Gelebtes Prozessrecht: Festschrift für Volkert Vorwerk 9783504386634

Prof. Dr. Vorwerk ist Rechtsanwalt aus Leidenschaft. Als Prozessvertreter beim Bundesgerichtshof, Honorarprofessor, Guta

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German Pages 410 Year 2019

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Gelebtes Prozessrecht: Festschrift für Volkert Vorwerk
 9783504386634

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Gelebtes Prozessrecht Festschrift für Volkert Vorwerk

GELEBTES PROZESSRECHT FESTSCHRIFT FÜR VOLKERT VORWERK herausgegeben von

Brunhilde Ackermann Reinhard Gaier Christian Wolf

2019

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ­http:// dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-06056-5 ©2019 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche­ rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs­ beständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany

Zur Person Volkert Vorwerk ist in Hamburg-Eppendorf als einer von drei Söhnen des Rechtsanwalts Hugo Vorwerk geboren, aufgewachsen ist er allerdings in Hamburg-Harburg. Hamburger also mit einem kleinen Schönheitsfehler, jedenfalls aus der Sicht seiner Frau Elisabeth, die einer Hamburger Kapitäns- und Kaufmannsfamilie von der richtigen Elbseite entstammt. Er studierte Rechtswissenschaft in Hamburg, Lausanne und Kiel. 1970 legte er das Erste Juristische Staatsexamen vor dem Prüfungsamt beim Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht ab. 1974 promovierte Vorwerk an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel mit einer patentrechtlichen Arbeit bei Wolfgang Harms. Im selben Jahr legte er die Große Juristische Staatsprüfung vor dem gemeinsamen Prüfungsamt der Länder Freie Hansestadt Bremen, Freie und Hansestadt Hamburg und Schleswig-Holstein für die Große Juristische Staatsprüfung ab. Sein weiterer Lebensweg führte ihn zunächst nach Bielefeld, wo er Justiziar und Leiter der Rechts- und Patentabteilung der ASTA Werke AG wurde. Als Rechtsanwalt ließ er sich in dieser Zeit nicht zu. Für die Visitenkarten genügte der Dr. jur., und in die Gefahr, widerstreitende Interessen zu vertreten, konnte er so – wenn er sowohl die Gesellschaft als auch deren Aktionäre beriet – nicht kommen. Als sich die vollständige Übernahme der noch selbstständigen ASTA Werke AG durch Degussa AG 1979 abzeichnete, zog Vorwerk weiter nach Celle. Als Partner der Sozietät Dr. Blanke & Partner wirkte er dort als OLG-Anwalt bis zu seiner Zulassung als Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof am 23. Dezember 1994. Die 15 Jahre in Celle haben Vorwerk geprägt. Es war eine von Umbrüchen gekennzeichnete Zeit. Mit der deutschen Wiedervereinigung eröffnete sich die Möglichkeit und Notwendigkeit der Rechtsberatung im (West-) Deutschen Recht in den neuen Bundesländern. Noch vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik erhielt Vorwerk die Genehmigung zur Eröffnung eines Zweitbüros in Naumburg/Saale durch den Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik, Ministerium der Justiz. Aus dieser Zeit rührt auch seine Bestellung als Aufsichtsrat und später stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates der Wohnungsbau Wohnungsverwaltung Weißenfels GmbH, Weißenfels/Saale, deren alleiniger Gesellschafter die Stadt Weißenfels/Saale ist. Seiner Neigung entsprechend nicht mit, sondern gegen den Strom zu schwimmen und seine Weitsicht half, entgegen dem Mainstream eine Privatisierung der kommunalen Wohnungsbaufirma abzuwenden. Die Notwendigkeit, neben privatem Wohnungseigentum in größerem Umfang auch kommunalen Wohnungsbau zu erhalten, um das elementare Grundbedürfnis Wohnen auch sozial befriedigen zu können, wie das Beispiel von Wien lehrt, sollte Volkert Vorwerk viele Jahre später erneut beschäftigen. Erst jüngst erregte er Aufsehen mit seinem im Auftrag der Berliner Senats­ verwaltung erstellten Gutachten, wonach die im Zuge einer neoliberalen Politik privatisierten kommunalen Wohnungsbaugesellschaften nach Art. 15 GG verstaatlicht werden können. Vorwerk gehört einer Generation von Rechtsanwälten an, welcher die Singularzulassung am Oberlandesgericht noch die Gelegenheit gab, es in der Kunst des ProzessieV

Zur Person

rens zur Virtuosität zu bringen. Vorwerk war noch Mitglied des 1837 gegründeten Celler Advokatenvereins, der den OLG-Anwälten vorbehalten war. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht erst 2000 die Singularzulassung für mit Art. 12 GG unvereinbar erklärt, der Umbruch im Berufsrecht war aber bereits in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts zu spüren. Eher als manch anderer hat Vorwerk die kommenden Veränderungen erkannt und sich als Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof beworben. Seit seiner Zulassung als Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof baute Vorwerk eine beeindruckende BGH-Kanzlei auf. Die Bedeutung der anwaltlichen Tätigkeit auf die richterliche Rechtsfindung wird in Deutschland gerne negiert. Ohne die Tätigkeit der BGH-Anwälte wäre der Bundesgerichtshof im Grunde nicht funktionsfähig. Sie sind es, die die Fälle, welche der Bundesgerichtshof später entscheidet, auswählen, indem sie ihnen angetragene Fälle abvotieren oder aber argumentativ aufbereiten. Sie sind es, welche entsprechend der Idee des Anwaltszwangs eine Gleichheit zwischen den Parteien herstellen. Sie sind es auch, die sicherstellen, dass die Fortentwicklung des Rechts nicht von der finanziellen Leistungsfähigkeit einer Partei bestimmt wird, sondern vom Gemeinwohl. Die relativ homogene Gruppe der BGH-Anwälte stellt sicher, dass beide Seiten und damit alle Bürger, in den Revisionsverfahren einigermaßen gleich qualifiziert vertreten werden. Ein Ideal, welches sich in den Instanzverfahren und vor den anderen obersten Bundesgerichten so nicht mehr immer sicherstellen lässt. Im Anschluss seines Veröffentlichungsverzeichnisses, welches der frühere Leiter der Bibliothek des Bundesgerichtshofes, Dietrich Pannier, besorgt hat, haben sich die Herausgeber entschlossen, eine Liste der in BGHZ veröffentlichten Entscheidungen, an denen Volkert Vorwerk mitgewirkt hat, zum Abdruck zu bringen. Die Zusammenstellung besorgten Rechtsanwältin Heike Piorreck und Oberregierungsrat Michael Keilbach. Die beeindruckende Liste steht exemplarisch für die Mitwirkung der Anwaltschaft an der Rechtsfortbildung. Bei Dietrich Pannier und Heike Piorreck bedanken sich die Herausgeber hierfür ausdrücklich. Seit seinem Wechsel nach Karlsruhe baute Vorwerk systematisch sein wissenschaftliches und berufspolitisches Engagement aus. Vorwerks Oeuvre reicht vom Prozessrecht, für welches „Das Prozessformularbuch“, der BeckOK ZPO und der KapMuG-­ Kommentar stehen, über das Werkvertrags- und Baurecht bis zum Kapitalmarktrecht und Berufsrecht. Die Juristische Fakultät der Leibniz Universität Hannover konnte ihn 2002 als Lehrbeauftragten gewinnen und ernannte ihn 2006 zum Honorarprofessor. Auf Vorwerks Initiative geht das Hannoveraner ZPO-Symposion zurück, welches einen Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis ermöglicht. Berufspolitisch ist Vorwerk ein Brückenbauer zwischen Deutschem Anwaltverein, dessen Vorstand er seit 2009 angehört, und der Bundesrechtsanwaltskammer, der er als Vorsitzender des Schuldrechtsausschusses verbunden ist. Auch wenn nur wenige, wie er, so konsequent Jura als logische Wissenschaft betreiben (Klaus über Volkert Vorwerk, S. 363 f.), weiß Vorwerk um die Bedeutung der Psychologie, um die menschliche Komponente der Rechtsfindung. Nicht Logik alleine, sondern auch die MöglichVI

Zur Person

keit des anderen, die Argumente emotional verstehen und aufnehmen zu können, sind entscheidend. Jura erfordert eben nicht nur eine scharfe Logik, sondern auch eine soziale Intelligenz und Empathie. In diesem Sinne schuf Vorwerk mit seinem Haus im Elsass einen Alemannen Hof der Freiheit der Gedanken und des Worts. Gerne lädt er – seiner norddeutschen Verbundenheit entsprechend häufig auch zum Grünkohl – ins Elsass ein, um den Gedanken freien Lauf zu lassen. Die erste Auflage des von Gaier, Wolf, Göcken herausgegebenen Kommentars zum anwaltlichen Berufsrecht war für den Autor Vorwerk Anlass, die damaligen Präsidenten von DAV und BRAK, Evers und Filges, zum gemeinsamen Wandern ins Elsass einzuladen. Der neugeschaffene Kommentar zum anwaltlichen Berufsrecht, an dem er mitgewirkt hat, müsse offiziell der Anwaltschaft übergeben werden, beschloss Vorwerk. Es folgten sechs weitere Wanderungen, zu denen Vorwerk neben Filges und Ewer noch jeweils einen prominenten Gast aus der Rechtspolitik einlud. Im Elsass fand auch die Vorund Nachbetrachtung der Hannoveraner ZPO-Symposien statt. Großzügig und liebevoll umsorgte Vorwerk bei diesen Gelegenheiten seine Gäste. Die Treffen im Elsass sind stets mit einer Wanderung verbunden. Spätestens nachdem die Gäste eine steile Bergwiese mit freilaufenden und beeindruckenden Highland Cattle hinter seinem Haus überwunden hatten, war die Atmosphäre für fruchtbare und freundschaftliche Gespräche hergestellt. Volkert Vorwerk ist Rechtsanwalt aus Leidenschaft. Im besten Sinne versteht er sich als Bourgeois und Citoyen in einem. Als Bourgeois legt er Wert auf seine (wirtschaftliche) Entscheidungsfreiheit. Wer ihn auch nur etwas kennt, kann sich ihn nicht in eine große Law Firm oder eine Behörde eingegliedert vorstellen. Die Vorstellung, er müsse einen Managing Partner in London fragen, ob er einen Referendar einstellen oder ein bestimmtes Mandat annehmen darf, lässt ihn erschaudern. In seinem Verständnis ist ein Rechtsanwalt ein Unternehmer und Volkert Vorwerk ist selbst auch ein sehr erfolgreicher Unternehmer geworden. Allerdings geht es ihm nicht um Gewinnsteigerung um jeden Preis. Der Citoyen Vorwerk weiß um die Gemeinwohlbedeutung der anwaltlichen Tätigkeit und die Bedeutung des Rechts für den sozial Schwächeren. Immer wieder hat er sich auf die Seite der Schwächeren gestellt. So war Vorwerk einer der wenigen profilierten Juristen, die Ende der 90er Jahre bereit waren, die Bemühungen der NS-Zwangsarbeiter um Entschädigung juristisch zu unterstützen. Zu den wenigen in Deutschland anhängigen Verfahren gehörte das Verfahren Krakauer u.a. gegen die Bundesrepublik Deutschland (BGH Az.: IX ZR 439/98, vorgehend OLG Köln Az.: 7 U 222/97). Vorwerk vertrat vor dem Bundesgerichtshof die ehemaligen Zwangsarbeiter und begründete die Revision ausführlich. Entschieden wurde das Verfahren nicht mehr, weil die Revision nach der Verabschiedung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ vom 2. August 2000 (BGBl I S. 1263) zurückgenommen werden konnte. Legendär und von ihm selbst literarisch verewigt ist sein Kampf gegen die Badenia Bausparkasse und der von dieser finanzierten Strukturvertrieb der Schrottimmobi­ lien. „Schrottimmobilien - Die Geschichte von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“, so lautete der Titel seines Vortrags vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin. Mit spitzer Feder beschreibt Vorwerk die Goldgräberstimmung nach der WiederverVII

Zur Person

einigung: „Man muss nur in Immobilien investieren; und schon rechnet sich alles wie von selbst: Die Mieter finanzieren den Kapitaldienst. Bleibt dann noch ein Rest finanzieller Belastung, hilft das Finanzamt; so als wenn die Gemeinschaft nur darauf gewartet hätte, Steuerausfälle zu produzieren, um jedermann Reichtum zu bescheren.“ Und scharfsinnig analysiert er die Auswirkungen der Deregulierung des Anwaltsmarkts. Kein einziger der Badenia-geschädigten Käufer von Schrottimmobilien ist von einer großen Kanzlei vertreten worden: „Die Abschaffung anwaltlicher Strukturen, die auch einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen die Chance gegeben hätten, sich hoch spezialisierter forensisch tätiger Anwälte zu bedienen, hat sich daher auch in den Rechtsstreitigkeiten über Schrottimmobilien für jene einkommensschwachen Bevölkerungsschichten höchst negativ ausgewirkt.“ Das, was man landläufig mit dem negativ gebrauchten Begriff Verbraucheranwalt verbindet, ist Vorwerk aber nicht. Dazu verfügt er über eine zu exzellente Expertise nicht nur im Bank- und Kapitalmarktrecht, sondern auch in anderen Rechtsgebieten, wie z.B. dem Baurecht, dem Patentrecht oder dem Familienrecht. Den Öffentlichkeitsgrundsatz und den equal-footing-Grundsatz verdeutlicht er im alten Sitzungssaal der Strafsenate des Bundesgerichtshofes mit wenigen Worten, wenn er eine Gruppe von Studierenden durch die Gerichtsgebäude führt. Der Sitzungssaal ist fensterlos und abhörsicher, die Plätze der Bundesanwaltschaft sind auf Ebene der Richterbank angeordnet, die Verteidiger müssen mit ihren Mandanten im Souterrain platznehmen. So sieht Öffentlichkeit des Verfahrens und Gleichheit vor Gericht aus, erklärt er den Studierenden. Jede Besichtigungstour durch den Bundesgerichtshof führt mit Vorwerk auch im Erzherzoglichen Palais zu der Gedenktafel für die 34 Mitglieder des Reichsgerichts und der Reichsanwaltschaft, die zwischen 1945 und 1946 in den Lagern Mühlberg an der Elbe und Buchenwald umgekommen sind. Stets hat Vorwerk dabei darauf hingewiesen, dass sich unter den 34 ehemaligen Mitgliedern des Reichsgerichts und der Reichsanwaltschaft eine ganze Reihe von Personen befinden, die in der NS-Zeit in schwerstes Justizunrecht verstrickt waren. Offensichtlich störte sich an der Gedenktafel, seitdem diese 1957 vom damaligen Präsidenten des BGH Hermann Weinkauff enthüllt wurde, niemand mit Nachdruck. Vorwerk hingegen ließ die fehlende bzw. falsche Erinnerungskultur nicht ruhen. Akribisch wies er die Verstrickung in das NS-Unrechtsregime eines Teils der Gedachten nach (Vorwerk in DIE ZEIT Nr. 7/2018, 8. Februar 2018). Die Präsidentin des BGH Bettina Limperg hat nach dem ZEIT-Artikel die Gedenktafel mit einer Erläuterungstafel versehen, mit der auf die wissenschaftliche Aufarbeitung der Verstrickung der Gedachten hingewiesen wird. Berufspolitisch ist Vorwerk im Vorstand des Deutschen Anwaltvereins engagiert. Er ist Mitglied im Ausschuss Zivilverfahrensrecht des DAV und des Ausschusses Privates Bau- und Architektenrecht des DAV, sowie Vorsitzender des Schuldrechtsausschusses der BRAK. An einer Vielzahl von Stellungnahmen dieser Gesetzgebungsausschüsse hat Vorwerk mitgewirkt. Gesetzgebungsausschüsse arbeiten anlassbezogen. Vorwerk denkt aber weiter. Vorwerk hat immer wieder auch von sich aus Gesetzgebungsvorschläge entwickelt und in die rechtspolitische Diskussion eingebracht. So hat er z.B. einen Vorschlag entwickelt, wie der Bundesgerichtshof auch dann noch VIII

Zur Person

Leitsätze veröffentlichen kann, wenn die Revision zurückgenommen wurde, also vom Beklagten „rausgekauft“ wurde (hierzu Bräutigam, AnwBl 2012, 533). Er veröffentlichte einen eigenen Entwurf zur Bauverfügung und bringt sich derzeit mit einem Konzept zur Abnahme des Gemeinschaftseigentums in die Arbeitsgruppe Bauträgervertragsrecht beim BMJV ein. Bei all diesen Verdiensten verwundert es nicht, dass sich 33 Autoren in der Festschrift für Vorwerk versammelt haben, um Vorwerk zu ehren, darunter Universitätsprofessoren, Kollegen, Richter. Neben Hans-Joachim Dose, dem Vorwerk noch aus der gemeinsamen Celler Zeit freundschaftlich verbunden ist, haben der Geehrte und die Herausgeber darauf verzichtet, noch aktive Richter des Bundegerichtshofs zu einem Beitrag zur Festschrift einzuladen. Das in Festschriften nicht unübliche Lob schien Vorwerk von Richtern des Bundesgerichtshofs im Verhältnis zu einem aktiven Rechtsanwalt am Bundesgerichtshof nicht angemessen. Die Herausgeber bedanken sich ganz herzlich bei der Swiss Life Deutschland für den Beitrag zum Druckkostenzuschuss. Vorwerk kann auf ein ertragreiches und erfolgreiches Leben als Rechtanwalt, als Wissenschaftler sowie als Berufspolitiker zurückblicken. Die Autorinnen und Autoren der Festschrift wünschen Volkert Vorwerk für die Zukunft viel Glück und freuen sich auf noch viele anregende und spannende Diskussionsbeiträge von ihm. Karlsruhe, Hannover, im Juli 2019 Brunhilde Ackermann

Reinhard Gaier

Christian Wolf

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Inhalt

Seite

Zur Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV Brunhilde Ackermann Die sekundäre Darlegungslast im Zivilprozess – Plädoyer für eine ­Rückbesinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Daniela Bergdolt Nach dem KapMuG die Sintflut? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Jochen Bühling Zwei sich im Unendlichen schneidende Parallelen? – Gedanken zu Artikel 83 EPGÜ – . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Hans-Joachim Dose Die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde in Betreuungs- und Unterbringungs­ sachen und eine Nichtzulassungsbeschwerde in Familiensachen als Fremdkörper im Rechtsmittelsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Klaus Eschenbruch Die Digitalisierung des Bauwesens – Folgen für den Zivilprozess . . . . . . . . . 51 Meinhard Forkert und Joachim Bermel § 650c Abs. 1 Satz 2 BGB: Keine Mehrvergütung oder „es kommt darauf an“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Josef Fullenkamp Haftung des Rechtsanwalts bei Fehlern des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Reinhard Gaier Richterliche Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Stephan Göcken Gedanken über das Ehrenamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Norbert Gross Der Revisions- und der Kassationsanwalt Deutsch-französische Betrachtungen eines Unbeteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . 97

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Inhalt

Peter A. Gundermann Information als Grundlage für eine effektive ­Rechtsdurchsetzung des geschädigten Anlegers Eine kritische Betrachtung anhand des Falls Baumeister/Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht – zugleich ein Plädoyer für eine e­ rweiterte ­Informationsbeschaffung im deutschen Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Johannes Hager Die alternative Klagehäufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Peter-Diedrich Hansen Perspektiven mit Volkert Vorwerk – Naturwissenschaft trifft auf ­Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Felix Christopher Hey Die Titelgegenklage – eine geglückte Rechtsfortbildung im Prozessrecht? . . 153 Bernd Hirtz Von Formularen und Strukturen – zur Rhetorik des Prozessvortrags . . . . . . 163 Kai Jaspersen Abschichtung von Verfahren durch Teil-, Grund- und Zwischen­ feststellungsurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Gerhart Kreft Eröffnung und Schließung eines Zahlungskontos mit grundlegenden Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Joachim Kummer Melilla, Brüssel und Luxemburg – Zum Urteil des EuGH vom 7.3.2018 . . . . 223 Michael Lotz Qualitätssicherung im Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Klaus-J. Melullis Zu Funktion und Bewertung von Sachverständigengutachten im Patentprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Dietrich Pannier Literaturrecherche im Recht – Erfahrungen, Versuche, Anregungen . . . . . . 257 Manfred Parigger Die Erklärung nach § 257 Abs. 2 StPO – Gedanken zu einem vernachlässigten Prozessrecht des Verteidigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Heike Piorreck und Michael Keilbach Verwerfung und Zurückweisung der Berufung gemäß § 522 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO in einem Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279

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Inhalt

Ekkehart Schäfer Der strukturierte Parteivortrag im elektronischen Rechtsverkehr . . . . . . . . . 291 Wolfgang Schlick Die Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 GVG – zugleich Anmerkung zu BFHE 253, 205 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Rolf Stürner Die European Rules of Civil Procedure Zum Stand der Arbeiten des European Law Institute und des ­International Institute for the Unification of Private Law . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Andreas W. Tilp Der Begriff „Lebenssachverhalt“ im Sinne des ­Kapitalanleger-  Musterverfahrensgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 Guido Toussaint Die Überprüfung von Entscheidungen über Ablehnungsgesuche . . . . . . . . . 351 Klaus Vorwerk Mehr als ein herausragender Jurist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Christian Wolf und Simon Künnen Legal Tech und juristische Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365

Veröffentlichungsverzeichnis Volkert Vorwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Liste der höchstrichterlichen Entscheidungen, an denen Rechtsanwalt Volkert Vorwerk mitgewirkt hat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386

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Autorenverzeichnis Brunhilde Ackermann Dr., Rechtsanwältin beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Daniela Bergdolt Rechtsanwältin, Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht, Kanzlei Bergdolt, Vizepräsidentin und bayerische Landesgeschäftsführerin der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e.V., München Joachim Bermel Dr., Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Forkert, Andernach Jochen Bühling Professor, Dr., Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Krieger Mes & Graf v. der Groeben, ­Düsseldorf, Honorarprofessor an der WWU Münster Hans-Joachim Dose Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe Klaus Eschenbruch Professor, Dr., Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, Fach­ anwalt für Steuerrecht, Düsseldorf, Honorarprofessor an der RWTH Aachen Meinhard Forkert Dr., Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Forkert, Fachanwalt für Bau- und ­Architektenrecht, Andernach, Lehrbeauftragter der Hochschule Karlsruhe Josef Fullenkamp Dr., Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei BRANDI Rechtsanwälte Partnerschaft mbH, Lehrbeauftragter an der Leibniz Universität Hannover Reinhard Gaier Professor, Dr., Richter des Bundesverfassungsgerichts a.D., Honorarprofessor an der Leibniz Universität Hannover, Gastprofessor am Chinesisch-Deutschen Institut für Rechtswissenschaft an der China University of Political Science and Law, ­Beijing Stephan Göcken Rechtsanwalt, Sprecher der Geschäftsführung der Bundesrechtsanwaltskammer, Berlin Norbert Gross Professor, Dr. iur., Docteur en Droit, Honorarprofessor an der Universität Karls­ ruhe (KIT), ehem. Präsident der Rechtsanwaltskammer beim Bundesgerichtshof, ehem. Präsident der Europäischen Vereinigung der Anwaltschaften bei den Obersten ­Gerichtshöfen, Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof a.D., Karlsruhe

XV

Autorenverzeichnis

Peter A. Gundermann Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht und Geschäftsführer der TILP Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Kirchentellinsfurt Johannes Hager Professor, Dr., Universitätsprofessor (em.) an der Ludwig-Maximilians-Universität München Peter-Diedrich Hansen Professor em., Dr. rer. nat., Technische Universität Berlin, FG Ökotoxikologie, Dir. u. Prof. a.D. ehem. beim Bundesgesundheitsamt, Berlin Felix Christopher Hey Professor, Dr., Geschäftsführender Gesellschafter des Verlages Dr. Otto Schmidt, apl. Professor an der Universität zu Köln Bernd Hirtz Professor, Dr., Rechtsanwalt in Köln und Honorarprofessor an der Universität zu Köln Kai Jaspersen Dr., Präsident des Landgerichts Rostock Michael Keilbach Ass.iur., Mag.rer.publ., Oberregierungsrat, Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration Baden-Württemberg, Stuttgart Gerhart Kreft Dr., Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof a.D., Karlsruhe Joachim Kummer Dr., Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe Simon Künnen B.SC., Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Prozess- und Anwaltsrecht, Leibniz Universität Hannover Michael Lotz Ministerialdirigent, Abteilungsleiter im Ministerium der Justiz und für Europa ­Baden Württemberg, Stuttgart Klaus-J. Melullis Professor, Dr., Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof i.R., Karlsruhe Dietrich Pannier Leitender Regierungsdirektor a.D., Bretten Manfred Parigger Dr., Rechtsanwalt und Notar a.D., Fachanwalt für Strafrecht, Gründer der Kanzlei Parigger & Collegen, Hannover

XVI

Autorenverzeichnis

Heike Piorreck Rechtsanwältin, wissenschaftliche Mitarbeiterin eines beim Bundesgerichtshof ­zugelassenen Rechtsanwalts, Karlsruhe Ekkehart Schäfer Rechtsanwalt, Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer a.D., Ravensburg Wolfgang Schlick Vizepräsident des Bundesgerichtshofs a.D., Edenkoben Rolf Stürner Professor, Dr. Dres. h.c., Universität Freiburg, Richter am Oberlandesgericht Karls­ ruhe a.D. Andreas W. Tilp Rechtsanwalt und geschäftsführender Gesellschafter der TILP Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Kirchentellinsfurt Guido Toussaint Dr., Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof und Notar a.D., Karlsruhe Klaus Vorwerk Rechtsanwalt, ehemals geschäftsführender Partner der Kanzlei Wessing Christian Wolf Professor, Dr., Leiter und Vorstand des Instituts für Prozess- und Anwaltsrecht, Leibniz Universität Hannover

XVII

Brunhilde Ackermann

Die sekundäre Darlegungslast im Zivilprozess – Plädoyer für eine Rückbesinnung „Herr, die Noth ist groß, die ich rief die Geister werd‘ ich nun nicht los.“ aus: Johann Wolfgang von Goethe, Der Zauberlehrling Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Grundsätze zur Darlegungslast und zum Wechselspiel von Vortrag und ­Gegenvortrag 1. Zur Darlegungs- und Beweislast 2. Zum Wechselspiel von Vortrag und ­Gegenvortrag I II. Die sekundäre Darlegungslast 1. Begründung und Herleitung 2. Abgrenzungen a) Unterschiede zwischen substantiiertem Bestreiten und sekundärer Darlegungslast b) Keine Anwendung auf die Beweis­ führung c) Keine Pflicht zur Vorlage von ­Urkunden

3. Rechtsfolgen 4. Anwendungsbeispiele a) Negative Tatsachen b) Das Beispiel der markenrechtlichen Löschungsklage c) Weitere Beispielsfälle IV. Rückbesinnung 1. Zur Zumutbarkeit a) Die Zumutbarkeit bei der beweis­ belasteten Partei b) Die Zumutbarkeit bei der nicht ­beweisbelasteten Partei 2. Gefahr einer Billigkeitserwägung 3. Keine Dokumentationsobliegenheit der nicht beweisbelasteten Partei 4. Keine prozessuale Aufklärungspflicht V. Zusammenfassung

I. Einleitung Die Zivilprozessordnung wird vom Verhandlungsgrundsatz/Beibringungsgrundsatz beherrscht. Aus ihm ergibt sich, dass die Beschaffung des Tatsachenstoffs und der Beweismittel grundsätzlich in erster Linie Sache der Parteien ist.1 Es ist Sache des Klägers, die den Tatbestand seines Anspruchs begründenden Tatsachen vorzubringen und gegebenenfalls zu beweisen.2 Die Parteien bestimmen durch ihr Verhalten auch über die Feststellungsbedürftigkeit der von ihnen behaupteten Tatsachen. Voraussetzung der Beweiserhebung ist ein schlüssiger, erforderlichenfalls substantiierter Vortrag des Klägers sowie ein erhebliches Bestreiten durch den Beklagten.3 In bestimm1 Vgl. dazu nur Leipold in Stein/Jonas, ZPO, 22.  Aufl., vor §  128, B Rz.  146; Musielak in ­Musielak/Voit, ZPO, 15. Aufl., Einl. Rz. 37. 2 Rauscher in MünchKomm.ZPO, 5. Aufl., Einl. Rz. 332. 3 Rauscher in MünchKomm.ZPO, Einl. Rz. 336.

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Brunhilde Ackermann

ten Fallkonstellationen, in denen die an sich beweisbegünstigte Partei „näher dran“ ist, genügt der Kläger jedoch seiner Darlegungslast (zunächst) durch eine pauschale Darstellung und es obliegt der nicht beweisbelasteten Partei, die pauschale Behauptung des Klägers substantiiert zu bestreiten (im Einzelnen unter III.). Diese Grundsätze über die sekundäre Darlegungslast leitet die Rechtsprechung aus dem Prinzip von Treu und Glauben ab. Auch wenn diese Rechtsfigur den vorrangigen Zweck des Zivilprozesses (Durchsetzung subjektiver Rechte des einzelnen Bürgers) fördert und damit letztlich auch dem Rechtsfrieden dient,4 ist einer ausufernden Anwendung dieser Grundsätze entgegenzuwirken. Es besteht Anlass, die gerufenen Geister wieder mehr dem Willen des „alten Meisters“ (den Grundsätzen, die die Zivilprozessordnung beherrschen) unterzuordnen.

II. Grundsätze zur Darlegungslast und zum Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag 1. Zur Darlegungs- und Beweislast Im Grundsatz hat jede Partei die Voraussetzungen einer ihr günstigen Norm zu behaupten und zu beweisen.5 Unter Darlegungslast ist die Last der Parteien zu verstehen, diejenigen konkreten Tatsachenbehauptungen aufzustellen, die die abstrakten Voraussetzungen des jeder Partei günstigen Rechtssatzes enthalten oder ergeben.6 Die subjektive Beweislast (Beweisführungslast) betrifft die Obliegenheit der Partei, für ihre bestrittenen Behauptungen Beweise anzubieten, um einen Prozessverlust zu vermeiden.7 Mit der konkreten Beweisführungslast korrespondiert die konkrete Darlegungslast: die Partei, der die Beweisführungslast obliegt, hat deshalb auch die Tatsachen vorzutragen, mit denen der jeweilige Beweis geführt werden soll.8 Die objektive Beweislast betrifft demgegenüber die Frage, wer die Folgen einer Ungewissheit über eine erhebliche Tatsache zu tragen hat;9 ihre Funktion liegt in der Überwindung des non liquet.10 2. Zum Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag Grundsätzlich hat jede Partei ihre allgemeine Darlegungslast zu beachten. Sie trägt für die tatsächlichen Behauptungen, für die sie die objektive Beweislast hat, die Darlegungslast. Dieser genügt sie, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen.11 Gemäß § 138 Abs. 2 ZPO hat sich die andere Partei 4 Laumen in Baumgärtel/Laumen/Prütting, Handbuch der Beweislast, 3. Aufl., Kap. 22 Rz. 38. 5 BGH v. 13.11.1998 – V ZR 386/97, NJW 1999, 352, 353. 6 Laumen in Baumgärtel/Laumen/Prütting, Kap. 9 Rz. 57. 7 Foerste in Musielak/Voit, § 286 Rz. 33. 8 Laumen in Baumgärtel/Laumen/Prütting, Kap. 9 Rz. 56. 9 BGH v. 15.11.2010 – NotZ 1/10, NJW-RR 2011, 644 Tz. 21. 10 Laumen in Baumgärtel/Laumen/Prütting, Kap. 9 Rz. 13. 11 BGH v. 5.6.2018 – XI ZR 388/16, juris Tz. 17; Prütting in Prütting/Gehrlein, ZPO, § 138 Rz. 9.

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sodann über die vom Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. Der Umfang der Erklärungslast richtet sich ausschließlich nach dem Umfang des Vortrags der anderen Partei. Jede Erklärung des Gegners setzt voraus, dass die zunächst vortragende Partei einen einlassungsfähigen Sachvortrag behauptet, also einen Vortrag, der erkennen lässt, welcher konkrete Lebenssachverhalt angesprochen ist. Erst dann hat der Gegner sich konkret und gezielt zu den Behauptungen der anderen Partei zu äußern und muss eine dem Vortrag der gegnerischen Partei entsprechende Gegendarstellung geben. Wurden vom Kläger zu einer bestimmten Tatsache keine konkreten Einzelheiten genannt, kann vom Beklagten keine konkrete Gegenvorstellung verlangt werden. Es besteht ein Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag: je substantiierter der Vortrag des darlegungspflichtigen Gegners ist, desto substantiierter muss der Bestreitende vortragen.12 Liegt hinreichender Gegenvortrag der nicht beweisbelasteten Partei vor, ist es wiederum Sache der darlegungs- und beweisbelasteten Partei, ihren Sachvortrag zu ergänzen und näher aufzugliedern.13 Allerdings rechtfertigt allein der Umstand, dass die Darlegung der beweisbelasteten Partei im Einzelfall deutlich schwerer fällt als ihrem Gegner, es nicht, diesem eine erweiterte Obliegenheit zum Bestreiten aufzuerlegen. Über materiell-rechtliche Auskunftspflichten hinaus ist grundsätzlich keine Partei verpflichtet, dem Gegner das Material für den Prozesssieg zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfügt.14

III. Die sekundäre Darlegungslast 1. Begründung und Herleitung Als Ausnahme von dem Grundsatz, dass pauschales Vorbringen des Gegners von der Partei einfach bestritten werden kann, hat die Rechtsprechung sich schon früh auf den prozessualen Grundsatz gestützt, dass die an sich beweisbegünstigte Partei dann ein nur pauschales Vorbringen des darlegungsbelasteten Gegners substantiiert bestreiten muss, wenn der Darlegungsbelastete außerhalb des von ihm darzulegenden Geschehensablaufs steht und die maßgeblichen Tatsachen nicht kennt, während die andere Partei sie kennt und ihr ergänzende Angaben zuzumuten sind.15 In den Fällen, in denen eine sekundäre Darlegungslast des Anspruchsgegners bejaht wird, kann es auch ausreichen, dass der Klagevortrag ein bestimmtes Anspruchsmerkmal „mit gewisser Wahrscheinlichkeit nahe legt“ oder sich Anhaltspunkte aus dem unstreitigen Sachverhalt ergeben16 bzw. dass der Beweispflichtige Anknüpfungstatsachen vorträgt, die als schlüssige Indizien (z.B. für eine wissentliche Pflichtverletzung) betrachtet werden können.17 Diese „Minderung“ der Substantiierungslast, „Reduzierung“ 12 Vgl. nur Prütting in Prütting/Gehrlein, § 138 Rz. 10; von Selle in BeckOK.ZPO, 28. Ed., § 138 Rz. 18. 13 BGH v. 19.12.2017 – II ZR 88/16, NJW 2018, 1089 Tz. 19. 14 BGH v. 17.10.1996 – IX ZR 293/95, NJW 1997, 128, 129; von Selle in BeckOK.ZPO, § 138 Rz. 18. 15 Vgl. nur BGH v. 17.10.1996 – IX ZR 293/95, NJW 1997, 128 f. m.w.N. 16 BGH v. 13.6.2012 – I ZR 87/11, NJW 2012, 3774 Tz. 17. 17 BGH v. 17.12.2014 – IV ZR 90/13, NJW 2015, 947 Tz. 21.

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der Substantiierungsanforderungen der behauptungs- und beweisbelasteten Partei18 wird von der Rechtsprechung aus dem Prinzip von Treu und Glauben hergeleitet,19 während ein Teil der Lehre sie aus der Prozessförderungspflicht in Verbindung mit der Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht ableitet20 bzw. im Wege einer Rechtsanalogie zu § 138 Abs. 1 und 2 ZPO sowie den Vorschriften über die Mitwirkung der Partei an der Beweisaufnahme unter bestimmten Voraussetzungen eine weite prozessuale Aufklärungspflicht auch der nicht behauptungs- und beweisbelasteten Partei begründen will, die vor allem in Fällen, in denen die risikobelastete Partei keinen Zugang zum Prozess- und Beweismaterial hat, der Wahrheitsfindung und Rechtsdurchsetzung dienen solle.21 2. Abgrenzungen a) Unterschiede zwischen substantiiertem Bestreiten und sekundärer Darlegungslast Die Obliegenheit zu substantiiertem Bestreiten und die sekundäre Darlegungslast überschneiden sich in ihren Voraussetzungen und Rechtsfolgen, lassen sich jedoch auf begrifflich-dogmatischer Ebene trennen: während die Partei gezwungen wird, umso substantiierter zu bestreiten, je substantiierter ihr Gegner vorträgt, trifft die Partei die sekundäre Darlegungslast gerade umgekehrt, weil dem Gegner substan­ tiierte Behauptungen nicht möglich sind.22 b) Keine Anwendung auf die Beweisführung Keine Anwendung finden die Grundsätze über die sekundäre Darlegungslast auf die Beweisführung. Die Benennung eines Zeugen mit den nach § 377 ZPO notwendigen Angaben oder die Vorlage von Urkunden ist nicht mehr Teil des den Parteien obliegenden Tatsachenvortrags, sondern ein Element der sich daran anschließenden und auf dem Parteivorbringen beruhenden Beweisführung. Die Grundsätze der sekundären Darlegungslast finden hierauf keine Anwendung. Die Weigerung der nicht beweispflichtigen Partei, einen nur ihr bekannten Zeugen ohne triftigen Grund namhaft zu machen, kann daher nur im Rahmen der Beweiswürdigung als Beweisvereitelung zu deren Lasten berücksichtigt werden.23 Bleibt im Ergebnis ein non liquet, so ist nach der objektiven (abstrakten) Beweislast zu entscheiden, die von der sekundären Darlegungslast nicht beeinflusst ist.24

18 Stadler in Musielak/Voit, § 138 ZPO Rz. 10; von Selle in BeckOK.ZPO, § 138 Rz. 19. 19 Vgl. nur BGH v. 13.6.2012 – I ZR 87/11, NJW 2012, 3774 Tz. 17. 20 Fritsche in MünchKomm.ZPO, § 138 ZPO Rz. 22. 21 Stadler in Musielak/Voit, § 138 Rz. 11. 22 von Selle in BeckOK.ZPO, § 138 Rz. 19.1. 23 BGH v. 17.1.2008 – III ZR 239/06, NJW 2008, 982 Tz. 18; BGH v. 26.6.2007 – XI ZR 277/05, NJW 2007, 2989 Tz. 16; BGH v. 22.7.2014 – KZR 27/13, NJW 2014, 3089 Tz. 19. 24 Prütting in Prütting/Gehrlein, § 138 Rz. 11.

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c) Keine Pflicht zur Vorlage von Urkunden Eine zivilprozessuale Pflicht zur Vorlage von Urkunden der nicht beweisbelasteten Partei folgt nur aus den speziellen Vorschriften der §§ 422, 423 ZPO oder aus einer Anordnung des Gerichts nach § 142 Abs. 1 ZPO; aus den Grundsätzen der sekundären Behauptungslast kann sie nicht abgeleitet werden.25 3. Rechtsfolgen Kommt der Beklagte seiner sekundären Darlegungslast nicht nach, kann der Vortrag der beweisbelasteten Partei gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden angesehen werden.26 Daran ändert es nichts, wenn der Beklagte für seinen nicht ausreichend sub­ stantiierten Tatsachenvortrag Zeugenbeweis anbietet. Wenn der Sachvortrag unbeachtlich ist, kommt es auf den Beweisantritt nicht mehr an.27 Im Übrigen richtet sich der Umfang der sekundären Darlegungslast einerseits nach der Intensität des Sachvortrags der beweisbelasteten Partei und findet andererseits seine Grenze in der Zumutbarkeit der den Prozessgegner treffenden Offenbarungspflicht.28 Kommt die nicht beweisbelastete Partei ihrer sekundären Behauptungslast nach, obliegt die weitere Beweisführung der beweisbelasteten Partei.29 Kommt es zu einem non liquet, geht dies zu Lasten der beweisbelasteten Partei – die sekundäre Darlegungslast lässt die Verteilung der objektiven Beweislast unberührt.30 4. Anwendungsbeispiele a) Negative Tatsachen Die sekundäre Darlegungslast spielt nicht zuletzt in Fällen eine Rolle, in denen das materielle Recht das Nichtvorliegen von Tatsachen zur Anspruchsvoraussetzung erhebt oder sonst nach den Gegebenheiten im konkreten Rechtsstreit das Nichtvorliegen eines Umstandes bewiesen werden muss („Um jedoch den Unternehmer, der insoweit einen negativen Beweis führen muss, nicht in unüberwindbare Beweisnot zu bringen …“).31 In diesen Fällen kann vom Prozessgegner im Rahmen des Zumutbaren das substantiierte Bestreiten der negativen Tatsache unter Darlegung der für das Positivum sprechenden Tatsachen oder Umstände verlangt werden,32 in Fällen einer behaupteten unterbliebenen Aufklärung/Offenbarung, mithin eine in räumlicher, zeitlicher und inhaltlicher Weise zu spezifizierende Aufklärung.33 25 BGH v. 26.6.2007 – XI ZR 277/05, NJW 2007, 2989 Tz. 16. 26 BGH v. 13.6.2012 – I ZR 87/11, NJW 2012, 3774 Tz. 20 m.w.N. 27 BGH v. 10.3.1986 – II ZR 107/85, NJW 1986, 3193, 3194 li. Sp.; vgl. auch Leipold in Stein/ Jonas, § 138 Rz. 38 f.; Laumen in Baumgärtel/Laumen/Prütting, Kap. 22 Rz. 36. 28 BGH v. 17.1.2012 – XI ZR 254/10, WM 2012, 746 Tz. 4. 29 BGH v. 21.9.2000 – I ZR 135/98, BGHZ 145, 170, 187 f. = MDR 2001, 577.  30 Laumen in Baumgärtel/Laumen/Prütting, Kap. 22 Rz. 35. 31 BGH v. 26.3.1992 – VII ZR 180/91, NJW-RR 1992, 848 f. 32 BGH v. 7.12.1998 – II ZR 266/97, NJW 1999, 579, 580; Leipold in Stein/Jonas, § 138 Rz. 37. 33 BGH v. 12.11.2010 – V ZR 181/09, BGHZ 188, 43 Tz. 12, 15.

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b) Das Beispiel der markenrechtlichen Löschungsklage Nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Lehre trifft die Klägerin die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen der Löschungsklage. Hat der Löschungskläger jedoch keine genaue Kenntnis von den Umständen der Benutzung der Marke und verfügt er auch nicht über die Möglichkeit, den Sachverhalt von sich aus aufzuklären,34 kann den (nicht beweisbelasteten) Beklagten eine prozessuale Erklärungspflicht treffen. Hat der Löschungskläger, der einen Verfall wegen Nichtbenutzung geltend macht, die ihm zugänglichen Anhaltspunkte, aus denen sich seiner Auffassung nach die mangelnde Benutzung ergibt, dargetan („schlüssige Indizien“), obliegt es dem beklagten Markeninhaber darzulegen, dass die Marke in dem erforderlichen Umfang ernsthaft benutzt wurde.35 c) Weitere Beispielsfälle Besondere Anknüpfungspunkte für die Zumutbarkeit des substantiierten Bestreitens eines nur pauschalen Vorbringens des darlegungsbelasteten Gegners, sind beispielsweise angenommen worden: –– für einen gemäß § 3 UWG a.F. auf Unterlassung verklagten Pressedienst, der mit der großen Anzahl und dem Rang seiner Korrespondenten geworben hat und diese dementsprechend im Prozess zwar nicht namentlich, aber wenigstens der Zahl nach mitteilen musste;36 –– für den Geschädigten dafür, dass er sich um eine zumutbare Ersatzarbeit bemüht habe;37 –– für den Geschäftsführer einer GmbH, dem die vertragswidrige Verwendung von Gesellschaftsmitteln vorgeworfen wird,38 obwohl grundsätzlich der Schädiger die Voraussetzungen seines Einwandes aus § 254 Abs. 2 BGB beweisen muss; –– für die Darlegungslast eines als Drittschuldner Verklagten, nachdem der auf Zahlung klagende Pfändungsgläubiger Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der zuvor gemäß § 840 Abs. 1 ZPO erteilten Auskunft vorgetragen hatte;39 –– zur Ausräumung des auf konkrete Tatsachen gestützten Verdachts eines bösgläubigen Rechtserwerbs;40

34 BGH v. 25.4.2012 – I ZR 156/10, GRUR 2012, 1261 Tz. 11 „Orion“; BGH v. 10.4.2008 – I ZR 167/05, GRUR 2009, 60 Tz. 19 „Lotto-Card“; BGH v. 26.10.2006 – I ZR 97/04, GRUR 2007, 251 Tz. 31 „Regenwaldprojekt II“ jeweils m.w.N. 35 § 26 Abs. 1 MarkenG, s. dazu BGH v. 10.4.2008 – I ZR 167/05, GRUR 2009, 60 Tz. 37-39 „Lotto-Card“. 36 BGH v. 20.1.1961 – I ZR 79/59, NJW 1961, 826, 828. 37 BGH v. 23.1.1979 – VI ZR 103/78, juris Tz. 13. 38 BGH v. 17.3.1987 – VI ZR 282/85, BGHZ 100, 190, 195 f. = MDR 1987, 748. 39 BGH v. 1.12.1982 – VIII ZR 279/81, BGHZ 86, 23, 28 f. = MDR 1983, 398. 40 BGH v. 24.10.2014 – V ZR 45/13, NJW 2015, 619 Tz. 19 ff.

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–– bei ausreichenden Anhaltspunkten für eine Schmiergeldabrede obliegt es dem Beklagten im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast zu dem abweisenden Sachverhalt, eine Schmiergeldabrede habe nicht vorgelegen, vorzutragen;41 –– bei Urheberrechtsverletzungen, die über den Internetanschluss des Anschlussinhabers begangen wurden, hat dieser nachvollziehbar vorzutragen, welche Personen Gelegenheit hatten, die fragliche Verletzungshandlung ohne Wissen und Zutun des Anschlussinhabers zu begehen;42 –– bei der Transfusion von Blutprodukten kann den Beklagten eine sekundäre Darlegungslast auch in Bezug auf die Chargennummer der verabreichten anderen Blutprodukte treffen, und zwar auch nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist;43 –– bei konkreten Anhaltspunkten für einen Hygieneverstoß trifft den Krankenhausträger eine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Maßnahmen, die er ergriffen hat, um sicherzustellen, dass die maßgeblichen Hygienebestimmungen eingehalten wurden.44

IV. Rückbesinnung Die geradezu inflationäre Heranziehung der Grundsätze der sekundären Darlegungslast45 gibt Anlass und Grund, sich auf die allgemeinen Grundsätze der zur Darlegungs- und Beweislast des Zivilprozesses (vgl. I., II.) zurückzubesinnen. Den Grundsätzen, dass keine Partei verpflichtet ist, dem Gegner das Material für den Prozesssieg zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfügt und dass der Umstand, dass die Darlegung im Einzelfall der beweisbelasteten Partei wesentlich schwerer fällt, als ihrem Gegner, allein nicht genügt, um diesem eine erweiterte Obliegenheit zum Bestreiten aufzuerlegen,46 sollte wieder höhere Bedeutung verliehen werden. Der Grundsatz von Treu und Glauben ist in dem dem Beibringungsgrundsatz verpflichteten Zivilprozess ein Fremdkörper und bedarf zurückhaltender Beurteilung. Die Annahme einer sekundären Darlegungslast setzt die strenge Prüfung der Zumutbarkeit voraus, die stets besondere Anknüpfungspunkte erfordert. Eine allgemeine, aus der sekundären Behauptungslast resultierende Dokumentationsobliegenheit der nicht beweisbelasteten Partei 47 oder gar eine weite prozessuale Aufklärungspflicht,48 lässt sich nicht begründen.

41 BGH v. 18.1.2018 – I ZR 150/15, NJW 2018, 2412, Tz. 28 ff. 42 BGH v. 30.3.2017 – I ZR 19/16, NJW 2018, 65 Tz. 14 f. 43 BGH v. 14.6.2005 – VI ZR 179/04, BGHZ 163, 209; s. dazu unter IV 1. b. 44 BGH v. 16.8.2016 – I ZR 234/15, NJW-RR 2016, 1360 Tz. 14 f. 45 Vgl. dazu auch Laumen in Baumgärtel/Laumen/Prütting, Kap. 22 Rz.  6 mit zahlreichen weiteren Anwendungsbeispielen aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Rz. 7-25. 46 BGH v. 17.10.1996 – IX ZR 293/95, NJW 1997, 128, 129 m.w.N. 47 So Stadler in Musielak/Voit, § 138 Rz. 10. 48 Stadler in Musielak/Voit, § 138 Rz. 11.

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1. Zur Zumutbarkeit Die formelhaft wiederholte Aussage, dass die an sich beweisbegünstigte Partei ein pauschales Vorbringen des darlegungsbelasteten Gegners substantiiert bestreiten muss, wenn die primär darlegungsbelastete Partei außerhalb des von ihr vorzutragenden Geschehensablaufs steht und die maßgeblichen Tatsachen nicht kennt, während die andere Partei sie kennt und es ihr zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (vgl. dazu unter III. 1.), veranlasst zu folgenden kritischen Anmerkungen. a) Die Zumutbarkeit bei der beweisbelasteten Partei Die in jüngeren Entscheidungen49 verwendete Formulierung, aufgrund derer eine sekundäre Darlegungslast bereits dann anzunehmen sein soll, wenn die primär darlegungsbelastete Partei außerhalb des von ihr vorzutragenden Geschehensablaufs steht und ihr eine nähere Substantiierung nicht möglich oder zumutbar ist, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen, ist auf den Prüfstand zu stellen. Wollte man es bei der primär darlegungsbelasteten Partei schon ausreichen lassen, dass ihr nähere Angaben nicht zumutbar sind, bestünde die Gefahr einer zu weitgehenden Verlagerung der Darlegungs- und Beweislast auf den nicht beweisbelasteten Gegner. Der Begriff der „Zumutbarkeit“ lässt Raum zu weitgehenden, subjektiv geprägten Wertungen. Die Unmöglichkeit der weiteren Substantiierung (in Anlehnung an § 275 BGB) ist demgegenüber justitiabler und trägt dem Grundsatz Rechnung, dass der Umstand, dass die Darlegung im Einzelfall der beweisbelasteten Partei wesentlich schwerer fällt als ihrem Gegner, nicht ausreicht, um der nicht beweisbelasteten Partei eine erweitere Obliegenheit zum Bestreiten aufzuerlegen.50 Nur wenn die beweisbelastete Partei alles unternommen hat, um die erforderlichen Informationen zu beschaffen, besteht Raum für eine sekundäre Darlegungslast des Gegners.51 b) Die Zumutbarkeit bei der nicht beweisbelasteten Partei Desgleichen bedarf die Annahme der Zumutbarkeit bei der nicht beweisbelasteten Partei der besonderen Begründung. Die besonderen Anknüpfungspunkte, die eine Zumutbarkeit zu Lasten der beweisbegünstigten Partei begründen, liegen in der Art ihres vorangegangenen Tuns oder ihrer persönlichen Verhältnisse und Beziehungen zum Gegner.52 Es ist der Grundsatz zu beachten, dass keine Partei – über materiell-­ rechtliche Auskunftspflichten hinaus – verpflichtet ist, dem Gegner das Material für den Prozesssieg zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfügt.53 Abzulehnen ist es daher, der nicht beweisbelasteten Partei überlange Aufbewahrungsfris49 Vgl. z.B. BGH v. 16.8.2016 – VI ZR 634/15, NJW-RR 2016, 1360 Tz. 14; BGH v. 18.1.2018 – I ZR 150/15, NJW 2018, 2412 Tz. 30. 50 BGH v. 17.10.1996 – IX ZR 293/95, NJW 1997, 128, 129. 51 So auch Laumen in Baumgärtel/Laumen/Prütting, Kap. 22 Rz. 30. 52 BGH v. 17.10.1996 – IX ZR 293/95, NJW 1997, 128, 129. 53 Vgl. nur BGH v. 17.10.1996 – IX ZR 293/95, NJW 1997, 128, 129.

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ten zu überbürden, wie dies vom Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 17.6.200554 zur Erfüllung der sekundären Darlegungslast (de facto) verlangt wird. Im Rahmen der Prüfung, ob ein Beweis des ersten Anscheins greift, hat der Bundesgerichtshof die Behauptung des Klägers, dass die Kontaminierung des verabreichten Blutprodukts im Krankenhaus des Beklagten geschehen ist, mangels substantiierten Bestreitens des Beklagten als unstreitig angesehen. Seit der Verabreichung des Produkts waren allerdings deutlich mehr als zehn Jahre vergangen. Die Beklagte hatte vorgetragen, nach einer Aufbewahrungsfrist von zehn Jahren könne sie den Fall nicht mehr komplett nachvollziehen. Diesen Vortrag haben weder das Berufungsgericht noch der Bundesgerichtshof als ausreichend erachtet. Ein solcher Vortrag sei nicht ausreichend, um zu begründen, aus welchen Gründen dem Beklagten die Darlegung nicht möglich sein solle. Zu Ende gedacht, bedeutet dies, dass jeder, der in einem haftungsträchtigen und sensiblen Bereich tätig ist, nicht nur sämtliche Vorgänge dokumentieren muss, sondern – da das Risiko, dass er in einem Prozess substantiiert bestreiten muss, immer gegeben ist  – über die (kaufmännische) Aufbewahrungspflicht von zehn Jahren hinaus sämtliche Unterlagen aufbewahren muss. Dass die regelmäßige Verjährungsfrist „nur“ drei Jahre beträgt (§ 195 BGB), ist in diesem Zusammenhang nicht hilfreich, da die Verjährungsfrist nach näherer Maßgabe von § 199 BGB auch nach zehn Jahren noch nicht verstrichen sein muss. 2. Gefahr einer Billigkeitserwägung Eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 11.10.201355 zeigt anschaulich, welche Gefahren dem austarierten System der Darlegungs- und Beweislast der Zivilprozessordnung durch eine leichtfertige Anwendung der Grundsätze über die sogenannte sekundäre Darlegungslast drohen. Der Kläger jenes Falles hatte sich hinsichtlich seines Eigentums auf die Vermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB berufen. Seinen unmittelbaren Besitz an dem streitgegenständlichen Fahrzeug hat er unter Beweis gestellt. Das Oberlandesgericht Hamm unterstellt zu Gunsten des Klägers seinen Alleinbesitz. Damit ist die Tatsachenbasis der Vermutung gemäß § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB dargetan, zumal nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung für den unmittelbaren Besitzer einer beweglichen Sache nach § 1006 Abs. 1 BGB auch vermutet wird, dass er mit der Erlangung des Besitzes Eigentümer geworden ist.56 Die Vermutung des § 1006 BGB ist eine gesetzliche Vermutung. Sie muss durch den Beweis des Gegenteils widerlegt werden.57 Greift die gesetzliche Vermutung ein, kommt es zu einer Umkehr der objektiven Beweislast zum Nachteil des Vermutungsgegners.58 Dennoch hält das Oberlandesgericht Hamm den Kläger als von der gesetzlichen Vermutung Begünstigten nach den Grundsätzen der sogenannten „sekundären Dar­ legungslast“ für gehalten, seinerseits zu den Umständen seines Besitz- und Eigentumserwerbs konkret und schlüssig vorzutragen. Überlegungen dahingehend, ob die 54 BGH v. 14.6.2005 – VI ZR 179/04, BGHZ 163, 209, 213 ff. = MDR 2005, 1347. 55 OLG Hamm v. 11.10.2013 – I-9 U 35/13, NJW 2014, 1894 = MDR 2014, 403. 56 BGH v. 3.3.2017 – V ZR 268/15, NJW-RR 2017, 1097 Tz. 18 m.w.N. 57 BGH v. 3.3.2017 – V ZR 268/15, NJW-RR 2017, 1097 Tz. 20 m.w.N. 58 Vgl. dazu nur Laumen in Prütting/Gehrlein, ZPO, 10. Aufl., § 292 Rz. 4.

