemessen wird. 134 So besteht etwa der Zweck der Wissenschaften darin, zu einem besseren Bibelverständnis beizutragen (2, 58–63). In den Confessiones treten in vergleichbarer Weise die Lebensbetrachtung und der Bibeltext in ein gegenseitiges Erklärungsverhältnis. Hierbei ist die Tatsache äußerst aufschlussreich, dass es sich bei den Bibelzitaten fast ausschließlich um nicht explizit markierte Zitate handelt, sondern dass die Bibelzitate unmarkiert 135 in die Gedanken des Erzählers integriert werden: 136 Das Denken des Erzählers und der Text der Bibel gehen somit ineinander über und fallen auf weiten Stecken zusammen. 137 Abschließend kann festgehalten werden, dass die Confessiones auf unterschiedlichen Ebenen einen Bezug zur Bibel aufweisen: a) Der Bibeltext stellt den Gegenstand der Auslegung im exegetischen Teil dar (Confessiones als Metatext zur Bibel). b) Die Bibel dient als Referenztext für Zitate (Modello-Esemplare). 138 132 Vgl. Pollmann 2007, 204; Schramm 2008, 187–188, 190. 133 Vgl. Pollmann 1996, 246; Pollmann 2007, 206. 134 Vgl. Pollmann 2005, 231: “in De Doctrina Christiana Augustine has endeavoured to provide a systematic, scientifically based theory of biblical interpretation from a Christian point of view, but also how he affirms this as the only justifiable intellectual occupation for a Christian. Other, ‘worldly’ disciplines are useful only in so far as they help with the understanding of the Bible. Augustine’s hermeneutical claim is that biblical interpretation is the one true (Christian) discipline, comprising all others and giving them a perspective. In its theoretical comprehensiveness, this hermeneutics is a universal discipline.” 135 So gelangt Knauer 1955, 101 über 12,2,2 zu der Feststellung, dass „es ja sehr auffällt, daß ausnahmsweise einmal ein Psalmvers als Zitat gekennzeichnet wird“. 136 Vgl. Verheijen 1981, LXXIX–LXXX mit Verweis auf 8,6,13. Knauer 1955, 190 spricht von der „Besonderheit von Augustins Gottesverhältnis, als dessen stärkster Ausdruck in den Konfessionen der Prozeß der inhaltlichen und formalen Einschmelzung der Psalmenverse und der Psalmensprache überhaupt sichtbar wird.“ Vgl. auch Madec 1982. 137 Zur Zitattheorie allgemein und speziell zum Aspekt der Markierung vgl. zusammenfassend Müller 2003c, 18–28. 138 Hierunter fallen sowohl wörtliches Zitat als auch Paraphrase. In diese beiden Formen werden Zitate bei Hagendahl 1947 gegliedert. Vgl. dazu Knauer 1955, 28: „Augustin hat nicht grundsätzlich zwischen beiden Formen des Zitierens geschieden, in den Konfessionen begegnen sie

1. Literaturwissenschaftliche Fragestellungen

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c) Die Bibel ist stilistisches Vorbild (Modello-Genere). 139 d) Die Bibel liefert Motive 140 für die Lebensdeutung, wie etwa die Parabel vom Verlorenen Sohn oder das Bekehrungsschema (Modello-Genere). 141 Von besonderem Interesse für eine literaturwissenschaftliche Arbeit zu den Generationenverhältnissen sind die zweite und die vierte Form des Bezuges. Bibelzitate dienen als Begründung der im Leben erkannten Zusammenhänge. So schreibt Georg Nicolaus Knauer: „Wenn Augustin in seinen Schriften die Bibel, d.h. Gottes Wort, ‚zitiert‘, so sollen seine eigenen Aussagen dadurch an Wahrheit gewinnen, daß er sich auf die höchste Autorität 142 (‚auctoritas‘) beruft, die er kennt.“

Jedoch wird nicht nur der Bezug zur Bibel hergestellt, um die in der Lebensbetrachtung erkannte Wahrheit abstützen zu können. Bedenkt man die intendierte protreptische Wirkung auf den Leser, so kommt umgekehrt auch die Bedeutung der Lebensbetrachtung zum Tragen, die ihrerseits dazu dient, die in der Bibel erkannte Wahrheit zu verdeutlichen. Letztlich entsteht ein wechselseitiges Verweisverhältnis zwischen der in der Bibel erkannten Wahrheit und der Lebensbetrachtung in den Confessiones: Die biblische Wahrheit ermöglicht eine erfolgreiche Deutung des Lebens, die Deutung des Lebens wiederum bestätigt die Wahrheit der Bibel. 143 Letztendlich geht es immer um den Verweis auf Gott. In diesem Sinne hat Jacques Fontaine die Confessiones als eine „Verlängerung“ der Bibel aufgefasst. 144 Im Rahmen des protreptischen Programms erfüllt auch die Einfügung der Bibelzitate pädagogische Zwecke gegenüber dem Leser, der durch diese mit der

139

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beide, ja, es wird sich zeigen, daß er das wörtliche Zitat und die Umschreibung kombiniert, um dadurch besondere Wirkungen zu erzielen.“ Um die Erforschung des Stils frühchristlicher Autoren machte sich von den 30er bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts die Nijmegener Schule um ihre Hauptvertreterin Christine Mohrmann verdient. Einen unvoreingenommenen Überblick über die Forschungsgeschichte bietet Sheerin 1996. Speziell zur Sprache der Confessiones vgl. Mohrmann 21961 (1947), 369; 21961 (1954), 376. Eine gründliche Untersuchung zum Einfluss der Bibel auf den Stil der Confessiones bietet Verheijen 1949. Als häufig anzutreffende Anlehnung an das hebräische waw-copulativum können die Parallelisierungen von parataktischen Sätzen mit einleitendem et gelten, wie Verheijen 1949, 90–95 aufgezeigt hat. Speziell zur Nachahmung der Psalmensprache in den Confessiones vgl. Knauer 1955, 75–88. Gerade der Aspekt der Mündlichkeit, der ein grundlegendes Element beider Werke darstellt, lässt die Sprache der Psalmen zu einem stilistischen Vorbild für die Confessiones werden. Vgl. Döpp 1990, 284. Shanzer 1992 spricht hier von narrative patterns. Vgl. Niggl 2004, 26–27. Knauer 1955, 29. Speziell zu den Zitaten als ‚argumenta ex scriptura‘: 96–110. Vgl. die Feststellung in Bettetini 1998, 161, „daß die Confessiones eine Einführung in die Lektüre und die anthropologische Interpretation der Heiligen Schrift darstellen.“ Vgl. 1989, 19529:«Les Confessions illustrent ainsi par excellence l’idée que toute création littéraire chrétienne se situe dans le prolongement direct des récits et, plus généralement, des écrits bibliques. Tant il est vrai que leur ultime référence est aussi à l’action multiple, dans le temps et l’espace, d’un Dieu sans cesse en quête du salut de l’homme.»

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II. Einordnung in den Forschungskontext

Bibelsprache vertraut gemacht werden soll. Hiermit will Augustinus beim Leser eine Verbundenheit mit der biblischen Sprache erzeugen, deren Ermangelung ihm selbst, wie er in den Confessiones mehrfach darlegt, den Zugang zur Bibel erschwert hat. So lehnt der Augustinus der Erzählung zunächst die Bibel ab, da ihre Sprache gegenüber der ciceronischen ihm als plump erscheint. 145 Noch im 9. Buch hat er Schwierigkeiten mit dem ihm von Ambrosius zur Lektüre empfohlenen Buch Jesaja. Grund hierfür ist ebenfalls die ihm unvertraute biblische Sprache (dominicum eloquium). 146 Zur protreptischen Intention gehört somit auch die Erzeugung von Vertrautheit mit der biblischen Sprache. Neben der christlichen Literatur bleibt auch die klassische römische Literatur aufgrund ihrer Bedeutung im Bildungscurriculum weiterhin ein unverzichtbarer geistiger Referenzpunkt für die Kirchenväter. Intertextuelle Bezüge zur klassischen Literatur können aber auch dazu dienen, die Substitution eines abgelehnten Denkens durch eine neue Sinngebung zu vollziehen. Doch nicht alle ins Auge fallenden Bezüge können mit dieser Absicht erklärt werden. Es gilt, auch die Schwierigkeiten der Etablierung einer christlichen Literatur sowie Aspekte der Leserlenkung zu bedenken. Um ein gebildetes, mit der paganen Literatur vertrautes Lesepublikum ansprechen zu können, kann Augustinus Anspielungen auf pagane Vorlagen nicht vermeiden. Um sich diese Erscheinung zu vergegenwärtigen kann man beispielhaft auf die Predigten verweisen, zu deren Abfassung sich der Autor der Schulrhetorik bedient, um ihren Inhalt dem Leser in der Form darzubringen, die er gewohnt war. 147 Wenngleich die Christen über das Problem der Verwendung von paganen Kulturgütern reflektieren und mit der Vorstellung von einem usus iustus eine bedingte Integrationen klassischen Denkens erlauben, bleibt auch Augustinus nicht frei von Widersprüchen zwischen der Verurteilung klassischer Vorstellungen in der theoretischen Auseinandersetzung und der dennoch vollzogenen Verwendung paganer Vorlagen in seiner schriftstellerischen Praxis. c) Narratologie Ein wichtiges Instrumentarium für die eingehende Textanalyse bietet die Erzählforschung. In diesem Kapitel gilt es zunächst, auf die umstrittene Frage nach der Bestimmung der Erzählstimme im autobiographischen Schreiben einzugehen, sodann auf Charakteristika des autobiographischen Schreibens in Hinblick auf den Erzählmodus, wobei eine vertiefte Betrachtung Gérard Genettes Konzept der Fokalisierung gewidmet werden soll, das sich im Rahmen der Fragestellung dieser Arbeit als besonders erkenntnisförderlich herausgestellt hat.

145 Vgl. 3,5,9. 146 Vgl. 9,5,13. 147 Vgl. Auerbach 1958, 28.

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α) Augustinus: Autor – Erzähler – Figur Autobiographisches Schreiben zeichnet sich durch die Identität von Autor, Erzähler und Hauptfigur aus. 148 Gerade diese Eigenschaft kennzeichnet die Autobiographie als einen faktualen Text, wobei die Referenz auf die außertextuelle Wirklichkeit in sehr unterschiedlichem Grad hergestellt sein kann. 149 Die Identität von Autor, Erzähler und Hauptfigur unterscheidet die Autobiographie von einer autodiegetischen, fiktionalen Erzählung wie Daniel Defoes Robinson Crusoe, bei der der Erzähler Hauptfigur der Erzählung ist, jedoch keine Identität von Erzähler und Autor vorliegt und der Autor (Defoe) erfindet, was der Erzähler (Crusoe) berichtet. 150 Wenngleich es auch für die Confessiones meist geboten ist, zwischen diesen drei Instanzen zu unterscheiden, wäre es dennoch falsch, sie gänzlich zu trennen. So spricht der Erzähler einerseits Gott als Adressaten einer mündlichen Kommunikation an, bedenkt jedoch ebenfalls den potentiellen Leser (etwa in 2,3,5) und tritt somit als der Autor beim Abfassen des schriftlichen Werkes auf. Die Grenze zwischen Autor und Erzähler verschwimmt. Die Differenzierung zwischen Autor, Erzähler und Protagonist führt nicht zu einer Auflösung einer durch den Eigennamen hergestellten Identität dieser drei. In ihrer Einführung zu Augustinus schlägt Therese Fuhrer vor, Figur und Erzähler durch Auszeichnung mit gnomischen Häkchen (‚Augustinus‘) vom Autor zu unterscheiden. 151 Ein solches Vorgehen mag vom theoretischen Standpunkt her gesehen seine Berechtigung haben, führt jedoch bei einer praktischen Anwendung in der Textinterpretation zu Formulierungen, die der für autobiographisches Schreiben konstitutiven Identifikation der drei Rollen zuwiderlaufen. Gerade diese Identifizierung ist für den Leseprozess grundlegend und unabdingbar. Anders als durch die Anerkennung dieser Identifikation ist der Text überhaupt nicht als Äußerung Augustins über sich selbst zu lesen. 152 Dass im Fall der Confessiones mit einer solchen auf einem Kontrakt zwischen Autor und Leser beruhenden Gleichsetzung gespielt werden soll, ist nicht erkennbar. Aus diesen Gründen ist an der für das autobiographische Schreiben konstitutiven Identität von Autor, Erzähler und Hauptfigur festzuhalten, was von Seiten der Klassischen Philologie zuletzt in einer Untersuchung zu autobiographischem Schreiben bei Cicero von Stephanie Kurczyk ausgeführt worden ist. 153

Vgl. Lejeune 1994 (1975), 16–17; Martinez / Scheffel 52003, 81; 83. Vgl. Niggl 2005, 11–12. Vgl. Martinez / Scheffel 52003, 83–84. Vgl. Fuhrer 2004a, 107. Diese Unterscheidung nimmt auch Müller 2003a vor. Vgl. die Ansicht bei Lejeune 1994 (1975) passim, nach der autobiographisches Schreiben vom Leser überhaupt nur durch die Anerkennung der Identität von Autor, Erzähler und Hauptfigur als solches erkennbar ist. 153 2006, 19–42. 148 149 150 151 152

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II. Einordnung in den Forschungskontext

β) Fokalisierung Man kann im autobiographischen Teil der Confessiones von zwei ‚Werkebenen‘ sprechen: Zum einen findet sich eine Darstellung der vergangenen Geschehnisse, 154 zum anderen eine „Reflexion über die erzählten Ereignisse“ 155 in der Anrede an Gott. Im Folgenden wird in Hinblick auf diese erzählerische Präsentation vergangener Ereignisse von ‚Darstellung‘ gesprochen, während der Begriff ‚Erzählung‘ zur Bezeichnung des gesamten Gedankenstroms herangezogen wird, der sowohl Darstellung als auch Reflexion umfasst. Hiermit unmittelbar verbunden ist auch die notwendige Unterscheidung zwischen einer „erzählten Zeit“ und einer „Zeit des Erzählens“. 156 Die beiden Ebenen der Darstellung und Reflexion sind ineinander verschränkt. 157 Augustinus als Figur der Erzählung der Vergangenheit ist auf der Suche nach der Erkenntnis Gottes, während er zum Zeitpunkt des Erzählens bereits zu einem richtigen Gottesverständnis gelangt ist und über die erzählten Ereignisse mit dem im Nachhinein erlangten Wissen über Gottes Walten reflektiert. 158 Dieses erzähltechnische Vorgehen entspricht Augustins Theologie: Sünde kann erst durchschaut werden, wenn sie mit Hilfe Gottes bereits überwunden ist. 159 Hier liefert bereits die literarische Form des autobiographischen Schreibens mit dem Wechsel von der Darstellung vergangener Ereignisse und der sich darauf beziehenden, nachträglichen Reflexion einen bedeutenden philosophischtheologischen Inhaltspunkt. Wichtige Aufschlüsse lassen sich bei der Analyse dieser Verschränkung gewinnen, wenn nicht nur die Inhalte, das ‚Was‘ der beiden Ebenen, zueinander in Bezug gesetzt werden, sondern auch der Modus der Erzählung, das ‚Wie‘. 160 Die Darstellung eines Geschehens kann in einer Erzählung von unterschiedlichem Standpunkt aus und somit mit unterschiedlicher Distanz und aus unterschiedlicher Perspektive erfolgen. Narrative Texte können anders, sei es mehr oder weniger, berichten, als es ein faktuales Erzählen, das Objektivität und Sachlichkeit anstrebt, verlangen würde. 161 Für die Perspektivierung der Darstellung hat sich in der Erzähltheorie das von Gérard Genette entwickelte Konzept der focalisation etabliert. 162 Im Folgenden soll der sich zusehends durchsetzende eingedeutschte Terminus ‚Fokalisierung‘, das davon abgeleitete Verb sowie das dazugehörige Ver-

154 Vgl. Mohrmann 21961 (1947), 377; Feldmann 1998, 46, der diese Darstellung ›narratio rerum factarum‹ nennt. 155 Vgl. Fuhrer 2004, 107. Kursivstellungen in den Zitaten vom Verf. vorgenommen. 156 Vgl. Martinez / Scheffel 52003, 31. 157 Vgl. Feldmann 1998, 46; 123. 158 Vgl. Feldmann 1998, 40. 159 Vgl. van Fleteren 1998, 115; Seelbach 2004, 62. 160 Zum Modus der Erzählung vgl. Genette 32010, 103–135; hierzu Martinez / Scheffel 52003, 47–67. 161 Vgl. Lahn / Meister 2008, 103–105. 162 Zur französischen Begrifflichkeit vgl. Genette 1972, 206–224.

1. Literaturwissenschaftliche Fragestellungen

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baladjektiv verwendet werden. 163 Synonym kann hier auch von ‚Perspektivierung‘ gesprochen werden. 164 Dem Konzept der Fokalisierung liegt die Beobachtung zugrunde, dass jedes Geschehen einer Erzählung von einer Erzählinstanz unter bestimmten Wahrnehmungsbedingungen auf eine spezifische Art und Weise an den Leser weitergegeben wird. 165 Die Darstellung von Geschehnissen kann aus der Perspektive einer wahrnehmenden Person erfolgen, die nicht zwingend mit der des allwissenden Erzählers übereinstimmen muss. Eine wichtige Funktion der Fokalisierung besteht in der Wahrnehmungssteuerung beim Leser, der bei der Lektüre die Ereignisse aus dem Blickwinkel der Figur miterlebt. 166 Als Bestätigung für die Anwendbarkeit dieses narratologischen Konzeptes gerade im Rahmen der vorliegenden Arbeit kann gelten, dass Thomas A. Schmitz in seiner einführenden Darstellung zu Genettes Konzept der Fokalisierung als Paradebeispiel für dieses Phänomen gerade das autobiographische Erzählen über Kindheitserlebnisse anführt: „Eine Unterabteilung des Modus bei Genette ist die Perspektive (…). Er legt großen Wert auf eine klare Unterscheidung der Kategorien „Wer spricht?“ und „Wer nimmt wahr?“. Die Bedeutung dieser heute in der Narratologie allgemein anerkannten Differenzierung wird etwa deutlich, wenn wir uns eine autobiographische Erzählung in der ersten Person vorstellen: Hier kann ein Erzähler die Dinge so schildern, wie er sie (beispielsweise als Kind) wahrgenommen hat, obwohl er nun, im Augenblick der Erzählens, mittlerweile viel mehr weiß als sein dama167 liges Ich.“

Die von Schmitz allgemein formulierten Feststellungen lassen sich auch auf das konkrete Beispiel der Confessiones übertragen. Genette stellt drei Typen der Fokalisierung fest, die sich nach dem Verhältnis zwischen dem Wissen des Erzählers und dem Wissen der Figuren in der Erzählung unterscheiden. Genette differenziert dabei zwischen einer (auktorialen) Nullfokalisierung, einer ‚Übersicht‘, in welcher der Erzähler mehr sagt oder weiß, als die Figur wahrnimmt oder weiß, einer externen Fokalisierung, bei der der Erzähler weniger sagt, als die Figur weiß, sowie einer (aktorialen) internen Fokalisierung, einer ‚Mitsicht‘, bei der der Erzähler nicht mehr sagt oder weiß, als die Figur weiß. Hier ist die Wahrnehmung an eine spezifische Figur gebunden, 163 Als Beispiele der Verwendung der verdeutschten Terminologie sei auf die Übersetzung Genette 32010, 121–124; 217–220; Martinez / Scheffel 52003, 63–67; Lahn / Meister 2008, 104– 110 verwiesen. Als Vertreter der Klassischen Philologie kann zu diesem Sprachgebrauch Schmitz 22006, 69–70 angeführt werden. 164 Eine weitere, von Lahn / Meister 2008, 104 geforderte Differenzierung von Fokalisierung und Erzählperspektive, bei der auch die ideologische Position des Erzählers bedacht wird, scheint im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht nötig zu sein. Dass die Erzähltechnik Augustins in unauflöslicher Verbindung zu seinen Überzeugungen steht, ist freilich außer Frage und stellt einen bedeutenden Punkt in der vorliegenden Untersuchung dar. Hier wird auf das Genette’sche Konzept zurückgegriffen, da es ein geeignetes Instrumentarium an die Hand gibt, den Blick auf die Figurenperspektive und die epistemologische Position der Figur zu lenken. Für diesen Zweck ist die Theorie Genettes hinreichend. 165 Vgl. Lahn / Meister 2008, 104. 166 Vgl. Lahn / Meister 2008, 104–105. 167 Schmitz 22006, 69.

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II. Einordnung in den Forschungskontext

der Erzähler sagt nicht mehr, als die Figur weiß. 168 Eine bestimmte Form der Fokalisierung braucht nicht durchgehend beibehalten werden, sondern die Perspektivierung kann auch variabel gestaltet sein. 169 Besonders interessant für die Confessiones ist eine häufig festzustellende Herstellung der dritten Form, der internen Fokalisierung, bei der aus der Perspektive der Figur erzählt wird. So lässt sich auch, wie diese Untersuchung zeigen möchte, an vielen Stellen der Confessiones ein Abweichen von der Erzählerperspektive und ein Wechsel zur intern fokalisierten Darstellung aus der Perspektive der Figur Augustinus (oder auch anderer Figuren wie etwa der Mutter) in der Erzählung feststellen. Hiermit drückt Augustinus seine beschränkte Perspektive in der Vergangenheit (oder einer anderen Figur) aus, von der aus er (sie) die Zusammenhänge noch nicht deuten konnte. Ein Bruch der perspektivischen Einschränkung erfolgt in der Regel durch die Reflexion über die dargestellten Ereignisse. Dieser Darstellungsmodus spiegelt einerseits (a) eine inhaltliche, philosophisch-theologische Aussage wider, andererseits steht sie (b) im Dienste einer gezielten Leserlenkung: a) Da Gott nach Augustins Vorstellungen aufgrund seiner Allmacht und Vorsehung auch die Sünde zu seinen Zwecken benutzt, kommt dem Bösen keine Selbstständigkeit zu. 170 Ebenso ist das Zufällige und genauso das Selbstverständliche von Gott gewirkt. Die beschränkte Perspektive auf die Vorgänge ist die des Sünders vor der Bekehrung. In der Darstellungsform setzt Augustinus erzählerisch theologisch-philosophische Vorstellungen um: Eine beschränkte Perspektive ist Ausdruck der Sündhaftigkeit des Menschen. 171 Ursprünglich als kontingent empfundene Erlebnisse erfahren eine nachträgliche Deutung. Das Nebeneinander von Erzählung vergangener Ereignisse und nachträglicher Deutung, das jeder Darstellung von Erinnerung anhaftet, sowie das Auseinanderklaffen der Perspektiven erklären sich in den Confessiones nicht nur als narrative Struktur, sondern stellen auch einen Teil der theologischen Aussage dar. b) Der Wechsel zwischen unterschiedlichen Typen der Fokalisierung steht auch im Dienst der Leserlenkung. Dem Leser wird eine zunächst be168 Vgl. Genette 32010, 121–124; 217–220 zu den verschiedenen Formen der Fokalisierung. Vgl. ferner Martinez / Scheffel 52003, 63–64; Lahn / Meister 2008, 107–109. 169 Zur ‚variablen Fokalisierung‘ vgl. Genette 32010, 121; hierzu Lahn / Meister 2008, 109–110. 170 Vgl. Flasch 2003a, 10. Vgl. ferner Horn 1995, 52–53 zum Übel als Teil der Weltordnung, die der göttlichen providentia unterliegt. 171 In De ordine erläutert Augustinus diesen Gedanken mit einem bildhaften Vergleich: Wie eine Statue, die in der Ecke eines Gebäudes aufgestellt ist, kann der Mensch nur sehen, was sich in unmittelbarer Nähe befindet, er kann Teile sehen, aber nicht das Ganze (ord. 1,1–2; 2,15). Seine Seele ist deshalb von der Betrachtung höherer Dinge abgewandt und ist abgelenkt durch Neugier und die Liebe zu niedrigeren Dingen (mus. 6,13,39). Dabei verwechselt sie die Schöpfung mit dem Schöpfer (vera rel. 67–68). Die Sünde geht von der Seele aus, die unfähig ist, ihre Liebe und Handlung in die richtige Ordnung zu bringen. Sünde ist somit ein Defizit an rechter Ordnung. Vgl. Simpl. 1,2,18. Hierzu Harrison 2000, 26.

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schränkte Perspektive vermittelt. Es geht hier oft um Erlebnisse aus der Lebenswelt des 4. Jahrhunderts, mit denen sich der Leser identifizieren kann. Die nachträgliche Erklärung bringt in Form eines „AhaErlebnisses“ das für richtig erkannte Verständnis des Ereignisses. So wird ihm das theologische Thema der beschränkten Sicht des Sünders und die nachträgliche Einsicht auch nachvollziehbar vermittelt. d) Psychoanalytische Ansätze Seit den 50er Jahren des 20. Jahrhundert ist eine große Anzahl an Versuchen unternommen worden, Augustins Darstellungen und Deutungen von Figurenkonstellationen und Handlungsmotivationen in den Confessiones mit einer sich auf die Methodik der Psychoanalyse stützenden Herangehensweise zu interpretieren. 172 Vertreter einer psychoanalytischen Interpretation gehen davon aus, dass wichtige Elemente der autobiographischen Erzählung und Deutung nicht durch theologische Aussageabsichten, die mit der Lebensbeschreibung verfolgt werden, zu erklären seien. 173 Bei diesem Ansatz rücken besonders die Rollen des Vaters und der Mutter in den Blickpunkt. So wird einerseits die große Bedeutung, die der Mutter entgegengebracht wird, andererseits die Geringschätzung gegenüber dem Vater und den Geschwistern mit Hilfe der Psychoanalyse erklärt. 174 Eine psychoanalytische Herangehensweise geht von der Prämisse aus, dass sich von ‚Leerstellen‘ in der Motivierung der Erzählung auf die Psyche des Schreibenden schließen lasse. Bei diesem Ansatz werden Erkenntnisse der wissenschaftlichen Psychologie über die Mechanismen des Erinnerns zur Erklärung von Zusammenhängen in literarischen Werken herangezogen. Der Germanist Carl Pietzcker weist bezüglich einer Autobiographieforschung unter psychoanalytischen Prämissen auf Eigenheiten des Erinnerns im autobiographischen Schreiben gegenüber dem Erinnern in der Psychoanalyse hin. Während die Psychotherapie vornehmlich unbewusste Konstruktionen wie etwa Deckerinnerungen offenlegen will, 175 muss die literaturwissenschaftliche Forschung bedenken, dass das autobiographische Erinnern auch bewusstes und gewolltes Konstruieren umfasst. 176 In diesem Prozess des 172 Die bahnbrechende Untersuchung dieser Forschungsrichtung, auf die sich die meisten nachfolgenden Studien stützen, ist der 1957 publizierte Aufsatz von Charles Kligerman mit dem Titel „A Psychoanalytic Study of the Confessions of St. Augustine“. Vgl. Kligerman 1990 (1957). Kligerman rekonstruiert aus dem Text einen Ödipuskomplex mit den entsprechenden Deutungen bezüglich des Verhältnisses zum Vater und zur Mutter. Vgl. ferner Brändle / Neidhart 1984 und Flasch 2003a. 173 Als Beispiel dieser Auffassung sei hier Flasch 2003a, 25 zitiert: „Im Text sind offenbar Gestaltungstendenzen am Werk, die in Augustins eigener Theorie keinen spezifischen Ort erhalten haben. Sie legen eine psychoanalytische Deutung nahe.“ 174 Vgl. den Ansatz von Brändle / Neidhart 1984. 175 Vgl. Pietzcker 2005, 15–19. 176 Vgl. Pietzcker 2005, 21–22 mit treffendem Verweis auf Goethes Aussagen gegenüber Eckermann bezüglich seines Werkes Dichtung und Wahrheit.

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II. Einordnung in den Forschungskontext

bewussten Konstruierens im autobiographischen Schreiben räumt Pietzcker besonders den literarischen Gattungstraditionen einen bedeutenden Raum ein. Ferner sind adressatenbezogene Funktionen des Schreibens zu bedenken, wobei der Leser in den persönlichen Erinnerungen immer auch etwas Allgemeines erkennen soll. 177 Bedenkt man nun das über das antike autobiographische Schreiben bisher allgemein Gesagte, besonders den Versuch, exemplarische Figuren zur Vermittlung philosophischer Ansichten darzustellen, sollte deutlich werden, dass eine psychoanalytische Herangehensweise der hier vorgenommenen Untersuchung der Mutterrolle in den Confessiones diametral entgegensteht. Dem psychoanalytischen Ansatz liegt die Prämisse zugrunde, bei dem Text handle es sich um die im spontanen Gedankenstrom niedergeschriebene Erinnerungsleistung des Autors, wobei die Psychoanalyse das Instrumentarium biete, die Mechanismen dieses Erinnerungsvorgangs zu beleuchten. Dieses Vorgehen mag in der Forschung zur modernen Autobiographie seine Berechtigung haben, für antikes biographisches und autobiographisches Schreiben ist es jedoch gänzlich unpassend. Solche Vermutungen verstellen den Blick für eine Untersuchung der literarischen Intentionen, besonders dann, wenn der kommunikative Zweck von Literatur berücksichtigt werden soll. Der Versuch von Rudolf Brändle und Walter Neidhart, die Entwicklung der augustinischen Theologie aus der in den Confessiones dargestellten Lebensgeschichte zu erklären – „dass sein Denken durch seine Lebensgeschichte und seine Erfahrungen als Kleinkind mit Mutter und Vater mitbestimmt wurde“ 178–, unterliegt der Gefahr von Zirkelschlüssen. So versuchen die beiden, Augustins Haltung zur Sexualität an entwicklungspsychologischen Mutmaßungen, die aus den Confessiones gewonnen werden, zu erklären. Hierbei wird jedoch übersehen, dass Augustins Darstellung der Entwicklung eben aus der Perspektive der Theologie geschieht. Dass er sein frühkindliches Gestilltwerden beschreibt, erklärt sich nicht durch eine starke Mutterbindung, mit „der Sehnsucht nach dem Paradies ungestörter oraler Genüsse“, wie die beiden Autoren vermuten, 179 sondern steht ganz im Sinne der theologischen Aussage mit dem Ziel, zu demonstrieren, dass Gott am Menschen bereits vom Anfang seiner Existenz an wirkt. Ob er von Karthago abreisen wollte, um sich mit der Welt des Vaters identifizieren zu können, ob sich die Mutter aus sexueller Enttäuschung oder Frigidität von ihrem Mann abwandte und sich auf ihren Sohn konzentrierte, 180 dies sind Fragen, die zur Deutung des literarischen Werkes nicht beitragen. Gerade im Bereich der Sexualität zeigt sich, dass die Darstellungen und Deutungen Augustins ganz im Lichte seiner Theologie stehen. Dies kann mit Sicherheit festgehalten werden, während biographistische, sich auf die Psychologie stützende Erklärungen nur Mutmaßungen bleiben können. 181 177 178 179 180 181

Vgl. Pietzcker 2005, 24–25. Brändle / Neidhart 1984, 157. Vgl. Brändle / Neidhart 1984, 171–172; das Zitat 172. Vgl. Flasch 2003a, 27–29. Beispielhaft sei hier auf die Bemerkungen in Ranke-Heinemann 1988, 85 über die Trennung von der Konkubine im 6 Buch verwiesen: „Nach seiner Bekehrung wandelte sich sein schlechtes Gewissen über seine eigene Treulosigkeit gegen die verlassene Geliebte immer

1. Literaturwissenschaftliche Fragestellungen

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Unter Vermischung von außertextueller, historischer Ebene und Darstellung im Text wird häufig die Psychohistorie primär zur Theologie gesetzt, wie folgende Aussage von E.R. Dodds deutlich zum Ausdruck bringt: “But Augustine demanded more than a theory. He wanted a God to confide in, a God to argue with, a God to surrender to: an ideal object of his every passion, who should be for him in 182 Heaven, and more perfectly, all that Monica was for him on earth.”

Die Entwicklung der Theologie wird bei diesem Ansatz aus der Lebensgeschichte erklärt: Augustins “exceptional relationship to his mother” wird als “one of the determining factors in Augustine’s life-history” 183 gesehen: “from this springs his inability to find happiness in the love of women; from this his desperate pursuit – in philosophy, in friendship, at last in religion – of an elusive substitute for that hap184 piness.”

Eine solche Deutung bietet wenig Berührungspunkte mit dem Beweisziel der vorliegenden Arbeit, die zeigen möchte, dass in dem literarischen Text der Confessiones die interpersonalen Beziehungen nach einer übergeordneten Aussageabsicht gezielt gestaltet sind und sich mit der Intention einer literarischen Vermittlung theologischer Anschauungen, nicht nach den Regeln der Psychoanalyse erklären lassen. Folglich ist die Fragestellung nach Formen der literarischen Vermittlung von Theologie vermittels einer Reflexion über das eigene Leben fruchtbarer als spekulative Rückkoppelungen von der Lebensdarstellung auf die Rekonstruktion der Psyche des Autors. Biographistische Ansätze, zu denen auch die psychoanalytische Methode zu zählen ist, tragen deshalb nicht zu einer angemessenen Erschließung des Werkes bei. Es scheint durchaus berechtigt, einer zusehends ablehnenden Haltung gegenüber der psychoanalytischen Herangehensweise zuzustimmen, die sich in der Klassischen Philologie generell 185 und auch in der Forschung zu Augustinus speziell durchzusetzen scheint. 186

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mehr in eine Verachtung der sexuellen Liebe überhaupt. Nicht so sehr ist er schuld, so schuldig er sich auch empfindet, sondern die böse Lust des Sexualaktes. Des Augustinus pessimistische Sexualmoral ist eine einzige Verdrängung seines schlechten Gewissens, seine Frauenphobie ein ständiges Ausfindigmachen der schuldigen Ursache seines Versagens.“ 1927 / 28, 471. Dodds 1927 / 28, 466. Dodds 1927 / 28, 466. Grundlegende Kritik am heuristischen Wert einer psychoanalytischen Herangehensweise übt von Seiten der Klassischen Philologie Schmitz 22006, 214–224. Vgl. Fuhrer 2004a, 167–168 mit der deutlichen Absage an eine biographistische und psychoanalytische Herangehensweise. Vgl. zu einer kritischen Auseinandersetzung mit psychoanalytischen Deutungsversuchen ferner Seelbach 2003.

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II. Einordnung in den Forschungskontext

2. KULTURHISTORISCHE FRAGESTELLUNGEN a) Christianisierung der Wertebegründung In Augustinus’ Werk spiegeln sich die historischen Gegebenheiten der Spätantike wider. Augustinus schreibt in der Zeit einer kulturgeschichtlichen Umbruchphase, die von einer Vielfalt von geistigen Angeboten geprägt ist. Diese stehen häufig in einem Konkurrenzverhältnis zueinander, das bis hin zum Konflikt christlicher, oft asketischer Ideale mit dem Wertesystem der weltlichen Gesellschaft führen kann. 1 Die Etablierung des Christentums vollzieht sich somit in einem Spannungsfeld von alten und neuen Werten. Die klassische antike Tradition besitzt insbesondere über das Bildungssystem, und hier in herausragender Weise durch den Unterrichtsstoff der Rhetorenschulen, eine ungebrochene Wirkkraft auf das geistige Leben des 4. Jahrhunderts. Eine Ausbildung in der Rhetorik war unumgänglich, um im öffentlichen Leben Bedeutung zu erlangen. Die rhetorische Bildung erfüllte vier Funktionen im römischen Reich: Sie ermöglichte sozialen Aufstieg, wirkte innerhalb der Eliten integrierend, erlaubte jedoch auch die Absetzung gegenüber anderen sozialen Gruppen. Schließlich bildet das Rhetorikstudium die Grundlage für die Kommunikation innerhalb der Eliten. 2 Mit dem Kanon der zur Rhetorikausbildung gehörenden Autoren wurden auch die Inhalte der klassischen Literatur weitergegeben. 3 Der Hintergrund dieser zeithistorischen Bedingungen ist auch bei einer Untersuchung der Generationenbeziehungen in den Confessiones zu berücksichtigen. Die Confessiones sind von dem Philosophen Kurt Flasch zu Recht als „eine polemische Schrift im Dienst einer bestimmten Kulturkritik“ 4 aufgefasst worden. Augustins reflektierender Umgang mit der paganen antiken Kultur wird am besten mit der von den Kirchenvätern entwickelten Methode der chresis, der Vorstellung eines usus iustus, eines „rechten Gebrauchs“, erfasst. 5 Mit diesem Begriff wird eine integrative Übernahme und Transformation nichtchristlicher Bildungsinhalte bezeichnet. Teile der klassischen Kultur, sofern sie für einen christlichen Gebrauch nutzbar gemacht werden können, sollen übernommen, die pagane Kultur als Ganzes, Selbständiges jedoch überwunden werden. An diesem kulturhistorischen Prozess der Spätantike wirkt Augustinus selbst aktiv und bewusst mit. Die Auseinandersetzung mit der paganen Geisteswelt erfolgt sowohl explizit wie etwa 1 2 3 4 5

Vgl. Feichtinger 1995, 1–12. Vgl. Vössing 2003, 158: „intégration, distinction, communication, promotion sociale". Vgl. Wiemer 2006, 380. 2003a, 9. Dem Klassischen Philologen Christian Gnilka kommt das Verdienst zu, das spätantike Konzept eines „rechten Gebrauchs“ der paganen Kultur durch christliche Autoren aus Quellenbegriffen eruiert zu haben. Vgl. grundlegend Gnilka 1984. Die Confessiones selbst liefern nicht nur an zahlreichen Stellen eine vollzogene Umsetzung dieser Vorstellung, sondern auch einen bedeutenden Textbeleg für die theoretische Fundierung dieses Konzepts. In 7,9,15 wird die neuplatonische Philosophie wie das Gold der Ägypter (Ex 3,22; 11,2; 12,35–36) für die Israeliten als nutzbar erklärt. Vgl. Gnilka 1984, 88–91 zu Augustins Auslegung dieser Bibelstelle.

2. Kulturhistorische Fragestellungen

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in der Auseinandersetzung mit dem Platonismus in Buch 7 der Confessiones, als auch implizit, was besonders bei der Neukontextualisierung traditionellen Gedankengutes und literarischer Formen geschieht. 6 Im Zusammenhang mit einer solchen Kritik an alten Normen und der Etablierung neuer Werte ist auch Augustins Deutung der Beziehungen zwischen den Generationen zu sehen. Die Vorstellungen vom Verhältnis der Menschen untereinander werden neu gefasst. Die Auseinandersetzung mit der paganen Antike geschieht in den Confessiones in großer Breite und schlägt sich nicht nur in Hinblick auf die philosophische Diskussion nieder, sondern ebenso in Hinblick auf andere Diskurse, wie etwa die Vorstellungen über die richtigen Bildungsinhalte. 7 Auch die Begründung von sozialen Tugenden ist bei Augustin Gegenstand theologischer Reflexion. Die augustinische Ethik ist im Kontext einer durch das Christentum verstärkten Verinnerlichung der Begründung von Wertbegriffen zu sehen. Exemplarisch wird dies im 1. Buch von De civitate dei deutlich. Augustins Untersuchung zum göttlichen Wirken in der Geschichte, die in Auseinandersetzung mit dem paganen Gedankengut geschieht, sowie die damit verbundene Behandlung klassischer römischer Vorstellungen über das Staatswesen umfasst eine tiefgründige Analyse des römischen Selbstverständnisses und den heidnischen Wertbegriffen. 8 Hierbei kommt die Vorstellung einer Verinnerlichung von Wertbegriffen zum Tragen. Augustinus vertritt die Auffassung, dass wahre Tugend ausschließlich in der Religion gründen kann. 9 Zur Demonstration bemüht Augustinus im 1. Buch das römische exemplum virtutis der Lucretia. 10 Das bei Lucretia festgestellte Ruhmesdenken wird im Verhältnis zu der gloria der vergewaltigten christlichen Frauen in Rom (civ. 1,19) beleuchtet und hierbei eine soziale, äußerliche Tugend einer innerlichen Tugend, die sich vor Gott begründet, gegenübergestellt. Auch in dieser Episode zeigt sich die tiefgründige Kulturkritik, die Augus-

6

Vgl. Döpp 1988, 31–43 zum Aufschwung der Poesie in der Blütephase der Spätantike zwischen 350 und 430 und dem Versuch christlicher Autoren, den paganen poetischen Formen christliches Kolorit zu geben. 7 Vgl. Schultheiß 2007, 171–179 über Augustins Haltung zum Einsatz paganer Literatur im Schulunterricht. Tornau 2002 richtet den Fokus auf Augustins Kritik an dem mit dem Bildungsgut implizit (als hidden curriculum) tradierten Wertesystem. 8 Vgl. Baier 2002, 125 zur Verbindung von Auseinandersetzung mit paganer Religion und Kritik am Staatsverständnis: „‘De civitate Dei’ rechnet nicht nur mit dem heidnischen Staatsverständnis ab, sondern stellt das Selbstverständnis des heidnischen Rom grundsätzlich in Frage.“ 9 Vgl. Baier 2002, 135–136. 10 Vgl. Pollmann 1997, 27–28. Die Geschichte vom Suizid der Lucretia findet breiten Niederschlag in der römischen Literatur. Außer bei Livius (1,57–60) wird sie bei Fabius Pictor, L. Accius in seinem Brutus, wahrscheinlich von Ennius in den Annales und von Cicero in rep. 2,46 und fin. 2,66, ferner von Ovid (fast. 2,721–852), Valerius Maximus (6,1,1), Seneca dem Älteren, Quintilian, Dionysios von Halikarnassos (ant. 4,64,4–67,4), Plutarch und Silius Italicus behandelt. Selbst christliche Autoren verweisen noch auf sie als Beispiel einer vorbildhaften pudicitia. Vgl. Trout 1994, 55–62.

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II. Einordnung in den Forschungskontext

tinus in De civitate dei vornimmt. 11 Augustinus attestiert Lucretia ein auf die Erhaltung des äußerlich bestimmten pudor zielendes Verhalten, zu dem die innerlich im Verhältnis zu Gott sich begründende pudicitia als Tugend der christlichen Frauen während der Plünderung Roms in Kontrast gestellt wird: Quod ergo se ipsam, quoniam adulterum pertulit, etiam non adultera occidit, non est pudicitiae caritas, sed pudoris infirmitas. Puduit enim eam turpitudinis alienae in se commissae, etiamsi non secum, et Romana mulier, laudis avida nimium, verita est ne putaretur, quod violenter passa est cum viveret, libenter passa si viveret. Unde ad oculos hominum testem mentis suae illam poenam adhibendam putavit, quibus conscientiam demonstrare non potuit. Sociam quippe facti se credi erubuit, si, quod alius in ea fecerat turpiter, ferret ipsa patienter. Non hoc fecerunt feminae Christianae (…). Habent quippe intus gloriam castiatis, testimonium conscientiae; habent autem coram oculis Dei sui nec requirunt amplius, ubi quid recte faciant non habent amplius, ne devient ab auctoritate legis divinae, cum male devitant offensionem suspicionis humanae. 12

Augustinus demontiert die Handlungsmotive des altrömischen exemplum: Lucretia habe sich nicht getötet aus innerlicher Überzeugung ihrer Unschuld, sondern aus dem Bedürfnis nach deren äußerer Demonstration. Die hinter diesen Motiven stehenden Wertbegriffe pudicitia und pudor werden kontrastierend nebeneinandergestellt und voneinander abgesetzt. Eigenschaft der Römer sei ihre Begierde nach laus („äußere Achtung“). Dass Augustinus Lucretia als paradigmatisch für eine den alten Römern zugeschriebene Haltung aufgefasst wissen will, bezeugt die Einfügung der Apposition Romana mulier: Es geht um ihre Eigenschaft gerade als eine römische Frau. 13 Die dieses Verhalten bestimmende mentale Haltung ist die der Beschämung und der Furcht vor den anderen (puduit; verita est ne putaretur; conscientiam demonstare non potuit; sociam facti se credi erubuit),

11 Vgl. Trout 1994, 53: “Augustine’s reappraisal of Lucretia was subversive and a direct challenge to widely held cultural assumptions.” 12 Civ. 1,19: „Dass sie also sich selbst, weil sie einen Ehebrecher ertragen musste, umbrachte, auch wenn sie keine Ehebrecherin war, zeugt nicht von einer Liebe zur Keuschheit, sondern von einer Schwäche des Schamgefühls. Sie empfand nämlich Scham für die gegen sie verübte Schändlichkeit eines anderen, auch wenn diese nicht mit ihrer Zustimmung geschah. Als eine römische Frau, die allzu erpicht auf äußere Achtung war, fürchtete sie, man könnte glauben, sie hätte das, was sie gewaltsam erlitt, als sie lebte, mit willentlicher Zustimmung erlitten, wenn sie noch lebte. Daher glaubte sie, sie müsse vor den Augen der Menschen, denen sie ihr Bewusstsein nicht zeigen konnte, als Beweis ihrer Gesinnung jene Strafe vollziehen. Denn sie schämte sich dafür, sie könnte für die Komplizin der Tat gehalten werden, wenn sie selbst geduldig ertrüge, was ein anderer an ihr auf schändliche Weise begangen hatte. Dies taten die christlichen Frauen nicht. Sie tragen nämlich den Ruhm der Keuschheit in sich, einen Beweis ihres Gewissens; sie haben ihn aber vor den Augen ihres Gottes und verlangen nicht mehr – nachdem sie nicht mehr haben, was sie auf rechte Art tun könnten –, damit sie nicht von der Autorität des göttlichen Gesetzes abwichen, wenn sie auf schlechte Weise dem Anstoß aus dem Wege gehen, den der menschliche Argwohn nehmen würde.“ 13 Die Ethnie wird bereits zu Beginn der Lucretia-Episode, im zweiten Satz, unterstrichen: Lucretiam certe, matronam nobilem veteremque Romanam, pudicitiae magnis efferunt laudibus.

2. Kulturhistorische Fragestellungen

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zumal vor der Erregung von Argwohn (offensio suspicionis humanae). 14 Von den Augen der Mitmenschen (oculi hominum) werden die Augen Gottes (intus; coram oculis Dei) abgesetzt. Die pudicitia der christlichen Frauen zeigt sich im Inneren und vor Gott. 15 Augustinus wirkt in seinen Confessiones an diesem die christliche Spätantike kennzeichnenden Prozess mit. Dieser kulturgeschichtliche Umbruch manifestiert sich auch in den Werken anderer christlicher Autoren der Zeit. Weniger konsequent in seiner christlichen Gesinnung als Augustinus und noch stark dem zu wahrenden pudor verpflichtet zeigt sich Paulinus von Pella in seinem autobiographischen Gedicht: Pro qua sorte quidem vitae scio me tibi grates inmodicas debere, Deus, pro me tamen ipse nescio si salvo possim gaudere pudore, sive quod ipse adhuc propriae specie domus utens, seu quod divitibus contentus cedere notis omnia, quae possunt etiamnunc nostra videri, 16 expensis patior me sustentari alienis, (…).

Dieser Wandlungsprozess schlägt sich auch in den Vorstellungen über zwischenmenschliche Beziehungen nieder. Der Ersatz äußerer durch innere Bindungen zegt in der Spätantike weitreichende Folgen, indem er zu einer „Schwächung gesellschaftlicher Verbände“ 17 führt. Dieser Entwicklung unterliegen auch die Familien. Der Althistoriker Jochen Martin gelangt zu der Feststellung: „Allgemein kann man sagen: dort, wo alte gesetzliche Bindungen oder Machtverhältnisse abgeschwächt werden, tritt an deren Stelle vielfach die Propagierung innerer, moralischer Bindungen. Wenn z.B. einerseits die Herrschaft des pater familias über die Ehefrau und die Kinder gemildert wird, so werden andererseits Liebe und Eintracht gefordert, die die binnenfamiliären Verhältnisse bestimmen sollen. Der Sklave soll nicht mehr nur gehorchen, weil er

14 Diese Bedeutung von pudor kommt in 1,16 auch in der syntaktischen Gestaltung zum Ausdruck, wo Augustinus von pudor einen negativen Finalsatz abhängig macht, der gewöhnlich auf Verben des Fürchtens folgt: quidquid tale factum fuerit, etsi retentam constantissimo animo pudicitiam non excutit, tamen pudorem incutit, ne credatur factum cum mentis etiam voluntate, quod fieri fortasse sine carnis aliqua voluptate non potuit. 15 Eine vergleichbare Kontrastierung liegt auch in der Passio Sanctarum Perpetuae et Felicitatis vor, wenn Perpetuas Vater seine Tochter darum bittet, ihn nicht durch ihren Märtyrertod „der Schande unter den Menschen“ (Übersetzung Habermehl 2000, 178) preiszugeben: ne me dederis in dedecus hominum (5,2). 16 554–560: „Freilich weiß ich, dass ich dir bei diesem Schicksal unermesslich viel Dank schulde, Gott, für mich selbst weiß ich jedoch nicht, ob ich mich mit ungemindertem Schamgefühl darüber freuen kann, dass ich – sei es, dass ich noch über den Anschein eines eigenen Hauses verfüge, sei es, dass ich zufrieden damit bin, reichen Bekannten alles zu überlassen, was auch jetzt noch mein Eigentum erscheinen kann – ertrage, auf fremde Kosten ausgehalten zu werden.“ Vgl. zum pudor bei Paulinus von Pella und Augustinus Gärtner 2002, 678–679. 17 Martin 42001, 79.

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II. Einordnung in den Forschungskontext Sklave ist, sondern weil jeder Christ sich in seinem Stand bewähren soll. Begründungen für 18 das Handeln werden also in das Innere des Menschen, in das Gewissen verlegt.“

Es ist durchaus naheliegend, diese eine Schwächung der Gemeinschaftsbindungen der antiken Gesellschaft mit sich bringende Verinnerlichung, durch die die Beziehung Individuum–Gott gegenüber der Beziehung Individuum–Mitmensch gestärkt wurde, als einen in der Spätantike stattfindenden Übergang von einer SchamKultur zu einer Schuld-Kultur zu deuten. Diese Begrifflichkeit stammt aus der Forschung zum archaischen Griechenland, kann aber auch für den Christianisierungsprozess des Römischen Reiches angewandt werden. Der Prozess einer Verinnerlichung sozialer Zusammenhänge kann in der Kulturgeschichte wiederholt festgestellt werden. Hierbei lässt sich an den Übergang von einer shame zu einer guilt society bei den Griechen 19 oder an die Hinwendung zur Innerlichkeit insbesondere in der Stoa und die hier der conscientia beigemessene Bedeutung denken. Die Höherwertung des inneren Menschen, der von Gott erkannt wird, gegenüber dem von den Mitmenschen wahrgenommenen äußeren Menschen führt zu weitreichenden Folgen. Während die antike Gesellschaft von sozialen Bindungen an Familie, Clan oder Stadt geprägt ist und als Scham-Kultur moralische Wertungen am öffentlichen Verhalten vollzieht, wird in der christlichen Schuld- und SündenKultur das ausschließlich auf die Beziehung zu Gott orientierte Gewissen des Individuums von der Beurteilung von außen losgelöst. 20 In diesem Zusammenhang erweist es sich als besonders fruchtbar, wenn man die Frage ansetzt, welche Lebenszusammenhänge in historischen Epochen als sinnstiftend erachtet werden. Die Frage nach Sinnkonzepten ist neuerdings überzeugend in dem Sammelband „Sinn (in) der Antike. Orientierungssysteme, Leitbilder und Wertkonzepte im Altertum“, herausgegeben von Karl-Joachim Hölkeskamp, Jörn Rüsen, Elke Stein-Hölkeskamp und Heinrich Theodor Grütter für die altertumswissenschaftliche Forschung vorgeschlagen worden. 21 Rüsen und Hölkeskamp legen als heuristische Prämisse einen Kulturbegriff zugrunde, bei dem es „um menschliche Subjektivität, um die Innenseite der mannigfaltigen Erleidungen und Tätigkeiten, in denen das menschliche Leben im Wandel der Zeiten erfolgt“ 22, geht. Kultur definiert sich demnach als „der Inbegriff der Deutungs- oder Sinnbildungsleistungen, die Menschen vollziehen müssen, um ihr Leben praktisch (in Wirtschaft, Politik, Subjektivität und dem Umweltverhältnis) leben zu können.“ 23 Die von Rüsen und Hölkeskamp der menschlichen Sinnbildung zugrundegelegte Herstellung einer Verbindung von praktischem Lebenszu18 19 20 21 22 23

Martin 42001, 80; ferner 190. Vgl. Dodds 1970 (1966), 17–37. Vgl. Feichtinger 2006, 248. Hölkeskamp / Rüsen / Stein–Hölkeskamp / Grütter 2003. Rüsen / Hölkeskamp 2003, 2. Rüsen / Hölkeskamp 2003, 2. Von einem vergleichbaren Kulturbegriff geht Feichtiger 2006, 237 aus, die Kultur „als bedeutungszuweisendes System (…), durch das soziale und politische Ordnungsstrukturen kommuniziert, reproduziert, erfahren und ausgeübt werden“, verstanden wissen will.

2. Kulturhistorische Fragestellungen

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sammenhang und Religion 24 liegt auch den Confessiones zugrunde, wobei Augustinus verschiedene Sinnkonzepte nebeneinanderstellt, wertet und überkommene Sinnkonzepte durch eine reflexive Deutungsleistung in Frage stellt. 25 Ein historisches Beispiel der Reflexion von Sinnkonzepten kann in der ‚Ethisierung und Jurifizierung‘ des mos maiorum in der späten Republik gesehen werden. 26 Die Reflexion kann zu Ablehnung, jedoch auch zu neuen Formen der Begründung führen. Besonders aufschlussreich für eine Untersuchung der augustinischen Confessiones ist der Beitrag von Jan Assmann, der am Beispiel Ägyptens zeigt, dass Unterscheidungen zwischen verschiedenen kulturellen Sinnkonzeptionen vorgenommen werden können: Als „Quelle oder Generator von Zusammenhang und / oder Richtung“, die für die Erfahrung von Sinn konstitutiv sind, können „(a) transzendente, (b) immanente und (c) soziale Sinnquellen“ ausgemacht werden. Zu dem „Typus (a) gehören alle Sinn-Theorien, die Sinn auf den ordnenden und planenden Willen Gottes zurückführen“ 27. „Typ (a) unterstellt den Tun-ErgehenZusammenhang dem Willen Gottes.“ 28 Dem Typ (b), repräsentiert von „Theorien, die den Sinn dem Kosmos oder der Natur selbst ablesen wollen, ohne dabei einen dahinter stehenden Planer oder Programmierer vorauszusetzen“ 29, ist etwa die moderne Physik oder die materialistische Naturphilosophie der Epikureer beizuordnen. Kennzeichnend für die Antike ist besonders Typ (c), „der Sinn als eine soziale und kulturelle Konstruktion versteht.“ 30 Anhand von Entwicklungen in der ägyptischen Geschichte, die bis zur Etablierung des Christentums in der Spätantike verfolgt werden, stellt Assmann die verschiedenen Sinnkonzeptionen nebeneinander und gelangt zur Feststellung einer Entwicklung vom Typ (c) zum Typ (a). Zusammenfassend hält Assmann für die Entwicklung der Sinnkonzeptionen in der Antike fest: 24 Vgl. Rüsen / Hölkeskamp 2003, 2–3. 25 Zur Definition von „Sinnkonzept“ vgl. Rüsen / Hölkeskamp 2003, 3: „Ein Sinnkonzept ist eine konkrete Ausprägung menschlicher Selbst- und Weltdeutung zu einer Lebensform, zu einer bestimmenden Größe sozialer Gruppierungen. Es tritt als Ideologie, als Weltanschauung, als Religion und in vergleichbaren Gebilden auf, synthetisiert verschiedene kulturelle Praktiken (wie etwa die Kunst, die Religion und die Wissenschaft) und erstreckt sich quer durch unterschiedliche Kulturpraktiken: von der unthematisierten Selbstverständlichkeit von Lebensordnung bis zur komplexen Artikulation und Reflexion dieser Ordnungen durch Spezialisten für ihre Auslegung (Schamanen, Priester, Künstler, Professoren). Ein Sinnkonzept läßt sich folgendermaßen definieren: Es ist ein plausibler und verläßlich beglaubigter Bedeutungszusammenhang der Erfahrungs- und Lebenswelt und dient dazu, die Welt zu erklären, Orientierung vorzugeben, Identität zu bilden und Handeln zweckhaft zu leiten. Als begründete und beglaubigte Deutung wird ein Sinnkonzept auch tatsächlich akzeptiert und entfaltet soziale und individuelle Wirkung.“ (Kursivstellung im Original). Zum reflexiven Modus von Sinnkonzepten vgl. Rüsen / Hölkeskamp 2003, 6. 26 Vgl. Gehrke 1994 zum Synthese römischer und griechischer Sinnkonzepte. Vgl. Rüsen / Hölkeskamp 2003, 6. 27 Assmann 2003, 17–18. 28 Assmann 2003, 24. 29 Assmann 2003, 16. 30 Assmann 2003, 17–18.

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II. Einordnung in den Forschungskontext „Die antike Geistesgeschichte stand (…) im Zeichen einer Sakralisierung des Sinns, so wie 31 die moderne im Zeichen einer Säkularisierung.“

An diesem besonders auch die Spätantike kennzeichnenden Prozess arbeitet Augustinus an entscheidender Stelle mit. Die Sinnzuschreibung interpersonaler Beziehungen innerhalb der römischen Familie mit ihren Verhaltensnormen ist entsprechend diesem Schema nach Typ (c) im sozialen Zusammenhang des Miteinander- und Füreinanderlebens definiert. Hierbei speist sich die soziale Sinngebung (Typ c) aus einem kollektiven „sozialen Gedächtnis“ 32. Der einzelne definiert sich als ein Glied in der Kette von Vorfahren und Nachkommen. 33 Große Bedeutung kommt in Rom der Genealogie zu. Der Ahnenkult ist für die Lebenden Auftrag, die Familie fortzuführen, 34 die Erinnerung der Nachkommen wiederum sichert die eigene Unvergänglichkeit. 35 In der pompa funebris wird die Erinnerung an den Ruhm der Ahnen durch die bildliche Darstellung der imagines maiorum, durch die laudatio funebris und durch schauspielerische Inszenierung aufrechterhalten. 36 Die Bedeutung der Ahnen geht mit der Begründung der Wertbegriffe aus exempla der Tradition, dem mos maiorum, einher. 37 In dem Begriff der pietas drücken sich Wertschätzung und das Gefühl der Verpflichtung gegenüber den Vorfahren aus. 38 Diese Form einer ‚traditionalen Sinnbildung‘ erlangt, wie mit einem neuen Ansatz zum Geschichtsbild der Ilias und ihrer Figuren ausgeführt werden konnte, seit dem homerischen Epos und besonders auch in der paganen römischen Kultur große Bedeutung. 39 31 Assmann 2003, 30. 32 Assmann 2003, 26. Dieses soziale Gedächtnis muss staatlich abgestützt und jedem Mitglied anerzogen werden. Vgl. Assmann 2003, 27: „Sinn emaniert nicht einem alles planenden und lenkenden göttlichen Willen und liegt auch nicht der Welt-wie-sie-ist als kosmische Ordnung zugrunde, sondern wird von den Menschen hergestellt und aufrecht erhalten mithilfe eines rituellen und eines sozialen Gedächtnisses, das ihnen nicht angeboren ist, sondern das sie als kulturelle Leistung entwickeln und pflegen müssen.“ 33 Vgl. Speyer 1976, 1191. Es geht hier „um die Fundierung von Bestand, Dauer, Kontinuität und Unsterblichkeit gegen Tod und Zerfall“ (Assmann 2003, 20). Vgl. Walter 2003, 256, der für die römische Nobilität „ein stark ausgebildetes, Identität und Legitimation stiftendes Vergangenheitsbewußtsein im Sinne einer Verpflichtung auf die eigenen Vorfahren, die das eigne Handeln in Gegenwart und Zukunft zu bestimmen vermochte und die Lebenden mit ihren Ahnen zu einer Gemeinschaft verklammerte“, feststellt. 34 Vgl. Speyer 1976, 1187–1188. 35 Vgl. Walter 2003, 256. 36 Vgl. Speyer 1976, 1188; 1191; Walter 2003, 260–271. 37 Vgl. Speyer 1976, 1189; Walter 2003, 257. 38 Vgl. Speyer 1976, 1189. 39 Vgl. Grethlein 2006, 63–84. Traditionale Sinnbildung kann zur Legitimation dienen (65–70), aber auch Verpflichtung für die Akteure bedeuten (72–77). Grethlein erklärt die Bedeutung von Genealogien aus einer starken Wahrnehmung von Schicksalskontingenz durch die homerischen Helden; die Ergebnisse seiner Untersuchungen zusammenfassend konstatiert er (332): „Das starke Empfinden des Zufalls treibt dagegen die exemplarische und traditionale Sinnbildung hervor, die wir in den Paradigmen und Genealogien nachgewiesen haben. Sie heben die Unsicherheit des Wandels auf und ermöglichen Handeln, zugleich werden sie aber selbst

2. Kulturhistorische Fragestellungen

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Jedoch wird bereits in der paganen Antike von Seiten der Philosophie Kritik an einer solchen Berufung auf Familientradition laut. Eine Distanzierung vom römischen Familiendenken erfolgt etwa in den Kreisen der Stoa. Seneca schreibt in prägnanter Formulierung: philosophia (…) stemma non inspicit (ep. 44,1). Ihren ersten Ursprung bezögen alle Menschen von den Göttern her: omnes, si ad originem primam revocantur, a dis sunt. Ein geistiger Adel ist von der Genealogie entbunden: non facit nobilem atrium plenum fumosis imaginibus (…) animus facit nobilem, cui ex quacumque condicione supra fortunam licet surgere (ep. 44,5). Eine Ablehnung genealogischen Denkens unter christlichen Fahnen finden wir bei Augustinus. 40 Für ihn sind innerweltliche Deutungsmuster, die sich auf leibliche Abstammung stützen, nicht mehr hinreichend für eine sinnstiftende Einordnung des Individuums in die Welt. Die Familie wird dem saeculum zugeordnet und erfährt so eine klare Abwertung im Gegensatz zur hohen Wertschätzung, die die Familie in der römischen Tradition erfahren hat. 41 In diesem Zusammenhang ist auch das christlich-spätantike Ideal der Alterstranszendenz, der aetas spiritalis, zu sehen, bei dem die Wertschätzung der Person von ihrem nach dem Kriterium der Leiblichkeit definierten Alter entkoppelt wird. 42 In der Einschätzung der Familie zeigt sich ein Konfliktfeld, das auch bei anderen Kirchenvätern begegnet. Hieronymus vertritt ein strenges Askeseideal und wendet sich gegen Ehe und Geschlechtsverkehr. 43 Mit seinen Vorstellungen über die Askese trennt sich Hieronymus radikal von antiken Werten und sorgt mit der Absage an die Familie für Konfliktpotential mit der semi-paganen Aristokratie, die in Rom dominiert, sowie auch mit nicht asketisch lebenden Christen, die weiterhin in die ‚Welt‘ integriert bleiben. 44 Das Askeseideal mit seiner Absage an die Fortpflanzung steht im Widerspruch zur Sorge um den Fortbestand der Familie. 45

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durch den Zufall in Frage gestellt.“ Vgl. Riedel 1974, 274: „Die Gliederung menschlicher Geschlechterfolge nach G[enerationen, Verf.]. wird schon in mythisch-dichterischer Sprechweise als elementare Selbsterfahrung des Menschen und seiner Geschichte benannt.“ Von einer einschlägigen Seneca-Kenntnis ist bei Augustinus nicht auszugehen (vgl. Hagendahl 1967, 676–680) und somit auch nicht von einer direkten Rezeptionslinie von dieser Stelle aus Senecas Epistulae morales zu den Confessiones. Zur Spannung von Christentum und paganer Tradition in diesem Punkt vgl. in Hinblick auf Hieronymus Feichtinger 1995, 43–44. Vgl. grundlegend Gnilka 1972, das Konzept mit Zustimmung aufnehmend zuletzt Brandt 2002, 229. Die Vorstellung von Alterstranszendenz nimmt Augustinus auch in den Confessiones auf. S. 205–205; 210–212; 282. Vgl. Fuhrer 2004a, 168. Über das Wesen der Askese formuliert Feichtinger 1995, 3–4 zusammenfassend: „Die christliche Askese ist ihren Intentionen nach (…) mit einem Heraustreten des Asketen aus seinen gewohnten sozialen Bindungen verbunden. Ihr Ideal der vollkommenen Weltabkehr und Weltentsagung enthält eine (…) grundsätzliche Absage an jede Art von ‚Normalbürgerlichkeit‘ mit ihren Pflichten und Normen, aber auch mit ihrer relativen Sicherheit und Geborgenheit. Die Abkehr von weltlichen Belangen wie Besitz, Macht, Karriere, Familie, Ehe und Nachkommenschaft enthält allemal an Anarchie reichenden sozialpolitischen Sprengstoff, da sie nicht nur alle sozialen Gefüge, Ordnungsstrukturen und Hierarchien, sondern auch viele der traditionellen Werte und Normen, auf denen Staat und Gesellschaft in der Antike (…) be-

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II. Einordnung in den Forschungskontext

Jedoch müssen die Kirchenväter auch um gesellschaftliche Akzeptanz ihrer Vorstellungen bemüht sein. 46 Dies konnte nur durch den Versuch geschehen, die christlichen Ideale mit traditionellen Werten zu verbinden. Diese Einbindung der althergebrachten Normen in das neue Denken führte schließlich zu einer Stärkung altrömischer Tugendbegriffe. So gelangt Barbara Feichtinger in Hinblick auf Hieronymus’ Normen für Asketinnen zu der Feststellung: „Der Verschmelzungsprozeß von altrömischen und christlichen Werten bewirkte, daß die existierenden, von der Realität freilich oft unterlaufenen Normen durch die Wirkkraft christlicher Glaubensideale neue Gültigkeit, Glanz, Stärke und Verbindlichkeit erhielten. Für die Frauen bedeutet dies, daß nun nicht mehr nur die Gesellschaft von ihnen Unterordnung, Gehorsam, Schweigen und unauffällige Pflichterfüllung erwartete, sondern auch Gott und seine irdischen Repräsentanten. Das (…) Wertesystem erfuhr durch die religiöse Komponente des Glaubens eine noch tiefere und vor allem perpetuierende Versenkung in die individuelle Ge47 wissensstruktur.“

Die Verinnerlichung hat dann keinen Konflikt mit alten Werten zur Folge, sondern deren Affirmation. Es zeigt sich eine Ambivalenz des christlichen Denkens, das sowohl die Kritik als auch die Bestätigung alter Werte ermöglicht. Der Konflikt einer Spannung zwischen christlichem Ideal und sozialer Wirklichkeit konnte zu zweierlei Lösungen führen: Zu einer radikalen Forderung nach einer Auflösung der bestehenden sozialen Ordnung oder zu einer konservativen Haltung, die die bestehenden sozialen Beziehungen unberührt lässt, sie jedoch als irrelevant erklärt in Hinblick auf eine Ebene der Existenz, die wirklich zählt und sich spirituell definiert. 48 Während Feichtinger und Garnsey diese Entwicklung als historischen Prozess am Ende des 4. und Anfang des 5. Jahrhunderts feststellen, soll in dieser Arbeit die bewusste literarische Mitwirkung des Theologen Augustinus an dieser Entwicklung am Beispiel der Confessiones herausgearbeitet werden. An diesem Punkt wendet sich der Blick wieder zurück zu den literarischen Formen. Wenn diese im Zusammenhang mit Sinnstiftung stehen, müssen sie in Hinblick auf ihren ‚Sitz im Leben‘ neu bestimmt und gemäß der Veränderung in den Antworten auf die Fragen in der Weltanschauung auch mit neuem Gehalt gefüllt werden. Dies erklärt etwa Inhalt und Umfang der autobiographischen Betrachtung, aber auch die Lobrede auf Monnica in Buch 9 als eine christliche laudatio funebris. Hierin praktiziert Augustinus eine literarische Technik, die auch Hieronymus in einigen Briefen anwendet, die zum Anlass des Todes eines Freundes oder einer Freundin geschrieben sind. In solchen Briefen stellt Hieronymus

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ruhen, in Frage stellt oder völlig aufhebt.“ Zur Gruppe der Christen, die keiner asketischen Lebensweise folgen, vgl. Feichtinger 1995, 6. Vgl. Feichtinger 1995, 19–20. Vgl. Feichtinger 1995 passim. 1995, 316. Vgl. Garnsey 1997, 102; 120: “We have to ask whether, for the Church Fathers, slavery and sonship had two or more less independent existences, one metaphorical, in the land of theology, the other physical, in Graeco-Roman society.” Garnsey gelangt diesbezüglich zu der Einschätzung: “As I read the evidence, the two worlds intersected surprisingly little.”

2. Kulturhistorische Fragestellungen

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verschiedene Formen und Topoi der traditionellen Briefliteratur, der consolatio und auch der laudatio funebris in den Dienst einer Propagierung des Virginitätsideals. 49 Die Christianisierung paganer literarischer Formen kann somit als eine unter den Kirchenvätern verbreitete Technik bei der Textproduktion gelten. Ein Blick auf die Rezeptionsgeschichte der Vorstellungen Augustins zu verwandtschaftlichen Verbindungen lässt die enorme Bedeutung des Kirchenvaters im kulturgeschichtlichen Entwicklungsprozess und besonders auch auf nachfolgende Bilder von Generationenbeziehungen einschätzen. 50 b) Geschlechterrollen in der Spätantike α) Status der Frau Seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts rückt als Reaktion auf die Frauenrechtsbewegung die Frage nach dem Status der Frau in den Blickpunkt der Geisteswissenschaften. Während in den 60er und 70er Jahren auf die Relevanz der Thematik überhaupt erst hingewiesen und im Zuge der politischen feministischen Bewegung die Unterdrückung der weiblichen Selbstentfaltung betont wurde, richtet die jüngere Forschung ihre Aufmerksamkeit verstärkt darauf, die nicht geringe Bedeutung, die Frauen sowohl im privaten als auch im öffentlichen Leben der Antike erlangen konnten, herauszuarbeiten. 51 Indem sich insbesondere seit den 80er Jahren in der Forschung die Vorstellung einer kulturellen und somit veränderlichen Bedingtheit der Geschlechterbilder durchsetzt, wird der Fokus auf die historische Entwicklung der Konzeptionen von Weiblichkeit gelenkt. 52 Mit dem englischen Terminus gender ist in Differenzierung zum biologischen sex auf das Geschlecht als soziales Konstrukt hingewiesen worden. 53 Zur Beschreibung solcher Normen und Erwartungshaltungen hat sich in der Geschichts- und in der Literaturwissenschaft zum einen der ursprünglich in der Soziologie beheimatete Begriff der ‚Rolle‘, zum anderen der des ‚Bildes‘, häufig in Zusammensetzungen wie ‚Rollenbild‘ oder ‚Frauenbild‘, etabliert. 54 Ein solcher Zugang, der von einer historischen Bedingtheit der Rollenbilder ausgeht, verbietet Wertungen, die unter ungebotener Aktualisierung vorgenommen werden. Auf der Grundlage der zu Recht postulierten Historisierung der Geschlechterbilder muss es als anachronistisch erscheinen, heute gängige Vorstellungen über die Gleichberechtigung der 49 Vgl. Feichtinger 1995, 28–29 mit Beispielen. 50 Albrecht Koschorke (Koschorke 32001) lässt in seinem in kulturtheoretischer Literatur sehr belesenen Beitrag zur Kulturgeschichte der Familie den Kirchenvater leider fast gänzlich unbeachtet. 51 Vgl. Scheer 2000, 168–169. 52 Vgl. Wagner–Hasel / Späth 2000, XV–XVI; Hartmann 2007, 205–206. 53 Vgl. Scheer 2000, 169; Ulf / Schnegg 2006, 20–23. 54 Zu ‚Rolle‘ vgl. Ulf / Schnegg 2006, 14–15. Zu einem jüngeren Versuch, auf Grundlage von gender-spezifischen Rollenmodellen die Liebesdichtung Catulls zu untersuchen, sei auf Fuhrer 2007 verwiesen. Zu ‚Bild‘ vgl. Ulf / Schnegg, 19.

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II. Einordnung in den Forschungskontext

Frau auf die Antike zu übertragen und das historische Frauenbild als defizitär zu brandmarken. 55 Der folgende Überblick behandelt vornehmlich Ideen oder Haltungen in Hinblick auf Frau, Geschlechterverhältnis und Ehe. Der Blick auf die soziale Realität tritt in der Arbeit jedoch nicht ganz zurück, zumal dann nicht, wenn es um die Frage nach dem Identifikationspotential der augustinischen Darstellung beim zeitgenössischen Lesepublikum geht. Damit sich dieses durch die Darstellung angesprochen fühlen kann, muss die Literatur seine Lebenswelt mit ihren Wertvorstellungen abbilden. Das Christentum schafft in der Frage nach dem Status der Frau einen neuen Kontext.56 Während in der klassischen Antike Philosophen ihre Vorstellungen in einem Kreis männlicher Schüler oder auf Plätzen vortrugen, die weitgehend nur von Männern besucht wurden, predigten in der Spätantike die Kirchenväter vor einem vielleicht sogar mehrheitlich aus Frauen bestehenden Publikum. Ferner forderte auch der Bibeltext, der in seinen Schöpfungsberichten die Entstehung der Frau behandelt und den Erlöser von einer Frau geboren sein lässt, zu einer Auseinandersetzung mit dem Thema der Frau heraus. Mit dem Verweis auf die Bibel konnten traditionelle römische Vorstellungen über die soziale Rolle der Frau sowohl umgestoßen als auch zementiert werden. Dementsprechend findet die Frage nach der Natur der Frau und den für sie geltenden Lebensregeln in den Werken der Kirchenväter breiten Niederschlag. 57 Augustin entwickelt seine Vorstellungen über den Status der Frau in erster Linie aus seiner Bibelexegese. Jedoch liegt seinen Gedanken auch das Substrat der klassisch-paganen Tradition zugrunde, auf die er sich auch ganz explizit beruft, um im Dialog De ordine Monnicas Teilnahme am philosophischen Disput zu rechtfertigen: nam et feminae sunt apud veteres philosophatae (ord. 1,31). 58 Die apologetische Tendenz dieser Aussage macht deutlich, dass die Teilnahme von Frauen an philosophischen Diskussionen keine Selbstverständlichkeit war, sondern als der Rechtfertigung bedürftig angesehen wurde. 59 Hierzu bedient sich Augustinus des Verweises auf die veteres, womit heidnische Autoren bezeichnet sind. Als herausragende Beispiele ist an Diotima, die Lehrerin des Sokrates im Symposium, oder an Aspasia, die Geliebte des Perikles, zu denken, wobei es zu beachten gilt, dass auch im Athen des 5. und 4. vorchristlichen Jahrhunderts eine Beteiligung von Frauen an philosophischen Gesprächen nicht als selbstverständ-

55 Vgl. Scheer 2000, 157; Wagner-Hasel / Späth 2000, XIII; Hartmann 2007, 206. 56 Trotz der großen Menge an Forschungsliteratur zur römischen Frau, die in den vergangenen Jahren entstanden ist, muss häufig das Defizit festgestellt werden, dass die Spätantike und die Einwirkungen des Christentums gänzlich unbeachtet bleiben. Hier sei beispielshalber auf die Quellensammlung Dixon 2001 verwiesen. 57 Vgl. Clark 1993, 119–120. 58 Für einen vertieften Überblick über die Tradition, insbesondere zu Epikur und zum Kepos vgl. Erler 2007b. 59 Vgl. Erler 2007b, 34.

2. Kulturhistorische Fragestellungen

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lich angesehen wurde. 60 An dieser Stelle lohnt ein kurzer Blick auf die Vorstellungen bei Platon, die der Existenz von feminae philosophatae eine Rechtfertigung geben. Nach Platon R. V 452E–457B verfügen die Frauen ebenso wie die Männer über die Fähigkeit, Philosophie zu betreiben, denn hierfür sei die allen Individuen gleiche menschliche Natur grundlegend und nicht die Körperlichkeit. Dadurch, dass Mann und Frau über dieselbe Natur verfügen, haben sie denselben Zugang zur Tugend. Begabungen sind nach Platon R. V 455E nicht geschlechtsgebunden, so dass auch Vorstellungen von Geschlechterrollen als konventionell und als veränderlich durch Erziehung anzusehen sind. 61 Auch wenn bei Platon das männliche Geschlecht generell dem weiblichen überlegen ist – das weibliche wird in R. V 455E1 als ἀσθενέστερον bezeichnet –, so wird eingeräumt, dass einzelne Frauen zu gewissen Dingen fähiger sind als einzelne Männer. 62 In der Tradition dieses Denkens steht Augustinus, wenn er in Zuwendung zum homo interior eine Differenzierung nach Geschlechtern in Hinblick auf die Wahrheitserkenntnis ablehnt. 63 Mann und Frau sind in gleicher Weise als imago dei geschaffen, und weil Gott nicht von menschlichen Kategorien beschränkt wird, sind beide Geschlechter intellektuell und moralisch gleichrangig. Jedoch bestehen, was Mann und Frau als homo exterior anbelangt, deutliche Unterschiede in physischer Beschaffenheit und sozialer Stellung. 64 Unter Berufung auf Evas 60 Vgl. Erler 2007b, 35 mit Verweis auf Xen. oec. 3,12. Beispiele für gebildete Frauen im Griechenland der klassischen und hellenistischen Zeit führt Thraede 1972, 201–204 an. Vgl. ferner Harich-Schwarzbauer 2000, 164. 61 Vgl. Föllinger 1996, 56–117 über Platon. Vgl. ferner Thraede 1972, 208–209. 62 Vgl. Föllinger 1996, 85–87. Die Unterlegenheit der Frau gegenüber dem Mann hingegen untermauert Aristoteles. Der weibliche Körper unterscheidet sich für ihn vom männlichen durch einen Mangel an Wärme, wovon auch der weibliche Verstand betroffen ist, der bei einer Frau somit nie voll entwickelt wird. Frauen bleiben infolgedessen stets abhängig von männlicher Lenkung. Vgl. Clark 1993, 121; Hartmann 2007, 11. 63 Vgl. Seelbach 2007, 88–89. Vgl. Erler 2007b, 36–38 zum Rückgriff Augustins auf die platonische, stoische und epikureische Tradition auch in diesem Zusammenhang. Zum Postulat einer Gleichachtung von männlicher und weiblicher Natur und der daraus folgenden Forderung nach einer Zulassung von Frauen zum philosophischen Diskurs bei den Stoikern vgl. Föllinger 1996, 256–284, Hartmann 2007, 11 und Erler 2007b, 36–37, bei den Epikureern vgl. Föllinger 1996, 229–255 und Erler 2007b, 37–49. Dass jedoch in dem durch Diogenes von Oinoanda überlieferten Brief Epikurs an seine Mutter ein vergleichbares Mutter-SohnVerhältnis wie zwischen Monnica und Augustinus zu erkennen ist (so Erler 2007b, 44–49), muss eher als unwahrscheinlich gelten. Der Topos des werdenden Philosophen, der seine Mutter beruhigt, ist kaum auf die Confessiones zu übertragen, da nicht der sowohl räumlich als auch geistig in der Ferne weilende Augustinus der Erzählung einen philosophischen Lebensweg eingeschlagen hat, sondern sich im Irrtum befindet, während die Besorgnis der Mutter in der Retrospektive als berechtigt gedeutet wird. Erler ist jedoch unbedingt darin zuzustimmen, dass es sich bei diesem Text aus der Inschrift von Oinoanda um ein sehr beeindruckendes Beispiel für die epikureische Akzeptanz der Teilnahme von Frauen am philosophischen Diskurs handelt und dass Augustins Darstellung seiner Mutter im Kontext dieser Tradition zu betrachten ist. Zu den Vorstellungen über die Geschlechter im Neuplatonismus vgl. Thraede 1972, 210–211. 64 Vgl. Thraede 1972, 254, der in Augustins Haltung einen „Nachklang antiker Philosophie“ sieht. Vgl. ferner Thraede 1979, 84–97; Soennecken 1993, 168–171; Clark 1993, 121. In trin.

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II. Einordnung in den Forschungskontext

Verführung in der Genesis sowie auf weitere alttestamentliche und neutestamentliche Bibelstellen wird die Frau dem Mann als Dienerin untergeordnet. Hieraus ergibt sich in der Lebenspraxis die Verfügungsgewalt des Mannes als Hausherr über die Ehefrau. Unterordnung und Gehorsam bestimmen die diesen Vorstellungen angemessene Verhaltensnormen für die Frau. 65 Eine bereits in der paganen Antike bestehende Hierarchie, an deren Spitze der Mann mit Verfügungsgewalt über weibliche Familienmitglieder steht, wird in einem christlichen Kontext untermauert. 66 Auch in der Auslegung des Schöpfungsberichtes in Buch 13 der Confessiones findet sich eine zentrale Stelle zum christlichen Frauenbild, die den Frauen eine rationale Seele wie den Männern beimisst, sie jedoch physisch den Männern untergeordnet sein lässt: Videmus terrenis animalibus faciem terrae decorari hominemque ad imaginem et similitudinem tuam cunctis inrationabilibus animalibus ipsa tua imagine ac similitudine, hoc est rationis et intellegentiae virtute, praeponi, et quemadmodum in eius anima aliud est, quod consulendo dominatur, aliud, quod subditur ut obtemperet, sic viro factam esse etiam corporaliter feminam, quae haberet quidem in mente rationalis intellegentiae parem naturam, sexu tamen corporis ita masculino sexui subiceretur, quemadmodum subicitur appetitus actionis ad con67 cipiendam de ratione mentis recte agendi sollertiam.

Angemessene Verhaltensweisen der Frau sind infolgedessen Unterordnung, Gehorsam, Disziplin und Sittsamkeit. Die Geschlechterbilder sind besonders im Christentum eng verknüpft mit der Bestimmung des Verhältnisses von Körper und Geist oder Seele. 68 Augustins

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12,7 versucht Augustinus die Widersprüche der Bibelstellen mit der Erklärung in Übereinkunft zu bringen, dass die Frau, insofern sie einzeln betrachtet wird, die Helferin des Mannes (vgl. Gn 2,18) und hierin nicht Abbild Gottes ist, wohingegen sie Abbild Gottes ist, insofern sie gemeinsam mit dem Mann betrachtet wird. Vgl. Clark 1993, 123. Vgl. Fuhrer 2004a, 169 mit Verweis auf vera rel. 78; c. Faust. 22,50; civ. 2,2; c. Iul. imp. 6,30. Vgl. Fuhrer 2004a, 169 mit Verweis auf Gn. litt. 7,24,35 und Io. ev. tr. 15,19. Eine Vielzahl von Belegstellen bei anderen Kirchenvätern führt Thraede 1972, 249 an. Der Frage, inwiefern die Vorstellungen zum Geschlechterverhältnis in den paulinischen Pastoralbriefen spezifisch christlich sind und in Übereinstimmung mit der Jesusbewegung der Frühzeit stehen oder nicht vielmehr in den traditionell-paganen Vorstellungen der Ökonomik begründet liegen, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht vertieft werden. Vieles spricht für die zweite Annahme. Vgl. hierzu grundlegend Heininger 2007, besonders 64–68. 13,32,47: „Wir sehen, dass die Oberfläche der Erde mit den auf ihr lebenden Tieren geschmückt ist und dass der Mensch als dein Abbild und in Ähnlichkeit zu dir geschaffen allen nicht-vernunftbegabten Lebewesen durch eben dein Abbild und durch die Ähnlichkeit zu dir, das heißt durch die Kraft von Vernunft und Verstand, vorangestellt ist; und wie es in seiner Seele eines gibt, das durch Überlegung herrscht, ein anderes, das untergeben ist, um zu gehorchen, so ist die Frau auch körperlich für den Mann gemacht. Sie hat zwar im Geist des vernünftigen Verstandes die gleiche Natur, ist durch das Geschlecht des Körpers aber so dem männlichen Geschlecht untergeordnet, wie das Begehren nach Handlung der Vernunft des Geistes unterworfen ist, um von ihr die Fähigkeit zum richtigen Handeln zu erhalten.“ Vgl. Thraede 1972, 254; Clark 1993, 123–124. Vgl. Feichtinger 2006, 237 allgemein zur kulturellen Bestimmtheit der Wahrnehmung von ‚Psyche‘ und ‚Körper‘.

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Vorstellungen über die Beziehung zwischen den Geschlechtern und zur Ehe sind entscheidend bedingt von seinen theologischen Positionen, die eine negative Haltung gegenüber Leiblichkeit und Geschlechtlichkeit und der damit verbundenen Lust des postlapsaren Menschen beinhalten. Der Sexualtrieb zeugt von der psychischen Schwäche des Menschen nach dem Sündenfall Adams. Die zölibatäre Lebensweise, die der Sexualität ganz abschwört, oder eine Form des geschlechtlichen Miteinanders, die den sexuellen Verkehr auf ein begründetes Maß beschränkt, sollen dazu dienen, dem prälapsaren Zustand der Begierdelosigkeit näherzukommen. 69 Diese Haltung stellte einerseits einen Bruch mit antiken römischen Haltungen zur Sexualität und Körperlichkeit dar, denen eine zentrale Bedeutung für die Reproduktion der Gesellschaft beigemessen wurde, andererseits radikalisierte sie auch pagane Vorstellung über die Beherrschung von Sinnlichkeit und Triebhaftigkeit und über die Enthaltsamkeit. Philosophen hatten zwar die Enthaltsamkeit mit dem Zweck einer Konzentration der geistigen Kräfte begrüßt, einen lebenslangen Zölibat hatten sie hingegen nicht gefordert. 70 Das spätantike Bild über die Rolle der Frau wird jedoch nicht hinreichend erfasst, wenn nur die Entwicklungslinien der philosophisch-theologischen Tradition betrachtet werden. Die Kirchenväter mussten auch den Anforderungen eines sich als Massenbewegung etablierenden Christentums Rechnung tragen. Den Frauen kam im frühen Christentum große Bedeutung zu. So partizipierten sie auch mit einem nicht unbedeutenden Anteil an der Askesebewegung. Infolgedessen wandten sich christliche Theologen mit ihrer Anpreisung der Askese bevorzugt an Frauen, besonders an Witwen. Diese waren rechtlich nicht mehr der Gewalt eines Mannes unterworfen und konnten frei über ihr Vermögen verfügen. 71 Es bildeten sich in der christlichen Theologie zwei mögliche Lebensformen für Frauen aus, zum einen die der Ehe- und Hausfrau, die sich an das Ideal der matrona anschließt, zum anderen die der Asketin, die dem Virginitätsideal folgt. 72 Das weibliche Askeseideal steht in einem deutlichen Gegensatz zum traditionellen Rollenbild der Frau, galt es doch in der Antike als Erfüllung weiblicher Existenz, Kinder auf die Welt zu bringen. Die Integration in einen familiären Rahmen erweist sich für die Antike als eine Grundbedingung für das Dasein als Frau. Durch die Askese eröffnet sich den Frauen ein Lebensraum jenseits ihrer Rolle als Frau und Mutter innerhalb einer Familie. 73 Die körperfeindliche Theologie der asketischen Bewegung ermöglicht somit den Frauen eine Befreiung. 74 Der durch die

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Vgl. Fuhrer 2004a, 168; Fuhrer 2004b, 180. Vgl. Harrison 2000, 158; Schneider 2000, 412–413. Vgl. Schneider 2000, 415. Vgl. Thraede 1972, 245; Clark 1993, 126–127. Vgl. Hartmann 2007, 11–13. Zur Askese als bisher kaum mögliche Lebensform einer Frau außerhalb der Ehe vgl. Hartmann 2007, 186. Vgl. ferner Zittel 2000, 433. 74 Die feindliche Haltung gegenüber Körper und Körperlichkeit und die daraus resultierenden verschiedenen Formen der Körperdisziplinierung sind im antiken Mönchtum auf das Ziel ausgerichtet, einen ἀγγελικὸς βίος zu verwirklichen. Der Körper soll in der Weise umgestaltet werden, wie der Geist verändert wird. Vgl. Markschies 2004, 204–208.

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Askese eingeräumte Freiraum beruht auf der den Frauen eingeräumten Fähigkeit zu einer eigenverantwortlichen Kontrolle von Affekten und Trieben. 75 Die Bewertung asketischer und nicht-asketischer Lebensformen bei den Kirchenvätern ist vor dem Hintergrund der Entwicklung hin zur Universalkirche zu sehen, die ihre Wirkung gerade am Übergang vom 4. zum 5. Jahrhundert zeigt. Eine Kirche, die die Mehrheit der Bevölkerung umfasste, konnte nicht mehr nur den Rückzug aus der Welt propagieren. Sie musste nun moralische Normen aufstellen, die auch für einen durchschnittlichen Christen die Möglichkeit eröffneten, zum Heil zu gelangen. Vor dem Hintergrund dieser Situation, in der sich das Christentum nach der Etablierung als Religion des Kaisers befand, mussten christliche Konzeptionen zu Ehe und Familie, die grundlegende Institutionen des sozialen Gefüges bildeten, gefunden werden. 76 Die Forschung ist sich einig darin, dem Pragmatiker Augustinus in diesem Prozess eine entscheidende Rolle beizumessen. 77 Vermutlich hat seine Tätigkeit in der afrikanischen Provinz fern von den aristokratischen Milieus Italiens dem Bischof von Hippo die Belange des einfachen Kirchenvolkes in besonderem Maße angelegen sein lassen. 78 Vor dem Hintergrund der Fragestellung nach der Möglichkeit eines christlichen Lebens als Ehefrau muss auch die Figur der Monnica in den Confessiones betrachtet werden. In Bezug auf den Status der Frau bringt der Blick auf Hieronymus, dessen Frauenbild von Barbara Feichtinger untersucht worden ist, Erhellung für eine Untersuchung zu Augustinus. Dies gilt besonders in Hinblick auf Ambivalenzen zwischen Idealen, die die Kirchenväter aus der Bibel ableiten, und Verhaltensnormen, die sie für die alltägliche Lebenswelt aufstellen. Bei Augustinus scheint ein vergleichbares Dilemma vorzuliegen, wie es zwischen Hieronymus’ Askeseidealen und seiner Normierung weiblicher Tugenden festgestellt werden kann. 79 Hieronymus erkannte, dass er die konservative Senatsaristokratie nur gewinnen konnte, wenn er die Askese als eine Bestätigung des mos maiorum und den christlichen Asketen als Aristokraten in altrömischer Tradition darstellte. 80 So stilisiert er seine Asketinnen zu exempla altrömischer virtutes. Zu einem solchen Rollenbild zählen obsequium (Gehorsam und Unterordnung), fides (Glaube), pietas (Ehrerbietung), continentia (Selbstbeherrschung), pudicitia (Keuschheit), modestia (Bescheidenheit) und silentium (Schweigsamkeit). 81 Die Tugenden der Asketinnen 75 Vgl. zusammenfassend Stahlmann 1997, 215–219. 76 Etwa gleichzeitig zu Augustinus entwickelt im Osten Johannes Chrysostomos in dieser Entwicklungsphase der Kirche eine vergleichbare Haltung gegenüber Frauen, Ehe und Familie. Vgl. Wiemer 2006, 379; 395. 77 Vgl. Feichtinger 1995, 82–86; Brown 22000, 184–196. 78 Vgl. Brown 1991 (1988), 404–406. 79 Vgl. Feichtinger 1995, 271–274. 80 Die Entscheidung, nicht zu heiraten, war in der griechisch-römischen Welt äußerst ungewöhnlich. Es gab nur sehr wenige Kulte, die eine lebenslange Ehelosigkeit von ihren Priesterinnen verlangten. Als Beispiel für Rom sei auf die Vestalinnen verwiesen. Vgl. Clark 1993, 51. S. 69. 81 Zu den Tugenden einer römischen matrona vgl. Hartmann 2007, 12; Feichtinger 1995, 271. Die Wendung lanam fecit, domum servavit bezeichnet das altrömische Ideal der Zurückgezogenheit im Haus. Vgl. ferner Thraede 1972, 239–241; 245 (mit Beispielen aus weiteren Kir-

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wie Keuschheit (castitas), Bescheidenheit (modestia), demütige Unterordnung (humilitas), lassen sich auf das Ideal der römischen matrona zurückführen. Im Verzicht auf Schmuck und Weingenuss lassen sich direkte Verbindungen zwischen den Idealvorstellungen ziehen. 82 Hieronymus vergegenwärtigt seinen Asketinnen auch heidnische Vorbilder. Indem er seine Asketinnen zu einer Realisierung des Ideals der altrömischen matrona machte, sollte die gesellschaftliche Akzeptanz der Askese gewahrt bleiben. 83 In klassischer Tradition stehen mit den Normvorstellungen über die asketischen Jungfrauen auch die über die christliche Witwe (vidua casta), die an das Ideal der römischen univira anschließen. 84 Einerseits bewirken die radikalen Ideale und Formen der Mönchsaskese, die von der östlichen Wüstenaskese inspiriert sind und die Hieronymus besonders in der Frühphase vertritt, eine Auflösung der „familiären Machtsphäre um die Frauen“ 85 und die Herauslösung aus traditionellen Rollenmustern, die ausschließlich durch die Funktion einer Frau in der Familie bestimmt sind. Konflikte mit den „familialen und gesellschaftlichen Erwartungen an die Frauen“ 86 sind die notwendige Folge. Deshalb stellt andererseits Hieronymus Verhaltensnormen für die Asketinnen auf, durch die sie „strengerer Kontrolle und Disziplinierungsmechanismen“ 87 unterworfen werden. Es entsteht eine Ambivalenz zwischen einem asketischen Ideal, das Frauen große Freiheiten gewährt, und den Askesenormen für weibliches Verhalten, die Hieronymus aufstellt. Die Konsequenz ist, dass die Frauen in die „traditionelle soziale Position der Unterordnung“ 88 zurückgeholt werden. Dies ist nötig, um bei dem männlichen Publikum Akzeptanz zu schaffen. Durch die Anpassung der Askesebewegung an die „hierarchischen Strukturen und sozialen Wertungen der Welt“ 89 kommt es zu einer erneuten Zuweisung eines von Unterordnung und Gehorsam geprägten Rollenmusters für die Frau. Dieses Festhalten an alten Werten erklärt sich durch eine tiefe Verwurzelung des mos maiorum, der identitätstiftend wirkte und dessen Aufgabe einem Verlust des Römertums gleichgekommen wäre. 90 Ergebnis davon war ein „Verschmelzungsprozeß von altrömischen und christlichen Werten“ 91. Feichtinger bezeichnet diesen Prozess als eine „Assimilationsmetamorphose von asketischen Idealen und

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chenvätern); Clark 1993, 139–140. Zur pudicitia als spezifisch weibliche Tugend in Rom vgl. Hartmann 2007, 119; 158; 171–172. Seneca fordert in Ad Helviam matrem die demütige Unterordnung der Gattin unter den Ehemann. Vgl. Feichtinger 1995, 296–301. Vgl. Feichtinger 1995, 269 und passim. Zum Ideal der univira, der nur einmal verheirateten Frau, vgl. Hartmann 2007, 138 mit 23128; 147–148. Feichtinger 1995, 273. Feichtinger 1995, 320. Feichtinger 1995, 273. 1995, 271–272. Feichtinger 1995, 273; ferner 320–321. Vgl. Feichtinger 1995, 316. 1995, 316.

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mos maiorum“ 92. Eine „tatsächliche Normveränderung“ zugunsten der Frauen bleibt jedoch aus. 93 Die von Barbara Feichtinger gewonnenen Erkenntnisse zu Hieronymus’ Aufnahme klassischer Ideale lassen sich für Augustinus fruchtbar machen. Gleichzeitig können bei eingehender Textanalyse diese aus Übertragung gewonnenen allgemeinen Erkenntnisse für Augustinus noch entscheidend weiterentwickelt werden, vertieft man auch Fragen zur literarischen Technik, mit der diese inhaltlichen Punkte dem Leser vermittelt werden. Somit lassen sich Erkenntnisse über den Zusammenhang von Inhalt, literarischer Technik und Autorintention gewinnen. Augustinus formuliert an vielen Stellen in der Weise, dass die christlichen Vorstellungen die traditionellen Werte nicht umstoßen, jedoch auf eine gänzlich neue Grundlage stellen. Die eben umrissenen patristischen Vorstellungen zu Ehe und zur Rolle der Frau bilden den Hintergrund, vor dem Augustinus die Figur seiner Mutter zeichnet. β) Ehe In diesem Spannungsfeld zwischen einer traditionellen, paganen und einer neuen, christlichen Begründung der Werte stehen auch die Beziehung der Geschlechter untereinander und die sie verbindenden gemeinschaftlichen Lebensformen. Seit den 60er Jahren findet neben der antiken Frau auch die antike Ehe zusehends Interesse in der altertumswissenschaftlichen Forschung. 94 Inwiefern die antike Ehe von der emotionalen Zuneigung unter den Partnern geprägt ist, bleibt in den heutigen Forschungsdiskussionen umstritten. Wenn auch Vorsicht vor der Betonung von Gemeinsamkeiten zu Vorstellungen der Gegenwart geboten ist, so spricht vieles dafür, dass auch in die Antike die Familie nicht ausschließlich als eine soziale Organisationsform aufgefasst wurde, sondern dass auch emotionalen Elementen eine bedeutende Rolle beigemessen wurde. 95 Aristoteles bestimmt in seiner Nikomachischen Ethik die Ehe als ein partnerschaftliches Verhältnis (φιλία), das dem Zweck der Zeugung von Kindern und der gegenseitigen Unterstützung diene. Hierbei werden Nutzen (τὸ χρήσιμον) und Lust (τὸ ἡδύ) miteinander verbunden. Auch die ἀρετή (‚charakterliche Vortrefflichkeit‘) kann Grundlage dieser Beziehung sein, wenn die Partner über die entsprechenden Eigenschaften verfügen. 96 Über die spezifische Trefflichkeit des anderen kann jeder der beiden Partner sich freuen. Damit ist die Voraussetzung für ein geglücktes Leben (εὐδαιμονíα), das auf dem Nützlichen, dem Lustvollen und 92 1995, 321. 93 Vgl. Feichtinger 1995, 322. 94 Einen Überblick über die Forschungslage mit kritischer Beurteilung einzelner Strömungen bietet Scheer 2000. Die thematische Gliederung der Darstellung lässt jedoch chronologische Entwicklungen, etwa die Auswirkungen des Christentums, in den Hintergrund rücken. 95 Zur Diskussion vgl. Scheer 2000, 165–166. 96 Vgl. 8,14,1162a 16–29. Vgl. Föllinger 1996, 193–196; Kullmann 1998, 376.

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dem sittlich Guten beruht, gegeben. 97 In diesem Fall tritt das naturgegebene Herrschaftsverhältnis, nach dem der Mann das ἄρχον, die Frau das ἀρχóμενον darstellt, zurück. 98 Als weiteres Gut der Ehe fügt Aristoteles die Kinder hinzu. 99 Als stoisches Zeugnis zur Ehe kann auf Antipatros’ Schrift Περì γ άμου verwiesen werden, worin in der Frau das andere Selbst gesehen wird. Somit erscheint die Ehe als eine geistige Gemeinschaft zwischen gleichen Partnern. 100 Zunächst aber gilt es festzustellen, dass in Rom die Ehe dem Ziel diente, legitime Nachkommen hervorzubringen, den Fortbestand der Familie zu sichern, Vermögenstransfers zu ermöglichen oder auch politische Allianzen herzustellen. 101 Die Ehen entstanden in der Regel nicht aufgrund einer wechselseitigen Zuneigung der Partner, sondern wurden von ihren Familien in bereits sehr frühem Alter arrangiert. 102 Auch wenn bei der Eheschließung in Rom andere Interessen im Vordergrund standen, lassen sich viele Hinweise darauf anführen, dass es die Vorstellung einer auf Liebe beruhenden ehelichen Partnerschaft gab. Sowohl literarische als auch archäologische und inschriftliche Quellen, insbesondere die laudationes funebres, weisen auf die Erwartung hin, dass verheiratete Paare eine Gemeinschaft in gegenseitiger Zuneigung führen sollen. Die Idealvorstellung ging von der Harmonie (concordia) zwischen den Ehepartnern aus. 103 Als Beispiele in der Literatur können die Darstellungen der Ehe von Julia und Pompeius bei Plutarch, sowie der Ehen Ciceros und der Tochter Tullia in seinen Briefen angeführt werden. 104 Die literarischen, epigraphischen und archäologischen Quellen geben nicht notwendigerweise die historische Realität in Rom wieder, dennoch spiegelt sich hierin die Existenz von Idealvorstellungen über emotionale Bindungen in der Ehe wider, die die Menschen der Zeit anstrebten. 105

97 Vgl. Föllinger 1996, 226–227. 98 Vgl. Föllinger 1996, 182–196; besonders 195; 227. 99 Vgl. 8,14,1162a 16ff.; Vgl. Kullmann 1998, 376–377. Vgl. Thraede 1972, 206–207, der aus den Quellen zu der Einschätzung gelangt, dass bereits bei den Griechen ein Sinn für die glückliche Ehe entwickelt war. 100 Vgl. Thraede 1972, 210; Föllinger 1996, 272–281. Jedoch gibt es auch stoische Positionen, die in der Ehe eine Ablenkung für den Weisen sahen. Vgl. Dixon 1991, 106; Föllinger 1996, 286. 101 Vgl. Kunst 2000, 33–37; Clark 2003, 46. 102 Vgl. Clark 1993, 13–15; Kunst 2000, 37–38. 103 Vgl. Kunst 2000, 40. 104 Vgl. Dixon 1991, 99; 106 und passim; Hartmann 2007, 139–146 zu den angeführten Beispielen. Man könnte zur Darstellung der Beziehung zwischen Julia und Pompeius noch das Bild hinzufügen, das bei Lucan von dieser Ehe entworfen wird. In prägnanter Formulierung schildert Tacitus die Ehe seiner Schwiegereltern: vixeruntque mira concordia, per mutuam caritatem et in vicem se anteponendo (Agr. 6,1). Vgl. Dixon 1991, 107. 105 Dixon 1991, 99 vertritt die These “that, from the late Republic on, it is possible to discern a sentimental ideal of family life at Rome which can be compared with our own cultural ideal.” Zu diesem Ideal gehören die Erwartung von Zuneigung innerhalb der Ehe und die Wertschätzung der Kinder. Vgl. Dixon 1991, 109. Vgl. Hölkeskamp 2004, 130 und Treggiari 1991, 229–261 zum coniugalis amor. Veyne 1995 (1978) kann Gefühle in der Ehe erst ab der Kaiserzeit feststellen. Als spezifisch kaiserzeitliche Ausprägung wird die Auffassung der Frau als

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Weitreichende Änderungen in den Auffassungen zur Ehe bringt die Etablierung des christlichen Glaubens mit sich. 106 Unter Bezug auf einschlägige Stellen der Bibel entwickeln sich im frühen Christentum unterschiedliche Haltungen gegenüber der Ehe. So tritt einerseits infolge des Christentums eine Aufwertung der Ehe als geistig-moralische Gemeinschaft ein. 107 Andererseits erkennt Paulus die Ehe zwar an, stuft die Jungfräulichkeit jedoch als eine höhere Form der Sittlichkeit ein. 108 In der Spätantike entsteht eine Fülle von Schriften zur Jungfräulichkeit, in denen die Jungfräulichkeit als eine Rückkehr zu einem menschlichen Naturzustand dargestellt wird, der dem Leben im Paradies vor dem Sündenfall entspricht. 109 Da die Entscheidung für die Askese auch die Loslösung von familiären Bindungen zugunsten der Vorstellung einer Gotteskindschaft bedeutete, 110 sorgte die asketische Bewegung mit ihrem Keuschheitsideal in der römischen Welt in der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts für gesellschaftlichen Sprengstoff. Die asketischen Ideale standen der Orientierung an altrömischen Werten entgegen, die besonders in der Aristokratie noch stark ausgeprägt waren. Man sah den Fortbestand der Familien durch die neue asketische Bewegung in Gefahr. 111 Die asketische Ablehnung der Familie trennte dabei nicht nur Heiden und Christen, sondern bewirkte auch eine Spaltung zwischen Christen, die einer strengen Askese zugeneigt waren, und Christen, die sich noch an den überlieferten Werten der paganen Tradition orientierten. 112 Im Spannungsfeld dieses Konfliktes steht

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eines emotionalen Rückhaltes für den Mann in den Reden des Libanios bei Wiemer 2006, 390 gedeutet, wobei Wiemer jedoch zur Differenzierung das klassische Athen betrachtet. Klassiker der Forschungsgeschichte zu diesem Thema stellen die Werke Jack Goodys (Goody 1986 [1983]; Goody 2002 [2000]) dar, in denen die These aufgestellt wird, die Kirche sei aus eigenem finanziellen Interesse bewusst gegen die traditionell sehr starke Familie und deren Erbschaftsstrategien vorgegangen und habe somit die europäische Familienstruktur beeinflusst. Wenngleich die Ansicht über die materiellen Interessen der Kirche als entscheidendes Movens umstritten ist (zustimmend Koschorke 32001, 132–137; kritisch u.a. Clark 1993, 45), kann dennoch an der großen Bedeutung des Christentums für die westlichen Vorstellungen zu Ehe und Familie festgehalten werden. Besonders Jovinian, der aus seiner Hohelied-Exegese die Gleichwertung von Ehe und Zölibat ableitet, steht für diese Tradition einer christlichen Hochschätzung von Ehe und Fortpflanzung als christliches Lebensideal. Vgl. Clark 1993, 75; Feichtinger 1995, 138–139; Harrison 2000, 160. Die für die christliche Haltung zur Ehe einschlägige Textstelle findet sich in 1 Cor 7,25–40. Vgl. Gaudemet 1969, 340; Thraede 1972, 233, 245; Schneider 2000, 413. Vgl. Clark 1993, 75. Als Beispiel sei hier auf Ambrosius verwiesen, der allein 7 Schriften zur weiblichen Jungfräulichkeit verfasst hat: De institutione virginis et sanctae Mariae virginitate perpetua ad Eusebium, Liber de virginitate, De virginibus ad Marcellinam sororem suam, De viduis liber unus, Exhortatio virginitatis, Libellus ad virginem devotam, De lapsu virginis consecratae (von unsicherer Verfasserschaft). Vgl. Schneider 2000, 416. Vgl. Feichtinger 1995, 114. Vgl. Clark 1993, 52; Feichtinger 1995, 200. Es fällt der Forschung heute schwer, den inneren Christianisierungsgrad nach der Konstantinischen Wende zu bestimmen. Es muss von einer großen Zahl an Bekenntnischristen ausgegangen werden, die sich lediglich aus Opportunitätsgründen der neuen Staatsreligion anschlossen. Vgl. Martin 42001, 110; ferner Feichtinger 1995, 200–202.

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beispielsweise die durch Hieronymus bekannte Furia, die sich mit ihrer Entscheidung für eine keusche Witwenschaft gegen den Willen ihres Vaters stellen muss, der aus Gründen der Familienplanung seine Tochter wiederverheiraten möchte. Hieronymus berät sie in einem für ein größeres, öffentliches Publikum abgefassten Brief. 113 Ein weiteres Beispiel aus dem Kreis des Hieronymus ist der Versuch der Tante Praetextata und deren heidnischem Gatten Iulius Hymetius, die berühmte Asketin Eustochium von ihrem Entschluss zu einer dauerhaften Jungfernschaft abzubringen. 114 Die Bedeutung, die der Erzeugung legitimer Nachfahren beigemessen wurde, hatte für die Frauen zur Folge, dass im paganen Rom Lebensformen, die nicht auf Fortpflanzung abzielten, nicht existierten. Eine nur für eine äußerst beschränkte Zahl von Frauen zutreffende Ausnahme im heidnischen Rom war das Priesteramt der Vestalinnen. 115 Die Entscheidung für eine asketische Lebensform brachte einen Bruch mit der gesellschaftlich bestimmten Rolle der Frau mit sich. 116 Hieronymus löst das Problem durch eine, wie Barbara Feichtinger formuliert, „Vermännlichung“ der Asketinnen, deren Verhaltensnormen in männlichen Kategorien definiert sind. 117 Auf der ideellen Ebene der asketischen Lebensweise vermögen dann Frauen sogar, Männern überlegen zu sein. An Glaubensstärke können Frauen Männer auch übertreffen. Hieronymus empfiehlt Männern auch Frauen als Vorbilder asketischen Lebens an. 118 Die Abwertung der Sexualität, der in Hinblick auf den menschlichen Geist nur eine depravierende Wirkung beigemessen wird, führt zu einer Geschlechtsindifferenz und entwertet Vorstellungen einer an das Geschlecht gebundenen Identität und die aus Ehe und Fortpflanzung abgeleiteten Rollenzwänge der Frau: „Der weitgehend an Körperlichkeit gebundene Druck weiblicher Rollenzwänge war von ihr genommen.“ 119 Durch die Verinnerlichung ermöglicht das Christentum somit auch eine Abstrahierung von traditionellen Rollenmodellen. Für Augustinus lassen sich Gemeinsamkeiten, aber auch Differenzen zu Hieronymus bezüglich der Vorstellungen über Ehe und Geschlechterbeziehungen feststellen. Abzulehnen sind holzschnittartige Urteile über Augustinus, die ihn ohne genauere Unterscheidungen zum Verfechter der herrschenden sozialen Ord113 Vgl. Feichtinger 1995, 199–203; zu weiteren Witwen-Episteln des Hieronymus vgl. 203–209. 114 Vgl. Feichtinger 1995, 210, besonders 2105 mit Verweis auf Hieronymus’ Darstellung der Gegebenheit in ep. 107,5. Zu den weiteren Beispielen Blesilla vgl. 223–224 und Melania der Jüngeren vgl. 227–230. 115 Vgl. Clark 1993, 51; 130. 116 Vgl. Feichtinger 1995, 151–152. 117 Vgl. Feichtinger 1995, 137–163: ‚Puer virgo und virago: Zur Geschlechtsindifferenz des hieronymianischen Askeseideals‘; zusammenfassend 152: „Nur, indem die asketische Frau ideell zum Mann erklärt wurde, ließen sich ihr außergewöhnliches Handeln, ihr apostolisches Wirken und ihr asketischer Rollenbruch in einer androzentrierten Gesellschaft akzeptieren, rechtfertigen und in das herrschende Weltbild einordnen.“ 118 Vgl. Feichtinger 1995, 152–153 mit Verweis auf ep. 49,2; 54,14; 54,16; 65,2; 66,13; 71,3,1; 77,9; 77,11; 108,14; 122,4,3. 119 Feichtinger 1995, 53.