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primär darlegungsbelastete Partei außerhalb des von ihr vorzutragenden Geschehensablaufs steht und ihr eine nähere Substantiierung nicht möglich ist, während der Prozessgegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen, stellt das Oberlandesgericht Hamm noch nicht einmal an. Die stattdessen gegebene Begründung, der (beweisbelastete) Beklagte habe sonst keine Chance des Gegenbeweises, belegt, dass der Grundsatz von Treu und Glauben, wenn er ohne konkretisierte Vorgaben angewandt wird, reinen Billigkeitserwägungen Tür und Tor öffnet und den für den Zivilprozess elementaren Beibringungsgrundsatz und die aus ihm resultierende Regeln über die Darlegungs- und Beweislast zum „zahnlosen Tiger“ macht. 3. Keine Dokumentationsobliegenheit der nicht beweisbelasteten Partei Die Auffassung, dass die sekundäre Behauptungslast zu einer Dokumentationsobliegenheit der nicht beweisbelasteten Partei führen könne,59 ist abzulehnen. Es besteht kein Rechtsgrund für die Annahme einer derartigen Dokumentationspflicht. Ist die Vorlage von Urkunden nicht mehr Teil des den Parteien obliegenden Tatsachenvortrages und kann sich die Pflicht zur Vorlage von Urkunden der nicht beweisbelasteten Partei nur aus den spezifischen Vorschriften der §§ 422, 423 ZPO oder einer Anordnung des Gerichts nach § 142 Abs. 1 ZPO ergeben, nicht jedoch aus dem Grundsatz der sekundären Darlegungslast abgeleitet werden,60 fehlt für die Annahme einer über die sekundäre Darlegungslast begründbaren allgemeinen Dokumentationspflicht jedenfalls de lege lata ein Rechtsgrund. 4. Keine prozessuale Aufklärungspflicht Erst recht kann eine allgemeine oder sogar weite61 prozessuale Aufklärungspflicht nicht anerkannt werden. Sie würde das gesetzliche System der Beweislastverteilung aushöhlen.62 Sie lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, dass eine allgemeine Ausdehnung der parteilichen Aufklärungspflicht dem Reformanliegen, im Zuge der ­Neugestaltung des Instanzenzuges die Sachverhaltsaufklärung in der ersten Instanz zu stärken, entsprochen hätte.63 Eine allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht der nicht darlegungs- und beweisbelasteten Partei besteht nicht.64 Zwar setzt die Vorlageanordnung nach § 142 Abs. 1 ZPO keinen materiell-rechtlichen Herausgabeanspruch der beweisbelasteten Partei voraus,65 es bedarf jedoch eines substantiierten, d.h. auf konkrete Tatsachen bezogenen Vortrag, um zu vermeiden, dass die Vorlageanordnung zum Mittel der Ausforschung der Gegenpartei oder eines Dritten wird.66 Durch 59 Stadler in Musielak/Voit, § 138 Rz. 10. 60 BGH v. 26.6.2007 – XI ZR 277/05, NJW 2007, 2989, 2991 Tz. 16. 61 So Stadler in Musielak/Voit, § 138 Rz. 11. 62 Vgl. dazu Laumen in Prütting/Gehrlein, § 286 Rz. 88. 63 Stadler in Musielak/Voit, § 138 Rz. 11. 64 BGH v. 26.10.2006 – III ZB 2/06, NJW 2007, 155 Tz. 7 m.w.N. 65 BGH v. 16.3.2017 – I ZR 205/15, NJW 2017, 3304 Tz. 29. 66 Leipold Stein/Jonas, § 142, Rz. 9.

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Die sekundäre Darlegungslast im Zivilprozess – Plädoyer für eine Rückbesinnung

§ 142 ZPO ist daher der Grundsatz, dass niemand verpflichtet ist, dem Prozessgegner die Waffen an die Hand zu geben, nicht außer Kraft gesetzt.67 Die Begründung einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht bedürfte der gesetzgeberischen Nachbesserung.68 Trotz der Änderung von §  142 ZPO hat der Gesetzgeber jedoch die §§ 422 ff. ZPO unverändert gelassen. Auch wenn sich die Wertungswidersprüche zwischen § 142 Abs. 1 ZPO und den §§ 422 ff. ZPO (mit einigem Begründungsaufwand) auflösen lassen,69 ändert dies nichts daran, dass § 142 ZPO eine systemwidrige Norm darstellt,70 die nicht im Wege der Rechtsanalogie verallgemeinert und auf andere Sachverhalte übertragen werden kann.

V. Zusammenfassung Bei allem Verständnis dafür, dass es Fälle geben mag, in denen Anlass dazu besteht, die Beweisnot der primär darlegungsbelasteten Partei zu mindern, darf dieses Anliegen nicht zu einem leichtfertigen Umgang mit den Grundsätzen der sekundären Darlegungs- und Beweislast führen. Vielmehr müssen die besonderen Anknüpfungspunkte, die ausnahmsweise die Zumutbarkeit eines (substantiierten) Vortrages der nicht beweisbelasteten Partei begründen, streng geprüft werden, ebenso wie die Unmöglichkeit einer weiteren Substantiierung für die beweisbelastete Partei. Erst recht kann aus dem potentiellen Erfordernis, irgendwann einmal als Gegner substantiiert vortragen zu müssen, keine allgemeine Dokumentationsobliegenheit oder generelle prozessuale Aufklärungspflicht abgeleitet werden. Aufgabe des Zivilprozesses ist der Schutz subjektiver Rechte.71 Im Beibringungsgrundsatz/Verhandlungsgrundsatz kommt der grundlegende Wert der Parteifreiheit und Parteiverantwortung im Zivilprozess zum Ausdruck.72 Ebensowenig wie der Zivilrichter die Aufgabe hat, Sozialpolitik zu betreiben, ist es auch nicht zentrale Aufgabe des Zivilprozesses, den „sozial Schwächeren“ zu schützen.73 Dem Anspruch auf ein faires Verfahren trägt der Zivilrichter durch die Verfahrensgestaltung Rechnung, z.B. durch Wahrnehmung der Hinweispflichten gemäß § 139 ZPO und ein objektiv willkürfreies Verfahren. Die Anwendung der Grundsätze über die sekundäre Darlegungslast, die kein Instrument zum Schutz des vermeintlich oder tatsächlich Schwächeren sind, darf daher nur erfolgen, wenn ihre streng zu prüfenden Voraussetzungen vorliegen.

67 Leipold in Stein/Jonas, § 142 Rz. 9. 68 Prütting in Baumgärtel/Laumen/Prütting, Kap. 21 Rz. 21. 69 BGH v. 26.6.2007 – IX ZR 277/05, BGHZ 173, 23 Tz. 20 = MDR 2007, 1333; vgl. auch BGH v. 16.3.2017 – I ZR 205/15, NJW 2017, 3304 Tz. 29. 70 Prütting in Baumgärtel/Laumen/Prütting, Kap. 21 Rz. 20. 71 Vgl. nur Brehm in Stein/Jonas, vor § 1 Rz. 9. 72 Leipold in Stein/Jonas, vor § 128 Rz. 149. 73 So zutreffend Leipold in Stein/Jonas, vor § 128 Rz. 149.

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Daniela Bergdolt

Nach dem KapMuG die Sintflut? Inhaltsübersicht

I. Einleitung

II. Die Schwächen des KapMuG 1. Gesetzgeber wollte keine Class-Action 2. KapMuG als Test-Masseverfahren 3. Hauptproblem: Zeitlicher Umfang a) Rechtsstellung der Beigeladenen b) Ausgestaltung des Rechtsmittels 4. Länge nutzt niemandem 5. Bedarf nach grundsätzlichen Alter­ nativen III. § 93a VwGO 1. Fremdheit der Regelung für das Zivilprozessrecht 2. Kaum praktische Relevanz 3. Unterschiede zum KapMuG a) Auswahl mehrerer Musterkläger möglich b) Rolle der „weiteren“ Verfahren 4. § 93a VwGO statt KapMuG?

IV. Das Spruchverfahren – Freiwillige ­Gerichtsbarkeit in der KapMuG-­ Situation? 1. Sinn des Spruchverfahrens 2. Für das Musterverfahren interessante Elemente 3. Unterschiede

V. Die Musterfeststellungsklage: Ein ­würdiger Nachfolger?

VI. Vermittelnde Lösung 1. Übernahme von § 93a VwGO in die ZPO 2. Gerichtszuständigkeit 3. Musterverfahren bei 50 Klagen 4. Beweisaufnahme und Entscheidung 5. Neue Art der verjährungshemmenden Anspruchsanmeldung 6. Kosten 7. Anwaltszwang bei der Anmeldung VII. Resümee

I. Einleitung Nach dem aktuellen Willen des Gesetzgebers soll das Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz (KapMuG) entsprechend der dortigen Regelung in §  28 am 1.11.2020 ­außer Kraft treten. Wenn das Gesetz selbst nicht verlängert wird und keine anderweitige prozessrechtliche Neuregelung gefunden wird, so erscheint es durchaus treffend, die dann entstehende Situation aus der Sicht des dann tätigen Gesetzgebers mit „nach uns die Sintflut“ zu beschreiben. Denn etymologisch geht das Wort „Sintflut“ auf das mittelhochdeutsche sin(t)vluot, althochdeutsch sin(t)fluot zurück, was so viel wie „immerwährende Überschwemmung“ bedeutet.1 Diese „immerwährende Überschwemmung“ der Gerichte sollte das KapMuG ursprünglich verhindern.2 1 https://de.wikipedia.org/wiki/Sintflut (abgerufen am 13.6.2019). 2 Im Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum KapMuG 2005 (BT-Drucks. 15/5091) heißt es: „Die traditionellen Bündelungsformen, die von der Verfahrensverbindung über die

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Im Spannungsfeld dieser Situation sucht dieser Beitrag nun nach Alternativen zu einer inhaltsgleichen Fortsetzung des Kapitalanlegermusterverfahrensgesetzes. Es soll zum einen untersucht werden, wo diejenigen Schwächen des Gesetzes liegen, die eine inhaltsidentische Fortführung für nicht sinnvoll erscheinen lassen. Sodann soll bei der Suche nach Alternativen ein Sich-Behelfen aus anderen Verfahrensvorschriften vorgenommen werden. Durch Anleihen der Regelungen über Musterprozesse im Verwaltungsrecht nach § 93a VwGO und im Gesetz über das gesellschaftsrechtliche Spruchverfahren (Spruchverfahrensgesetz – SpruchG) soll versucht werden, eine effiziente, für alle Betroffenen sachgerechte Lösung der Situationen zu finden, die momentan das KapMuG regelt, ohne dabei dessen Schwächen weiterzuführen. Ein kurzer Blick soll auf das relativ junge Verfahren der Musterfeststellungsklage geworfen werden.

II. Die Schwächen des KapMuG Das KapMuG wurde eingeführt, um bei kapitalmarktrechtlichen Massenschäden (damals das Telekom-Verfahren) die Durchsetzung der Ansprüche der geschädigten Kapitalanleger effektiver und niedrigschwelliger zu machen. Im Gesetzesentwurf der Bundesregierung hieß es, man wolle „den Anlegerschutz durch Einführung kollektiver Rechtsschutzformen verbessern und dem einzelnen Kapitalanleger dadurch effektiven Rechtsschutz gewähren.“3 1. Gesetzgeber wollte keine Class-Action Bewusst hat sich der Gesetzgeber dagegen entschieden, eine „Class-Action“ nach US-amerikanischem Vorbild einzuführen. Er führt aus: „Eine Rechtskrafterstreckung auf nicht am Verfahren beteiligte Anleger begegnet rechtsstaatlichen Bedenken. Demgegenüber ist die gesetzliche Verankerung von Musterverfahren vorzuziehen, welche eine wichtige Erweiterung der traditionellen Bündelungsformen des deutschen Prozessrechts darstellt.“4 2. KapMuG als Test-Masseverfahren Praktisch wurde innerhalb seines Anwendungsbereiches das KapMuG quasi zum „Test-Ballon“ für Musterverfahren im Allgemeinen. Mehrfach hat der Gesetzgeber Streitgenossenschaft bis zur Musterprozessabrede reichen, genügen nicht, um eine effiziente Rechtsdurchsetzung zu gewährleisten.“ 3 BT-Drucks. 15/5091, S. 1. 4 BT-Drucks. 15/5091, S. 48, m.w.N. im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz erstellte Gutachten des Max-Planck-Instituts Hamburg zur Reform des deutschen Rechts; Basedow/ Hopt/Kötz/Baetge, Die Bündelung gleichgerichteter Interessen im Prozess, Empfehlung II. 6., S. 5, S. 57 ff.; ebenso auch der Vorschlag des Gutachters v. Bar zum 62. Deutschen Juristentag, A 104.

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Nach dem KapMuG die Sintflut?

deren Einführung im Bereich für Massenschäden außerhalb des Kapitalanlagerechtes bereits geplant gehabt.5 Es wurde jedoch bis zum Erscheinen dieses Beitrags nicht umgesetzt. 3. Hauptproblem: Zeitlicher Umfang Das Hauptproblem von KapMuG-Verfahren ist mit Sicherheit deren zeitlich ausufernder Umfang. Dem Gesetz ist es nicht gelungen, einen Regelungsrahmen zu schaffen, mit dem sich Rechtsstreitigkeiten in den im KapMuG geregelten Situationen in einem zeitlich für alle Beteiligten annehmbaren Rahmen zu Ende führen lassen.6 a) Rechtsstellung der Beigeladenen Einer der Gründe dafür, dass die Verfahren so eine lange Dauer annehmen, dürfte sein, dass der Gesetzgeber es mit der Rechtsstellung der am Verfahren Beteiligten im KapMuG „zu gut gemeint hat“.7 Durch die Möglichkeit der Beigeladenen im KapMuG, nach § 14 Satz 2 KapMuG „alle Prozesshandlungen wirksam vorzunehmen, soweit ihre Erklärungen und Handlungen mit Erklärungen und Handlungen des Musterklägers nicht im Widerspruch stehen“ wird allen Beigeladenen im Musterverfahren selbst eine sehr starke Stellung eingeräumt. Bei einer großen Anzahl von Teilnehmern am Musterverfahren besteht damit also die Möglichkeit einer großen Anzahl von Prozesshandlungen, die vorgenommen werden können, auf die reagiert werden kann, die bearbeitet werden müssen und bei denen der Grundsatz des rechtlichen Gehörs und auf ein faires Verfahren Beachtung finden muss. Dieser sicherlich noble Gedanke des Gesetzgebers, die Rechtsposition der Beigeladenen im Musterverfahren sehr stark auszugestalten, führt zwangsläufig zu Längen.8 b) Ausgestaltung des Rechtsmittels Ein weiteres Problem ist die Ausgestaltung des Rechtsmittels. Da der Vorlagebeschluss nach § 6 KapMuG immer an das Oberlandesgericht geht, ist die Rechtsbeschwerde nach § 20 KapMuG immer an den Bundesgerichtshof zu richten. Die Verfahren vor dem Bundesgerichtshof allerdings sind langwierig. Durch die Ansiedlung der Überprüfungsinstanz des Musterentscheids bereits auf der höchsten Ebene der Jurisdiktion ist die Dauer der Rechtsmittelinstanz entsprechend. Die Evaluation des KapMuG-Ver5 Vgl. Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz  – Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Musterfeststellungsklage. 6 Vgl. BT-Drucks. 17/8799, S. 14. 7 Vgl. Halfmeier/Rott/Feess, Evaluation des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes, Abschlussbericht, S. 34. 8 Der Gesetzgeber nennt diese Situation wohl „faktische Schwierigkeiten eines Massenverfahrens“, vgl. BT-Drucks. 17/8799, S. 14.

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fahrens führt daher aus: „Auch im Bereich des KapMuG haben sich erhebliche Verfahrensverzögerungen daraus ergeben, dass zahlreiche Rechtsfragen erst im Wege von sofortiger Beschwerde und Rechtsbeschwerde letztlich vom Bundesgerichtshof geklärt wurden.“9 4. Länge nutzt niemandem Auch wenn es über diese beiden hinaus noch andere – verfahrenspraktische – Punkte sind, die dazu führen, dass KapMuG-Verfahren unter extremen Längen leiden, so gilt im Ergebnis, dass viele Verfahren letztlich für keinen der Beteiligten Vorteile bieten. Die beteiligten Anleger stehen lange mit der Frage im Ungewissen, ob ihnen nun ein Ersatz zusteht. Die beteiligten Unternehmen müssen die Frage von Ersatzleistungen als Bilanzbelastung für ihre Bilanz über eine lange Zeit mit sich weitertragen. 5. Bedarf nach grundsätzlichen Alternativen Anknüpfend an diese beiden Punkte – aber auch darüber hinaus – besteht nun die Möglichkeit, in anderen Rechtsgebieten nach grundsätzlichen Alternativen zu suchen, wie die Situation des KapMuG-Verfahrens anders geregelt werden kann.

III. § 93a VwGO Das Verwaltungsrecht kennt die Regelung des § 93a VwGO. Dort ist das verwaltungsrechtliche Musterverfahren geregelt. § 93a Abs. 1 Satz 1 VwGO nimmt eine Legaldefinition vor. Dort heißt es: „Ist die Rechtmäßigkeit einer behördlichen Ausnahme Gegenstand von mehr als 20 Verfahren, kann das Gericht eines oder mehrere geeignete Verfahren vorab durchführen (Musterverfahren) und die übrigen Verfahren aussetzen.“ 1. Fremdheit der Regelung für das Zivilprozessrecht Diese Regelung ist dem Gesetzgeber im Zivilrecht fremd. Was das Verwaltungsrecht über diese eine Norm regelt, ist im Zivilrecht allgemein überhaupt nicht möglich. Nur im Kapitalanlagerecht als Ausnahmefall gibt es zur Regelung der Musterklage-Situation des § 93a VwGO das KapMuG-Verfahren. Was das Verwaltungsrecht also in einer Norm regelt, dafür braucht das Kapitalmarktrecht ein ganzes Gesetz.

9 Vgl. Halfmeier/Rott/Feess, Evaluation des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes, Abschlussbericht, S. 13.

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Nach dem KapMuG die Sintflut?

2. Kaum praktische Relevanz Eine große praktische Relevanz kommt der Vorschrift des § 93a VwGO nicht zu.10 Sinn und Zweck ist es, das Angreifen von Verwaltungsmaßnahmen, die viele Betroffene zum Ziel haben, auf möglichst unkomplizierte Weise gerichtlich angreifen zu können. 3. Unterschiede zum KapMuG a) Auswahl mehrerer Musterkläger möglich Der erste Unterschied zum KapMuG zeigt sich bereits darin, dass bei § 93a VwGO das Gericht nicht einen Musterkläger auswählen muss, sondern einen oder mehrere geeignete Verfahren vorab durchführen kann, § 93a Abs. 1 Satz 1 VwGO. Dies eröffnet eine Möglichkeit, die wenig praxistauglichen Auswahlkriterien, die das KapMuG an die Wahl des Musterklägers stellt, flexibler handhaben zu können.11 b) Rolle der „weiteren“ Verfahren Der weitere wesentliche Unterschied besteht darin, dass die weiteren ausgesetzten Verfahren (§ 93a Abs. 1 Satz 1 VwGO) am Ende nicht Beigeladene im Musterverfahren werden. Die Beteiligten der ausgesetzten Verfahren sind vorher zu hören (§ 93a Abs. 1 Satz 2 VwGO). Der Beschluss ist aber unanfechtbar (§ 93a Abs. 1 Satz 3 VwGO). In Großverfahren hat das Bundesverfassungsgericht dieses Vorgehen als grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig angesehen.12 Nach Durchführung und Entscheidung in dem Musterverfahren kann das Gericht in den ausgesetzten Verfahren einfach durch Beschluss entscheiden, wenn rechtlicher und tatsächlicher Art kein wesentlicher Unterschied besteht (§  93a Abs.  2 Satz  1 VwGO). Die Beweisführung in diesen ausgesetzten, dem Musterverfahren nachgelagerten Verfahren ist extrem eingeschränkt. So kann das Gericht in einem Musterverfahren erhobene Beweise in den ausgesetzten Verfahren einführen, § 93a Abs. 2 Satz 2 1. HS VwGO. Beweisanträge zu Tatsachen aus dem Musterverfahren kann das Gericht einfacher ablehnen (§ 93a Abs. 2 Satz 3 VwGO). Ausreichend ist, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts es nicht zum Nachweis neuer entscheidungserheblicher Tatsachen beiträgt und die Erledigung des Rechtsstreits verzögert würde. Es ist auch keine eigene Entscheidung nötig, sondern im Beschluss, der den Rechtsstreit insgesamt entscheidet, kann auch die Beweisentscheidung getroffen werden (§ 93a Abs. 2 Satz 4 VwGO). 10 Domgörgen/Wegner in Brandt/Domgörgen (Hrsg.), Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, S. 576, Rz. 119 m.w.N. 11 Vgl. Halfmeier/Rott/Feess, Evaluation des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes, Abschlussbericht, S. 95. 12 BVerfG, Dreierausschussbeschluss v. 27.3.1980 – 2 BvR 316/80, BVerfGE 54, 39-42.

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Rechtsmittel der Beteiligten in ausgesetzten Verfahren ist das gleiche Rechtsmittel wie gegen das Urteil I. Instanz (§ 93a Abs. 1 Satz 5 VwGO). 4. § 93a VwGO statt KapMuG? Wie könnte nun eine Regelung aussehen, die auf dem Gedanken von § 93a VwGO anstelle des Kapitalanlegermusterverfahrens aufbaut? Zunächst wäre eine dem § 93a VwGO vergleichbare Regelung in die ZPO einzuführen, um Verfahren einfacher aussetzen zu können. Diese Regelung hätte durchaus das Potential, die zuvor angesprochenen Kritikpunkte am KapMuG-Verfahren zu beheben. Dadurch, dass kein neues Verfahren, wie das KapMuG-Verfahren, durchzuführen ist, sondern es beim ganz „normalen“ Prozess bleibt, wäre eine schnellere Verfahrensdauer zumindest in der I. Instanz wohl die Folge. Die schnelle Entscheidung in den ausgesetzten Verfahren durch Beschluss würde wohl dazu führen, dass, auch wenn keine Entscheidung im zentralisierten Verfahren wie beim KapMuG stattfindet, es trotzdem für alle Betroffenen zu einer schnelleren Entscheidung kommen würde. Freilich bräuchte es eine Regelung, die die Bindungswirkung der Entscheidungen in den Musterverfahren anordnet. Diese ist bei § 93a VwGO umstritten.13 Das Hauptproblem für eine Anwendung des § 93a VwGO auf die Situation, in der momentan das KapMuG existiert, ist, dass bei der Regelung des § 93a VwGO eine Norm wie §  10 Abs.  2 KapMuG fehlt. Da es keine der Anspruchsanmeldung vergleichbare Teilnahme am Verfahren gibt, bleiben die gegebenenfalls erzielten Er­ folge  der Musterverfahren der breiten Masse der Betroffenen vorenthalten, sofern diese nicht die mit entsprechenden Kosten verbundene Einreichung einer Klage scheuen. Hier tritt ein Unterschied zwischen Verwaltungs- und Zivilverfahren zutage. Da die Betroffenheit im Zivilverfahren stärker als im Verwaltungsverfahren von individuellen Komponenten abhängt, sind auch die finanziellen Voraussetzungen für verschiedene Beteiligte sehr unterschiedlich. Gerade im Bereich niedrigerer Streitwerte, wo die Prozesskosten durchaus 100  % im Verhältnis zur eingeklagten Forderung übersteigen können, erscheint eine Einreichung einer Klage, nur aus dem Grund, um von dem Ergebnis eines Musterverfahrens zu profitieren, unattraktiv. Zwischenfazit: Verfahrenstechnisch wäre eine Regelung vergleichbar mit §  93a VwGO in der ZPO sehr attraktiv. Sie würde viele Probleme des Musterverfahrens nach dem KapMuG aus der Welt schaffen. Dadurch, dass § 93a VwGO allerdings die Regelung für die Öffnung des Musterentscheids bzw. von dessen Auswirkungen auf

13 Domgörgen/Wegner in Brandt/Domgörgen (Hrsg.), Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, S. 576, Rz. 123 m.w.N.

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die Masse der Anleger nicht kennt, dürfte eine einfache Übernahme der Vorschrift zur Ablösung des KapMuG ausscheiden. Modifikationen wären zwingend.

IV. Das Spruchverfahren – Freiwillige Gerichtsbarkeit in der ­KapMuG-  Situation? Im Spruchgesetz hat der Gesetzgeber eine Verfahrensnorm geschaffen, in der er ebenfalls, wie im KapMuG, Massesituationen begegnet. 1. Sinn des Spruchverfahrens In Verfahren, die nach dem Spruchgesetz durchgeführt werden, geht es darum, die finanzielle Entschädigung von Gesellschaftern zu überprüfen, die von einer Spezial­ situation in Unternehmen betroffen sind. Der Squeeze-Out nach Umwandlungs- oder Aktiengesetz oder Gewinn- und Abfindungsverträge sind solche Maßnahmen. Oberstes Ziel des Spruchgesetzes ist es nach dem Willen des Gesetzgebers dabei, die Wirksamkeit der Maßnahme und die Überprüfung der Höhe der Abfindung voneinander zu trennen.14 Das Interesse des Unternehmens, eine beschlossene Maßnahme durchführen zu können, soll nicht vom geschützten Interesse der Minderheitsgesellschafter beeinträchtigt werden, die Höhe der Abfindung rechtlich überprüfen lassen zu können. 2. Für das Musterverfahren interessante Elemente Was Elemente des Spruchgesetzes auch für die Situation, in der das Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz Lösungen anbieten will, interessant macht, sind zum einen dessen Niedrigschwelligkeit in der Verfahrensteilnahme und zum anderen dessen Flexibilität. Im Spruchgesetz herrscht kein Anwaltszwang. Beteiligen kann sich jeder Aktionär. Nach § 13 SpruchG wirkt die rechtskräftige Entscheidung „für und gegen alle, einschließlich derjenigen Anteilsinhaber, die bereits gegen die ursprünglich angebotene Barabfindung oder sonstige Abfindung aus dem betroffenen Rechtsträger ausgeschieden sind“. Es ist also keine ausdrückliche Beteiligung am Spruchverfahren notwendig, um von den Ergebnissen profitieren zu können. Dadurch, dass das Spruchverfahren, was die prozessualen Abläufe angeht, in das FamFG (§ 17 Abs. 1 SpruchG) verortet wurde, hat das Gericht zum einen die Möglichkeit des eingeschränkten Amtsermittlungsgrundsatzes und zum anderen eine wesentlich höhere Flexibilität, was die Handhabung des Verfahrensablaufes angeht. 14 BT-Drucks. 15/371, S. 1.

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3. Unterschiede Ein wesentlicher Unterschied in der Verfahrenssituation zwischen dem KapMuG und dem Verfahren nach dem Spruchgesetz ist jedoch, dass es im Spruchgesetz regelmäßig „nur“ um die Überprüfung von bewertungstechnischen und -rechtlichen Fragestellungen geht. Rechtsfragen sind nur sehr selten der Gegenstand solcher Verfahren. Wo das Spruchgesetz also niedrigere Schwellen zur Teilnahme und gute Möglich­ keiten für das Gericht zur Verfahrensführung schafft, und insoweit durchaus Möglichkeiten für das KapMuG bietet, sich hier „etwas abzuschauen“, so ist es doch die unterschiedliche Ausgangssituation, die eine komplette Überführung der KapMuG-­ Situation in das Spruchgesetz wohl ausschließen dürfte.

V. Die Musterfeststellungsklage: Ein würdiger Nachfolger? Hals über Kopf hat der Gesetzgeber zum 1.11.2018 die neue Musterfeststellungsklage eingeführt. Erstmals gibt es damit im Zivilprozessrecht eine direkte in der ZPO an­ gelegte Verfahrensweise, mit Massensituationen umzugehen. Das Verhältnis zum KapMuG hat der Gesetzgeber bewusst offengelassen. Er will es Rechtsprechungen und Lehre überlassen, hier Orientierung zu geben.15 Der Gesetzgeber hat für die Musterfeststellungsklage deutliche Anleihen beim KapMuG genommen. Zu nennen ist etwa die Möglichkeit der niedrigschwellenden verjährungshemmenden Teilnahme durch eine einfache Registrierung, die an die Anspruchsanmeldung des KapMuG angelehnt ist.16 Grundsätzlich wäre wohl auch die Musterfeststellungsklage als Vehikel geeignet, Verfahren, die momentan im KapMuG abgewickelt werden, durchzuführen. Die Feststellung von Prospektfehlern, des Vorliegens und pflichtwidrigen Handhabens von Unternehmensmitteilungen sowie die Bestimmung eines Schadens etwa in Form eines Kursdifferenzschadens könnte auch vorgenommen werden, wenn wie in der Musterfeststellungsklage, ein Verband die Feststellung begehrt. Jedoch gibt es im Unterschied zu „normalen“ Verbraucherstreitigkeiten bei Kapitalmarkt-Verfahren einen erheblichen Unterschied, der die Musterfeststellungsklage in der gegenwärtigen Konzeption leider für Situationen, in denen heute das KapMuG genutzt wird, gänzlich untauglich macht. 15 Dies ist das Resultat eines Telefonats der Verfasserin dieses Beitrags mit dem für die Erarbeitung der Musterfeststellungsklage zuständigen Referat des Bundesministeriums der Justiz. 16 Auch beim Streitgegenstandsbegriff findet nach dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung eine Anlehnung an das KapMuG statt; siehe Gesetzesentwurf der Bundesregierung – Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage, dort. S. 22.

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Die Beteiligung der „Verbraucher“ an den Produkten des Kapitalmarkts läuft vielfach nicht über eine direkte Investition der Verbraucher. Vielmehr benutzen die Verbraucher Investitionswege wie Fonds oder ETFs, um ihre Aktivitäten am Kapitalmarkt auszuüben. Diese sind wegen des strengen Zuschnitts der Musterfeststellungsklage auf Verbraucher und diese vertretenden Verbände jedoch von Rechtschutz abgeschnitten. Gerade die Beteiligung dieser Spieler am KapMuG-Verfahren ist es jedoch, die das KapMuG zu einem scharfen Schwert für die Anleger macht. Durch die Beteiligung der institutionellen Investoren haben die Gesellschaften, die sich einem KapMuG-Verfahren stellen müssen, hohe Schadensersatzansprüche zu befürchten, wenn festgestellt wird, dass sie sich pflichtwidrig verhalten haben. Gerade dieses Damoklesschwert ist es, dass auf Kapitalmarktunternehmen disziplinierende Wirkung hat. Ein schlichtes Austauschen der Regelung des KapMuG-Verfahrens nach dessen Wegfall durch die Musterfeststellungsklage ist nicht praktikabel und verkürzt den Rechtschutz der Verbraucher, die nicht selbst, sondern über institutionelle Investoren am Kapitalmarkt auftreten.

VI. Vermittelnde Lösung Die Lösung könnte, wie so oft, in der Mitte liegen. Die Neuordnung der Situation, in der das KapMuG-Verfahren momentan besteht, könnte den Einstieg des deutschen Gesetzgebers in eine ganz neue Art des Verfahrensablaufes eröffnen. 1. Übernahme von § 93a VwGO in die ZPO Der Gesetzgeber sollte durch die Einführung einer dem § 93a VwGO ähnlichen Norm in die ZPO den Gerichten die Möglichkeit geben, derartige Verfahren wesentlich schneller und effizienter  – als bislang möglich  – zu behandeln. Bei Vorliegen von 50 gleich gelagerten Verfahren soll das betreffende Gericht das Musterverfahren eröffnen können. Dieses Musterverfahren wird im Bundesanzeiger bekannt gemacht. 2. Gerichtszuständigkeit Zuständiges Gericht für derartige Klagen sollte örtlich das Gericht am Ort des schädigenden Unternehmens sein. Funktionell macht es Sinn, streitwertunabhängig alle Verfahren beim Landgericht anzusiedeln. 3. Musterverfahren bei 50 Klagen Sobald 50 Klagen vorliegen, kann das Gericht dann auf Basis der neuen Regel aus einer oder mehreren die Musterklage(n) auswählen. Die Regelung sollte ausreichend flexibel sein, um durch die Verbindung von Verfahren dem Gericht die Möglichkeit zu geben, durch eine entsprechende Auswahl einen Sachverhalt zum Gegenstand des 21

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Verfahrens zu machen, anhand dessen es umfänglich entscheiden kann. Diejenigen der mindestens 50 Verfahren, die nicht berücksichtigt werden, werden ausgesetzt. 4. Beweisaufnahme und Entscheidung Im Musterverfahren findet die entscheidende Beweisaufnahme statt. Sach- und Rechtsfragen werden hier entschieden. Die Entscheidung wird sowohl im Bundesanzeiger als auch in den Gesellschaftsblättern veröffentlicht. 5. Neue Art der verjährungshemmenden Anspruchsanmeldung Die Veröffentlichung der Entscheidung setzt eine dreimonatige Frist in Gang, wie sie das Spruchgesetz in § 4 kennt. Innerhalb dieser Frist können sich alle Inhaber von Ansprüchen, denen ein gleicher Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie dem Musterverfahren (vgl. insoweit die bisherige Regelung § 204 Abs. 1 Nr. 6a BGB) zur Teilnahme an der Entscheidung anmelden. Wenn eine Prüfung ihrer Anmeldung ergibt, dass der Lebenssachverhalt der Gleiche ist, dann wird die Wirkung der Entscheidung im Musterverfahren auf ihren Anspruch ausgeweitet. Wenn diese Anmeldung innerhalb der vorgegebenen Frist erfolgt, dann gelten die angemeldeten Ansprüche als in der Verjährung gehemmt rückwirkend zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Musterverfahrens im Bundesanzeiger. 6. Kosten Was die Kosten des Verfahrens angeht, so trägt das schädigende Unternehmen in jedem Fall die Kosten der Beweisaufnahme. Obsiegen die Musterkläger, so trägt das Unternehmen auch ihre Kosten. Unterliegen die Musterkläger, so tragen sie ihre eigenen Kosten selbst. Eine Kostentragung der Beweisaufnahme und der Kosten des schädigenden Unternehmens durch die Musterkläger ist ausgeschlossen. Eine Ausnahme sollte, wie im Spruchverfahren, gelten, wenn die Inanspruchnahme von vornherein aussichtslos oder grob widersinnig ist. 7. Anwaltszwang bei der Anmeldung Die Anmeldung zur Teilnahme an den Rechtswirkungen der Entscheidung sollte wie im KapMuG-Verfahren mit einem Anwaltszwang ausgestattet sein. Das Gericht muss jede Anspruchsanmeldung noch daraufhin überprüfen, ob der gleiche Lebenssachverhalt zugrunde liegt. Es macht also Sinn, durch die Verankerung eines Anwaltszwanges die Qualität der Anmeldungen zu erhöhen.

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VII. Resümee Die vorgeschlagene Lösung versucht das Beste aus den beiden Welten des Musterverfahrens nach der VwGO und dem Spruchverfahren zu kombinieren. Aus der VwGO werden die niedrigschwellige Verfahrensaussetzung und die effiziente Art der Gestaltung der Musterverfahren übernommen. Dem Spruchverfahren entliehen werden die unkomplizierte Möglichkeit der Teilnahme an einer Entscheidung in der Musterverfahrenssituation, sowie die Ausgestaltung der Kosten. Diese Regelung könnte es erreichen, Musterverfahren zu beschleunigen und für einen breiten Teilnehmerkreis unbürokratisch zu öffnen.

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Jochen Bühling

Zwei sich im Unendlichen schneidende Parallelen? – Gedanken zu Artikel 83 EPGÜ – Inhaltsübersicht I. Vorbemerkung II. Gerichtsbarkeit nach dem EPGÜ III. Parallele Gerichtsbarkeiten 1. Wahlmöglichkeiten nach Art. 83 EPGÜ 2. Begrenzung des Wahlrechts durch die EuGVVO 3. Anspruchsidentität 4. Folgerungen für die Prozessstrategie

a) Verletzungsklage vor dem EPG b) Verletzungsklage vor nationalen ­Gerichten c) Nichtigkeitsklage d) Negative Feststellungsklage 5. Gewollte Flexibilität 6. Bedeutung der „Torpedoklage“ 7. Anwendbares materielles Recht IV. Fazit und Ausblick

I. Vorbemerkung Nach mehr als 40 Jahren umfangreicher Vorarbeiten und vielfältiger Lösungsansätze soll (wird) das Projekt eines einheitlichen europäischen Patents und damit verbunden auch des europäischen Einheitlichen Patentgerichts (EPG) nach zähem Ringen Wirklichkeit werden. Ihrer Natur nach sind Patente – wie allgemein gewerbliche Schutzrechte – territorial auf das Staatsgebiet des jeweiligen Landes beschränkte Rechte. Auch da, wo supranationale Schutzrechte geschaffen wurden, wie etwa durch die Unions­ marke oder das Gemeinschaftsgeschmacksmuster in der Europäischen Union, bleibt es bei der territorialen Beschränkung. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass dem Schutzrecht ein anderes Territorium zugrunde liegt, nämlich das Gebiet der gesamten Europäischen Union. Im Patentrecht ist man bislang bei nationalen Rechten stehen geblieben. Auch das 1977 in Kraft getretene Europäische Patentübereinkommen (EPÜ) hat daran mit der Schaffung des so genannten europäischen Patents nichts geändert. Ein europäisches Patent, das nach seiner zentralen Anmeldung beim Europäischen Patentamt und seiner Erteilung in unterschiedlichen Mitgliedsstaaten des Übereinkommens validiert wird, führt nicht zu einem einheitlichen Rechtstitel in diesen Ländern. Vielmehr handelt es sich um ein „Bündelpatent“, vergleichbar einem Blumengebinde, bei dem die einzelnen Blumen jeweils ein nationales Patent repräsentieren. Nach der Erteilung werden die jeweiligen nationalen Anteile des europäischen Patents in den einzelnen Mitgliedsstaaten wie nationale Rechte in den betreffenden Staaten behandelt (Art. 64 EPÜ). Sie gewähren dieselben Rechte wie ein nationales Patent.

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Das bedeutet zugleich, dass auch die Durchsetzung der Rechte aus einem europä­ ischen Patent für jeden nationalen Anteil gesondert erfolgen muss. Dabei wenden die zuständigen nationalen Gerichte das jeweilige nationale Recht an. Das EPÜ enthält dafür mit Ausnahme der Schutzbereichsbestimmung in Art. 69 EPÜ kaum weitere Regelungen. Für die Bundesrepublik Deutschland gilt somit das deutsche Patentgesetz auch für deutsche Anteile von europäischen Patenten. Dafür sind die deutschen Gerichte zuständig. Dieselbe Situation besteht in allen anderen Mitgliedsstaaten des EPÜ für die jewei­ ligen dortigen nationalen Anteile. Welche Gerichte in einem konkreten Fall (Verletzungsverfahren, Nichtigkeitsverfahren oder sonstige Rechtsstreitigkeiten über europäische Patente) international zuständig sind, bestimmt sich vorrangig nach der EuGVVO und ergänzend nach nationalem Recht. Über den Mechanismus der so genannten Verstärkten Zusammenarbeit ist es gelungen, im Dezember 2012 ein Paket zu verabschieden, das aus drei Bausteinen besteht. Diese Bausteine umfassen einerseits zwei EU-Verordnungen zur Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes und die dabei anzuwendenden Übersetzungsregelungen1 und andererseits die Unterzeichnung eines internationalen Abkommens über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ).2 Aufgrund der Verstärkten Zusammenarbeit gelten die EU-Verordnungen nur in den so genannten „teilnehmenden Mitgliedsstaaten“. Ausgenommen davon waren ursprünglich Italien und Spanien. Italien hat sich dann im weiteren Verlauf doch zur Teilnahme entschlossen. Kroatien ist erst später Mitglied der EU geworden und nimmt einstweilen ebenfalls nicht am einheitlichen Patentsystem teil. Voraussetzung für das Inkrafttreten dieser Verordnungen ist das gleichzeitige Inkrafttreten des EPGÜ. Unterzeichnerstaaten dieses völkerrechtlichen Vertrages außerhalb des EU-Rechts sind 25 EU-Mitgliedsländer unter Einschluss von Italien, aber ohne Kroatien, Spanien und Polen. Anders als die EU-Verordnungen setzt das EPGÜ die Ratifizierung durch mindestens 13 Unterzeichnerstaaten voraus, zu denen zwingend Frankreich, Großbritannien und die Bundesrepublik Deutschland gehören müssen. Nachdem Frankreich schon am 14. März 2014 ratifiziert hatte, ist das Abkommen ungeachtet des noch immer bevorstehenden Brexit auch von Großbritannien – vermutlich eher unter dem Radar der Brexiteers – am 26. April 2018 ratifiziert worden. Eine Überraschung dazu hat indes Deutschland bereitet. Die Bundesrepublik Deutschland hat zwar ratifiziert. Dennoch ist aufgrund einer beim Bundesverfassungsgericht gegenwärtig anhängigen Verfassungsbeschwerde3 die weitere Umsetzung gestoppt worden. Nach Verabschiedung der entsprechenden Gesetze in Bundestag und Bundesrat hat das Bundesverfassungs1 Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.12.2012 über die Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes und Verordnung (EU) Nr. 1260/2012 des Rates v. 17.12.2012 über die Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes im Hinblick auf die anzuwendenden Übersetzungsregelungen. 2 Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht v. 19.2.2013. 3 BVerfG – 2 BvR 739/17, laufend.

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gericht den Bundespräsidenten gebeten, vorerst von einer Ausfertigung der Gesetze abzusehen. Das Bundesverfassungsgericht wird möglicherweise im Laufe des Jahres 2019 über die Verfassungsbeschwerde entscheiden. Erst im Anschluss daran wird feststehen, wann das einheitliche europäische Patentsystem endgültig in die Praxis umgesetzt werden kann, sofern nicht der Brexit zuvor das gesamte Projekt wieder zu Fall bringt.

II. Gerichtsbarkeit nach dem EPGÜ Schon die Entstehungsgeschichte des EPGÜ zeigt, dass die beteiligten Vertragsstaaten erheblich um Kompromisse gerungen haben. Dies betrifft gleichermaßen die eigentlichen Regelungen des EPGÜ wie auch die dazu ergangenen Verfahrensregeln.4 Nur auf diese Weise war es überhaupt möglich, auch im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit das europäische Patent mit einheitlicher Wirkung und das EPGÜ zum Abschluss zu bringen. Mit dem EPGÜ ist erstmals eine völlig eigenständige europäische Gerichtsbarkeit geschaffen worden, die neben nationalen Gerichten steht. Durch das EPGÜ wird ein Einheitliches Patentgericht für die Regelung von Streitigkeiten über europäische Patente und europäische Patente mit einheitlicher Wirkung errichtet, das aus einem Gericht erster Instanz und einem Berufungsgericht besteht (Art. 1, 6 EPGÜ). Ein derartiges Gericht hat es in der Geschichte der Europäischen Union bzw. der ­vorangegangenen europäischen Gemeinschaften bislang nicht gegeben. Der seit langem etablierte Gerichtshof der Europäischen Union unterscheidet sich davon ebenso wie die Gerichte, die für Streitigkeiten über Unionsmarken und Gemeinschaftsgeschmacksmuster zuständig sind. Der Gerichtshof (gemeinsam mit dem Gericht der Europäischen Union in I. Instanz) fungiert im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes in erster Linie als Kontrollinstanz für Entscheidungen des EUIPO und sorgt für die Einheitlichkeit der Auslegung des europäischen Rechts. Die Unionsmarkengerichte und die Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichte sind ihrer Struktur nach nationale Gerichte, die im Hinblick auf Unionsmarken und Gemeinschaftsgeschmacksmuster ihre Rolle ausfüllen. Der Richter wechselt gleichsam seinen Hut, wenn er in dieser Zuständigkeit tätig wird. Materiell-rechtlich hat er dabei die UMV und die GGV anzuwenden. Verfahrensrechtlich bleibt er indes im Wesentlichen dem jeweiligen nationalen Recht verhaftet. So ist beispielsweise der Instanzenzug national aufgebaut. Es gibt keine gemeinsame Berufungsinstanz oder Revisionsinstanz (oder Appellationsgerichtshof), in der die verschiedenen nationalen Fälle zusammenkommen. Die UMV und die GGV enthalten lediglich bestimmte Regeln im Hinblick auf die Zuständigkeit der Gerichte.

4 18th Draft of Rules of Procedure of 19 October 2015, unter: https://www.unified-patent-­ court.org/sites/default/files/upc_rules_of_procedure_18th_draft_15_march_2017_final_ clear.pdf (abgerufen am 16.4.2019).

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Davon unterscheidet sich das EPG fundamental. Es steht selbstständig neben den nationalen Gerichten als völlig eigenständige Gerichtsbarkeit mit eigener Gerichtsorganisation. Das EPG ist gemäß Art.  32 EPGÜ ausschließlich für die dort benannten Klagen zuständig, die europäische Patente und/oder europäische Patente mit einheitlicher Wirkung sowie diesbezüglich erteilte ergänzende Schutzzertifikate betreffen. Dies umfasst in erster Linie Verletzungsklagen, Klagen auf Feststellung der Nichtverletzung, einstweilige Verfügungsverfahren und Nichtigkeitsklagen. Die Aufzählung in Art.  32 Abs.  1 EPGÜ ist abschließend. Sonstige Klagen fallen nicht in die ausschließliche Zuständigkeit des EPG, auch wenn sie europäische Patente oder ergänzende Schutzzertifikate betreffen. Dafür bleiben weiterhin die nationalen Gerichte der Vertragsmitgliedsstaaten zuständig (Art. 32 Abs. 2 EPGÜ). Wie schon angedeutet ist das EPGÜ das Ergebnis zäher Verhandlungen. Ausdruck dieses Kompromisses ist unter anderem die großzügige Übergangsregelung in Art. 83 EPGÜ. Sie erlaubt für eine Übergangszeit von 7  Jahren eine Ausnahme von dem Grundsatz der ausschließlichen Zuständigkeit des EPG. Dafür stehen dem Kläger zwei Möglichkeiten zur Verfügung. Gemäß Art.  83 Abs.  1 EPGÜ können Verletzungsklagen und Nichtigkeitsklagen betreffend ein europäisches Patent und ein ergänzendes Schutzzertifikat weiterhin bei nationalen Gerichten oder anderen zuständigen nationalen Behörden erhoben werden. Damit ist es dem Kläger zunächst einmal freigestellt, eine derartige Klage wahlweise beim EPG oder bei den nationalen Gerichten zu erheben. Dieses Wahlrecht ist nicht an besondere Voraussetzungen gebunden. Vielmehr hat der Kläger in jedem Einzelfall die Möglichkeit, dieses Wahlrecht auszuüben. Alternativ dazu bietet Art. 83 Abs. 3 EPGÜ die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen vollständig von der Zuständigkeit des EPG abzusehen (so genannte „Optout-Lösung“). Solange noch keine Klage vor dem EPG erhoben worden ist, kann ein Patentinhaber durch einseitige Erklärung die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts ausschließen. Diese Regelung ist so zu verstehen, dass sie die Zuständigkeit schlechthin meint und nicht etwa nur die Ausschließlichkeit durch eine alternative Zuständigkeit ersetzt.5 Wenn der Patentinhaber diese Option wählt, bleibt es bei der alleinigen Zuständigkeit der nationalen Gerichte für alle Klagen. Ein zusätzliches Wahlrecht zwischen dem nationalen Recht und dem EPG besteht dann anders als bei Art. 83 Abs. 1 EPGÜ nicht mehr. Allerdings kann der Patentinhaber von dieser Op­tion wieder zurücktreten, sofern noch keine Klage vor einem nationalen Gericht erhoben worden ist (Art. 83 Abs. 4 EPGÜ). Die Regelung in Art. 83 Abs. 1 EPGÜ führt zu einer Parallelität von Verfahren in dem Sinne, dass über dasselbe Patent möglicherweise sogar wegen desselben tatsächlichen Hintergrundes Verfahren gleichzeitig oder nacheinander beim EPG und bei einem nationalen Gericht geführt werden können. Diese Parallelität gibt Anlass zu einer Reihe von Überlegungen, die nachstehend erörtert werden. Am Ende stellt sich die Frage, ob sich möglichweise doch die Parallelität im Rahmen einer Konvergenz zu5 Pinckney, E. I. P. R., 2015, 37 (5), S. 268-277.

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sammenführen lässt oder tatsächlich beide Systeme vollständig getrennt nebeneinander verlaufen.

III. Parallele Gerichtsbarkeiten Die Parallelität der Gerichtsbarkeiten wird zunächst einmal für eine Übergangszeit von 7 Jahren bestehen. Diese Übergangszeit kann je nach den Erfahrungen der ersten Periode um bis zu weitere 7 Jahre verlängert werden (Art. 83 Abs. 5 EPGÜ). 1. Wahlmöglichkeiten nach Art. 83 EPGÜ Gemäß Art. 83 Abs. 1 EPGÜ können während der Übergangszeit Klagen wegen Verletzung und Nichtigkeitsklagen wegen eines europäischen Patents wahlweise beim EPG oder dem nationalen Gericht erhoben werden. Weitere Bedingungen dafür bestehen nicht. Insbesondere gibt es auch keine Vorschrift, aus der sich eine Bindung für das einmal gewählte Verfahren ergeben würde. Mit anderen Worten kann ein Patent­ inhaber einen Verletzer A vor dem EPG und einen Verletzer B, der dasselbe Patent verletzt, vor dem nationalen Gericht in Anspruch nehmen. Aus der Wahl der einen oder anderen Option ergibt sich keine Bindung für zukünftige weitere Verfahren. Anders als bei der Optionsausübung nach Art. 83 Abs. 3 EPGÜ kann der Patentinhaber während der Übergangszeit beliebig die Wahlmöglichkeiten nach Art.  81 Abs.  1 EPGÜ in Anspruch nehmen. Ebenso besteht für dritte Parteien eine ähnliche Wahlmöglichkeit für Klagen auf Nichtigerklärung eines europäischen Patents. Die sich daraus ergebenden Szenarien sind vielfältig.6 Betrachtet man zunächst einmal nur isolierte Klagen, so kann beispielsweise der Patentinhaber P eine Verletzungsklage gegen den Verletzer A erheben und der Verletzer A unabhängig davon (zeitgleich oder auch zuvor oder nach Erhebung der Verletzungsklage) eine Nichtigkeitsklage. Denkbar ist auch, dass die Nichtigkeitsklage von einem (potentiellen) Verletzer B erhoben wird, ohne dass gegen ihn eine Verletzungsklage anhängig ist. Ebenso können je nach der einschlägigen Rechtsprechung Klagen auf Nichtigerklärung des Patents auch zur Verteidigung in einem Verletzungsverfahren als Widerklage erhoben werden. Schließlich gehören in diesen Zusammenhang auch negative Feststellungsklagen, die auf die Feststellung der Nichtverletzung gerichtet sind. Infolge des Wahlrechts aus Art. 83 Abs. 1 EPGÜ ergibt sich eine ungleich höhere Zahl von möglichen Kombinationen. Denn zu betrachten ist nicht nur eine Spur, die zu den nationalen Gerichten führt, sondern ebenso die Parallelspur zum EPG. Auch die Spur zu nationalen Gerichten ist dabei nicht auf ein bestimmtes Land beschränkt. Es ist in der Praxis durchaus nicht unüblich, wenn ein in einem Land in Anspruch genommener Verletzer in einem anderen Land wegen des dortigen nationalen Teils des

6 Vgl. dazu auch Callens/Granata, The Unitary Patent and the Unified Patent Court, 2017, S. 219.

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europäischen Patents entweder eine negative Feststellungsklage oder auch eine Nichtigkeitsklage erhebt. 2. Begrenzung des Wahlrechts durch die EuGVVO Die beispielhaft geschilderten Szenarien erhalten eine Begrenzung durch die Anwendbarkeit der EuGVVO.7 Diese Verordnung enthält in ihren mit dem Patentpaket neu eingeführten Art.  71a bis d EuGVVO ergänzende Regelungen für das EPG. Art. 71c Abs. 2 EuGVVO bestimmt ausdrücklich, dass die in der EuGVVO enthaltenen Regeln zur doppelten Anhängigkeit (lis pendens) der Art.  29 bis 32 EuGVVO (auch) dann Anwendung finden, wenn während des Übergangszeitraums gemäß Art. 83 EPGÜ sowohl das EPG als auch ein nationales Gericht angerufen werden. Doppelte Rechtshängigkeit liegt nach Art. 29 EuGVVO vor, wenn bei Gerichten verschiedener Mitgliedsstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht werden. In diesem Fall hat das später angerufene Gericht zwingend das Verfahren von Amts wegen auszusetzen, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. Art.  30 EuGVVO behandelt die Situation von Verfahren, die miteinander im Zusammenhang stehen und bei Gerichten verschiedener Mitgliedsstaaten anhängig sind. In diesem Fall kann jedes später angerufene Gericht das Verfahren aussetzen. Diese Aussetzungsmöglichkeit ist fakultativ und nicht zwingend. Sie liegt im Ermessen des jeweiligen Gerichts. Die Regeln der EuGVVO in der bereits geänderten Fassung, also unter Berücksichtigung der Änderungen in Bezug auf das EPG, sind im Rahmen des EPGÜ zwingend anzuwenden. Dies ergibt sich aus Art. 31 EPGÜ (der allerdings nur die Zuständigkeit im engeren Sinne betrifft) und Art. 89 EPGÜ und bedeutet, dass nach Art. 71c Abs. 2 EuGVVO die doppelte Anhängigkeit auch im Verhältnis des EPGs zu den nationalen Gerichten in gleicher Weise behandelt wird. Dies führt unweigerlich zur Definition des Streitgegenstandes und der Regelung dazu in den Art. 29 und 30 EuGVVO. Wann handelt es sich um denselben Anspruch? Was sind Verfahren, die im Zusammenhang stehen? 3. Anspruchsidentität Was unter „demselben Anspruch“ im Sinne von Art. 29 Abs. 1 EuGVVO zu verstehen ist, muss autonom bestimmt werden. Ein Rückgriff auf die ZPO und den beispielsweise in Deutschland herrschenden Streitgegenstandsbegriff ist nicht möglich.8 Grundsätzlich ist der Begriff weit auszulegen. Es geht letztlich darum, ob der Kernpunkt beider Rechtsstreitigkeiten derselbe ist. Auch wenn die einzelnen nationalen Anteile eines herkömmlichen europäischen Patents auf dieselbe Anmeldung und denselben 7 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 12.12.2012 („Brussels I Recast“). 8 Geimer in Zöller, ZPO, 32.  Aufl. 2018, Art.  29 EuGVVO Rz.  20; EuGH v. 6.12.1994  – C-406/92, EuZW 1995, 309, 312.

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Erteilungsakt zurückgehen, handelt es sich dennoch nicht mehr um denselben Anspruch.9 Die einzelnen nationalen Anteile unterliegen jeweils ihrer nationalen Rechtsordnung. Sie können durchaus auch unterschiedliche Schicksale im Hinblick auf ihre Rechtsbeständigkeit erfahren. So sind etwa die Möglichkeiten einer Änderung von Ansprüchen nach der Erteilung in den einzelnen Mitgliedsstaaten durchaus unterschiedlich. Dies rechtfertigt es, von selbstständigen Ansprüchen zu sprechen. Folge ist, dass selbst bei Parteienidentität die Durchsetzung von verschiedenen nationalen Anteilen desselben europäischen Patents nicht denselben Anspruch im Sinne von Art. 29 EuGVVO begründet.10 Damit ist der Patentinhaber grundsätzlich frei darin, denselben Beklagten wegen Verletzung mehrerer nationaler Anteile des europäischen Patents in verschiedenen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union parallel in Anspruch zu nehmen. Eine zwingende Aussetzung durch das später angerufene Gericht nach Art. 29 EuGVVO kommt in diesen Fällen nicht in Betracht. Andererseits könnte bei parallelen derartigen Verfahren eine Aussetzung nach Art. 30 Abs. 1 EuGVVO in Erwägung zu ziehen sein. Dafür genügt der Zusammenhang zwischen den Verfahren. Auch dieser Begriff ist autonom europarechtlich auszulegen und wird allgemein weit verstanden.11 Maßgeblich ist nach Art. 30 Abs. 3 EuGVVO, ob zwischen den Verfahren eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten. Verletzungsklagen, die wegen derselben Ausführungsform auf unterschiedliche nationale Teile des europäischen Patents gestützt und jeweils in dem betreffenden Land geltend gemacht werden, können einen derartigen Zusammenhang begründen. In der Praxis wird im Regelfall von dieser Aussetzungsmöglichkeit indes kein Gebrauch gemacht. Insbesondere der zeitlich begrenzte Unterlassungsanspruch, der nach deutschem Recht im Falle einer Verletzung zwingend gegeben ist, steht einer solchen Aussetzung vor dem Hintergrund der Durchsetzungsrichtlinie regelmäßig entgegen. Anderenfalls wäre ein effektiver Rechtsschutz für den Patentinhaber nicht gewährleistet. Dieselbe Beurteilung gilt grundsätzlich auch für das Verhältnis einer Verletzungsklage zu einer negativen Feststellungsklage, sofern wiederum dieselbe Ausführungsform betroffen ist. Eine weitere Konstellation betrifft die Erhebung einer Nichtigkeitsklage gegen das betreffende Klagepatent. In diesem Zusammenhang ergeben sich zusätzliche Besonderheiten der Zuständigkeit. Eine Verletzungsklage kann grundsätzlich am allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten für jeden beliebigen nationalen Teil des europäischen Patents erhoben werden, auch wenn es sich um nationale Teile außerhalb des allgemeinen Gerichtsstands des Beklagten handelt (Art. 4 EuGVVO). Allerdings besteht nach Art.  24 Nr.  4 EuGVVO eine ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte eines jeden Mitgliedsstaats für alle Verfahren, welche die Gültigkeit des betreffenden nationalen Teils des europäischen Patents zum Gegenstand haben. Die Frage, in welchen 9 Grabinski/Zülch in Benkard, Patentgesetz, 11. Aufl. 2015, § 139 PatG Rz. 101e; OLG Düsseldorf v. 30.9.1999 – 2 W 60/98 Mitt. 2000, 419, 421 – Aussetzung. 10 Grabinski in FS Tilmann, 2003, S. 461, 464. 11 Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 40. Aufl. 2019, Art. 30 EuGVVO Rz. 4.

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Fällen diese Regelung bei der Erhebung einer Widerklage oder einer selbstständigen Nichtigkeitsklage dazu führt, dass ein beispielsweise nach Art. 4 EuGVVO angerufenes Gericht auch für den Verletzungsrechtsstreit insoweit nicht mehr zuständig ist, kann an dieser Stelle offen bleiben.12 Maßgeblich wird insoweit sein, wie der Einwand der fehlenden Rechtsbeständigkeit des Klagepatents in den jeweiligen nationalen Rechtsordnungen in das Verfahren eingeführt werden kann. Auch insoweit bleibt für ein später angerufenes Verletzungsgericht zu erwägen, ob es den Verletzungsrechtsstreit mit Rücksicht auf eine zuvor erhobene Nichtigkeitsklage aussetzt. 4. Folgerungen für die Prozessstrategie An diese Regelungen müssen die strategischen Überlegungen anknüpfen, die die jeweiligen Parteien des Rechtsstreits (Patentinhaber; vermeintlicher Verletzer; Dritte) anstellen werden. Dabei sind immer die Reaktionsmöglichkeiten der jeweils anderen Seite mit zu berücksichtigen. a) Verletzungsklage vor dem EPG Sobald sich der Patentinhaber für eine Verletzungsklage vor dem EPG entscheidet, ist der Weg zu den nationalen Gerichten gegen denselben Beklagten wegen derselben Ausführungsform und gestützt auf dasselbe Patent verschlossen. Denn gemäß Art. 34 EPGÜ entfaltet die Entscheidung des EPG Wirkung in allen Vertragsmitgliedsstaaten in denen das europäische Patent validiert worden ist. Dies steht der Erhebung einer nationalen Klage entgegen (Art. 29 EuGVVO). Diese Vorschrift greift indes nicht ein, wenn es sich um unterschiedliche Parteien handelt. Nach deutschem Verständnis liegt Parteiidentität zwar auch dann vor, wenn anstelle des Patentinhabers ein einfacher Lizenznehmer im Wege der Prozessstandschaft für den Patentinhaber auftritt. Das wird man aber nicht mehr bei Beteiligten auf unterschiedlichen Handelsstufen annehmen können. Auch eine Rechtskrafterstreckung ist insoweit ausgeschlossen. Das bedeutet, dass eine Klage beispielsweise gegen den Hersteller eines patentverletzenden Gegenstandes vor dem EPG und gegen einen Abnehmer des Herstellers vor einem nationalen Gericht möglich bleibt. Eine solche Parallelität wird durch das EPGÜ nicht ausgeschlossen. Ebenso ist es denkbar, denselben Beklagten wegen einer Ausführungsform vor dem EPG und wegen einer anderen Ausführungsform parallel vor einem nationalen Gericht in Anspruch zu nehmen. Dabei noch nicht berücksichtigt sind die Fälle, in denen unterschiedliche Lokal- oder Regionalkammern des EPGs angerufen werden. Auch das wäre bei den genannten Konstellationen ohne weiteres möglich.

12 Grabinski in FS „80 Jahre Patentgerichtsbarkeit in Düsseldorf “, 2016, S. 141, 144.

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b) Verletzungsklage vor nationalen Gerichten Für den Patentinhaber ist es ferner möglich, die Verletzungsklage wegen eines oder mehrerer nationaler Teile des europäischen Patents bei einem nationalen Gericht zu erheben. Damit stellt sich die Frage, ob er im Anschluss daran noch eine weitere Verletzungsklage gegen denselben Beklagten wegen desselben Sachverhalts vor dem EPG erheben kann. Denkbar wäre dies beispielsweise als Reaktion auf eine nationale Nichtigkeitswiderklage oder bestimmte Entwicklungen im Verletzungsverfahren, so dass sich der Patentinhaber größere Chancen vor dem EPG ausrechnet. Auch in dieser Konstellation ist Art. 71c EuGVVO zu berücksichtigen. Grundsätzlich würde auch im Verhältnis des vorher angerufenen nationalen Gerichts zu dem später angerufenen EPG die Regelung eingreifen, dass das EPG den Rechtsstreit zunächst aussetzen muss. Andererseits reicht die Entscheidung nach Art. 34 EPGÜ deutlich über das Verfahren vor dem nationalen Gericht hinaus. Dies spricht gegen eine entsprechende Aussetzung. Eine Teilaussetzung erscheint wegen der Einheitlichkeit der Entscheidung fraglich. Hier enthalten die bisherigen Vorschriften eine bedeutsame Lücke.13 c) Nichtigkeitsklage Sofern der Beklagte in einem Verletzungsverfahren eine Nichtigkeitsklage erheben möchte, stehen ihm ebenfalls verschiedene Möglichkeiten offen. Er kann sich darauf beschränken, in dem betreffenden Land, in dem er vor einem nationalen Gericht in Anspruch genommen wird, den Einwand der fehlenden Rechtsbeständigkeit nach den dort geltenden Regeln geltend zu machen. Für Deutschland würde dies die Erhebung einer gesonderten Nichtigkeitsklage beim Bundespatentgericht erfordern. Andere Rechtsordnungen, wie etwa die Niederlande, erlauben den Einwand unmittelbar im Verletzungsverfahren. Stattdessen besteht über Art. 83 Abs. 1 EPGÜ auch die Möglichkeit, die Nichtigkeitsklage unmittelbar beim EPG zu erheben. Dafür ist dann nach Art. 33 Abs. 4 EPGÜ die Zentralkammer zuständig, sofern nicht zuvor die Verletzungsklage bei einer Lokaloder Regionalkammer anhängig gemacht wurde. Das besondere Risiko für den Patentinhaber besteht in diesem Fall darin, dass die Entscheidung über die Nichtigkeitsklage wegen Art. 34 EPGÜ nicht nur auf dasjenige Land beschränkt ist, in dem die Verletzungsklage anhängig ist. d) Negative Feststellungsklage Für die negative Feststellungsklage eines potentiellen Verletzers gelten grundsätzlich mutatis mutandis dieselben Regeln. Auch er hat zunächst die Wahl zwischen dem EPG und dem nationalen Gericht.14 Beim EPG ist eine negative Feststellungsklage bei 13 So aber Grabinski in FS „80 Jahre Patentgerichtsbarkeit in Düsseldorf “, 2016, S. 141, 145. 14 Anzumerken ist, dass Art. 83 Abs. 1 EPGÜ ausdrücklich nur die Klage wegen Verletzung bzw. auf Nichtigerklärung eines europäischen Patents nennt, nicht jedoch Klagen auf Feststellung der Nichtverletzung von Patenten. Da Art. 32 Abs. 1 EPGÜ hier eine klare Trennung vorsieht, könnte man die Auffassung vertreten, dass für negative Feststellungsklagen

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der Zentralkammer zu erheben (Art. 33 Abs. 4 EPGÜ). Wenn innerhalb von drei Monaten nach Einleitung des Verfahrens vor der Zentralkammer bei einer Lokal- oder Regionalkammer ein Verletzungsverfahren eingeleitet wird, wird das negative Feststellungsverfahren gemäß Art. 33 Abs. 6 EPGÜ ausgesetzt. Diese Aussetzung greift indes nicht, wenn die Verletzungsklage bei einem nationalen Gericht erhoben wird. 5. Gewollte Flexibilität Die zuvor skizzierten Szenarien machen die Flexibilität deutlich, die den beteiligten Parteien auch nach dem Inkrafttreten des EPGÜ zur Verfügung steht. Diese Flexibilität ist wie erwähnt das Ergebnis zäher Verhandlungen um einen fairen Kompromiss, der die Interessen aller Beteiligten zu wahren versucht. Die Präambel des EPGÜ enthält dazu verschiedene Erwägungen, Hinweise und den ausdrücklichen Wunsch, durch die Errichtung des EPG die Durchsetzung von Patenten und die Verteidigung gegen unbegründete Klagen sowie Klagen im Zusammenhang mit nicht rechtsbeständigen Patenten zu verbessern und die Rechtssicherheit zu stärken. Die Flexibilität wird ausdrücklich in den Erwägungen hervorgehoben. Weitere wesentliche Punkte sind die ausschließliche Zuständigkeit des EPGs und die Sicherstellung der Einheitlichkeit der Rechtsordnung und des Vorrangs des Unionsrechts durch den Gerichtshof der Europäischen Union. Lange Zeit haben die Verfechter des EPGÜs versucht, die Übergangsregelungen und die Übergangszeit möglichst stark zu beschränken. Im Ergebnis ist es durchaus bei einer sehr geräumigen Übergangsfrist mit entsprechenden Handlungsmöglichkeiten verblieben. Ein möglicher Kritikpunkt scheint auf den ersten Blick nahe zu liegen. Durch die Schaffung vielfältiger Wahlmöglichkeiten wird das häufig kritisierte „­Forum Shopping“ nicht eingegrenzt, sondern möglicherweise ausgeweitet. Eine Tendenz dazu könnte insbesondere dann bestehen, wenn im Sinne eines echten Konkurrenzgedankens nationale Gerichte abermals versuchen sollten, die Attraktivität ihres jeweiligen Standortes durch grenzüberschreitende Entscheidungen (insbesondere die „Cross-Border-Injunctions“) zu erhöhen. Allerdings hat der EuGH bereits in früherer Zeit diesen Bemühungen eine Grenze gesetzt.15 Daran wird man auch heute noch festhalten müssen. Zudem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass das EPGÜ selbst in Art. 33 Abs. 1 beispielsweise dem Kläger einer Verletzungsklage die Wahl der betreffenden Lokal- oder Regionalkammer überlässt. Überall dort, wo eine tatsächliche oder drohende Verletzung erfolgt ist oder erfolgen wird, kann die Verletzungsklage erhoben werden. Auch im EPGÜ ist somit ein Forum Shopping in gewissem Umfang angelegt. Darüber hinaus ist die Skepsis, mit der häufig dem Forum Shopping begegnet wird, in vielen Fällen unbegründet. Darin liegt zugleich die Chance eines durchaus positiven Wettbewerbs zwischen den zuständigen Gerichten. Dieser Wettbewerb spornt die Gerichte an, die Qualität und Effektivität ihrer Rechtsprechung im nationale Gerichte nicht mehr nach Art. 83 Abs. 1 EPGÜ zuständig sein können. Das wäre aber insgesamt systemfremd. 15 EuGH v. 13.7.2006  – C-539/03, GRUR 2007, 47  – Roche/Primus; EuGH v. 13.7.2006  – C-4/03, GRUR 2007, 49 – GAT/LuK.

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allgemeinen Interesse zu steigern. Damit ist keineswegs immer nur ein klägerfreundliches Verhalten gemeint. Auch Patentinhaber sehen sich durchaus ebenso in der Rolle eines potentiellen Beklagten. Entscheidend ist, dass die Rechtsprechung in angemessener Zeit und mit angemessenem Aufwand zu Entscheidungen gelangt, die für beide Parteien nachvollziehbar sind und die zur Beurteilung anstehenden Rechtsfragen angemessen behandeln. Zudem ergeben sich auch für den Beklagten vielfältige Reaktionsmöglichkeiten, die ein Kläger im Vorfeld in seine Überlegungen einbeziehen wird. Letztlich werden die strategischen und taktischen Erwägungen durch den Einzelfall bestimmt. Auf diese Weise lassen sich vor allem auch Schwächen des neuen Systems eher aufdecken und identifizieren, als wenn von Vornherein keine derartige Übergangsregelung vorhanden wäre. Mit guten Gründen ist daher auch eine eingehende Evaluierung des Systems nach 5 Jahren vorgesehen (Art. 83 Abs. 5 EPGÜ). Auch der Gesichtspunkt der einheitlichen Rechtsprechung spricht keineswegs gegen die Übergangsregelungen. Zwar kann der Gerichtshof der Europäischen Union nicht unmittelbar Aussagen zu den Verfahren vor nationalen Gerichten treffen. Dies gilt allerdings nicht uneingeschränkt. Denn das EPGÜ enthält auch materielles Recht, das von den nationalen Gerichten anzuwenden ist (dazu unter 7.). Außerdem besteht seit langen Jahren auf der Ebene zumindest der obersten Gerichte ein intensiver Gedankenaustausch zwischen den verschiedenen Jurisdiktionen. Auch die Gerichtsentscheidungen lassen erkennen, dass immer wieder Bezug auf die Rechtsprechung in anderen Mitgliedsstaaten genommen wird. Der BGH hat ausdrücklich entschieden, dass die nationalen Gerichte auch ausländische Entscheidungen in parallelen Fällen in die Erwägungen einbeziehen müssen.16 Auch das trägt zu einer Vereinheitlichung der Rechtsprechung schon im gegenwärtig existierenden System in erheblichem Maße bei. 6. Bedeutung der „Torpedoklage“ Im gewerblichen Rechtsschutz ist immer wieder das Phänomen des „Torpedos“ zu beobachten. Eine Torpedoklage bezeichnet eine negative Feststellungsklage, die als Reaktion auf eine vorangegangene Abmahnung von dem vermeintlichen Verletzer bevorzugt vor einem Gericht erhoben wird, bei dem mit einer langen Verfahrensdauer zu rechnen ist. Auf diese Weise wird die spätere Erhebung einer Verletzungsklage wegen der bereits zuvor erwähnten Aussetzungsregelung in Art.  29 EuGVVO blockiert („torpediert“). Dies gilt insbesondere deswegen, weil nach der Rechtsprechung des EuGH anders als im deutschen Recht die positive Leistungsklage (Verletzungsklage) keinen Vorrang vor der negativen Feststellungsklage genießt.17 Insoweit kommt es allein auf den zeitlichen Ablauf der Klageerhebungen an.

16 BGH v. 15.4.2010 – Xa ZB 10/09, GRUR 2010, 950, 952 – Walzenformgebungsmaschine; BGH v. 14.6.2016 – X ZR 29/15, GRUR 2016, 921, 924, 926 – Pemetrexed. 17 Voß in Schulte, Patentgesetz, 10. Aufl. 2017, § 139 PatG Rz. 250.

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Im Verhältnis des EPG zu den nationalen Gerichten stellt sich damit die Frage, ob eine beim EPG erhobene negative Feststellungsklage ebenfalls eine derartige Torpedowirkung auslösen kann. Art.  71c EuGVVO sperrt in diesem Fall wegen Art.  29 EuGVVO eine Verletzungsklage vor einem nationalen Gericht. Infolge der Aussetzungsanordnung nach Art. 33 Abs. 6 EPGÜ gewährt das EPGÜ allerdings einer weiteren Verletzungsklage vor dem EPG einen gewissen Vorrang. Im Ergebnis führt dies dazu, dass noch immer eine eingeschränkte Torpedowirkung möglich ist. Die Torpedoklage beim EPG blockiert die Verletzungsklage vor dem nationalen Gericht. Sofern der Patentinhaber seine Rechte weiter durchsetzen will, wird er auf diese Weise zu einer Verletzungsklage vor dem EPG gezwungen. 7. Anwendbares materielles Recht In diesem Zusammenhang muss auch die Frage geklärt werden, ob und inwieweit während der Übergangszeit von den nationalen Gerichten dennoch das materielle Recht des EPGÜ anzuwenden ist. Die nationalen Gerichte entscheiden autonom nach ihren jeweiligen Verfahrensordnungen. Insoweit ist ein Rückgriff auf das EPGÜ bzw. die Verfahrensordnung („Rules of Procedure“) ausgeschlossen. Allerdings gilt dies nicht ohne weiteres für das materielle Recht. Zwar stimmt das materielle Recht des EPGÜ in den Art. 25 bis 30 weitestgehend mit dem deutschen Recht nach dem Patentgesetz überein. Ein wesentlicher Unterschied mag darin bestehen, dass nach deutschem Recht im Falle einer Patentverletzung zwingend ein Unterlassungsanspruch des Patentinhabers besteht, der von den Gerichten daher auch regelmäßig zuzusprechen ist. Art.  63 EPGÜ bestimmt demgegenüber für endgültige Verfügungen, dass das EPG gegen den Patentverletzer eine Verfügung erlassen kann, durch die die Fortsetzung der Patentverletzung untersagt wird. Insoweit besteht zumindest noch ein Spielraum des Gerichts, im Einzelfall von einem Unterlassungsgebot abzusehen. Die Meinungen zur Anwendbarkeit des materiellen Rechts sind geteilt.18 Art.  83 spricht zwar grundsätzlich nur von der Zuständigkeit der Gerichte. Dies lässt Raum für die Annahme, dass auch von einem nationalen Gericht während der Übergangszeit das materielle Recht des EPGÜ anzuwenden ist. Der von den Unterzeichnerstaaten des EPGÜ eingesetzte Vorbereitende Ausschuss hat in einer Auslegungsnote dazu indes die gegenteilige Auffassung vertreten. Da die nationalen Gerichte nicht die Einheitlichkeit der Anwendung des EPGÜ sicherstellen können, weil es für die nationalen Gerichte keine Möglichkeit gibt, eine Sache oder Rechtsfrage dem EPG vorzulegen, soll nach dieser Auslegungsnote für Patente, die während der Übergangszeit Gegenstand eines Rechtsstreits vor einem nationalen Gericht sind, das EPGÜ nicht anwendbar sein und die nationalen Gerichte demzufolge wie bisher ihr nationales Recht anwenden.19 18 Vgl. beispielhaft Nieder, GRUR 2014, 627. 19 Interpretative Note – Consequences of the application of Article 83 UPCA, unter: https:// www.unified-patent-court.org/news/interpretative-note-%E2%80%93-consequences-appli​ cation-article-83-upca (abgerufen am 16.4.2019).

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Zwei sich im Unendlichen schneidende Parallelen? – Gedanken zu Artikel 83 EPGÜ

Mit Blick auf die Frage des Unterlassungsgebots ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass die entsprechende Vorschrift des Art. 63 EPGÜ im Abschnitt über die Organisation und die Verfahrensvorschriften des EPGÜ enthalten ist (Teil III) und sich dort im Kapitel IV unter dem Titel „Befugnisse des Gerichts“ findet. Man wird daher zu dem Schluss kommen müssen, dass es sich insoweit um eine Verfahrensvorschrift handelt, nicht aber um eine Regelung der materiellen Rechtsfolgen einer Patentverletzung. Das Verbietungsrecht ergibt sich unmittelbar aus Art. 25 EPGÜ. Selbst wenn mithin ein nationales Gericht die materiellen Vorschriften der Art. 25 bis 30 EPGÜ anwenden würde, müsste es nach seiner eigenen Verfahrensordnung die entsprechenden Maßnahmen aussprechen. Nach deutschem Recht wäre auch insoweit ein Unterlassungsgebot zwingend.

IV. Fazit und Ausblick Als Fazit bleibt festzuhalten, dass mit der Übergangsregelung nach Art. 83 EPGÜ zwei Systeme zur Verfügung stehen, die zu einer größeren Flexibilität für alle Beteiligten führen. Beide Systeme weisen erhebliche Unterschiede auf. Dennoch lassen sie sich bei geschickter Übung auch sinnvoll kombinieren. In der jetzigen Form weist das Zusammenspiel beider Systeme durchaus noch Lücken auf, die vermutlich durch die Rechtsprechung ausgefüllt werden müssen. Dies betrifft insbesondere auch die Regelungen im Hinblick auf den Gegenstand des jeweiligen Verfahrens. Letztlich wird es darauf ankommen, dass die angerufenen Gerichte – EPG oder na­ tionale Gerichte – in der Sache zu Entscheidungen gelangen, die einen angemessenen Ausgleich der Interessen der Patentinhaber an der Durchsetzung ihrer Rechte einerseits und dritter Parteien im Hinblick auf Verlässlichkeit und Vorhersehbarkeit und damit eine ausreichende Rechtssicherheit herbeiführen. Es wird dabei unumgänglich sein, dass alle Gerichte über ihren Tellerrand hinausschauen und sich mit der Rechtsprechung der jeweils anderen Gerichte ernsthaft auseinandersetzen, so wie dies auch jetzt schon bei den nationalen Gerichten geschieht. Darin liegt eine Chance auch für das EPG, die Erfahrungen der nationalen Gerichte für sich nutzbar zu machen. Insoweit kann man erwarten, dass die beiden Systeme trotz ihrer Parallelität doch einige Schnittpunkte aufweisen werden. Aus Sicht des Praktikers bleibt zu hoffen, dass sich diese Schnittpunkte nicht erst im Unendlichen einstellen, zumal die heute bestehenden Systeme im Hinblick auf europäische Patente begrenzt sind und nicht mehr bis ins Unendliche reichen werden, wenn das EPG einst seine Tätigkeit aufgenommen haben sollte.

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Die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde in Betreuungsund Unterbringungssachen und eine Nichtzulassungsbeschwerde in Familiensachen als Fremdkörper im Rechtsmittelsystem Inhaltsübersicht I. Reformbedarf im Rechtsmittelsystem des FamFG II. Die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 3 FamFG 1. Das frühere Verfahren der Divergenz­ vorlage nach § 28 FGG 2. Zulassungsrevision in Familiensachen nach der 1. Eherechtsreform 3. Verfassungsrechtliche Vorgaben an das Rechtsmittelsystem 4. Die Neuregelung durch das FamFG a) Einführung der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde in Betreuungs- und Unterbringungssachen b) Auswirkungen auf die Belastung des Bundesgerichtshofs

c) Bewertung der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde in Betreuungs- und Unterbringungssachen d) Sicherung einer gesetzmäßigen ­Zulassungspraxis durch das BVerfG 5. Abschaffung der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde III. Keine Nichtzulassungsbeschwerde im FamFG 1. Grundzüge des Rechtsmittelrechts 2. Rechtsmittel in familiengerichtlichen Verfahren 3. Die sachlichen Grenzen der Nicht­ zulassungsbeschwerde 4. Auswirkungen einer Nichtzulassungs­ beschwerde in Familiensachen 5. Keine Nichtzulassungsbeschwerde in ­Familiensachen

I. Reformbedarf im Rechtsmittelsystem des FamFG Die Neuregelung des Verfahrensrechts durch das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (im Folgenden: Familienverfahrensgesetz  – FamFG)1 hat sich zwar im Wesentlichen bewährt. Das gilt grundsätzlich auch für die Aufteilung in einen allgemeinen Teil (Buch 1) und die besonderen Teile, insbesondere das Verfahren in Familiensachen (Buch 2) und das Verfahren in Betreuungs- und Unterbringungssachen (Buch 3). Mit Vehemenz werden gegenwärtig allerdings zwei Fragen zu dem im Familienverfahrensgesetz ­geregelten Rechtsmittelsystem erörtert. Diese Diskussion über die teilweise zulassungsfreie Rechtsbeschwerde und über Bestrebungen zur Einführung einer Nichtzulassungsbeschwerde in Familiensachen soll im Folgenden aufgegriffen und unter Be-

1 V. 17.12.2008, BGBl. I 2586, in Kraft seit dem 1.9.2009; vgl. auch BT-Drucks. 16/6308.

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rücksichtigung zwingender Notwendigkeiten der gerichtlichen Praxis beantwortet werden. Das Ergebnis meiner nachfolgenden Betrachtung will ich hier bereits vorwegnehmen: Die Vorschrift des § 70 Abs. 3 FamFG, nach der in Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts (Nr. 1) sowie in Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 FamFG (Nr. 2) eine Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof ohne Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft ist, muss dringend reformiert werden. Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde sollte auch in diesen Verfahren von einer Zulassung durch das Beschwerdegericht abhängig sein. Soweit vereinzelt sogar verlangt wird, die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde auf alle Familiensachen auszudehnen, ist dies durch nichts geboten. Eine solche Änderung passt nicht ins Rechtsmittelsystem und birgt erhebliche Nachteile, insbesondere für die Rechtseinheitlichkeit im Familienrecht. Nichts anderes gilt für die immer wieder erhobene Forderung nach Einführung einer Nichtzulassungsbeschwerde in Familiensachen.2 Auch dem ist eine eindeutige Absage zu erteilen.

II. Die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 3 FamFG Die nach § 70 Abs. 3 FamFG zulassungsfreie Rechtsbeschwerde in Betreuungs- und Unterbringungssachen ist ein Fremdkörper im Familienverfahrensrecht. Auch für diese Verfahren sollte der Rechtszug zum Bundesgerichtshof umgestaltet werden und die Rechtsbeschwerde entsprechend §  70 Abs.  1 und 2 FamFG nur im Falle ihrer ­Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft sein. Erst recht verbietet sich eine Ausweitung dieser verfehlten Regelung auf Familiensachen nach dem 2.  Buch des FamFG. 1. Das frühere Verfahren der Divergenzvorlage nach § 28 FGG Nach dem früheren Gesetz über das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) war gegen die Beschwerdeentscheidungen der Landgerichte eine weitere Beschwerde an die Oberlandesgerichte statthaft. Nur in Fällen der Divergenz konnte das Rechtsmittel nach § 28 FGG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt werden. Für diese Verfahren waren in erster Instanz die Amtsgerichte als Vormundschaftsgerichte und in zweiter Instanz die Landgerichte als Beschwerdegerichte zuständig. Für die gegen deren Entscheidungen gerichtete weitere Beschwerde waren die Beschwerdesenate an den 24 deutschen Oberlandesgerichten zuständig. Lediglich in Divergenzfällen hatte das Oberlandesgericht die weitere Beschwerde nach § 28 Abs. 2 FGG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorzulegen. Dieser Instanzenzug hatte den Nachteil, dass der Bundesgerichtshof im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit zwar eine Divergenz der obergerichtlichen Rechtsprechung verhindern, seinen weiteren Aufgaben der Klärung von Rechtsfragen mit grundsätzlicher Bedeutung und der Si2 Vgl. die Initiativstellungnahme des DAV in FamRZ 2015, 1677.

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cherung einer geordneten Rechtsentwicklung aber nur beiläufig nachkommen konnte. Tatsächlich gelangten auf dieser Rechtsgrundlage nur wenige Verfahren an den Bundesgerichtshof. 2. Zulassungsrevision in Familiensachen nach der 1. Eherechtsreform Demgegenüber hatte der Gesetzgeber bereits mit dem ersten Eherechtsreformgesetz 19763 eine reine Zulassungsrevision in Familiensachen eingeführt. In erster Instanz waren fortan die Familiengerichte zuständig; Beschwerdegericht war nun ein Fami­ liensenat am Oberlandesgericht. Nur wenn das Oberlandesgericht die Revision zuließ, war diese zum Bundesgerichtshof statthaft. Diese Regelung entsprach den Aufgaben des Bundesgerichtshofs als oberstem Bundesgericht in Zivil- und Strafsachen. Denn sie ermöglichte ihm die Erfüllung seiner ureigenen Aufgaben, nämlich Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden, eine geordnete Rechtsfortbildung sicherzustellen und die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu sichern (vgl. jetzt § 70 Abs. 2 FamFG und auch §§ 543 Abs. 2, 574 Abs. 2 ZPO). Entsprechend hat der Bundesgerichtshof die ihm anvertrauten Aufgaben in Familiensachen seit der 1. Eherechtsreform vor mehr als vierzig Jahren auf der Grundlage der von den Oberlandesgerichten zugelassenen Rechtsbeschwerden erschöpfend erfüllt. Sämtliche Rechtsfragen, die in der Literatur und bei den Instanzgerichten umstritten waren, sind über die Zulassung von Rechtsbeschwerden zum Bundesgerichtshof gelangt und dort entschieden worden. Zugleich wurde der Bundesgerichtshof als oberster Gerichtshof davor bewahrt, die Einzelfallgerechtigkeit in allen in der Bundesrepublik Deutschland entschiedenen Familiensachen sicherzustellen, wozu er schon aus Kapazitätsgründen nicht in der Lage wäre. Der Bundesgerichtshof blieb vielmehr handlungsfähig, weil nur die Verfahren an ihn gelangten, deren Entscheidungen zur Wahrnehmung der Aufgaben eines obersten Gerichtshofs notwendig waren. Die für Familiensachen geschaffene gesetzliche Neuregelung hatte sich in der gerichtlichen Praxis mithin bestens bewährt. 3. Verfassungsrechtliche Vorgaben an das Rechtsmittelsystem Das den Anforderungen der gerichtlichen Praxis und den Aufgaben eines obersten Gerichtshofs entsprechende Familienverfahrensrecht steht auch im Einklang mit dem Grundgesetz und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Danach gewährleistet das Rechtsstaatsprinzip zwar den Zugang zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzenzügen, der durch die Auslegung des Prozessrechts nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden darf.4 Ob allerdings ein Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen statthaft sein soll, ist vom Gesetzgeber zu entscheiden; das Grundge-

3 1. EheRG v. 14.6.1976, BGBl. I 1976, 1421 in Kraft seit dem 1.7.1977; vgl. auch BT-Drucks. 7/650 und 7/4361. 4 BGH v. 19.12.2012 – XII ZB 169/12, FamRZ 2013, 437 Rz. 6 m.w.N.

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setz selbst trifft dazu keine Regelungen.5 Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss der Gesetzgeber von Verfassungs wegen also keinen Instanzenzug und damit erst recht kein besonders ausgestaltetes Rechtsbeschwerdeverfahren vorsehen. 4. Die Neuregelung durch das FamFG Mit dem Inkrafttreten des Familienverfahrensgesetzes zum 1.9.2009 hat der Gesetzgeber das Verfahrensrecht in Familiensachen sowie in den übrigen Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit neu geregelt. In §  70 FamFG hat er auch das Rechtsmittel zum Bundesgerichtshof neu geregelt, sich dabei für Familiensachen an der früheren Regelung orientiert und im Grundsatz eine reine Zulassungsrechtsbeschwerde eingeführt (§ 70 Abs. 1 und 2 FamFG). a) Einführung der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde in Betreuungs- und Unterbringungssachen Der Gesetzentwurf des FamFG hatte ursprünglich auch für Betreuungs- und Unterbringungssachen eine reine Zulassungsrechtsbeschwerde vorgesehen.6 Denn die zuvor in § 28 FGG geregelte Divergenzvorlage hatte mit der Zuständigkeit für Rechtsfragen mit grundsätzlicher Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts zwei wesentliche Aufgaben des Bundesgerichtshofs unberücksichtigt gelassen. Deswegen war der Bundesgerichtshof im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit nur mit sehr wenigen Verfahren befasst worden. Dem sollte mit der Einführung der reinen Zulassungsrechtsbeschwerde nach Maßgabe der auch in Zivil- und Familiensachen anerkannten Zulassungsgründe (vgl. §§  543 Abs.  2, 574 Abs.  2 ZPO und jetzt auch §  70 Abs.  2 FamFG) begegnet werden. Dadurch wurden die 24 Oberlandesgerichte im Instanzenzug übersprungen und dem Bundesgerichtshof wurde im Interesse einer einheitlichen Rechtsprechung, einer Klärung rechtsgrundsätzlicher Fragen und einer geordneten Rechtsentwicklung die unmittelbare Zuständigkeit für Rechtsbeschwerden zugewiesen. Im Gegenzug sollte ursprünglich auch in diesen Verfahren eine nach § 70 Abs. 1 und 2 FamFG notwendige Zulassung der Rechtsbeschwerde durch die Beschwerdegerichte eine Beschränkung auf die eigentlichen Aufgaben des Bundesgerichtshofs und einen Schutz vor übermäßiger Belastung durch Einzelfallentscheidungen sicherstellen. Denn immerhin sind in der Bundesrepublik Deutschland zurzeit rund 1.250.000 Betreuungsverfahren anhängig, die stets der Überprüfung bedürfen, wobei laufend annähernd so viele neue Verfahren hinzukommen, wie sich durch die Beendigung anhängiger Verfahren erledigen.7 Die Anzahl präventiver Unterbringungen übersteigt

5 BVerfG v. 11.2.1987 – 1 BvR 475/85, BVerfGE 74, 228 = NJW 1987, 2067 Rz. 25 m.w.N. 6 BT-Drucks. 16/6308, S. 26, 209. 7 http://www.bundesanzeiger-verlag.de/betreuung/wiki/Betreuungszahlen (abgerufen am 7.2.2019).

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Die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde in Betreuungs- und Unterbringungssachen

bundesweit jährlich 140.000 Fälle.8 Dass nicht in all diesen Fällen Rechtsmittel zum Bundesgerichtshof statthaft sein können, kann nicht zweifelhaft sein. Diese ursprünglich vorgesehene Beschränkung nach den Aufgaben und Möglichkeiten des Bundesgerichtshofs als oberstem Bundesgericht ist in der Gesetz gewordenen Fassung des FamFG jedoch entfallen. Denn während des Gesetzgebungsverfahrens ist die Vorschrift des § 70 FamFG auf der Grundlage der Beratungen im Rechtsausschuss um den jetzigen Absatz  3 ergänzt worden.9 Danach ist zur Sicherung einer Einzelfallgerechtigkeit die drittinstanzliche Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs in Betreuungs- und Unterbringungssachen regelmäßig ohne Zulassung durch das Beschwerdegericht eröffnet. Auf die statthafte Rechtsbeschwerde sind die Beteiligten gemäß § 39 FamFG in der notwendigen Rechtsbehelfsbelehrung sogar ausdrücklich hinzuweisen. b) Auswirkungen auf die Belastung des Bundesgerichtshofs Diese gesetzliche Neuregelung hat dazu geführt, dass der Bundesgerichtshof seit dem 1.9.2009 mit Betreuungs- und Unterbringungsverfahren überhäuft wird und wegen der – von den Beschwerdeführern stets erhofften – Ergebniskontrolle im Sinne einer Einzelfallgerechtigkeit nur noch mit großer Mühe in der Lage ist, sich seinen eigentlichen Aufgaben zu widmen. Die Entwicklung der Belastung des Bundesgerichtshofs allein mit Familien-, Betreuungs- und Unterbringungssachen wird aus der folgenden Übersicht deutlich: 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 ZB

252

706

692

739

720

704

633

617

648

602

ZA

48

98

127

104

97

86

71

67

70

64

300

804

819

843

817

790

704

684

718

666

Summe dieser Verfahren

Von den (617 bis 739) Rechtsbeschwerden (ZB-Sachen) der Jahre ab 2010 betrafen 400 bis 450 Verfahren Betreuungs- und Unterbringungssachen; von den (67 bis 127) Prozesskostenhilfeverfahren (ZA-Sachen) betrafen weitere 40 bis 50 Verfahren Betreuungs- und Unterbringungssachen. Insgesamt ergibt sich somit eine jährliche Belastung des Bundesgerichtshofs in Betreuungs- und Unterbringungssachen, die sich zwischen 440 und 500 Verfahren bewegt. Im Ergebnis führt nur ein äußerst geringer Anteil der Rechtsmittel zu einem Erfolg in der Sache. Ein nicht unerheblicher Teil der Rechtsbeschwerden ist schon deswegen unzulässig, weil sie entgegen der gesetzlichen Regelung und der im angefochtenen 8 http://www.bundesanzeiger-verlag.de/betreuung/wiki/Unterbringung (abgerufen am 7.2.2019). 9 Vgl. insoweit BT 16. Wahlperiode Rechtsausschuss Protokoll Nr. 86, S. 21 f., 23 ff., 29 ff.

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Beschluss enthaltenen Rechtsmittelbelehrung (vgl. § 39 FamFG) von den Betroffenen persönlich eingelegt worden sind. Nur wenn die Rechtsbeschwerde durch einen am Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt (vgl. §  10 Abs.  4 FamFG) oder mit einem persönlich eingelegten Rechtsmittel zugleich Verfahrenskostenhilfe (§§ 76, 78 Abs. 1 FamFG) oder die Beiordnung eines Notanwalts (§ 10 Abs. 4 Satz 3 FamFG i.V.m. §§ 78b, 78c ZPO) beantragt wurde, ist die angefochtene Entscheidung auf Verfahrensfehler und auf Fehler bei der Anwendung des materiellen Rechts zu überprüfen. Die zulässige Rechtsbeschwerde führt regelmäßig aber auch in solchen Fällen allenfalls wegen Verfahrensfehlern zu einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zu einer Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht. Im Ergebnis ergeht auch dann auf der Grundlage eines ordnungsgemäßen Verfahrens regelmäßig wieder die gleiche Entscheidung. c) Bewertung der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde in Betreuungs- und Unterbringungssachen aa) Bundesgerichtshof als Rechtsbeschwerdegericht Die Einführung einer Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof auch in Betreuungsund Unterbringungssachen ist zwar im Grundsatz zu begrüßen, weil sie im Einklang mit den Aufgaben des obersten Gerichtshofs steht und ihm neben der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auch Rechtssachen von grundsätzlicher Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts zuweist (vgl. § 70 Abs. 2 FamRZ und §§ 543 Abs. 2, 574 Abs. 2 ZPO). Wie in Familiensachen muss dabei aber sichergestellt sein, dass der Bundesgerichtshof in der Lage bleibt, die ihm übertragenen Aufgaben zu bewältigen. Mit der Ausweitung seiner Zuständigkeit ist deswegen darauf zu achten, dass nur solche Rechtsfragen an den Bundesgerichtshof gelangen, die dieser zur Erfüllung der Aufgaben eines obersten Gerichtshofs benötigt. Die Wahrung einer Einzelfallgerechtigkeit gehört sicher nicht dazu. Die notwendige Beschränkung auf wirklich grundlegende Rechtsfragen ist im Hinblick auf die große Anzahl der instanzgerichtlichen Verfahren nur durch eine Zulassungsrechtsbeschwerde sicherzustellen. bb) Zulassungsfreie Rechtsbeschwerde in Betreuungs- und Unterbringungssachen Im Hinblick auf die genannten Notwendigkeiten stößt es auf Unverständnis, dass der Gesetzgeber das in Familiensachen jahrzehntelang akzeptierte und bewährte Modell nicht vollständig auf die Betreuungs- und Unterbringungssachen übertragen hat. Er hat dem Bundesgerichtshof zwar auch im Bereich der Freiwilligen Gerichtsbarkeit seine ureigenen Aufgaben zugewiesen, ohne jedoch die Belastungsgrenzen eines obersten Gerichtshofs zu beachten. Durch die Regelung der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde wurde der Bundesgerichtshof mit einer derart hohen Anzahl solcher Rechtsmittel überflutet, dass die Erfüllung seiner eigentlichen Aufgaben gefährdet ist. Die Aufgaben eines obersten Gerichtshofs können eine zulassungsfreie Rechtsbeschwerde nicht begründen, sie stehen einem solchen unbegrenzten Rechtsmittel ­sogar entgegen. Es liegt auf der Hand, dass der Bundesgerichtshof schon aus Kapa­ 44

Die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde in Betreuungs- und Unterbringungssachen

zitätsgründen nicht in dritter Instanz für alle in der Bundesrepublik Deutschland anhängigen Betreuungs- und Unterbringungssachen zuständig sein kann. Müsste das Präsidium des Bundesgerichtshofs aus Kapazitätsgründen einen weiteren Senat mit der Zuständigkeit für Betreuungs- und Unterbringungsverfahren befassen, würde dies infolge seiner Überlastung sogar eine seiner Hauptaufgaben, die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, gefährden. Wie im Familienrecht ist auch im Betreuungs- und Unterbringungsrecht eine zu­ lassungsfreie Rechtsbeschwerde an den Bundesgerichtshof nicht erforderlich, um rechtsgrundsätzliche Fragen klären zu können, die Wahrung der Rechtseinheitlichkeit ­sicherzustellen oder eine geordnete Rechtsentwicklung zu ermöglichen (§  70 Abs. 2 FamFG; vgl. auch §§ 543 Abs. 2, 574 Abs. 2 ZPO). Der Bundesgerichtshof hat in den vergangenen Jahren einen Großteil der im Betreuungs- und Unterbringungsrecht aufgeworfenen grundsätzlichen Verfahrens- und materiellen Rechtsfragen entschieden. Soweit in diesen Bereichen überhaupt noch Rechtsfragen ungeklärt sind, ist davon auszugehen, dass diese auch mit von den Landgerichten zugelassenen Rechtsbeschwerden an den Bundesgerichtshof gelangen würden. Als Beispiel dafür ist die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Fragen der Betreuervergütung anzuführen. Insoweit ist eine zulassungsfreie Rechtsbeschwerde nicht eröffnet. Gleichwohl sind die dafür entscheidungserheblichen und rechtsgrundsätzlichen Fragen nach Zulassungsentscheidungen der Landgerichte vom Bundesgerichtshof weitgehend entschieden worden.10 d) Sicherung einer gesetzmäßigen Zulassungspraxis durch das BVerfG Wenn das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde nicht zulässt, obwohl die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG), ist dagegen die Verfassungsbeschwerde zulässig und erfolgversprechend. Denn auf der Grundlage der eindeutigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den Zulassungsgründen in § 70 Abs. 2 FamFG und in den §§ 574 Abs. 2, 543 Abs. 2 ZPO hätte dann nicht der gesetzliche Richter entschieden, was allein deswegen zur Aufhebung der Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht führen würde.11

10 Vgl. etwa BGH, Beschlüsse v. 31.5.2017 – XII ZB 590/16, NJW-RR 2017, 965 Rz. 11 ff.; v. 17.5.2017 – XII ZB 621/12, FamRZ 2017, 1318 Rz. 9 ff.; v. 10.5.2017 – XII ZB 614/16, FamRZ 2017, 1259 Rz.  14  ff.; v. 3.5.2017  – XII ZB 403/15, FamRZ 2017, 1159 Rz.  10  ff.; v. 14.4.2017 – XII ZB 86/16, MDR 2017, 910 Rz. 11 ff.; v. 6.4.2016 – XII ZB 83/14, FamRZ 2016, 1152 Rz. 5 ff.; v. 25.11.2015 – XII ZB 261/13, FamRZ 2016, 293 Rz. 11 ff.; v. 14.10.2015 – XII ZB 186/15, FamRZ 2016, 119 Rz. 4 ff.; v. 19.8.2015 – XII ZB 314/13, FamRZ 2015, 1880 Rz. 10 ff.; v. 8.7.2015 – XII ZB 494/14, FamRZ 2015, 1710 Rz. 8 ff. und v. 8.1.2014 – XII ZB 354/13, FamRZ 2014, 468 Rz. 10 ff. 11 Vgl. etwa BVerfG v. 7.9.2015 – 1 BvR 1863/12, FamRZ 2015, 2123 ff.

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5. Abschaffung der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Regelung über die zulassungsfrei statthafte Rechtsbeschwerde in Betreuungs- und Unterbringungssachen in §  70 Abs.  3 Nr. 1 und 2 FamFG dringend reformbedürftig ist. Die gegenwärtige Regelung sollte geändert werden und eine Rechtsbeschwerde an den Bundesgerichtshof nur dann zulässig sein, wenn das Beschwerdegericht sie zugelassen hat. Dies lässt sich durch eine ersatzlose Streichung des §  70 Abs.  3 FamFG erreichen. Der Bundesgerichtshof ist auch ohne diese Regelung in der Lage, seine Aufgaben, nämlich die Sicherstellung der Rechtseinheitlichkeit, die Entscheidung rechtsgrundsätzlicher Fragen und die geordnete Rechtsfortbildung, zu erfüllen.

III. Keine Nichtzulassungsbeschwerde im FamFG Wie die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde wäre auch eine Nichtzulassungsbeschwerde ein Fremdkörper im Familienverfahrensrecht, die durch die Aufgaben des Bundesgerichtshofs nicht geboten ist. 1. Grundzüge des Rechtsmittelrechts Das bundesdeutsche Zivilverfahrensrecht sieht regelmäßig zwei Tatsacheninstanzen vor den Gerichten der Bundesländer vor. In diesen Instanzen soll der Sachverhalt geklärt und das geltende Recht auf den Einzelfall angewandt werden. Nur in besonders gesetzlich geregelten Fällen ist gegen eine zweitinstanzliche Entscheidung die Revision oder die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zulässig. Der Bundesgerichtshof ist also keineswegs in allen Fällen als dritte Instanz zuständig; er könnte dies auch niemals leisten. Die Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs geht vielmehr mit dessen Aufgaben einher. Als reine Rechtsinstanz kommt dem Bundesgerichthof allein die Aufgabe zu, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären, das Recht geordnet fortzubilden und die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu sichern (vgl. § 70 Abs. 2 FamFG und §§ 543 Abs. 2, 574 Abs. 2 ZPO). 2. Rechtsmittel in familiengerichtlichen Verfahren In Familiensachen sieht der Gesetzgeber seit 1924 eine reine Zulassungsrevision vor; eine Nichtzulassungsbeschwerde hat es seit dieser Zeit nicht gegeben. In Unterhaltssachen war der Rechtsmittelzug ursprünglich sogar auf eine Berufung zum Landgericht gegen die Entscheidungen der Amtsgerichte beschränkt. Mit der ersten  Eherechtsreform vor 40  Jahren hat der Gesetzgeber zwar für alle Familiensachen  eine Zulassungsrevision bzw. Zulassungsrechtsbeschwerde eingeführt. Daran hat er auch in dem zum 1.9.2009 in Kraft getreten Gesetz über das Verfahren in Familiensachen  und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) festgehalten. Im Rahmen dieser letzten grundlegenden Gesetzesänderung hat der Gesetzgeber erst vor wenigen Jahren ausdrücklich von der Einführung einer Nichtzu­ lassungsbeschwerde Abstand genommen, weil ein berechtigtes Interesse dafür nicht 46

Die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde in Betreuungs- und Unterbringungssachen

bestehe.12 Diese Einschätzung hat sich auf der Grundlage des neuen Familienverfahrensrechts bestätigt und gilt nach wie vor. Denn der Bundesgerichtshof ist auch in der Folgezeit stets in der Lage gewesen, seine Aufgaben, nämlich die Klärung rechtsgrundsätzlicher Fragen, die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, auch im Familienrecht lückenlos zu erfüllen. Alle in Rechtsprechung und Literatur umstrittenen Rechtsfragen sind im Rahmen der von den Oberlandesgerichten zugelassenen Rechtsbeschwerden an den Bundesgerichtshof herangetragen worden und konnten von ihm entschieden werden. 3. Die sachlichen Grenzen der Nichtzulassungsbeschwerde Hinzu kommt, dass die weit verbreitete Vorstellung, die Einführung einer Nichtzulassungsbeschwerde führe in dritter Instanz stets zu einer Sachprüfung durch den Bundesgerichtshof, an den gesetzlichen Vorschriften und der darauf aufbauenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vorbeigeht. Im Zivilrecht ist die Revision nur dann zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 BGB). Nichts anderes wird auch im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde geprüft. Einfache Rechtsfehler führen des­ wegen nicht zur Zulassung der Revision und damit auch nicht zur Korrektur einer Entscheidung des Berufungsgerichts. Das gilt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs selbst dann, wenn ein schwerer oder offensichtlicher Rechtsfehler vorliegt.13 Aus diesem Grund bleibt im allgemeinen Zivilrecht ein großer Teil der Nichtzulassungsbeschwerden ohne Erfolg und führt lediglich zu einer Verfahrensverzögerung und einer weiteren Kostenbelastung für die Beschwerdeführer. Nichts anderes würde für Familiensachen gelten, für die auf der Grundlage der Aufgaben des Bundesgerichtshofs nach § 70 Abs. 2 FamFG der gleiche Zulassungsmaßstab gilt. Eine Einführung der Nichtzulassungsbeschwerde in Familiensachen ist deswegen durch nichts geboten; sie wäre sogar kontraproduktiv, weil sie das bewährte familienrechtliche Verfahren und die Arbeitsweise der Gerichte erschüttern und die Rechtseinheitlichkeit im Familienrecht gefährden würde. Bislang werden die Oberlandesgerichte gerade in den sensiblen und auch in die Zukunft wirkenden familiengerichtlichen Verfahren ihrer vorrangigen Aufgabe der Streitschlichtung auch dadurch gerecht, dass sie als letzte Tatsacheninstanz die Beteiligten von den Vorteilen einer einvernehmlichen Erledigung überzeugen (vgl. § 36 FamFG). Vielen Beteiligten wird es somit auf der Grundlage einer sehr kompetenten Beratung durch die Senate der Oberlandesgerichte ermöglicht, selbst an einer für sie akzeptablen Lösung mitzuwirken, was langfristig die Akzeptanz der Ergebnisse steigert. Würde man ohne Not und zur bloßen Ergebniskontrolle ein weiteres Rechtsmittel eröffnen, würde vermutlich ein erheblicher Teil dieser Verfahren weiter streitig durchgeführt, ohne damit einen Gerechtigkeitsgewinn zu erzielen.

12 BT-Drucks. 16/6398, S. 225. 13 BGH v. 17.6.2010 – IX ZR 187/08, juris m.w.N. und BGHZ 154, 288, 299.

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Eine erweiterte Rechtsmittelzuständigkeit des Bundesgerichtshofs in Familiensachen durch Einführung einer Nichtzulassungsbeschwerde würde voraussichtlich auch das Bundesverfassungsgericht nicht in relevanter Weise entlasten. Dies zeigt sich besonders deutlich an den Rechtsmittelverfahren zum Betreuungs- und Unterbringungsrecht. In diesen Verfahren ist durch das Familienverfahrensrecht zum 1.9.2009 eine zulassungsfreie Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof eingeführt worden. Gleichwohl wird das Bundesverfassungsgericht nach wie vor in erheblichem Umfang mit solchen Verfahren belastet.14 Zwar wird zunächst die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof eingelegt. Bei fehlendem Erfolg hält dies viele Betroffenen allerdings nicht davon ab, allein wegen des unerwünschten Ergebnisses auch gegen die Entscheidung des Bundesgerichtshofs Verfassungsbeschwerde einzulegen. 4. Auswirkungen einer Nichtzulassungsbeschwerde in Familiensachen Durch eine Einführung der Nichtzulassungsbeschwerde in Familiensachen würde der Bundesgerichtshof zudem vor ganz erhebliche Kapazitätsprobleme gestellt. Bei den Oberlandesgerichten entfällt ein Anteil von 1/3 bis 1/4 der Zivilsachen auf Familiensachen. Rechtsmittel gegen die Entscheidungen in reinen Zivilsachen werden beim Bundesgerichtshof von elf Zivilsenaten und – hinsichtlich des Gewerberaummietrechts – zusätzlich vom XII. Zivilsenat bearbeitet. Für die Rechtsmittel gegen die Entscheidungen der Familiensenate ist hingegen allein der XII. Zivilsenat des Bundes­ gerichtshofs zuständig. Zwar gelangen auch im Familienrecht sämtliche streitigen Rechtsfragen an den Bundesgerichtshof. Die Anwendung seiner Rechtsprechung auf künftige Einzelfälle ist nach einer grundsätzlichen Klärung der Rechtsfrage allerdings abschließend den Instanzgerichten zugewiesen. Würde auch in diesen Verfahren eine Nichtzulassungsbeschwerde eingeführt, müssten auf der Grundlage der Anzahl instanzgerichtlicher Verfahren voraussichtlich drei bis vier neue Familiensenate am Bundesgerichtshof eingerichtet werden. Eine solche Erweiterung der Zuständigkeiten des Bundesgerichtshofs würde einerseits zu erheblichen zusätzlichen Kosten und andererseits zur Gefahr einer Rechtszersplitterung führen. Von Rechtsanwälten wird immer wieder gerügt, dass einzelne ­Senate an demselben Oberlandesgericht die in ihr Ermessen gestellten Fragen unterschiedlich beantworten und die jeweiligen Einzelfälle auch unterschiedlich entscheiden. Diese Gefahr entstünde auch hinsichtlich der am Bundesgerichtshof zu entscheidenden grundsätzlichen Rechtsfragen, wenn dort weitere Familiensenate eingerichtet werde müssten. Bislang ist eine solche Rechtszersplitterung im Zivilrecht weitgehend ausgeschlossen, weil die Zivilsenate des Bundesgerichtshofs hoch spezialisiert und für die ihnen vom Präsidium zugewiesenen Bereiche allein zuständig sind. Müsste allerdings das sensible und einer ständigen Fortentwicklung unterliegende Familienrecht wegen einer erhöhten Anzahl der Rechtsmittelverfahren am Bundesgerichtshof mehreren Familiensenaten zugewiesen werden, wäre dies im Hinblick auf die Rechtseinheitlichkeit äußerst kontraproduktiv und würde diese Aufgabe des Bundesgerichts14 http://www.bundesverfassungsgericht.de/DE/Verfahren/Jahresstatistiken/2017/gb2017/AIV-6.pdf?__blob=publicationFile&v= 2 (abgerufen am 7.2.2019).