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nung machen. 120 Hier ist ein differenzierteres Urteil nötig. Im Jahr 401, also etwa gleichzeitig zu den Confessiones, entstehen zwei augustinische Schriften zu Ehe und Jungfräulichkeit (De bono coniugali, De sancta virginitate). 121 Augustinus verteidigt hierin die Ehe als einzigen Ort, an dem der Geschlechtsverkehr erlaubt ist, wobei er Sexualverzicht in der Ehe, Jungfräulichkeit und Witwenschaft höher achtet als sexuelle Aktivität. 122 Zu einer gegenüber der radikal asketischen Position nachsichtigeren Haltung zur Sexualität ist Augustinus aufgrund seiner Erbsündenlehre gelangt. Nicht mehr die Sexualität selbst ist für Augustinus die Folge des Sündenfalls, denn bereits Adam und Eva praktizierten Geschlechtsverkehr mit dem Ziel der Vermehrung, sondern der Verlust des freien Willens, der im Paradies mit dem Willen Gottes übereinstimmte und mit dem über die Sexualität rational und frei verfügt werden konnte. 123 Augustinus bleibt jedoch bei der Einschätzung des Zölibates als einer höheren Lebensform, die sich dem prälapsaren Zustand der Begierdefreiheit anzunähern versucht. 124 Jedoch urteilt Augustinus auch über ein strenges Askeseideal mit Differenzierungen. 125 Dem Lebensentwurf, der auf Jungfräulichkeit beruht, wird von Augustinus keine Verherrlichung entgegengebracht wie von Hieronymus oder Ambrosius. In De bono coniugali und De sancta virginitate wendet sich Augustinus gegen Hieronymus, der der Ehe nur noch eine Rolle zur Zeugung von Jungfrauen beimessen kann, indem er die Jungfräulichkeit verteidigt und gleichzeitig den Wert der Ehe herausstreicht. 126 Auch die Ehe ist Teil des guten göttlichen Plans für die Menschheit. 127 Die Gedanken Augustins liegen in seiner Gnadentheologie begründet, die der Vorstellung einer aus Eigenkraft verwirklichbaren Tugend ablehnend gegenübersteht. 128 Der Kirchenvater 120 Vgl. Brown 1991 (1988), 404–417; Feichtinger 1995, 15787: „ihm war die Bedrohung der herrschenden sozialen Ordnung (also der patria potestas) auch im privaten Bereich ein Greuel; vgl. seine Exegese der Genesis, die die Herrschaft der Männer über die Frauen und die Herrschaft des Vaters über die Kinder als Teil der ursprünglichen Ordnung Gottes bekräftigt; Gen ad litt. 9,5,9“. 121 Vgl. Fuhrer 2004a, 168; weiteren Schriften zur Thematik entstehen später: De bono viduitatis 414 (Vgl. Zumkeller 1986–1994); De adulterinis coniugiis 421. 122 Vgl. Thraede 1972, 252–253 zur Einordnung der augustinischen Position in die dogmengeschichtliche Entwicklung. 123 Zu einschlägigen Textstellen zu Augustins Haltung gegenüber der Sexualität vgl. Gn. litt. 9,3,6; 9,10,18; civ. 14,10; 14,21–26; pecc. mer. 2,22; nupt. et conc. 2,35,59; c. Iul. 4,69. Vgl. Brown 1991 (1988), 404–417; Harrison 2000, 175–177. 124 Vgl. Fuhrer 2004a, 168. 125 Vgl. Fuhrer 2004a, 168; Fuhrer 2004b, 182. 126 Vgl. Clark 1986, 145; Feichtinger 1995, 47 zu Augustins ablehnender Reaktion auf Hieronymus’ Schrift Adversus Iovinianum. Auch wenn Augustinus in De bono viduitatis den sittlichen Wert der Witwenschaft hervorhebt und sie als der Ehe überlegen darstellt, betont er doch wiederholt, dass auch die Ehe als ein bonum aufzufassen ist. Vgl. Zumkeller 1986– 1994, 668–669. Die erwähnte Textstelle zu Hieronymus’ Haltung zur Ehe findet sich in ep. 22,20. 127 Vgl. Clark 1986, 140. 128 Vgl. Fuhrer 2004a, 169–170; vgl. auch Feichtinger 1995, 317–318, die nicht zuletzt in der augustinischen Theologie das Ende hieronymianischer Vorstellungen von weiblicher Askese ausmacht: „Mit dem zunehmenden Schwinden der von Frauen und Männern gemeinsam ver-

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stuft ein zölibatäres Leben zwar höher ein als die Ehe, rehabilitiert diese jedoch gegenüber den radikalen Askeseidealen eines Ambrosius oder Hieronymus.129 Augustinus hält die Ehe für den einzigen Ort, an dem Geschlechtsverkehr praktiziert werden darf, schlägt jedoch einen Verzicht auf sexuelle Praxis vor, wodurch Keuschheit auch in der Ehe vollzogen werden kann. Hierbei soll fleischliche Enthaltsamkeit mit einer inneren Keuschheit der Gesinnung einhergehen. 130 In einer ‚Dreigüterlehre‘ definiert Augustinus die Ehe. Zunächst soll die Ehe dazu dienen, Nachwuchs zu zeugen, sodann soll zwischen den Partnern ein Verhältnis der fides (Treue) bestehen, schließlich ist die Ehe nach Eph 5,31–33 als unauflösliches sacramentum bestimmt. Die beiden zuerst angeführten Punkte gelten nach Augustinus für alle Völker, der dritte Punkt sei hingegen spezifisch christlich. 131 Zwischen den beiden Partnern soll ein Band der Freundschaft (amicitia; amicalis coniunctio) bestehen, wobei nach augustinischer Definition Freundschaft eine Verschränkung von Gottes- und Nächstenliebe umfasst. 132 Eine konzise Formulierung der augustinischen Vorstellungen findet sich in De Genesi ad litteram, wo über das bonum der Ehe gesagt wird: hoc (sc. bonum nuptiarum) autem tripertitum est; fides, proles, sacramentum. In fide attenditur ne praeter vinculum coniugale cum altera vel altero concumbatur: in prole, ut amanter suscipiatur, benigne nutriatur, religiose educetur: in sacramento autem, ut coniugium non separetur, et dimissus aut dimissa nec causa prolis alteri coniungatur. 133

Da dem Konkubinat der Sakramentscharakter fehlt, lehnt ihn Augustinus ab.134 Bei dieser Bestimmung der Ehe und Kindererziehung tritt auch die Bedeutung hervor, die Augustinus der emotionalen Bindung (fides) als Grundlage der Ehe beimisst. 135 Neben die asketische Jungfräulichkeit und die Ehe mit sexueller Zu-

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wirklichten enthusiastischen und optimistischen Aufbruchsstimmung zugunsten düsterer Selbstheiligungszweifel, die in der Gnadenlehre Augustins ihre Reflexion und Reaktion finden und ein individuell-asketisches Miteinander der Geschlechter zunehmend unmöglich machen (…), geht nicht nur die asketische Laienkultur, sondern auch die Blütezeit selbstbestimmter weiblicher Askese zu Ende.“ Vgl. Harrison 2000, 159. Vgl. u.a. b. coniug. 6. Vgl. Harrison 2000, 159–162; Fuhrer 2004a, 168; Fuhrer 2004b, 181. Vgl. ferner Thraede 1972, 253–254 zur Einordnung der Position Augustins in den patristischen Kontext. Vgl. b. coniug. 24,32; virg. 12,12; nupt. et conc. 1,17,19; Vgl. Clark 1986, 140; Shanzer 2002, 171; Fuhrer 2004a, 168–169. Der Text Eph 5,31–32: propter hoc relinquet homo patrem et matrem, et adhaerebit uxori suae; et erunt duo in carne una. sacramentum hoc magnum est: ego autem dico in Christo et in ecclesia (zitiert nach Gn. adv. Man. 2,19). Vgl. b. coniug. 1,1. Vgl. Harrison 2000, 161–167. Gn. litt. 9,7,12: „Dieses (d.h. das Gut der Ehe) ist aber dreigeteilt: in Treue, Nachkommenschaft und Sakrament. Bei der Treue achtet man darauf, mit keiner oder keinem anderen sexuelle Beziehungen außerhalb des Ehebundes zu haben; bei der Nachkommenschaft darauf, dass sie liebevoll angenommen, wohlwollend genährt und gottesfürchtig erzogen werde; beim Sakrament aber darauf, dass die Ehe nicht getrennt und dass der oder die Geschiedene auch nicht um der Zeugung von Kindern willen mit einem anderen verheiratet werde.“ Vgl. b. coniug. 5. Vgl. Fuhrer 2004a, 169. Vgl. Clark 1986, besonders 153–154.

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II. Einordnung in den Forschungskontext

rückhaltung tritt als weitere von Augustinus gutgeheißene mögliche Lebensform einer Frau die keusche Witwenschaft mit dem Ideal der vidua casta. 136 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass nach einer entschiedenen Befürwortung einer asketischen und zölibatären Lebensform insbesondere durch Hieronymus und Ambrosius bei Augustinus vor dem Hintergrund seiner Gnadenlehre das Institut der Ehe wieder aufgewertet wird. Neben theoretischen spielen auch pragmatische Aspekte eine Rolle bei der Entwicklung der augustinischen Position. Augustinus schreibt in einer Phase der Etablierung einer Universalkirche und muss für die Akzeptanz seiner Vorstellungen zur Frau und zur Ehe bei einem breiten Publikum sorgen, in das auch in der ‚Welt‘ lebende Christen eingeschlossen sind. Zu diesem Zweck rehabilitiert er die Ehe gegenüber dem Askeseideal. Vor dem Hintergrund der dargelegten theologischen Vorstellungen ist auch die Darstellung der Monnica zu betrachten.

136 Vgl. Treggiari 1991, 228; Fuhrer 2004a, 168.

3. Theologische Fragestellungen

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3. THEOLOGISCHE FRAGESTELLUNGEN a) Die Metapher im theologischen Sprach- und Vorstellungsraum Die Confessiones stellen eine Selbstverständigung, 1 eine Deutung des eigenen Lebens dar, die Augustinus aus der Perspektive eines spätantiken Intellektuellen, der zur richtigen Gotteserkenntnis und Bibelverständnis gelangt ist, darbringt. Er deutet sein Leben mithilfe der aus der Bibel gewonnenen theologischen Vorstellungen. Ein zentrales Moment der biblischen Sprache stellt das metaphorische Sprechen dar. 2 Ein gesondertes Kapitel soll im Rahmen dieser Einleitung dem metaphorischen Sprechen gewidmet werden. Es gilt hier besonders zu bedenken, dass es sich um einen Metaphernbegriff handelt, der über eine Bestimmung als Sprachschmuck entsprechend der Definition im Rahmen der rhetorischen Theorie hinausgeht. 3 Es handelt sich um eine essentielle sprachliche Figur zum Ausdruck der theologischen Vorstellungswelt. Während die Metapher nach der rhetorischpoetologischen Definition ästhetisch-schmückende 4 und argumentative Funktionen erfüllt, dient sie besonders in der philosophischen und theologischen Sprache der Erkenntnisförderung. 5 In der wissenschaftlichen Literatur der Antike füllt die sogenannte notwendige Metapher lexikalische Lücken und liefert neue technische Ausdrücke. Bereits in der antiken Theorie besteht ein Bewusstsein für diesen Zusammenhang. 6 Ein Blick in die Forschungsdiskussionen der Systematischen Theologie, der Biblischen Hermeneutik und der Literaturtheorie soll im Folgenden wichtige Aufschlüsse über Bedeutung und Verwendung von Metaphern bringen. 1

2

3

4 5 6

Zu dem treffenden Begriff vgl. Flasch 2003a, 15: „Die Bekenntnisse stellen den umfassenden Versuch einer Selbstverständigung eines gebildeten spätantiken Christen dar. Sie zeigen die theoretischen und ethisch-praktischen – bis hin zu kulturpolitischen Konsequenzen der neuen Position von 396. Vor allem fixieren sie Augustins Ringen um den wahren Gottesbegriff.“ Vgl. Wischmeyer 2004, 141 zu den unterschiedlichen Sprachebenen im Neuen Testament. Die Theologin stellt fest, „daß die neutestamentlichen Aussagen über Gott und Jesus Christus nicht einfach in der Weise des sogenannten behauptenden Redens gemacht werden, sondern eigene Redebenen suchen.“ (Wischmeyer 2004, 142). Die sprachliche Erfassung der Welt Gottes bringt unterschiedliche darstellerische Modi mit sich, die Wischmeyer in ‚bekennend‘, ‚narrativ‘, ‚argumentativ‘, ‚paränetisch‘, ‚visionär‘ und ‚metaphorisch‘ gliedert. Als Schmuck der Rede vermeidet die Metapher durch unvertrauten Ausdruck Banalität und löst durch die Fremdheit Erstaunen und durch das Erstaunen ästhetisches Vergnügen aus. Damit der Redende in seinem Metaphergebrauch auch verstanden wird, spielt die Nachvollziehbarkeit und somit der Wirklichkeitsbezug der Metapher eine grundlegende Rolle. Der Wissensgewinn beim Hörer erfolgt spielerisch und angenehm. Vgl. Müller 2003c, 267. Als ornatus von den antiken Rhetoriken unter der Rubrik der mit der stilistischen Gestaltung befassten elocutio behandelt. Vgl. Landfester 1997, 89–90. Nicht erst im 20. Jahrhundert, wie Joachim Knape darlegt, erfährt die Metapher besondere Wertschätzung auch jenseits rein rhetorischer oder poetologischer Kontexte. Vgl. Knape 1996, 323. Vgl. Innes 2003, 12 mit Verweis auf Aristoteles, Philodem und Cicero. Eine konzise Zusammenstellung der Funktionen, die der Metapher in der antiken Literatur beigemessenen werden, bietet Schultheiß 2009a.

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II. Einordnung in den Forschungskontext

Definition: Die Metapher ist „ein im übertragenen Sinne gebrauchter sprachlicher Ausdruck, der mit dem Gemeinten durch eine Ähnlichkeitsbeziehung zu verbinden ist.“ 7 Die Metapher wird erstmals von Aristoteles in seinen Schriften Poetica und Rhetorica konzeptualisiert. Aristoteles nimmt eine Bestimmung der Metapher als ein gegenüber dem gängigen Wortgebrauch „uneigentliches Wort“ vor. Wesentliches definitorisches Merkmal der Metapher ist die in der Etymologie des Begriffes angelegte „Übertragung“ 8 (von μεταφέρειν – ‚(hin-)übertragen‘), die auf der Basis einer „Abbild- oder Ähnlichkeitsrelation“ 9 beruht. Ein Wort oder eine Wortgruppe steht nicht in ihrer ursprünglichen Bedeutung, sondern wird ‚übertragen‘ auf einen anderen Bedeutungszusammenhang, der zwar in einen fremden Vorstellungsbereich gehört, jedoch in einem entscheidenden Punkt Analogie oder Ähnlichkeit aufweist. Eine metaphorische Bedeutung erhält ein sprachliches Zeichen durch den Äußerungszusammenhang. 10 Die Metapher gehört zu den Tropen, den uneigentlichen Ausdrücken, 11 und wird von der Antike bis zur Gegenwart als wichtigster unter ihnen aufgefasst. 12 Sie stellt einen verkürzten Vergleich dar. 13 Im Unterschied zum Vergleich, bei dem das Vergleichende neben das Verglichene gesetzt wird (‚so–wie‘), tritt die Metapher anstelle desselben. Wird die Metapher über ein Einzelwort hinaus fortgesetzt, liegt eine Allegorie vor. Man spricht von ‚notwendigen Metaphern‘ (Katachresen), wenn das bezeichnete Wort nicht vorhanden ist, denn sonst könnte es ja benutzt werden. Die notwendige Metapher hilft dem Mangel ab, der dann entsteht, wenn der Sprachgebrauch kein verbum proprium für einen bestimmten Sachverhalt kennt. An die Stelle des verbum proprium tritt dann eine durch Analogie gebildete Metapher. 14 So schließen Metaphern Lücken im semantischen Katalog. Eine wichtige Funktion von Metaphern ist die Veranschaulichung von Geistigem durch Sinnli7 8

9 10

11 12 13 14

Birus 2000, 571. Vgl. Birus 2000, 571. Im Rahmen dieser Untersuchung kann die Diskussion konkurrierender Metapherntheorien zurücktreten. Es soll an einer Auffassung der Metapher nach der Substitutionstheorie in aristotelischer Tradition festgehalten werden. Die mit ihr konkurrierende Interaktionstheorie wird an prominentester Stelle im deutschsprachigen Raum in Kurz 52004, 7–23 vertreten. Nach dieser Theorie stellt die Metapher die Abweichung von einer semantischen Norm dar, eine „Abweichung von einem dominanten, prototypischen Gebrauch eines Wortes, der Standardbedeutung“ (Kurz 52004, 18). Sie bringt im Rahmen dieser Untersuchung jedoch keinen heuristischen Mehrwert. Birus 2000, 571. Vgl. Lausberg 1960, 285–291. Nach der Definition des Germanisten Hendrik Birus erhält die Metapher „in ihrem bestimmten Äußerungszusammenhang eine Referenz, die nicht in den üblichen Bedeutungsspielraum des verwendeten Sprachzeichens (bzw. Sprachzeichen-Komplexes) gehört, sondern nach Maßgabe von Co-Text und Kontext (unter Einschluß situativer Faktoren sowie des ‚gemeinsamen Wissens‘ von Sprecher und Hörern) und der rekonstruierbaren Sprecher-Intention aus einem Teil seiner Inhaltselemente erschlossen werden muß.“ (Birus 2000, 572). Vgl. Birus 2000, 572. Vgl. Walde 2000, 78. Vgl. Lausberg 1960, 285–286. Die einschlägigen Verweisstellen in der antiken Theorie: Arist. Rh. 3,4,1406b; Cic. de orat. 3,39,157; Quint. inst. 8,6,8. Vgl. Jüngel 1974, 100.

3. Theologische Fragestellungen

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ches. Hier können Metaphern der „letzten Wesenserfassung von Dingen“ 15 dienen, und so tragen sie zur Ausweitung der sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten bei. Die der ornatus-Funktion in der antiken Rhetoriktheorie zugrunde liegende Vorstellung, nach der Metaphern aufgrund ihrer Uneigentlichkeit die Welt im Gegensatz zu den unmittelbar auf die Sachverhalte bezogenen Bezeichnungen nur in defizitärer Weise erschließen können, muss in diesem Zusammenhang berichtigt werden. 16 Die Metapher ist dann nicht mehr bloß „semantische Anomalie, sondern konstruktiv-transzendentales Fundament lebensweltlicher, kultureller und wiss[enschaftlicher] Leitvorstellungen“. 17 Metaphern und religiöse Sprache: Metaphern gelten als unabdingbar für religiöses Sprechen, dessen konstitutives Merkmal die Übertragung von welthaften Wörtern auf Jenseitiges darstellt. 18 Bei Sachverhalten, die in völliger Differenz zur Welt stehen, kann nur metaphorische Sprechweise Vertrautheit erzeugen. Die Metapher ist das sprachliche Mittel, um inhaltlich spirituelle Zusammenhänge vermitteln zu können. Die metaphorische Rede drückt, indem sie auf von Menschen Erlebtes zurückgreift, Überweltliches durch irdische Bilder in menschlicher Sprache aus. 19 Der Theologe Eberhard Jüngel stellt zu der durch die Metapher eröffneten Erkenntniserweiterung fest: „Metaphorische Rede präzisiert, indem sie mit der Dialektik von Vertrautheit und Verfremdung arbeitet. Sie verfremdet sowohl einen Sachverhalt als auch einen Sprachgebrauch, indem sie ein für die Bezeichnung des Sachverhaltes ungewöhnliches Wort und dieses in einer ungewöhnlichen Bedeutung verwendet. Zugleich geht sie aber davon aus, daß die Verfremdung als solche in die vertraute Welt eingeholt wird, so daß es zu einer Erweiterung der ver20 trauten Welt kommt.“

Treffend hat Jacques Fontaine bei Augustinus in den Metaphern ein wichtiges Mittel zum Ausdruck von Innerlichkeit erkannt: 15 Von Wilpert 82001, 513. 16 Vgl. Jüngel 1974, 98–100 und passim. 17 Müller-Richter 2001, 406 zusammenfassend über hermeneutische und kulturtheoretische (Cassirer, Blumenberg, Ricoeur), wissenschaftstheoretische (Th. S. Kuhn) und philosophischpragmatische Modelle der Metapher. 18 Vgl. Müller 2003c, 268. Vgl. hierzu auch den hierzu grundlegenden Sammelband Ricoeur / Jüngel 1974; vgl. ferner Lutterbach 2004, 561–562 allgemein zur Metapher und konkret zum metaphorischen Konzept der „Gotteskindschaft“. 19 Vgl. Ricoeur / Jüngel 1974; Lutterbach 2003, 22–23; Müller 2003c, 268. 20 Jüngel 1974, 119 über den Vorgang einer sprachlichen Erweiterung der vertrauten Welt durch die Metapher. Vgl. ferner Jüngel 1974, 93: „In der metaphorischen Redeweise stimmen die schöpferischen Möglichkeiten der Sprache und die strenge Notwendigkeit des Begriffs, die sprachliche Überraschung durch das Neue und die Verläßlichkeit der Sprache aufgrund der Vertrautheit mit dem immer schon Bekannten auf das genaueste zusammen. Insofern ereignet sich durch die Metapher auf jeden Fall ein Gewinn. Der Seinshorizont wird sprachlich erweitert. Die Metapher ist deshalb eine ausgezeichnete Weise des sprachlichen Umgangs mit dem Seienden.“ Eine solche Erweiterung kann etwa in einer Ergänzung um ein emotionales Moment gesehen werden. Wenn über Gott als Vater gesprochen wird, füllt der Sprecher sein Verständnis von Gott mit einem emotionalen Element, indem er aus seiner eigenen Lebenserfahrung die Beziehung zum Vater auf seinen Gottesbegriff überträgt.

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II. Einordnung in den Forschungskontext «Observons seulement ce qui continue de nous paraître le plus original: la traduction des états de l’âme les plus insaisissables par les métaphores, en des paysages intérieurs d’une cohérence obsédante: ainsi les brumes, marais et ténèbres de la sensualité, opposés aux lumières 21 de l’illumination intérieure.»

Diese Feststellung muss noch um das spezifisch christliche Element der Confessiones ergänzt werden. Zu dem Ausdruck von Innerlichkeit vermittels Metaphern tritt noch das Spezifikum einer religiösen Weltdeutung in der Sprache der Bibel hinzu. In Hinblick auf den Zusammenhang von Sprache und Vorstellungsraum lassen sich die Ergebnisse von Oda Wischmeyer zur Hermeneutik des Neuen Testaments auch für Augustinus fruchtbar machen. Neben einem Sprechen von der sinnlich wahrnehmbaren Welt steht die sprachliche Abbildung einer eigenen Welt, die als Welt Gottes geglaubt, erfahren, verstanden, bezeugt und erwartet wird. 22 „Diese Welt (…) umschließt (…) als eine Meta-Realität die vorfindliche Wirklichkeit. Zugleich hat sie nicht etwa einen geringeren, sondern im Gegenteil einen ungleich höheren 23 Wahrheitsanspruch als die vorfindliche Wirklichkeit, da sie Gottes Wirklichkeit ist.“

Die Metaphernfelder der Bibel entfalten teils gewaltige Wirkungskraft in der abendländischen Kultur. 24 Sie erweisen sich in der Tradition des christlichen Denkens jedoch nicht als starr, sondern unterliegen in der historischen Entwicklung Veränderungen, infolge derer unabhängig voneinander entstandene Metapherngebilde nebeneinander treten und sich auch vereinen können. 25 Augustinus selbst reflektiert über das Phänomen der Metapher als Eigenheit religiösen Sprechens und Denkens. In seinem exegetischen Werk De Genesi adversus Manichaeos stellt er fest, dass es eine Eigenheit der consuetudo divinae scripturae sei, Worte aus der Welt der Menschen (res humanae) auf die Bezeichnung von Göttlichem (divinae res) zu übertragen. 26 Eine einschlägige Stelle findet

21 Fontaine 1990, 20. Vgl. Fontaine 1954. 22 Vgl. Wischmeyer 2004, 146. 23 Wischmeyer 2004, 146. Vgl. Jüngel 1974, 111–112. Wischmeyer unterscheidet im Neuen Testament drei große Vorstellungsräume mit einer jeweils zugehörigen Metaphorik: 1. den „kosmologischen und eschatolgischen Aspekt der Realität Gottes“ mit den Begriffen „Schöpfer – Schöpfung – Anfang (ἀρχή) – Gottesherrschaft (βασιλεία θεοῦ) – Herr (κύριος) – Auferstehung – neuer Himmel und neue Erde“, 2. den „forensischen Aspekt der Realität Gottes“ mit den Begriffen „Gott – Bund – Gesetz – Gerechtigkeit – Gericht“, sowie 3. den „soterologischen Aspekt der Realität Gottes“ mit dem „Wandel im Geist und in der Liebe“ und der Anrede „Herr (κύριος)“. Vgl. Wischmeyer 2004, 147. In allen drei Bereichen wird das Verhältnis Gottes zum Menschen in metaphorischer Sprache gefasst. Durch die σωτηρία in Jesus Christus wird dem Menschen die Perspektive auf in neues Leben eröffnet. Vgl. Wischmeyer 2004, 147. 24 An dieser Stelle sei lediglich auf die Arbeiten zur Metaphorik der Gotteskindschaft und ihre Wirkungsgeschichte Lutterbach 2003 und Lutterbach 2004 verwiesen. 25 Vgl. Lutterbach 2003, 84 am Beispiel der Vorstellungen von der Eucharistie als Milch und von der Kirche als Mutter. 26 Gn. adv. Man. 1,20: habent enim consuetudinem divinae scripturae de rebus humanis ad divinas res verba transferre.

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sich auch im Proömium des 10. Buches der Confessiones, an der Augustinus um die richtige Vorstellung von Gott ringt: quid autem amo, cum te amo? non speciem corporis nec decus temporis, non candorem lucis ecce istis amicum oculis, non dulces melodias cantilenarum omnimodarum, non florum et unguentum et aromatum suaviolentiam, non manna et mella, non membra acceptabilia carnis amplexibus: non haec amo, cum amo deum meum. et tamen amo quandam lucem et quandam vocem et quendam odorem et quendam cibum et quendam amplexum, cum amo deum meum, lucem, vocem, odorem, cibum, amplexum interioris hominis mei, ubi fulget animae meae, quod non capit locus, et ubi sonat, quod non rapit tempus, et ubi olet, quod non spargit flatus, et ubi sapit, quod non minuit edacitas, et ubi haeret, quod non divellit satietas. hoc est quod 27 amo, cum deum meum amo.

Die Möglichkeit einer Erfahrung Gottes wird hier der Ebene des inneren Menschen (homo interior) zugeschrieben. Zum sinnlichen Ausdruck dieser Erfahrung dient eine metaphorische Sprache. b) Metaphorische Generationenbeziehungen Bei metaphorischen Aussagen sind zwei Bereiche zu unterscheiden: die des Bildspenders und die des Bildempfängers. 28 Metaphern können aus größeren systematischen Zusammenhängen, aus Bildfeldern, die im Umkreis einer metaphorischen Leitvorstellung angesiedelt sind, entnommen werden. 29 Da bei der Verwendung von Metaphern der Adressatenbezug von grundlegender Bedeutung ist, 30 dienen besonders Gegenstandesbereiche, die eine hohe Affinität zur menschlichen Lebenswelt besitzen, als Spender von Bildern. Heinrich Lausberg gelangt zu der Feststellung, dass der „katachresenschaffende Bereich des Lexikons (…) der nächste Interessenbereich des Menschen: die sozialen Realitäten des Familienund Arbeitslebens“ 31 ist. Diese allgemein formulierte Feststellung wird insbeson27 10,6,8: „Was aber liebe ich, wenn ich dich liebe? Nicht das Aussehen eines Körpers, nicht die Schönheit eines Augenblicks, nicht den Glanz des Lichts, der diesen Augen hier lieb ist, nicht die süßen Melodien von Weisen jeglicher Art, nicht den angenehmen Duft von Blumen, Salben und Gewürzen, nicht Manna und Honig, nicht Glieder, die den Umarmungen des Fleisches wohlgefällig sind: Nicht dies liebe ich, wenn ich meinen Gott liebe. Und dennoch liebe ich ein gewisses Licht, eine gewisse Stimme, einen gewissen Duft, eine gewisse Speise, eine gewisse Umarmung, wenn ich meinen Gott liebe: das Licht, die Stimme, den Duft, die Speise und die Umarmung meines inneren Menschen. Hier ist es, wo für meine Seele strahlt, was kein Raum umfasst, wo erklingt, was keine Zeit wegnimmt, wo duftet, was kein Hauch verteilt, wo schmeckt, was keine Gefräßigkeit verkleinert, und wo fest verhaftet bleibt, was Sättigung nicht zerreißt. Dies ist es, was ich liebe, wenn ich meinen Gott liebe.“ 28 Vgl. Kurz 52004, 24. Häufig wird hierfür auch das englische Begriffspaar vehicle – tenor verwendet. 29 Zu Metaphorik und Bildfeld vgl. den grundlegenden Aufsatz Weinrich 1958. 30 Jüngel 1974, 101 nennt die Metapher „eine Grundform ansprechender Sprache“. Vgl. Jüngel 1974, 119: „Zur eigentlichen und präzisierenden Redeweise der Metapher gehört die Dimension der Anrede. Metaphern sprechen an und sollen ansprechen. Das unterscheidet sie von der definierenden Aussage, die nicht anreden, sondern ausschließlich feststellen will.“ 31 Lausberg 1960, §562. Vgl. Jüngel 1974, 101.

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II. Einordnung in den Forschungskontext

dere durch die Sprache der Bibel und der christlichen Tradition bestätigt. In dieser Arbeit sollen Generationenbeziehungen als ein solches Bildfeld im Blickpunkt stehen. Das Wortfeld der Begriffe, die Generationenbeziehungen bezeichnen, kann aus dem primären lebensweltlichen Kontext abstrahiert und in metaphorischer Übertragung verwendet werden. Dies geschieht sowohl in der weltlichen als auch in der religiösen Sprache. Zunächst soll ein säkulares Beispiel aus dem Bereich der aktuellen wissenschaftstheoretischen Diskussion angeführt werden. Die Germanistin Sigrid Weigel kann in einer Zusammenstellung von wissenschaftstheoretisch und -historisch interessierten Untersuchungen feststellen, dass die Konzepte von Genealogie, Generation und Generativität und deren semantische Felder in großem Umfang in der Wissenschaft Anwendung finden und sowohl in Kulturals auch Naturwissenschaften benutzt werden. 32 Diesem sprachlichen Vorgang liege ein „Weltbild, in dem Mikro- und Makrokosmos in einem System vielfältiger Ähnlichkeiten miteinander korrespondieren“ 33, zugrunde. Weigels Erkenntnisse brauchen nicht auf die Wissenschaft und die Moderne beschränkt zu bleiben, wie Hartwin Brandt zu bedenken gibt, 34 vielmehr lässt sich eine Erweiterung im Gebrauch der Semantik aus dem Feld der Eltern-Kind-Beziehungen als häufig wiederkehrendes Phänomen der religiösen Sprach- und Denkwelt besonders in Folge des Neuen Testaments schon seit der Antike feststellen. In der religiösen Vorstellung ist es nun nicht ein Mikrokosmos und ein Makrokosmos wissenschaftlicher Beobachtungsfelder, zwischen denen Ähnlichkeiten oder Analogien hergestellt werden, sondern es sind überweltliche Zusammenhänge, die mithilfe des innerweltlichen Bildfeldes familiärer Beziehungen ausgedrückt werden. Das Ziel des Erzählers der Confessiones besteht darin, sich selbst in der metaphorischen Sprache der Bibel zu erfassen und umgekehrt die Wahrheit der Bibel aus der Analyse des eigenen Lebens zu verstehen und auf diese Weise dem Leser zu vermitteln. Im Prozess einer solchen Selbstverständigung, die den Sinn nicht in den äußeren Lebenszusammenhängen erkennen kann, sondern sich von diesen wegbewegt und auf eine Einordnung des Ich in eine religiöse Wahrheit abzielt, die ihren Ausdruck in metaphorischer Sprache findet, spielen Generationenbeziehungen eine zentrale Rolle. In Generationenverhältnisse ist einerseits der Mensch durch seine Leiblichkeit in der empirischen Welt eingefügt, andererseits benutzt auch die Sprache der Bibel und der christlichen Tradition Metaphern aus dem Bereich der Generationenbeziehungen, um die Beziehung der Menschen untereinander sowie des Menschen zu Gott oder der Kirche auszudrücken. In einer Re32 Weigel 2006, 10: „In den Bildern des Wissens, in den Metaphern, Figuren und visuellen Darstellungen des genealogischen Wissens rücken Natur- und Geisteswissenschaften noch näher zusammen.“ 33 Weigel 2006, 237. 34 Vgl. Brandt 2006, 36: „In Weigels ‚Genea-Logik‘, ihren Ausführungen über Generation, Tradition, Gattung und Evolution, fehlt die über das achtzehnte Jahrhundert hinaus ausgreifende geschichtliche Unterfütterung, doch soll dies weniger als Kritik verstanden werden, sondern vielmehr als Hinweis auf weitere Perspektiven ihres engagierten und elaborierten Plädoyers für eine in der Tat ergebnisträchtige interdisziplinäre Kooperation.“

3. Theologische Fragestellungen

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flexion über das Leben, die auf eine Einordnung des Menschen in religiöse Erklärungszusammenhänge abzielt, treffen diese beiden Zusammenhänge aufeinander, was zu Konflikten, aber auch zu Vorstellungen von Substituierung 35 führen kann. Augustinus spricht von Eltern-Kind-Beziehungen auf zwei verschiedenen Sprachund Vorstellungsebenen, wobei die eine in der empirisch-realen, die andere in der religiös-metaphorischen Welt angesiedelt ist. Monnica wird in ihrem Wirken an ihrem Sohn zu einer Figur, an der der Übergang zwischen diesen beiden Welten thematisiert wird. Metaphorisierungen von Generationenbeziehungen erfüllen, das sei an dieser Stelle vorweggenommen, in den Confessiones zwei Funktionen: a) Metaphern können dazu dienen, ein zwischenmenschliches Verhältnis in einem nicht leiblichen oder sozialen, sondern in einem spirituellen Kontext zu bestimmen. Hierbei wird das leibliche und soziale Verhältnis, durch das das Generationenverhältnis in primärer Bedeutung bestimmt ist, durch ein spirituelles Verhältnis, das ebenfalls in der Semantik von Generationenbeziehungen, jedoch in metaphorischer Verwendung, ausgedrückt wird, ersetzt. b) Eine zweite Form des Gebrauchs von Metaphern aus dem Bereich der Generationensemantik zielt nicht mehr auf den Ausdruck einer zwischenmenschlichen Beziehung, sondern eines Verhältnisses zwischen Individuum und Gott als Vater oder Individuum und Kirche als Mutter. Die Menschen untereinander werden in dieser Metaphorik dann zu Geschwistern. Die Confessiones kennen noch weitere Metaphernspender zum Ausdruck des Verhältnisses zwischen Individuum und Gott. Es sei hier an das Bild von Gott als dominus oder als gubernator erinnert. 36 Ein fruchtbares Bildfeld für Metaphern stellt in den Confessiones auch das Wasser dar, das zum Ausdruck ganz verschiedener Zusammenhänge verwendet werden kann, was sich auch in dieser Arbeit zeigen wird. In der vorliegenden Studie soll gezeigt werden, dass sich Metaphern aus anderen Bildspenderbereichen auf kunstvolle Weise mit den Metaphern aus dem Bereich der Generationenbeziehungen verbinden lassen. 37

35 Zur Begrifflichkeit vgl. Clark 1999, 12: “Augustine (…) seeks to substitute a new spiritual family for his actual physical family.“ 36 Vgl. 4,14,23: nimis occulte gubernabar abs te. 37 Konkurrierende Begrifflichkeiten zu ‚Metapher‘ erweisen sich als unzutreffend: ‚Symbol‘ ist unpassend, denn die Mutter ist nicht durchgehend durch Kirche substituierbar. Die Mutter löst sich auch nicht in ihrem Verweischarakter auf, weshalb man mit der Bezeichnung ‚Allegorie‘ vorsichtig sein muss. Andere Vorschläge wie ‚image‘ oder ‚prolongement‘ der Kirche (Dulaey 2003, 218) sind wenig aussagekräftig.

III. GENERATIONENBEZIEHUNGEN IN DEN CONFESSIONES 1. GENERATIONENBEZIEHUNGEN IN DER THEOLOGIE AUGUSTINS a) Eltern-Kind-Beziehungen in der römischen Familie Bei Untersuchungen zur antiken Familie ist zu bedenken, dass die Römer für die moderne Kernfamilie bestehend aus der Konstellation von Vater, Mutter und Kind, keinen Begriff kannten, wenngleich hierin die gängige römische Lebensund Reproduktionsgemeinschaft zu sehen ist. Die am häufigsten anzutreffenden Bezeichnungen für verwandtschaftliche Formen der Gemeinschaft sind familia und domus. Familia bezeichnet im rechtlichen Sinne meist alle diejenigen, die als Agnaten unter der patria potestas eines pater familias stehen, im alltäglichen Sprachgebrauch aber auch häufig die Sklaven und Freigelassenen eines Mannes. Domus kann sowohl das Haus als auch dessen Mitglieder bezeichnen. 1 Dennoch ist festzustellen, dass in der Wahrnehmung der Römer eine solche Kernfamilie bestehend aus Mann, Frau und Kindern durchaus bestand. Man darf vom Bewusstsein einer Kernfamilie als Zentrum der familialen Beziehungen mit Pflichten und emotionalen Bindungen ausgehen. Dieser Kern konnte jeweils ergänzt werden um weitere Blutsverwandte und Sklaven beiderlei Geschlechts. 2 Jedoch existierte kein eigenes Vokabular, um diese Kernfamiliengruppe zu bezeichnen. Statt1

2

Vgl. Krause 2003, 96; Hartmann 2007, 132–133. Der Begriff familia begegnet vor allem in römischen Rechtsquellen, wo der Begriff als mehrdeutig qualifiziert wird. Vgl. Ulp. Dig. 50,16,195,1 über den Begriff familia: varie accepta est. Zur Inkongruenz unserer heutigen Auffassung von Familie mit dem antiken Begriff familia und dessen Mehrdeutigkeit vgl. Krause 2003, 95–96; Hölkeskamp 2004, 118. Unter ihm werden einerseits alle Personen aufgefasst, die sich unter der Gewalt eines pater familias befinden (Ehefrau, Kinder, Familien der Söhne, Sklaven), andererseits alle Personen, die von einem gemeinsamen Ahn abstammen, die Agnaten. Vgl. Gaudemet 1969, 320 mit Verweis auf Ulpian; Deißmann-Merten 1998, 412; Fuhrer 2002, 1236. Während der Begriff familia die agnatische Verwandtschaft einschließen konnte, bezog sich domus sowohl auf die agnatische als auch cognatische Verwandtschaft vgl. Deißmann-Merten 1998, 412; Shaw 1987, 3. Die Untersuchung dieser Begriffe zeigt deutlich, dass literarische und rechtliche Ausdrücke für Familie sich nie auf die Kernfamilie beschränkten, die unser heutiges Verständnis von Familie prägt. Vgl. hierzu Shaw 1987, 3; zusammenfassend 49: “Given the dominant patterns of relationships that determined the make-up and place of the family in Roman society, at least in the lower middling to upper classes, no person from these social groups who heard the words familia or domus would ever have taken them to mean what ‘family’ does to us. To him or her the words necessarily implied the whole network of relationships of the household, including slaves, nurses, concubines, boarders and others, that formed it. The nuclear-family unit was, so to speak, nested within this conception”. Vgl. Deißmann-Merten 1998, 413. Vgl. Shaw 1987, 3–4; Krause 2003, 43; zur Familie der Republik vgl. Hölkeskamp 2004, 117; 131; 134–135.

1. Generationenbeziehungen in der Theologie Augustins

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dessen wurden Umschreibungen verwendet, wie die Bezeichnungen als sui, tui oder uxor et liberi, während familia und domus eine weiter gefasste Gruppe bezeichneten. 3 Im römischen Alltag bestand eine enge Verknüpfung von Familie und Öffentlichkeit, was sich darin manifestierte, dass sich politische Tugenden in den familialen Wertvorstellungen widerspiegelten. 4 So schlugen sich patriarchalische Züge der römischen Gesellschaft, besonders das Patronatsverhältnis der Adligen gegenüber ihrer clientela auf die interpersonalen Beziehungen zwischen den Mitgliedern einer domus nieder: Auch hier bestanden strenge hierarchische Verhältnisse, die sich einerseits auf auctoritas gründeten und andererseits obsequium verlangten. Von den Mitgliedern wurde eine reziproke fides erwartet. Sie unterlagen auch wechselseitiger Fürsorgepflicht. Weitere verpflichtende Werte bestanden in der concordia zwischen Ehegatten, pietas wurde von Kindern gegenüber den Eltern verlangt, umgekehrt caritas von den Eltern gegenüber den Kindern. 5 Dies sind allesamt Wertvorstellungen, die auch im politischen Leben galten. Vor allem die erwachsenen männlichen Mitglieder der Familien versuchten, die Leistungen ihrer gens für die res publica fortzuführen. Aber auch Frauen sahen sich in der Öffentlichkeit ihrer gens verpflichtet. 6 Dem Vater kam im Leben und Denken der Römer eine herausragende Rolle zu. Die Vatervorstellungen in Rom waren entscheidend vom Bild des Familienoder Hausvaters, des pater familias, bestimmt. 7 Die „Vater-Sohn-Konstellation“ erweist sich als „eine wesentliche Struktur für das römische Selbstverständnis“ 8: Der Vater verfügte über die Vollgewalt über alle Personen, die im rechtlichen Sinne zum Familienverband gehörten und somit seiner lebenslänglichen und uneingeschränkten patria potestas unterstellt waren. 9 Für die Söhne bedeutete dies, dass sie dem Vater, solange dieser lebte, privatrechtlich unterstellt blieben (alieno iuri subiecti). 10 Das mit der patria potestas verbundene Tötungsrecht (vitae necisque potestas) blieb bis 374 unter Valentinian erhalten. Das heißt, dass die Rechtsverhältnisse der Republik bis zur Zeit Augustins Gültigkeit besaßen, auch wenn dieses Recht wohl schon längere Zeit nicht mehr zur Anwendung kam.11 Neben das rechtlich fixierte Verhältnis trat eine außerrechtliche, moralische Schutz- und Fürsorgepflicht des Vaters. 12 Im Verlauf der römischen Geschichte, 3 4

Vgl. Shaw 1987, 49; Krause 2003, 96. Vgl. Shaw 1987, 10: “In traditional formal thought the household had been considered the irreducible unit of society. Below it were only isolated individuals; out of it arose all more complex groups, culminating in the state.” Hier auch zur geistesgeschichtlichen Tradition von Aristoteles über die Stoa zu Augustinus. Vgl. ferner Hölkeskamp 2004, 113–114; Hartmann 2007, 133–134 grundsätzlich zur römischen Familie. 5 Vgl. Hölkeskamp 2004, 129–130. Als bedeutende Quelle vgl. Cic. ad Brut. 20,2. 6 Vgl. Deißmann-Merten 1998, 415. 7 Vgl. Wlosok 1978, 18. 8 Wlosok 1978, 19. 9 Vgl. Wlosok 1978, 19; Eyben 1991, 114–116. 10 Vgl. Wlosok 1978, 20. 11 Vgl. Wlosok 1978, 23. 12 Vgl. Wlosok 1978, 28; Eyben 1991, 116–121.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

besonders nach dem Umschwung von der Republik zum Prinzipat, setzt sich jedoch auch eine stärker auf emotionaler Bindung beruhende Auffassung des VaterSohn-Verhältnisses durch, was sich in der Kaiserzeit auch im Recht niederschlägt. 13 Insgesamt lässt sich festhalten, dass aus der Überlieferung eine doppelte Vaterrolle erkennbar ist: die des strengen und strafenden Herrn und die des fürsorglichen Vaters. Von den Familienangehörigen wird im Gegenzug obsequium und pietas erwartet. 14 b) Eltern-Kind-Beziehungen in Bibel und antikem Christentum α) Leibliche und geistige Eltern-Kind-Beziehungen Neben der menschlichen Vaterschaft kennt das Christentum auch die göttliche Vaterschaft. An der Ausbildung eines Gottvaterbildes hat nach ersten Ansätzen bei Tertullian vor allem Laktanz in der konstantinschen Zeit beigetragen, der in seiner an gebildete Römer gewandten Apologetik das Muster des pater familias als Analogie zum christlichen Gott entwarf und somit „das christliche Gottesverhältnis (…) echt römisch als ein durch die Faktoren: göttliche Forderung, menschlicher Gehorsam, gerechter Heilslohn bestimmtes Rechts- und Herrschaftsverhältnis auffaßte.“ 15 Eine Reihe von Studien ist in den letzten Jahren auf ein großes Echo gestoßen, die die Nachwirkung biblischer Vorstellungen zur Familie in der abendländischen Kulturgeschichte untersucht haben. Aus dem deutschsprachigen Raum sei-

13 Eine solche Veränderung wird aus kaiserzeitlichen Rechtstexten ersichtlich, wie im 3. Jahrhundert in der Darlegung des Juristen Marcianus zu erkennen ist: patria potestas in pietate debet, non in atrocitate consistere (D. 48,9,5). Vgl. Eyben 1991, 115; 142. 14 Vgl. Wlosok 1978, 28. Sie weist auf, wie Vergil das Vater-Sohn-Verhältnis in den Figuren von Anchises, Aeneas und Ascanius sich idealtypisch verwirklichen lässt, wobei der Sohn sich durch pietas, der Vater sich durch cura auszeichnet (42–45). Pietas kann jedoch auch die elterliche Liebe gegenüber den Kindern bezeichnen. Vgl. Eyben 1991, 115; Rawson 1991b, 24–25. 15 Wlosok 1978, 49–50. Die Doppelfunktion des pater familias als pater gegenüber den Kindern aber dominus gegenüber dem Gesinde führt zu einer Aufspaltung der Vaterfunktion. Die mit Strenge verbundene Herrschafts- und Straffunktion wird dem dominus zugewiesen, die Schutz- und Fürsorgefunktion, zu der die Güte gehört, wird auf den pater bezogen. Diese doppelte Anrede entspricht auch dem kirchlichen Sprachgebrauch von ‚Vater‘ und ‚Herr‘. Diese semantische Überlappung bietet sich den Kirchenvätern an, auch auf inhaltlicher Ebene Analogieschlüsse vom zeitgenössischen Vaterbild zu einem metaphorischen Vaterbild zu ziehen. Tertullian verteidigt die Einheit Gottes als richtender und strafender Gott des Alten Testaments und als gnädiger und gütiger Gott des Neuen Testaments und der ihm entgegenzubringenden Gottesfurcht mit Verweis auf die römische Vorstellung vom pater familias in seiner Doppelfunktion als pater und dominus. Bei Laktanz entspricht der göttlichen Identität von pater und dominus die menschliche Identität von filius und servus. Daraus ergibt sich für den Menschen (als servus und filius) das doppelte Gebot von obsequium und pietas gegenüber Gott (als dominus und pater). Vgl. Wlosok 1978, 50–54.

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en an dieser Stelle Albrecht Koschorkes „Die Heilige Familie und ihre Folgen“16 sowie Hubertus Lutterbachs Monographie „Gotteskindschaft. Kultur- und Sozialgeschichte eines christlichen Ideals“ 17 und sein Artikel „Gotteskindschaft. Zur kultur- und sozialgeschichtlichen Prägekraft einer biblischen Metapher im Abendland“ 18 erwähnt. Grundlegend für die Vorstellung einer leiblichen und geistigen Eltern-Kind-Beziehung ist eine Anthropologie, die den Menschen als zweigeteilt in Körper und Seele auffasst. Aus diesem zweigeteilten Bild vom Menschen (ex anima / ex corpore) leiten sich zwei verschiedene Vorstellungen von Verwandtschaft ab: eine fleischliche und eine geistige. 19 Die christlichen Vorstellungen von den Beziehungen zwischen den Generationen zeigen sich in einem der christlichen Lehre inhärenten Spannungsverhältnis zwischen einerseits einer entschiedenen Bejahung familiärer Beziehungen und andererseits einer Betonung von Konzepten, die geistige Verbindungen über leibliche setzen. Dabei werden die auf spiritueller Ebene bestimmten Verbindungen gerade durch den Rückriff auf Bildfelder aus dem Bereich von Familie und Generationenbeziehungen zur Metaphernbildung in eine mögliche Konkurrenzsituation zur natürlichen Familie gestellt. β) Gotteskindschaft Die Anrede Gottes als Vater ist vor allem durch das Neue Testament 20 vorgeprägt, weniger stark durch das Alte. 21 In den Evangelien spricht Jesus Christus Gott als Vater an, gibt aber, zum Beispiel durch das Gleichnis vom Verlorenen Sohn, auch schon die Übertragung dieser Beziehung auf die Gläubigen vor. In erster Linie sind es das Johannesevangelium und die Paulus-Briefe, die die Einbeziehung der Gläubigen in das Konzept der Gotteskindschaft propagieren, die etwa durch das Vater Unser Zugang zu einem Sohn-Vater-Verhältnis erhalten. 22 Besonders durch das Gebet im Namen des Sohnes gibt Jesus Christus den Vaterbezug zu Gott an die Gläubigen weiter. Die Menschen sind Söhne Gottes durch eine Einbeziehung in das in Christus gegebene Heil, die sich in einer Annahme als Söhne durch die Koschorke 32001. Lutterbach 2003. Lutterbach 2004. Vgl. Jussen 1997, 1597. Zur neutestamentlichen Tradition vgl. Delling 1981, 1164–1166; Lutterbach 2003, 31–38. Als einschlägige Stelle sei Rm 8,14 angeführt: „Denn alle, die sich vom Geist Gottes leiten lassen, sind Söhne Gottes“ (14–17). Weitere Bibelstellen zur Gotteskindschaft Rm 9,6–8; Io 3,18 (vgl. Delling 1981, 1173); Io 1,12–13 (vgl. Delling 1981, 1165–1166); Io 11,52 (vgl. Delling 1981, 1166); Gal 3 und 4; Hbr 12. Nach Lutterbach 2003, 37–38 „zählt die Beziehung von Gott zu den Menschen im Sinne eines Verhältnisses vom Vater zu seinen Kindern zum Kern der neutestamentlichen Botschaft.“ 21 Zur alttestamentlich-jüdischen Tradition vgl. Delling 1981, 1161–1164; Lutterbach 2003, 26– 31. 22 Vgl. Schindler 1978, 55; 59–60; Lutterbach 2003, 33–38. 16 17 18 19 20

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Taufe vollzieht. 23 Paulus führt die Typologie Adam–Christus zur Auffassung, dass alle Menschen, da sie vom sündigen Urvater abstammen, Tod und Sünde geerbt haben, durch Jesus Christus jedoch hiervon erlöst worden sind. 24 Für das ewige Heil des Menschen hat nur eine geistige Zeugung und Geburt aus Gott Bedeutung. 25 Sichtbarer Ausdruck für die pneumatisch gewirkte Geburt aus Gott ist die Taufe, durch die jeder Mensch zum Kinde Gottes werden kann. 26 Jeder Mensch steht als einzelner unmittelbar vor Gott und wirkt unabhängig von der Kette seiner Vorfahren sein eigenes Heil oder Unheil. 27 Hierbei wird die physische Genealogie grundsätzlich abgewertet. Die Bezeichnung der Menschen als „Söhne (Kinder) Gottes“ weist auf das eschatologische Gottesvolk voraus. 28 Die bedeutendste Konzeptualisierung der Gotteskindschaft wird in der johanneischen Theologie entwickelt. Die Zeugung aus Gott wird aus dem Empfang der Taufe abgeleitet. Es finden sich zwei zentrale Stellen: 29 quotquot autem receperunt eum dedit eis potestatem filios dei fieri, his qui credunt in nomine eius, qui non ex sanguinibus neque ex voluntate carnis neque ex voluntate viri, sed ex deo na30 ti sunt.

Neben Jesus Christus haben somit auch die Menschen durch den Glauben die Möglichkeit, filii dei zu werden. ecce qualem dilectionem dedit nobis deus, ut filii dei vocemur et simus.

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Die metaphorische Vorstellung vom Menschen als Kind Gottes lässt Erweiterungen zu. Das als eine Beziehung zwischen Generationen bestimmte Verhältnis von Mensch und Gott als eines von Kind und Vater zieht die bildliche Auffassung des Verhältnisses der Menschen untereinander als das von Geschwistern nach sich. Darüber hinaus wird die metaphorische Auffassung vom Menschen als Kind Gottes im Sinne einer genealogischen Abstammung in der Bibel und der christlichen Tradition erweitert um die Vorstellung einer Kindschaft des Menschen im Sinne der Kindheit als Lebensaltersstufe, wobei die Eigenschaften von Kindern in diesem menschlichen Entwicklungsabschnitt zum Tragen kommen. 32 Auch die in Vgl. Gal 3,26–27. Vgl. Delling 1981, 1165. Vgl. Rm 5,12–21. Vgl. Io 1,12–13; 1 Io 3,9. Vgl. Lutterbach 2003, 33. Vgl. Lutterbach 2003, 33–34. Vgl. 1 Io 3,10. Vgl. Delling 1981, 1166. Vgl. Lutterbach 2004, 563. Io 1,12–13 (zitiert nach trin. 13,12 und nat. et. gr. 77): „Allen aber, die ihn aufgenommen haben, gab er die Macht, Kinder Gottes zu werden; ihnen, die an seinen Namen glauben, die weder aus Blut, noch aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind.“ Der lateinische Bibeltext wird hier wie auch im Folgenden, soweit es möglich ist, an Augustinus rekonstruiert. Ansonsten liegt die Ausgabe Nestle / Aland 3 1994 zugrunde. 31 1 Io 3,1–2 (zitiert nach en. Ps. 49,2): „Siehe, welche Liebe uns Gott geschenkt hat, so dass wir Kinder Gottes genannt werden und auch sind.“ 32 Vgl. Lutterbach 2003; Lutterbach 2004, 564. Dieser weitere Aspekt der Gotteskindschaft stützt sich wesentlich auf Mc 10,13–16: „Da brachte man Kinder zu ihm, damit er ihnen die 23 24 25 26 27 28 29 30

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ihrem Glauben noch am Anfang stehenden Christen können metaphorisch als Kinder bezeichnet werden. γ) Konflikt leiblicher mit geistiger Eltern- und Kindschaft Das metaphorische Konzept der geistigen Vaterschaft Gottes birgt das Potential, in Konkurrenz oder sogar Konflikt mit den leiblichen Bindungen zu geraten. Nach Albrecht Koschorke bricht Christus radikal mit der Tradition genealogischen Denkens: „Er (sc. Jesus Christus) kündigt die genealogische Ordnung der Menschen auf, um eine neue, von Gott herkommende Herkunftslinie zu instituieren (…). Er wendet der Sphäre der familia33 len Reproduktion den Rücken und ersetzt sie durch Gottesbindung und Jüngerschaft.“

Somit ist bereits in den Worten Jesu Christi die Grundlage dafür gelegt, „in der natürlichen Vaterschaft etwas im Konfliktfall gleichsam Abwählbares“ 34 zu sehen. Bereits Jesus gibt in der Bibel das Prinzip der Verwandtschaftsloyalität zugunsten eines spirituellen Prinzips, der Gemeinschaft der Gläubigen und Jünger, auf, wie die folgenden einschlägigen Abschnitte aus den Evangelien zeigen: haec eo loquente ad turbas mater eius et fratres eius stabant foris volentes loqui cum illo. nuntiavit ei quidam dicens: „ecce mater tua et fratres tui foris sunt, loqui tecum volunt.“ et ille: „quae mihi mater est? aut qui fratres?“ et extendens manum super discipulos suos ait: „hi sunt mater mea et fratres mei. et quicumque fecerit voluntatem patris mei qui in caelis 35 est, ipse mihi frater soror et mater est.“

Zum Ausdruck seiner Ablehnung von weltlichen Werten wählt Christus radikale Formulierungen:

Hände auflegte. Die Jünger aber wiesen die Leute schroff ab. Als Jesus das sah, wurde er unwillig und sagte zu ihnen: Lasst die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das Reich Gottes. Amen, das sage ich euch: Wer das Reich Gottes nicht so annimmt, wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen. Und er nahm die Kinder in seine Arme; dann legte er ihnen die Hände auf und segnete sie.“ Eine kindlich-offene Haltung gilt als besonders geeignet für die Botschaft Gottes. Kinder werden zu Modellen für die Jünger. Die von Lutterbach dargelegten Konzepte von metaphorischer Kindschaft lassen zwei unterschiedliche, von ihm jedoch nicht getrennte Aspekte erkennen: 1. das Kind im Sinne eines genealogischen Verhältnisses zum Vater. 2. das Kind im Sinne Lebensalterstufe. Beide Aspekte lassen Verknüpfungen untereinander zu. 33 32001, 28–29. 34 Schindler 1978, 70. 35 Mt 12,46–50 (zitiert nach s. Denis 25,3): „Als er dies zur Menge sprach, standen seine Mutter und seine Brüder draußen und wollten mit ihm sprechen. Jemand benachrichtigte ihn und sprach zu ihm: ‚Schau, deine Mutter und deine Brüder sind draußen, sie wollen mit dir reden.‘ Er aber antwortete: ‚Welche Mutter habe ich? Oder welche Brüder?‘ Und er streckte die Hand über seine Jünger aus und sagte: ‚Diese sind für mich meine Mutter und meine Brüder. Und jeder, der den Willen meines Vaters, der im Himmel ist, erfüllt, der ist für mich Bruder, Schwester und Mutter.‘“

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones quisquis venit ad me et non odit patrem suum et matrem et uxorem et filios et fratres et so36 rores, insuper et animam suam, non potest meus esse discipulus.

In diesen Worten Jesu Christi werden leibliche Generationenbeziehungen und damit auch natürliche Altersunterschiede überwunden. 37 δ) Geistige Vater- und Mutterschaft zwischen Menschen Die Bibel bietet ferner Textstellen, an denen nicht das Verhältnis Gott–Mensch, sondern eine Beziehung zwischen Menschen als geistig aufgefasst und unter Verwendung einer Semantik aus dem Feld der Generationenbeziehungen metaphorisch ausgedrückt wird. Bei Paulus begegnet auch die Vorstellung einer menschlichen geistigen Vaterschaft, wobei er sich selbst als Erzeuger der durch ihn gläubig Gewordenen auffasst. So schreibt er im Philemonbrief über den von ihm bekehrten gefangenen Sklaven Onesimus: Ich bitte dich für mein Kind Onesimus, dem ich im Gefängnis zum Vater geworden bin.

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Paulus’ Metaphorik einer geistigen Verwandtschaft ist jedoch nicht starr, sondern kennt variierende Zuschreibungen, wie die Tatsache zeigt, dass sich Paulus selbst als Vater gegenüber dem von ihm Bekehrten auffasst, gleichzeitig aber auch als dessen Bruder. 39 Paulus schreibt an Philemon, den Besitzer (dominus) des Sklaven Onesimus: Denn vielleicht wurde er nur deshalb eine Weile von dir getrennt, damit du ihn für ewig zurückerhältst, nicht mehr als Sklaven, sondern als weit mehr: als geliebten Bruder. Das ist er 40 jedenfalls für mich, um wie viel mehr für dich, als Mensch und auch vor dem Herrn.

Die Semantik aus dem Wortfeld der Familie bietet hier ein sprachliches Instrument, um das interpersonale Verhältnis neu zu bestimmen und die gesellschaftlich gesetzte Beziehung zwischen Sklaven und Herr zu ersetzen. Die Verwandtschaftsmetaphorik findet sich im paulinischen Briefcorpus insbesondere auch zur Bestimmung des pastoralen Verhältnisses zu den Gemeinden. 36 Lc 14,26 (zitiert nach s. dom. m. 1,40): „Jeder, der zu mir kommt, aber seinen Vater, seine Mutter, seine Frau, seine Kinder, seine Brüder und Schwestern, darüber hinaus auch sein Leben nicht hasst, der kann nicht mein Jünger sein.“ 37 Weitere einschlägige Stellen aus dem Neuen Testament: Mt 23,8–9 („Ihr aber sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder. Auch sollt ihr niemand auf Erden euren Vater nennen; denn nur einer ist euer Vater, der im Himmel.“); Lc 12,51–53 („Meint ihr, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen? Nein, sage ich euch, nicht Frieden, sondern Spaltung. Denn von nun an wird es so sein: wenn fünf Menschen im gleichen Haus leben, wird Zwietracht herrschen: drei werden gegen zwei stehen und zwei gegen drei, der Vater gegen den Sohn und der Sohn gegen den Vater, die Mutter gegen die Tochter und die Tochter gegen die Mutter, die Schwiegermutter gegen die Schwiegertochter und die Schwiegertochter gegen die Schwiegermutter.“) 38 Phlm 10. Deutsche Bibelzitate folgen der Übersetzung der „Neuen Jerusalemer Bibel“. 39 Vgl. Schindler 1978, 70. 40 Phlm 15–16.

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Gegenüber den Mitgliedern der christlichen Gemeinden fasst sich Paulus als geistiger Vater auf, wie folgende Aussage aus dem 1. Korintherbrief zeigt: (14) non ut confundam vos, haec scribo, sed ut quasi filios meos carissimos moneam; (15) nam si decem milia paedagogorum habeatis in Christo, sed non multos patres, nam in Chris41 to Iesu per evangelium ego vos genui. (16) rogo ergo vos: imitatores mei estote!

Hier eignet sich Paulus Vorstellungen aus dem Alten Testament und seiner hellenistischen Umwelt an. Die Vorstellung vom Lehrer als geistigem Vater seines Schülers ist sowohl aus Thora- und Gesetzesschulen als auch aus den Philosophen- und Mysterienschulen bekannt. Konstitutiv für die bildhafte Vaterschaft ist hierbei immer die Übermittelung der Weisheit, des Gesetzes oder der religiösen Inhalte. Es wird eine Analogie hergestellt zwischen einer leiblichen Zeugung des Kindes und der Zeugung durch den geistigen Vater zum wahren Leben. 42 Diese in der Bibel begründeten Vorstellungen tragen reiche Früchte in der Tradition des christlichen Denkens. Nach dem Kirchenhistoriker Alfred Schindler sind die ersten Jahrhunderte des Christentums von einem „Vordringen der geistlichen Vaterschaft“ im Sinne einer zwischenmenschlichen geistigen Beziehung geprägt. 43 Neben der Vorstellung einer geistigen Vaterschaft tritt in der christlichen Tradition auch die einer Mutterschaft im Geiste. Als Beispiel hierfür kann die Darstellung der Märtyrerin Blandina in Eusebius’ Historia ecclesiastica gelten, die zu einer geistigen Mutter stilisiert wird, die ihren Kindern nach der Folter in den Tod folgt. 44 ε) Familie im Neuen Testament und im antiken Christentum Das Neue Testament über die Familie: Das Neue Testament kennt aber nicht nur die Geringschätzung der leiblichen Generationenbeziehung gegenüber einer spirituellen Einbindung des Menschen. Die Familie wird auch unter ethischen Gesichtspunkten thematisiert, und so findet sich in den Evangelien eine Fülle von Vorschriften zum Familienleben. Hier erscheint die Familie als Kleinfamilie, als Einheit von Eltern und Kindern und auch Alten in einem Haus. 45 So verlangt Jesus in den Evangelien die Unauflöslichkeit der Ehe, 46 die gegenseitige Treue der Ehegatten, 47 und den Respekt gegenüber den Eltern. 48 41 1 Cor 4,15–16 (zitiert nach Nestle / Aland 31994): „Dies schreibe ich nicht, um euch zu verwirren, sondern um euch wie meine liebsten Kinder zu ermahnen; denn wenn ihr zehntausend Erzieher in Christus habt, so doch nicht viele Väter. Denn in Jesus Christus habe ich euch durch das Evangelium gezeugt. Ich bitte euch also, seid meine Nachahmer.“ 42 Vgl. Schindler 1978, 71. 43 1978, 81. Wenn er ein gleichzeitiges „Zurücktreten der göttlichen Paternität“ (81) erkennen möchte, braucht das nicht das Verschwinden dieser Vorstellung zu bedeuten. 44 Vgl. Eus. HE 5,1,53–56. Vgl. Hartmann 2007, 181–182. 45 Vgl. Gaudemet 1969, 339. 46 Vgl. Mt 5,32; 19,4–9; Mc 10,6–11; Lc 16,18. In dieser Forderung erweist sich nach Gaudemet 1969 das Christentum im antiken Kontext als ‚revolutionär‘, vgl. 340: „Bedenkt man, daß die antike Welt immer die Scheidung anerkannt u. in erheblichem Umfang geübt hatte, so wird

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Diese Forderungen nimmt Paulus in seinen Briefen auf. 49 Das Verhältnis der Ehegatten untereinander soll sich so gestalten, dass der Ehemann als Oberhaupt anerkannt wird und die Frau ihm gehorsam ist, 50 der Ehemann wiederum soll die Frau lieben. 51 Die Kinder sollen ihren Eltern gegenüber gehorsam sein im Herrn. 52 Die Pflicht der Eltern ist es, ihre Kinder zu erziehen. Im 1. Petrusbrief wird die Beziehung der Ehegatten untereinander bestimmt. Ehefrauen sollen sich unterordnen, jedoch mit dem Ziel, dadurch zum Vorbild für ihre Ehemänner zu werden: Ebenso sollt ihr Frauen euch euren Männern unterordnen, damit auch sie, falls sie dem Wort (des Evangeliums) nicht gehorchen, durch das Leben ihrer Frauen ohne Worte gewonnen werden, wenn sie sehen, wie ehrfürchtig und rein ihr lebt. Nicht auf äußeren Schmuck sollt ihr Wert legen, auf Haartracht, Gold und prächtige Kleider, sondern was im Herzen verborgen ist, das sei euer unvergänglicher Schmuck: ein sanftes und ruhiges Wesen. Das ist wertvoll in Gottes Augen. So haben sich einst die heiligen Frauen geschmückt, die ihre Hoffnung auf Gott setzten: Sie ordneten sich ihren Männern unter. Sara gehorchte Abraham und nannte ihn ihren Herrn. Ihre Kinder seid ihr geworden, wenn ihr recht handelt und euch vor keiner 53 Einschüchterung fürchtet.

Die Begriffe familia und domus nehmen bei den Kirchenvätern einen nur geringen Raum ein. 54 Dennoch werden Zusammenhänge aus Familie und Generationenbeziehungen häufig thematisiert. Die Aussagen der Kirchenväter bezüglich der Gotteskindschaft sind vom Neuen Testament geprägt. 55 Bei den Kirchenvätern finden sich die neutestamentliche Vorstellung von der Aufnahme in die Sohnschaft durch eine neue Geburt, mit welcher die Geburt zum Tode aufgehoben wird, 56 ferner die vom Sohn aufgrund der Gnade durch Adoption und Taufe, aufgrund der Gemeinschaft mit dem Sohn Gottes, 57 sowie die von einer Rückkehr aus der Entfremdung, die eine Folge des Ungehorsams ist, in die wiedererlangte Verwandtschaft mit Gott. 58 Unter den westlichen Kirchenvätern sei auf Ambrosius verwiesen, der

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klar, daß die Evangelien einen revolutionären Beitrag zur weiteren Entwicklung der F(amilien)struktur leisten, indem sie die Unauflöslichkeit der ehelichen Bindung aussprechen." Vgl. Mt 5,27–28. Vgl. Lc 19,19 als Bestätigung des 4. Gebots (Ex 20,12). Zur Unauflöslichkeit der Ehe vgl. Rm 7,2–3; 1 Cor 7,10 und 39. Vgl. 1 Cor 11,3; Eph 5,22–24; Col 3,18. Vgl. Eph 5,25; Col 3,19. Vgl. Eph 6,1; Col 3,21. 1 Pt 3,1–6. Vgl. Gaudemet 1969, 346. Vgl. Delling 1981, 1164. Vgl. Delling 1981, 1167 mit Verweis auf Irenäus (haer. 4,52,1); zu Clemens von Alexandrien vgl. Delling 1981, 1168–1169. Vgl. Delling 1981, 1172 mit Verweis auf Athanasius. Vgl. Delling 1981, 1173; zu Gregor von Nyssa und Johannes Chrysostomos vgl. Delling 1981, 1173–1177.

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in der Tradition vorausgehender Kirchenlehrer 59 sich mit dem Heiligen Geist als Urheber der geistigen Geburt beschäftigt. Die neue Geburt des Menschen erfolgt per adoptionem, während Christus per naturam Sohn Gottes ist. 60 Gott ist Vater, alle Menschen seine Kinder, die in geschwisterlicher Beziehung zueinander stehen sollen. 61 Die Vorstellung einer Neugeburt zu einem neuen geistigen Leben begegnet auch in Apophthegmata von Einsiedlern, wenn sie zufällig Bibelstellen aufschlagen, die auf die Person des Fragenden passen. 62 So entsteht in der christlichen Tradition das Bild einer geistigen Familie mit dem Christen als Kind Gottes, woran sich die Vorstellung von der Kirche als Mutter anschließen kann. Aus der blutsmäßigen Verwandtschaft aller Völker (Gn 10) und der heilsgeschichtlich bedeutsamen Abstammung der Juden von ihrem Stammvater Abraham wird bei den Christen die Verwandtschaft der Gläubigen untereinander, mit Gott und Jesus Christus, dem Abrahams- und Davidssohn. Die Christen sind durch die Taufe neu gezeugt und wiedergeboren worden. Die Kirchenväter über die Familie: Die Ratschläge der Kirchenväter zum Familienleben stützen sich auf die neutestamentlichen Aussagen und die urchristliche Tradition und werden auch von platonischen und stoischen Ideen geprägt. Hierbei kommen die Kirchenväter nicht umhin, auch zeitgenössische Vorstellungen zum Familienleben, selbst wenn sie in heidnischer Tradition stehen, zu berücksichtigen, um von der Umwelt, die sie reformieren wollen, nicht ignoriert zu werden. 63 Der vorrangige gemeinsame Grundsatz aller Kirchenväter ist die Unauflösbarkeit der Ehe. Darin besteht die wesentliche Neuerung des Christentums, wohingegen generell in den Vorstellungen zur Familie auch viele Bräuche und Rechtsprinzipien der römischen Tradition übernommen werden. 64 Wie das Neue Testament und die pagane Antike verstehen auch die Kirchenväter unter Familie die kleinere Einheit von Eltern und Kindern. Die Kirchenväter versuchen die Autorität des leiblichen Vaters in der Familie in Einklang zu bringen mit dem Gehorsam gegenüber Gott, dem Vater. Im Konfliktfall genießt der göttliche Vater jedoch Vorrang. Ein markantes Diktum findet sich im Briefcorpus des Hieronymus: honora patrem tuum, sed si te a vero patre non separat. 65 Ein weiteres bedeutendes Beispiel für einen solchen Konflikt findet sich in Hieronymus’ Brief an Paula, in dem er die Asketin dafür tadelt, den Tod der leiblichen Tochter zu beweinen (ep. 29,5–7). Von Paula wird verlangt, sich von ihrer Mutterrolle zu lösen, um Dienerin Gottes sein zu können. Den Rollenkonflikt zwischen Asketin und Mutter spitzt Hieronymus in der Sentenz zu: grandis in suos pietas inpietas in Deum est 59 Zu Tertullian, Cyprian (Taufe als Gnade Gottes), Laktanz (Doppelrolle Gottes als gütiger pater familias und strafender dominus: Inst. 4,3,14–18; 5,18,14), Marius Victorinus (filii adoptione realisiert im Glauben) und Hilarius vgl. Delling 1981, 1179–1180. 60 Vgl. Delling 1981, 1180–1181. 61 Vgl. Gaudemet 1969, 343. 62 Vgl. Schindler 1978, 75; Lutterbach 2003, 154. 63 Vgl. Gaudemet 1969, 341. 64 Vgl. Gaudemet 1969, 343. 65 Hier. ep. 54,3.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

(ep. 39,6). Das Dilemma zeigt sich in dem Begriff pietas, der im klassischen Denken das Pflichtbewusstsein gegenüber Familienmitgliedern, aber auch gegenüber den Göttern, bezeichnet. Viel stärker als im paganen Rom können im Christentum die Geltungsbereiche der pietas in Gegensatz zueinander geraten. 66 Die bedeutendste Stellung in der Entwicklung eines christlichen Familienbildes misst die Forschung unter den Kirchenvätern Augustinus bei. 67 c) Generationenbeziehungen bei Augustinus α) Grundlage: Augustinische Anthropologie Augustins Vorstellungen über die Generationenbeziehungen sind vor dem Hintergrund seiner Anthropologie zu betrachten, deren Dualismus von Körper und Seele in einer platonischen Tradition steht.68 Eine Darstellung kann im Rahmen dieser Arbeit nur begrenzt geschehen und beschränkt sich auf bestimmte Punkte, die als Grundlagen für Augustins Vorstellungen in Hinblick auf die Fragestellung dieser Arbeit von Bedeutung sind. Zur Terminologie gilt zunächst zu bemerken, dass die Begriffe anima und spiritus sowie corpus und caro bei Augustinus grundsätzlich als Synonyme gelten dürfen, wenngleich Augustinus auch weitere Differenzierungen in dreigliedrige Unterteilungen kennt. 69 Augustinus kämpft sein Leben lang um das richtige Verständnis des Verhältnisses des menschlichen Körpers zur gesamten Persönlichkeit und sollte zu einer Vorstellung gelangen, die den Körper als einen integralen und permanenten Teil des Menschen auffasst. Körper und Seele stehen in einer wechselseitigen Interdependenz. 70 Auch Paulus stellt beim Menschen einen Antagonismus von σάρξ und πνεῦμα fest, beide bilden jedoch in dem in seiner Widersprüchlichkeit existierenden Menschen eine Einheit. 71 Seit Paulus bezeichnet σάρξ nicht nur den ontologischen Gegensatz von Geist und Materie sondern umfassender den empirischen Zustand des Menschen, in dem dieser ausschließlich auf sich selbst bezogen bleibt. 72 Augustin steht unter dem Einfluss seines Lehrers Ambrosius. Ambrosius, selbst vom Neoplatonismus beeinflusst, betont den Antagonismus von Seele und Körper, der zwar „ein großartiges Werk göttlicher Kunst“ darstellt, dennoch auch „ein Feind der Seele“ (Ambr. Isaac 32) ist.

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Vgl. Zittel 2000, 428–430. Vgl. Gaudemet 1969, 342. Vgl. Mayer 1986–1994, 757; Fuhrer 2004a, 98–99; Fuhrer 2004b, 183–184. Vgl. Mayer 1986–1994b, 747–748. Als Alternative zu der Definition homo est substantia rationalis constans ex anima et corpore in trin. 15,11 führt Mayer totus homo hoc est, spiritus et caro (en. Ps. 145,5) an, wobei spiritus und anima synonym gebraucht werden. Eine Gliederung in drei Teile (spiritus, anima, corpus) findet sich in an. et or. 4,3. 70 Vgl. Miles 1996, 6. 71 Vgl. Mayer 1986–1994b, 745–746. 72 Vgl. Dihle 1985, 94–95.

1. Generationenbeziehungen in der Theologie Augustins

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Augustinus stellt im Menschen zwei unterschiedliche Naturen fest, die sich in einer pars superior und einer pars inferior manifestieren. Die Bestimmung homo est substantia rationalis constans ex anima et corpore in trin. 15,11 ergänzt er um die Erläuterung anima non est corpus. 73 Die Höherwertung der Seele gegenüber dem Körper bleibt bei Augustinus durchgehend erhalten, auch wenn sein Denken eine Entwicklung hin zu einer Betonung der Partnerschaft von Körper und Seele erkennen lässt. 74 Eine solche Hierarchisierung ist in den Confessiones deutlich, auch wenn in Augustins Theologie Vorstellungen zu finden sind, die Körper und Seele harmonisieren in Anbetracht der Körperlichkeit Christi und der Tatsache, dass der Körper Teil der Schöpfung ist. 75 Eine concordia beider herrscht jedoch nur im Paradies, im sündefreien Zustand. 76 Das eschatologische Verhältnis ist durch eine Verwandlung der caro animalis in eine caro spiritalis gekennzeichnet. 77 Mit neuplatonischen Ordnungsprinzipien übernimmt Augustinus auch die ontologische Hierarchisierung von caro und spiritus. Die neuplatonische Stufungslehre, die mit der ihr zugrunde liegenden Scheidung des Seienden in einen intelligiblen und einen sinnlich wahrnehmbaren Kosmos auf Platon zurückgeht, dient Augustinus zur Begründung des paulinischen Schemas. 78 Der spiritus wird als caput (…) animae et carnis (en. Ps. 3,10) bezeichnet, der gegenüber der caro einen principatus (doctr. chr. 1,25) besitzt. Daraus folgt für das Fleisch: minor est quam spiritus (util. ieiun. 7). Dennoch stellt Augustinus klar, dass sich auch die caro in den göttlichen ordo rerum einfügt und gegenüber der Seele zwar ein geringeres, aber dennoch ein Gut darstellt: non (…) malum est (…) nam et ipsa dei creatura est (s. 156,6). 79 Augustinus wendet sich gegen den von Julian von Aeclanum am Beispiel der Sexualethik erhobenen Vorwurf, immer noch einem manichäischen Dualismus anzuhängen, mit der Deutung, der Körper sei Teil einer guten Schöpfung und aus diesem Grunde selbst auch gut. 80 Auch wenn Augustinus den Körper als Teil der Schöpfung anerkennen kann und zu der Vorstellung einer Auferstehung des Leibes kommt, bleibt sein Körperkonzept dennoch pessimistisch. Von einem körperlichen, äußeren Menschen wird ein innerer Mensch unterschieden, der als Abbild Gottes zu verstehen ist. 81 Infolgedessen wird eine Hinwendung zum Körperlichen (foris) und Abwendung vom 73 Vgl. Mayer 1986–1994b, 747. 74 Vgl. Miles 1996, 12; Vannier 2006, 210 mit Verweis auf an. quant. 35,79: „Même s’il a une conception hiérarchique de l’âme et du corps, il les envisage en termes d’intégration.“ 75 Vgl. Vannier 2006, 210: «La hiérarchie qu’il adopte n’est pas sans rappeler le néoplatonisme, mais il s’en éloigne en se référant à deux autres acteurs: le corps de Dieu, l’un qui témoigne de la réalité et de l’unité du composé humain, l’autre qui souligne que l’être humain est créé.» 76 Vgl. Mayer 1986–1994b, 751. 77 Vgl. Mayer 1986–1994b, 754. 78 Vgl. Mayer 1986–1994b, 748; 757. 79 Vgl. Mayer 1986–1994b, 749. 80 Vgl. Fuhrer 2004b, 181. 81 Vgl. Vannier 2006, 208 (mit Verweis auf Gn. adv. Man. 1,17,28: Sed tamen noverint in catholica disciplina spirituales fideles non credere deum forma corporea definitum; et quod homo ad imaginem dei factus dicitur, secundum interiorem hominem dici, ubi est ratio et intellectus); 210.

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Innerlichen (intus) als schlecht beurteilt. 82 In den frühen Werken, wird der Körper als eine Behinderung der Seele aufgefasst. 83 In der Zeit in Cassiciacum erkennt er auch die Notwendigkeit der Askese für die Ausrichtung auf das spirituelle Wachstum. 84 Körperliche Triebe gelten als hinderlich auf der Suche nach der beata vita. Therese Fuhrer gelangt zu der abschließenden Einschätzung, dass das auf platonischer Vorstellung beruhende Menschenbild Augustins zeitlebens im Wesentlichen dualistisch bleibt. 85 Eine klare Hierarchisierung von leiblicher und spiritueller Ebene bleibt durchwegs erhalten. Den Dualismus von caro und spiritus überträgt Augustinus auch auf seine Zwei-Staaten-Lehre in De civitate dei, indem er der paulinischen Unterscheidung von Israel secundum carnem (1 Cor 10,18) und Israel dei (Gal 6,16) folgt. Die Bürger der civitas terrena werden als omnino caro (civ. 20,21) bezeichnet, während die Bürger der civitas dei eine Überwindung der concupiscentia des Fleisches anstreben, die jedoch erst im Eschaton erreicht werden kann. 86 Ausdruck einer der Körperlichkeit gegenüber distanzierten Haltung Augustins ist auch die Ablehnung der Sexualität, die in den Confessiones wiederholt Niederschlag findet. Dies manifestiert sich in den Versuchen, seine Sexualität in den Griff zu bekommen. 87 Mit dem Entschluss zum zölibatären Leben weist Augustinus in den Confessiones eine Lebensform auf, die der mit der Erbsünde weitergegebenen concupiscentia des postlapsaren Menschen entgegenzuwirken und dem prälapsaren Zustand näherzukommen versucht. 88 β) generatio Der Frage nach den Generationenbeziehungen bei Augustinus nähert man sich am besten an, indem man seine Verwendung des Begriffs generatio beleuchtet. Gemäß der seit A. Cornelius Celsus (De medicina) und Plinius dem Älteren (Naturalis historia) nachgewiesenen lateinischen Tradition benutzt Augustinus

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Vgl. Mayer 1986–1994b, 749. Vgl. Miles 1996, 12 mit Verweis auf sol. 1,24. Vgl. Miles 1996, 14. 2004b, 183–184 mit Verweis auf die Behandlung der Frühschrift Soliloquia (speziell sol. 1,24) in den am Lebensende verfassten Retractationes: et in eo quod ibi dictum est, „penitus ista sensibilia fugienda,“ cavendum fuit, ne putaremur illam Porphyrii falsi philosophi tenere sententiam, qua dixit omne corpus esse fugiendum. non autem dixi ego „omnia“ sensibilia sed „ista,“ hoc est corruptibilia; sed hoc potius dicendum fuit; non autem talia sensibilia sensibilia futura sunt in futuri saeculi caelo novo et terra nova. (retr. 1,4,7). Der diesseitige Körper gilt als „verderblich“. Der Körper kann als corpus spiritale auch „unverderblich“ sein, aber nur vor dem Sündenfall und nach der Auferstehung. Vgl. Fuhrer 2004b, 184–185. 86 Civ. 19,4: quid autem facere volumus, cum perfici volumus fine summi boni, nisi ut caro adversus spiritum non concupiscat, nec sit in nobis hoc vitium. Vgl. Mayer 1986–1994b, 756. 87 Vgl. Brown 1991 (1988), 395–437; Fuhrer 2004b, 179–180. 88 Vgl. Harrison 2000, 187–193; Fuhrer 2004b, 180.

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das Wort im Sinne einer biologischen Zeugung. 89 Der lateinische Begriff der generatio als ‚Zeugung‘ definiert sich somit in einem reproduktionsbiologischen Kontext, der in der Bedeutung des deutschen Begriffes ‚Generation‘ fast vollends verschwunden ist. 90 In der übertragenden Verwendung des Begriffes generatio für spirituelle Zusammenhänge lassen sich zwei verschiedene Anwendungskontexte feststellen. Zum einen verwendet ihn Augustinus zur Beschreibung eines zwischenmenschlichen Verhältnisses im Sinne eines Zeugens „geistlicher Kinder durch evangelisierende Christen“ 91. Zum anderen kommt dem Begriff in der Heilsgeschichte eine besondere Bedeutung zu. Der fleischlichen Zeugung im saeculum wird eine geistige generatio in Christus gegenübergestellt. Die Zeugung in Adam bildet einen Gegensatz zur Zeugung in der christlichen Taufe. 92 Durch die fleischliche generatio wird die Erbsünde weitergegeben. 93 Das profane Zeitalter, das saeculum, ist gekennzeichnet von generatio. 94 Eine einschlägige Textstelle findet sich mit Verweis auf Lc 20,34 in der 411–412 entstandenen Schrift De peccatorum meritis et remissione et de baptismo parvulorum ad Marcellinum, die über verdiente Folgen der Sünden und ihre Vergebung sowie über die Kindertaufe handelt: 95 «filii enim saeculi huius generant et generantur» (Lc 20,34). inde et quod nascitur tale est, 96 quia quod nascitur de carne, caro est. iusti autem non sunt nisi filii dei.

Die fleischliche Zeugung in Adam wird mit einer im Neuen Testament begründeten Zeugung in der christlichen Taufe kontrastiert. 97 Mit dem Fall Adams und Evas ist das peccatum originale in die Natur des Menschen eingegangen. Durch die generatio wird es von Mensch zu Mensch weitergegeben. 98 Diese Ansichten entwickelt Augustinus schon vor der Auseinandersetzung mit dem Pelagianismus und sind bereits in der im Jahre 393 entstandenen Schrift De fide et symbolo erkennbar. 99 Die Schuld, die dem Menschen somit ‚miteingezeugt‘ ist, bedarf der 89 Vgl. Müller 2004, 109. 90 Vgl. Parnes / Vedder / Willer 2008, 18. Augustinus kannte durch die Bibelübersetzung des Hieronymus ferner einen Begriff von generatio als Synonym für das klassische progenies im Sinne von ‚Nachkommenschaft‘ (gr. γενεή) und benutzt hierfür auch den Plural generationes. Vgl. Müller 2004, 109–110; Parnes / Vedder / Willer 2008, 31. In dieser Verwendung sollte Augustinus mit Hieronymus den klassisch auf ‚Zeugung‘ beschränkten Begriff generatio semantisch um den Aspekt einer ‚Gesamtheit des Erzeugten‘ erweitern, woraus sich dann der moderne Generationenbegriff im Sinne der ‚Zugehörigkeit zu einer Altersgruppe‘ entwickeln konnte. Vgl. Parnes / Vedder / Willer 2008, 30–32. 91 Müller 2004, 110. 92 Vgl. en. Ps. 144,6; hierzu Müller 2004, 111. 93 Vgl. Müller 2004, 111–112. 94 Vgl. Müller 2004, 111. 95 Vgl. Fuhrer 2004a, 62. Vgl. Müller 2004, 111–112. 96 Pecc. mer. 2,11: „Die Söhne dieses irdischen Lebens zeugen und werden gezeugt. Deshalb ist auch das, was geboren wird, von dieser Art, denn was aus Fleisch geboren wird, ist Fleisch. Die Gerechten aber sind nichts außer Söhne Gottes.“ 97 Vgl. en. Ps. 144,6; hierzu Müller 2004, 111. 98 Vgl. Müller 2004, 111–112. 99 Vgl. f. et symb. 23. Vgl. Müller 2004, 112.

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Tilgung in einer regeneratio durch Christus.100 Dieser selbst ist der sündhaften generatio enthoben. Diese Verbindung der leiblichen Fortpflanzung mit der Weitergabe der Erbsünde einerseits und die Vorstellung einer spirituellen regeneratio der getauften Gläubigen soll bei der Untersuchung zu den Generationenbeziehungen stets bedacht werden. Für Augustinus bleibt festzuhalten, dass die Abfolge von Generationen im genealogischen Sinne der Sphäre der Leiblichkeit zuzuordnen ist, und somit ontologisch der Ebene der Spiritualität untergeordnet ist. γ) Leibliche und geistige Generationenbeziehungen Zwischen 391 und 396 wird bei Augustinus ein von der Pauluslektüre geprägtes Bild der zwischenmenschlichen Beziehungen erkennbar. 101 Augustinus betont nun die Einheit zwischen Gottesliebe und Nächstenliebe. 102 Zwischen 396 und 400 wird die Unterscheidung zwischen privaten und gemeinsamen Gütern ausgearbeitet. Die mit der privaten Liebe verbundenen Beschränkungen sollen durch die größere Offenheit einer spirituellen Liebe überwunden werden. 103 In De vera religione (46,86–89) entwickelt Augustinus die Vorstellung, dass sich Liebe auf das zu richten hat, was nicht entrissen werden kann. 104 Hierbei unterscheidet Augustinus zwischen einer partikularen Liebe (dilectio temporalis), wie sie unter Verwandten gelebt wird, und der Nächstenliebe. 105 Die carnales necessitudines sind Folge der Erbsünde und somit zeitlich und vergänglich. Sie gehören zur leiblichen Ordnung, die seit dem Sündenfall von der Vergänglichkeit gekennzeichnet ist. Diese Beziehungen werden begrenzt durch das Geborenwerden und das Sterben. Ohne die Erbsünde bestünden sie nicht. Deshalb gilt es, die carnales necessitudines zu überwinden. Aus diesem Grund muss man am Menschen das lieben, was zur Ordnung des Unvergänglichen gehört und die vergänglichen Generationen übersteigt. Zuneigung, die sich lediglich aus einer solchen

100 Vgl. ench. 64. Vgl. Müller 2004, 112. Die Überwindung des Zusammenhangs von generatio und peccatum originale im Eschaton behandelt die 397–398, also etwa gleichzeitig zu den Confessiones entstandene antimanichäische Schrift Contra Faustum Manichaeum; zu Datierung und Kategorisierung vgl. Fuhrer 2004a, 58; 61. 101 Vgl. van Bavel 1996b, 240. 102 Zur Einheit von Gottes- und Nächstenliebe vgl. Horn 1995, 47–49; van Bavel 1996b, 240. 103 Vgl. van Bavel 1996b, 240. 104 Vgl. Bruning 2004, 382–384. 105 Vera rel. 46,88,247: sed nec sic quidem ab homine homo diligendus est, ut diliguntur carnales fratres vel filii vel coniuges vel quique cognati aut affines aut cives. nam et ista dilectio temporalis est. non enim ullas tales necessitudines haberemus, quae nascendo et moriendo contingunt, si natura nostra in praeceptis et in imagine dei manens in istam corruptionem non relegaretur. itaque ad pristinam perfectamque naturam nos ipsa veritas vocans praecipit, ut carnali consuetudini resistamus, docens neminem aptum esse regno dei, qui non istas carnales necessitudines oderit.

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leiblichen Verbindung begründet (amare quod filius est), ist abzulehnen. 106 Hier macht Augustinus deutlich, dass die Liebe zu einem Mitmenschen einen Bezug zu Gott einschließen muss. Nicht in dem Maße, in dem jemand Sohn oder Ehepartner ist, ist er würdig, geliebt zu werden, sondern in dem Maße, in dem er Mensch ist und folglich zu Gott gehört, dessen Abbild er ist. Nur hierin ist der Mensch Besitz aller. Jede andere Liebe ist dem Bereich des Privaten und der Partikularität verhaftet. Von dieser partikularen Liebe gilt es, sich zu entfernen, um die gemeinsame Liebe anzustreben. 107 Augustinus beendet den Gedankengang mit der Substituierung der für nichtig erklärten leiblichen Verwandtschaft durch ein spirituelles Verwandtschaftsnetz mit Gott als Vater und den Menschen als Brüdern. 108 Auf ähnliche Weise äußert sich Augustinus in seinen Büchern über die Bergpredigt (De sermone domini in monte 1,15). Um Brüder und Schwestern unter dem einen Vater zu werden, müssen Eltern auf die partikulare Verbindung verzichten. Das Himmelreich kennt solche Verbindungen nicht, weshalb diejenigen, die sich auf Erden auf das Himmelsreich vorbereiten wollen, zwar nicht die Personen selbst verabscheuen sollen, jedoch die zeitliche Elternschaft. 109 Die Privation wird im Himmelreich zugunsten der Gemeinschaftlichkeit aufgehoben. 110 In dem etwa gleichzeitig zu den Confessiones entstandenen Brief 243 an Laetus entkräftet Augustinus die Bedenken eines frisch sich dem monastischen Leben zuwendenden jungen Mannes, die leiblichen Eltern hinter sich zu lassen. 111 Mit Verweis auf Lc 14,26–33 erklärt Augustinus die Notwendigkeit, dass Fami106 Vera rel. 46,88,248: neque hoc cuiquam inhumanum videri decet. magis enim est inhumanum non amare in homine quod homo est, sed amare quod filius est. hoc est enim non in eo amare illud, quod ad deum pertinet, sed amare illud, quod ad se pertinet. quid ergo mirum, si ad regnum non pervenit, qui non communem, sed privatam rem diligit. immo utrumque, ait quispiam. immo illud unum, dicit deus. 107 Vera rel. 46,88,249: dicit enim verissime veritas: «nemo potest duobus dominis servire» (Mt 6,24). Nemo enim potest perfecte diligere quo vocamur, nisi oderit unde revocamur. Vocamur autem ad perfectam naturam humanam, qualem ante peccatum nostrum deus fecit. Revocamur autem ab eius dilectione, quam peccando meruimus. quare oderimus oportet, unde ut liberemur optamus. 108 Im zwischenmenschlichen Bereich kennt diese Semantik der spirituellen Verwandtschaft auch eine Flexibilität je nach thematisierter Funktion: omnes sub uno deo patre cognati sunt, qui eum diligunt et faciunt voluntatem ipsius, et invicem sibi sunt et patres, cum sibi consulunt, et filii, cum sibi obtemperant, et fratres maxime, quia eos unus pater testamento suo ad unam hereditatem vocat (vera rel. 46,89,251). 109 S. dom. m. 1,15,40: regnum enim aeternum, quo discipulos suos, quos etiam fratres appellat, vocare dignatus est, non habet huiusmodi necessitudines temporales (…). oportet ergo ut quisquis illius regni vitam iam hic meditari voluerit, oderit non ipsos homines sed istas necessitudines temporales, quibus ista quae transitura est vita fulcitur, quae nascendo et moriendo peragitur. Im folgenden Abschnitt (41) wird die Aufhebung der auf Leiblichkeit gründenden Unterschiede auch auf weitere zwischenmenschliche Beziehungen ausgedehnt, wie Ehemann–Ehefrau, Herr–Sklave, Jude–Grieche. 110 S. dom. m. 1,15,41: diligamus autem quod nobiscum potest ad illa regna perduci, ubi nemo dicit pater meus, sed omnes uni deo pater noster; nec mater mea, sed omnes illi Hierusalem mater nostra; nec frater meus, sed omnes de omnibus frater noster. 111 Vgl. Bruning 2004, 380–392.

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lienbande genauso wie Besitz, da sie partikular und individuell und deshalb vergänglich seien, zugunsten des ewigen gemeinsamen Gutes überwunden werden müssten. Die sich im Verhältnis zur leiblichen Mutter ergebenden Probleme seien so zu lösen, dass die Mutter in die metaphorische Verwandtschaft integriert werden müsse. Sie solle zur Schwester unter Gott-Vater und Kirche-Mutter werden: nam ex quo soror est omnibus, quibus est pater deus et mater ecclesia, tam te non impedit quam neque me neque omnes fratres nostros, qui eam non privata sicut tu in domo vestra sed 112 publica in domo dei caritate diligimus.

Augustinus nimmt mit der Bestimmung der Generationenbeziehung zwischen Sohn und Mutter als carnalis necessitudo einen wichtigen Gedanken aus De vera religione und De sermone domini in monte wieder auf. Die Geburt durch die Mutter wird mit einer Geburt durch die Kirche parallelisiert: quod ergo tu illi etiam carnali necessitudine adnecteris, ad sortem valere debet familiarius conloquendi et apertiore ianua consulendi, ut hoc ipsum, quo te privatim diligit, interficiatur in ea, ne, quod ex utero suo te genuit, pluris pendat, quam quod ex utero ecclesiae genita est 113 tecum.

Um die neue metaphorische Verwandtschaft zu erlangen, ist die Überwindung der leiblichen nötig: «qui amat», inquit, «animam suam, perdet eam» (Io 12,25). dicam etiam fidenter: qui amat parentes suos, perdet eos. (…) ita de parentibus rectissime dicitur, ut, qui eos amat, perdat eos non more parricidarum interficiens, sed spiritali gladio verbi dei carnalem affectum eorum, quo et se ipsos et eos, quos genuerunt, implicamentis huius saeculi obligare conantur, pie fidenterque percutiens et occidens illud in eis vivere faciat, quo fratres sunt, quo cum filiis 114 suis temporalibus parentes aeternos deum ecclesiamque cognoscunt. 112 Ep. 243,4: „Denn dadurch, dass sie eine Schwester ist für alle, für die Gott Vater und die Kirche Mutter ist, hindert sie dich genauso wenig, wie sie mich oder alle unsere Brüder hindert, die sie nicht in privater Liebe, wie du in eurem Haus, sondern in allgemeiner Liebe im Haus Gottes lieben.“ 113 Ep. 243,4: „Der Umstand nun, dass du mit ihr auch durch ein leibliches Verhältnis verbunden bist, sollte zu der Möglichkeit beitragen, mit ihr vertrauter zu reden und mit einem offeneren Zugang darum Sorge zu tragen, dass eben dieses, wodurch sie dich im Privaten liebt, in ihr getötet werde, damit sie nicht die Tatsache, dass sie dich aus ihrem Leib geboren hat, für bedeutender halte als die, dass sie mit dir aus dem Leib der Kirche geboren ist.“ Dieser Gedanke wird im Folgenden vom Bezug auf die Mutter abstrahiert und verallgemeinert: quod autem de matre dixi, hoc et de tali cetera propinquitate intellegendum est. hoc etiam quisque de anima sua cogitet, ut etiam in ipsa privatum affectum oderit, qui procul dubio temporalis est, diligat autem in ea communionem societatemque illam, qua dictum est: «erat illis in deum anima et cor unum» (Act. 4,32). sic enim anima tua non est propria sed omnium fratrum, quorum etiam animae tuae sunt. 114 Ep. 243,5: „Wer seine Seele liebt, sagt er, wird sie verlieren. Ich will mit Zuversicht behaupten: Wer seine Eltern liebt, wird sie verlieren. (…) In dieser Weise redet man auch ganz treffend über die Eltern, so dass derjenige, der sie liebt, sie verliert, nicht indem er sie nach Art der Vatermörder umbringt, sondern indem er mit dem geistigen Schwert des Wortes Gottes ihre leibliche Zuneigung, durch die sie sich selbst und jene, die sie gezeugt haben, in den Verwicklungen dieser Welt verbinden wollen, in Frömmigkeit und Glauben durchschneidet und tötet. So bringt er in ihnen jenes zum Leben, wodurch sie Geschwister sind und wodurch

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Bei Augustinus kennt Kindschaft unterschiedliche Auffassungen. 115 Neben die natürliche Abstammung treten metaphorische Konzepte. Zuerst steht die Abstammung im eigentlichen genealogischen Sinne secundum naturam, wobei diese sowohl die direkten Nachkommen umfassen kann als auch die Abkömmlinge eines Geschlechts oder einer Nation. 116 Große Bedeutung im frühen Christentum und auch bei Augustinus erhält die Vorstellung einer geistigen Vaterschaft von Bischöfen gegenüber den Gläubigen in der Nachfolge des Apostel Paulus. 117 Häufig findet sich die Auffassung von einer Abstammung von den Vätern des Alten Testaments, die von den Christen nicht mehr im Sinne einer genealogischen Reihung als Stammväter der Volksgemeinschaft aufgefasst, sondern nun als spirituelle Väter der Gemeinschaft der Gläubigen angesehen werden. 118 In der der Glaubensbegründung dienenden antimanichäischen Schrift Contra Adimantum (verfasst ca. 394) 119 unterscheidet Augustinus mit Bezug auf Gal 3,7–29 zwischen diesen drei Formen der Sohnschaft: secundum naturam, secundum doctrinam, secundum imitationem. 120 Solche hier systematisch zusammengefassten Vorstellungen, die eine genealogische Semantik auch auf geistige Beziehungen übertragen, finden in Augustinus’ Schriften eine durchaus häufige Anwendung. Für die relevanten Schriften aus den Jahren 394–402 zieht Émilien Lamirande die Schlussfolgerung: «Augustin n’a pas de scrupule à donner le titre de Père à tous ceux qui coopèrent directement 121 à l’œuvre du salut.»

Hier wird Vaterschaft also zu einem Konzept, das es erlaubt, zwischenmenschliche Beziehungen in Hinblick auf das Heilsgeschehen aufzufassen. So wendet Au-

115 116 117 118 119 120

121

sie mit ihren zeitlichen Kindern ihre Eltern der Ewigkeit, Gott und die Kirche, erkennen.“ Zum weiteren Gedankengang des Briefs vgl. Bruning 2004, 389–392. Vgl. Fuhrer / Drecoll 2004. Vgl. Fuhrer / Drecoll 2004, 11. Vgl. Lamirande 1965 passim; Schindler 1978, 71–72. Vgl. als weitere Textstelle ep. 196,11: ut sit unusquisque christianus sicut non carnalis sed spiritalis Abrahae filius. Vgl. Schindler 1978, 71; Fuhrer / Drecoll 2004, 15. Vgl. Fuhrer 2004a, 58 zur Einordnung in die eine systematische Werkübersicht; zur Datierung vgl. Lamirande 1965, 168–169. C. Adim. 5: tribus enim modis in scripturis sanctis filiorum nomen accipitur: uno secundum naturam, quomodo Isaac filius Abrahae vel etiam ceteri Iudaei, qui ex eadem origine veniunt; alio secundum doctrinam, ut filius eius in ea re quisque appelletur, a quo aliquid didicit, sicut filios suos appellat apostolus, qui ab illo didicerunt evangelium; tertio secundum imitationem, sicut filios Abrahae nos vocat apostolus, quod eius fidem imitamur. Vgl. Contra Faustum (397–400), Contra litteras Petiliani (401–405); dazu Lamirande 1965, 169–171. Vgl. auch den Sermo Guelferb. von 411, in dem von einem Bischof gesprochen wird, der auf leibliche Kinder zugunsten spiritueller Kinder verzichtet hat (Lamirande 1965, 172–173). In Contra Iulianum (412) lobt Augustin Ambrosius als spirituellen Vater: sed adhuc audi alium excellentem dei dispensatorem, quem veneror ut patrem: in Christo enim Iesu per evangelium ipse me genuit, et eo Christi ministro lavacrum regenerationis accepi (1,3,10). 1965, 171.

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gustinus auch die Vorstellung der Kindschaft secundum doctrinam häufig an, wenn er etwa von filii ecclesiae oder filii evangelii spricht. 122 Gläubige als adoptierte Kinder Gottes: Mit der in seiner frühen Schrift gegebenen Definition von filius hat Augustinus aber noch nicht den gesamten Anwendungsbereich des Begriffes abgedeckt, auf den sich dieser in der Bibel und auch bei Augustin selbst in seinem späteren Werk erstreckt. Als wichtiges Element der Theologie geistiger Generationenbeziehungen fügt sich die Vorstellung vom Menschen als filius adoptivus an. 123 Eine zentrale Stellung nimmt bei Augustinus der christologische Gebrauch des Bildfeldes der Generationenbeziehungen mit seiner Auffassung von Christus als Menschensohn (filius hominis) und als Sohn Gottes (filius dei) ein, wodurch die beiden Naturen des Inkarnierten verdeutlicht werden sollen. 124 Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll dieser komplexe Zusammenhang nur so weit interessieren, wie auch die Stellung des Menschen zu Gott von der Eigenschaft Christi als Sohn betroffen ist. Von großer Bedeutung ist bei Augustinus die Auffassung von den Gläubigen als adoptierte filii dei. 125 Durch Christus, der den Menschen eine Teilhabe an der göttlichen Weisheit ermöglicht, haben auch diese die Möglichkeit, zu filii dei zu werden. 126 Eine einschlägige Passage findet sich in der exegetischen Schrift Expositio Epistulae ad Galatas in Zusammenhang mit der zentralen Stelle zur Gottessohnschaft der Menschen: per fidem induendo Christum omnes fiunt filii non natura, sicut unicus filius, qui etiam sa127 pientia dei est, (…) sed filii fiunt participatione sapientiae.

Die Menschen werden vermittels Christus zu Söhnen Gottes. Christus ist die sapientia dei, an der die Gläubigen teilhaben. Diese sind im Unterschied zu Christus aber lediglich Adoptivsöhne, wie die exegetische Schrift In Iohannis Evangelium tractatus deutlich macht. 128 Im Gegensatz zu Christus, der durch seine Natur Sohn Gottes ist, sind die Menschen durch die gratia Gottes seine Söhne. 129 Das 122 Die zahlreichen Textbelege v.a. in den Briefen sind gesammelt bei Fuhrer / Drecoll 2004, 15– 16. 123 So nimmt der Kirchenvater in seinen Retractationes folgenden Nachtrag vor: item quod dixi: «tribus modis in scripturis sanctis filiorum nomen accipitur», minus considerate dictum est. et alios enim quosdam modos sine dubio praetermisimus; sicut dicitur filius gehennae vel filius adoptivus, quae utique nec secundum naturam nec secundum doctrinam nec secundum imitationem dicuntur. (retr. 1,22,3 zu Expositio quarundam propositionum ex epistula apostoli ad Romanos). 124 Vgl. Fuhrer / Drecoll 2004, 13–14. 125 Vgl. Fuhrer / Drecoll 2004, 14–15. 126 Vgl. Fuhrer / Drecoll 2004, 14. 127 Exp. Gal. 27: „Indem sie sich durch den Glauben Christus anziehen, werden alle zu Söhnen nicht von Natur, so wie der eingeborene Sohn, der auch die Weisheit Gottes ist, (…) sondern Söhne werden sie durch die Teilhabe an der Weisheit.“ 128 Io. ev. tr. 7,4: oportebat ergo ut ille baptizaret qui est filius dei unicus, non adoptatus. adoptati filii, ministri sunt unici: unicus habet potestatem, adoptati ministerium. 129 S. 177,2: huius familia facti sumus, in huius familia adoptati sumus; huius filii non nostris meritis, sed ipsius gratia sumus.

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Zustandekommen dieser Vater-Sohn-Beziehung zwischen Gott und dem Gläubigen bewirkt der Heilige Geist, der so zum spiritus adoptionis et gratiae (qu. 2,55) wird. 130 Alter Mensch – Neuer Mensch: Die Metaphorik der Vater-Kind-Beziehung verbindet sich mit der des Neuen Menschen. Dieser durch die Taufe gestiftete Neuanfang findet seinen Ausdruck in der Vorstellung der Taufe als einer Geburt nach einer Schwangerschaft. 131 Mit der Taufe ist das der paulinischen Theologie entstammende Bild vom Alten und Neuen Menschen verbunden. 132 Bei Paulus findet sich die wiederholte Aufforderung zur Ablegung des Alten Menschen und zur geistigen Erneuerung. Diese Forderung findet ihre Erfüllung auf zwei unterschiedliche Weisen: 1. durch die eben angeführte Wiedergeburt in der Taufe sowie 2. durch ein daran anschließendes Leben in der Nachfolge Christi. 133 Ein augustinischer Textpassus, in dem dieser Gedanke zum Tragen kommt, findet sich in De vera religione 48–50 (entstanden ca. 390). 134 Das Leben des durch Sünde sterblich gewordenen Menschen stellt sich folgendermaßen dar: Das sich in Lebensaltern offenbarende Leben (130–131) ist das Leben gemäß dem Leib, das des Alten, äußerlichen und irdischen Menschen. 135 Dem Alten Men-

130 Vgl. Fuhrer / Drecoll 2004, 15. Weitere Textstellen: ep. 140,10 (das Kommen des Sohnes ermöglicht den Menschen, durch die Gnade Gottes Söhne zu werden); en. Ps. 88; s. 1,7 (ille unicus, nos multi; ille unus, nos in illo unum; ille natus, nos adoptati; ille ab aeterno filius genitus per naturam, nos a tempore facti per gratiam); Io. ev. tr. 75,1 (der Sohn Gottes macht die Menschen zu Adoptivsöhnen; Gott ist Vater per gratiam für die Menschen, Vater per naturam für Christus); civ. 12,23 (über Gott: praevidebat etiam gratia sua populum piorum in adoptionem vocandum); c. Faust. 3,3 (Thematik: das ‚Schon‘ der geschehenen Aufnahme in die Gotteskindschaft, ihre Bedeutung für die gegenwärtige Existenz des Christen, das NochAusstehen ihrer Vollendung. Als Empfänger der Erstlingsgaben des Geistes sind Menschen Söhne; als filii saeculi sind sie noch nicht völlig erneuert. Behandelt wird das Fortschreiten der Erneuerung und die völlige Verwandlung). Zu weiteren Textbelegen vgl. Delling 1981, 1181–1183. 131 Vgl. Speyer 1976, 1214. Grossi 1986–1994, 587 sieht in der „Darstellung der Taufe als einer Geburt nach einer Schwangerschaft“ deren „anschaulichste Schilderung“. Ein zentraler Referenztext bei Augustinus für diese Zusammenhänge ist eine Stelle in der 396–398 entstandenen Schrift Ad Simplicianum: incipit autem homo percipere gratiam, ex quo incipit deo credere (…) fiunt ergo inchoationes fidei quaedam conceptionibus similes. non tamen solum concipi sed etiam nasci opus est, ut ad vitam perveniatur aeternam (Simpl. 1,2,2). 132 Die einschlägigen Stellen finden sich in Eph 4,22–24 sowie Col 3. Vgl. ferner Io 3,3–8. 133 Vgl. Gnilka 1972, 244. 134 Vgl. zu der zentralen Textstelle in vera rel. Grundlegend Drecoll 1999, 122–132; 143. Drecoll weist insbesondere auf, dass die Erlösung des Individuums mit der des gesamten genus humanum parallelisiert wird, indem beide Vorgänge als eine Abfolge von Lebensaltersstufen aufgefasst werden. Zur Vorstellung einer Erneuerung der menschlichen Existenz in Christus bei Augustinus vgl. Häussler 1964, 335–337 mit Verweis auf weitere Textstellen im Werk Augustins. Zur Unterscheidung körperlicher und geistiger Lebensalter bei Augustinus vgl. ferner Kötting / Geerlings 1986–1994. 135 Vera rel. 48,132: haec est vita hominis viventis ex corpore et cupiditatibus rerum temporalium colligati. hic dicitur vetus homo et exterior et terrenus.

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schen wird der Mensch gegenübergestellt, der innerlich wiedergeboren wird. 136 Es wird eine Entwicklung festgestellt: Nach der inneren Wiedergeburt wird der Alte Mensch infolge der Hinwendung zu den himmlischen Gesetzen durch die spirituelle Kraft getötet. Die Erlösung des Menschen vollzieht sich als eine Erneuerung, deren Ergebnis ein Neuer, innerer, himmlischer Mensch ist. 137 Die fortschreitenden äußeren Alterstufen werden inneren entgegengestellt. Im diesseitigen Leben jedoch wird der Alte Mensch noch nicht vollends überwunden. Es kommt zu einem Nebeneinander von Altem und Neuem Menschen. 138 Der Alte Mensch, der auf Irdisches, und der Neue Mensch, der auf Himmlisches gerichtet ist, bestehen im diesseitigen Leben nebeneinander. Die körperlichen Lebensalter gelten als Kennzeichen des leiblichen, todgeweihten Menschen. Dieser Parallelismus von Altem und Neuem Menschen liegt auch den Confessiones als Deutungsmuster für die Lebensbetrachtung zugrunde. 139 familia dei: Die Verwandtschaftsmetaphorik beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Beziehung Gott–Individuum. Durch eine Ausdehnung der Metaphorik auf den Bereich der Familie werden auch zwischenmenschliche Zusammenhänge erfasst. Unter der Vorstellung einer familia dei / Christi oder sancta familia fasst Augustinus die Gemeinschaft der Gläubigen. Diese Gemeinschaft besteht in der ecclesia als domus dei und untersteht dem göttlichen pater familias und dominus. 140 Die Zugehörigkeit des Gläubigen zu dieser Familie soll durch seine Lebensweise erlangt werden. 141 Einschlägig sind auch die Stellen, an denen Augustinus in De civitate dei die familia domini Christi mit der peregrina civitas regis Christi gleichsetzt (civ. 1,35). 142 In einem Vergleich illustriert er den Gegensatz zwischen paganer und christlicher Reichsvorstellung mit der Unterscheidung zweier familiae. 143 Diese Vorstellung einer spirituellen Familie tritt in Konflikt zur irdischen Familie, ebenso wie die spirituelle Kindschaft zu den genealogischen Einbindungen. Deshalb wird die irdische Familie in ihrer Bedeutung von Augustinus relati136 Vera rel. 49,133: nonnulli autem vitam istam necessario ab illo incipiunt, sed renascuntur interius et ceteras eius partes suo robore spiritali et incrementis sapientiae corrumpunt et necant et in caelestes leges, donec post visibilem mortem totum instauretur, adstringunt. 137 Vera rel. 49,134: iste dicitur novus homo et interior et caelestis. 138 Vera rel. 50,136: sicut autem isti ambo nullo dubitante ita sunt, ut unum eorum, id est veterem atque terrenum possit in hac tota vita unus homo agere, novum vero et caelestem nemo in hac vita possit nisi cum vetere, nam et ab ipso incipiat necesse est et usque ad visibilem mortem cum illo quamvis eo deficiente se proficiente perduret. 139 Besonders deutlich in der Adeodatus-Episode im 9. Buch (S. 205–212). Auch im exegetischen Teil der Confessiones ist dieses Konzept von großer Bedeutung im Zusammenhang mit der Gottebenbildlichkeit des Menschen (13,22,32–13,33,34). 140 Vgl. Fuhrer 2002, 1238–1239. 141 S. Casin. 2,114,4: sic vive, tamquam factus filius de familia tanti patris familias, quasi super quem invocatur nomen dei. 142 Vgl. auch civ. 2,18. 143 Vgl. civ. 4,3: ut ergo in his duobus hominibus, ita in duabus familiis, ita in duobus populis, ita in duobus regnis regula sequitur aequitatis, qua vigilanter adhibita si nostra intentio corrigatur, facillime videbimus ubi habitet vanitas et ubi felicitas.

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viert. 144 Deshalb kann nicht die irdische familia mit ihrem Vorsteher als glücklich gelten, sondern allein der Angehörige der familia Christi. 145 Eng mit der Familie hängen die Vorstellung vom ‚Haus‘ sowie dessen metaphorische Bedeutung zusammen. Auch dieses Bildfeld kommt in den Confessiones zum Tragen. Die Heilige Familie: Äußerst schwierig zu beurteilen ist die Frage, welche Entwicklung das auf den Evangelien beruhende Bild der Heiligen Familie zur Zeit Augustins bereits genommen hat und wie weit es schon auf theologische, künstlerische oder literarische Vorstellungen über die Familie wirken konnte. Eine in der Literaturwissenschaft viel beachtete Auseinandersetzung mit diesem Thema hat der Germanist Albrecht Koschorke in seinem Buch „Die Heilige Familie und ihre Folgen“ 146 geleistet, in dem er der Heiligen Familie weitreichenden Einfluss auf Familienbilder bis heute beimessen will. Von ihm aufgewiesene Punkte, in denen er eine Nachwirkung der Heiligen Familie auf Familienbilder in Literatur und Gesellschaft späterer Epochen sieht, sind die Verdichtung auf die kleinstmögliche familiale Einheit von Vater, Mutter und einzigem Sohn, die Abwesenheit von Sexualität, die problematische Vaterschaft, die Erzeugerrolle Gottes und die Vertreterrolle Josephs. 147 Wenngleich Maria als ein wichtiges biblisches Modell für die Figur der Monnica in den Confessiones gelten kann, ist Vorsicht vor zu weitreichenden Deutungen geboten. Die Mutterrolle Marias, die ihren Sohn durch den Heiligen Geist empfängt und durch deren Mutterschaft sich die Menschwerdung Gottes vollzieht, ist nicht auf die zwischenmenschliche Beziehung zwischen Monnica und Augustinus zu übertragen. Ferner gilt es zu bedenken, dass die in der historischen Entwicklung sich abzeichnende „Maternalisierung“ und „Emotionalisierung“ Marias in Hinblick auf Jesus Christus, wie sie insbesondere in der mittelalterlichen Literatur und Kunst 148 deutlich wird, erst als spätere Entwicklungen anzusehen sind und sich bei Augustinus noch nicht feststellen lassen. 149 Eine Verengung auf die Heilige Familie als Modell für die Figurenkonstellation der Confessiones würde darüber hinaus zahlreiche andere wichtige Bezüge zu Referenztexten sowie Funktionen der Figur Monnica in den Hintergrund treten lassen. 144 Ep. 130,30: licet habeas filios et nepotes numerosamque familiam (…); incerta sunt enim omnia temporalia etiam usque in finem vitae huius in nostram consolationem mansura. Ferner en. Ps. 86,9: «beati» ergo «qui habitant in domo tua» (Ps 83,5). unde beati? habendo aurum, habendo argentum, numerosam familiam, multiplicem prolem? Vgl. Fuhrer 2002, 1237. Hier auch Verweise auf weitere Stellen, die den Wert der Familie beschränken. 145 S. 113,6: beatus cuius est illa domus, beatus cuius est ille fundus, beatus cuius est illud pecus, beatus cuius est ille servus, beatus cuius est illa familia. 146 32001. 147 Vgl. 32001, 97. 148 Als Archetyp des Weiblichen und Mütterlichen begegnet Maria noch nicht in der Bibel, sondern erst in der späteren Marienfrömmigkeit. Vgl. Schreiner 2003, 27, ferner 38–48 zur zunehmenden Emotionalisierung des Marienkults. Zum Niederschlag in der mittelalterlichen Literatur vgl. Bennewitz 2004, 52–55; Schulze 2007 speziell zum Geistlichen Spiel im Spätmittelalter. Hinsichtlich der Kunstgeschichte vgl. Koschorke 32001, 43–50 zu Stabat-mater- und Pietà-Darstellungen in der Kunst des Mittelalters und der Renaissance. 149 Vgl. Seelbach 2002, 75–76.

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δ) Mater ecclesia In der christlichen Tradition: Das Bild von der Kirche als Mutter kennt die Bibel noch nicht. 150 Es lehnt sich jedoch an die Vorstellung von der Kirche als „Braut Christi“ an, die in Eph 5,22–32 entwickelt wird. Hier wird das Verhältnis von Christus zur Kirche mit dem von Mann und Frau gleichgesetzt. 151 In der Exegese dieser Textstelle wird es zum allgemeinen Gedankengut der Kirchenväter, die Kirche als „Braut ohne Flecken“, „Braut ohne Falten“ oder andere Fehler, die heilig und makellos ist, zu sehen. 152 Von der Vorstellung von einer Braut und Gattin wird übergeleitet zu der von der Mutter. 153 Hierbei werden die Gläubigen zu Objekten kirchlicher Führung und Heilssorge. 154 Die Vorstellung der Kirche als Braut Christi und als Mutter hat nach Einschätzung des Kirchenhistorikers Ernst Dassmann großen Einfluss auf das spätantike Christentum ausgeübt. 155 Als Ursprungsort und -zeit des Verständnisses der Kirche als Mutter dürfen Nordafrika und das 3. Jahrhundert gelten. Der Kirchenvater Tertullian spricht von der Kirche als domina mater ecclesia 156 und verwendet das Bild in unterschiedlichen Schriften. In Korrelation zur Mutter als Kirche steht Gott als Vater. 157 Cyprian verwendet das Bild ebenfalls und formuliert prägnant: habere iam non potest deum patrem qui ecclesiam non habet matrem. 158 Die in Afrika entwickelte Metapher der Kirche als Mutter nimmt auch Ambrosius auf. 159 Weite Verbreitung findet im frühen Christentum das Bild von der Kirche als Mutter in Liturgie 160 und Ikonographie. 161 Augustinus: Auch bei Augustinus finden sich Stellen, an denen die Kirche als sponsa Christi 162 aufgefasst wird. Insofern sie Braut Christi ist, wird sie auch Mutter: parit enim ecclesia filios coniux Christi.163 Die Bezeichnung der Kirche als mater begegnet vor allem in Augustins Predigten sehr häufig. Gerade in diesen 150 Vgl. Lutterbach 2003, 64; Dassmann 2004, 981. Vgl. auch Lamirande 1996–2002, 703, der den Titel der ecclesia mater auf das 2. Jahrhundert zurückgehen lässt. 151 Eine weitere Referenzstelle bildet Gal 4,21–31. Vgl. Lutterbach 2003, 64. 152 Vgl. Dassmann 2004, 978. 153 Vgl. Gaudemet 1969, 348; Schindler 1978, 69; Koschorke 32001, 131; Dassmann 2004, 979. 154 Vgl. Dassmann 2004, 979. Bei dieser Vorstellung ist die Kirche nicht die Gemeinschaft der Gläubigen, sondern wird von ihnen getrennt und ihnen übergeordnet. 155 Dassmann 2004, 979–980: „Diese selten sauber getrennte Doppelfunktion der K[irche] als ungeteilt jungfräulich auf Christus ausgerichtete Gemeinschaft der Heiligen u. zugleich mit göttlicher Autorität ihre Kinder führende Mutter hat die frühchristl. K[irchen]bilder bei räumlichen u. zeitlichen Unterschieden mit erheblichen spirituellen u. rechtlich-disziplinären Konsequenzen stark geprägt.“ 156 Tert. mart. 1,1. 157 Vgl. Lutterbach 2003, 65–66; Dassmann 2004, 985. 158 Unit. eccl. 6. Vgl. Schindler 1978, 69; Dassmann 2004, 985. 159 Vgl. Dassmann 2004, 987. Ambrosius verknüpft die Vorstellung der Kirche als Mutter mit der von der Kirche als Stadt Jerusalem. Vgl. in Lc. 2,88; hierzu Dassmann 2004, 996. 160 Vgl. Dassmann 2004, 988–989. 161 Vgl. Dassmann 2004, 1016–1018. 162 Vgl. Lamirande 1996–2002, 700–701. 163 En. Ps. 126,8. Vgl. Lamirande 1996–2002, 703. Ein weiteres Beispiel findet sich in s. 213,8.

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an eine Gemeinde gerichteten Texten dient das Bild der Kirche als Mutter dem Adressatenbezug. Es wird ein Konzept von Kirche entworfen, in dem sich das Verhältnis des einzelnen Gläubigen zur Kirche besonders anschaulich verdeutlicht. Die Kirche als mater christianorum verissima 164 ist Mutter der Gläubigen, insofern diese eine societas sanctorum bilden. 165 Diese Vorstellung einer spirituellen Mutterschaft wird in Hinblick auf die Gläubigen ausgeführt. So unterscheidet er eine leibliche Geburt von einer spirituellen durch die Kirche. Eine zentrale Stelle hierzu findet sich in der Auslegung des Johannesevangeliums. 166 Augustinus bezeichnet die Mutterschaft der Kirche, wie in den Confessiones, wiederholt als „spirituell“ (de spiritu). Hierbei wird göttliches Zeugen als ein spirituelles Zeugen bezeichnet. 167 Die mütterlichen Funktionen der Kirche begegnen in verschiedenen Stufen von Mutterschaft. 168 Die Konzeption von Empfängnis und Geburt bezieht sich auf die der Taufe vorangehenden Riten. So liest man in enchir. 10,34: ecclesia quae imitans eius (sc. Christi) matrem cotidie parit membra eius. 169 In Augustins Vorstellungen von der spirituellen Mutter Kirche werden auch mögliche Konflikte mit der leiblichen Familie bedacht. Die als filii 170 bezeichneten Kinder der Kirche sind der Mutter Kirche mehr Liebe schuldig als der natürlichen Mutter. 171 Das familiale Netz wird von der Mutter-Kind-Beziehung auch auf weitere Familienmitglieder ausgedehnt. In einer seiner Predigten fasst Augustinus diesen Zusammenhang in wenigen, prägnanten Worten. Gegenüber Gott als Vater und der Kirche als Mutter sind die Menschen untereinander Geschwister: deus

164 Mor. 1,62. 165 Vgl. Lamirande 1996–2002, 704. 166 Io. ev. tr. 11,6: cum ergo sint duae nativitates (…): una est de terra, alia de caelo; una est de carne, alia de spiritu; una est de mortalitate, alia de aeternitate; una est de masculo et femina, alia de deo et ecclesia. 167 Vgl. ep. 34,3; virg. 7; Io. ev. tr. 11,14; 12,2. Vgl. hierzu Lamirande 1996–2002, 704. Es besteht also eine Inkohärenz zwischen den Themen der ecclesia sponsa und der ecclesia mater. Christus ist zwar Bräutigam, Vater jedoch der Gott-Vater. Hierbei weicht Augustin nicht von der Vorstellung ab, die jedes Konzept von Vaterschaft der 1. Person der Trinität zukommen lässt. 168 Vgl. Lamirande 1996–2002, 704–705. 169 In Nachahmung Marias, die den Leib Christi geboren hat, in dem wiederum die Kirche gesehen wird. Vgl. Dassmann 2004, 983; Lamirande 1996–2002, 704–705. Weitere Textstellen: s. 56,5; s. Mai 94,1; s. Etaix 1; en. Ps. 57,5; s. 216,7–8; ep. 23,4; Io. ev. tr. 11,10; bapt. 1,23; c. Iul. 6,17. Aber auch das Lebensalter des Neugeborenen wird in das Konzept einer Mutterschaft der Kirche aufgenommen: Die Neugeborenen säugen sich an den Brüsten der Mutter Kirche, die die beiden Testamente bedeuten, um sich vom lac infantiae zu ernähren, wobei sie sich darauf vorbereiten, eine substanziellere Nahrung aufzunehmen. Vgl. virg. 37; Io. ev. tr. 35,3; an. quant. 76; ferner Io. ev. tr. 39,2; ep. 151,11; s. Cresc. 4,67. Vgl. Lamirande 1996–2002, 704–705. In an. quant. 33,76 wird der Anfänger im Glauben von der Mutter Kirche mit Milch gestillt, die der ältere, weise Christ nicht mehr benötigt. 170 Vgl. s. Mai 26,1; en. Ps. 98,1; 120,8; 143,18; cath. fr. 18–19; s. Caes. eccl. 8; qu. Mt. 11,6; c. Iul. imp. 4,112; ep. 185,51; 186,31; en. Ps. 103,1,11. Vgl. Lamirande 1996–2002, 705. 171 Vgl. s. 344,2; ep. 243,8. Vgl. Lamirande 1996–2002, 705.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

pater, ecclesia mater: ergo nos fratres. 172 In seinen Enarrationes in Psalmos mahnt Augustinus dazu, Gott zu lieben wie den Vater, die Kirche wie die Mutter: tenete omnes unanimiter deum patrem, et matrem ecclesiam. 173

172 s. 56,14. 173 en. Ps. 88,2,14. Vgl. ferner c. Faust. 112,8. Vgl. Dassmann 2004, 987–988; Shaw 1987, 1540. In dieser Metaphorik werden Häretiker als perditi filii der Kirche aufgefasst. Vgl. Fuhrer / Drecoll 2004, 16 mit Verweis auf ep. 185,23. Das Vater-Sohn-Verhältnis in der Trinitätslehre, zu deren Entwicklung Augustinus einen bedeutenden Beitrag geleistet hat, lässt kaum eine Metaphorisierung von Verhaltensmustern in den menschlichen Vater-Sohn-Beziehungen erkennen. Die Analogien, derer sich die Trinitätslehre bedient, sind von zwischenmenschlichen Dimensionen gelöst, da sonst das Bild von drei Einzelpersonen entstehen könnte und die Einheit der drei trinitarischen Personen gefährdet wäre. Vgl. Schindler 1978, 62–63.

2. Leibliche und geistige Elternschaft in der Kindheit (Buch 1)

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2. LEIBLICHE UND GEISTIGE ELTERNSCHAFT IN DER KINDHEIT (BUCH 1) a) infantia Die Thematik der Generationenbeziehungen umfasst den gesamten autobiographischen Teil der Confessiones und kommt bereits mit dem Beginn der Lebenserzählung, die mit der Geburt ansetzt, zum Tragen. Für die ersten beiden Bücher stellt die Darstellung nach Lebensaltern ein Gliederungsprinzip dar, das in den späteren Büchern jedoch zurücktritt. Dieses Schema bestimmt auch den Aufbau des 1. Buches, wodurch sich folgende Strukturierung ergibt: 1,1,1–1,5,6: 1,6,7–1,7,12: 1,8,13–1,19,31:

Proömium infantia pueritia

Es gilt zu bedenken, dass die Darstellung der Lebensalter vor dem Hintergrund der mit dem Werk verfolgten protreptischen Intention zu betrachten ist. 1 Durch die Darstellung von Lebenserinnerung, in der dem Leser aus seiner eigenen Erfahrung bekannte Situationen wiedergegeben werden, soll eine Identifikation mit dem Erzähler und Protagonisten erreicht und somit der ‚Sitz im Leben‘ des Stoffes auf eine eingängige Weise vermittelt werden. Hierbei kommt auch den Lebensaltersstufen der infantia und pueritia große Bedeutung zu, da mit ihnen verallgemeinerbare Lebenserfahrungen und weitläufig bekannte Beobachtungen verbunden werden. Eine solche Wahrnehmung, die viele Menschen miteinander teilen, findet ihren Niederschlag in der Literatur. Das ‚Wiegenargument‘, die Vorstellung, der Mensch zeige gerade in der ersten Lebensphase die Charakteristika seiner Natur besonders deutlich, kann als ein Topos philosophischen Argumentierens gelten. 2 In Ciceros philosophischem Dialog De finibus bonorum et malorum stellt der Peripatetiker Pupius Piso, einer der Dialogteilnehmer, mit Blick auf die Philosophiegeschichte fest: omnes veteres philosophi, maxime nostri, ad incunabula accedunt, quod in pueritia facillime 3 se arbitrantur naturae voluntatem posse cognoscere.

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S. Kap II.1.a.ε. Vgl. O’Donnell 1992, II, 8; 36–37; Clark 1995, 93. Einen Überblick zum ‘cradle argument’ in der hellenistischen Philosophie bietet Brunschwig 1986. fin. 5,20,55: „Alle alten Philosophen, ganz besonders die unseren, treten an die Wiegen heran, weil sie glauben, in der Kindheit am leichtesten den Willen der Natur erkennen zu können.“ Auf Ciceros Schrift De finibus bonorum et malorum bezieht sich Augustinus in seinem Werk insgesamt 22-mal. Vgl. Hagendahl 1967, 76-79 zu den Belegstellen. Dass er sich eingehend mit diesem Argument der hellenistischen Philosophie beschäftigt hat, zeigt das Referat zu den unterschiedlichen philosophischen Auffassungen zum höchsten Gut und größten Übel aus Varros De philosophia in civ. 19,1. Die Philosophenschulen hätten vier Eigenschaften bestimmt (voluptas, quies, voluptas und quies zusammen, prima naturae), die der Mensch ohne

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

Bereits der epikureische Dialogteilnehmer L. Manlius Torquatus führt diesen Beweis an, wobei er unter Berufung auf kindliches Verhalten die Lust als einzigen wahren und absoluten Wert erkennen möchte. 4 Dieselbe Methode wendet Cicero auch in der Vorrede zum 3. Buch der Tusculanae Disputationes an: simul atque editi in lucem et suscepti sumus, in omni continuo pravitate et in summa opinionum perversitate versamur, ut paene cum lacte nutricis errorem suxisse videamur. cum vero parentibus redditi, dein magistris traditi sumus, tum ita variis imbuimur erroribus, ut 5 vanitati veritas et opinioni confirmatae natura ipsa cedat.

Es wird deutlich, dass die verschiedenen Schulen ihre philosophische Anthropologie am Säugling bestätigt sehen wollen. Dies gilt nicht weniger für die vorliegende Textstelle in den Confessiones des Augustinus. Bei der Darstellung seines Säuglingsalters zeigt Augustinus, wie die Gnade Gottes am Menschen schon unmittelbar nach der Geburt wirkt. Nach eingestandenen Unsicherheiten über eine pränatale Existenz stellt Augustinus das Wirken der göttlichen Gnade als die erste, durch das Zeugnis der Eltern gesicherte Erkenntnis über die eigene Existenz dar: quid enim est quod volo dicere, domine, nisi quia nescio, unde venerim huc, in istam dico vitam mortalem an mortem vitalem? nescio. et susceperunt me consolationes miserationum tu6 arum (…).

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Einwirkung von außen (sine magistro) auf natürliche Weise (velut naturaliter) anstrebe. Die virtus werde später von der Unterweisung (doctrina) hinzugefügt. Vgl. fin. 1,21,71. Der Epikureer wertet das Zeugnis der Kleinkinder als schlagenden Beweis für die Anschauungen des Gründers der Schule: Quapropter si ea quae dixi sole ipso illustriora et clariora sunt, si omnia dixi hausta e fonte naturae, si tota oratio nostra omnem sibi fidem sensibus confirmat, id est incorruptis atque integris testibus, si infantes pueri, mutae etiam bestiae paene loquuntur magistra ac duce natura nihil esse prosperum nisi voluptatem, nihil asperum nisi dolorem, de quibus neque depravate iudicant neque corrupte, nonne ei maximam gratiam habere debemus, qui hac exaudita quasi voce naturae sic eam firme graviterque comprehenderit, ut omnes bene sanos in viam placatae tranquillae quietae beatae vitae deduceret? Im 2. Buch geht der Diskussionspartner Cicero auf dieses Argument der Epikureer ein und lehnt es vehement ab, nicht ohne sich aber auch selbst des Verweises auf das Neugeborene zu bedienen: A primo, ut opinor, animantium ortu petitur origo summi boni. „Simul atque natum animal est, gaudet voluptate et eam appetit ut bonum, aspernatur dolorem ut malum“. De malis autem et bonis ab iis animalibus, quae nondum depravata sint, ait (sc. Epicurus) optime iudicari. Haec tu ita posuisti et verba vestra sunt (fin. 2,10,31). Ferner: Nec vero ut voluptatem expetat natura movet infantem, sed tantum ut se ipse diligat, ut integrum se salvumque velit. Omne enim animal, simul ut ortum est, se ipsum et omnes partes suas diligit (fin. 2,11,33). Vgl. Hossenfelder 1995, 110. Tusc. 3,1,2: „Sobald wir ans Licht hervorgebracht und aufgenommen sind, befinden wir uns sofort in jeder Form von Schlechtigkeit und in der größten Falschheit der Vermutungen, so dass es beinahe scheint, wir hätten mit der Milch der Amme den Irrtum eingesogen. Wenn wir aber den Eltern zurückgegeben und danach den Lehrern übergeben worden sind, werden wir mit verschiedenen Irrtümern benetzt, so dass die Wahrheit dem leeren Schein und die Natur selbst der gefestigten Vermutung weicht.“ 1,6,7: „Was aber will ich sagen, Herr, außer dass ich nicht weiß, woher ich hierher gekommen bin, in dieses, soll ich sagen, tödliche Leben oder in diesen lebendigen Tod? Ich weiß es nicht, aber die Tröstungen deiner Barmherzigkeit haben mich aufgenommen.“

2. Leibliche und geistige Elternschaft in der Kindheit (Buch 1)

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Das Leben, zu dessen Betrachtung er an dieser Stelle ansetzt, wird auf stilistisch kunstvolle Weise mit dem ihm inhärenten Tod verbunden. Die Aufmerksamkeit des Lesers lenkt Augustinus besonders durch die Brillanz seines Ausdrucks auf die Thematik. Die Begriffspaare vita mortalis und mors vitalis bilden sowohl inhaltlich als auch stilistisch eine kunstvolle Antithese. Die Begriffe aus den Wortfamilien um vita und mors begegnen in verschiedenen Wortarten und sind als Antimetabole in Umkehrung chiastisch einander gegenübergestellt. 7 Innerhalb der beiden Paare stehen die Begriffe als Oxymora nebeneinander. 8 Die inhaltliche Aussage, dass Leben und Tod ineinander verwoben sind, drückt Augustinus sprachlich mit Figuren aus, die diesem Inhalt entsprechen. Die Konjunktion et fungiert als eine Einleitung, die den Inhalt des neuen Gedankens gegen das eben geäußerte Unwissen (nescio) absetzt. 9 Was Augustinus im Folgenden äußert, behauptet er mit Sicherheit. Schon hier bietet der Gedankengang aufschlussreiche Anhaltspunkte für die Untersuchung der Generationenbeziehungen in den Confessiones. Bereits am Beginn der autobiographischen Erzählung verwebt Augustinus die Beschreibung des innerweltlichen Vorgangs mit einer metaphorischen Deutung, indem er sich bei den Darstellungen des Wirkens Gottes am Neugeborenen einer im römischen Privatrecht geläufigen Begrifflichkeit bedient. Das Verb suscipere begegnet in der lateinischen Literatur als ein häufig verwendeter Terminus im Umgang mit Neugeborenen, wobei es in seiner am weitesten gefassten Bedeutung zunächst ein „Auffangen von unten, um ein Fallen zu verhindern“ 10 ausdrückt. Die Vorstellung eines Kindes, das unmittelbar nach dem Verlassen des Mutterleibes von einer helfenden Person aufgefangen wird, liegt an unserer Stelle in den Confessiones nahe. In der römischen Literatur begegnet der Begriff suscipere auch als Terminus technicus der Rechtssprache, der auf dem primären Wortsinn aufbauend die symbolische Aufnahme eines Kindes in die Familie durch den physischen Akt des Vaters ausdrückt. In dieser Bedeutung definiert das Oxford Latin Dictionary den Begriff folgendermaßen: “(of a father) To take (a new born child) in his arms and so acknowledge it or accept it into 11 his family, instead of exposing it.”

In dieser Bedeutung ist suscipere synonym zu dem in dem vorliegenden Kontext ebenfalls häufig anzutreffenden tollere. In Rom musste das legitime Kind nach der Geburt durch die Anerkennung des Vaters in den Familienverband aufge-

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Zur Antimetabole als „Verbindung von semantischem Chiasmus und syntaktischem Parallelismus“ vgl. Hambsch 1992, 708. Vergleichbar in der Konstruktion und der Zweckbestimmung ist der bei Augustinus häufig begegnende antithetische Parallelismus, der einer „eindringlichen Verdeutlichung des Gemeinten“ (Döpp 1990, 275) dient. 8 Zur stilistischen Gestaltung dieser Stelle vgl. Clark 1995, 92 und Pizzolato 32001a, 142. 9 Flasch / Mojsisch 2003, 36 übersetzen: „Doch empfingen mich“; Bernhart 1987, 21: „Aber mich trugen“. 10 Vgl. OLD, s.v. suscipio 1., 1888: “To catch from below, save from falling or being lost.” 11 OLD, s.v. suscipio 4., 1888.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

nommen werden. 12 Dieser rituelle Vorgang steht in enger Verbindung mit der römischen Rechtsinstitution der patria potestas, die durch eine solche Aufnahme bestätigt wird. 13 Mit diesem Ritual schließt der Vater die Aussetzung eines behinderten oder eines nachgeborenen weiblichen Kindes aus. 14 Dieser Brauch findet vielfachen Niederschlag in der römischen Literatur. In Terenz’ Andria äußert sich der Jüngling Pamphilus, der gegenüber seinem Vater Simo die Vaterschaft verheimlicht, über das von seiner Geliebten Glycerium erwartete Kind mit den Worten: puerum autem ne resciscat (sc. Simo) mi esse ex illa cautiost; nam pollictus sum suscepturum. 15

Pamphilus hat demnach versprochen, seine Vaterschaft anzuerkennen. Im Zusammenhang mit den Ereignissen unmittelbar nach der Geburt begegnet das Verb suscipere auch zu Beginn des 3. Buches von Ciceros Tusculanae disputationes: simulatque editi in lucem et suscepti sumus (…).

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Ferner bringt Cicero in einem Brief an Atticus seine Traurigkeit zum Ausdruck, indem er mit einer Verwünschung seiner eigenen Geburt schließt: haec ad te die natali meo scripsi; quo utinam susceptus non essem.

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An der untersuchten Stelle in den Confessiones wird diese rituelle Handlung jedoch ersetzt (susceperunt me consolationes miserationum tuarum). Der Neugeborene erfährt die Aufnahme nicht durch einen leiblichen Elternteil, sondern durch göttliches Handeln. Aus einer wörtlichen, leiblichen Elternrolle wird eine metaphorische, spirituelle Vaterrolle Gottes. Dieselbe Übertragung von suscipere findet sich auch in Augustins Auslegung des 45. Psalms. Hier wird das göttliche Wirken ebenfalls vermittels eines elterlichen Rollenbildes ausgedrückt:

12 Vgl. Gaudemet 1969, 321; Rawson 1991b, 12–13. Auch in Griechenland existierte dieses Ritual zur Aufnahme des Kindes durch den Vater. Bei der amphidromia erkannte der Vater das Kind als legitim an und nahm es offiziell in die Familie auf, indem er es um den heimischen Herd trug. Vgl. Krause 2003, 71–72; 75. 13 Max Kaser schreibt in seinem Handbuch zum römischen Privatrecht: „Der Vater pflegt das eheliche Kind nach römischem Brauch durch Aufheben des Neugeborenen (tollere liberos) anzuerkennen. Er bestätigt damit die schon mit der Geburt erworbene Vatersgewalt.“ (Kaser 2 1971, 65). Vgl. Hölkeskamp 2004, 123. 14 Vgl. Capogrossi Colognesi 1990; Krause 2003, 129. 15 Ter. Andr. 400–401: „Es ist Vorsicht geboten: Er darf nicht bemerken, dass sie von mir ein Kind erwartet. Ich habe nämlich versprochen, es anzunehmen.“ 16 Cic. Tusc. 3,1,2. S. 106. 17 Cic. Att. 11,9,3: „Dies habe ich dir an meinem Geburtstag geschrieben; ich wünschte, ich wäre damals nicht angenommen worden.“ Zu dieser Stelle bemerkt in seinem Kommentar Shackleton Bailey 1966, 279: “susceptus lit. ‘taken up (from the ground)’, i.e. acknowledged by the father.”

2. Leibliche und geistige Elternschaft in der Kindheit (Buch 1)

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«susceptor noster deus Iacob». fac te infantem parvulum omnino, quales a parentibus 18 suscipiuntur. qui enim non suscipiuntur, exponuntur; qui suscipiuntur, nutriuntur.

Bereits an dieser frühen Stelle des autobiographischen Rückblicks wird die innerweltliche Elternrolle ersetzt. Hier lässt Augustinus schon die Substituierung leiblicher Generationenverhältnisse durch spirituelle, wie sie im 1. Buch noch mehrmals begegnen wird, deutlich anklingen. Dies ist nicht die einzige Stelle in den Confessiones, bei der bestehende rechtliche Regeln in den Beziehungen zwischen den Generationen zu einem anderen Verständnis der Beziehungen zwischen Menschen oder zwischen Mensch und Gott in Kontrast gesetzt werden. Die consolationes miserationum tuarum erfahren bald darauf eine Konkretisierung in den consolationes lactis humani: exceperunt ergo me consolationes lactis humani, nec mater mea vel nutrices meae sibi ubera 19 implebant, sed tu mihi per eas dabas alimentum infantiae.

Schon der Parallelismus der Wortstellung unterstreicht die enge Verbindung, die Augustinus zwischen den miserationes tuae und dem lac humanum herstellen will. Dem Possessivpronomen tuae ist das Adjektiv humanum, das ebenfalls besitzanzeigende Bedeutung trägt, gegenübergestellt, die miserationes finden ihr Pendant im lac. Das lac humanum wird somit zur Realisierung der miserationes tuae in der Kindheit des Augustinus. 20 Die Mutter wird hierbei zum Instrument eines göttlichen Handelns am Menschen. Die natürlichen Vorgänge im Umgang mit einem Säugling werden als göttliche Einrichtung gedeutet. Am Stillen des Kleinkindes exemplifiziert Augustinus, wie Gott bereits beim ersten Kontakt eines Menschen mit seiner Umwelt an ihm wirkt. Augustinus versucht, Gottes Wirken am Menschen an einem eindrücklichen Beispiel zu verdeutlichen, wobei Augustinus auch humorvolle Elemente zu seinen Zwecken einsetzt. 21 Die Tatsache, dass sich die Mutter oder die Ammen nicht selbst die Brüste gefüllt haben, ist so eindeutig zu bejahen, dass eine gegenteilige Behauptung absurd wäre. Es ist nicht etwa eine auf eigene Initiative beruhende Handlung der Mutter oder der Ammen, sich die Brüste zu füllen (nec sibi ubera implebant), sondern Gott ernährt den Säugling vermittels dieser Frauen (per eas). 18 En. Ps. 45,11: „Derjenige, der uns annimmt, ist der Gott Jakobs. Mach dich gänzlich zu einem kleinen Kind, so wie die, die von den Eltern angenommen werden. Diejenigen nämlich, die nicht angenommen werden, werden ausgesetzt; diejenigen, die angenommen werden, werden ernährt.“ 19 1,6,7: „Es empfingen mich also die Tröstungen der menschlichen Milch, und weder meine Mutter noch meine Ammen füllten sich ihre Brüste, sondern du gabst mir durch sie die Nahrung des Kleinkindalters.“ 20 An einer späteren Stelle der Confessiones benutzt Augustinus das Bild der Muttermilch nochmals, um seine Vertrautheit mit dem Namen Christi schon von frühester Kindheit an zu verdeutlichen: hoc nomen salvatoris mei, filii tui, in ipso adhuc la cte ma tr i s tenerum cor meum pie biberat et alte retinebat (3,4,8). S. Kap. III.4.a.α. 21 Humor kann als ein in der Antike verbreiteter Bestandteil der humanitas / urbanitas betrachtet werden, der zu rhetorischen Zwecken Anwendung findet. Nach Quintilian darf er sich in Reden nicht nur in Witzen, sondern im gesamten color dicendi äußern (Quintil. inst. 6,3,104– 107). Vgl. Luck 1994, 757 und 770 speziell zu Humor bei Augustinus.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

Augustinus will die göttliche Ordnung aufzeigen, die hinter allen Dingen der Welt steht: secundum institutionem tuam et divitias usque ad fundum rerum dispositas.22 Auch der menschliche affectus, hier die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind, ist in die göttliche Ordnung eingefügt: 23 dare enim mihi per ordinatum affectum volebant. 24 Nicht nur die Physis des Menschen, auch seine Emotionen unterliegen dem Walten Gottes. 25 Die Einbindung der Welt in einen göttlichen ordo spielt in Augustins Denken eine zentrale Rolle. 26 Augustinus zeigt schon gleich zu Beginn der autobiographischen Darstellung, dass das menschliche Leben in einen ordo eingefügt von Anfang an nach einem höherem Plan seinen Lauf nimmt. Auch soziale Beziehungen unterliegen der göttlichen Ordnung. Das Wirken Gottes zeigt sich somit in der Reziprozität menschlicher Beziehungen. 27 In der Fürsorge für den Säugling sieht Augustinus nicht nur einen Nutzen für das Kind, sondern auch einen Gewinn für den Pflegenden: nam bonum erat eis bonum meum ex eis. 28 Bereits hier wird offensichtlich, dass Augustinus in seiner autobiographischen Darstellung nicht an der bloßen Schilderung der Fakten seines Lebens gelegen ist, sondern dass er eine tiefere Bedeutung hinter den Tatsachen, die ihm Stoff für theologische Meditation bieten, herausstellen will. 29 Gerade das menschliche Leben bietet so einen Ort der Erkenntnis Gottes, der den Menschen durch sein Wirken geradezu „anruft“: animadverti (…) clamante te mihi per haec ipsa, quae

22 1,6,7. Die Übertragung von Flasch / Mojsisch 2003, 37 gibt diese Stelle treffend wieder: „wie es deiner Weltordnung entspricht und der bis ins letzte reichenden Verteilung deiner Schätze.“ 23 Vgl. O’Donnell 1992, II, 36 nach der Erläuterung der Bedeutung von affectus im Rahmen der augustinischen Trinitätslehre zusammenfassend: “the love of a mother that offers this nurture is human love in harmony with divine love.” Vgl. auch Pizzolato 32001a, 141: „anche il gesto più istintivo dell’uomo (qui dei genitori e delle nutrici), rientra, attraverso la categoria dell’«ordine», nel piano di Dio e lo stesso nutrimento «fisico» del bambino si colloca nell’ambito della sua «formazione».” 24 1,6,7. 25 Hier ist affectus in einem moralisch neutralen Sinne definiert als länger andauernder Seelenund Gemütszustand, nicht im Sinne der hellenistischen Philosophie als eine Leidenschaft im Sinne von passio oder perturbatio. Zu den unterschiedlichen bei Augustinus feststellbaren affectus-Begriffen vgl. O’Daly / Zumkeller 1986–1994, 166–167. 26 Vgl. Fuhrer 2004a, 89: „Ein Themenkomplex, mit dem sich Augustinus in seinem ganzen schriftlichen Werk immer wieder neu auseinandergesetzt hat, ist die Frage nach der Ordnung des Kosmos und der Rolle der göttlichen Vorsehung. Diese ist ihrerseits eng mit einer anderen Frage verknüpft (…): Die Frage – für die später Leibniz den Begriff der Theodizee geprägt hat –, ob alles Geschehen innerhalb der Weltordnung der göttlichen Vorsehung unterworfen sei“. Bereits mit seinem Frühdialog De ordine widmet Augustinus eigens diesem Thema eine ganze Schrift. Vgl. auch Bruning 2004, 387. 27 Vgl. Miles 1982, 352, die den Aspekt der Reziprozität betont. 28 1,6,7. 29 Vgl. van Kempen-van Dijk 1978, 29–30. Sie spricht in diesem Zusammenhang vom factum der Lebenswelt und dem mysterium, das dahinter steht (30): „het factum verwijst naar het mysterium, achter de realiteit is het mysterie verborgen.“

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2. Leibliche und geistige Elternschaft in der Kindheit (Buch 1)

tribuis intus et foris. 30 Das autobiographische Schreiben wird zu einer alternativen Darstellungsform theologischer Inhalte, die an anderer Stelle in anderen Formen theologischen Schrifttums festgehalten werden. 31 Im Gegensatz zum spirituellen Verhältnis zu Gott wird der Aspekt der Leiblichkeit in der Beziehung zu den Eltern betont. Im Gedankengang wird unmittelbar eine Verbindung von Leiblichkeit und Zeitlichkeit hergestellt: (…) sicut audivi a parentibus carnis meae, ex quo et in qua me formasti in tempore.

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Die Einschränkung in tempore spezifiziert die der Zeit unterworfene Welt, in die hinein das Kind geboren wird, weist implizit aber auch auf eine weitere Existenz der menschlichen Seele hin, die nicht der Zeitlichkeit und der Leiblichkeit unterliegt. Es wird jedoch nicht nur die Thematik der Zeit, der als Teil der göttlichen Schöpfung in Buch 11 am Beginn des exegetischen Teiles eine vertiefte Reflexion gewidmet wird, in der infantia-Episode mit der leiblichen Abkunft verbunden, sondern auch die Sündhaftigkeit: quod si et «in iniquitate conceptus sum et in peccatis mater mea me in utero aluit» (Ps 50,7), 33 ubi, oro te, deus meus, ubi, domine, ego, servus tuus, ubi aut quando innocens fui?

Am Beginn des Lebensberichtes wird die leibliche Abstammung in Verbindung mit der zeitlichen Beschränktheit der menschlichen Existenz und der Sündhaftigkeit des Menschen gebracht. Exkurs: Das Thema der Zeit in der infantia-Epsiode: Dem Thema der Zeit ist ein langer Exkurs im 11. Buch gewidmet. Die Zeitlichkeit ist jedoch bereits im 1. Buch von zentraler Bedeutung. Eine prägende Erfahrung für Augustin ist das Vorübergehen der Lebensalter, wodurch ihm an seinem eigenen Leben die Nähe des Todes bewusst wird: et ecce infantia mea olim mortua est et ego vivo (1,6,9). Die Erfahrung der Zeitlichkeit drückt Augustinus auch im Tempusgebrauch aus: Dem Präsens vivo steht das Perfekt mortua est gegenüber. Das Perfekt wird hier zum Ausdruck des Vergänglichen benutzt. Dem Menschen in seiner zeitlichen Begrenzung steht der ewige Gott gegenüber: tu autem, domine, qui et semper vivis et nihil moritur in te (1,6,9). Sein Leben ist ewig und 30 1,6,7. Vgl. Pizzolato 32001a, 141: „il piano di Dio sull’uomo, che inizialmente è nascosto nelle pieghe dell’istintività, si rivela anche nelle fasi successive della vita, quando la sua presenza darà prove più direttamente constatabili, e non solo a livello fisico esterno (foris), come qui nel «latte», ma anche spirituale interiore (intus).” 31 Die Sündhaftigkeit und Erlösungsbedürftigkeit der Seelen Neugeborener wird auch in ep. 166 an Hieronymus (=De origine animae) behandelt. Die alternative Betitelung zeigt, dass der Brief in der Rezeptionsgeschichte als Sachtext zu diesem bestimmten Thema gelesen wurde. 32 1,6,7: „(…) so, wie ich es von den Eltern meines Fleisches gehört habe, vom Vater, aus welchem, und von der Mutter, in welcher du mich in der Zeit gebildet hast.“ 33 1,7,12: „Wenn ich aber im Unrecht empfangen wurde und meine Mutter mich in Sünde im Unterleib nährte, wo, frage ich, mein Gott, wo, Herr, frage ich, dein Diener, wo oder wann war ich frei von Schuld?“

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

nicht durch Sterblichkeit begrenzt. Mit dem Präsens moritur, das mit dem Perfekt mortua est kontrastiert, drückt Augustinus gerade durch die Wahl der Zeitstufe Gottes Unsterblichkeit sprachlich aus. Aufschlussreich ist Augustins Verwendung der Tempora auch im Folgenden: ante primordia saeculorum et ante omne, quod vel ante dici potest, tu es et deus es dominusque (1,6,9). Augustin bewirkt durch seinen Tempusgebrauch eine Paradoxie von Grammatik und inhaltlicher Aussage. Die Präposition ante impliziert ein vorzeitiges Geschehen. Der Leser erwartet den Ausdruck dieser Vorzeitigkeit in der Verbalhandlung durch ein entsprechendes Tempus der Vergangenheit. Doch Augustinus lässt Gott nicht der grammatischen Logik folgen. Darüber ist sein Gott erhaben, und so kann er auch in der Vergangenheit ‚präsent‘ sein: ante omne (…) tu es. In ihm ruht der unveränderliche und ewige Ursprung alles Zeitlichen und Vergänglichen. Auch hier bilden inhaltliche Aussage und sprachliche Form eine kunstvolle Einheit. 34 In 1,6,10 wird die Thematik der menschlichen Vergänglichkeit und der göttlichen Ewigkeit nochmals aufgenommen und vertieft. Bei Gott sind (ewiges) Sein (esse) und Leben (vivere) identisch: cui esse et vivere non aliud atque aliud. Dadurch, dass Gott das höchste Sein ist, unterliegt er keinem Wandel: summus enim es et non mutaris. Durch diese Einheit umfasst er keine Teile, die vergänglich sein könnten. Alle Zeiten der Menschen, die dem Werden und Vergehen (transire) unterworfen sind, sind in Gottes ‚Heute‘ enthalten: omnia crastina atque ultra omniaque hesterna et retro hodie facies, hodie fecisti. Auch an dieser Stelle bringt Augustinus wie in 1,6,9 durch seine paradoxe Wahl der grammatikalischen Tempora zum Ausdruck, dass Gott über der Zeit steht und dadurch auch unabhängig von menschlichen Zeitvorstellungen ist: Zu hodie, der adverbialen Bestimmung der Zeit, die ein Präsens erwarten lässt, passt für Gott auch ein Futur und ‚gleichzeitig‘ ein Perfekt. Wie nahe sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft stehen, wird zusätzlich stilistisch durch das Asyndeton hodie facies, hodie fecisti betont. b) pueritia Als puer ist er zunächst noch vom Willen der Eltern und älterer Menschen abhängig, kann sich aber auch schon mithilfe der Sprache in die gefahrenreiche Gesellschaft begeben, die durch eine Metaphorik aus dem in den Confessiones wiederholt begegnenden Bildfeld des Wassers veranschaulicht wird:

34 Zur erkenntnisfördernden Funktion von Paradoxa allgemein vgl. Neumeyer 2003, 516. Zur Bedeutung der Paradoxie speziell vgl. die erhellenden Ausführungen in Tornau 2002, 320– 321: „Paradoxie ist ein von Augustinus in den »Confessiones« immer wieder eingesetztes rhetorisches Mittel, eine Art Verfremdungseffekt, der die gewohnheitsmäßigen, gemeinhin unreflektierten Haltungen und Wertungen des Lesers in Frage stellen und ihm zu einer neuen, durch Konventionen unbeeinflussten und entschieden christlichen Perspektive verhelfen soll.“

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sic cum his, inter quos eram, voluntatum enuntiandarum signa communicavi et vitae humanae procellosam societatem altius ingressus sum pendens ex parentum auctoritate nutuque 35 maiorum hominum.

Es folgt die Episode, in der Augustinus seine Schulerlebnisse darstellt (1,9,14– 1,10,16). Der Erzähler Augustinus zeiht sich seines kindlichen Unwillens, zur Schule zu gehen. Die damalige beschränkte Perspektive wird der nachträglichen Einsicht in die Nützlichkeit von Schulunterricht gegenübergestellt. Die Haltung der Eltern dient als Kontrast zur Angst vor den Strafen im Schulunterricht aus der Perspektive des Schuljungen Augustinus und seiner mangelnden Einsicht in die Notwendigkeit des Lernens. Aber auch die Eltern, wenn sie auch für den Sohn das Richtige wollen, verfolgen mit ihren Ambitionen falsche, auf Weltliches (saeculum) ausgerichtete Ziele: deus, deus meus, quas ibi miserias expertus sum et ludificationes, quandoquidem recte mihi vivere puero id proponebatur, obtemperare monentibus, ut in hoc saeculo florerem et excellerem linguosis artibus ad honorem hominum et falsas divitias famulantibus. inde in scholam datus sum, ut discerem litteras, in quibus quid utilitatis esset ignorabam miser. et tamen, si segnis in discendo essem, vapulabam. laudabatur enim hoc a maioribus, et multi ante nos vitam istam agentes praestruxerant aerumnosas vias, per quas transire cogebamur multiplicato labore et dolore filiis Adam. (…) et cum me non exaudiebas, quod «non» erat «ad insipientiam mihi» (Ps 21,3), ridebantur a maioribus hominibus usque ab ipsis parentibus, qui mihi 36 accidere mali nihil volebant, plagae meae, magnum tunc et grave malum meum.

Auch wenn die Eltern mit ihren Bildungsbestrebungen für den Sohn in der Rückschau zu seinem Nutzen entscheiden, sind ihre Ziele dennoch falsch. Aber auch seine eigene Haltung tadelt Augustinus. Seinen Unwillen zu lernen, deutet er im Nachhinein als Sünde: peccabam faciendo contra praecepta parentum et magistrorum illorum. poteram enim postea 37 bene uti litteris, quas volebant ut discerem quocumque animo illi mei. 35 1,8,13: „So habe ich mit denen, unter denen ich mich aufhielt, Zeichen ausgetauscht, um meinen Willen auszudrücken, und bin tiefer in die Gemeinschaft des menschlichen Lebens eingetreten, noch abhängig von der Gewalt der Eltern und der Zustimmung von Erwachsenen.“ Zur Wassermetaphorik in den Büchern 5 und 6 s. 167–168 und 178–181. 36 1,9,14: „Gott, mein Gott, welches Unheil und welche Täuschungen habe ich dort erlebt, da mir als Jungen nämlich als rechte Lebensregel diese vorgeschlagen wurde: denen zu gehorchen, die dazu mahnten, dass ich mich in dieser Welt hervortäte und herausragte in den Künsten der Zunge, die der Ehrsucht der Menschen und falschen Reichtümern dienen. Daher wurde ich zur Schule geschickt, damit ich lesen und schreiben lernte. Ich Armer wusste nicht, was darin Nützliches liegen sollte. Und dennoch bekam ich Schläge, wenn ich faul beim Lernen war. Dies wurde nämlich von den Erwachsenen gelobt, und viele, die vor uns ein solches Leben geführt hatten, haben leidvolle Wege errichtet, welche zu gehen wir gezwungen wurden, wobei die Mühe und der Schmerz für die Söhne Adams vervielfacht wurden (…). Und als du mich nicht erhörtest – was nicht zu meinem Unwissen beitrug –, wurden von den Erwachsenen, sogar von den Eltern selbst, die nicht wollten, dass mir Böses geschehe, meine Schläge, damals ein großes und schweres Übel für mich, belächelt.“ 37 1,10,16: „Ich habe gesündigt, indem ich gegen die Anordnungen der Eltern und jener Lehrer gehandelt habe. Ich hätte nämlich später die Kenntnisse gut gebrauchen können, die ich nach ihrem Willen erlernen sollte, welche Absicht auch immer sie damit verfolgten.“

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

Die pueritia-Episode dient Augustinus auch dazu, seine Glaubensentwicklung vom Kindesalter an dazustellen. Aus Angst vor Prügel in der Schule, beginnt er, zu Gott zu beten (1,9,14). Hier wird eine kindliche Form des Glaubens dargestellt. Eine entscheidende Rolle bei der Entstehung seines Glaubens misst Augustinus der Mutter bei: audieram enim ego adhuc puer de vita aeterna promissa nobis per humilitatem domini dei nostri descendentis ad superbiam nostram et signabar iam signo crucis eius et condiebar eius 38 sale iam inde ab utero matris meae, quae multum speravit in te.

Es folgt die Erzählung über die Erwägung, aufgrund einer ernsthaften Erkrankung die Taufe Augustins vorzuziehen. Hier wird ein wichtiges Element der Reflexion Augustins für die gesamten Confessiones eingeführt, indem verschiedene Vorstellungen von Mutterschaft nebeneinander gestellt werden: vidisti, domine, cum adhuc puer essem et quodam die pressu stomachi repente aestuarem paene moriturus, vidisti, deus meus, quoniam custos meus iam eras, quo motu animi et qua fide baptismum Christi tui, dei et domini mei, flagitavi a pietate matris meae et matris omnium nostrum, ecclesiae tuae. et conturbata mater carnis meae, quoniam et sempiternam salutem meam carius parturiebat corde casto in fide tua, iam curaret festinabunda, ut sacramentis salutaribus initiarer et abluerer, te, domine Iesu, confitens in remissionem 39 peccatorum, nisi statim recreatus essem.

Neben Monnica wird auch der Kirche eine Funktion als Mutter zugedacht. Die Mutterrolle der Kirche zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich nicht auf einen einzelnen Menschen bezieht, sondern auf die gesamte Christenheit. In dieser direkten Gegenüberstellung von partikularer (mater mea) und gemeinschaftlicher Beziehung (mater omnium nostrum) überträgt Augustin seine neuplatonisch geprägte Theologie, die das commune über das privatum stellt, auf die Generationenbeziehungen. Durch diese Parallelisierung wird der Leser zum ersten Mal auf ein metaphorisches Mutter-Sohn-Verhältnis verwiesen. An dieser frühen Stelle der Confessiones im 1. Buch wird bereits ein Zielpunkt der autobiographischen Rückschau angedeutet: den Übergang in die spirituelle Familie am Ende des 9.

38 1,11,17: „Ich hatte nämlich, als ich noch Kind war, vom ewigen Leben gehört, das uns durch die Demut des Herrn, unseres Gottes, versprochen wurde, als er zu unserem Hochmut herabstieg, und ich wurde bereits mit den Zeichen seines Kreuzes gezeichnet und gewürzt mit seinem Salz schon seit dem Verlassen des Leibs meiner Mutter, die viel Hoffnung in dich setzte.“ 39 1,11,17: „Du hast gesehen, Herr, als ich noch ein Junge war und eines Tages aufgrund von Magenschmerzen plötzlich Fieber bekam, so dass ich beinahe gestorben wäre, du hast gesehen, mein Gott, weil du schon mein Beschützer warst, mit welcher inneren Bewegtheit und mit welchem Glauben ich die Taufe deines Christus, meines Gottes und Herrn, verlangte von der Frömmigkeit meiner Mutter und der Mutter aller, deiner Kirche. Da die beunruhigte Mutter meines Fleisches mit meinem ewigen Heil in noch größerer Liebe schwanger ging in ihrem keuschen Herz durch den Glauben an dich, hätte sie schon eilends dafür gesorgt, dass ich in die heilenden Sakramente eingeführt und durch sie abgewaschen würde, wobei ich mich zu dir, Herr Jesus, bekannt hätte, um die Vergebung der Sünden erlangen, wenn ich nicht plötzlich wieder gesund geworden wäre.“

2. Leibliche und geistige Elternschaft in der Kindheit (Buch 1)

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Buches mit Gott als Vater und der Kirche als Mutter: sub te patre in matre catholica (9,13,37). In demselben Satz wird auch Monnica eine spirituelle Rolle, die sich ebenfalls in der Bildlichkeit einer Mutter-Kind-Beziehung ausdrückt, beigemessen. Ihre Funktion zeigt sich in dem metaphorischen Gebären einer ewigen Gesundheit aus, die von der physischen Krankheit abgesetzt wird. Das cor castum, in dem oder durch das sie gebiert, weist hier wie an weiteren Stellen der Confessiones, auf die Innerlichkeit des Vorgangs, auf den inneren Menschen, hin. 40 Monnica erhält neben ihrer Funktion als leibliche Mutter eine weitere Rolle als spirituelle Mutter. Als Bildspender für die Metapher des Gebärens kann die Mutterschaft Marias gegenüber Jesus Christus gelten, wie sie Augustinus in der etwa gleichzeitig zu den Confessiones entstandenen Schrift De sancta virginitate (entstanden 401) beschreibt: sic et materna propinquitas nihil Mariae profuisset, nisi felicius Christum corde quam carne 41 gestasset.

Die biblische Maria kann somit als ein wichtiges Modell für Monnica gelten. Da die geistige und leibliche Mutterschaft Marias gegenüber Jesus Christus jedoch aufgrund der christologischen Zweinaturenlehre anders bestimmt ist, als es für ein zwischenmenschliches Verhältnis wie zwischen Monnica und Augustinus anwendbar ist, kann insgesamt nur bedingt von einer Übertragung der Konstellation Maria–Jesus Christus auf Monnica–Augustinus gesprochen werden. Augustinus wendet die Metapher des geistigen Gebärens an, um die Rolle zu beschreiben, die Monnica für die Glaubensentwicklung des Sohnes einnimmt. Eine entsprechende Funktion ist bei Maria, der Mutter des inkarniertenn Sohn Gottes, nicht gegeben. 42 Die Funktion Monnicas als spirituelle Mutter ist auch von der Bestimmung der Kirche als mater trotz der Parallelisierung zu trennen. In dem ersten Fall handelt es sich um die Bestimmung einer zwischenmenschlichen Beziehung als ein geistiges Verhältnis und drückt die Rolle einer Person für die Glaubensentwicklung der anderen aus. Die Mutter Kirche hingegen gehört zu einer Vorstellung, nach der das Verhältnis der Gläubigen zu Gott als eine Kind-Vater-Beziehung und zur Kirche als eine Kind-Mutter-Beziehung gefasst werden. Die Gläubigen untereinander sind Geschwister. 43 Monnicas cura bezieht sich auch auf eine vorgezogene Taufe. Mit der Sorge um das kranke Kind wird hier ein gängiges Rollenbild einer Mutter aufgenommen, das im spirituellen Verhältnis als eine Sorge um das ewige Heil des metaphorischen Kindes verwendet wird. Das Bild erhält dadurch große Wirkkraft bei 40 Nach antiker Vorstellung gilt das Herz als Quelle und Mittelpunkt des Verstandes und des Lebens, das bei der Empfängnis zuerst gezeugt wird. Vgl. Lutterbach 2003, 87. 41 Virg. 3: „So hätte auch die mütterliche Verwandtschaft Maria nichts genutzt, wenn sie Christus nicht glücklicher im Herzen als im Fleische getragen hätte.“ 42 S. 101. 43 Vgl. Steidle 1982, 494 zur Trennung der Figur Monnicas und der Kirche. Auch Steidle gelangt zu der Feststellung, dass es im Text keinerlei Hinweis gebe, dass Monnica symbolisch für die Kirche stehe.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

den Lesern, dass die Sorge einer Mutter um das Wohlergehen des Kindes eine anthropologische Konstante darstellt. 44 Hier kommt eine weitere, Monnica in den Confessiones zugeschriebene Funktion zum Tragen, die als exemplum einer christlichen Mutter und Ehefrau. Augustinus lässt Monnica zu einem Vorbild werden, das seine Vorstellungen über interpersonale Beziehungen verwirklicht. Durch dieses Verhalten erfüllt Monnica das ethische Ideal Augustins einer Einheit von Nächsten- und Gottesliebe. Der Nächste soll aus einer Perspektive erfasst werden, die auch Gott mit einschließt. Eine solche Liebe umfasst zwei Aspekte: Sie erkennt einerseits, dass der andere Geschöpf Gottes ist, andererseits, dass das Glück des anderen in seiner Hinwendung zu Gott liegt. 45 Der Mutter wird der Vater gegenübergestellt, der nicht gläubig ist: ita iam credebam et illa et omnis domus, nisi pater solus, qui tamen non evicit in me ius maternae pietatis, quominus in Christum crederem, sicut ille nondum crediderat. nam illa satagebat, ut tu mihi pater esses, deus meus, potius quam ille, et in hoc adiuvabas eam, ut 46 superaret virum, cui melior serviebat, quia et in hoc tibi utique id iubenti serviebat.

Eine auffällige Wendung ist hier das ius maternae pietatis. Liest man den Begriff ius nach seiner primären Bedeutung, so scheint die Bezeichnung zunächst ein wirklich bestehendes Vorrecht der Mutter über die Religionszugehörigkeit des Kindes zu bedeuten. Luigi F. Pizzolato will diese Stelle als Reflex des zunehmenden Einflusses der Frauen auf religiöse Angelegenheiten in der Familie deuten. 47 Mag es eine solche Entwicklung in der christlichen Spätantike gegeben haben, 48 so bleibt dennoch die Formulierung mit ius auffällig. Es darf als fraglich gelten, dass es in dieser Sache wirklich eine rechtliche Bestimmung zugunsten der Mutter gegeben hat. Hier wird vielmehr in provokanter Formulierung die patria potestas ausgehebelt, indem der Mutter ein ius zugebilligt wird, durch das der Vater entmachtet und der Sohn der Pflicht entbunden wird, den Direktiven des Vaters zu folgen. Die patriarchalische Struktur der römischen Familie 49 wird außer Kraft gesetzt. Die rechtliche Gehorsamspflicht gegenüber dem Vater, die hier ignoriert wird, findet ihren Ausdruck in dem negativen Finalsatz. Nach den rechtlichen Regeln hat der Sohn dem Vater zu folgen. Er hat so zu handeln wie jener (sicut 44 Als Beispiel für den Niederschlag einer starken emotionalen Bindung einer Mutter an ein Kind im mythologischen Schrifttum sei hier auf Ceres’ Reaktion auf den Verlust ihrer Tochter bei Claudian verwiesen. 45 Unter den zahlreichen Darstellungen zum Zusammenhang von Gottes- und Nächstenliebe sei hier Brachtendorf 2005, 92 erwähnt. 46 1,11,17: „So war ich schon gläubig und jene und das gesamte Haus, außer dem Vater allein, der bei mir dennoch nicht das Recht der mütterlichen Frömmigkeit außer Kraft setzte, so dass ich nicht an Christus geglaubt hätte, so wie jener noch nicht zum Glauben gelangt war. Denn jene bemühte sich eifrig, dass du, mein Gott, für mich mehr als jener zum Vater würdest; und hierbei halfst du ihr, dass sie die Oberhand über den Mann gewinnen würde, dem sie, obwohl sie besser war, diente, weil sie auch hierin gerade dir, der du dies befiehlst, dient.“ 47 Vgl. 32001a, 152: „tra il II e il IV secolo era intervenuto un cambiamento fondamentale rispetto al ruolo di guida nella religione, che anticamente aveva il pater familias.“ 48 Vgl. ferner Frend 1987, 138–139; Krause 2003, 144–145. 49 Vgl. zur patria potestas Krause 2003, 132–138.

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ille), was in religiösen Belangen die Folge hätte, dass infolge der Distanz des Vaters zum Christentum auch der Sohn sich nicht dem christlichen Glauben anschließen würde. Augustinus hebt jedoch geltende juristische Satzung zugunsten einer spirituellen Ordnung auf. Hier wird, wie oben mit susceperunt (1,6,7), auf den rechtlichen Charakter der Familienbeziehungen in Rom angespielt, die jedoch durch ein spirituelles Verhältnis ersetzt werden. Auch hier wird wieder die rechtliche Gewalt der patria potestas durch eine spirituelle Beziehung ungültig gemacht. Das ius maternae pietatis kann nicht als ein wirkliches historisches Recht der Mutter über die Religion des Kindes betrachtet werden, sondern ist auf ein spirituelles Verhältnis zu beziehen, das rein innerweltlich begründeten familiären Beziehungen entgegensteht. Die hier begründete Entmachtung des Vaters deutet voraus auf die folgende prägnante Formulierung, nach der die leibliche Vaterrolle durch eine spirituelle ersetzt werden soll. Das Trachten der Mutter ist darauf ausgerichtet, dass Gott Augustins Vater werde: nam illa satagebat, ut tu mihi pater esses, deus meus, potius quam ille. Im Gegensatz zur Mutter bietet sich der Vater nicht an, durch analoge Eigenschaften auf ein metaphorisches Eltern-KindVerhältnis zu verweisen. In der Darstellung des Sohnes Augustinus tritt nicht nur die Rolle Monnicas als Mutter in den Blickpunkt. Monnica erweist sich in dieser Episode als das Ideal einer christlichen Frau auch im Kontext anderer Lebensbereiche. Augustinus hält sich an traditionelle Rollenbilder, wenn er Monnica der Gehorsamspflicht der Frau gegenüber ihrem Mann nachkommen lässt. 50 Festzuhalten gilt jedoch, dass diese Pflicht als göttlich gewollt dargestellt wird. Indem die Frau der sozialen Pflicht ihrem Mann gegenüber nachkommt, dient sie auch Gott: et in hoc adiuvabas eam, ut superaret virum, cui melior serviebat, quia et in hoc tibi utique id iubenti serviebat. Auch hier kommt es zu einem Nebeneinander von innerweltlicher und spiritueller Ordnung. In dem Verhältnis zwischen Mann und Frau wird zwischen dem geistigen Anliegen, bei dem eine Überlegenheit der Frau möglich ist, und der Unterordnung im innerweltlichen Kontext unterschieden. Auf der spirituellen Ebene kann die Frau dem Mann überlegen sein, im innerweltlichen Bereich gilt hingegen die Unterordnung. Während Augustinus hier der Frau die Möglichkeit eröffnet, dem Mann gegenüber geistig weiter fortgeschritten und moralisch besser zu sein, zementiert er ebenso ihre Subordination. Wie Monnicas Überlegenheit auf die Mithilfe Gottes zurückgeführt wird, so folgt sie in ihrem Gehorsam dem Gebot Gottes. Hiermit zeigt Augustinus auch für eine verheiratete Frau die Möglichkeit auf, einer christlichen Lebensweise zu folgen. Während Hieronymus die Askese und Jungfräulichkeit verherrlicht, demonstriert Augustinus das Ideal einer christlichen Ehefrau und Mutter. Somit weist er auch einen Weg

50 Vgl. zum pater familias civ. 19,16, wo traditionelle Vorstellungen aufgenommen werden. Der Vater ist in einer herrschenden Position, in der ihm die Aufgabe zukommt, die pax domestica herzustellen. Vgl. dazu Shaw 1987, 12 über Augustinus: “he clearly sees the household in rather traditional terms as a network of power relations extending downwards through the father of the family.”

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für eine christliche Lebensweise innerhalb familiärer Bindungen auf. 51 Augustins Anliegen in den Confessiones weist somit in zwei Richtungen: Einerseits wird durch die Spiritualisierung der Verwandtschaftsbeziehungen von auf Leiblichkeit gründenden zwischenmenschlichen Zusammenhängen abstrahiert, andererseits legt er auch den Weg einer nichtasketischen christlichen Lebensweise dar. Bereits in diesem Abschnitt des ersten Buches wird auf die Möglichkeit einer Substituierung sowohl der Mutter- als auch der Vaterfigur hingewiesen. In den Confessiones besteht das Bild einer leiblichen Elternschaft neben einer göttlichen schon von Beginn an. Innerweltliche und metaphysische Ebene werden nebeneinander gestellt. Die beiden verschiedenen Konzepte von Elternschaft werden vom Erzähler durchgehend parallelisiert. Die Identifikation mit dem Verlorenen Sohn bildet eine grundlegende Denkfigur, mit der Augustinus seine Abwendung von und spätere Rückwendung hin zu Gott in der Vorstellungswelt der Bibel fassen kann. 52 Das biblische Gleichnis beinhaltet die in den Confessiones dargestellte freiwillige Abwendung von und demütige 53 Hinwendung zu Gott. Georg Nicolaus Knauer ist der Nachweis zu verdanken, dass Augustinus sein Leben als eine peregrinatio animae deutet. 54 Die Darstellung seines Lebensweges spiegelt die Ansichten über die Sündhaftigkeit des Menschen wider. In seinem Werk folgt Augustinus der philosophischen Tradition, die Sündhaftigkeit des Menschen in seiner Verhaftung in äußerlichen Dingen zu sehen, an die Sinne und an den Körper, und in seiner Unfähigkeit, Seele und Vernunft über das Körperliche zu stellen. 55 Die Geschichte vom Verlorenen Sohn verdeutlicht sein eigenes spirituelles Abirren von Gott. Zudem bietet sich die Parabel dem Autor aufgrund ihrer Übertragbarkeit auf die in den Confessiones angestrebte Ersetzung leiblicher Generationenzusammenhänge durch spirituelle Verbindungen als biblisches Modell auf vorzügliche Weise an. Im ersten Buch (1,18,28) begegnet das über den autobiographischen Teil der Confessiones verteilt vielfach anzutreffende Gleichnis vom Verlorenen Sohn zum ersten Mal. Der Verweis auf die Geschichte im Lukasevangelium (Lc 15,12–32) wird explizit hergestellt und durch wörtliche Entlehnungen untermauert. Vergleicht man die Passage bei Augustinus (filius ille tuus minor … in longinqua regione vivens prodige dissiparet quod dederas proficiscenti) mit Lc 15,13 (adulescentior filius peregre profectus est in regionem longinquam), so wird durch die wörtlichen Übernahmen dem Leser die Bezugnahme offensichtlich. Die Charakterisierung als egenus entspringt dem darauffolgenden Satz im biblischen Gleichnis: et facta est fames valida in regione illa et ipse coepit egere (Lc 15,14). Bereits die Charakterisierung Gottes als longanimis (‚langmütig‘, geduldig), mag

51 Vgl. Feichtinger 1995 passim zum Konflikt zwischen radikal-asketischen Strömungen und nicht-asketischen ‚bürgerlichen‛ Christen. S. Kap. II.2.b. 52 Zu sämtlichen Textbelegen vgl. O’Donnell 1992, II, 95; Raffelt 2003. 53 Zum Aspekt der Demut im Gleichnis vom Verlorenen Sohn vgl. Dihle 1957, 771. 54 Vgl. Knauer 1957. 55 Vgl. Harrison 2000, 26.

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das Wort auch aus einem Psalmen-Zitat stammen (Ps 102,8), weist auf die Vaterfigur in der Parabel voraus. Der Verweis auf das biblische Gleichnis ist im Text eng verknüpft mit Reminiszenzen an Plotin.56 Plotin (205–270 n. Chr.) kann als entscheidender Impulsgeber der seit dem 3. Jahrhundert dominierenden philosophischen Strömung des Neuplatonismus gelten. Im Zentrum seiner Ontologie steht die Vorstellung von dem Einen als die selbst jenseits des Seins stehende Spitze einer hierarchischen Seinsordnung, aus dem alles Seiende hervorgeht und Emanationen bildet. Das Seiende ergießt sich in Hypostasen absteigend geordnet über Geist und Seele bis hin zur Materie als unterste Stufe. Niedere Hypostasen sind den übergeordneten gegenüber minderrangig, sie tragen jedoch ihren Ursprung in sich und streben nach Vereinigung mit ihrer Ursache. Der Kosmos ist einerseits gekennzeichnet von Bewegungen, die aus dem Einen hervorgehen (πρόσοδος), andererseits von solchen, die zu diesem umkehren (ἐπιστροφή). Die menschliche Seele, die dieser ontologischen Dynamik unterliegt, muss für ihre Rückkehr sich vom Äußeren ab-, und sich selbst zuwenden, um auf einem Weg der inneren Läuterung zurück zu ihrem transzendenten, göttlichen Ursprung zu finden. Die Rückkehr ist dadurch möglich, dass trotz ihres Abstiegs ein Teil der Seele in der intelligiblen Welt verhaftet geblieben ist. Plotins Lehre wurde von seinem Schüler Porphyrios (ca. 234– 301 / 304 n. Chr.) weiterentwickelt und konnte aufgrund der Übersetzung aus der Feder des Marius Victorinus (281 / 291–nach 363 n. Chr.) auf die westliche christliche Theologie, besonders auf Augustinus, großen Einfluss ausüben. Wenn 56 Vgl. Gibb / Montgomery 21927, 29–30; Courcelle 21968, 126–128; Pizzolato 32001a, 163; O’Donnell 1992, II, 95; Clark 1995, 113–114. Zur starken Präsenz neuplatonischer Gedanken auch im unmittelbar folgenden Prooemium zum 2. Buch vgl. O’Donnell 1992, II, 107 mit Verweis auf Stellen bei Plotin und Porphyrios. Gott wird als die Einheit (ab uno te) aufgefasst, von dem er sich abwendet und in die Vielheit (in multa) verliert (evanui). Der Zusammenhang zu der Textstelle im 1. Buch wird besonders durch das Verb evanescere offensichtlich, das aus derselben Wortfamilie wie das in 1,18,28 verwendete Substantiv vanitas stammt (amore amoris tui facio istuc, recolens vias meas nequissimas in amaritudine recogitationis meae, ut tu dulcescas mihi, dulcedo non fallax, dulcedo felix et secura, et conligens me a dispersione, in qua frustatim discissus sum, dum ab uno te aversus in multa evanui, 2,1,1). Weitere Stellen zum exitus-reditus-Motiv finden sich in der Analyse der moralischen Verfassung des Protagonisten in der adulsecentia am Beginn des 2. Buches. Hier lässt sich dieselbe Verbindung von neuplatonischer Bildhaftigkeit mit christlichem, sich auf die Bibel stützendem Denken feststellen: obsurdueram stridore catenae mortalitatis meae, poena superbiae animae meae, et ibam longius a te, et sinebas, et iactabar et effundebar et diffluebam et ebulliebam per fornicationes meas, et tacebas. o tardum gaudium meum! tacebas tunc, et ego ibam porro longe a te in plura et plura sterilia semina dolorum superba deiectione et inquieta lassitudine. Der Gedankengang steht ganz im Lichte neuplatonischen Denkens (effundebar, diffluebam). Typisch augustinisch ist dann die Verankerung des Bildes in einem in einem biblischen Kontext durch ein Zitat: 2,2,4: ubi eram et quam longe «exulabam a deliciis domus tuae» (cf. Mich 2,9). In 2,10,18 geht ebenfalls die Identifikation mit dem Verlorenem Sohn mit einer Verknüpfung mit neuplatonischer Metaphorik einher: defluxi abs te ego et erravi, deus meus, nimis devius ab stabilitate tua in adulescentia et factus sum mihi regio egestatis. Vgl. Lc 15,14: et facta est fames valida in regione illa et ipse coepit egere. Vgl. Knauer 1957, 220.

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Augustinus von den Libri Platonicorum spricht (7,9,13; 8,2,3), die eine entscheidende Richtungsänderung in seiner geistigen Entwicklung nach sich gezogen haben, so ist vermutlich an die Plotin- und Porphyrius-Übersetzungen des Marius Victorinus zu denken. Die lateinische Übersetzung, durch die Augustinus Zugang zu dem griechisch schreibenden Philosophen hatte, ist nicht überliefert. 57 Eine weitere, explizite Bezugnahme auf die vorliegende Stelle bei dem griechischen Philosophen in De civitate dei, bei der Augustin auch den Namen des Urhebers nennt, spricht eindeutig für die Vertrautheit mit dem Text.58 Im Folgenden soll gezeigt werden, wie Augustinus im vorliegenden Textabschnitt eine Integration von neuplatonischem und christlichem Denken erzielt, was durch die Verwendung gleicher Metaphernfelder in beiden Denkschulen, dem exitus-reditus-Motiv und der Vater-Sohn-Metaphorik, ermöglicht wird. Eine von Metaphern und Bildern geprägte Sprache kann als Charakteristikum der plotinischen Philosophie gelten. 59 Am Ende des 1. Buches verurteilt Augustinus die Fixierung des Grammatik-, und Rhetorikunterrichts auf sprachliche Richtigkeit bei gleichzeitiger moralischer Indifferenz gegenüber der Verwendung der erlernten Qualifikationen. Sein eigenes falsch ausgerichtetes Denken in der Jugendzeit deutet er als eine Entfernung von Gott: quid autem mirum, quod in vanitates ita ferebar et a te, deus meus, ibam foras, quando mihi imitandi proponebantur homines, qui aliqua facta sua non mala si cum barbarismo aut soloecismo enuntiarent, reprehensi confundebantur, si autem libidines suas integris et rite consequentibus verbis copiose ornateque narrarent, laudati gloriabantur? vides haec, domine, et taces «longanimis et multum misericors et verax» (Ps 85,13). numquid semper tacebis? et nunc eruis de hoc inmanissimo profundo quaerentem te animam et sitientem delectationes tuas, et cuius cor dicit tibi: «quaesivi vultum tuum; vultum tuum, domine, requiram» (Ps 26,8): nam longe a vultu tuo in affectu tenebroso. non enim pedibus aut spatiis locorum itur abs te aut reditur ad te, aut vero filius ille tuus minor equos vel currus vel naves quaesivit aut avolavit pinna visibili aut moto poplite iter egit, ut in longinqua regione vivens prodige dissiparet quod dederas proficiscenti dulcis pater, quia dederas, et egeno redeunti 60 dulcior: in affectu ergo libidinoso, id enim est tenebroso atque id est longe a vultu tuo. 57 Eine Einführung zum Neuplatonismus mit Blick auf die Wirkungsgeschichte bei christlichen Autoren und insbesondere bei Augustinus bietet Drecoll 2007; speziell zu der an dieser Textstelle der Confessiones rezipierten Enneade 1,6 vgl. 73–74. 58 Civ. 9,17: ubi est illud Plotini, ubi ait, ‚fugiendum est igitur ad carissimam patriam, et ibi pater, et ibi omnia. quae igitur, inquit, classis aut fuga? similem deo fieri‛. Vgl. O’Donnell 1992, II, 95. Dieselbe Gedankenfigur verwendet Augustinus nochmals im Zusammenhang mit der Gartenszene in Mailand, wobei er die Innerlichkeit des Geschehens hervorhebt: et non illuc ibatur navibus aut quadrigis aut pedibus, quantum saltem de domo in eum locum ieram, ubi dedebamus (8,8,19). Neben der Möglichkeit eines Zugriffes auf Übersetzungen darf man auch Augustins Fähigkeit, griechische Texte eigenständig zu lesen, nicht unterschätzen, auch wenn er in Buch 1 der Confessiones seine Abneigung gegen den Griechischunterricht bekundet. Vgl. Berschin 1980, 69–73. 59 Vgl. Halfwassen 2004, 89–90. 60 1,18,28: „Was wundert es aber, dass ich mich so Eitelkeiten zuwandte und von dir entfernt wurde, mein Gott, ich ging hinaus, als mir Männer zur Nachahmung vorgesetzt wurden, die, wenn sie irgendwelche eigenen, nicht schlechten Taten mit einem Barbarismus oder

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Die Schulszene wird umrahmt vom exitus-reditus-Motiv, in dessen Bildern der Erzähler im Nachhinein seinen früheren Irrtum deutet. Zu Beginn heißt es: in vanitates ita ferebar et a te, deus meus, ibam foras. Zur räumlichen Metaphorik kommt er später wieder zurück: nam longe a vultu tuo in affectu tenebroso. Das Wort foras bildet ein wichtiges Scharnier zwischen philosophischer Metaphorik (intus-foris-Gegensatz) und dem biblischen Gleichnis, auf das es bereits hinweist, indem es zunächst in seiner primären Bedeutung die Assoziation des Verlassens eines Hauses wachruft. 61 Augustinus setzt den Gedankengang fort, indem er deutlich macht, dass die Vorstellung einer Entfernung von Gott nicht im wörtlichen Sinne, sondern nur übertragen verstanden werden kann. Diese Überlegungen werden unter Anspielung auf eine Textstelle bei Plotin formuliert: non enim pedibus aut spatiis locorum itur abs te aut reditur ad te, aut vero filius ille tuus minor equos vel currus vel naves quaesivit aut avolavit pinna visibili aut moto poplite iter egit (…).

Mit diesen Worten wird in lateinischer Übersetzung auf die folgenden Sätze bei Plotin angespielt: (Τίς οῦν ὁ στόλος καὶ ἡ φυγή;) Οὐ ποσὶ δεῖ διανύσαι· πανταχοῦ γὰρ φέρουσι πόδες ἐπὶ γῆν 62 ἄλλην ἀπ᾿ ἄλλης· οὐδέ σε δεῖ ἵππων ὄχημα ἤ τι θαλάττιον παρασκευάσαι (…).

In der Enneade 1,6 ‚Über das Schöne‛ wird in der Schau des Schönen das Glück des Menschen und somit sein Daseinseinsziel erkannt. Im Anschluss an die Diotima-Rede in Platons Symposion wird in einem Aufstiegsmodell das Wesen des Schönen ergründet. 63 Im vorletzten Kapitel der Schrift (1,6,8) geht Plotin der Soloezimus vortrugen und dafür Tadel erhielten, vor Scham ganz betreten waren, die aber, wenn sie ihre Begierden mit fehlerlosen und den Regeln entsprechend abfolgenden Worten mit Fülle und Schmuck darstellten, sich mit dem Lob, das sie dafür erhielten, brüsteten? Du siehst dies, Herr, und schweigst, da du geduldig, sehr barmherzig und wahrhaftig bist. Wirst du etwa immer schweigen? Aber auch jetzt reißt du aus dieser gewaltigen Tiefe die Seele, die dich sucht und dürstet nach deinen Freuden und deren Herz dir sagt: ‚Ich habe dein Antlitz gesucht; dein Antlitz, Herr, will ich suchen.‛ Es ist nämlich weit von deinem Antlitz entfernt in dunkler Leidenschaft. Denn nicht mit Füßen und in räumlichen Abständen geht man von dir weg oder kehrt zu dir zurück, nicht hat dein jüngerer Sohn Pferde oder Wagen oder Schiffe gesucht oder ist mit sichtbarem Flügel davongeflogen oder hat unter Bewegung des Knies den Weg zurückgelegt, um in entfernter Gegend lebend verschwenderisch zu vergeuden, was du ihm beim Aufbruch gegeben hattest. In dieser Gabe zeigte sich deine väterliche Milde; du warst dem bedürftigen Sohn gegenüber noch milder, als er zurückkehrte: Also in gieriger Leidenschaft zu sein, das heißt im Dunkeln zu sein, und das heißt, weit entfernt von deinem Antlitz zu sein.“ 61 Vgl. zur primären Bedeutung ThlL VI,1 s.v. foras, 1035: “I A e domo, urbe sim. ad loca extra fores vel portas sita: 1. e domo”. 62 Plot. 1,6,8: „(Und was ist nun die Reise und die Flucht?) Nicht mit den Füßen muss man sie hinter sich bringen, die Füße tragen einen ja nur von einem Stück Erde zum anderen; du musst dir auch keinen Pferdewagen oder irgendein Wasserfahrzeug besorgen“ (Übersetzung Tornau 2001, 58–59). 63 Einen zusammenfassenden Überblick über den Inhalt der Schrift gibt Tornau 2001, 333. Mit der Frage nach der Vertrautheit Augustins mit dieser Enneade beschäftigt sich Henry 1934, 211 und gelangt zu einer positiven Antwort.

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Frage nach, wie und mit welcher Methode „man zur Schau der unfassbaren Schönheit gelangen“ 64 kann, die als identisch mit dem Guten und dem höchsten Sein erkannt worden ist (1,6,6). 65 Voraussetzung für die Schau ist die Wendung vom Äußeren zum Inneren. Diese Bewegung von den körperlichen Abbildern weg drückt Plotin bildhaft als eine Flucht aus (φεύγειν πρὸς ἐκεῖνο οὗ ταῦτα εἰκόνες). Er fasst diesen Aufstieg zum Schönen als eine metaphorische Rückkehr in die Heimat auf, wobei er sich auch unter Verwendung eines Zitats aus Ilias 2,140 auf die Nostoshandlung der Odyssee bezieht, um dem Bild Anschaulichkeit zu verleihen: Φεύγωμεν δὴ φίλην ἐς πατρίδα (Ilias 2,140),ἀληθέστερον ἄν τις παρακελεύοιτο. Τίς οὖν ἡ φυγή; Καὶ πῶς ἀναξόμεθα; Οἷον ἀπὸ μάγου Κίρκης φησὶν ἢ Καλυψοῦς Ὀδυσσεὺς αἰνιττόμενος, δοκεῖ μοι, μεῖναι οὐκ ἀρεσθείς, καίτοι ἔχων ἡδονὰς δι᾿ ὀμμάτων καὶ κάλλει πολλῷ αἰσθητῷ συνών. Πατρὶς δὴ ἡμῖν, ὅθεν παρήλθομεν, καὶ πατὴρ ἐκ εῖ. Τίς οῦν ὁ στόλος καὶ ἡ φυγή; Οὐ ποσὶ δεῖ διανύσαι· πανταχοῦ γὰρ φέρουσι πόδες ἐπὶ γῆν ἄλλην ἀπ᾿ ἄλλης· οὐδέ σε δεῖ ἵππων ὄχημα ἤ τι θαλάττιον παρασκευάσαι, ἀλλὰ ταῦτα πάντα ἀφεῖναι δεῖ καὶ μὴ βλέπειν, 66 ἀλλ᾿οἷον μύσαντα ὄψιν ἄλλην ἀλλάξασθαι καὶ ἀνεγεῖραι, ἣν ἔχει μὲν πᾶς, χρῶνται δὲ ὀλίγοι.

Der exitus-reditus-Vorstellung wird bei Plotin mit dem Bild des Verlassens und Wiederaufsuchens der πατρίς Ausdruckskraft verliehen. Das Vaterland bietet sich für diesen Gedanken auch geradezu an, da es sich dabei um ein dem Menschen ursprünglich Gegebenes handelt, zu dem es zurückzukehren gilt. 67 Augustinus greift auf Plotin zurück, wenn es ihm darum geht, bildhafte Sprache zu deuten. Der Rückgriff auf neuplatonisches Gedankengut ermöglicht ein Verständnis des biblischen Gleichnisses. Dabei wird die Verbindung zwischen neuplatonischem und christlichem Denken durch Berührungspunkte im Bildfeld der verwendeten Metaphern hergestellt. Sowohl in Plotins Gedankengang als auch im biblischen Gleichnis vom Verlorenen Sohn wird die Abwendung und anschlie64 Τίς οὖν ὁ τρόπος, τίς μηχανή; πῶς τις θεάσηται κάλλος ἀμήχανον (…). Deutsche Wiedergabe gemäß Tornau 2001, 58. 65 Vgl. Tornau 2001, 337, Anm. 39. 66 Plot. 1,6,8: „Fliehen wir also in die liebe Heimat – diese Mahnung würde eher der Wahrheit entsprechen. Also, was ist die Flucht, und wie geht sie vor sich? Wir werden aufbrechen wie Odysseus von der Zauberin Kirke oder von Kalypso – so heißt es, wenn ich mich nicht irre, in verschlüsselt andeutender Weise –, der nicht bleiben mochte, trotz der Freuden für die Augen und der vielen sinnlichen Schönheit, mit der er zusammen war. Dort also haben wir unsere Heimat, von wo wir hergekommen sind, und dort unseren Vater. Und was ist nun die Reise und die Flucht? Nicht mit den Füßen muss man sie hinter sich bringen, die Füße tragen einen ja immer nur von einem Stück Erde zum anderen; du musst dir auch keinen Pferdewagen oder irgendein Wasserfahrzeug besorgen, sondern auf all das verzichten und überhaupt nicht mehr sehen, sondern die Augen gleichsam schließen und dafür ein anderes Sehvermögen eintauschen, d.h. aufwecken, eines, das zwar jeder besitzt, von dem aber nur wenige Gebrauch machen.“ 67 Auf dasselbe Bild greift Augustinus auch in doctr. chr. 1,4,4,8–9 zurück, jedoch dient es in dem Buch zur Bibelhermeneutik der Veranschaulichung eines anderen Sachverhalts: Das Bild von Fremde und Heimat und den Verkehrsmitteln zur Rückkehr wird hier zur Verdeutlichung des uti-frui-Gegensatzes herangezogen. Hierbei liegt der Schwerpunkt des Vergleichs auf den Fahrzeugen, die man benutzen, und der Heimat beim Herrn, die man genießen soll.

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ßende Hinwendung der Seele zu Gott mit dem Bild vom Verlassen und Zurückkehren zum Vater beziehungsweise ins Vaterland zum Ausdruck gebracht. Aus Plotins Gedankengang übernimmt Augustinus jedoch nur den Satz, in dem die Methode der Allegorese erläutert wird. Den Text selbst, um dessen allegorische Deutung es sich dreht, tauscht Augustinus aus. Während Plotin die Odyssee 68 allegorisch gedeutet sehen will, erläutert Augustinus die allegorische Methode in Hinblick auf einen anderen Text, auf das biblische Gleichnis vom Verlorenen Sohn. An dieser Stelle vollzieht Augustinus die Aufnahme der neuplatonischen Denktradition in das christliche Denken vermittels der Verbindung einer beiden Richtungen gemeinsamen Metaphorik und der Frage nach dem richtigen Verständnis dieser bildhaften Sprechweise. 69 Auf der Verknüpfung der beiden Traditionen metaphorischen Denkens aufbauend vollzieht Augustinus an dieser Stelle sein eigenes in De doctrina christiana und in den Confessiones 70 ausgeführtes Chresis-Konzept einer Integration heidnischer und christlicher Philosophie. Bei dieser Aneignung nimmt Augustinus jedoch auch eine für ihn entscheidende Erweiterung vor. Durch die Verknüpfung mit dem Gleichnis vom Verlorenen Sohn wird die neuplatonische Metaphorik um das für Augustinus Wesentliche ergänzt: um Gott den Vater als Konvergenzpunkt anstatt des Schönen der neuplatonischen Philosophie. An dieser Textstelle wird das Motiv des Umherirrens in der geistigen Abwendung von Gott in die Confessiones eingebracht, eine den nachfolgenden Text und auch besonders das Buch 2 durchziehende Denkfigur. Dieses neuplatonische Bild wird hier wieder mit dem Gleichnis vom Verlorenen Sohn verbunden. 71 Das exitus-reditus-Motiv und die Geschichte vom Verlorenen Sohn umspannen den gesamten autobiographischen Teil der Confessiones. Eine Verbindung von neuplatonischer Metaphorik und der Bibel, die sich des Gleichnisses als literarischer Form bedient, wird hergestellt. Die patria-Metaphorik dient Augustinus nicht nur in den Confessiones, sondern an prominenter Stelle auch in De civitate dei als Anknüpfungspunkt von platonischer und christlicher Lehre. 72 Im 1. Hauptteil von De civitate dei, der die Bücher 1–10 umfasst, widerlegt Augustinus in gestufter Argumentation 73 Vorstellungen heidnischer Religionen über den weltlichen Staat. Nachdem er sich in 1–5 68 Wenn das Zitat auch aus der Ilias stammt, geht es ihm hier um den Inhalt des anderen Homer zugeschriebenen Werkes. Vgl. Tornau 2001, 338, Anm. 51. 69 Dieselbe Technik der Verknüpfung von biblischer und plotinischer Metaphorik wendet Augustinus auch in 9,11,28 an. Hier werden mit dem Bild der Entfernung von Gott Plotins Enneades mit Act 17,27 verbunden. Vgl. Pizzolato 32001b, 345. 70 Vgl. 7,10,16. 71 Vgl. van Fleteren 1998, 124 mit Verweis auf Plot 5,1; 1,6 sowie Porphyrius, De regressu animae. 72 Vgl. ferner den Prolog zu De beata vita, in dem die patria- mit der fluctus-Metaphorik verbunden wird: longeque a sua patria peregrinari; suae dulcissimae patriae quamvis in ipsis fluctibus recordantur (beata v. 1,2). 73 Zu Augustins Argumentationstechnik in civ. siehe grundlegend Tornau 2006.

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gegen die Vorstellung gewandt hat, dass das irdische Glück durch die Verehrung von Göttern erlangt werden könne, behandelt er in den Büchern 6–10 die Götterverehrung aus der Motivation eines Strebens nach außerweltlichem Glück. Große Aufmerksamkeit erfahren hierbei die platonischen Philosophen, deren Behandlung die Bücher 8–10 umfasst. 74 Zu den Gemeinsamkeiten, die Augustinus zwischen Platonikern und Christen erkennt, gehört das Streben, in die patria zu gelangen, um dort die Gemeinschaft mit Gott zu genießen. Augustinus führt eine Gleichsetzung der intelligiblen Welt als patria bei den Platonikern mit der civitas caelestis als patria bei den Christen durch. 75 c) Rückblick: Buch 1 Bereits vom Beginn des autobiographischen Teils an spielt die Eltern-KindBeziehung eine zentrale Rolle. Während die leibliche Abstammung in Verbindung gesetzt wird mit Zeitlichkeit und Sündhaftigkeit, kommen in der deutenden Reflexion Metaphorisierungen des Wortfelds der Generationenbeziehungen zum Tragen. Monnica wird auch eine spirituelle Funktion für ihren Sohn, die sich ebenfalls in der Bildlichkeit einer Mutter-Kind-Beziehung ausdrückt, beigemessen. Ihre Bedeutung zeigt sich in einem metaphorischen Gebären des gläubigen Sohnes. Ferner findet sich ein Verweis auf die spirituelle Mutterfunktion der Kirche. Augustinus wendet bereits im 1. Buch die Einordnung in ein spirituelles Verhältnis zur Mutter Kirche an, das besonders am Ende des 9. Buches zum Tragen kommen wird, wenn er das Verhältnis zu seinen verstorbenen Eltern als ein Geschwisterverhältnis vor Gott als Vater und der Mutter als Kirche fassen wird. Monnica füllt ihre Rolle als Medium der göttlichen Gnade und als Korrektiv des irrenden Protagonisten aus, indem sie Augustinus den Glauben an den christlichen Gott vermittelt. Im Gegensatz zur Mutter erfüllt der Vater keine geistige Funktion für den Sohn. Die Aufnahme des Neugeborenen durch den Vater, die im römischen Recht die patria potestas bestätigt, wird bei Augustinus durch göttliches Wirken ersetzt. Auf der Vaterlinie spielt dafür das Gleichnis vom Verlorenen Sohn eine bedeutende Rolle als durch Zitate explizit vergegenwärtigte strukturgebende Vorlage für die Lebensdeutung. Augustinus sieht in seinem Leben eine Abkehr vom göttlichen Vater und eine spätere Rückkehr zu ihm. Das Gleichnis bietet ferner die Möglichkeiten zur Verknüpfung mit neuplatonischer Metaphorik. Hier integriert Augustinus auf kunstvolle Weise pagane Philosophie in einen christlichen Kontext. 74 Vgl. Fuhrer 2004a, 140. 75 Vgl. Fuhrer 2004a, 146. Hier auch zu den Differenzierungen, die Augustinus zwischen Christen und Platonikern vornimmt, indem er nicht wie die Platoniker den mundus sensibilis und den mundus intellegibilis in einem ontologischen Stufenschema miteinander in Verbindung setzt, sondern zwischen civitas terrena und civitas caelestis einen konträren Gegensatz feststellt.

2. Leibliche und geistige Elternschaft in der Kindheit (Buch 1)

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Im Verhältnis von Monnica zu Patricius spiegeln sich Augustins theologische Ansichten über das Geschlechterverhältnis, die von Ambivalenzen geprägt sind, wider: Auf der spirituellen Ebene ist Monnica ihrem Mann überlegen, im Rollenverständnis hingegen ordnet sie sich ihm unter, wobei dies ebenfalls im Sinne der Bibel geschieht.

3. DER HERANWACHSENDE ZWISCHEN FAMILIE UND GESELLSCHAFT (BUCH 2) a) Schulbildung und Ambitionen der Eltern Die Themen des zweiten Buches führt Augustinus unmittelbar im ersten Satz des als Prolog zum Buch zu lesenden ersten Absatzes an: 1 recordari volo transactas foeditates meas et carnales corruptiones animae meae (2,1,1). Begangene Schandtaten und fleischliche Verderbnis sollen dargestellt werden. Dieser einleitende Satz lässt bereits erkennen, dass auch dieses Buch dichotomisch aufgebaut sein wird. Hiermit folgt es einem Gliederungsprinzip, das Wolf Steidle für sämtliche Einzelbücher im autobiographischen Teil der Confessiones feststellen konnte. 2 Die transactae foeditates des ersten Satzes darf man in der Episode vom Birnendiebstahl, die carnales corruptiones in den Verwirrungen durch die aufkeimende Sexualität dargestellt sehen, wobei die beiden Themen in dieser Ankündigung in umgekehrter Reihenfolge zu der im Buch tatsächlich folgenden Anordnung aufgeführt sind. Das 2. Buch erlaubt somit folgende thematische Gliederung in zwei Teile: 3 2,1,1–2,3,8: 2,4,9–2,11,18:

Sexualität Birnendiebstahl

Die im 2. Buch dargestellten Ereignisse sind im dritten der Lebensalter, die der Gliederung der Confessiones zugrunde liegen, 4 in der adulescentia, angesiedelt. 1

2

3 4

Vgl. van Fleteren 1998, 107; 129. Vgl. auch Steidle 1982, 474, der hinsichtlich des Aufbaus der einzelnen Bücher u.a. zu dem Ergebnis kommt, dass am Anfang und Ende der einzelnen Bücher häufig eine resümierende Inhaltangabe erfolgt. Zur formalen und inhaltlichen Rahmung der Einzelbücher vgl. auch Steidle 1983, 97–98. Vgl. Steidle 1982, 483 zur dichotomischen Struktur als allgemeinem Kompositionsprinzip in den ersten 10 Büchern. Speziell zu Buch 2 Steidle 1982, 486–489. Steidle betont neben der Aufgliederung in zwei Teile aber auch den Zusammenhang beider Teile und hält in Hinblick auf den das gesamte Buch 2 übergreifenden Inhalt fest, dass sich Augustinus zunächst dem falschen Objekt des verkehrten Liebens zuwendet, dann der Verkehrtheit selbst. Vgl. Steidle 1982, 488–489. Zur Zweigliedrigkeit der Einzelbücher vgl. auch Steidle 1983, 97–98. Der Gliederung in zwei Teile schließt sich O’Donnell 1992, II, 104 an. Vgl. O’Donnell 1992, II, 104. Nach der infantia und der pueritia im 1. Buch.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

Als genauere Altersbestimmung erwähnt Augustinus das 16. Lebensjahr: sexto illo et decimo anno (2,3,6). 5 Es sind für dieses Alter paradigmatische Erlebnisse, an deren Beispiel er die Fehlorientierung des menschlichen Willens darstellt und reflektiert. Die Reflexion über theologische Fragen anhand der Darstellung von beispielhaften Erlebnissen aus verschiedenen menschlichen Lebensaltern kennzeichnen die Confessiones als eine protreptische Schrift: Durch ein solches Vorgehen erreicht Augustinus eine Nachvollziehbarkeit seiner Theologie beim Leser. Zentrale Erfahrungen in der adulescentia sind ‚Dumme-Jungen-Streiche‛ und die in diesem Alter einsetzende Geschlechtsreife. 6 Zunächst lässt Augustinus die Sexualität in der adulescentia als weiteren Lebensbereich der menschlichen Fehlorientierung hinzutreten. Das Thema der aufkeimenden Sexualität ist in diesem Abschnitt mit dem des elterlichen Einflusses auf die persönliche Entwicklung und der schulischen Ausbildung verbunden. Im zweiten Teil versucht der Erzähler den Ursprung der Fehlorientierung sowie das Wesen der Sünde am Beispiel des Birnendiebstahls zu ergründen. 7 Mit der falschen Ausrichtung des Willens auf ontologisch Niedrigstehendes steht ein zentrales Thema der Confessiones auch im Mittelpunkt des 2. Buches. Dieses Thema wird deshalb auch im Prolog exponiert. Mit dem Versuch, den Menschen zu gefallen, sei der Protagonist „gänzlich verfault“ (conputrui coram oculis tuis placens mihi et placere cupiens oculis hominum; 2,1,1). Die Ausrichtung des Willens geschieht auf das menschliche Subjekt selbst oder das Urteil der anderen bei gleichzeitiger Abwendung von Gott. Die auf den Prolog folgenden Abschnitte 2,2,2– 2,2,4 lassen sich als eine Formulierung der Grundthese des Buches auffassen. 8 In der adulescentia-Episode wird die concupiscentia carnis als Ursache für die Entfernung von Gott und als depravierendes Element in interpersonalen Beziehungen herausgestellt (2,2,2). Bei den Darstellungen zum Thema der Sexualität fällt das große Spektrum der sexuellen Praktiken auf, die Augustinus andeutet. Dies zeigt bereits die Formulierung silvescere ausus sum variis et umbrosis amoribus (2,1,1) an, durch die der Leser zu Vermutungen darüber angehalten wird, worauf das Wort varius anspielt. Zu Recht wurde neuerdings herausgestellt, dass hier neben dem heterosexuellen 5

6

7 8

Die Antike kennt unterschiedliche Einteilungen der Lebensalter. Vgl. Eyben 1973 für eine systematisierende Zusammenstellung. Als prägendes Modell für Augustinus kann eine Gliederung in 15-Jahres-Intervalle, die M. Terentius Varro vorgenommen hat, gelten. Die adulescentia wird entsprechend auf den Zeitraum vom 15. bis zum 30. Lebensjahr angesetzt. Zu Varros Lebenseinteilungen vgl. Eyben 1973, 172–176, speziell zum Einfluss Varros auf Augustin vgl. Eyben 1973, 176. Auch schon die Unterteilung des ersten Lebensabschnittes in die zwei Episoden infantia und pueritia, wie sie Augustinus in Buch 1 vornimmt, geht höchstwahrscheinlich auf Varro zurück. Vgl. Eyben 1973, 174. Vgl. Eyben 1973, 180. Weitere Stellen zur Verbindung der adulescentia mit der Geschlechtsreife bei Augustinus: vera rel. 26,48,130 (succedit adulescentia, cui iam propagationem prolis natura permittit et patrem facit); civ. 16,43 (ab adulescentia quippe incipit homo posse generare). Neben kulturellen Faktoren gilt auch heute die Geschlechtsreife als grundlegendes, biologisches Abgrenzungsmerkmal zwischen Kindheit und Jugend. Vgl. Jureit 2006, 26. Vgl. Steidle 1982, 486–489; Brachtendorf 2005, 63. Vgl. den Gliederungsvorschlag bei van Fleteren 1998, 129.

3. Der Heranwachsende zwischen Familie und Gesellschaft (Buch 2)

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Geschlechtsverkehr auch homosexueller angedeutet sein könnte. 9 An späteren Stellen wird das Repertoire noch ausgeweitet. Mit den fingierten sexuellen Erlebnissen, die dazu dienen sollten, den Kameraden nicht nachzustehen, dürften autoerotische Erfahrungen umschrieben sein (fingebam me fecisse quod non feceram, ne viderer abiectior; 2,3,7). 10 Zu Beginn des 3. Buches wird der moralische Zustand des Jünglings mithilfe einer Metaphorik beschrieben, die auf das Bildfeld sadomasochistischer Sexualpraktiken rekurriert: perveni occulte ad vinculum fruendi et conligabar laetus aerumnosis nexibus, ut caederer virgis ferreis ardentibus zeli et suspicionum et timorum et irarum atque rixarum. 11

Auch im weiteren Verlauf der Erzählung behält das Thema der Sexualität Bedeutung. Das Laster der cupiditas – als Synonyme begegnen häufig auch die Begriffe concupiscentia, libido, voluptas – stellt sich Augustinus vor der Konversion als unüberwindbares Hindernis für ein gutes Leben entgegen, wird aber auch danach nicht überwunden, wie die Analyse des gegenwärtigen Zustandes im 10. Buch zeigt. 12 Zur Erklärung dieser auffälligen Präsenz des Themas Sexualität sind häufig psychoanalytische Deutungsversuche herangezogen worden, die die Bedeutung der Sexualität aus der psychischen Verfassung des historischen Augustinus zu erklären versuchen. 13 Zu einer zufriedenstellenderen Deutung gelangt man jedoch, wenn man die Literarizität der Confessiones bedenkt. Die Thematik der Sexualität dient Augustinus dazu, die sündige Natur und die Abwendung des Menschen von Gott an einem Lebensbereich zu illustrieren, der jedem Leser bekannt ist. Die eine oder die andere Erfahrung mag auch ein Leser selbst schon gemacht haben. Der Sexualtrieb zeigt die Schwäche des menschlichen Willens nach dem Sündenfall Adams. 14 Mit dem Verweis auf eine große Bandbreite an Formen der Sexualität verleiht der Erzähler auch der Stärke des Triebes starken Nachdruck. Ferner darf man in einer solch unverblümten Offenlegung von Intimität eine Authentifizierungsstrategie sehen, wobei der Autor durch schonungslose Selbstentblößung Glaubwürdigkeit zu gewinnen versucht. 15 Schließlich eröffnet Augustinus durch die Thematisierung des schwierigen Verhältnisses zur Sexualität im Rahmen der autobiographischen Erzählung einen subjektiven Blick auf die körperfeindliche Moral, die er in seinen theoretischen Schriften entwickelt. Er thematisiert die Schwierigkeiten in der Praxis, die die Umsetzung seiner Theorie 9 Vgl. Fuhrer 2004a, 109. 10 Vgl. Fuhrer 2004a, 166; Fuhrer 2004b, 178. 11 3,1,1: „Im Verborgenen gelangte ich zur Fessel der Lust und in Freuden wurde ich mit den Schlingen der Mühsal angebunden, um mit den brennenden eisernen Ruten der Eifersucht, des Argwohns, der Angst, des Zorns und des Streits geschlagen zu werden.“ Vgl. zu dieser Textstelle Fuhrer 2004a, 166–167; Fuhrer 2004b, 178. 12 Zur Episode mit der Konkubine am Ende des 6. Buches s. 182–184. Vgl. Fuhrer 2004a, 167; Fuhrer 2004b, 178–179. 13 Zur Problematik von psychoanalytischen Deutungsansätzen zu den Confessiones s. Kap. II.1.d. 14 Vgl. Fuhrer 2004a, 168; Fuhrer 2004b, 180. 15 Vgl. Fuhrer 2005, 13–14. Eine solche Technik eines „authenticating realism“ wird bei Rothfield 1981, 219 an der Schilderung der Gartenszene exemplifiziert.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

für den einzelnen bringt. Letztendlich steht eine solche Darstellungsweise im Dienst einer Erzeugung von sympathetischer Identifikation und der protreptischen Intention. Lenken wir den Blick zurück zur vorliegenden Textstelle am Anfang des 2. Buches. Durch die Abwendung von Gott erklärt sich der Erzähler Augustinus auch, dass dieser nicht steuernd für ihn in der Vergangenheit eingriff. 16 Somit konnten auch seine Mitmenschen ihn nicht zu einem richtigen Verhalten bewegen, wie sie die Regeln der Bibel entsprechend der im Nachhinein erlangten Einsicht Augustins vorgeschrieben hätten: quis mihi modularetur aerumnam meam et novissimarum rerum fugaces pulchritudines in usum verteret earumque suavitatibus metas praefigeret, ut usque ad coniugale litus exaestuarent fluctus aetatis meae, si tranquillitas in eis non poterat esse fine procreandorum liberorum contenta, sicut praescribit lex tua, domine, qui formas etiam propaginem mortis nostrae, 17 potens inponere lenem manum ad temperamentum spinarum a paradiso tuo seclusarum?

Augustinus setzt hier die Verwirrung in der Vergangenheit seinen aktuellen Einsichten entgegen. Die Wortwahl ist aufschlussreich, denn sie verweist auf die Sprache seiner theologischen Traktate. Die Wendung fine procreandorum liberorum contenta lässt sowohl in der Wortwahl als auch stilistisch durch die sehr formal wirkende Gerundivkonstruktion die Fachschriftstellerei anklingen. 18 Es zeigt sich, wie auch diese Stelle eine Übertragung theologischer Fragen auf die Lebensbetrachtung ist, die anderswo in speziellen Abhandlungen besprochen werden. In der Schrift De bono coniugali, die etwa zeitgleich zu den Confessiones im Jahre 401 entstanden ist, wird als einziger aus christlicher Sicht vertretbarer Grund für Geschlechtsverkehr die Zweckbestimmung der procreatio angeführt. 16 Ibam longius a te, et sinebas, et iactabar et effundebar et diffluenbam et ebulliebam per fornicationes meas, et tacebas (2,2,2). Die stilistische Gestaltung drückt durch die Aneinanderreihung vieler Verben, die unkontrollierte Bewegung bezeichnen, markant die Unstetigkeit des Protagonisten im Kontrast zur Ruhe und Zurückhaltung Gottes aus, die mit jeweils einem Verbum ausgedrückt wird (et sinebas, et tacebas). Die Konjunktion et trägt hier sowohl kopulative Bedeutung, wobei sie die Gleichzeitigkeit der Geschehnisse bezeichnet, als auch adversative, wobei sie die Gegensätzlichkeit von menschlicher und göttlicher Ebene unterstreicht. Zu den Funktionen der Konjunktion et vgl. Menge 2000, §427(1)(a), 583; (3)(c), 586. 17 2,2,3: „Wer hätte meiner Trübsal ein Maß geben, die flüchtige Schönheit der neuesten Dinge zu meinem Nutzen wenden und ihren Annehmlichkeiten Grenzen aufweisen können? Dann hätten die Fluten meines Alters gegen das Ufer der Ehe branden können, wenn schon ein Ruhezustand bei ihnen nicht erreicht werden konnte, der sich mit dem Ziel der Zeugung von Kindern begnügt hätte. So schreibt es nämlich dein Gesetz vor, Herr, der du auch die Nachkommenschaft unseres Todes bildest, der es vermag, seine sanfte Hand aufzulegen zur Linderung der Qualen, die von deinem Paradies ausgeschlossen sind.“ Die vorgelegte Übersetzung folgt dem Deutungsvorschlag zu dieser schwierigen Stelle bei Clark 1995, 119–120: Die Ehe kann der Lust Ruhe gewähren, wenn diese sich auf die Zeugung von Kindern beschränkt. In diesem Fall ist die Ehe ein Gut. Das sexuelle Begehren beim jugendlichen Protagonisten überschreitet jedoch diese Beschränkung. Geschlechtsverkehr innerhalb der Ehe, der über das Ziel der procreatio hinausgeht, ist zwar nicht empfehlenswert, da er eine Unterwerfung unter die Lust bedeutet, kann jedoch im Gegensatz zu einer außerehelich vollzogenen Sexualität als verzeihlich gelten. 18 Sowie der Ausdruck propago mortis nostrae.

3. Der Heranwachsende zwischen Familie und Gesellschaft (Buch 2)

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Diese darf auch nur in der Ehe geschehen. Im Anschluss werden die zentralen Bibelstellen, auf die ein richtiges Verständnis von Sexualität aufzubauen hat, in einem Zitatnest gehäuft angeführt. Augustins Abwendung von Gott und das darauf folgende Schweigen Gottes drückt sich in dieser Lebensphase auch in den interpersonalen Beziehungen aus: In dieser Periode wirkt Monnica, im Gegensatz zu späteren Zeitpunkten, nicht als Instrument der Gnade oder als Sprachrohr Gottes auf ihn. Von der einleitenden allgemeinen Reflexion über seine Abwendung von Gott leitet Augustinus zu der konkreten Situation in seiner Familie über: 19 ubi eram et quam longe exulabam a deliciis domus tuae anno illo sexto decimo aetatis carnis meae, cum accepit in me sceptrum et totas manus ei dedi vesania libidinis licentiosae per dedecus humanum, inlicitae autem per leges tuas? non fuit cura meorum ruentem excipere me matrimonio, sed cura fuit tantum, ut discerem sermonem facere quam optimum et persuadere 20 dictione.

Die Entfernung von Gott in diesem Lebensabschnitt wird in den bereits bekannten Formen zum Ausdruck gebracht. Die Situation wird in Anspielung auf das Gleichnis vom Verlorenen Sohn geschildert (longe exulabam a deliciis domus tuae), das in den Confessiones eine mehrfach evozierte Vorlage darstellt, um das Thema der Ausrichtung auf Weltliches erzählerisch unter Rückgriff auf ein christliches Modell zu vermitteln. Das Genetivattribut aetatis carnis meae zur Altersangabe (anno illo sexto decimo) unterstreicht den innerweltlichen Zusammenhang, um den es in diesem Textabschnitt geht. Für den Erzähler Augustinus erklärt sich das ausbleibende Eingreifen der Eltern gegen seine sexuellen Begierden aus deren einseitigem Ehrgeiz um die Ausbildung des Sohnes. Die Kritik an der moralischen Indifferenz der Bildung aus dem 1. Buch wird somit in diesem Zusammenhang wieder aufgenommen. Die Anspielung auf das Gleichnis vom Verlorenen Sohn, die am Anfang der Überleitung steht, deutet schon auf die folgende Episode im Elternhaus voraus, und setzt bereits die spirituelle Heimat in Kontrast zu der innerweltlichen. Die Ferne von der göttlichen Heimat (domus tua) konkretisiert sich im folgenden Abschnitt des Lebensrückblicks gerade im Haus der leiblichen Eltern. Ein wichtiges Darstellungsprinzip der Confessiones besteht darin, dass Augustinus die am eigenen Beispiel vollzogenen Beobachtungen auch an anderen Figuren feststellt. Ziel dieser Technik ist es, zu vermitteln, dass die angestellten Beobachtungen als allgemeingültig für den Menschen gelten können. Dies trifft auch für die vorliegende Textstelle zu. Nicht nur Augustins eigener Wille, son19 Entsprechend der Gliederung von van Fleteren 1998, 129 wird in 2,2,2–2,2,4 die Grundthese präsentiert, während daraufhin in 2,3,5–2,4,9 die Beispiele angeführt werden. 20 2,2,4: „Wo war ich, und wie weit von den Freuden deines Hauses irrte ich in jenem sechzehnten Jahr meines leiblichen Lebens umher, als die Raserei der Lust, die durch die Schande der Menschen erlaubt, verboten hingegen nach deinen Gesetzen ist, über mich das Szepter empfing und ich ihr freie Hand über mich gab? Meine Eltern kümmerten sich nicht darum, mich in meinem Sturz durch die Ehe aufzufangen, sondern ihnen lag nur daran, dass ich lernte, möglichst gut eine Rede zu verfertigen und durch die Ausdrucksweise zu überzeugen.“

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

dern auch die Intentionen der Eltern sind fehlgeleitet. Ihnen ist nicht daran gelegen, die sexuellen Begierden des Sohnes durch eine Ehe und, wenn möglich, ausschließlich zum Zweck der Kinderzeugung in geordnete Bahnen zu lenken, wie es der theologischen Position Augustins zum Zeitpunkt des Erzählens entspräche, vielmehr sind sie nur auf den beruflichen Erfolg bedacht. Somit ist auch Monnica nicht gegen innerweltliche Verirrung gefeit. Infolge dieser Beobachtung ist es unmöglich, von „Augustins Beschreibung der Heiligkeit Monnicas zu jener Zeit“ 21 zu sprechen. Die Darstellung ist differenzierter zu betrachten. Eindeutig negativ beurteilt werden die Motive, die der Vater mit der Ausbildung des Sohnes verfolgt: et anno quidem illo intermissa erant studia mea, dum mihi reducto a Madauris, in qua vicina urbe iam coeperam litteraturae atque oratoriae percipiendae gratia peregrinari, longinquioris apud Carthaginem peregrinationis sumptus praeparabantur animositate magis quam 22 opibus patris, municipis Thagastensis admodum tenuis.

Es ist sein Ehrgeiz (animositas), der den Vater veranlasst, dem Sohn eine Ausbildung in Grammatik und Rhetorik (litteratura atque oratoria) zukommen zu lassen. Der Begriff animositas trägt unterschiedliche Bedeutungen und bedarf in dem vorliegenden Kontext einer genaueren Bestimmung. Animositas kann mit der Bedeutung ‚Mut‛ stehen. 23 Jedoch spricht in der vorliegenden Textstelle nichts dafür, den Terminus so positiv aufzufassen. 24 Der Begriff, der nicht vor dem Beginn des 3. Jh. begegnet, wird sowohl in der Itala als auch in der Vulgata in Hbr 11,7 (non veritus animositatem regis) als Übersetzung für ὁ θυμός im griechischen Text verwendet. Alle im ThlL angeführten Belege bei spätantiken, vorwiegend christlichen Autoren weisen diese eindeutig negative Konnotation auf. 25 In De civitate dei zitiert Augustinus Gal 5,19–21 mit dieser Bedeutung von animositas. 26 Tref-

21 Van Fleteren 1998, 113. Treffender die Beobachtung von Miles 1982, 353: “Neither parent receives unambiguous appreciation from Augustine.” 22 2,3,5: „Und gerade in diesem Jahr wurden meine Studien unterbrochen, als ich aus Madaura zurückgeholt worden war – einer nahe gelegenen Stadt, in der ich mich, um die Sprache und die Redekunst zu studieren, schon aufzuhalten begonnen hatte – und für mich das Geld bereitgestellt wurde für einen längeren Aufenthalt in Carthago, mehr aufgrund der Ehrsucht als aufgrund der vorhandenen Mittel des Vaters, eines Bürgers in Thagaste von nur niedrigem Stand.“ 23 Vgl. van Fleteren 1998, 111; 11224. 24 Vgl. O’Donnell 1992, II, 117 (“A.’s use of the word does not have positive ring.”); Clark 1995, 122. 25 Vgl. ThlL 2, s.v. animositas, 88. 26 Vgl. civ. 14,2: inspiciamus diligenter illum locum epistulae Pauli apostoli quam scripsit ad Galatas, ubi ait: «manifesta autem sunt opera carnis, quae sunt fornicationes, inmunditiae, luxuria, idolorum servitus, veneficia, inimicitiae, contentiones, aemulationes, animositates, dissensiones, haereses, invidiae, ebrietates, comisationes et his similia; quae praedico vobis, sicut praedixi, quoniam qui talia agunt regnum dei non possidebunt». Der Affekt der animositas ist hier in eine Aufreihung eindeutig negativ konnotierter Verhaltensweisen eingegliedert.

3. Der Heranwachsende zwischen Familie und Gesellschaft (Buch 2)

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fend ist somit etwa die Wiedergabe von Burkhard Mojsisch mit „ehrsüchtiger Neigung“ 27. Die Bemühungen der Eltern um die Bildung ihres Sohnes werden im Zusammenhang mit der Willensausrichtung betrachtet. Der Vater handelt zwar lobenswert, indem er für den Sohn trotz beschränkter finanzieller Mittel sein Mögliches aufbietet, 28 jedoch werden die mit diesem Einsatz verbundenen Absichten als schlecht eingestuft. Die Gegenüberstellung animositate magis quam opibus patris schneidet bereits den Aspekt der (falschen) Motivation an, der nach der Unterbrechung durch die Selbstreflexion des Autors auf sein literarisches Unternehmen fortgeführt wird: multorum enim civium longe opulentiorum nullum tale negotium pro liberis erat, cum interea non satageret idem pater, qualis crescerem tibi aut quam castus essem, dummodo essem disertus vel desertus potius a cultura tua, deus, qui es unus verus et bonus dominus agri tui, 29 cordis mei.