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hofs sogar nachhaltig gefährden. Eine Aufteilung der Familiensachen auf mehrere Familiensenate nach einzelnen Sachgebieten wäre nicht möglich, weil die Rechtsfragen in den verschiedenen Bereichen des Unterhaltsrechts, aber auch zu den weiteren Scheidungsfolgen und in den übrigen familienrechtlichen Bereichen sehr eng mitei­ nander verzahnt sind. Es bliebe dann nur die Möglichkeit, wie bei den Strafsenaten, die Zuständigkeit nach der regionalen Herkunft der Verfahren auf verschieden Familiensenate aufzuteilen. Dies wiederum würde die Aufgabe des Bundesgerichtshofs, auch in Grundsatzfragen des Familienrechts eine Rechtseinheitlichkeit sicherzustellen, eindeutig erschweren. Einer daraus folgenden Gefahr der Rechtszersplitterung dürfte auch nicht erfolgreich mit der Zuständigkeit des Großen Senats für Zivilsachen begegnet werden können. Denn bei dessen Beratungen wären elf Senate beteiligt, die nicht im Familienrecht zuständig sind und deswegen auch nicht über das unverzichtbare Spezialwissen verfügen. Nicht in Vergessenheit geraten sollte auch die sog. Rutschklausel, die es gegenwärtig noch gebietet, für jeden neuen Senat am Bundesgerichtshof einen weiteren vorhandenen Strafsenat nach Leipzig zu verlegen. Auch dies würde weitere erhebliche Kosten verursachen und die Strafsenate des Bundesgerichtshofs noch mehr als schon jetzt auseinanderreißen. Und natürlich hätte dies auch Auswirkungen auf den Sitz der entsprechenden Mitarbeiter des Generalbundesanwalts oder sogar für dessen Sitz insgesamt. 5. Keine Nichtzulassungsbeschwerde in Familiensachen Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es durch nichts gerechtfertigt ist, die Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs in Familiensachen durch Einführung einer Nichtzulassungsbeschwerde zu erweitern. Abweichende Forderungen lassen sich allein unter dem Gesichtspunkt der Sicherstellung einer Einzelfallgerechtigkeit rechtfertigen, die der Bundesgerichtshof allerdings ohnehin nicht flächendeckend leisten kann. Eine solche gesetzliche Änderung würde vielmehr zu erheblichen Mehrkosten und zur Zersplitterung des Familienrechts führen.

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Klaus Eschenbruch

Die Digitalisierung des Bauwesens – Folgen für den Zivilprozess Inhaltsübersicht I. Einführung II. Das Problem Bauprozess I II. Building Information Modeling (BIM) 1. BIM als Arbeitsmethode des Planens, Bauens und Betreibens 2. Konfliktvermeidungspotenziale durch BIM

IV. Smart Contracts und der Bauprozess 1. Allgemeine Geschäftsbedingungen/­ Verbraucherschutz 2. Analoge Störfallvorsorge V. Die Daten und die Visualisierung VI. Ergebnis

I. Einführung Der Jubilar, Herr Professor Dr. Volkert Vorwerk, hat sich seit Jahrzehnten um den Zivilprozess verdient gemacht. In diesem Kontext hat er auch den Bauprozess nie aus den Augen verloren. Immerhin machen Bauprozesse einen wesentlichen Teil der streitigen Auseinandersetzungen vor der Zivilgerichtsbarkeit aus, auch beim BGH. Bauprozesse sind durch ihre Verfahrenslänge, insbesondere bei zu erhebenden Sachverständigenbeweisen, und durch ihre Komplexität infolge unterschiedlichster Anspruchsgrundlagen und Verteidigungsmöglichkeiten geprägt. Die aus Großprojekten resultierenden „Mega­claims“ mit der Summierung unterschiedlichster Ansprüche aus der Abwicklung eines Projektes loten nicht selten die Grenze der Justiziabilität aus. Die Bemühungen des Jubilars um die Effektuierung des Zivilprozesses haben deshalb gerade für den Bauprozess eine erhebliche Bedeutung. Über sein Wirken im Gesetzgebungsausschuss des DAV zum privaten Bau- und Architektenrecht nimmt er Einfluss auf aktuelle gesetzgeberische Vorhaben. So hat er insbesondere Akzente bei der Überarbeitung des Bauvertragsrechts 2017/2018 gesetzt. Mit Erfolg hat er sich gegen die Einführung einer Adjudikation als gesetzlich vorgeschriebenes Regelverfahren bei Baustreitigkeiten gewandt. Das neue Bauvertragsrecht, welches neue Rahmenbedingungen und Strukturen für die Baubeteiligten bei der Abwicklung wichtiger Prozessschritte der Vertragsgestaltung und -abwicklung vorgibt und insbesondere mit § 650d BGB den Parteien auch die Möglichkeit einer einstweiligen Verfügung zur Durchsetzung von Änderungsrechten und Änderungsfolgen gibt, trägt nicht zuletzt auch seine Handschrift. Gerade im Baurecht muss sich der Zivilprozess im Wettbewerb zu anderen Streitbeilegungsformen behaupten. Obgleich bereits die ZPO-Reform zum 1.1.2002 auf eine zügigere Abschichtung des Projektstoffs und eine Beschleunigung von Zivilprozessen gerichtet war, sind die Verfahrensdauern in Bauprozessen nach wie vor mit durchschnittlich 1,2 Jahren vor Landgerichten und 3 Jahren in der Berufungs­instanz so lan51

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ge, dass sie für die Projektbeteiligten letztlich keine entscheidende Rolle mehr spielen.1 Zur Klärung von Fragen während der Dauer einer Bauvorhabensabwicklung sind derartige Verfahren daher selten geeignet. Die Ergebnisse sind dementsprechend nur wirtschaftliche Folgen und werden von Beteiligten verantwortet, die das Projektgeschehen selbst in der Regel gar nicht mehr zu vertreten haben. Der Jubilar hat erst jüngst im Vorfeld der 70. Deutschen Juristentage Vorschläge unterbreitet, den Zivilprozess für komplexere Auseinandersetzungen weiter zu verbessern, und zwar durch Einführung eines sog. strukturierten Verfahrens im Zivilprozess.2 Durch eine strengere Führung des Prozesses in Bezug auf Anspruchsgrundlagen, Einredevoraussetzungen, Art und Gliederung des Vortrages der Parteien soll ein Prozess­ergebnis zügiger erreichbar sein. Dies könnte speziell bei komplexen Bauprojekten einen greifbaren Fortschritt bringen.

II. Das Problem Bauprozess Streitigkeiten im Bauwesen sind vielseitig und vielfältig. Ihre Dominanz im Zivilprozess ist auf den Umstand zurückzuführen, dass bei Bauvorhaben eine Vielzahl von Beteiligten jeweils neu über Einzelverträge gebunden werden, wobei deren Leistungen wiederum durch diverse Einflüsse des jeweiligen Vertragspartners wie auch Dritter negativ beeinflusst werden können. Intransparenz, Kosten- und Termindruck, intensive Wettbewerbssituationen und gegensätzliche Interessen kennzeichnen viele Bauabwicklungen. Vor diesem Hintergrund darf es nicht verwundern, dass die Verfahren besonders hart geführt werden und lange dauern. Empirische Erhebungen zur Zufriedenheit der Verfahrensbeteiligten mit den Ergebnissen des Zivilprozesses gelangen zu ganz überwiegend negativen Einschätzungen. Darüber hinaus ist die Erfolgsquote der jeweiligen Kläger niedriger als bei anderen Bereichen des Zivilprozesses und auch bei ausgestalteten Konfliktschlichtungsverfahren wie der Adjudikation.3 In der Zwischenzeit sind die Eingangszahlen bei den Zivilgerichten rückläufig. Dies mag mit der langjährig guten Konjunktur zusammenhängen, z.T. auch mit den bisherigen Maßnahmen zur Begrenzung zivilprozessualer Auseinandersetzungen. Zu tun haben kann dies aber auch mit einem aufgeklärteren Umgang der Bauprojektbeteiligten mit der Konfliktschlichtung und insbesondere dem Einsatz unterschiedlichster Verfahren zur außergerichtlichen Konfliktschlichtung. Heute werden vielfach große Projekte nach eigenen Regimen für die außergerichtliche Konfliktschlichtung abgewickelt.4 1 Haghsheno in Karlsruher Institut für Technologie (Hrsg.), Möglichkeiten und Grenzen der Adjudikation als Verfahren der außergerichtlichen Konfliktlösung im Bauwesen, 2017, S. 11 f. 2 Vorwerk, NJW 2017, 2326, 2326 f. 3 Vgl. Haghsheno in Karlsruher Institut für Technologie (Hrsg.), Möglichkeiten und Grenzen der Adjudikation als Verfahren der außergerichtlichen Konfliktlösung im Bauwesen, 2017, S. 14 f. 4 Eschenbruch, Bauvertragsmanagement, 2017, Kap. 8 Rz. 8.

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Die Alternativen zur staatlichen Gerichtsbarkeit sind vielfältig. Zu nennen sind insbesondere: –– Mediation –– Schlichtung –– Adjudikation –– Schiedsgutachten und Schiedsgerichte Längst haben die Beteiligten in der Bau- und Immobilienwirtschaft erkannt, dass es nicht ein von vornherein überlegenes Streitschlichtungsverfahren geben kann und geben wird.5 Vielmehr eröffnet sich den Beteiligten eine ganze Palette von Konfliktschlichtungsmöglichkeiten, wobei ein Auftraggeber bei der Aufsetzung seines Projektes die Möglichkeit hat, insoweit Strukturen für alle Beteiligten vorzugeben. Dies setzt allerdings voraus, dass er eine entsprechende Streitbeilegungsform in seinen Verträgen mit allen Beteiligten einheitlich zugrunde legt. Auch nach diesem Modell wird der staatliche Zivilprozess seine Bedeutung nicht verlieren. Nur staatliche Gerichte können effektiv zur Rechtsentwicklung beitragen. So geben etwa im Baurecht gerade BGH-Entscheidungen eine elementar wichtige Orientierung für das Vertragswesen der Branche. Bauverträge orientieren sich heute im Wesentlichen an gesetzlichen Leitbildern (aufgrund der AGB-Problematik) sowie den Entscheidungen des 7. Zivilsenates des BGH. Würde der Zivilprozess ganz von außergerichtlichen Konfliktschlichtungsstrategien verdrängt, würde dies der Rechtsentwicklung Abbruch tun. Zivilprozesse ermöglichen zudem den einfachen Zugang zur Vollstreckung; ihre Erkenntnisse haben zudem Bedeutung für die Regulierung von Schadensfällen durch Versicherer oder z.B. auch für Zuwendungsfragen usw. Methoden außergerichtlicher Konfliktschlichtung können mit derartigen Vorzügen nicht in gleicher Weise dienen. Sie sind aber in der Lage, innerhalb kurzer Fristen zu einer Streitbeilegung beizutragen, was im Bauwesen ganz erhebliche Bedeutung haben kann. Bauvorhaben sind in der Regel Projekte, also Organisationen auf Zeit. Die Verselbstständigung großer Bauvorhaben als eigenständige Projekte erfordert auch eine Konfliktschlichtung, die sich an den Projekterfordernissen, insbesondere der Projektzeit, orientiert. Vor diesem Hintergrund haben die außergerichtlichen Konfliktschlichtungsmodelle im Bauwesen in den letzten Jahren starke Resonanz erfahren und werden in unterschiedlichen Einsatzbereichen herangezogen. Dabei sind in der Regel Verhandlungen und Mediation die erste Stufe einer Konfliktschlichtung. Alsdann werden die Vertragsparteien Schiedsgutachterlösungen prüfen, etwa zur Klärung klar umgrenzter technischer Sachverhalte durch Sachverständige oder zur Herbeiführung von Verständigungslösungen aufgrund von Schiedsgutachtervorschlägen. Hilft auch dies nicht, wird oft zu der Schiedsgerichtsbarkeit oder staatlichen Gerichtsbarkeit gegriffen. Die Schiedsgerichtsbarkeit als „Everybody’s Darling“ im Bauwesen hat dabei in den letzten Jahren an Glanz verloren, nachdem sich ergeben hat, dass Schiedsverfahren 5 Eschenbruch, Bauvertragsmanagement, 2017, Kap. 8 Rz. 1.

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recht lange dauern können und zudem oft teuer sind – ungeachtet der Konzentration des Verfahrens auf letztlich eine Instanz und der Möglichkeit der Anerkennung der Entscheidungen zur Vollstreckung. Auch die Hoffnung, dass die privaten Schiedsrichter immer besser sind als Richter an staatlichen Gerichten, hat sich in vielen Fällen als trügerisch erwiesen. Die Domäne der Schiedsgerichtsbarkeit findet sich weiterhin im Anlagenbau wie auch im internationalen Bauvertragsrecht. Im Vergleich zur Schiedsgerichtsbarkeit hat die staatliche Gerichtsbarkeit bislang ihre Position behaupten können. Allerdings haben auch die Schiedsgerichtsorganisationen die Defizite erkannt und arbeiten an Schnellverfahren, die gerade für den Projekteinsatz gedacht sind. Die jüngst veröffentlichte Neufassung der DIS-Schiedsgerichtsordnung ist hierfür ein Beispiel. Die Überlegungen des Jubilars zur Optimierung der Zivilprozesse durch strukturierte Verfahren6 kommen mithin zur rechten Zeit. Bei den vorgenannten Formen der außergerichtlichen Streitbeilegung steht die optimale, zeitnahe (endgültige oder temporäre) Klärung aufgetretener Konflikte im Kontext mit der Abwicklung von Bauvorhaben im Vordergrund. Neue Arbeitsmethoden und insbesondere digitale Planungs- und Bautechnologien haben dagegen direkten Einfluss auf die Streitentstehung und bieten somit neue Rahmenbedingungen zur Streitvermeidung für die Baubeteiligten. Sie bieten damit auch die Chance, den im Vergleich zu Rechtsstreitigkeiten anderer Wirtschaftsbereiche dominanten Bauprozess quantitativ einzudämmen.

III. Building Information Modeling (BIM) 1. BIM als Arbeitsmethode des Planens, Bauens und Betreibens Jahrhundertelang war das Planen durch eine Visualisierung mittels Linien, Grundrissen und Schnitten geprägt. Die Zeichnung der Architekten war für den Kenner/Branchenangehörigen als Fachsprache verständlich. Zeichnungen müssen jedoch immer interpretiert werden, um ein drei-dimensionales Bild von Planungsvorhaben/Bauwerken zu gewinnen. CAD-3D-Darstellungsformen, wie sie von Architekten vielfach für Rende­rings verwendet werden, haben hier bereits eine deutliche Verbesserung gebracht. Inzwischen ist die technische Entwicklung so weit fortgeschritten, dass das Planen mit Zeichnungen und Flächen ersetzt werden kann durch ein Planen mit Daten, nämlich mit sogenannten „intelligenten Bauteilen“ (BIM-Objekten).7 Das Planen mit Zeichnungen wird ersetzt durch das Modellieren mit digitalen 3D-Bauteilen, die wissen, dass sie Wand, Tür oder ein sonstiges Bauteil sind. Der Modellierer geht dabei vornehmlich ausführungsorientiert vor und modelliert sein Bauwerk – wie mit Legosteinen  – von vornherein in 3D. Die datenbasierte Modellierung ermöglicht es, ­Kollisionsfälle im Verhältnis innerhalb einer Planungsdisziplin, aber auch zwischen einzelnen Planungsdisziplinen (etwa zwischen Rohbau, Tragwerk und technischer Ausrüstung) bereits in frühen Planungsphasen zu erkennen. Spezielle EDV-Tools, sogenannte „Modelchecker“, ermöglichen die Prüfung der Modelle auf unterschied6 Vgl. etwa Vorwerk, NJW 2017, 2326. 7 Eschenbruch/Leupertz, BIM und Recht, 2016, S. 1 f.

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lichste Zielvorgaben, etwa Fluchtweglängen, Radarverträglichkeit, Abstandsflächen usw. Dem Architekten wird in der Zukunft das Lesen von mehreren tausend Baunormen erspart werden, da die Planungsprogramme der BIM-Welt diese Rahmenbedingungen von vornherein berücksichtigen. Die so erstellten virtuellen Abbildungen des späteren Baukörpers können alsdann mit diversesten Informationen verknüpft werden, die sozusagen das virtuelle Gebäudemodell als „Single Source of Truth“ des Bauens weiterentwickeln, so dass eine durchgängige Datenbasis bis zum späteren Betrieb vorhanden ist. Die neuen Arbeitsmethodiken haben zunächst einmal nichts mit dem Zivilprozess zu tun. Sie haben aber etwas damit zu tun, dass aufgrund ihres Einsatzes die Streitanfälligkeit im Bauwesen von vornherein absinken kann. Zwar kommen unter Berücksichtigung dieser neuen Arbeitsmodelle auch neue Konflikte hinzu, per Saldo allerdings dürfte aufgrund der Merkmale der neuen Arbeitsmethodiken eine deutliche Reduzierung des Streitpotenzials bei Bauvorhaben zu erwarten sein. 2. Konfliktvermeidungspotenziale durch BIM Die nachfolgenden Aspekte der Arbeitsmethode BIM sind geeignet, Konflikte einzudämmen. –– Datenplattformen, über die sämtliche Korrespondenz und Pläne ausgetauscht werden, sind bei einem BIM-Einsatz (in der Form sog. Common Data Environment – CDE) zwingend erforderlich. Sie schaffen eine revisionssichere Dokumentation aller Planungsbeiträge und -abstimmungen der Planungsbeteiligten. Streit über Verantwortlichkeiten wird hierdurch eingegrenzt. Unterschiedliche Wahrheiten über Planlieferungen und deren Inhalte wird es in der Zukunft kaum noch geben. –– Generell wird die Datentransparenz steigen. Die erhebliche Komplexität der Beurteilung tatsächlicher Sachverhalte wird durch den BIM-Einsatz (insbesondere infolge des Visualisierungspotentials der virtuellen Modelle) erleichtert.8 Da aus den digitalen geometrischen Modellen Mengen eindeutig abgeleitet werden können, entfällt die in der Baupraxis vielfältig vorzufindende Spekulation bzgl. möglicher Mengenabweichungen. Die Softwareprogramme schützen die Architekten somit vor den Vorhaltungen, ihre Vordersätze in Bauleistungsverzeichnissen seien (zumeist) unzutreffend. –– Die Arbeitsmethodik BIM setzt ein strukturiertes, enges Zusammenwirken der Beteiligten voraus. Die Projektprozesse werden in BIM-Ablaufplänen (BAP) im Einzelnen definiert und näher ausgestaltet. Klar definierte Prozesse und ein enges Zusammenwirken der Beteiligten schaffen die Basis für ein mehr partnerschaftliches Miteinander. –– Modellbasierte Terminfortschrittspläne ermöglichen eine bessere (dreidimensionale) Verfolgbarkeit des Leistungsfortschritts und visualisieren auch Ablaufstörungen und Behinderungsfolgen. –– Digital aufgestellte Leistungsverzeichnisse ermöglichen es, Einheitspreisverträge auf Basis von Abrechnungsmodellen sicher zu gestalten und abzuwickeln. 8 Vgl. etwa Eichberger in Grabe (Hrsg.), Tagungsband Workshop Digitale Infrastruktur Geotechnik, 2018, S. 269.

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–– Letztlich bietet die Arbeitsmethodik BIM das Potenzial zur verbesserten Erfassung und Bewältigung des Änderungsmanagements; die Folgen von Änderungen werden sich kostenmäßig aus dem Modell eindeutiger und leichter ablesen lassen, als dies heute der Fall ist. Eichberger hat hierzu formuliert: „Wenn die Baubeteiligten – was nach Ansicht des Referenten sicherlich noch einige Jahre in Anspruch nehmen wird – die Anwendung und Nutzung von BIM als Selbstverständlichkeit ansehen, die im allseitigen Interesse auch von Beginn an in entsprechenden Vertragswerken abgefragt und geregelt wird, sind damit Chancen verbunden, die in der relativen „Neutralität“ technischer Verfahren zu Datengenerierung, Datenverarbeitung und Datenabrufbarkeit liegen. Eine allseits transparente Faktenbasis trägt erfahrungsgemäß zur Reduzierung von „strategischen“ Überlegungen im Rahmen streitiger Aus­ einandersetzungen bei, die regelmäßig auf Informationsvorsprüngen und/oder der Verheimlichung von Informationen aufruhen. Insoweit kann BIM sicherlich als große Chance verstanden werden.“9 Die digitalen Planungs-, Bau- und Bewirtschaftungsprozesse werden dementsprechend neue Randbedingungen für die Zusammenarbeit der Beteiligten schaffen. ­Daraus können einerseits einzelne neue Streitpotenziale (etwa resultierend aus der neuen Technologie und definierten Prozessen) entstehen, andererseits bergen diese Methodiken die Chance, das bisherige Streitpotenzial zwischen den Parteien, insbesondere anlässlich von Intransparenz, Kommunikationsdefiziten und opportunistischem Lückensuchen deutlich einzudämmen. Ob damit gleichzeitig ein Weg gewiesen wird, neue alternative Streitschlichtungsmethodiken zu entwickeln, erscheint indessen zweifelhaft.10

IV. Smart Contracts und der Bauprozess Der Begriff Smart Contracts beschreibt das Konzept sich selbst abwickelnder Verträge.11 Verträge werden als Programm ausgestaltet. Beziehungen eines Vertrages werden als Algorithmus hinterlegt. Verträge lösen deshalb bei Eingang bestimmter Informationen bestimmte Rechtsfolgen selbstständig aus. Dies lässt sich an einem Beispiel aus der Bauwelt ohne Weiteres verdeutlichen: Ein Bauvertrag sieht zumeist Abschlagszahlungen bei Erreichen bestimmter baulicher Teilziele vor. Diese Leistungsergebnisse sind in aller Regel vertraglich definiert. Im Rahmen der Leistungsfeststellung klärt dann ein Objektüberwacher, ob die Fertig 9 Eichberger in Grabe (Hrsg.), Tagungsband Workshop Digitale Infrastruktur Geotechnik, 2018, S. 271. 10 Anderer Ansicht: Eichberger in Grabe (Hrsg.), Tagungsband Workshop Digitale Infrastruktur Geotechnik, 2018, S. 270: BIM als Transmissionsriemen für neue Formen der Streitbeilegung. 11 Eschenbruch/Gerstberger, NZBau 2018, 3, 3 f.

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stellung der entsprechenden Bauobjekte gegeben ist. Bestätigt dieser per Laptop oder Tablet direkt von der Baustelle das Vorliegen der jeweiligen Voraussetzung, löst der automatisierte Vertrag einen Befehl aus, der möglicherweise direkt zur Bank übermittelt wird und zur Auszahlung eines entsprechenden Anteils des Werklohnes führt. Smart Contracts haben das Potenzial, die Vertragsabwicklung zu automatisieren und Streitigkeiten während der Vertragsabwicklung/-erfüllung von vorneherein zu reduzieren. Störpotenziale kann es dabei während der Vertragsabwicklung/Erfüllung weniger geben. Sie erfordern indessen sorgfältig ausgearbeitete vertragliche WennDann-­Beziehungen, die auch operationalisierbar und damit digital umsetzbar sein müssen. Dies umfasst etwa bei der digitalen Bauabrechnung die vorherige Erarbeitung von digitalen Abrechnungsmodellen, denen bestimmte Fertigstellungsbestätigungen zugeordnet werden können. Entsprechende Wenn-Dann-Beziehungen lassen sich in verschiedenster Art denken. Sie können sich auch beziehen auf –– die Berechnung von Abschlagszahlungen nach der 80-%-Regel des § 650c Abs. 3 BGB, –– die Erklärung von Freigaben und Abnahmen, –– die automatisierte Berechnung von Änderungsfolgen bei Einheitspreisverträgen, –– automatisierte Mängeleinbehalte nach Mängelkategorien, –– die Abwicklung der Bauversicherungsverträge sowie nicht zuletzt –– eine Art „Smart Dispute Resolution“ durch beteiligte Gutachter oder gar Automatismen. Der zukünftige Einsatz von Smart Contracts ermöglicht es daher ebenfalls, die Fülle zivilprozessualer Streitigkeiten im Ansatz zu verringern. Allerdings wird eine entsprechende Vertragsmethode unter geltendem Recht zumindest zwei Auswirkungen haben: 1. Allgemeine Geschäftsbedingungen/Verbraucherschutz Die Regelungen des Smart Contracts zu den automatisierten Erfüllungswirkungen werden am AGB-Recht zu messen sein. Die Abwicklung von Werkverträgen wird sich den online-Bestellungen annähern. Bei Rechtsgeschäften mit Verbrauchern wird dabei eine Einschränkung der gesetzlichen Rechte schnell an Grenzen stoßen.12 2. Analoge Störfallvorsorge Aber auch dann, wenn der Vertragspartner des Verwenders eines Smart Contracts ein Unternehmer ist, werden ihm seine Rechte durch den Smart Contract AGB-konform 12 Vgl. dazu auch Eschenbruch/Gerstberger, NZBau 2018, 3, 8.

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nicht abschließend beschnitten werden können. Zumindest wird es auf einer zweiten Ebene (nach Erfüllung von Vertragspflichten durch einen Smart Contract) zivilrechtliche (bauvertragliche) und zivilprozessuale Möglichkeiten geben müssen, die automatisierte Vertragsabwicklung unter Berücksichtigung etwa vorhandener Einwendungen und Einreden zu hinterfragen und ggf. rückabzuwickeln. Wenn etwa eine Leistung digital als fertig gemeldet wurde und sich im Nachhinein herausstellt, dass der digitale Befehlsgeber hier einen Fehler verursacht hat, dann muss es möglich sein, bereits ausgezahlte Gelder wieder zurückzuholen. Dem Zivilprozess fällt damit eine sekundäre Rolle zu. Es wird da­rum gehen, im Nachhinein Korrekturentscheidungen herbeizuführen, wenn eine automatisierte Vertragsabwicklung zu ungewünschten Ergebnissen führt. Dies ähnelt der Situation bei einer Adjudication nach englischem Vorbild, bei der zunächst eine temporäre Sicherstellung der Projektabläufe durch einen Adjudicator erfolgt und im Nachhinein die Möglichkeit eröffnet bleibt, vertragliche Rechte zu wahren. Ob auf dieser Grundlage alsdann eine neue außergerichtliche Streitkultur entsteht oder wiederum Schiedsgerichte oder staatliche Gerichte Hilfestellung leisten müssen, lässt sich derzeit nicht absehen.

V. Die Daten und die Visualisierung Daten sind unbestechlich. Geometrische Gebäudemodelle der BIM-Anwendungen haben zudem eine außerordentliche Visualisierungskraft. Die Beweisführung nach §§ 286, 287 ZPO kann mit ihrer Hilfe schneller und besser vollzogen werden. Mängelsachverhalte lassen sich leichter visualisieren, Bauablaufstörungen in ihren Auswirkungen so transparent machen, dass in vielen Fällen Sachverständigenbeweise nicht mehr erforderlich sind. Dementsprechend werden die neuen digitalen Arbeitsmethoden Eingang in die Gerichtssäle finden. Die Arbeitsmethodiken der Digitalisierung im Bauwesen werden somit zwar den Zivilprozess nicht von vornherein überflüssig machen. Sie können sich allerdings entscheidend auf die Häufigkeit von Zivilprozessen im Bauwesen auswirken und auch die Qualität von Entscheidungen steigern.

VI. Ergebnis Digitale Arbeitsmethoden im Bauwesen haben das Potenzial, viele heute bekannte Streitigkeiten einzudämmen. Sie beseitigen Unklarheiten, schaffen klare Informationen und ein partnerschaftliches Arbeitsumfeld. Sie ermöglichen es, die Komplexität im Baugeschehen zu senken und das Streitpotenzial wirksam zu begrenzen. Smart Contracts eröffnen darüber hinaus die Möglichkeit, Verträge zu entwickeln, die selbsterfüllend sind und bei denen die Zahlungs- und Ausführungsprozesse automatisiert unter bestimmten Bedingungen erfolgen. Rechtsstreitigkeiten müssen dann in einem nachlaufenden Verfahren geklärt werden.

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§ 650c Abs. 1 Satz 2 BGB: Keine Mehrvergütung oder „es kommt darauf an“? Inhaltsübersicht I. Einleitung

IV. Analyse der Gesetzesbegründung

II. § 650c Abs. 1 Satz 2 BGB

V. Lösungsansätze in der Literatur

III. Historie

VI. Aussicht und Empfehlung

I. Einleitung Seit 1.1.2018 ist das neue Bauvertragsrecht in Kraft. Unter den Spezialisten, die tagtäglich mit dem Bauvertragsrecht arbeiten müssen, besteht im Großen und Ganzen Einigkeit darüber, dass vieles hätte besser gemacht werden können, aber andererseits vieles auch gar nicht so schlecht ist. Gleichwohl wirken einige Vorschriften aus dem neuen Recht nicht stringent durchdacht. Es scheint, als hätten die feinen Verästelungen des Baurechts den Gesetzgeber an der einen oder anderen Stelle überfordert. Das Zusammenspiel aus Werkvertragsrecht, Grundsätzen des Allgemeinen Teils des Bürgerlichen Gesetzesbuchs, aber auch die Feinheiten des Schadensrechts sind zu berücksichtigen und zusammenzuführen. Nur dann kann es gelingen, eine in sich konsistente Regelungsmaterie zu schaffen. Ein Beispiel für eine bereits heftig diskutierte Vorschrift ist § 650c Abs. 1 Satz 2 BGB. Die Bewertungen gehen von redaktionellem Versehen bis hin zu der Conclusio, dass in der Konsequenz untragbare Rechtsfolgen entstehen. Grund genug also, sich mit der Vorschrift und der Entstehungsgeschichte der Regelung näher auseinanderzusetzen.

II. § 650c Abs. 1 Satz 2 BGB Die Vorschrift wendet sich zunächst an all die ausführenden Unternehmen, die auch die Planung eines Bauwerks oder einer Außenanlage vertraglich übernommen haben. Damit sind also in erster Linie Generalunternehmer oder Generalübernehmer betroffen. Relevant wird die Vorschrift, wenn sich die Frage nach der Anpassung der Vergütung bei Anordnungen nach § 650b Abs. 2 BGB stellt. Konkret hat § 650c Abs. 1 Satz 2 BGB nur die Alternative des § 650b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB zum Regelungsgegenstand. § 650b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB regelt das Anordnungsrecht des Bestellers, wenn eine 59

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Änderung zur Erreichung des vereinbarten Werkerfolgs notwendig wird. Alleine für diesen Fall schließt § 650c Abs. 1 Satz 2 BGB eine Mehrvergütung des planenden Unternehmers für den daraus entstehenden Aufwand ohne weitere Tatbestandsvoraussetzungen aus. Zur Veranschaulichung soll folgendes Beispiel dienen: Ein Generalunternehmer plant ein 4-stöckiges Verwaltungsgebäude. Er weist den Bauherrn darauf hin, dass zwingend noch ein Bodengutachten einzuholen ist. Da die Zeit drängt und der Bauherr den Vertrag abschließen möchte, vereinbaren die Parteien im Vertrag nach dem Stand der Planung eine übliche Gründung ohne bodenverbessernde Maßnahmen. Zugleich einigen sich die Parteien auf einen Pauschalfestpreis, hergeleitet aus einer umfassenden Leistungsbeschreibung. Nach Vertragsschluss und vor Ausführung der Tiefbauarbeiten wird das Bodengutachten eingeholt, welches feststellt, dass angesichts der Höhe des Gebäudes bodenverbessernde Maßnahmen erforderlich werden und ca. 120 Rüttelstopfsäulen in einer Tiefe von bis zu 8 m in das Erdreich zur Stabilisierung einzubringen sind. Da zur standsicheren Erstellung des Gebäudes der Einbau der Rüttelstopfsäulen erforderlich ist, liegt ein Fall der Anordnung nach § 650b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB vor. Die Änderung der vertraglichen Leistungen dahingehend, dass auch Rüttelstopf­ säulen zur Bodenverbesserung auszuführen sind, ist notwendig, um den vereinbarten Werkerfolg, nämlich die standsichere Erstellung eines 4-stöckigen Verwaltungsgebäudes, zu erreichen. Nach dem Wortlaut der Vorschrift des § 650b Abs. 1 Satz 2 BGB würde in diesem Fall der Generalunternehmer für seinen Planungsaufwand im Hinblick auf die Gründung und auch die Durchführung der Bodenverbesserungsmaßnahmen keine Vergütung beanspruchen können. Gleichzeitig veranschaulicht das Beispiel, dass der Verlust jedweder Mehrvergütung nach dem Gesetzeswortlaut unabhängig davon gilt, ob der Unternehmer einen Planungsfehler gemacht hat oder nicht.

III. Historie Satz 2 in § 650c Abs. 1 BGB wurde erstmals mit der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz mit der Drucksache 18/11437 vom 8.3.2017 in dem Gesetzesentwurf eingefügt.1 Die Stellungnahme folgte auf den Gesetzesentwurf der Bundesregierung in der Drucksache 18/8486 vom 18.5.2016.

1 BT-Drucks. 18/11437, S. 16.

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§ 650c Abs. 1 Satz 2 BGB: Keine Mehrvergütung oder „es kommt darauf an“?

In der Gesetzesbegründung wird ausgeführt, dass der Einschub auf einen Vorschlag des Bundesrates zurückzuführen sei. Grundgedanke des Gesetzgebers ist, dass der ausführende Unternehmer, der auch plant, zu einer mangelfreien Gesamtplanung von Planung und Ausführung verpflichtet ist.2 Weiterhin geht der Gesetzgeber in der Begründung davon aus, dass ein Mangel der Planung aufgedeckt und der Unternehmer aufgefordert wird, zum Zweck der Erreichung eines mangelfreien Werkerfolgs seine Planung und Ausführung zu ändern.3 Deshalb soll dem Unternehmer dann kein Mehrvergütungsanspruch daraus erwachsen, da die Planung und Ausführung eines mangelfreien Werks ohnehin bereits Gegenstand seiner vertraglichen Leistungsverpflichtung seien.4 Da die Beschlussempfehlung und der Bericht kurz vor Verabschiedung des Gesetzentwurfs eingebracht wurden, erfolgte, auch aufgrund der zeitlichen Not, das Gesetz zu verabschieden, offensichtlich keine weitergehend vertiefte Diskussion. Die Vorschrift wurde dann wie in der BT-Drucksache 18/11437 vom 8.3.2017 so verabschiedet und ist am 1.1.2018 ohne Änderung in Kraft getreten.

IV. Analyse der Gesetzesbegründung Nach dem Wortlaut der Vorschrift in Verbindung mit der Gesetzesbegründung ist der gesetzgeberische Wille letztlich eindeutig dahingehend zu ermitteln, dass eine Mehrvergütung in dieser Konstellation tatsächlich ohne weitere Tatbestandvoraussetzungen ausgeschlossen sein soll. Immerhin lässt die Gesetzesbegründung erkennen, dass der Gesetzgeber offensichtlich in einer solchen Situation immer einen Planungsfehler unterstellt, weil er von der Aufdeckung eines Mangels der Planung spricht.5 Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber den Mangel der Planung nicht als Tatbestandsvoraussetzung in das Gesetz aufgenommen hat. Im Übrigen zeigt das vorangestellte Beispiel, dass ein Planungsfehler nicht einmal nach dem Wortlaut der Vorschrift und damit entgegen der Gesetzesbegründung vorliegen muss, um die Rechtsfolgen, nämlich den Ausschluss der Mehrvergütung, herbeizuführen.6 Weiterhin lässt die kurze Gesetzesbegründung erkennen, dass sich der Gesetzgeber nicht mit den verschiedenen Vertragsarten, die es im Baurecht gibt, auseinandergesetzt hat und sich ebenso wenig darüber Gedanken gemacht hat, wann dem Bauherrn

2 BT-Drucks. 18/11437, S. 41. 3 BT-Drucks. 18/11437, S. 41. 4 BT-Drucks. 18/11437, S. 41. 5 BT-Drucks. 18/11437, S. 41. 6 Orlowski, BauR 2017, 1427, 1433.

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durch sein Verhalten überhaupt ein Schaden entstehen würde, den es zu pönalisieren gilt. Zudem wird der Grundsatz missachtet, dass der Unternehmer grundsätzlich nicht das Vergütungsrisiko zu tragen hat.7 Der Ansatz des Gesetzgebers ist lediglich für den Fall, aber auch dann nicht in seiner Gesamtheit verallgemeinerungsfähig, wenn zwischen den Parteien ein Globalpauschalpreisvertrag abgeschlossen wurde. Wohl mag es nicht der alltägliche Fall sein, dass ausführende Unternehmen, die die Planung übernommen haben, auf Basis eines Einheitspreisvertrages tätig werden. Aber die Pauschalierung einer Leistung aufgrund eines detailliert ausgearbeiteten Leistungsprogramms im Sinne eines Detailpauschalpreisvertrages ist jedenfalls nicht unüblich. Zwischenfazit: Es lässt sich feststellen, dass der Gesetzgeber mit dieser Regelung eine erhebliche Rechtsunsicherheit schafft. Die nachstehend erörterten Ansätze in der Literatur sind berechtigt und gut begründet. Ob aber ein Gericht und schlussendlich in vielen Jahren vielleicht einmal der BGH genau diesen Abgrenzungskriterien angesichts des Gesetzeswortlautes folgt, ist zumindest mit einer gewissen Rechtsunsicherheit verbunden, die in der Beratungspraxis für Schwierigkeiten sorgen wird. Zudem werden es sich wohl viele Bauherren nicht nehmen lassen, die Formulierung in dem Gesetz zunächst einmal wörtlich zu nehmen und sich auf Auslegungsvarianten nicht einzulassen. Angesichts des klaren Wortlauts der Vorschrift kann man das den Beteiligten dann nicht einmal verübeln.

V. Lösungsansätze in der Literatur In den gängigen Kommentierungen besteht Einigkeit, dass der Gesetzgeber die Mehrvergütungsansprüche nicht in Gänze ausschließen wollte, wenn sie dem bisherigen Rechtsverständnis nicht widersprechen. Andererseits stellt sich dann die Frage, wofür die Regelung überhaupt geschaffen wurde. Denn die Rechtsfolge, dass ein planendes Unternehmen bei einem Planungsfehler die Planung kostenfrei zu überarbeiten hat und gegebenenfalls auch bereits umgesetzte Planungsfehler auf seine Kosten zurückbauen muss, um dann diese Regeln der Technik entsprechende Ausführung vornehmen zu können, bedurfte keiner Aufnahme in das Gesetz. Dies ist eine rechtliche Selbstverständlichkeit. Und dass der Unternehmer in solchen Situationen keinen Mehrvergütungsanspruch für das bloße Erbringen seiner Vertragsleistung hat, die in diesen Fällen letztlich eine Wiederholung der Erfüllung der Leistung darstellt, die nicht zu vergüten ist, ist auch eine rechtliche Selbstverständlichkeit. 7 Orlowski, BauR 2017, 1427, 1433.

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§ 650c Abs. 1 Satz 2 BGB: Keine Mehrvergütung oder „es kommt darauf an“?

Insoweit erscheint es nicht selbstverständlich, dass es sich lediglich um eine gesetzliche Klarstellung gehandelt hat, die eine Befreiung des Bestellers von den ihn grundsätzlich treffenden Sowieso-Kosten nicht vorsieht.8 Dass die Regelung materiell-rechtlich völlig ungerechtfertigt ist, trifft zu. Es erscheint auch angemessen, eine teleologische Reduktion dahingehend vorzunehmen, dass gerechtfertigte Sowieso-Kosten weiterhin vom Bauherrn zu bezahlen sind.9 Es bleibt aber zu bedenken, dass der Wortlaut die Grenze jeder Auslegung darstellt und dass die Gesetzesbegründung ebenfalls wenig Spielraum für eine teleologische Reduktion zulässt. Jedenfalls kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber bei der Regelung die baurechtlichen Einzelheiten vor Augen hatte, weshalb ein Rückschluss auf seinen Willen schwierig sein dürfte. Nach der Rechtsprechung, auch des Bundesverfassungsgerichts, gehört zu den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung die teleologische Reduktion. Sie ist dann vorzunehmen, wenn die auszulegende Vorschrift auf einen Teil der vom Wortlaut erfassten Fälle nicht angewandt werden soll, weil Sinn und Zweck der Norm, ihre Entstehungsgeschichte und der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen gegen eine uneingeschränkte Anwendung sprechen.10 Voraussetzung für eine teleologische Reduktion ist mithin, dass die vom Wortlaut umfassten Fälle der inneren Teleologie als der Zielsetzung des Gesetzes widersprechen würden. Üblicherweise findet man hinreichend Anhaltspunkte in derartigen Fällen in der Gesetzesbegründung. Die vorliegende Gesetzesbegründung sieht zwar als Ausführungspunkt noch einen Planungsfehler, der im Gesetzeswortlaut so keinen Niederschlag findet. Gleichwohl führt nach bisherigem Verständnis ein Planungsfehler nicht dazu, dass die dann erforderliche Bauausführung von dem Bauherrn, wenn die Kosten teilweise oder ganz als Sowieso-Kosten einzustufen sind, nicht zu bezahlen wäre. Dass die Leistungen für die Umplanung nicht zu vergüten sind, versteht sich nach bisherigem Recht ebenfalls von selbst.

VI. Aussicht und Empfehlung Es wird in der Praxis zu Auseinandersetzungen auf Grundlage dieser gesetzlichen Vorschrift kommt. Alles andere ist eigentlich nicht denkbar. Die dahinter stehenden wirtschaftlichen Interessen sind dafür letztlich zu gewichtig, als dass insbesondere 8 Von Rittelen in IBR-online Kommentar Bauvertragsrecht, 20.  Edition  2018, §  650c BGB Rz. 79. 9 Von Rittelen in IBR-online Kommentar Bauvertragsrecht, 20.  Edition  2018, §  650c BGB Rz. 79, Langen in Langen/Berger/Dauner-Lieb, BGB, § 650c BGB Rz. 63, Leupertz in Messerschmidt/Voit, Privates Baurecht, §  650c BGB Rz.  25; Erman/Rodemann, BGB, §  650c BGB Rz. 7; Mund in BeckOGK-BGB, § 650c BGB Rz. 8; Retzlaff, BauR 2017, 1749, 1805; Orlowski, BauR 2017, 1421, 1433. 10 BVerfG v. 31.10.2016 – 1 BvR 871/13 und 1 BvR 1833/13, NVwZ 2017, 617; ebenso OLG Frankfurt v. 8.2.2018 – 1 U 196/16, BeckRS 2018, 4085.

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Meinhard Forkert und Joachim Bermel

Bauherren nicht der teleologischen Reduktion oder Auslegung dieser Norm uneingeschränkt folgen werden. Angesichts des Gesetzeswortlauts ist dies nachvollziehbar. Selbst in der DeutscheHandwerksZeitung.de, 28.12.2017, heißt es: „Neu ist auch, dass der Bauunternehmer für zur Erreichung des Werkerfolgs notwendige Änderungsleistungen nur dann eine Vergütung für vermehrten Aufwand beanspruchen kann, wenn ihm nicht die Planung übertragen wurde (§ 650c Abs. 1 S. 2 BGB n.F.). Wer also auch plant, hat das Risiko seiner unvollständigen oder unrichtigen Planung zu tragen. Auch sog. Sowieso-Kosten, also Kosten, die von Anfang an erforderlich waren, können hiernach wohl nicht mehr seitens des Bauunternehmers verlangt werden.“ Es muss deshalb eine schnelle Reaktion des Gesetzgebers erfolgen. Unseres Erachtens empfiehlt es sich, den Passus ersatzlos zu streichen, da diese Situation hinreichend mit den geltenden Regelungen erfasst wird und zu den richtigen Ergebnissen führt. Es wäre wenig sinnvoll, wenn gerichtliche Entscheidungen zu einer Problematik und einer Norm ergehen würden – also zu einer Situation, die im alten Recht keine Probleme bereitet hat. Das neue Bauvertragsrecht hatte nämlich ursprünglich die Grundzielsetzung, die bisherigen Probleme des Bauvertragsrechts zu vereinfachen und auch zu klären.

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Josef Fullenkamp

Haftung des Rechtsanwalts bei Fehlern des Gerichts Inhaltsübersicht I. Problemstellung II. Pflichten des Prozessanwalts 1. Sachverhaltsaufklärung 2. Prozessvortrag a) Tatsachen b) Rechtsausführungen c) Reaktion auf Hinweise des Gerichts d) Fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung 3. Abschluss eines Vergleichs

III. Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden 1. Fehlerhafte Überprüfung gerichtlicher Hinweise 2. Vorbeugende Vermeidung gerichtlicher Fehler IV. Fazit

I. Problemstellung Es entspricht seit langem der höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass Fehler des Gerichts die Haftung des Prozessanwalts für schuldhafte Pflichtverletzungen im Rahmen seiner Prozessführung nicht ausschließen.1 Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung verurteilte der BGH in einer Entscheidung vom 17.1.20022 einen Rechtsanwalt zum Schadensersatz, weil er es zum einen versäumt hatte, bei der Abfassung eines Vergleichstextes im Unterhaltsverfahren für eine vollständige und richtige Niederlegung des Willens seines Mandanten zu sorgen und zum anderen das Gericht im nachfolgenden Abänderungsverfahren nicht darauf hingewiesen hatte, dass nach der ständigen Rechtsprechung des BGH die Bestimmung des § 323 ZPO nicht auf Prozessvergleiche anzuwenden ist. Der verurteilte Rechtsanwalt erhob gegen diese Entscheidung Verfassungsbeschwerde, die nicht zur Entscheidung angenommen wurde. Allerdings führte das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluss vom 12.8.20023 in einem obiter dictum aus, es sei verfassungsrechtlich bedenklich, dass rechtsfehlerhaftes Unterlassen eines Gerichts, das die Folgen eines anwaltlichen Fehlers perpetuiere, obwohl ihr Eintritt durch eine prozessordnungsgemäße Beweisaufnahme hätte verhindert werden können, haftungsrechtlich unbeachtlich sei. Dem BGH hätte sich die Frage aufdrängen müssen, ob in die Berufsausübungsfreiheit eines Rechtsanwalts eingegriffen werde, wenn er für eine missverständliche Formulierung haftbar gemacht werde, obwohl sie bei fehlerfreiem Verhalten des Gerichts nicht zum Schadenseintritt geführt hätte. 1 Vgl. z.B. BGH, NJW-RR 2017, 540, 543; NJW 2016, 957 f.; NJW 2008, 1309, 1310 f.; NJW 1998, 2048, 2050; NJW-RR 1990, 1241, 1242. 2 BGH, NJW 2002, 1048 ff. 3 BVerfG, NJW 2002, 2937, 2938.

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Josef Fullenkamp

Auch wenn eine Amtshaftung wegen des Spruchrichterprivilegs regelmäßig ausscheide, legitimiere dies nicht die Haftungsverschiebung zu Lasten der Rechtsanwälte, ohne in Rechnung zu stellen, dass hierbei deren Grundrechte berührt werden. Entsprechendes gelte auch für den Vorwurf, es pflichtwidrig unterlassen zu haben, das Gericht auf dessen falsche Rechtsauffassung im Zusammenhang mit § 323 ZPO hinzuweisen. Dazu hat das BVerfG4 weiter wörtlich ausgeführt: „Fehler der Richter sind – soweit möglich – im Instanzenzug zu korrigieren. Soweit dies aus Gründen des Prozessrechts ausscheidet, greift grundsätzlich nicht im Sinne eines Auffangtatbestands die Anwaltshaftung ein. Kein Rechtsanwalt könnte einem Mandanten mehr zur Anrufung der Gerichte raten, wenn er deren Fehler zu verantworten hätte … . Die Gerichte sind verfassungsrechtlich nicht legitimiert, den Rechtsanwälten auf dem Umweg über den Haftungsprozess auch die Verantwortung für die richtige Rechtsanwendung zu überbürden.“ Damit hat das BVerfG dem BGH im Kern vorgehalten, dass es bedenklich sei, wenn der Anwalt für einen Schaden seines Mandanten, der durch einen Fehler des Gerichts verursacht worden sei, einstehen müsse, weil der Richter wegen des Spruchrichterprivilegs gemäß § 839 Abs. 2 BGB nicht hafte. Die Richterin am BVerfG Jäger hielt den Kritikern dieser Entscheidung entgegen:5 „Die Richterin in mir empfindet es beschämend, wenn Gerichte den Anwalt für Gerichtsfehler haften lassen. Es ist schon hart, dass der im Prozess am Ende Unterlegene auch die Gerichtskosten trägt, die durch Irrtümer und Verfahrensfehler der Richter im Instanzenzug entstehen. Das Risiko einer unzulänglichen Justiz geht voll zu Lasten der Rechtsuchenden. Wäre es nicht so, wäre dem Staat vielleicht auch mehr an der Qualität richterlicher Arbeit gelegen.“ Im Jahre 2009 hatte die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG erneut Gelegenheit, sich mit dieser Problematik zu beschäftigen und ist deutlich von dem Beschluss aus 2002 abgerückt.6 In der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidung des BGH7 ging es darum, dass der Berufungsanwalt es versäumt hatte, das Berufungsgericht auf eine Entscheidung des BGH hinzuweisen, die er „ohne sonderliche Mühe (hätte) auffinden und verarbeiten können“.8 Dass Entsprechendes auch für das Berufungsgericht galt, konnte den Anwalt nicht entlasten. Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen und betont, dass gegen die Haftungsverschiebung zu Lasten des Rechtsanwalts keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestünden. Aus dem Umstand, dass die Haftung für den Verursachungsbeitrag des Gerichts durch § 839 Abs. 2 BGB im Unterschied zur Haftung des Rechtsanwalts beschränkt ist, ergebe sich keine Besonderheit. Auch in anderen Bereichen des Schadensersatzrechts komme es vor, dass mehrere Verantwortliche einen Schaden herbeiführten, sich aber nicht jeder von ihnen auf eine vertragliche oder gesetzliche Haftungserleichterung oder einen Haftungsausschluss berufen könne.

4 BVerfG, NJW 2002, 2937, 2938. 5 BVerfG, NJW 2004, 1, 5. 6 BVerfG, NJW 2009, 2945, 2946.  7 BGH, NJW 2009, 987. 8 BGH, NJW 2009, 987 Rz. 12.

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Haftung des Rechtsanwalts bei Fehlern des Gerichts

Diese Klarstellung war geboten, weil der anwaltsfreundliche Beschluss des BVerfG vom 12.8.2002 die Problematik deutlich macht und auf dem ersten Blick überzeugend argumentiert, dass der Anwalt nicht für Fehler des Gerichts einstehen soll, gleichzeitig aber verkennt, dass der Rechtsanwalt nach der Rechtsprechung des BGH nicht für Fehler des Gerichts haftet, sondern immer nur für eigene schuldhafte Pflichtverletzungen. Hat sich der Rechtsanwalt pflichtgemäß verhalten, haftet er selbstverständlich nicht für einen Schaden, den sein Mandant durch einen Fehler des Gerichts erleidet.9 Vielmehr stellt sich die Frage, welche Pflichten dem Anwalt obliegen, damit Fehler des Gerichts vermieden werden, und ob die durch eine Pflichtverletzung in Gang gesetzte Ursachenkette durch den Fehler des Gerichts unterbrochen wird und dem Rechtsanwalt nicht mehr zugerechnet werden kann.10

II. Pflichten des Prozessanwalts Den Prozessanwalt treffen eine Vielzahl von Pflichten gegenüber dem Mandanten, die hier nicht umfassend dargestellt werden können. Nachfolgend werden einzelne Pflichten aufgezeigt, die im Zusammenhang mit potentiellen Fehlern des Gerichts von Bedeutung sind. 1. Sachverhaltsaufklärung Der Rechtsanwalt ist zunächst verpflichtet, den für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Sachverhalt durch Befragung des Mandanten möglichst genau aufzuklären. Ist der Sachverhalt unklar oder erkennbar unvollständig, muss der Rechtsanwalt sich bemühen, durch Befragung des Mandanten ein möglichst vollständiges und objektives Bild zu gewinnen, um auf dieser Grundlage die Rechtslage sachgerecht beurteilen zu können.11 Dabei darf der Rechtsanwalt auf die Richtigkeit der Angaben des Mandanten solange vertrauen und braucht insoweit keine eigenen Nachforschungen anzustellen, als er die Unrichtigkeit der Angaben weder kennt noch erkennen muss.12 Geht es um komplizierte technische Fragen, kann es im Einzelfall geboten sein, dem Mandanten zu empfehlen, den Sachverhalt von einem Sachverständigen aufbereiten zu lassen, um auf diese Weise einen substantiierten Sachvortrag zu gewährleisten. Besondere Sorgfaltspflichten gelten nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung,13 soweit es um rechtliche Angaben des Mandanten geht. Zur Begründung führt der BGH aus, dass der Anwalt damit rechnen müsse, dass der Mandant die damit verbundenen Beurteilungen nicht verlässlich genug allein vornehmen könne, weil ihm entsprechende Erfahrungen und Kenntnisse fehlten. Wenn der Mandant Rechtstat­ sachen mitteilt, hat der Anwalt sie durch Rückfragen in die zugrundeliegenden 9 Vgl. Zugehör, NJW 2003, 3225, 3227. 10 Vgl. Zugehör, NJW 2003, 3225, 3227; s. dazu auch Medicus, AnwBl. 2004, 257. 11 Vgl. BGH, NJW 2019, 1151, 1152 mwN; NJW 1998, 2048, 2050 mwN. 12 So BGH, NJW 2019, 1151, 1152; NJW 1998, 2048, 2050. 13 BGH, NJW 2019, 1151, 1152; ebenso NJW 1985, 1154, 1155.