Das Handeln wird gegen die mit ihm verbundene Absicht aufgewogen. Die Wertung fällt zugunsten der Willensausrichtung aus. So lobenswert die Aufopferung und somit das Handeln des Vaters ist, so wird das Lob doch durch die falsche Absicht, die verfolgt wird, gemindert. Hier nimmt Augustinus seine Kritik am Bildungssystem aus dem 1. Buch wieder auf, bei der die moralische Indifferenz des Unterrichts und der Bildungsinhalte beklagt wurde. 30 Bedeutend ist in diesem Satz das Wort qualis. Die moralische Entwicklung des Sohnes liegt dem Vater nicht am Herzen. An der Figur des Vaters wird die Kritik am traditionellen Bildungsbetrieb der Rhetorik aus dem 1. Buch wieder aufgenommen. Dabei wird hier im 2. Buch ein zusätzlicher Aspekt in der Bildungskritik beleuchtet. Auch die falschen Ambitionen, die die Eltern mit ihrer Unterstützung der Ausbildung des Sohnes verknüpfen, sind Teil des beklagten Missstandes. Der geistigen Fehlorientierung auf eine Rhetorik, die unabhängig von einer moralischen Verankerung nur beruflichen Zwecken dient, verleiht Augustin gerade durch die Anwendung rhetorischer Mittel wirkungsvollen Ausdruck: Mit der Paronomasie, dem Spiel mit ähnlich klingenden Wörtern, greift Augustinus auf eine rhetorische Figur zurück, die in direktem Zusammenhang mit dem Aussageinhalt steht. 31 Die Paronomasie dient Augustinus dazu, zwei verschiedene Per27 Flasch / Mojsisch 2003, 59. 28 Zu einer Rekonstruktion der finanziellen Lage und sozialen Verhältnisse von Augustins Vater vgl. Shaw 1987. 29 2,3,5: „Viele bei weitem begütertere Bürger zeigten nämlich kein solches Engagement für ihre Kinder, während sich derweil mein Vater nicht darum bemühte, wie ich für dich aufwüchse oder wie keusch ich wäre; nur sollte ich beredt sein oder eher entfernt von deiner Pflege, der du der einzige wahre und gute Herr deines Feldes, meines Herzens, bist.“ 30 Zur ethischen Problematisierung des Unterrichts vgl. Tornau 2002, zur Kritik an den als Schulstoff dienenden Inhalten vgl. Schultheiß 2007, 171–179. 31 Zur großen Bedeutung der Paronomasie in der antiken Redetheorie (Auctor ad Herennium, Quintilian) vgl. Czapla 2003, 649–650, wo festgestellt wird, dass „im Bereich der lateinischen Grammatik- und Rhetorik-Handbücher (…) auf die P. mit geringer Veränderung des Buchstabenbestandes abgehoben“ wird. Diese Form liegt auch hier vor. O`Donnell 1992, II,

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

spektiven auf denselben Sachverhalt sowohl zu verbinden als auch zu kontrastieren. Sie schafft Identität und zugleich Differenzierung. Zunächst geht es in dem Satz um die Motive des Vaters, den Sohn eine höhere Bildung genießen zu lassen (dummodo essem disertus). Die Motive werden aus dessen Perspektive in der erzählten Zeit dargestellt. Die Intention des Vaters drückt sich in dem mit dummodo eingeleiteten bedingten Wunschsatz aus. 32 Dieser Darstellung stellt Augustin nun seine Deutung aus der nachträglichen Erzählperspektive gegenüber, die das Leben aus der Rückblicksperspektive als eine anfängliche Abwendung und spätere Hinwendung zu Gott deutet. Das Wortspiel mit disertus und desertus könnte Anlass sein, Augustinus vorzuwerfen, er bediene sich selbst der Rhetorik, obwohl er sich ihr gegenüber kritisch äußere. Jedoch muss für Augustinus festgehalten werden, dass seine Ablehnung sich nicht gegen die Rhetorik prinzipiell richtet, sondern gegen die Loslösung der Redekunst von moralischen Prinzipien. 33 Die eigenen Prämissen wendet er hier positiv an. Die Paronomasie von disertus und desertus eröffnet eine landwirtschaftliche Metaphorik, womit Augustinus wiederum seine damalige Situation in Anspielung auf das biblische Gleichnis vom Sämann verstehen kann. Das Wortspiel dient somit dazu, von einer rein innerweltlichen Sicht auf die Dinge zu einer religiösen Sicht in der Sprach- und Denkwelt der Bibel überzuleiten. Augustinus erreicht mit diesem rhetorischen Mittel zwei Effekte: a) Den Missstand einer auf falsche Ziele ausgerichteten Rhetorik stellt er ganz eindrücklich gerade durch den Gebrauch von rhetorischen Mitteln dar. Die Distanzierung erfolgt hier mit ironischen Tönen. b) Durch diese Anwendung des rhetorischen Mittels zeigt er gleichzeitig eine richtige Benutzung der Rhetorik auf. Sie ist willkommen, wenn sie dazu dient, wichtige christliche Inhalte wirkungsvoll auszudrücken. Diesen

119 möchte auch disertus als landwirtschaftlichen Terminus technicus an cultura anschließen, muss dann aber zu dem Ergebnis gelangen: “There is want of strict logic here.” Eine bessere Textdeutung wird ermöglicht, wenn man disertus nur im Sinne von „beredt“ auffasst und davon absieht, das Wort in Verbindung mit cultura zu bringen. 32 Menge 2000, § 569,4, 833 bezeichnet Sätze, die mit dummodo eingeleitet werden, als ‚bedingt beschränkte Wunschsätze‛. Der Wunschmodus dieser Sätze wird auch in der Definition von K–St II, § 222, 446 betont: „Die Bedeutung des dum ist in diesen Sätzen ohne Zweifel aus dem Gebrauche des temporalen dum mit dem Ko nj u n kt i ve zur Bezeichnung eines b eab s ic ht i ge n te mp o r al e n Zie le s = bis daß hervorgegangen. Wenn ich sage: „Milites acriter tam diu pugnant usque, dum hostem vincant“, so liegt in dem Nebensatze gewissermaßen eine B e sc hr ä n k u n g; sie kämpfen solange in einem fort, bis daß sie siegen; sie erstreben nur den Sieg, der Sieg ist der Ziel- und Grenzpunkt ihres Kämpfens. (…) Die Sätze mit modo = nur zeigen noch immer deutlich ihre Entstehung aus selbständigen Wunschsätzen (so auch in der gelegentlichen Nachstellung des modo), wenn auch modo allmählich aus einem Adverb zur Konjunktion geworden ist.“ 33 Vgl. Tornau 2002 zu Buch 1. Die in Buch 1 erkennbare Haltung zur Rhetorik entspricht den im 4. Buch von De doctrina christiana geäußerten Ansichten. Die Redekunst soll genutzt werden, solange sie der Vermittlung des Glaubens dient.

3. Der Heranwachsende zwischen Familie und Gesellschaft (Buch 2)

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Anspruch erfüllt sie auch, wenn sie im Rahmen der Confessiones, eines christlichen Protreptikos, angewandt wird. 34 Der eben untersuchte Gedankengang wird unterbrochen durch eine Reflexion des Autors Augustinus über den Sinn seiner Erzählung, die als ein Exkurs die autobiographische Darstellung unterbricht: cui narro haec? 35 Diese für die Bestimmung der mit den Confessiones verfolgten Intention des Autors so bedeutende Reflexion kann an dieser Stelle nicht eingehend analysiert werden, dennoch stellt sich für die vorliegende Arbeit, die die gesamte Episode zusammenhängend untersuchen will, die Frage, warum eine solche Reflexion gerade an dieser Stelle als Unterbrechung ebendieser Geschichte erfolgt. Die Forschungsliteratur behandelt diesen Abschnitt als einen Exkurs, ohne dabei einen Zusammenhang zum Erzählgang herzustellen. 36 Jedoch ist es durchaus möglich, die Platzierung dieser Überlegung aus der Gedankenabfolge der autobiographischen Erzählung heraus zu erklären. Die Reflexion über den Sinn seines Erzählens kann durchaus daher rühren, dass der Autor gerade bei der Darstellung solcher familialer Zusammenhänge und der Preisgabe von nicht vorteilhaften Informationen über sich selbst das Bedürfnis einer Rechtfertigung verspürt. Augustinus hat in der Kundgabe von solch intimen Informationen keine literarischen Vorbilder, und es ist durchaus aus einer Unsicherheit über die Neuheit seines Unternehmens zu erklären, dass er gerade an dieser Stelle die Notwendigkeit empfindet, die mit dem Erzählen verfolgten Absichten zu rechtfertigen. 37

34 Die nach diesem Postulat angewandte Rhetorik wird in 2,3,7 mit der auffälligen Aneinanderreihung von v-Alliterationen fortgesetzt. 35 Der gesamte Text der Selbstreflexion des Autors (2,3,5): cui narro haec? neque enim tibi, deus meus, sed apud te narro haec generi meo, generi humano, quantulacumque ex particula incidere potest in istas meas litteras. et ut quid hoc? ut videlicet ego et quisquis haec legit cogitemus, de quam profundo clamandum sit ad te. et quid propius auribus tuis, si cor confitens et vita ex fide est? Vgl. O’Donnell 1992, II, 118: “The authorial voice breaks off the ‘confession’ proper and speaks as it were in a void, to no one.” 36 Vgl. O’Donnell 1992, II, 118: “excursion”. 37 Zu einer vergleichbaren Einschätzung gelangt Pizzolato 1984, 31 in Bezug auf 1,6,7: „Agostino, che è spesso sensibile alla paura di cadere nel ridicolo (in ciò rivelando consapevolezza del suo valore intellettuale e uno scrupoloso autocontrollo, derivantegli anche dall’agonismo scolastico), ha coscienza di accingersi a fare cosa nuova rispetto alle (auto)biografie dell’antichità, impostate spesso sull’(auto)encomio. L’esitazione deriva quindi dal non avere modelli davanti a sè per la narrazione delle origini e dei primi gesti di vita, che l’autobiografia tradizionale permette. Ma Agostino non può permettersi di tralasciarli, perchè vuole cogliere i primordia dell’uomo e in essi i primordia dell’aiuto di Dio (…) Quindi il pudore, solo in parte imputabile alla volontà di sottrarsi all’irrisio di «avversari» incapaci di comprendere le realtà eterne, nasce proprio dalla novità e dall’audacia dell’autobiografia cristiana, che infrange le regole communi.” Was Pizzolato für die infantia-Episode feststellt, gilt auch für die Darstellung der adulescentia.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

b) Säkulares Familiendenken In der autobiographischen Betrachtung kommt Augustinus nun zum Kernpunkt im ersten Teil des 2. Buches, dem Überborden der sexuellen libidines: sed ubi sexto illo et decimo anno interposito otio ex necessitate domestica feriatus ab omni schola cum parentibus esse coepi, excesserunt caput meum vepres libidinum, et nulla erat eradicans manus. quin immo ubi me ille pater in balneis vidit pubescentem et inquieta indutum adulescentia, quasi iam ex hoc in nepotes gestiret, gaudens matri indicavit, gaudens vinulentia, in qua te iste mundus oblitus est creatorem suum et creaturam tuam pro te amavit, 38 de vino invisibili perversae atque inclinatae in ima voluntatis suae.

Als der Vater anlässlich des Besuches einer Badeanstalt beim Sohn eine Erektion feststellt, freut er sich auf mögliche Nachkommenschaft. Die Reflexion über die Fehlorientierung des Vaters knüpft an die vorausgehende Passage über die Schulbildung an, wie Augustinus durch das rückbezügliche Demonstrativpronomen ille, das auf den Vater hinweist, deutlich herausstreicht. Dessen Interesse ist auf den Fortbestand der Familie gerichtet, 39 ein Interesse, das in ihm die Bedeutung der Familie in der paganen römischen Kultur erkennen lässt. Kinderlosigkeit war von den Haushaltsvorständen äußerst gefürchtet, besonders in Anbetracht der hohen Kindersterblichkeit. 40 Kinder sollten den Fortbestand des Namens gewährleisten und als Erben den Verlust des Vermögens an Außenstehende verhindern. 41 Ein weiterer bedeutender Grund für die Sorge vor einem Aussterben der Familie stellte der drohende Abbruch des Familienkultes dar. 42 Der Geschlechtlichkeit wird in der antiken römischen Kultur eine bedeutende Position beigemessen, da die Reproduktion den Fortbestand der Gesellschaft garantiert. Im Kult spiegelt sich dies im Bestehen von Gottheiten wieder, die Sexualität und Reproduktion begleiten: 38 2,3,6: „Aber sobald in jenem sechzehnten Lebensjahr infolge einer Notlage im Elternhaus eine Ruhepause eintrat und ich von jedem Unterricht beurlaubt begann, mich bei meinen Eltern aufzuhalten, überstiegen die Dornensträucher der Lust mein Haupt, und es gab keine Hand, die sie ausgerissen hätte. Ganz im Gegenteil. Als jener Vater im Bad sah, dass ich geschlechtsreif war und die Regungen der Jugend sich an mir bemerkbar machten, wies er freudig die Mutter darauf hin, als ob er schon deshalb über Enkel frohlocken könnte, freudig im Rausch, in dem diese Welt dich, ihren Schöpfer, vergessen hat und deine Schöpfung statt deiner lieb gewonnen hat infolge des unsichtbaren Weins ihres verkehrten und ins Tiefste sich neigenden Willens.“ 39 Vgl. Fuhrer 2004a, 109. 40 Vgl. Krause 2003, 33–35. Als Beispiele sei auf Cornelia, die Mutter der Gracchen verwiesen, die 12 Kinder gebar, von denen jedoch lediglich 3 das Erwachsenenalter erreichten, sowie auf Marc Aurel, den von ebenfalls 12 Kindern nur sein Thronnachfolger Commodus überlebte. 41 Vgl. als Beispiel für die Spätantike die Untersuchung von Krause 1991, 558: „In manchen Fällen drängten im spätantiken Gallien die Eltern ihre Kinder zur Heirat, um noch zu ihren Lebzeiten Enkelkinder zu sehen, die die Fortexistenz der Familie sicherstellen und verhindern würden, daß das Vermögen der Familie an Außenstehende fallen würde.“ Diese These stützt Krause auf eine Vielzahl von Textstellen bei Paulinus von Pella und Gregor von Tours. Krause hält ferner fest, welch große Bedeutung Kindern für die Altersversorgung der Eltern beigemessen wurde. Vgl. Krause 1991, 559 sowie Krause 2003, 128. 42 Vgl. Krause 2003, 21–22. Eine große Bedeutung kommt der Nachkommenschaft für die Fortsetzung des Familienkultes bereits in Griechenland zu. Vgl. Krause 2003, 44; 71; 94.

3. Der Heranwachsende zwischen Familie und Gesellschaft (Buch 2)

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Aphrodite, Eros und Gamelios beziehungsweise Venus, Amor, Cupido und andere. 43 Der Vater vertritt die pagane Hochschätzung der Familientradition, beachtet aber nicht die moralische Bedrohung des Sohnes durch die Sexualität, die von Augustinus aus der nachträglichen Erzählerperspektive festgestellt wird. Das Generationenverhältnis innerhalb der Familie wird zu einem Ort, an dem der Konflikt zwischen paganen Traditionen und Christentum ausgetragen wird. Als ein Bruch mit der römischen Tradition ist schon die Tatsache der negativen Darstellung eines Vaters selbst zu sehen. 44 Augustinus verurteilt die traditionellen Wertvorstellungen, denn in ihnen zeigt sich die Fehlorientierung auf die creatura und die gleichzeitige Abwendung vom creator. Mit diesem Beispiel, in dem es gerade um die menschliche Zeugungsfähigkeit geht, verdeutlicht Augustinus besonders gut die Vergessenheit des Menschen, der ja zeugen kann, darüber, dass er selbst Kreatur ist. Diese Geisteshaltung wird dem Vater als eine vinulentia ausgelegt, die aus einer falschen Willensausrichtung rührt: de vino invisibili perversae atque inclinatae in ima voluntatis suae. Es wäre jedoch falsch, aus dieser negativen Darstellung den Schluss zu ziehen, der Vater diene Augustinus ausschließlich als eine Kontrastfigur, der er nur Ablehnung entgegenbringt. Vielmehr spiegelt sich im Vater eine allgemeine Condicio humana, der Augustinus auch selbst unterliegt. Der Vater ist also nicht bloß Kontrastfigur, schon gar keine Hassfigur, 45 im Gegenteil lässt sich ein in diese Figur eingearbeitetes identifikatorisches Moment erkennen. Noch in 1,20,31 hat sich Augustinus selbst geziehen, weil seine Aufmerksamkeit auf die Schöpfung gerichtet war. 46 So unterliegt der Vater einer Gefährdung, der jeder Mensch ausgesetzt ist. Auch er ist zu den Figuren in den Confessiones zu zählen, die Augustinus zur Verallgemeinerung des an der eigenen Person dargestellten Irrwegs dienen. Im Gegensatz zum Vater reagiert Monnica auf die einsetzende Geschlechtsreife alarmiert, da sie in ihr eine Bedrohung für den Sohn sieht: sed matris in pectore iam inchoaveras templum tuum et exordium sanctae habitationis tuae: nam ille adhuc catechumenus et hoc recens erat. itaque illa exsiluit pia trepidatione ac tremore et quamvis mihi nondum fideli, timuit tamen vias distortas, in quibus ambulant «qui» 47 ponunt ad te «tergum et non faciem» (Ier 2,27).

43 Vgl. Schneider 2000, 412. 44 Augustinus’ Darstellung über den Vater ist nach der Einschätzung bei Wlosok 1978, 28: „das einzige authentische negative Vaterporträt der lateinischen Literatur.“ 45 Zu einer solchen Beurteilung führen zwangsläufig Untersuchungen, denen eine Freud’sche Dogmatik zugrunde liegt. 46 So verwundert es auch nicht, wenn Augustinus den Vater nicht gänzlich verurteilt, wie etwa von Frederick van Fleteren erwartet (1998, 110): „Patrizius verkörpert im Gegensatz zu Monnica die heidnische Welt. Wenn man sich diesen grundlegenden Kontrast in der Stellung der Eltern vor Augen hält, dann überrascht es, daß Patricius im zweiten Buch der Confessiones weniger negativ dargestellt ist, als man erwarten könnte.“ 47 2,3,6: „Aber im Herzen meiner Mutter hattest du schon mit dem Bau deines Tempels begonnen und den Grundstein deiner heiligen Behausung gelegt: Aber er war noch Taufanwärter und dies erst seit kurzer Zeit. Deshalb sprang sie in frommer Beunruhigung und unter Zittern

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

Augustinus deutet die Reaktion Monnicas als von Gott veranlasst, der mit Augustinus vermittels seiner Mutter kommuniziert. Die Reaktion der Mutter wird für den Erzähler Augustinus zu einer göttlichen admonitio in der empirischen Welt.48 In Augustinus Vorstellungen zur Prädestination wirkt die göttliche Gnade vermittels admonitiones am Menschen. Diese admonitio wird aber von der Figur Augustin zu diesem Zeitpunkt in der Vergangenheit nicht verstanden: et audeo dicere tacuisse te, deus meus, cum irem abs te longius? itane tu tacebas tunc mihi? et cuius erant nisi tua verba illa per matrem meam, fidelem tuam, quae cantasti in aures 49 meas? nec inde quicquam descendit in cor, ut facerem illud.

Die Warnung der Mutter, Dirnen aufzusuchen oder gar Ehebruch zu begehen, belächelt Augustinus als ‚weibisch‘: qui mihi monitus muliebres videbantur, quibus obtemperare erubescerem. Augustinus verurteilt hier seine frühere Geringschätzung von Weiblichkeit. Auch beim Weinen erkennt er am Ende des 9. Buches eine Form der Emotion an, für die zuvor seine Mutter, eine Frau, gestanden hat. Die Mutter wird als ein Medium der göttlichen Gnade dargestellt. Hierbei kommt auch das reziproke Moment der Mutter-Sohn-Beziehung zum Tragen, bei dem es letztlich um den Gottesbezug geht. So erkennt der erzählende Augustinus nicht nur den Versuch Gottes in der Vergangenheit, an ihm vermittels der Mutter zu wirken, sondern er versteht auch, dass er durch seine Geringschätzung der Hinweise von Seiten der Mutter schlussendlich Gott missachtet hat: illi (sc. monitus) autem tui erant, et nesciebam et te tacere putabam atque illam loqui, per quam mihi tu non tacebas, et in illa contemnebaris a me, a me, filio eius, filio, «ancillae tuae» 50 (Ps 115,16), servo tuo.

Beachtenswert ist das Trikolon der Appositionen, mit denen Augustinus sich selbst beschreibt. Inhaltlich ist es klimaktisch ansteigend konzipiert. Die Begriffe abstrahieren von dem fleischlichen Verhältnis zur Mutter (filio eius) zu einem Verhältnis über die Mutter zu Gott (filio ancillae tuae) und schließlich hin zu einem direkten Verhältnis zu Gott (servo tuo). In diesem Trikolon vollzieht er die in seinen theologischen Werken und auch in den Confessiones wiederholt postulierte Einheit von Gottes- und Nächstenliebe: Über den Nächsten soll Gott erkannt werden. auf, und obwohl ich noch nicht gläubig war, fürchtete sie für mich dennoch die verkehrten Wege, auf welchen jene wandeln, die dir den Rücken, nicht das Gesicht zuwenden.“ 48 Vgl. Madec 1986–1994, 98; van Fleteren 1998, 121–122. 49 2,3,7: „Und ich wage es zu sagen, du hättest geschwiegen, mein Gott, als ich weiter von dir wegging? Hast du damals in dieser Weise mir gegenüber geschwiegen? Und wessen Worte waren jene durch den Mund meiner Mutter, die dir treu war, wenn nicht deine, die du mir ins Ohr sangst? Auch nicht nur ein kleiner Teil davon stieg in mein Herz hinab, so dass ich dies getan hätte.“ 50 2,3,7: „Jene Mahnungen aber waren deine, aber ich wusste es nicht und glaubte, dass du schwiegest und sie spreche, durch welche du mir gegenüber nicht schwiegst, und in ihr wurdest du gering geschätzt von mir, von mir, ihrem Sohn, dem Sohn deiner Magd, deinem Diener.“

3. Der Heranwachsende zwischen Familie und Gesellschaft (Buch 2)

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Die Textstelle gibt einen intertextuellen Bezug zum Psalter zu erkennen. Mit dem Zitat aus den Psalmen verweist Augustinus den mit der Bibel vertrauten Leser auf den Kontext des Psalms 115, auf dessen 16. Strophe sich Augustinus bezieht. Der folgende Psalmen-Text entspricht der Textversion, die Augustinus vorlag, wie sie aus anderen Zitaten derselben Stelle eruiert werden kann: O domine, ego servus tuus; ego servus tuus et filius ancillae tuae.

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Man kann bei diesem Zitat einen erweiterten Resonanzraum annehmen. Das Zitatsegment verweist auch auf den Prätext, aus dem es entnommen ist. So evoziert Augustinus hier die Stimmung eines Dankliedes, in dem der Sänger sich bei Gott für die Rettung aus den „Fesseln des Todes“ bedankt. Diesen Psalmen-Vers führt Augustinus nochmals als einleitende Anrede Gottes am Anfang des Buches 9 an, wo die Stimmung des Lobpsalms durch den Kontext des Zitats und durch die Wortwahl auf explizite Weise wachgerufen wird: «o domine, ego servus tuus, ego servus tuus et filius ancillae tuae. dirupisti vincula mea; tibi 52 sacrificabo hostiam laudis» (Ps 115,16–17). laudet te cor meum et lingua mea.

Das Zitat behält an der Stelle im 2. Buch jedoch den Originalwortlaut nicht genau bei. Diese Abweichung in der Anordnung der Glieder unterstreicht, dass es sich hierbei um eine gezielte Gestaltung des Trikolons als einer inhaltlichen Klimax handelt. In Buch 2 der Confessiones steht zuerst filio ancillae tuae, dann folgt servo tuo. Im Bibelvers verhält es sich umgekehrt. Dass Augustinus die einzelnen Glieder anders anordnet, als er sie im Bibelvers vorfindet, ist bezeichnend. Er lässt die Appositionen in der Reihung aufeinander folgen, in der sie der inhaltlichen Klimax seines Gedankenganges, bei dem ein fleischliches Verhältnis zwischen Menschen zu einem Verhältnis von einem Menschen zu Gott sublimiert wird, entspricht. Wenn auch solche „Pasticciozitate“ wiederholt in den Confessiones vorkommen, 53 so muss man hier von einer gezielten Gestaltung sprechen. Augustinus zitiert den Vers in dieser Form ebenfalls in den Enarrationes in Psalmos 115,4–6. Hier deutet Augustin die ancilla tua allegorisch als ecclesia. Der an dieser Stelle der Confessiones zur Darstellung des Beziehungszusammenhangs Augustinus (Sohn) – Mutter (Magd) – Gott herangezogene Psalmenvers wird somit andernorts allegorisch als Bestimmung des Verhältnisses Mensch (Sohn) – Kirche (Magd) – Gott gedeutet. 54 Georg Nicolaus Knauer hat plausibel 51 „Oh Herr, ich bin dein Diener; ich bin dein Diener und der Sohn deiner Magd.“ Vgl. 9,1,1; en. Ps. 115,6. 52 9,1,1:„Oh Herr, ich bin dein Diener; ich bin dein Diener und der Sohn deiner Magd. Du hast meine Fesseln durchbrochen; dir werde ich ein Opfer des Lobes darbringen. Mein Herz und meine Zunge sollen dich loben.“ 53 Vgl. Knauer 1955, 84–88. Hier auch der Begriff „Pasticciozitat“. 54 En. Ps. 115,6: iste filius est Ierusalem caelestis, quae sursum est, mater omnium nostrum libera. et libera quidem a peccato, sed ancilla iustitiae; cuius filiis adhuc peregrinantibus dicitur: «vos in libertatem vocati estis»; et rursus eos servos facit, dicens: «sed in caritate servite invicem»; quibus item dicitur: «cum serviebatis peccato, liberi eratis a iustitia; nunc vero liberati a peccato, facti autem servi deo, habetis fructum vestrum in sanctificationem, finem

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

gemacht, dass Augustinus solche ‚exegetischen Assoziationen‘ durch die Zitate im Sinne hatte und beim Leser hervorrufen wollte, auch wenn das Zitat nicht explizit mit dieser Deutung angeführt wird. 55 Der Sublimierung der Mutterrolle und der Herstellung eines Verhältnisses zu Gott vermittels interpersonaler Beziehungen sowie der Substituierung der leiblichen Mutter durch die Kirche als metaphorische Mutter verleiht Augustinus in diesem klimaktischen Trikolon starken Ausdruck. Gleichzeitig verbindet hier Augustinus das Metaphernfeld der Eltern-KindBeziehung mit einer weiteren metaphorischen Gott-Mensch-Beziehung, der von dominus zu servus. Die Verbindung verschiedener Bildfelder ist eine wiederkehrende Technik Augustins in den Confessiones. Die Identifikation der Mutter als ancilla Gottes begegnet in den Confessiones mit 6 Belegen sehr häufig. 56 Diese Bezeichnung verweist auch auf das Selbstverständnis Marias, die sich in Lc 1,38 demütig der Ankündigung ihrer Schwangerschaft fügt und sich selbst hierbei als ancilla domini bezeichnet: dixit autem Maria: ecce ancilla domini, fiat mihi secundum verbum tuum. 57 Maria schwebt hier als biblisches Modell für Monnica vor. 58 Zum Schluss seiner Betrachtung über die durch die aufkeimende Sexualität verursachte Fehlorientierung kommt Augustinus nochmals zu einer vergleichenden Betrachtung seiner Eltern: non enim et illa, quae iam «de medio Babylonis fugerat» (Ier 51,6), sed ibat in ceteris eius tardior, mater carnis meae, sicut monuit me pudicitiam, ita curavit quod de me a viro suo audierat, iamque pestilentiosum et in posterum periculosum sentiebat, cohercere termino coniugalis affectus, si resecari ad vivum non poterat; non curavit hoc, quia metus erat, ne impediretur spes mea compede uxoria, non spes illa, quam in te futuri saeculi habebat mater, sed spes litterarum, quas ut nossem nimis volebat parens uterque, ille, quia de te prope nihil cogitabat, de me autem inania, illa autem, quia non solum nullo detrimento, sed etiam

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vero vitam aeternam». dicat ergo deo servus iste: multi se martyres dicunt, multi servos tuos, quia nomen tuum habent in variis haeresibus et erroribus; sed quia praeter ecclesiam tuam sunt, non sunt filii ancillae tuae: «ego» autem «seruus tuus, et filius ancillae tuae». Für die noch auf der Erde Wandelnden (filiis adhuc perigrinantibus) ist noch nicht das himmlische Jerusalem die Mutter, sondern die Kirche. Diese Eigenheit augustinischen Zitierens eruiert Knauer 1955, 121–132 (‚Exegetische Assoziationen‘); 162–176 (‚Psalmenzitate in exegetischer Tradition‘). Er gelangt zu der Feststellung, „daß einzelne Psalmverse ihre eigene exegetische oder historische Bedeutung in der Kirchengeschichte besitzen. Werden solche Psalmenverse in den Konfessionen zitiert, so sind sie dort nur aus ihrer historischen Gebundenheit heraus zu verstehen: als ‚argumentum ex scriptura‘ charakterisieren sie den bereffenden Zusammenhang.“ (Knauer 1955, 176). Das trifft auch in diesem Fall zu. Ancilla kann als allgemein bekannte Bezeichnung für Kirche gelten. 2,3,7; 5,10,18; 9,1,1; 9,7,15; 9,12,33; 9,13,36. Zitiert in dem Augustinus bekannten Wortlaut nach cons. ev. 2,17; en Ps. 85,22; s. 215,4. Maria sollte in ihrer Bedeutung als Modell für Monnica jedoch, wie oben gezeigt, auch nicht überbewertet werden. Ein expliziter Bezug auf Maria wird auch hier nicht hergestellt. Das Zitat stammt aus den Psalmen. S. 101.

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nonnullo adiumento ad te adipiscendum futura existimabat usitata illa studia doctrinae. Ita 59 enim conicio recolens, ut possum, mores parentum meorum.

Monnica ist zwar schon der „Mitte Babylons“ entronnen, wo sich Augustinus noch befindet, hält sich jedoch noch in dessen Außenbezirken auf. Auch sie unterliegt der Depravation des Willens, die auf die Erbsünde zurückzuführen ist. In diesem Zusammenhang ist auch die folgende Bezeichnung als mater carnis meae zu sehen, die an dieser Stelle das leibliche Verhältnis zwischen den beiden betont. 60 Die charakterisierende Apposition ist mit Bedacht gesetzt. Hier wird Monnica in einer sich in weltlichen Zusammenhängen definierenden Mutterrolle beschrieben. So kritisiert der Sohn, dass die Mutter nicht um die Einschränkung seiner sexuellen Begierden bemüht war. Nicht nur der Vater, sondern auch sie kümmerte sich nicht darum, seine Begierden durch eine Ehe in die Schranken zu weisen, obwohl sie sich der Bedrohung für den Sohn bewusst war. Die Karriere (spes litterarum), die durch eine zu frühe Ehe in Gefahr geraten konnte, war ihr wichtiger. Beide Elternteile unterstützen die Bildung. Bei der Mutter wird das Bildungsstreben, wenngleich Differenzierungen vorgenommen werden, insgesamt positiv beurteilt, beim Vater hingegen nicht. Diese Unterschiede im Urteil über die Eltern haben zu psychoanalytischen Interpretationen herausgefordert: Schuldgefühle erklärten eine starke Mutterbindung und eine mit ihr einhergehende Abneigung gegen den Vater. So meint Kurt Flasch bezüglich der vorliegenden Stelle: „Der Vater, heißt es, ein kleiner Bürger, sparte vorbildlich für das Studium des Sohnes (II,3,5). Er mußte sich dafür einschränken, die Nachbarn lobten ihn; sein Sohn, der Verfasser der Bekenntnisse, dankte ihm mit Vorwürfen. Die Mutter war genauso auf seine Karriere bedacht wie der Vater; aber die Bekenntnisse beurteilen das gleiche Verhalten der Eltern zuun61 gunsten des Vaters, zugunsten der Mutter (II,3,8).“

Flasch ignoriert jedoch den entscheidenden Punkt, den Aspekt der mit der Bildung verfolgten Intention, und liegt falsch, wenn er meint, dass die unterschiedliche Bewertung der elterlichen Erziehungsbemühungen nur auf psychologische Hin59 2,3,8. „Denn auch jene Mutter meines Fleisches, die schon aus der Mitte Babylons geflohen war, aber noch in seinen Außenbezirken langsamer ging, kümmerte sich nicht so, wie sie mich zur Keuschheit mahnte, auch darum, das, was sie von ihrem Mann über mich gehört hatte und schon als verderblich und für die Zukunft gefährlich empfand, durch die Schranke der ehelichen Zuneigung zu zügeln, wenn es schon nicht bis auf das Mark zurückgeschnitten werden konnte. Darum kümmerte sie sich nicht, da die Befürchtung bestand, die in mich gesetzte Hoffnung könnte durch die Fußfessel einer Ehefrau behindert werden. Hierbei handelte es sich nicht um jene Hoffnung, welche meine Mutter für eine zukünftige Zeit in dich legte, sondern um die Hoffnung auf die wissenschaftliche Ausbildung. Beide Elternteile wollten allzu sehr, dass ich diese genösse, der Vater, weil er über dich beinahe überhaupt nichts dachte, über mich nur Nichtiges, die Mutter, weil sie meinte, dass diese herkömmlichen Studien der Gelehrsamkeit nicht nur nicht zum Schaden, sondern auch zu einem beträchtlichen Nutzen sein würden, um dich zu erlangen. Diese Vermutungen hege ich, wenn ich mich, soweit ich es kann, an den Charakter meiner Eltern zurückerinnere.“ 60 Dieselbe Ausdrucksform auch vorne bei aetatis carnis meae (2,2,4). 61 Flasch 2003a, 25.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

tergründe beim historischen Augustinus zurückgeführt werden könne. 62 Der Gedankengang erklärt sich nur unter Berücksichtigung der Theologie, auf deren Grundlage Augustinus im Rückblick sein Leben deutet. Hierbei kommt es ihm auf die mit der Bildung verbundenen Intentionen an. Während die Mutter in dem Punkt kritisiert wird, dass sie über die Zügelung seines Sexualtriebs kein höheres Ziel als die Karriere des Sohnes setzt, werden ihre Ambitionen um seine Ausbildung in dem Punkt unterstützt, dass diese der Absicht dienen soll, Augustinus dem richtigen Gottesverständnis näher zu bringen. Der Vater stellt die negative Kontrastfolie dar. Er vertritt auf falsche Ziele ausgerichtete Werte. Seine Motivation, den Sohn den Weg der Bildung betreten zu lassen, lässt Gott unberücksichtigt. Er bleibt stattdessen auf inania ausgerichtet, unter denen eine Fixierung auf die Familienräson zu verstehen ist, wie sie in seiner Freude über möglichen Nachwuchs zum Ausdruck gekommen ist. Die Familienmitglieder dienen als Träger unterschiedlicher Haltungen im Diskurs der Spätantike. In der Auseinandersetzung mit ihnen bringt Augustinus seine Bildungskritik vor und weist zugleich den Weg für eine christliche Bildung, die dem Ziel dienen soll, das Gottesverständnis zu fördern. Die Inhalte sind hierbei vor dem Hintergrund der mit ihrer Vermittlung verfolgten Ziele zu bewerten. c) Rückblick: Buch 2 In der adulescentia wird das Eltern-Sohn-Verhältnis in den Lebensbereichen der Schule und der aufkeimenden Sexualität behandelt. Der Vater versinnbildlicht ein antikes Familiendenken, das die Fortsetzung der Familientradition im Sinn hat, dem aber die Bedenklichkeiten des christlichen Erzählers über die moralische Bedrohung durch die Sexualität fernliegen. An den Eltern wird der Aspekt der richtigen Ausrichtung der mit dem schulischen Bildungsweg verfolgten Intentionen problematisiert. Was für Augustinus zählt, ist die richtige Zielsetzung der Schulbildung, die dem Zweck der Gotteserkenntnis dienen sollte. Besonders der Vater fungiert als Sinnbild eines traditionellen, paganen, an Weltlichem orientierten Familien- und Bildungsdenken, während Monnica bereits die Ausrichtung auf die Entwicklung des Sohnes zum Christen bedenkt. So sehr der Vater die Funktion einer Kontrastfigur erfüllt, gilt es auch Momente der Identität mit dem irrenden Protagonisten zu bedenken. Im 2. Buch erscheint Monnica wieder als Medium der göttlichen Gnade, wobei ihr Verhalten dem Sohn gegenüber erst im Nachhinein als admonitiones Gottes gedeutet werden können.

62 Vgl. Flasch 2003a, 24–26.

4. Monnica als Korrektiv des irrenden Protagonisten (Buch 3–Buch 8)

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4. MONNICA ALS KORREKTIV DES IRRENDEN PROTAGONISTEN (BUCH 3–BUCH 8) a) Buch 3 α) ‚Muttermilch‘ In der nachfolgenden Gliederung des 3. Buches sind für die Fragestellung nach Generationenbeziehungen die Episode der Hortensius-Lektüre und der abschließende Traum Monnicas von zentraler Bedeutung: 3,1,1–3,3,6: 3,4,7–3,5,9: 3,6,10–3,10,18: 3,11,19–3,12,21:

Augustinus in Karthago Hortensius-Lektüre Augustinus als Manichäer Monnicas Traum

Zunächst erfolgt die Darstellung der Lebensweise in Karthago, die von Sündhaftigkeit geprägt ist. 1 Hierauf erlebt der Augustinus der Erzählung einen Wendepunkt mit der Lektüre von Ciceros Hortensius, durch die in ihm ein amor sapientiae wachgerufen wird. Während für den Schüler ciceronianische Schriften nur als Stilideal in einem auf Formales ausgerichteten Rhetorikunterricht gegolten haben, beginnt ihn nun durch dieses Lektüreerlebnis auch der Inhalt zu interessieren. Im Zusammenhang mit seiner rhetorischen Ausbildung kommen wie in Buch 2 die Bildungsbemühungen der Eltern zur Sprache: non enim ad acuendam linguam, quod videbar emere maternis mercedibus, cum agerem annum aetatis undevicensimum iam defuncto patre ante biennium, non ergo ad acuendam 2 linguam referebam illum librum neque mihi locutionem, sed quod loquebatur persuaserat.

Auffallend knapp fällt die Erwähnung des Todes des Vaters aus. Er wird lediglich in einem den Satz ergänzenden ablativus absolutus erwähnt, der hier zur Zeitangabe dient und als Hintergrundinformation in einem nur losen und untergeordneten Zusammenhang zur Handlung steht. Dem Tod des Vaters wird keine Erwähnung in der zeitlichen Ordnung der Erzählung gewidmet, er wird lediglich beiläufig und nachträglich erwähnt. 3 Der Unterschied zur Bedeutung der Mutter, deren Sterben und Tod der gesamte Schluss des 9. Buches und somit der End- und Höhepunkt der autobiographischen Erzählung der Confessiones gewidmet ist, wirkt frappant. Die kurze Erwähnung im Nachhinein lässt die geringe Bedeutung, 1 2

3

Bettetini 1998 zeigt, dass in diesem ersten Abschnitt sämtliche Elemente der johanneischen Begierdentrias dargestellt sind: die concupiscentia carnis, die concupsicentia oculorum (curiositas und Interesse für spectacula theatrica) sowie die ambitio saeculi. 3,4,7: „Nicht an seinem Nutzen für die Schärfung der Zunge – dies schien ich mir mit dem Geld meiner Mutter zu kaufen, als ich 21 Jahre zählte und mein Vater schon zwei Jahre tot war –, nicht an seinem Nutzen für die Schärfung der Zuge bemaß ich den Wert jenes Buches, und nicht die Form des Ausdrucks hatte mich überzeugt, sondern das, was es ausdrückte.“ Vgl. Paffenroth 1997, 144; Clark 1999, 10.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

die dem leiblichen Vater für die geistige Entwicklung beigemessen wird, erkennen. 4 Die Mutter bietet nach dem Tod des Vaters dem Sohn die finanziellen Voraussetzungen für ein Studium. Diese mit den mütterlichen Geldern ermöglichte Ausbildung wird differenziert beurteilt. Aufschlussreich ist das Wort videbar: Die damalige Perspektive stellt sich als beschränkt heraus. Einer Begrenzung des Blickwinkels unterliegt aber auch Monnica, die als Geldgeberin fungiert. Worin ursprünglich nur eine Stufe auf dem Weg der Ausbildung gesehen wird, wird unbeabsichtigt zu einem Wendepunkt. In diese Passage fließt, wie schon in die Bücher 1 und 2, Kritik am zeitgenössischen Rhetorikunterricht ein, wobei auch hier wieder gerade mit rhetorischen Mitteln, in diesem Fall einer figura etymologica, auf den Missstand hingewiesen wird: neque mihi locutionem, sed quod loquebatur persuaserat. Im Rahmen der Ausbildung interessiert nur der sprachliche Ausdruck. Ein Blick in Augustins Gesamtwerk lässt jedoch aufschlussreiche Unstimmigkeiten mit der Darstellung in den Confessiones erkennen. Die einzige weitere Stelle in Augustins Werk, an der der Tod des Vaters erwähnt wird, findet sich in seinem in Cassiciacum um etwa 386 entstandenen Dialog Contra Academicos. 5 In diesem Werk bedankt sich Augustinus bei seinem Förderer Romanianus (Acad. 2,2,3). Er misst diesem auch eine wichtige Rolle bei der Verarbeitung des Todes seines Vaters bei, der ihn nach dem Zeugnis des Dialogs, jedoch im Gegensatz zu der Darstellung in den Confessiones, emotional stark getroffen habe: tu patre orbatum amicitia consolatus es, hortatione animasti, ope adiuvisti 6. Unterstützung erfährt Augustinus von seinem Förderer nicht nur durch motivierenden Zuspruch und finanziellen Zuschuss, sondern auch durch die freundschaftliche Zuneigung, die den jungen Mann über den nach dem Zeugnis dieses Textes schmerzlichen Verlust des Vaters hinweggetröstet hat. Aus dieser Abweichung in der Darstellung muss geschlossen werden, dass die geringe Bedeutung des Todes des leiblichen Vaters in den Confessiones nicht als biographisches Faktum des historischen Augustinus gelesen werden darf, sondern dass die Ausführungen im Kontext der verfolgten Aussageabsicht gelesen werden müssen. Dies fällt gerade dadurch in den Blick, dass die Darstellung in den Confessiones von Schilderungen desselben Erlebnisses in einem anderen Werk augenscheinlich abweicht. Dem Vater, dem für Augustins Weg zur rechten Gotteserkenntnis keine Bedeutung beigemessen werden kann, wird in den Confessiones, deren Hauptthema gerade in der Darstellung dieser Entwicklung liegt, nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt. Das Verhältnis des historischen Augustinus zu seinem Vater kann durchaus anders ausgesehen haben. Es fällt noch eine weitere Diskrepanz zwischen den Confessiones und Contra Academicos auf. In mehreren modernen Kommentaren wird die Frage aufgeworfen, warum Augustinus an dieser Stelle, an der es um die Finanzierung des Studi4 5 6

Vgl. Brown 22000, 25. Vgl. Fuhrer 1997, 78. Zur schwierigen Datierung vgl. Fuhrer 1997, 3–4. Acad. 2,2,3.

4. Monnica als Korrektiv des irrenden Protagonisten (Buch 3–Buch 8)

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ums geht, nicht Romanianus erwähnt, der ihm entsprechend der Darlegung im Frühdialog wichtige finanzielle Unterstützung nach dem Tod des Vaters zukommen ließ. 7 Als möglicher Grund für Augustins Zurückhaltung in der Erwähnung des Romanianus werden Differenzen zwischen beiden aufgrund der nicht erfolgten Konversion des reichen Gönners vom Manichäismus zum Christentum angeführt. 8 Berücksichtigt man jedoch, dass Augustin an anderer Stelle in den Confessiones (6,14,24) ihn als treibende Kraft in der Gruppe von Männern, die nach einer zönobitischen Lebensweise streben, namentlich erwähnt und als ab ineunte aetate mihi familiarissimus bezeichnet, verliert diese Deutung an Plausibilität. Deshalb sollte als Erklärung vielmehr eine literarische Motivation, die Augustinus zu dieser Darstellungsweise bei Augustinus bewogen haben könnte, bedacht werden. Man darf vermuten, dass Augustinus durch eine solche Darstellungsweise eine Konzentration der Vorgänge auf den Kontext der Familie betreibt. In den vorausgehenden Büchern wurde das Thema der Erziehung immer im Kontext des Elternhauses reflektiert, ein Zusammenhang, der hier weiterhin verfolgt wird. Die Erwähnung eines Gönners wäre in diesem Darstellungskontext eine unnötige Information. Der Konflikt zwischen Rhetorik und Philosophie, um den es an dieser Stelle der Confessiones geht, muss selbst schon Inhalt des ciceronischen Hortensius gewesen sein. Gegenüber Hortensius, der in sophistischer Tradition stehend eine Rhetorik als reine Redetechnik verteidigt, wird ein ethisch vertieftes Rednerideal vertreten, das eine um wahre Erkenntnis bemühte Lebensart eines philosophisch gebildeten Weisen verlangt. 9 Obwohl es naheläge, einen intertextuellen Bezug zum Inhalt des Hortensius herzustellen, unterlässt dies Augustinus und beschränkt sich auf die Erwähnung der Tatsache, dass in ihm durch dieses Buch der amor sapientiae geweckt worden sei. Es wird somit nur die Funktion des Hortensius auf dem Weg zum christlichen Glauben beleuchtet. Ein Verweis auf den Inhalt des Werkes, wodurch der Leser zum Nachlesen animiert werden könnte, wird vermieden. So verfährt Augustinus auch mit den platonischen Schriften in Buch 7: Aus diesen wird kein Wortlaut zitiert, dafür jedoch Textabschnitte aus dem Prolog zum Johannesevangelium. 10 Diese Zurückhaltung gegenüber der antiken Philoso-

Die Textstelle in Acad. 2,2,3: tu me adulescentulum pauperem ad studia pergentem et domo et sumptu et, quod plus est, animo excepisti; tu patre orbatum amicitia consolatus es, hortatione animasti, ope adiuvisti; tu in nostro ipso municipio favore familiaritate communicatione domus tuae paene tecum clarum primatemque fecisti; (…) ex dehortatore in adiutorem mira benivolentiae moderatione conversus es. tu necessariis omnibus iter adminiculasti meum; tu ibidem rursus, qui cunabula et quasi nidum studiorum meorum foveras, iam volare audentis sustentasti rudimenta. Vgl. O’Donnell 1992, II, 166–167; Clark 1995, 144; Fuhrer 1997, 78. 8 Vgl. O’Donnell 1992, II, 381–382. 9 Zu einer Rekonstruktion des Inhalts dieses weitestgehend verlorenen Dialogs vgl. StraumeZimmermann 1976, 227; zur Hortensius-Rezeption bei Augustinus 240–241, jedoch in Hinblick auf die Confessiones nicht vertieft; vgl. ferner Bettetini 1998, 143–144. 10 Vgl. Fuhrer 2004a, 114–115. 7

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

phie, der Versuch, paganen Quellen nicht mehr Aufmerksamkeit als nötig zukommen zu lassen, kann als charakteristisch für Augustinus gelten. 11 Streicht Augustinus einerseits die Bedeutung, die der Hortensius für seine Hinwendung zum amor sapientiae oder zur philosophia hat, heraus, leitet er andererseits durch das Zitat aus dem Kolosserbrief zu dem Hinweis auf dessen entscheidendes Defizit über. Der Hortensius vermag zwar, zu einem Streben nach einer wie auch immer gearteten sapientia zu ermuntern, der entscheidende Inhalt, der Name Christi, fehlt dem Kirchenvater dort jedoch noch: «apud te est» enim «sapientia» (Iob 12,13.16). amor autem sapientiae nomen graecum habet philosophiam, quo me accendebant illae litterae. sunt qui seducant per philosophiam magno et blando et honesto nomine colorantes et fucantes errores suos, et prope omnes, qui ex illis et supra temporibus tales erant, notantur in eo libro et demonstrantur, et manifestatur ibi salutifera illa admonitio spiritus tui per servum tuum bonum et pium: «videte, ne quis vos decipiat per philosophiam et inanem seductionem secundum traditionem hominum, secundum elementa huius mundi et non secundum Christum, quia in ipso inhabitat omnis plenitudo divinitatis corporaliter» (Col 2,8–9). et ego illo tempore, scis tu, lumen cordis mei, quoniam nondum mihi haec apostolica nota erant, hoc tamen solo delectabar in illa exhortatione, quod non illam aut illam sectam, sed ipsam quaecumque esset sapientiam ut diligerem et quaererem et adsequerer et tenerem atque amplexarem fortiter, excitabar sermone illo et accendebar et ardebam, et hoc solum me in tanta flagrantia refrangebat, quod nomen Christi non erat ibi, quoniam hoc nomen «secundum misericordiam tuam, domine» (Ps 24,7), hoc nomen salvatoris mei, filii tui, in ipso adhuc lacte matris tenerum cor meum pie biberat et alte retinebat, et quidquid sine hoc nomine fuisset quamvis litteratum et expolitum et veridicum 12 non me totum rapiebat.

Mit dem Bild der Aufnahme des Namens Christi durch die Muttermilch wird die Bedeutung der Erziehung für den spirituellen Weg eines Christen aufgezeigt. Hierbei kommt dem Elternhaus, wie bereits im 1. Buch angesprochen, eine zentra11 Vgl. Müller 2003b; Schultheiß 2007, 172–179; Schultheiß 2009a. 12 3,4,8: „Bei dir nämlich ist die Weisheit. Die Liebe zur Weisheit aber hat auf Griechisch die Bezeichnung ‚Philosophie‘; hierzu entflammte mich diese Schrift. Es gibt Leute, die durch die Philosophie verführen, wobei sie mit einer großen, einnehmenden und ehrenwerten Bezeichnung ihre Irrtümer schönfärben und aufschminken. Und beinahe alle, die in jenen und früheren Zeiten als solche auftraten, werden in diesem Buch angeführt und erhalten eine Darstellung, und es wird dort jene heilbringende Ermahnung deines Geistes durch deinen guten und frommen Diener deutlich erkennbar: ‚Schaut zu, dass niemand euch durch die Philosophie und die eitle Verführung täuscht gemäß der Überlieferung der Menschen, gemäß den wissenschaftlichen Anfangsgründen dieser Welt und nicht gemäß Christus, denn in diesem wohnt alle Fülle der Gottheit körperlich.‘ Und ich erfreute mich zu jener Zeit – das weißt du, Licht meines Herzens –, weil mir die Apostelworte noch nicht bekannt waren, in jener Ermunterung dennoch allein über diesen Punkt, dass ich durch jene Rede angetrieben und entflammt wurde und darauf brannte, nicht diese oder jene philosophische Lehre, sondern die Weisheit selbst, was auch immer sie sei, zu lieben, zu suchen, zu erreichen, zu halten und kräftig zu umarmen. Und in solchem Feuer hielt mich nur dies zurück, dass der Name Christi dort nicht zu finden war, weil nämlich diesen Namen ‚gemäß deiner Barmherzigkeit, Herr,‘ diesen Namen meines Retters, deines Sohnes, mein zartes Herz bereits mit der Muttermilch in kindlicher Liebe getrunken hatte und tief im Inneren festhielt, und alles, was diesen Namen nicht beinhaltete, konnte mich nicht ganz ergreifen, war es auch noch so gebildet, ausgearbeitet und wahrhaftig.“

4. Monnica als Korrektiv des irrenden Protagonisten (Buch 3–Buch 8)

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le Stellung zu: audieram enim ego adhuc puer de vita aeterna promissa nobis per humilitatem domini dei nostri descendentis ad superbiam nostram. 13 Diese Prägung hat bewirkt, dass der Hortensius als unbefriedigend empfunden wird: quod nomen Christi non erat ibi. 14 Ein in der Erziehung durch Monnica begründetes Verlangen nach der christlichen Gotteserkenntnis ist beim Protagonisten somit stets latent vorhanden. Bei der Wendung in lacte matris ist die Bedeutungsweite der Metapher, die sowohl in einem innerweltlichen Zusammenhang als auch in einem religiösen Aussagekontext verstanden werden kann, zu bedenken. Zunächst handelt es sich, im innerweltlichen Kontext, bei der Metapher um eine Umschreibung für die Prägung durch das Elternhaus, die in der klassischen Tradition nicht unbekannt war. Als einschlägige Referenzstelle zur Tradition der Metapher kann die Vorrede zum 3. Buch in Ciceros Tusculanae Disputationes herangezogen werden, wo cum lacte nutricis das von Natur aus gute Neugeborene der Depravation durch gesellschaftliche Zusammenhänge ausgesetzt wird: nunc autem simul atque editi in lucem et suscepti sumus, in omni continuo pravitate et in summa opinionum perversitate versamur, ut paene cum lacte nutricis errorem suxisse videa15 mur.

Auch bei Cicero ist die Milch ‚Trägerin‘ eines Inhalts. Hier ist es jedoch die moralische Depravation, die cum lacte nutricis aufgesogen wird. Augustinus vollzieht eine Umwandlung des Topos, die von einer Veränderung der philosophischen Anschauungen herrührt. Bei Cicero ist die Natur des Menschen gut, mit der Muttermilch wird der Irrtum aufgesogen. Augustinus gestaltet den Topos jedoch mit dem gegenteiligen Inhalt. Nach seiner Anthropologie ist die Natur des Menschen von Geburt an mit der Erbsünde belastet, und sein Wille neigt zum Schlechten. Durch die Muttermilch beginnt das Positive der Gnade zu wirken. Derselbe bildhafte Topos wird entsprechend der philosophisch-theologischen Aussage inhaltlich unterschiedlich verwendet. Darüber hinaus handelt es sich hier aber auch um die Verknüpfung einer Metaphorik aus dem innerweltlichen Bereich, die das Gestilltwerden als Bild für die Prägung durch das Elternhaus auffasst und bereits in der klassischen Literatur bekannt ist, mit einem Metaphernfeld, das dem Ausdruck geistiger Zusammenhänge dient und der christlichen Tradition zugehört. Es wird auf den parvulus im Glauben angespielt, der Christus als Milch, noch nicht als das Brot der Eucharistie empfängt. Von einem Ereignis des fleischlichen Kindes wird zu einem Ereignis des spirituellen Kindes übergeleitet. Der entscheidende Begriff bei diesem Übergang zum innerlichen Zusammenhang ist cor. Das der Erfahrung in der empirischen Welt widersprechende Bild, nach dem ein Herz trinkt, leitet auf den inneren Zusammenhang über. 16 Das Herz ist ein Hinweis auf den inneren Menschen. 17 An 13 1,11,17. 14 Dasselbe Defizit erkennt Augustinus auch bei den Akademikern: quod sine salutari nomine Christi essent (5,14,25). 15 Tusc. 3,1,2. S. 105–106. 16 Zur erkenntnisfördernden Funktion von Paradoxa vgl. Neumeyer 2003, 516.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

dieser Stelle erhält eine gebräuchliche Metapher, indem sie um das Bild einer spirituellen Mutterschaft ergänzt wird, eine Bedeutung, nach der Augustinus auch als spirituelles Kind aufgefasst werden kann. 18 Im Bild einer spirituellen Speisung des Menschen wird Christus, dessen Kenosis von Augustin in anderen Schriften als demütiges Herablassen Gottes zum gefallenen Menschen gedeutet wird, 19 zur Milch, durch die auch die niedrig stehenden Menschen, die als Kinder aufgefasst werden, genährt werden können. Der parvulus ist als der Neuling im Glauben aufzufassen, der im jüngsten spirituellen Lebensalter eines Christen seht. 20 Kennzeichen dieses geistigen Alters ist der bloße Glauben an die historischen Tatsachen des Lebens Christi. 21 Im Kontext der Frage nach Darstellung und Deutung der Generationenbeziehungen ist auch an der vorliegenden Textstelle eine Sublimierung der Mutterrolle Monnicas zu erkennen. Als wesentliche Funktion der Mutter wird ihre Rolle für die innerliche Entwicklung ihres Sohnes dargestellt. Mit dem Bild des Säugens bedient sich Augustinus auch hier wieder der Metaphorisierung einer Mutterfunktion, die in ihrer eigentlichen Bedeutung dem Bereich der leiblichen Fürsorge angehört. Die Verwendung des Bildes bricht nach dieser Stelle nicht ab. Auch der folgende Abschnitt erhält die Metaphorik des parvulus im Glauben aufrecht. Der auf Äußeres ausgerichtete superbus wird als großer Mensch dem innerlichen Kind im Glauben gegenübergestellt. Die Entfaltung des Glaubens wird bildhaft als ein lebensgeschichtlicher Entwicklungsprozess aufgefasst, der auf der Altersstufe des Kindes beginnen muss, auch wenn in dieser Phase der Gläubige über nur beschränkte Erkenntnisfähigkeit verfügen kann. Hier dient Augustinus die starke Antithese der divergierenden äußeren und inneren Altersstufe zum Ausdruck der beginnenden, jedoch noch mit beträchtlichen Widerständen behafteten Rückwendung zu Gott: itaque institui animum intendere in scripturas sanctas et videre, quales essent. et ecce video rem non conpertam superbis neque nudatam pueris, sed incessu humilem, successu excelsam et velatam mysteriis, et non eram ego talis, ut intrare in eam possem aut inclinare cervicem ad eius gressus. non enim sicut modo loquor, ita sensi, cum adtendi ad illam scripturam, sed visa est mihi indigna, quam Tullianae dignitati conpararem. tumor enim meus refugiebat modum eius et acies mea non penetrabat interiora eius. verum autem illa erat, quae cresceret 22 cum parvulis, sed ego dedignabar esse parvulus et turgidus fastu mihi grandis videbar.

17 Vgl. Madec 1996 passim. 18 Als einschlägige Bibelstellen vgl. Is 28,9; Lc 2,52; 1 Cor 3,1–2; Hbr 5,12–14a; 1 Pt 2,2–3. 19 Vgl. van Bavel 1957, 248–255 mit einschlägigen Textverweisen in Augustins Werk. Die Milch kann somit auch in Zusammenhang mit der Eucharistie treten. Vgl. Lutterbach 2003, 75–86; Lutterbach 2004, 567. 20 Vgl. van Bavel 1957, 256–257. 21 Vgl. van Bavel 1957, 258. 22 3,5,9: „Deshalb habe ich beschlossen, mein Interesse den heiligen Schriften zuzuwenden und zu schauen, was sie zu bieten hätten. Und da, ich sehe etwas, das für Hochmütige nicht zu entdecken ist und auch nicht für Kinder entblößt wird, sondern das beim Eintreten niedrig, beim Fortschreiten erhaben ist und von Geheimnissen verschleiert wird. Aber ich hatte nicht

4. Monnica als Korrektiv des irrenden Protagonisten (Buch 3–Buch 8)

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Die Metapher der Milch steht im Zusammenhang mit einer umfassenderen Speisemetaphorik, die im gesamten 3. Buch zum Tragen kommt. Wichtig für die Glaubensentwicklung ist die richtige innere Nahrung. 23 Bereits im ersten Abschnitt wird die Metaphorik aufgenommen. Dem Leben in Sündhaftigkeit wird ein Hunger nach innerer Nahrung, nämlich nach Gott, gegenübergestellt, der beim Protagonisten zwar schon vorhanden, jedoch nicht so stark ausgeprägt ist, dass er Verlangen nach unverderblicher Nahrung mit sich bringen würde. 24 Der Hunger nach der Speise der Wahrheit begegnet besonders deutlich in 3,6,10–3,6,11. An der hier interpretierten Stelle wird das Bildfeld der Nahrung an das der MutterSohn-Beziehung angeschlossen. Die Verknüpfung von Metaphernfeldern ist eine häufig wiederkehrende literarische Technik der Confessiones. 25 Die manichäische Phase deutet Augustinus als den von Gott am weitesten entfernten Punkt seiner geistigen Entwicklung. Um diesen Zustand der inneren Entfernung auszudrücken, bedient er sich wieder des Gleichnisses vom Verlorenen Sohn: ubi ergo mihi tunc eras et quam longe? et longe peregrinabar abs te exclusus et a siliquis porcorum, quos de siliquis pascebam. quanto enim meliores grammaticorum et poetarum fabellae quam illa decipula. nam versus et carmen et «Medea volans» (Pacuvius frg. 397 R.) die Eigenschaften, dass ich in dieses hätte eintreten können oder den Nacken hätte beugen können zu seinen Schritten. Nicht so, wie ich jetzt spreche, habe ich gefühlt, als ich mich jener Schrift zuwandte, sondern sie schien mir unwürdig, mit der Erhabenheit eines Tullius verglichen zu werden. Mein Hochmut wich vor ihrem Maß zurück, und meine Geistesschärfe drang nicht in ihr Inneres vor. Aber sie war es, die mit den kleinen Kindern wächst, aber ich verschmähte, ein kleines Kind zu sein, und aufgeblasen von Hochmut kam ich mir groß vor.“ 23 Die Muttermilch-Metaphorik steht im Kontext der von Augustinus häufig gebrauchten Speisemetaphorik, die zur Versinnbildlichung der Leiblichkeit Christi dient. Das Bild wird in den Confessiones auch in 4,1,1 verwendet. Den dargestellten manichäischen Speiseriten, die von Augustinus lächerlich gemacht werden, wird die wahre Speise, die vom christlichen Gott verabreicht wird, gegenübergestellt: aut quid sum, cum mihi bene est, nisi sugens lac tuum aut fruens te cibo, qui non corrumpitur. Vgl. ferner 7,18,24: «verbum caro factum est» (Io 1,14), ut infantiae nostrae lactesceret sapientia tua, per quam creasti omnia. Aufgrund dieser Textstellen möchte Dutton 1990 Gott zunächst eine Mutterrolle zugewiesen wissen. Durch die Milch entstehe dann ein Bewusstsein von Gott als Vater, der schließlich als Vater anerkannt werden könne. Dass Gott mütterliche Metaphorik zugewiesen wird, zeigt die Stelle in 4,1,1. Dies jedoch zum Gliederungsprinzip der Confessiones zu erklären und in der Vision von Ostia einen Übergang von Gottes Mutterschaft zur Vaterschaft auszumachen (so Dutton 1990, 131; ihr folgend Seelbach 2002, 77–78), scheint jedoch problematisch: Zum einen wird Gott nie als Mutter angesprochen, weshalb sich die Feststellung bei Dutton 1990, 131 (“the cessation of address to God as a mother“) als unhaltbar erweist. Zum anderen findet sich in der Darstellung zur Vision von Ostia keine Textpassage, in der ein solcher Übergang explizit gemacht würde. Die Milch als Nahrungsmittel eines frühen Lebensalters, das schließlich überwunden wird, findet sich mit Bezug auf Paulus in 13,22,32: ad hoc (sc. Gn 1,26) enim dispensator ille (sc. Paulus) tuus generans per evangelium filios, ne semper parvulos haberet, quos lacte nutriret et tamquam nutrix foveret. 24 3,1,1: fames mihi erat intus ab interiore cibo, te ipso, deus meus, et ea fame non esuriebam, sed eram sine desiderio alimentorum incorruptibilium, non quia plenus eis eram, sed quo inanior, fastidiosior. et ideo non bene valebat anima mea et ulcerosa proiciebat se foras, miserabiliter scalpi avida contactu sensibilium. 25 S. 178–181 am Beispiel der Wassermetaphorik.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones utiliores certe quam quinque elementa varie fucata propter quinque antra tenebrarum, quae omnino nulla sunt et occidunt credentem. nam versum et carmen etiam ad vera pulmenta transfero; volantem autem Medeam etsi cantabam, non adserebam, etsi cantari audiebam, 26 non credebam: illa autem credidi.

Seinen geistigen Zustand als Manichäer schätzt Augustinus als noch schlimmer als den des Verlorenen Sohnes ein. Auch hier wird die Aneignung geistiger Güter in Bildern der Nahrungsaufnahme ausgedrückt. Die Bibeltextstelle, auf die hier angespielt wird, findet sich in Lc 15,16: 27 et cupiebat implere ventrem suum de siliquis quas porci manducabant. Mit dieser Deutung der Parabel reiht sich Augustinus in eine exegetische Tradition ein. Die siliquae werden von den Kirchenvätern oft als die paganen, für nichtig befundenen Bildungsgüter ausgelegt. 28 Da Augustinus als Protagonist der Handlung bei den poetischen Fiktionen aber immerhin noch weiß, dass sie nicht wahr sind, ist der Irrtum bei den manichäischen Lehren dadurch umso schwerwiegender, als er an diese sogar glaubt. So deutet der Erzähler Augustinus seine manichäische Phase als eine noch schlimmere Situation als die erbärmliche Lage des Verlorenen Sohns. β) Der Traum der Monnica Die Lektüre des Hortensius bringt beim Protagonisten eine Wendung hin zum Streben nach sapientia mit sich, das Buch bleibt für ihn jedoch enttäuschend, da es nicht das seit der Kindheit ihm vertraute nomen Christi enthält. Aber auch die Bibel selbst enttäuscht, aufgrund ihres Stils, und so gelangt Augustinus zu den Manichäern (3,6,10–3,7,12), die Augustinus in der Rückschau als Erzähler durchgehend negativ als laquei diaboli, als homines superbe delirantes, carnales nimis et loquaces verurteilt. Es folgt ein umfangreicher Exkurs (3,7,13–3,10,18), in dem Augustinus gegen die Einwände der Manichäer gegenüber den mores der alttestamentlichen Erzväter Stellung nimmt und die Vorstellung einer immergültigen iustitia vera interior vertritt. Augustinus schließt diese Darstellung über den Manichäismus, indem er ihn trivialisiert. Zum Abschluss seiner Betrachtung stellt er den Manichäismus in vorwegnehmender Kontrastierung zum wahren Glauben dar, der durch die Mutter repräsentiert wird. 26 3,6,11: „Wo warst du mir damals und wie weit entfernt warst du? Und weit weg von dir irrte ich umher, ausgeschlossen sogar von den Schoten der Schweine, welche ich mit Schoten fütterte. Wie viel besser waren nämlich die Geschichten der Grammatiklehrer und der Dichter als jene Fallen. Denn Verse und Gedichte und die fliegende Medea waren sicherlich nützlicher als die fünf Elemente, die auf unterschiedliche Weise gefärbt waren wegen der fünf Höhlen der Dunkelheit, die es überhaupt nicht gibt und die den, der daran glaubt, umbringen. Denn einen Vers und ein Gedicht übertrage ich auch auf wahre Fleischspeisen; auch wenn ich über eine fliegende Medea vortrug, behauptete ich nicht, dass es sie gäbe, und auch wenn ich hörte, wie von ihr gesungen wurde, glaubte ich nicht an sie; an jene Dinge aber glaubte ich.“ 27 Vgl. Knauer 1957, 221. 28 Vgl. in Augustins Werk qu. ev. 2,33: siliquae quibus porcos pascebat saeculares doctrinae sterili vanitate resonantes. Vgl. O’Donnell 1992, II, 181–182; Clark 1995, 149.

4. Monnica als Korrektiv des irrenden Protagonisten (Buch 3–Buch 8)

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et quid agebam, cum inridebam eos (sc. illos sanctos servos et prophetas tuos), nisi ut inriderer abs te sensim atque paulatim perductus ad eas nugas, ut crederem ficum plorare, 29 cum decerpitur, et matrem eius arborem lacrimis lacteis?

Der als falsch verurteilte manichäische Glaube an eine weinende Feige und deren weinende Mutter, die ein Baum ist, wird als eine lächerliche Vorstellung in Gegensatz gestellt zu einer wahren Mutter und wahren Tränen. 30 Auch dass die Tränen lacteae sind, stellt sie in einen Gegensatz zu der wahren Milch der geistigen Mutter. Dieselbe Technik der Gegenüberstellung wendet Augustinus im Folgenden nochmals an. Nachdem er die Speiseriten der Manichäer, die er selbst in der Vergangenheit befolgte, lächerlich gemacht hat, 31 präsentiert er als Gegensatz die wahre Speise, die der christliche Gott anzubieten hat. 32 Die Szene über die Manichäer korrespondiert mit dem vorangehenden Teil von Buch 3, in dem bereits dieselben Bilder, jedoch in positiver christlicher Bedeutung verwendet worden sind. Das 3. Buch behandelt die Themen der Sündhaftigkeit und der Abwendung von der Bibel hin zum Manichäismus, der wie keine andere Denkschule in den Confessiones ausschließlich negativ bewertet wird. Es wird mit einer Episode abgeschlossen, die zu dem Rest des Buches in auffälligem Kontrast steht und endet mit einem hoffnungsvollen Ereignis, bei dem Monnica eine zentrale Stellung einnimmt.33 Diese das 3. Buch abschließende Episode setzt der Abwendung des Protagonisten von Gott in der Mutter das Medium gegenüber, das einen bedeutenden Einfluss auf die Rückkehr ausübt. 34 In der manichäischen Phase greift infolge der Fürbitten der Mutter Monnica die Hand Gottes korrigierend ein: et misisti «manum tuam ex alto» (Ps 143,7) et de hac profunda caligine «eruisti animam meam» (Ps 85,13), cum pro me fleret ad te mea mater, fidelis tua, amplius quam flent matres corporea funera. videbat enim illa mortem meam ex fide et spiritu, quem habebat ex te, et exaudisti eam, domine, exaudisti eam nec despexisti lacrimas eius, cum profluentes rigarent 35 terram sub oculis eius in omni loco orationis eius: exaudisti eam.

29 3,10,18: „Und was bewirkte ich, als ich sie (sc. deine heiligen Diener und Propheten) verlachte? Nichts anderes, als dass ich von dir verlacht wurde, als ich kaum merklich und allmählich zu jenem unnützen Zeug hingeführt wurde, so dass ich glaubte, eine Feige würde, wenn man sie pflücke, Tränen aus Milch weinen, ebenso ihre Mutter, der Baum.“ 30 Vgl. Shanzer 1992, 44; Clark 1995, 157. 31 4,1,1: cum eis, qui appellarentur electi et sancti, afferremus escas, de quibus nobis in officina aqualiculi sui fabricarent angelos et deos, per quos liberaremur. 32 4,1,1: aut quid sum, cum mihi bene est, nisi sugens lac tuum aut fruens te cibo, qui non corrumpitur? Der Satz beinhaltet Anspielungen auf 1 Cor 3,2 (Milch) und Io 6,26–59 (Brot des Lebens). Vgl. Clark 1995, 161. 33 O’Donnell 1992, II, 197 spricht von “the first substantive appearance of Monnica in the text”. 34 Vgl. O’Donnell 1992, II, 197. 35 3,11,19: „Aber du sandtest deine Hand aus der Höhe und aus dieser tiefen Dunkelheit rissest du meine Seele heraus, weil meine Mutter, die dir treu ergeben war, für mich vor dir weinte mehr als Mütter den körperlichen Leichnam beweinen. Sie sah nämlich meinen Tod im Glauben und im Geist, den sie von dir hatte, und du hast sie erhört, Herr, du hast sie erhört und hast ihre Tränen nicht verachtet, als sie herabströmten und die Erde unter ihren Augen an jedem Ort ihres Gebets tränkten: Du hast sie erhört.“

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

Die Einleitung zu der Episode erfolgt mit Psalmenzitaten: manum tuam ex alto aus Ps 143,7 sowie eruisti animam meam aus Ps 85,13. Durch die Psalmenzitate wird der Ton der confessio peccati ac laudis aufgenommen. 36 Auch hier ist wieder der Resonanzraum des Zitats im Prätext zu bedenken, den Augustinus anklingen lässt, so dass dieses Zitat beim Leser den Kontext eines Lobgesangs evoziert.37 Auch der nachfolgende Vers des Psalms lässt einen Zusammenhang zur Situation des Protagonisten erkennen, wenn man die praetereuntes legem mit den Manichäern identifiziert: 38 confitebor tibi, domine deus meus, in toto corde meo, et glorificabo nomen tuum in aeternum, quoniam misericordia tua magna est super me, et eruisti animam meam ex inferno inferiore. 39 (…) Deus, praetereuntes legem insurrexerunt super me.

Dies ist die erste Stelle einer größeren Abfolge von Darstellungen des Weinens Monnicas um die Irrwege ihres Sohnes. 40 Bezeichnend ist bereits an dieser Stelle, dass das Weinen um den Sohn als ein Weinen um dessen metaphorischen Tod im Glauben dargestellt und von den Tränen um den leiblichen Tod unterschieden wird. Durch diese Verbindung des Weinens mit der Thematik des Verlustes durch den Tod entsteht ein Zusammenhang des Weinens der Mutter mit den Reflexionen Augustins über das Thema der Trauer um einen Freund im 4. Buch und um Monnica selbst im 9. Buch. In diesen beiden Reflexionen kommt den Tränen eine herausragende Stellung als Äußerung der Trauer zu. Monnicas Weinen an der vorliegenden Textstelle ist als Gegensatz zu Augustins Weinen im darauffolgenden Buch aufzufassen. In ihrem Weinen wird eine Haltung vorweggenommen, zu der die Figur Augustinus erst am Ende des autobiographischen Teils der Confessiones gelangen wird. Im 9. Buch reflektiert Augustin über die richtige Form der Trauer. Während die Trauer um einen Freund in Buch 4 die negative Kontrastfolie einer falschen Form der Trauer bietet, liefert Monnica hier ein positives Vorbild. An dieser Stelle ist die spätere Einsicht des Erzählers, dass man nicht über jemanden, sondern für jemanden weinen soll, schon vorweggenom36 Vgl. O’Donnell 1992, II, 197. Knauer 1955, 134 erklärt solche vereinzelten Zitate mit der Betonung eines ‚Themenwechsels‘. Dieser Begriff ist unglücklich gewählt, da die Anrufung Gottes durchaus an die längere darstellende Episode über die Abwendung von Gott anknüpft. 37 Vgl. Clark 1995, 157: “the unspoken context is important”. 38 Auch der Kontext des Zitats aus Ps 143,7 lässt an die Situation des Protagonisten denken: „Streck deine Hände aus der Höhe herab, und befreie mich; reiß mich heraus aus gewaltigen Wassern, aus der Hand der Fremden. Alles, was ihr Mund sagt, ist Lüge, Meineide schwört die Rechte.” Vgl. Augustins Anmerkungen zu dieser Stelle in en. Ps. 143,15. 39 Ps 85,12–13 (zitiert nach en. Ps. 85,17) sowie Ps 85,14 (zitiert nach en. Ps. 85,19): „Ich werde mein Bekenntnis vor dir ablegen, Herr, mein Gott, mit meinem ganzen Herzen, und ich werde deinen Namen verherrlichen in alle Ewigkeit, da deine Barmherzigkeit mir gegenüber groß ist und du meine Seele aus der tieferen Hölle herausgerissen hast. (…) Gott, diejenigen, die die Gesetze überschreiten, haben sich über mich erhoben.“ 40 Weitere Stellen finden sich in 3,12,21 (filius istarum lacrimarum); 5,8,15 (usque ad aquam gratiae tuae, qua me abluto siccarentur flumina maternorum oculorum, quibus pro me cotidie tibi rigabat terram sub vultu suo); 9,12,33 (matrem oculis meis interim mortuam quae me multos annos fleverat, ut oculis tuis viverem).

4. Monnica als Korrektiv des irrenden Protagonisten (Buch 3–Buch 8)

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men: pro me fleret. Dieses Weinen für jemanden steht im Gegensatz zu dem transitiven ‚Beweinen‘, das auch in der vorliegenden Textpassage ganz explizit eine auf Äußeres, Körperliches gerichtete und deshalb mit Ablehnung bewertete Trauer bedeutet: flent matres corporea funera. Die als richtig erkannte Form des Weinens in Begleitung von Gebeten wird im Zusammenhang mit einer erfolgreichen Kommunikation mit Gott dargestellt, der diese Fürbitten erhört. Seine Antwort erfolgt in Form eines Traums. An dieser Stelle wird ein geistiger Tod von einem leiblichen Tod unterschieden (mors mea ex fide et spiritu), eine Vorstellung, die schon im 1. Buch Augustinus dazu dient, dem inneren Geschehen Ausdruck zu verleihen: tenere cogebar Aeneae nescio cuius errores oblitus errorum meorum et plorare Didonem mortuam, quia se occidit ab amore, cum interea me ipsum in his a te morientem, deus, vita 41 mea, siccis oculis ferrem miserrimus.

Doch wieder zurück zu der Textstelle in Buch 3. Hier wird Monnica in ihrer Funktion einer Mutter im Glauben von der einer leiblichen Mutter getrennt. Mit ihrem Weinen um den verstorbenen Sohn wird ihr Verhalten gegenüber Augustinus im Rahmen eines weitläufigen Mutterbildes gezeichnet, dieses wird jedoch von einer Bestimmung in innerweltlichen Zusammenhängen auf eine spirituelle Ebene gehoben. Monnica erfüllt ferner auch in dieser Textpassage die Funktion einer Kontrastfigur zum Protagonisten Augustinus. Die Darstellung ihrer Trauer um den Sohn ermöglicht es, eine erweiterte Perspektive auf die Handlung um den Hauptdarsteller zu werfen. Das Handeln der Figur Augustinus wird nicht bloß aus der nachträglichen Perspektive des Erzählers kritisiert, sondern erfährt eine Kontrastierung von einer moralisch höherstehenden Warte bereits in der erzählten Zeit durch die Figur der Monnica. Ferner wird durch die Trauer um den spirituellen Tod des Sohnes die Abwendung des Protagonisten von Gott durch ein weiteres Bildfeld ausgedrückt. Dieses tritt zur Visualisierung der inneren Entwicklung neben das exitus-reditus-Motiv und das Gleichnis vom Verlorenen Sohn. Als Figur der Erzählung ist Monnica auf den Protagonisten Augustinus hin funktionalisiert. Durch ihre Trauer wird seine Situation der Abwendung von Gott auch emotional bewertet. In der Erzählung über Monnica folgt die Geschichte von ihrem Traum und dessen Deutung (3,11,19–3,12,21). Die Episode lässt sich in drei Abschnitte gliedern: a) Der Inhalt des Traums (3,11,19). b) Die Deutung des Traums (3,11,20). c) Monnicas Bitte an den Bischof und dessen Antwort (3,12,21).

41 1,13,20: „Ich wurde gezwungen, die Irrwege irgendeines Aeneas im Gedächtnis zu behalten, dabei meine eigenen Irrwege zu vergessen und die tote Dido zu beweinen, weil sie sich aus Liebe umgebracht hat, während ich Elender unterdessen mit trockenen Augen ertrug, dass ich selbst dabei von dir wegstarb, Gott, mein Leben.“

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

Wichtige Aufschlüsse zu der Episode werden gewonnen, wenn sie vor dem Hintergrund der literarischen Tradition, in der sie steht, betrachtet wird. Deshalb soll zunächst ein kurzer Überblick über Träume und Traumdeutung in der antiken Literatur erfolgen. Eine klare Einordnung der Träume bei Augustinus in gängige Typologisierungen erweist sich als schwierig, da sie wie die Confessiones als Gesamtwerk in einem Zwischenraum zwischen Literarisierung und Anspruch auf Realitätsreferenz angelegt sind. So haben sie mit den Träumen in der Literatur gemein, dass sie eine Erzählung innerhalb einer Erzählung darstellen, wobei sich beide wechselseitig aufeinander beziehen. 42 In der Antike ist auch bei Texten mit Anspruch auf Referentialität auf die außertextuelle Welt, die im Gegensatz zu fiktionalen Texten an die Forderung gebunden sind, keine erfundenen Träume zu erzählen, eine literarische oder rhetorische Überformung nicht ausgeschlossen. 43 Nicht nur der Inhalt des Traums ist von Interesse für die Untersuchung, auch Monnicas Fähigkeit zu seiner richtigen Deutung stellt ein markantes Element der Episode dar. 44 In der Traumerzählung in Buch 6 (6,13,23) kann Monnica auch die in der Antike wiederholt thematisierte Fähigkeit zur Unterscheidung von wahren und falschen Träumen 45 für sich in Anspruch nehmen. Träumen wird schon in der paganen Literatur eine große Bedeutung eingeräumt. Bis zu Augustin hat das Christentum jedoch bereits eine eigene Tradition der Traumdeutung entwickelt, die im Laufe der Zeit an Akzeptanz gewinnt. Träume und Traumdeutung sind Gegenstand theologischer Reflexion schon seit Tertullian, der in seiner Schrift De anima unterschiedliche Kategorien von Träumen feststellt. Hierbei nimmt er eine Einteilung in falsche, von Dämonen gesandte und wahre, von Gott stammende Träume vor. 46 Tertullians richtungweisende Leistung ist auf diesem Gebiet in der Rechtfertigung des inspirierten Traumes zu sehen, wodurch er Träumen und Traumdeutung einen Platz im christlichen Denken sichert. 47 In Augustins De Genesi ad litteram (etwa gleichzeitig zu den Confessiones nach 401 entstanden 48) wird der Traum erkenntnistheoretisch auf derselben Ebene angesiedelt wie das Vorstellungsvermögen. Die Tradition einer Einteilung der Träume hat zu einer Kategorisierung geführt, die nach ihem Ursprung unterscheidet. Hierbei wurde nach drei möglichen Ursachen unterteilt: Eine Form der Träume rührt von Gott, eine andere ist von Dämonen gesandt, eine dritte entspringt der Vorstellungskraft selbst. Jedoch wurde nur der von Gott 42 Diese Form stellt Näf 2004, 14 in seiner Typologisierung als Typ 1 dar. 43 Vgl. Näf 2004, 14–15 Typ 2: der Traum, der in der wissenschaftlichen, v.a. philosophischen Literatur begegnet. 44 Näf 2004, 10–14 weist darauf hin, dass eine Betrachtung, die Traumdeutung als eigenständiges Phänomen neben den Trauminhalten selbst untersucht, noch immer ein Desiderat der Forschung darstellt. 45 Vgl. Homer (Penelope) und Vergil (Sibylle), auf die in der antiken Literatur mit Reflexionen über Träume wiederholt Bezug genommen wird. Zu Synesios vgl. Näf 2004, 171. 46 Vgl. Näf 2004, 139–140. Hier auch zu weiteren Differenzierungen, die Tertullian vorgenommen hat. 47 Vgl. Näf 2004, 140–141. 48 Vgl. Fuhrer 2004a, 62.

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stammende Traum als wahr anerkannt. 49 Infolge der Entwicklungen in der Theologie begegnen Träume in der spätantiken christlichen Literatur häufig und erlangen große Bedeutung. 50 Jacques Le Goff spricht sogar von der Geburt der Gattung einer „autobiographie onirique“, zu deren Archegeten auf christlicher Seite Augustinus mit seinen Confessiones gerechnet werden kann. 51 Träume tragen dazu bei, „spirituelle Autorität zu schaffen“ 52, weshalb sie ein bedeutendes Merkmal der Heiligenviten darstellen. 53 Träume erhalten eine zentrale Rolle für die conversio, wobei Traumerlebnisse den Weg zum rechten Bekenntnis eröffnen. 54 Die Bedeutung von Träumen für die Ausrichtung des spirituellen Lebensweges wird in den intellektuellen Kreisen Nordafrikas traditionell hoch eingeschätzt. 55 Dies ist der Hintergrund, vor dem die Darstellung über die schwierige Deutung des Traumes am Ende des 3. Buchs zu sehen ist. Vermittels rhetorischer Fragen streicht Augustinus die göttliche Inspiration des Traumes seiner Mutter heraus. Auf göttliche Inspiration zurückzuführen ist dabei aber nicht nur ihr Traum selbst (3,11,19: nam unde illud somnium), sondern auch ihr unumstößliches Vertrauen auf die Richtigkeit ihrer eigenen Interpretation (3,11,20: unde illud etiam […] continuo sine aliqua haesitatione inquit). In der Darstellung von Monnicas Traum und seiner Deutung ist eine gezielte Leserlenkung zu erkennen. Die Interpretation des Lesers wird durch die erzählerische Gestaltung der vorliegenden Passage gesteuert. Die Episode um den Traum wird nicht in chronologischer Reihenfolge erzählt, vielmehr wird das Ergebnis vorweggenommen. Gleich zu Beginn der Erzählung wird berichtet, dass im Anschluss an den Traum Monnica getröstet sein wird und wieder darauf vertrauen können wird, dass sie mit ihrem Sohn zusammenleben kann: nam unde illud somnium, quo eam consolatus es, ut vivere mecum cederet et habere mecum eandem mensam in domo? quod nolle coeperat aversans et detestans blasphemias erroris 56 mei.

49 Vgl. Bettetini 1998, 157–158. Sie möchte die Bedeutung der Traumgeschichte auch auf Augustins Erfahrungen mit paganer Literatur zurückführen (158): „es reicht, an die von ihm gelesene Literatur zu denken, um keine Zweifel zu hegen: Aeneas ist fortlaufend im Traum darüber unterrichtet, was er zu tun hat, Lucius (Figur in Apuleius’ Metamorphosen, Anm. d. Verf.) ist im Traum im voraus darüber benachrichtigt, daß sein Initiationsabenteuer einen glücklichen Ausgang findet; darüber hinaus kann der Traum auch täuschen, wie es Aeneas im Fall der Erscheinung von Palinurus widerfahren ist.“ Aber in stärkerem Maße stützt sich Augustinus hier wohl auf die christliche Tradition, auf die er bereits zurückgreifen kann. 50 Vgl. Näf 2004, 145. 51 Vgl. Le Goff 1985, 214. 52 Näf 2004, 151. 53 Vgl. Näf 2004, 110; 145–166 mit Verweis auf die Beispiele Helenas und Kaiser Konstantins in der Darstellung Eusebios’ von Caesarea und Laktanz’ sowie des heiligen Martin von Tours in der Darstellung des Sulpicius Severus. 54 Vgl. Näf 2004, 145 mit Beispielen. 55 Vgl. Näf 2004, 163. 56 3,11,19: „Denn woher kam jener Traum, mit dem du sie getröstet hast, damit sie es zulasse, dass sie mit mir zusammen lebt und mit mir im Haus den Tisch teilt? Sie hatte begonnen, dies

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

Das Wirken der göttlichen Hand am Protagonisten besteht darin, dass Gott durch den Traum wieder die Kommunikation zwischen beiden ermöglicht und somit die Mutter zum Instrument der Gnade an ihm werden kann. Dem göttlichen Handeln gehen Bitten der Mutter um den Sohn voraus. Mit einem anschaulichen Bild wird ausgedrückt, wie Gott Monnicas Gebete erhört: erant aures tuae ad cor eius. Der Inhalt des Traums zeichnet den Spannungsbogen für die restliche Handlung: 57 Wo sie ist, wird auch er sein. Monnica sieht sich und ihren Sohn auf einem ‚Richtscheit aus Holz‘ (regula) stehen. Die regula im Traum steht symbolisch für die regula fidei, zu der auch Augustinus finden wird. 58 Die regula als materielles Objekt im Traum wirkt seltsam, die Deutung ist aber in Anbetracht der Häufigkeit der regula fidei in Augustins Werk einleuchtend. 59 Nach der Inhaltsangabe des Traums folgt die Meinungsverschiedenheit über die Interpretation seines Inhaltes. 60 Der richtigen Deutung durch Monnica misst Augustins dieselbe Bewunderung bei wie dem Traum selbst. Aus der nachträglichen Perspektive des Erzählers kann Augustinus die göttliche Lenkung (curas unumquemque nostrum) hinter den Ereignissen erkennen: unde illud etiam, quod cum mihi narrasset ipsum visum et ego ad id trahere conarer, ut illa se potius non desperaret futuram esse quod eram, continuo sine aliqua haesitatione: „non“ inquit; „non enim mihi dictum est: ubi ille, ibi et tu, sed: ubi tu, ibi et ille.“ confiteor tibi, domine, recordationem meam, quantum recolo – quod saepe non tacui – amplius me isto per matrem vigilantem responso tuo, quod tam vicina interpretationis falsitate turbata non est et tam cito vidit quod videndum fuit – quod ego certe, antequam dixisset, non videram – etiam tum fuisse commotum quam ipso somnio, quo feminae piae gaudium tanto post futurum ad 61 consolationem tunc praesentis sollicitudinis tanto ante praedictum est.

Die Antwort der Mutter gibt Augustinus hier wörtlich wieder. Mit der durch den Einschub des inquit hervorgehobenen Wiederholung des non erhält die Szene Dramatik. Augustinus lässt Monnica die Interpretation in wörtlicher Figurenrede

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nicht zu wollen aus Abneigung und Hass gegen die Lästerungen, die aus meinem Irrtum hervorgingen.“ Zur Textgestalt vgl. O’Donnell 1992, II, 198–199. Vgl. Bettetini 1998, 160. Vgl. O’Donnell 1992, II, 199; Clark 1995, 158 führt auch das Kreuz als mögliches Objekt des Verweises an. Vgl. O’Donnell 1992, II, 199: “The wooden rule is problematic, for we are too familiar with wooden rulers to see instinctively the potential strangeness of the object.” Vgl. Kruger 1992, 153 3,11,20: „Daher kam auch jenes Ereignis: Als sie mir von diesem Traum erzählt hatte und ich versuchte, ihn dahingehend zu deuten, dass eher sie nicht die Hoffnung verlieren solle, eines Tages das zu sein, was ich schon war, sagte sie plötzlich ohne irgendein Zögern: ‚Nein, es wurde mir nämlich nicht gesagt: Da wo jener, dort auch du, sondern: Wo du, dort auch jener.‘ Ich lege vor dir, mein Herr, als Bekenntnis meine Erinnerung ab, soweit ich mich an das erinnere, was ich häufig nicht verschwiegen habe. Ich bekenne vor dir, dass ich auch damals vielmehr von dieser deiner Antwort durch die achtsame Mutter bewegt war, weil sie sich von der so naheliegenden Falschheit der Auslegung nicht hat verwirren lassen und so schnell gesehen hat, was zu sehen war – was ich sicherlich, bevor sie es sagte, nicht gesehen hatte –, als durch den Traum selbst, durch welchen die Freude der frommen Mutter, die so viel später erst eintreten würde, zum Trost der damals herrschenden Bekümmernis so viel früher vorhergesagt wurde.“

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wiedergeben. Wörtliche Rede begegnet in der antiken Literatur deutlich seltener als in modernen Erzählungen. 62 Durch diese Form der Wiedergabe wird der Aussage, die Augustinus als istum per matrem vigilantem responsum tuum Gottes deutet, besonderer Nachdruck verliehen. Sie ist kurz und bündig und dadurch einprägsam. Die Bezeichnung der Mutter als vigilans ist auffällig. Es handelt sich hierbei um ein Paradox, denn den Traum empfängt sie ja im Schlaf. Umso mehr fällt diese Charakterisierung der Mutter auf. Der Widerspruch in der vordergründigen Wortbedeutung lenkt die Aufmerksamkeit auf den Gehalt von vigilans zur Bezeichnung einer geistigen Eigenschaft (‚wachsam‘). Im Gegensatz zum Protagonisten Augustinus erkennt Monnica die Bedeutung des Traumes, die dieser am Ende des 8. Buches als die richtige erkennen wird. Es fallen die hermeneutischen Termini technici auf: interpretatio, falsitas, videndum est. 63 O’Donnell merkt zu tam vicina interpretationis falsitate lediglich die sehr allgemeine Erkenntnis an: “Bad reading is always close to good, a danger for all commentators.” 64 O’Donnell erkennt den Zusammenhang mit der Textinterpretation, versäumt es jedoch, diese allgemeine Erkenntnis im spezifischen Kontext der Confessiones zu deuten: Monnica wird als erfolgreiche Hermeneutikerin dargestellt, jedoch gelangt sie zu ihren Erkenntnissen nicht auf einem rationalen Weg, sondern auf dem des Glaubens und der göttlichen Inspiration. 65 In Augustins mangelnder Fähigkeit zu einer richtigen Deutung des Traums spiegelt sich sein geistiger Entwicklungsstand vor der Konversion wider. Monnica ist somit auch als Deuterin des Traums auf die Darstellung des Protagonisten hin funktionalisiert, indem sie einen Kontrast zu ihm bildet. In einem kurzen Vorausblick ordnet Augustinus den Traum in das Wirken Monnicas in den folgenden Jahren ein und lobt sie dabei gemäß einem christlichen Frauenideal: nam novem ferme anni secuti sunt, quibus ego «in illo limo profundi» (Ps 68,3) ac tenebris falsitatis, cum saepe surgere conarer et gravius alliderer, volutatus sum, cum tamen illa vidua casta, pia et sobria, quales amas, iam quidem spe alacrior, sed fletu et gemitu non segnior, non desineret horis omnibus orationum suarum de me plangere ad te, et intrabant «in conspectum tuum preces eius» (Ps 87,3), et me tamen dimittebas adhuc volvi et involvi illa 66 caligine.

62 Eine markante Verwendung wörtlicher Rede findet sich im 9. Buch bei den letzten Worten Monnicas kurz vor ihrem Tod. S. 262. 63 Unter den Begriff der visio vereint Augustinus ‚Wahrnehmung‛ mit ‚Verstehen‛; vgl. Näf 2004, 162. 64 O’Donnell 1992, II, 200. 65 Hierzu gehört auch ihre in 6,13,23 thematisierte Fähigkeit, zwischen wahren und falschen Träumen unterscheiden zu können. Vgl. Näf 2004, 159. 66 3,11,20 : „Denn es folgten fast neun Jahre, in denen ich mich in jenem Schlamm der Tiefe und in der Dunkelheit der Falschheit wälzte. Auch wenn ich häufig versuchte, mich zu erheben, wurde ich nur noch heftiger niedergeschlagen. Dennoch ließ jene keusche, fromme und nüchterne Witwe – solche liebst du –, wenn sie auch schon durch Hoffnung heiterer, aber im Weinen und Seufzen nicht träger war, nicht nach, in allen Stunden ihrer Gebete um mich zu

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Als vidua casta, pia, sobria ist Monnica Paradigma eines Idealbilds der Frau. Der verallgemeinernde Relativsatz quales amas setzt die Charakterisierung Monnicas in Verbindung zu einer Vorstellung über Frauen allgemein und verweist auf die Bibel, und damit auf das Wort Gottes. Ohne dass Augustinus auf eine konkrete Textstelle verwiese, ist hiermit eine Verknüpfung zur Bibel gegeben. Die Hochschätzung der Witwen findet sich in 1 Tm 5,3–16. 67 Den Charakter eines Tugendkatalogs unterstreicht ganz besonders die Beschreibung Monnicas als non segnis in fletu et gemitu non segnior. Auch hier wird Monnica vermittels paradoxer Formulierung charakterisiert: Die Beurteilung Monnicas, nicht träge zu sein (segnis = „träge, langsam, lässig, schlaff“), mag zunächst nicht zu Handlungen wie Weinen und Wehklagen passen. Die emotionalen Äußerungen der innerlichen Haltung werden hier jedoch zu Tätigkeiten und Leistungen für den Sohn. Das mit Weinen verbundene Beten, das zu einer Kommunikation mit Gott führt, wird hier zur Tugend einer vidua casta, sobria et pia. Mit dem ersten Satz schickt Augustinus schon eine Deutung der folgenden Begebenheit voraus: et dedisti alterum responsum interim, quod recolo. Hier wird deutlich, dass es sich im Folgenden um eine göttliche Antwort handeln wird. Auch in diesem Abschnitt sind die Aussagen des Bischofs, die als responsa Gottes gedeutet werden, in direkter Rede wiedergegeben. Der Bischof, an den sich Monnica wendet, erscheint durch seine Lebensgeschichte mit manichäischer Vergangenheit als eine Figur, die identische Züge zu Augustinus trägt. Gleichzeitig ist die Tatsache, dass er von der Mutter zum Manichäismus gebracht wurde, ein Kontrast zum Verhältnis zwischen Monnica und Augustinus. Im Gespräch nun weist der Geistliche Monnica die Aufgabe der Fürbitte zu: tantum roga pro eo dominum. Diesen Gedanken wiederholt er nach ihrer mehrfachen inständigen Bitte, er möge doch mit ihrem Sohn sprechen, mit der Gewissheit, dass Augustins Loslösung vom Manichäismus gelingen wird: quae cum ille dixisset atque illa nollet adquiescere, sed instaret magis deprecando et ubertim flendo, ut me videret et mecum dissereret, ille iam substomachans taedio: “vade” inquit “a me; ita vivas, fieri non potest, ut filius istarum lacrimarum pereat.” quod illa ita se accepisse 68 inter conloquia sua mecum saepe recordabatur, ac si de caelo sonuisset.

Die Erzählforschung gibt ein Instrumentarium an die Hand, mit dem zu dieser Textstelle wichtige Erkenntnisse gewonnen werden können. Der Text weist hier unterschiedliche Formen von Fokalisierung auf. Die wörtliche Wiedergabe einer Aussage unterstreicht, wie oben gesehen, deren Bedeutung, indem sie die Darstelweinen vor dir, und es traten in deinen Anblick ihre Bitten ein, und du ließest zu, dass ich noch in jener Finsternis mich wälzte und mich noch tiefer in sie hineinwälzte.“ 67 Vgl. O’Donnell 1992, II, 201; Clark 1995, 159. 68 3,12,21: „Nachdem er dies gesagt hatte und sie nicht zur Ruhe kommen wollte, sondern durch Bitten und reichliches Weinen nur noch mehr darauf drängte, dass er mit mir zusammenkommen und mit mir reden würde, sagte er, vor Überdruss schon wütend: ‚Weiche von mir, so wahr du lebst, es kann nicht geschehen, dass der Sohn solcher Tränen verloren geht.‘ Bei ihren Gesprächen mit mir erinnerte sie sich häufig, dass sie jene Worte so aufgenommen habe, als wären sie vom Himmel erklungen.“

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lung mimetischer wirken lässt. Die als göttliches responsum gedeutete Antwort des Bischofs erfolgt von diesem in der Erzählung iam substomachans taedio. Dieses Attribut weist eine auffällige Abundanz des Ausdrucks auf: Das Präfix subverstärkt das Verb stomachans. Eine weitere Verstärkung des Verbalinhaltes findet zudem durch den das Verb der Gemütsbewegung begründenden Ablativ taedio statt, wodurch das eigentlich zur Beschreibung der Situation schon mehr als hinreichende substomachans nochmals intensiviert wird. Der Leser muss sich die wörtlich wiedergegebene Aussage des Bischofs als in einem sehr gereizten Ton geäußert vorstellen. Dadurch erhält das istarum die pejorative Bedeutung, die iste tragen kann. 69 Die nachträgliche Interpretation Monnicas und des ihrer Deutung folgenden Erzählers, nach der die Äußerung des Bischofs als göttliche Antwort aufzufassen ist, lässt das iste neutral erscheinen. Das Demonstrativpronomen führt zu einer Konkretisierung der lacrimae, indem es einen Rückverweis auf die Tränen um den spirituell gestorbenen Sohn erwirkt. In diesem Abschnitt sind Erzähltechnik und philosophisch-theologischer Gehalt eng miteinander verknüpft. Die admonitio Gottes erfolgt in einem äußeren Kontext, in dem sie sich als solche nicht unmittelbar erkennen lässt, und wird von den beteiligten Personen zu dem Zeitpunkt, zu dem sie sich ereignet, zunächst nicht verstanden. So tritt Monnica nicht in der Erwartung an den Bischof heran, ein göttliches Zeichen von ihm zu erhalten. Dieser wiederum lässt seine Äußerung mehr aus Verärgerung über ihr inständiges Bitten fallen. Die Erzählung ist so gestaltet, dass im Bereich der Perspektivierung eine beschränkte Mitsicht der Figuren in der erzählten Zeit und eine nachträgliche Deutung, die die größeren Zusammenhänge erkennen lässt, auseinanderklaffen. Ein in 6,1,1 erfolgender expliziter Vergleich Monnicas mit der Mutter in der Geschichte von der Witwe von Nain aus Lc 7,11–17 macht die Vermutung plausibel, dass auch die vorliegende Stelle als ein Verweis auf diese biblische Geschichte zu lesen ist, in der eine Frau um ihren verstorbenen Sohn trauert, den Jesus Christus wieder zum Leben erweckt. 70 Diesen Zusammenhang untermauert das polyvalente pereat. Wie beim themagebenden Begriff der confessio 71 oder beim Wortspiel mit einer ‚wörtlichen‘ Bedeutung von invocare deum im Eingangsgebet 72 – ein Vorgehen, das als eine prägnante literarische Technik des Werkes gelten kann, – arbeitet Augustinus auch hier wieder mit semantischen Polyvalenzen. Im Kontext der exitus-reditus-Konzeption ist sicherlich die von der Mehrzahl der Interpreten gewählte Deutung als „verloren gehen“ 73 zutreffend. Als dominante Bedeutung von pereo darf aber „zugrunde gehen“ im Sinne von „sterben“ gelten. Gemäß den im ThlL angeführten Belegstellen steht die Quantität der StellenangaVgl. Ernout / Meillet / André 41985, 324. S. 182–183. S. Kap. II.1.a.γ. 1,2,2: et quomodo invocabo deum meum, deum et dominum meum, quoniam utique in me ipsum eum vocabo, cum invocabo eum? 73 Vgl. Bernhart 1987, 135: „es ist unmöglich, daß ein Sohn solcher Tränen verlorengeht“; Thimme 102003, 87: „ein Sohn so vieler Tränen kann nicht verloren gehen”; Flasch / Mojsisch 2003, 90: „Unmöglich geht ein Sohn so vieler Tränen verloren.“ 69 70 71 72

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ben zur Bedeutung von „sterben“ 74 zu der von „verloren gehen“ 75 in einem Verhältnis von etwa 11:1. Die dominante Bedeutung weist auf die Geschichte von der Witwe von Nain, darüber hinaus aber auch auf die Vorstellung eines spirituellen Todes. 76 Dieses Bild ist bereits zur Beschreibung von Augustins Zustand der Abwendung von Gott begegnet. 77 Die Tränen besitzen somit einen Verweischarakter von der innerweltlichen Zwischenmenschlichkeit auf eine spirituelle. Sie sind ein vermittelndes Glied zwischen der leiblichen Mutter Monnica und der geistigen, die um ihren im Glauben gestorbenen Sohn trauert. Sie hält ihren Sohn für spirituell tot. Die Tränen sind leiblicher Ausdruck einer seelischen Haltung. 78 Diese Szene ist folglich im Kontext der von Augustinus in den Confessiones vollzogenen Anerkennung von bonae passiones zu sehen, die er unter Abgrenzung von der stoischen Affektenlehre vornimmt. 79 Um die Bedeutung des Weinens der Mutter einschätzen zu können, ist es nötig, die Erwartungshaltung des zeitgenössischen Lesers zu rekonstruieren. Zunächst lässt sich in der Trauer einer Mutter um den Sohn in der Fremde eine anthropologische Konstante erkennen, die Augustinus bei einem Leser als vertrautes zwischenmenschliches Phänomen voraussetzen kann. Zahlreiche Stellen in der römischen Literatur, an denen eine solche emotionale Anhänglichkeit der Mütter an ihre Kinder und insbesondere die Trauer der Mütter um verstorbene Söhne dargestellt werden, weisen darauf hin, dass hier von einem typischen Verhaltensmuster gesprochen werden kann. 80 In diesem Zusammenhang erweist sich eine Beobachtung Therese Fuhrers als besonders gewinnbringend für die Interpretati74 ThlL X,1 s.v. pereo, 1327–1329 unter der Kategorie „A ut omnino esse desinant 1 de hominibus“ (Fettschrift und Sperrung im Original aufgehoben). 75 ThlL X,1 s.v. pereo, 1330 unter der Kategorie „B ut non iam adsunt eo quod auferuntur, amoventur: 1 potius e loco quodam (fere de surreptis vel aberrantibus)“ (Fettschrift und Sperrung im Original aufgehoben). 76 Für diese Bedeutung entscheidet sich Chiarini 32001, 111 in seiner Übersetzung: „non può morire il figlio di tutte queste lacrime.“ 77 S. 150–151. 78 Sie begegnen häufig in den Psalmen und begleiten das Beten. Dulaey 2003 und Mayer 2004 wollen hier Monnica als Bild der Kirche sehen, explizite Hinweise im Text und Parallelen bei Augustinus, in der die Kirche als weinende Mutter dargestellt wird, fehlen jedoch. Auch die Ablösung der Tränen der Mutter durch das Taufwasser weist in keiner Weise darauf hin, dass hinter der Mutter die Kirche vermutet werden soll. 79 Explizit in civ. 9,4–5. Für Augustinus steht im Gegensatz zu der von ihm dargestellten philosophischen Tradition nicht im Mittelpunkt, ob die Seele Affekte erleidet, sondern warum. Eine Gemütsbewegung kann der Vernunft durchaus auch dienlich sein, wenn durch sie etwa die Gerechtigkeit hergestellt wird. Die christliche Vorstellung des Leidenstriumphes, von einer gloriosa passio aus Gottesliebe sollte auch in der Motivik der abendländischen Literatur nachhaltig prägen, wie Auerbach 1958, 54–63 zeigt. 80 Als einschlägige Belegstellen allein bei Cicero sei auf folgende Textabschnitte verwiesen: Verr. 2,1,92–93; 2,1,153; 2,5,112; Cluent. 66,190; 70,201; inv. 1,29,46; Tusc. 1,44,106; fam. 9,20,3; ad Brut. 1,12,2. Als ein epigraphischer Hinweis auf den amor maternus gegenüber verstorbenen Kindern und seine öffentliche Darstellung darf die Tatsache gelten, dass Epitaphien für jung verstorbene Kinder mehrheitlich von Müttern gewidmet sind. Vgl. Rawson 2003, 233; 237.

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on. Der Theorie Hans Robert Jauß’ folgend erblickt sie ein signifikantes Proprium der Confessiones darin, dass durch die Darstellung der Lebensgeschichte eine ‚sympathetische Identifikation‘ des Lesers mit der Hauptfigur erwirkt wird, die es diesem erlaubt, den Weg des Protagonisten zu Gott für sich als nachvollziehbar zu empfinden. 81 Diese Beobachtung lässt sich auch auf die Figur der Monnica übertragen. Hier wird theologischer Gehalt anhand der Leiden der Mutter um den Sohn dem Leser in der Darstellung einer allgemein bekannten menschlichen Befindlichkeit vermittelt. Seinen literarischen Niederschlag hat das Motiv der um ihren Sohn trauernden Mutter etwa bei Thukydides, Vergil und Juvenal gefunden. 82 Eine solche Darstellungsweise darf im Rahmen der mit den Confessiones verfolgten protreptischen Intention gesehen werden. Die hier dargestellte spirituelle Trauer vor Gott spiegelt die von Augustinus am Ende des 9. Buches als richtig erkannte Form der Trauer wider. Somit lässt der Erzähler Augustinus Monnica als Kontrastfigur zu seinem Irren in der Vergangenheit eine Haltung vorleben, die er selbst erst später einnehmen wird. Insgesamt lässt Augustinus in den Confessiones den Tränen eine große Bedeutung zukommen. Sie werden als äußerer Ausdruck der confessio dargestellt. 83 Tränen bleiben dennoch in den Confessiones ambivalent. Sie werden durchaus auch ablehnend bewertet. Ebenfalls im 3. Buch werden die Tränen über die spectacula verurteilt.84 Der für Augustinus entscheidende Punkt ist die Ursache und Ausrichtung des Affekts. Die Bedeutung der Tränen ändert sich im Verlauf der Erzählung der Lebensgeschichte vor dem Hintergrund einer Entwicklung, die beim Protagonisten einhergehend mit der peregrinatio animae von einer falschen Form des Weinens zu einer richtigen führt. An der Entwicklungsgeschichte der Figur Augustinus werden unterschiedliche Haltungen gegenüber Emotionen aufgezeigt. Das 3. Buch schließt mit einem effektvollen Satz ab. Der konditionale Vergleichssatz misst dem de caelo sonuisset irreale Bedeutung bei. Die Antwort war bloß so, als wäre sie vom Himmel erklungen. Auch bei der Deutung dieser Stelle lässt sich das Genette’sche Konzept der Fokalisierung gewinnbringend anwenden. Bedenkt man, dass der Erzähler Augustinus bereits den Traum als ein responsum Gottes ausgelegt hat, so wird offensichtlich, dass wir es hier im abschließenden Satz mit der Wiedergabe der vorsichtig deutenden Perspektive Monnicas zu tun haben, deren Aussage in indirekter Rede wiedergegeben wird. Dass der Erzähler jedoch keine Zweifel hegt, dass diese Worte von göttlicher Herkunft sind, hat er bereits durch den ersten Satz des Abschnitts, der der gesamten Darstellung Monnicas am Ende des 3. Buches eine proleptische Deutung vorausschickt, deutlich gemacht. 81 Vgl. Fuhrer 2004a, 127–128. S. 30. 82 Vgl. Thuc. 2,44,1; Vergil, ecl. 5,22–23; Iuv. 10,240–242. 83 7,21,27 über die Bücher der Platoniker: non habent illae paginae vultum pietatis huius, lacrimas confessionis (…). Vgl. Dulaey 2003, 220. 84 Vgl. 3,2,4: at ego tunc miser dolere amabam et quaerebam, ut esset quod dolerem, quando mihi in aerumna aliena et falsa et saltatoria ea magis placebat actio histrionis meque alliciebat vehementius, qua mihi lacrimae excutiebantur.

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b) Buch 4 α) Formen der Trauer Im 4. Buch beschreibt Augustinus seinen Erfahrungsraum als junger Mann und Intellektueller in einer Lebensperiode, in der er dem Manichäismus anhängt. Er schildert seine Zeit als Rhetoriklehrer, sein Interesse für die Astrologie, die Verbindung mit einer Konkubine, die Trauer um einen verstorbenen Freund, schließlich die gescheiterten Versuche, vermittels einer platonischen, manichäischen oder aristotelischen Ästhetik den hinter der Schönheit stehenden Gott zu erfassen. Folgende Gliederung lässt sich erstellen: 4,1,1–4,3,6: 4,4,7–4,12,19: 4,13,20–4,16,31:

Augustinus als Lehrer in Karthago Tod des Freundes Intellektuelle Entwicklung 4,13,20–4,15,27: De pulchro et apto 4,16,28–4,16,31: Aristoteles’ Categoriae

Auch wenn mit dem beruflichen Weg und der intellektuellen Entwicklung in Buch 4 zwei Lebensbereiche behandelt werden, die sich fern vom Elternhaus abspielen und die Mutter keine Figur der Handlung ist, lässt der Erzähler die Generationenthematik auch in diesem Buch nicht aus dem Blickfeld geraten. In 4,4,7 begegnet Monnica zum einzigen Mal in Buch 4. Ihre Erwähnung erfolgt in Zusammenhang mit der Reflexion über die Trauer um einen verstorbenen Freund (4,4,7–4,12,19). Aus der Erzählerperspektive beschuldigt sich Augustinus, auf diesen Freund schlechten Einfluss ausgeübt zu haben, indem er ihn veranlasste, sich dem Manichäismus zuzuwenden: nam et a fide vera, quam non germanitus et penitus adulescens tenebat, deflexeram eum in 85 superstitiosas fabellas et perniciosas, propter quas me plangebat mater.

Auch wenn es sich hierbei um die einzige Stelle im 4. Buch handelt, in der auf die Mutter verwiesen wird, ist sie dennoch bedeutsam für die Rolle, die die Figur Monnicas im Bauplan der Confessiones einnimmt. Die Tränen der Mutter, der man unterschiedliche Funktionen in verschiedenen Darstellungszusammenhängen zuweisen kann, sind im unmittelbaren Kontext der Reflexion über den verstorbenen Freund zu deuten. Die Szene ist eingefügt in eine Episode, deren Inhalt die Ausrichtung der Affekte, im speziellen Fall der Trauer darstellt. Hier nimmt ihr Weinen die Funktion einer Kontrastierung zum Weinen des Protagonisten Augustinus ein. Das Weinen der Mutter um die „abergläubischen und verderblichen Märchen“ (superstitiosas fabellas et perniciosas) wirkt zunächst unverhältnismäßig gegenüber seinen Tränen um den verstorbenen Freund. Dem Weinen um den 85 4,4,7: „Denn auch vom wahren Glauben, dem er als Jugendlicher noch nicht eng und im Innersten verbunden war, hatte ich ihn abgebracht und zu abergläubischen und verderblichen Märchen geführt, derentwegen mich meine Mutter beweinte.“

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Freund, dessen befreiende Wirkung Augustinus im 4. Buch zunächst noch unerklärlich bleibt, werden diese Tränen der Mutter kontrastierend als ein Trauern um einen in metaphorischem Sinne gestorbenen Toten gegenübergestellt. Augustins Reflexion in diesem Abschnitt steht ganz in der Tradition der antiken Ethik und ihrer Güter- und Affektenlehre, die die Haltung des Menschen gegenüber Normen und Gütern im Blickpunkt hat. 86 Die beiden Szenen, in denen Augustinus trauert, im 4. Buch und am Ende des 9. Buches, sind als im Kontrast zueinander konzipiert anzusehen, wobei im 4. Buch der Erzähler Augustinus über die falsche Art zu trauern beim Protagonisten vor der Konversion reflektiert, während im 9. Buch eine richtige Art der Trauer nach der Konversion dargestellt wird. 87 Die bedeutende Rolle, die Affekte in der hellenistischen Philosophie spielen, schlägt sich bei Augustinus nieder, jedoch gelangt der Kirchenvater im Rahmen des christlichen Denkens zu einer neuen Einordnung des Emotionalen. Für die gefallene menschliche Natur sind Affekte natürlich und unvermeidlich.88 Wichtig für die Bewertung der Affekte ist infolgedessen die Ausrichtung des Willens und der Liebe des jeweiligen Menschen. Ist der Wille auf Gott als das wahre Gut ausgerichtet, nehmen auch die Affekte die richtige Ausrichtung auf die Vollkommenheit ein. Negativ zu beurteilen sind Affekte, wenn der Mensch seinen Willen auf sich selbst oder auf Geschöpfliches ausgerichtet hat. Die Bekehrung des Willens zu Gott bewirkt eine Therapie der Affekte. 89 Ein Mensch kann aufgrund seiner Sterblichkeit nicht als das summum bonum, das alles Verlangen erfüllen und deshalb um seiner selbst willen erstrebt werden könnte, geliebt werden. Letzterfüllung kann wegen seiner Unvergänglichkeit nur Gott bringen. Der Nächste ist folglich so zu lieben, dass er als Verweis auf Gott geliebt wird. So entsteht eine Einheit von Nächsten- und Gottesliebe. 90 Augustinus erklärt schließlich seine maßlose Trauer: Den Freund betrauert er so, als sei er selbst das höchste Gut. Die falsche Ausrichtung der Liebe bringt eine falsche Ausrichtung der Affekte mit sich, die zu unermesslichem Schmerz über den Verlust, jedoch auch zu einem für den Trauernden erstaunlichen Gefallen an den Tränen führt. Zu dieser falschen Haltung gegenüber den Tränen kontrastiert das Weinen der Mutter für den Sohn, deren Affekte aus der Abwendung des Sohnes vom rechten Glauben rühren und die somit auf Gott gerichtet sind. Die am Beispiel der Trauer um einen Freund entwickelten Vorstellungen über eine richtige Form von Interpersonalität weisen auf die Reflexion über die Trauer um den Tod der Mutter am Ende des 9. 86 Vgl. Brachtendorf 2005, 86. Zur Ethik in der hellenistischen Philosophie vgl. Hossenfelder 2 1995, 11–39 (allgemein); 44–68 (Stoa); 100–124 (Epikureismus); 149–182 (pyrrhonische Skepsis). 87 Vgl. Brachtendorf 2005, 85–96; 197–201; hier vertiefend auch zu den philosophischen Vorbildern, vor allem Cicero und zur Verwurzelung des augustinischen Denkens in der hellenistischen Güterlehre. 88 Vgl. Brachtendorf 2005, 88–89 zu Augustins Affektenlehre im Kontext eines doppelten Naturbegriffes als Natur des prälapsaren und eschatologischen Menschen und der gefallenen Natur des auf Erden lebenden Menschen. 89 Vgl. Brachtendorf 2005, 89. 90 Vgl. Horn 1995, 47–49; Brachtendorf 2005, 92–93.

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Buches voraus. Durch das Thema der Trauer wird eine Verbindung zwischen den beiden Episoden geschlagen. Das doppelte Liebesgebot der Nächsten- und Gottesliebe wird am Beispiel der in der Trauer um einen verstorbenen Freund erkannten Zuneigung erläutert. Monnica bildet einen Kontrast zum Protagonisten Augustinus, insofern sie durch ihr an Gott gerichtetes Weinen für ihren Sohn die Erkenntnis schon in ihrem Handeln umsetzt, zu der der Protagonist Augustinus erst noch gelangen wird. Somit kommt der Stelle auch eine Bedeutung im Zusammenhang der über den autobiographischen Teil gespannten Mutter-Sohn-Konstellation zu. Das am Ende des 3. Buches aufgenommene Motiv der Tränen der Mutter über die geistigen Verirrungen des Sohnes wird hier fortgesetzt. Ihr Wirken für Augustinus im Gebet an Gott wird somit in Erinnerung gehalten. Abschließend lässt sich zu dem kurzen Rekurs auf Monnicas Weinen Folgendes festhalten: Die Erwähnung des Weinens der Mutter gliedert sich sowohl unmittelbar in den Darstellungskontext als auch in eine über den gesamten autobiographischen Teil gespannte Figurenkonstellation ein. Ihre Tränen kontrastieren zum einen mit der falschen Form, in der um einen Freund getrauert wird, zum anderen rücken sie das Irren des Sohnes wieder in den Blick. Die Darstellung des Verhaltens der Mutter dient auch hier dazu, die Verirrung des Sohnes ins Licht zu rücken und zu bewerten. β) Weltliches und göttliches Vaterhaus Im Rahmen der Beschreibung der Erfahrung von Trauer spielen auch die patria und die paterna domus eine bedeutende Rolle. Als Eigenheit dieser Episode darf ihr Potential gelten, beim Leser eigene Erinnerungen wachzurufen und somit Identifikation zu schaffen. Die Erfahrung von Trauer wird in einer Weise dargestellt, dass sie für den Leser nachvollziehbar wird. Zur Lebenswelt des Trauernden, die es in dieser Situation nicht vermag, dem Betroffenen Trost zu spenden, zählen die Vaterstadt und das Vaterhaus: quo dolore contenebratum est cor meum, et quidquid aspiciebam mors erat. et erat mihi patria supplicium et paterna domus mira infelicitas, et quidquid cum illo conmunicaveram, 91 sine illo in cruciatum inmanem verterat.

Hier geht es um das weltliche Vaterhaus, das keinen Trost spenden kann, ja sogar noch dem Bereich zugeordnet wird, in dem der Tod wahrgenommen wird. Dieses innerweltliche Vaterhaus ist als ein Kontrast zum Haus des Vaters des Verlorenen Sohnes zu sehen. 92 Auch die Erwähnung des väterlichen Hauses an dieser Stelle 91 4,4,9: „Durch diesen Schmerz wurde mein Herz verfinstert, und in allem, was ich anblickte, sah ich den Tod. Auch meine Vaterstadt bereitete mir Qual und auch das Vaterhaus ungewöhnliches Elend; und alles, was ich mit jenem geteilt hatte, wurde ohne ihn zu einer unerträglichen Marter.“ 92 Clark 1995, 169 entgeht der, wenn auch auf Kontrastierung abzielende Bezug, wenn sie lediglich feststellt: “this return to his father’s house is merely literal; the Prodigal Son has not yet returned to his spiritual home”. Auch O’Donnell 1992, II, 222 erkennt die Funktion der

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ist ein Verweis auf eine die Confessiones umspannende Kontrastierung von äußerlichen und innerlichen Zusammenhängen. Die patria-Metaphorik wird im 4. Buch nochmals aufgenommen: ubi autem inde auferebatur anima mea, onerabat me grandi sarcina miseriae. ad te, domine, levanda erat et curanda, sciebam, sed nec volebam nec valebam, eo magis, quia non mihi eras aliquid solidum et firmum, cum de te cogitabam. non enim tu eras, sed vanum phantasma et error meus erat deus meus. si conabar eam ibi ponere, ut requiesceret, per inane labebatur et iterum ruebat super me, et ego mihi remanseram infelix locus, ubi nec esse possem nec inde recedere. quo enim cor meum fugeret a corde meo? quo a me ipso fugerem? quo non me sequerer? et tamen fugi de patria. minus enim eum quaerebant oculi mei, ubi videre non solebant, atque a Thagastensi oppido veni Carthaginem. 93

Der gesamte Abschnitt lebt von einer räumlichen Metaphorik, beginnend mit infelix locus, zum Ausdruck des seelischen Zustands. Auch hier kann Augustinus wieder ein Metaphernfeld zur Zusammenführung verschiedener Denktraditionen nutzen. 94 Die Wortverbindung fugi de patria ist doppeldeutig, da sie sowohl wörtlich als auch metaphorisch gelesen werden kann. 95 Ein Blick auf die Gedankenführung in der Passage soll erhellen, wie Augustinus eine solche Ambiguität herstellt. Man muss hierbei feststellen, dass dem Leser die metaphorische Lesart im Sinne der Parabel vom Verlorenen Sohn näher als die wörtliche liegt, da es davor um eine „innere“ Flucht geht. Augustinus sucht einen Platz für seine Seele und fasst auch sich selbst als Ort auf: ego mihi remanseram infelix locus, ubi nec esse possem nec inde recedere.(…) quo enim cor meum fugeret a corde meo? quo a me ipso fugerem? quo non me sequerer? In zweifelnden Fragen im dubitativen Modus werden Handlungsalternativen ausgelotet. Der Kontext, der eine ausweglose Situation zeichnet, lässt die Fragen zu rhetorischen Fragen werden. Dem Erzähler und dem Leser ist bewusst, dass es keinen Ausweg gibt. Bedenkt man, dass es im voStelle nicht, wenn er lediglich zu der Beobachtung gelangt: “A first hint that at the end of this episode A. will leave Thagaste for Carthage (4,7,12)” und auch im Folgenden nur vage den Zusammenhang zur Geschichte vom Verlorenen Sohn andeutet, aber nicht näher bestimmt: “The phraseology is further redolent of the story of the prodigal”. 93 4,7,12: „Sobald aber meine Seele sich von dort zu entfernen versuchte, belastete sie mich mit einer großen Last an Unglück. Zu dir, Herr, hätte sie erhoben und auf dich ausgerichtet und geheilt werden sollen; das wusste ich, aber ich wollte nicht und ich konnte nicht. Umso weniger, weil du für mich nicht etwas Festes und Starkes warst, als ich an dich dachte. Das warst nämlich nicht du, sondern ein nichtiges Hirngespinst und ein Irrglaube war mein Gott. Wenn ich versuchte, meine Seele dorthin zu legen, damit sie zur Ruhe käme, fiel sie durch das Leere und stürzte wiederum auf mich. Ich war ein unglücklicher Ort für mich geblieben, wo ich nicht sein konnte, aber von wo ich mich auch nicht entfernen konnte. Wohin hätte nämlich mein Herz vor meinem Herzen fliehen können? Wohin hätte ich vor mir selbst fliehen sollen? Wohin wäre ich mir nicht selbst gefolgt? Und dennoch entfloh ich aus meiner Vaterstadt. Denn meine Augen suchten ihn weniger dort, wo sie ihn nicht zu sehen pflegten, und aus der Stadt Thagaste kam ich nach Karthago.“ 94 Vgl. beispielshalber S. 118–124 zur Verknüpfung der Parabel vom Verlorenen Sohn mit plotinischer Metaphorik. 95 Vgl. O’Donnell 1992, II, 229–230; Clark 1995, 173; Pizzolato 32006, 174.

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rangegangenen Text um eine innerliche Ortsbestimmung geht, so wird durch den Begriff patria durchaus eine Allusion an eine spirituelle Heimat evoziert. Dass sich der spirituelle Irrweg in einer Flucht aus der Heimat im eigentlichen Wortsinn vollzieht, wird erst im darauffolgenden Satz durch die Nennung der Städtenamen deutlich (et tamen fugi de patria; a Thagastensi oppido veni Carthaginem). Indem das Wort patria eine Scharnierstellung im Gedankengang, der sich von einer inneren zu einer äußeren ‚Ortsbestimmung‘ bewegt, einnimmt, erhält es seine Doppeldeutigkeit. Bemerkenswert ist auch an dieser Stelle, dass es gerade eine gemeinsame Metaphorik ist, die eine Anschlussfähigkeit verschiedener Denkströmungen ermöglicht. Das Motiv einer für den inneren Menschen zum Scheitern verurteilten äußerlichen Flucht ist ein Topos in der hellenistischen Philosophie und der von ihr geprägten Literatur. 96 Einschlägige Stellen finden sich bei Lukrez, 97 Horaz 98 und Seneca. 99 Dieser Topos wird hier mit der christlichen und neuplatonischen Metapher der patria verknüpft. 100 Das Fluchtmotiv wird im Folgenden nochmals aufgenommen: te nemo amittit, nisi qui dimittit, et qui dimittit, quo it aut quo fugit nisi a te placido ad te ira101 tum?

Durch diese Textstelle wird das Fluchtmotiv in Zusammenhang mit weiteren Bibelstellen gesetzt. 102 Mit placidus und iratus wird Gott mit väterlichen Attributen beschrieben. Der Kontrast zwischen einem pater lenis und einem pater durus stellt eine Grundkonstellation der griechisch-römischen Komödie dar. Somit kann die hier gezeichnete Charakterisierung auf eine bekannte bipolare Typik von Vaterfiguren zurückgreifen. 103 Aber auch das Gleichnis vom Verlorenen Sohn liegt hier als erzählerisches Substrat zugrunde. Eine Anspielung auf die Parabel zeigt sich im weiteren Verlauf des 4. Buches auch in dem Begriff substantia (4,16,30). Nachdem eben noch von dem Versuch des Protagonisten gesprochen worden ist, 96 Belegstellen sammelt O’Donnell 1992, II, 230, ohne sie jedoch zu deuten. 97 In Lucr. 3,1053–1075 wird mangelnde Kenntnis der natura rerum als Ursache innerer Unruhe und als Initial zu einer Flucht ohne Aussicht auf Erfolg dargestellt: hoc se quisque modo fugit, at quem scilicet, ut fit, / effugere haud potis est (1068–1069). 98 Hor. carm. 2,16,18–20: quid terras alio calentis / sole mutamus? patriae quis exsul / se quoque fugit? Eine Differenzierung von Innen und Außen aufbauend Hor. ep. 1,11,27: caelum non animum mutant qui trans mare currunt. 99 Ep. 28,1: animam debes mutare non caelum (…). quaeris quare te fuga ista non adiuvet? tecum fugis; ferner tranqu. 2,14–15. 100 S. 118–124. 101 4,9,14: „Dich verliert niemand, außer dem, der dich verlässt, und derjenige, der dich verlässt, wohin geht er und wohin flieht außer von deiner Sanftmütigkeit hin zu deinem Zorn?“. Die Textgestalt folgt hier der Mauriner-Ausgabe mit et qui te dimittit statt et quia te demittit. Auch wenn qui als lectio facilior gelten muss, fügt es sich dennoch besser in die Satzstruktur ein. Vgl. zur textkritischen Diskussion sowie zu den Varianten O’Donnell 1992, II, 234. 102 Vgl. die Textverweise bei O’Donnell 1992, II, 234: Ps. 138,7; en. Ps. 94,2; en. Ps. 138,10. 103 Zu den Vater-Sohn-Beziehungen bei Terenz, der dem Lesepublikum der Spätantike durch den Schulunterricht gut bekannt ist, vgl. Sherberg 1995, 94–119.

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das Gottesbild nach den Konzepten der aristotelischen Philosophie zu fassen, und dabei von substantia im Sinne der aristotelischen Kategorienlehre die Rede war (4,16,28: et satis aperte mihi videbantur loquentes de substantiis; in ipso substantiae genere innumerabilia reperiuntur), wird durch das Wort substantia nun im Sinne von „Vermögen“ von der philosophischen Diskussion in den Kontext des biblischen Gleichnisses übergeleitet: 104 quidquid de arte loquendi et disserendi, quidquid de dimensionibus figurarum et de musicis et de numeris sine magna difficultate nullo hominum tradente intellexi, «scis tu» (Ps 68,6), domine deus meus, quia et celeritas intellegendi et dispiciendi acumen donum tuum est. sed non inde sacrificabam tibi. itaque mihi non ad usum, sed ad perniciem magis valebat, quia tam bonam partem substantiae meae sategi habere in potestate et «fortitudinem meam» non «ad te custodiebam» (Ps 58,10), sed «profectus» sum abs te «in longinquam regionem» (Lc 15,13), ut eam dissiparem in meretrices cupiditates. nam quid mihi proderat bona res non 105 utenti bene?

Der philosophische substantia-Begriff klingt für den Leser noch nach, während er zugleich die Reminiszenzen an die Parabel erkennen kann. Dieser Doppelbezug bewirkt in der Erzählung eine Verbindung vom Anhängen des Protagonisten an irrtümliche philosophische Vorstellungen mit dem Verschwenden der Habe des Verlorenen Sohnes, die als geistiger Besitz gedeutet wird. Es begegnet hier eine ironische Distanzierung des Erzählers von den Irrungen der Vergangenheit: Seine substantia, sein geistiges Vermögen, vergeudete er, indem er versuchte sich Gott als substantia vorzustellen. 106 Das Gleichnis vom Verlorenen Sohn wird ergänzt durch die Metapher vom nidus ecclesiae tuae (4,16,31), nach dem Gott seine Küken schützt. 107 Mit der göttlichen domus kommt Augustinus wieder auf das Gleichnis vom Verlorenen 104 Der augustinische Text zeigt mehrere wörtliche Anspielungen auf die lukanische Parabel, wobei insbesondere die Verwendung des Begriffes substantia eine direkte Verbindung zwischen den beiden Texten herstellt (Lc 15, 12–13): „Pater, da mihi portionem su b sta n t ia e quae mihi contigit. et divisit illis su b s ta n t ia m . Et non post multos dies, congregatis omnibus, adolescentior filius peregre profectus est in regionem longinquam, et ibi dissipavit su b sta n tia m suam vivendo luxuriose.“ (30): postquam filius tuus hic, qui devoravit su b sta n tia m suam cum meretricibus. (Bibeltext zitiert nach O’Donnell 1992, II, 268). Auch meretrices nimmt Augustinus auf, indem er sie als Apposition zu cupiditates setzt. 105 4,16,30: „Alles, was ich über die Kunst der Rede und der Erörterung, über die Ausmessung der Figuren, über die Musik und über die Zahlen ohne große Schwierigkeit und ohne jemandes Erklärung verstanden habe, das weißt du, Gott, mein Herr, weil die Schnelligkeit im Verständnis und die Schärfe im Begreifen deine Geschenke sind. Aber davon brachte ich dir kein Opfer dar. Deshalb gereichten sie mir nicht zum Nutzen, sondern eher zum Verderben, weil ich mich bemühte, einen so guten Teil meines Vermögens in meiner Gewalt zu haben, und ich meine Stärke nicht bei dir aufbewahrte, sondern aufgebrochen bin von dir in eine entfernte Gegend, um sie für meine Dirnen, die Begierden, zu verschwenden. Denn was brachte mir eine gute Sache, wenn ich sie nicht für gute Zwecke nutzte?“ 106 Clark 1995, 188 stellt keinen Zusammenhang zwischen den beiden Begriffen von substantia her. 107 Zu biblischen Belegstellen des Bildes vgl. O’Donnell 1992, II, 279. Zur ekklesiologischen Deutung des Bildes und seine Verbindung mit der Taufe und deren verjüngenden Folge vgl. Lutterbach 2003, 49–52; 50 speziell zu Augustinus.

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Sohn zurück. Die Parabel aus dem Lukasevangelium, die zur Deutung des Lebensweges herangezogen wird, ist durch ein weiteres biblisches Bild verstärkt. c) Buch 5 α) Aufbruch von Karthago nach Rom Das 5. Buch ist gekennzeichnet von Ortswechseln, die den Übergang zwischen unterschiedlichen Lebensphasen markieren. Zunächst ist Augustinus noch Lehrer in Karthago, danach bricht er nach Rom auf. Zielpunkt ist schließlich seine Berufung auf die Stelle als Rhetor am Kaiserhof in Mailand. Zwei persönliche Begegnungen stehen kontrastierend nebeneinander: die mit dem Manichäerbischof Faustus von Mileve in Karthago, die zur Distanzierung vom Manichäismus führt, sowie die mit Ambrosius in Mailand, dessen allegorische Interpretation Augustinus eine Annäherung an die Bibel, vor allem an das problematische Alte Testament, ermöglicht. Somit erreicht die peregrinatio des Augustinus im 5. Buch eine besonders starke Dynamik. Da Buch 5 die Mitte des autobiographischen Teiles bildet und insofern sich darin sowohl Abkehr als auch Rückkehr abspielen, kann dem Buch eine Scharnierstellung beigemessen werden. 108 Mit den drei Orten, an denen er sich aufhält (Karthago, Rom, Mailand), sind verschiedene Weltanschauungen verbunden. Äußeres und inneres Irren bilden analoge Vorgänge. Der Wechsel der Aufenthaltsorte sowie der mit ihnen verbundenen philosophischtheologischen Vorstellungen bilden die Grundstruktur des Buches, nach der sich folgendes Gliederungsschema erstellen lässt: 5,1,1–5,2,2: 5,3,3–5,7,13: 5,8,14–5,11,21: 5,12,22–5,14,25:

Prolog Karthago – Rom – Mailand –

Manichäismus (Faustus von Mileve) Akademische Skepsis Christentum (Ambrosius)

Am Ende der Erzählung von der Begegnung mit Faustus von Mileve kommt Augustinus an bezeichnender Stelle auf seine Mutter zu sprechen, der er eine bedeutende Rolle bei seiner Abwendung vom Manichäismus und Hinwendung zum Christentum beimisst. Ihr Wirken für Augustinus besteht jedoch nicht in einer direkten Einflussnahme auf den Sohn, sondern in ihren Tränen, die sie an Gott richtet: manus enim tuae, deus meus, in abdito providentiae tuae non deserebant animam meam, et de sanguine cordis matris meae per lacrimas eius diebus et noctibus pro me sacrificabatur tibi, 109 et egisti mecum «miris modis» (Ioel 2,26).

108 Vgl. Raffelt 1998, 199; Fuhrer 2004a, 112. 109 5,7,13: „Nämlich deine Hände, mein Gott, verließen in der Verborgenheit deiner Vorsehung meine Seele nicht, und vom Blut des Herzens meiner Mutter wurden durch ihre Tränen für

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Als auslösendes Moment für die Rückkehr zu Gott macht Augustinus göttliches Walten aus. Monnicas Anteil besteht in den Tränen, die als Opfer vor Gott für ihren Sohn gedeutet werden. Die Tränen werden als Ausdruck von Innerlichkeit dargestellt. Sie kommen aus dem Blut des Herzens, das als Metapher für den inneren Menschen gelten kann. Das Handeln Gottes ist jedoch während der Ereignisse in der erzählten Zeit weder Augustinus noch seiner Mutter bewusst. Die zeitliche Spanne vom Aufbruch aus Karthago bis zur Ankunft in Rom ist als eine größere zusammenhängende Erzählung gestaltet (5,8,14–5,10,18), in der der Mutter eine zentrale Rolle zukommt. Der Weg der Karriere, der Augustinus von Karthago nach Rom aufbrechen lässt, geht mit einer Trennung von der Mutter einher. Die Reflexion dieser Episode ist davon geprägt, dass Augustinus Verknüpfungen von inneren und äußeren Vorgängen herstellt. Die Abreise nach Rom geschieht heimlich unter Vorbringung von Lügen gegenüber der Mutter: sed quare hinc abirem et illuc irem, tu sciebas, deus, nec indicabas mihi nec matri, quae me profectum atrociter planxit et usque ad mare secuta est. sed fefelli eam violenter me tenentem, ut aut revocaret aut mecum pergeret, et finxi me amicum nolle deserere, donec vento facto navigaret. et mentitus sum matri, et illi matri, et evasi, quia hoc dimisisti mihi misericorditer servans me ab aquis maris plenum execrandis sordibus usque ad aquam gratiae tuae, qua me abluto siccarentur flumina maternorum oculorum, quibus pro me cotidie tibi ri110 gabat terram sub vultu suo.

Unter der Verbindung dreier verschiedener Bilder von Wasser (aqua maris – aqua gratiae tuae – flumina maternorum oculorum) verknüpft Augustinus innere und äußere Entwicklung. Die Rettung von der aqua maris drückt zum einen eine äußere Rettung vor dem Wasser im eigentlichen Sinne aus, zum anderen verweist sie auf die metaphorische Ebene. Häufig besteht der Zusammenhang von äußeren Lebensumständen und innerem Vorgang in Analogien: Äußere Geschehnisse bilden analog innere Zustände ab. 111 Eine genaue Analyse des Gedankenganges lässt erkennen, wie Augustinus von der einen Ebene auf die andere überleitet. Hierzu dient die auffällige Satzstellung unter Verwendung eines Hyperbatons: servans me ab aquis maris plenum execrandis sordibus usque ad aquam gratiae tuae. Das Akkusativobjekt me (…) plenum execrandis sordibus ist durch die Einfügung von mich Tag und Nacht dir Opfer dargebracht, und du handeltest an mir auf wundersame Weise.“ 110 5,8,15: „Aber weshalb ich von hier wegging und dorthin ging, wusstest du, Gott, und weder mir gabst du Anzeichen noch meiner Mutter, die schrecklich darüber weinte, dass ich aufgebrochen war, und mir bis ans Meer folgte. Aber ich täuschte sie, als sie mich heftig festhielt, um mich entweder zurückzuhalten oder mit mir aufzubrechen. Ich tat so, als wollte ich einen Freund nicht verlassen, bis er bei günstigem Wind fahren würde. Und ich belog meine Mutter – sogar eine solche Mutter! – und entkam, weil du mir dies vergabst und barmherzig mich, der ich voll war mit unseligem Schmutz, bewahrtest vor dem Wasser des Meeres für das Wasser deiner Gnade. Wenn ich mit diesem abgewaschen wäre, würden die Ströme aus den Augen meiner Mutter versiegen, mit welchen sie für mich täglich vor dir die Erde unter ihrem Antlitz benetzte.“ 111 Vgl. Fontaine 1989, 187. «Mais, dans leur complexité, tous les moments de ce devenir intérieur se rattachent à des épisodes vécues, au sens commun d’une trame extérieure de faits parfois menus, mais toujours significatifs.»

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ab aquis maris gesperrt. Es ist gerade diese Wortstellung, durch die der aqua maris eine Bedeutung sowohl im primären als auch im übertragenen Sinne zukommen kann. Die vorangehenden Sätze gehören zur Erzählung der Ereignisse der Abfahrt und beschreiben somit innerweltliche Handlung. Der Leser versteht in servans me ab aqua maris zunächst eine physische Errettung durch Gott aus den Fluten des Meeres. Durch das nachfolgende plenum execrandis sordibus wird auf einen seelischen Zusammenhang verwiesen, wodurch die aqua maris um eine metaphorische Bedeutungsebene ergänzt wird. Der Leser kann das Wasser nun auch als Verweis auf innere Verirrungen aufgrund der menschlichen Sündhaftigkeit verstehen. Durch diese Bedeutung kommt nun eine Verbindung zu dem zunächst nur durch die stoffliche Identität als Wasser angeschlossenen Taufwasser zustande. Das Taufwasser als Symbol der göttlichen Gnade ist Zielpunkt der Entwicklung des Protagonisten aus der Sündhaftigkeit heraus. Das Taufwasser ist aber nicht nur Endpunkt der Verirrungen Augustins, sondern auch der Tränen der Mutter um ihren Sohn. Durch die Metaphorik des Wassers wird somit eine Verknüpfung der Handlungen um den Sohn und die Mutter erreicht, die auf die Taufe zielen. Andere Stellen der Confessiones weisen darauf hin, dass Augustinus das Bild des Meeres gern in einem über seine primäre Bedeutung hinausweisenden Sinn metaphorisch zum Ausdruck der inneren Verwirrungen benutzt. 112 In der Episode von der Abreise bietet die Darstellung des äußerlichen Lebenszusammenhanges Analogien zur inneren Entwicklung, die in den entsprechenden Metaphern ausgedrückt wird. Im Erzählgang der Confessiones bildet diese Passage einen wichtigen Kontrapunkt zum 9. Buch, wo die ‚Rückkehr‘ zu Gott an ihr Ziel gelangt. Die Tränen der Mutter werden unmittelbar abgelöst von der aqua gratiae tuae, dem Taufwasser, 113 worin ein Vorverweis auf den weiteren Handlungsgang zu sehen ist. Durch den Hinweis auf das Sakrament wird im 5. Buch der Zustand der Abwendung von Gott mit dem Taufwasser in Buch 9 kontrastiert (9,2,4: aqua sancta; 9,13,35: aquam salutis), während die aquae maris die Entfernung von Gott ausdrücken. In der Erzählung fährt Augustinus mit Monnica fort: et tamen recusanti sine me redire vix persuasi, ut in loco, qui proximus nostrae navi erat, memoria beati Cypriani, maneret ea nocte. sed ea nocte clanculo ego profectus sum, illa autem non; mansit orando et flendo. et quid a te petebat, deus meus, tantis lacrimis, nisi ut navigare me non sineres? sed tu alte consulens et exaudiens cardinem desiderii eius non curasti quod tunc petebat, ut me faceres quod semper petebat. flavit ventus et implevit vela nostra et litus subtraxit aspectibus nostris, in quo mane illa insaniebat dolore et querellis et gemitu implebat aures tuas contemnentis ista, cum et me cupiditatibus meis raperes ad finiendas ipsas cupiditates et illius carnale desiderium iusto dolorum flagello vapularet. amabat enim secum praesentiam meam more matrum, sed multis multo amplius, et nesciebat, quid tu illi gaudiorum facturus esses de absentia mea. nesciebat, ideo flebat et eiulabat atque illis cruciatibus arguebatur in ea reliquiarium Evae, cum gemitu quaerens quod cum gemitu pepererat. et ta-

112 S. 167–168; 178–181. 113 Vgl. Dulaey 2003, 218.

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men post accusationem fallaciarum et crudelitatis meae conversa rursus ad deprecandum te 114 pro me abiit ad solita, et ego Romam.

Die Trennung wird hier als äußerlich, Monnicas Schmerz darüber als leiblich gedeutet. Auch sie wird als noch fleischlich gebunden dargestellt, weshalb für sie die Trennung vom Sohn schmerzhaft ist (cum gemitu quaerens quod cum gemitu pepererat). Die Tränen des Abschiedsschmerzes werden hier als Hinterlassenschaft Evas (reliquiarium Evae) gedeutet. Mit der Leiblichkeit geht der Schmerz einher, der sich bereits bei der Geburt gezeigt hat und sich ebenso im Schmerz über die räumliche Trennung manifestiert. Eine theologische Reflexion widmet Augustinus diesem Zusammenhang in dem oben besprochenen Brief an Laetus, in dem Augustinus den wegen seiner starken Mutterbindung am Entschluss zu einem zölibatären Leben zweifelnden jungen Mann ermuntern will, diesen Schritt zu tun. 115 In diesem Brief wird die leibliche Mutter-Sohn-Bindung ebenfalls als Erbe Evas aufgefasst. 116 Auch in Monnica ist im carnale desiderium noch der alte Mensch enthalten. 117 Diese Form des Weinens, bei der sich die Affekte auf das falsche Ziel richten, bleibt entsprechend auch von Gott unerwidert. 118 Eine angemessene Deutung der Szene ist nur unter Berücksichtung ihres Ausgangs möglich. Den Schmerz über die räumliche Trennung überwindet Monnica schließlich und kommt zur Fürbitte für den Sohn vor Gott zurück (deprecari te 114 5,8,15: „Und dennoch konnte ich sie, da sie sich weigerte, ohne mich zurückzukehren, nur mit Mühe überreden, dass sie an einem Ort, der sehr nahe bei unserem Schiff gelegen war, einer Erinnerungsstätte für den seligen Cyprian, diese Nacht lang bliebe. Aber in dieser Nacht bin ich heimlich aufgebrochen, sie aber nicht; sie blieb betend und weinend zurück. Und worum bat sie dich, mein Gott, mit so vielen Tränen, wenn nicht darum, dass du mich nicht fahren ließest? Aber du gingst in der Höhe mit dir zu Rate und hörtest den Hauptpunkt ihres Verlangens, aber kümmertest dich nicht um das, worum sie damals bat, damit du mich zu dem machen würdest, worum sie immer bat. Der Wind blies und füllte unsere Segel und entzog den Strand unseren Blicken, an dem sie am Morgen vor Schmerz raste. Mit Klagen und Seufzern erfüllte sie deine Ohren, die dies gering achteten, denn du rissest mich durch meine Begierden weg, um eben diesen Begierden ein Ende zu setzen, und ihr fleischliches Verlangen wurde mit der gerechten Geisel der Schmerzen gepeitscht. Sie liebte nämlich in ihrem Inneren meine Gegenwart nach der Art der Mütter, aber viel mehr als viele andere, und sie wusste nicht, welche Freuden du ihr mit meiner Abwesenheit machen würdest. Sie wusste es nicht, und deshalb weinte und wehklagte sie laut, und in diesen Martern wurden in ihr die Überbleibsel Evas offenbar, wobei sie mit Seufzen suchte, was sie mit Seufzen geboren hatte. Und dennoch wandte sie sich nach ihrer Klage über meine Täuschung und meine Grausamkeit wieder ihren an dich gerichteten Bitten für mich zu und begab sich zu ihren gewohnten Tätigkeiten, und ich mich nach Rom.“ 115 Vgl. ep. 243,7: sed quid dicit aut quid allegat? forte decem illos menses, quibus viscera eius onerasti, et dolores parturitionis ac labores educationis? hoc, hoc interfice verbo salutari; hoc perde matris, ut in vitam aeternam invenias eam; (…) carnalis enim affectus est iste et adhuc «veterem hominem» (Eph 4,22) sonat. S. 95–96. 116 Vgl. ep. 243,10: quid interest, utrum in uxore an in matre, dum tamen Eva in qualibet muliere caveatur? nam ista umbra pietatis de foliis illius arboris venit, quibus se primum parentes nostri in illa damnabili nuditate texerunt. 117 Die für die Confessiones festzuhaltende Tendenz, dass sich die Exemplarität der Figuren auch auf Negatives erstreckt, weitet Consolino 1981, 141 auf Monnica aus. 118 Vgl. O’Donnell 1992, II, 309.

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pro me). Im Verhältnis Monnicas zum Sohn wird dargestellt, wie sich nach der Theologie Augustins der uti-frui-Gegensatz in einem zwischenmenschlichen Verhältnis verwirklichen soll. Frui bedeutet, einer Sache um ihrer selbst willen zugeneigt zu sein, während uti einen Gebrauch anzeigt, der der Erlangung eines Zieles dient. Als Selbstzweck genossen werden darf nur Gott, weshalb Mitmenschen nie als absolute Zwecke betrachtet werden dürfen, sondern nur als Zwischenziele, um zu Gott zu gelangen. Gottesliebe und Nächstenliebe bilden somit eine Einheit. 119 Monnica betet für ihren Sohn, tritt so in ein Verhältnis zu ihm, das auch die göttliche Dimension als eine der Zeitlichkeit entbundene Instanz einbezieht, und kann deshalb den Trennungsschmerz überwinden. Hiermit vollzieht Monnica für den spirituell verstorbenen Sohn schon die Form der mit Fürbitten verbundenen Trauer, die Augustinus am Ende des 9. Buches als die richtige Art des Trauerns darstellen wird. Die Bitten, mit denen sich Monnica an Gott wendet, werden erhört, als Augustinus fern von der Mutter in deren Unkenntnis körperlich erkrankt: et hoc illa nesciebat et tamen pro me orabat absens. tu autem ubique praesens ubi erat exaudiebas eam et ubi eram miserebaris mei, ut recuperarem salutem corporis adhuc insanus 120 corde sacrilego.

Bei der schweren Bedrohung des Lebens verlangt er nicht, wie in der vergleichbaren Situation im 1. Buch, nach der Taufe. Es besteht die Gefahr, dass Augustinus zweifach, sowohl innerlich als auch äußerlich, stirbt. 121 Um diese heikle Situation fern von Gott zu beschreiben, erwähnt Augustinus wieder die Beziehung der Mutter zu ihm, die eine lange, qualvolle und tränenreiche geistige Schwangerschaft durchleiden muss: 122 quo vulnere si feriretur cor matris, numquam sanaretur. non enim satis eloquor, quid erga me habebat animi et quanto maiore sollicitudine me parturiebat spiritu, quam carne pepere123 rat.

Die Mutterschaft Monnicas vollzieht sich auf zwei Ebenen, der fleischlichen und der spirituellen, wie das gegensätzliche Begriffspaar spiritus und caro deutlich 119 Zum uti-frui-Gegensatz und zum augustinischen Liebesbegriff vgl. Horn 1995, 27–49. Eine prägnante Formulierung der Konzeption findet sich in trin. 8,8,12: ex una igitur eademque caritate deum proximumque diligimus, sed deum propter deum, nos autem et proximum propter deum. 120 5,9,16: „Und dies wusste sie nicht, und dennoch betete sie für mich in Abwesenheit. Du aber, der überall anwesend warst, erhörtest sie, wo sie war, und erbarmtest dich meiner, wo ich war, so dass ich das körperliche Heil wiedererlangte, während ich in meinem frevlerischen Herzen noch krank war.“ 121 5,9,16: neque enim desiderabam in illo tanto periculo baptismum tuum et melior eram puer, quo illum de materna pietate flagitavi, sicut iam recordatus atque confessus sum. sed in dedecus meum creveram et consilia medicinae tuae demens inridebam, qui non me sivisti talem bis mori. 122 Vgl. Flasch 2003a, 27. 123 5,9,16: „Wenn das Herz meiner Mutter mit einer solchen Wunde verletzt worden wäre, wäre es wohl nie wieder gesund geworden. Ich kann nämlich nicht klar genug aussprechen, wie sie mir gegenüber eingestellt war und mit welch größerer Besorgnis sie mich im Geiste gebar, als sie mich im Fleische geboren hatte.“

4. Monnica als Korrektiv des irrenden Protagonisten (Buch 3–Buch 8)

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macht. Hier wird das Bild einer spirituellen Schwangerschaft von 1,11,17 wieder aufgenommen, das in 9,9,22 nochmals begegnet. Diese breite Streuung unterstreicht die Bedeutung des Bildes. Das metaphorische Konzept eines Gebärens im Geiste wird am Beginn, in der Mitte und am Ende des autobiographischen Teils angesprochen und auf diese Weise exponiert. Der Kontrast der spirituellen zur fleischlichen Schwangerschaft oder Geburt wird auch durch die Wortwahl wiedergegeben, wobei Augustinus damit arbeitet, dass die Verben parere und parturire derselben Wortfamilie angehören und das zweite aus dem ersten etymologisch hervorgeht, dass sich beide jedoch in ihrer Aktionsart unterscheiden: parturire ist das Frequentativum und Intensivum zu parere und ist in seiner Verlaufsform durativ. Das Verb parere hingegen trägt eine punktuelle Aktionsart in sich und wirkt in seinem Verbalinhalt unbedeutender als parturire. Die aufgrund der verschiedenen Aktionsarten gegebene Differenz der Verbalinhalte wird noch durch den Verbalaspekt verstärkt. Der iterative Aspekt des Imperfekts tritt durch den Kontrast zur Abgeschlossenheit der Zeitstufe Plusquamperfekt deutlich hervor. Der in parturiebat ausgedrückte Prozess ist somit länger andauernd und drückt auf semantischer Ebene in Hinblick auf das Gebären einen intensiveren und schmerzhafteren Vorgang aus. Das spirituelle Gebären wird dadurch gegenüber dem leiblichen, das durch seine Abgeschlossenheit in die Distanz rückt, als der bedeutendere Vorgang herausgestellt. 124 In den Abschnitten 5,9,17–18 erscheint Monnica als das Ideal einer christlichen Frau, dem in der laudatio funebris im 9. Buch die wichtigste Ausführung gewidmet sein wird. Sie wird als demütig mit einem cor contritum et humiliatum 125 dargestellt. Sie hält beständig die Kommunikation mit Gott aufrecht. Die ethischen Tugenden der vidua casta sobria et pia werden als Voraussetzung gewertet, von Gott erhört zu werden und responsa von ihm zu erhalten. In Zusammenhang mit diesem Lob ist dann auch der Verweis auf die Bedeutung der Eltern für die Verbundenheit zur Kirche zu sehen: catholica ecclesia mihi a parentibus conmendata (5,14,25). In Mailand lernt Augustinus Ambrosius kennen (5,14,24). Es gibt Deutungen, die Ambrosius als Ersatzvater Augustins sehen wollen. 126 Ein Textbeleg weist auch in diese Richtung: suscepit me paterne ille homo drückt eine „väterliche“ Aufnahme aus. Eine entsprechende Wortwahl wird jedoch nicht weitergeführt, vielmehr fällt die Betonung seiner Funktion als ein Mann der Kirche auf. So begegnet die Bezeichnung Ambrosius’ als episcopus in den Confessiones 4-mal, einmal in Bezug auf ihn auch das Adverb episcopaliter.

124 Bereits die Untersuchung zu Buch 1 hat ergeben, dass Augustinus eine sehr bedachte Wahl der Tempora pflegt. Wie in dieser früheren Textpassage verbindet sich hier bei der Tempussetzung sprachliche Gestaltung mit der philosophisch-theologischen Thematik der Zeitlichkeit. S. 111–112. 125 Mit Referenz auf Ps 50,19. 126 Vgl. O’Donnell 2005, 55.

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β) Monnica als Dido? Die Darstellung der heimlichen Abfahrt und Trennung von der Mutter hat weitreichende Vermutungen über eine Beziehung dieser Stelle zur Trennung Aeneas’ von Dido in der Aeneis aufkommen lassen. In der Forschungsliteratur findet sich die Ansicht, in der Aeneis sei ein Modell für die Confessiones zu sehen, wobei besonders in der Konfiguration Augustinus–Monnica die Beziehung Aeneas–Dido nachgebildet sei. 127 Vor allem der heimliche Aufbruch Augustins von Karthago nach Rom (5,8,15), bei dem der Sohn seine Mutter hintergeht, indem er bei Nacht absegelt, und diese am nächsten Morgen schmerzhaft feststellen muss, allein zurückgelassen worden zu sein, lässt Parallelen zum 4. Buch der Aeneis erkennen. Der Bezug fällt ins Auge und beruht kaum auf Zufall. 128 Sowohl Aeneas als auch Augustinus verlassen unter Vorbringen von Lügen eine Frau, die darüber äußerst starken Trennungsschmerz verspürt. Die identischen Orte, die Küste von Karthago und das Ziel Rom – mögen sie bei Augustinus auch bloßes biographisches Faktum sein und auf Zufall beruhen – verstärken den Eindruck der Parallelität in den beiden Texten. Für die Beurteilung eines möglichen intertextuellen Bezugs gilt es jedoch, die von Augustinus explizit formulierte Distanzierung von der fiktionalen poetischen Literatur mit ihren Stoffen aus dem paganen Mythos zu bedenken. Mythos- und Fiktionalitätskritik sind im frühen Christentum weit verbreitet. Eine deutliche Ablehnung gegenüber fiktionaler Literatur erfolgt in der zum größten Teil etwa gleichzeitig zu den Confessiones entstandenen Schrift De doctrina christiana. 129 Aber auch in den Confessiones selbst widmet sich Augustinus diesem Problem. Im Rahmen des Rückblicks auf seine pueritia in Buch 1 erinnert sich Augustinus an seine schulische Erziehung und reflektiert hierbei über den Sinn der zeitgenössischen Praxis der Dichterlektüre. In 1,13,20 werden die Inhalte des Unterrichts und die aus der Perspektive des Erzählers erkannte Wirklichkeit des Schülers Augustinus als Gegensatz gedeutet. 130 Die im Nachhinein verurteilte Hingabe an fiktionale Stoffe wird sprachlich sehr kunstvoll durch den Schlüsselbegriff error

127 Vgl. Bennett 1988; MacCormack 1998, 96–100; Hübner 2007a, 54. 128 Vgl. Hübner 2007a, 54. 129 Vgl. das zusammenfassende Urteil bezüglich doctr. chr. in Müller 2003b, 158: „Uneingeschränkt wird hier Literatur für die Ausbildung des Predigers und damit letztlich für Christen überhaupt verworfen, ohne Rücksicht auf ihren Gebrauch.“ Müller zieht für Augustins Vorstellung einer christlichen Bildung den Schluss: „Das ‚Lektüreprogramm des Christen‘ wird von Augustin eng auf biblisches und theologisches Schrifttum begrenzt.“ Zur Kritik an der Fiktionalität vgl. ferner Clark 2004, 87. 130 Vgl. Clark 2004, 87; Müller 2003b, 186: „Augustin stellt in paralleler Formulierung die von ihm damals intensiv miterlebten Mythologeme und Aeneisinhalte gegen seine damalige ‚objektive‘ Wirklichkeit als Sünder vor Gott.“ Hier überträgt Augustinus seine in trin. und mus. formulierten Vorstellungen von den fiktiv ersonnenen Erinnerungsbildern (phantasmata), die die Ursache von Irrtümern bilden, da sie mit der Realität verwechselt werden können, auf fiktionale literarische Stoffe. Diese führen zu einer „Verdunkelung der Erkenntnis durch seelische Bilder“ (Horn 1995, 66).

4. Monnica als Korrektiv des irrenden Protagonisten (Buch 3–Buch 8)

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verdeutlicht. Die Ausrichtung des Interesses auf die fiktionalen errores lässt den Protagonisten Augustinus seine eigenen errores nicht erkennen: nam utique meliores, quia certiores, erant primae illae litterae, quibus fiebat in me et factum est et habeo illud, ut et legam, si quid scriptum invenio, et scribam ipse, si quid volo, quam illae, quibus tenere cogebar Aeneae nescio cuius errores oblitus errorum meorum et plorare Didonem mortuam, quia se occidit ab amore, cum interea me ipsum in his a te morientem, 131 deus, vita mea, siccis oculis ferrem miserrimus.

Die in De doctrina christiana theoretisch formulierte Fiktionalitätskritik wird hier am eigenen Beispiel demonstriert. In dieser Darstellung spiegelt sich die Kritik an der fiktionalen Literatur aufgrund ihres mangelnden Wahrheitsbezuges wider. Seine Vorbehalte gegenüber den literarischen figmenta formuliert Augustinus in einem kunstvoll gestalteten Gedankengang. Durch die Fokalisierung auf den Protagonisten wird erzähltechnisch ein Realismus der Täuschung erzeugt, wobei der Protagonist und die fiktionale Figur der Dido auf dieselbe Realitätsebene gerückt werden: plorare Didonem mortuam. Es klingt, als beweine der Augustinus der Erzählung eine wirklich gestorbene Person. Der folgende Kausalsatz mit quia, der mit Indikativ steht, lässt den Schmerz als objektiv begründet erscheinen. Umso krasser fällt dann der Gegensatz zu dem adversativen cum aus. Die damit eingeleitete Wende der Perspektive wird durch das Kontrastierung bewirkende interea noch verstärkt. Die Literatur ist einer wahren Liebe zu Gott und einem wahren, spirituell verstandenen Tod diametral entgegengesetzt. 132 Die Thematik der falschen Ausrichtung des Willens und der Affekte wird in diesen Zeilen mit der Fiktionalitätskritik verschränkt und dadurch verstärkt. Augustinus schließt mit einem vernichtenden Urteil über die Verwendung der Aeneis als Schulstoff:

131 1,13,20: „Denn auf jeden Fall besser, weil sicherer, war jener erste Unterricht – durch ihn wurde immer wieder und mit Erfolg das eingeübt, was ich jetzt als eine Fähigkeit besitze, nämlich dass ich sowohl lesen kann, wenn ich etwas Geschriebenes finde, als auch selbst schreiben kann, wenn ich etwas schreiben möchte – als jener Unterricht, in welchem ich gezwungen wurde, die Irrfahrten irgendeines Aeneas auswendig zu lernen, während ich meine eigenen Irrungen vergaß, und die gestorbene Dido zu beweinen, weil sie sich aus Liebe umbrachte, während ich in meinem größten Elend mit trockenen Augen ertrug, dass dabei ich selbst von dir wegstarb, Gott, mein Leben.“ 132 Im folgenden Abschnitt werden diese Gedanken fortgesetzt; 1,13,21: quid enim miserius misero non miserante se ipsum et flente Didonis mortem, quae fiebat amando Aenean, non flente autem mortem suam, quae fiebat non amando te, deus, lumen cordis mei et panis oris intus animae meae et virtus maritans mentem meam et sinum cogitationis meae? non te amabam et fornicabar abs te et fornicanti sonabat undique: «euge, euge». amicitia enim mundi huius fornicatio est abs te et «euge, euge» dicitur, ut pudeat, si non ita homo sit. et haec non flebam et flebam «Didonem extinctam ferroque extrema secutam» (Verg. Aen. 6,456–457), sequens ipse extrema condita tua relicto te et terra iens in terram: et si prohiberer ea legere, dolerem, quia non legerem quod dolerem. Einer Funktionsbestimmung der Literatur, wie sie Aristoteles für die Tragödie festhält, nach der der Zuschauer gerade durch das Empfinden von φόβος und ἔλεος von diesen Affekten gereinigt wird, erteilt Augustinus hiermit eine deutliche Absage.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones talis dementia honestiores et uberiores litterae putantur quam illae, quibus legere et scribere 133 didici.

Die Lerninhalte der Elementarschule werden der späteren Bildung vorgezogen, die sich mit unwahren Inhalten beschäftigt. 134 Augustinus formuliert, wenn auch in gröbsten Umrissen, die Grundlagen eines eigenen, christlichen Bildungsprogramms. 135 In diesem Kontext bringt der Erzähler die Geschichte von der Nachahmung des Junomonologs aus dem 1. Buch der Aeneis (1,37–49) zur Übung in der Rhetorikschule vor. Augustins Kritik bezieht sich auf zwei Punkte: Zum einen kritisiert er die Loslösung der Bildung von moralischen Prinzipien. Es gehe nur um Nachahmung von Affekten, nicht aber um wahre Affekte, auch die Wahrhaftigkeit der Inhalte sei irrelevant. 136 Zum anderen wendet sich die Kritik auch gegen die Fiktionalität des Lehrstoffes. 137 Als besser geeigneter Lehrstoff wird die Bibel vorgeschlagen. 138 Wie verhält sich nun die im 1. Buch geäußerte Kritik am zeitgenössischen Bildungsprogramm mit ihrem Postulat einer Abwendung von den klassichen Autoren als Schulstoff zu der Verwendung der Aeneis als Vorlage im 5. Buch? Aufgrund solch klarer Äußerungen ist berechtigter Zweifel daran erlaubt, dass Augustinus den intertextuellen Bezug auf vergleichbare Weise herstellen will wie zu den 133 1,13,21: „Einen solchen Schwachsinn hält man für ehrenhaftere und fruchtbarere Bildung als jenen Unterricht, in welchem ich lesen und schreiben lernte.“ 134 Vgl. 1,13,22 (mit einem Zitat aus Verg. Aen. 2,772): peccabam ergo puer, cum illa inania istis utilioribus amore praeponebam vel potius ista oderam, illa amabam. iam vero unum et unum duo, duo et duo quattuor odiosa cantio mihi erat et dulcissimum spectaculum vanitatis equus ligneus plenus armatis et Troiae incendium «atque ipsius umbra Creusae». 135 1,15,24: tibi serviat quidquid utile puer didici, tibi serviat quod loquor et scribo et lego et numero, quoniam cum vana discerem, tu disciplinam dabas mihi et in eis vanis peccata delectationum mearum dimisisti mihi. didici enim in eis multa verba utilia; sed et in rebus non vanis disci possunt, et ea via tuta est, in qua pueri ambularent. 136 Dieser Aspekt der Bildungskritik wird von Tornau 2002 überzeugend herausgestellt. Vgl. ferner Clark 2004, 87. Die Dichtungskritik steht in einer auf das 10. Buch der platonischen Politeia zurückgehenden Tradition. Vgl. hierzu den Überblick bei Erler 2007a, 486–497 mit Hinweis auf die sehr unterschiedlichen Deutungen, die die bei Platon zu findenden Äußerungen über die Poesie in der Rezeptions- und Forschungsgeschichte erfahren haben. 137 Vgl. Fuhrer 2004a, 85–86. Die gesamte Textstelle (1,17,27): proponebatur enim mihi negotium animae meae satis inquietum praemio laudis et dedecoris vel plagarum metu, ut dicerem verba Iunonis irascentis et dolentis, quod non posset «Italia Teucrorum avertere regem» (Verg. Aen. 1,38), quae numquam Iunonem dixisse audieram. sed figmentorum poeticorum vestigia errantes sequi cogebamur et tale aliquid dicere solutis verbis, quale poeta dixisset versibus: et ille dicebat laudabilius, in quo pro dignitate adumbratae personae irae ac doloris similior affectus eminebat verbis sententias congruenter vestientibus. ut quid mihi illud, o vera vita, deus meus, quod mihi recitanti acclamabatur prae multis coaetaneis et conlectoribus meis? nonne ecce illa omnia fumus et ventus? itane aliud non erat, ubi exerceretur ingenium et lingua mea? laudes tuae, domine, laudes tuae per scripturas tuas suspenderent palmitem cordis mei, et non raperetur per inania nugarum turpis praeda volatilibus. non enim uno modo sacrificatur transgressoribus angelis. 138 Vgl. 1,15,24.

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christlichen Vorbildern und besonders zur Bibel. 139 Dennoch liegen zahlreiche Deutungsversuche vor, die der Aeneis eine gewichtige Bedeutung als Gestaltungsvorlage einräumen und einen Verweis Augustins auf die Aeneis feststellen. Es sollen im Folgenden verschiedene Ansätze vorgestellt und kritisch beurteilt werden. Im Anschluss soll der Versuch einer eigenen Deutung angefügt werden, der die auffälligen Parallelen der Gestaltung zu erklären versucht. Der intertextuelle Bezug zur Aeneis ist unter der Prämisse untersucht worden, hier stehe Augustinus in der christlichen Tradition der Vergil-Allegorese, die die Figur des Aeneas als die in der Welt irrende Seele auslegt. Es wurde vorgeschlagen, hier eine intertextuelle Anspielung zu sehen, deren Ziel es ist, eine richtige Form der Vergillektüre zu präsentieren. Camille Bennett möchte eine ‚Aneignung und Korrektur Vergils‘ 140 feststellen. Er vermutet, der Augustinus der Erzählung identifiziere sich zunächst mit Aeneas, und spricht von einer „self-conception as Vergilian hero“ des Protagonisten, die im Nachhinein als falsch erkannt werde. 141 Dafür gelange Augustinus dann im 9. Buch zu einer ‚spirituellen‘ Lesart der Aeneis, die die Irrfahrten als Verirrungen der Seele deute. Im 9. Buch gelangt nach Bennett Augustinus zu einer ‚richtigen Lektüre‘ Vergils. 142 So bestechend eine solche Deutung ist, ist sie jedoch kaum mit Augustins Haltung gegenüber Vergil in Übereinstimmung zu bringen. Augustinus gehört nicht zu den Vertretern einer christlichen Vergilallegorese. Allegorische Interpretation von Dichtung ist ihm zwar nicht gänzlich unvertraut, jedoch ist es bezeichnend, dass in De doctrina christiana eine mögliche Nutzbarmachung paganer Dichtung gänzlich unerwähnt bleibt. 143 Der Versuch, den intertextuellen Bezug zur Aeneis in der Weise zu deuten, dass die Konstellation Aeneas–Dido zum Modell wird, mit dem Augustinus das Verhältnis zur Mutter identifizieren möchte, ginge von einem positiven Bild des Mythos aus, und von der Vorstellung der Möglichkeit eines konstruktiven Umgangs mit ihm. Das widerspricht jedoch der in Buch 1 geäußerten prinzipiellen Ablehnung gegenüber den fiktionalen Inhalten der Aeneis, exemplifiziert an dem unsinnigen Mitleiden des Protagonisten mit Dido. Es ist nicht einsichtig, warum er der Aeneis, deren Inhalt gegenüber er sich in Buch 1 ablehnend geäußert hat, nun eine so große Bedeutung als Strukturvorlage und somit als Grundlage, das eigene Leben verstehen zu können, beimessen sollte. Auf diese Weise würde er auch seinen Leser zur Lektüre der Aeneis anleiten, ein Ziel, das mit den Äußerungen im 1. Buch kaum zu vereinbaren ist. Das Leben soll gerade vor dem Hintergrund einer biblischen Wahrheit, nicht einer paganen literarischen Vorlage ver139 S. Kap. II.1.b. 140 Vgl. Bennett 1988, 59: “appropriation and correction of Vergil”. 141 Bennett 1988, 61; 62: “Even for the unconverted Augustine, moreover, this moment of very self-conscious identification with Aeneas was a moment of progress.” 142 Vgl. Bennett 1988, 65–66. In der Vision von Ostia möchte Bennett einen Verweis auf die Begegnung Aeneas’ mit Anchises im Schattenreich im 6. Buch sehen. Hier habe Augustinus zu einer spirituellen Lesart gefunden. Diese Deutung beruht jedoch auf der Annahme von Bezügen zu Parallelstellen, die kaum zu überzeugen vermögen. 143 Vgl. Müller 2003b, 444–445.

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standen werden. Nach den oben angeführten Vorbehalten Augustins gegen die Aeneis ist nicht anzunehmen, dass er hier eine ‚Konversion‘ des Texts durch Allegorese vornimmt. 144 Eine grundlegende Bedeutung als Strukturvorlage für die Confessiones wird der Aeneis eingeräumt, wenn die Einheit der Confessiones aus der Rezeption der Aeneis erklärt werden soll. Nach einer solchen Deutung stellen die Bücher 1–9 die odysseische Hälfte des Werkes dar. Am Ende sterbe Monnica wie Anchises am Ende des 3. Buches. Das 10. Buch sei als ‚Hafen-Buch‘ aufzufassen. Die Bücher 11–13 präsentierten den iliadischen Teil, in dem die Kämpfe um den rechten Glauben dargestellt würden. 145 Diese Interpretation entbehrt jedoch expliziter Hinweise im Text und muss deshalb als zu entlegen gelten. Besonders aber die Parallelisierung des exegetischen Teils der Confessiones mit dem zweiten, iliadischen Teil der Aeneis scheint willkürlich angesetzt zu sein. Ferner ist bei einer solchen Deutung eine Überbewertung der Seefahrtsmetaphorik festzustellen, wenn in dieser ein Strukturmodell der Confessiones mit dem 10. Buch als ‚HafenBuch‘ gesehen werden soll. 146 Mag die Wassermetaphorik in den Büchern 5 und 6 zum Ausdruck der Irrwege des Protagonisten eine wichtige Rolle spielen, so wird im 10. Buch keine Ankunft thematisiert. Da es keinen expliziten Hinweis im Text gibt, nach dem das 10. Buch als ein ‚Hafen-Buch‘ zu interpretieren wäre, vermag Pfligersdorffers Herleitung über die Hafenmetapher im Frühdialog De beata vita dieses Motiv nicht als strukturgebende Grundlage der Confessiones plausibel zu machen. Statt auf diese Stelle in Buch 5 wird alternativ auf eine Passage am Beginn von Buch 6 verwiesen, nach der Monnica mit der Mutter des Euryalus bei Vergil zu identifizieren sei. 147 In 6,1,1 (iam venerat ad me mater pietate fortis, terra marique me sequens et in periculis omnibus de te secura) wird eine Anspielung auf Aen. 9,492 (hoc sum terra marique secuta) gesehen. Es scheint hier jedoch lediglich eine sehr geläufige Wortverbindung aufgenommen. Die Wendung kann „auch als gehobene rhetorische Diktion erklärt werden.“ 148 Dieser von Gerhard Anselm Müller alternativ vorgeschlagenen Erklärung ist unbedingt zuzustimmen. Insgesamt gilt es ferner zu bedenken, dass die Parallelen Didos mit Monnica und Aeneas’ mit Augustinus nur sehr partiell sind, bestehen doch auch zahlreiche und deutliche Unterschiede in der Rolle der beiden weiblichen für die männlichen Figuren. In ihrer Bedeutung für die Determination des Protagonisten sind die Frauengestalten einander entgegengesetzt: Dido verflucht Aeneas dafür, seinen Weg zu gehen, Monnica betet für den richtigen Weg. Das Ziel Rom entbehrt bei

144 Vgl. den Titel Bennett 1988: „The Conversion of Vergil: The Aeneid in Augustine’s Confessions“. 145 Vgl. Hübner 2007a, 54. 146 Vgl. Pfligersdorffer (1970) 1987, 84–93; Pfligersdorffer 1976, 163; 179; Hübner 2007b, 142– 149. 147 Vgl. O’Donnell 1992, II, 307; 331; Schindler 1998, 357–358. Vgl. auch Müller 2003b, 205– 206. 148 Müller 2003b, 206375.

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Augustinus gänzlich der Bedeutung, die es in der Aeneis hat. Für Aeneas ist Rom Ziel, für Augustinus nur eine weitere Station auf dem Irrweg. Der intertextuelle Bezug zu der Dido-Aeneas-Handlung kann nur einer angemessenen Deutung zugeführt werden, wenn die literarische Leserlenkung berücksichtigt wird. Die literaturwissenschaftliche Forschung der vergangenen Jahre hat auch in Hinblick auf spätantike Autoren den Aspekt der literarischen Kommunikation, das hermeneutische Dreieck von Leser, Text und Autor, in den Blickpunkt gerückt. 149 Texte werden von einem Autor geschrieben, um bei einem Leser eine bestimmte Wirkung hervorzurufen. Um eine erfolgreiche Leserlenkung zu erreichen, muss der Autor die Erwartungen berücksichtigen, die das Lesepublikum an einen literarischen Text stellt. Augustinus schreibt für einen Adressatenkreis, der wie er selbst mit der klassischen Literatur aufgewachsen ist. Literarische Modelle prägen die Vorstellungen von Spannung und Dramatisierung in Erzählungen. Ohne dass davon ausgegangen werden muss, dass Augustinus mit seinem Verweis auf die Aeneis die Aufmerksamkeit auf das Modell lenken will, kann die DidoAeneas-Handlung als Strukturvorlage für die Trennungsszene im 5. Buch angesehen werden, da eine in dieser Form gestaltete Trennungsszene in ihrer Dramatik einem literarisch geschulten Publikum am besten zu vermitteln ist. In dieser Szene zeigt sich dieselbe Dramatisierung der peregrinatio-Handlung nach literarischen Vorbildern wie bei der Konversionsszene im Garten, die Pierre Courcelle als topisch herausgestellt hat. 150 Gleichzeitig beinhaltet Augustins Erzählung durch diese Aufnahme der Szene über die heimliche Abfahrt eine deutliche Absage an das klassische Modell. Dies zeigt sich insbesondere an der Bedeutung Roms. Dadurch, dass Rom nicht mehr das Ziel der Überfahrt, sondern lediglich eine Etappe der peregrinatio darstellt, wird die Stadt der Bedeutung, die ihr im vergilischen Epos zukommt, gänzlich beraubt. Der Ort, der in der Aeneis auf die Idee der Roma aeterna als Mittelpunkt eines Weltreichs verweist, verliert bei Augustinus seine symbolische Kraft. Auch die Figurenzeichnung weist diametrale Unterschiede auf. 151 Mag Monnica in dem Punkt mit Dido identisch sein, dass sie am Strand zurückgelassen wird und an der Trennung heftig leidet, zeigen sich die beiden Frauen in ihren Reaktionen auf diese Situation als gegensätzlich. Während die karthagische Königin vom Affekt bestimmt wird und dem Weiterziehenden Rache schwört, überwindet Monnia ihren Abschiedsschmerz und betet im Sinne des christlichen Verständnisses einer gelungenen zwischenmenschlichen Beziehung für ihren Sohn. Schlussendlich setzt hier Augustinus zwei Auffassungen von Literatur einander gegenüber. Man könnte von einem metaliterarischen Bezug sprechen. Der aufgrund ihrer Fiktionalität im 1. Buch verurteilten Abschiedsszene von Dido und Aeneas wird die zwischen Monnica und Augustinus entgegengestellt. In den Confessiones soll es im Gegensatz zum paganen Werk nicht um Fiktionales gehen, sondern um das, was für Augustinus Wahrheit ist, um die Darstellung seines 149 Vgl. Engels / Hofmann 1997, 29; als grundlegender Ansatz für Müller 2003b, Tornau 2006. 150 Vgl. Courcelle 1963, 91–197. 151 Vgl. Clark 2004, 88.

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Lebensweges, der zur Hinwendung zu Gott führt. Der intertextuelle Verweis deutet nicht auf ein christliches Verständnis der Aeneis hin, vielmehr zeigt er eine christliche Auffassung von Literatur, die dem Ziel der Gotteserkenntnis dienen soll. Hierin steht die vorliegende Passage im Kontext eines christlichen Umgangs mit der klassischen Literatur: Die Christen nehmen pagane Formen auf, jedoch mit dem Ziel, durch die Christianisierung ihre Modelle überflüssig zu machen. d) Buch 6 Im 6. Buch reist Monnica ihrem Sohn in Richtung Italien nach. Äußerst kunstvoll ist hier die Verknüpfung der Handlungen um die Mutter mit der in den Confessiones wiederholt begegnenden Metaphorik aus dem Bildfeld des Wassers hergestellt. Ein Zitat aus Ps 72,26 leitet die Meeresmetaphorik ein. Diese Textpassage greift auf einen größeren, die Confessiones umfassenden Metaphernkomplex des Meeres zurück. Das Meer versinnbildlicht die Hinwendung zur Äußerlichkeit und die Abwendung von der Innerlichkeit. Das Meer symbolisiert die Erfahrung vermeintlich kontingenter Ereignisse durch den von Gott abgewandten Menschen. Wenn Augustinus das Bildfeld Wasser metaphorisch verwendet, knüpft er sowohl an eine biblische 152 als auch an eine pagane 153 Tradition des Sprachgebrauchs an. Auch der Neuplatonismus kennt die Metaphorik der Seele im Meer der Materie. 154 Metaphern aus dem Bildfeld des Wassers verwendet auch Augustinus in den Confessiones häufig. Hierbei stellt Augustinus gezielt eine Wassermetaphorik um die Wortfamilie um die Wurzel flu- einer erweiterten Wassermetaphorik der Tränen gegenüber. Flu- steht für die dynamische Dimension des Wassers. Das Wasser mit seinen Strudeln stellt einen geeigneten Spender von Metaphern für ein Fehlen von Ordnung und für die Empfindung von Zufälligkeit dar, aus der nur Gott als ordnende und sinnstiftende Kraft retten kann. Eine große Anzahl an Stellen lässt sich in den Confessiones zu diesem Sprachgebrauch eruieren. 155 Das Kompositum defluere bezeichnet das Abkommen von Gott (2,10,18: defluxi abs te ego et erravi). Zwischenmenschliche Beziehungen stehen unter der Lenkung Gottes. Das Bild der Wasserstrudel dient dazu, die als kontingent wahrgenommenen interpersonalen Beziehungen als geordnet und gottgewirkt zu beschreiben. Als gegenläufige Handlung zum Zerfließen (defluere) wird das

152 Beispielsweise Ps 109,23–31; vgl. Cambronne 32006, 218. 153 Lukrez 2,1–4; Horaz carm. 1,3; vgl. Cambronne 32006, 218. 154 Vgl. Pfligersdorffer 1976, 158–159, 166. Aus der Vorstellung der Materie als Meer ist die von der Bewegung der Seele als Seefahrt hervorgegangen. 155 Einschlägig ist der Anruf Gottes in 9,8,18: at tu, domine, rector caelitum et terrenorum, ad usus tuos contorquens profunda torrentis, fluxum saeculorum ordinate turbulentum, etiam de alterius animae insania sanasti alteram. Vgl. 1,11,18: fluctus temptationum; 1,14,23: fluxus; 1,16,26: flumen tartareum 2,2,3: fluctus aetatis meae. Vgl. zu diesem Thema ferner 2,2,4; 2,6,13; 4,11,16; 5,8,15; 6,16,26; 8,7,17; 8,7,18. Weitere Stellen zur Wassermetaphorik: 11,2,3; 12,10,10; 12,17,25; 13,4,5; 13,7,8; 13,8,9; 13,10,11; 13,13,14.

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Zusammensammeln (colligere) durch die Enthaltsamkeit (continentia) angeführt. 156 In der Bibel ist Wasser in seiner Symbolik ambivalent. Die turbatio des Wassers im Teich von Bethesda (Io 5,2–9) bezeichnet die Verwirrung der Juden bei der Erscheinung und Passion des Herrn. Andererseits gibt es das Wasser der Taufe. Auch in Augustins Rezeption der Metapher ist das Wasser ambig. Über die symbolische Mehrdeutigkeit von Wasser in der Bibel schreibt Augustinus in ep. Io. tr. 6,11, doctr. chr. 3,36 und cath. fr. 65. So kann Wasser in seiner Ambivalenz bei Augustinus sowohl Erlösung (Taufe) als auch Verdammnis (Sintflut, Wasser des Roten Meeres) anzeigen. 157 Die positive Symbolik von Wasser ist im Zusammenhang mit seiner Bedeutung im Rahmen der Eucharistiefeier und der Taufe zu verstehen. In den Confessiones erlangt das Wasser insofern positive Bedeutung, als die Gnade als Gabe des Wassers bezeichnet wird. Es finden sich viele Stellen im augustinischen Werk, an denen Wasser positive Bedeutung trägt und die Gnade, Christus oder den Heiligen Geist symbolisiert. 158 Daneben steht die negative Symbolik des Wassers. Unter den negativen Bestimmungen finden sich viele, die auf die Vereinzelung in der Welt anspielen. In en. Ps. 31,2,18 interpretiert Augustinus das diluvium aquarum multarum (Ps 31,6) als die multiplicitas variarum doctrinarum. Den die Seele mit gottlosen Lehren verderbenden multae aquae wird die una aqua, sive sacramenti baptismi, sive doctrinae salutaris gegenübergestellt. Vor allem in den Enarrationes in Psalmos finden sich noch weitere ähnliche Deutungen des Wassers. 159 Von großer Wichtigkeit im Zusammenhang mit den Confessiones ist die Auslegung in en. Ps. 123,7–9, wonach der Verlorene Sohn sein Vermögen in der aqua peccati vergeudet hat. In der Auslegung der Genesis wird das Wasser als materia gedeutet, von der sich der Geist und die Dreifaltigkeit absetzen. Die materia zeichnet sich durch ihre Wandelbarkeit aus (13,9,10). 160 In 13,17,20 wird das Meerwasser, das am 3. Schöpfungstag vom Land getrennt wird, mit den Menschen identifiziert, die dem „zeitlich-irdischen Glück“ (temporalis et terrena felicitas) zugewandt und damit den „bösen Begierden der Seele“ (malae cupidines animarum) ausgesetzt bleiben. Die Wassermetaphorik der Confessiones ist im Zusammenhang mit der neuplatonischen Vorstellung der Zerstreuung (dispersio), der Entfernung von Gott, zu 156 Vgl. als einschlägige Textstelle 10,29,40: per continentiam quippe colligimur et redigimur in unum, a quo in multa defluximus. 157 Vgl. Fontaine 1954, 123–124; Nazzaro 1986–1994, 425–427. 158 Vgl. Nazzaro 1986–1994, 525–527 mit zahlreichen Belegstellen. 159 Vgl. Nazzaro 1986–1994, 427. 160 Vgl. Nazzaro 1986–1994, 428 mit weiteren Belegstellen. Zum „Schweben“ des Geistes über dem Wasser vgl. 13,7,8: dicam, quomodo dicam de pondere cupiditatis in abruptam abyssum et de sublevatione caritatis per spiritum tuum, qui «superferebatur super aquas» (Gn 1,2)? cui dicam? quomodo dicam? neque enim loca sunt, quibus mergimur et emergimus. quid similius et quid dissimilius? affectus sunt, amores sunt, immunditia spiritus nostri defluens inferius amore curarum et sanctitas tui attollens nos superius amore securitatis, ut sursum cor habeamus ad te, ubi «spiritus» tuus «superfertur super aquas», et veniamus ad supereminentem requiem, cum pertransierit «anima nostra aquas, quae sunt sine substantia» (Ps 123,5).

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

sehen, was insbesondere am Beginn des 2. Buches deutlich wird. Zur Veranschaulichung seiner dispersio (2,1,1) dient die folgende, bildhafte Beschreibung seines lasterhaften Lebenswandels. In das uns interessierende Wortfeld gehört scatebra, „Sprudeln“ (2,2,2). Dieses Bild der Laster wird daraufhin fortgeführt. Die den Protagonisten bestimmenden Haltungen der dilectio und libido „wogten wild durcheinander und rissen das schwache Lebensalter durch die steilen Tiefen der Begierden und tauchten es in den Strudel der Schandtaten“ (in confuso aestuabat et rapiebat imbecillam aetatem per abrupta cupiditatum atque mersabat gurgite flagitiorum). Augustinus „wurde hin- und hergerissen, ergoss sich, zerfloss und sprudelte über in seiner Hurerei“ (iactabar et effundebar et diffluebam et ebulliebam per fornicationes meas). 161 Setzt man die sechs Lebensalter mit den sechs Schöpfungstagen parallel, dann entspricht die adulescentia (Buch 2) dem dritten Schöpfungstag, an dem das Wasser gesammelt wird. 162 Die Tatsache, dass sich Belege für die Wassermetaphorik in den ganzen Confessiones finden, zeigt aber auch, dass man diese Parallelisierung von Lebensphasen im autobiographischen Teil und Schöpfungstagen im exegetischen Teil nicht absolut setzen darf. Derselben Metaphorik hatte sich Augustinus bereits im Proömium zu De beata vita (beata v. 1,1–5) bedient, so dass es von Pierre Courcelle aufgrund der autobiographischen Bezugnahmen zu den „premières Confessions“ 163 gezählt wurde. In dieser Einleitung sind das Irren in den Fluten und die Rückkehr in die Heimat als gegenläufige Bewegungen dargestellt. Unter denjenigen, die sich mit der Philosophie beschäftigen, gibt es drei Gruppen von „Seefahrern“ (navigantes). Von diesen bestimmt Augustinus die eine folgendermaßen: qui fallacissima facie maris decepti elegerunt in medium progredi longeque a sua patria peregrinari audent et eius saepe obliviscuntur (beata v. 1,1). In diesem Bild stellt die Philosophie den Hafen (philosophiae portus; beata v. 1,1) dar, zu dem es nach einer Reise über das Meer zu gelangen gilt. Der Mensch ist in die Welt wie „in ein stürmisches Meer geworfen“ (velut in quoddam procellosum salum; beata v. 1,1). Während sich manche Seefahrer stets des Rückwegs eingedenk näher am Ufer halten, geraten andere auf die hohe See und vergessen ihre Heimat. Der trügerische Glanz der hohen See entsteht aus voluptates und honores. 164 Von Widrigkeiten des Lebens bedrängt (vel lacrimabiles tragoediae fortunarum suarum vel inanium negotiorum anxiae difficultates; beata v. 1,2) gelangen diese schließlich durch gelehrte Bücher (libri doctorum sapientissimorumque hominum) zum Hafen, wo sie gegen die Verlockungen des hohen Meeres gefeit sind (unde illos nulla maris illius promissa nimium falso ridentis excludant). Diejenigen, die sich in dieser Situation wieder ihrer Herkunft erinnern, gelangen häufig nur unter Problemen zurück und irren aufgrund schlechter Sicht und fehlerhafter Orientierungsversuche

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Vgl. ferner 6,7,11: gurges tamen morum Carthaginiensium. Vgl. O’Donnell 1992, II, 104. Vgl. Courcelle 21968, 269-290; zustimmend Doignon 1986, 135. Beata v. 1,2: penetrant in altissima miseriarum elati atque gaudentes, quod eis usque quaque fallacissima serenitas voluptatum honorumque blanditur.

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weiter umher. 165 Man darf in dieser bildhaften Deutung des Lebensweges im Verhältnis zur Philosophie eine Vorlage zu den Confessiones sehen. In beata v. 1,4 identifiziert der Sprecher Augustinus den eigenen Lebensweg mit dem eben präsentierten metaphorischen Modell. Während sich Augustinus in De beata vita in der Bildhaftigkeit der antik-philosophischen Tradition bewegt, 166 stellt eine bemerkenswerte Weiterentwicklung der Confessiones gegenüber dem Frühdialog die Herstellung eines Bibelbezugs durch die Psalmenzitate dar: et ambulabam per tenebras et lubricum et quaerebam te foris a me et non inveniebam «deum cordis mei» (Ps 72,26); et veneram «in profundum maris» (Ps 67,23) et diffidebam et despe167 rabam de inventione veri.

In dieser seelischen Verfassung des Sohnes tritt die Mutter auf. Äußerer Lebenszusammenhang (Erlebnis der Gefahren der Seefahrt) und innerer Vorgang (Abwendung von Gott) werden analog nebeneinandergestellt. Auch das Verhalten der Mutter gleitet zwischen beiden Ebenen: iam venerat ad me mater pietate fortis, terra marique me sequens et in periculis omnibus de te secura. nam et per marina discrimina ipsos nautas consolabatur, a quibus rudes abyssi viatores, cum perturbantur, consolari solent, pollicens eis perventionem cum salute, quia hoc 168 ei tu per visum pollicitus eras.

Die Mutter wird mit einer bezeichnenden Charakteristik eingeführt, indem sie als pietate fortis beschrieben wird. Dies klingt zunächst paradox, da fortis eine fast ausschließlich Männern zugeschriebene Tugend der Stärke und Tapferkeit ausdrückt. Eine quantitative Erfassung der im Thesaurus linguae Latinae angeführten Textzeugnisse führt zu dem Ergebnis, dass sich die Belegstellen für fortis in der Bedeutung von „stark“, „mutig“, „tapfer“ etwa 30:1 zugunsten von männlichen Trägern dieser Eigenschaften verhalten. 169 Dennoch kann Monnica aufgrund ihrer Frömmigkeit durch das Geschlecht auferlegte Rollenbilder überwinden. Hierbei wird eine Neubestimmung römischer Wertbegriffe vollzogen. Die beschriebene Situation, in der es eine Frau ist, die die Seeleute zur Ruhe bringt, ist erstaunlich. Durch ihre innere Stärke beruhigt sie sogar die äußerlich starken Seeleute. Wie in Buch 1 eröffnen christliche Vorstellungen eine Durchbrechung traditionell gegebener Rollenbilder. 165 Beata v. 1,2: vel inter nubila deviantes vel mergentia contuentes sidera vel nonnullis inlecebris capti bonae navigationis tempora differentes errant diutius. 166 Beispielhaft sei hier auf Sen. ep. 70,2–3 verwiesen. Vgl. Doignon 1986, 133; SchwarzKirchenbauer / Schwarz 1982, 83. 167 6,1,1: „Ich aber ging einher in Dunkelheit und auf schlüpfrigen Wegen, suchte dich außerhalb von mir und fand den Gott meines Herzens nicht. Ich war in die Tiefe des Meeres gelangt und verlor die vertrauensvolle Hoffnung darauf, die Wahrheit finden zu können.“ 168 6,1,1: „Schon war meine Mutter, die stark durch ihre Frömmigkeit war, zu mir gekommen. Sie war zu Lande und zu Wasser mir gefolgt und war in allen Gefahren durch dich sicher. Denn auch in Seenot sprach sie selbst den Seemännern Mut zu, von denen gewöhnlich die mit den Abgründen des Meeres unvertrauten Reisenden, wenn sie heftig beunruhigt sind, aufgerichtet werden. Denn sie versprach ihnen eine heile Ankunft, weil du ihr dies in einer Erscheinung versprochen hattest.“ 169 Vgl. ThlL VI, 1, s.v. fortis, 1145–1161.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

Die Seenotszene verweist zugleich auf einen innerlichen Vorgang. Eine über die Darstellung des äußeren Ereignisses hinausgehende Bedeutung zeigen insbesondere die aus der hellenistischen Philosophie bekannten Termini technici perturbari und consolari an. 170 Werden die Begriffe im Kontext der äußeren Handlung zunächst im Sinne einer „Beruhigung“ der durch den Wellengang „heftig erschütterten“ 171 Männer aufgefasst, so liegt besonders durch die enge Korrelation ihre Bedeutung im philosophischen Kontext unmittelbar auf der Hand. Die Verbindung zu den Vorstellungen der perturbatio animi, die es für den hellenistischen Philosophen zu vermeiden gilt, und der consolatio, die als Trostrede zu einer Gattung philosophischen Schrifttums geworden ist, ist für den spätantiken Leser unmittelbar herstellbar. Monnica kann durch ihren Glauben somit eine Funktion gegenüber ihren Mitmenschen erfüllen, die in der paganen Tradition der Philosoph mit seinen Schriften erfüllt. In diesem Abschnitt finden auch das Monnica in Buch 3 zugeschriebene Zuteilwerden gnadenhafter Träume und ihre Fähigkeit zur richtigen Deutung von Träumen ihre Bestätigung in der Erzählung. 172 Die Darstellung zu Augustinus wird verbunden mit der lukanischen Geschichte der Begegnung Christi mit der Witwe von Naïn und ihrem verstorbenen einzigen Sohn (Lc 7,11–17): et invenit me periclitantem quidem graviter desperatione indagandae veritatis, sed tamen ei cum indicassem non me quidem iam esse Manichaeum, sed neque catholicum christianum, non, quasi inopinatum aliquid audierit, exiluit laetitia, cum iam secura fieret ex ea parte miseriae meae, in qua me tamquam mortuum sed resuscitandum tibi flebat et feretro cogitationis offerebat, ut diceres filio viduae: «iuvenis, tibi dico, surge» (Lc 7,14), et revivesceret et inciperet loqui et traderes illum matri suae. nulla ergo turbulenta exultatione trepidavit cor eius, cum audisset ex tanta parte iam factum, quod tibi cotidie plangebat ut fieret, veritatem me nondum adeptum, sed falsitati iam ereptum: immo vero quia certa erat et quod restabat te daturum, qui totum promiseras, placidissime et pectore pleno fiduciae respondit mihi credere se in Christo quod priusquam de hac vita emigraret, me visura esset fidelem catholicum. et hoc quidem mihi. tibi autem, fons misericordiarum, preces et lacrimas densiores, ut accelerares adiutorium tuum et inluminares «tenebras meas» (Ps 17,29), et studiosius ad ecclesiam currere et in Ambrosii ora suspendi, ad fontem «salientis aquae in vitam aeternam» (Io 4,14). diligebat autem illum virum «sicut angelum dei» (Gal 4,14), quod per illum cognoverat me interim ad illam ancipitem fluctuationem iam esse perductum, per quam transiturum me ab aegritudine ad sanitatem intercurrente artiore periculo quasi per accessionem, quam criti173 cam medici vocant, certa praesumebat. 170 Vgl. ThlL X, 1, 12, s.v. perturbatio, 1826, wo die meisten Belegstellen für den Bereich „in doctrina philos. paganorum (fere Stoicorum) et christianorum“ angeführt werden. Zur consolatio als philosophische Gattung vgl. Biermann 1995, 21–22. 171 Vgl. ThlL X, 1, 12, s.v. perturbo, 1829, wo als primäre Bedeutung von perturbo die Bedeutung turbando commovere angegeben ist. 172 S. Kap. III.4.a.β. 173 6,1,1: „Und sie fand mich, wie ich zwar heftig in Gefahr war wegen meiner Verzweiflung darüber, die Wahrheit finden zu können. Und dennoch, als ich sie darauf hingewiesen hatte, dass ich zwar nicht mehr Manichäer, aber auch kein katholischer Christ sei, sprang sie nicht vor Freude auf, als hätte sie etwas Unerwartetes gehört. Dennoch wurde sie in diesem Teil meines Unglücks schon von Sorgen befreit, in welchem sie mich wie einen Toten, der aber auferweckt werden muss, vor dir beweinte und auf der Bahre der Gedanken entgegentrug,

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Hier reflektiert Augustinus seinen Zustand, sowie die Rolle der Mutter und der göttlichen Lenkung. Monnica trägt durch Tränen zur ‚Wiederbelebung‘ des Sohnes bei, die letztendlich von Gott bewirkt wird. Der intertextuelle Bezug zur Geschichte von der Mutter von Naïn lässt Monnica im Lichte einer biblischen Gestalt erscheinen. Die Bibelgeschichte wird von Augustinus allegorisch gedeutet: feretro cogitationis offerebat. Hierbei mag Augustinus an Ambrosius’ Allegorese der Stelle gedacht haben. 174 Durch die Einbettung des Weinens Monnicas in den Kontext der biblischen Erzählung wird die Trauer zu einer Klage für den auf der seelischen Ebene gestorbenen Sohn. 175 Bei Monnicas Tränen handelt es sich um ein Trauern um den spirituell toten Sohn. Es entsteht ein Kontrast zwischen der Mutter, die im Seesturm die Ruhe bewahrt, und ihrem Sohn: 176 Augustin droht im Meer des Irrtums zu versinken, die Mutter hingegen meistert das reale Meer und die Turbulenzen des metaphorischen Meeres. Eine positive Wassermetaphorik dient als Kontrapunkt zu den negativen Turbulenzen des Meeres, wobei die Worte des Ambrosius als heilbringendes Wasser wirken: in Ambrosii ora suspendi, ad fontem «salientis aquae in vitam aeternam» (Io 4,14). Augustinus spielt hier mit der Ambivalenz primärer und metaphorischer Bedeutung eines Wortfeldes. Eine weitere, in den Confessiones wiederholt anzutreffende Metaphorik ist die von Krankheit und Heilung. Mit der Sorge der Mutter um die Krankheit des Sohnes wird die Krankheitsmetaphorik an die Mutter-Sohn-Beziehung angeschlossen. Die sorgende Mutter betet für ihr krankes Kind. Die Geisteshaltung, an der die Erhöhung von der leiblichen zur geistigen Mutter vollzogen wird, ist ihre sollicitudo (6,9,16). Die mütterliche Sorge Monnicas um ihren Sohn richtet sich auf sein inneres Wohl. damit du dem Sohn der Witwe sagen mögest: ‚Junger Mann, ich sage dir, steh auf!‘, und er wieder zum Leben erweckt würde und zu reden begönne und du ihm seiner Mutter übergeben würdest. Ihr Herz zitterte nicht in stürmischem Frohlocken, als sie gehört hatte, dass zu einem so großen Teil schon geschehen sei, worum sie vor dir täglich weinte, und dass ich zwar die Wahrheit noch nicht erreicht hätte, dass ich jedoch der Falschheit schon entrissen sei. Vielmehr weil sie sicher war, dass du, der du alles versprochen hattest, geben würdest, was noch übrig blieb, antwortete sie mir ganz ruhig und voller Zuversicht im Inneren, sie glaube bei Christus, dass sie, bevor sie aus diesem Leben scheide, mich als gläubigen Katholiken sehen werde. Dies sagte sie freilich zu mir. Dir gegenüber aber, Quelle der Barmherzigkeit, brachte sie noch zahlreichere Bitten und Tränen hervor, damit du deine Hilfe beschleunigen und meine Dunkelheit erhellen würdest. Sie eilte noch eifriger zur Kirche und haftete am Mund des Ambrosius, am Quell des springenden Wassers für das ewige Leben. Sie liebte aber diesen Mann wie einen Engel Gottes, weil sie erkannt hatte, dass ich durch ihn vorerst zu jenem unentschiedenen Schwanken geführt worden bin, durch welches ich von der Krankheit zur Gesundheit übergehen würde, wie sie mit Sicherheit vermutete, auch wenn eine bedrängendere Gefahr wie in einem Anfall dazwischentreten sollte, welchen die Ärzte ‚Krise‘ nennen.“ 174 Vgl. in Luc. 5,89 und 92; paenit. 2,10,92, wo die Mutter auch als Kirche gedeutet wird. Vgl. Dulaey 2003, 217. Jedoch ist für die Confessiones nicht davon auszugehen, dass Monnica als Allegorie der Kirche gedeutet werden kann. 175 Lc 7,12–15. Vgl. O’Donnell 1992, II, 332 zu weiteren Stellen bei Augustinus: en. Ps. 97,1; lib. arb. 3,23,67; s. dom. m. 1,12,35; s. 98,2,2; s. 98,5,5. 176 Vgl. Knauer 1955, 112.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

In Mailand erweist sich Monnica erneut als vorbildhafte Christin (6,2,2). Die Mutter fügt sich aus Gehorsam gegenüber Ambrosius dem Verbot von Opfern für Märtyrer. Der hier beschriebene Kult stand der paganen Verehrung der verstorbenen Ahnen nahe. Bei den sogenannten Parentalien handelt es sich um einen Familienkult, der auch in der Spätantike noch lebendig war, bis er unter christlichen Kaisern für alle Bevölkerungsschichten verboten wurde. 177 Auch Augustinus stellt sich als Bischof gegen diese Form der heidnischen Totenfeier. 178 In dieser Episode lässt sich ein Bruch mit einer Tradition der paganen familiären Memorialkultur erkennen. Statt eines materiellen Korbes mit Opfern wird die Verinnerlichung des Gedächtnisses gefordert. Die Thematik des richtigen Totengedenkens wird am Ende des 9. Buches nochmals von zentraler Bedeutung sein, wenn Monnica eine traditionelle Bestattung mit dem Ehemann gering schätzt und stattdessen ein Gedenken in Form von Fürbitten fordert. Somit ist Monnica keine statische Figur, vielmehr unterliegt auch sie einem Entwicklungsprozess. Mit Ambrosius pflegt Monnica eine religiosa conversatio. Das die Kommunikation zwischen den beiden erläuternde Attribut religiosus kennzeichnet Monnica als ‚fromme‘ Christin. Das lateinische Wort religiosus ist nicht ohne Weiteres als ‚fromm‘ wiederzugeben. Das Adjektiv bezeichnet in der paganen Antike eine Person, die in strengster Pflichterfüllung die Regeln des Kultes einhält. Das Wort kann sogar pejorativ die Bedeutung ‚abergläubisch‘ tragen. 179 An dieser Stelle bei Augustinus trägt es dennoch die verinnerlichte und eindeutig positiv konnotierte Bedeutung, die dem deutschen ‚fromm‘ entspricht. Ihr Glaube kennt auch ein stark emotionales Moment: fervens spiritu. Eine nach den Belangen des inneren Menschen (spiritu) ausgerichtete Emotionalität wird positiv aufgefasst. Augustinus bedient sich zum Lob seiner Mutter auch der Aussage eines Dritten, indem er Ambrosius Worte der Hochachtung äußern lässt. Eine kirchliche ‚Autorität‘ fungiert hiermit als Bürge für das in den Confessiones vom Sohn gezeichnete Bild Monnicas. Monnicas Wirken für ihren Sohn beschränkt sich jedoch nicht auf das Beten, vielmehr greift sie auch in seine Lebensplanung ein. Sie arbeitet auf die Eheschließung und die Taufe Augustins hin, hat jedoch enttäuschende Träume über eine mögliche Hochzeit: cum sane et rogatu meo et desiderio suo forti clamore cordis abs te deprecaretur cotidie, ut ei per visum ostenderes aliquid de futuro matrimonio meo, numquam voluisti. et videbat quaedam vana et phantastica, quo cogebat impetus de hac re satagentis humani spiritus, et narrabat mihi non cum fiducia qua solet, cum tu demonstrabas ei, sed contemnens ea. dicebat enim discernere se nescio quo sapore, quem verbis explicare non poterat, quid interesset inter revelantem te et animam suam somniantem. 180

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Vgl. Gaudemet 1969, 338–339. Vgl. Flasch / Mojsisch 2003, 420. Vgl. Rüpke 2001, 15. 6,13,23: „Als sie aber auf mein Bitten hin und aus eigenem Verlangen in lautem Rufen ihres Herzens dich täglich darum bat, ihr durch ein Traumgesicht irgendetwas über meine zukünftige Ehe zu zeigen, wolltest du nie reagieren. Sie sah einige nichtige und eingebildete Dinge,

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Eine richtige Deutung des Traums – ob er von Gott stammt oder nur Täuschung ist – 181 kann sie nicht vernunftmäßig in Worte fassen. Es folgt Augustins Trennung von seiner Konkubine auf Betreiben der Mutter (6,13,23; 6,15,25). Auch diese Episode steht ganz im Lichte der Theologie Augustins. Bereits die Absicht der Mutter, durch eine Ehe die Zügellosigkeit des Sohnes unter Kontrolle zu bringen, entspricht ganz dem Gedankengut frühchristlicher Autoren. 182 Der Konkubinat unterscheidet sich von der Ehe darin, dass er nicht auf Fortpflanzung ausgerichtet ist, 183 und somit auf die Ablehnung des Theologen Augustinus stoßen muss. Der Konkubinat war eine weit verbreitete Form einer eheähnlichen Verbindung, die gewählt wurde, um den langen Zeitraum von 10 bis 15 Jahren zwischen der Geschlechtsreife und dem Heiratsalter von Männern zu überbrücken. Aus sozialen Gründen heiratete ein Mann die Konkubine jedoch nicht. 184 Diese Form einer eheähnlichen Gemeinschaft wurde von den christlichen Autoren abgelehnt. 185 Die Trennung von der Konkubine im 6. Buch der Confessiones kann als eine exemplarische Darstellung der in anderen Werken vertretenen theologischen Position Augustins gelten. Auch hier dient die autobiographische Reflexion als alternative, literarische Form, theologische Ansichten einem Lesepublikum zu vermitteln. Das Verhältnis Augustins zu der Konkubine dient dazu, falsche Haltungen gegenüber Konkubinat und Ehe zu thematisieren. 186 Hierin kommt der Figur Augustins dieselbe Funktion zu wie der des Alypius, der anfänglich Lust, nicht Sinn in der Ehe sucht. 187 Wenngleich Augustinus in der Trennungsszene von der Konkubine seine theologischen Positionen in den autobiographischen Bericht umsetzt, zu denen er im Nachhinein gekommen ist, hält er die Schmerzhaftigkeit des Abschieds fest: interea mea peccata multiplcabantur, et avulsa a latere meo tamquam impedimento coniugii cum qua cubare solitus eram, cor, ubi adhaerebat, concisum et vulneratum mihi erat et

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die das Verlangen des menschlichen Geistes in ihr verursachte, da er sich in dieser Sache heftig anstrengte, und sie erzählte mir davon nicht mit dem gewohnten Zutrauen, wenn du ihr etwas zeigtest, sondern mit Geringschätzung. Sie sagte nämlich, sie könne mit irgendeinem Sinn den sie aber mit Worten nicht erklären konnte, klar unterscheiden, ob es sich um deine Offenbarungen oder um Träume ihrer Seele handle.“ Eine erkenntnistheoretische Deutung über das Zustandekommen von Richtigem und Falschem in Träumen liefert Augustinus im 12. Buch von De Genesi ad Litteram. Vgl. Näf 2004, 161–163. Vgl. Eyben 1991, 135 mit Belegstellen. Vgl. Feichtinger 1995, 113. Vgl. Clark 1993, 31–33; Krause 2003, 126. Vgl. Clark 1993, 32. Hier prangert Augustinus am Beispiel der Lebensgeschichte die auch in b. coniug. 5,5 verurteilte Haltung an: etenim si aliquam sibi vir ad tempus adhibuerit, donec aliam dignam vel honoribus vel facultatibus suis inveniat, quam conparem ducat, ipso animo adulter est, nec cum illa quam cupit invenire, sed cum ista, cum qua sic cubat, ut cum ea non habeat maritale consortium. Vgl. Feldmann / Schindler / Wermelinger 1986–1994, 247; Clark 1993, 39. Zum Verhältnis dieser Passage im autobiographischen Bericht zu Augustins Theologie der Ehe vgl. ferner Shanzer 2002, 162–164. Als weitere Referenzstelle vgl. s. 224,3. Vgl. 6,12,21.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones trahebat sanguinem. et illa in Africam redierat vovens tibi alium se virum nescituram relicto 188 apud me naturali ex illa filio meo.

Auch wenn der Erzähler Augustinus die Trennung als einen von theologischen Gesichtspunkten her notwendigen Schritt erkennt, lässt er auch der Klage über den dabei erlittenen Schmerz breiten Raum. Letztendlich steht auch diese Darstellungsweise im Rahmen des literarischen Programmes. Wenn Augustinus seine theologischen Positionen in der Lebensbeschreibung widerspiegelt, zeigt er auch die Probleme auf, die ihre Umsetzung in der konkreten Lebenswelt mit sich bringen. 189 Augustinus wählt gezielt Wörter, die auf eine Verinnerlichung der Beziehung abzielen. In der Wendung avulsa a latere meo kann, wie Danuta Shanzer überzeugend dargelegt hat, eine Anspielung auf die Schöpfung der Frau aus der Rippe Adams (Gn 2,21–24) erkannt werden. 190 Das Verhältnis zwischen Augustinus und der Konkubine wird also in Rückgriff auf die biblische Bestimmung des Verhältnisses zwischen Mann und Frau beschrieben. Die zwischenmenschliche Beziehung gründet sich im Herzen (cor, ubi adhaerebat). 191 Mit dem Begriff cor verwendet Augustinus hier wieder einen bereits wiederholt als Hinweis auf Innerlichkeit verstandenen Begriff. 192 Somit wird auch diese Beziehung neu bestimmt, wobei es die das Verhältnis zur Konkubine ursprünglich begründende libido zu überwinden gilt. Durch den Ausdruck des Schmerzes über die Trennung wird das Verhältnis auf einer spirituellen Ebene bestimmt, was auch durch den anschließenden Hinweis unterstrichen wird, dass die junge Frau ihr künftiges Leben ganz Gott gewidmet habe und sich keinem anderen Mann mehr hingeben wolle. Mit dem Gelöbnis gegenüber Gott, in Zukunft in Ehelosigkeit zu leben, bildet die Konkubine ferner eine weitere Kontrastfigur zu Augustinus, der noch nicht an diesem Punkt angelangt ist. Der entsprechende Vorwurf an sich selbst besteht darin, nec feminae imitator gewesen zu sein. Eine Frau hätte sein Vorbild sein 188 6,15,25: „In Zwischenzeit vervielfachten sich meine Sünden, und die Frau, mit der ich das Bett zu teilen pflegte, wurde als Hindernis für eine Ehe von meiner Seite gerissen. Mein Herz, an das sie fest verhaftet war, war zerrissen und verletzt, und es blutete. Sie war nach Afrika zurückgekehrt mit dem Gelübde vor dir, dass sie mit keinem anderen Mann mehr verkehren werde, nachdem mein natürlicher Sohn, den ich von ihr hatte, bei mir zurückgeblieben war.“ 189 Eine literarische Deutung dieser Szene, die die Episode in ihrer exemplarischen Funktion auffasst, ist einer biographistischen Deutung, die auf der Vermutung nicht nachzuweisender innerer Beweggründe des historischen Augustinus beruht, vorzuziehen. Vgl. als Beispiel einer biographistischen Herangehensweise Seelbach 2007, 81–82: „Der Schmerz blieb gleichsam als ständiges Mahnmal. Augustins spätere Wertschätzung der ehelichen Treue dürfte nicht zuletzt aus der eigenen unglücklichen Vertrautheit mit dem von ihm und seiner Konkubine durchlittenen Kummer resultieren.“ 190 Vgl. Shanzer 2002, 157–162. 191 Als Subjekt des ubi-Satzes ist die anonyme Konkubine aufzufassen (vgl. die Übersetzungen bei Bernhart 1987, 295; Shanzer 2002, 158), nicht cor (vgl. Thimme 102003, 159; Flasch / Mojsisch 2003, 166). adhaerere kann mit Verweis auf Gn 2,21–24 und Mt 19,4 als Terminus aufgefasst werden, der die Bindung zwischen Mann und Frau beschreibt. Vgl. Shanzer 2002, 160. 192 S. 205.

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sollen. Das Verhalten der Konkubine entspricht dem einer univira, oder ins Christliche gewendet, einer vidua casta. 193 Bei der Darstellung der Trennung von der Konkubine legt Augustinus das Gewicht somit auf die Exemplarität im Verhalten der Konkubine sowie auf die Herstellung von sympathetischer Identifikation mit ihr und dem Protagonisten bei den Lesern. Monnica, die möglicherweise für den historischen Augustinus diese Trennung bewirkt hat, bleibt in dieser Szene unerwähnt. Als mögliche Erklärung hierfür lässt sich anführen, dass andernfalls für den Leser, der mit den Figuren mitfühlen soll, ein schlechtes Licht auf die Mutter fallen würde. Der das Buch abschließende Exkurs über den Epikureismus (6,16,26) dient nicht zuletzt dazu, eine Geisteshaltung zu präsentieren, die ein solches Leben im Sinnesgenuss legitimieren könnte. Diese Lehre wird jedoch durch den Kontext der Erzählung disqualifiziert. 194 Auch im 6. Buch wird das Konzept einer spirituellen Mutterschaft der katholischen Kirche, der Kindschaft der Gläubigen und die Vorstellung von der Wiedergeburt durch die Gnade in Erinnerung gehalten: 195ab spiritalibus filiis tuis, quos de matre catholica per gratiam regenerasti. 196 e) Buch 7 Das 7. Buch, das besonders von philosophisch-theologischen Reflexionen über den richtigen Gottesbegriff, die libri Platonici und den Prolog des Johannesevangeliums sowie von der Frage nach dem Wesen des Bösen und seiner Erklärung als einer privatio boni geprägt ist, lässt die Darstellung von Generationenverhältnissen zurücktreten. Die leibliche Mutter bleibt gänzlich unerwähnt. Dennoch kommen Metaphern aus dem Bildfeld der Generationenbeziehungen auch in diesem Buch zum Tragen. Gleich zu Beginn begegnet das Bild von der Kirche als spiritueller Mutter, der spiritalis mater nostra, catholica tua. Diese Metapher wird, wie oben gezeigt, gezielt auf den autobiographischen Teil der Confessiones verteilt und somit beim Leser stets in Erinnerung gehalten: non te cogitabam, deus, in figura corporis humani, ex quo audire aliquid de sapientia coepi; semper hoc fugi et gaudebam me hoc repperisse in fide spiritalis matris nostrae, catholicae tuae. 197

193 Zu Recht ist darauf hingewiesen worden, dass die Konkubine entsprechend dem Ideal der univira dargestellt wird. Vgl. Shanzer 2002, 160. 194 Vgl. Feldmann / Schindler / Wermelinger 1986–1994, 247–248; Fuhrer 1998, 267–276; Fuhrer 2004a, 114. 195 Weitere Stellen finden sich gleichmäßig auf den autobiographischen Teil verteilt in den Büchern 1 (s. 114–115), 7 (s. unten) und 9 (s. 195–197; 271–272). 196 6,3,4. 197 7,1,1: „Ich dachte mir dich, Gott, nicht mehr in der Gestalt eines menschlichen Körpers, seitdem ich zum ersten Mal ein bisschen über die Philosophie gehört hatte; dagegen habe ich mich immer gewehrt und ich freute mich, dies auch so im Glauben unserer geistigen Mutter, deiner katholischen Kirche, gefunden zu haben.“

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

Es ist bezeichnend, dass Augustinus gerade hier die Kirche mit dem Mutterattribut bezeichnet, wo der Glaube unter dem Aspekt der auctoritas beleuchtet wird, der mit einer Annährung auf dem Weg der Philosophie (sapientia) mittels der ratio in Deckung gebracht werden soll. Wie eine Mutter als Autoritätsfigur gegenüber den Kindern ist die Kirche Trägerin der auctoritas für die Gläubigen. Diese Funktion der Kirche ist mit dem Bild der spiritalis mater nostra passend wiedergegeben. Die mit dem Konzept der Mutter als Kirche am Ende des 9. Buches 198 verbundene Vorstellung vom Eschaton als patria, zu dem es zurückzukehren gilt, wird zweimal aufgenommen: in quos (sc. libros Platonicorum) me propterea, priusquam scripturas tuas considerarem, credo voluisti incurrere, ut imprimeretur memoriae meae, quomodo ex eis affectus essem et, cum postea in libris tuis mansuefactus essem et curantibus digitis tuis contrectarentur vulnera mea, discernerem atque distinguerem, quid interesset inter praesumptionem et confessionem, inter videntes, quo eundum sit, nec videntes, qua, et viam ducentem ad beatificam pa199 triam non tantum cernendam sed et habitandam.

sowie et aliud est de silvestri cacumine videre patriam pacis et iter ad eam non invenire et frustra conari per invia circum obsidentibus et insidiantibus fugitivis desertoribus cum principe suo leone et dracone, et aliud tenere viam illuc ducentem cura caelestis imperatoris munitam, ubi 200 non latrocinantur qui caelestem militiam deseruerunt.

Das Bild der patria ist mit der Vorstellung der Rückkehr einer in der Ferne weilenden Person verbunden. Auch hier liegt wie in Buch 1 eine doppelte Anspielung vor. Das Bild des Vaterlandes ermöglicht eine Verknüpfung von biblischem Denken, insofern die Parabel vom Verlorenen Sohn evoziert wird, mit der neuplatonischen Vorstellung der ἐπιστροφή. 201 Gleichzeitig wird aber anhand dieses Bildes auch die spezifisch christliche Erweiterung gegenüber den libri Platonicorum anschaulich gemacht: Erst das Christentum macht die patria nicht nur ‚wahrnehmbar‘, sondern auch ‚bewohnbar‘ 198 S. 271–272. 199 7,20,26: „Ich glaube, du wolltest, dass ich auf diese stieße, bevor ich deine Schriften genau betrachtete, damit sich meiner Erinnerung einpräge, wie ich von jenen beeindruckt wurde, und damit ich, wenn ich danach durch deine Bücher gezähmt wäre und mit deinen sorgsamen Fingern meine Wunden behandelt würden, erkennen und unterscheiden könnte, worin der Unterschied liegt zwischen Anmaßung und Bekenntnis, zwischen denen, die sehen, wohin man gehen muss, aber nicht, auf welchem Weg, und eben dem Weg, der zum beglückenden Vaterland führt, das wir nicht nur wahrnehmen, sondern auch bewohnen sollen.“ 200 7,21,27: „Es macht einen Unterschied, ob man von waldiger Höhe das Vaterland des Friedens sieht, aber den Weg dorthin nicht findet und vergeblich versucht, ihn in unwegsamem Gelände zu finden, während ringsherum flüchtige Deserteure mit ihren Anführern, dem Löwen und dem Drachen, auf einen lauern und im Hinterhalt sitzen, oder ob man den Weg einschlägt, der dorthin führt und durch die Fürsorge des himmlischen Kaisers geschützt ist, wo es keine Wegelagerer gibt, die dem himmlischen Kriegsdienst entlaufen sind.“ 201 Vgl. O’Donnell 1992, II, 474 mit Belegstellen zu patria bei Augustinus und Verweisen zur Verwendung bei Plotin und Ambrosius. Diesen ist noch die im Rahmen der Confessiones unübersehbare Reminiszenz an das lukanische Gleichnis hinzuzufügen.

4. Monnica als Korrektiv des irrenden Protagonisten (Buch 3–Buch 8)

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f) Buch 8 Im Zentrum des 8. Buches steht die Wendung des Willens von der vetus voluntas zur nova voluntas, die sich durch ihre Ausrichtung auf Gott auszeichnet. Diese Neuausrichtung wird in der Gartenszene erzählerisch zugespitzt. 202 Die Konversionsszene, die als dramatischer Höhepunkt des autobiographischen Teiles aufgefasst werden kann, bringt auch die Wende in der Beziehung zur Mutter. Mit der Bekehrung verändert sich das Verhältnis zur Mutter, da der Protagonist nun ihr Drängen und Bitten einordnen kann. 203 Umgekehrt finden nun auch Änderungen in der Beziehung der Mutter zu ihrem Sohn statt. Eine entscheidende Rolle erhält Monnica beim Abschluss der Konversionserzählung am Ende des 8. Buches. In 8,12,30 wird die Mutter unmittelbar nach der Konversion aufgesucht. Jetzt erst und im Gegensatz zu früher ist für sie der Sohn Anlass zur Freude. Mit seinem Entschluss zur Keuschheit geht er sogar über den Wunsch der Mutter hinaus. Hinter dem Handeln der Mutter erkennt Augustinus Gottes Wirken. Gott steht hinter den Handlungen der Mutter. Er ist es, der diese Taten vollzogen hat: inde ad matrem ingredimur, indicamus: gaudet. narramus, quemadmodum gestum sit: exultat et triumphat et benedicebat tibi, «qui potens es ultra quam petimus et intellegimus facere» (Eph 3,20), quia tanto amplius sibi a te concessum de me videbat, quam petere solebat miserabilibus flebilibusque gemitibus. convertisti enim me ad te, ut nec uxorem quaererem nec aliquam spem saeculi huius stans in ea regula fidei, in qua me ante tot annos ei revelaveras, et «convertisti luctum eius in gaudium» (Ps 29,12) multo uberius, quam voluerat, et multo ca204 rius atque castius, quam de nepotibus carnis meae requirebat.

Die freudige Erregtheit der Szene wird in der durch das Asyndeton und im Präsens ausgedrückten raschen Abfolge der Ereignisse wiedergegeben: ingredimur, indicamus, gaudet, narramus. Auch an dieser Stelle werden Bibelzitate, die das Wesen und Walten Gottes beschreiben, unmarkiert in den Gedankengang Augustins eingefügt. Eigenes Denken und Bibeltext werden somit identisch. Augustins Konversion vollzieht sich nicht zuletzt darin, dass nun auch er zur richtigen Deutung des Traumes aus dem 3. Buch gelangt ist. Er nimmt das Bild des Traumes auf und führt es zur Beschreibung seiner aktuellen Situation an: stans in ea regula fidei. Durch seine Konversion hat Augustinus nun auch die Fä-

202 Vgl. Fuhrer 2004a, 116; Brachtendorf 2005, 155–188. 203 Vgl. Schindler 1998, 357. 204 8,12,30: „Von dort gehen wir hinein zur Mutter und geben es ihr bekannt: Sie freut sich. Wir erzählen, wie es abgelaufen ist: Sie frohlockt, jauchzt und lobpreist dich, der du fähig bist, mehr zu machen, als wir verlangen und verstehen. Denn sie sah, dass ihr so viel mehr von dir in Hinblick auf mich zugestanden wurde, als sie mit Klagen, Weinen und Seufzen zu erbitten pflegte. Du hast mich nämlich zu dir bekehrt, so dass ich weder eine Ehefrau begehrte noch irgendeine Hoffnung dieser Welt, als ich auf dieser regula (Richtholz/Regel) des Glaubens stand, auf dem du mich so viele Jahre zuvor ihr gezeigt hattest, und du verwandeltest ihre Trauer in eine Freude, die viel ergiebiger war, als sie gewollt hatte, und viel teurer und keuscher, als sie von Enkeln meines Fleisches erwartet hatte.“

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

higkeit zur richtigen Deutung erlangt, über die Monnica bereits im 3. Buch verfügte. 205 Die conversio (convertisti enim me ad te) bei Augustinus spiegelt sich in einer conversio der Emotionen bei der Mutter wider, wobei Augustinus durch dasselbe Verb in derselben Konjugationsform den augenfälligen, direkten Verweis schafft: convertisti luctum eius in gaudium. Ihr das Gebet begleitende Weinen um den spirituell verstorbenen Sohn wird von Gott zur Freude gewendet. Monnica ist nicht nur Instrument der göttlichen Gnade zugunsten Augustins. Das göttliche Wirken manifestiert sich in den Confessiones in der Reziprozität zwischenmenschlicher Beziehungen, wie Augustinus schon an der Freude der Mutter über den Säugling im 1. Buch aufgezeigt hat. 206 Die öfters festgestellte Funktion der Figur Monnica als Kontrastfolie zum Protagonisten, durch die dessen Entwicklung verdeutlicht wird, ist auch hier erkennbar. 207 Die Konversion des Sohns wird in einer Änderung bei der Mutter gespiegelt, wobei die Verbindung zwischen beiden Handlungen durch das Prädikat convertisti hergestellt wird. In der Erzählung wird ihre Beziehung zu Augustinus wieder so dargestellt, dass sie sich von der Beziehung einer leiblichen Mutter absetzt. Bezeichnend sind die Adjektive im Komparativ, die die Freude, die ihr Augustins Konversion beschert, beschreiben. Das gaudium wird durch die Komparative uberius, carius und castius qualifiziert. Diese setzen die Freude über die Konversion des Sohnes von der einer Großmutter über Enkel ab und verweisen auf den spirituellen Zusammenhang, auf den sich die Freude bezieht. Hierbei übertrifft die geistige Ebene die leibliche, auf der sich die Erzeugung von Nachkommenschaft vollzieht (nepotibus carnis meae). Der Kirchenvater bedient sich hier der Bildlichkeit der leiblichen Abkunft. Wenn Augustinus das gaudium als uberius und carius bezeichnet, nimmt er mit den Wörtern aus den Bereichen der Fortpflanzung und der emotionalen Zuneigung einerseits den Bezug zur Freude über leibliche Abkunft auf, überbietet diese jedoch. Durch das castius wird die Höherwertung eines enthaltsamen Lebens angezeigt. Aufschlussreich ist die Anwesenheit der Mutter am Abschluss der Konversionsszene auch vom erzähltechnischen Blickpunkt. Gerade dadurch, dass Monnica in die Gartenszene eingebunden ist, findet eine Eingliederung dieser zentralen Szene in die Darstellung der Entwicklung des Protagonisten und in den Handlungsablauf des autobiographischen Teils der Confessiones statt. Indem im Rückblick auf den Traum der Mutter im 3. Buch verwiesen und seine Erfüllung konstatiert wird, tritt die Konversionserzählung in einen Zusammenhang mit dem Spannungsbogen der Handlung in den Büchern 1–9. Die Konversion wird somit in die exitus-reditus-Handlung eingeordnet. Mit der Fähigkeit zur richtigen Deutung des

205 Vgl. Kruger 1992, 153–154. 206 S. 109–110. 207 Vgl. als Beispiel die Szene der Traumdeutung im 3. Buch, in der Monnica durch ihre Fähigkeit, den Traum richtig zu deuten, einen Gegensatz zum irrenden Augustinus darstellt. S. III.4.a.β.