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tatsächlichen Umstände und Vorgänge aufzulösen oder, sofern dies keine zuverlässige Klärung erwarten lässt, weitere Ermittlungen anzustellen.14 Angaben des Mandanten über den Zugang einer Kündigung betreffen eine so genannte Rechtstatsache, auf die der Rechtsanwalt sich nicht verlassen darf. Wann eine Willenserklärung unter Abwesenden zugegangen ist, hängt von einer rechtlichen Beurteilung ab, die der Rechtsanwalt selbst anstellen muss.15 Entsprechendes gilt für Angaben des Mandanten zum Zeitpunkt der Urteilszustellung. Der Rechtsanwalt darf nicht die Angaben des Mandanten übernehmen, sondern muss eine eigene Klärung herbeiführen.16 Der dargestellten Rechtsprechung zu rechtlichen Angaben des Mandanten ist uneingeschränkt zuzustimmen. Es gehört zu den primären Aufgaben des Rechtsanwalts, die Rechtslage umfassend zu prüfen, um die Erfolgsaussichten des Mandanten in einem Rechtsstreit beurteilen zu können. Das setzt zwingend voraus, dass der Rechtsanwalt selbst sämtliche in Betracht kommenden Anspruchsvoraussetzungen und Einwendungen auf der Grundlage des zuvor aufbereiteten Sachverhalts überprüft. 2. Prozessvortrag a) Tatsachen aa) Schlüssiger Sachvortrag mit „gebotener Deutlichkeit“ Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, sämtliche entscheidungserheblichen Tatsachen schlüssig vorzutragen und unter Beweis zu stellen.17 Wird die Klageforderung auf mehrere selbständige Vertragsverletzungen gestützt, ist zu den jeweiligen Anspruchsvoraussetzungen substantiiert vorzutragen.18 Fraglich ist, wie umfassend der Sachvortrag in allen Einzelheiten zu erfolgen hat und ob der Rechtsanwalt sich darauf verlassen darf, dass das Gericht Schlussfolgerungen, die sich aus dem Vortrag ergeben, tatsächlich auch zieht. Der BGH hat dazu den Pflichtenkreis des Rechtsanwalts in einer Entscheidung vom 10.12.201519 sehr weit gezogen. Der in Regress genommen Rechtsanwalt vertrat den Kläger in einem Rechtsstreit gegen die D-GmbH, die auf der Grundlage eines Speditionsvertrages mit der Verschiffung mehrere Maschinen von den USA nach Frankreich betraut war und auf Schadensersatz in Anspruch genommen wurde, weil die Maschinen beschädigt worden waren. Zwischen den Parteien war streitig, ob entsprechen dem Vortrag des Klägers eine Allgefahrenversicherung („All Risk“) oder lediglich eine Strandungsfalldeckung 14 Vgl. BGH, NJW 2019, 1151, 1152; NJW-RR 1995, 825, 826; NJW 1996, 2929, 2931; Vill in G. Fischer/Vill/D. Fischer/Rinkler/Chab, HdB der Anwaltshaftung, § 2 Rz. 42; Heinemann in Vollkommer/Greger/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, § 10 Rz. 17. 15 BGH, NJW 2019, 1151, 1152.  16 BGH, NJW 1995, 825, 826. 17 S. dazu Vill in G. Fischer/Vill/D. Fischer/Rinkler/Chab, HdB der Anwaltshaftung, 4. Aufl., § 2 Rz. 215 ff. 18 BGH, NJW 2016, 957, 958. 19 BGH, NJW 2016, 957, 958 mit krit. Anm. Borgmann; s. auch Deckenbrock, NJW 2018, 1636, 1637.

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(„C-Klausel“) vereinbart war. Die Klage wurde abgewiesen und der Kläger nahm seinen Rechtsanwalt auf Schadensersatz in Anspruch, weil dieser nicht hinreichend zur All-Risk-Versicherung vorgetragen habe. Das Berufungsgericht20 hat eine Pflicht­ verletzung des Rechtsanwalts verneint. Dieser habe ausweislich der Klageschrift des Vorprozesses unter Beweisantritt vorgetragen, dass der Abschluss einer All-Risk-­ Versicherung vereinbart gewesen sei, die D-GmbH jedoch abredewidrig eine Seetransportversicherung mit C-Klausel abgeschlossen habe. Dass eine All-Risk-Versicherung sämtliche Schäden abdecke, ergebe sich schon aus ihrer Bezeichnung. Der BGH21 teilte die Auffassung des OLG Frankfurt nicht. Der Rechtsanwalt habe die anwaltliche Sorgfaltspflicht nicht beachtet, weil er den streitentscheidenden Gesichtspunkt der Verwirklichung eines vereinbarungswidrigen, unzureichenden Versicherungsschutzes nicht mit der „gebotenen Deutlichkeit“ zum Gegenstand des Rechtsstreits gemacht habe. Da es sich bei der All-Risk-Versicherung um eine spezielle Versicherungsart und nicht um einen – wie etwa Eigentum – jedermann geläufigen einfachen Rechtsbegriff gehandelt habe, habe erläutert werden müssen, dass eine solche Versicherung verschuldensunabhängig sämtliche bei der Beförderung erlittenen Beschädigungen ausgeglichen hätte. Darauf aufbauend sei dieser eigenständige Vertragsanspruch durch die weitere Darlegung zu untermauern gewesen, dass bei Abschluss einer All-Risk-Versicherung der eingetretene Schaden unabhängig von einer Verursachung durch die Prozessgegnerin allein wegen der Möglichkeit einer Inanspruchnahme des Versicherers vermieden worden wäre. Den Rechtsanwalt entlastet es nach Auffassung des BGH auch nicht, wenn die Gerichte des Vorprozesses den sich ergebenden Rechtsfragen nicht das gebotene Augenmerk gewidmet haben, obwohl der lückenhafte Sachvortrag der Partei möglicherweise das Gericht hätte veranlassen müssen, einen Hinweis gemäß § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO zu erteilen. Eine etwaige fehlerhafte Handhabung durch das Gericht beruhe in einem solchen Fall maßgeblich auf Fehlern, deren Auftreten der Rechtsanwalt durch sachgemäßen Vortrag hätte verhindern müssen.22 Nach dieser Rechtsprechung reicht es nicht, wenn der Rechtsanwalt die maßgeblichen Tatsachen vorträgt, sondern er muss die Tatsachen mit der “gebotenen Deutlichkeit“23 vortragen, wobei in jedem Einzelfall gesondert zu beurteilen ist, was der gebotenen Deutlichkeit entspricht. Borgmann24 hält dem BGH in ihrer Entscheidungsanmerkung zu Recht entgegen, dass sich schon aus dem Wortlaut ergebe, was unter einer All-Risk-Versicherung in der Transportversicherung zu verstehen sei, und die stattdessen abgeschlossene Mindestversicherung geringere Risiken abdecke, zumal der Kläger des Vorprozesses ansonsten gar nicht geklagt hätte. Auch das vom BGH aufgehobene Berufungsgericht war der Auffassung, dass der Rechtsanwalt hinreichend deutlich vorgetragen hatte. Man kann wohl auch davon ausgehen, dass die weit überwiegende Zahl der Gerichte den Vortrag des verklagten Rechtsanwalts berücksichtigt 20 OLG Frankfurt, BeckRS 2016, 1189. 21 BGH, NJW 2016, 957 f. 22 BGH, NJW 2016, 957, 959; ebenso NJW 1998, 2048, 2050; NJW 2008, 1309. 23 BGH, NJW 2016, 957, 959 Rz. 9. 24 Borgmann, NJW 2016, 957, 959.

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oder ihn im Rahmen eines richterlichen Hinweises aufgefordert hätte, den Deckungsschutz der All-Risk-Versicherung näher zu erläutern. Auch das vermag den Rechtsanwalt nicht zu entlasten, weil er bei seinem Sachvortrag „auf das auch bei Richtern nur unvollkommene menschliche Erkenntnisvermögen und die niemals auszuschließende Möglichkeit eines Irrtums“ Rücksicht nehmen muss und „nach Kräften dem Aufkommen von Irrtümern und Versehen des Gerichts“ entgegenwirken muss.25 Der Auffassung des BGH ist nicht zuzustimmen, weil der Pflichtenkreis zu weit gezogen wird und nicht bestimmbar ist. Aus dem Anwaltsvertrag ergibt sich die Verpflichtung des Rechtsanwalts, die Interessen des Mandanten bestmöglich zu vertreten, was auch beinhaltet, dass er im Interesse des Mandanten umfassend vorzutragen hat, um Fehler des Gerichts zu vermeiden. Allerdings muss der Pflichtenkreis objektivierbar sein. Der Rechtsanwalt muss bei Bearbeitung des Mandats abschätzen können, was von ihm erwartet wird. Das aber ist nur gewährleistet, wenn man darauf abstellt, ob er die zur Schlüssigkeit des Vortrages erforderlichen Tatsachen aus der Sicht eines durchschnittlichen Richters in verständlicher und nachvollziehbarer Weise vorgetragen hat. Dabei darf der Rechtsanwalt sich an der ständigen Rechtsprechung des BGH26 orientieren, wonach ein Vortrag schlüssig und ausreichend substantiiert ist, wenn die vorgetragenen Tatsachen in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht zu begründen. Er darf zudem darauf vertrauen, dass der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gewahrt (Art. 103 Abs. 1 GG) und der aktenkundige Vortrag vom Gericht zur Kenntnis genommen wird, so dass er nicht gehalten ist, dieselben Tatsachen mehrfach vorzutragen, damit sie vom Gericht beachtet werden.27 Eine darüberhinausgehende Ausdehnung des Pflichtenkreises hätte in der Tat zur Folge, dass der Rechtsanwalt ersatzweise für Ausreißer des Gerichts haften würde, was nach dem oben28 zitierten Beschluss des BVerfG verfassungsrechtlich bedenklich wäre. bb) Vortrag ins Blaue hinein Der Mandant kann den Rechtsanwalt nur mit den Tatsachen versorgen, die ihm bekannt sind. Das reicht im Falle des substantiierten Bestreitens durch den Prozessgegner häufig nicht aus, um den Anspruch oder die Einwendung schlüssig darzulegen. In einer solchen Situation kommt es der Partei entgegen, dass eine Behauptung mit einem Beweisantrag „ins Blaue hinein“ vorgetragen werden darf, sofern es konkrete Anhaltspunkte für die Richtigkeit der Tatsache gibt und sie nicht willkürlich „aufs Geratewohl“ aufgestellt wurde.29 Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, den Mandanten auf diese Möglichkeit hinzuweisen und zu empfehlen, in bestimmten Punkten ins 25 BGH, NJW-RR 2017, 540, 542; NJW 2016, 957, 959; ebenso bereits BGH NJW 2009, 987. 26 BGH, NJW 2018, 1954, 1955 mwN. 27 Borgmann (Fn. 23) erinnert die Argumentation des BGH an die Auftrittsszene des Mephisto in Goethes Faust I: Du musst es dreimal sagen!; Mäsch (JuS 2016, 457, 459) verweist darauf, dass durch die Rechtsprechung die Sorgfaltsanforderungen an den Rechtsanwalt ständig verschärft würden. 28 BVerfG, NJW 2002, 2937, 2938. 29 Vgl. BGH, NJW-RR 2015, 829 f.; NJW 2018, 1954, 1955; NJW-RR 2004, 337, 338.

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Blaue hinein vorzutragen und konkret zu begründen, warum der Vortrag unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zulässig ist. Geschieht das nicht, kann darin eine Pflichtverletzung zu sehen sein. b) Rechtsausführungen Der Rechtsanwalt darf sich nicht auf den Grundsatz „iura novit curia” verlassen und darauf vertrauen, dass das Gericht das Recht richtig anwendet. Dieser betrifft allein das Verhältnis der juristisch nicht gebildeten Naturalpartei zum Gericht.30 Der Rechtsanwalt muss im Prozess einschließlich der Rechtsausführungen alles vorbringen, was die Entscheidung des Gerichts beeinflussen kann.31 Dass auch Rechtsausführungen vorzutragen sind, ist nicht selbstverständlich, denn die ZPO enthält dazu nur den Hinweis in §  137 Abs.  2 ZPO, dass der Vortrag der Partei in der mündlichen Verhandlung das Streitverhältnis in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung zu umfassen hat. Daraus leitet der BGH32 ab, dass der Vortag sich auch auf Rechtsausführungen zu erstrecken hat.33 Unabhängig davon ergibt sich aus dem Anwaltsvertrag die Verpflichtung des Prozessanwalts, den Mandanten vor voraussehbaren und vermeidbaren Nachteilen zu bewahren34 und das Gericht davon zu überzeugen, dass und warum seine Rechtsauffassung zutreffend ist.35 Dazu gehört auch „das Rechtsdickicht zu lichten“, wie es der BGH36 formuliert. Folglich hat der Rechtsanwalt im Interesse des Mandanten dem Gericht seine Rechtsauffassung darzulegen und durch Hinweise auf die Rechtsprechung und Literatur zu untermauern, soweit das möglich ist. Fraglich ist, wie weit diese Pflicht reicht. Der Rechtsanwalt ist sicher gefordert, eine Rechtsprechungsrecherche anzustellen und das für den Mandanten günstige Ergebnis vorzutragen, wenn er aufgrund eines Hinweises des Gerichts, einer prozessleitenden Verfügung oder der Erörterung in der mündlichen Verhandlung erkennt, dass das Gericht seiner Rechtsauffassung nicht folgt.37 Auf der anderen Seite ist er nicht gehalten, bereits in der Klagebegründung die rechtlichen Ausführungen zu jeder einzelnen Tatbestandsvoraussetzung durch Nachweise zu belegen. Der Umfang der Rechtsausführungen hängt im Einzelfall vom Schwierigkeitsgrad der zu beurteilenden Rechtsfragen, dem Vortrag des Prozessgegners und dem Prozessverlauf ab.

30 BGH, NJW 2009, 987, 988; Medicus, AnwBl. 2004, 257, 260. 31 BGH, NJW 2017, 540, 542; NJW 2016, 957, 958; NJW 1974 1865, 1866. 32 BGH, NJW 2009, 987, 988. 33 S.  dazu auch Vill in G. Fischer/Vill/D. Fischer/Rinkler/Chab, HdB der Anwaltshaftung, 4. Aufl., § 2 Rz. 226 ff. 34 Vgl. BGH, NJW 2010, 73, 74. 35 BGH, NJW 2016, 957, 958; NJW-RR 1990, 1241; NJW 1994, 1211, 1213. 36 BGH, NJW 2016, 957, 958 unter Hinweis auf Vill in G. Fischer/Vill/D. Fischer/Rinkler/ Chab, HdB der Anwaltshaftung, 4. Aufl., § 2 Rz. 54. 37 Vgl. BGH, NJW 2009, 987.

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c) Reaktion auf Hinweise des Gerichts Erteilt das Gericht einen Hinweis, darf der Rechtsanwalt die darin zum Ausdruck kommende Auffassung des Gerichts nicht unbesehen übernehmen,38 sondern muss sich eine eigene Meinung bilden. Er muss prüfen, welche Konsequenzen sich daraus für den Mandanten ergeben, die gegen die Auffassung des Gerichts sprechenden Gesichtspunkte herausarbeiten und dem Gericht vortragen, um eine für den Mandanten negative Entscheidung zu vermeiden. Fehlerhafte Hinweise des Gerichts entlasten den Rechtsanwalt nicht, wenn er den Fehler erkennen musste und darauf nicht richtig reagiert hat. In einem vom BGH39 entschiedenen Fall zahlte der Kläger den Gerichtskostenvorschuss ein, um die Zustellung demnächst im Sinne des § 167 ZPO zu bewirken. Danach erhielt er vom Gericht den Hinweis, dass der Gerichtkostenvorschuss nicht eingezahlt sei und die Klage nicht zugestellt werde. Der Rechtsanwalt reagierte darauf nicht und verletzte damit die ihm obliegenden vertraglichen Pflichten. Er musste sich die Untätigkeit des Gerichts zurechnen lassen, weil er das Gericht nicht darauf hingewiesen hatte, dass der Kostenvorschuss eingezahlt war und die Klage zugestellt werden musste. d) Fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung Nach § 232 ZPO in der seit dem 1.1.2014 geltenden Fassung muss jede anfechtbare gerichtliche Entscheidung eine Belehrung über das statthafte Rechtsmittel enthalten, sofern die Parteien sich in dem jeweiligen Verfahren nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen. Maßgeblich ist nicht, ob die Partei anwaltlich vertreten ist, sondern ob Anwaltszwang besteht.40 Im Falle eines Wiedereinsetzungsgesuchs wird gemäß § 233 S. 2 ZPO widerleglich vermutet, dass die Frist nicht schuldhaft versäumt wurde. Die Wirkungen der Vermutung sollen nach der Gesetzesbegründung auch davon anhängen, ob die Partei anwaltlich vertreten war oder nicht.41 Auch die anwaltlich vertretene Partei kann sich grundsätzlich auf die Richtigkeit einer Belehrung durch das Gericht verlassen. Allerdings entschuldigt eine falsche Rechtsbehelfsbelehrung nur, wenn sie zu einem unvermeidbaren oder zumindest entschuldbaren Rechtsirrtum geführt hat. Ein vermeidbarer Rechtsirrtum ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung42 entschuldbar, wenn die Rechtsmittelbelehrung nicht offenkundig fehlerhaft und der durch sie verursachte Irrtum nachvollziehbar ist. Offenkundig fehlerhaft ist eine Rechtsmittelbelehrung, wenn sie unter Berücksichtigung des bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstandes nicht einmal

38 Vgl. Fischer in G. Fischer/Vill/D. Fischer/Rinkler/Chab, HdB der Anwaltshaftung, 4. Aufl., § 4 Rz. 45. 39 BGH, NJW 2010, 73. 40 Vgl. Deckenbrock, NJW 2018, 1636, 1638: Der Gesetzgeber stellt auf die abstrakte Schutzbedürftigkeit ab. 41 Vgl. Deckenbrock, NJW 2018, 1636, 1638. 42 BGH, NJW 2018, 165; NJW 2017, 1112, 1113.

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den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermochte.43 Nur dann ist die Vermutung des fehlenden Verschuldens gem. § 233 S. 2 ZPO widerlegt. Nach diesen Grundsätzen ist der Rechtsanwalt gut beraten, wenn er sich nicht auf die gerichtliche Rechtsmittelbelehrung verlässt, sondern die Rechtsmittelfrist eigenständig prüft. Der BGH44 hat einen unverschuldeten Rechtsirrtum in einer Wohnungseigentumssache bejaht, in welcher der Rechtsanwalt die Berufung aufgrund einer unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung nicht bei dem nach § 72 Abs. 2 GVG zuständigen Berufungsgericht eingelegt hatte. In einer älteren Entscheidung aus dem Jahr 1993 hat der BGH45 in einer Landwirtschaftssache ausgeführt, dass der Rechtsanwalt sich auf eine die Rechtsmittelbelehrung verlassen durfte, die dem Urteil des zuständigen Fachsenats am OLG beigefügt war, denn der Rechtsanwalt müsse nicht klüger sein als der zuständige Fachsenat des Berufungsgerichts. Demgegenüber hat der BGH46 in einer Landwirtschaftssache die Rechtsmittelbelehrung des Amtsgerichts, wonach die Berufung beim übergeordneten Landgericht einzulegen war, als offenkundig fehlerhaft angesehen, weil im Landwirtschaftsverfahrensgesetz die Zuständigkeit des OLG für alle Berufungssachen, in denen in erster Instanz das Landwirtschaftsgericht entschieden habe, eindeutig geregelt sei. Ebenso ist der 12. Zivilsenat des BGH47 in einer Unterhaltssache von einer offenkundig fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung ausgegangen, die dem Rechtsanwalt auffallen musste, weil die Unterteilung in Familienstreitund Ehesachen einerseits und Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit andererseits zu den verfahrensrechtlichen Grundkenntnissen eines im Familienrecht tätigen Rechtsanwalts gehörten. Zutreffend hat der BGH in der letztgenannten Entscheidung weiter ausgeführt, dass es unerheblich sei, ob der Rechtsanwalt ein Fachanwalt für Familienrecht war oder nicht, weil der Rechtsanwalt mit der Übernahme eines entsprechenden Mandats diese verfahrensrechtliche Sachkunde für sich in Anspruch nehme.48 Der Rechtsanwalt muss bei Übernahme des Mandats entscheiden, ob er sich in der Lage sieht, die Interessen des Mandanten bestmöglich zu vertreten. Sieht er sich nicht dazu in der Lage, weil er auf dem betroffenen Rechtsgebiet nicht über eine Fachanwaltsqualifikation oder das erforderliche Fachwissen verfügt, muss er das Mandat ablehnen oder den Mandanten ausdrücklich auf sein eingeschränktes Fachwissen hinweisen. 3. Abschluss eines Vergleichs Das Gericht hat nach § 278 Abs. 1 ZPO in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Streitbeilegung hinzuwirken. Kommt es in der mündlichen Verhandlung zu Vergleichsgesprächen, werden diese häufig auf der Grundlage der vom Gericht zuvor mitgeteilten rechtlichen Beurteilung der Sache oder eines gerichtlichen Vergleichs43 BGH, NJW 2018, 165. 44 BGH, NJW 2017, 3002, 3003. 45 BGH, NJW 2003, 3206. 46 BGH, NJW 2018, 165, 166. 47 BGH, NJW-RR 2018, 385, 386. 48 BGH, NJW-RR 2018, 385 Rz. 8; dazu kritisch Deckenbrock, NJW 2018, 1636, 1639.

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vorschlages geführt. Nicht selten bitten auch die Prozessbevollmächtigten der Parteien das Gericht, einen Vergleich vorzuschlagen, weil es dann leichter ist, den Mandanten oder den Rechtsschutzversicherer von den Vorteilen des ins Auge gefassten Vergleichs zu überzeugen. Der Rechtsanwalt muss in dieser Situation stets bedenken, dass er sich nicht darauf verlassen darf, dass die vom Gericht dargestellte rechtliche Beurteilung richtig und der Vergleichsvorschlag sachgerecht ist. Er ist auch bei einem konkreten Vergleichsvorschlag des Gerichts verpflichtet, die Interessen des Mandanten umfassend wahrzunehmen und ihn vor vermeidbaren Nachteilen zu bewahren, wozu auch gehört, dass dem Mandanten die Vor- und Nachteile eines Vergleichs aufgezeigt werden.49 Der Rechtsanwalt muss von einem Vergleich abraten, wenn die berechtigte Aussicht besteht, mit einer streitigen Entscheidung ein wesentlich günstigeres Ergebnis zu erzielen.50 Die Beratung muss so umfassend sein, dass der Mandant in die Lage versetzt wird, auf dieser Grundlage eine sachgerechte Entscheidung zu treffen. Entspricht die Beratung nicht diesen Anforderungen, haftet der Rechtsanwalt für den Schaden, der dem Mandanten durch den Abschluss eines ungünstigen Vergleichs oder durch die Ablehnung eines bestimmten Vergleichsvorschlages entstanden ist. Er kann sich nicht damit entlasten, dass das Gericht die Rechtslage falsch beurteilt oder einen nicht der Interessenlage des Mandanten entsprechenden Vergleichsvorschlag unterbreitet habe.

III. Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden 1. Fehlerhafte Überprüfung gerichtlicher Hinweise Hat der Rechtsanwalt es pflichtwidrig versäumt, eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung oder einen richterlichen Hinweis hinreichend zu überprüfen und erleidet der Mandant dadurch einen Schaden, ist die Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem Schaden in der Regel unproblematisch zu bejahen. In diesen Fällen liegt die Aufgabe des Rechtsanwalts gerade darin, die Hinweise des Gerichts zu überprüfen und im Interesse des Mandanten daraus die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen, um Nachteile abzuwenden. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, hat er den Mandanten im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, wie dieser im Falle einer ordnungsgemäßen Pflichterfüllung gestanden hätte. Entsprechendes gilt, wenn er dem Mandanten im Hinblick auf einen fehlerhaften rechtlichen Hinweis des Gerichts zum Abschluss eines nachteiligen Vergleichs rät oder nicht dafür sorgt, dass das tatsächlich Gewollte im Vergleichstext mit hinreichender Deutlichkeit festgehalten wird. Zurechnungsprobleme ergeben sich allerdings, wenn der Schaden erst durch das Hinzutreten eines Dritten realisiert wird, 49 BGH, NJW 2016, 3430; NJW 2010, 1357. 50 BGH, NJW 2016, 3430 mwN; Vill in G. Fischer/Vill/D. Fischer/Rinkler/Chab, HdB der Anwaltshaftung, 4. Aufl., § 2 Rz. 282.

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etwa weil das Gericht im Folgeprozess, in dem es um die Auslegung des Vergleichs geht, einen Beweisantrag des Rechtsanwalts zum Willen der Vertragsparteien bei Abschluss des Vergleichs übergeht. Der BGH51 hat in diesem Fall die Kausalität bejaht und keine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs angenommen, obwohl der Rechtsanwalt im Folgeprozess, in dem es um die Abänderung des zuvor nicht eindeutig formulierten Unterhaltsvergleichs ging, unter Beweisantritt vorgetragen hat, dass der nach Abschluss des Vergleichs eingetretene Wechsel der Steuerklasse beim Unterhaltspflichtigen eine Neuberechnung des Unterhalts ermöglichen sollte. Über diesen Beweisantrag hat das Gericht sich hinweggesetzt und es hat darüber hinaus bei seiner Abweisung der Abänderungsklage nicht berücksichtigt, dass §  323 ZPO nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung auf Prozessvergleiche nicht anzuwenden ist. Die gebotene wertende Betrachtung52 muss in diesem Fall dazu führen, dass der Zurechnungszusammenhang unterbrochen ist.53 Der Rechtsanwalt hat seinen Fehler im Folgeprozess korrigiert. Dass das Gericht sich unter Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs über diesen Sachvortrag hinweggesetzt hat, ist dem Rechtsanwalt nicht zuzurechnen. 2. Vorbeugende Vermeidung gerichtlicher Fehler Fraglich ist weiter, wie die Fälle zu beurteilen sind, in denen der Rechtsanwalt Tatsachen nicht mit der „gebotenen Deutlichkeit“ vorgetragen, die Rechtslage nicht ausführlich genug dargestellt und auf die seinen Rechtsstandpunkt unterstützende Rechtsprechung hingewiesen hat, obwohl das in der konkreten Prozesssituation geboten war. Hier stellt sich die Frage, ob die durch diese Pflichtverletzung in Gang gesetzte Kausalkette unterbrochen wird, wenn es durch einen Fehler des Gerichts zu einer für den Mandanten negativen falschen Entscheidung kommt, oder ob der Fehler des Gerichts dem Rechtsanwalt zurechenbar ist. Ein adäquater Zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Schaden besteht, wenn eine Tatsache im allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen und nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen zur Herbeiführung des Schadens geeignet war.54 Das gilt auch, wenn der Erstschädiger den Schaden nicht alleine verursacht hat, sondern der Schaden erst durch das Eingreifen eines Dritten eingetreten ist.55 Eine solche Fallkonstellation ist gegeben, wenn der Schaden des Mandanten erst durch das Hinzutreten einer fehlerhaften gerichtlichen Entscheidung entsteht. In diesen Fällen ist im Rahmen der gebotenen wertenden Betrachtungsweise zu berücksichtigten, dass einerseits der Rechtsanwalt darauf hinzuwirken hat, gerichtliche Fehler möglichst zu vermeiden, andererseits das Gericht aber für die Beachtung der 51 S. dazu BGH, NJW 2002, 1048, 1049. 52 S. dazu unter III. 2. 53 Vgl. auch Fahrendorf in Fahrendorf/Mennemeyer, Haftung des Rechtsanwalts, 9.  Aufl., Rz. 890. 54 BGH, NJW 1990, 2882, 2883 mwN. 55 Vgl. BGH, NJW 1990, 2882, 2883; NJW 2008, 1309, 1310.

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im öffentlichen Interesse obliegenden Verpflichtung verantwortlich ist, unabhängig von der Leistung des Rechtsanwalts nach den Regeln der Verfahrensvorschriften möglichst zu einer richtigen Entscheidung zu gelangen.56 Es fehlt ausnahmsweise an dem für die Zurechnung der anwaltlichen Pflichtverletzung notwendigen inneren Zusammenhang, wenn der Fehler des Anwalts schlechthin ungeeignet war, die gerichtliche Fehlentscheidung hervorzurufen. Lässt sich feststellen, dass die ordnungsgemäße Erfüllung der dem Anwalt obliegenden Pflicht bei lebensnaher Betrachtung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet war, die den Mandanten belastende gerichtliche Fehlentscheidung zu vermeiden, entfällt der Zurechnungszusammenhang. Wenn die Erfüllung der anwaltlichen Pflicht den letztlich schadensbegründende Fehler des Gerichts nicht verhindert, ist der Schaden nur eine zufällig Begleiterscheinung der anwaltlichen Pflichtverletzung.57 In dem vom BGH58 entschiedenen Fall nahm der Kläger seinen Rechtsanwalt in Regress, weil er es im Vorprozess versäumt hatte, die Klage zu erweitern, obwohl er den für die Klageerweiterung maßgeblichen Sachverhalt vorgetragen hatte. Das Gericht sah die Klage als unschlüssig an und hat die Klage abgewiesen. Daran hätte sich auch nichts geändert, wenn der Kläger zuvor die Klage erweitert hätte. Der Zurechnungszusammenhang entfällt auch, wenn der Anwalt seinen Fehler im Verlaufe des Prozesses berichtigt, das Gericht die Korrektur aber nicht zur Kenntnis nimmt und den Fehler zur Grundlage seiner Entscheidung macht,59 die Pflichtwidrigkeit des Anwalts nur den äußeren Anlass für ein ungewöhnliches Eingreifen des Geschädigten oder eines Dritten bildet60 oder der Schadensbeitrag des Gerichts denjenigen des Rechtsanwalts soweit überwiegt, dass Letzterer ganz dahinter zurücktritt.61 In derartigen Fällen fehlt es nach Auffassung des BGH62 an der Zurechenbarkeit, wenn das Eingreifen des Dritten den Geschehensablauf so verändert, dass der Schaden bei wertender Betrachtung in keinem inneren Zusammenhang zu der vom Rechtsanwalt zu vertretenden Vertragsverletzung steht.63 Abgesehen von diesen Ausnahmefällen bleibt der Zurechnungszusammenhang in der Regel beim Zusammentreffen von Fehlern des Gerichts und des Rechtsanwalts bestehen. Dieser wird in der Rechtsprechung bejaht, wenn der Rechtsanwalt ein Fehlver56 Fischer in G.Fischer/Vill/D.Fischer/Rinkler/Chab, HdB der Anwaltshaftung, 4.  Aufl., §  5 Rz. 54. 57 So BGH, NJW 2008, 1309, 1311. 58 BGH, NJW 2008, 1309, 1311. 59 BGH, NJW 2008, 1309, 1311; NJW 1988, 486, 488; Fischer in Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Rz. 1031. 60 BGH, NJW 2008, 1309, 1311. 61 BGH, NJW 2008, 1309, 1311; NJW-RR 2003, 850, 854.  62 BGH, NJW 2008, 1309, 1310 mwN. 63 Vgl. auch Zugehör, NJW 2003, 3225, 2329, der darauf abstellt, ob der Dritte in völlig ungewöhnlicher und unsachgemäßer Weise eine weitere Schadensursache gesetzt hat und das pflichtwidrige Verhalten des Erstschädigers so sehr in den Hintergrund drängt, dass gleichsam nur noch der Schadensbeitrag des Dritten als einzige, endgültige Schadensursache erscheint.

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ständnis des Gerichts nicht beseitigt, obwohl ihm dies leicht möglich gewesen wäre64 oder die gerichtliche Fehlentscheidung maßgeblich auf Problemen beruht, deren Auftreten der Rechtsanwalt durch sachgemäßes Arbeiten gerade hätte vermeiden müssen.65 Wenn die dem Rechtsanwalt obliegende Pflicht gerade darauf ausgerichtet war, einen bestimmten gerichtlichen Fehler zu vermeiden, kann er sich nicht darauf berufen, dass dieser gerichtliche Fehler ihm nicht zurechenbar. Der Rechtsanwalt haftet, wenn er das Gericht nicht auf ein die Rechtsauffassung seines Mandanten stützendes Urteil des BGH hinweist, auch wenn das Gericht die Entscheidung ebenfalls übersieht und deswegen zu einem fehlerhaften Urteil kommt.66 Der BGH hat darauf abgestellt, dass der Schadensbeitrag des Gerichts denjenigen des Rechtsanwalts nicht soweit überwog, dass die Pflichtverletzung des Rechtsanwalts dahinter zurücktrat. Das Gericht habe nicht unter völlig ungewöhnlicher, sachwidriger oder grober, schlechthin untervertretbarer Verletzung seiner besonderen Pflichten eine Schadensursache gesetzt, welche die vorangegangene anwaltliche Pflichtverletzung mit Rücksicht auf Art, Gewicht und wechselseitiger Abhängigkeit der Schadensbeiträge so sehr in den Hintergrund rücke, dass bei wertender Betrachtung gleichsam nur der Gerichtsfehler als einzige, endgültige Schadensursache erscheine und der Anwaltsfehler nach dem Schutzzweck der verletzten Vertragspflicht keine ins Gewicht fallende Bedeutung gegenüber der dem vom Gericht zu verantwortenden Schadensursache habe.

IV. Fazit Der Bundesgerichtshof hat in den vergangenen Jahren den Pflichtenkreis des Prozessanwalts immer weiter ausgedehnt. Soweit gefordert wird, dass in einem Rechtsstreit der Sachvortrag mit „gebotener Deutlichkeit“ gehalten werden müsse, lässt sich kaum allgemein sagen, was konkret gefordert wird. Der Rechtsanwalt muss sich darauf verlassen können, dass er seinen Pflichten hinreichend nachgekommen ist, wenn der Sachvortrag aus der Sicht eines durchschnittlichen Richters verständlich und nachvollziehbar ist. Fehler des Gerichts, die zusammen mit einer Pflichtverletzung des Rechtsanwalts einen Schaden ursächlich herbeigeführt haben, entlasten den Rechtsanwalt in der Regel nicht. Eine gesamtschuldnerische Haftung ist wegen des Spruchrichterprivilegs ausgeschlossen. Der Zurechnungszusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Schaden wird nur in besonderen Ausnahmefällen durch Fehler des Gerichts, die zu einer für den Mandanten negativen Entscheidung geführt haben, unterbrochen.

64 Vgl. BGH, NJW-RR 2017, 540, 543; NJW 2010, 73,75. 65 BGH, NJW 2008, 1309, 1311; NJW-RR 2017, 540, 543; NJW 1996, 48, 51. 66 Vgl. BGH NJW 2009, 987, 989.

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Richterliche Effizienz Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Effizienzdefizite I II. Faktoren effizienter richterlicher Arbeit 1. Beherrschung der Rechtsfragen 2. Beherrschung der Tatsachenfragen IV. Vortragsdefizite als Effizienzhindernis V. Effizienzgewinne durch Strukturierungsvorgaben und IT-Unterstützung

VI. Optionen de lege lata? 1. Materielle Prozessleitung (§ 139 Abs. 1 ZPO) 2. Elektronisches Dokument (§ 130a ZPO) 3. Verfahren nach billigem Ermessen (§ 495a ZPO) VII. Resümee

I. Einleitung Effizienz einer Gerichtsbarkeit im Sinne zügig abgeschlossener Verfahren sowie einer umgehenden Titulierung und Vollstreckung berechtigter Forderungen ist nicht das einzige, wohl aber eines der wichtigsten Elemente für die Leistungsfähigkeit und Wertschätzung eines Justizsystems. Selbstverständlich sind die fachliche Qualität der Rechtsprechung, die Beachtung rechtsstaatlicher Prinzipien sowie der neutrale und faire Umgang mit den Prozessparteien nicht weniger bedeutsam, es gilt aber noch immer, dass jede vermeidbare Entscheidungsverzögerung auch eine temporäre Rechtsverweigerung bedeutet und das Vertrauen der Rechtsuchenden in die Justiz gefährdet. Im komplexen, arbeitsteiligen System der Gerichte können Effizienzverluste an verschiedenen Stellen lokalisiert werden; externe Faktoren wie in erster Linie die Verfahrensbeiträge der Prozessparteien und ihrer Bevollmächtigten spielen ebenso eine Rolle wie gerichtsinterne Faktoren. Hier, also innerhalb der Gerichte, sind es grob gesprochen zwei Bereiche, zwischen denen unterschieden werden muss: der nichtrichterliche Dienst einerseits und der richterliche Arbeitsplatz andererseits. Nur letzterer soll hier in den Blick genommen werden.

II. Effizienzdefizite In Deutschland gibt es – zumindest in der Zivilgerichtsbarkeit1 – ein offenkundiges Problem mit der Effizienz richterlicher Tätigkeit. Anders lässt sich die paradoxe Feststellung nicht erklären, dass die seit Jahrzehnten rückläufigen Eingangszahlen nicht mit kürzeren, sondern im Gegenteil mit spürbar längeren Erledigungszeiten einher1 Die anderen Verfahrensarten, insbesondere der besonderen Regeln unterworfene Strafprozess, sollen nicht Gegenstand dieses Beitrags sein.

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gehen. Instruktiv ist insoweit das jährliche Justizbarometer der EU-Kommission. Den – für das hier erörterte Thema besonders aussagekräftigen – fünften Vergleich der Justizsysteme der meisten Mitgliedsstaaten hat die Kommission im April 2017 vorgelegt.2 Ihm ist zu entnehmen, dass die Zahl der erstinstanzlichen Zivilverfahren in Deutschland zwar signifikant rückläufig ist – sie sank zwischen 2010 und 2015 von 1,9 auf 1,7 Zivilverfahren pro 100 Einwohner –, gleichzeitig aber die Erledigungsdauer von durchschnittlich 184 auf 190 Tage anstieg. Zudem erscheint die Leistungsfähigkeit der deutschen Justiz bemerkenswert schwach, wenn die ohnehin eher mittelmäßigen Erledigungszeiten in Relation zu den Ausgaben für das Gerichtswesen gesetzt werden; denn bei den Kosten pro Einwohner liegt Deutschland im Bereich der EU an weiterhin dritter Stelle hinter Luxemburg und Großbritannien. Dabei ist die Justiz in Deutschland nach den Feststellungen des Justizbarometers keineswegs schlecht alimentiert und kommt nicht nur die Steuerzahler, sondern auch die Rechtsuchenden teuer zu stehen: die Gerichtskosten in Deutschland zählen – jedenfalls bei Streitwerten bis 6.000 Euro – zu den höchsten in Europa.

III. Faktoren effizienter richterlicher Arbeit Da Rechtsprechung in Zivilsachen nach deutschem Verständnis immer durch den Vorgang der Subsumtion entsteht, also die Prüfung voraussetzt, ob ein Tatbestand die Anspruchsvoraussetzungen einer Rechtsnorm erfüllt, sind für die Effizienz richterlicher Tätigkeit zwei Faktoren entscheidend: das Maß der Beherrschung des Rechtlichen wie das Maß der Beherrschung des Tatsächlichen. 1. Beherrschung der Rechtsfragen Der Zugriff auf das Rechtsmaterial setzt die aktuelle Verfügbarkeit der Rechtsnormen, der Literatur und der bereits ergangenen Rechtsprechung voraus. Dies kann – zwar mit einigem finanziellen Aufwand, aber letztlich ohne große praktische Probleme  – durch Zugang zu Datenbanken und Online-Angeboten wesentlich aktueller, zuverlässiger und breiter sichergestellt werden als noch vor wenigen Jahren durch Printmedien. Solche zeitgemäße IT-Unterstützung dürfte inzwischen jeden Richterarbeitsplatz in Deutschland erreicht haben; insoweit haben die Länder, die die Hauptlast der Justizaufgaben tragen, ihrer Verantwortung im Rechtsstaat genügt und dafür beträchtliche Summen aufgewandt. 2. Beherrschung der Tatsachenfragen Gänzlich anders stellt sich die Situation jedoch mit Blick auf den Tatsachenstoff dar. Während die Richterin oder der Richter – getreu dem Grundsatz „iura novit curia“ – letztlich allein dazu berufen ist, Rechtsfragen zu prüfen und verbindlich zu beantwor2 EU-Justizbarometer 2017: Justizsysteme werden effektiver, unter: https://europa.eu/­rapid/ press-release_IP-17-890_de.htm (abgerufen am 3.5.2019).

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ten, bleiben die Parteien die „Herren der Tatsachen“ – gezügelt nur von der prozessualen Wahrheitspflicht (§  138 Abs.  1 ZPO), die ihnen nicht mehr als subjektive Wahrhaftigkeit auferlegt.3 Es gilt: „da mihi facta, dobo tibi ius.“ Grund hierfür ist der im deutschen Zivilprozess geltende Verhandlungs- oder Beibringungsgrundsatz. Er belastet die Parteien mit der Beschaffung des Tatsachenmaterials und überlässt es ihnen, die Tatsachen als Behauptungen und Beweismittel als Prozessstoff in das Verfahren einzubringen.4 Anders als namentlich im Strafprozess stellt das Gericht das tatsächliche Geschehen nicht selbst „von Amts wegen“ fest, sondern bleibt auf das Vorbringen der Parteien im Rechtsstreit angewiesen. Dies geht so weit, dass eine gerichtliche Aufklärung über solche Tatsachen nicht stattfindet, die die Parteien übereinstimmend vortragen oder die von einer Partei zugestanden oder auch nur nicht bestritten werden (§ 288, § 138 Abs. 3 ZPO).5 Der Beibringungsgrundsatz wird – soweit ersichtlich – nicht ernsthaft in Frage gestellt; er ist für den Zivilprozess ohne Zweifel auch das passende Modell. Die damit verbundene Eigenverantwortung der Parteien entspricht dem traditionellen liberalen Ansatz des deutschen Zivilprozessrechts, den es auch unter der Geltung des Grundgesetzes zu beachten gilt.6 Vorrangige Belange der Allgemeinheit stehen nicht entgegen, weil im Unterschied namentlich zum Strafprozess das öffentliche Interesse an einer Feststellung des wirklichen Geschehens nicht im Vordergrund steht und der Staat prinzipiell davon ausgehen darf, dass Private dazu in der Lage sind, die Voraussetzungen für die Erkenntnis und die Durchsetzung ihrer Rechte mit Hilfe staatlicher Gerichte eigenverantwortlich und selbständig zu schaffen.7 Nicht zuletzt spricht die besondere Effektivität für den Beibringungsgrundsatz, der die Beweiserhebung nicht nur auf entscheidungsrelevante Tatsachenbehauptungen beschränkt, sondern das Gericht von der Aufklärung solcher Tatsachen befreit, die zwischen den Parteien außer Streit sind.8

IV. Vortragsdefizite als Effizienzhindernis Die Bedeutung des Tatsachenstoffs für Dauer eines Gerichtsverfahrens ist enorm. Während es kaum möglich ist, die Qualität von Vorbringen zu messen, lässt sich die Quantität des Tatsachenvortrags an der Blattzahl der gewechselten Schriftsätze leicht ermitteln und in Verhältnis zur Verfahrensdauer setzen. Instruktiv ist insoweit die „Hamburger Studie“ von Berlemann und Christmann, der die Auswertung von knapp 600 Urteilen des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek in Zivilsachen zugrunde liegt. Ein Ergebnis dieser Studie lässt sich auf die einfache Formel bringen, dass hundert 3 Greger in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 138 ZPO Rz. 2.  4 Rauscher in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, Einl. Rz. 328; Greger in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, vor § 128 ZPO Rz. 10; Prütting in Prütting/Gehrlein, ZPO, 10. Aufl. 2018, Einl. Rz. 28. 5 Rauscher in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, Einl. Rz. 336; Greger in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, vor § 128 ZPO Rz. 10; Prütting in Prütting/Gehrlein, ZPO, 10. Aufl. 2018, Einl. Rz. 28. 6 Vgl. Gaier, NJW 2013, 2871, 2872. 7 Vgl. Gaier, ZRP 2015, 101, 102. 8 Vgl. Gaier, ZRP 2015, 101, 102.

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zusätzliche Seiten an Parteivortrag ein Zivilverfahren im Schnitt um 2,7 Monate verlängern.9 In der Praxis zeigt sich, dass die schiere Menge an Tatsachenvortrag im deutschen Zivilprozess schon vor Jahrzehnten zu einem Problem geworden ist. Ursache dieser Entwicklung ist das geltende Verfahrensrecht, das für den Vortrag der Parteien und insbesondere den bevollmächtigten Rechtsanwälten keine gehaltvollen Vorgaben macht und lediglich eine zeitliche Grenze regelmäßig mit dem Schluss der mündlichen Verhandlung setzt. Insbesondere gibt es keine verbindlichen Regeln zum materiellen Inhalt und zum Aufbau von Schriftsätzen. Die maßgebliche Bestimmung in § 130 ZPO verlangt für vorbereitende Schriftsätze lediglich, dass der Kläger „Angaben“ zu den „tatsächlichen Verhältnissen“ machen soll, um seine Anträge zu begründen. Der Beklagte soll eine „Erklärung“ zu diesen „tatsächlichen Behauptungen“ abgeben, und schließlich sollen beide Parteien auch Beweismittel bezeichnen. Die Norm verzichtet also auf materielle inhaltliche Vorgaben ebenso wie auf Bestimmungen zum Aufbau von Schriftsätzen – und ist zu allem Überfluss noch nicht einmal zwingend, sondern als bloße „Sollvorschrift“ abgefasst, so dass bei Missachtung der Norm keine Sanktionen zu befürchten sind. Danach fehlt es seit Inkrafttreten der geltenden Zivilprozessordnung im Jahre 1879 unverändert an Regeln zum Inhalt von Schriftsätzen; dies gilt selbst für „professionelle“ Schriftsätze, die von Anwälten verfasst werden. So schreibt im Zivilprozess jeder nach seinen persönlichen Vorlieben aufs Geratewohl, nicht selten am Thema und regelmäßig am Vortrag des Gegners vorbei.10 Dies ist treffend als Austausch „formloser Parteiaufsätze“ charakterisiert worden.11 Folge sind Schriftsätze, deren Tatsachenvortrag sich nicht immer an rechtlicher Relevanz orientiert; insbesondere werden die Tatbestandsvo­ raussetzungen bestimmter Anspruchsnormen oder Gegennormen kaum jemals in den Blick genommen. Da die Argumentation nicht an die Logik des geltenden Rechts gebunden wird, ufert der Tatsachenvortrag ins Nebensächliche oder gar völlig Unerhebliche aus, wird in immer neuen Schriftsätzen zudem oftmals wiederholt und dabei bisweilen auch noch in Details variiert.12 Diese Defizite binden richterliche Ressourcen in erheblichem Umfang: nicht nur das Lesen dieser langatmigen Ausführungen kostet unnötig Zeit, auch das Auffinden rechtlich relevanter Behauptungen und Beweisangebote sowie das Zuordnen zum Vortrag des Gegners nimmt Arbeitskraft in Anspruch, die für wichtigere Aufgaben fehlt.

9 Berlemann/Christmann, 100 Seiten Parteivortrag = 2,7 Monate, Legal Tribune Online vom 6.9.2017, unter: https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/verfahrensdauer-zivilprozess-­rich​ ter-­arbeitsweise-studie-parteivortraege-vergleiche/(abgerufen am 3.5.2019). 10 Vgl. Gaier, ZRP 2015, 101, 103. 11 Cohn, ZZP 1960, 324, 335. 12 Eingehend Vorwerk, NJW 2017, 2326; auch Köbler in FS Herberger, 2016, S. 541, 545.

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V. Effizienzgewinne durch Strukturierungsvorgaben und IT- Unterstützung Die vorstehend getroffene Feststellung legt es nahe, die Effizienz richterlicher Arbeit dadurch zu stärken, dass den Parteien zwar die Herrschaft über die Tatsachen er­ halten bleibt, die Herrschaft über die Präsentation der Tatsachen im Prozess aber künftig der Steuerung durch das Gericht unterliegt. Dies bedeutet kein Abweichen von den geltenden Prozessmaximen, insbesondere keine Schwächung des Beibringungsgrundsatzes, sondern lediglich dessen konsequentes Weiterdenken:13 Den Parteien bleibt weiterhin nicht nur die Freiheit, sondern auch die Verantwortung für die Beschaffung und – wahrheitsgeleitete – Einführung der Tatsachen und Beweismittel in den Zivilprozess; das Gericht soll aber nicht länger gezwungen sein, den Tatsachenstoff in jeder beliebigen und damit auch in ungeeigneter Form der Präsentation entgegenzunehmen. Die Verantwortung der Parteien für ihre Interessen im Zivilprozess muss nicht an der Schwelle zur Justiz enden, vielmehr kann das Gericht eine Form der Präsentation von Behauptungen und Beweisangeboten verlangen, die nach seiner Einschätzung zur Erleichterung und Beschleunigung der Rechtsfindung geeignet erscheint. Eine solche Vorgabe könnte insbesondere dadurch geschehen, dass das Gericht den Parteien eine „vertikale Strukturierung“ aufgibt und Parteivortrag verlangt, der sich an den Voraussetzungen einer Anspruchsgrundlage oder einer entgegenstehenden Einrede ausrichtet und sich zudem bei einer Erwiderung der vom Gegner vorgegebenen Struktur anschließt, also koordiniert erfolgt. In dem von Vorwerk als Reformvorschlag entwickelten Modell eines fakultativen Strukturierten Verfahrens14 findet sich diese Option eines aktionenorientierten und koordinierten Vortrags15 als § 608 Abs. 2 lit. a) und lit. b) ZPO-E neben der weiteren Möglichkeit einer horizontalen Strukturierung zur Abschichtung des Prozessstoffs zunächst auf nur bestimmte Anspruchsgrundlagen. Weitere entscheidende Effizienzgewinne sind mit Strukturierungsvorgaben verbunden, weil ein aktionenorientierter und koordinierter Parteivortrag unverzichtbare ­Voraussetzung für eine umfassende Nutzung von Informationstechnologie am Richterarbeitsplatz ist.16 Wenn Tatsachenbehauptungen an den Voraussetzungen von Anspruchs- oder Gegennormen ausgerichtet sind, ist es möglich, die Prüfung der rechtlichen Relevanz durch IT-Programme zu unterstützen.17 Auch die Notwendigkeit einer Beweisaufnahme lässt sich leichter prüfen. Da der Beibringungsgrundsatz auch besagt, dass über zugestandene oder nicht bestrittene Behauptungen kein Beweis erhoben werden muss, ist es notwendig, die Behauptungen beider Parteien zu einzelnen Punkten gegenüber zu stellen. Bei koordiniertem Vortrag kann dies automatisiert ge13 Gaier, NJW 2013, 2871, 2874; Gaier, ZRP 2015, 101, 103. 14 Vorwerk, NJW 2017, 2326, 2328.  15 Dazu Köbler, DVBl 2016, 1506, 1510; Gaier in Breidenbach/Glatz, Rechtshandbuch Legal Tech, 2018, S. 194 f.; Gaier, NJW 2013, 2871, 2874; Gaier, ZRP 2015, 101, 103 f. 16 Vorwerk, NJW 2017, 2326; Köbler, DVBl 2016, 1506, 1510; Gaier, NJW 2013, 2871, 2873 f.; Gaier, ZRP 2015, 101, 104. 17 Dazu ausführlich Breidenbach/Gaier in Breidenbach/Glatz, Rechtshandbuch Legal Tech, 2018, S. 199 ff.

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schehen und die Behauptungen müssen nicht länger mühsam in umfangreichen Schriftsätzen aufgefunden und herausgesucht werden.

VI. Optionen de lege lata? Wenn das Verfahrensrecht den Parteien die vorstehend geschilderte weitreichende Verantwortung und damit auch die primäre Kompetenz für die Präsentation des Prozessstoffs gibt, wird es schwer, dem Gericht in diesem Bereich ohne eine grundlegende Reform des Verfahrensrechts Einfluss zu verschaffen. Allerdings ist das Zivilprozessrecht insbesondere seit den 1970-iger Jahren immer wieder mit dem Ziel novelliert worden, die Prozessleitung durch das Gericht zu stärken. Hinzu kommen neuere Vorschriften, die elektronische Kommunikationswege zwischen Parteien und Gericht öffnen sollen. Überlegungen für eine Reform des Zivilprozessrechts könnten sich erübrigen, wenn bereits de lege lata hinreichende Möglichkeiten gegeben wären, die sich nutzen ließen, um die Parteien zu strukturiertem Vortrag zu verpflichten. 1. Materielle Prozessleitung (§ 139 Abs. 1 ZPO) Eine Möglichkeit könnte der seit der ZPO-Reform 2002 neugefasste § 139 Abs. 1 ZPO bieten, der dem Gericht über die formelle, auf den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf gerichtete Prozessleitung hinaus auch die materielle Prozessleitung zur Pflicht macht. Damit wird richterliche Aktivität etabliert.18 Das Gesetz will ein Gericht, das nicht länger den Vortrag mit Behauptungen und Beweisangeboten der Parteien nur entgegennimmt, sondern „Mitverantwortung  … für eine umfassende tatsächliche und rechtliche Klärung des Prozessstoffs trägt“.19 In dieser Hinsicht wird der Beibringungsgrundsatz nicht nur um eine Möglichkeit, sondern um eine Verpflichtung des Gerichts zu aktiver materieller Prozessleitung ergänzt.20 Der novellierte § 139 Abs. 1 ZPO verpflichtet das Gericht dazu, mit den Parteien auch die „tatsächliche Seite“ des Rechtstreits zu erörtern und Fragen zu stellen; das Gericht hat „dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen …“. Abgesehen davon, dass die Regelung in der Praxis kaum genügend beachtet wird,21 sind ihre Wirkungen ohnehin begrenzt. Schon der Wortlaut der Bestimmung legt nahe, dass es nur um Klarstellungen sowie um die Vervollständigung und Substanti18 Kern in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2016, § 139 ZPO Rz. 1; Prütting in Prütting/Gehrlein, ZPO, 10. Aufl. 2018, § 139 ZPO Rz. 1; Gaier, NJW 2013, 2871, 2872. 19 So die amtliche Begründung zum Entwurf des 2002 in Kraft getretenen Zivilprozessreformgesetzes (ZPO-RG), BT-Drucks 14/4722, S. 77. 20 Fritsche in MünchKomm. ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  139 ZPO Rz.  3; Greger in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, vor § 128 ZPO Rz. 10a; Prütting in Prütting/Gehrlein, ZPO, 10. Aufl. 2018, § 139 ZPO Rz. 3. 21 Greger in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 139 ZPO Rz. 1.