4. Monnica als Korrektiv des irrenden Protagonisten (Buch 3–Buch 8)

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Traumes ist der von der Traumerzählung des 3. Buches ausgehende Handlungsbogen zu seinem Ende gelangt. Der Figur der Mutter kommt somit eine strukturierende Funktion in der Darstellung der Abwendung und erneuten Zuwendung zu Gott zu. Durch sie kann der Erzähler Augustinus den dargestellten Prozess der Entwicklung wieder ins Gedächtnis rufen. An dieser Stelle wird durch die Erwähnung der Monnica die Konversionsszene als Ergebnis eines Prozesses beleuchtet, der den gesamten autobiographischen Teil der Confessiones umspannt. Durch den Rückgriff auf den Traum erscheint nun noch einmal der Lebensweg als von Beginn an determiniert. g) Rückblick: Bücher 3–8 Der Traum Monnicas aus dem 3. Buch, nach dem sie ihren Sohn auf derselben regula sehen wird wie sich selbst, spannt den Handlungsbogen der Bücher 3–8. Unter Tränen wendet sie sich an Gott und betet für ihren spirituell gestorbenen Sohn. Mit ihrer Fürbitte nimmt sie eine Vorstellung von interpersonaler Beziehung vorweg, zu der die Figur Augustinus erst am Ende des 9. Buches gelangen wird. In ihrer Sorge um den Sohn bildet sie eine Kontrastfigur, in der sein Irren gespiegelt ist. In ihrem Schmerz über den Abschied vom Sohn trägt auch sie noch als Alter Mensch die Reste Evas in sich, reagiert aber im Sinne des christlichen Glaubens, indem sie sich an Gott wendet und für Augustinus betet. Somit ist sie auch in dieser Zeit die vorbildhafte Christin, die pietate fortis ist. Mit der Konversion im 8. Buch ändert sich auch das Verhältnis zur Mutter. Augustinus gelangt nun ebenfalls zur richtigen Deutung des Traumes, womit der Prozess seines Umherirrens zu einem Abschluss kommt. Nicht nur der Protagonist, sondern auch Monnica ist als eine dynamische Figur gestaltet, bei der Entwicklungen in ihren Haltungen zu erkennen sind. Für die Trennungsszene am Strand von Karthago kann die Aeneis als Vorlage gesehen werden. Aufgrund der im 1. Buch formulierten deutlichen Ablehnung fiktionaler und mythischer Stoffe muss jedoch bezweifelt werden, dass Augustinus in seiner Lebensdeutung einen Bezug zur Aeneis sucht. Vielmehr orientiert sich Augustinus bei der erzählerischen Gestaltung an einem Muster von Dramatisierung und Emotionalisierung, die ihm und seiner Leserschaft aufgrund des Bildungshintergrundes gut vertraut sind. Letztlich zielt der intertextuelle Bezug nicht darauf ab, durch die Lebensbeschreibung eine als richtige Form der Lektüre eingestufte allegorische Lesart der Aeneis zu präsentieren, sondern darauf, das klassische Modell zu ersetzen.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

5. NEUE FORMEN DER GEMEINSCHAFT I (BUCH 9,1,1–9,7,16) a) Neue Gemeinschaft Buch 9 handelt von den Ereignissen, die an die in Buch 8 dargestellte Bekehrung anschließen. In ihm wird die Wirkung dieser Bekehrung auf den Protagonisten Augustinus aufgezeigt. Die Gartenszene des 8. Buches kann noch nicht als der Zielpunkt des autobiographischen Rückblickes gelten, denn Augustinus lässt im 9. Buch noch wichtige Entwicklungen folgen, durch die der Prozess der Konversion erst zu seinem endgültigen Abschluss kommt. Das 9. Buch kann man als eine notwendige Vollendung der im 8. Buch vollzogenen Konversion des Willens ansehen. 1 Mit dem Gegensatz von cogitatus und actus beschreibt Augustinus die innere Umkehr des 8. Buches und deren äußeren Vollzug im 9. Buch, indem er seinen bisher ausgeübten Beruf eines Rhetors quittiert. 2 Folgende Gliederung des 9. Buchs, die aufgrund des für Augustinus charakteristischen assoziativen Gedankengangs nur nach übergeordneten Rahmenthemen erstellt werden kann, lässt sich feststellen: 9,1,1–9,2,4: 9,3,5–9,4,12: 9,5,13–9,7,16: 9,8,17–9,9,22: 9,10,23–9,10,25: 9,10,26 3–9,11,28: 9,12,29–9,12,33: 9,13,34–9,13,37:

Neuer Lebensmodus Cassiciacum Taufe in Mailand laudatio funebris Ekstase von Ostia Tod der Mutter Trauer um die Mutter Aufruf zum Gedenken an die verstorbenen Eltern

Das 9. Buch weist eine signifikante Anachronie 4 des Erzählgangs im Verhältnis zur chronologischen Abfolge der Ereignisse auf. Die kurze Erwähnung des Todes

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Vgl. Brachtendorf 2005, 189–201. 9,4,7: Et venit dies, quo etiam actu solverer a professione rhetorica, unde iam cogitatu solutus eram. Et factum est, eruisti linguam meam, unde iam erueras cor meum. Der Zusammenhang von Außen und Innen wird hier ausdrucksstark durch die Parallelisierung der Körperteile lingua und cor bezeichnet, die nach der primären Bedeutung der beiden Wörter als Körperteile naheliegt. Der stilistische Parallelismus wird zu einer inhaltlichen Kontrastierung, indem lingua als Werkzeug des Rhetors seine materielle Bedeutung behält, während cor jedoch metaphorisch für den inneren Menschen steht. Paragraph 26 nach der Mauriner-Ausgabe ist eindeutig dem Thema des Todes der Mutter zuzuordnen, wodurch sich die Einteilung nach Amerbach als nicht zutreffend erweist, die die Textpassage dem Abschnitt 10, der die Vision umfasst, und nicht dem Abschnitt 11 mit dem Tod der Mutter zuordnet. Zu der hier verwendeten narratologischen Terminologie vgl. Genette 32010, 18–26 (Anachronie), 39–47 (Prolepse). Die hier vorzufindenden Erscheinungen in der Erzählstruktur stehen durchaus in der Tradition antiken Erzählens, in der häufig die Herstellung von kausaler Verknüpfung den Erzählgang bestimmt, wofür eine Verletzung der zeitlichen Kontiniuität der

5. Neue Formen der Gemeinschaft I (Buch 9,1,1–9,7,16)

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der Mutter in 9,8,17 und der darauf folgende Nachruf, der sich an die mit dem Totengedenken verbundene, klassische Form einer laudatio funebris anlehnt, bilden eine erzählerische Prolepse zu der nachfolgenden gemeinsamen Vision von Ostia und der Schilderung der Ereignisse um den Tod der Mutter am Ende des Buches. Durch diese erzählerische Anordnung werden die Ereignisse um den Tod Monnicas und die Trauer um sie zum bedeutungsvollen Schlusspunkt der autobiographischen Betrachtung. Zunächst soll ein das gesamte 9. Buch durchziehender Kerngedanke eruiert werden. Ein bemerkenswerter Punkt für die Aufgabenstellung dieser Arbeit ist die neu gewonnene Gemeinschaft, die das 9. Buch kennzeichnet. Dies mag nicht der einzige zentrale Gedanke des Buches sein, jedoch scheint er von der Forschung bisher noch nicht gebührend berücksichtigt zu sein. 5 Das Thema der Gemeinschaft äußert sich in verschiedenen Punkten: In der Gruppe von Cassiciacum entsteht ein Wir-Gefühl, das sich in der in Buch 9 auffallend zahlreichen Benutzung der 1. Person Plural niederschlägt. Dies kann am Beispiel von quaerere deutlich aufgezeigt werden, einem Verbum, das in den Confessiones, die die Reflexion über den Weg zum richtigen Gottesverständnis wiedergeben, aufgrund seiner Bedeutung häufig und in wichtigen Gedankengängen begegnet. 6 Die 1. Person Singular Imperfekt quaerebam findet sich in den Büchern 1–8 17-mal (!), in Buch 9 jedoch kein einziges Mal mehr. In Buch 9 finden wir hingegen 2-mal die 1. Person Plural quaerebamus, eine Form, die ansonsten in den Confessiones nicht nachweisbar ist. Die Suche nach Gott wird jetzt zur Angelegenheit einer Gruppe. Augustins Entschluss zum Rückzug aus dem Rhetorenberuf (9,2,2) wird in den Entscheidungsrahmen der Gruppe von Cassiciacum eingefügt. Die persönliche Entscheidung über den eigenen Lebensweg wird zu einem consilium nostrum: et placuit mihi in conspectu tuo non tumultuose abripere, sed leniter subtrahere ministerium linguae meae nundinis loquacitatis, ne ulterius pueri meditantes non legem tuam, non pacem tuam, sed insanias mendaces et bella forensia mercarentur ex ore meo arma furori suo. et oportune iam paucissimi dies supererant ad vindemiales ferias, et statui tolerare illos, ut sollemniter abscederem et redemptus a te iam non redirem venalis.║ consilium ergo nostrum erat coram te, coram hominibus autem nisi nostris non erat et convenerat inter nos, ne pas-

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erzählten Zusammenhänge in Kauf genommen wird. Vgl. am Beispiel des Epos von Albrecht 2 1994, 68. Als weiterer Versuch, das 9. Buch unter ein Leitthema zu stellen, sei hier Hattrup 1998 angeführt, der das 9. Buch im Lichte der Vision von Ostia betrachtet und den Titel „Die Mystik von Cassiciacum und Ostia“ vorschlägt. Wenn auch die „Vision von Ostia“ zweifelsohne einen wichtigen Zielpunkt der Entwicklung Augustins darstellt, rückt die Forschung dennoch beim 9. Buch zu sehr dieses Ereignis in den Blickpunkt, während weitere wichtige Aspekte zurücktreten. Eingeführt wird der grundlegende Terminus bereits im Prolog (1,1,1): quaerentes enim inveniunt eum et invenientes laudabunt eum. quaeram te, domine, invocans te et invocem te credens in te.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones sim cuiquam effunderetur, quamquam tu nobis a convalle plorationis ascendentibus et can7 tantibus canticum graduum dederas sagittas (…).

Das Possessivpronomen nostrum kann nicht anders als in seiner primären Bedeutung als 1. Person Plural gelesen werden. Auch wenn Augustinus häufig über sich selbst in der 1. Person Plural spricht, so weisen die vorgenommenen Hervorhebungen deutlich darauf hin, dass es in diesem Kontext um eine als ein „wir“ aufgefasste Gruppe geht. Deshalb sind die Übersetzungen von Flasch / Mojsisch8 („Dies hatten wir vor dir beschlossen“) und Bernhart 9 („Dir lag offen unser Entschluß“), eindeutig der von Chiarini 10 („La mia decisione era nota a te“) vorzuziehen. Der Übergang von der persönlichen Überlegung zum gemeinschaftlichen Entschluss der Gruppe (9,2,2), der im zitierten Text durch einen doppelten Querbalken gekennzeichnet ist, wird durch die Markierung von Pronomina und Verbindungen in der 1. Person Singular und der 1. Person Plural differenzierend verdeutlicht. Auch die Gotteserfahrung vollzieht sich als ein Gemeinschaftserlebnis: sagittaveras tu cor nostrum caritate tua, et gestabamus verba tua transfixa visceribus et exempla servorum tuorum (9,2,3). Besonders stark ist das Bild, bei dem unter Einfügung eines Zitates aus Ps 67,7 die Gruppe von Cassiciacum als ein „Haus der Einträchtigen“ aufgefasst wird, denen Gott auch Evodius beigesellt: «qui habitare facis unanimes in domo», consociasti nobis et Evodium (9,8,17). Das Gefühl der Zusammengehörigkeit betont Augustinus im Folgenden auch durch die Wiederholung des Adverbs simul: simul eramus simul habitaturi placito sancto (9,8,17). Äußerst wichtig in diesem Zusammenhang ist die durch die Taufe entstehende Gemeinschaft: qui ante dormitionem eius in te iam consociati vivebamus percepta gratia baptismi tui (9,9,22). Die Gruppe bezeichnet er als mei, 11 wobei das Possessivpronomen in nominaler Verwendung gewöhnlich zur Bezeichnung von Familienangehörigen gebraucht wird und somit eine enge Verbundenheit ausdrückt. Eine neue Form des Umgangs zwischen den Personen steht auch bei den Darstellungen und Reflexionen zu Monnica im Mittelpunkt. In der laudatio funebris stehen soziale Tugenden Monnicas im Vordergrund. Ihre Funktion für die gesam7

9,2,2: „Ich beschloss in deinem Anblick, den Dienst meiner Zunge nicht lärmend dem Markt der Geschwätzigkeit zu entreißen, sondern sanft zu entziehen, damit nicht weiterhin Jungen, die nicht auf dein Gesetz, nicht auf deinen Frieden sinnen, sondern auf lügnerische Tollheiten und auf Kriege bei Gerichtsverhandlungen, aus meinem Munde die Waffen für ihre Rasereien kaufen könnten. Es kam gelegen, dass es nur noch sehr wenige Tage bis zu den Ferien der Weinlese waren, und ich beschloss, diese zu ertragen, um unter Beachtung der Förmlichkeiten abzutreten und von dir freigekauft nicht mehr zurückzukehren und käuflich zu sein. Unser Entschluss fiel jedoch vor dir und vor niemandem außer unseren Leuten. Wir hatten unter uns vereinbart, dass er nicht überall bei einem jeden verbreitet werden sollte, obwohl du uns, die wir aus dem Tal der Tränen aufstiegen und den Stufengesang ertönen ließen, Pfeile gegeben hattest (…).“ 8 2003, 224. 9 1987, 425. 10 32001, 109. 11 9,4,7: benedicebam tibi gaudens profectus in villam cum meis omnibus.

5. Neue Formen der Gemeinschaft I (Buch 9,1,1–9,7,16)

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te Cassiciacum-Gruppe ist der Zielpunkt des biographischen Nachrufs. 12 Ebenso steht die Vision von Ostia im Zeichen einer neuen Vorstellung von Interpersonalität. Augustinus und Monnica erleben ein gemeinsames ekstatisches Erlebnis. 13 In diesem Kontext ist auch der Schluss des 9. Buches zu betrachten. Erst die Form eines gemeinsamen Trauerns überwindet persönliches Leid. 14 Augustinus ruft seine Leser zu gemeinschaftlichem Gedenken an seine verstorbenen Eltern auf. In diesem Zusammenhang erklärt sich eine weitere Auffälligkeit. Erst hier findet sich die Nennung der Namen von Adeodatus (9,6,14) und Monnica (9,13,37): Jetzt wird auf den Menschen geachtet, nicht mehr auf die auf der fleischlichen oder gesellschaftlichen Bindung beruhende Funktion. Es findet nun eine Identifizierung der Figuren über die in einer außerfamiliären Gruppe verwendete Bezeichnung, den Namen, statt. 15 Die Spiegelung der Ereignisse um den Protagonisten in anderen Figuren demonstriert, dass gemeinsame Erfahrungen die Grundlage der Gemeinschaft von Cassiciacum bilden. Nach dem eigenen stellt Augustinus auch die Konversionserlebnisse anderer Menschen in seinem persönlichen Umfeld dar: Verecundus (9,3,5); Nebridius (9,3,6); Alypius (9,4,7); Evodius (9,8,17). Das Konversionserlebnis und das Wirken der Gnade Gottes, die in Buch 8 als individuelles Erlebnis Augustins dargestellt worden ist, werden verallgemeinert, so dass sich am Wirken Gottes an Augustinus das Wirken Gottes am Menschen allgemein zeigt. 16 Neben der Konversion bildet die Taufe das wichtigste einende Band. Viele Mitglieder der Gruppe erfahren die Aufnahme in die Gemeinschaft der Kirche durch die Taufe. Unter ihnen ragt Adeodatus heraus, an dessen Beispiel die Gemeinschaft stiftende Wirkung der Taufe ausgeführt wird. 17 b) Mutter-Sohn-Linie Bereits im ersten Satz des 9. Buches wird auf Monnica angespielt. Das 9. Buch beginnt mit einem Lobpreis auf Gott in Form eines Zitates von Ps 115,16–17. Durch die Identifikation des eigenen Ich mit dem des Psalmbeters im Bibeltext lässt Augustinus sein Denken und das Wort der Bibel eins werden. «o domine, ego servus tuus, ego servus tuus et filius ancillae tuae. dirupisti vincula mea; tibi sacrificabo hostiam laudis». 18

12 13 14 15 16 17 18

S. Kap. III.6. S. Kap. III.7.a. Im Gegensatz zur allein vollzogenen Trauer um den Freund in Buch 4. S. Kap. III.4.b.α. S. 270–271. S. Kap. III.5.c. S. 205–212. 9,1,1: „O Herr, ich bin dein Diener, ich dein Diener und der Sohn deiner Magd, Du hast meine Fesseln zerbrochen; ich werde dir ein Dankopfer darbringen.“

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

Durch die Einfügung des Bibelzitates, das eine autoreferentielle Aussage des Psalmbeters beinhaltet (ego), in den Kontext der Confessiones, in dem es zur Aussage des Erzählers Augustinus wird, entstehen Ambivalenzen. Dies gilt hier für die Selbstcharakterisierung als filius ancillae tuae, die ihre Bedeutung einerseits als Aussage des Erzählers der Confessiones, andererseits als Aussage des Psalmbeters im Praetext, aus dem zitiert wird, entwickelt. Dass man in den Confessiones vom Mitklingen einer in der exegetischen Tradition begründeten Bedeutung der Bibelzitate ausgehen kann, hat Georg Nicolaus Knauer eindrücklich an den Psalmenzitaten nachgewiesen. 19 Das reiche exegetische Werk Augustins bietet sich an, mögliche intendierte Deutungen zu eruieren. Wenn an anderen Textstellen des augustinischen Werkes vorgenommene exegetische Deutungen mit Inhalten der Confessiones übereinstimmen, ist ein solches Vorgehen methodisch naheliegend. So eröffnet filius ancillae tuae zwei Möglichkeiten der Deutungen: Der Leser identifiziert die ancilla zuerst mit der Mutter, die im unmittelbar vorangehenden Text am Abschluss von Buch 8 eine bedeutende Rolle einnimmt und deren Funktion für Gott dort unterstrichen worden ist. Diese Bedeutung liegt darüber hinaus auch dadurch nahe, dass eine Selbstbezeichnung als filius ancillae tuae mit Bezug auf Monnica bereits in Buch 2 20 und in Buch 5 21 erfolgt ist. Mit diesem Lob im ersten Satz des 9. Buches wird bereits die zentrale Stellung der Mutter in diesem Buch angedeutet. Monnica wird an einer die Lesererwartung steuernden Stelle eine große Bedeutung im Dank beigemessen. Ihre wichtige Rolle wird ferner dadurch betont, dass die Identifikation Monnicas als „deine (Gottes) Dienerin“ sowohl im ersten als auch im letzten Abschnitt des 9. Buches begegnet: fundo tibi, deus noster, pro illa famula tua longe aliud lacrimarum genus (9,13,34) sowie kurz später meminerint ad altare tuum Monnicae, famulae tuae (9,13,37). Im 9. Buch finden sich weitere Stellen, an denen sie mit dem Attribut einer Magd Gottes identifiziert wird: ibi mea mater, ancilla tua, sollicitudinis et vigiliarum primas tenens, orationibus vivebat

19 Vgl. Knauer 1955, 121–132; 162–176. Bei einer exemplarischen Untersuchung zum Prooemium (121–132) kommt er zu dem Schluss, dass „Augustin beabsichtigte, auch in den Zitaten im Prooemium der Konfessionen die zugehörige Interpretation mitklingen zu lassen“ (131). Knauer stellt auch Anspielungen von Augustinus auf die Tradition der Exegese fest (162– 176), wobei „einzelne Psalmverse ihre eigene exegetische oder historische Bedeutung in der Kirchengeschichte besitzen. Werden solche Psalmverse in den Konfessionen zitiert, so sind sie dort nur aus ihrer historischen Gebundenheit heraus zu verstehen: als ‚argumentum ex scriptura‘ charakterisieren sie den betreffenden Zusammenhang“ (176). Es darf als ein für Augustinus charakteristisches Verfahren gelten, Deutungen implizit vorauszusetzen und sie nicht mehr eigens zu erwähnen. Ein Beispiel aus einem anderen Werk findet sich in doctr. chr. 3,25,36,80. Vgl. Pollmann 2002, 240–241. 20 2,3,7: illi (sc. monitus) autem tui erant, et nesciebam et te tacere putabam atque illam loqui, per quam mihi tu non tacebas, et in illa contemnebaris a me, a me, filio eius, filio «ancillae tuae», servo tuo. 21 5,10,18: recreasti ergo me ab illa aegritudine et salvum fecisti filium «ancillae tuae».

5. Neue Formen der Gemeinschaft I (Buch 9,1,1–9,7,16)

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(9,7,15), ferner reducebam in pristinum sensum ancillam tuam (9,12,33) 22. Als famula tua wird Monnica auch in der laudatio funebris bezeichnet. 23 Gleichzeitig wird durch dieses Psalmenzitat eine weitere Bedeutung des filius ancillae tuae eröffnet, wenn man seine Auslegung mit der Methode der allegorischen Exegese berücksichtigt, wie sie Augustinus in en. Ps. 115,6 durchführt. 24 In einer Deutung des Ps 115 interpretiert Augustinus die ancilla allegorisch als Kirche: multi se martyres dicunt, multi servos tuos, quia nomen tuum habent in variis haeresibus et 25 erroribus; sed quia praeter ecclesiam tuam sunt, non sunt filii ancillae tuae.

Die im gesamten autobiographischen Teil der Confessiones wachgerufene und am Ende des 9. Buchs im Gebet thematisierte Substitution des auf Leiblichkeit gründenden Mutter-Sohn-Verhältnisses durch die spirituelle Einordnung unter die Mutter Kirche wird auch hier im ersten Satz des 9. Buches vorbereitet. Monnica steht im gesamten 9. Buch an zentraler Stelle. Einerseits wird das zwischenmenschliche Verhältnis zwischen Augustinus und Monnica so bestimmt, dass ein Gottesbezug in der interpersonellen Beziehung hergestellt ist, andererseits wird auch auf die mater ecclesia aller Gläubigen verwiesen. Die Abschnitte 9,3,5–9,4,12 sind dem Rückzug nach Cassiciacum gewidmet. Im Rückblick auf die Zeit auf dem Landgut von Cassiciacum wird auch Monnicas Rolle innerhalb der Gruppe dargestellt: quas tibi, deus meus, voces dedi, cum legerem psalmos David, cantica fidelia, sonos pietatis excludentes turgidum spiritum, rudis in germano amore tuo, catechumenus in villa cum catechumeno Alypio feriatus, matre adhaerente nobis muliebri habitu, virili fide, anili securitate, 26 materna caritate, christiana pietate! 22 Vgl. O’Donnell 1992, III, 73. 23 9,8,17: sed non praeteribo quidquid mihi anima parturit de illa famula tua, quae me parturivit et carne, ut in hanc temporalem, et corde, ut in aeternam lucem nascerer. Augustinus verwendet unterschiedliche Termini der Knechtschaft bedeutungsgleich. Den synonymen Gebrauch von servus und famulus zeigt Zumkeller 1991, 438 auf. Die Begriffe des Wortfeldes um servi Christi / dei verwendet Augustinus, wie Zumkeller 1991 nachweist, einerseits für die Christen allgemein, andererseits in besonderer Häufigkeit für Menschen, die ihr Leben in vorbildhafter Weise als Jungfrauen oder als Mitglieder einer klösterlichen Gemeinschaft in den Dienst Gottes gestellt haben. Vgl. Zumkeller 1991, 438; 440 zur Verwendung des Wortfeldes zur Bezeichnung für Personen der christlichen Vergangenheit und Gegenwart. Nach Garnsey 1997, 107 wird Dienerschaft zu einer positiv besetzten Metapher, die die Anforderungen und Belohnungen der christlichen Jüngerschaft zum Ausdruck bringt. 24 Vgl. Zumkeller 1991, 439; O’Donnell 1992, III, 73. 25 En. Ps. 115,6: „Viele nennen sich Märtyrer, viele deine Diener, weil sie deinen Namen in vielen Sekten und Irrlehren verwenden; aber weil sie außerhalb deiner Kirche sind, sind sie keine Söhne deiner Magd.“ Weitere Stellen bei Augustinus, an denen die ecclesia als ancilla dei aufgefasst wird, finden sich in en. Ps. 15,9; 85,22; 122,5. Vgl. Zumkeller 1991, 439. 26 9,4,8: „Welche Rufe an dich, mein Gott, habe ich von mir gegeben, als ich die Psalmen Davids las, Gesänge der Treue, Klänge der Frömmigkeit, die den Geist des Hochmuts ausschließen! Ich war damals noch unerfahren in der wahren Liebe zu dir. Als Taufbewerber verweilte ich frei von der Arbeit auf dem Landgut mit Alypius, der ebenfalls Taufbewerber war. Meine Mutter hat sich uns angeschlossen. Sie war weiblich in ihrem Verhalten, männlich in ihrem

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

Besonders in dieser Passage ist eine Komponente intertextueller Anspielungen auf das eigene Werk zu bedenken. Augustinus reflektiert in diesem Abschnitt über die Zeit in Cassiciacum, in der auch die Frühdialoge entstanden sind. Diesen Werken lässt er jedoch erstaunlich wenig Aufmerksamkeit zukommen, denn er wittert in ihnen noch die ‚Schule des Hochmuts‘ (superbiae schola), die Rhetorik. 27 Einen größeren Platz räumt er dahingegen den in dieselbe Zeit zu datierenden Psalmenmeditationen ein, wobei er diese sowohl explizit thematisiert als auch auf kunstvolle Weise in seinen Text integriert, indem er den Psalm 4 durch Zitate dem gesamten Abschnitt von 9,4,8–9,4,12 zugrunde legt. 28 Augustinus muss jedoch davon ausgehen, dass die Frühdialoge in der Leserschaft bekannt sind und ein Leser die Darstellung in den Confessiones mit dem Inhalt der Dialoge abgleicht. Monnicas Charakterisierung in den Confessiones korrespondiert deshalb mit ihrer Präsentation in den Dialogen. 29 Dort erscheint sie als eine Person, die das geistige Vermögen besitzt, wichtige Fragen zu stellen und Antworten zu geben, ohne in die Lehren der philosophischen Schulen eingewiesen zu sein. Eine gewichtige Rolle spielt Monnica im Dialog De beata vita, der kurz betrachtet werden soll. Die Frage, wer denn glücklich genannt werden könne (beata v. 2,10), führt zu der Antwort, dass dies nur für den zutreffe, der das, was er wolle, auch habe. Die Dialogfigur Augustinus gibt daraufhin zu bedenken, ob jeder, der habe, was er wolle, auch glücklich sei. Hierauf antwortet Monnica mit der Einschränkung, nur derjenige könne glücklich genannt werden, der das Gute wolle. Diese Antwort nimmt Augustinus mit großem persönlichem Wohlwollen auf (cui ego arridens atque gestiens). Er attestiert ihr, mit dieser Aussage die arx philosophiae eingenommen zu haben. Sie habe hiermit dieselbe Erkenntnis ausgesprochen, wie sie in Ciceros Hortensius belegt sei, sie ermangle lediglich einer gelehrten Ausdrucksweise. 30 Auch wenn somit Augustinus Monnica als Frau uneingeschränkte Erkenntnisfähigkeit beimisst, kommt er nicht umhin, gemäß den zeitgenössischen Geschlechterbildern, eine solche geistige Regsamkeit als eine als männlich qualifizierte Ei-

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Glauben, eine ältere Frau in ihrer Gemütsruhe. Sie verfügte über mütterliche Liebe und christliche Frömmigkeit!“ Vgl. van Kempen-van Dijk 1978, 48. Der gesamte Textabschnitt (9,4,7), in dem Augustinus mit einem zeitlichen Abstand von etwa 14 Jahren über die Frühschriften urteilt, ‚die noch nach der Schule des Hochmuts schnauben‘: benedicebam tibi gaudens profectus in villam cum meis omnibus. ibi quid egerim in litteris iam quidem servientibus tibi, sed adhuc superbiae scholam tamquam in pausatione anhelantibus testantur libri disputati cum praesentibus et cum ipso me solo coram te; quae autem cum absente Nebridio, testantur epistulae. Augustinus muss demnach bereits zur Abfassungszeit der Confessiones um 400 eine vergleichbar distanzierte Haltung eingenommen haben, wie er sie in den Retractationes 426 / 427 unter Verwendung einer ähnlichen Bildlichkeit zum Ausdruck bringen: Sed adhuc saecularium litterarum inflatus consuetudine scripsi (retr. 1 prol. 3). Vgl. O’Donnell, III, 91–94. Zu ihrer intellektuellen „Männlichkeit“ vgl. van Kempen-van Dijk 1978, 106–107. Zur „Reife“ vgl. ord. 2,45: tibi tamen, cuius ingenium cotidie mihi novum est et cuius animum vel aetate vel admirabili temperantia remotissimum ab omnibus nugis et magna labe corporis emergentem in se multum surrexisse cognosco. Nam tibi procul dubio verba defuerunt, ut non sicut Tullius te modo panderes (beata v. 2,10).

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genschaft aufzufassen. Augustinus beschreibt Monnicas Reaktion auf das Hortensius-Zitat: In quibus verbis illa sic exclamabat, ut obliti penitus sexus eius magnum aliquem virum considere nobiscum crederemus me interim, quantum poteram, intelligente, ex quo illa et quam divino fonte manarent. 31

In diesem kurzen Abschnitt wird der Widerspruch zwischen dem theoretischen Postulat der Gleichheit und der Anerkennung traditionellen Gedankenguts augenfällig. An einer späteren Stelle in De beata vita kontrastieren ihre von der Dialogfigur Augustinus lobend hervorgehobenen Gesprächsbeiträge vordergründig mit ihrer Bitte um Aufklärung, wer denn „diese Akademiker“ (isti Academici) seien (beata v. 2,16). Das Distanz anzeigende isti unterstreicht die Charakterisierung Monnicas als im positiven Sinne naiv und unverbildet. Monnicas Einschätzung dieser Philosophen als caducarii beurteilt der Gesprächspartner Augustinus als ungeschliffen im Ausdruck, aber treffend im Inhalt (sermone vulgari quidem et male Latino, sed aptissimo sane; beata v. 3,20). Bei dieser Relativierung des Sprachstils zugunsten eines wichtigen Inhalts klingt bereits die augustinische Aufwertung des sermo humilis in doctr. chr. 4, 34–58 an. 32 Augustinus sieht die als bemerkenswert beurteilten Erkenntnisse Monnicas, die keinen Zugang zu den philosophischen Schullehren (doctrinae) hat, in ihrem auf Gott ausrichteten Geist (animus adtentissimus in deum) begründet. 33 Die Figur der Monnica wird jedoch gleichzeitig dem Kontext der Cassiciacum-Dialoge entfremdet, indem sie in einen Zusammenhang mit den Psalmenmeditationen gestellt wird, auf die Augustinus im Rückblick größeren Wert legt. Dasselbe gilt für Alypius. 34 Das wiederholte quas tibi voces dedi / dabam umrahmt die Charakterisierung der Mutter. Die Attribute, die die Psalmen charakterisieren (psalmos David, cantica fidelia, sonos pietatis excludentes turgidum spiritum), heben diese von den oben beschriebenen Frühdialogen ab, zu denen er aus der Retrospektive Distanz empfindet. 35 Einerseits wird die Figur der 31 beata v. 2,10: „Auf diese Worte äußerte sie einen so lauten Ausruf der Zustimmung, dass wir gänzlich ihr Geschlecht vergessen und glauben hätten können, bei uns säße irgendein großer Mann, während ich, so gut ich konnte, zu begreifen versuchte, aus welchem und welch göttlichem Quell diese Worte flossen.“ Die Aussagen Monnicas entfließen nach dem Urteil des Erzählers sogar einem divinus fons. 32 Zu Augustins Bedeutung in der historischen Entwicklung des literarischen Stils vgl. Auerbach 1941. 33 Die gesamte Textstelle: Ubi cum omnes mirando exclamassent me ipso etiam non mediocriter alacri atque laeto, quod ab ea potissimum dictum esset, quod pro magno de philosophorum libris atque ultimum proferre paraveram: Videtisne, inquam, aliud esse multas variasque doctrinas, aliud animum adtentissimum in deum? 34 Vgl. van Kempen-van Dijk 1978, 48, wo jedoch keine Schlussfolgerungen aus dieser Feststellung gezogen werden. 35 In litteris iam quidem servientibus tibi, sed adhuc superbiae scholam tamquam in pausatione anhelantibus Bei der Beschreibung der litterae in Form zweier nacheinander geordneter Participia coniuncta ist selbst die erste, positive Wertung durch das iam quidem („zwar schon“) bereits stark eingeschränkt.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

Mutter unter Berücksichtigung ihrer Darstellung in den Cassiciacum-Dialogen charakterisiert, durch die Neukontextualisierung jedoch auch diesen Werken entfremdet. Die Aufmerksamkeit soll mehr auf Monnica als Figur in den Dialogen gelenkt werden als auf die Dialoge selbst. Eine vergleichbare Veränderung in der Darstellung der Ereignisse von 386 liegt vor, wenn Augustinus in der Gartenszene des 8. Buches der Confessiones aufgrund gewandelter theologischer Ansichten seine Konversion als Folge des göttlich inspirierten tolle-lege-Erlebnisses schildert, während die Beschreibung eines solchen Ereignisses in den frühen Schriften mit autobiographischem Gehalt gänzlich fehlt. 36 Das Verhalten der Mutter ist rollenübergreifend definiert: Sie ist weiblich im Verhalten (muliebri habitu), männlich im Glauben, (virili fide), von gereifter Weiblichkeit in der Freiheit von Sorgen (anili securitate), mütterlich in der Liebe (materna caritate) und christlich in der Frömmigkeit (christiana pietate). Ihre Charaktereigenschaft der virilis fides definiert sich unter Abstrahierung von auf Leiblichkeit basierenden Zuschreibungen. Sie erfüllt eine Rollenerwartung, die an eine bestimmte Personengruppe gebunden ist. Sie nimmt, mit der einzigen Ausnahme der christiana pietas, Funktionen ein, die über eine Rolle definiert sind, tut dies jedoch im Falle der virilis fides unabhängig von der geschlechtlich definierten Personengruppe, an die eine solche Rolle gekoppelt ist. Auch ihre mütterlichen Eigenschaften sind nicht mehr auf ihre leiblichen Mutterbeziehungen zu ihrem Sohn Augustinus beschränkt. Ihre mütterliche Liebe bezieht sich auf die gesamte Gemeinschaft in Cassiciacum. Die als materna bezeichnete caritas wird von der Zuneigung einer leiblichen Mutter getrennt. Dieselbe Trennung vollzieht Augustinus etwas später in Buch 9, wenn Monnicas fiducia gegenüber seinen Freunden in der laudatio funebris als materna qualifiziert wird. Ebenso kommt ihr hier als Frau die nach ihrer etymologischen Herleitung „Männlichkeit“ bezeichnende virtus zu: audivi etiam postea, quod iam, cum Ostiis essemus, cum quibusdam amicis meis materna fiducia conloquebatur quodam die de contemptu vitae huius et bono mortis, ubi ipse non 37 aderam, illisque stupentibus virtutem feminae.

Die vom Erzähler an dieser Stelle angeführten Themen dieser Gespräche, die Geringschätzung des diesseitigen Lebens und das Gut des Todes, verweisen schon auf das Ende des 9. Buches und die Einstellungen, die Monnica dort vertreten wird. Monnica erweist sich auch in einer dramatisch zugespitzten Krisensituation als vorbildhafte Christin. Sie spielt eine bedeutende Rolle bei dem von Ambrosius angeführten Widerstand gegen den Arianismus, der in der Verteidigung einer Mailänder Kirche eskaliert: excubabat pia plebs in ecclesia mori parata cum episcopo suo, servo tuo. ibi mea mater, an38 cilla tua, sollicitudinis et vigiliarum primas tenens, orationibus vivebat. 36 Vgl. Horn 1995, 24–26. 37 9,11,28: „Ich hörte auch später, dass sie, als wir bereits in Ostia waren, sich mit einigen meiner Freunde in mütterlichem Vertrauen an einem bestimmten Tag in meiner Abwesenheit über die Geringschätzung des diesseitigen Lebens und über das Gut des Todes unterhielt, wobei jene über die Kraft dieser Frau staunten.“

5. Neue Formen der Gemeinschaft I (Buch 9,1,1–9,7,16)

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Monnica zeigt eine erhabene Haltung gegenüber der irdischen Existenz, da sie zu der Menge gehört, die zu sterben bereit ist und in der sie eine herausragende Rolle einnimmt (sollicitudinis et vigiliarum primas tenens). Wie in früheren Passagen werden auch hier ihre Gebete betont, die in der Situation äußerster Härte sogar ihr Überleben sichern. Augustinus ist auch in dieser Passage daran gelegen, von der Bestimmung Monnicas als Mutter unmittelbar auf eine Charakterisierung in Bezug auf Gott überzuleiten: mea mater, ancilla tua. Durch die Stellung der Personalpronomina im Chiasmus erhält die Reihung Prägnanz. c) Vater-Sohn-Linie Nebridius: Auch die Vorstellung vom Verhältnis zwischen Gott und dem Menschen als einem Vater-Sohn-Verhältnis kommt im 9. Buch zum Tragen. Dem zur Gruppe der Konvertiten gehörenden Nebridius widmet Augustinus einen kurzen Nachruf. Um den ins Himmelreich Eingegangenen nach seiner Lösung von der Leiblichkeit zu beschreiben, benutzt Augustinus Metaphern aus dem Bildfeld der Generationenbeziehungen: quem (sc. Nebridium) non multo post conversionem nostram et regenerationem per baptismum tuum ipsum etiam fidelem catholicum castitate perfecta atque continentia tibi servientem in Africa apud suos, cum tota domus eius per eum christiana facta esset, carne solvisti. Et nunc ille «vivit in sinu Abraham» (Lc 16,22). quidquid illud est, quod illo significatur sinu, ibi Nebridius meus vivit, dulcis amicus meus, tuus autem, domine, adoptivus ex liberto filius: ibi vivit. nam quis alius tali animae locus? ibi vivit, unde me multa interrogabat homuncionem inexpertum. iam non ponit aurem ad os meum, sed spiritale os ad fontem tuum et bibit, quantum potest, sapientiam pro aviditate sua sine fine felix. 39

Die Metaphorik der Generationenbeziehung wird bereits mit der Auffassung einer von der Taufe bewirkten regeneratio eingeleitet. Diese Vorstellung von einer geistigen Zeugung für das ewige Leben leitet die folgende Darstellung des verstorbenen Nebridius im ewigen Leben ein und ist der erste Hinweis auf eine auf der spirituellen Ebene bestimmte Form des Lebens. Der Zustand nach dem Sterben und der Loslösung von der Leiblichkeit (carne solvisti) wird als „Leben“ 38 9,7,15: „Das fromme Volk übernachtete in der Kirche und war bereit, mit seinem Bischof, deinem Diener, zu sterben. Dort gehörte meine Mutter, deine Magd, zu den Vordersten bei den angstvollen Nachtwachen und lebte dem Gebet.“ 39 9,3,6: „Nicht lange nach unserer Bekehrung und Wiedergeburt durch deine Taufe hast du ihn – er selbst diente dir als ein treuer Katholik von vollendeter Keuschheit und Selbstbeherrschung in Afrika bei seiner Familie – von seinem Leib erlöst, nachdem sein ganzes Haus durch ihn christlich geworden war. Nun lebt er im Schoße Abrahams. Was auch immer es bedeutet, was mit diesem Schoß bezeichnet wird, dort lebt mein Nebridius. Für mich ist er ein angenehmer Freund, für dich aber ist er von einem Freigelassenen zu einem Adoptivsohn geworden. Dort lebt er. Welchen anderen Ort gäbe es nämlich für eine solche Seele? Dort lebt er, worüber er mir, einem unerfahrenen kleinen Männlein, immer wieder Fragen stellte. Er legt nicht mehr sein Ohr an meinen Mund, sondern seinen geistigen Mund an deinen Quell und trinkt Weisheit, soviel er kann, entsprechend seinem Durst und ist ohne Ende glücklich.“ Zu Nebridius s. auch 27.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

(vivit) bezeichnet. Die Darstellung dieses Lebens im Jenseits wird unter Benutzung von Begriffen aus dem Bedeutungsfeld des Vater-Sohn-Verhältnisses ausgeführt. Er lebt im Schoß des (Vaters) Abraham (vivit in sinu Abraham). Mit diesem Zitat aus Lc 16,22 evoziert Augustinus ein biblisches Bild. In der Geschichte vom reichen Prasser und Lazarus in Lc 16, aus der Augustinus zitiert, wird Abraham als Vater dargestellt, der vom Prasser in der Unterwelt als „Vater“ angesprochen wird und der seinerseits diesen als „Sohn“ bezeichnet. Hier wird das familiäre Bild eines Sohnes im Schoße seines Vaters wachgerufen. Das Bild vom Schoß Abrahams verweist auf Gott als Vater. 40 Die biblische Figur Abrahams ist in besonderem Maße mit Vaterattributen versehen. Auch über diese Stelle im Lukasevangelium hinaus wird Abraham als Vater der Christusgläubigen, diese filii Abrahae wiederum als sein Samen, semen Abrahae, aufgefasst. Das die spirituelle Sohnschaft konstituierende Moment ist die imitatio der fides Abrahams. 41 Augustinus nimmt im Folgenden auch die theologische Vorstellung der Beziehung von Gott zu den Gläubigen als eine durch die Taufe gestiftete Adoptivvaterschaft auf (tuus autem, domine, adoptivus ex liberto filius). Das Bild vom Gläubigen als Adoptivsohn begegnet in den Confessiones nicht nur an dieser Stelle im 9. Buch. Am Ende von Buch 10 schreibt Augustinus über Christus: faciens tibi nos de servis filios de te nascendo, nobis serviendo (10,33,69). Die Vorstellung des Gläubigen, der von Gott adoptiert wird, begegnet bei Augustinus wiederholt. 42 Das Moment, das diese spirituelle Kindschaft begründet, ist der Glaube. 43 Werden die Menschen durch den Sohn Gottes erlöst, sind sie nicht mehr Sklaven, sondern Söhne Gottes. 44 Wenn in diesem Satz von einem libertus gesprochen wird, entstammt diese Bezeichnung der Metaphorik einer negativ konnotierten Dienerschaft, die eine

40 Zu Rezeption des Bilds von ‚Abrahams Schoß‘ bei Augustinus vgl. Mayer 1986–1994c, 31– 32, der allgemein zu dieser Metapher bei Augustinus feststellt, dass mit ihr die endzeitliche Geborgenheit in Gott ausgedrückt werde. 41 Vgl. Mayer 1986–1994c, 14–17 zu Augustins Deutungen des semen Abrahae. Einschlägige Werke sind Augustins um 394 / 395 entstandene Kommentare zum Römer- sowie zum Galaterbrief (z.B. exp. Gal. 23). Vgl. auch Zumkeller 1991, 439–440 mit Verweis auf en. Ps. 104,34 (ubi intellegendum est dei servos et electos filios promissionis, verum et germanum semen Abrahae, imitantes fidem Abrahae). Eine weitere Stelle findet sich in c. Adim. 5: filios Abrahae nos vocat apostolus, quod eius fidem imitamur; vgl. Mayer 1986–1994c, 14. Als Vatergestalt erscheint Abraham auch in der Geschichte von der Opferung seines Sohnes Isaak. 42 Vgl. Fuhrer / Drecoll 2004, 14–15. 43 Vgl. Fuhrer / Drecoll 2004, 14 mit Verweis auf die diesbezüglichen Stellen im Gesamtwerk Augustins (ep. 186,32; loc. 5,78; qu. 1,3). Die einschlägige Bibelstelle ist Io 1,12–13: „Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut, nicht aus dem Willen des Fleisches, nicht aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind.“ Adoptivsohn wird der Gläubige durch Teilhabe an der Weisheit Gottes (exp. Gal. 27: per fidem induendo Christum omnes fiunt filii non natura, sicut unicus filius, qui etiam sapientia dei est […] sed filii fiunt participatione sapientiae). S. Kap. III.1.b.β. 44 Neben der oben angeführten Stelle aus den Confessiones ferner Io. ev. tr. 11,4.

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Unterordnung unter die Sünde impliziert. 45 Diese Auffassung unterscheidet sich von einer positiven Untertanenmetaphorik, die eine gläubige Dienerschaft gegenüber Gott bedeutet. 46 Es liegt hier somit nicht der ansonsten häufig positiv konnotierte servitus-Begriff eines servus dei vor wie beispielsweise in 9,1,1. 47 Die Menschen sind im Gegensatz zu Christus, der durch seine natura Sohn Gottes ist, nur Adoptivsöhne, nachdem sie durch die gratia und von Christus freigekauft worden sind. 48 Die Bibelpassage, die diesem Bild zugrunde liegt, findet sich in Gal 4,5.49 Ein Blick auf die Exegese dieser Bibelstelle, die Augustinus in den Jahren 394– 395 in seiner Expositio Epistulae ad Galatas vorgenommen hat, weist einen Weg, die vorliegende Textstelle in den Confessiones zu erklären, der von der Forschung bisher ignoriert wurde. Die uns interessierende Stelle findet sich in exp. Gal. 30. Die Adoption durch Gott (ut adoptionem filiorum accipiamus) wird in dem Bibelvers mit der Erlösung, dem Freikauf (ut eos redimeret), verbunden. Die Erlösung wird von Augustinus als eine Befreiung gedeutet (ad liberandum eum populum pertinet). 50 In der vorliegenden Passage der Confessiones erscheint der Christ in der Welt als libertus. 51 Dem Status als adoptierter Sohn Gottes im Eschaton geht im diesseitigen Leben eine Abstufung von servus und libertus voraus. Damit hat er die eben dargestellte nur zögerliche Entwicklung des Nebridius zum Glauben in eine diesen Vorgang auf passende Weise wiedergebende theologische Metaphorik gefasst. Nebridius wird als zunächst kritisch, wenn auch interessiert am christlichen Glauben dargestellt. Stilistisch sehr ansprechend beschreibt Augustinus seine Entwicklung zum Christen. Man bedenke hier besonders die korrespondierend angeordnete Kontrastierung des „in die Grube des Irrtums Gefallenen“ und des „wieder Aufsteigenden“:

45 Vgl. Pizzolato 32001b, 317. Die Gläubigen sind von Christus der Sklaverei der Sünde entrissen worden. Vgl. Zumkeller 1991, 437–438 mit Verweis auf die einschlägigen Stellen im Neuen Testament. 46 Diese beiden gegensätzlichen Verwendungsweisen des Metaphernfeldes stellt Garnsey 1997, 120 heraus. Weniger sensibel für die Ambivalenz des Bildes Zumkeller 1991, 437. 47 Beziehungsweise der ancilla tua, als die Monnica in diesem Textabschnitt bezeichnet wird. 48 Diese Vorstellungen können verbunden werden mit der Aussage aus Rm 8, dass der Gläubige durch den Heiligen Geist Kind Gottes ist. Vgl. Fuhrer / Drecoll 2004, 14–15 mit Verweis auf die einschlägigen Textstellen im Werk Augustins. 49 Vgl. Fuhrer / Drecoll 2004, 14. 50 Die gesamte Textstelle aus exp. Gal. 30: «ut adoptionem», inquit, «filiorum recipiamus». adoptionem propterea dicit ut distincte intelligamus unicum dei filium. nos enim beneficio et dignatione misericordiae eius filii dei sumus, ille natura est filius, qui hoc est quod pater. nec dixit: accipiamus sed: «recipiamus», ut significaret hoc nos amisisse in Adam, ex quo mortales sumus. hoc ergo quod ait: «ut eos, qui sub lege erant, redimeret», et ad liberandum eum populum pertinet, qui parvulus sub paedagogo serviebat, et refertur ad id, quod dixit: «factum sub lege». 51 Vgl. Gibb / Montgomery 21927, 238; O’Donnell 1992, III, 83; Augustinus selbst als den libertus zu deuten und Nebridius seinen spirituellen Sohn, besitzt nur geringe Wahrscheinlichkeit, da Augustinus sich selbst nie als libertus bezeichnet bzw. auch nicht von eigenen spirituellen Söhnen schreibt. Vgl. ferner Pizzolato 32001b, 317.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones quamvis enim et ipse nondum christianus in illam foveam perniciosissimi erroris inciderat, ut veritatis filii tui carnem phantasma crederet, tamen inde emergens sic sibi erat, nondum 52 imbutus ullis ecclesiae tuae sacramentis, sed inquisitor ardentissimus veritatis.

Mit diesem persönlichen Zustand eines „aus der Fallgrube des Irrtums aufsteigenden Suchers“ korrespondiert die Bezeichnung als libertus, der den Zustand der Sklaverei überwunden hat. Als ein inquisitor ardentissimus veritatis ist er bereits unter die Freigekauften übergegangen. Seine eigene irdische Existenz bezeichnet der Erzähler in Kontrastierung als die eines in seiner Erkenntnisfähigkeit beschränkten homuncio inexpertus. Dieser aus der Leiblichkeit hervorgehende Zustand des Menschen wird dem des Nebridius, für den die göttliche Weisheit nun zugänglich ist, gegenübergestellt. Dass die Metaphorik dazu dient, den Bereich des Spirituellen zu fassen, macht Augustinus hier explizit (spiritale os). Wenn man Augustins häufige Verwendung der Metaphorik der Eltern-Kind-Beziehung und deren Quellen bedenkt, so erweist sich diese Stelle als eine gezielte Verknüpfung biblischer Bilder, die zur Beschreibung der geistigen Entwicklung des verstorbenen Nebridius angewandt wird und die deshalb nicht mehr als so “puzzling” erscheint, wie sie von James J. O’Donnell eingeschätzt wird. 53 Abschließend bleibt festzuhalten, dass dieser Textabschnitt eine weitere Stelle darstellt, in der das Konzept eines Mensch-Gott-Verhältnisses als eine spirituelle Kindschaft in Vorausdeutung auf das Ende von Buch 9 thematisiert wird. Verecundus: In Augustins Hierarchisierung möglicher Lebensformen eines Christen wird auch für denjenigen, der in einer Ehe lebt, eine christliche Existenz ermöglicht. Zunächst wird beschrieben, wie Verecundus seinen Unwillen, der könobitischen Gruppe von Cassiciacum beizutreten, mit seinem Ehestatus, an dem er festhalten will, begründet. Er befindet sich in einem inneren Konflikt zwischen seiner Ehefrau, die er nicht verlassen möchte, und dem Willen, ein christliches Leben zu führen. Er meint, ein solches könne ausschließlich in der zölibatären Form, die seine Freunde praktizieren, verwirklicht werden. 54 Dem an diesem Zwiespalt Leidenden wird ein möglicher Weg gewiesen:

52 9,3,6: „Obwohl er auch selbst noch kein Christ war und in jene Fallgrube des äußerst verderblichen Irrtums gefallen war, so dass er das Fleisch deines Sohnes, der Wahrheit, für ein Hirngespinst hielt, stieg er dennoch von dort auf und war in der Verfassung, dass er überhaupt noch nicht in die Sakramente deiner Kirche eingewiesen, aber doch ein ganz glühender Sucher der Wahrheit war.“ 53 1992, III, 83. Ebenso wenig nachvollziehbar die Feststellung: “neither adoptivus nor libertus appears elsewhere in A. with theological overtones.” Die oben behandelte Textstelle aus exp. Gal. weist Wege für die Interpretation auf. 54 9,3,5: macerabatur anxitudine Verecundus de isto nostro bono, quod propter vincula sua, quibus tenacissime tenebatur, deseri se nostro consortio videbat. nondum christianus coniuge fideli ea ipsa tamen artiore prae ceteris compede ab itinere, quod aggressi eramus, retardabatur nec christianum esse alio modo se velle dicebat quam illo, quo non poterat.

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sic ergo eramus, Verecundum consolantes tristem salva amicitia de tali conversione nostra et 55 exhortantes ad fidem gradus sui, vitae scilicet coniugalis (…).

Somit wird auch für den Fall des Verecundus eine Lösung angeboten. Das Eheleben wird hier als eine „Stufe“ (gradus) möglicher christlicher Lebensentwürfe bestimmt, der eine bestimmte Form des Glaubens zugewiesen werden kann. Dies eröffnet Verecundus eine Perspektive, mit seiner bereits gläubigen Frau (coniunx fidelis) eine christliche Ehe zu führen. Hierin stellt Verecundus ein männliches Pendant zu Monnica dar, die beispielhaft für die Lebensform einer christlichen Ehefrau steht. Alypius: Alypius wird von Augustinus als frater cordis mei bezeichnet (9,4,7). Cor stellt auch hier wieder das Signalwort der Innerlichkeit dar, auf deren Ebene sich das zwischenmenschliche Verhältnis definiert. 56 Wenn Augustinus den Freund mithilfe der Semantik einer metaphorischen Verwandtschaft beschreibt, kommt darin das Ergebnis einer Entwicklung im wechselseitigen Verhältnis der beiden Figuren zum Ausdruck. Im 6. Buch (6,7,11) beginnt die Beziehung als ein Lehrer-Schüler-Verhältnis, im 9. Buch ist mit einer neuen Form der Gemeinschaft ein Verhältnis der Gleichheit erreicht. Das ursprüngliche, hierarchische LehrerSchüler-Verhältnis ist aufgehoben zugunsten einer auf der Ebene der Innerlichkeit definierten Beziehung zwischen fratres. Damit wird nicht nur das Autoritätsverhältnis überwunden, sondern auch der natürliche Altersabstand aufgelöst, Bei Alypius findet sich somit bereits ein Reflex der christlichen Konzeption der Alterstranszendenz, die insbesondere bei Adeodatus zum Tragen kommen wird. 57 Adeodatus: Im Zusammenhang mit der Schilderung der Zeit in Cassiciacum und der Taufe in Mailand kommt Augustinus auch auf seinen Sohn Adeodatus zu sprechen. Wie Nebridius und Verecundus in den vorangegangenen Kapiteln widmet er auch seinem Sohn eine kurze biographische Betrachtung. Da Adeodatus zum Zeitpunkt des Erzählens bereits gestorben ist, erscheint die Episode als ein Nachruf. 58 Im Rahmen dieser Arbeit soll diese Episode unter dem Aspekt der Vater-Sohn-Beziehung untersucht werden. Besonders drängt sich die Frage auf, inwiefern diese Episode, in der der Vater Augustinus über seinen Sohn Adeodatus berichtet, in Zusammenhang mit der Darstellung der Generationenbeziehung zwischen Augustin selbst als Sohn zu seinen Eltern steht. Eine mögliche Verweisfunktion innerhalb der Confessiones soll im Folgenden im Fokus der Untersuchung stehen. Die Darstellung der Taufe steht ganz im Lichte ihrer Symbolik als ‚Wiedergeburt‘. Augustinus beginnt, auf die Taufe einzustimmen, indem er die innere vetustas einer renovatio gegenüberstellt (9,4,10). Das Sakrament gilt als spirituel55 9,3,6: „So verhielt es sich bei uns: wir trösteten Verecundus, der über unsere Bekehrung betrübt war, auch wenn die Freundschaft erhalten blieb, und wir ermunterten ihn zu einer Form des Glaubens, der seiner Stufe, dem Eheleben, entsprach.“ 56 S. 186. 57 Zum Konzept der Alterstranszendenz s. 210–212; 282–282. 58 Der Nachruf ist keine erklärungsbedürftige Vorwegnahme, wie Paffenroth 1997, 146 vermutet. Der Nachruf erklärt sich aus der Perspektive des Erzählers, der die Ereignisse im Nachhinein schildert.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

le Wiedergeburt: placuit et Alypio renasci in te (9,6,14). Die Taufe, auch wenn ihre Beschreibung nur knapp gehalten ist, steht in der Mitte des Buches und somit an bedeutender Stelle. 59 Dass ein ausführlichere Beschreibung des Ritus unterbleibt, lässt sich auf den Initiationscharakter der Taufe und die mit ihr verbundene Arkandisziplin zurückführen, aufgrund derer nicht einmal die Katechumenen über das Eucharistieritual informiert waren. 60 Den Gemeinschaftscharakter des Taufritus hingegen betont Augustinus durchgehend: non longe coeperat Mediolanensis ecclesia genus hoc consolationis et exhortationis celebrare magno studio fratrum concinentium vocibus et cordibus. 61

Der Doppelbegriff vocibus et cordibus weist auf die Verankerung des äußeren Vorganges im Inneren hin. Ferner wird mit dem gemeinschaftlichen Singen (concinere) und der Bezeichnung der Gemeindemitglieder als fratres der Gemeinschaftscharakter des Rituals betont. Die mit greges bezeichneten Gemeinden werden als Träger der Taufriten genannt. 62 Über die Gemeinschaft schaffende Wirkung der Taufe schreibt Augustinus auch in Hinblick auf Monnica und die Gruppe von Cassiciacum: qui ante dormitionem eius in te iam consociati vivebamus percepta gratia baptismi tui (9,9,22). Bei der Nennung Adeodats, seiner ersten und einzigen namentlichen Erwähnung in den Confessiones, stellt Augustinus zunächst die auf Leiblichkeit beruhende Beziehung zu ihm fest. 63 Diese Darstellung der Beziehung schließt an die Erwähnung des Sohnes bei der Trennung von der Konkubine (6,15,25) an, bei der lediglich die leibliche Verbindung (naturalis filius) angesprochen ist. Der Sexualakt, der nach dem Sündenfall dem Trieb und der Lust unterworfen ist, wird zum Zeugnis der Sündhaftigkeit des Menschen. Als weitere negative Konnotation kommt hinzu, dass Adeodatus einem Konkubinatsverhältnis entstammt, während nach Augustins Schriften zur Ehe nur zwischen zwei miteinander Verheirateten Geschlechtsverkehr erlaubt ist. 64

59 Vgl. Hattrup 1998, 439. 60 Vgl. van der Meer 1958, 377; O’Donnell 1992, III, 107; Pizzolato 32001b, 328. 61 9,7,15: „Vor noch nicht langer Zeit hatte die Mailänder Kirche begonnen, diese Form des Trostes und der Ermunterung mit viel Eifer der Brüder, die in ihren Herzen und mit ihren Stimmen harmonierten, zu feiern.“ 62 9,7,15: ex illo in hodiernum retentum multis iam ac paene omnibus gregibus tuis et per cetera orbis imitantibus. 63 Vgl. die bloße Erwähnung seiner Geburt in 4,2,2, die sogar vermuten lässt, Adeodatus sei ein ungewolltes Kind gewesen: in illis annis unam habebam non eo quod legitimum uocatur coniugio cognitam, sed quam indagaverat vagus ardor inops prudentiae, sed unam tamen, ei quoque servans tori fidem; in qua sane experirer exemplo meo, quid distaret inter coniugalis placiti modum, quod foederatum esset generandi gratia, et pactum libidinosi amoris, ubi proles etiam contra votum nascitur, quamvis iam nata cogat se diligi. 64 Zu Augustins Sexualethik vgl. Fuhrer 2004a, 166–171. Das den Konkubinat von der Ehe unterscheidende Moment ist das fehlende sacramentum nach Eph 5,31–33, durch das das Eheverhältnis unauflöslich wird.

5. Neue Formen der Gemeinschaft I (Buch 9,1,1–9,7,16)

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adiunximus etiam nobis puerum Adeodatum ex me natum carnaliter de peccato meo. tu bene 65 feceras eum.

Augustinus weist den Anspruch von sich, die guten Eigenschaften seines Sohnes als eigenes Verdienst preisen zu können, und lenkt die Aufmerksamkeit auf das schöpferische Wirken Gottes in Hinblick auf das Individuum. Hier ist die Spiegelfunktion der Adeodatus-Episode zu bedenken. Im Rückblick auf seinen Sohn deckt Augustinus dasselbe Wirken Gottes auf, das er über den gesamten autobiographischen Teil der Confessiones an sich selbst und auch an anderen Figuren nachzuweisen versucht. In dieser Funktion ist Adeodatus in derselben Weise mit der Figur Augustinus verbunden wie Monnica. So zeigt Augustinus besonders in der laudatio auf seine Mutter bei der Darstellung ihrer eigenen Erziehung Gottes Wirken einerseits, die beschränkten Möglichkeiten der menschlichen Erzieher andererseits auf. 66 Die Eltern können nicht die Persönlichkeit des Menschen bestimmen, der aus ihnen hervorgeht. Die eingeschränkten Möglichkeiten menschlicher Erziehung werden im Folgenden an der Erziehung Monnicas durch eine Magd exemplifiziert. In der Charakterisierung trägt Adeodatus deutliche Züge des jugendlichen Augustinus: annorum erat ferme quindecim et ingenio praeveniebat multos graves et doctos viros. munera tua tibi confiteor, domine deus meus, creator omnium et multum potens formare nostra 67 deformia; nam ego in illo puero praeter delictum non habebam.

Auch das Leben Adeodats bietet sich ihm zur confessio laudis an. Die Leistungen Adeodats sollen als Geschenke Gottes gedeutet werden, während Augustinus seinen eigenen Anteil an der Person seines Sohnes nur in der „Sünde“ (delictum) seiner Zeugung sieht. Die am eigenen Beispiel entwickelten Erkenntnisse über das göttliche Wirken für den Menschen sind genauso an einem anderen Menschen zu erkennen. 68 Auch hier findet sich somit wieder ein Hinweis, dass biographische Einfügungen über andere Figuren in den Confessiones dazu dienen, die am eigenen Beispiel entwickelten Erkenntnisse als allgemein-menschlich darzustellen. Am exemplum Adeodats kann Augustinus das an der eigenen Figur demonstrierte passive Erziehungserlebnis aus der Perspektive dessen entwickeln, der den aktiven Part in der Erziehung innehat. Die Erziehung gründet in göttlichem Wirken:

65 9,6,14: „Wir haben auch den jungen Adeodatus zu uns aufgenommen, der nach dem Fleische aus mir, aus meiner Sünde geboren ist. Du hattest ihn gut gemacht.“ 66 Vgl. 9,8,17: non eius, sed tua dicam dona in eam. neque enim se ipsa fecerat aut educaverat se ipsam: tu creasti eam, nec pater nec mater sciebat qualis ex eis fieret. et erudivit eam in timore tuo virga Christi. S. 223. 67 9,6,14: „Er war an die 15 Jahre alt und überragte an Begabung viele bedeutende und gelehrte Männer. Ich bekenne dir deine Geschenke, Herr mein Gott, der du Schöpfer aller Dinge und sehr mächtig bist, alle unsere Unförmigkeiten zu formen; denn mein Anteil an diesem Jungen bestand nur in der Sünde.“ 68 Stellen, an denen Augustinus Gottes Walten für ihn selbst als „Geschenk“ deutet, finden sich in den Büchern 1–9 in: 1,20,31; 4,16,30; 9,11,28; 10,4,5. In Hinblick auf die Mutter in der laudatio funebris: 9,8,17; 9,9,21.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones quod enim et nutriebatur a nobis in disciplina tua, tu inspiraveras nobis, nullus alius: munera 69 tua tibi confiteor.

Aufschlussreich ist neben der Betonung des göttlichen Wirkens an dieser Stelle auch die semantische Gestaltung der Vater-Sohn-Beziehung. In der Beziehung zu seinem Sohn schildert Augustinus dieses Verhältnis in einer Erhöhung der Generationenbeziehungen auf eine spirituelle Ebene. Die Bemühungen des Vaters, den Sohn großzuziehen, werden in ein göttliches Erziehungswirken eingegliedert: nutriebatur a nobis in disciplina tua. 70 Das eigene Verhältnis zum Sohn gestaltet Augustinus nach dem Vorbild des Verhaltens der Monnica. Wie auch Monnica nur Instrument der Gnade Gottes ist, so deutet Augustinus seine eigene Rolle als von Gott bestimmt. Das Verhältnis Augustinus–Adeodatus kann somit als Parallele zur Beziehung Monnica–Augustinus, aber auch als Gegenmodell der VaterSohn-Beziehung Patricius–Augustinus aufgefasst werden. 71 Das im Passiv stehende Prädikat nutriebatur a nobis drückt sprachlich die Funktion des Individuums als Instrument in Hinblick auf ein anderes aus, wodurch implizit auf Gott verwiesen wird, der das Handeln inspiriert hat. Die auf dieses göttliche Handeln bezogene confessio laudis wird wiederholt: munera tua tibi confiteor. Auch die ihm mitgegebenen bona, die an Adeodatus erkennbar werden, sind Geschenke Gottes. Augustinus schreibt sie nicht der eigenen Erziehung zu: est liber noster, qui inscribitur ‚de Magistro‘: ipse ibi mecum loquitur. tu scis illius esse sensa omnia, quae inseruntur ibi ex persona conlocutoris mei, cum esset in annis sedecim. multa eius alia mirabiliora expertus sum. horrori mihi erat illud ingenium: et quis praeter te 72 talium miraculorum opifex?

Das Porträt des Sohnes erinnert an den Vater. Der Erzähler stellt sich selbst in den früheren Büchern als begabten jungen Mann dar. In diesen Worten spiegelt sich Augustins Darstellung seiner eigenen Jugend, in der er sich als talentierter Rhetorikschüler und -lehrer auszeichnete, wider. Auch dort werden seine ingenia nachträglich als Werke Gottes gedeutet. Das ingenium ist in Augustins Vorstellungen zur Pädagogik von höchster Bedeutung. Augustinus spricht in den Confessiones 6-mal in Hinblick auf sich selbst von ingenium: 1,9,15; 1,17,27 (2mal); 4,16,30; 4,16,31 (2-mal). In De doctrina christiana 4,3,4,8 misst er der Be69 9,6,14: „Dass er von uns nämlich in deiner Erziehung großgezogen wurde, hattest du uns eingegeben, kein anderer: Ich bekenne dir deine Gaben.“ 70 Der polyseme Begriff disciplina ist unbedingt in seiner primären Bedeutung als „Unterweisung, Erziehung“ aufzufassen. Gelungen ist deshalb die Wiedergabe in Bernhart 1987, 445: „Denn daß er in Deiner Zucht von uns aufgezogen wurde“ oder Chiarini 32001b, 125: „Se veniva allevato da noi nella tua disciplina“. Schlechter nachvollziehbar ist die Übertragung von Flasch / Mojsisch 2003, 233: „Denn daß wir ihn nach deiner Lebensordnung erzogen“. 71 Vgl. O’Donnell 2005, 55, der diesen Gedanken im Rahmen seiner Überblicksdarstellung nur andeutet, jedoch nicht vertieft. 72 9,6,14: „Es gibt ein Buch von mir, das den Titel ‚Über den Lehrer‘ trägt. Er selbst spricht dort mit mir. Du weißt, dass er all diese Gedanken als 16-Järiger hatte, die dort von der Person meines Gesprächspartners angeführt werden. Ich habe vieles anderes bei ihm erlebt, das noch staunenerregender war. Diese Begabung erschütterte mich: Wer außer dir ist der Urheber solcher Wunderdinge?“

5. Neue Formen der Gemeinschaft I (Buch 9,1,1–9,7,16)

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gabung bei den persönlichen Voraussetzungen zum Erwerb rhetorischer Fähigkeiten die zentrale Rolle bei und stuft sie, wenn sie durch die Praxis (usus) geübt wird, als bedeutender ein als das Erlernen von Vorschriften. 73 Durch die Ausstattung mit ingenium wird Adeodatus zum Spiegelbild des Augustinus. Wie bei Augustinus selbst wird dieses ingenium als Gabe Gottes gedeutet. Adeodatus dient Augustinus hier dazu, Reflexionen, die er aus der Betrachtung seiner selbst entwickelt hat, zu erweitern. Dieselbe Funktion kommt auch anderen Figuren, die ebenfalls eine Konversion erleben, sowie Monnica zu, wenn sich in der Erzählung über ihre Bekehrung vom jugendlichen Weingenuss die Birnendiebstahlsszene wieder aufgenommen und um bestimmte Aspekte erweitert wird. Andere Figuren innerhalb der Erzählung dienen Augustinus dazu, an der Darstellung der eigenen Person entwickelte Erkenntnisse einerseits wieder aufzunehmen und ihnen dadurch eine größere Allgemeingültigkeit zu verleihen, andererseits aber auch um bisher noch nicht beleuchtete Aspekte zu erweitern. Während sich einerseits, wie eben gezeigt, im Vater-Sohn-Verhältnis zu Adeodatus Zusammenhänge aus der Mutter-Sohn-Beziehung zwischen Monnica und Augustinus wiederholen, fallen andererseits auch Unterschiede auf. Adeodatus wird in der Darstellung als puer und adulescens, der sich taufen lässt, auch zur Kontrastfigur zum Augustinus des 1. Buches. So setzt er etwa im Gegensatz zu Augustinus sein ingenium von Anfang an für die richtigen Zwecke ein. Folglich gibt seine Kindheit und Jugend im Gegensatz zu der des Protagonisten auch keinen Anlass zur Sorge: cito de terra abstulisti vitam eius, et securior eum recordor non timens quidquam pueritiae 74 nec adulescentiae nec omnino homini illi.

Dieser Satz geht der Darstellung der Taufe voraus. Hier stellt Augustinus einen Gegensatz zu sich selbst in der Episode des 1. Buches her, als er aufgrund einer schweren Krankheit und des befürchteten Todes vorzeitig getauft werden soll. Aufgrund einer Verbesserung seines Gesundheitszustandes werden die Pläne einer Taufe jedoch wieder zurückgenommen, da er nach dem Empfang des Sakraments keinen Gefahren mehr ausgesetzt werden soll. rogo te, deus meus, vellem scire, si tu etiam velles, quo consilio dilatus sum, ne tunc baptizarer, utrum bono meo mihi quasi laxata sint lora peccandi. an non laxata sunt? unde ergo etiam nunc de aliis atque aliis sonat undique in auribus nostris: sine illum, faciat; nondum enim baptizatus est. et tamen in salute corporis non dicimus: sine vulneretur amplius; nondum enim sanatus est. quanto ergo melius et cito sanarer et id ageretur mecum meorum meaque diligentia, ut recepta salus animae meae tuta esset tutela tua, qui dedisses eam. melius vero. sed quot et quanti fluctus impendere temptationum post pueritiam videbantur, noverat eos iam illa mater et terram per eos, unde postea formarer, quam ipsam

73 Vgl. die Anmerkungen in Pollmann 2002, 245. 74 9,6,14: „Schnell hast du sein Leben der Erde entzogen. Ich erinnere mich an ihn freier von Sorge und fürchte überhaupt nichts für seine Kindheit und Jugend und insgesamt für diesen Menschen.“

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones iam effigiem committere volebat. in ipsa tamen pueritia, de qua mihi minus quam de 75 adulescentia metuebatur, non amabam litteras et me in eas urgeri oderam.

Sowohl bei Augustinus als auch bei Adeodatus stehen die Altersstufen der pueritia und der adulescentia im Blickpunkt. Augustinus ist in diesen Lebensaltern Anlass zur Sorge (metuebatur), Adeodatus hingegen nicht (non timens). Die nahezu identische Wortwahl legt nahe, eine Beziehung zwischen der Darstellung derselben Lebensalter bei Augustinus und Adeodatus herzustellen. Der getaufte Adeodatus ist die Kontrastfigur zum ungetauften Augustinus, der noch nicht durch das Sakrament „geheilt“ ist und dessen Kindheit und Jugend somit zum Gegenstand der Sorge wird. Die Taufe, in deren Zusammenhang der Rückblick auf Adeodatus steht, hat auch bedeutende Folgen für die zwischenmenschliche Beziehung zwischen den Täuflingen. An Adeodatus demonstriert Augustinus die spirituelle Geburt, durch die natürliche Altersunterschiede überwunden werden. Hier nimmt Augustinus das frühchristliche Ideal der Alterstranszendenz auf. 76 Mit diesem Konzept ist die Vorstellung einer „Erneuerung“ oder „Verjüngung“ infolge der Taufe verbunden. An mehreren Stellen in seinen Briefen behandelt Paulus die innere Erneuerung durch die Taufe und durch ein Leben in der Nachfolge Christi. Die Erneuerung wird von Paulus und den Kirchenvätern in biologischer Bildlichkeit als „Verjüngung“ aufgefasst. 77 Die Vorstellung von Erneuerung und Verjüngung zieht den Gedanken der „Kindheit“ oder der „Jugend“ der Gläubigen nach sich, der sich 75 1,11,18–1,12,19: „Ich bitte dich, mein Gott, ich wollte, ich wüsste, wenn auch du wolltest, mit welcher Überlegung ein Aufschub für mich bestimmt wurde, so dass ich damals nicht getauft wurde, und ob es gut für mich war, dass für mich gleichsam die Zügel der Sündigens gelockert worden sind. Oder sind sie etwa nicht gelockert worden? Weshalb nun klingt es auch jetzt noch von den einen und den anderen von überall her in unseren Ohren: Lass ihn, er soll nur machen; er ist nämlich noch nicht getauft. Aber dennoch sagen wir auch bei der körperlichen Gesundheit nicht: Lass ihn sich noch mehr Wunden zuziehen; er ist ja noch nicht geheilt. Wie viel besser wäre es wohl gewesen, wäre ich schnell gesund geworden, und wäre bei mir durch meine Sorgsamkeit und die meiner Eltern darauf hingearbeitet worden, dass die wiedererlangte Gesundheit meiner Seele sicher wäre durch den Schutz von dir, der sie hergestellt hatte. Das wäre wohl in der Tat besser gewesen. Aber man sah, wie viele und wie gewaltige Fluten der Versuchungen nach der Kindheit drohten, und diese Mutter kannte sie schon und wollte diesen lieber den Lehm, aus dem ich später geformt werden sollte, überlassen, als das Bildnis selbst. Dennoch liebte ich eben in der Kindheit, für die um mich weniger Befürchtungen bestanden als für die Jugend, das Lernen nicht und hasste es, dazu gezwungen zu werden.“ 76 Vgl. zur frühchristlichen Idealvorstellung einer Überwindung natürlicher Altersstufen, die ihre stärkste Ausprägung im puer-senex-Ideal erfahren hat, grundlegend Gnilka 1972. Vgl. ferner Curtius 21954, 108–112; Häussler 1964, 328; Brandt 2002, 229, der Gnilkas Erkenntnisse bestätigend aufnimmt. 77 Vgl. Gnilka 1972, 244 mit Verweis auf die in diesem Kontext zentrale Bibelstelle Eph 4,23– 24: ἀνανεοῦσθαι δὲ τῷ πνεύματι τοῦ νοὸς ὑμῶν καὶ ἐνδύσασθαι τὸν καινὸν ἄνθρωπον. Das Thema der erneuernden Wirkung des Wortes Gottes begegnet auch andernorts in den Confessiones, etwa in der Ekstase von Ostia (9,10,24): remeavimus ad strepitum oris nostri, ubi verbum et incipitur et finitur. et quid simile verbo tuo, domino nostro, in se permanenti sine vetustate atque innovanti omnia?

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großer Beliebtheit bei den Kirchenvätern erfreut. 78 Eine einschlägige Parallelstelle, an der Augustinus dieses Bild erläutert, findet sich in einer Osterpredigt. 79 Durch die Taufe entsteht eine auf der Ebene des inneren Menschen neu definierte Altersstufe. Der neugeborene innere Mensch ist wieder Kind. An diese Vorstellung wiederum schließt sich eine Neubestimmung der interpersonalen Beziehungen unter den Getauften an. An der vorliegenden Stelle der Confessiones wird das leibliche Vater-Sohn-Verhältnis durch die Taufe überwunden zugunsten eines Verhältnisses zwischen Gleichaltrigen: sociavimus eum coaevum nobis in gratia tua, educandum in disciplina tua: et baptizati sumus 80 et fugit a nobis sollicitudo vitae praeteritae.

Die neu entstandene Gleichaltrigkeit lässt jedoch nicht Adeodatus wie die anderen, die ja als äußere Menschen im Erwachsenenalter stehen, ebenfalls zu einem Erwachsenen werden, wie der Beginn des Satzes (sociavimus eum coaevum nobis) zunächst vermuten lässt, – im Gegenteil, das spirituelle Alter aller Beteiligten wird so bestimmt, dass sie noch der Erziehung durch die Unterweisung Gottes bedürfen. Erst durch die Apposition educandum in disciplina tua wird im Rückblick der Satz richtig verstanden. Durch die syntaktische Gestaltung, die ein Moment der Überraschung bewirkt, verstärkt Augustinus die Differenz von äußerem und innerem Menschen, um die es inhaltlich geht. Mit den Bildern aus dem Bereich der Lebensalter bedient sich Augustinus zur Charakterisierung des inneren Menschen eines äußeren Lebenszusammenhanges, stellt aber gleichzeitig einen Kontrast zu diesem her. Das Leben als Getaufter ist noch jung im Gegensatz zu dem sorgenvollen, aber nun vergangenen alten Leben. Mit der hier vorgenommenen Neudefinition der Beziehung zwischen Augustinus und Adeodatus wird die Auflösung der leiblichen Generationenbeziehungen und ihre Substitution durch ein metaphorisches Geschwisterverhältnis aller Gläubigen gegenüber Gott als Vater und der Kirche als Mutter vom Erzähler thematisiert. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Erneuerung der Beziehung

78 Vgl. Gnilka 1972, 245–250; ferner Lutterbach 2003, 39–105 zur Taufe als „Ort der Wiedergeburt und des fortdauernden Jungseins“. 79 Vgl. ep. Io. tr. 1,5: ecce iam in nomine Christi per sanguinem eius, quem nunc confessi sunt isti qui appellantur infantes, mundata sunt omnia peccata ipsorum. veteres intraverunt, novi exierunt. quid est, veteres intraverunt, novi exierunt? senes intraverunt, infantes exierunt. senectus enim veternosa, vetusta vita: infantia autem regenerationis, nova vita. Vgl. Gnilka 1972, 250 mit Verweis auf zahlreiche Stellen bei anderen Kirchenvätern, sowie auf die hier besprochene Passage in den Confessiones. Ferner Gnilka 1972, 252 mit Verweis auf en. Ps. 118,5,2: sit ergo licet quilibet, quantum ad aetatem pertinet corporis, annosa vetustate decrepitus, iunior erit ad deum percepta gratiae novitate conversus. 80 9,6,14: „Wir haben ihn unter uns aufgenommen als einen Gleichaltrigen in deiner Gnade, der in deiner Erziehung großgezogen werden muss. Wir wurden getauft, und es verflüchtigte sich in uns die Besorgnis über das vergangene Leben.“

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

von einer Gruppe ausgeht (sociavimus). Die Vater-Sohn-Beziehung tritt gegenüber einem Gruppenzusammenhang zurück. 81 Wie bereits bei den vorausgehenden Darstellungen zu Monnica sind auch bei der Adeodatus-Szene intertextuelle Bezüge zu den Frühdialogen festzustellen, die von Augustinus durch die Wortwahl und die explizite Erwähnung des Werktitels von De magistro hergestellt und vom Leser nachvollzogen werden können. Wie in 9,4,7–9,4,8 in der Darstellung der Gruppe von Cassiciacum und insbesondere der Mutter kann ein Leser an dieser Stelle der Confessiones Adeodats Charakterisierung mit der in den Frühdialogen abgleichen. In De beata vita wird ebenfalls sein für das Alter beeindruckendes ingenium gelobt, durch das er als der Jüngste hervorragt: erat etiam nobiscum aetate minimus omnium, sed cuius ingenium, si amore non fallor, mag82 num quiddam pollicetur, Adeodatus filius meus.

Adeodats Diskussionsbeiträge über das deum habere (beata v. 1,12) und zur Definition der castitas als Voraussetzung für den spiritus immundus (beata v. 1,12; 3,18) verdeutlichen die Reife, die Augustinus seiner Dialogfigur zuschreibt. 83 In De magistro ist Adeodatus der einzige Dialogpartner Augustins. Als Kerngedanke wird herausgearbeitet, dass Christus der innere Lehrer ist, der als inneres Licht Erkenntnis erst ermöglicht. 84 Von der Forschung ist bisher noch nicht erkannt worden, dass Augustinus an dieser Stelle der Confessiones nicht nur auf die Figurengestaltung des Frühdialoges verweist, indem er unter Nennung des Titels auf die sich in diesem Werk offenbarende geistige Reife Adeodats hinweist, sondern dass bei der Betonung des göttlichen Wirkens im geistigen Reifungsprozess auch ein Kerngedanke von De magistro wiedergegeben wird. Ein Bezug zwischen den beiden Werken wird somit auch auf inhaltlicher Ebene hergestellt.

81 Bezeichnenderweise rückt im folgenden Satz das Heil der gesamten Menschheit als Ziel des göttlichen Waltens in den Blickpunkt: nec satiabar illis diebus dulcedine mirabili, considerare altitudinem consilii tui super salutem generis humani. 82 Beata v. 1,6: „Bei uns war auch als Jüngster von allen, dessen Begabung jedoch, wenn ich von meiner Zuneigung nicht getäuscht werde, Großes verspricht, mein Sohn Adeodatus.“ 83 Vgl. Madec 1986–1994a, 88–89. 84 Vgl. mag. 38 und 46.

6. Christliche laudatio funebris auf Monnica (9,8,17–9,9,22)

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6. CHRISTLICHE LAUDATIO FUNEBRIS AUF MONNICA (9,8,17–9,9,22) Mit der Darstellung der Ereignisse um den Tod seiner Mutter verbindet Augustinus einen Rückblick auf ihre Persönlichkeit. Bei der Frage nach der Bestimmung der literarischen Gattungszusammenhänge dieses in sich abgeschlossenen Textabschnittes gilt wie für die Confessiones insgesamt, dass Augustinus traditionelle Textsorten aufnimmt, sie aber auf originelle Weise verändert, ergänzt und mit anderen verschmilzt. Ein solches Vorgehen hat zur Folge, dass eindeutige Zuordnungen schwierig werden. 1 Eine gattungstypologische Einordnung der vorliegenden Textstelle muss auch immer der Einschränkung Rechnung tragen, dass es sich bei der zu untersuchenden Passage nicht um einen eigenständigen Text, sondern um einen Abschnitt innerhalb des umfassenden Textes der Confessiones handelt, in dem ihm bestimmte Funktionen zukommen. Die Episode 9,8,17–9,9,22 wird häufig als eine „Biographie“ Monnicas aufgefasst. 2 Pierre Courcelle geht sogar davon aus, dass es sich bei diesem Textabschnitt um die Einfügung einer ursprünglich als eigenständige Publikation geplanten Biographie der Mutter handele. 3 Auf eine entsprechende Absicht Augustins fehlen jedoch explizite Hinweise. Eine alternative Bezeichnung möchte Pieternel van Kempen-van Dijk einführen und spricht von einem „Portrait Monnicas“ 4, womit aber nicht viel für die Einordnung in literarische Gattungszusammenhänge und in den Kontext des 9. Buches gewonnen ist. Einen deutlichen Erkenntniszuwachs für die Interpretation erbringt die Bestimmung dieses Textabschnitts als „biographischer Nachruf auf die Mutter“ von Therese Fuhrer. 5 Trotz der oben genannten Vorbehalte in Hinblick auf die Möglichkeit einer eindeutigen Zuordnung zu einem literarischen Genre, erfährt die Interpretation dieser Textpassage einen großen Gewinn, wenn man davon ausgeht, dass sich Augustinus mit diesem biographischen Rückblick an eine klassische antike Textgattung anlehnt, indem er ihn in die Tradition des Epitaphs und der laudatio funebris stellt.6 Dabei lässt sich 1 2 3

4

5 6

Zur problematischen Gattungsbestimmung der Confessiones s. Kap. II.1.a. Hier sei nur auf Fontaine 1990 und Brachendorf 2005, 290–295 verwiesen. Vgl. Pizzolato 1994, 300; 333: „una breve, ma perfetta biografia cristiana“. Von einer „biographischen Skizze“ und einer „Biographie in der Biographie“ spricht auch Müller 2003a, 79 bzw. 81. Vgl. Courcelle 21968, 36: „Si (…) il revient longuement sur le passé de Monique, c’est, je crois, qu’il remploie, à peu près tel quel, un opuscule rédigé antérieurement sur la vie de sa mère.” Courcelle sieht somit die Episode über Monnica in einer Linie mit den Darstellungen über Alypius in 6,7,11–6,10,16, die er gleichfalls auf eine ursprünglich als gesonderte Schrift geplante Biographie zurückgehen lassen möchte. 1978, 49–53 („Monnica’s portret“); besonders 50, wo van Kempen-van Dijk feststellen möchte, es handle sich um „geen biografie (…) in de gangbare betekenis van het woord. Augustinus schildert een portret van zijn moeder waarbij hij will accentueren dat alles wat zij was en had, een gave Gods was.“ 2004a, 169. So auch Alonso Del Real 2003, jedoch ohne weitere Einordnung in die Gattungstradition. Diese Gattung erfreut sich bei den Kirchenvätern durchaus großer Beliebtheit. So gibt es laudationes von Hieronymus auf ihm persönlich bekannte Asketinnen. Zur laudatio auf Fabiola

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

feststellen, dass einerseits bezeichnende Variationen topischer Inhalte der klassisch-paganen Antike vorgenommen werden, dass andererseits durch die Einfügung in den Text der Confessiones der mit der Textsorte der klassischen laudatio funebris verbundene Darbietungszusammenhang und Adressatenkreis gänzlich abgeändert werden. Somit bietet diese Interpretation auch einen Mehrwert gegenüber einer Einordnung in die Gattung des Nekrologs, 7 der den Zusammenhang mit einer spezifisch römischen Tradition aus dem Blickpunkt geraten lässt. Die laudatio funebris hat in Rom ihren festen Platz in der familialen Erinnerungskultur.8 Ein Ziel der folgenden Untersuchung zu diesem Textabschnitt wird darin bestehen, die Konsequenzen dieser Ausgliederung aus einer traditionellen Form des Gedenkens und der Neukontextualisierung zu untersuchen. a) Die laudatio funebris Nachrufe auf Verstorbene lassen sich in der gesamten Antike finden, wobei das Gedenken an die Toten seinen Ausdruck in unterschiedlichen Textgattungen gefunden hat. Hier sticht in der antiken Literatur das Epitaphium heraus. Im Historischen Wörterbuch der Rhetorik wird unter dem Lemma „Epitaph“ folgende Definition und Einteilung vorgeschlagen: „Als E.(pitaph) wird in der Antike 1. eine Grabinschrift in dichterischer Form (meist als Epigramm) verstanden. Auch der vom ursprünglichen Ort losgelöste poetische Nachruf kann als E.(pitaph) bezeichnet werden, so wie das mit einer Inschrift versehene Grabmal selbst (Grabtafel, Gedächtnismal) 2. Der Terminus ἐπιτάφιος λόγος (epitáphios lógos) verweist auf eine öffentlich gehaltene Grab- oder Leichenrede (laudatio funebris), die einem tradierten rhetori9 schen Schema folgt“ .

Da der Begriff „Epitaph“ auch die poetische Grabinschrift mit einschließt sowie den epitaphios logos der griechischen Klassik mit seinem offiziellen, politischen Charakter – die Staatsrede auf viele Gefallene verbunden mit einem Lob auf die Polis Athen 10–, soll hier die lateinische Bezeichnung laudatio funebris der Eindeutigkeit und der angemessenen literarischen und historischen Einordnung wegen vorgezogen werden. Um markante Eigenheiten des hier untersuchten Nachrufes auf Monnica erkennen zu können, soll ein Blick auf die Gattungstradition der laudatio funebris geworfen werden. Die laudatio funebris bezeichnete in Rom die Lobrede auf eine vgl. Feichtinger 1995, 195, zum Epitaphium auf Paulina und zu weiteren Huldigungen auf Verstorbene vgl. Feichtinger 1995, 225. 7 Vgl. Eybl 2003, 207. 8 Zu Inhalt und rhetorischer Form der laudatio funebris grundlegend Kierdorf 1980. Zur Bedeutung der laudatio funebris und der pompa funebris in der Erinnerungskultur der römischen Familien vgl. Walter 2003 passim; Flower 2006. 9 Hagenbichler 1994, 1306. 10 Vgl. Hagenbichler 1994, 1308–1309. Als berühmtester epitaphios logos in literarischer Form kann wohl die Staatsrede des Perikles auf die gefallenen Athener in Thukydides’ Geschichtswerk gelten.

6. Christliche laudatio funebris auf Monnica (9,8,17–9,9,22)

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verstorbene Einzelperson, die bei der Bestattung gehalten wurde. 11 Der Brauch war auch im 4. Jahrhundert nach Christus noch verbreitet. Die Rede hielt der Sohn oder ein anderer naher Verwandter. 12 Neben dem Verstorbenen wurden ferner dessen Vorfahren gelobt, 13 was die Bedeutung der Erinnerung an die Ahnen im paganen Rom unterstreicht. Bei der Darbietung einer laudatio funebris waren die verstorbenen Ahnen symbolisch zugegen, indem sie durch Schauspieler mit lebensechten Masken und Amtstracht personifiziert den Redner umstanden. 14 Im Trauerritual für den Toten fand gleichsam „dessen spektakuläre Transformation in einen Ahnen“ 15 statt. So spielten diese Reden eine bedeutende Rolle in der identitäts- und sinnstiftenden memoria der römischen Familien. 16 Sie wurden von den Familien aufbewahrt, 17 manche wurden veröffentlicht, manche auch von Historikern als Quelle benutzt. 18 Die inschriftlich belegte sogenannte laudatio Turiae bezeugt, dass solche laudationes auch auf weibliche Personen gehalten wurden. 19 Die laudationes funebres wurden seit dem 2. Jahrhundert vor Christus zusehends von der Rhetorik durchdrungen und standen dadurch den Lobreden mit ihren Lobestopoi und den quasi-biographischen Enkomien nahe. Folglich wiesen solche Totenreden ein hohes Maß an rhetorischer Elaboriertheit auf und sind im System der Redeanlässe (genera causarum) dem genus demonstrativum zuzuordnen. 20 Wichtige Hinweise zur inhaltlichen Gestaltung solcher Reden liefern die rhetorischen Lehrschriften De inventione des Marcus Tullius Cicero und die Institutio oratoria des Quintilian. 21 Im Folgenden soll zum einen dargestellt werden, welche Inhalte nach den beiden Lehrwerken in den Reden behandelt werden sollen, zum anderen aber auch herausgearbeitet werden, welches Menschenbild diesen Regeln über Personendarstellungen zugrunde liegt. In De inventione (1,34– 36) behandelt Cicero die inhaltlichen Aspekte, die in Hinblick auf eine Person in der Rede behandelt werden können. Er gibt vorab eine Zusammenfassung der zentralen Punkte: 11 Nach Dion. Hal. ant. 5,17,3 ist die laudatio funebris originär römisch. Diese Einschätzung wird von der modernen Forschung bestätigt. Vgl. Speyer 1976, 1190. 12 Vgl. Pol. 6,53,2. Vgl. auch hier die die historische Quelle bestätigende Sicht der Altertumswissenschaften bei Speyer 1976, 1190. 13 Vgl. Pol. 6,54. Weitere antike Quellen bei Speyer 1976, 1190. Vgl. Kierdorf 1999, 1184. 14 Vgl. Speyer 1976, 1191; Suerbaum 2002, 519. 15 Walter 2003, 261. 16 Vgl. Walter 2003 passim. 17 Vgl. Kierdorf 1999, 1184. Walter 2003, 270 spricht von einem Familienarchiv, in dem die laudationes funebres aufbewahrt wurden. 18 Vgl. Kierdorf 1999, 1184. 19 Wenn auch Inschriften eher die Ausnahme dargestellt haben müssen. Vgl. Kierdorf 1999, 1184. Zu laudationes funebres auf Frauen vgl. ferner Thraede 1972, 213. 20 Vgl. Hagenbichler 1994, 1306. Das genus demonstrativum ist wiederum in laus und vituperatio unterteilt. 21 Auch wenn die oratio funebris in diesen beiden Werken zur Rhetorik nicht explizit erwähnt wird, können doch allgemeine Erkenntnisse auch für den Nachruf gewonnen werden. Die oratio funebris ist in der Redetheorie im genus laudativum inbegriffen, wie Suerbaum 2002, 521 folgert.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones ac personis has res attributas putamus: nomen, naturam, victum, fortunam, habitum, affec22 tionem, studia, consilia, facta, casus, orationes.

Daraufhin führt Cicero die einzelnen Stichpunkte aus. Im Kontext dieser Arbeit ist von Interesse, dass unter dem Stichpunkt victus einerseits die Umstände der Erziehung, anderseits die Lebensführung im eigenen Haus berücksichtigt werden sollen: in victu considerare oportet, apud quem et quo more et cuius arbitratu sit educatus, quos habuerit artium liberalium magistros, quos vivendi praeceptores, quibus amicis utatur, quo in negotio, quaestu, artificio sit occupatus, quo modo rem familiarem administret, qua consu23 etudine domestica sit.

Unter dem Gesichtspunkt habitus sind laut Cicero „persönliche Eigenschaften“ aufzuführen, wobei diese nicht von Natur gegeben, sondern von der jeweiligen Person selbst erworben sein sollen: habitum autem appellamus animi aut corporis constantem et absolutam aliqua in re perfectionem, ut virtutis aut artis alicuius perceptionem aut quamvis scientiam et item corporis ali24 quam commoditatem non natura datam, sed studio et industria partam.

Es sind somit persönliche Eigenschaften, die die jeweilige Person mit eigener Bemühung erworben hat, die in einer Lobrede hervorgehoben werden sollen. In dieselbe Richtung weisen die Regeln, die der Rhetoriker Quintilian aufstellt. Dieser widmet in Buch 3 seiner Institutio oratoria das 7. Kapitel der Lob- und Tadelrede (laus ac vituperatio). Hierin spielt die Darstellung des Zusammenhangs von familiärer Herkunft und persönlicher Tugend eine bedeutende Rolle: ante hominem patria ac parentes maioresque erunt quorum duplex tractatus est: aut enim 25 respondisse nobilitati pulchrum erit, aut humilius genus inlustrasse factis.

22 Cic. inv. 1,34; „Und wir glauben, dass den Personen Folgendes zugeschrieben werden muss: Namen, Naturanlage, Lebensweise, Schicksal, persönliche Eigenschaften, Verfassung des Gemüts, Interessen, Grundsätze, Taten, zufällige Ereignisse, Reden.“ (Übersetzungen nach Nüßlein 1998, 75–77). 23 Cic. inv. 1,35: „Bei der Lebensweise muss man bedenken, bei wem, nach welchen Regeln und nach wessen Beurteilung jemand erzogen wurde, welche Lehrer in den Freien Künsten, welche Erzieher in der Lebensführung er hatte, mit welchen Freunden er Umgang hat, welcher Beschäftigung, welchem Erwerb er nachgeht, welches Handwerk er ausübt, wie er seinen Besitz verwaltet, welche Gewohnheiten er zu Hause zeigt.“ 24 Cic. inv. 1,36: „Als persönliche Eigenschaft bezeichnen wir die gleichbleibende und unumstößliche Vollendung des Geistes und des Körpers in irgendeiner Sache, wie etwa den Erwerb einer tüchtigen Eigenschaft oder einer Kunstfertigkeit oder irgendein Wissen und ebenso irgendeinen körperlichen Vorzug, der nicht von Natur gegeben ist, sondern mit Eifer und Fleiß erworben wurde.“ Vgl. Nüßlein 1998, 77, der perceptio mit „Erwerb“ übersetzt, vgl. ferner ThlL X, 1, 1204, II a 2, wo diese Textstelle unter der Bedeutung eines ‚Erfassens durch Erlernen’ (discendo) aufgeführt ist. Es ist unbedingt an ein von der jeweiligen Person betriebenes Erwerben zu denken. Die Erlangung von virtus steht somit ganz in der Verfügbarkeit des Individuums. 25 Quint. inst. 3,7,10: „Vor der Person selbst werden Herkunftsort, Eltern, Vorfahren stehen, die auf zweifache Art behandelt werden: Entweder wird es schön sein, der edlen Abstammung

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Auch die Gaben der fortuna sind zu erwähnen, sofern sie dazu gebraucht werden, die eigene Ehre zu mehren: fortuna vero tum dignitatem adfert, ut in regibus principibusque (namque est haec materia ostendendae virtutis uberior), tum quo minores opes fuerunt, maiorem benefactis gloriam parit. Sed omnia, quae extra nos bona sunt quaeque hominibus forte optigerunt, non ideo lau26 dantur, quod habuerit quis ea, sed quod iis honeste sit usus.

Aufschlussreich ist das hinter dieser Topik stehende Menschenbild: Das Walten der fortuna gibt Rahmenbedingungen vor, die vom Individuum nach freier Willensentscheidung und in eigenmächtigem Handeln in guter oder schlechter Weise genutzt werden können. In Abschnitt 14 konkretisiert Quintilian diesen Punkt an den persönlichen Gaben der divitiae, potentia und gratia: Nam divitiae et potentia et gratia, cum plurimum virium dent, in utramque partem certissimum faciunt morum experimentum: aut enim meliores propter haec aut peiores 27 sumus.

Reichtum, Macht und Ansehen führen bei jedem Menschen zu einem morum experimentum, das sehr unterschiedlich ausfallen kann. Uneingeschränktes Lob kann hingegen nur denjenigen Eigenschaften gezollt werden, die ganz in der Verfügbarkeit der jeweiligen Person liegen, wie etwa ihrer Sinnesart (animus). 28 Auch dieser Abschnitt verdeutlicht, wie sehr rhetorische Topik in einem bestimmten Menschenbild verankert ist. Will der Redner nach Altersstufen vorgehen, soll er von den Anlagen eines Kindes über die Ausbildung zu den Leistungen voranschreiten. Es verhält sich hier wie bei divitiae, potentia und gratia: Die indoles zeigt sich als Gabe beim Kind. Sie ist eine positive Veranlagung, die durch Unterweisung entwickelt werden und sich dann beim Erwachsenen in ehrenhafte Taten und Äußerungen umsetzen kann. 29 Die Gattung der paganen Lobrede, zu der die laudatio funebris zu zählen ist, ist somit in ihrem Inhalt bestimmten Grundvorstellungen zum Menschenbild und zur Ethik verpflichtet. Dieser Brauch innerhalb des römischen Begräbnisrituals ist auch spätantiken, nicht in Rom ansässigen Christen bekannt, und so sind auch aus späteren Jahrhunderten laudationes funebres überliefert, etwa die beiden von Ambrosius verfassten (De excessu fratris Satyri, De obitu Valentiniani iunioris). In der früh-

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entsprochen oder ein unbedeutenderes Geschlecht mit seinen Taten berühmt gemacht zu haben.“ Quint. inst. 3,7,13: „Das Glück aber bringt bald Achtung, wie bei Königen und Fürsten (denn dies ist ein fruchtbarer Gegenstand, um seine Tüchtigkeit zu beweisen), bald bringt es, je geringer die Mittel waren, durch gute Taten umso größeren Ruhm. Aber alle Güter, die außerhalb von uns liegen und welche den Menschen durch Zufall zuteilwurden, werden nicht deshalb gelobt, weil sie jemand hatte, sondern weil er sie auf ehrenvolle Weise genutzt hat.“ Quint. inst. 3,7,14: „Denn Reichtum, Macht und Gunsterweis bringen, weil sie am meisten Gewalt verleihen, in beide Richtungen einen äußerst zuverlässigen Beweis des Charakters: Entweder sind wir durch sie besser oder schlechter.“ Quint. inst. 3,7,15: animi semper vera laus. Quint. inst. 3,7,15: aetatis gradus gestarumque rerum ordinem sequi speciosius fuit, ut in primis annis laudaretur indoles, tum disciplinae, post hoc operum id est factorum dictorumque contextus.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

christlichen Literatur nehmen die Trostreden auch Elemente der paganen philosophischen Konsolationsliteratur auf und verschmelzen sie mit biblisch-christlichem Denken. Traditionelle Lobthemen wie Herkunft, Bildung und Ämter treten zurück, virtutes werden umgedeutet. 30 Mit seinem Rückgriff auf die Tradition der laudatio funebris wendet Augustinus eine literarische Technik an, der sich auch andere Kirchenväter bedienen. Hieronymus hat mehrere Briefe bezüglich des Todes eines Freundes oder einer Freundin verfasst, in denen er unterschiedlichste Funktionen, Darstellungsweisen und Gemeinplätze aus der paganen Epistolographie, der Konsolationsliteratur und auch der Gattung der Leichenpredigten zum Zweck einer Propagierung der Jungfräulichkeit instrumentalisiert. 31 Bereits aus diesen allgemeinen Fakten über die laudatio funebris lassen sich Gemeinsamkeiten mit dem Rückblick auf Monnica feststellen. So bringt sie auch in diesem Fall ein Sohn einem Elternteil dar. Auf eine große Anzahl an Lobestopoi (Abstammung, Lob der Vorfahren, Bildung, virtutes) 32 wird angespielt, sie werden jedoch in einem christlichen Deutungshorizont ab- oder umgewertet. Die Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zur Tradition soll bei der folgenden Analyse des Rückblicks auf das Leben der Monnica einen zentralen Platz einnehmen. Erzähltechnisch erfüllt die laudatio funebris innerhalb der Confessiones die Funktion eines Rückblickes im Rückblick. Der Rückbezug aus der Erzählung vergangener Ereignisse heraus auf die Vorvergangenheit erlaubt inhaltlich eine Erweiterung der zeitlichen Dimension der Lebensbetrachtung. Das menschliche Leben wird in verschiedenen Altersstufen betrachtbar. Der Rückblick auf Monnicas Leben, die einen Blick in die zeitliche Tiefendimension eines Lebens erlaubt, gibt Augustinus ein erzähltechnisches Mittel an die Hand, mit dem er verschiedene Lebensalter, aber auch verschiedene mögliche Lebensformen einer Frau beleuchten kann. Neben dem Lebensentwurf einer vidua casta, die in einer asketischen Gemeinschaft lebt, wird auch der einer christlichen Ehefrau an dem einen Beispiel der Monnica betrachtet. 33

30 Vgl. Kierdorf 1980, 87–88. Als Untersuchung zum Verhältnis von paganen und christlichen Elementen am Beispiel der Leichenreden des Ambrosius vgl. Biermann 1995. 31 Vgl. Feichtinger 1995, 28–29 mit Beispielen. 32 Vgl. Kierdorf 1980, 68–69: „Die rhetorische Theorie des Enkomions läßt dem Lob der Herkunft das Lob der Erziehung und Bildung folgen; dann schließt sich häufig eine Charakterisierung der Lebensweise und des Verhältnisses zu den Mitmenschen an.“ 33 Völlig unterschätzt wird die Funktion dieser Passage (9,9,19–9,9,22) von Paffenroth 1997, 150–151: “This part of the flashback, in which Monnica is once again presented as the ideal mother, is most of a piece with the descriptions of her throughout the rest of the Confessions. As a passage that really adds little new to our understanding of Monica, but only elaborates or epitomizes what we have already seen numerous times throughout the book, I do not find this part of the flashback surprising or problematic: it seems to function (…) as a fairly straightforward tribute to her by Augustine.”

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b) Gliederung Der Rückblick auf Monnicas Leben bildet eine abgeschlossene Erzählung, die in die Darstellung und Reflexion der Ereignisse in Ostia eingefügt ist. Der Erzähler hebt im Anschluss an die Erwähnung des Todes Monnicas zu diesem Nachruf an, der den Textabschnitt von 9,8,17, Z.19 34 bis 9,9,22 umfasst. 35 In 9,10,23 kehrt der Erzähler sowohl in Hinblick auf die Zeit als auch auf den Ort der Erzählung wieder zu den Ereignissen in Ostia zurück. 36 Die Anordnung der Ereignisse in der erzählten Zeit lässt im 9. Buch eine auffällige Anachronie erkennen. Der Hinweis auf den Tod der Mutter und der eingefügte Nachruf auf sie sind in der Reihenfolge der erzählten Ereignisse proleptisch, da im Anschluss noch die gemeinsame Vision in Ostia und die näheren Umstände an ihrem Sterbebett dargestellt werden. 37 Die Darstellungsweise innerhalb der laudatio kann als episodenhaft charakterisiert werden. Mit der Erziehung als Mädchen und ihrem Sozialverhalten als verheiratete Frau greift Augustinus zwei Aspekte aus dem Leben der Mutter heraus, die er als paradigmatisch darstellt. Folgender Gliederungsvorschlag soll zum Überblick über die Kompostitionsstruktur der laudatio dienen: 38 I. Einleitung (9,8,17, Z.19–Z.23) II. Die Erziehung Monnicas (9,8,17, Z.23–9,8,18) a. das erzieherische Wirken der Magd (9,8,17, Z.23–Ende) b. das erzieherische Wirken Gottes (9,8,18) III. Das vorbildhafte ethische Verhalten Monnicas (9,9,19–9,9,21) a. im Verhältnis zum Ehemann (9,9,19) b. im Verhältnis zur Schwiegermutter (9,9,20) c. Monnica allgemein friedensstiftend (9,9,21) 34 Zeilenangaben nach der Ausgabe Skutella 21996. 35 Anders Alonso del Real 2003, die den gesamten Schluss des Buches von 9,8,17 bis 9,13,37 als „Monnicae laudatio“ aufgefasst wissen will. Auch wenn Monnica im nachfolgenden Text noch gelobt wird, geschieht dies nicht mehr im Rahmen eines geschlossenen Rückblicks, der aus der Zeit der Erzählung herausgehoben ist, sondern erfolgt verstreut in der Reflexion zur Erzählung über die Ereignisse in Ostia. Es ist somit v.a. die Abgeschlossenheit des in die Erzählung eingefügten Rückblicks, der für den hier vorgeschlagenen Anfangs- und Endpunkt der laudatio funebris spricht. Zudem scheinen die Ekstase von Ostia und besonders Augustins Reflexion über das eigene Trauern nicht mehr in eine laudatio zu passen; anders Alonso del Real 2003, 239. 36 9,10,23: impendente autem die, quo ex hac vita erat exitura – quem diem tu noveras ignorantibus nobis – provenerat, ut credo, procurante te occultis tuis modis, ut ego et ipsa soli staremus incumbentes ad quandam fenestram, unde hortus intra domum, quae nos habebat, prospectabatur, illic apud Ostia Tiberina, ubi remoti a turbis post longi itineris laborem instaurabamus nos navigationi. Die Rückkehr des Erzählers zur chronologischen Erzählung der Ereignisse um den Tod der Mutter in Ostia wird sowohl in Hinblick auf die erzählte Zeit als auch auf den Ort in der Erzählung deutlich gemacht. 37 Zum erzählerischen Effekt dieser Prolepse s.192. 38 Zu grob hingegen erscheint die Einteilung in lediglich zwei Teile, einen ersten über die Kindheit, einen zweiten über das Leben mit Patricius, wie sie Paffenroth 1997, 149 vornimmt. Eine genauere Gliederung erlaubt aufschlussreiche Präzisierungen.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

IV. Monnica nicht nur leibliche, sondern auch spirituelle Mutter (9,9,22) Aus der Gliederung wird deutlich, dass der Nachruf auf Monnica dazu dient, über die erzählte Zeit der Confessiones hinauszugreifen, wodurch die Möglichkeit eröffnet wird, verschiedene Lebensphasen einer Frau zu beleuchten. Sie erscheint als kleines Mädchen, als Ehefrau und schließlich als Witwe. Es zeigt sich ferner, dass es auch bestimmte Themenbereiche sind, die in dieser Episode im Blickpunkt stehen. Die zentralen Punkte stellen Erziehung und weibliche Rollenbilder dar. c) Einleitung Zunächst soll die Eingliederung der laudatio in den Text der Erzählung näher betrachtet werden, da die Überleitung von der Erzählung der Ereignisse zum Nachruf wichtige Gesichtspunkte erkennen lässt: (Z.17–23) quaerebamus quisnam locus nos utilius haberet servientes tibi: pariter remeabamus in Africam. et cum apud Ostia Tiberina essemus, mater defuncta est. multa praetereo, quia multum festino. accipe confessiones meas et gratiarum actiones, deus meus, de rebus innumerabilibus etiam in silentio. sed non praeteribo quidquid mihi anima parturit de illa famula tua, quae me parturivit et carne, ut in hanc temporalem, et corde, ut in aeternam lucem 39 nascerer. non eius, sed tua dicam dona in eam.

Die Nachricht vom Ableben der Mutter nimmt nur geringen Raum ein, beschränkt sich auf die Tatsache selbst. Details will der Erzähler übergehen, da sie ihm unwichtig erscheinen: multa praetereo, quia multum festino. 40 Hier nimmt Augustinus einen Topos der captatio benevolentiae aus der Lobrede auf. 41 Durch die Erläuterung der praeteritio in den folgenden Sätzen bleibt diese Aussage aber nicht ein bloßer Topos, der nur einer vorgegeben Tradition verpflichtet wäre. Augustinus ist es aufgrund der Vorstellung einer allgemeinen Sündhaftigkeit des Men39 9,8,17: „Wie fragten, welcher Ort nun der geeignetere wäre, um uns bei unserem Dienst für dich zu beheimaten. So kehrten wir alle zugleich nach Afrika zurück. Als wir bei Ostia am Tiber waren, starb meine Mutter. Ich übergehe vieles, weil ich sehr in Eile bin. Nimm meine Bekenntnisse an und meine Dankesbekundungen, mein Gott, über unzählige Dinge auch im Stillen. Aber ich werde nicht übergehen, was meine Seele hervorbringt über diese deine Dienerin, die mich sowohl aus dem Fleische, so dass ich in dieses zeitliche, als auch im Herzen, dass ich in das ewige Licht geboren werde. Nicht von ihren, sondern von deinen Gaben an sie werde ich reden.“ 40 Pierre Courcelle 21968, 36 möchte diese Beschleunigung im Erzählen dadurch erklären, dass Augustinus mit den Confessiones ein weit umfangreicheres Programm verfolgt habe und der autobiographische Teil nur ein Vorspann zu einer Exegese der gesamten Heiligen Schrift habe bilden sollen. So weit braucht man jedoch nicht zu gehen. Die Stelle lässt sich auch sehr gut erklären, wenn man den Grund für die gewünschte Beschleunigung nicht so sehr in der Eile des Autors und Erzählers in Anbetracht eines überambitionierten Großprojektes sieht, sondern in einer Beschränkung auf die Punkte, die im Rahmen der Erzählabsicht der Confessiones wichtig sind. Vgl. bereits in 3,12,21: multa praetereo. 41 Vgl. Alonso del Real 2003, 243 mit Verweisen auf Sen. Helv. 19,7: haec non ideo refero ut laudes eius exequar und auf die laudatio Turiae (1,40): multa de hac parte omittam.

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schen nicht möglich, die res innumerabiles auszusprechen, die seine confessio enthalten sollte. 42 Zu beachten ist die Tatsache, dass diese Äußerung gerade an dieser Stelle fällt. Statt mit der Darstellung der Ereigniskette nach dem Eintreten des Todes der Mutter fortzufahren, will sich Augustinus auf Wichtigeres beschränken. Das Motiv der Eile begegnet in den Confessiones wiederholt und wird in 9,4,7 ebenso wie vor der laudatio funebris zu dem Zweck vorgebracht, die Bedeutung des Gesagten zu unterstreichen. 43 Neben theologischen Deutungen, die durchaus ihre Berechtigung haben, sollte besonders die rhetorische Funktion der Äußerung hervorgehoben werden, wobei hier die Bedeutung des Stoffes vor dem Hintergrund einer exemplarischen Auswahl unterstrichen werden soll. Von großer Tragweite für die Interpretation des folgenden Abschnittes ist die Tatsache, dass Augustinus den Nachruf auf die Mutter explizit in den Kontext seiner Bekenntnisse (confessiones meae) und Danksagungen (gratiarum actiones) an Gott stellt. Indem Augustinus hier die Begriffe anführt, die den Inhalt des Gesamtwerkes beschreiben (confessiones; gratiarum actiones), wird der Leser an das Programm des Werkes erinnert und die laudatio auf die Mutter in enge Beziehung zu den gesamten Confessiones gerückt. Worin Lob und Dank bestehen sollen, äußert Augustinus unmittelbar im ersten Satz: quidquid mihi anima parturit de illa famula tua, quae me parturivit et carne, ut in hanc tem44 poralem, et corde, ut in aeternam lucem nascerer. non eius, sed tua dicam dona in eam.

Die Anfangssätze fassen die wichtigen Gedankenlinien des Nachrufs zusammen. Gleich zu Beginn dieser Betrachtung über Monnica nennt Augustinus die beiden Hauptpunkte, die er im Folgenden herausstellen will: a) Die doppelte Mutterrolle der Monnica, die im primären Sinn als leibliche Mutter und im metaphorischen Sinn als spirituelle Mutter aufgefasst wird: Augustinus reiht die beiden Rollen der Monnica als fleischliche und spirituelle Erzeugerin in syntaktischem Parallelismus, aber in semantischer Antithese aneinander. Hierdurch wird sprachlich die inhaltliche Analogie verdeutlicht, die ein grundlegendes Element metaphorischen Sprachgebrauches darstellt: Die Mutter habe ihn nicht nur äußerlich nach dem Fleisch für das irdische, sondern auch innerlich nach dem Herzen 45 für das ewige Leben geboren.

42 Vgl. O’Donnell 1992, III, 116. 43 Vgl. 9,4,7: Et quando mihi sufficiat tempus commemorandi omnia magna erga nos beneficia tua in illo tempore praesertim ad alia maiora properanti? Hierzu O’Donnell 1992, III, 89. 44 9,8,17. 45 Zur Bedeutung von cor bei Augustinus vgl. Madec 1996, 2: «Le coeur dans son acception biblique est une métaphore (…). A(ugustin) désigne ainsi l’homme intérieur en activité ou encore l’homme en son dynamisme spirituel et en son opération spécifiquement humaine, autrement dit la force intérieure et spirituelle (...); 3: L’identité du coeur et de l’homme intérieur paraît être une évidence pour A(ugustin).» Zu cor als Metapher für den inneren Menschen vgl. auch Mayer 2006, 401.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

b) Das Wirken Gottes an Monnica: Indem Augustinus diesen Punkt aufzeigen will, stellt er eine Parallele zwischen der Betrachtung des Lebens der Monnica und der Darstellung und Reflexion des eigenen Lebens im gesamten autobiographischen Teil der Confessiones her. Auch in Monnicas Leben manifestieren sich die Zusammenhänge, wie sie Augustinus in der Betrachtung des eigenen Lebens in der infantia- und der pueritiaEpisode in Buch 1 und bei Adeodatus aufweisen will. Dies wird gleich hier zu Beginn deutlich: non eius, sed tua dicam dona in eam. neque enim se ipsa fecerat aut educaverat se ipsam: tu 46 creasti eam, nec pater nec mater sciebat, qualis ex eis fieret.

An dieser Stelle wird ein Bogen gespannt zur Reflexion über die puerita des Protagonisten Augustinus im 1. Buch: quid in tali animante non mirabile atque laudabile? at ista omnia dei mei dona sunt. non mihi ego dedi haec: et bona sunt et haec omnia ego. bonus ergo est qui fecit me, et ipse est bonum 47 meum et illi exulto bonis omnibus, quibus etiam puer eram.

Die persönlichen Eigenschaften werden an beiden Stellen als dona Gottes bezeichnet (tua dona in eam – ista omnia dei mei dona sunt). Gleichzeitig wird an beiden Stellen durch Aussagen, gegen die aufgrund ihrer Evidenz ein Widerspruch absurd wäre, betont, dass weder seine Mutter noch Augustinus zur eigenen Existenz beigetragen haben (neque enim se ipsa fecerat – non mihi ego dedi haec), sondern dass sowohl sie als auch er Gottes Geschöpfe seien (tu creasti eam – qui fecit me). Auch an der eigenen Erziehung und Bildung hat sie keinen Anteil (neque…educaverat se ipsam). Die Möglichkeit, diese Funktion den Eltern zuzuweisen, wird unmittelbar danach abgewiesen. Wie sie letztendlich geworden ist, unterlag nicht dem Einfluss der Eltern (nec pater nec mater sciebat, qualis ex eis fieret). Hierin werden Augustins Deutungen zur eigenen pueritia widergespiegelt. Er selbst hat sich gegen das Lernen gesträubt, also aus sich selbst nicht zur eigenen Entwicklung beigetragen. Die Intentionen der Eltern, die nur an den materiellen Erfolg ihres Sohnes dachten, zielten nicht darauf ab, dass er seine Bildung so gebrauchen würde, wie er es als christlicher Kleriker und Schriftsteller schließlich tun würde. Ebenso verweist die vorliegende Stelle zu Monnica auf die Reflexionen über Adeodatus, in denen Augustinus sich selbst jeglichen Beitrag zu den herausragenden Fähigkeiten seines Sohnes abschreibt, diese dafür als Gottes Werke preist. 48 46 9,8,17: „Nicht von ihren, sondern von deinen Gaben an sie werde ich reden. Denn sie hatte sich nicht selbst gemacht noch sich selbst erzogen: Du hast sie erschaffen. Weder der Vater noch die Mutter wusste, wie sie, die aus ihnen hervorgegangen ist, werden sollte.“ 47 1,20,31: „Was war an einem solchen Lebewesen nicht erstaunlich und lobenswert? Aber all dies sind Gaben meines Gottes. Dies habe nicht ich mir gegeben: aber dies sind Güter, und dies alles bin ich. Gut ist also der, der mich gemacht hat, und er selbst ist mein Gut, vor ihm frohlocke ich über alle Güter, durch die ich damals Kind war.“ 48 S. 205–212.