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ierung ungenügender Tatsachenbehauptungen gehen kann.22 Zweifelhaft erscheint hiernach, ob das Gericht im Sinne einer „vertieften Prozessleitung“23 weitergehend auch auf eine „prozessgerechte Aufbereitung“ des Vortrags zielen kann und auf strukturiertes, konzentriertes sowie an der Rechtslage orientiertes Parteivorbringen hinwirken darf. Selbst wenn dies möglich sein sollte,24 wäre nichts gewonnen; denn das Gericht kann solchermaßen optimiertes Parteivorbringen nicht erzwingen. Der Beibringungsgrundsatz gilt nämlich unverändert, die Parteien beherrschen weiterhin den Prozessstoff und sind noch nicht einmal verpflichtet, einen ungenügenden Vortrag auf die gerichtlichen Hinweise und Fragen hin klarzustellen oder zu ergänzen.25 Freilich droht bei andauernd ungenügendem Vorbringen regelmäßig der Prozessverlust, so dass für die vortragsbelastete Partei wenigstens mittelbar Druck besteht, auf Hinweise zu reagieren und gerichtliche Fragen zu beantworten. Soweit es allerdings um die Strukturierung, Konzentration oder rechtliche Relevanz von ausuferndem, redundantem und ungeordnetem Vortrag geht, bleibt die Nichtbeachtung richterlicher Hinweise ohne Folgen. Nach geltendem Verfahrensrecht sind solche Erschwernisse richterlicher Arbeit und die mit ihnen verbundenen Verzögerungen der Entscheidungsfindung weder direkt noch mittelbar sanktionsbewehrt. 2. Elektronisches Dokument (§ 130a ZPO) Auf den ersten Blick geeigneter scheint die Regelung, die § 130a ZPO zu elektronischen Dokumenten trifft. Die Regelung soll es unter Beachtung bestimmter Standards ermöglichen, dass insbesondere vorbereitende und bestimmende Schriftsätze, die bisher nur schriftlich bei Gericht eingereicht werden konnten, nun auch in elektronischer Form abgegeben werden können.26 In der seit dem 1.1.2018 geltenden Neufassung bestimmt § 130a Abs. 2 Satz 1 ZPO, dass das genutzte elektronische Dokument „für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein“ muss. Könnte man den Begriff der Eignung weit verstehen, wäre es denkbar, auf diesem Weg, Regeln für die Strukturierung zumindest bei elektronischen Schriftsätzen einzuführen. Zweifelhaft ist aber schon, ob gemessen am geltenden Verfahrensrecht nur strukturierter Vortrag „für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet“ sein kann. Besser geeignet wäre solches Vorbringen ohne Zweifel, die Eignung als solche kann aber bei fehlender Strukturierung kaum in Frage gestellt werden, gerade weil die Prozessordnung bislang jegliche inhaltlichen Vorgaben für verzichtbar hält. Entscheidend gegen inhaltliche Vorgaben für elektronische Dokumente spricht zudem der Inhalt der Verordnungsermächtigung, die dem Eignungserfordernis als § 130a Abs. 2 Satz 2 ZPO unmittelbar nach22 So wohl auch von Selle in BeckOK ZPO, 32. Ed., 1.3.2019, § 139 ZPO Rz. 22; Fritsche in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 139 ZPO Rz. 9, 19 f.; Kern in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2016, § 139 ZPO Rz. 28 f.; Prütting in Prütting/Gehrlein, ZPO, 10. Aufl. 2017, § 139 ZPO Rz. 8; Stadler in Musielak/Voit, ZPO, 16. Aufl. 2019, § 139 ZPO Rz. 7. 23 Begriff eingeführt von Vorwerk, NJW 2017, 2326, 2327.  24 So etwa Greger in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 139 ZPO Rz. 3. 25 Greger in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 139 ZPO Rz. 3a; Stadler in Musielak/Voit, ZPO, 16. Aufl. 2019, § 139 ZPO Rz. 1. 26 Kern in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2016, § 130a ZPO Rz. 9; Fritsche in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 130a ZPO Rz. 1.

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folgt und offensichtlich zu dessen Präzisierung dient. In dieser Verordnung sollen nämlich ausdrücklich die „für die Übermittlung und Bearbeitung geeigneten technischen Rahmenbedingungen“ bestimmt werden. Mit der „Eignung“ sind also keine inhaltlichen Vorgaben angesprochen,27 sondern lediglich die technischen Standards wie namentlich das für die Bearbeitung einer Datei notwendige Format.28 Demgemäß enthält auch die aufgrund der Ermächtigung erlassene „Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung“ (ERVV)29 in erster Linie Vorschriften zu den zugelassenen Dateiformaten (§ 2 Abs. 1 ERVV). Soweit das Beifügen eines strukturierten maschinenlesbaren Datensatzes verlangt wird (§ 2 Abs. 3 ERVV), betrifft dies keine inhaltlichen Anforderungen, sondern dient lediglich der Übermittlung bestimmter Grunddaten, um den Gerichten eine automatisierte Erfassung und im weiteren Verfahren die Zuordnung des elektronischen Dokuments zu einem Gerichtsverfahren zu ermöglichen.30 3. Verfahren nach billigem Ermessen (§ 495a ZPO) Eher erfolgversprechend könnte der Weg über § 495a ZPO sein, der das Gericht dazu ermächtigt, sein Verfahren „nach billigem Ermessen“ zu regeln. Zwar wäre der Anwendungsbereich begrenzt, weil diese Vorschrift voraussetzt, dass es sich um ein Verfahren vor dem Amtsgericht handelt, bei dem der Streitwert 600  Euro nicht übersteigt. Trotzdem ist diese Option einer näheren Betrachtung wert, weil sie eine Chance bieten könnte, schon jetzt Strukturierungserfordernisse einem Praxistest zu unterwerfen. Bisher werden für das Ermessen zur gerichtlichen Verfahrensgestaltung im wesentlichen vier Bereiche genannt: (1.)  erweiterte Möglichkeit zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, (2.)  Erleichterungen im Beweisverfahren durch Abweichung von den gesetzlichen Regeln in §§ 284, 355–455 ZPO, (3.) Möglichkeit zum Erlass eines kontradiktorischen Urteils auch bei Säumnis einer Partei, (4.) Erleichterungen bei Abfassung und Bekanntmachung des Urteils.31 Vorgaben zur inhaltlichen Strukturierung von Schriftsätzen werden, soweit ersichtlich, noch nicht diskutiert. Es wird lediglich im Sinne eines weitreichenden Spielraums pauschal vertreten, dass sich „kaum Regeln für das Verfahren aufstellen“ ließen, zwischen Klageeingang und der letzten Amtshandlung sei „fast keine Maßnahme einer Einschränkung des Ermessens unterworfen.“32

27 Gaier, NJW 2013, 2871, 2874. 28 Vgl. Kern in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2016, § 130a ZPO Rz. 21. 29 V. 24.11.2017 (BGBl. I, S. 3803). 30 BR-Drucks. 645/17, S. 13. 31 Vgl. Toussaint in BeckOK ZPO, 32. Ed., 1.3.2019, § 495a ZPO Rz. 16 ff.; auch Wittschier in Musielak/Voit, ZPO, 16. Aufl. 2019, § 495a ZPO Rz. 6. 32 So Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 77.  Aufl. 2019, §  495a ZPO Rz. 11 f.; dagegen sehr zurückhaltend Herget in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 495a ZPO Rz. 8.

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Will man dem Ansatz einer extensiven Auslegung des § 495a Satz 1 ZPO folgen und es dem Gericht im Rahmen seines Verfahrensermessens erlauben, von §  130 ZPO abzuweichen und Strukturierungsvorgaben für einzureichende Schriftsätze zu bestimmen, so stellt sich allerdings die Frage, ob sich dies mit höherrangigem Recht vereinbaren ließe. Betroffen wäre zwar nicht die Dispositionsmaxime als ein grundlegendes und daher nicht nach § 495a ZPO disponibles Prinzip des Zivilprozessrechts,33 denn das Verfügungsrecht der Parteien über den Prozess im Ganzen bliebe unberührt. Damit sind Bedenken aber noch nicht ausgeräumt; denn Sinn macht die Befugnis zur Strukturierung nur dann, wenn ihre Nichtbeachtung zu prozessualen Konsequenzen führen könnte. Andernfalls wäre die Befolgung des gerichtlich bestimmten Verfahrens in das Belieben der Prozessparteien gestellt und nichts anderes als ein unverbindliches Ersuchen des Gerichts. Konsequenz eines Vortrags, mit dem die Strukturierungsvorgaben nicht beachtet werden, müsste aber dessen Sanktionierung als nicht ordnungsgemäß und deshalb die Nichtberücksichtigung bei der Entscheidungsfindung sein. Damit ist die Prüfung einer Verletzung des rechtlichen Gehörs aufgerufen; denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen.34 Diese Verpflichtung findet allerdings Grenzen; denn das Gehörsrecht gewährt keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise außer Betracht lassen.35 Der Gesetzgeber ist daher nicht gehindert, etwa durch Präklusionsvorschriften auf eine Prozessbeschleunigung hinzuwirken, sofern die betroffene Partei ausreichend Gelegenheit hatte, sich zu allen für sie wichtigen Punkten zur Sache zu äußern, dies aber aus von ihr zu vertretenden Gründen versäumt hat.36 Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, ob § 495a Satz 1 ZPO eine ausreichende gesetzliche Grundlage darstellt, um nicht nur Strukturierungsanforderungen, sondern da­ rüber hinaus auch die Nichtberücksichtigung unstrukturierten Vorbringens rechtfertigen zu können. Dies ist schon deshalb zu verneinen, weil es der Norm für einen derart weitgehenden Eingriff in das Gehörsrecht an der notwendigen Bestimmtheit fehlt. Das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot soll sicherstellen, dass der demokratisch legitimierte Parlamentsgesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen über Grundrechtseingriffe selbst trifft; insbesondere muss die Eingriffsgrundlage erkennen lassen, ob auch schwerwiegende Eingriffe zugelassen werden sollen.37 Schon für die geltenden Präklusionsvorschriften hat das Bundesverfassungsgericht auf die mit ihnen verbundenen einschneidenden Folgen für die säumige Partei hingewiesen

33 Vgl. dazu BayVerfGH v. 23.3.2011 – Vf. 108-VI-09, NJW-RR 2011, 1211, 1212. 34 Vgl. nur BVerfG v. 7.12.1982 – 2 BvR 1118/82, BVerfGE 62, 347, 353. 35 BVerfG v. 2.12.1969 – 2 BvK 1/69, BVerfGE 27, 248, 251; BVerfG v. 10.10.1973 – 2 BvR 574/71, BVerfGE 36, 92, 97; BVerfG v. 23.11.1977 – 1 BvR 481/77, BVerfGE 46, 315, 319; BVerfG v. 22.5.1978 – 1 BvR 1077/77, BVerfGE 51, 188, 191. 36 BVerfG v. 21.2.1990 – 1 BvR 1117/89, BVerfGE 81, 264, 273 m.w.N. 37 Vgl. BVerfG v. 11.3.2008 – 1 BvR 2074/05, BVerfGE 120, 378, 407 f.

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und daher deren strengen Ausnahmecharakter betont.38 Diese Gewichtung hat erst Recht zu gelten, wenn nicht nur einzelne Behauptungen und Beweisangebote präkludiert werden, sondern mangels Strukturierung sogar der gesamte Vortrag einer Partei unbeachtet bleiben soll. Für einen solch schwerwiegenden Eingriff in den Anspruch auf rechtliches Gehör fehlt der schlichten Ermächtigung auf Bestimmung des Verfahrens „nach billigem Ermessen“ die nötige Bestimmtheit. Die Unschärfe der Norm mag etwa hinnehmbar sein, soweit es um ein Abweichen von den Regeln des Strengbeweises in den §§ 355 ff. ZPO geht und eine genügende Aufklärung des Sachverhalts gleichwohl gewährleistet ist, für die Nichtberücksichtigung des gesamten Prozessvortrags einer Partei bietet sie indessen keine hinreichend bestimmte Grundlage.

VII. Resümee Die nötige Steigerung richterlicher Effizienz, die den schwierigen rechtlichen Fragen und komplexen Sachverhalten des modernen Gesellschafts- und Wirtschaftslebens geschuldet ist, verlangt demnach eine Reform des Zivilprozessrechts. Insbesondere kann die Form der Präsentation des Tatsachenstoffs in einem gerichtlichen Verfahren nicht länger dem Belieben der Parteien überlassen bleiben, sondern muss vom Gericht zu steuern sein. Ihm sind daher die erforderlichen Instrumente, etwa in Form von Strukturierungsanforderungen, an die Hand zu geben. Hierfür hat Volkert Vorwerk bereits Vorarbeiten – bis hin zu einem vollständig ausformulierten und begründeten Regelungsvorschlag39 – erbracht, die jeder Anerkennung und Beachtung wert sind.

38 BVerfG v. 9.2.1982 – 1 BvR 799/78, BVerfGE 59, 330, 334 f.; BVerfG v. 15.11.1982 – 1 BvR 585/80, BVerfGE 62, 249, 254. 39 NJW 2017, 2326.

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Gedanken über das Ehrenamt Inhaltsübersicht I. Anwalt und Engagement

IV. Abgrenzung

II. Ehrenamt – Markenzeichen der Werte­ gemeinschaft

V. Ehrenamt in der anwaltlichen Selbst­ verwaltung

III. Ehrenamt und Selbstverwaltung

I. Anwalt und Engagement Die Rechtsanwaltskammer Frankfurt veranstaltete am 15. August 2017 zum vierten Mal in einem dreijährigen Turnus ihren „Tag des Ehrenamtes“. Ihr Präsident Michael Griem nahm diese Veranstaltung zum Anlass, sich bei allen im Ehrenamt tätigen Mitgliedern seiner Rechtsanwaltskammer für ihr bisheriges und zukünftiges ehrenamtliches Engagement zu bedanken und auf die besondere Bedeutung dieses Engagements für die Selbstverwaltung und deren Aufgabenwahrnehmung hinzuweisen. Die ehrenamtliche Tätigkeit solle nicht nur dem Wohl der Institution dienen, sondern müsse auch Freude bereiten, so Griem1 in seinem Editorial der Kammermitteilungen. Nur so lasse sich das langjährige Engagement jedes Einzelnen in den Präsidien, in den Vorständen, in den Abteilungen, in der Ausbildung bis hin in der richterlichen Tätigkeit in der Anwaltsgerichtsbarkeit erklären. Die Gründe für ein ehrenamtliches Engagement sind sicherlich vielfältig und dürften breiter angelegt sein, als allein Freude an der Tätigkeit. Ohne Freude allerdings dürfte eine an der Sache orientierte sinnvolle ehrenamtliche Betätigung nicht nachhaltig zu bewältigen sein. Warum auch soll freiwillig Freizeit geopfert und je nach individueller Betrachtung sinnvoll anders ausgefüllt werden. Etwas Freude muss also schon den Erkenntnisprozess begleiten, warum ein ehrenamtliches Engagement angenommen wird. Dass Freude Triebkraft sein sollte, zeigt das ehrenamtliche Engagement des mit dieser Festschrift und diesem Beitrag zu ehrenden Volkert Vorwerk. Immerhin ist Volkert Vorwerk ausweislich seiner Homepage in 9 berufsbezogenen Gremien ehrenamtlich engagiert. Dazu zählen u.a. die langjährige Betätigung im Schuldrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer als deren Vorsitzender, seine Funktion im Vorstand des Deutschen Anwaltverein und sein Ruf als Honorarprofessor an die Gottfried Wilhelm Leibnitz Universität Hannover. Wer Volkert Vorwerk kennt, weiß, dass er die ihm anvertrauten ehrenamtlichen Aufgaben immer höchst engagiert annimmt und mit der ihm eigenen Beharrlichkeit ausfüllt. Das Volkert Vorwerk zur 1 Griem, Kammer Aktuell 3/17 der Rechtsanwaltskammer Frankfurt, S. 3.

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Erarbeitung eines gemeinsamen Ziels unkonventionelle Wege beschreiten kann, belegen seine in eingeweihten Kreisen bekannten Einladungen in den Vogesen, zu denen er als perfekter und sich zurücknehmender Gastgeber regelmäßig bittet, um in gemeinsamen Gesprächen fachlich und auch berufspolitisch den Diskurs zu führen. Das geht nicht ohne Freude und es bereitet Freude. Bei der Rechtsanwaltskammer Frankfurt zeichnen sich rund 400 Mitglieder durch ihre Freude an einer ehrenamtlichen Betätigung für die anwaltliche Selbstverwaltung aus. Hochgerechtet auf Bundesebene bedeutet dies ca. 3.700 Kolleginnen und Kollegen im Ehrenamt bei den 27 regionalen Rechtsanwaltskammern und der Rechtsanwaltskammer beim BGH, der Volkert Vorwerk als Mitglied angehört. Hinzu kommen die gewählten 92 Mitglieder der Satzungsversammlung und 240 durch das Präsidium der Bundesrechtsanwaltskammer berufene Mitglieder in ihren 33 Fachausschüssen und Arbeitsgruppen. Rund 4.000 von derzeit ca. 165.000 Anwälten engagieren sich also für ihre Selbstverwaltung. Der folgende Beitrag soll in der einem Festschriftbeitrag angemessenen Kürze beleuchten, warum dieses Engagement so wichtig für die anwaltliche Selbstverwaltung und unverzichtbar für ihr Selbstverständnis ist.

II. Ehrenamt – Markenzeichen der Wertegemeinschaft „Ein starkes Ehrenamt und ausgeprägtes bürgerschaftliches Engagement sind Markenzeichen unseres Landes“ .2 Dieses Zitat aus dem aktuellen Koalitionsvertrag passt als Einschätzung zur aktuellen Bedeutung des Ehrenamtes in Deutschland. Laut Wikipedia3 sind nach verschiedenen Studien zwischen 17 Millionen und 23 Millionen Bürger in Deutschland ehrenamtlich tätig, je nach Definition und Quelle. Damit engagiert sich fast jeder Vierte im Ehrenamt. Unabhängig von absoluten Zahlen, die Bedeutung des ehrenamtlichen Engagements ist im privaten, öffentlichen und sozialen Leben in Deutschland von ganz erheblicher Natur. Ob im sozialen, caritativen und kirchlichen Bereich, in den Vereinen im Sport und in der Kultur, bei Hilfseinrichtungen wie im Katastrophenschutz, beim Tierschutz bis hin zur freiwilligen Feuerwehr, die Betätigungsmöglichkeiten sind schier unerschöpflich und in vielen Bereichen kaum verzichtbar. Das freiwillige und unbezahlte Engagement bedeutet für viele eine Lebensaufgabe und ohne diesen altruistischen langjährigen Einsatz würde so manche Einrichtung wohl nicht existieren können. Ehrenamtliches Engagement hilft den Nutznießern direkt, zugleich dient das bürgerschaftliche Engagement dem Gemeinwohl. Freiwilligenagenturen und Onlineplattformen vermitteln Einsatzstellen und die öffentliche Funktion des Ehrenamts wird durch die Kommunen, die Länder und den Bund in Aktionstagen und Veranstaltungen gewürdigt und gefördert. Der aktuelle Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD verpflichtet die derzeitige Bundesregierung der 18. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages, das zivilge-

2 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD v. 7.2.2018, S. 118 Rz. 5546. 3 de.m.wikipedia.org

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sellschaftliche Engagement und das Ehrenamt zu fördern und zu stärken.4 Das formulierte Maßnahmenbündel aus praktischen und rechtlichen Hilfestellungen bis hin zu Entbürokratisierungsmaßnahmen unterstreicht, dass die Ausübung ehrenamtlicher Tätigkeit im gemeinschaftlichen Zusammenleben ein unverzichtbares Element unserer Wertegemeinschaft ist. Wirtschaftliche Stabilität und Prosperität auf der einen sowie soziale Gerechtigkeit und Sicherheit auf der anderen Seite mögen die Säulen unseres bisher gut funktionierenden demokratischen Gesellschaftssystems sein. Doch diese Säulen sind fragil, wenn sie nicht durch ein ausgeprägtes und gelebtes bürgerschaftliches Engagement im Ehrenamt gesichert werden. Damit stellt sich zugleich die Frage, ob und wieweit ehrenamtliches Engagement den Staat aus seiner sozialen Verantwortung entlässt. Dass ehrenamtliche Arbeit in einem Korrelat zur Wohlfahrtspolitik eines Staates steht, dürfte unbestreitbar sein. Der Staat könnte sich aus seiner sozialen Verantwortung zurückziehen, wenn dieses durch bürgerschaft­ liches Engagement in einem Übermaß ausgeglichen wird. Andererseits dürfte ein ­hohes soziales Engagement im sozialen und caritativen Bereiche genau dafür ein ­Zeichen sein, dass der Staat spart und unter Ausnutzung von Gratisarbeit Einzelner seiner Verantwortung in der Gemeinschaft aller Bürger nicht nachkommt. Auf einer Bewertungsscala wird die Verpflichtung des Staates, Wohlfahrtsaufgaben der Gemeinschaft aus Steuermitteln zu finanzieren, in der sozialen und caritativen Verantwortung erheblich höher ausfallen, als in der Sport- und Kulturförderung. In ­bestimmten Bereichen seiner Aufgabenwahrnehmung bedient sich der Staat sogar ehrenamtlich Engagierter in dem er sie zur Ausübung eines Amtes gesetzlich verpflichtet. Beispiele hierfür sind Wahlhelfer und Gemeinderatsmitglieder. In der Justiz sind dies ehrenamtlicher Richter und in der anwaltlichen Selbstverwaltung ehrenamtlich tätige Anwälte. Dies führt zu der interessanten Frage, wie sich das unab­ hängige Organ der Rechtspflege, gesetzliche Verpflichtung und freiwilliges Einbringen zueinander verhalten. Schließlich provozieren die Begriffe „Unabhängigkeit“ und „Amt“ sowie „Freiwilligkeit“ und „Verpflichtung“ Widerspruch per se.

III. Ehrenamt und Selbstverwaltung Der Blick in das Gesetz ist wenig hilfreich. Explizit geregelt sind ehrenamtliche Tätigkeiten im Rahmen der Aufgabenwahrnehmungen der Organe der Rechtsanwaltskammern, Vorstand (§§ 63 ff. BRAO) und Präsidium (§ 78 ff. BRAO), der Ernennung der anwaltlichen Mitglieder der Anwaltsgerichte (§ 94 BRAO), des Anwaltsgerichtshofes (§ 103 BRAO) und der anwaltlichen Beisitzer beim BGH sowie schließlich der Organe der Bundesrechtsanwaltskammer, Präsidium (§§  179  ff. BRAO) und Satzungsversammlung (§§ 191a BRAO). Diesen organschaftlichen Funktionen gemein ist, dass sie ausschließlich durch Rechtsanwälte ausgeübt werden können und zwar nicht als honorierte Mandatstätigkeit, sondern im Ehrenamt, auch wenn der Gesetzgeber diese besondere Anforderung nicht ausdrücklich formuliert. Ausnahme und deshalb kein anwaltliches Ehrenamt in der Selbstverwaltung ist die Tätigkeit als Schlichter der Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft. Dieser muss die Befähigung 4 Koalitionsvertrag, S. 16 Rz. 579 und S. 117 ff. Rz. 5545.

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zum Richteramt besitzen, darf aber kein Rechtsanwalt sein (§  191f Abs.  2 Satz 2 BRAO), es sei denn, die Schlichtung erfolgt durch ein Kollegialorgan. Aber auch diese Tätigkeit als Schlichter, anwaltliche und nichtanwaltliche, ist Ehrentätigkeit. Zu einer Definition anwaltlicher Ehrentätigkeit hat der Gesetzgeber sich in der BRAO nicht verstanden. Er setzt diese voraus. Allein § 75 und § 183 BRAO formulieren in ihren Überschriften gleichlautend die „Ehrenamtliche Tätigkeit des Vorstandes/Präsidiums“. Wer dort aber wegweisendes erwartet, sieht sich enttäuscht. Die Vorschriften stellen lediglich die Honorigkeit der Vorstands- und Präsidiumstätigkeit fest. Diese üben ihre Tätigkeit unentgeltlich aus, erhalten aber eine Aufwandsentschädigung und Erstattung ihrer Reisekosten. Immerhin mag man denken. Ausweislich der amtlichen Begründung zu §  75 BRAO gleicht diese Regelung ein Defizit aus der alten Rechtsanwaltsordnung vom 1.7.1878 aus, die lediglich die Erstattung barer Auslagen zuließ,5 weil „mit der in dem Vertrauen auf die Standesgenossen begründeten Ehrenstellung der Mitglieder des Vorstandes eine über den Ersatz der baren Auslagen hinausgehenden Vergütung nicht wohl vereinbar sei“. Änderungen der Verhältnisse und Anschauungen seither, so die amtliche Begründung, ließen eine seit langem übliche angemessene Aufwandsentschädigung zu. Die Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1.8.1959 klärt insoweit das Verhältnis zwischen Ehrenstellung und Honorierung. Ein Honorar für die geleistete Tätigkeit ist nach wie vor mit dem Ehrenamt nicht vereinbar, wohl aber eine Erstattung des mit der Tätigkeit verbundenen angemessenen Aufwandes. Das lässt Raum für Unsicherheit bei der Gradwanderung, wann eine Aufwandsentschädigung einem Honorar nahe bzw. gleichkommt. Die Auseinandersetzung mit dieser Frage soll aber nicht Gegenstand dieses Beitrages sein. Insgesamt hinterlässt die Befassung mit den gesetzlichen Regelungen in der BRAO ein Gefühl der Unklarheit und allein die Regelung von Ehre und Honorar ist nicht zufriedenstellend. Der Gesetzgeber muss sich vorwerfen lassen, ehrenamtlichen anwaltlichen Sachverstand weitreichend zur Aufgabenwahrnehmung in der Selbstverwaltung in Anspruch zu nehmen. Hiergegen ist auch im Grundsatz nichts einzuwenden. Muss er dann aber nicht auch der besonderen Bedeutung des Ehrenamtes für die anwaltliche Selbstverwaltung hinreichend Rechnung tragen? Wäre es nicht an der Zeit, unter der Berücksichtigung der Verhältnisse und Anschauungen seit dem in Kraft treten der BRAO nach nunmehr 60 Jahren statt eines diffusen Aufwendungsersatzes eine angemessene Honorierung, die allerdings nicht die Auskömmlichkeit bedienen darf, zu regeln? Wenig ergiebig zu dem Verhältnis von Ehrenamt und Selbstverwaltung und der Fragestellung, wie sich Unabhängigkeit im freien Beruf und Verpflichtung im freiwilligen Amt zueinander verhalten, sind auch die Kommentare. Ältere Kommentierungen der BRAO sind noch vom Verständnis des 19. Jahrhunderts beseelt. Das Verständnis zum Beispiel von Karlsbach, der das Ehrenamt als Amt begreift, das seinen Lohn in sich trägt und mit einer Besoldung nicht zu vereinbaren ist,6 ist eine nicht mehr zeitgemäße Überhöhung. Auch der in Isele differenziert dargestellte Meinungsstreit, die Un5 Amtliche Begründung Bundesrechtsanwaltsordnung zu § 75 BRAO. 6 Karlsbach, Bundesrechtsanwaltsordnung 1960, § 75 Rz. 1.

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entgeltlichkeit schrecke die Besten ab7 und „reize ältere saturierte Kammermitglieder dazu, in diesem Bereich anwaltlicher Selbstverwaltung eine Art Pfründe zu sehen, die als Freizeitbeschäftigung betrieben darauf abziele, die Kammermitglieder zu beherrschen und in kleinlicher Weise zu maßregeln“,8 sind weder zeitgemäß, noch setzen sie sich mit der o.g. Fragestellung auseinander. Keine Relevanz hat das Thema in den jüngeren Kommentierungen von Hartung9 und Weyland,10 die beide recht eindimensional die Unentgeltlichkeit ehrenamtlicher Tätigkeit hervorheben, ohne die grundsätzliche Bedeutung öffentlicher Aufgabenwahrnehmung durch die Betroffenen zu behandeln. Allein Lauda11 setzt sich mit dieser Fragestellung auseinander. Zutreffend weist er auf die Bedeutung der Ehrenamtlichkeit für die partizipatorische Zielrichtung des Selbstverwaltungsmodells hin, in der die Allgemeinheit durch die von der Selbstverwaltung Betroffenen entlastet wird und zugleich durch einen persönlichen Dienst am Staat dem Einzelnen und der Berufsgruppe Belastung zugemutet wird. Er betont die Bedeutung für die Selbstverwaltung, weil sie die besondere Sachkunde der Berufsangehörigen, besser als jede unmittelbare Staatsverwaltung es könne, in die Entscheidungsprozesse und die gesellschaftliche Entwicklung einbeziehe. Und, durch das Ehrenamt geschehe dies damit für die Gesellschaft kostengünstig. Der Ansatz von Lauda ist sicherlich richtig, denn die partizipative Beteiligung einer Berufsgruppe an ihrer Selbstverwaltung ist in einer Demokratie per se zielführender, als exekutive Bevormundung und die Gefahr behördlicher Lähmungserscheinungen. Die das Ehrenamt verkörpernde besondere Sachkunde und Nähe zum Beruf sind sachliche Legitimationsgründe für eine berufsständische Selbstverwaltung. Aber man wird sich fragen müssen, ob das „Billigkeitsargument“, d.h. ehrenamtliche unentgeltliche Leistungserbringung spare dem Staat Geld und damit dem Bürger Steuern, tauglich ist. Wieso soll der Staat sparen dürfen, wenn eine berufsständische Selbstverwaltung nachweislich ihre Mitglieder besser bedient, als der Staat durch seine Behörden? Warum muss das Ehrenamt unentgeltlich ausgeübt werden? Diese Frage drängt sich erst recht auf, wenn die Selbstverwaltung verfassungsrechtlich gar geboten ist, um die Unabhängigkeit der Berufsgruppe zu wahren. Ist der Staat dann nicht sogar verpflichtet, finanziell zuzuschießen oder mindestens zu fördern in bestimmten Fallsituationen? Oder obliegt diese Pflicht den Selbstverwalteten, die direkt profitieren, weil es einige ihrer Mitglieder auf sich nehmen, die Unabhängigkeit der anwaltlichen Selbstverwaltung durch ihr Ehrenamt zu gewährleisten?

IV. Abgrenzung Jugendwort des Jahres 2018 war das Wort „Ehrenmann/Ehrenfrau“. Eine durch den Langenscheidt12-Verlag eingesetzte Jury von überwiegend sog. Influencern aus dem 7 Isele, Bundesrechtsanwaltsordnung 1976, § 75 II B.1. 8 Isele, § 75 II B.2. 9 Hartung in Henssler/Prütting, Bundesrechtsanwaltsordnung, § 75. 10 Weyland in Feurich/Weyland, Bundesrechtsanwaltsordnung, § 75. 11 Lauda in Gaier/Wolf/Göcken, Bundesrechtsanwaltsordnung, § 75 Rz. 1.  12 www.langenscheidt.com

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Netz wählte dieses Wort aus einer Liste von 10 Begriffen, die zuvor durch ein Online-Voting ermittelt wurden. „Ehrenmann/Ehrenfrau“ setzte sich gegen „verbuggt“, „Lauch“, „Auf den Nacken“, „AF, as fuck“ u.a. durch, was auch bei Langenscheidt einer Übersetzung bedarf und in Klammerzusätzen mit „voller Fehler“, „Trottel“, „Du zahlst“, „Betonung, wie besonders etwas ist“ erklärt wird. Diese „neudeutsche“ und nicht Jedem geläufige Wortwahl im Netz mag den durch zwei geprüfte Staatsexamen erzogenen Juristen befremden, gleichwohl und vielleicht auch deshalb ist die Wahl der Jury erstaunlich. Sie zeigt, welche besondere Anerkennung das Ehrenamt auch bei der Jugend und der Netzgemeinde hat. Das ist nicht selbstverständlich und Anerkennung muss nicht deckungsgleich mit Betätigung im Ehrenamt bedeuten. Die in der Wahl liegende Aussage bestätigt aber das außerordentlich hohe Engagement der Bürger in Deutschland im Ehrenamt. Gemessen an den absoluten Zahlen ist deren Anteil mit ca. 20% an der Gesamtbevölkerung jedoch erheblich höher, als der Vergleich mit der Anwaltschaft und deren Engagement in der Selbstverwaltung. Dieser liegt bei gerade einmal 2%. Engagiert sich deshalb die Anwaltschaft unterdurchschnittlich, also weniger als der Durchschnitt der Bevölkerung? Die blanken Zahlen sprechen dafür, allerdings bedarf es einer differenzierten Betrachtung, als nur eines Anscheinsbeweises. Wesen des Ehrenamtes ist ganz überwiegend seine Freiwilligkeit. Der Bürger kann frei entscheiden, ob und wie er eine ehrenamtliche Tätigkeit ausübt und diese wieder beendet. Die Entscheidung für ein Ehrenamt ist eine Entscheidung für eine besondere Sache. Sie kann dem Allgemeinwohl dienen, wie zum Beispiel der Einsatz für die freiwillige Feuerwehr, sie muss es aber nicht, sondern kann altruistischen wie auch eigennützigen Überlegungen und reinen Freuden entspringen, wie zum Beispiel das Engagement im Sportverein. Gedient wird ohne Zweifel einer Gemeinschaft, aber ist dies ein Dienst für das Allgemeinwohl? Der gute Zweck, der Dienst und die Hilfe für andere ist sicherlich allen Ehrenämtern gemein, im Vordergrund jedoch steht, nicht in allen, aber in vielen Fällen Freizeitausfüllung, Hobby und die Suche nach Gemeinschaft. Ein qualitativer wirklicher Unterschied entsteht dann, wenn der Staat Ehrenamt anordnet. Hier endet die Freiwilligkeit, auch wenn dem Einzelnen ggf. noch ein Wahlrecht überlassen wird, sich zu betätigen. Der Wahlhelfer allerdings hat keine Wahl und kaum Freude, allenfalls kann er Ausnahmen aus wichtigen Gründen für eine Befreiung geltend machen. Nun beschränkt sich seine Verpflichtung auf eine Tagesarbeit und sie wird mit einem, wenn auch geringen, Aufwendungsersatz pecunär entschädigt. Wird es gefährlich, dient die Betätigung der allgemeinen Sicherheit und will sich die Gemeinschaft nicht allein auf das Ehrenamt verlassen, dann wird die Ausübung einem Beruf überlassen und der in diesem Beruf Tätige wird dafür auskömmlich bezahlt, wie zum Beispiel die Arbeit bei der hauptamtlichen Feuerwehr. Hier wird Ehrenamt nicht angeordnet, sondern die Aufgabenwahrnehmung einem dafür ausgebildeten Beruf überlassen, der verlässlich, nachhaltig und qualifiziert arbeitet und Regeln unterworfen ist. Anders gelagert ist das Ehrenamt in der Selbstverwaltung. In diesem Fall bedient sich der Staat des Berufs. Er ordnet das Ehrenamt an und der Beruf übernimmt damit 94

Gedanken über das Ehrenamt

exekutive Aufgaben. Ehrenamt in der Selbstverwaltung ist Aufgabenwahrnehmung in einer besonderen Organisationsform zur Bewältigung öffentlicher Aufgaben, die der Gesetzgeber dem zu verwaltenden Beruf überlässt. Das hat wenig mit Freude zu tun, sondern mit Verpflichtung, auch wenn die angeordnete und regulierte Pflicht Freude bereiten kann. Hierin unterscheidet sich das Wesen der Ehrenämter. Das Eine ist unreguliert und niemand muss es tun, auch wenn es gut ist und hilft. Das Andere ist reguliert und einer muss es tun, weil sonst der Staat in öffentlicher Aufgabenerfüllung tätig wird. Die Übernahme von Ehrenamt ist dann zwar individuell freiwillig. Für die Berufsgruppe wird die Aufgabenerfüllung aber gesetzliche Pflicht und der einzelne, der freiwillig in das Ehrenamt eintritt, ist in diese Pflicht eingebunden. Zweck der Aufgabenübertragung und damit verbundenen Mitspracherechte und Mitwirkungspflichten der Betroffenen ist die Aktivierung des Sachverstandes der betroffenen Berufsgruppe und der dadurch erzielte sachgerechter Interessenausgleich durch die Eröffnung von Gestaltungsspielraum. Diese funktionale Aufgabenübertragung ist für den Staat und die Berufsgruppe gleichermaßen nützlich. Sie definiert zugleich den Rahmen der ehrenamtlichen Aufgabenerfüllung. Damit ist aber auch klargestellt, dass das Ehrenamt in der autonomen Selbstverwaltung nicht allein der individuellen Verwirklichung dient, sondern in ihrem Wesenskern der dezentralen Erledigung von Verwaltungsaufgaben. Oder anders gesagt: ohne Berufsträger, die zur ehrenamtlichen Erfüllung der übertragenen Verwaltungsaufgaben bereit sind, wäre eine autonome Selbstverwaltung nicht möglich.

V. Ehrenamt in der anwaltlichen Selbstverwaltung Der durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 13geformte Begriff der funktionalen Selbstverwaltung führt also zu einer grundlegenden Differenzierung in den Kategorien ehrenamtlicher Ausübung. Überlegungen zur Bedeutung des Ehrenamts in der anwaltlichen Selbstverwaltung können damit aber noch nicht beendet sein. Als Organ der Rechtspflege ist der Anwalt Träger von Funktionen, die für die Rechtspflege zur Wahrung des Rechts wesentlich sind.14 Er ist in dieser hervorgehobenen Funktion Träger von besonderen Rechten und Pflichten, um zu einem funktionierenden rechtsstaatlichen System beitragen zu können. Um seine organschaftliche Aufgabe unabhängig von staatlichen Einflussnamen wahrnehmen zu können, reicht es nicht aus, die Organisationsform der Selbstverwaltung auf eine funktionale Selbstverwaltung herunter zu brechen. Die zur Sicherung der anwaltlichen Unabhängigkeit erforderliche Staatsferne kann allein in einer funktionalen Aufgabenübertragung nicht gewährleistet werden. Gaier folgert hieraus zu Recht ein aus Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtstaatsprinzip bestehendes derivatives Leistungsrecht des einzelnen Anwalts gegen den Staat auf solche organisatorischen Maßnahmen, die zur Wahrung seiner Aufgaben im System des Rechtsstaats unerlässlich sind.15 Dieser 13 BVerfG 107, 59 ff. 14 Wolf in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, § 1 Rz. 1. 15 Gaier, Der verfassungsrechtliche Rahmen für die Organisation der Anwaltschaft, BRAKMitt. 2012, 142 ff.

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Auffassung folgend bedeutet dies, dass anwaltliche Selbstverwaltung nicht allein funktionaler Natur sein kann, sondern eine das Rechtsstaatsprinzip effektivierende Selbstverwaltung verlangt. Es kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben, ob das durch den Gesetzgeber gewählte System unserer Selbstverwaltung alternativlos ist. Einen Anspruch auf eine bestimmte Organisationsform gibt es nicht. Festzuhalten bleibt aber, dass sich die Anforderungen an die anwaltliche Selbstverwaltung fundamental abheben von den Anforderungen an eine rein funktionale Aufgabenübertragung. Damit stellt sich die Frage, welche Konsequenzen diese Betrachtungsweise für die Organisationsstruktur einer anwaltlichen Selbstverwaltung und die Bedeutung des Ehrenamts in dieser Struktur hat. Der verfassungsrechtliche Anspruch, größtmögliche Staatsferne zum Schutz der Unabhängigkeit der Anwaltschaft einerseits und deren Aufgabenwahrnehmung andererseits herzustellen, verlangt nicht notwendigerweise die Verpflichtung für ein Ehrenamt. Die verfassungsrechtlich notwendige und erforderliche Partizipation der Berufsgruppe kann anders geregelt werden, als durch die Einbindung ehrenamtlicher Betätigung. Wenn aber der Gesetzgeber diesen Weg wählt und anbietet, muss sich das Ehrenamt an den erhöhten Anforderungen einer anwaltlichen Selbstverwaltung ausrichten und messen lassen. Konkret heißt dies im Konzert der unterschiedlichen Ausprägungen ehrenamtlicher Tätigkeiten, dass an die Ehrenamtstätigkeit in der anwaltlichen Selbstverwaltung deutlich höhere Ansprüche zu stellen sind, als in der funktionalen Selbstverwaltung und erst Recht im Verhältnis zur allgemeinen Ehrentätigkeit. Dieses Stufenverhältnis zeigt auf, dass die Betätigung z.B. im Sportverein keine Ausübung eines förmlichen Amtes ist, auch wenn dieser Begriff gemein verwendet wird. Es sind Ehrenfrauen und Ehrenmänner, wie dies die von Langenscheidt befragte Netzgemeinde trefflich formuliert. Dass das Wort „Amt“ in dem durch die Jury ausgewählten Jugendwort 2018 nicht benannt ist, mag Zufall sein. Das Ergebnis trifft aber einen Kern, ohne den Begriff der Ehre und die Notwendigkeit der Ehrentätigkeit herabzusetzen. Es bleibt als Fazit dieser kurzen Gedanken die Feststellung, dass die ehrenamtliche Betätigung in der anwaltlichen Selbstverwaltung primär einer Verpflichtung entspringt. Sie dient der Selbstverwaltung der Anwaltschaft, sichert deren Unabhängigkeit und ist Bestandteil unseres Rechtsstaatsverständnisses. Natürlich soll sie, wie von Griem angemahnt, auch Freude bereiten und dass diese Freude das Amt begleitet, dafür ist Volkert Vorwerk der beste Beweis.

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Der Revisions- und der Kassationsanwalt Deutsch-französische Betrachtungen eines Unbeteiligten Inhaltsübersicht I. Einführung

IV. Zugänge

II. Wirkungskreise

V. Eigenleben und Öffnungen

III. Rechtsanwaltskammer oder Ordens­ gemeinschaft

VI. Annäherungen an eine funktionale ­Zukunft

I. Einführung Begriffe veranschaulichen ihren Inhalt. Allerdings wird man sich jenseits des Rheins auch rund 140 Jahre nach Einführung der deutschen Reichsjustizgesetze unter einem Revisionsanwalt ebenso wenig ein konkretes anwaltliches Berufsbild vorstellen können wie diesseits des Rheins unter einem Kassationsanwalt. Zu unterschiedlich sind die nationalen Bezeichnungen, die in die Hand des Anwalts gelegten Rechtsmittel und deren Wirkungen und nicht zuletzt Herkunft und Ordnung der Anwaltsberufe. Das verblüfft schon deshalb, weil in den Vorarbeiten zur Rechtsanwaltsordnung eine umfangreiche und auch heute noch staunenswerte rechtsvergleichende Analyse der Anwaltschaften und der letztinstanzlichen Rechtsmittel in ganz Europa vorgenommen wurde,1 zumal rund 1/6 des Reichsgebiets französischem materiellem und Prozessrecht folgte und weil demzufolge das junge Bismarck-Reich noch fünf – auch ausdrücklich so genannte  – Kassationshöfe aufwies.2 Die Kenntnis der Unterschiede zwischen dem deutschen Rechtsmittel und der französischen révision und cassation ist seither versiegt.3 Dennoch haben sich beidseits des Rheins ohne jegliche wechselseitigen Geburtshilfen fast zwillingshafte spezielle Anwaltschaften entwickelt, deren Arbeitsfeld ausschließlich die vorgenannten Rechtsmittel sind und deren Mitglieder 1 Siegel, Die gesamten Materialien zu der Rechtsanwaltsordnung vom 1.7.1878, Leipzig 1883, mit einer umfassenden Darstellung des bestehenden Rechtszustandes (S. 301-312) und einer Zusammenstellung der landesgesetzlichen Vorschriften (S. 312-383). 2 Gross, Vom Code Civil zum BGB – Eine Spurensuche, JZ 2004, 1137; Gross, 200 Jahre Code Civil – Ein deutscher Dreiklang: Köln, Karlsruhe, Leipzig in FS Bartenbach, 2005, S. 19. 3 Hierzu inzwischen Ferrand, Cassation française et Révision allemande, Thèse Lyon 1990 und PUF 1993; L’accès au juge de cassation (dir. Drago, Fauvarque-Cosson, Goré), Soc. Législ. Comp., ­Collection Colloques Vol. 26 mit Beiträgen von Ferrand, S. 147, Gross, S. 251 und Tolksdorf, S. 261; Boré, Les deux fonctions des juridictions suprêmes, JCP 2018, doctr. 33, S. 43, 45; Le Prado, L’accès au juge de cassation: comparaison franco-allemande in: Mélanges pour Camille Jauffret-Spinosi, 2013, S. 829.

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daher in ihren Heimatländern umgangssprachlich als Revisions- bzw. Kassationsanwälte bezeichnet werden.4 Nach Jahren aktiver Teilnahme sollen mit der Distanz des nunmehr Unbeteiligten nachstehend Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser zwei Professionen, nicht zuletzt auch in ihren ungeschriebenen, aber erlebten Eigenheiten dargestellt werden. Das wird das Verständnis für historische, kulturelle und aktuelle Zusammenhänge auf dem weiten Feld der Justiz in Europa sowie die pro­ zessuale Funktion dieser in unterschiedlichen Rechtsordnungen beheimateten Revi­ sions- und Kassationsanwälte erleichtern.

II. Wirkungskreise Auch wenn das Rechtsmittel der Revision seinen Platz in allen deutschen Fachgerichtsbarkeiten findet, verbindet sich mit dem Begriff des Revisionsanwalts ausschließlich der Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof, dessen Tätigkeit sich auf das Rechtsmittel der Revision in Zivilsachen und die entsprechenden Vorbereitungsrechtmittel beschränkt.5 Mit Einführung der Zulassungsrevision 2002 ist daraus ein Rechtsmittel geworden, das in erster Linie der Klärung rechtsgrundsätzlicher Fragen, der Rechtsfortbildung und der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und nur in eingeschränktem Maß der Durchsetzung der Individualgerechtigkeit dienen soll.6 Auch das nur falsche Urteil muss bei Fehlen dieser Voraussetzungen grundsätzlich hingenommen werden.7 Der Wirkungskreis des französischen Kassationsanwalts unterscheidet sich hiervon wesentlich.8 Sein Tätigkeitsgebiet ist keineswegs nur auf das Zivilrecht beschränkt, 4 Gross, Rechtsanwälte in Europa  – Die Vertretung vor den Obersten Gerichtshöfen in FS Günter Hirsch, 2008, S. 463. 5 § 172 Abs. 1 BRAO; § 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO; näher Vorwerk in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltl. Berufsrecht, 2. Aufl. 2014, § 172 BRAO Rz. 1 ff. 6 § 543 Abs. 2 ZPO; BGH v. 4.7.2002 – V ZR 75/02, NJW 2002, 2957; BGH v. 31.10.2002 – V ZR 100/02, NJW 2003, 754. 7 So ausdrücklich BGH v. 23.1.2003 – V ZR 98/02, BeckRS 2003, 01660, bei der Entscheidung über einen Hilfsanspruch, die zwar als offensichtlich fehlsam bezeichnet wird, was jedoch nicht zur Zulassung der Revision hinreichen soll, weil davon ausgegangen werden könne, „dass Fehler dieser Art in der Rechtsprechung der Berufungsgerichte vereinzelt bleiben“ oder BGH v. 23.9.2004 – IX ZR 25/03, NZI 2005, 165; BGH v. 23.9.2003 – XI ZR 27/03, BeckRS 2003, 08762; BGH v. 23.9.2003 – XI ZR 50/03, BeckRS 2003, 08496; BGH v. 23.9.2003 – XI ZR 54/03, BeckRS 2003, 08763, wonach auch bei vier am selben Tag mit weitgehend identischen Entscheidungsgründen ergangenen Urteilen des Berufungsgerichts kein konkreter Anhaltspunkt für eine Wiederholung des Rechtsfehlers durch das Gericht in künftigen Fällen zu besorgen und daher eine höchstrichterliche Leitentscheidung auch nicht notwendig sei. 8 Barthélemy, Les avocats aux Conseils in FORTITUDO TEMPERANTIA, Die Rechtsanwälte am Reichsgericht und beim Bundesgerichtshof, Festgabe zu 50 Jahren Bundesgerichtshof, 2000, S. 161; Gonod (dir), Les avocats au Conseil d’Etat et à la Cour de cassation, 2002; Gross, Die Anwaltschaft beim französischen Kassationshof in FS Nirk, 1992, S. 405; Koering-Joulen, Pascal, Lemoine, Christophe Sulhard in Actes de l’Assemblée Constitutive du Réseau des Présidents des Cours Suprêmes Judiciaires de l’Union Européenne, 2004, 277, 297.

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sondern erfasst mit Ausnahme einiger Sondermaterien sämtliche Fachgerichtsbarkeiten, die in letzter Instanz zu den beiden Obersten Gerichtshöfen des Landes, Kassationshof und Conseil d’Etat führen, also das gesamte Zivilrecht einschließlich des Arbeits- und Sozialrechts bis hin zum gesamten öffentlichen Recht. Wie sein deutscher BGH-Kollege auf dem Gebiet des Zivilrechts vor dem Bundesgerichtshof ist der französische Kassationsanwalt allein berechtigt, auf den vorgenannten Rechtsgebieten vor den beiden obersten Gerichtshöfen des Landes tätig zu werden.9 Die ihm anvertrauten Rechtsmittel sind nicht die révision,10 die dem außerordentlichen Rechtsbehelf eines Wiederaufnahmeantrags nach Rechtskraft des Urteils gleichkommt, sondern die cassation.11 Mit der cassation soll die Einhaltung des gesamten materiellen und Prozessrechts ohne Beschränkung auf Grund- oder Rechtsfortbildungsfragen im weitesten Sinne und dessen gleichmäßige Anwendung im ganzen Land einschließlich der Überseegebiete gesichert werden. Eine Endentscheidung durch das oberste Rechtsmittelgericht ist demnach auch nicht Zweck des Verfahrens. Vielmehr kassieren die beiden obersten Gerichtshöfe nur die rechtsfehlerhaft zustande gekommenen oder begründeten Urteile und verweisen sie, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, an die Vorinstanz zurück. Auch wenn sich Zweck, Breite der Anwendung und Wirkungsweise von deutscher Revision und französischer Kassation unterscheiden, gilt für beide jedenfalls auf dem weiten Gebiet des bürgerlichen Rechts, dass diese Rechtsmittel in die Hände ausschließlich bei Bundesgerichtshof und Kassationshof zugelassener Rechtsanwälte gelegt sind.

III. Rechtsanwaltskammer oder Ordensgemeinschaft Die Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof bilden eine eigene Rechtsanwaltskammer,12 die mit Abstand kleinste ihrer Art und zugleich neben der Bundesrechtsanwaltskammer die einzig weitere Rechtsanwaltskammer des Bundes. Sie ist wie jede andere Rechtsanwaltskammer (der Länder) Mitglied der Bundesrechtsanwaltskammer. Ihre Mitglieder sind zu 100 % in dem Verein der beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte e.V. organisiert und sind damit Mitglieder des traditionsreichen Deutschen Anwaltvereins. Die Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof sind damit voll in die deutsche Anwaltschaft integriert, auch wenn sie als eigenständige Organisation besondere Aufgaben wahrnehmen. Sie bilden daher, wie ihre Vorgänger beim Reichsgericht,13 einen selbstverständlichen Teil der deutschen Anwaltschaft, aus der sie sich rekrutieren. 9 Farge, Association Européenne des Barreaux des Cours Suprêmes  – Rapport France in ­Justice & Cassation, 2016, S. 444. 10 Art. 593 ff. cpc. 11 Art. 604 ff. cpc: Le pourvoi en cassation tend à faire censurer par la Cour du cassation la non-conformité du jugement qu’il attaque aux règles de droit. 12 §§ 174 Abs. 1 S. 1, 175 Abs. 1 BRAO; näher Vorwerk in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltl. Berufsrecht, 2. Aufl. 2014, § 175 BRAO Rz. 1 ff. 13 Hierzu Gross, Die Anwaltschaft am Reichsgericht – Herkunft, Entwicklung, Untergang in DAV (Hrsg.), Anwälte und ihre Geschichte, 2011, 141. Näher Barthélemy, Les avocats aux

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Die französischen Kassationsanwälte folgen dagegen schon aus historischen Gründen bis heute einem völlig anderen Konzept. Sie bilden keine förmliche Rechtsanwaltskammer, keinen Barreau, sondern einen ausdrücklich so genannten Ordre, der schon in der Wortwahl die Nähe zu einer quasi-religiösen beruflichen Ordensgemeinschaft nahelegt. Auch heute noch lautet ihr Wahlspruch: „solis fas cernere solem“, frei übersetzt: „Ihnen allein gebührt das glückliche Geschick, der Sonne ins Antlitz zu sehen“, ein Wortspiel,14 mit dem historisch auf den obersten Gerichtsherrn, den Sonnenkönig Ludwig XIV. und heute auf die nur den Kassationsanwälten zugänglichen obersten Gerichtshöfe des Landes verwiesen wird. Als Ordre bilden die Kassationsanwälte nicht nur keine förmliche Rechtsanwaltskammer, sondern sind auch nicht Teil der allgemeinen Anwaltschaft und deren nationaler Organisationen.15 Sie üben ein sogenanntes Office ministériel, also ein staatliches Amt aus, das, wie im ancien régime und auch heute noch bei Notar- oder Gerichtsvollzieherstellen, zwar nicht mehr vererblich, dessen Amtsstelle aber veräußerlich ist und grundsätzlich nur unter dieser Vo­ raussetzung neu besetzt werden wird. Diese Sonderentwicklung der Kassationsanwaltschaft ruht auf festem, auch heute noch allgegenwärtigem historischem Fundament, das bis auf König Ludwig IX., den Heiligen (1214–1270), zurückreichen soll. Ludwig XIV. sah für die verschiedenen Conseils du Roi eine besondere Anwaltschaft, die avocats aux conseils, vor, die aufgrund äußerst hochentwickelter Prozessordnungen allein Zugang zu den königlichen Gerichtshöfen mit kassationsähnlichen, auf reine Rechtsfragen beschränkten Rechtsmitteln hatten. Die Revolution schaffte zwar die königlichen Gerichtshöfe und mit ihnen deren Anwälte ab.16 Im Laufe nur weniger Jahre wurden jedoch zunächst ein Tribunal de cassation (1790) und später die heutige Cour de cassation (1804) errichtet und damit an die Justiz des ancien régime angeknüpft. Parallel dazu ließ man zunächst auch wieder eigene Rechtsanwälte beim Kassationshof (1799) und dann auch beim Conseil d’Etat (1814) zu, die sich zu einem erheblichen Teil aus den ehemaligen avocats aux conseils zusammensetzen. 1817 wurden die Rechtsanwälte bei den beiden obersten Gerichtshöfen zusammengefasst und ein Ordre der Rechtsanwälte beim Conseil d’Etat und dem Kassationshof gebildet. Diese Grundstrukturen bestehen bis heute fort, nicht zuletzt auch die an die historischen Wurzeln in den königlichen GeConseils in FORTITUDO TEMPERANTIA, Die Rechtsanwälte am Reichsgericht und beim Bundesgerichtshof, Festgabe zu  50  Jahren Bundesgerichtshof, 2000, S.  161; Farge, ­Association Européenne des Barreaux des Cours Suprêmes – Rapport France in Justice & Cassation, 2016, S. 444.  14 Je nachdem, ob solis als Genitiv Singular des Substantivs sol, is oder als Dativ Plural des Adjektivs solus, a, um verstanden wird. In der ersten Variante lautet der Spruch: „Glückliches Geschick der Sonne, der Sonne selbst ins Antlitz zu sehen“. Aus beiden Varianten spricht unerschütterliches Selbstbewusstsein. 15 Im Gegensatz zu den Rechtsanwälten beim Bundesgerichtshof leisten die französischen Kassationsanwälte bei ihrer Ernennung einen eigenen, also erneuten Eid, wonach sie ihr Amt „avec dignité, conscience, indépendance, probité et humanité“ ausüben werden. Damit wird der Abstand zum bisher ausgeübten Anwaltsberuf hervorgehoben. 16 Näher Barthélemy, Les avocats aux Conseils in FORTITUDO TEMPERANTIA, Die Rechtsanwälte am Reichsgericht und beim Bundesgerichtshof, Festgabe zu 50 Jahren Bundesgerichtshof, 2000, S. 163 ff.

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richtshöfen anknüpfende Bezeichnung als avocats aux Conseils, die ohne diese Herleitung völlig unverständlich wäre.17 Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof und französische Kassationsanwälte führen beide auch organisatorisch ein Eigenleben. Allerdings reicht der Stammbaum der Kassationsanwälte über die Zweihundertjahrfeier im Dezember 2017 hinaus viel weiter zurück in eine heute versunkene Welt des ancien régime.18 Nach der Revolution erneuert, hat sich deren Abstand zu der im 19. und 20. Jahrhundert in Politik, Justiz und Kultur in Frankreich häufig tonangebenden Anwaltschaft noch vertieft.

IV. Zugänge Auch der Zugang zu dem Beruf des Revisions- bzw. Kassationsanwalts hat sich unterschiedlich entwickelt, auch wenn Bedarf und Auswahlmechanismen jeweils die maßgeblichen Kriterien bleiben. Seit Errichtung (1817) des Ordre des avocats au Conseil d’Etat et à la Cour de cassa­ tion19 ist die Zahl der Anwaltskanzleien auf ganze 60 begrenzt. Das entsprach nicht mehr modernen Bedürfnissen. Die Anpassung – in Wahrheit der erste Schritt zur Aufgabe des strengen numerus clausus  – erfolgte unter Wahrung der Tradition in der Weise, dass jede der 60 Kanzleien auch in Form einer bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft mit zunächst zwei und heute (seit 2013) bis zu vier zugelassenen Kassationsanwälten20 betrieben werden kann. Theoretisch wäre daher, auch wenn dies außerhalb jeder Vorstellung liegt und von niemandem gefordert wird, eine Vervierfachung bis zu 240 zugelassenen Kassationsanwälten möglich, die immer noch grundsätzlich in nur 60 Kanzleien tätig sein könnten. Demzufolge hat sich die Zahl der Kassationsanwälte in den letzten Jahrzehnten moderat, aber stetig erhöht, um die Jahrtausendwende die 90 überschritten und beträgt nun (Februar 2019) 122 zugelassene Kassationsanwälte, darunter über ein Viertel Frauen (33). Einige der zugelassenen Kassationsanwälte entstammen Zuwandererfamilien aus ehemaligen französischen Überseegebieten und eine der jüngst zugelassenen Kassationsanwältinnen ist sogar deutsche Staatsangehörige.

17 Farge, Association Européenne des Barreaux des Cours Suprêmes  – Rapport France in ­Justice & Cassation, 2016, S. 448. 18 Im Rahmen der jährlich stattfindenden Conférence du Stage wurde am 17.12.2017 der Gründung der französischen Kassationsanwaltschaft vor 200 Jahren gedacht. Der Erste Sekretär der Conférence, Henri-Charles Croizier, trug eine „Petite Histoire illustrée de l’Ordre des avocats au Conseil d’Etat et à la Cour de Cassation“ vor, die nicht zuletzt auch an die beeindruckende Anzahl berühmter Namen aus Lehre, Politik und Rechtsprechung erinnerte, die mit den Avocats aux Conseils unmittelbar oder mittelbar verbunden sind, in: Justice&Cassation 2018, S. 310. 19 Ordonnance v. 10.9.1817, Art. 1 und 2. 20 Décret no 2013 – 470 v. 5.6.2013.

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Maßgebliches Auswahlkriterium ist die erfolgreiche Ablegung einer anspruchsvollen schriftlichen und mündlichen Prüfung (CAPAC) zur Eignung als Kassationsanwalt sowohl im Zivil- wie im öffentlichen Recht,21 der eine dreijährige streng geregelte Ausbildung in einem eigens errichteten Ausbildungsinstitut (IFRAC) vorangeht. Erleichterte Zugangsbedingungen bestehen für Mitglieder und ehemalige Mitglieder der obersten Gerichtshöfe, Universitätsprofessoren und Berufungsanwälte mit mindestens 10jähriger Praxis, wovon in jüngster Zeit durchaus Gebrauch gemacht wird. Mit Ablegung der Eignungsprüfung sind zwar die formalen Voraussetzungen für eine Ernennung als Kassationsanwalt erfüllt; ein Anspruch hierauf besteht jedoch nicht, zumal die Anzahl erfolgreicher Absolventen der Eignungsprüfung die Anzahl freier Stellen bei weitem übersteigt. Der erfolgreiche Bewerber kann sich sodann um den Erwerb einer der 60 frei werdenden Stellen oder um die Beteiligung an einer bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft in einer solchen bewerben. Ein freies Niederlassungsrecht ist damit allerdings nicht verbunden. Folglich hängt die notwendige Ernennung durch den Justizminister vom Ausscheiden und dem ­Erwerb einer frei gewordenen Stelle ab. Die seit 2009 dem Justizminister eröffnete Möglichkeit,22 bei zusätzlichem, weder von dem Justizminister noch von den Obersten Gerichtshöfen, sondern von der nationalen Wettbewerbsbehörde festzustellenden Bedarf,23 neue Stellen mit freier Niederlassungswahl zu errichten, hat mit bis Februar 2019 insgesamt vier neu geschaffenen und weiteren vier von der Wettbewerbsbehörde vorgeschlagenen „freien“ Kanzleiplätzen eine gewisse praktische Bedeutung erfahren, so dass derzeit insgesamt 64 Kassationsanwaltskanzleien bestehen, davon nur 9 Einzelpraxen, 54 als bürgerlich-rechtliche Gesellschaften (s.c.p.) und eine als Gesellschaft mit beschränkter Haftung (SARL). Die gesetzlich eröffnete Eingliederung einer Kassationskanzlei in eine „interprofessionelle Struktur“ hat bisher noch keinen Eingang in die Praxis gefunden. Von der Möglichkeit (seit 2014) der Zulassung weiterer Kassationsanwälte nicht etwa als Kanzleiinhaber, also als Träger eines office ministériel, sondern als Angestellte24 in bereits vorhandenen Kassationskanzleien, wird mit bisher zwei Zulassungen (2019) eher zurückhaltend Gebrauch gemacht. Damit ist der strenge numerus clausus, von 1817 bis 1972 auf 60 Kanzleien und auf nur ebenso viele Kassationsanwälte beschränkt, durch ein ganzes Bündel reformatorischer Maßnahmen nicht nur symbolisch, sondern auch grundsätzlich geöffnet worden. Die Zulassung als BGH-Anwalt unterliegt zwar ebenfalls einer ministeriellen Entscheidung;25 das vorrangige Auswahlverfahren folgt indes völlig anderen, zum Teil strengeren, zum Teil weicheren formalen Vorgaben. Auffälligster Unterschied zu dem französischen Modell ist das Fehlen einer formalisierten Ausbildung mit Abschlussprüfung zum Revisionsanwalt und deren Ersetzung durch ein in den §§ 164 ff. BRAO 21 Décret no 91 – 1125 v. 28.10.1991 und Arrêté v. 2.8.2000. 22 Art. 3 Décret no 2009 – 452 v. 22.4.2009. 23 Art. 57 Loi no 2015 – 990 v. 6.8.2015. 24 Art. 3 – 1 Ordonnance no 2014 – 239 v. 27.2.2014; beschränkt allerdings auf einen Angestellten je Kanzlei. 25 § 170 Abs. 1 BRAO.

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normiertes Auswahlverfahren durch einen z.Zt. aus 13 Richtern und 11 Rechtsanwälten bestehenden Wahlausschuss.26 Dieser legt auf Grundlage einer statistischen Auswertung der Entwicklung der Eingangszahlen in Zivilsachen fest, dass und in welchem Umfang ein Bedarf an Neuzulassungen besteht und stellt in der anschließenden Wahl aus den Bewerbern eine Liste zusammen, aus der der Bundesjustizminister die bedarfsgerechte Anzahl der neu zugelassenen BGH-Anwälte bestimmt.27 Diesem aus dem Präsidenten des Bundesgerichtshofs, den Vorsitzenden der Zivilsenate des Bundesgerichtshofs und Vertretern der Bundesrechtsanwaltskammer und der Rechtsanwaltskammer beim Bundesgerichtshof bestehenden Wahlausschuss steht ein weiter  Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu. Das Ergebnis der Entscheidung des Wahlausschusses ist nicht zu begründen.28 Nicht eine formalisierte Eignungsprüfung, sondern eine im Hinblick auf die unbestreitbare Kompetenz des Wahlausschusses praktisch unangreifbare Eignungsbeurteilung ist demnach ausschlaggebend. Der durch den Wahlausschuss vorgeschlagene und durch den Minister ernannte BGH-Anwalt kann sich frei als Einzelanwalt oder in einer höchstens zwei beim Bundes­ gerichtshof zugelassene Rechtsanwälte zählenden Sozietät niederlassen.29 Sonstige berufliche Zusammenschlüsse sind ihm verwehrt.30 Auf den Erwerb einer schon bestehenden BGH-Praxis ist er nicht angewiesen. Bedarf und Eignung haben zu einer durchaus beweglichen Zahl von zugelassenen BGH-Anwälten zwischen 20 und 46 geführt, die seit 2016 bei 43 liegt. Der Frauenanteil an der BGH-Anwaltschaft beträgt nur 10 % (2019). Türkisch- oder arabischstämmige BGH-Anwälte, in der allgemeinen Anwaltschaft inzwischen durchaus häufig anzutreffen, fehlen noch völlig, ebenso wie solche aus nicht-deutschen EU-Staaten. Junge französische Anwälte können sich nach Ablegung der üblichen Anwaltsexamina sofort ihrer Ausbildung als Kassationsanwalt widmen, nach deren erfolgreichem Abschluss sich dem Kassationsrecht zuwenden und treten daher häufig schon in sehr jungen Jahren in eine Kassationsanwaltspraxis ein. Ein Mindestalter (35) sowie eine Mindestpraxis von fünf Jahren wie für die deutschen BGH-Kollegen31 bestehen nicht. Dagegen liegt das Zulassungsalter der BGH-Anwälte im Durchschnitt deutlich über 40 Jahren. Für deutsche BGH- und französische Kassationsanwälte dürfte das allgemeine Durchschnittsalter seit Jahrzehnten unverändert bei Mitte 50 liegen. Eine Altersobergrenze gibt es für beide nicht, auch wenn sich in den letzten Jahren eine Tendenz zum Zulassungsverzicht im Alter von etwa 75 Jahren gezeigt hat.

26 § 165 Abs. 1 BRAO, abhängig von der Anzahl der Senatsvorsitzenden und der Anzahl der Präsidiumsmitglieder von RAK-BGH und BRAK; näher Vorwerk in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltl. Berufsrecht, 2. Aufl. 2014, § 165 BRAO Rz. 1 ff. 27 § 168 Abs. 2 BRAO; näher Vorwerk in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltl. Berufsrecht, 2. Aufl. 2014, § 168 BRAO Rz. 7. 28 § BVerfG v. 13.6.2017 – 1 BvR 1370/16, NJW 2017, 2670, 2671 (Rz. 20). 29 §  172a S.  2 BRAO; näher Vorwerk in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltl. Berufsrecht, 2.  Aufl. 2014, § 172a BRAO Rz. 1 ff. 30 § 172a S. 1 BRAO. 31 § 166 Abs. 3 BRAO.

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V. Eigenleben und Öffnungen Ihre überschaubar kleine Anzahl und ihre Sonderstellung haben sowohl für die BGHwie für die Kassationsanwaltschaft zu einem inselartigen Eigenleben in engem Kontakt zu ihren Gerichtshöfen geführt, über das kaum schriftliche Nachweise vorliegen, das aber zahlreiche Öffnungen in die Welt von morgen zulässt. Jeweils ein typisches Ereignis für dieses Eigenleben soll hier dargestellt werden. Besonders eindrucksvoll sind für den auswärtigen Besucher die historisch bedingten feierlichen Versammlungen, welche die französischen Kassationsanwälte seit unvordenklicher Zeit in immer gleicher Folge jeweils Anfang Dezember abhalten. Diese finden stets in den monumentalen, golddurchwirkten Prunk-Verhandlungssälen von Kassationshof oder Conseil d’Etat statt. Beispielhaft soll die sog. Conférence du Stage herangezogen werden, in der die jeweils besten Absolventen des Kassationsanwaltsexamens gewürdigt werden, die zudem in einem Rednerwettbewerb die ersten Plätze erreicht haben. Der Verhandlungssaal ist dicht gefüllt. Der Justizminister oder sein Vertreter, die Chefpräsidenten der obersten Gerichtshöfe, der Generalstaatsanwalt, die Generalanwälte und alles, was Rang und Namen in der Justiz hat, ist anwesend, aus der Anwaltschaft allerdings nur die weitgehend vollständig und natürlich in Robe erschienenen Kassationsanwälte sowie die Vertreter ihrer ausländischen Partner­ organisationen, dagegen nur wenige Vertreter der allgemeinen Anwaltschaft. Der Präsident der Kassationsanwaltschaft erstattet einen Bericht über das vergangene ­Justizjahr, der zwar auch die allen Anwesenden ohnehin bekannten Geschehnisse wiedergibt, vor allem aber rednerischen Glanz auch über ein gelegentlich weniger glanzvolles Justizjahr legen soll und dessen sämtliche Akteure dem Präsidenten als aufmerksame Zuhörer und strenge Richter über den selbstverständlich erwarteten rhetorischen Höhepunkt der péroraison lauschen. Dem folgt alljährlich in einem stehend entgegenzunehmenden Gedenkakt die Verlesung der Namen sämtlicher Kassationsanwälte, die Opfer der beiden Weltkriege und der damit zusammenhängenden Verfolgungen geworden sind. Der zweite Hauptteil gilt dem Vortrag des Erstplatzierten des Rednerwettstreits unter den Absolventen des Kassationsanwaltsexamens. Meist wird zu einem historischen, niemals tagesfrischen Thema vorzugweise aus Politik und Justiz vorgetragen, das in der klassischen und seit Menschengedenken nicht mehr geänderten Form eines mitreißenden Plädoyers zum Nachdenken auch über Un-Aktuelles anregen soll und dem erfolgreichen Redner, der von nun an praktisch lebenslang den unauffälligen, unter Kennern jedoch hochgeachteten Ehrentitel eines Premier Secrétaire trägt, mit lang anhaltendem Beifall und dem folgenden Druck der Rede den Marschallstab für seine künftige Karriere als Kassationsanwalt verspricht. Zu den sehr viel nüchterneren und historisch bedingten festlichen Veranstaltungen der BGH-Anwaltschaft zählt ein Relikt aus der Zeit des Reichsgerichts, das sich mit nur wenigen Anpassungen in der Welt des Bundesgerichtshofs fortgesetzt hat. Für die Rechtsanwälte am Reichsgericht gab es die schöne Einrichtung, dass diese sich mit ihren Damen nach dem Ablauf der Begründungsfristen nach den Gerichtsferien, damals dem 15. Oktober, zu einem sog. „Revisionsbegründungsfristbeendigungsfestessen“ 104

Der Revisions- und der Kassationsanwalt

trafen, nicht in den durchaus repräsentativen Festsälen des Reichsgerichts, sondern immer in einem edlen Leipziger Restaurant. Vor allem den ehemaligen Reichsgerichts- und nunmehr ersten BGH-Anwälten war dieses Traditionsessen, gelegentlich auch kollegiales Liebesmahl wie etwa die Schaffermahlzeit in Bremen genannt,32 derart wichtig und stilbildend, dass sie es schon bei der ersten ordentlichen Kammerversammlung der Rechtsanwaltskammer beim Bundesgerichtshof am 15.3.1951 im Hinblick auf die um einen Monat, also bis zum 15.  November verlängerten Fristen in „Revisionsbegründungsfristverlängerungsbeendigungsfestessen“ umbenannten und damit die Reichsgerichts-Tradition einfach fortsetzten, bis in die 80er Jahre noch im Frack mit Orden und Ehrenzeichen, heute im schlichten Smoking. Dieses historische Festessen findet seither stets in fast geheimbündlerischer Exklusivität am Abend vor dem ersten Advent nur in Anwesenheit des Präsidenten des Bundesgerichtshofs und des Generalbundesanwalts statt, wiederum den Fügungen der Prozessordnung zum Trotz, leicht umbenannt in ein „Revisionsbegründungsfristverlängerungsablaufter­ minfestessen“. Nach Wegfall der Gerichtsferien gibt dieses Liebesmahl mit der un­ aussprechlichen Bezeichnung Gelegenheit, in Stille über das tempora mutantur des Prozessrechts und über die heimliche Liebe der BGH-Anwälte zur mündlichen Verhandlung in Zivilsachen vor den Senaten des Bundesgerichtshofs nachzudenken.33 Abwechselnd berichten der Präsident des Bundesgerichtshofs und der Generalbundesanwalt über Fragen von allgemeiner Bedeutung aus dem weiten Feld der Justiz. Erst in den letzten Jahren wurde gelegentlich auch ein externer Vortragender geladen, einmal sogar der Ur-Ur-Enkel von Eduard von Simson, des ersten Präsidenten des Reichsgerichts, der, als ehemaliger Anwalt, hoher englischer Richter und EuGH-Richter, geistreich und mit Sprachwitz die auf dem Kontinent noch immer weitgehend getrennten zwei Welten seines Berufslebens als Anwalt und Richter mühelos zusammen zu fügen in der Lage war.34 BGH- und Kassationsanwaltschaft haben sich über die vorgenannten, vor allem historisch belegten Beispiele ihres Eigenlebens hinaus auch international weit geöffnet. Seit über einem Vierteljahrhundert unterhalten die Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof einen stetigen und herzlichen Kontakt zu verwandten Anwaltschaften in Europa, insbesondere zu der durch ihr Alter und ihr Prestige ausgezeichneten französischen Kassationsanwaltschaft und deren belgischer Schwester, mit denen sie in der „Association Européenne des Barreaux des Cours suprêmes“ mit Sitz in Brüssel verbunden sind35 und zu der vor wenigen Jahren die völlig neu strukturierte niederländische 32 Von Stackelberg, Die Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof in FORTITUDO TEMPERANTIA Die Rechtsanwälte am Reichsgericht und beim Bundesgerichtshof, Festgabe zu 50 Jahren Bundesgerichtshof, 2000, S. 1, 69.  33 Gross, Zwei ungleiche Brüder: Der Berliner Anwaltsverein und der Verein der beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte in FS 150 Jahre Berliner Anwaltsverein, 2003, S. 102; Gross, Die Zukunft der mündlichen Verhandlung in FS Krüger, 2017, S. 383. 34 Sir Konrad Schiemann, geb. 1937 in Berlin, ehem. Rechtsanwalt und Q.C., Lord Justice und Richter des EuGH. 35 Gross, Europäische Horchposten der Justiz – Die Europäischen Vereinigungen der Präsidenten, Generalstaatsanwälte und Anwaltschaften bei den Obersten Gerichtshöfen in FS Müller-Graff, 2015, S. 1329; Gross, Hören und gehört werden – Die Europäische Vereinigung der Anwaltschaften bei den Obersten Gerichtshöfen in FS Kirchberg, 2017, S. 433.

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Kassationsanwaltschaft beim Hoge Raad hinzugetreten ist.36 Nach dem Grundsatz „Hören und gehört werden“ wirkt diese Vereinigung an der berufs- und rechtspolitischen Orientierung auf europäischer Ebene mit. Über die Entwicklung im jeweiligen nationalen Revisionsrecht und in den nationalen Anwaltschaften bei den obersten Gerichtshöfen findet mindestens zweimal jährlich ein reger Gedankenaustausch statt, der in dieser Form einzigartig und unersetzlich ist.

VI. Annäherungen an eine funktionale Zukunft Immer wieder ist in den letzten Jahrzehnten in sich auch inhaltlich wiederholender Regelmäßigkeit die Existenz besonderer Anwaltschaften bei den obersten Gerichtshöfen sowohl in Frankreich wie in Deutschland in Frage gestellt worden, in beiden Ländern nie aus der Richterschaft, sondern ausschließlich aus der Anwaltschaft gespeist.37 In Deutschland war die Debatte eher verfassungsrechtlich bis hinauf zum Bundesverfassungsgericht geprägt, während in Frankreich rechtspolitische Forderungen im Vordergrund standen und verfassungsrechtliche Ansprüche schon wegen des Fehlens einer verfassungsrechtlichen Individualbeschwerde praktisch völlig ausschieden. In beiden Ländern musste sich die schon im 19. Jahrhundert erhobene Forderung nach der „Freiheit der Advokatur“ schon bald an den Bedürfnissen eines vielgliedrigen Justizsystems messen lassen, dessen oberste Instanz seit jeher einem besonders sensiblen, aber auch besonders anspruchsvollen Funktionsprinzip unterlag. Manchmal geriet in Vergessenheit, dass BGH- und Kassationsanwaltschaft ihre Existenz nicht der Laune eines einzelnen Gesetzgebers verdanken, sondern viel-hundertjährige historische Rechtsdenkmale sind, anpassungsfähig an veränderte Aufgaben der Gerichtshöfe, mit Leben erfüllt durch eine qualitätsorientierte Rekrutierung aus einer starken Anwaltschaft und im Interesse der Parteien streng und ausschließlich auf die Aufgaben eines obersten Gerichtshofs konzentriert.38 Daher wird, vor allem mit Rücksicht auf die viel breiter aufgestellten Wirkungskreise der französischen Kassationsanwälte die nicht zuletzt in der Richterschaft aufgeworfene Frage nicht verstummen, ob die feine Technik des Revisionsrechts nicht grundsätzlich ausschließlich den auf diesem Rechtsgebiet tätigen Revisionsanwälten anvertraut werden soll. Das legt die Erstreckung der Aufgaben der Revisionsanwaltschaft auf die übrigen deutschen Revisionsgerichte oder die Einrichtung einer eigenen fachgerichtlichen Revisionsanwaltschaft bei jenen nahe. Nicht Tradition und Rückschau, sondern die Funktion und deren Sicherung stehen an der Wiege dieser eigenen Anwaltschaft, wie sie sich in Jahrhunderten beispielhaft mit dem Revisionsanwalt in Deutschland und dem Kassationsanwalt in Frankreich sowie in Sonderformen in Belgien und den Niederlanden entwickelt hat. 36 Vermeulen, Rapport National des Pays-Bas in Justice & Cassation, 2016, S. 455. 37 Für Deutschland zu Zeiten des Reichsgerichts vgl. Gross, Die Anwaltschaft am Reichsgericht – Herkunft, Entwicklung, Untergang in Anwälte und ihre Geschichte, 2011, S. 149; Gross, Die Anwaltschaft beim Bundesgerichtgerichtshof – Neuanfang Funktion, Bestand in Anwälte und ihre Geschichte, 2011, S. 388. 38 Stürner, Die Anwaltschaften bei den Obersten Gerichtshöfen in Europa und ihre Zukunft in FS 200 Jahre Carl Heymanns Verlag, 2015, S. 150.

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Information als Grundlage für eine effektive ­Rechtsdurchsetzung des geschädigten Anlegers Eine kritische Betrachtung anhand des Falls Baumeister/Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht – zugleich ein Plädoyer für eine ­erweiterte Informationsbeschaffung im deutschen Zivilprozess Inhaltsübersicht I. Vorwort II. Der Fall Baumeister – eine Fall­ beschreibung 1. Der Vorlagebeschluss des Bundes­ verwaltungsgerichts a) Das Klägerbegehren b) Maßgebliche Rechtsnormen c) Reichweite des Berufsgeheimnisses in Art. 54 Abs. 1 der Richtlinie 2004/39/EG d) Offene Fragen zur Auslegung des Art. 54 Abs. 1 der Richtlinie 2004/39/EG e) Fazit 2. Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 12.12.2017 a) Einleitung b) Ergebnis c) Würdigung durch den Generalanwalt (Nr. 32 bis einschließlich 65 der Schlussanträge) – Besonderheiten des Systems der Finanzmarktaufsicht und Erwägungsgründe der Richtlinie 2004/39 rechtfertigen Intransparenz gegenüber dem Bürger d) Kritik

III. Mögliche Auswirkungen des Falls Baumeister auf effektive Rechtsdurchsetzung geschädigter Anleger 1. Vorbemerkung 2. Begrenzte und ineffektive „Tools“ zur ­Informationsbeschaffung a) Antrag gemäß § 299 Abs. 2 ZPO b) Ungenügende prozessuale Möglichkeiten zur Informationsgewinnung c) Einsichtnahme in staatsanwaltschaft­ liche Ermittlungsakten d) Informationsbeschaffung im Ausland – Herausgabeverlangen nach 28 U. S. C. § 1782 e) Sekundäre Darlegungslast (§ 138 Abs. 2 ZPO) f) Materiell-rechtliche Informationsansprüche 3. Fazit IV. Eigene Stellungnahme und gleichzeitig Forderung

I. Vorwort Der geschädigte Anleger hat zur Durchsetzung seiner möglicherweise berechtigten Schadensersatzansprüche die hohe Hürde der Darlegungs- und Beweislast zu überwinden. Dies gilt jedenfalls für den Nachweis der Pflichtverletzung. Hierzu benötigt er Tatsachen, die ihm helfen, seinen Anspruch in unverjährter Zeit schlüssig zu begründen. Es sieht sich dabei regelmäßig undurchschaubaren, völlig intransparenten betrieblichen Organisationen und Unternehmensstrukturen gegenüber, die es für ihn schier unmöglich machen, nähere Details zu möglichen Pflichtverletzungen zeitnah 107

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zu erforschen und somit rechtzeitig und ohne Gefahr, in die kenntnisunabhängige 10-jährige Verjährungsfrist zu laufen, vorzutragen. Am Beispiel des derzeit vor dem EuGH anhängigen Vorabentscheidungsverfahren Baumeister gegen die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (kurz: BaFin), Az. C-15/16 und der dort zwischenzeitlich vorliegenden Schlussanträge des französischen Generalanwalts Yves Bot vom 12.12.20171 möchte der Autor in seinem Beitrag aufzeigen, welche Gefahren von einem deutlich erschwerten Informationszugang in Akten der nationalen Finanzaufsicht für den Bürger ausgehen und mit dem Hinweis schließen, wie dringend geboten es ist, sollte der EuGH – wie fast zu befürchten – dem Schlussantrag des Generalanwalts folgen,2 auch im deutschen Zivilprozess den zeitnahen Informationszugang für den Geschädigten deutlich zu erleichtern, damit ihm eine effektive Rechtsdurchsetzung überhaupt möglich ist. Denn verfügt der Geschädigte über keine Information in einem überschaubaren Zeitraum, kann er die Pflichtverletzung des Schädigers nicht rechtzeitig substantiiert darlegen, geschweige denn beweisen und verliert den Prozess schon „aus Mangel an Fakten“, abgesehen von den Problemen durch Zeitablauf. Im Fall Baumeister wurde der Antrag auf Informationszugang gegenüber der BaFin übrigens am 19.4.2006 gestellt.

II. Der Fall Baumeister – eine Fallbeschreibung 1. Der Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts a) Das Klägerbegehren Ausgangspunkt für die Fallbeschreibung ist der Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 4.11.2015 – 7 C 4.14.3 Der Kläger begehrt im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Zugang zu Unterlagen der BaFin, die sich im Zusammenhang mit der Aufsicht über die nachweislich betrügerisch datierende Phönix Kapitaldienst GmbH dort befinden. Der Kläger wurde durch die betrügerischen Machenschaften der Phoenix Kapitaldienst GmbH geschädigt. Über das Vermögen des Unternehmens wurde im Jahr 2005 das Insolvenzverfahren eröffnet. Den auf § 1 Informationsfreiheitsgesetz (kurz: IFG) gestützten Antrag des Klägers auf Einsicht in das der Beklagten vorliegende Gutachten einer Sonderprüfung 1 Siehe www.curia.europa.eu (abgerufen am 23.5.2018); EuGH v. 12.12.2017 – C-15/16, BeckRS 2017, 138492, OLG Düsseldorf v. 14.12.2017 – I-26 W 8/15, NZG 2018, 382 (Ls.). 2 Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Beitrags lag noch kein Urteil des EuGH vor. Zwischenzeitlich – nach Erstellung dieses Beitrags – liegt das Urteil vor, siehe EuGH v. 19.6.2018 – C-15/16, NJW 2018, 2615. Der EuGH ist dem Schlussantrag des Generalanwalts nicht gefolgt; siehe zum Urteil auch Kerst, GWR 2018, 277, Gurlit, NZG 2018, 1097, Herz, NJW 2018, 2601 und Kottmann, EuZW 2018, 697; das Hauptverfahren in Sachen Baumeister vor dem BVerwG ist auf den 10.4.2019 terminiert. 3 Vorlagebeschluss des BVerwG v. 4.11.2015  – 7 C 4/14, NVwZ 2016, 1335; Vorinstanzen: Hessischer Verwaltungsgerichtshof v. 29.11.2013 – 6 A 1293/13, ZIP 2014, 1756; VG Frankfurt a.M. v. 12.3.2008 – 7 E 5426/06, ZIP 2008, 2138.

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und in Berichte der Wirtschaftsprüfer sowie interne Stellungnahmen, Berichte und Korrespondenzen in Bezug auf das überwachte Unternehmen, die zum Zeitpunkt des Antrags eine erhebliche juristische Bedeutung für die damals auch gegen Wirtschaftsprüfer in Frage kommende Schadensersatzansprüche hatten, wies die BaFin zurück.4 Sie berief sich unter anderem auf die Norm des § 3 Nr. 4 IFG i.V.m. § 9 KWG. b) Maßgebliche Rechtsnormen Laut § 3 Nr. 4 IFG besteht ein Anspruch auf Informationszugang nicht, wenn die Information einer durch Rechtsvorschrift oder durch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum materiellen und organisatorischen Schutz von Verschlusssachen geregelten Geheimhaltungs- oder Vertraulichkeitspflicht oder einem Berufs- oder besonderen Amtsgeheimnis unterliegt. In § 9 Abs. 1 KWG ist geregelt, dass die bei der BaFin beschäftigten Personen – soweit sie zur Durchführung dieses Gesetzes tätig werden  – die ihnen bei ihrer Tätigkeit bekannt gewordenen Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse des Instituts oder eines Dritten liegt, insbesondere Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, nicht unbefugt offenbaren oder verwerten dürfen, auch wenn sie nicht mehr im Dienst sind oder ihre Tätigkeit beendet ist. Die maßgebliche Vorschrift des Unionsrechts dazu befindet sich in Art. 54 der Richtlinie 2004/39/EG.5 Laut Abs.  1 dieses Artikels stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die zuständigen ­Behörden, alle Personen, die für diese tätig sind oder waren, sowie die von den zuständigen Behörden beauftragten Wirtschaftsprüfer und Sachverständigen dem Berufsgeheimnis unterliegen. Diese dürfen vertrauliche Informationen, die sie in ihrer beruflichen Eigenschaft erhalten, an keine Person oder Behörde weitergeben, es sei denn in zusammengefasster oder allgemeiner Form, so dass die einzelnen Wertpapierfirmen, Marktbetreiber, geregelten Märkte oder anderen Personen nicht zu erkennen sind. Davon unberührt bleiben Fälle, die unter das Strafrecht oder andere Bestimmungen dieser Richtlinie fallen. In Abs. 2 ist geregelt, dass vertrauliche Informationen, die sich nicht auf Dritte beziehen, in zivil- oder handelsrechtlichen Verfahren weitergegeben werden dürfen, sofern gegen die betroffene Wertpapierfirma durch Gerichtsbeschluss das Konkursverfahren eröffnet oder ihre Zahlungsabwicklung eingeleitet wurde, sofern dies für das betreffende Verfahren erforderlich ist. In Abs. 4 schließlich steht, dass vertrauliche Informationen, die gemäß dieser Richtlinie empfangen, ausgetauscht oder übermittelt werden, den Vorschriften dieses Artikels über das Berufsgeheimnis unterliegen. Dieser Artikel steht dem allerdings nicht entgegen, dass die zuständigen Behörden vertrauliche Informationen mit Zustim4 So Vorlagebeschluss des BVerwG v. 4.11.2015 − 7 C 4/14, NVwZ 2016, 1335, Rz. 2. 5 In der RL 2014/65/EU (= MiFiD II) nunmehr geregelt in Art. 76.

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mung der die Informationen übermittelnden zuständigen Behörde oder anderen Behörden, Stellen und sonstigen juristischen oder natürlichen Personen austauschen oder solche übermitteln, sofern dies im Einklang mit der Richtlinie und mit anderen, für Wertpapierfirmen, Kreditinstitute, Pensionsfonds, OGAW und weiteren in Abs. 4 aufgeführten Adressaten steht. c) Reichweite des Berufsgeheimnisses in Art. 54 Abs. 1 der Richtlinie 2004/39/EG Das in Art. 54 Abs. 1 der Richtlinie 2004/39/EG geregelte Berufsgeheimnis erstreckt sich auch auf die Unterlagen, die dem so genannten „aufsichtsrechtlichen Geheimnis“, das heißt den schützenswerten Angaben über interne Vorgänge der Aufsichtsbehörde, zuzuordnen sind.6 Dies folgt aus dem von der Richtlinie verfolgten Ziel einer wirksamen Überwachung der Tätigkeit von Wertpapierunternehmen, was auch den Schutz der Geheimhaltungsinteressen der zuständigen Behörde bedingt.7 Die Reichweite der Verschwiegenheitspflicht ist somit maßgeblich für den Informa­ tionszugang des betroffenen Anlegers. Das Bundesverwaltungsgericht ist in seinem Vorlagebeschluss der Ansicht, dass die Auslegung der Vorschrift über das Berufsgeheimnis in Art. 54 der Richtlinie 2004/39/ EG weitere Fragen aufwirft, die einer Klärung durch den Europäischen Gerichtshof bedürfen. Denn deren Beantwortung sei nicht in dem Sinne offenkundig, dass nach der acte-clair-Doktrin für vernünftige Zweifel kein Raum bleibe.8 d) Offene Fragen zur Auslegung des Art. 54 Abs. 1 der Richtlinie 2004/39/EG Das Bundesverwaltungsgericht stellt zunächst Fragen, die die Reichweite der Geheimhaltungspflicht betreffen, insbesondere, ob § 9 Abs. 1 KWG unionsrechtskonform in einem Sinne auszulegen wäre, der die Reichweite der Geheimhaltungspflicht weit zieht und die dementsprechende Zuordnung der Aktenbestandteile schon nach äußeren und als solchen ohne Schwierigkeiten feststellbaren Merkmalen ermöglicht. Ein solches Verständnis der vertraulichen Informationen und des Berufsgeheimnisses, das sich maßgeblich nach der Herkunft der Angaben richtet und die betreffenden unternehmensbezogenen Informationen nicht weiter nach ihrem Inhalt und den – insbesondere wirtschaftlichen – Auswirkungen einer Offenlegung bewertet und zuordnet, ist – soweit ersichtlich – in der bisherigen Rechtsprechung zum unionsrechtlichen Begriff des Berufsgeheimnisses nicht angelegt.9 6 So Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen v. 4.9.2014 im Verfahren Altmann u.a./­ BaFin beim EuGH v. 4.9.2014 – C-140/13, www.curia.europa.eu (abgerufen am 23.5.2018), BKR 2014, 470 = ZIP 2014, 2052. 7 Vorlagebeschluss des BVerwG v. 4.11.2015 – 7 C 4/14, NVwZ 2016, 1335, Rz. 20.  8 Vorlagebeschluss des BVerwG v. 4.11.2015 – 7 C 4/14, NVwZ 2016, 1335, Rz. 22, mit Verweis auf EuGH v. 6.10.1982 – 283/81, CILFIT [ECLI:EU:C:1982:335], Rz. 16. 9 Vorlagebeschluss des BVerwG v. 4.11.2015 – 7 C 4/14, NVwZ 2016, 1335, Rz. 24.

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Das Bundesverwaltungsgericht bezieht sich diesbezüglich auf die in wettbewerbsrechtlichen Verfahren ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichts (kurz: EuG).10 Danach werden Geschäftsinterna, die der Aufsichtsbehörde übermittelt werden, nicht bereits als solche und ohne weiteres als Berufsgeheimnis geschützt. Wenn es hingegen nicht auf die inhaltliche Bewertung der Information und ihrer Bedeutung für das beaufsichtigte Institut ankäme, weil dem Berufsgeheimnis mög­ licherweise vielmehr alles unterfiele, was der Aufsichtsbehörde vertraulich „unter dem Siegel der Verschwiegenheit“ mitgeteilt würde, würde ein solches Verständnis zu einer umfassenden Verschwiegenheitsverpflichtung führen, deren praktische Umsetzung von gegebenenfalls nur schwer zu erfüllenden Darlegungsanforderungen abhinge.11 Das Bundesverwaltungsgericht benennt also an dieser Stelle die Problematik, dass sich bei einem derart weiten Verständnis des Berufsgeheimnisses ein praktisch durchsetzbarer Anspruch des geschädigten Bürgers auf Information gegen die nationale Finanzaufsicht faktisch erledigt haben dürfte. Hinsichtlich des „aufsichtsrechtlichen Geheimnisses“ stellen sich laut Bundesverwaltungsgericht entsprechende Auslegungsfragen. Falls Art. 54 der Richtlinie 2004/39/EG nicht in diesem weiten Sinne verstanden werden sollte, bedarf es laut BVerwG der Klärung, welche Anforderungen an die Feststellung eines Berufsgeheimnisses sich aus der Richtlinie ergeben, die der Hessische Verwaltungsgerichtshof nach Zurückverweisung der Sache bei seiner Entscheidung zu beachten hätte. Hieraus beziehen sich die Fragen 1c mit ihren Unterfragen aa) bis cc) im Vorlagebeschluss.12 Die Fragen 2 und 3 des Vorlagebeschlusses betreffen schließlich die zeitliche Dimension des Schutzes vertrauliche Informationen durch das Berufsgeheimnis. Sie stellen sich unabhängig davon, wie die Frage 1 zu beantworten ist.13 Das Bundesverwaltungsgericht geht dabei davon aus, dass die Schutzwürdigkeit vertraulicher Informationen in der Regel mit der Zeit abnehmen dürfte. So können Angaben, wenn sie als veraltet anzusehen sind, schon vor Einstellung des Geschäftsbetriebs ihre Bedeutung verlieren. Davon ginge – so das BVerwG – auch der Generalanwalt Jääskinen in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Altmann u.a. gegen BaFin, Az. C-140/13, Rz. 43 aus.14 10 Vorlagebeschluss des BVerwG v. 4.11.2015 – 7 C 4/14, NVwZ 2016, 1335, Rz. 25, mit Verweis auf: Bank Austria Creditanstalt/Kommission – EuG v. 30.5.2006 – T-198/03, CILFIT [ECLI:EU:T:2006:136], Rz.  71; und Evonik Degussa/Kommission  – EuG v. 28.1.2015  – T-341/12, CILFIT [ECLI:EU:T:2015:51], Rz. 94. 11 Vorlagebeschluss des BVerwG v. 4.11.2015 – 7 C 4.14, NVwZ 2016, 1335, Rz. 25. 12 Vorlagebeschluss des BVerwG v. 4.11.2015 – 7 C 4/14, NVwZ 2016, 1335, Rz. 27. 13 Vorlagebeschluss des BVerwG v. 4.11.2015 – 7 C 4/14, NVwZ 2016, 1335, Rz. 30. 14 Vorlagebeschluss des BVerwG v. 4.11.2015 – 7 C 4/14, NVwZ 2016, 1335, Rz. 31.

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Wenn entsprechende Änderungen in den Verhältnissen durch den Zeitablauf und deren Auswirkungen auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit von Informationen zu berücksichtigen sind, ist laut BVerwG möglicherweise zu erwägen, ob in generalisierender Weise vermutet werden kann, dass nach gewisser Zeit die notwendige Aktualität einer Angabe, die ihr den fortdauernden wirtschaftlichen Wert im Wettbewerb vermittelt, entfallen ist. Solche Überlegungen könnten sich gegebenenfalls an Regelungen orientieren, wie sie etwa der „Mitteilung der Kommission über die Regeln für die Einsicht in Kommissionsakten in Fällen eine Anwendung der Art. 81 und 82 EG-Vertrag, Art. 53, 54 und 57 des EWR-Abkommens und der Verordnung (EG) Nr. 139/2004“ (ABl. EU C 325, S. 7 vom 22.12.2005) in Nr. 23 zu Grunde legen, und die von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichts gebilligt worden sind. Dort wird davon ausgegangen, dass Angaben, die geheim oder vertraulich waren, aber mindestens fünf Jahre alt und daher nicht mehr als aktuell anzusehen sind, weder geheim noch vertraulich sind, wenn nicht ausnahmsweise der Betroffene nachweist, dass sie trotzdem ein noch wesentlicher Bestandteil seiner eigenen oder der wirtschaftlichen Stellung eines Dritten sind.15 e) Fazit Dem Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts ist zu entnehmen, dass das höchste deutsche Verwaltungsgericht seine Probleme mit einem zu weitgehenden Verständnis der Reichweite des Berufsgeheimnisses hat. Es betont explizit die enorm hohen praktischen Hindernisse für den Bürger, an Informationen der nationalen Finanzaufsicht zu gelangen, sollte ein zu weites, weder inhaltlich noch zeitlich beschränktes Verständnis des Berufsgeheimnisses und auch des finanzmarktrechtlichen Geheimnisses bejaht werden. Seine Verweise auf die wettbewerbsrechtliche Rechtsprechung des EuG belegen dies zusätzlich. Das Bundesverwaltungsgericht sieht das Problem, dass eine derart weite, eher bürgerunfreundliche, da intransparente Sichtweise in dieser Rechtsprechung gerade nicht angelegt ist. 2. Schlussanträge des Generalanwalts Bot vom 12.12.201716 a) Einleitung Am 4.7.2017 wurde das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV vor der Großen Kammer des EuGH verhandelt. Am 12.12.2017 ergingen die Schlussanträge des Generalanwalts Yves Bot. Im Regelfall folgt der EuGH diesen Schlussanträgen. b) Ergebnis Der Generalanwalt schlägt dem EuGH vor, die Vorlagefragen des BVerwG wie folgt zu beantworten: 15 Vorlagebeschluss des BVerwG v. 4.11.2015 – 7 C 4/14, NVwZ 2016, 1335, Rz. 32. 16 Siehe Schlussanträge des Generalanwalts Bot beim EuGH v. 12.12.2017 – C-15/16, www. curia.europa.eu (abgerufen am 23.5.2018), BeckRS 2017, 138492, NZG 2018, 382 (Ls.).

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„Alle bei einer nationalen Aufsichtsbehörde für die Finanzmärkte angefallenen Informationen, einschließlich Korrespondenz und Äußerungen, über ein beaufsichtigtes Unternehmen, fallen unabhängig von weiteren Voraussetzungen unter den Begriff „vertrauliche Informationen“ im Sinne von Art. 54 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates und sind daher nach Art. 54 Abs. 1 dieser Richtlinie durch das Berufsgeheimnis geschützt.“ Da der Generalanwalt somit die Fragen Ziffer 1 a) und b) im Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 4.11.2015 eindeutig mit „ja“ beantwortet, erübrigt sich – aus seiner Sicht konsequent – die Beantwortung der weiteren Fragen. Das Bundesverwaltungsgericht ist bekanntlich anderer Ansicht. Nach seinen Ausführungen im Vorlagebeschluss waren die Fragen 2 und 3 zur zeitlichen Dimension des Schutzes vertraulicher Informationen durch das Berufsgeheimnis unabhängig von der Frage zu 1 zu beantworten.17 Das sieht der Generalanwalt Bot offenbar anders und beantwortet diese Fragen in seinen Schlussanträgen gerade nicht. Lediglich in seiner Würdigung – dazu gleich – geht er darauf ein, dass das Berufsgeheimnis ohne zeitliche Begrenzung zu schützen ist.18 c) Würdigung durch den Generalanwalt (Nr. 32 bis einschließlich 65 der Schlussanträge) – Besonderheiten des Systems der Finanzmarktaufsicht und Erwägungsgründe der Richtlinie 2004/39 rechtfertigen Intransparenz gegenüber dem Bürger Zunächst wird in den Schlussanträgen ausgeführt, dass der Gerichtshof etwa in Bezug auf den Anspruch auf Zugang zu Dokumenten, die der Kommission im Rahmen von Wettbewerbsverfahren vorliegen, klargestellt hat, dass die Offenlegung von Informationen in Verbindung mit Verfahren wegen Zuwiderhandlungen gegen die Art. 101 und 102 AEUV der Grundsatz ist19 und dass diese Informationen auch gegen den Willen des betreffenden Unternehmens übermittelt werden können, wenn sie keine Geschäftsgeheimnisse20 oder sonstige vertrauliche Informationen darstellen, wenn 17 Vorlagebeschluss des BVerwG v. 4.11.2015 – 7 C 4.14, NVwZ 2016, 1335, Rz. 30. 18 Schlussanträge des Generalanwalts Bot beim EuGH v. 12.12.2017 – C-15/16, www.curia. europa.eu (abgerufen am 23.5.2018), BeckRS 2017, 138492, NZG 2018, 382 (Ls.). 19 Siehe Schlussanträge des Generalanwalts Bot beim EuGH v. 12.12.2017 – C-15/16, Nr. 35, www.curia.europa.eu (abgerufen am 23.5.2018), BeckRS 2017, 138492, NZG 2018, 382 (Ls.) mit Verweis auf Kommission/Technische Glaswerke Ilmenau – EuGH v. 29.6.2010 – C-139/07 P, CILFIT [EU:C:2010:376], Rz.  51; und Deza/ECHA  – EuGH v. 13.1.2017  – T-189/14 [EU:T:2017:4], Rz. 49 und 55 sowie die dort aufgeführte Rechtsprechung. 20 Siehe Schlussanträge des Generalanwalts Bot beim EuGH v. 12.12.2017 – C-15/16, Nr. 35, www.curia.europa.eu (abgerufen am 23.5.2018), BeckRS 2017, 138492, NZG 2018, 382

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ihre Offenlegung aufgrund eines übergeordneten Interesses notwendig ist21 oder wenn die Informationen ihrem Wesen nach nicht durch das Berufsgeheimnis geschützt sind. Zudem hat der Gerichtshof ausgeführt, dass im Rahmen von Kronzeugenprogrammen Beschlüsse über Zuwiderhandlungen grundsätzlich zu veröffentlichen sind, sofern dies nicht dem Schutz von Inspektions- und Untersuchungstätigkeiten abträglich ist.22 Aus dieser Rechtsprechung folgt, dass im Rahmen von Verfahren zur Anwendung der Wettbewerbsregeln die Offenlegung der Information und daher ihre erweiterte Zugänglichkeit der Grundsatz ist, sofern nicht nachgewiesen wird, dass die Informationen als Berufsgeheimnis geschützt werden müssen. Der gleiche Gedankengang gilt hinsichtlich des Anspruchs auf Zugang zu den Dokumenten der Unionsorgane.23 Der Generalanwalt Bot ist jedoch der Ansicht, dass diese Auslegung nicht auf das Spezialgebiet des Systems der Finanzaufsicht übertragbar ist und widersetzt sich damit der Argumentation der Kommission24 und des Autors,25 der den Kläger Baumeister im Ausgangsverfahren vertritt.26 Er ist der Auffassung, dass sich angesichts des Ausmaßes der Besonderheiten des Systems der Finanzaufsicht jede Analogie mit anderen im Unionsrecht vorgesehenen Regelungen verbietet und betont dabei u.a. die praktischen Folgen, die ein Anspruch auf Zugang zu den im Besitz der Aufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten befindlichen (Ls.), mit Verweis auf die Urteile des EuGH zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen AKZO Chemie und AKZO Chemie UK/Kommission  – EuGH v. 24.6.1986  – 53/85, CILFIT [EU:C:1986:256], Rz. 28.  21 Siehe Schlussanträge des Generalanwalts Bot beim EuGH v. 12.12.2017 – C-15/16, Nr. 35, www.curia.europa.eu (abgerufen am 23.5.2018), BeckRS 2017, 138492, NZG 2018, 382 (Ls.), mit Verweis auf Evonik/Degussa – EuGH v. 14.3.2017 – C-162/15, CILFIT [EU:C:​ 2017:205], Rz. 42 und 45. 22 Siehe Schlussanträge des Generalanwalts Bot beim EuGH v. 12.12.2017 – C-15/16, Nr. 35, www.curia.europa.eu (abgerufen am 23.5.2018), BeckRS 2017, 138492, NZG 2018, 382 (Ls.), mit Verweis auf Evonik/Degussa – EuGH v. 14.3.2017 – C-162/15, CILFIT [EU:C:​ 2017:205], Rz. 95 und 96. 23 Siehe Schlussanträge des Generalanwalts Bot beim EuGH v. 12.12.2017 – C-15/16, Nr. 36, www.curia.europa.eu (abgerufen am 23.5.2018), BeckRS 2017, 138492, NZG 2018, 382 (Ls.), mit Verweis auf Schweden und Turko/Rat  – EuGH v. 1.7.2008  – C-39/05 P und C-52/05 P, CILFIT [EU:C:2008:374], zur Anwendung der in der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu den Dokumenten der Unionsorgane; vgl. aus jüngster Zeit Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache Client­ Earth/Kommission – EuGH v. 28.11.2017 – C-57/16 P, CILFIT [EU:C:2017:909], Nr. 52 ff. 24 Stellungnahme der Kommission, Karl-Philipp Wojcik v. 20.4.2016 zu EuGH v. 12.12.2017 – C-15/16. 25 Stellungnahme des Autors v. 14.4.2016 zu EuGH v. 12.12.2017 – C-15/16. 26 Siehe Schlussanträge des Generalanwalts Bot beim EuGH v. 12.12.2017 – C-15/16, Nr. 37, www.curia.europa.eu (abgerufen am 23.5.2018), BeckRS 2017, 138492, NZG 2018, 382 (Ls.).

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Dokumenten für das System der Finanzmarktaufsicht hätte. Die im Rahmen diese Systems gesammelten Informationen unterscheiden sich – so Generalanwalt Bot weiter – hinsichtlich ihres Umfangs, ihrer möglichen Verwendung, ihrer möglichen Folgen und ihrer Ziele grundlegend von denen, über die Unionsorgane in anderen Bereichen verfügen. Die zu bevorzugende Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen und den Aufsichtsbehörden rechtfertigt es, dass Letztere zur Wahrung des Berufsgeheimnisses verpflichtet sind, denn ohne eine solche Pflicht würden die für die Finanzmarktaufsicht erforderlichen Informationen den zuständigen Behörden von dem beaufsichtigten Unternehmen nur zögerlich oder widerstrebend übermittelt.27 Das Kernproblem, so Generalanwalt Bot weiter, besteht somit in der Ermittlung eines mehr oder weniger breiten Spektrums der als „vertraulich“ einzustufenden Informationen, die im besonderen System der Finanzmarktaufsicht durch das Berufsgeheimnis geschützt werden müssen, auch wenn Art. 54 der Richtlinie 2004/39 eine allgemeine Pflicht zur Wahrung des Berufsgeheimnisses vorsieht, von der es ausdrückliche und abschließend festgelegte Ausnahmen gibt.28 Der Grundgedanke des Unionsgesetzgebers in dem hier relevanten Bereich sei die eines grundsätzlichen Verbots der Weitergabe, anders als im Bereich des Wettbewerbsrechts und des Rechts auf Zugang zu Dokumenten der Unionsorgane, denn in diesen beiden Fällen ist ein Recht auf Zugang zu den Dokumenten die Regel, von der Ausnahmen bestehen. Der vom Unionsgesetzgeber im Bereich der Finanzmarktaufsicht verfolgte Ansatz ist daher dem auf dem Gebiet des Zugangs zu Verwaltungsdokumenten der Unionsorgane und des Wettbewerbsrechts, für die der Grundsatz der Transparenz gilt, gewählten Ansatz diametral entgegengesetzt. Für das Ausgangsverfahren kann man daher davon ausgehen, dass der Unionsgesetzgeber den Grundsatz der Transparenz als nachrangig gegenüber dem Erfordernis des ordnungsgemäßen Funktionierens der Finanzmärkte eingestuft hat. Diese speziellen Überlegungen lassen sich laut Generalanwalt Bot damit rechtfertigen, dass die Richtlinie 2004/39 nach dem zweiten Erwägungsgrund einen integrierten und harmonisierten Finanzmarkt schaffen soll, der den Anlegern ein hohes Schutzniveau bietet und die Erbringung von Dienstleistungen in der gesamten Union gestattet.29 27 Schlussanträge des Generalanwalts Bot beim EuGH v. 12.12.2017 – C-15/16, Nr. 38, www. curia.europa.eu (abgerufen am 23.5.2018), BeckRS 2017, 138492, NZG 2018, 382 (Ls.), mit Verweis auf Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen v. 4.9.2014 im Verfahren Altmann u.a./BaFin beim EuGH v. 4.9.2014 – C-140/13, Nr. 37, www.curia.europa.eu (abgerufen am 23.5.2018), CILFIT [EU:C:2014:2168]. 28 Schlussanträge des Generalanwalts Bot beim EuGH v. 12.12.2017 – C-15/16, Nr. 40, www. curia.europa.eu (abgerufen am 23.5.2018), BeckRS 2017, 138492, NZG 2018, 382 (Ls.), mit Verweis auf Altmann u.a.  – EuGH v. 12.11.2014  – C-140/13, CILFIT [EU:C:2014:2362], Rz. 34 und 35. 29 Schlussanträge des Generalanwalts Bot beim EuGH v. 12.12.2017 – C-15/16, Nr. 42, www. curia.europa.eu (abgerufen am 23.5.2018), BeckRS 2017, 138492, NZG 2018, 382 (Ls.), mit

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Art. 54 der Richtlinie 2004/39 gewährleistet somit den reibungslosen Informationsaustausch, der impliziert, dass sowohl die beaufsichtigten Unternehmen als auch die zuständigen Behörden sicher sein können, dass die ausgetauschten vertraulichen Informationen vertraulich bleiben.30 Ohne eine einheitliche Auslegung der Fälle, in denen eine Weitergabe der Informa­ tionen zu der möglich ist, so Generalanwalt Bot, wäre dieses Ziel gefährdet, was dem zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/39 zuwiderlaufen würde.31 Die Aufsichtsbehörden müssen – so der Generalanwalt weiter – über vollständige, seriöse und zuverlässige Informationen verfügen, damit die Aufsichtstätigkeit effektiv und effizient ist. Dazu müssten die beaufsichtigten Unternehmen den zuständigen Behörden gegenüber völlig transparent sein. Dies erfordere eine vertrauliche Behandlung der Informationen über diese Unternehmen. Diese Gründe können daher einen Eingriff in das Grundrecht auf Zugang zu den Dokumenten,32 über die die zuständigen Behörden verfügen, mit dem Ziel der Gewährleistung des ordnungsgemäßen Funk­ tionierens und der Stabilität des Systems der Finanzmarktaufsicht legitimieren. Das gleiche Vertrauen müsse überdies zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden selbst bestehen, da diese als Netzwerk tätig würden. Dies bedeute, dass der Informationsaustausch zwischen ihnen durch die Garantie der Vertraulichkeit der Informationen gestärkt werden müsse. Dieses notwendige Vertrauen sei auch unter dem Aspekt der Prävention wichtig. Die von den Aufsichtsbehörden ausgeübte Aufgabe der Prävention setze nämlich voraus, dass die Informationen unter dem Siegel der Verschwiegenheit gesammelt und gegeben werden, da jede Weitergabe naturgemäß ernste Folgen haben kann, selbst bei Informationen, an denen auf den ersten Blick nur geringes Interesse bestehen mag, die aber in Wirklichkeit für das Funktionieren der Finanzmärkte und des Systems ihrer Beaufsichtigung wichtig sind.