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Gleichzeitig werden hier mit der Gattung der laudatio verbundene pagane Vorstellungen umgestoßen, die die virtutes als die eigenen Leistungen der Personen loben oder auf die familiäre Abstammung und die Erziehung zurückführen. Während solches Denken hier Ablehnung erfährt, wird die Rolle des „inneren Lehrers“ Christus betont: et erudivit eam «in timore tuo» (Ps 5,8) virga Christi tui, regimen unici tui in domo fideli, bo49 no membro ecclesiae tuae.

Nicht von den Eltern oder gar durch sich selbst wird die Mutter erzogen, sondern von der virga Christi. Mit der virga spielt Augustinus auf die Notwendigkeit schmerzlicher Erfahrungen an, die zur Besserung beitragen. Auch an dieser Stelle verdeutlicht Augustinus anhand menschlicher Erfahrung, was er in anderen Werken in der Theorie entwickelt. So handelt auch der zwischen 388 und 391 entstandene Dialog De magistro von Christus als innerem Lehrer. 50 Christus wirkt an der vorliegenden Stelle der Confessiones innerlich zusammen mit den äußeren Umständen, hier mit der Familie: in domo,51 bono membro ecclesiae tuae. Die Familie ist, sofern sie fromm ist, wichtig als äußerer Umstand, die eigentliche Entwicklung ist jedoch innerlich und von Christus gelenkt. Durch die Apposition wird die Familie der spirituellen Gemeinschaft der Kirche zugeordnet. Ein frommes Haus kann, wie die Kirche, als äußerer Rahmen dienen, in dem Christus innerlich wirken kann. Das gläubige Haus wird zu einen ‚brauchbaren Glied der Kirche‘ (bonum membrum ecclesiae tuae), die wiederum Leib Christi ist. Die in Augustins Schrift De disciplina Christiana entwickelte Vorstellung, nach der die Kirche die domus disciplinae darstellt, in der Christus als wahrer magister unterrichtet, wird hier um das Element der Familie ergänzt. Die Familie wird durch ihre Funktion als Ort des inneren Erziehungswirkens Christi zu einer Erweiterung der Kirche. In diesen ersten Sätzen der laudatio gibt Augustinus den Rahmen vor, in dem sich der folgende Nachruf auf Monnica bewegen wird. Mit der Thematisierung der Wechselwirkung von Innen und Außen spannt Augustinus für den Leser einen Erwartungshorizont im Hinblick auf die folgende Darstellung der Entwicklung Monnicas. Mit dem Haus und der Familie ist der soziale Aktions- und Erfahrungsraum angegeben, der Monnica als einer spätantiken Tochter, Mutter und Ehefrau offensteht. Auffällig ist der Gebrauch des Zitats aus Ps 5,8 (in timore tuo), zumal da im Text davor lange keine Bibelzitate zu finden sind. Auf das Psalmenzitat folgt mit

49 9,8,17: „Und es erzog sie in der Furcht vor dir die Rute Christi, die Lenkung deines eingeborenen Sohnes in einem gläubigen Haus, einem guten Glied deiner Kirche.“ 50 Vgl. Pizzolato 32001b, 333. Dieser Dialog wird auch mit seinem Titel in den Confessiones in Zusammenhang mit dem Rückblick auf den Sohn Adeodatus erwähnt: est liber noster, qui inscribitur ‚de magistro‘: ipse (sc. Adeodatus) ibi mecum loquitur (9,6,14). 51 Der Begriff domus kann als Synonym zu familia betrachtet werden. Vgl. Shaw 1987, 11–13; 11: “the terms domus (‘household’) and familia (‘family’) seem to overlap considerably, if they are not actually synonymous.”

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

dem virga-Motiv eine weitere Reminiszenz an den Psalter. 52 Durch das Zitat und die Anspielung wird das von Augustinus vertretene Erziehungsbild im Kontext der Heiligen Schrift sublimiert. Auch hier geht mit einer Spiritualisierung auf der inhaltlichen Ebene eine Sakralisierung auf der sprachlichen einher. Augustinus integriert Zitate aus der Bibel unmarkiert in den Text der Confessiones. Sie sind somit Teil seiner eigenen Rede. Im Akt des Lesens erkennt jedoch der biblisch geschulte Leser das Zitat. Somit wird die Zuordnung der Worte ambivalent. Genau diesen Effekt will Augustinus erreichen, denn auf diese Weise vermischt fällt sein Denken mit dem Bibeltext zusammen. 53 M. More O’Ferralls Feststellung, die Sprache sei im gesamten Textabschnitt weitgehend biblisch, 54 ist zu allgemein und muss differenzierter betrachtet werden. Die Sprache weist einen wechselnden Grad an Bibelbezug auf. Die Wechsel erweisen sich wie hier sehr oft als höchst bedeutungsvoll. d) Die Erziehung der Monnica α) Das erzieherische Wirken der Magd Beim Rückblick auf die Erziehung referiert Augustinus Erzählungen der Mutter. Die wichtigste Rolle in ihrer Erziehung (disciplina) schreibt sie einer Dienstmagd (famula) zu. Nicht die leibliche Mutter, sondern eine Amme spielt in der Entwicklung Monnicas die Hauptrolle. nec tantam erga suam disciplinam diligentiam matris praedicabat quantam famulae cuiusdam decrepitae, quae patrem eius infantem portaverat, sicut dorso grandiuscularum 55 puellarum parvuli portari solent.

52 Ps 22,4: nam si ambulem in medio umbrae mortis non timebo mala, quoniam tu mecum es; virga tua et baculus tuus, ipsa me consolata sunt. Dazu Augustinus in seiner Auslegung zu diesem Psalm (en. Ps. 22,4): disciplina tua tamquam virga ad gregem ovium, et tamquam baculus iam ad grandiores filios et ab animali vita ad spiritualem crescentes, ipsa me non afflixerunt, magis consolata sunt; quia memor es mei. Vgl. als weiteres Beispiel ep. 185,21 (= De correctione Donatistarum liber unus), in der die Anwendung von Zwang bei der Bekehrung mit Bibelzitaten gerechtfertigt wird. «tu quidem», inquit (sc. scriptura divina), «percutis eum virga, animam vero eius liberabis a morte», et alibi dicit: «qui parcit baculo suo, odit filium suum». Vgl. Schultheiß 2007, 175–178 zur Argumentationsstruktur der in dieser Schrift dargelegten Erziehungsmaximen. 53 Zur Intertextualität der Confessiones allgemein s. Kap. II.1.b. 54 More O’Ferrall 1975, 27: “he is liable to describe Monica in language that is largely biblical.” 55 9,8,17: „Bei ihrer Erziehung rühmte sie nicht so sehr die Sorgfalt ihrer Mutter als vielmehr die einer gewissen gebrechlichen Magd, die bereits ihren Vater als Kleinkind auf dem Rücken getragen hatte, wie die ganz Kleinen von etwas älteren Mädchen gewöhnlich getragen werden.“ Vor allem die sozialhistorische Forschungsliteratur beruft sich auf diese Stelle, um Dienstmägden eine bedeutende Rolle für die Erziehung römischer Kinder beizumessen und diese Form der Erziehung als Normalfall anzusehen. Vgl. Shaw 1987, 42; so auch van Kempen-van Dijk 1978, 51. Zu beurteilen, ob eine solche Feststellung zur Erziehung allgemeine Gültigkeit für das römische Reich besitzt, ist hier nicht der Ort. Dennoch scheint die Stelle bei

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Es fällt ins Auge, wie Augustinus diese entscheidende Bezugsperson beschreibt. Bei ihrer Bezeichnung als famula quaedam decrepita ist jedes einzelne Wort bedeutungstragend: a) Bei der famula handelt es sich um eine sozial niedrig stehende Person. Die Beurteilung einer Person nach den Vorstellungen sozialer Hierarchisierung lehnt Augustinus ab. Jeder Mensch, unabhängig von seiner sozialen Stellung, kann eine wichtige erzieherische Funktion ausüben. Hier lässt sich bei Augustinus die im Christentum verbreitetete Tendenz erkennen, soziale Unterschiede abzuwerten zugunsten einer auf Innerlichem beruhenden Bewertung des zwischenmenschlichen Verhältnisses. 56 b) quaedam – „eine gewisse“ zeigt die Beliebigkeit der Person an, die eine wichtige Rolle für die geistige Entwicklung einnehmen kann. Sie braucht nicht von der Person der leiblichen Mutter ausgefüllt zu werden. Das Indefinitpronomen erfüllt hier den Zweck der Desakzentuierung, wozu es bei Augustinus auch häufig in der Einleitung von Zitaten dient, wenn möglichst wenig Aufmerksamkeit auf den Autor des Prätexts gelenkt werden soll. 57 c) Ebenso wenig wie sozialer Status zählen Alter und körperliche Leiden. Bei dieser famula decrepita ist ihre altersbedingte Gebrechlichkeit unwichtig, wenn es um ihre Bedeutung für die persönliche Entwicklung der Mutter geht. Das Adjektiv decrepitus verwendet Augustinus dementsprechend auch in seinen Psalmenauslegungen zur Beschreibung des alten, äußeren Menschen in Kontrastierung zu dem durch die Taufe innerlich erneuerten. 58 In diesen Sätzen, die die laudatio einleiten, ist die Funktion des biographischen Nachrufes auf Monnica im Gesamtzusammenhang der Confessiones sowie die Leserlenkung zu beachten. Augustinus zeigt mit dieser Erzählung eine Möglichkeit auf, wie sich bei der geistigen Entwicklung das Verhältnis zwischen leitender und geleiteter Person in einer völlig anders gearteten Beziehung verwirklichen kann als in einem leiblichen Mutter-Sohn-Verhältnis, wie er es am eigenen Fall darstellt. Dem Leser, der in Augustins Darstellung seine eigene Lebenserfahrung

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Augustinus anders zu lesen zu sein, als sie die oben genannten Interpreten aufgefasst wissen wollen. Wie der Satz nahe legt, muss die große Bedeutung der Magd für die Erziehung der Tochter hier nicht als Regelfall, sondern im Gegenteil als ein betontes, auffallendes Faktum gelesen werden. S. Kap. II.2.a. Vgl. allgemein K / St 2, 1, 642–643. Zur Zitationstechnik in der Antike allgemein Schultheiß 2009a, zu Zitaten bei Augustinus speziell Müller 2003b, 428. Zum Kontrast zwischen äußerem Alter und innerlicher Erneuerung sei hier auf eine Stelle der Enarrationes in Psalmos verwiesen, wo Augustinus ebenfalls das Adjektiv decrepitus zur Beschreibung altersbedingter Gebrechlichkeit verwendet (en. Ps. 118,5,2). S. 211 mit Textzitat. Vgl. zu dieser Stelle Gnilka 1972, 252. 9,6,14.

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wiedererkennen soll, werden auch andere mögliche Vorbildfiguren zur Verfügung gestellt. Augustinus stellt die Magd als die Vertreterin einer ideal anmutenden Erziehungstheorie und -praxis dar: unde etiam curam dominicarum filiarum commissam diligenter gerebat et erat in eis cohercendis, cum opus esset, sancta severitate vehemens atque in docendis sobria prudentia. nam eas praeter illas horas, quibus ad mensam parentum moderatissime alebantur, etiamsi exardescerent siti, nec aquam bibere sinebat praecavens consuetudinem malam et addens verbum sanum: modo aquam bibitis, quia in potestate vinum non habetis; cum autem ad maritos veneritis factae dominae apothecarum et cellariorum, aqua sordebit, sed mos potandi praevalebit. hac ratione praecipiendi et auctoritate imperandi frenabat aviditatem tenerioris aetatis et 59 ipsam puellarum sitim formabat ad honestum modum, ut iam nec liberet quod non deceret.

Ihren beiden Erziehungsaufgaben co(h)ercere und docere kommt die Magd in der besten Weise mit „heiliger Strenge“ und „nüchterner Klugheit“ (sancta severitate 60 – sobria prudentia) nach. Die Dienerin unterdrückt durch ihre Erziehungsmethoden schlechte Gewohnheiten der Kinder (praecavens consuetudinem malam). Hier ist die große Bedeutung der consuetudo (mala) in Augustins Theologie zu bedenken. Die consuetudo mala spielt auch in der Darstellung seiner eigenen Jugend eine grundlegende Rolle. 61 Dieser gilt es entgegenzuwirken. Der mos potandi wird sich nicht nur auf das Wasser beschränken, sondern sich in höherem Alter und beim Vorhandensein entsprechender Mittel auf Wein ausdehnen. Augustinus lobt hier Erziehungsmaximen, die mit seiner Theologie in Einklang stehen. Die consuetudines sind Folge der menschlichen Natur. Sie können nicht beseitigt, jedoch gelenkt werden (frenabat aviditatem tenerioris aetatis et ipsam puellarum sitim formabat ad honestum modum). 62 Bezeichnend ist die Einsicht der Magd, dass sich die Laster altersunabhängig zeigen. Auch hier weist Augustinus in diesem Binnentext Zusammenhänge auf, die er schon in der confessio seiner eigenen Handlungen dargelegt hat. In Buch 1 erfolgte der Versuch, schon am Säugling die sündhafte Natur des Menschen aufzuzeigen. Das verbum sanum der 59 9,8,17: „Daher erfüllte sie auch die ihr anvertraute Aufgabe der Aufsicht über die Töchter des Hausherrn gewissenhaft und war bei ihrer Bestrafung, wenn es nötig war, mit heiliger Strenge heftig, bei ihrer Unterweisung war sie von nüchterner Klugheit. Denn sie ließ sie, außer in jenen Stunden, in denen sie am Tisch der Eltern sehr maßvoll zu essen bekamen, nicht einmal Wasser trinken, auch wenn ihnen vor Durst die Kehlen brannten, wobei sie so der schlechten Gewohnheit vorbeugte und die vernünftige Aussage hinzufügte: Jetzt trinkt ihr Wasser, weil ihr den Wein nicht in eurer Gewalt habt. Wenn ihr aber zu euren Ehemännern kommen und Herrinnen über Weinlager und Vorratskammern sein werdet, wird das Wasser an Reiz verlieren, aber die Angewohnheit zu trinken wird die Oberhand haben. Mit dieser vernünftigen Einsicht beim Belehren und mit ihrer Autorität im Befehlen zügelte sie die Begierde des jüngeren Alters und drosselte selbst den Durst der jungen Mädchen auf ein ehrenhaftes Maß, so dass sie auch nicht mehr wollten, was sich nicht gehörte.“ 60 Vgl. 8,11,25: severa misericordia; Rm 11,22: severitatem dei. 61 Vgl. 8,5,10–8,5,11, wo Augustinus den Ursprung der Sünde sucht, und die Selbstinspektion in Buch 10. 62 Diese Einstellung findet sich auch bei anderen Kirchenvätern. Vgl. Blomenkamp 1966, 552– 554.

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Magd führt am eingängigen Exempel aus, was Augustinus an sich selbst gezeigt hat: Die consuetudo mala ist bereits beim Kleinkind vorhanden, sie unterscheidet sich beim Erwachsenen nur quantitativ, nicht qualitativ. Als Kinder tränken sie Wasser, da sie über Wein noch nicht verfügten. Als verheiratete Frauen wären sie jedoch „Herrinnen über Weinlager und Vorratskammern“ (dominae apothecarum et cellariorum). Des Wassers würden sie dann überdrüssig (aqua sordebit), aber die Gewohnheit zu trinken behielte ihre Macht (sed mos potandi praevalebit). Die Unterdrückung der consuetudines malae bildet somit für die Magd den Kernpunkt ihrer pädagogischen Grundsätze. Auch in der Erziehung misst Augustinus den beiden Begriffen ratio und auctoritas, die in einem dialektischen Verhältnis zueinander stehen, eine zentrale Stellung bei. 63 In der Erziehung sollen ratio und auctoritas einander ergänzen, wobei ratio dem docere, auctoritas dem cohercere in der Erziehung entspricht. 64 Augustinus spitzt das Ziel der Erziehungsmethoden auf eine formelhafte Maxime zu: ut iam nec liberet quod non deceret. In dem Ziel, dass das Kind von sich aus das Richtige will, kann man durchaus die Formulierung eines zutiefst augustinischen Erziehungsideals sehen, bedenkt man, dass die Konversion gerade durch die richtige Ausrichtung des Willens vollzogen wird. 65 Die Fortsetzung der Erzählung wird jedoch entscheidende Einschränkungen bringen. In dieser Episode findet eine kunstvolle Leserlenkung statt, weshalb es angebracht scheint, den Gedankengang aus der Perspektive des Rezipienten zu betrachten. Augustinus bietet hier eine Darstellung von zunächst völlig überzeugend wirkenden Erziehungsmethoden. Der Leser ist geneigt, bei der pointiert formulierten Maxime am Schluss das Erziehungskonzept als äußerst gelungen zu beurteilen. Indem Augustinus aber die Erziehung bisher als einen rein innerweltlichen Prozess dargestellt hat, hat er eine entscheidende Leerstelle offengelassen. β) Das erzieherische Wirken Gottes So sehr Augustinus die Erziehungsmaximen der Magd lobt, zeigt er im Folgenden ihre Grenzen auf. Auch die beste Pädagogik reicht nicht aus, um einen Menschen besser zu machen. Eingeleitet mit den adversativen Konjunktionen et (…) tamen wird nun die Wirksamkeit der oben dargestellten Methode, die Kinder zur Enthaltsamkeit vom Wein zu erziehen, infrage gestellt:

63 Hac ratione praecipiendi et auctoritate imperandi. Eine Übersetzung dieser Stelle muss die bei Augustinus häufig wiederkehrende Juxtaposition von ratio und auctoritas wiedergeben und ratio im Sinne einer „vernünftigen Einsicht“ auffassen. Den Sinn der Textstelle verfehlt deshalb die Version von Flasch / Mojsisch 2003, 236: „Durch diese Art zu ermahnen und durch ihre Autorität beim Befehlen“. Besser ist die Übersetzung Chiarini 32001b, 133: „l’ammonimento sensato col comando autoritario“. 64 Vgl. Pizzolato 32001b, 333. 65 Vgl. Brachtendorf 2005, 167-175 zur Bedeutung der Willensausrichtung in der Konversionsdarstellung der Confessiones. Vgl. beata v. 2,10.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones et subrepserat tamen, sicut mihi filio famula tua narrabat, subrepserat ei vinulentia. nam cum de more tamquam puella sobria iuberetur a parentibus de cupa vinum depromere, submisso poculo, qua desuper patet, priusquam in lagunculam funderet merum, primoribus labris sorbebat exiguum, quia non poterat amplius sensu recusante. non enim ulla temulenta cupidine faciebat hoc, sed quibusdam superfluentibus aetatis excessibus, qui ludicris motibus ebulliunt et in puerilibus animis maiorum pondere premi solent. itaque ad illud modicum cotidiana modica addendo – quoniam «qui modica spernit, paulatim decidit» (Ecli 19,1) – in eam con66 suetudinem lapsa erat, ut prope iam plenos mero caliculos inhianter hauriret.

Trotz bester Erziehung ist die Tochter nicht dagegen gefeit, schlechte Gewohnheiten anzunehmen. Schon das Verb subrepere drückt bildhaft aus, wie sich diese allmählich und heimlich einschleichen. Das Präfix sub- impliziert ein nach und nach zunehmendes und verborgenes Geschehen. 67 Die unmittelbar folgende Wiederaufnahme des Prädikats subrepserat ist bei einem solch kurzen Satz zur besseren Verständlichkeit nicht zwingend erforderlich, denn zwischen der ersten Nennung und der Wiederholung stehen lediglich sieben Wörter. Vielmehr trägt die Wiederholung, indem sie das allmähliche Voranschreiten plastisch macht, zum mimetischen Charakter der Darstellung bei. Der Stil der Erzählung spiegelt ihren Inhalt wider. Auffallend ist bei diesem Satz auch, dass das abstrakte Substantiv vinulentia Subjekt ist, während das Pronomen, das für eine menschliche Person steht, lediglich Objekt ist. Auch die stilistische Gestaltung folgt somit der inhaltlichen Aussage. Die Personifikation der vinulentia dient nicht allein dem sprachlichen Schmuck, sondern hat eine erkenntnisfördernde Funktion: Die vinulentia handelt ‚aktiv‘, während die passive Mutter lediglich das von ihr affizierte ‚Objekt‘ ist. Die anfängliche Kleinigkeit, aus der in allmählichem Ansteigen eine bedrohliche Situation erwächst, drückt auch die Bildhaftigkeit des folgenden Satzes aus: primoribus labris sorbebat exiguum – lediglich mit der „Zungenspitze“ wird anfangs „ein kleines bisschen genippt“. Warum Monnica zu Beginn nur verhalten an dem alkoholischen Getränk schlürft, wird mit einem dem Leser sehr eingängigen Grund erklärt: quia non poterat amplius sensu recusante. Sie trinkt nicht um des Genusses willen, vielmehr erzeugen die ersten Schlucke Abneigung. Der psychologische Zusammen66 9,8,18: „Eingeschlichen hatte sich dennoch, wie mir, dem Sohn, deine Magd erzählte, eingeschlichen hatte sich bei ihr die Neigung zum Weintrinken. Denn wenn wie üblich ihr als einem besonnenen Mädchen von den Eltern aufgetragen wurde, einer Tonne Wein zu entnehmen, führte sie den Becher darunter, wo es von oben her eine Öffnung gab, und bevor sie den Wein in eine kleine Flasche goss, schlürfte sie mit der Zungenspitze ein kleines bisschen; mehr konnte sie nicht, weil sich ihr Geschmackssinn weigerte. Sie machte dies nämlich nicht aus irgendeiner Begierde nach Berauschung, sondern aus irgendwelchem brausenden Überschwang ihres Jugendalters, der in spielerischen Bewegungen hervorsprudelt, aber in kindlichen Seelen vom Gewicht der Älteren gewöhnlich niedergedrückt wird. Indem sie deshalb zu jenem maßvollen bisschen jeden Tag mehrfach ein maßvolles bisschen hinzufügte – denn wer das Maßvolle geringschätzt, gleitet allmählich ab –, war sie dieser Gewohnheit verfallen, dass sie beinahe volle Becher mit unvermischtem Wein leerte.“ 67 Vgl. Ernout / Meillet / André 1985, 660: «En composition, outre l’idée de ‹sous, dessous› (comme dans succubō), sub exprime aussi l’idée soit de substitution: ‹à la place de› (cf. suppōnō et ses dérivés, succēdō, succurrō, substituō, sublegō) et par suite de succession (subolēs), soit d’une action furtive (rapiō, subripiō; cf. ὑποκλέπτω).»

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hang, den Augustinus mit dem Birnendiebstahl im 2. Buch demonstrieren möchte, wird hier am Beispiel der Mutter Monnica wieder aufgegriffen. Es ist die bloße Lust am Sündigen selbst, die zur Sünde treibt, nicht ein davon versprochener Vorteil, in diesem Fall der sinnliche Genuss. Hier bedient sich Augustinus einer Alltagserfahrung, die wohl die meisten Leser kennen. Es kann als eine allgemeinmenschliche Erfahrung gelten, dass Wein nicht auf Anhieb mundet. Zum Genießer wird man erst allmählich, während die ersten Schlucke noch nicht schmecken. Dieses weithin bekannte Alltagsphänomen dient an der vorliegenden Stelle Augustinus dazu, seine Theologie in der Lebenswelt aufzuzeigen und auf diese Weise dem Lesepublikum zu vermitteln. Der Eindruck einer natürlichen Zwangsläufigkeit des Vorganges wird hierbei durch die Wahl eines objektiv begründenden quia verstärkt. 68 Die Erzählung vom Weingenuss der Mutter wird durch eine kurze Reflexion über die Gründe für ein solches Verhalten unterbrochen (non enim…). Die oben angesprochene Unabdingbarkeit der auctoritas und des co(h)ercere in der Erziehung wird hier wieder aufgenommen. Augustinus nimmt nach dieser Reflexion die Darstellung der Entwicklung zur consuetudo mala wieder auf. Auch hier wird das allmähliche ‚Hineingleiten‘ durch einen mimetischen Erzählstil wieder kunstvoll nachgeahmt: itaque ad illud modicum cotidiana modica addendo – quoniam «qui modica spernit, paulatim decidit» (Ecli 19,1) – in eam consuetudinem lapsa erat, ut prope iam plenos mero caliculos 69 inhianter hauriret.

Bei einer Betrachtung der Textstellen mit dem Instrumentarium der Narratologie erweist sich dieser erste Teil des Satzes als aus der Perspektive der Figur der Mutter intern fokalisiert. 70 Der Begriff modicum soll eine den Vorgang begleitende Geisteshaltung der Figur der Erzählung, die sich hinter Ausreden verstecken möchte, verraten. Es sei ja nur „ein bisschen“. Kunstvoll gestaltet Augustinus die Steigerung. Aus dem singulären Ereignis (modicum) wird eine Vielzahl (modica), aus der bestimmten erstmaligen Überschreitung (illud) werden unbestimmt häufige Wiederholungen. Umso abrupter erfolgt nun der Bruch durch die in dem Bibelzitat aus Ecli 19,1 enthaltene Glaubenswahrheit. 71 Die Illusion der modica aus der Perspektive der Figur wird durch die Wiederaufnahme desselben Wortes im Bibelzitat aufgehoben: quoniam «qui modica spernit, paulatim decidit». Nachdem die Erzählung bis zu diesem Punkt das allmähliche Einschleichen der schlechten Gewohnheit zum Gegenstand hatte, folgt nun die Konsequenz des Prozesses: in eam consuetudinem lapsa erat. Zu beachten ist in diesem Satz das Plusquamperfekt, das dadurch umso mehr auffällt, dass es in einem Hauptsatz steht. Es bringt die zu spät erfolgende Einsicht im Nachhinein zum Ausdruck: Plötzlich war es passiert. Wenn das Mädchen nun plenos mero caliculos inhianter hauriret, ist der 68 69 70 71

Vgl. Menge 2000, 856 mit Verweis auf weiterführende Literatur. 9,8,18. Zum Konzept der ‚internen Fokalisierung‘ nach G. Genette s. Kap. II.1.c. Zur Benutzung von Bibelzitaten als objektive Begründung s. Kap. II.1.b.

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Vorgang, der mit primoribus labris sorbebat exiguum begonnen hat, an seinen Endpunkt gelangt. 72 Der Erzähler Augustinus spiegelt hier einen Vorgang wider, wie er ihn bei sich selbst vor seiner Konversion beschrieben hat. 73 In den Darstellungen zu Monnica führt er an einem weiteren Beispiel mit einem gezielten Blick für die menschliche Psychologie seine im 8. Buch formulierten Vorstellungen über den Zusammenhang von fehlgeleitetem Willen und schlechter Gewohnheit aus: quippe ex voluntate perversa facta est libido, et dum servitur libidini, facta est consuetudo, et 74 dum consuetudini non resistitur, facta est necessitas.

Die exemplarische Erzählung aus der Kindheit der Mutter dient Augustinus nicht nur dazu, das Wesen der consuetudo aufzudecken, sondern auch dazu, über die Wirkkräfte in der Entwicklung eines Menschen zu reflektieren. Die richtige Erziehung allein ist noch nicht hinreichend, um ein Kind von der consuetudo mala abzubringen, hierzu bedarf es auch eines gnadenhaften Waltens Gottes. Die Vorstellung, dass nur der Heilsakt der göttlichen Gnade den menschlichen Willen auf das richtige Ziel wenden kann, wird von Paulus in Rm 7,7ff. entwickelt. 75 Augustinus bricht mit der Vorstellung aus der antiken Tradition, nach der der richtige Wille aus der richtigen Erkenntnis hervorgeht. Für Augustinus ist die Willensrichtung hingegen unabhängig von der Erkenntnis des Guten. Augustins Vorstellung widerspricht der sokratischen Auffassung, dass niemand vorsätzlich böse handle (οὐδεὶς ἑκὼν ἁμαρτάνει). Aufgrund seiner mala voluntas kann nach Augustinus der gefallene Mensch auch trotz besserer Einsicht das Böse wollen (sciens volens). Der Wille wendet sich dann vom Guten ab und einer res inferior zu. Das Böse ist damit nicht mehr objektiv gegeben, sondern resultiert aus einer Verkehrung des Willens der jeweils handelnden Person. 76 Infolge des Sündenfalls hat sich der Wille des Menschen von Liebe in Begierde gewandelt. Ausschließlich das Eingreifen der göttlichen Gnade kann den menschlichen Willen heilen. Erst unter der Bedingung, dass die Gnade Gottes der intellektuellen und praktischen Aktivität des Menschen vorausgeht, kann der Mensch gemäß dem göttlichen Gebot handeln wollen, auch wenn er ohne ihr Wirken bereits weiß, dass er es tun soll. Das Eingreifen der göttlichen Gnade und die Erneuerung des Willens sind unerklärlich und können vom Menschen nicht erwirkt werden. 77 Diesen Zusammenhang erklärt die Fortsetzung der Erzählung über die letztendlich eingeschränkte Bedeutung der Magd für die persönliche Entwicklung Monnicas: 72 Vgl. Pizzolato 32001b, 334, der von einer „«climax» ascendente rispetto al precedente primoribus labris“ spricht. 73 Vgl. More O’Ferrall 1975, 29; O’Donnell 1992, III, 117. 74 8,5,10: „Denn aus einem verkehrten Willen wird Begierde, und wenn man der Begierde dient, wird daraus Gewohnheit, und wenn man sich der Gewohnheit nicht widersetzt, wird daraus Notwendigkeit.“ 75 Vgl. Dihle 1982, 85. 76 Vgl. Dihle 1982, 129 mit Verweis auf Enchir. 18. 77 Vgl. Dihle 1982, 130–131 mit Verweis auf civ. 12,6–12,9.

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ubi tunc sagax anus et vehemens illa prohibitio? numquid valebat aliquid adversus latentem morbum, nisi tua medicina, domine, vigilaret super nos? absente patre et matre et 78 nutritoribus tu praesens, qui creasti, qui vocas, qui etiam per reprobos homines boni aliquid agis ad animarum salutem. quid tunc egisti, deus meus? unde curasti? unde sanasti? nonne protulisti durum et acutum ex altera anima convicium tamquam medicinale ferrum ex 79 occultis provisionibus tuis et uno ictu putredinem illam praecidisti?

So sehr die Bedeutung der Erziehung durch Menschen zu Beginn der Erzählung herausgestrichen wurde, wird sie hier in bestimmten Punkten relativiert. An einer paradigmatischen Episode wird dargestellt, dass einerseits auch beste menschliche Erziehung nicht unbedingt von Erfolg gekrönt sein muss, dass andererseits aber auch erziehende Erlebnisse stattfinden können, deren Verursacher nicht aus erzieherischer, sondern sogar aus moralisch niedrig stehender Motivation handeln. Den Akteuren sind die Zusammenhänge, die zur inneren Entwicklung beitragen, zum Zeitpunkt des Ereignisses nicht in ihrer Konsequenz bewusst. 80 Das Wirken Gottes, das zu dem dargelegten Ausgang geführt haben muss, verdeutlicht Augustinus durch die Metapher des medizinischen Eingreifens Gottes als Heiler der menschlichen Krankheit, die zu schwer ist, als dass sie der Mensch selbst heilen könnte (ubi tunc sagax anus et vehemens illa prohibitio? numquid valebat aliquid adversus latentem morbum, nisi tua medicina, domine, vigilaret super nos?). Gott handelt dabei am Menschen durch den Mitmenschen, wobei dies nicht unbedingt die Eltern sein müssen. Hier zeigt Augustinus an Monnica wiederum die Bedeutung der Mitmenschen als Instrumente der Gnade Gottes81 auf, was er an sich selbst schon in der infantia-Episode, bei seinen Reflexionen über die eigene Erziehung in der pueritia-Episode oder im tolle-lege-Erlebnis un78 Die von Knöll 1896, 139 vorgeschlagene und paläographisch gut begründete Emendation, die das von den Codices überlieferte praepositos durch reprobos ersetzt, ist unbedingt zu unterstützen. Die Feststellung, dass Gott „auch durch Vorgesetzte“ korrigierend eingreift, stünde in keinem Zusammenhang zu der an der Stelle thematisierten Problematik. Treffend fügt sich reprobos („schlecht“, „verworfen“) ein, das in den lateinischen Bibelübersetzungen und auch mehrfach im augustinischen Wortschatz belegt ist. Dass Gott auch vermittels solcher Menschen handelt, die nicht in guter Absicht handeln, soll anhand der meribibula-Szene ja gerade gezeigt werden. Der Textabschnitt etiam per reprobos homines bildet eine deutliche Antithese zu dem darauf folgenden boni aliquid. Die Deutung, nach der hier die Rolle der Magd als Vorgesetzte durch das etiam praepositos sarkastisch kommentiert werde (vgl. O’Donnell 1992, III, 118), kann die überlieferte Textgestalt nicht befriedigend erklären. Dann müsste Augustinus an vorausgehender Stelle die Vorstellung in Zweifel gezogen haben, dass durch Vorgesetzte Gutes bewirkt werden könne. Dies ist jedoch nicht der Fall. 79 9,8,18: „Wo war damals die scharfsinnige alte Frau und jenes heftige Verbot? Vermochten sie etwas gegen die verborgene Krankheit, wenn nicht deine Medizin, Herr, über uns wachen würde? Wenn Vater, Mutter und Ammen abwesend sind, bist du gegenwärtig, der uns erschaffen hat, der ruft, der auch durch schlechte Menschen etwas Gutes tut zum Heil der Seelen. Was tatest du damals, mein Gott? Womit hast du behandelt, womit geheilt? Hast du nicht etwa die harte und beißende Schelte aus der anderen Seele hervorgeholt wie ein Arztmesser aus der Verborgenheit deiner Vorsehung und hast mit einem Schlag diese Fäulnis abgeschnitten?“ 80 Vgl. Webb 1980, 30, die das Ereignis als „seemingly fortuitous“ charakterisiert. 81 Vgl. More O’Ferrall 1975, 29.

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terstrichen hat. Der Arztvergleich wird weitergeführt: nonne protulisti durum et acutum ex altera anima convicium tamquam medicinale ferrum ex occultis provisionibus tuis et uno ictu putredinem illam praecidisti? Aus der Sicht der Menschen bleibt die Motivation des Handelns zunächst verborgen (ex occultis provisionibus tuis). Was Augustinus eben reflektiert und unter Verwendung einer bildhaften Sprache ausdrucksstark formuliert hat, wird nun durch die Erzählung dargestellt. Wieder speisen sich theologische Reflexion und dargestellte Lebenserfahrung gegenseitig: ancilla enim, cum qua solebat accedere ad cupam, litigans cum domina minore, ut fit, sola cum sola, obiecit hoc crimen amarissima insultatione vocans meribibulam. quo illa stimulo percussa respexit foeditatem suam confestimque damnavit atque exuit. sicut amici adulantes 82 pervertunt, sic inimici litigantes plerumque corrigunt.

Die kausale Konjunktion enim führt die Erläuterung der allgemeinen Aussage durch ein Beispiel ein. 83 Während jedoch in der Reflexion zur Veranschaulichung der Glaubensinhalte Metaphorik einen breiten Raum einnimmt, findet in der erzählenden Partie ein auffallender Wechsel in der Sprache statt. Nun wird der Erzählstil mimetisch. Der Leser soll sich in die damalige Situation hineindenken, das Ereignis möglichst nahe erleben, um die beschränkte Perspektive der Figuren in der historischen Situation nachempfinden zu können. Man kann auch hier wieder unter Verwendung narratologischer Terminologie sagen, dass die Erzählung aus der Perspektive der Akteure in der damaligen Situation geschieht und somit intern fokalisiert ist. Das entscheidende Ereignis geschieht in alltäglicher Beiläufigkeit. Schon das Prädikat solebat weist sowohl aufgrund der Aktionsart als auch des iterativen Aspektes des Imperfekts auf die Routinehaftigkeit des Weinholens hin. Der Streit ist eine Nebensächlichkeit, wie das einen Begleitumstand beschreibende Partizip litigans andeutet. Zu solchen konflikthaften Zusammenstößen mit dem Dienstpersonal ist es in römischen Familien vermutlich häufiger gekommen. 84 Dieser Eindruck einer alltäglichen Situation wird noch durch das eingeschobene ut fit verstärkt. In dieser vermeintlichen Routine ereignet sich unerwartet das entscheidende Erlebnis. Plötzlich fällt die amarissima insultatio. Diese „äußerst bittere Beleidigung“ spiegelt eine Empfindung aus der Perspektive der jungen Monnica wider. Der Grund dafür folgt unmittelbar: vocans meribibulam. 82 9,8,18: „Als nämlich die Dienerin, mit der sie gewöhnlich an die Tonne herantrat, mit der kleinen Herrin stritt, was ja vorkommt, warf sie ihr, als sie ganz allein unter sich waren, dieses Vergehen in einer äußerst bitteren Beleidigung vor, indem sie sie ‚Weinsäuferlein‘ nannte. Weil sie durch diesen Stachel tief getroffen war, erblickte sie ihr schändliches Verhalten, verurteilte es sofort und legte es ab. Wie schmeichelnde Freunde einen schlecht machen, so machen streitende Feinde einen meistens besser.“ 83 Vgl. RHH §224d, 261: „nam und enim dienen auch zur Erhärtung einer Behauptung durch Einführung von Beispielen aus der Geschichte und dem Menschenleben“. Um ein solches ‚Beispiel aus dem Menschenleben‘ handelt es sich auch bei der vorliegenden Textstelle. 84 Vgl. Shaw 1987, 15: “meddlesome slave women were blamed for the tension and dislike, but that seems more like a convenient ‘explanation’ for a problem that was inherent in many households.”

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Auch hier ist wieder der mimetische Stil des ganzen Satzes zu beachten. Die Erzählweise lässt wie schon in früheren Textpassagen die dargestellte Situation sehr gut nachempfinden. Die Beschimpfung durch das eine Wort wirkt durch die Prägnanz des Satzes beinahe direkt ausgesprochen. Eines solch einschlägigen Erlebnisses (quo illa stimulo percussa) bedurfte es, um zur Einsicht zu gelangen. Die Erkenntnis im Nachhinein drückt das Verb re-spicere treffend aus: Es ist ein „Zurück-Blicken“ mit anderen Augen. Die amarissima insultatio stellt die menschliche Perspektive auf das zuvor vom Erzähler reflektierte „einschneidende“ Wirken Gottes als das eines Arztes dar (protulisti durum et acutum ex altera anima convicium tamquam medicinale ferrum […] et uno ictu putredinem illam praecidisti). Mithilfe dieser Geschichte spiegelt Augustinus in mimetischem Erzählen in der Erfahrungswelt des Menschen wider, was in der theologischen Reflexion über Gottes Wirken metaphorisch ausgedrückt wird. Lebensweltlicher Realismus und religiöse Metaphorik zum Ausdruck übersinnlicher Wahrheit werden vereint. Die pointiert und sentenzenhaft formulierte Erkenntnis, die Augustinus aus dieser Geschichte zieht (sicut amici adulantes pervertunt, sic inimici litigantes plerumque corrigunt), spielt deutlich auf Ciceros Laelius de amicitia an: 85 Scitum est enim illud Catonis, ut multa: «Melius de quibusdam acerbos inimicos mereri, quam eos amicos, qui dulces videantur: illos verum saepe dicere, hos numquam.» Atque illud absurdum, quod ii, qui monentur, eam molestiam, quam debent capere, non capiunt (…) peccasse enim se non anguntur, obiurgari moleste ferunt, quod contra oportebat, delicto dolere, 86 correctione gaudere.

Doch die Einsicht, dass gerade feindlich gesinnte Menschen oft zur Besserung beitragen, lässt der Erzähler nicht als eine Lebenserfahrung für sich stehen, vielmehr gibt sie ihm Anlass zu weiterem Nachdenken. Für Augustinus, in dessen Erzählung und Reflexion über Monnicas Leben der Zusammenhang von menschlichem Handeln und göttlicher Lenkung im Blickpunkt steht, schließt sich unmit85 Vgl. Hagendahl 1967, I, 94–96; II, 523–524. Augustinus kannte diese kleine Schrift Ciceros gut, denn er zitiert sie in seinem Werk insgesamt sechsmal. Auf dieselbe Textstelle geht er auch in ep. 73,4 (geschrieben ca. 403–404) ein: hoc est enim, quod acute vidit, qui dixit utiliores esse plerumque inimicos iurgantes quam amicos obiurgare metuentes; illi enim dum rixantur, dicunt aliquando vera, quae corrigamus, isti autem minorem, quam oportet, exhibent iustitiae libertatem, dum amicitiae timent exasperare dulcedinem. In c. Acad. 3,6,13 nimmt Augustinus zustimmend Ciceros berühmte Definition der Freundschaft aus Lael. 20 auf: amicitia rectissime atque sanctissime definita est «rerum humanarum et divinarum cum benivolentia et caritate consensio». 86 Cic. Lael. 90: „Bekannt ist nämlich neben vielen anderen jener Ausspruch des Cato: ‚Um manche Leute machen sich die bitteren Feinde mehr verdient als die Freunde, die angenehm erscheinen: Jene sagen häufig die Wahrheit, diese niemals.‘ Und dieses ist verrückt, dass diejenigen, die ermahnt werden, jenes peinliche Gefühl, das sie beschleichen müsste, nicht bekommen. Es beunruhigt sie nämlich nicht, wenn sie einen Fehler gemacht haben, es ist ihnen jedoch unangenehm, wenn sie getadelt werden. Es gehörte sich hingegen, über einen Fehler Schmerz zu empfinden, sich über die Zurechtweisung zu freuen.“ Zu adulantes in den Confessiones findet sich in Laelius folgende Parallelstelle: sic habendum est nullam in amicitiis pestem esse maiorem quam adulationem, blanditiam, adsentationem (Lael. 91).

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telbar an diese Feststellung die Frage nach der moralischen Bewertung des Verhaltens einer Person an, die Gutes bewirkt, ohne es zu wollen: nec tu quod per eos agis, sed quod ipsi voluerunt, retribuis eis. illa enim irata exagitare appetivit minorem dominam, non sanare, et ideo clanculo, aut quia ita eas invenerat locus et tempus litis, aut ne forte et ipsa periclitaretur, quod tam sero prodidisset. at tu, domine, rector caelitum et terrenorum, ad usus tuos contorquens profunda torrentis, fluxum saeculorum ordinate turbulentum, etiam de alterius animae insania sanasti alteram, ne quisquam, cum hoc advertit, potentiae suae tribuat, si verbo eius alius corrigatur, quem vult 87 corrigi.

Die paradigmatische Geschichte aus der Kindheit der Mutter dient Augustinus auch zur Demonstration seiner Willensethik. Augustinus weist an dem Beispiel auf, dass der veranlassende Wille von der Handlung und ihrem Ergebnis zu trennen ist. 88 Eine gute Tat braucht nicht mit gutem Willen zu geschehen. Nur der Wille steht in der Verfügbarkeit des Menschen, weshalb nur sein Wille zu bewerten ist: 89 nec tu quod per eos agis, sed quod ipsi voluerunt, retribuis eis. So darf sich auch kein Mensch die Ausführung einer guten Tat, selbst wenn er den richtigen Willen dazu hat, als eigenes Verdienst anrechnen: ne quisquam, cum hoc advertit, potentiae suae tribuat, si verbo eius alius corrigatur, quem vult corrigi. Die Konversion vom Weingenuss erwirkt die Magd unabsichtlich (irata, clanculo). Die möglichen Umstände, die ihr Handeln motivieren, werden als Alternativen (aut…aut) erörtert: Entweder sind es äußere Umstände (aut quia ita eas invenerat locus et tempus litis 90) oder sogar eigennützige Absichten (aut ne forte et ipsa periclitaretur, quod tam sero prodidisset 91), die zum richtigen Ergebnis führen. Auch in diesem Zusammenhang bedient sich Augustinus zweier häufig wiederkehrender Metaphern zur Beschreibung des göttlichen Wirkens in der Welt. Es 87 9,8,18: „Nicht das, was du durch sie tust, sondern das, was sie selbst wollten, vergiltst du ihnen. Jene beabsichtigte nämlich im Zorn, die kleinere Herrin zu reizen, nicht zu heilen, und sie tat es deshalb heimlich, weil sich Ort und Zeitpunkt des Streits für sie so ergeben hatten oder damit sie sich nicht selbst in Gefahr begebe, weil sie es so spät bekannt gegeben hätte. Aber du Herr, Lenker der Dinge im Himmel und auf der Erde, wendest die Tiefen des Sturzbachs und den Strom der Zeiten, der geordnet wirbelt, zu deinem Nutzen. Auch durch die Krankheit der einen Seele hast du die andere geheilt, damit niemand, wenn er dies erkennt, es seiner eigenen Kraft zuschreibt, wenn durch sein Wort ein anderer gebessert wurde, dessen Besserung er wünschte.“ 88 Die moralische Bewertung menschlichen Handelns bezieht sich ausschließlich auf den Willen. Vgl. Dihle 1982, 128–129 mit Verweis auf spir. et litt. 34,60; Gn. litt. 12. 89 Vgl. Pizzolato 32001b, 334; Flasch 2003b, 105–106 mit Verweis auf de libero arbitrio 3 (entstanden 391–395). 90 Die Kontingenz des Ereignisses wird dadurch ausgedrückt, dass die abstrakten Nomina handelnde Subjekte darstellen gegenüber den Personen, die lediglich das von der Verbalhandlung affizierte Objekt sind. 91 Auch an dieser Stelle ist wieder Augustins Kunst der mimetischen Darstellung zu beobachten. Den Befürchtungen der Magd, die ihr Handlungsmotiv darstellen, wird dadurch Ausdruck verliehen, dass sie aus der Perspektive der Figur in einem verneinten optativen Konjunktiv formuliert werden. (Konj. Impf. aufgrund der consecutio temporum, vgl. K / St II 1962, § 238, 1b, 536 mit Anm. 1 über Ergänzung eines einleitenden Verbs ohne Zusammenhang).

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handelt sich zum einen um die Wasser-Metaphorik. 92 Über den Strudeln, die die von dem Menschen empfundene Kontingenz der Ereignisse versinnbildlichen, steht der ordnende Gott (at 93 tu, domine, rector caelitum et terrenorum, ad usus tuos contorquens profunda torrentis, fluxum saeculorum ordinate turbulentum). Zwischenmenschliche Beziehungen stehen unter der Lenkung Gottes. Das Bild der Wasserstrudel, in denen jedoch Gott waltet, dient dazu, die kontingent erscheinenden interpersonalen Beziehungen als geordnet und gottgewirkt darzustellen. Auf die Wassermetaphorik folgt das Bild der Heilungsbedürftigkeit des Menschen und des Heilswirkens Gottes (de alterius animae insania sanasti alteram) verbunden. Die in diesen Abschnitt eingearbeiteten Gedanken über Erziehung entsprechen Augustins Vorstellungen, wie er sie in anderen Werken theoretisch formuliert. In den Confessiones demonstriert er ihren ‚Sitz im Leben‘. Mit dem Verb corrigere fällt in diesem Abschnitt ein wichtiges Stichwort für Augustinus’ pädagogische Vorstellungen. Die correctio als Erziehungsziel entspricht Augustins Menschenbild. Da Vollkommenheit aber erst im Jenseits erreichbar ist, hört die Notwendigkeit von Erziehung im Laufe des Lebens eines Menschen nie auf. 94 Wörter, die der Familie von correctio und corrigere angehören, begegnen bei Augustinus sehr häufig. Die correctio dient stets dem moralischen Ziel einer Befreiung von der Herrschaft der Sünden, so dass der Mensch ewiges Heil erlangen kann. Bewirkt werden kann eine auf das Heil zielende correctio nur von Gott. Neben den Menschen kommt auch der Kirche eine bedeutende Rolle als Mitwirkerin an der göttlichen correctio zu. 95 Die correctio geschieht letztendlich nicht durch den Menschen, der bei einem anderen eine Änderung im Verhalten oder Denken bewirken kann, sondern durch Gott. Gottes Wirken ist immanent, aber heimlich. 96 Diese Heimlichkeit wird an unserer Stelle auch erzähltechnisch umgesetzt. Zum Zeitpunkt des Erlebens ist den Akteuren die Dimension ihres Handelns

92 S. 167–168; 178–181. 93 Zu beachten ist die Expressivität des at, das die Gegenüberstellung der menschlichen Zusammenhänge und des göttlichen Waltens einleitet. Vgl. K / St II 1962, 81: „At ist im eigentlichen Sinne die Konjunktion des Ei n wu r f s; es drückt daher einen Gegensatz weit lebhafter und energischer aus als sed.“ 82: „Weiterhin steht at aber auch in fo r td a ue r nd er Re d e , um eine Person oder Sache mit besonderem Nachdruck einer anderen entgegenzustellen.“ In der Rhetorik wird at „nicht selten sowohl zur Einleitung des E in wu r f s wie der W id er le g u n g “ (86) gebraucht. 94 Vgl. Christes 1998, 117. Auch Ambrosius (off. 3,11) und Hieronymus (adv. Pelag. 3,13) unterscheiden zwischen einer nur teilweisen Vollkommenheit im diesseitigen Leben eines Christen und einer vollendeten im Jenseits. Da jedoch Erziehung nur im Diesseits stattfindet, kann sie lediglich das Ziel einer eingeschränkten Vollkommenheit anstreben. Damit kann das Ziel der irdischen Erziehung nur über sich hinausweisen hin auf eine Endzeit, ein Ziel das ihr Sinn gibt. Bereits im Neuen Testament beginnt die Vorstellung eines göttlichen Erziehungswirkens, das auf das Heil des Menschen zielt. Die Theologie spricht hierbei von einer „Heilspädagogik“. Vgl. Blomenkamp 1966, 523–524. 95 Vgl. van Bavel 1996a, 22–25. 96 Vgl. Courcelle 21968, 396–397; Pizzolato 32001 , 334.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

nicht bewusst. Ihre Perspektive ist dem Ablauf der Ereignisse verhaftet, während eine Deutung erst im Nachhinein möglich ist. Insgesamt kann die Biographie Monnicas in der laudatio als eine Absage an klassische Konzepte von Bildung und den mit ihr verbundenen ethischen Vorstellungen gelesen werden. Die griechisch-hellenistische Auffassung von Bildung, die auf eine Vervollkommnung des Menschen aus sich selbst zielt, wird abgelehnt. Der Mensch kann nicht ohne göttliche Gnade vollkommen werden. 97 Im Speziellen kann diese Passage als eine Korrektur von pädagogischen Vorstellungen, wie sie von hellenistischen Philosophen vertreten wurden, gelesen werden. Diese räumen dem Erzieher durchaus die Möglichkeit ein, den Willen des zur Erziehung Anvertrauten zu lenken. Philodem vergleicht den Lehrer mit einem Arzt, in dessen Vermögen es liegt, die Disposition des Schülers von Fehlern zu heilen. 98 Nach traditioneller stoischer Auffassung kann die Ausrichtung des Willens gelehrt und geübt werden. 99 Ein kurzer Exkurs an dieser Stelle soll dem Hinweis dienen, dass Augustinus auch an anderer Stelle eine vergleichbare Darstellungstechnik anwendet, um ein klassisches Ideal im christlichen Sinne zu modifizieren. Bei diesem darstellerischen Verfahren wird eine Geisteshaltung zunächst gebilligt, dann werden jedoch ihre Defizite aufgezeigt. Im 4. Buch nimmt die Trauer anlässlich des Todes eines Freundes breiten Raum ein. In der Reflexion über die Ursache des Schmerzes, den der Verlust erzeugt, wird mit großer Empathie ein Freundschaftsideal entworfen. Anschaulich beschreibt Augustinus die Genüsse einer idealen Freundschaft: alia erant, quae in eis (sc. amicis) amplius capiebant animum (sc. meum), conloqui et conridere et vicissim benivole obsequi, simul legere libros dulciloquos, simul nugari et simul honestari, dissentire interdum sine odio tamquam ipse homo secum atque ipsa rarissima dissensione condire consensiones plurimas, docere aliquid invicem aut discere ab invicem, desiderare absentes cum molestia, suscipere venientes cum laetitia: his atque huius modi signis a corde amantium et redamantium procedentibus per os, per linguam, per oculos et mille motus 100 gratissimos quasi fomitibus conflare animos et ex pluribus unum facere.

97 Vgl. Schwenk 1992, 154. 98 Vgl. Phld. Lib. col. XVII; vgl. ferner Asmis 2001, 227. Den Arztvergleich übernimmt Augustinus aus der hellenistischen Philosophie auch in die Confessiones. Die Funktion des Arztes erfüllt bei ihm jedoch nicht der (weise) Lehrer, sondern Christus medicus. Vgl. Brachtendorf 2005, 17–24. 99 Vgl. Dihle 1982, 134 mit Verweis auf SVF 3,104. Dieser Auffassung widerspricht bereits Senecas velle non discitur (ep. 81,13). Vgl. Dihle 1982, 134. 100 4,8,13: „Es waren noch andere Dinge, die an ihnen meinen Sinn mehr ergriffen: sich zu unterhalten, gemeinsam zu lachen, sich wohlwollend nacheinander zu richten, zusammen schöngeistige Bücher zu lesen, miteinander Possen zu reißen und sich zu ehren, bisweilen einander ohne Hass zu widersprechen, als ob man sich selbst widersprechen würde, und gerade mit der sehr seltenen Meinungsverschiedenheit den sehr häufigen Übereinstimmungen Würze zu verleihen, sich gegenseitig etwas beizubringen oder voneinander zu lernen, sich nach den Abwesenden mit Verdruss zu sehnen, die Ankommenden mit Freude aufzunehmen: mit diesen und derartigen Zeichen, die aus dem Herzen der Liebenden und der Wiederliebenden durch den Gesichtsausdruck, die Zunge, die Augen und tausend sehr angenehme Bewegungen hervortreten, wie mit Zündstoff die Seelen anzufachen und aus mehreren eine zu machen.“

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Die Darstellung macht den Leser dazu geneigt, diesen Vorstellungen zuzustimmen. Zu beachten ist in diesem Gedankengang der Rekurs auf ciceronische Konzepte, die im vorliegenden Abschnitt zur Freundschaft aufgenommen sind. Dies wird durch wörtliche Anspielungen deutlich gemacht: redamare erscheint auch in Lael. 14,49. Klar erkennbar ist ferner der Verweis auf Lael. 25,92: ut unus quasi amicus fiat ex pluribus. Aber auch hier wird die Schilderung, so positiv sie zunächst erscheint, schlussendlich als defizitär herausgestellt: Diesem Bild von Freundschaft geht der entscheidende Punkt ab, nämlich der Bezug auf Gott als eine der Zeit enthobene Instanz: hoc est, quod diligitur in amicis et sic diligitur, ut rea sibi sit humana conscientia, si non amaverit redamantem aut si amantem non redamaverit, nihil quaerens ex eius corpore praeter indicia benivolentiae. hinc ille luctus, si quis moriatur, et tenebrae dolorum et versa dulcedine in amaritudinem cor madidum et ex amissa vita morientium mors viventium. beatus qui amat te et amicum in te et inimicum propter te. solus enim nullum carum amittit, cui omnes in illo cari sunt, qui non amittitur. et quis est iste nisi deus noster, deus, qui fecit 101 caelum et terram et implet ea, quia implendo ea fecit ea?

Das klassische Freundschaftsideal wird aufgenommen, aber als noch nicht hinreichend dargestellt. Der entscheidende Punkt, den die Liebe Gottes im Freund ausmacht, fehlt für Augustinus dort noch. Kehren wir nach diesem Exkurs zum 4. Buch wieder zur laudatio auf Monnica zurück. Die Erziehungsmaximen der Amme, so sehr ihnen zuzustimmen ist, stehen in einem Spannungsverhältnis zu der berühmten Szene über den Birnendiebstahl in Buch 2 und werden durch diese frühere Textstelle relativiert: arbor erat pirus in vicinia nostrae vineae pomis onusta nec forma nec sapore inlecebrosis. ad hanc excutiendam atque asportandam nequissimi adulescentuli perreximus nocte intempesta, quousque ludum de pestilentiae more in areis produxeramus, et abstulimus inde onera ingentia non ad nostras epulas, sed vel proicienda porcis, etiamsi aliquid inde comedimus, dum 102 tamen fieret a nobis quod eo liberet, quo non liceret.

101 4,9,14: „Dies ist es, was man an Freunden liebt und zwar in der Weise, dass das menschliche Gewissen vor sich selbst schuldig wird, wenn es den Wiederliebenden nicht liebt oder den Liebenden nicht wiederliebt, wobei man von seinem Leib nichts anderes erwartet als Hinweise des Wohlwollens. Daher rührt jene Trauer, wenn jemand stirbt, und die Dunkelheit der Schmerzen, das verdorbene Herzen, wenn sich die Süße in Bitterkeit verwandelt hat, und der Tod bei den Lebenden infolge des verlorenen Lebens der Sterbenden. Glücklich ist, wer dich liebt und den Freund in dir und den Feind wegen dir. Nur derjenige verliert keinen geliebten Menschen, dem alle in dem lieb sind, der nicht verloren geht. Und wer ist dies außer unserem Gott, Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat und diese erfüllt, weil er sie geschaffen hat, indem er sie erfüllte?“ 102 2,4,9: „In der Nähe unseres Weinberges gab es einen Birnbaum, der mit Früchten behangen war, die weder durch ihr Aussehen noch durch ihren Geschmack verlockend waren. In unzeitiger Nacht – so lange hatten wir unser Spiel nach verderblicher Gewohnheit auf den Plätzen fortgesetzt – machten wir gänzlich nichtsnutzigen Jungen uns dazu auf, ihn zu schütteln und zu berauben, und nahmen gewaltige Mengen mit, nicht, um sie zu essen, sondern um sie sogar den Schweinen vorzuwerfen; auch wenn wir etwas davon aßen, dann nur solange wir machten, was deshalb lieb war, weil es nicht erlaubt war.“

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

Augustinus stellt in diesem Zusammenhang fest, dass der Mensch etwas anstreben kann, gerade aus dem Grund, dass es nicht erlaubt ist. 103 Die Parallelität der angestellten Reflexionen unterstreicht den Querverweis der laudatio funebris im 9. Buch auf die autobiographische Erzählung und Reflexion Augustins und hier insbesondere auf die Birnendiebstahlsszene im 2. Buch. Hier fallen ferner Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu Augustins Darstellung seiner Konversion in Buch 8 auf. Sicherlich ist als trennendes Element zu bedenken, dass es sich bei der Konversion Augustins um eine Hinwendung des Willens zu Gott handelt, während Monnica lediglich ihren Willen von der mala consuetudo des Weintrinkens abwendet. Dennoch gibt es auch offensichtliche Parallelen. Monnica bietet ein weiteres exemplum für die Sündhaftigkeit der Natur des Menschen, aber auch für die Möglichkeit einer Umkehrung des Willens. Was Augustinus am eigenen Beispiel demonstriert hat, soll durch die Parallelisierung mit einer anderen Biographie Allgemeingültigkeit erhalten und zu einer generellen anthropologischen Erkenntnis erweitert werden können. 104 An der vorliegenden Stelle schlägt sich eine Auffassung von Bildung im Lichte der Erbsündenlehre nieder. Der Wille wird bereits in De libero arbitrio mit der Thematik der Erziehung in Zusammenhang gebracht. 105 Die Willensfreiheit gilt als Voraussetzung für die Erziehung (1,3,3). Eine Abwertung des menschlichen Lehrers hingegen findet sich in De magistro. Hier ist der wahre, innere Lehrer Christus. 106 Während sich De magistro auf die Erkenntnistheorie bezieht, wird an unserer Stelle der Confessiones diese Vorstellung auf die Ethik ausgedehnt. Die Vorstellung von Christus als wahrem innerem Lehrer verfestigt sich bei Augustinus nach der Einführung der Erbsündenlehre. 107 Das innere Wirken Gottes am Menschen wird auch in den Confessiones thematisiert. 108 Franz Xaver Eggersdorfer urteilt in seiner Arbeit zur Pädagogik Augustins: „Augustin bringt seine Lehren über Sünde und Gnade nur selten in Beziehung zu Fragen der Erziehung; trotzdem glauben wir nicht mit Unrecht behauptet zu haben, daß die fortschreitende Vertiefung in die Theologie nicht unwesentlich dazu beigetragen hat, daß er die philoso109 phische Pädagogik der ersten Zeit verließ.“

103 Vgl. 2,6,14: potuitne libere quod non licebat, non ob aliud, nisi quia non licebat? 104 Vgl. More O’Ferrall 1975, 30; Müller 2003a, 86. Die Mutter, in Augustins Darstellung des eigenen Lebens Instrument der Gnade Gottes, wird nun ihrerseits zur Empfängerin der Gnade vermittels anderer. Vgl. van Kempen-van Dijk 1978, 50. Gottes Wirken an Augustinus ist kein einmaliger Vorgang mehr, zu dem alle anderen Figuren in Hinblick auf die Hauptfigur Augustinus instrumentalisiert werden, vielmehr erscheint das gesamte interpersonelle Netz auch in seiner Reziprozität als von der göttlichen Prädestination abhängig. 105 Vgl. Eggersdorfer 1907, 27. 106 Vgl. Eggersdorfer 1907, 39; Vannier 2006, 215 mit Verweis auf mag. 14,46: „Seul le maître intérieur est garant de la vérité de la connaissance.“ 107 Vgl. Eggersdorfer 1907, 102 mit Verweis auf ep. Io. tr. 3,13; Io. ev. tr. 16,3; 26,7. 108 Als ein Beispiel aus dem 9. Buch sei hier auf 9,4,7 verwiesen: dulce mihi fit, domine, confiteri tibi, quibus internis me stimulis perdomueris et quemadmodum me complanaveris humilitatis montibus et collibus cogitationum mearum et tortuosa mea direxeris et aspera lenieris. 109 1907, 103.

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Die hier untersuchte Stelle im 9. Buch, die Eggersdorfers Untersuchung entgangen ist, macht deutlich, dass Augustinus durchaus auch die Erziehungsthematik vor dem Hintergrund seiner Gnadentheologie beleuchtete. In der Erzählung über die Mutter ergänzt Augustinus die Reflexionen über die falsche Willensausrichtung aufgrund der Erbsünde im 2. Buch, die Birnendiebstahlsszene, um den Aspekt der Erziehung und um die Frage, in welcher Beziehung sündhafter Wille und Erziehung zueinander stehen. Die Biographie Monnicas dient Augustinus zur Ergänzung, Verdeutlichung und Erläuterung der eigenen Lebensdarstellung. So nutzt er die eingeschobene Erzählung, um ein Augenmerk auf den Aspekt des göttlichen Wirkens in der inneren Entwicklung zu legen. Zudem steht hier die ethische Dimension der Bekehrung mit der Frage des richtigen Willens im Fokus. Allesamt Punkte, die in Augustins Erzählung der eigenen Konversion ebenfalls eine Rolle spielen, in der laudatio auf Monnica aber nochmals akzentuiert an einer anderen Figur dargestellt und reflektiert werden. 110 Monnica dient hier als eine Figur, die eine Identifizierung mit dem Protagonisten erlaubt. Augustins Vorstellung über den unter der Erbsünde depravierten Willen des Menschen, die er in der Birnendiebstahlsszene an sich selbst exemplifiziert hat, sowie die Abwendung vom falschen Willen durch das Wirken der göttlichen Gnade werden auf Monnica übertragen und somit generalisiert. Gleichzeitig dient die Szene im 9. Buch auch zur Ergänzung der Überlegungen in Buch 2 um pädagogische Aspekte. Monnica erscheint damit auch hier als Figur, an der gleiche inhaltliche Gesichtspunkte wie an Augustinus aufgezeigt werden. 111 Auch die confessio peccati et laudis wird hiermit auf andere Figuren ausgeweitet. Indem Augustinus Monnicas Konversion von der Ausrichtung des Willens auf die Sünde als Gottes Werk darstellt, macht er die laudatio auf Monnica zu einer laudatio Gottes über Monnica und fügt sie so in die eigene confessio peccati et laudis ein. 112 Dieses indirekte Lob Gottes über Monnica wird zu einem unmit-

110 Vgl. Müller 2003a, 86. More O’Ferrall 1975 kommt das Verdienst zu, in der biographischen Darstellung über Monnica eine Konversionshandlung gesehen zu haben, die aufschlussreichen Unterscheidungen in der Akzentuierung entgehen ihr jedoch. Seelbach 2002, 37 überschätzt die Kontrastierung zu Augustinus und den Gender-Aspekt, wenn sie schreibt: „Indem Augustin zeigte, wie seine weibliche Hauptfigur im Gegensatz zu ihm selbst schlagartig ihr verwerfliches Verhalten korrigierte, beschämte er seine männlichen Leser, die dazu nicht immer in der Lage waren. Hier klingt das Motiv der moralischen Überlegenheit der Frau an, welches in Augustins Schriften wiederholt begegnet.“ 111 Es sind Deutungen vorgebracht worden, erst in der Erinnerung an ihren Tod würde Monnica von der idealisierten Figur der vorangehenden Bücher in einen gewöhnlichen Menschen, der ebenfalls sündigt, transformiert (vgl. Paffenroth 1997, 153–154). Monnica wird jedoch auch in den früheren Abschnitten nicht ausschließlich positiv dargestellt. Ihre Motivationen bezüglich der Ausbildung des Sohnes zielen auch auf beruflichen Erfolg. Ihr Schmerz über die Trennung vom Sohn wird als Strafe der Sünde gedeutet. 112 Über diesen Effekt reflektiert Augustinus am Ende des 9. Buches allgemein, 9,13,34: et vae etiam laudabili vitae hominum, si remota misericordia discutias eam! quia vero non exquiris delicta vehementer, fiducialiter speramus aliquem apud te locum. quisquis autem tibi

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telbaren Lob, da Gott in den gesamten Confessiones direkt angesprochener Adressat ist. e) Das vorbildhafte ethische Verhalten Monnicas α) Im Verhältnis zu Ehemann und Schwiegermutter Nach der Episode aus der Kindheit Monnicas leitet Augustinus zum Erwachsenenalter seiner Mutter über. Trotz dieses zeitlichen Sprunges in der Erzählung bestehen inhaltliche Verbindungen zwischen den beiden Abschnitten. Gottes Lenkung des menschlichen Lebens, ein Grundmotiv der Confessiones, bleibt Thema des biographischen Nachrufs bei der Darstellung von Monnicas Eheleben: educata itaque pudice ac sobrie potiusque a te subdita parentibus quam a parentibus tibi, ubi plenis annis nubilis facta est, tradita viro servivit veluti domino et sategit eum lucrari tibi loquens te illi moribus suis, quibus eam pulchram faciebas et reverenter amabilem atque 113 mirabilem viro.

Mit dem Verb subdere ist ein wichtiges Stichwort für die folgende Charakterisierung Monnicas als Tochter und als Ehefrau gegeben. Augustinus gestaltet die Charakterisierung Monnicas gemäß seinen in anderen Schriften dargelegten Vorstellungen über die sich auf die Bibel begründende Unterordnung der Frau unter den Ehemann. 114 Mit Monnicas freiwilliger Unterordnung wird die Demut zu der Eigenschaft, die sie auszeichnet. 115 Damit ersetzt Augustinus die topischen Tugendzuschreibungen der laudatio funebris durch die eigentümlich christliche Tugend der Demut. 116 Die Unterordnung kann sich gegenüber zwei Bezugspunkten vollziehen: 1. gegenüber Gott und 2. gegenüber dem Nächsten. 117 Ihre Eigenschaften werden jedoch nicht als eigenes Verdienst gelobt, vielmehr wird die Unterordnung unter die Eltern als von Gott bewirkt gedeutet. Augustinus lässt in das Lob des ethischen Verhaltens der Mutter seine Gnadenlehre, die einen radikalen

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enumerat vera merita sua, quid tibi enumerat nisi munera tua? o si cognoscant se homines homines et «qui gloriatur, in domino glorietur» (2 Cor 10,17)! 9,9,19: „Deshalb wurde sie sittsam und besonnen erzogen und eher von dir den Eltern gegenüber gehorsam gemacht als von den Eltern dir gegenüber. Sobald sie das heiratsfähige Alter erreichte und einem Ehemann übergeben wurde, diente sie ihm wie einem Herrn und bemühte sich, ihn für dich zu gewinnen, indem sie zu ihm von dir sprach durch ihre Sitten, durch die du sie für ihren Mann schön machtest und würdig, mit Hochachtung geliebt und bewundert zu werden.“ Vgl. Fuhrer 2004a, 168–170. Einschlägige Referenzstellen sind vera rel. 78; c. Faust. 22,50; civ. 2,2; c. Iul. imp. 6,30. Zur Demut als christliche Kardinaltugend, der alle anderen subordiniert werden können, vgl. Dihle 1957, 736. Vgl. Dihle 1957, 737: „Die D. als Tugend ist der gesamten antiken Ethik fremd.“; 751: „Die ntl. Vorstellung, daß der Mensch grundsätzlich Untertan und Diener seines Nächsten zu sein hat, ist ohne Vorbild.“ Vgl. Dihle 1957, 736.

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Bruch mit dem klassischen Tugenddenken zur Folge hat, einfließen. An dieser Stelle wird deutlich gemacht, dass das ethische Verhalten, in diesem Falle die sich in der Unterordnung unter die Eltern erweisende Demut, letztendlich nicht aus der Erziehung rührt und auch keine persönlich erreichte Tugend darstellt, sondern von Gott erwirkt ist. Wenn Augustinus hier die Mutter so beschreibt, dass sie in ihrem Verhalten und ihrer Geisteshaltung den ethischen Konsequenzen seiner Gnadentheologie gerecht wird, lässt er sie zum exemplum für eine vorbildhafte Christin werden. Ihre vorbildhaften Eigenschaften werden einerseits als ein Werk Gottes dargestellt. Sie sind nicht ihre persönlichen Verdienste, sondern werden der göttlichen Gnade verdankt. Andererseits verweisen die Tugenden selbst wiederum auf Gott. Nicht unterschätzt werden darf in diesem Satz der aussagekräftige Gehalt des bildhaften Ausdrucks loquens te illi moribus suis. Die Rede über Gott vollzieht sich eigentlich in Worten. Augustinus ersetzt hier gezielt die Sprache durch das Verhalten. Den Worten, die als signa auf Höheres verweisen, kommt bei Augustinus eine große Bedeutung zu. Vor allem in De doctrina christiana wird dieses Konzept ausgearbeitet und in den Kontext der Aufgaben des christlichen Hermeneutikers und Redners gestellt. Wenn nun Monnica durch ihre Sitten von Gott „spricht“ und letztendlich auch zu Gott führt, so erfüllt sie dieselbe Aufgabe, die Augustinus dem Prediger beimisst, wobei ihre signa nicht die Wörter sind, sondern die Sitten. Augustinus bescheinigt ihr somit ein tatkräftiges Wirken für Gott in dem beschränkten Rahmen, in dem es ihr aufgrund der zeitgenössischen und in der Theologie fundierten Vorstellungen über die Rolle der Frau möglich ist. Über den Ehealltag lässt Augustinus folgende Ausführungen folgen: ita autem toleravit cubilis iniurias, ut nullam de hac re cum marito haberet umquam simultatem. expectabat enim misericordiam tuam super eum, ut in te credens castificaretur. erat vero ille praeterea sicut benivolentia praecipuus, ita ira fervidus. sed noverat haec non resistere irato viro, non tantum facto, sed ne verbo quidem. iam vero refractum et quietum cum opor118 tunum viderat, rationem facti sui reddebat, si forte ille inconsideratius commotus fuerat.

Als Ehefrau erträgt sie die Untreue ihres Mannes (cubilis iniuriae) 119 und seinen Jähzorn (ira fervidus; inconsideratius commotus). Augustinus lässt Monnica ihre Tugend in der zu damaliger Zeit notorisch konfliktträchtigen, von ehelicher Untreue gekennzeichneten und auch gewalttätigen Beziehung in der Ehe bewei-

118 9,9,19: „So ertrug sie auch die eheliche Untreue in der Weise, dass sie in dieser Sache niemals Streit mit ihrem Ehemann hatte. Sie erwartete nämlich deine Barmherzigkeit über ihn, so dass er an dich glauben und so gereinigt würde. Wie jener außerdem aber in seinem Wohlwollen herausragend war, so war er auch im Zorn aufbrausend. Aber sie verstand es, sich ihrem zornigen Mann nicht zu widersetzen, nicht durch die Tat und nicht einmal durch das Wort. Immer wenn sie gesehen hatte, dass er zur Ruhe gekommen und deshalb zugänglich geworden war, legte sie Rechtfertigung für ihr Verhalten ab, wenn er vielleicht allzu unbesonnen aufgebracht gewesen war.“ 119 Bei den cubilis iniuriae ist wohl eher mit Flasch / Mojsisch 2003, 238 und Pizzolato 32001b, 135 an Untreue zu denken als an Gewalttätigkeiten beim Geschlechtsverkehr, wie O’Donnell III, 1992, 119 vermutet. Die erste Deutung unterstützt auch Paffenroth 1997, 149.

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sen. 120 Dieser Abschnitt kann deshalb mit großer Bereitschaft zum Mitgefühl mit der Ehefrau Monnica beim Leser und insbesondere auch bei der Leserin rechnen, denen solche Fälle aus dem Alltag bekannt sind. Hierbei bedient Augustinus die literarischen Topoi der molestiae nuptiarum. Augustinus lässt Monnica nicht so sehr aus einem Gefühl der Verpflichtung gegenüber Tradition und Konvention in der beschriebenen Weise handeln. Dieser Eindruck kommt zunächst auf, wenn Monnica sich gegen Frauen wendet, die sich darüber beschweren, wie sie von ihren Ehemännern behandelt werden: denique cum matronae multae, quarum viri mansuetiores erant, plagarum vestigia etiam dehonestata facie gererent, inter amica conloquia illae arguebant maritorum vitam, haec earum linguam, veluti per iocum graviter admonens, ex quo illas tabulas, quae matrimoniales vocantur, recitari audissent, tamquam instrumenta, quibus ancillae factae essent, deputare de121 buisse; proinde memores conditionis superbire adversus dominos non oportere.

Mit dem Verweis auf die tabulae matrimoniales, den Ehevertrag, 122 lässt Augustinus Monnica im rechtlichen Kontext argumentieren. Die traditionelle, hierarchische Rollenverteilung wird von Augustinus nicht in Frage gestellt. 123 Diese innerweltlichen sozialen Regeln erscheinen in dieser Passage der laudatio funebris jedoch nicht als gültig nur aufgrund der Tradition, wie der Althistoriker Brent D. Shaw vermutet, wenn er schreibt:

120 Vgl. Shaw 1987, 31–32 mit Anm. 122. Shaw untersucht die Confessiones aus dem Blickwinkel des Sozialhistorikers. Vgl. zur Gewalt in der Ehe ferner Kunst 2000, 38–39 mit zahlreichen literarischen Textbelegen und Krause 2003, 118. Zu Recht weist Kunst 2000, 39 darauf hin, dass ein besonders amüsanter Effekt in der römischen Komödie gerade in der Verzerrung der realen Zustände in den Figuren der herrischen Frauen und der Ehemänner, die unter dem Pantoffel stehen, entsteht. Zur weit verbreiteten Untreue in der Ehe äußert sich Augustinus selbst in s. 9,4: querelae quotidianae sunt, quamquam ipsae feminae iam nec audent conqueri de viris suis. ita invadens omnia consuetudo pro lege observatur, ut iam et mulieribus forte persuasum sit, licere hoc viris, non licere mulieribus. solent enim audire adductas mulieres esse ad forum, quae forte cum servis inventae sunt. adductum virum ad forum, quia inventus est cum ancilla sua, numquam audierunt, cum sit par peccatum. in peccato pari innocentiorem facit videri virum non divina veritas sed humana perversitas. Jedoch betont Augustinus an der vorliegenden Textstelle in den Conf. stärker die Tugend der humilitas und die von ihr ausgehende pädagogische Wirkung auf die Mitmenschen. Vgl. Clark 1993, 38. 121 9,9,19: „Als schließlich viele Frauen, deren Männer harmloser waren, die Spuren von Schlägen auch in ihrem entehrten Gesicht trugen, beklagten sie sich im vertraulichen Gespräch über die Lebensführung ihrer Ehemänner, Monnica hingegen beklagte sich über ihre Zunge. Sie erinnerte die Frauen wie im Scherz nachdrücklich daran, dass sie die sogenannten Ehetafeln seit dem Tag, an dem sie ihnen vorgelesen wurden, als Instrumente hätten betrachten müssen, durch die sie zu Mägden gemacht worden seien; deshalb zieme es sich eingedenk ihrer Lage nicht, gegen ihre Herren hochmütig zu sein.“ 122 Vgl. Pizzolato 32001b, 335. 123 Vergleichbar sind die Ratschläge, die etwa Johannes Chrysostomos den Frauen gibt, die von ihren Männern geschlagen werden. Diese sollen das gewalttätige Handeln ihrer Ehemänner dulden (Chrys., Hom. 26,7 in 1 Cor.). Vgl. Wiemer 2006, 393–394.

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“Monnica (…) accepted such treatment as part of the traditional bundle of duties that went 124 with marriage.”

Der Aspekt einer christlichen Fundierung dieser Normen wird bei einer solchen Auslegung gänzlich übersehen. So sehr Augustinus Monnicas Unterordnung unter den Mann in den Kontext römischer Tradition einfügt, erfolgt die Begründung jedoch unter Bezugnahme auf das Neue Testament. Wenn Augustinus Monnica als subdita bezeichnet oder über sie aussagt viro serivit veluti domino, dann benutzt er gezielt das Vokabular der Heiligen Schrift. Die angedeuteten Bibelstellen sind Eph 5,22 (mulieres viris suis subditae sint sicut domino) und 1 Pt 3,6 (sicut Sarra oboediebat Abrahae, dominum eum vocans). 125 Im sozialen Kontext wird hier die Stellung der Frau als die einer Dienerin zu ihrem Herrn dargestellt.126 Monnica verwirklicht mit ihrem Verhalten eine weitere Aufforderung an die Frauen über das Verhalten in der Ehe aus dem 1. Petrusbrief, auf die Augustinus hier ebenfalls in seiner Wortwahl anspielt: similiter mulieres obaudientes maritis suis ut si qui non credunt verbo per mulieris conversationem sine loquela lucrifieri possint, (2) videntes timorem et castam conversationem ves127 tram.

In Augustins Darstellung kommt Monnica genau diesen Ermahnungen aus 1 Pt 3,1–2 nach, indem sie versucht, ihren Ehemann, der nicht durch das Wort überzeugt wird, mit ihrem Verhalten für den Glauben zu „gewinnen“. Der von Augustinus gewählte Terminus lucrari spielt auf das etymologisch verwandte lucrifieri im Bibeltext an. Somit trägt Augustinus nicht nur in Hinblick auf die Mutterrolle der Monnica, sondern auch auf ihre Rolle als Frau zu der für die christliche Spätantike festgestellten Verinnerlichung der Wertebegründung bei. 128 Die Erzählung über ihr Sozialverhalten steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der meribibula-Episode und der Reflexion darüber. Monnicas Denken bildet einen Querverweis zu der an der vorausgehenden Szene von Augustinus gewonnenen Einsicht, dass der einzelne Mensch das Gute nur wollen, lediglich Gott aber für dessen erfolgreiche Umsetzung sorgen kann: expectabat enim misericordiam tuam super eum, ut in te credens castificaretur. 129 124 1987, 32. 125 Die von der Heiligen Schrift gebotene Unterordnung der Frau unter den Mann, auch wenn sie ihm moralisch überlegen ist, lobt Augustinus bei Monnica auch in 1,11,17: nam illa satagebat, ut tu mihi pater esses, deus meus, potius quam ille, et in hoc adiuvabas eam, ut superaret virum, cui melior serviebat, quia et in hoc tibi utique id iubenti serviebat. S. 116. Im Rahmen der Genesis-Exegese geht Augustinus auf das Verhältnis von Mann und Frau in 13,32,47 ein. 126 Vgl. Fuhrer 2004a, 169. 127 1 Pt 3,1–2: „wobei die Frauen auf die gleiche Weise ihren Männern gehorchen sollen, so dass diejenigen, die nicht an das Wort glauben, durch den Umgang mit der Ehefrau ohne Diskussionen gewonnen werden können, wenn sie eure Ehrfurcht und euren keuschen Umgang sehen.“ (Text nach b. coniug. 12,14). Zu diesem Werk vgl. Zumkeller 1986–1994a. 128 Vgl. Martin 42001, 79–80. S. Kap. II.2. 129 Die Wendung misericordiam tuam super eum wird von den Kommentatoren und Herausgebern auf unterschiedliche Bibelstellen bezogen. O’Donnell 1993, III, 119 verweist auf Ps

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Die willentlich befolgte demütige Unterordnung unter den Ehemann 130 führt auch zum Erfolg des Handelns. Monnica erfüllt hierbei einerseits die an die traditionelle Rolle der Frau gebundene Unterordnung unter den Ehemann, gleichzeitig entsteht jedoch auch ein Bruch mit dem traditionellen Rollenbild, insofern sie auf ihren Mann pädagogisch einwirkt. Im Prinzipat war die Ehe mit der Vorstellung von der Erziehbarkeit der Frau durch ihren Ehemann verbunden, wie aus Plinius’ Darstellung seiner Beziehung zu der als ideale Gattin dargestellten Calpurnia deutlich wird. 131 Bei Augustinus wird das Verhältnis umgedreht. Durch diesen Erfolg ihres demütigen Verhaltens wirkt Monnica als Vorbild für andere, die sie nachahmen: cumque mirarentur illae scientes, quam ferocem coniugem sustineret, numquam fuisse auditum aut aliquo indicio claruisse, quod Patricius ceciderit uxorem aut quod a se invicem vel unum diem domestica lite dissenserint, et causam familiariter quaererent, docebat illa institutum suum, quod supra memoravi. quae observabant, expertae gratulabantur; quae non 132 observabant, subiectae vexabantur.

Augustinus demonstriert hiermit das Ideal einer christlichen Ehefrau. Gegenüber einer besonders von Hieronymus einseitig propagierten Hochachtung der Jungfräulichkeit und einer gleichzeitigen Abwertung der Ehe weist Augustinus auch für eine verheiratete Frau Wege auf, eine gute Christin zu sein. Im folgenden Abschnitt wird derselbe Effekt am Beispiel des Verhältnisses zur Schwiegermutter verdeutlicht. Mit ihrer Demut gewinnt Monnica auch die Schwiegermutter für sich: socrum etiam (…) vicit obsequiis perseverans tolerantia et mansuetudine. Durch ihr Verhalten kann der durch Verleumdungen 85,13: quoniam misericordia tua magna est super me. Skutella 21996, 196 führt Iud. 21 an. Zumindest lässt sich festhalten, dass dieser Satz aufgrund seiner starken Anlehnung an die Bibelsprache in einem Kontext, in dem Bibelzitate ausbleiben, hervorsticht. 130 Ein gegenteiliges Verhalten käme einem superbire adversus dominos gleich und würde gegen die Bibelstellen verstoßen, auf die Augustinus am Anfang des Abschnitts über ihre Beziehung zum Ehemann angespielt hat. 131 Vgl. Kunst 2000, 40. Die Stelle bei Plinius dem Jüngeren, ep. 4,19,2–5: Summum est acumen summa frugalitas; amat me, quod castitatis indicium est. Accedit his studium litterarum, quod ex mei caritate concepit. Meos libellos habet lectitat ediscit etiam. Qua illa sollicitudine cum videor acturus, quanto cum egi gaudio adficitur! Disponit qui nuntient sibi quem adsensum quos clamores excitarim, quem eventum iudicî tulerim. Eadem, si quando recito, in proximo discrete velo sedet, laudesque nostras avidissimis auribus excipit. Versus quidem meos cantat etiam formatque cithara non artifice aliquo docente, sed amore qui magister est optimus. His ex causis in spem certissimam adducor, perpetuam nobis maioremque in dies futuram esse concordiam. Non enim aetatem meam aut corpus, quae paulatim occidunt ac senescunt, sed gloriam diligit. 132 9,9,19: „Wenn jene sich wunderten, da sie wussten, welch ungestümen Ehemann sie ertragen musste, dass man nie gehört hätte oder durch irgendeinen Hinweis deutlich geworden wäre, dass Patricius seine Frau geschlagen habe oder dass sie auch nur einen Tag lang zu Hause im Streit voneinander abwichen, und sie vertrauensvoll nach dem Grund fragten, lehrte sie ihre Regel, an die ich oben erinnert habe. Diejenigen, die sie befolgten, dankten ihr für die Erfahrungen, die sie damit machten; diejenigen, die sie nicht befolgten, wurden unterdrückt und litten Qualen.“

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der Mägde bedrohte Hausfriede (pax domestica) wieder hergestellt werden. 133 Auch hier schafft es Monnica, durch ihr demütiges Verhalten in der familiären Beziehung von Schwiegertochter und Schwiegermutter, die auch in der Antike im Ruf stand, sich als sehr schwierig erweisen zu können, 134 für Harmonie (disciplina und concordia) zu sorgen: memorabili inter se benevolentiae suavitate vixerunt. β) Monnica allgemein friedensstiftend Im folgenden Abschnitt wird Monnicas Verhalten aus dem familiären Kontext herausgehoben und verallgemeinert. Monnica wird nicht nur bei ihrem Wirken im Kreis der Familie sondern allgemein im Umgang mit Menschen als pacifica gelobt. In diesem Kapitel wird wie bereits zuvor darauf hingewiesen, worin die Quelle dieses Verhaltens liege, indem es als ein Geschenk Gottes bezeichnet wird: munus grande donaveras, quod inter dissidentes atque discordes quaslibet animas, ubi pote135 rat, tam se praebebat pacificam.

Der Schlusssatz dieses Abschnittes qualis illa erat docente te magistro intimo in schola pectoris bildet einen Bogen zum Beginn der Darstellung und Reflexion über Monnicas Erziehung in 9,8,17. Dort wird bei der Betrachtung des Kindes Monnica festgestellt, dass die Eltern nicht wissen konnten, welche Persönlichkeit sie entwickeln sollte (nec pater nec mater sciebat, qualis ex eis fieret). Vielmehr ist die Entwicklung der inneren Erziehung durch die virga Christi zuzuschreiben. Christus ist an dieser früheren Stelle wie am Ende der laudatio mit dem magister intimus zu identifizieren. Aus der Retrospektive kann für die Person der Monnica das Wirken dieses inneren Lehrmeisters festgestellt werden. f) Monnica und die Topik der molestiae nuptiarum Wichtige Erkenntnisse ermöglicht nicht nur eine Einordnung der Darstellung Monnicas als Ehefrau in theologische Konzepte Augustins, sondern auch in den literarischen Kontext der christlichen Literatur des 4. Jahrhunderts. Im Folgenden soll herausgestellt werden, dass der vorliegende Textabschnitt als eine literarische Antwort auf die Thematisierung der Rolle der Frau in der zeitgenössischen christlichen Literatur anzusehen ist, wobei für Augustinus Gemeinsamkeiten mit ande133 Zur pax domestica als ein wichtiges herzustellendes Gut civ. 19,16. Vgl. auch Shaw 1987, 15. 134 Vgl. Pizzolato 1994, 335. Auch Shaw 1987 geht bezüglich dieser Stelle von einem weitverbreiteten familiären Problem aus. Ferner beschreibt Augustinus diese Konstellation in en. Ps. 44,11 als konfliktträchtig: fit hoc et de filia adversus matrem, multo magis et de nuru adversus socrum. nam aliquando in una domo nurus et socrus inveniuntur haeretica et catholica. Man darf durchaus auch annehmen, dass Augustinus in seinem Alltag als Bischof mit solchen Problemen konfrontiert wurde. Vgl. van Kempen-van Dijk 1978, 52–53. 135 9,9,21: „Du hattest ein großes Geschenk gegeben, dadurch dass sie sich unter allen beliebigen streitenden und uneinigen Menschen, wo sie konnte, so friedensstiftend erwies.“

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ren Autoren, aber auch bezeichnende Abweichungen, die als Gegenentwürfe gewertet werden können, festzustellen sind. Augustinus nimmt hier eine Mittelposition zwischen radikalen Vertretern ein. In mehreren Schriften zu Ehe und Jungfräulichkeit, die etwa gleichzeitig zu den Confessiones entstehen (De bono coniugali, De sancta virginitate, beide Schriften auf 401 zu datieren), entwickelt Augustinus seine Vorstellungen zur Ehe. Die Ehe wird zwar dem Zölibat nachgeordnet, kann jedoch immer noch als die zweitbeste Lebensform gelten. 136 In dieser Phase formuliert er auch die These von der Ehe als einzigem Ort, an dem Geschlechtsverkehr erlaubt ist. In diesem Punkt bestehen jedoch markante Unterschiede zwischen Augustinus und seinen theologischen Vorgängern. Der Lebensentwurf der weiblichen Jungfräulichkeit spielt bei Augustinus eine deutlich geringere Rolle als bei Ambrosius oder Hieronymus. 137 Auch Augustinus hat wie diese beiden eine Schrift De sancta virginitate (liber unus) verfasst, in der er der Jungfräulichkeit gegenüber der Ehe den Vorzug einräumt. Bei Augustinus findet sich hingegen keine einseitige Verherrlichung der Virginität bei gleichzeitiger strikter Ablehnung der Ehe. Vielmehr weist er mit Nachdruck – die Warnungen umfassen etwa die Hälfte der Schrift – auf die Gefahr des Hochmuts der Frauen hin, die sich ihre Jungfräulichkeit als eigene Leistung anrechnen könnten. Er stellt die Bereitschaft zum Martyrium, wozu auch Verheiratete fähig sind, noch über die Jungfräulichkeit. 138 Selbst in diesem der Jungfräulichkeit gewidmeten Werk kann man einerseits eine distanzierte Haltung gegenüber einer Verherrlichung der Virginität, andererseits eine Achtung gegenüber der Ehe beobachten. Somit lässt eine Betrachtung dieser Schrift auf dasselbe Ergebnis schließen, wie es von der Forschung zu Augustins Vorstellungen über Sexualität und Ehe allgemein festgestellt wird. 139 In De sancta virginitate ist Augustinus im Gegensatz zu seinen Vorgängern bemüht, bei allem Lob der Jungfräulichkeit auch den Wert der Ehe zu unterstreichen. Es scheint berechtigt, diese Tendenz der Schrift daraus zu erklären, dass sich Augustinus der drohenden Trennung bewusst ist, die der Zölibat in der christlichen Gemeinschaft zu verursachen droht. 140 Hier zeigt sich der Pragmatiker Augustinus. 141 Die Kirchenväter bieten ein breites Spektrum an Positionen gegenüber der Ehe. Als zwei Gegenpole in der Auseinandersetzung über die Ehe können Jovinian und Hieronymus gelten. Jovinian vertritt eine uneingeschränkt ehefreundliche und anti-asketische Position. 142 Auf der anderen Seite steht Hieronymus mit einem rigiden Askeseideal und der daraus folgenden strikten Ablehnung von Ge-

136 Vgl. Fuhrer 2004a, 168. Weitere Schriften zu dem Themenbereich, die jedoch später entstanden sind, sind De bono viduitatis (414) und De adulterinis coniugiis (421). 137 Vgl. Fuhrer 2004a, 170. 138 Die Mahnung zur Demut durchzieht das gesamte Werk. Eine Erfassung der Wortfamilie um humilitas ergibt 85 Belege. Vgl. zusammenfassend zum Werk auch Hunter 1999, 871. 139 Vgl. Fuhrer 2004a, 168–169. 140 Vgl. Hunter 1999, 871. 141 Zur Einschätzung Augustins vgl. Feichtinger 1995, 83–84. 142 Vgl. Clark 1993, 75; Feichtinger 1995, 45–52.

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schlechtsverkehr und Ehe. 143 Neben Hieronymus kann auch Tertullian einer radikal ehefeindlichen Einstellung zugerechnet werden. 144 Während Hieronymus in seinen Streitschriften die Ehe auf das Heftigste verunglimpft, zeigt er sich der keuschen Witwenschaft gegenüber wohlwollend gesinnt. 145 Witwen und Witwer galten lange vor den Jungfrauen als etablierte Träger von Heiligkeit. 146 Es existierte in der Spätantike die Lebensform als ‚Gemeindewitwe‘, die auf Wiederverheiratung verzichtete, eine den Regeln für Priester entsprechende untadelige Lebensführung verfolgte, ein Keuschheitsgelübde ablegte, ihr Leben in den Dienst der Kirche stellte und in den Gemeinden bestimmte karitative Funktionen einnahm. 147 Durch die Entwicklung des Virginitätsideals wurde die Jungfräulichkeit auf-, der Viduat gleichzeitig abgewertet. 148 Hieronymus stand nun vor dem Dilemma, bei seiner Propagierung von Virginität die Witwen nicht herabstufen zu dürfen, zumal weil diese über beachtlichen Einfluss in Gemeinden und Gesellschaft verfügten. Die Witwen sollten jetzt für das Virginitätsideal gewonnen werden, wobei durch die Betonung der Heiligkeit des Witwenstandes die Zweitrangigkeit gegenüber der Jungfrauenaskese gemildert werden sollte. Dies erreichte Hieronymus durch die Etablierung eines Dualismus zwischen einer ‚schlechten‘ Witwe, die die Wiederverheiratung anstrebt oder unverheiratet bleiben will, um ihrer Freiheit zu leben, und einer ‚guten‘ Witwe, die lebenslangen Witwenstand in asketischer Keuschheit wählt und gelobt und eine den Jungfrauen beinahe gleichwertige Heiligkeit anstrebt. 149 Hieronymus’ Einstellung gegenüber der Ehe ist fast durchgehend negativ. Im Gegensatz zu Jungfräulichkeit und Witwenschaft erfährt sie kein positives Urteil. Die Ehe wird als ein Hindernis für die Hinwendung zu Gott betrachtet. Alleinige Existenzberechtigung kann die Ehe aus der Hervorbringung heiliger Jungfrauen gewinnen. 150 Vorbildfunktion kommt dabei Maria zu, die von Ambrosius als imago virginitatis bezeichnet wird. 151

143 Vgl. Fuhrer 2004a, 168. 144 Vgl. Feichtinger 1995, 110–111. Feichtinger erkennt ein Spektrum von der „rigorosen Abwertung der Ehe bei Tertullian bis zur relativen Wertschätzung der Ehe bei Augustinus“. 145 Vgl. Feichtinger 1995, 100. 146 Vgl. Feichtinger 1995, 99. 147 Vgl. Feichtinger 1995, 102–103. Von einer Funktion in der Amtskirche in Form einer Aktivität bei der liturgischen Feier, der Taufe und der Lehre wurden Frauen jedoch zusehends ausgeschlossen. Ihre Funktionen werden auf Keuschheit (sacerdotes pudicitiae), asketische Kontemplation und karitative Tätigkeit beschränkt. Vgl. Feichtinger 1995, 107–108. 148 Vgl. Clark 1993, 75; Feichtinger 1995, 103–104. 149 Vgl. Feichtinger 1995, 99–100. 150 Vgl. Clark 1986, 144; Feichtinger 1995, 109–110. Nur zur Enthaltsamkeit erzogene Kinder bieten der in der Ehe lebenden Mutter einen Weg zum Heil. Feichtinger stuft vereinzelte Äußerungen von Seiten des Kirchenvaters, dass die Ehe von Gott geschaffen und daher gut sei, als halbherzige Einräumungen gegen den Vorwurf der ehefeindlichen Häresie ein, da sie kontrastieren mit einer Interpretation der Ehe als eines kleineren Übels gegenüber der Gefahr der Unzucht, das erst als Folge des Sündenfalls aufgetreten ist und im Eschaton ebenfalls nicht mehr existieren wird. 151 Vgl. Feichtinger 1995, 130 mit Verweis auf Ambros. virg. 2,2,6; 15.

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Hieronymus bringt seine Einwände gegen ein Eheleben in seinem Liber contra Helvidium de perpetua virginitate Mariae und in seinem Brief Ad Eustochium de virginitate servanda (ep. 22) dar. In der letztgenannten Schrift schreibt er in Form einer praeteritio, in der er die Beschwernisse der Ehe, die er nicht behandeln wolle, doch sehr anschaulich anreißt: 152 Haec (…) ut (…) agnosceres non me nunc laudes virginitatis esse dicturum, quam probasti optime, eam cum secuta es, nec enumeraturum molestias nuptiarum, quomodo uterus intumescat, infans vagiat, cruciet paelex, domus cura sollicitet et omnia, quae putantur bona, mors extrema praecidat. 153

In demselben Brief lässt gibt Hieronymus auch zu erkennen, welcher Beliebtheit sich dieses Thema zu der Zeit erfreute und welche Bandbreite an Literatur einer Frau, die sich mit der Jungfräulichkeit beschäftigen wollte, Orientierung zu bieten versprach: Quantas molestias habeant nuptiae et quot sollicitudinibus vinciantur, in eo libro quem adversus Helvidium de beatae Mariae perpetua virginitate edidimus, puto breviter expressum. (…) in principio libelli praefatus sum me de angustiis nuptiarum aut nihil omnino aut pauca dicturum, et nunc eadem admoneo. at si tibi placet scire, quot molestiis virgo libera, quot uxor adstricta sit, lege Tertulliani ad amicum philosophum et de virginitate alios libellos et beati Cypriani volumen egregium et papae Damasi super hac re versu prosaque conposita et 154 Ambrosii nostri quae nuper ad sororem scripsit opuscula.

Hieronymus’ Eheschelte steht in einer langen Tradition innerhalb der christlichen Literatur, die bereits auf pagane Vorgänger zurückgreifen kann. Die Eheschelte ist keine Neuentwicklung in der christlichen Literatur, sondern knüpft an eine Beschäftigung mit dem Thema von Euripides über Antiphon, Demokrit, Theophrast

152 Zu weiteren Stellen in Adversus Iovinianum 1,47, Adversus Helvidium 20, ep. 22,22 vgl. Clark 1986, 14432. 153 Hier. ep. 22,2: „Dies schreibe ich dir, damit du erkennst, dass ich jetzt keine Lobrede auf die Jungfräulichkeit halten werde – diese hast du ja auf die beste Weise gebilligt, dadurch dass du diesem Lebensweg gefolgt bist – und dass ich nicht die Beschwernisse der Ehe aufzählen werde: Wie der Bauch sich aufbläht, das Kind quäkt, die Nebenbuhlerin quält, die Sorge um den Haushalt beunruhigt und der Tod am Ende alles, was für Güter gehalten wurde, jäh abbricht.“ 154 Hier. ep. 22,22: „Wie viele Beschwernisse eine Ehe mit sich bringt und von wie vielen Sorgen sie umfesselt wird, ist, wie ich meine, in jenem Buch, das ich gegen Helvidius über die beständige Jungfräulichkeit der seligen Maria herausgegeben habe, in Kürze dargestellt. Am Anfang des Buches schrieb ich in der Vorrede, dass ich über die Misslichkeit der Ehe entweder überhaupt nichts oder nur weniges sagen würde, und nun gebe ich dieselbe Warnung. Aber wenn es dir gefällt zu wissen, mit wie vielen Beschwernissen eine freie Jungfrau, mit wie vielen eine Ehefrau behaftet ist, dann lies die Bücher des Tertullian an einen befreundeten Philosophen und andere Bücher über die Jungfräulichkeit, den herausragenden Band des seligen Cyprian und die kleinen Werke des Papstes Damasus, die er über dieses Thema in Versen und in Prosa verfasst hat, und unseres Ambrosius, die er neulich an seine Schwester geschrieben hat.“

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und Epiktet an. 155 Die ablehnende Haltung gegenüber der Ehe hat eine reiche Topik entwickelt. Weitere Texte sind die von Hieronymus angeführte verlorene Frühschrift Tertullians, die den frühesten christlichen Beleg des Topos darstellen würde, Cyprian, De habitu virginum, Ambrosius, De virginibus ad Marcellinam sororem, Gregor von Nyssa, De virginitate, 156 und Johannes Chrysostomos, De virginitate. 157 In Adversus Iovinianum reflektiert Hieronymus darüber, dass er in einer literarischen Tradition steht und auf etablierte Topoi zurückgreift. In dieser Schrift bezieht sich Hieronymus auf Tertullian und Gregor von Nazianz. 158 Hieronymus’ ehefeindliche Schrift gegen Jovinian provoziert in Rom einen Skandal. Feichtingers Hypothese, dass die Radikalität des Hieronymus gegenüber gemäßigteren Positionen anderer Kirchenväter dadurch zu erklären sei, dass er im Gegensatz zu vielen anderen nie selbst verheiratet war und nie Priester einer Gemeinde mit großteils verheirateten Mitgliedern war, mit deren ehelicher Realität er sich hätte konfrontieren müssen und deren Heilserwartungen er hätte wahren müssen, 159 gewinnt gerade durch eine Gegenüberstellung zu Augustinus an Plausibilität. Ein klarer Unterschied zu Augustinus und insbesondere dessen Darstellungen zu Monnica scheint ferner zu bestehen, wenn Feichtinger Hieronymus einen ausschließlich ‚theoretischen Blickwinkel‘ auf die Ehe infolge seines Jungfräulichkeitsideals bescheinigt und feststellt, die Ehe bleibe bei ihm weitgehend ein „gedankliches Konstrukt“. 160 Hieronymus unterscheidet sich von Augustinus besonders in dem Punkt, dass er die Ehe als eine sich ausschließlich durch Geschlechtlichkeit definierende Institution betrachtet und sie aus diesem Grund grundsätzlich ablehnt. Augustinus sieht in der Ehe auch eine geistige Verbindung und stellt ihren Sakramentscharakter heraus. 161 Die Vorstellung von der Ehe als einer geistigen Verbindung ist der Charakterisierung der Monnica eingeschrieben, die darum bemüht ist, ihren Mann für das Christentum zu gewinnen.

155 Vgl. Hansen 1963, 218–219 mit Textbelegen. Bei Epiktet und Theophrast haftet der Topik ein σπουδαιογέλοιον an, das bei der ernsthaften Verwendung durch die Christen verloren gehen sollte. Eine Textsammlung zur klassischen Tradition bietet Gaiser 1974. 156 Vgl. Hansen 1963, 215–216. 157 Vgl. Hansen 1963, 216–218. 216–217 auch zu zwei Schriften von (Ps.-?)Basilios dem Großen. Vgl. allgemein Clark 1993, 75; zu Johannes Chrysostomos Clark 1993, 91. 158 Vgl. Hier. Adv. Iov. 1,13: non est huius loci nuptiarum angustias describere et quasi in communibus locis rhetorico exsultare sermone. plenius super hac re contra Helvidium et in eo libro quem ad Eustochium scripsi arbitror absolutum. certe et Tertullianus, dum adhuc esset adulescens, lusit in hac materia. et praeceptor meus Gregorius Virginitatem et Nuptias disserentes graecis versibus explicavit. Vgl. Hansen 1963, 217; Feichtinger 1995, 116–117; 1174; 238. 159 Vgl. Feichtinger 1995, 111. 160 1995, 111. 161 Vgl. Feichtinger 1995, 111, wobei es bei Hieronymus auch Vorstellungen einer heilvollen Ehe gibt, wenn die Keuschheit in der Ehe gewahrt bleibt und wenn aus der Gattin eine Schwester wird, wobei die Keuschheit in der Ehe stets nur ein unvollkommener Versuch bleibt, die Jungfräulichkeit nachzuahmen. Vgl. Feichtinger 1995, 114.

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Neben der Tradition der paganen Literatur, die Ehe aus ausschließlich männlicher Perspektive zu schelten, 162 tritt in der spätantik-christlichen Literatur als Neuerung auch die Ablehnung der Ehe aus weiblicher Perspektive. Die Lasten des Ehealltags seien den Frauen infolge der Erbsünde auferlegt, jedoch bestehe für sie die Möglichkeit, durch ein zölibatäres Leben diesen zu entgehen. 163 In anschaulicher Weise schildern die Kirchenväter dabei die Beschwerlichkeiten einer Ehe für die Frau. 164 Die Darstellung der molestiae nuptiarum steht im Dienst der Überzeugungsstrategie, die die Adressatinnen zu einer Entscheidung für das asketische Leben bewegen soll. 165 Die Lasten des Ehelebens werden hierbei der Freiheit eines allein auf Gott ausgerichteten Lebens gegenübergestellt. Es wird ein großes Spektrum möglicher Beschwerden von Seiten der Frauen angeführt: Die Ehefrau müsse sich bemühen, dem Mann zu gefallen, die Versorgung von Haushalt und Kindern sei mühselig, die Wünsche des Gatten seien zu erfüllen. Die Pflichten als Hausfrau und Mutter ließen keine Zeit für das eigene Seelenheil. Geburt und Schwangerschaft seien gefährlich. 166 Kinder werden als Mühe und Plage dargestellt, und die mögliche Enttäuschung von Hoffnungen, die in die Kinder gesetzt worden sind, wird betont. 167 Auch Eifersucht gilt als Begleiterscheinung einer Ehe. 168 Gegenüber der Ehe, die als vinculum bezeichnet wird, wird in paradoxer Formulierung die in der Knechtschaft zu Gott verwirklichte größte Freiheit betont. 169 Die Askese wird als Befreiung von solchen mit der Ehe verbundenen Zwängen, als Alternative zur Ehe gepriesen. 170 Der Abschnitt über Monnica als Ehefrau und Schwiegertochter wird häufig als historische Quelle für die Situation der Frau herangezogen. 171 Es soll hier nicht in Frage gestellt werden, dass der Darstellung des Ehealltags in dieser Episode in den Confessiones eine gewisse Realitätsreferenz zugeschrieben werden kann. Bei zu großer Entfernung von der alltäglichen Wirklichkeit könnte die Figur der Monnica dem Leser ja auch nicht als exemplum weiblichen Verhaltens vermittelt

162 Vgl. Gaiser 1974, 8–9. 163 Vgl. Clark 1993, 75–76. 164 Vgl. Clark 1963, 98–101. Zum Beispiel des Hieronymus vgl. Feichtinger 1995, 117; 238 mit Fußnote 7. 165 Vgl. Feichtinger 1995, 238. 166 Einschlägige Textstellen sind Hier. c. Helv. 20; adv. Iov. 1,13; ep. 22,22; 54,4; ep. 123,9; 123,14. Vgl. Clark 1993, 99; Feichtinger 1995, 117–118. 167 Vgl. Hier. ep. 54,4. Vgl. hierzu Feichtinger 1995, 118–119. 168 Vgl. Hansen 1963, 216 zu Johannes Chrysostomos und Gregor von Nyssa. 169 Vgl. Feichtinger 1995, 118 mit Fußnote 11 (mit Verweis auf adv. Iov. 1,11; 1,12; 1,33; ep. 22,22; 22,24; 49,6; 128,3; 145,1), 238 mit Fußnote 8. 170 Feichtinger 1995, 235–249 unternimmt den Versuch einer historischen Einschätzung, inwiefern die (psycho)soziale, politische und ökonomische Lebenssituation einer verheirateten Frau Motivation für die Wahl eines asketischen Lebens sein konnte. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass es eine lukrative Alternative zum Leben als Ehefrau in der Spätantike gewesen sein dürfte. 171 Vgl. Harrison 2000, 172; Shaw 1987.

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werden. 172 Jedoch sollte auch nicht die literarische Funktion dieses Abschnitts übersehen werden. Hier wird am Beispiel der Monnica die Möglichkeit einer christlichen Eheführung verdeutlicht, wobei gerade die topischen molestiae nuptiarum aufgenommen werden, die in der pro-asketischen Schriftstellerei gerade für die Wahl eines alternativen Lebensweges zur Ehe angeführt werden: die Unannehmlichkeiten der Schwangerschaft, die Mühen und Risiken der Kindergeburt, Sorge um die Kinder, die Plackerei der Kindererziehung und der Hausarbeit, Probleme mit dem Gesinde, Familienstreitigkeiten, Tod von Familienmitgliedern, ausfällige, gewalttätige, eifersüchtige Ehemänner, Sorge um die Treue des Ehemannes, seine Gesundheit und Sicherheit und um mögliche Witwenschaft. 173 Untugenden wie Habgier, Ruhmsucht, Ehrgeiz, Neid oder Rachsucht werden als Folge ehelicher Bindung gedeutet. 174 Ein bedeutendes Beispiel für diese Textgattung ist Gregor von Nyssa, De virginitate, wo die asketische Jungfräulichkeit einerseits positiv gelobt, anderseits in negativer Argumentation als attraktive Option gegenüber solchen molestiae nuptiarum dargestellt wird. 175 Die Topoi waren in der christlichen Literatur des 4. Jahrhunderts, wie bereits gesehen, weit verbreitet. Im Folgenden soll als Beispiel Ambrosius, De virginibus ad Marcellinam sororem suam libri tres angeführt werden, da man von einer Vertrautheit Augustins mit der Schrift seines geistlichen Lehrers und Vorbildes ausgehen kann. In diesem Werk wird das Lob der Jungfräulichkeit auch in Kontrastierung zur Ehe erbracht, deren Beschwernisse in 1,6,25–1,6,31 geschildert werden. An die servitia der Frauen wird hier in der Absicht erinnert, die Ehe unattraktiv zu machen: quid ergo famulatus graves et addicta viris servitia replicem feminarum, quas ante iussit 176 Deus servire quam servos?

Augustinus berücksichtigt in der laudatio funebris auf Monnica bei seiner Zeichnung des Ehelebens der Eltern viele dieser Topoi: Seien es Probleme und Streit mit Familienangehörigen und dem Gesinde, sei es ein jähzorniger und untreuer Ehemann. Durch ihre Demut kann Monnica diese Situation jedoch meistern, entwickelt keine Untugenden, sondern erweist sich im Gegenteil als vorbildhafte Christin. Die zwischenmenschliche Beziehung zum Mann begreift sie auch als eine geistige, indem sie versucht, ihn für Gott zu gewinnen. Die Darstellung der Mutter als Ehefrau in der laudatio funebris darf somit als Rehabilitation der Ehe

172 Topizität braucht nicht in unvereinbarem Widerspruch zur außertextlichen Realität zu stehen, zumal dann nicht, wenn ein Text einer rhetorischen Strategie dienen und deshalb beim Leser Identifikationserlebnisse hervorrufen soll. 173 Vgl. Harrison 2000, 171–172. 174 Vgl. Hansen 1963, 216 zu Gregor von Nyssa. 175 Vgl. Hansen 1963, 215–216. 176 Ambr. virg. 1,6,27: „Was soll ich die schweren Dienste der Frauen und die Sklavenarbeit, zu der sie für die Männer verpflichtet sind, wieder aufrollen. Ihnen hat Gott noch vor den Sklaven zu dienen befohlen.“ Hier bezieht sich Ambrosius auf Gn. 3,16.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

gegenüber einer „Virginitätspropaganda“ 177 angesehen werden. In Differenzierung zu asketischen Strömungen kann man für Augustinus hervorheben, dass er als einer der ersten bemüht war, allen Personengruppen eine Existenz in der Kirche zu ermöglichen. Somit ist Augustinus vor dem Hintergrund einer Entwicklung zur Universalkirche zu betrachten. Hierin erweist sich Augustinus als Pragmatiker, der die traditionellen Familienrollen und Geschlechterverhältnisse anerkennt. 178 Mit der Darstellung seiner Mutter als Ehefrau stützt Augustinus die traditionellen Werte der Unterordnung der Ehefrau unter ihren Mann, stellt diese jedoch als gottgewollt dar. Augustins Haltung gegenüber der Frau ist Gegenstand ausgeprägter Forschungsdiskussionen. Besonders die hier besprochene Textstellte fordert eine Beurteilung von Augustins Vorstellungen über den Status der Frau heraus. So betreibt Augustinus einerseits in den Confessiones und besonders im 9. Buch eine Spiritualisierung interpersonaler Beziehungen, die eine Definition des Verhältnisses unter Individuen nach biblischen Vorstellungen und in Bezug auf Gott definieren will. Hierbei geschieht eine Loslösung von fleischlicher und gesellschaftlich-sozialer Begründung der Beziehungen. Andererseits erkennt er auch die historisch bedingte Forderung nach weiblicher Unterordnung an, die er ebenfalls biblisch zu rechtfertigen versucht. Die Beurteilung seiner Vorstellungen bleibt in der Forschung ein umstrittenes Problem. Zu den deutschsprachigen Wissenschaftlerinnen, die sich um die Frage nach der Rolle der Frau bei den Kirchenvätern in der letzten Zeit besonders verdient gemacht haben, gehören die Theologin Larissa Carina Seelbach sowie die Klassischen Philologinnen Barbara Feichtinger und Therese Fuhrer. Während Seelbach bei Augustinus Vorstellungen von Gleichheit auf innerer Ebene und Unterordnung auf äußerer Ebene in seiner Theologie erfolgreich vereint sieht, 179 betont Therese Fuhrer, wie Barbara Feichtinger bei Hieronymus, die Ambivalenzen. 180 Die vorliegende Untersuchung bestätigt die Einschätzung der beiden letztgenannten Wissenschaftlerinnen. Bei Augustinus liegt ein vergleichbares Dilemma vor, wie es Feichtinger zwischen Hieronymus’ Askeseidealen und seiner Normierung weiblicher Tugenden feststellt. 181 Hieronymus erkennt, dass er die konservative Senatsaristokratie nur gewinnen kann, wenn er die Askese als eine Bestätigung des mos maiorum und den 177 Der Begriff nach Feichtinger 1995; hier 13–86 vertiefend zu Hieronymus unter der Kapitelüberschrift ‚Der Kampf für das Jungfräulichkeitsideal‘. 178 Vgl. Feichtinger 1995, 83–84. Auch für eine aus den Vorstellungen des Hieronymus zur Askese hervorgehende „befreiende Geschlechtsindifferenz“ (Feichtinger 1995, 81) ist bei Augustinus kein Platz. 179 2002, 242: „Augustin vereinte in seiner Theologie seinen persönlichen Respekt gegenüber Frauen mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen seiner Zeit samt der Forderung nach weiblicher Unterordnung.“ 180 2004a, 169: „Ohne Systematik und teilweise widersprüchlich sind Augustins Äußerungen zum anthropologischen Status der Frau und zu ihrer Rolle in Ehe und Familie. Zwar sind Mann und Frau ohne intellektuelle und moralische Differenz nach dem Ebenbild Gottes geschaffen (Gn. litt. 7,24,35; vgl. Io. ev. tr. 15,19), doch zeigen sie in der physischen Beschaffenheit und in der sozialen Praxis klare Unterschiede.“ 181 Vgl. Feichtinger 1995, 271–274.

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christlichen Asketen als Aristokraten in altrömischer Tradition darstellt. So stilisiert er seine Asketinnen zu exempla altrömischer virtutes wie obsequium (Gehorsam und Unterordnung), fides (Glaube), pietas (Ehrerbietung) continentia (Beherrschtheit), pudicitia (Keuschheit), modestia (Bescheidenheit), silentium (Schweigsamkeit) und somit zur Realisierung des Ideals der altrömischen matrona. 182 Die gesellschaftliche Akzeptanz der Askese muss gewahrt bleiben.183 Man kann Augustinus in demselben Dilemma zwischen theologischer Theorie und kirchenpolitischer Pragmatik sehen. Während er einerseits für die Begründung interpersonaler Beziehungen auf spiritueller Ebene und hierin für eine Abwertung von gesellschaftlicher und auf Leiblichkeit beruhender Differenzierung eintritt, zementiert er andererseits die Unterordnung der Frau unter den Mann. 184 g) Monnica nicht nur leibliche, sondern auch spirituelle Mutter Indem Monnica auch ihren Ehemann an dessen Lebensende für Gott gewinnt (lucrata est), verwirklicht sich schließlich das Ziel ihres Handelns, das am Beginn des Abschnitts über die Beziehung zu Patricius dargelegt wird. 185 Mit der Bezeichnung serva servorum tuorum nimmt Augustinus zum einen eine der Bibelsprache entnommene und auf das Hebräische zurückgehende Form der Intensivierung auf. 186 Neben dieser Konnotation, die sicherlich mitschwingt, erlangt hier aber gerade eine wörtliche Auffassung ganz besondere Prägnanz. Augustinus drückt die doppelte Zielrichtung der Demut aus. Indem Monnica sich Menschen unterordnet, die selbst schon Gottes Diener sind, ordnet sie sich Gott unter. Die Vorstellung einer Dienerin von Dienern drückt die tiefste Unterwerfung und die höchste Demut aus. Bedenkt man, dass Augustinus’ Ideal von zwischenmenschlicher Beziehung eintritt, wenn im Nächsten Gott erkannt wird, 187 dann wird in der Monnica der laudatio dieser Anspruch in besonderer Weise erfüllt. Nicht nur sie selbst beachtet Gott in den anderen, sondern auch die anderen erkennen in ihr Gott. Die auf den

182 Die Wendung lanam fecit, domum servavit bezeichnet das altrömische Ideal der Zurückgezogenheit im Haus. 183 Vgl. Feichtinger 1995, 269. 184 Wenn Augustinus in 9,7,16 in der Episode über das Eintreten der Kaisergattin Justina zugunsten der Arianer und gegen die katholischen Christen auf eine rabies feminea zurückführt, zeigt sich, dass er dem weiblichen ‚Wesen‘ durchaus auch negative, hysterische Züge beimessen kann. 185 Vgl. 9,9,19: sategit eum lucrari tibi loquens te illi moribus suis. 186 Vgl. beispielsweise canticum canticorum, dt. ‚Hoheslied‘. Zu biblischen Elementen in der frühchristlichen Sprache Sheerin 1996, 146. Diese Auffassung der Intensivierung vertritt van Kempen-van Dijk 1978, 107, Anm. 107. Sie übersetzt entsprechend (53): „Onder Uw dienaren was zij Uw dienares bij uitstek.“ 187 Vgl. 4,9,14. Hier reflektiert Augustinus bei der Trauer um einen Freund über die richtige Form der Freundschaft: beatus qui amat te et amicum in te et inimicum propter te. solus enim nullum carum amittit, cui omnes in illo cari sunt, qui non amittitur.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

Höchsten verweisende Interpersonalität wird um die Figur der Monnica auch in der Reziprozität der Beziehungen verwirklicht: quisquis eorum noverat eam, multum in ea laudabat et honorabat et diligebat te, quia 188 sentiebat praesentiam tuam in corde eius sanctae conversationis fructibus testibus.

Augustinus hebt zu einem abschließenden Lob an, das durchaus in einer paganen Tradition steht, was sich besonders an der Anpreisung der univira zeigt. 189 Es fällt jedoch auf, dass gerade dieses Lob auf Monnicas Rolle als Frau in den Worten eines Bibelzitates (1 Tm 5,9–10) gefasst ist: fuerat enim «unius viri uxor», «mutuam vicem parentibus reddiderat, domum suam pie» tractaverat, «in operibus bonis testimonium» habebat. nutrierat filios totiens eos 190 191 parturiens, quotiens abs te deviare cernebat.

Augustin sucht hier die Ambivalenz von klassischem und biblischem Ideal, indem er auf pagane Rollenbilder zurückgreift, sie aber gleichzeitig in den Kontext von Bibelzitaten rückt. Mag der Leser zunächst noch durch das Stichwort der univira an einen paganen Kontext denken, so wird die Einbettung des Begriffes in ein Bibelzitat nach und nach deutlicher. Wie Hieronymus bei seinen Idealen einer asketisch lebenden Frau schafft Augustinus durch die Einordnung seines Lobes auf die Mutter in paganes Familiendenken Akzeptanz auch bei Lesern, die der ‚Welt‘ verhaftet bleiben. Gleichzeitig wird aber durch die Einfügung der traditionellen Vorstellung in ein Bibelzitat ein neuer Rahmen geschaffen, in dem sich die vertretenen Werte begründen. Monnicas weltliche Rolle wird durch Bibelzitate gezielt in einen christlichen Kontext sublimiert. 192 Das ursprünglich pagane Rollenideal der univira erscheint nun eindeutig als ein christliches. Vom Lob der univira wird zur spirituellen Mutterschaft übergeleitet. Der Beginn des Satzes (nutrierat filios), der zunächst noch an die materielle Ernährung der leiblichen Söhne denken lässt, wird durch das Folgende auf die Ebene spiritueller Mutter-Sohn-Beziehungen gehoben: totiens eos parturiens, quotiens abs te 188 9,9,22: „Jeder unter denen, die sie kannten, lobte, ehrte und liebte in ihr dich sehr, weil er deine Gegenwart in ihrem Herzen spürte. Dafür sind die Früchte ihres geheiligten Umgangs Zeugen.“ 189 Vgl. Schuller 1987, 17; Krause 2003, 123. Als eine wichtige Quelle für dieses Ideal gilt die inschriftlich überlieferte, nur in Fragmenten erhaltene laudatio Turiae, hier die Zeilen 1,27– 28 (Text nach Flach 1991, 83): Rara sunt tam diuturna matrimonia, finita morte, non divertio in[terrupta: contigit] nobis ut ad annum XXXXI sine offensa perduceretur. 190 Anspielung auf Gal 4,19, wo Paulus schreibt: filioli mei quos iterum parturio donec Christus formetur in vobis. Vgl. zu dieser Stelle en. Ps. 147,14. 191 9,9,22: „Sie war nämlich die Frau nur eines einzigen Mannes gewesen, den Eltern hat sie die Gegenleistung für das, was diese für sie getan hatten, erbracht, ihr Haus hat sie fromm geführt, in ihren guten Werken hatte sie ein Zeugnis. Sie hatte die Kinder erzogen, wobei sie so oft Wehen durch sie hatte, wie sie sie von dir abweichen sah.“ 192 Diese Absicht übersieht eine Deutung, die an dieser Stelle lediglich die Universalität einer natürlichen Ethik feststellen will, jedoch nicht Augustins mit dieser Gestaltung verfolgte Intention beachtet, wie etwa Alonso del Real 2003, 238: „estas virtudes se pueden entender como una común posesión de la ética natural, codificada en esta tradición (sc. der der laudatio), y los praecepta neotestamentarios“.

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deviare cernebat. Hier geht es nicht mehr um ein leibliches Gebären, sondern um ein spirituelles Gebären eines gläubigen Menschen. Schmerzen erzeugt hierbei nicht eine räumliche Trennung, sondern die Entfernung des geistigen Sprosses von Gott. An dieser Stelle wiederholt Augustinus die in metaphorische Sprache gefasste Rolle der Mutter als einer geistigen Gebärerin, wie sie bereits in 5,9,17 (quanto maiore sollicitudine me parturiebat spiritu, quam carne pepererat) und in 1,11,17 (et conturbata mater carnis meae, quoniam et sempiternam salutem meam carius parturiebat corde casto in fide tua) begegnet ist. Indem dieses Bild gleichmäßig auf den gesamten autobiographischen Teil der Confessiones verteilt wird (1., 5. und 9. Buch), kann es der Erinnerung des Lesers verhaftet bleiben. Durch die Mehrzahl der spirituellen Kinder wird bereits auf die spirituelle Mutterschaft für die ganze Gruppe verwiesen: postremo nobis, domine, omnibus, (…) qui ante dormitionem eius in te iam consociati vivebamus percepta gratia baptismi tui, ita curam gessit, quasi omnes genuisset, ita servivit, 193 quasi ab omnibus genita fuisset.

Die wir-Identität bezieht sich nun auf die Gruppe von Cassiciacum, die in einer durch die Taufe hergestellten Gemeinschaft lebt (consociati vivebamus). 194 Die Spiritualisierung der interpersonalen Beziehungen lässt die an die Leiblichkeit gebundenen Rollen verschwimmen. Dies zeigt sich in Monnicas Verhalten gegenüber den Mitgliedern der Gruppe. Die mit einer Mutterrolle verbundenen Verhaltensnormen überträgt sie auf eine sich durch spirituelle Gemeinsamkeit konstituierende Gruppe. Monnica erfüllt in der Gruppe von Gläubigen die mit Mütterlichkeit und Kindschaft zusammenhängenden ethischen Rollenbilder, indem sie wie eine Mutter für ihre Kinder Sorge trägt (curam gerere), und wie eine Tochter folgsam dient (servire). Die Rollenmuster werden von Monnica jedoch so ausgefüllt, dass sie unabhängig von familiären, durch Abstammung begründeten Beziehungen bestehen. Die leibliche Familie wird durch eine spirituelle ersetzt, indem die normativen Rollenbilder, die an ein Generationenverhältnis gebunden sind, auf eine spirituell verbundene Gruppe übertragen werden. 195 Die Tugend der Demut trägt zur Verwirklichung einer spirituellen Beziehung bei, indem durch sie die hierarchischen Rollenzuweisungen, die mit einer leiblichen Mutter-KindBeziehung verbunden sind, überwunden werden.

193 9,9,22: „Schließlich hat sie sich um uns alle, Herr (…), die bereits, bevor sie entschlief, in dir vereint lebten, nachdem wir die Gnade deiner Taufe empfangen hatten, in der Weise gekümmert, als ob sie alle gezeugt hätte, und hat uns so gedient, als ob sie von allen gezeugt worden wäre.“ 194 S. Kap. III.5.a. 195 Eine vergleichbare Übertragung und Flexibilisierung in der Semantik von Verwandtschaft nimmt Augustinus auch in vera rel. 46,89,251 (et invicem sibi sunt et patres, cum sibi consulunt, et filii, cum sibi obtemperant) vor. An dieser Stelle geschieht dies mit der Metaphorik männlicher Generationenfolge.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

h) Zusammenfassung In der laudatio funebris auf Monnica kommen sämtliche Funktionen, die dieser Figur in den Confessiones beigemessen werden, zum Tragen: a) Erzähltechnisch bietet der Nachruf die Möglichkeit einer Erweiterung der zeitlichen Dimension der Erzählung. Er stellt einen Rückblick im Rückblick dar. Diese Darstellungsweise bietet sich Augustinus als Mittel an, um verschiedene Lebensalter und unterschiedliche Lebensformen einer Frau am Beispiel der Mutter zu beleuchten. b) Der biographische Rückblick lehnt sich an die klassische Textgattung der laudatio funebris an und nimmt topische Inhalte dieser Gattung auf, weist jedoch bezeichnende Variationen zur römischen Tradition auf. Hierbei wird ein wichtiges Element der paganen Erinnerungskultur einer Verwandlung unterzogen. Augustinus nimmt eine traditionelle Textgattung auf, ersetzt aber ein mit ihr verbundenes, jedoch als nicht mehr hinreichend bewertetes Denken durch seine christliche Deutung, die allein sinnstiftend für ihn sein kann. Die bei den Topoi der Personendarstellung zu konstatierenden Veränderungen spiegeln die Unterschiede im Menschenbild wider, das die Grundlage dieser Gemeinplätze bildet. c) Die Figur der Mutter korrespondiert mit der des Protagonisten. In der meribibula-Szene zeigt die Figur der Monnica identische Aspekte zur Figur des Protagonisten in der Birnendiebstahlsszene des 2. Buches und beim Konversionserlebnis im 8. Buch. An ihr werden dieselben Aspekte des von der Erbsünde depravierten Willens aufgezeigt. Den an der Figur des Protagonisten aufgewiesenen theologischen Einsichten wird durch diesen Querverwies ein höherer Anspruch auf Allgemeingültigkeit verliehen. Gleichzeitig dient die Szene im 9. Buch auch zur Ergänzung der Birnendiebstahlsszene um wichtige Aspekte, indem die Erbsündenlehre mit Überlegungen zu einer christlichen Pädagogik verknüpft wird. d) Bei der Darstellung Monnicas als Ehefrau sind wichtige intertextuelle Bezüge zu beachten. Augustinus nimmt bei der Beschreibung des Ehelebens der Mutter die bei anderen Kirchenvätern für die Propagierung ihres Jungfräulichkeitsideals verwendeten Topoi der molestiae nuptiarum auf. Monnica wird hierbei zum exemplum einer christlichen Ehefrau. Der Einsatz für eine Rehabilitation der Ehe gegen radikal asketische Strömungen zeichnet Augustin als Pragmatiker vor dem Hintergrund der Entwicklung der christlichen Bewegung zur Universalkirche aus, wobei er sich darum bemüht, Akzeptanz für christliche Vorstellungen auch bei einem größeren Publikum, das der ‚Welt‘ und den überkommenen Traditionen verbunden bleibt, zu schaffen. Hierbei wird auch das altrömische Ideal der univira durch gezielte Verwendung von Bibelzitaten zu einem christlichen Ideal sublimiert. e) Monnicas Funktion gegenüber Augustinus und den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft von Cassiciacum wird als die einer spirituellen Mutter

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gedeutet. Ihre Bedeutung für die Gruppe von Gläubigen wird unter Verwendung der Begrifflichkeit weiblicher Rollenmodelle in der Familie ausgedrückt. Das Verhalten wird jedoch aus dem Kontext der Familie im primären Wortsinn gelöst und auf die Beziehungen im Kreis von Cassiciacum übertragen. Aus einer leiblichen wird eine spirituelle Mutter, indem die den Generationenbeziehungen anhaftenden Rollenvorstellungen auf interpersonale Beziehungen innerhalb einer zönobitischen Gruppe übertragen werden.

7. NEUE FORMEN DER GEMEINSCHAFT II (BUCH 9,9–ENDE BUCH 13) a) Ekstase von Ostia Von der im Erzählgang proleptischen laudatio funebris auf Monnica wird zu der sogenannten Ekstase oder Vision von Ostia übergeleitet. 1 Der die Episode mit der Ekstase einleitende Abschnitt beschreibt die Situation, in der der geistige Aufstieg stattfindet: impendente autem die, quo ex hac vita erat exitura – quem diem tu noveras ignorantibus nobis – provenerat, ut credo, procurante te occultis tuis modis, ut ego et ipsa soli staremus incumbentes ad quandam fenestram, unde hortus intra domum, quae nos habebat, prospectabatur, illic apud Ostia Tiberina, ubi remoti a turbis post longi itineris laborem instaurabamus nos navigationi. conloquebamur ergo soli valde dulciter et «praeterita obliviscentes in ea quae ante sunt extenti» (Phil 3,13) quaerebamus inter nos apud praesentem veritatem, quod tu es, qualis futura esset vita aeterna sanctorum, quam «nec oculus vidit nec auris audivit nec in cor hominis ascendit» (1 Cor 2,9). sed inhiabamus ore cordis in superna fluenta fontis tui, «fontis vitae», qui est «apud te» (Ps 35,10), ut inde pro captu nostro aspersi quoquo modo 2 rem tantam cogitaremus.

Die Motivierung des Zusammenkommens durch die göttliche Providenz betont die Rolle des Waltens Gottes für den nachfolgenden geistigen Aufstieg. Bereits

1 2

Zum Aufbau des 9. Buches s. 192–193. 9,10,23: „Als der Tag sich näherte, an dem sie aus dem Leben scheiden sollte – du wusstest, welcher Tag es sein würde, wir nicht –, hatte es sich ergeben, wie ich glaube, unter deinem Obwalten im Verborgenen, dass ich und sie alleine waren und uns an ein gewisses Fenster lehnten, von wo der Garten innerhalb des Hauses, das uns beherbergte, erblickt werden konnte, dort in Ostia am Tiber, wo wir uns entfernt von den Menschenmengen nach der Mühe eines langen Weges für die Schifffahrt erholten. Wir sprachen also alleine miteinander sehr liebevoll, vergaßen die Vergangenheit, waren auf das gerichtet, was vor uns lag, und fragten uns bei der gegenwärtigen Wahrheit, die du bist, wie das zukünftige ewige Leben der Heiligen aussehen würde, das noch kein Auge gesehen, noch kein Ohr gehört hat, zu dem noch kein menschliches Herz aufgestiegen ist. Aber wir schnappten mit dem Mund des Herzens nach den höchsten Strömen deines Quells, des Quells des Lebens, der bei dir ist, damit wir von dort entsprechend unserem geistigen Auffassungsvermögen benetzt würden und auf irgendeine Art und Weise eine so große Sache denken könnten.“

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

die Situation der Zweisamkeit und die den geistigen Aufstieg fördernde Stimmung werden auf göttliche Vorsehung zurückgeführt. Die Schilderung der zeitlichen und räumlichen Gegebenheiten steht ganz in der Absicht, eine für einen geistigen Aufstieg angemessene, kontemplative Stimmung zu erzeugen. Der Ort ist ein zu einem Innenhof gelegenes Fenster, der Zeitpunkt eine Ruhepause nach dem zurückgelegten strapaziösen Reiseweg. Die Situationsbeschreibung erzeugt einen Kontrast zu der vorzubereitenden navigatio, die eine äußere Bedrohung darstellt, aber auch den symbolischen Verweis auf seelische Unruhe beinhaltet. Es handelt sich hierbei um ein Bild, das dem Leser bereits aus dem 5. und 6. Buch durch die Wassermetaphorik bekannt ist. 3 Die Ekstase wird von Beginn ihrer Erzählung an als ein gemeinschaftliches Erlebnis dargestellt. Es herrscht die Atmosphäre eines gelehrten Dialogs, wie die Verben anzeigen: conloquebamur sowie quaerebamus inter nos. Das behandelte Thema wird in Frageform angegeben: qualis futura esset vita aeterna sanctorum. Unmittelbar anschließend wird aber auch die spezifische Erweiterung des Gespräches dargelegt. Es geht um mehr als um einen wissenschaftlichen Disput, Ziel ist eine Transzendierung ins Metaphysische. Die Gegenwart der göttlichen Wahrheit wird erwähnt (apud praesentem veritatem). Es ist der innere Mund (os cordis), der nach dem göttlichen Quell lechzt (fluenta fontis tui, fontis vitae). Die Ekstase von Ostia reiht sich in eine Abfolge von Versuchen geistiger Aufstiege ein. 4 Im 4. Buch (4,15,24–4,15,26) gibt Augustinus den Inhalt seiner Erstlingsschrift De pulchro et apto und damit den ersten Versuch, zu einem Gottesverständnis zu gelangen, wieder. Im 7. Buch (7,10,16–7,17,23 5) lässt ihn ein Aufstieg gemäß neuplatonischem Denken zwar weiter voranschreiten, bringt ihn aber noch nicht zum Erfolg. Die Konversion in der Gartenszene (8,12,29) und die Taufe (9,6,14) schließlich ebnen den Weg zu einem befriedigenderen Aufstieg, der ebenso wenig zum Ziel führt, jedoch hoffnungsvoll ausgeht. In der Visionsszene von Ostia ist ein Bezug auf die Aeneis gesehen worden. Camille Bennett sieht in der Vision von Ostia einen intertextuellen Bezug zur letzten Begegnung von Aeneas und Anchises im 6. Buch der Aeneis und spricht von einem “Christian rewriting of the meeting of Aeneas and Anchises in the underworld” 6. Bennett möchte eine Anzahl bewusst hergestellter Bezüge zur Aeneis erkennen: 7 1. Beiden Stellen sei gemeinsam, dass die Protagonisten einen weiten Weg hinter sich haben. 8 2. Der Garten stelle eine Parallele zur grünen Wiese im Hades dar (Aen. 6,679; 703), wo Anchises seinen Sohn trifft. 3. Der Fluss Lethe wird als kontrastierende Entsprechung zum göttlichen fons vitae angeführt. 4. In 3 4 5 6 7 8

Zur Wassermetaphorik in den Confessiones s. 167–168; 178–181. Vgl. O’Donnell 1992, III, 122. Die beiden ekstatischen Erlebnisse referiert Augustinus in dem umfassenderen Bericht von den Erkenntnissen, die er aus den libri Platonicorum gewinnen kann. Bennett 1988, 63. Zustimmend O’Donnell 1992, III, 123–124. Vgl. ferner Pfligersdorffer 1976, 147–179; Hübner 2007, 54–55. Zu den im Folgenden dargelegten Punkte vgl. Bennett 1988, 63. Die Wendung longi itineris (9,10,23) wird verglichen mit Aen. 6,687–688: venisti tandem (…) vicit iter durum pietas?

7. Neue Formen der Gemeinschaft II (9,9–Ende Buch 13)

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beiden Texten finde eine Schau der Zukunft statt. 5. Ostia sei aus Augustins afrikanischer Perspektive nicht fern vom Eingang zu Vergils Unterwelt, der Name der Stadt selbst sei sprechend. 6. Sowohl in der Aeneis als auch in den Confessiones stünde der Elternteil im Angesicht des Todes oder sei bereits tot und diene als Führer zum Nachleben für den Sohn, der noch mitten im Leben stehe. Gegen all die zahlreichen Referenzen, die angenommen werden, bleibt jedoch einzuwenden, dass (1.) ein etwa durch ein Zitat manifest gemachter Bezug gänzlich ausbleibt und dadurch die Herstellung einer Referenz willkürlich erscheint, 9 (2.) Anchises im Gegensatz zu Monnica zum Zeitpunkt der Begegnung bereits tot ist, (3.) zwischen den Konstellationen Aeneas–Anchises und Augustinus–Monnica bedeutende Unterschiede bestehen, die eine Identifizierung unwahrscheinlich erscheinen lassen. Insbesondere ist Monnica keine Führerin mit Wissensvorsprung wie beim Verhältnis zwischen Anchises und Aeneas. Bei der Ekstase, die als ein gemeinsames Erlebnis dargestellt wird, geht es vielmehr um die Gleichrangigkeit beider. Die Episode mit der Vision von Ostia hat zu kontroversen Diskussionen in der Forschungsliteratur geführt. Dabei drehen sich die zentralen Fragestellungen einerseits darum, in welchem Verhältnis zur Tradition der neuplatonischen geistigen Aufstiege hier Augustinus steht, andererseits, ob er sich als Vertreter der Mystik zu erkennen gibt. Die Mystik vertritt von einer Verneinung der Sinnenwelt und der Logik des Verstandes ausgehend die Vorstellung einer mit Worten nur unvollkommen beschreibbaren ekstatischen Vereinigung mit dem Göttlichen (unio mystica) und die Ablehnung einer Gotteserkenntnis als Vernunfterkenntnis. Da Augustinus in seiner Beschreibung der gemeinsamen Ekstase von Ostia von der Vorstellung einer die Grenzen sinnlicher Wahrnehmung überschreitenden Vision ausgeht, kann er am Anfang einer Tradition mystischer religiöser Erlebnisbeschreibung gesehen werden, die im Mittelalter eine bedeutende religiöse Strömung hervorbringt. 10 Neben der Frage nach der mystischen Tradition ist auch die nach der Historizität der Erzählung aufgeworfen worden und nach dem Ausmaß der Abhängigkeit von der neuplatonischen Tradition, in der die geistigen Aufstiege in den Confessiones stehen. 11 Während Fragen, die die Einordnung der Vision in die philosophische und theologische Tradition betreffen, im Fokus kontroverser Diskussionen stehen, ist bisher die Frage nach der Relevanz der Figur Monnica für den Aufstieg noch nicht gebührend berücksichtigt worden. Gerade die Ekstase mit Monnica führt im Unbedingt zuzustimmen ist der Einschätzung in Pizzolato 32001b, 337: „Troppo peregrino sembra l’accostamento – stabilito da C. Bennett […] – di Agostino e Monica a Enea e Anchise […], sulla base di accenni – ma quanto diversi! – all’acqua bevuta e alla vita futura.“ 10 Zur visio dei bei Augustinus vgl. McGinn 2005, 228–231. Augustinus hat in Gn. litt. 12 eine Theorie der visio dei entwickelt und hierbei eine Dreiteilung der Möglichkeiten, Gott zu sehen, etabliert. Das körperliche Sehen erlaubt keine Vision Gottes. Ein inneres Sehen erlaubt auch in diesem Leben einen kurzen und partiellen Blick auf etwas Unveränderliches, wie Augustinus in en. Ps. 41,10 darlegt. Obwohl die Möglichkeit einer vollkommenen Vision Gottes infolge des Sündenfalls in diesem Leben (in via) nicht bestehe, räumt Augustinus die Möglichkeit niedrigerer Formen der Vision im Diesseits ein. 11 Vgl. Courcelle 21968, 222–226.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

Gegensatz zu früheren Versuchen zu einer erfolgreichen Form des geistigen Aufstiegs. Im Zusammenhang dieser Untersuchung soll der Blickpunkt vor allem auf die Tatsache gerichtet werden, dass es sich hierbei um einen gemeinschaftlichen Aufstieg von Augustinus und Monnica handelt. In erster Linie ist die Rolle der Monnica für den Aufstieg zu untersuchen. Es sollen in dieser Arbeit zwei Thesen gewagt werden, die besonders der Einordnung der Visionsszene in den Reflexionszusammenhang des gesamten autobiographischen Teils der Confessiones Rechenschaft zu tragen versuchen. 12 Betrachtet man somit die Ekstase von Ostia vor dem Hintergrund der Bedeutung der Monnica in den Confessiones, so lassen sich folgende Punkte festhalten: Zum einen wird die Ekstase als ein gemeinschaftliches Erlebnis dargestellt. Bereits der Signalsatz, in dem die Motivation zur visio angeführt wird, betont die Gemeinschaftlichkeit: quaerebamus inter nos apud praesentem veritatem, quod tu es, qualis futura esset vita aeterna sanctorum. Mit der regio ubertatis (9,10,24: attingeremus regionem ubertatis indeficientis) ist ein Gegenpol zu der aus dem Gleichnis vom Verlorenen Sohn stammenden, die Entfernung von Gott ausdrückenden regio egestatis 13 erreicht (2,10,18: et factus sum mihi regio egestatis). Der Gegensatz besteht nicht nur im Kontrast zwischen Mangel und Fülle, sondern auch zwischen Alleinsein und Gemeinschaft. 14 Der Erzähler stellt einen Endpunkt dar, an den er gemeinsam mit Monnica gelangt. Das Problem der Rolle der Monnica in der Aufstiegsszene darf nicht isoliert vom Kontext der Confessiones betrachtet werden. Im Hinblick auf den Handlungsbogen der Bücher 1–9 wird verdeutlicht, dass es Monnica war, die ihn an diesen Punkt gebracht hat, was Augustinus im Anschluss auch durch ihre eigene Aussage unterstreicht. Gegenüber den beiden neuplatonischen Ekstasen im 7. Buch führt die Ekstase des 9. Buchs zu einer dauerhaften Ausrichtung des Willens auf Gott. 15 Monnica hat ebenfalls diesen richtigen Willen und ist deshalb fähig zu der Ekstase. Sie hat auch Anteil daran, Augustinus zu diesem richtigen Willen zu bringen. Der Weg 12 Die viel erörterte Frage nach der Historizität der Passage kann hierbei zurücktreten. Die Details der Vision und vor allem die Fragestellung, wie man sich eine solche ‚Gruppenvision‘ zu erklären habe, sind dann nicht mehr von tragender Bedeutung. 13 Vgl. O’Donnell 1992, II, 144. 14 Vgl. Holzhausen 2000, 527: „das jenseitige Heil zielt nicht in erster Linie auf individuelle Glückseligkeit, sondern auf die künftige Gemeinschaft der Kinder Gottes.“ 15 Vgl. Brachtendorf 2005, 192–193: „Die ‚Erstlinge des Geistes‘ im Reich des Ewigen festzubinden bedeutet dann, den Mensch vermittels der dazu bestimmten Fähigkeit (spiritus) dauerhaft auf Gott hin auszurichten. Unter den geistigen Vermögen ist aber nicht so sehr der Intellekt einer solchen dauerhaften Orientierung fähig, als vor allem der Wille. Das Festbinden der ‚Erstlinge des Geistes‘ ist eine Metapher für die dauerhafte Ausrichtung des Willens auf Gott, d.h. für die Anerkennung Gottes als des höchsten Gutes und letzten Zieles des Menschen.“ Es handelt sich somit um einen spezifisch christlichen Aufstieg und eine durch ihn bewirkte dauerhafte Befestigung des Geistes, „die durch die stets momenthafte intellektuelle Schau Gottes allein nicht schon zustande kommt.“ Voraussetzung hierfür ist eine „Bekehrung des Willens weg von der unbedingten Liebe zu den vergänglichen Gütern und hin zu Gott als summum bonum.“

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hierhin ist nicht ausschließlich intellektuell gangbar, sondern bedarf des Glaubens, der von Monnica vermittelt wird. Indem sowohl Monnica als auch Augustinus bei unterschiedlichem Zugang die Ekstase teilen, wird gezeigt, dass es der Glaube, nicht die intellektuelle Beschäftigung ist, die den richtigen Weg ermöglicht. Die Bedeutung Monnicas für das gemeinsame Visionserlebnis ist somit in Zusammenhang mit Monnicas Rolle im gesamten autobiographischen Teil zu sehen: Augustinus hat Monnica als die richtungsweisende Begleiterin auf seinem Weg zur richtigen Gotteserkenntnis dargestellt. Er lässt diesen gemeinsamen Weg zu seinem Abschluss kommen, indem er auch sie an diesem Punkt in der geistigen Entwicklung zu einer Ausrichtung des Willens auf das richtige summum bonum teilnehmen lässt. Als weiteren wichtigen Punkt gilt es für diesen Erzählabschnitt festzuhalten, dass der Aufstieg zu einer geistigen Schau und die dauerhafte Ausrichtung des Willens auf Gott auch für eine Frau von niedrigem Bildungsstand möglich ist.16 Damit lässt Augustinus sich in Monnica die Erkenntnis erfüllen, dass es auf das religiose bzw. pie quaerere ankomme. 17 Nicht zuletzt in dieser Passage zeigt sich die mit den Confessiones verbundene protreptische Intention, die hier auch auf Frauen als adressiertes Lesepublikum ausgedehnt wird. Durch das gemeinsame Aufstiegserlebnis verdeutlicht Augustinus, dass auch eine weniger gebildete Frau zur höchsten Erkenntnis gelangen kann. In diesem Punkt stimmt ihre Charakterisierung mit dem Bild, das von ihr in den Cassiciacum-Dialogen De beata vita und De ordine vermittelt wird, überein, in denen sie ohne Gelehrsamkeit in philosophischer Doktrin wichtige Beiträge leistet. Im Dialog De beata vita nimmt Monnica die Rolle der nicht gebildeten, jedoch intuitiv das Richtige sagenden Gesprächsteilnehmerin ein und vertritt hier den gesunden Menschenverstand (beata v. 1,6: sensus communis). 18 Am Schluss des Dialogs wird Monnica das deum habere zugesprochen, die nicht auf dem intellektuellen Weg, durch die rationale Erfassung Gottes und der Wahrheit, sondern durch den Glauben zur Weisheit gelangt sei. 19 In De ordine werden Gebet und philosophische Suche nach Erklärung des göttlichen ordo gleichgestellt. Somit kann auch ihr Anteil am Dialog als philosophari bezeichnet werden (ord. 1,31–1,32): Monnica hat mit dem Philoso16 Vgl. Fuhrer 2004a, 12. 17 Diesen Gedanken entwickelt Augustinus am Beginn des 5. Buches: infelix enim homo, qui scit illa omnia, te autem nescit; beatus autem, qui te scit, etiamsi illa nesciat (5,4,7). Nach Harrison 2000, 24 gelangt Augustinus mit der Ekstase von Ostia zu der Vorstellung einer Höherwertung des Glaubens gegenüber der Vernunft: “It was to be the shared, Neoplatonically inspired, ascent with his mother, which he describes in Confessions 9 (10.23–25) which truly vindicated the pre-eminence and sufficiency of faith.“ 18 Vgl. ferner v. beata 2,10: cui ego arridens atque gestiens: ipsam, inquam, prorsus, mater, arcem philosophiae tenuisti. In 4,27 steuert Monnica durch ihren Gesprächsbeitrag einen Punkt im Gedankengang bei, den der Dialogpartner Augustinus ausschließlich aus der Lektüre philosophischer Werke gewonnen habe und erst zum Schluss habe anführen wollen: Ubi cum omnes mirando exclamassent me ipso etiam non mediocriter alacri atque laeto, quod ab ea potissimum dictum esset, quod pro magno de philosophorum libris atque ultimum proferre paraveram. Vgl. Fuhrer 2004a, 69. 19 Vgl. Fuhrer 2004a, 70.

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phen den armor sapientiae gemein, ein Streben nach der immateriellen Welt (1,32). Die Religiosität Monnicas ist gleichwertig mit intellektuellem Streben. 20 In dieser Einschätzung der geistigen Fähigkeiten einer Frau steht Augustinus Hieronymus nahe. Auch Hieronymus erkennt in der Frau ein dem Mann geistig ebenbürtiges Wesen. In der Fähigkeit zur intuitiven Gottesschau kann die Frau dem Mann sogar überlegen sein. 21 b) Der Tod Monnicas Ein besonders ausdrucksstarkes Mittel, Monnicas Rolle hervorzuheben, findet Augustinus, indem er sie in ihren eigenen Worten die ihr in den Confessiones zugewiesene Rolle formulieren lässt (9,10,26). Mit der Wiedergabe der Worte in Figurenrede unterstreicht Augustinus ihre Bedeutung. Die direkte Rede bewirkt gegenüber der indirekten Rede eine Abnahme der Mittelbarkeit der Erzählung. 22 In Monnicas Aussagen zeigt sich augustinische Theologie, denn auch sie stellt das Erreichte nicht als eigene Leistung, sondern als die Gottes dar. Sie drückt ihre Bestimmung als ein Medium der Gnade in Hinblick auf Augustinus selbst aus. Die Aussage folgt direkt auf die Ekstase, die Weltliches den beiden als nichtig hat erscheinen lassen. Durch die zusammengesetzte Kopulativkonjunktion cum– tunc 23 stellt Augustinus Monnicas Worte als unmittelbare Reaktion auf das Aufstiegserlebnis dar: tu scis, quod illo die, cum talia loqueremur et mundus iste nobis inter verba vilesceret cum omnibus delectationibus suis, tunc ait illa: “fili, quantum ad me adtinet, nulla re iam delector in hac vita. quid hic faciam adhuc et cur hic sim, nescio, iam consumpta spe huius saeculi. unum erat, propter quod in hac vita aliquantum inmorari cupiebam, ut te christianum catholicum viderem, priusquam morerer. cumulatius hoc mihi deus meus praestitit, ut te 24 etiam contempta felicitate terrena servum eius videam. quid hic facio?”

20 Vgl. Fuhrer 2004a, 71–72. 21 Vgl. Feichtinger 1995, 17. 22 Vgl. Martinez / Scheffel 52003; 51; 62; Genette 32010, 110 zur „transponierten Rede“: Die indirekte Rede ist zwar mimetischer als die erzählte Rede, sie entbehrt jedoch im Gegensatz zur direkten Rede der Buchstäblichkeit. Die Anwesenheit des Erzählers bewirkt, dass die indirekte Rede nie die „dokumentarische Autonomie eines Zitats“ erlangt. Der Leser geht immer davon aus, dass der Erzähler die Worte interpretierend wiedergibt. 23 Während in der klassischen Prosa ausschließlich die Korresponsion cum–tum nachzuweisen ist (vgl. Menge 2000, 58), setzt Augustinus in den Confessiones nicht selten auch cum mit tunc zusammen; Belegstellen: 9,7,16; 10,20,29; 11,15,20; 11,18,23; 11,27,34; 12,22,31. 24 9,10,26: „Du weißt, dass sie an diesem Tag, als wir solches sprachen und diese Welt uns bei unseren Worten mit allen ihren Freuden wertlos wurde, sagte: ‚Mein Sohn, was mich anbelangt, erfreue ich mich in diesem Leben keiner Sache mehr. Was ich hier tue und warum ich hier bin, weiß ich nicht, jetzt, wo die Hoffnung dieser Welt aufgebraucht ist. Eine Sache war es, weshalb ich in diesem noch ein bisschen verweilen wollte: Dich als einen katholischen Christen zu sehen, bevor ich sterbe. Dies hat mir mein Gott reichlicher gewährt, dass ich dich auch nach Verschmähung des irdischen Glücks als seinen Diener sehe. Was mache ich hier noch?‘“

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Dadurch, dass Augustinus zu einem katholischen Christen geworden ist, wird Monnicas Rolle als geistige Mutter überflüssig. 25 Sie identifiziert sich gänzlich mit der spirituellen Rolle und kann deshalb ihre leibliche Existenz (haec vita, felicitas terrena) gering schätzen. Ihre spes saeculi, mit der auf ihre „ambition familiale“ 26 angespielt ist, beschreibt sie als „aufgebraucht“ (consumpta). Ihre ursprünglich in den Sohn gesetzten Hoffnungen auf Familiengründung und berufliche Karriere gibt sie für eine höhere Bestimmung des interpersonalen Verhältnisses auf. In dieser in direkter Rede formulierten Aussage lässt der Erzähler Monnica die ihr in den Confessiones für seinen Lebensweg beigemessene Rolle sowie die von ihr selbst durchlebte Entwicklung in ihren eigenen Worten fassen. Durch die direkte Aussage verlässt die Erzählung die den Confessiones insgesamt zugrunde liegende Perspektive des Ich-Erzählers, wodurch der Inhalt des Werkes Objektivierung erfahren soll. Die Geringschätzung der Mutter gegenüber dem Irdischen zeigt sich auch in ihrem letzten Wunsch, nicht, wie es Augustins Bruder möchte, zu Hause begraben zu werden: „ponitis hic“ inquit „matrem vestram.“ ego silebam et fletum frenabam. frater autem meus quiddam locutus est, quo eam non peregre, sed in patria defungi tamquam felicius optaret. quo audito illa vultu anxio reverberans eum oculis, quod talia saperet, atque inde me intuens: „vide“ ait „quid dicit“. et mox ambobus: „ponite“ inquit „hoc corpus ubicumque: nihil vos eius cura conturbet; tantum illud vos rogo, ut ad domini altare memineritis mei, ubiubi fueritis“. cumque hanc sententiam verbis quibus poterat explicasset, conticuit et 27 ingravescente morbo exercebatur.

Auch hier wird den Aussagen der Mutter dadurch Ausdruckskraft verliehen, dass sie in der direkten Rede wiedergegeben sind. Die Äußerungen des Bruders hingegen werden als quiddam abgewertet und im Kontrast zu den Worten der Mutter in indirekter Rede dargebracht. Sie äußert den Wunsch, dass die Erinnerung an sie nicht an ihre sterbliche Hülle und somit an eine Lokalität gebunden sein solle,28 sondern unter Bezugnahme auf Gott und an jedem beliebigen Ort geschehen möge. Hier wird mit der traditionellen Form eines Totengedenkens gebrochen, nach der ein Grab errichtet wird, das die Verwandten pflegen.

25 Seelbach 2005, 305: „Als Kind des göttlichen Vaters würde er nicht länger auf sie als geistliche Mutter angewiesen sein.“ 26 Lepelley 1987, 116. Bestätigend Pizzolato 32001b, 344. 27 9,11,27: „‚Begrabt eure Mutter hier,‘ sagte sie. Ich schwieg und zügelte mein Weinen. Aber mein Bruder sprach etwas, wonach er wünschte, dass sie nicht in der Ferne, sondern in der Heimat sterben solle, was schöner wäre. Nachdem sie dies gehört hatte, trat Angst in ihr Antlitz, und sie tadelte ihn mit ihren Augen, weil er solches dachte, und schaute dann mich an: ‚Schau, was er sagt,‘ meinte sie. Und bald sagte sie zu uns beiden: ‚Begrabt diesen Körper irgendwo. Macht euch überhaupt keine Sorgen um ihn; nur darum bitte ich euch, dass ihr am Altar des Herrn meiner gedenkt, wo auch immer ihr sein mögt.‘ Nachdem sie diesen Satz mit den Worten, mit denen sie konnte, von sich gegeben hatte, verstummte sie und wurde von der schlimmer werdenden Krankheit gequält.“ 28 Vgl. Bruning 2004, 392.

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Hiermit lässt Augustinus Monnica die Form des Totengedenkens vorwegnehmen, die er im letzten Abschnitt des Buches (9,13,37) von jedem Beliebigen seiner Leser fordern wird: ut quotquot haec legerint, meminerint ad altare tuum Monnicae. Mit der Geringschätzung des Ortes 29 lässt Augustinus Monnica selbst die Einstellung gegenüber der Bestattung ausdrücken, die er in seiner Schrift De cura pro mortuis gerenda (entstanden 421–424) vertreten wird. 30 Im Schlussteil dieser Schrift fasst Augustinus zusammen, dass den Verstorbenen nur die Opferung am Altar, Gebete und Almosen nützten. 31 Hierauf folgt eine Reflexion Augustins (9,11,28) über die Wünsche der Mutter, in der auch er ihren ursprünglichen Willen, neben dem Ehemann begraben zu werden, als inanitas bezeichnen. Die letzte Szene berichtet von einem Gespräch Monnicas im engen Kreis in Ostia. Die Szene steht nochmals ganz im Zeichen der in den Confessiones gegebenen Charakteristik Monnicas: non apparuit desiderare in patria mori. audivi etiam postea, quod iam, cum Ostiis essemus, cum quibusdam amicis meis materna fiducia conloquebatur quodam die de contemptu vitae huius et bono mortis, ubi ipse non aderam, illisque stupentibus virtutem feminae – quoniam tu dederas ei – quaerentibusque, utrum non formidaret tam longe a sua civitate corpus relinquere: „nihil“ inquit „longe est deo, neque timendum est, ne ille non agnoscat in fine saeculi, 32 unde me resuscitet.“

Der Ort der Bestattung ist unwichtig, da Gott über dem Raum steht. Das historische Faktum des Todes bleibt in der Erzählung auf eine konzise Mitteilung beschränkt: ergo die nono aegritudinis suae, quinquagesimo et sexto anno aetatis suae, tricesimo et tertio 33 aetatis meae, anima illa religiosa et pia corpore soluta est.

Deutlich ausführlicher als der Bericht über das Sterben fällt die darauf folgende Reflexion über die Trauer um den Tod der Mutter aus.

29 Vgl. Bruning 2004, 392. 30 Vgl. cura mort. 5,7: ubicumque enim iaceat vel non iaceat defuncti caro, spiritui requies adquirenda est. 31 Vgl. Klöckener 1996, 186. 32 9,11,28: „Es wurde offensichtlich, dass sie nicht den Wunsch hegte, in der Heimat zu sterben. Ich hörte auch später, dass sie, als wir bereits in Ostia waren, sich mit einigen meiner Freunde in mütterlichem Vertrauen an einem bestimmten Tag in meiner Abwesenheit über die Geringschätzung des diesseitigen Lebens und über das Gut des Todes unterhielt, wobei jene über die Kraft dieser Frau staunten, – denn du hattest sie ihr gegeben – und fragten, ob sie keine Angst davor habe, so weit von ihrer Heimatgemeinde den Körper zu verlassen. ‚Nichts‘, sagte sie, ‚ist weit für Gott, und man braucht nicht zu fürchten, er würde am Ende der Zeit nicht erkennen, von wo er mich wiedererwecken müsste.‘“ 33 9,11,28: „Am neunten Tag ihrer Krankheit also, im sechsundfünfzigsten Jahr ihres, im dreiunddreißigsten Jahr meines Lebens wurde diese gottesfürchtige und fromme Seele von ihrem Körper erlöst.“

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c) Trauer Der Umgang mit der Trauer um Monnica muss als bedeutungsvoller Endpunkt des autobiographischen Teils der Confessiones betrachtet werden. Erst mit der Trauer um den Tod der Mutter ist der Konversionsprozess, dessen Darstellung und Reflexion die grundlegende Erzählstruktur des autobiographischen Teils bildet, abgeschlossen. Die Konversion endet nicht mit der Wendung der Ausrichtung des Willens hin auf Gott, die in der tolle-lege-Szene im 8. Buch erreicht wird, sondern in der ethischen Verwirklichung dieser Ausrichtung des Willens auf Gott, die auch die Affekte einschließt. 34 Zunächst versucht Augustinus, sich über die Trauer hinwegzusetzen, da sie seinen Glaubensgrundsätzen widerspricht (9,12,29). Obwohl er vom Standpunkt seines Glaubens her überzeugt ist, dass er um Monnica nicht trauern sollte, da sie als gläubige Christin nicht gänzlich gestorben sei, leidet er am Verlust des gewohnten Umgangs mit ihr: neque enim decere arbitrabamur funus illud questibus lacrimosis gemitibusque celebrare, quia his plerumque solet deplorari quaedam miseria morientium aut quasi omnimoda extinctio. at illa nec misere moriebatur nec omnino moriebatur. hoc et documentis morum eius et «fide non ficta» (1 Tm 1,5) rationibusque certis tenebamus. quid erat ergo, quod intus mihi graviter dolebat, nisi ex consuetudine simul vivendi dulcissima et carissima repente 35 dirupta vulnus recens?

Der Protagonist Augustinus kann sich noch nicht von der aus der Leiblichkeit rührenden consuetudo des Zusammenlebens lösen und leidet deshalb am leiblichen Tod seines Mitmenschen. 36 Der Erzähler Augustinus vergegenwärtigt sich aus nachträglicher Perspektive das Verhältnis zwischen sich und seiner Mutter, das für ihn stets ein magnum solacium dargestellt hat, das er jedoch durch ihren Tod verloren hat. 34 Vgl. Brachtendorf 2005, 197–201; 201: „Das Abbrechen am Ende des neunten Buchs macht aber durchaus Sinn, wenn man die Confessiones als eine Bekehrungsgeschichte versteht. Augustinus hat den wahren Gott erkannt (Buch VII) und ihm auch seinen Willen zugewendet (Buch VIII). Schließlich ist die Bekehrung auch bis in seine Affekte hinein wirksam geworden (Buch IX). Die neue Lebensorientierung ist nun auch emotional ratifiziert, so dass der ganze Mensch – vorbehaltlich seiner weiter bestehenden Schwäche – auf Gott hin ausgerichtet ist. Die Bekehrungsgeschichte des Menschen Augustinus ist damit in der Tat abgeschlossen.“ 35 9,12,29–9,12,30: „Denn wir glaubten, dass es nicht angemessen wäre, dieses Begräbnis mit tränenreichen Klagen und mit Seufzern zu begehen, weil man so gewöhnlich weint, wenn man von einem Unglück für die Sterbenden oder von einer gänzlichen Vernichtung ausgeht. Aber sie verstarb nicht auf erbärmliche Weise und sie starb auch nicht ganz. Daran hielten wir aufgrund des Zeugnisses ihres Charakters und aufgrund unseres ungeheuchelten Glaubens und mit sicheren Gründen fest. Was also war es, das in mir schwer schmerzte, außer der frischen Wunde, die entstanden war, weil die so süße und liebe Gewohnheit des Zusammenlebens plötzlich zerrissen war.“ 36 Hier steht consuetudo ganz in dem Sinne, in dem er sie in den Schriften De vera religione und De utitlitate credendi definiert ist, als eine consuetudo huius vitae, die einer aeternitatis contemplatio entgegensteht (vera rel. 3). Vgl. Zumkeller 1986–1994b, 1255–1256.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

Die Reflexion über die Trauer um die Mutter steht in einem Fernbezug zur Trauer um den verstorbenen Freund im 4. Buch. Die Beziehung wird formal auch durch die Verwendung gleicher Metaphern hergestellt. Unter Verweis auf Horaz carm. 1,3,8 begreift Augustinus die interpersonale Bindung als die Vereinigung zweier Seelen zu einer: bene quidam dixit de amico suo «dimidium animae suae». nam ego sensi animam meam et animam illius unam fuisse animam in duobus corporibus, et ideo mihi horrori erat vita, quia nolebam dimidius vivere, et ideo forte mori metuebam, ne totus ille moreretur, quem multum 37 amaveram.

Dieses Bild des Zerreißens einer gewachsenen Einheit zweier Menschen nimmt Augustinus in Buch 9 wieder auf, 38 um dem Bruch der starken Bindung zur Mutter Ausdruck zu verleihen: quoniam itaque deserebar tam magno eius solacio, sauciabatur anima et quasi dilaniabatur 39 vita, quae una facta erat ex mea et illius.

An dieser Stelle formuliert Augustinus eine Antwort auf die Abfolge von Fragen in Buch 4, die darum kreisen, warum die Tränen den Schmerz lindern. Diese können zu dem früheren Zeitpunkt jedoch vom Protagonisten Augustinus noch nicht beantwortet werden. 40 Der vorliegende Textabschnitt muss als eine Auseinandersetzung mit der stoischen Affektenlehre gelesen werden. Vom stoischen Weisen wird erwartet, dass er das Weinen um einen Toten unterdrückt. 41 Diese Ablehnung des Weinens wird auch von den christlichen Autoren Cyprian, Ambrosius und Hieronymus beibehalten. 42 Augustinus gelangt jedoch zu einer anderen Haltung gegenüber den Affekten. Nach anfänglichen Problemen mit der Trauer, wobei Augustinus die Tränen 37 4,6,11: „Es hat über seinen Freund jemand treffend gesagt, er sei die ‚Hälfte seiner Seele‘. Denn ich habe gespürt, dass meine und seine Seele eine in zwei Körpern gewesen war, und deshalb wurde mir das Leben zu einem Schrecken, weil ich nicht als eine Hälfte leben wollte, und ich ängstigte mich vielleicht deshalb davor zu sterben, weil dann auch zu befürchten wäre, dass jener ganz sterben würde, den ich sehr geliebt hatte.“ 38 Vgl. O’Donnell 1992, III, 140; Paffenroth 1997, 152; Pizzolato 32001b, 346. Ein weiterer Verweis auf die Stelle im 4. Buch ist in der Wendung consuetudine simul vivendi (9,12,30) zu sehen, die auf 4,6,11 anspielt: sicut de Oreste et Pylade traditur, si non fingitur, qui vellent pro invicem vel simul mori, qua morte peius eis erat non simul vivere. 39 9,12,30: „Weil ich deshalb von ihrem so bedeutenden Trost getrennt wurde, wurde die Seele verletzt und das Leben gleichsam zerrissen, das aus ihrem und aus meinem eins geworden war.“ Auch das Verb dilaniare begegnet in demselben Abschnitt über die Trauer um den Freund: miser eram, et miser est omnis animus vinctus amicitia rerum mortalium et dilaniatur, cum eas amittit, et tunc sentit miseriam, qua miser est et antequam amittat eas (4,6,11). 40 Vgl. 4,5,10. 41 Vgl. Dulaey 2003, 224. Als paradigmatische Position der Stoa kann Senecas Schlussfolgerung über die Trauer um einen Freund gelten: quem amabas, extulisti: quaere, quem ames. satius est amicum reparare quam flere (ep. 63,1). 42 Vgl. Dulaey 2003, 225. Zu Cyprian Angenendt 22000, 660. Hier zu den unterschiedlichen christlichen Traditionen der Trauer. Auch die vorliegende Stelle bei Augustinus wird von Angenendt im Rahmen einer die Trauer legitimierenden Tradition behandelt.

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zu unterdrücken versucht (9,12,29–9,12,32), ändert sich angeregt durch die Erinnerung an einen Hymnus des Ambrosius seine Haltung. 43 Nun kann er seinen Tränen freien Lauf lassen: atque inde paulatim reducebam in pristinum sensum ancillam tuam conversationemque eius piam in te et sancte in nos blandam atque morigeram, qua subito destitutus sum, et libuit flere «in conspectu tuo» (Ps 18,15). de illa et pro illa, de me et pro me. et dimisi lacrimas, quas continebam, ut effluerent quantum vellent, substernens eas cordi meo: et requievit in eis, qu44 oniam ibi erant aures tuae.

Der große Unterschied vor allem zu der als abzulehnend erkannten Form der Trauer um den Freund im 4. Buch besteht in der nun bedachten Gegenwart Gottes: in conspectu tuo. 45 Entscheidend ist neben dem Grund insbesondere das Ziel der Trauer. Nicht nur über (de), sondern auch für (pro) jemanden trauert Augustinus nun. Eine solche Trauer umfasst die Wünsche für das Bestehen des anderen Menschen vor Gott obwohl er ein Sünder ist. Er weint jetzt für Monnica, wie diese zu ihren Lebzeiten wegen seiner Abwendung von Gott für ihn geweint hat: et nunc, domine, confiteor tibi in litteris. legat qui volet et interpretetur, ut volet, et si peccatum invenerit, flevisse me matrem exigua parte horae, matrem oculis meis interim mortuam, quae me multos annos fleverat, ut oculis tuis viverem, non inrideat, sed potius, si 46 est grandi caritate, pro peccatis meis fleat ipse ad te, patrem omnium fratrum Christi tui.

In dieser Passage vollzieht Augustinus eine „Rehabilitation der Affekte“ 47, die sich auch auf die Haltung eines intendierten Lesers erstrecken soll, der über caritas verfügt. Treffend ist die Feststellung, dass in dieser Darstellung seiner Trauer um den Tod der Mutter Augustinus eine ‚conversio‘ der Tränen durchführt. 48 Mit dem Verweis auf eine als richtig erkannte Form des Weinens der Mutter für den spirituell gestorbenen Sohn vor Gott, wodurch sie sein spirituelles Leben in den Augen Gottes wieder ermöglicht hat, gelangt Augustinus zu einer affirmativen Position gegenüber dem Weinen. Augustinus kommt nun zu einer Haltung, die 43 Vgl. Brachtendorf 2005, 198–199. 44 9,12,33: „Und dann führte ich allmählich deine Magd und den Umgang mit ihr, der dir gegenüber fromm, uns gegenüber auf heilige Weise angenehm und gehorsam war und dessen ich plötzlich beraubt war, in die Erinnerung zurück, und es gefiel mir, in deinem Angesicht zu weinen, über sie und für sie, über mich und für mich. Ich ließ Tränen fallen, die ich versucht hatte zurückzuhalten, so dass sie herausflossen, so sehr sie wollten, und goss sie unter mein Herz, das mit ihnen zur Ruhe kam, weil dort deine Ohren waren.“ 45 Vgl. Brachtendorf 2005, 199–200. Eine weitere Form falscher Trauer, die von Augustinus in der nachträglichen Reflexion verurteilt wird, ist sein Weinen über den fiktiven Suizid der Dido in Buch 1. 46 9,12,33: „Nun, Herr, lege ich mein Bekenntnis in einer Schrift vor dir ab. Mag es lesen, wer will, und deuten, wie er will, und wenn er eine Sünde darin findet, dass ich meine Mutter auch nur einen kleinen Teil einer Stunde beweint habe, meine Mutter, die mittlerweile für meine Augen gestorben ist, die mich viele Jahre lang beweint hatte, damit ich für deine Augen leben würde, soll er mich nicht verlachen, sondern eher, wenn er über große Liebe verfügt, selbst für meine Sünden weinen vor dir, dem Vater aller Brüder deines Christus.“ 47 Brachtendorf 2005, 201. 48 Vgl. Dulaey 2003, 225.

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von Monnica in der vorausgehenden Erzählung bereits vorgelebt worden ist. Dieser Stelle wird in der kulturgeschichtlichen Forschung eine große Bedeutung für die Etablierung des christlichen Tränenmotivs beigemessen. 49 In dieser abschließenden Episode begegnet an entscheidenden Stellen die Apostrophierung Gottes als pater. Bereits in 9,12,32 spricht Augustinus Gott als pater orfanorum an. Er fasst sich nun als Waise auf, da die Mutter tot ist. Die Bezeichnung pater orfanorum wirkt in ihrer Zusammenstellung zunächst paradox, da ein orfanus keinen lebenden Vater mehr haben kann. Aber Gott ist metaphorischer Vater für den zum leiblichen Waisen gewordenen Augustinus. 50 Die Vaterlinie ist in den Confessiones insgesamt weniger bedeutend, weshalb die Vatermetaphorik auch weniger präsent ist, wie bereits Alfred Schindler herausgestellt hat. Jedoch kommt sie an bedeutenden Stellen zum Tragen, wie hier am Ende des 9. Buches. 51 In 9,12,33 tritt der Erzähler Augustinus im Bewusstsein seiner Rolle als Autor eines literarischen Werkes hervor: confiteor tibi in litteris. Er denkt auch an den möglichen Leser, den er zu einer Fürbitte für seine Sünden unter Tränen auffordert. Bedeutsam ist, dass er Gott gerade an dieser Stelle, an der er eine Beziehung zum Leser herstellt, als pater omnium fratrum Christi tui anspricht. Indem er Gott in der Metapher des Familienoberhauptes auffasst, kann er dessen Rolle nicht nur gegenüber einem Individuum, sondern gegenüber einer ganzen Gruppe ausdrücken, wobei alle Gläubigen Brüder Christi mit dem einen Vater sind. Dieser letzte Satz bildet mit seiner Anrede an den Leser und mit seiner Aufforderung zur Fürbitte an ihn den Übergang zum Abschluss des autobiographischen Teiles der Confessiones. d) Aufruf zum Gedenken an die Toten Der autobiographische Teil der Confessiones endet mit einem Aufruf an den Leser zum Gedenken an die verstorbenen Eltern. Aus den Tränen, die aus einer leiblichen Anhänglichkeit rührten, ist eine neue Form der Emotionalität geworden: ego autem iam sanato corde ab illo vulnere, in quo poterat redargui carnalis affectus, fundo tibi, deus noster, pro illa famula tua longe aliud lacrimarum genus, quod manat de concusso spiritu consideratione periculorum omnis animae, quae in Adam moritur. quamquam illa in Christo vivificata etiam nondum a carne resoluta sic vixerit, ut laudetur nomen tuum in fide moribusque eius, non tamen audeo dicere, ex quo eam per baptismum regenerasti, nullum verbum exisse ab ore eius contra praeceptum tuum. et dictum est a veritate, filio tuo: «si quis dixerit fratri suo: fatue, reus erit gehennae ignis» (Mt 5,22); et vae etiam laudabili vitae hominum, si remota misericordia discutias eam! quia vero non exquiris delicta vehementer, fiducialiter speramus aliquem apud te locum. quisquis autem tibi enumerat vera merita sua,

49 Vgl. Balogh 1926, 10–21. 50 Zu den verschiedenen exegetischen Assoziationen, die das Zitat im Ursprungstext und bei Augustinus weckt, vgl. Knauer 1955, 33. 51 Vgl. Schindler 1978, 64; Brändle / Neidhart 1984, 16667.

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quid tibi enumerat nisi munera tua? o si cognoscant se homines homines et «qui gloriatur, in 52 domino glorietur» (2 Cor 10,17)!

An dieser Stelle fasst der Erzähler die in den vorangehenden Teilen der Confessiones von ihm immer wieder aufgezeigten Vorstellungen über die Mutter zusammen, wobei er zwischen zwei Ebenen unterscheidet. Eine sich an den leiblichen Menschen bindende Anhänglichkeit (carnalis affectus) wird ersetzt durch ein Verhältnis auf einer anderen Ebene (aliud lacrimarum genus). Diese definiert sich auf der Ebene des Geistes (spiritus). Das irdische Leben Monnicas wird in einer Zweiteilung zwischen einer Gebundenheit in der Leiblichkeit (nondum a carne soluta) und einem neuen Leben in Christus (in Christo vivificata) bestimmt. Ihre Lebensweise (sic vixerit; in fide moribusque eius) war gottgeweiht. Dies drückt Augustinus sprachlich dadurch aus, dass er sich in ihrer Charakterisierung in auffällig starker Häufung an Bibelstellen anlehnt. Die Wendung in Christo vivificata gibt die Worte von 1 Cor 15,22 53 und Eph 2,5 54 wieder, regenerasti von Tit 3,5 55, nullum verbum von Mt 12,36–37. 56 Wie in der bisherigen Rückschau stellt Augustinus die Mutter aber auch nicht frei von Fehlern dar. Gute Eigenschaften hingegen werden als Geschenke Gottes gedeutet. Das Lob der Sitten einer Person wird somit zu einer confessio laudis gegenüber Gott. Darin spiegelt sich Augustins Gnadenlehre wider, nach welcher der Mensch nicht durch sich selbst gerechtfertigt ist, sondern auf Gottes Gnade angewiesen ist. Von diesen Gedanken leitet er zu den Fürbitten für die Sünden der Mutter über (9,13,35). Da52 9,13,34: „Ich hingegen, nachdem nun mein Herz geheilt ist von dieser Wunde, durch die die fleischliche Anhänglichkeit überführt werden konnte, gieße vor dir, unser Gott, für diese deine Dienerin eine weit andere Art von Tränen aus. Diese fließt aus einem Geist, der erschüttert ist durch die Betrachtung der Gefahren für jede Seele, die in Adam stirbt. Obwohl jene, auch als sie in Christus wieder belebt, aber noch nicht von ihrem Leib erlöst war, so lebte, dass dein Name in ihrem Glauben und in ihren Sitten gelobt wurde, wage ich dennoch nicht zu sagen, dass von dem Zeitpunkt an, an dem du sie durch die Taufe wiedergezeugt hast, kein Wort, das gegen deine Vorschriften verstoßen hätte, aus ihrem Mund gekommen wäre. Von der Wahrheit, deinem Sohn, wurde gesagt: Wenn jemand seinem Bruder sagt: ‚Du Narr‘, wird er des Feuers der Hölle schuldig sein; wehe auch dem lobenswerten Leben der Menschen, wenn du deine Barmherzigkeit entziehst und es zerwirfst! Weil du die Vergehen jedoch nicht in aller Unerbittlichkeit untersuchst, hoffen wir vertrauensvoll auf einen Ort bei dir. Wer aber dir seine wahren Verdienste aufzählt, was zählt er dir auf außer deine Gaben? Oh, mögen die Menschen erkennen, dass sie Menschen sind, und wer sich rühmt, soll sich in Gott rühmen.“ 53 Sicut enim in Adam omnes moriuntur, sic et in Christo omnes vivificabuntur. In dieser Textgestalt von Augustinus 61-mal (!) zitiert. 54 Deus autem, qui dives est in misericordia, propter multam dilectionem, qua dilexit nos et, cum essemus mortui peccatis, convivificavit nos Christo, cuius gratia sumus salvi facti. In dieser Textgestalt erscheint der Bibelvers 8-mal bei Augustinus. 55 Cum autem benignitas et humanitas inluxit salvatoris dei nostri, non ex operibus iustitiae, quae nos fecimus, sed secundum suam misericordiam salvos nos fecit per lavacrum regenerationis et renovationis spiritus sancti. In dieser Textgestalt 5-mal bei Augustinus. 56 Quoniam omne verbum otiosum, quod locuti fuerint homines, reddent rationem de eo in die iudicii. ex verbis enim tuis iustificaberis et ex verbis tuis condemnaberis. In dieser Textgestalt 2-mal bei Augustinus.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

bei begründet der Erzähler Augustinus diese Form des Totengedenkens aus Monnicas eigenem Wunsch und Verhalten: illa imminente die resolutionis suae non cogitavit suum corpus sumptuose contegi aut condiri aromatis aut monumentum electum concupivit aut curavit sepulchrum patrium: non ista mandavit nobis, sed tantummodo memoriam sui ad altare tuum fieri desideravit cui nullius 57 diei praetermissione servierat.

Monnica weist die traditionellen, äußerlichen Formen des Gedenkens zurück. Die Bedeckung und Einbalsamierung des Leichnams ist ihr gleichgültig; ferner lehnt sie einen aufwendigen Gedenkstein ab. Ebenso wenig will sie in ihrer Heimat begraben werden (sepulchrum patrium), stattdessen wünscht sie, dass ihrer am Altar des Herrn gedacht werde. In Kontrastierung zu dem ursprünglichen, nun als nichtig bezeichneten Plan, mit dem Mann gemeinsam begraben zu werden, folgt in Augustins Fürbitte der Wunsch, sie möge mit ihrem Mann in Frieden ruhen. Das Verhältnis zu ihrem Ehemann wird hier nochmals gerühmt und sie nach dem Ideal der univira gelobt: sit ergo in pace cum viro, ante quem nulli et post quem nulli nupta est, cui servivit «fructum» 58 tibi afferens «cum tolerantia» (Lc 8,15), ut eum quoque lucraretur tibi.

Erst in diesem letzten Abschnitt des autobiographischen Teiles erfolgt die einzige Nennung des Namens „Monnica“, wie auch Adeodatus erst etwas früher im 9. Buch (9,6,14) zum ersten Mal namentlich genannt wird. Der Vater wird nur einmal zuvor mit seinem Namen „Patricius“ bezeichnet, an einer Stelle, an der sich die Identifizierung durch den Namen jedoch aus der Situation der Erzählung, in der es um den Blick der Mitbürger auf das Ehepaar geht, naheliegend ist (9,9,19). Entgegen der Auffassung, dass der Verfasser dies wohl unbewusst so gemacht habe, 59 können eine Reihe von Motiven angeführt werden, die die namentliche Benennung der Eltern gerade an dieser Stelle erklären: a) Die Taufe ist mit der Namengebung verbunden. Zu den traditionellen Riten der Taufvorbereitung gehörte die Einschreibung (dare nomen). 60 Im Rahmen des Katechumenats bestand die Sitte, mit dem Herannahen der Fastenzeit seinen Taufnamen anzugeben. 61 Ebendieser Ritus und der für 57 9,13,36: „Als jener Tag ihrer Auflösung nahte, hatte sie nicht im Sinn, dass ihr Körper aufwendig bedeckt oder mit Duftstoffen einbalsamiert würde. Weder wünschte sie sich ein auserlesenes Grabmal noch lag ihr an einem Grab in der Heimat. Nicht das trug sie uns auf, sondern sie wünschte lediglich, dass ihrer gedacht werde an deinem Altar, dem sie ohne einen Tag Unterbrechung gedient hatte.“ 58 9,13,37: „Möge sie also in Frieden mit ihrem Mann ruhen, vor dem und nach dem sie mit keinem verheiratet war, dem sie diente, wobei sie dir den Ertrag mit Duldsamkeit brachte und auch ihn für dich gewann.“ 59 Zur auffallend späten Nennung von Namen gerade der Verwandten vgl. Hattrup 1998, 412 mit einem nicht befriedigenden Erklärungsversuch: „Vielleicht war sich Augustinus seiner Eigenart selbst nur halb bewußt“. 60 Vgl. Grossi 1986–1994, 588. 61 Vgl. s. 132,1. Vgl. Eggersdorfer 1907, 155.

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ihn bestimmte Zeitpunkt ist in den Confessiones noch kurz zuvor als Einleitung zur Episode der Taufe in Mailand erwähnt worden. 62 Die namentliche Benennung rückt Monnica und Patricius in den Kontext der Taufe; durch die Namennennung werden sie als getaufte Christen in einer durch die Taufe gestifteten Gemeinschaft dargestellt. b) Der Blick auf Monnica aus der Perspektive des Sohnes, aus der sie bisher ausschließlich betrachtet worden ist, wird durch die Aufforderung an den Leser zum Totengedenken überwunden. Nun soll auch der Leser in einen Bezug zu ihr treten. Hiermit geht sie in die Erinnerung einer Gemeinschaft ein, die sie als Individuum „Monnica“ kennt, zu dem sie aber nicht in einem familialen Rollenverhältnis steht. 63 c) Eine solche Identifikation vermittels des Namens steht im Zusammenhang mit der im 9. Buch zentralen Überwindung der fleischlichen Beziehungen. Nicht mehr die über eine äußere Funktion definierte Rolle zählt, sondern der Mensch selbst als Individuum. Augustinus beendet die Reflexion über die Trauer um die Mutter mit einer Aufforderung zum Gedenken an die Eltern. Hierbei nimmt er eine Neubestimmung der zwischenmenschlichen Beziehungen vor Gott und der Kirche vor, indem er die Generationenbeziehungen mithilfe eines in der Metaphorik der Eltern-KindBeziehung ausgedrückten Verhältnisses der Menschen untereinander sowie zu Gott und zur Kirche substituiert: et inspira, domine meus, deus meus, inspira servis tuis, fratribus meis, filiis tuis, dominis meis, quibus et corde et voce et litteris servio, ut quotquot haec legerint, meminerint ad altare tuum Monnicae, famulae tuae, cum Patricio, quondam eius coniuge, per quorum carnem introduxisti me in hanc vitam, quemadmodum nescio. meminerint cum affectu pio parentum meorum in hac luce transitoria et fratrum meorum sub te patre in matre catholica et civium meorum in aeterna Hierusalem, cui suspirat peregrinatio populi tui ab exitu usque ad reditum, ut quod a me illa poposcit extremum uberius ei praestetur in multorum orationibus per 64 confessiones quam per orationes meas.

62 Vgl. 9,6,14: inde ubi tempus advenit, quo me nomen dare oporteret, relicto rure Mediolanum remeavimus. 63 In diese Richtung weist die Deutung Steidle 1982, 447: „Wohl überlegt ist außerdem, daß der Name von Augustins Mutter, die doch schon den Dialogen zufolge die Entwicklung des Sohnes maßgebend beeinflußt hat, nur ein einziges Mal, dafür aber an bedeutsamer Stelle im letzten Kapitel des 9. Buches erscheint (9,13,37): Dem Wunsch der Sterbenden entsprechend (9,11,27) bittet hier Augustin die Mitbrüder in Christus, sie möchten am Altar fürbittend Monnicas und des Patricius, ihres Mannes und Augustins Vaters gedenken.“ 64 9,13,37: „Und du, mein Herr, mein Gott, gib deinen Dienern, meinen Brüdern, deinen Söhnen, meinen Herren, welchen ich mit dem Herzen, mit der Stimme und der Schrift diene, ein, dass alle, die dies lesen, an deinem Altar deiner Magd Monnica gedenken und des Patricius, der einst ihr Ehemann war. Durch ihr Fleisch hast du mich in dieses Leben eingeführt – wie, weiß ich nicht. Sie sollen mit frommem Gefühl meiner Eltern gedenken in diesem vergänglichen Leben, meiner Geschwister unter dir als Vater in der katholischen Kirche als der Mutter und meiner Mitbürger im ewigen Jerusalem, dem dein Volk auf seiner Wanderschaft vom Weggang bis zur Rückkehr entgegenseufzt, so dass das, was sie als Letztes von mir forderte,

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

Das Gedenken der Toten am Altar des Herrn soll nun cum pio affectu geschehen, der im Gegensatz zu dem in der Trauer um die Mutter noch vorhandenen carnalis affectus (9,13,34) beim Protagonisten Augustinus steht, den der Erzähler Augustinus überwunden hat. 65 Der als pius qualifizierte affectus definiert sich dadurch, dass er auf ein anderes Ziel als der carnalis affectus ausgerichtet ist. Das durch den leiblichen Zusammenhang begründete interpersonale Verhältnis wird substituiert durch ein spirituelles Verhältnis, in dem Gott der Vater, die Kirche die Mutter ist. Das Verhältnis der Gläubigen untereinander wird als eine Geschwisterbeziehung aufgefasst. Es findet somit eine Überwindung leiblicher Beziehungen durch eine ebenfalls als Eltern-Kind-Verbindung zu verstehende Beziehung der Menschen zu Gott als Vater und zur Kirche als Mutter sowie durch eine an diese Metaphorik anknüpfende Vorstellung einer Geschwisterbeziehung unter den Menschen statt. Das Verständnis des Verhältnisses der Gläubigen gegenüber Gott vermittels der Generationenmetaphorik steht zwischen der lux transitoria und dem Eschaton, in dem die Gläubigen Mitbürger im himmlischen Jerusalem sind. Dieses Metaphernfeld der Bürgerschaft wird in Augustins späterem Werk für das Konzept einer civitas dei grundlegend sein. Indem Augustinus die Leser zu Erinnerung und Fürbitte auffordert, wird das literarische Werk selbst zum Medium des Totengedenkens. Hiermit ist eine familiäre Erinnerungskultur, wie sie die pagane Antike kennt und wie sie Monnica ablehnt, überwunden zugunsten einer Form des Gedenkens, an dem jeder Gläubige teilnehmen soll. Mit diesen Sätzen endet der autobiographische Teil der Confessiones. Ihnen muss demzufolge eine zentrale Bedeutung beigemessen werden. Erst hier kann die Konversionshandlung als abgeschlossen gelten. Erst mit dem Übergang von der Einordnung des Individuums in innerweltliche Zusammenhänge zu einer Eingliederung in den geistigen Zusammenhang mit Gott ist die Konversion vollendet. Diesen Übergang vollzieht Augustinus an der Einordnung des Menschen in familiäre Zusammenhänge. Der leibliche Generationenzusammenhang wird durch einen geistigen substituiert. So wird die durch den Tod eingetretene Trennung der Beziehung, die auf Leiblichkeit beruht, durch die Neubestimmung des Verhältnisses auf spiritueller Ebene, die ihren Ausdruck durch die Metapher findet, überwunden. Hinter dieser Ersetzung familiärer Zusammenhänge durch eine religiöse Definition interpersonaler Beziehungen steht der Autor und Erzähler der Confessiones Augustinus, der sich zum Zeitpunkt der Abfassung für ein zölibatäres Leben als Priester in der spirituellen Gemeinschaft unter der mater ecclesia entschlossen und somit sich einem Leben im Kreise der Blutsverwandten entzogen hat. ihr in größerer Fülle gewährt werde in den Gebeten vieler durch meine Bekenntnisse als durch meine Gebete.“ 65 Die Beobachtung dieses Zusammenhangs ist den Ausführungen bei Brachtendorf 2005, 197– 201 hinzuzufügen, der in vorzüglicher Weise Augustins Auseinandersetzung mit der hellenistischen Affektenlehre in den Blickpunkt rückt und die „Rehabilitation der Affekte“ in der „richtigen Art zu trauern“ als Kerngedanke des 9. Buches herausstellt.

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Dies ist der Schlusspunkt der Identitätsentwicklung Augustins, der Person, die nun im 10. Buch zu einer Analyse der aktuellen geistlichen und moralischen Verfassung ansetzt und in den Büchern 11–13 ihre Vorstellungen zur Bibelexegese darlegt. e) Bücher 10–13 Das 10. Buch bietet die Reflexion über den geistigen Zustand Augustins zum Zeitpunkt der Abfassung der Confessiones. Augustinus behandelt seinen Weg zu Gott und die richtige Lebensform, die dieser Beziehung zu Gott entspricht. Bei der Reflexion über das Verhältnis zu Gott werden an zentraler Stelle verschiedene Bilder zusammenfassend aufgenommen, in denen das Verhältnis zu Gott in den vorangegangenen Büchern ausgedrückt worden ist. Am Beginn des 10. Buches (10,3,3–10,4,6) reflektiert Augustinus über den Sinn seiner literarischen confessiones und rückt hierbei den intendierten Adressaten in den Blickpunkt. Voraussetzung dafür, dass dieser den Inhalten der Confessiones Glauben schenken kann, ist das Vorhandensein eines fraternus animus (10,4,5). Bedenkt man die in den vorausgehenden Büchern vollzogene Neubestimmung der Semantik familiärer Beziehungen, so fügt sich das Adjektiv fraternus zur Beschreibung einer von caritas bestimmten Haltung gegenüber dem Mitmenschen bestens ein. 66 In den folgenden Gedanken führt Augustinus die Fäden verschiedener bisher verwendeter Metaphernfelder zusammen. Er sieht sich als Teil einer spirituellen Familie, die Mitgläubigen versteht er als Brüder, Gott als Vater: 67 hi sunt servi tui, fratres mei, quos filios tuos esse voluisti dominos meos, quibus iussisti ut serviam, si volo tecum de te vivere. et hoc mihi verbum tuum parum erat si loquendo praeciperet, nisi et faciendo praeiret. et ego id ago factis et dictis, id ago sub alis tuis nimis cum ingenti periculo, nisi quia sub alis tuis tibi subdita est anima mea et infirmitas mea tibi nota est. parvulus sum, sed vivit semper pater meus et idoneus est mihi tutor meus; idem ipse 68 est, qui genuit me et tuetur me (…).

Auch im Folgenden der Confessiones fasst Augustinus das Verhältnis des Individuums zu Gott wiederholt in der Metaphorik der Generationenbeziehungen. Eben66 Vor diesem Hintergrund sind die Bedenken, die Fischer 2006, 115 gegen eine Übersetzung mit ‚brüderlich‘ vorbringt, nicht nachzuvollziehen: „Um das zweifelhaft Biologische des Geschwisterbezugs zu meiden, wird ›fraternus‹ mit ›liebevoll‹, ›wohlwollend‹ und ›einträchtig‹ übersetzt.“ 67 Vgl. Brändle / Neidhart 1984, 166. 68 10,4,6: „Diese sind deine Diener, meine Brüder. Du wolltest, dass diese deine Söhne meine Herren seien, und hast mir befohlen, ihnen zu dienen, wenn ich mit dir von dir leben möchte. Und dieses dein Wort wäre mir zu wenig gewesen, wenn es durch Rede vorschreiben würde, aber nicht auch durch die Tat voranginge. Und ich betreibe dies mit Taten und Worten, ich betreibe dies unter deinen Flügeln und würde es unter allzu großer Gefahr tun, wenn nicht unter deinen Flügeln dir meine Seele unterworfen und meine Schwäche bekannt wäre. Ich bin ganz klein, aber mein Vater lebt immer und ist ein guter Beschützer für mich; er selbst ist es, der mich gezeugt hat und der mich beschützt.“

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

falls im 10. Buch werden die Gläubigen als Söhne Gottes durch Christus aufgefasst: (sc. Christus) faciens tibi nos de servis filios de te nascendo, nobis serviendo.

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Im exegetischen Teil der Confessiones wird das Bild des himmlischen Jerusalem als geistiger Mutter, sowie Gottes als Vater wiederholt benutzt. Im folgenden Passus richtet sich Augustinus gegen diejenigen, die der von ihm in seinem Inneren erkannten göttlichen Wahrheit keinen Glauben schenken wollen: dimittam eos foris sufflantes in pulverem et excitantes terram in oculos suos et intrem in cubile meum et cantem tibi amatoria gemens inenarrabiles gemitus in peregrinatione mea et recordans Hierusalem extento in eam sursum corde, Hierusalem patriam meam, Hierusalem matrem meam, teque super eam regnatorem, inlustratorem, patrem, tutorem, maritum, castas et fortes delicias et solidum gaudium et omnia bona ineffabilia, simul omnia, quia unum summum et verum bonum: et non avertar, donec in eius pacem, matris carissimae, ubi sunt primitiae spiritus mei, unde ista mihi certa sunt, conligas totum quod sum a dispersione et de70 formitate hac et conformes atque confirmes in aeternum, «deus meus, misericordia mea».

An dieser Stelle des 12. Buches erscheint in einer Verbindung von christlicher und neuplatonischer Metaphorik Hierusalem als patria und als mater, Gott als pater. Verschiedene Metaphern und mit ihenen verschiedene Denktraditionen werden hier miteinander zusammengebracht. f) Rückblick: Bücher 9–13 Die vorliegende Arbeit war besonders darum bemüht, im 9. Buch die Konstituierung einer neuen Form von Gemeinschaftlichkeit herauszuarbeiten. Zwischenmenschliche Beziehungen werden neu definiert, indem sie unter Berücksichtigung einer Ausrichtung auf Gott bestimmt werden. Diese Haltung ist ein Kennzeichen der Gruppe von Cassiciacum. Ein Nachruf auf die Mutter in Form einer laudatio funebris rückt verschiedene Funktionen der Mutter in den Blickpunkt. In der Darstellung von Kindheitsepisoden zeigt Augustinus Parallelen zur eigenen Entwicklung, wodurch die am ei69 10,33,69: Jesus Christus wird bezeichnet als der, „der uns aus Sklaven zu deinen Söhnen macht, indem er von dir geboren wird und uns dient.“ Die Vorstellung von der Wiedergeburt in Christus begegnet ferner in 10,20,29. 70 12,16,23: „Ich will sie draußen lassen, sie Staub aufblasen und Erde in ihre Augen wirbeln lassen. Ich möchte in mein Schlafgemach eintreten, dir Liebesgesänge anstimmen, unzählbare Seufzer seufzen auf meiner Wanderschaft und mich an Jerusalem erinnern in meinem Herzen, das sich zu ihm nach oben streckt, an Jerusalem, meine Vaterstadt, an Jerusalem, meine Mutter, und an dich, ihren Lenker, Erleuchter, Vater, Schützer, Ehemann, keusche und starke Wonne und feste Freude und alle unaussprechlichen Güter, alle zugleich, weil du das eine höchste und wahre Gut bist. Ich will mich nicht abwenden, bis du in ihren Frieden, den der allerliebsten Mutter, wo die Erstlinge meines Geistes sind und woher dies mir sicher ist, alles, was ich bin, aus der Zerteilung und Unförmigkeit zusammenliest, formst und stärkst in alle Ewigkeit, mein Gott, meine Barmherzigkeit.“ Vgl. zu der Stelle Knauer 1957, 244. Ebenfalls im 12. Buch begegnet nochmals das Bild von der Kirche als Nest (12,27,37).

7. Neue Formen der Gemeinschaft II (9,9–Ende Buch 13)

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genen Beispiel erlangten Erkenntnisse eine Verallgemeinerung erfahren. Ferner stellt Augustinus Monnica als das Ideal einer christlichen Ehefrau dar. Hierin ist eine literarische Gegendarstellung zur Virginitätspropaganda eines Hieronymus oder Ambrosius zu sehen, in deren Schriften für die Jungfräulichkeit unter Verweis auf die topisch gewordenen molestiae nuptiarum geworben wird. Augustinus verwendet diese Topoi, wobei Monnica ebendiese Beschwerlichkeiten auf sich nimmt, sie rechtfertigt und dadurch ihren Mann für Gott gewinnt. In der gemeinsamen Vision von Ostia mit seiner Mutter bringt Augustinus zum Ausdruck, dass sie es war, der er den Weg zu diesem Punkt der Erkenntnis zu verdanken hat. Durch die gemeinsame Vision verdeutlicht er ferner, dass es auch einer einfachen Frau durch ihren Glauben möglich ist, zur höchsten Form irdischer Gotteserkenntnis zu gelangen. Besonderen Ausdruck erfährt die Neubestimmung zwischenmenschlicher Beziehungen, die das 9. Buch prägt, in der Fürbitte für die verstorbenen Eltern. Die auf Leiblichkeit beruhende Mutter-Sohn-Beziehung ist substituiert durch einen spirituellen Zusammenhang, der mithilfe des metaphorisch verwendeten Bildfeldes der Generationenbeziehungen ausgedrückt wird. Die Gläubigen sind Geschwister gegenüber Gott als Vater und der Kirche als Mutter.

IV. ZUSAMMENFASSUNG Die Untersuchung hat gezeigt, dass die Erkenntnisse zu den Generationenbeziehungen in den Confessiones mit einer Herangehensweise, die die Fragestellungen verschiedener altertumswissenschaftlicher Disziplinen berücksichtigt, erheblich erweitert werden können. Während die bisherige Forschung den Blick meist einseitig auf die Figur der Monnica beschränkt hat und dabei unter Zuhilfenahme psychoanalytischer Ansätze oder unter Zuspitzung auf spezielle Fragestellungen einzelner theologischer Disziplinen oft zu allzu einseitigen Ergebnissen gelangt ist, wird in der vorliegenden Arbeit der Untersuchungsgegenstand auf Generationenbeziehungen generell erweitert und der Text mit einem interdisziplinären Ansatz, der literaturwissenschaftliche, geschichtswissenschaftliche und philosophisch-theologische Fragestellungen berücksichtigt, mit der philologischen Methodik einer eingehenden Textanalyse untersucht. So ist stets die Literarizität des Werkes zu bedenken. Die Confessiones geben die literarische Darstellung der Selbstsuche und Selbstfindung eines christlichen Intellektuellen in der Spätantike wieder. Augustinus als Protagonist und Erzähler sowie die anderen Figuren sind darauf angelegt, exempla zu sein, durch die theologisch-philosophische Vorstellungen vermittelt werden. Ferner gilt es, den kulturgeschichtlichen Kontext, in den sich die autobiographische Betrachtung einordnet, zu berücksichtigen. Die Confessiones stellen den Versuch dar, mit dem Horizont einer in klassischer Tradition stehenden Schulbildung in einem breiten Angebot philosophischer und theologischer Denkrichtungen eine eigene Position zu finden. Augustinus zeigt sich als Autor einer Umbruchsphase, in der ein traditionelles Denken als nicht mehr hinreichend für eine sinnstiftende Einordnung des Individuums in die Welt erkannt wird. Grundlegend für die Arbeit sind literaturwissenschaftliche Konzepte. Die Generationenbeziehungen in den Confessiones müssen unter der Annahme einer literarischen Konstruktion betrachtet werden, die intertextuelle Bezüge herstellen will. Als wichtigster Referenztext dient die Bibel. Indem Augustinus meist unmarkierte Zitate in seinen Gedankengang einflicht, verfließt sein Denken mit dem Text der Bibel, und Bibel und Lebensbetrachtung gelangen in ein wechselseitiges Erklärungsverhältnis. Als Autor einer Umbruchszeit erweist sich Augustinus in der Verwendung literarischer Formen. Gattungen und Inhalte auch der paganen literarischen Tradition werden übernommen, aber in einen neuen Sinnzusammenhang gestellt. In der Verwendung literarischer Formen spiegelt sich der von der klassisch philologischen und geschichtswissenschaftlichen Forschung festgestellte Umbruch der Spätantike wider, der von einer vom Christentum ausgehenden Verinnerlichung der Wertebegründung gekennzeichnet ist. So nimmt Augustinus beispielsweise mit seiner Anlehnung an die klassische Leichenrede ein Element der traditionellen

IV. Zusammenfassung

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familiären Erinnerungskultur auf. Lobestopoi der paganen laudatio funebris werden verwendet, jedoch christlich gedeutet, erweitert oder auch ersetzt. Augustinus nimmt eine traditionelle Textgattung auf, ersetzt aber ein mit ihr verbundenes, jedoch als nicht mehr hinreichend erkanntes Denken durch seine christliche Deutung, die allein sinnstiftend für ihn sein kann. Die Lebensdarstellung und -deutung in den Confessiones erfüllen eine protreptische Funktion. Das von Augustinus als Protagonisten und Erzähler sowie von anderen Figuren der Erzählung entworfene Bild zielt auf Exemplarität ab, indem die Darstellung Erfahrungszusammenhänge widerspiegelt, die Gebildete der Spätantike mit Augustinus teilen. Sie stellen somit dem Leser Identifikationsangebote bereit. Nicht nur die Figur des Protagonisten ist hierbei im Sinne der Leserlenkung gestaltet, sondern auch andere Figuren, insbesondere die Mutter Monnica. Zur Untersuchung der Charakteristika religiöser Sprache können Erkenntnisse aus dem Schnittbereich von Literaturwissenschaft und theologischer Hermeneutik fruchtbar gemacht werden. Die Systematische, die Biblische und die Historische Theologie haben in den letzten Jahren die Metapher als wichtiges Merkmal religiösen Sprechens herausgestellt. Hierbei kommt dem Bildfeld der Eltern-KindBeziehungen eine zentrale Stellung zu: In Generationenverhältnisse ist der Mensch durch seine Leiblichkeit innerhalb der empirischen Welt eingefügt, jedoch benutzt auch die Sprache der Bibel und der christlichen Tradition Metaphern aus dem Bereich der Eltern-Kind-Beziehungen, um das Verhältnis des Menschen zu seinen Mitmenschen sowie zu Gott oder zur Kirche auszudrücken. Bedeutend ist das Konzept der Gotteskindschaft. Das als Generationenbeziehung bestimmte Verhältnis zwischen Mensch und Gott als das eines Kindes zu seinem Vater zieht die bildliche Auffassung von den Menschen als Geschwister nach sich. Die Auffassung vom Menschen als ‚Kind Gottes‘ im Sinne einer Metaphorisierung eines genealogischen Bildfeldes wird in der Bibel und in der christlichen Tradition erweitert um die Vorstellung einer Kindschaft des Menschen im Sinne einer Kindschaft als Lebensalterstufe. Auch die im Glauben jungen Christen können metaphorisch als Kinder bezeichnet werden. Nicht nur das Verhältnis Gott–Mensch, sondern auch interpersonale Beziehungen werden in der Bibel als geistig aufgefasst und unter Verwendung von Bildfeldern aus dem Bereich der Eltern-Kind-Beziehung metaphorisch ausgedrückt. Dies gilt besonders für Augustinus’ Confessiones, in denen Generationenbeziehungen in zwei verschiedenen Sprach- und Vorstellungswelten erfasst werden: einer empirisch-realen und einer religiös-metaphorischen. Die beiden Elternteile erfahren eine sehr unterschiedliche Gewichtung. Dem Vater kann für die geistige Entwicklung des Sohnes keine Rolle beigemessen werden, so dass er gegenüber der Mutter deutlich zurücktritt. Er verkörpert im Innerweltlichen begründete Wertvorstellungen, die Augustinus ablehnt. Er steht in paganer Tradition für ein auf beruflichen Erfolg ausgerichtetes Bildungsdenken und eine an Fortpflanzung interessierte Familienräson. Die Familie wird zu einem Erfahrungsraum, durch den sich die Trennlinie des kulturellen Umbruchs der Spätantike zieht. Das zeigt sich an den verschiedenen Auffassungen zu Familie

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

und Bildung, wobei gerade der Vater für ein säkulares Familiendenken steht. Sein Interesse ist auf den Fortbestand der Familie gerichtet, ein Interesse, das in ihm die Bedeutung der Familie in der paganen römischen Kultur erkennen lässt. Der Vater vertritt die antike Hochschätzung der Familientradition, beachtet aber nicht die von Augustinus aus der nachträglichen Erzählperspektive festgestellte moralische Bedrohung durch die Sexualität. Augustinus verurteilt diese Wertvorstellungen, denn in ihnen zeigt sich die falsche Orientierung auf die creatura statt auf den creator. Die Familie wird auch zur Projektionsfläche für Augustins Kritik an der paganen Bildungstradition, die besonders in den ersten beiden Büchern einen weiten Raum einnimmt. Der Vater vertritt auch hier auf falsche Ziele ausgerichtete Werte. Seine Motivation, den Sohn den Weg der Bildung beschreiten zu lassen, entbehrt eines Bezuges zu Gott und ist stattdessen auf inania gerichtet, unter denen eine Fixierung auf beruflichen Erfolg und Familienräson zu verstehen ist. Letztendlich bringt hier Augustinus seine Bildungskritik auf den Punkt, verbindet sie mit der Thematik des familiären Umfeldes und weist zugleich den Weg für eine christliche Bildung, die dem Ziel dienen soll, das Gottesverständnis zu fördern. Die Inhalte sind hierbei vor dem Hintergrund der mit ihrer Vermittlung verfolgten Ziele zu werten. Die Familie wird somit zu einem menschlichen Erfahrungsbereich, dessen Darstellung Augustinus dazu dient, seine Kulturkritik vorzubringen. Es wäre jedoch falsch, aus dieser negativen Charakterisierung den Schluss zu ziehen, der Vater diene Augustinus ausschließlich als Kontrastfigur, der nur Ablehnung entgegengebracht werde. Vom gnadentheologischen Standpunkt aus spiegelt sich im Vater eine allgemeine Condicio humana, der jeder Mensch unterliegt. Der Vater ist somit nicht bloß Kontrastfigur, schon gar keine Hassfigur, im Gegenteil gilt es, ein in diese Figur eingearbeitetes Moment der Identität mit Augustinus zu erkennen, der sich selbst dafür zeiht, dass seine Aufmerksamkeit auf die Schöpfung statt auf den Schöpfer gerichtet war. Neben die leibliche Vaterschaft treten metaphorische Konzepte. Bereits in der Darstellung und Reflexion der infantia wird die vom Vater ausgeführte rituelle Aufnahme des Kindes, eine Bestätigung der patria potestas, durch göttliches Wirken substituiert. Ein wichtiges metaphorisches Konzept von Vaterschaft bildet die als biblische Vorlage zum eigenen geistigen Entwicklungsweg wiederholt durch Zitate und Anspielungen wachgerufene Parabel vom Verlorenen Sohn. Die Identifikation mit dem Verlorenen Sohn bildet eine grundlegende Denkfigur, mit der Augustinus die Abwendung und spätere Rückwendung zu Gott in der Vorstellungswelt der Bibel erfassen kann. Der Verweis auf das biblische Gleichnis ist im ersten Buch eng verknüpft mit Reminiszenzen an Plotin. Hier erzielt Augustinus vor dem Hintergrund der Lebensdeutung eine Integration von neuplatonischem und christlichem Denken, was durch die Verwendung gleicher Metaphernfelder in beiden Denkschulen, dem exitus-reditus-Motiv und der patria-Metaphorik, ermöglicht wird. Hiermit vollzieht Augustinus seine eigene in De doctrina christiana und in den Confessiones dargelegte Vorstellung eines „rechten Gebrauchs“, eines usus iustus paganer Philosophie.

IV. Zusammenfassung

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Auch andere Vater-Sohn-Verhältnisse werden abgebildet, die mit den Darstellungen und Reflexionen zu Augustinus korrespondieren. Besonders das Verhältnis zum eigenen Sohn Adeodatus bietet eine Folie, um Kontraste und Übereinstimmungen zu Augustinus als jungem Mann herzustellen. Grundverschieden gestaltet sich das Verhältnis zur Mutter Monnica. Indem sie als Korrektiv den Protagonisten auf seine Verirrungen hinweist, kann ihre Funktion als die eines Instruments göttlicher Gnade gedeutet werden. Augustinus interpretiert das Verhalten Monnicas als von Gott veranlasst, der mit Augustinus vermittels seiner Mutter kommuniziert. Die Reaktionen der Mutter werden für den Erzähler Augustinus zu göttlichen admonitiones in der empirischen Welt. Erzähltechnisch gestaltet Augustinus dieses Verhältnis in einem Spannungsbogen, der im 3. Buch mit dem Traum der Monnica über Augustins Rückkehr zum rechten Glauben ansetzt und im Anschluss an die Konversionsszene im 8. Buch mit Augustins Einsicht abschließt, dass sich der Traum erfüllt hat. Der Figur der Mutter kommt somit eine strukturierende Funktion in der Darstellung der Abwendung von und erneuten Hinwendung zu Gott zu. An dieser Stelle wird durch die Erwähnung der Monnica die Konversionsszene als Ergebnis eines Prozesses beleuchtet, der den gesamten autobiographischen Teil der Confessiones umspannt. Auch die Bedeutung Monnicas für das gemeinsame Visionserlebnis von Ostia im 9. Buch ist in Zusammenhang mit Monnicas Rolle im gesamten autobiographischen Teil zu sehen. Den geistigen Aufstieg erlebt Augustinus gemeinsam mit Monnica, der richtungsweisenden Begleiterin auf seinem Weg zur richtigen Gotteserkenntnis. Durch ihre Funktion als Korrektiv bildet sie eine Kontrastfolie zu Augustinus, vor deren Hintergrund seine Abwendung von Gott hervortritt. Das Irren des Protagonisten wird mit Einstellungen Monnicas kontrastiert, die dieser erst später selbst teilen wird. Dies manifestiert sich im Problem des rechten Trauerns. Monnica bildet einen Gegensatz zum Protagonisten Augustinus, insofern sie durch ihr an Gott gerichtetes Weinen für ihren Sohn die Erkenntnis schon in ihrem Handeln umsetzt, zu der Augustinus erst noch gelangen wird. Zu einer falschen Haltung gegenüber den Tränen im 4. Buch kontrastiert das Weinen der Mutter für den Sohn, wobei ihre Affekte aus der Abwendung des Sohnes vom rechten Glauben rühren und auf Gott gerichtet sind. Die am Beispiel der Trauer um einen Freund entwickelten Vorstellungen über eine richtige Form von Interpersonalität weisen auf die Reflexion über die Trauer um den Tod der Mutter am Ende des 9. Buches voraus, wo eine Rehabilitation der Affekte durch eine christliche Güterlehre erfolgt. Die Darstellung ihrer Trauer um den Sohn ermöglicht es, eine erweiterte Perspektive auf die Haupthandlung um den Protagonisten zu werfen. Das Handeln der Figur Augustinus wird nicht bloß aus der nachträglichen Perspektive des Erzählers kritisiert, sondern erfährt eine Kontrastierung von einer moralisch höherstehenden Warte bereits in der erzählten Zeit durch die Figur der Monnica. Als Figur der Erzählung ist Monnica auf den Protagonisten Augustinus hin funktionalisiert. Durch ihre Trauer wird seine Situation der Abwendung von Gott auch emotional bewertet.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

In der Relation der Figuren Monnica und Augustinus sind nicht nur Kontraste sondern auch Momente der Identität angelegt. Neben anderen Figuren dient Monnica Augustinus dazu, die am eigenen Beispiel festgestellte Sündhaftigkeit zu demonstrieren und diese so als ein allgemein menschliches Phänomen zu präsentieren. In der meribibula-Szene des 9. Buches ergänzt Augustinus die Reflexionen über die falsche Willensausrichtung infolge der Erbsünde im 2. Buch, die Birnendiebstahlsszene, um den Aspekt der Erziehung und um die Fragestellung, in welcher Beziehung sündhafter Wille und Erziehung zueinander stehen. Monnica dient hier als eine Figur, die eine Identifizierung mit Augustinus erlaubt. Augustins Vorstellung über den unter der Erbsünde depravierten Willen des Menschen, die er in der Birnendiebstahlsszene an sich selbst exemplifiziert hat, wird auf Monnica übertragen und somit verallgemeinert. Gleichzeitig dient die Szene im 9. Buch auch zur Ergänzung der Überlegungen im 2. Buch um pädagogische Aspekte. Neben Monnica dienen auch andere Figuren, besonders sein Sohn Adeodatus, Augustinus dazu, an der Darstellung der eigenen Person entwickelte Erkenntnisse einerseits wieder aufzunehmen und ihnen dadurch einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit zu verleihen, andererseits aber auch um bisher noch nicht beleuchtete Aspekte zu erweitern. Monnica ist ferner das exemplum einer christlichen Ehefrau und Mutter. Als literarische Form bietet sich für diesen Punkt vor allem der biographische Nachruf, die laudatio funebris, an, die durch einen Rückblick im Rückblick die zeitliche Dimension der Lebensbetrachtung erweitert. Die Rückschau auf Monnicas Leben gibt Augustinus ein erzähltechnisches Mittel an die Hand, mit dem er verschiedene Lebensalter und hierbei auch verschiedene mögliche Lebensformen einer Frau beleuchten kann. An dem einen Beispiel der Monnica werden neben dem kleinen Mädchen auch die christliche Ehefrau und die vidua casta, die in einer asketischen Gemeinschaft lebt, beleuchtet. Am exemplum Monnicas zeigt Augustinus in Absetzung von einem radikalen zeitgenössischen Askeseideal auch für eine Ehefrau und Mutter die Möglichkeit auf, einer christlichen Lebensweise zu folgen. An der Figur der Monnica wird die Möglichkeit einer christlichen Eheführung verdeutlicht, wobei gerade die etablierten Topoi der molestiae nuptiarum aufgenommen werden, die in der proasketischen Schriftstellerei für die Wahl eines alternativen Lebensweges zur Ehe angeführt werden: Die Unannehmlichkeiten der Schwangerschaft, die Mühen und Risiken der Kindergeburt, die Sorge um die Kinder, die Plackerei der Kindererziehung und der Hausarbeit, Probleme mit dem Gesinde, Familienstreitigkeiten, der Tod von Familienmitgliedern, ausfällige, gewalttätige, eifersüchtige Ehemänner sowie die Sorge um die Treue des Ehemannes. In Augustins Darstellung erträgt Monnica als gute Christin alle diese in der asketischen Literatur als Nachteile der Ehe angeführten Unannehmlichkeiten und rechtfertigt sie im christlichen Sinne. Die Darstellung der Mutter als Ehefrau in der laudatio funebris darf somit als Rehabilitation der Ehe gegenüber einer besonders mit den Namen Hieronymus und Ambrosius verbundenen Werbung für das Ideal der Jungfräulichkeit angesehen werden. In Differenzierung zu asketischen Strömungen kann man für Augus-

IV. Zusammenfassung

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tinus hervorheben, dass er als einer der ersten christlichen Autoren bemüht war, sämtlichen Personengruppen eine Existenz in der Kirche zu ermöglichen. Augustinus ist somit vor dem Hintergrund einer Entwicklung der christlichen Bewegung zur Universalkirche zu betrachten, wobei er sich als Pragmatiker, der die traditionellen Familienrollen und Geschlechterverhältnisse anerkennt, erweist. Zur Schaffung von Akzeptanz bei einem größeren Publikum werden pagane Rollenideale aufgenommen, mit Bibelzitaten untermauert und in einen christlichen Kontext eingefügt. Dies zeigt sich beispielhaft im Lob Monnicas als univira. Augustin sucht hier die Ambivalenz von klassischem und biblischem Ideal, indem er auf pagane Rollenbilder zurückgreift, sie aber gleichzeitig auch in den Kontext von Bibelzitaten rückt. Mag der Leser zunächst noch durch das Stichwort unius viri uxor an ein aus dem paganen Kontext bekanntes Modell denken, so wird die Einbettung des Begriffes in ein Bibelzitat nach und nach deutlicher. Eine mögliche Einordnung in paganes Familiendenken wird durch die Einfügung in ein Bibelzitat abgewendet. Das weibliche Rollenideal der univira erscheint nun eindeutig als ein christliches. Ihre weltliche Rolle wird durch Bibelzitate gezielt in einen christlichen Kontext sublimiert. Somit trägt Augustinus nicht nur in Hinblick auf die Mutterrolle der Monnica, sondern auch auf ihre Rolle als Ehefrau zu der für die christliche Spätantike festgestellten Verinnerlichung der Wertebegründung bei. In der Episode der Ekstase von Ostia wird dargelegt, dass der Aufstieg zu einer geistigen Schau und die dauerhafte Ausrichtung des Willens auf Gott auch für eine Frau von niedrigem Bildungsstand möglich sind. Damit lässt Augustinus sich in der Figur Monnicas die Erkenntnis erfüllen, dass es auf das religiose bzw. pie quaerere ankomme. Nicht zuletzt hier zeigt sich die mit den Confessiones verbundene protreptische Intention, die auch auf Frauen als intendiertes Lesepublikum ausgeweitet wird. Durch das gemeinsame Aufstiegserlebnis verdeutlicht Augustinus, dass auch eine weniger gebildete Frau zur höchsten Erkenntnis gelangen kann. Bei der Darstellung Monnicas als vorbildhafter Christin entsteht jedoch ein Widerspruch zwischen dem Postulat eines aus der Heiligen Schrift abgeleiteten christlichen Ideals, das der Frau die Möglichkeit einer geistigen Gleichheit einräumt, und der Forderung nach einer gesellschaftlichen Unterordnung der Frau unter ihren Ehemann, die ebenfalls biblisch zementiert wird. Mit dem Bild, das Augustinus von seiner Mutter als Ehefrau entwirft, stützt er die traditionellen Werte der Unterordnung der Ehefrau unter ihren Mann und stellt sie als gottgewollt dar. Im Verhältnis von Monnica zu Patricius spiegeln sich Augustins theologische Ansichten über das Geschlechterverhältnis, die von Ambivalenzen geprägt sind, wider. Auf der spirituellen Ebene ist Monnica ihrem Mann überlegen, im Rollenverständnis hingegen ordnet sie sich ihm, ebenfalls im Sinne der Bibel, unter. Man kann Augustinus in demselben Dilemma zwischen theologischer Theorie und kirchenpolitischer Pragmatik sehen, wie es bei Hieronymus zwischen seinen Askeseidealen und der Normierung weiblicher Tugenden festgestellt werden kann. Dieser Spagat ist der Absicht geschuldet, Akzeptanz bei der breiten Leserschaft zu schaffen, die nach wie vor für traditionelle Werte einsteht.

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III. Generationenbeziehungen in den Confessiones

Zur Beschreibung seiner Beziehung zu Monnica verwendet Augustinus auch metaphorische Konzepte von Eltern-Kind-Beziehungen, wodurch er das interpersonale Verhältnis von einem leiblichen zu einem spirituellen erhöht. Von der Rolle der Mutter als leiblicher Erzeugerin ihres Sohnes wird ihre Funktion für die innere Entwicklung abgehoben. Monnica wird eine spirituelle Funktion für ihren Sohn, die ebenfalls in der Bildlichkeit einer Mutter-Kind-Beziehung ihren Ausdruck findet, beigemessen. Ihre Bedeutng zeigt sich, um ein Beispiel anzuführen, in der Sorge um die metaphorische ewige Gesundheit des Sohnes, die von der physischen Krankheit abgesetzt wird. Monnicas cura bezieht sich auch auf eine vorgezogene Taufe. Mit der Sorge um das kranke Kind wird hier ein gängiges Rollenmuster einer Mutter aufgenommen, das im spirituellen Verhältnis als eine Sorge um das ewige Heil des Kindes verwendet wird. Die Mutterschaft Monnicas vollzieht sich auf zwei Ebenen, der leiblichen und der spirituellen. Das Bild einer spirituellen Schwangerschaft begegnet im 1., 5. und 9. Buch. Diese breite Streuung auf den gesamten autobiographischen Teil unterstreicht die Bedeutung des Bildes, das am Beginn, in der Mitte und am Ende verwendet und auf diese Weise exponiert wird. Das metaphorische Konzept eines Gebärens im Geiste versinnbildlicht die Monnica beigemessene Rolle für Augustins Konversion. Besonders das 9. Buch, das über die Ereignisse zwischen der Konversion und dem Tod der Mutter berichtet, steht ganz im Zeichen der Errichtung einer neuen Form von Gemeinschaft. Die Taufe, in deren Zusammenhang der Rückblick auf Adeodatus steht, hat bedeutende Folgen für die zwischenmenschliche Beziehung zwischen den Täuflingen. An Adeodatus demonstriert Augustinus die spirituelle Geburt, durch die natürliche Altersunterschiede überwunden werden. Hier nimmt Augustinus das frühchristliche Ideal der Alterstranszendenz auf. Mit diesem Konzept ist auch die Vorstellung einer „Erneuerung“ oder „Verjüngung“ infolge der Taufe verbunden. Durch die Taufe entsteht eine auf der Ebene des inneren Menschen neu definierte Alterstufe, in welcher der neugeborene innere Mensch wieder Kind wird. Dies führt zu einer Neubestimmung der interpersonalen Beziehungen unter den Getauften. Im vorliegenden Fall wird durch die Taufe das leibliche Vater-Sohn-Verhältnis überwunden zugunsten eines Verhältnisses zwischen Gleichaltrigen. Erst in diesem letzten Abschnitt des autobiographischen Teiles erfolgt die einzige Nennung der Namen „Monnica“ und „Patricius“, wie auch Adeodatus erst etwas früher im 9. Buch zum ersten Mal namentlich genannt wird. Entgegen der Auffassung, dass der Verfasser dies wohl unbewusst so gemacht habe, können eine Reihe von Motiven angeführt werden, die die namentliche Benennung der Eltern gerade an dieser Stelle erklären. Die Taufe ist mit der Namengebung verbunden. Zu traditionellen Riten der Taufvorbereitung gehörte die Einschreibung (dare nomen). Im Rahmen des Katechumenats bestand die Sitte, mit dem Herannahen der Fastenzeit den Taufnamen anzugeben. Die namentliche Benennung rückt somit Monnica und Patricius in den Kontext der Taufe; durch die Namennennung werden sie als getaufte Christen in einer durch die Taufe gestifteten Gemeinschaft dargestellt.

IV. Zusammenfassung

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Christliche Metaphern aus dem Bildfeld der Generationenbeziehungen werden aber nicht nur zum sprachlichen Ausdruck zwischenmenschlicher Beziehungen verwendet, sie dienen auch dazu, das Verhältnis des Menschen zu Gott und zur Kirche zu bestimmen. Die mater ecclesia wird im gesamten autobiographischen Teil an prägnanten Stellen erwähnt, und es finden sich implizite Verweise auf sie. Die Mutterrolle der Kirche zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich nicht auf einen einzelnen Menschen bezieht, sondern auf die gesamte Christenheit. Bereits im 1. Buch wird der Leser zum ersten Mal auf dieses metaphorisches MutterSohn-Verhältnis verwiesen. An dieser frühen Stelle der Confessiones im 1. Buch wird bereits ein Zielpunkt der autobiographischen Rückschau angedeutet: Den Übergang in die spirituelle Familie am Ende des 9. Buches mit Gott als Vater und der Kirche als Mutter: sub te patre in matre catholica (9,13,37). Neben die Vorstellung von der Mutter als Kirche tritt die von Gott als dem Vater der Gläubigen. Am Ende des 9. Buches, wo die Darstellung der Entwicklung zu einem als richtig erkannten Gottesverständnis an ihrem Ziel angelangt, fasst Augustinus in seiner Fürbitte das Verhältnis zu seinen leiblichen Eltern als eine Geschwisterbeziehung gegenüber der Kirche als Mutter und Gott als Vater auf. Vermittels einer Metaphorik aus dem Bildfeld der Generationenbeziehungen werden interpersonale Beziehungen neu bestimmt, indem ein leibliches durch ein spirituelles Verhältnis ersetzt wird. Mit diesen Sätzen endet der autobiographische Teil der Confessiones, weshalb ihnen eine zentrale Bedeutung beigemessen werden muss. Erst hier kann die exitus-reditus-Handlung mit dem Ziel der Konversion als abgeschlossen gelten. Erst mit dem Übergang von der Einordnung des Individuums in innerweltliche Zusammenhänge zu einer Eingliederung in den geistigen Zusammenhang mit Gott ist die Konversion vollendet. Diesen Übergang vollzieht Augustinus an der Einbindung des Menschen in Generationenbeziehungen. Das leibliche Verhältnis zwischen den Generationen wird durch ein geistiges ersetzt. So wird die durch den Tod eingetretene Trennung der Beziehung, die auf Leiblichkeit beruht, durch die substituierende Neubestimmung des Verhältnisses auf spiritueller Ebene, die ihren Ausdruck in der Metapher findet, überwunden. Indem Augustinus die Leser zur erinnernden Fürbitte für seine verstorbenen Eltern auffordert, wird das literarische Werk selbst zum Medium des Totengedenkens, in das die Leser einbezogen werden. Hiermit ist das Totengedenken innerhalb der Familie, wie sie die pagane Antike kennt und wie sie in Monnicas Worten explizit abgelehnt wird, überwunden zugunsten einer Form des Gedenkens, an dem jeder Gläubige teilnehmen soll. Hinter dieser sublimierenden Neubestimmung des Verhältnisses zu den Eltern durch eine religiöse Definition interpersonaler Beziehungen steht der Autor und Erzähler der Confessiones Augustinus, der sich zum Zeitpunkt der Abfassung für ein zölibatäres Leben als Priester in der spirituellen Gemeinschaft unter der mater ecclesia entschieden und somit sich einer Lebensform im Kreise der Blutsverwandten entzogen hat. Dies ist der Schlusspunkt der Identitätsentwicklung des Protagonisten Augustins zu der Person, die nun im 10. Buch zu einer Analyse der aktuellen geistlichen

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und moralischen Verfassung ansetzt und in den Büchern 11–13 ihre Vorstellungen zur Bibelexegese darlegt. Der autobiographische Teil sollte dazu dienen, den Weg zu dem Punkt darzulegen, an dem eine erfolgreiche Bibelexegese möglich geworden ist.

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