Verweis auf Altmann u.a.  – EuGH v. 12.11.2014  – C-140/13, CILFIT [EU:C:2014:2362], sowie die Erwägungsgründe 31, 44 und 71 der Richtlinie 2004/39. 30 Schlussanträge des Generalanwalts Bot beim EuGH v. 12.12.2017 – C-15/16, Nr. 43, www. curia.europa.eu (abgerufen am 23.5.2018), BeckRS 2017, 138492, NZG 2018, 382 (Ls.), mit Verweis auf Hillenius – EuGH v. 11.12.1985 – C-110/84, CILFIT [EU:C:1985:495], Rz. 27; und Altmann u.a. – EuGH v. 12.11.2014 – C-140/13, CILFIT [EU:C:2014:2362], sowie Erwägungsgründe 44 und 63 der Richtlinie 2004/39. 31 Schlussanträge des Generalanwalts Bot beim EuGH v. 12.12.2017 – C-15/16, Nr. 44, www. curia.europa.eu (abgerufen am 23.5.2018), BeckRS 2017, 138492, NZG 2018, 382 (Ls.), mit Verweis auf Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache UBS Europe u.a. – EuGH v. 26.7.2017 – C-358/16, Nr. 37, CILFIT [EU:C:2017:606]. 32 Schlussanträge des Generalanwalts Bot beim EuGH v. 12.12.2017 – C-15/16, Nr. 47, www. curia.europa.eu (abgerufen am 23.5.2018), BeckRS 2017, 138492, NZG 2018, 382 (Ls.), mit Verweis zu dieser Einstufung als Grundrecht auf die Schlussanträge Léger in der Rechtssache Rat/Hautala – EuGH v. 10.7.2001 – C-353/99 P, CILFIT [EU:C:2001:392], Nr. 55 und 77.

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Auch wenn die Sensibilität bestimmter Informationen, über die die Aufsichtsbehörden verfügen, mitunter nicht ohne weiteres auf der Hand liegt, kann ihre Weitergabe die Stabilität der Finanzmärkte beeinträchtigen.33 Die Weitergabe der Informationen könnten das betreffende Unternehmen destabilisieren und zudem zu einem Verlust der Glaubwürdigkeit der Aufsichtsbehörden in den Augen der Akteure auf den Finanzmärkten führen, die diese Informationen übermitteln und den Aufsichtsbehörden dadurch die Erfüllung ihrer Aufgaben ermöglichen. Zusammenfassend ist Generalanwalt Bot der Ansicht, dass das in Art. 54 der Richt­ linie 2004/39 als Grundsatz aufgestellte Berufsgeheimnis nicht von der Art der im Besitz der Aufsichtsbehörden befindlichen Informationen abhängig sein kann. Alle Informationen, über die diese Behörden verfügen, müssen als vertraulich angesehen werden, da sie nicht die Aufgabe haben, mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren, sondern lediglich die auf den Finanzmärkten tätigen Unternehmen beaufsichtigen und dadurch zur Stabilität und zur Regulierung dieser Märkte beitragen sollen.34 Eine fallweise, von den Behörden, die mit Anträgen auf Zugang zu Dokumenten konfrontiert sind, konkret und individuell durchzuführende Beurteilung liefe Gefahr, das Aufsichtssystem zu fragmentieren und könnte zu einer unterschiedlichen Behandlung je nach der subjektiven Beurteilung eines Antrags auf Zugang zu Dokumenten einer Behörde führen.35 Insoweit sei davon auszugehen, dass der Unionsgesetzgeber selbst eine Abwägung vorgenommen und ein Gleichgewicht zwischen den verschiedenen, in Betracht kommenden Interessen gefunden hat, indem er den allgemeinen Grundsatz der Nichtweitergabe der bei den Behörden der Finanzmarktaufsicht anfallenden Informationen aufgestellt hat, verbunden mit einer Reihe abschließender und als solcher eng auszulegenden Ausnahmen. Zudem liege im Fall Baumeister keine der in Art. 54 der Richtlinie 2004/39 vorgesehenen Ausnahmen vor. Es erschließe sich dem Generalanwalt auch nicht, inwiefern die Erlangung dieser vertraulichen Informationen dem Ausgangskläger überhaupt noch von Nutzen sein könnten. Angesichts dieser Gesichtspunkte könne der vorliegende Fall keinen Anlass bieten, eine Bresche in den Grundsatz der Vertraulichkeiten die Pflicht zur Wahrung des Berufsgeheimnisses für alle bei den nationalen Aufsichtsbehörden für die Finanzmärkte anfallenden Informationen zu schlagen.

33 Schlussanträge des Generalanwalts Bot beim EuGH v. 12.12.2017 – C-15/16, Nr. 51, www. curia.europa.eu (abgerufen am 23.5.2018), BeckRS 2017, 138492, NZG 2018, 382 (Ls.). 34 Schlussanträge des Generalanwalts Bot beim EuGH v. 12.12.2017 – C-15/16, Nr. 54, www. curia.europa.eu (abgerufen am 23.5.2018), BeckRS 2017, 138492, NZG 2018, 382 (Ls.). 35 Schlussanträge des Generalanwalts Bot beim EuGH v. 12.12.2017 – C-15/16, Nr. 57, www. curia.europa.eu (abgerufen am 23.5.2018), BeckRS 2017, 138492, NZG 2018, 382 (Ls.).

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Folglich sei im besonderen Kontext der Finanzmarktaufsicht eine weite Auslegung des vertraulichen Charakters der den Aufsichtsbehörden zur Verfügung stehenden Informationen vorzunehmen. Die Aufsichtsbehörden für die Finanzmärkte seien außer in den in Art. 54 der Richtlinie 2004/39 abschließend aufgeführten Fällen zur Wahrung des Berufsgeheimnisses verpflichtet und zwar ohne zeitliche Begrenzung.36 d) Kritik Generalanwalt Bot verneint im Rahmen der Beurteilung, ob ein Dokument im Besitz der Finanzaufsicht (noch) „vertraulich“ ist, die Möglichkeit einer einzelfallbezogenen Interessensabwägung und Betrachtung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Dabei handelt es sich – wie er selbst in Ziffer 47 seiner Schlussanträge anführt – sogar um ein Grundrecht auf Information. Dass das Bundesverwaltungsgericht mit einer solchen absoluten Sichtweise ein Problem haben dürfte, ergibt sich bereits aus seinem Vorlagebeschluss vom 4.11.2015. Möglicherweise ist dies auch ein Thema für das Bundesverfassungsgericht, wenn es um das Grundrecht auf Information geht. Denn die Hüter unserer Verfassung haben in der Entscheidung zu Informationsrechten des Bundestages gegenüber der Bundesregierung vom 7.11.2017 Stellung bezogen und pauschalen Verweigerungen von Informationen eine klare Absage erteilt. In den Leitsätzen steht u.a. „Das verfassungsmäßige Frage- und Informationsrecht des Bundestages und die damit verbundene Auskunftspflicht der Bundesregierung stellen eine hinreichende Grundlage für einen in der Auskunftserteilung liegenden Grundrechtseingriff dar. Einer weitergehenden gesetzlichen Regelung bedarf es insoweit nicht. Das parlamentarische Informationsrecht steht unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit. Es sind alle Informationen mitzuteilen, über die die Bundesregierung verfügt oder die sie mit zumutbarem Aufwand in Erfahrung bringen kann. Sie muss alle ihr zu Gebote stehenden Möglichkeiten der Informationsbeschaffung ausschöpfen. Aus der grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Pflicht der Bundesregierung, Informationsansprüche des Deutschen Bundestages zu erfüllen, folgt, dass sie die Gründe darlegen muss, aus denen sie die erbetenen Auskünfte verweigert. Einer besonderen Begründungspflicht unterliegt die Bundesregierung, soweit sie ihre Antwort nicht in einer zur Veröffentlichung in einer Bundestagsdrucksache bestimmten Weise erteilt, sondern dem Deutschen Bundestag eingestuft in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages zur Verfügung stellt.“37 36 Schlussanträge des Generalanwalts Bot beim EuGH v. 12.12.2017 – C-15/16, Nr. 64, www. curia.europa.eu (abgerufen am 23.5.2018), BeckRS 2017, 138492, NZG 2018, 382 (Ls.). 37 BVerfG v. 7.11.2017 – 2 BvE 2/11, NVwZ 2018, 51. 

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Man könnte nun provokativ sagen: Wenn schon die Bundesregierung Informationsgesuche nicht mit pauschalen Begründungen zurückweisen darf, dann darf dies erst recht auch keine Bundesbehörde wie die BaFin. Dass auch keine zeitliche Begrenzung für die Einstufung eines Dokuments als „vertraulich“ gelten soll, begründet der Generalanwalt nicht weiter und geht darauf in seinen Schlussanträgen (Fragen 2 und 3 des Bundesverwaltungsgerichts) ersichtlich nicht ein.38 Nicht verständlich ist die Unterscheidung zur vergleichsweise informationsoffenen Sichtweise im Wettbewerbsrecht. Auch dort könnten den überwachten Unternehmen erhebliche Schäden drohen. Zudem könnten auch dort die Wettbewerbshüter bei fehlendem Vertrauen in ihrer Arbeit behindert werden. Gleiches gilt im Übrigen auch für die Arbeit der Kommission in anderen Bereichen. Dass dem Ausgangskläger vom Generalanwalt entgegengehalten wird, dass die begehrten Unterlagen nach jahrelanger Vorenthaltung von Informationen durch die BaFin für ihn aktuell keinen konkreten Nutzen mehr haben (z.B. aufgrund von Verjährungsvorschriften), ist zynisch. Zum Zeitpunkt seines damaligen Antrags auf Zugang waren diese von Nutzen, was indes in der mündlichen Verhandlung vom Autor dieses Beitrags in seinem Schlusswort klargestellt wurde. Der Informationszugang ist dabei nicht abhängig von einem „Nutzen“, sondern dient allgemein der Transparenz staatlichen bzw. behördlichen Handelns gegenüber dem Bürger. Der Schlussantrag begegnet in dieser Reichweite und der Möglichkeit, Informationsgesuche mit dem pauschalen Hinweis auf „Vertraulichkeit“ abzuwehren, grundsätzlichen Bedenken. Er dürfte nach Ansicht des Autors mit dem deutschen Grundgesetz (Verstoß gegen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Transparenzgebot, Effektivitätsgrundsatz, Justizgewährleistungsanspruch) und den sonstigen Transparenzgrundsätzen auf europarechtlicher Ebene kaum vereinbar sein. Folgt der EuGH diesem Schlussantrag, ist der Informationszugang nach IFG be­ treffend nationale Finanzaufsichtsbehörden faktisch tot. Auch eine gerichtliche Kontrollmöglichkeit der Vertraulichkeit (z.B. in einem nationalen gerichtlichen in-camera-­ Verfahren – siehe § 99 VwGO) und Einzelfallprüfung in Finanzmarktangelegenheiten wird dem Bürger mit dieser zu weitgehenden Sichtweise genommen. Womöglich berufen sich schädigende Unternehmen auch im Zivilprozess auf diese Entscheidung, um die Vorlage von Unterlagen – selbst in einem „beweisrechtlichen Geheimverfahren“39 – zu verhindern.

38 Schlussanträge des Generalanwalts Bot beim EuGH v. 12.12.2017 – C-15/16, Nr. 66, www. curia.europa.eu (abgerufen am 23.5.2018), BeckRS 2017, 138492, NZG 2018, 382 (Ls.). 39 Zum Thema des „Beweisrechtlichen Geheimverfahrens“ siehe die Kommentierung von Prütting in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 285 ZPO Rz. 10-14. 

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Nicht einmal die ESMA („European Securities and Markets Authority“) geht im Umgang mit ihr anvertrauten Unterlagen so weitreichend und undifferenziert vor. In ihrer Stellungnahme – auf Anfrage des EuGH – vom 22.6.2017 im Verfahren Baumeister schildert die ESMA einen Abwägungsprozess und betont ausdrücklich, dass sie als Einrichtung der EU der Verordnung über den Zugang zu Dokumenten, wie in Art. 72 der ESMA-Verordnung festgehalten, unterliegt und sich folglich dem allgemeinen Grundsatz der Offenheit und Transparenz verpflichtet sieht.40 Dabei unterliegen die der ESMA übergebenen Unterlagen je nach Geheimhaltungsstufe – insgesamt gibt es bei der ESMA deren 4  – unterschiedlichen Schutzanforderungen.41 Dabei trifft die ESMA interne praktische Vorkehrungen zur Einordnung der ihr überlassenen Dokumente in diese Geheimhaltungsstufen.42 Weshalb ausgerechnet der Finanzmarkt eine „Insel der Glückseligkeit“ für zu überwachende Unternehmen sein soll, ist nicht einsichtig. Wie diese vom Generalanwalt sehr weitgehend formulierte Intransparenz dem Anlegerschutz dienen soll, ist ebenso wenig nachvollziehbar. Der Generalanwalt Bot argumentiert sogar gegen den gesetzlichen Wortlaut, denn – wie der Berichterstatter (Herr José Luís da Cruz Vilaça, Portugal) in der mündlichen Verhandlung des EuGH am 4.7.2017 zutreffend ausgeführt hat – „Warum steht dann im Art. 54 das Wort „vertraulich“ und nicht lediglich „Informationen“? Es ist deshalb zu hoffen, dass der EuGH diesem Schlussantrag nicht – jedenfalls nicht zur Gänze – folgen wird.43 Sollte er ihm überraschend nicht folgen, bleibt abzuwarten, mit welcher Begründung er dies tut und wie das Bundesverwaltungsgericht nach Rücksendung der Akten letztlich entscheiden wird. Selbst wenn der EuGH den Schlussanträgen Bot nicht folgt, besteht die Unsicherheit, wie die BaFin bei einer dann womöglich gebotenen differenzierenden Herangehensweise letztlich mit dem Begriff der „Vertraulichkeit“ und Informationsgesuchen in der Praxis umgehen wird.

40 Stellungnahme der ESMA v. 22.6.2017 zu EuGH v. 12.12.2017 – C-15/16, Nr. 33 f., www. curia.europa.eu (abgerufen am 23.5.2018). 41 Stellungnahme der ESMA v. 22.6.2017 zu EuGH v. 12.12.2017  – C-15/16, Nr.  25, www.­ curia.europa.eu (abgerufen am 23.5.2018). 42 Stellungnahme der ESMA v. 22.6.2017 zu EuGH v. 12.12.2017  – C-15/16, Nr.  24, www.­ curia.europa.eu (abgerufen am 23.5.2018). 43 Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Beitrags lag noch keine Entscheidung des EuGH vor. Zwischenzeitlich  – nach Erstellung dieses Beitrags  – liegt das Urteil vor, siehe EuGH v. 19.6.2018 – C-15/16, NJW 2018, 2615. Der EuGH ist dem Schlussantrag des Generalanwalts nicht gefolgt; siehe zum Urteil auch Kerst, GWR 2018, 277, Gurlit, NZG 2018, 1097, Herz, NJW 2018, 2601 und Kottmann, EuZW 2018, 697; das Hauptverfahren in Sachen Baumeister vor dem BVerwG ist auf den 10.4.2019 terminiert.

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Auch für diesen – eher unwahrscheinlichen – Fall der Abweichung von den Schlussanträgen gelten daher die nachfolgenden Überlegungen. Denn es ist zu befürchten, dass die BaFin weiterhin mit dem Argument des „aufsichtsrechtlichen Geheimnisses“ und dem Schutz ihrer Überwachungsmethoden gegenüber Informationsgesuchen geschädigter Bürger „mauert“.

III. Mögliche Auswirkungen des Falls Baumeister auf effektive Rechtsdurchsetzung geschädigter Anleger 1. Vorbemerkung Sollte der EuGH den Schlussanträgen des Generalanwalts Bot mit dieser Reichweite folgen, kann der von einem Unternehmen im Bereich des Bank- und Kapitalmarktrechts geschädigte Anleger realistisch keine Informationen von der nationalen Finanzaufsicht generieren, nicht einmal dann, wenn es sich nachweislich um ein Unternehmen handelt, welches ein „Schneeballsystem“ betrieben hat, bereits in Insolvenz gefallen und/oder bereits ein Zeitraum von mehr als 5 Jahren verstrichen ist. Die Hürden für einen Informationszugang wären so hoch, dass diese Möglichkeit der Informationsbeschaffung faktisch ausgeschlossen werden kann. Dies widerspricht einer auch aus Sicht des Bürgers gebotenen Wahrheitsermittlung speziell im Bereich des ohnehin sehr intransparenten Finanzmarkts und fördert zudem eine, der Kon­ trolle des Einzelnen weitestgehend entzogenen staatlichen Aufsicht. Es ist deshalb der Frage nachzugehen, wie sich ein betroffener Anleger überhaupt anderweitig Informationen verschaffen kann, um seine Rechte effektiv verfolgen und letztlich durchsetzen zu können. Weiter ist zu betrachten, welche Reaktionen des nationalen Gesetzgebers, aber auch der Rechtsprechung möglicherweise geboten sind, um bestehende Defizite, besser strukturelle Ungleichgewichte des Geschädigten bereits in der Informationslage im Verhältnis zum oftmals übermächtigen Schädiger auszugleichen. Denn: Es gilt im Zivilprozess der Beibringungsgrundsatz, nicht der Amtsermittlungsgrundsatz wie im Verwaltungsprozess. Auch sein privates Wissen darf der Richter nicht von Amts wegen in den Prozess einführen. Ferner gibt es Beweiserhebungsund Beweisverwertungsverbote. Auch die Prozessökonomie schränkt die umfassende Wahrheitsermittlung ein, insbesondere durch die Zulässigkeit der Präklusion ver­ späteten Vorbringens. Schließlich ergeben sich Hemmnisse bei der Wahrheitsermittlung durch Zeugnisverweigerungsrechte und durch eine Beschränkung auf präsente Beweismittel (§ 294 Abs. 2 ZPO). Insgesamt ist die Frage nach der Wahrheitsermittlung im Prozess stets beschränkt auf die prozessordnungsgemäß gewonnene Wahrheit.44

44 So Prütting in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 284 ZPO Rz. 107-113.

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Dies alles ist vor dem Hintergrund der dem Anleger zum Nachweis einer Pflichtverletzung aufgebürdeten Darlegungs- und Beweislast sehr unbefriedigend. Es gibt daher im Schrifttum zu Recht zahlreiche Bemühungen, durch Schaffung prozessualer Pflichten und Heranziehung der Parteien die richterliche Tatsachenermittlung deutlich auszudehnen.45 Durch die Ausführungen des Generalanwalts Bot könnte dieser Argumentation und speziell der Rolle des Zivilrichters im Rahmen der Tatsachenermittlung wieder größere Bedeutung zukommen. In letzter Konsequenz ist womöglich der Gesetzgeber gefordert. Dies gilt vor allem auch dann, wenn der EuGH – anders als Generalanwalt Bot – eine differenzierende Betrachtung fordern sollte, die BaFin im Umsetzung dieses Urteils gleichwohl keinerlei Unterlagen herausgeben wollen, weil sie beispielsweise eine effektive Wahrnehmung ihrer Aufgaben und das Vertrauen der von ihr überwachten Unternehmen gefährdet sähe. 2. Begrenzte und ineffektive „Tools“ zur Informationsbeschaffung a) Antrag gemäß § 299 Abs. 2 ZPO Der Anleger kann als „Dritter“ gemäß § 299 Abs. 2 ZPO versuchen, durch einen an das Präsidium des zuständigen Gerichts gerichteten Antrag Akteneinsicht in Prozess­ akten anderer Prozessparteien zu erlangen. Voraussetzung ist nach dem Gesetzeswortlaut, dass er ein rechtliches Interesse glaubhaft macht. Denkbar ist z.B. – wie im Fall EM.TV46 und Aareal Beteiligungen AG (frühere Coreal­ Credit Bank AG, vormals AHBR)47 geschehen  – eine Konstellation, indem ein am Kapitalmarkt tätiges Unternehmen seinen (früheren) Vorstand wegen Managementfehler in Haftung nimmt. Wenn diese Fehler auch zu einem zivilrechtlichen Anspruch des Anlegers gegen das betroffene Unternehmen und/oder seinen früheren Vorstand persönlich führen können, kann ein Akteneinsichtsrecht gemäß §  299 Abs.  2 ZPO bestehen.48 Allerdings: Ist kein solcher Prozess zwischen Dritten anhängig, erfährt der Anleger davon nicht oder kann kein rechtliches Interesse glaubhaft machen, ist dieser Weg zur Informationsgewinnung verschlossen.

45 So Prütting in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 284 ZPO Rz. 107-113, mit Verweis auf Koch, Mitwirkungsverantwortung im Zivilprozess, 2013, S. 129 ff.; Beckhaus, Die Bewältigung von Informationsdefiziten bei der Sachverhaltsaufklärung, 2010, S. 69 ff.; Musielak in FS Vollkommer, 2006, S. 237; Rausch, Stärkung des Informationsanspruchs, 2010, S. 11 ff. 46 OLG München v. 6.9.2005 („EM.TV“) – 9 VA 08/05, nicht veröffentlicht. 47 OLG Frankfurt a.M. v. 1.2.2007 („AHBR“) – 20 VA 13/06, BeckRS 2011, 24405. 48 OLG München v. 6.9.2005 – 9 VA 08/05 (nicht veröffentlicht) und OLG Frankfurt a.M. v. 1.2.2007 – 20 VA 13/06, BeckRS 2011, 24405. 

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b) Ungenügende prozessuale Möglichkeiten zur Informationsgewinnung aa) § 142 ZPO § 142 ZPO regelt die im Ermessen des Gerichts liegende Anordnung der Urkundenvorlegung gegenüber einer Partei, evtl. sogar gegenüber einem am Prozess (bislang) unbeteiligten Dritten. Auch wenn die in § 142 ZPO enthaltene Regelung teilweise mit der US-amerikanischen pre-trial-discovery verglichen wird,49 hat die Vorschrift – bis jetzt – praktisch nahezu keine Bedeutung, da sie nicht zur Ausforschung schutzwürdiger Geheimbereiche führen soll und auch nicht die Grenzen des Parteivortrags überschreiten darf.50 Auch hier könnte eine fast schrankenlose Ausdehnung schutzwürdiger Geheimbereiche durch den EuGH – wie sie Generalanwalt Bot zur Vermeidung von Transparenz fordert  – von Schädigern missbraucht werden, was in letzter Konsequenz zu einer noch zurückhaltenderen Anwendung des § 142 ZPO durch die Gerichte führen könnte. Gleiches gilt, wenn trotz gebotener Differenzierung eine komplette Bereichsausnahme für die Finanzüberwachung zur Wahrung eines „aufsichtsrechtlichen Geheimnisses“ ohne zeitliche Begrenzung geschaffen würde. § 142 ZPO soll zwar nicht das Auffinden neuer Angriffs – und Verteidigungsmittel ermöglichen.51 Eine Anordnung der Dokumentenvorlage nach §  142 Abs.  1 ZPO kommt deswegen nur in Betracht, wenn eine Tatsache, die mittels einer Urkunde belegt werden soll, bereits hinreichend substantiiert vorgetragen ist.52 Gleichwohl drängt § 142 ZPO den zivilprozessualen Beibringungsgrundsatz zurück und stärkt die richterliche Aufklärungsmacht. Dies lag in der Absicht des Reformgesetzgebers und darf nicht durch einschränkende Auslegung des § 142 ZPO unterlaufen werden.53 Viel zu selten finden sich mutige Gerichte, die das strukturell bedingte Informationsdefizit des geschädigten Anlegers im Rahmen ihrer eingeschränkten Möglichkeiten im Sinne einer möglichst umfassenden Wahrheitsfindung auszugleichen versuchen und dem insoweit überlegenen Schädiger oder sogar (bislang) unbeteiligten Dritten – auch gegen dessen erklärten Willen  – aufgeben, bestimmte Unterlagen, die sich in deren Besitz befinden, vorzulegen.54

49 Schmitz in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2.  Aufl. 2013, Rz. 58, mit Verweis auf Dombeck, BRAK-Mitteilungen 2001, 122, 124. 50 Greger in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 142 ZPO Rz. 2. 51 Schmitz in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2.  Aufl. 2013, Rz. 58.  52 Schmitz in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2.  Aufl. 2013, Rz. 58. 53 Greger in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 142 ZPO Rz. 2. 54 So LG Stuttgart v. 8.3.2018 – 22 O 348/16 im Verfahren gegen Porsche Automobil Holding SE, nicht veröffentlicht.

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Erschwert wird diese Informationsbeschaffungsmöglichkeit zusätzlich dadurch, dass es sich um eine bloße „Kann-Vorschrift“ handelt. bb) § 144 ZPO § 144 ZPO ermöglicht dem Gericht die Anordnung des Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige. cc) § 411a ZPO In § 411a ZPO ist geregelt, dass die schriftliche Begutachtung durch Verwertung eines gerichtlich oder staatsanwaltlich eingeholten Sachverständigengutachtens aus einem anderen Verfahren ersetzt werden kann. dd) § 421 ZPO § 421 ZPO sieht vor, dass der Beweis auch durch den Antrag angetreten werden kann, dem Gegner die Vorlegung der Urkunde aufzugeben, wenn sich die Urkunde nach der Behauptung des Beweisführers in den Händen des Gegners befindet. ee) § 423 ZPO Nach § 423 ZPO schließlich ist der Gegner auch zur Vorlegung der in seinen Händen befindlichen Urkunden verpflichtet, auf die er im Prozess zur Beweisführung Bezug genommen hat, selbst wenn es nur in einem vorbereitenden Schriftsatz geschehen ist. ff) §§ 432 Abs. 1 ZPO (ggf. i.V.m. Art. 1 und 3 des Haager Beweisübereinkommens), 434 ZPO Befindet sich die Urkunde nach der Behauptung des Beweisführers in den Händen einer öffentlichen Behörde oder eines öffentlichen Beamten, so wird der Beweis durch den Antrag angetreten, die Behörde oder dem Beamten um die Mitteilung der Urkunde zu ersuchen. Interessant ist die Frage, ob sich die Beiziehung von Urkunden im Rahmen des Amtshilfeersuchens auch auf ausländische öffentliche Behörden, beispielsweise US – amerikanischen Behörden (z.B. Staatsanwaltschaften, Finanzaufsichtsbehörden) oder Gerichte bezieht. Insoweit könnte z.B. im Verhältnis zur USA durchaus mit Erfolg an die Heranziehung der Artikel  1 und 3 des Haager Beweisübereinkommens gedacht werden, wie dies im Musterverfahren gegen die Volkswagen AG vor dem OLG Braunschweig, Az. 3 Kap 1/16, seitens der Musterklägerin aktuell versucht wird. Die Anwendung dieser Vorschriften in derzeit anhängigen Musterverfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz ist derzeit allerdings noch offen. 124

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Befindet sich die Urkunde im Ausland und liegen die Voraussetzungen des § 434 ZPO vor, dann kann das Gericht eines seiner Mitglieder beauftragen, ins Ausland zu reisen, sofern die Bundesregierung (Art. 32 Abs. 1 GG) hierzu ihre Zustimmung erteilt und der betroffene ausländische Staat einverstanden ist.55 gg) §§ 371a, 416a, 128a ZPO Ob die Informationsbeschaffung durch elektronische Dokumente (§§  371a, 416a ZPO) oder durch elektronische Beweisaufnahme (§ 128a ZPO) erleichtert wird, ist derzeit noch offen.56 hh) Fazit All diese „Tools“ zur Informationsbeschaffung und Wahrheitsermittlung kann man – jedenfalls in der bisherigen Handhabung durch die Gerichte – nur als „bescheidene prozessuale Möglichkeiten“ bezeichnen.57 Die bisherige Praxis in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten vor Gericht zeigt, dass sich Zivilgerichte mit der Anwendung dieser – ohnehin sehr sparsamen – Möglichkeiten regelmäßig sehr schwer tun. Dabei werden die Anforderungen an den Vortrag des geschädigten Anlegers zum Inhalt der maßgeblichen Dokumente überspannt und mit dem meist unzutreffenden Vorhalt, es handle sich um „Vortrag ins Blaue hinein“ oder unschlüssigen Parteivortrag bis hin zu „im Zivilprozess gibt es nun mal keine Amtsermittlung“ abgetan. Der geschädigte Anleger steht dabei vor dem großen Problem, die betreffenden Dokumente konkret zu benennen und inhaltlich näher zu spezifizieren, um sich nicht dem Verdacht bloßer Ausforschung auszusetzen. c) Einsichtnahme in staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakten Gemäß § 406e StPO kann ein Rechtsanwalt für den „Verletzten“ – also den geschädigten Anleger – staatsanwaltschaftlichen Akten einsehen sowie amtlich verwahrte Beweisstücke besichtigen, soweit er hierfür ein berechtigtes Interesse darlegt. Die Einsicht in die Akten ist jedoch nach Abs. 2 dieser Vorschrift zu versagen, soweit überwiegende schutzwürdige Interessen des Beschuldigten oder anderer Personen entgegenstehen. Sie kann versagt werden, soweit der Untersuchungszweck, auch in einem anderen Strafverfahren, gefährdet erscheint. Zudem kann die Einsicht auch versagt werden, wenn durch sie das Verfahren erheblich verzögert würde, es sei denn, dass die Staatsanwaltschaft in den in § 395 StPO genannten Fällen den Abschluss der Ermittlungen in den Akten vermerkt hat. 55 Geimer in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 434 ZPO Rz. 3. 56 Prütting in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 284 ZPO Rz. 108. 57 Prütting in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 284 ZPO Rz. 108. 

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Ob ein Einsichtnahmerecht eines Anlegers bzw. seines Rechtsanwalts gegeben ist, ist somit aufgrund der Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. Die Einsichtnahme in Ermittlungsakten, die auch Geschäftsgeheimnisse und persönliche Informationen enthalten können, greift in den Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung ein.58 Eine willkürfreie Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch erfordert daher eine eingehende Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen des § 406e StPO.59 Sollte sich der EuGH den oben ausführlich diskutierten Schlussanträgen des Generalanwalts Bot vom 12.12.2017 in vollem Umfang anschließen, könnte der Beschuldigte unter Berufung auf diese Entscheidung versuchen, eine Akteneinsichtnahme wegen des möglicherweise betroffenen und sehr weit gezogenen Schutzbereichs von Geschäftsgeheimnissen erfolgreich zu verhindern suchen. Gleiches gilt auch, wenn der EuGH in Abweichung von Generalanwalt Bot zwar eine differenzierende Betrachtung einfordern sollte, sich das schädigende Unternehmen gleichwohl über das „Vehikel“ des Schutzes des „aufsichtsrechtlichen Geheimnisses“ und seinem Vertrauen in den Schutz aufsichtsrechtlicher Überwachungsmethoden auch nach Jahren vor einer Preisgabe unternehmensbezogener Informationen erfolgreich verteidigen könnte. Als Fazit ist festzuhalten, dass die Hürden zur Einsichtnahme in die staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakte vergleichsweise hoch sind. In der Praxis zeigt sich, dass Staatsanwaltschaften mit der Gewährung von Akteneinsichtsrechten gegenüber geschädigten Anlegern sehr zurückhaltend, eher ablehnend sind. Strukturell bedingte Informationsdefizite auf Seiten des geschädigten Anlegers bleiben daher trotz dieses „Tools“ regelmäßig bestehen. d) Informationsbeschaffung im Ausland – Herausgabeverlangen nach 28 U. S. C. § 1782 Ein US-Gericht kann danach die Herausgabe von Dokumenten anordnen, wenn ein interessierter Dritter  – hier der geschädigte deutsche Anleger  – Dokumente für ­Zwecke eines ausländischen Gerichtsverfahrens von einer in der USA ansässigen Person verlangt, die im Besitz dieser Dokumente ist.60 Ist in den USA eine Securities Class Action oder ein anderes Gerichtsverfahren zeitgleich anhängig, in dem es um einen ähnlichen Streitgegenstand geht, sind Do­ kumente im Rahmen der pre-trial-discovery an die US amerikanischen Kläger bzw. 58 Schmitz in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2.  Aufl. 2013, Rz. 55, mit Verweis auf BVerfG v. 24.9.2002 – 2 BvR 742/02, WM 2002, 2208. 59 Schmitz in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2.  Aufl. 2013, Rz. 55, mit Verweis auf BVerfG v. 24.9.2002 – 2 BvR 742/02, WM 2002, 2208. 60 Schmitz in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2.  Aufl. 2013, Rz. 59.

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deren Anwälte herausgegeben worden, die auch für die Kläger in Deutschland zur Informationsbeschaffung nützlich sein können.61 Diese Dokumente befinden sich deshalb im Besitz sowohl der Kläger – als auch der Beklagtenanwälte, von denen auch deutsche Kläger die Herausgabe dieser Dokumente verlangen können, wenn die Voraussetzungen nach 28 U. S. C. § 1782 vorliegen und das zuständige Gericht im Rahmen einer Ermessensentscheidung dem Verlangen stattgibt.62 Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des 28 U. S. C. § 1782 vor, steht die Entscheidung im Ermessen des angerufenen Gerichts. Wichtige Faktoren, die gegen eine Stattgabe des Antrags sprechen können, sind das Maß an Offenheit ausländischer Rechtsordnungen für in den USA erlangtes Beweismaterial63 oder ein Versuch des Antragstellers, durch einen Antrag nach 28 U. S. C. § 1782 ausländische Restriktionen bei der Beweisfindung zu umgehen.64 Nach einer Entscheidung eines US-Bezirksgerichts setzt ein Antrag nach 28 U. S. C. § 1782 nicht mehr voraus, dass sich die betreffenden Dokumente in den USA befinden. Zudem soll es irrelevant sein, dass ein deutsches Gericht einem Vorlegungsantrag nach § 142 ZPO wegen Unerheblichkeit für seine Entscheidung nicht gefolgt war und zudem ein anderes deutsches Gericht den dort geltend gemachten angeblichen Herausgabeanspruch zurückgewiesen hatte. Voraussetzung soll insoweit allein sein, dass sich der Antragsgegner im Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts aufhält.65 Offen ist, wie sich US-amerikanische Gerichte im Rahmen solcher Anträge zu einer möglicherweise zukünftig sehr weitgehenden, fast schrankenlosen Sichtweise des EuGH zur Frage von zu schützenden „Berufsgeheimnissen“ von unter Finanzaufsicht stehenden Unternehmen unter Anwendung europäischer Richtlinien verhalten werden, insbesondere, ob dies als „ausländische Restriktion“ bei der Beweisfindung gewertet wird. Es ist zu befürchten, dass schädigende Unternehmen auch diese Informationsbeschaffungsmöglichkeit unter Berufung auf die Sichtweise des Generalanwalts Bot, des 61 Schmitz in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2.  Aufl. 2013, Rz. 59. 62 Schmitz in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2.  Aufl. 2013, Rz. 59. 63 Schmitz in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2.  Aufl. 2013, Rz. 60, mit Verweis auf Schmitz et al. V. Bernstein Liebhard & Lifshitz, LLP – US Court of Appeals, District of Southern New York – 376 F. 3 d 79, 84 f. (2 d Cir. 2004) 60. 64 Schmitz in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2.  Aufl. 2013, Rz. 60. 65 Schmitz in Habersack/Mülbert/Schlitt, Handbuch der Kapitalmarktinformation, 2.  Aufl. 2013, Rz. 61, mit Verweis auf In re Application of Gemeinschaftspraxis Dr. med. Schottdorf, No. Civ. M19–88 (BSJ), 2006 WL 3 844 464, 1, 5 (S. D. N. Y. Dec. 29, 2006).

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ihm ggf. folgenden EuGH, verhindern wollen und US-Gerichte dieser Argumenta­ tion womöglich folgen könnten. Gleiches droht auch für den Fall, dass nationale Finanzaufsichtsinteressen zum Schutz der jeweiligen Überwachungsmethodik trotz eventuell gebotener Differenzierung zum Begriff der „Vertraulichkeit“ in den Vordergrund rücken, ein Informationsinte­ resse des geschädigten Antragstellers überlagern und letztlich zeitlich unbeschränkt blockieren. e) Sekundäre Darlegungslast (§ 138 Abs. 2 ZPO) Die Rechtsprechung hat in den letzten Jahren eine weitere Möglichkeit der Informationsbeschaffung entwickelt. Es handelt sich dabei um die so genannte sekundäre Darlegungslast, deren rechtliche Grundlage in § 138 Abs. 2 ZPO zu finden ist. Danach darf sich der Gegner der (primär) darlegungspflichtigen Partei nicht auf einfaches Bestreiten beschränken, wenn die darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufes steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner sie hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind.66 In diesen Fällen kann vom Prozessgegner im Rahmen des Zumutbaren das substan­ tiierte Bestreiten der behaupteten Tatsache unter Darlegung der für das Gegenteil sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt werden.67 Genügt der nicht beweisbelastete Gegner dem nicht, ist der gegnerische Vortrag gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen. Das Problem ist, dass auch hier der geschädigte Anleger Ausforschung vermeiden muss. Der Vortrag des beweispflichtigen Anlegers muss greifbare Anhaltspunkte („schlüssige Indizien“) für seine Behauptungen vorbringen.68 Der BGH hat hierzu durchaus strenge Anforderungen an den Vortrag des Klägers gestellt.69 Dies wird dem geschädigten Anleger regelmäßig kaum möglich sein, da er eben keinen Zugang zu den bei dem Unternehmen befindlichen Dokumenten hat. Hinzukommt, dass sich daraus keine Pflicht des verklagten Unternehmens zur Vorlage von Urkunden und anderen Unterlagen ergibt.70 Der faktisch drohende Ausschluss des Informationszugangs in die bei der BaFin befindlichen Unterlagen, erschwert diesen Weg zusätzlich, abgesehen davon, dass der geschädigte Anleger schon nicht den oftmals teuren Klageweg beschreiten wird, da er 66 Greger in MünchKomm. ZPO, 32. Aufl. 2018, § 138 ZPO Rz. 8b mit Verweis auf diverse BGH-Rechtsprechung. 67 BGH v. 17.1.2008 – III ZR 239/06, NJW 2008, 982, 984. 68 Greger in MünchKomm. ZPO, 32. Aufl. 2018, vor § 284 ZPO Rz. 34. 69 BGH v. 19.2.2014 – I ZR 230/12, NJW 2014, 3033, 3034; „zu streng“ so Greger in MünchKomm. ZPO, 32. Aufl. 2018, vor § 284 ZPO Rz. 34. 70 BGH v. 26.6.2007 – XI ZR 277/05, NJW 2007, 2989.

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bereits im Vorfeld eines Prozesses keine belastbaren Informationen generieren kann. Solche Informationen benötigt er jedoch, um wenigstens auch nur ansatzweise schlüssige Indizien vortragen zu können. Sich allein auf Presseinformationen zu berufen, ist durchaus gefährlich. f) Materiell-rechtliche Informationsansprüche Die Frage ist, ob der geschädigte Anleger sein Informationsdefizit durch die Verfolgung materiell-rechtlicher Informationsansprüche71 zumutbar und erfolgversprechend kompensieren kann. Dies ist zu verneinen. Das Problem ist, dass der geschädigte Anleger regelmäßig keine freiwilligen Aus­ künfte bzw. einvernehmliche Herausgabe von Unterlagen seitens ihn schädigender Unternehmen erreichen wird. Er muss deshalb seine möglicherweise bestehenden Informationsansprüche gerichtlich durchsetzen, um sich überhaupt erst eine erfolgversprechende Grundlage für eine effektive Rechtsdurchsetzung seiner Schadensersatzansprüche im Zivilprozess gegen dieses Unternehmen zu verschaffen. Dann wird der ggf. zu verfolgende Anspruch in der Regel bereits verjährt sein. Die vor- oder innerprozessuale Durchsetzung materiell-rechtlicher Informationsansprüche hindert eine effiziente Rechtsverwirklichung und verursacht zusätzlichen Verfahrensaufwand.72 3. Fazit Der geschädigte Anleger verfügt in Deutschland weder materiell-rechtlich noch prozessrechtlich über wirklich effiziente Möglichkeiten der Informationsbeschaffung zur Behebung des eingangs erwähnten strukturell bedingten Informationsdefizits. Auch die Einführung des sogenannten Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes ändert daran bislang nichts, da hier die Vorschriften der ZPO Anwendung finden (§ 11 Abs. 1 KapMuG). Gleiches gilt für die neu eingeführte Musterfeststellungsklage für Verbraucher (§ 610 Abs. 5 ZPO). Auch dort sind die im ersten Rechtszug für das Verfahren vor den Landgerichten geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden. Die gefährliche Tendenz, auf dem Gebiet des Bank- und Kapitalmarktrechts agierenden Unternehmen einen schrankenlosen Geheimnisschutz bezüglich sämtlicher, der BaFin übergebenen – „anvertrauten“ – Informationen zuzubilligen, droht die ohnehin bescheidenen Informationsbeschaffungsmöglichkeiten des Anlegers weiter einzuschränken.

71 Siehe dazu die Aufzählung diverser Anspruchsgrundlagen von Greger in MünchKomm. ZPO, 32. Aufl. 2018, vor § 284 ZPO Rz. 36. 72 Greger in MünchKomm. ZPO, 32. Aufl. 2018, vor § 284 ZPO Rz. 36. 

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Diese Gefahr besteht selbst dann, sollte der EuGH dem Schlussantrag überraschend nicht folgen und eine Differenzierung für geboten erachten. Denn es ist zu befürchten, dass die BaFin gleichwohl keine Unterlagen herausgibt und sich auf den zeitlich unbegrenzten Schutz ihrer Überwachungsmethoden beruft, was wiederum einer pauschalen Bereichsausnahme gleichkäme. Die effektive Rechtsdurchsetzung möglicherweise berechtigter Schadensersatzansprüche wird dadurch in hohem Maße gefährdet und nützt allein dem meist strukturell überlegenen Schädiger. Dieser Ungerechtigkeit ist dringend zu begegnen.

IV. Eigene Stellungnahme und gleichzeitig Forderung Zunächst sind die Gerichte vor diesem Hintergrund aufgerufen, wenigstens von der Vorschrift des § 142 ZPO in einem weitaus größerem Ausmaß Gebrauch zu machen, als sie dies bislang tun. Sie sollten dabei das Wort „kann“ im Wortlaut des § 142 ZPO verfassungskonform, v.a. in Konstellationen einer intransparenten Organisationseinheit des Schädigers und strukturellen Unterlegenheit des Geschädigten, im Wege einer gebotenen Ermessensreduzierung auf Null als „hat“ verstehen. Wenn sich die Gerichte angesichts der bestehenden Rechtslage dazu außerstande sehen, ist der Gesetzgeber gefordert, dem strukturell unterlegenen geschädigten Anleger legislativ zur Seite zu stehen. Eine umfassende „Wahrheitsermittlung“ im Sinne einer pre-trial-discovery nach US-amerikanischem Vorbild – Zulässigkeit und Schlüssigkeit der Klage unterstellt – könnte das erhebliche Ungleichgewicht zwischen Geschädigten und oftmals übermächtigem Schädiger kompensieren, dies besonders dann, wenn der Schädiger die von ihm behauptete Pflichtverletzung auch noch konkret darlegen und beweisen muss. Ein US-amerikanischer Anwalt könnte die berechtigte Frage stellen: „Der Geschädigte hat die Beweislast und erhält keinerlei Informationen – wie kann er dann überhaupt sein Recht effektiv durchsetzen?“ Zuzustimmen ist an dieser Stelle Greger in seiner Stellungnahme,73 wenn er ausführt: „Wie schon die immer zahlreicher werdenden Durchbrechungen in der Rechtsprechung und die durch das ZPO-Reformgesetz 2001 gestärkten Aufklärungsinstrumente des Richters (§§ 139, 142, 144, 278 Abs. 2) zeigen, ist der Grundsatz des „nemo tenetur edere contra se“ kein tragendes Prinzip des modernen Zivilprozesses mehr (aufschlussreich die Entwicklung zu einer gesetzlich verankerten Mitwirkungspflicht in Frankreich; dazu Adloff [s Lit vor § 34] S. 33 f, 457 ff.; siehe auch Wagner ZEuP 2001, 467 f.; für vorsichtige Ausweitung der Mitwirkungspflicht auch Ahrens Beweis Kap. 7 Rn. 17). In jüngster Zeit scheint sich der BGH der Bejahung einer allgemeinen Aufklärungspflicht auch anzunähern und vom „nemo tenetur“-Dogma stillschweigend abzurücken. In BGHZ 169, 377, 380 wird jedenfalls sehr allgemein ausgeführt: 73 Siehe dazu Greger in MünchKomm. ZPO, 32. Aufl. 2018, vor § 284 ZPO Rz. 34d.

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Information als Grundlage für eine effektive Rechtsdurchsetzung geschädigter Anleger „denn jede Partei hat in zumutbarer Weise dazu beizutragen, dass der Prozessgegner in die Lage versetzt wird, sich zur Sache zu erklären und den gegebenenfalls erforderlichen Beweis anzutreten. Diese Aussage hätte in den Leitsatz gehört; noch besser stünde sie im Gesetz.“

Wenn ein Geschädigter nicht in einem überschaubarem Zeitraum und auf legalem Wege an belastbare Informationen im Macht- und Organisationsbereich des Schädigers gelangen kann, ihm dabei seitens des Gesetzgebers und/oder der Gerichte nicht geholfen wird, ihm gleichzeitig die Darlegungs- und Beweislast zum Nachweis einer Pflichtverletzung aufgebürdet wird, kann er realistisch keine Kompensation seines Schadens in unverjährter Zeit erreichen. Es ist daher dringend zu fordern, dass das bisherige System der Informationsgewinnungsmöglichkeiten zu Gunsten eines Geschädigten gegenüber überlegenen und für ihn völlig intransparenten Organisationseinheiten gesetzgeberisch überdacht wird und die strukturellen Ungleichgewichte zu Lasten Geschädigter auf diese Weise beseitigt werden. Dies vor dem Hintergrund des im Beitrag diskutierten Falls Baumeister/ BaFin. Verbesserungen auf dem Gebiet des Informationszugangs wären ein wichtiger Schritt zur effektiven Rechtsdurchsetzung des Geschädigten. Ansonsten verbleibt es bei einem systematischen Schutz des meist strukturell überlegenen Schädigers.

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Die alternative Klagehäufung Inhaltsübersicht I. Das Problem 1. Die Änderung der Rechtsprechung 2. Die Relativierung der Rechtsprechungsänderung 3. Die Rolle des Streitgegenstandes II. Die Fallgruppen der alternativen Klagehäufung 1. Die Regelung der §§ 262-264 BGB a) Die gesetzliche Normierung b) Die Probleme der h.M. 2. Die unterschiedlichen Fallgruppen a) Unterschiedliche Streitgegenstände b) Die alternative Klagebegründung 3. Die Notwendigkeit der Festlegung III. Die Definition des Streitgegenstands 1. Die gängige Diskussion 2. Besonderheiten bei Schutzrechten IV. Die Bedenken gegen die TÜV-Entscheidung 1. Das Bestimmtheitsgebot 2. Die Waffengleichheit 3. Die Rolle des Streitgegenstandes V. Die Funktion der Vollstreckungs­ gegenklage 1. Der Umfang der gerichtlichen ­Entscheidung



2. Die allgemeine Problematik 3. Die notwendige Modifikation a) Konkurrenz mehrerer Anspruchsgrundlagen b) Konsequenzen für § 767 ZPO c) Die Fallgruppen d) Das Wiederholungsverbot e) Die Rechtlosstellung des Klägers f) Die Geltung für alle Leistungs­klagen 4. Die Erweiterung auf andere Streit­ gegenstände a) Die Zufälligkeiten der Definition b) Die Prozessökonomie c) Das Gebot der Waffengleichheit d) Die „Auffüllung“ des Titels e) Die Kombination mit einer ­Leistungsklage 5. Die Tragung der Kosten 6. Die einheitliche Lösung VI. Die Rechtsnatur der Vollstreckungs­ gegenklage 1. Die Definition der herrschenden ­Meinung 2. Der Wortlaut 3. Die bereicherungsrechtliche Rück­ abwicklung VII. Zusammenfassung

I. Das Problem 1. Die Änderung der Rechtsprechung Unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung1 hält der BGH seit einiger Zeit die alternative Klagehäufung für unzulässig.2 Als Argumente nennt das Gericht die Waf1 Ob das wirklich der Fall war oder nicht nur mehrere Anspruchsgrundlagen innerhalb eines einheitlichen Streitgegenstands vorlagen, erscheint zweifelshaft. Die Entscheidungen BGH v. 28.6.2007 – I ZR 132/04, GRUR 2008, 258, 259 ff. Rz. 19 ff.; BGH v. 5.11.2008 – I ZR 39/06, GRUR 2009, 766, 768 ff. Rz. 24; BGH v. 12.11.2009 – I ZR 183/07, GRUR, 2010, 642, 645 f. Rz. 40 ff. könnten so gedeutet werden. In BGH v. 26.10.2000 – I ZR 180/98, GRUR 2001, 453, 455 lag ein Hilfsantrag vor. 2 BGH v. 24.3.2011 – I ZR 108/09, BGHZ 189, 56, 59 ff. Rz. 6 ff.; BGH v. 5.7.2016 – XI ZR 254/15, BGHZ 211, 189, 197 f. Rz. 26; BGH v. 20.6.2017 – XI ZR 72/16, NJW-RR 2017, 1197, 1198 Rz. 16.

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fengleichheit, da der Beklagte sich ansonsten gegen mehrere prozessuale Ansprüche wehren und seine Rechtsverteidigung darauf ausrichten müsse.3 Der Kläger könne die Bestimmung des Streitgegenstands nicht zur Disposition des Gerichtes stellen.4 Die Frage, ob der Beklagte nur aufgrund eines Streitgegenstands oder mehrerer verurteilt werde, sei zudem für die Reichweite der Verurteilung von Bedeutung. Das spiele eine Rolle bei der Vollstreckungsgegenklage; sei die Verurteilung nur wegen des Verstoßes etwa gegen ein Kennzeichenrecht ausgesprochen und sei dieses erloschen, könne der Beklagte nach § 767 ZPO vorgehen. Damit entscheide das Gericht mit der Auswahl des Streitgegenstands über die Reichweite des Verbots. Das widerspreche dem Bestimmtheitsgrundsatz des § 252 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.5 Auch werde der Beklagte benachteiligt, der sich gegen Ansprüche aus verschiedenen Streitgegenständen zu wehren habe; ihm sei auch nicht klar, gegen welchen Streitgegenstand er sich zu verteidigen habe.6 2. Die Relativierung der Rechtsprechungsänderung Die Entscheidung ist nicht ohne Widerspruch geblieben.7 Doch auch der BGH ist letztendlich von ihr – jedenfalls im Ergebnis – abgewichen. Er hat den engen Streitgegenstandsbegriff, wie er ihn früher zugrunde gelegt hatte,8 erheblich erweitert, indem er verschiedene Verletzungsformen, die sich in einem konkreten Verhalten niederschlugen, als einen Streitgegenstand auffasst.9 Im Ergebnis hat er damit die geschilderte Ausgangsentscheidung erheblich relativiert, da der behauptete Verstoß gegen verschiedene Marken jetzt als ein verletzendes Verhalten und als ein Streitgegenstand begriffen wird.10 3. Die Rolle des Streitgegenstandes In der Sache ist der BGH damit – weitgehend, wenn nicht zur Gänze – zur ursprünglichen Rechtsprechung zurückgekehrt. Denn es macht in vielen Fällen keinen Unterschied, ob man den Streitgegenstandsbegriff eng fasst und – wie die frühere herrschen 3 BGH v. 24.3.2011 – I ZR 108/09, BGHZ 189, 56, 60 Rz. 9. 4 BGH v. 24.3.2011 – I ZR 108/09, BGHZ 189, 56, 60 Rz. 9. 5 BGH v. 24.3.2011 – I ZR 108/09, BGHZ 189, 56, 62 Rz. 10. 6 BGH v. 24.3.2011 – I ZR 108/09, BGHZ 189, 56, 62 f. Rz. 11. 7 Vor allem von Ungern-Sternberg, GRUR 2011, 492; Stieper, GRUR 2012, 7; ferner Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 77. Aufl. 2019, § 260 ZPO Rz. 6; Roth in Stein/ Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2016, § 260 ZPO Rz. 11; § 253 ZPO Rz. 55; wie der BGH aber z.B. Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 39. Aufl. 2018, § 260 ZPO Rz. 7; Greger in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 260 ZPO Rz. 5; Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 16. Aufl. 2019, § 260 ZPO Rz. 7; Becker-Eberhard in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 260 ZPO Rz. 26; Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2013, § 260 ZPO Rz. 29; Büscher, GRUR 2012, 25; wohl auch Bacher in BeckOK-ZPO, Vorwerk/Wolf (Hrsg.), Stand 1.3.2019, § 260 ZPO Rz. 12.3. 8 BGH v. 13.7.2006 – I ZR 222/03, NJW-RR 2007, 337, Rz. 9; BGH v. 20.9.2007 – I ZR 171/04, NJW-RR 2008, 852, 853 Rz. 23. 9 BGH v. 13.9.2012 – I ZR 230/11, BGHZ 194, 314, 323 Rz. 24 f. 10 BGH v. 13.9.2012 – I ZR 230/11, BGHZ 194, 314, 323 f. Rz. 26.

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de Meinung – eine alternative Klagehäufung gestattet oder aber den Streitgegenstand weit begreift. Im ersten Fall wählt zwar das Gericht der Theorie nach aus den in Frage kommenden Streitgegenständen denjenigen aus, der zum Erfolg führt, bzw. muss alle prüfen, wenn die Klage abzuweisen ist. Nichts anderes gilt aber bei einem um­ fassend angelegten Verständnis des Streitgegenstandes. Das Gericht wird zusprechen, wenn eine der materiellen Anspruchsgrundlagen den Anspruch trägt; für den Fall der Abweisung muss es alle Anspruchsgrundlagen berücksichtigen und prüfen. Damit verschwimmt jedenfalls die Grenze. Andererseits wird kaum ein Kläger einen Zahlungsantrag auf zwei Gründe stützen, wenn evidenterweise zwei Streitgegenstände – etwa Kaufpreiszahlung und Rückzahlung eines Darlehens in Höhe von jeweils 10.000 Euro – betroffen sind.

II. Die Fallgruppen der alternativen Klagehäufung 1. Die Regelung der §§ 262-264 BGB a) Die gesetzliche Normierung Als Paradefall der alternativen Klagehäufung wird oft die Wahlschuld genannt.11 Werden mehrere Leistungen in der Weise geschuldet, dass nur die eine oder andere zu erbringen ist, so steht im Zweifel das Wahlrecht dem Schuldner zu. Beispiel ist etwa die freie Entscheidung des Schuldners, welche Sicherheiten er zurückgibt, wenn der Fall der Übersicherung eingetreten ist; er kann wählen, welche er freigibt.12 Erst bei der Zwangsvollstreckung geht das Wahlrecht nach § 264 Abs. 1 Hs. 1 BGB auf den Gläubiger über. Bis dahin – also auch im Zeitpunkt der Klageerhebung und des Urteils  – bleibt also das Wahlrecht des Schuldners bestehen. Hat der Gläubiger das Wahlrecht, so übt er es spätestens mit der Klageerhebung aus. b) Die Probleme der h.M. Doch ist es keineswegs ausgemacht, dass damit eine alternative Klagehäufung mit mehreren Streitgegenständen einhergeht.13 Es gibt nämlich nur einen einheitlichen 11 Saenger in Saenger, ZPO, 8. Aufl. 2019, § 260 ZPO Rz. 14; Bacher in BeckOK-ZPO, Stand 1.3.2019, § 260 ZPO Rz. 13; Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 15. Aufl. 2017, § 260 ZPO Rz. 7; Becker-Eberhard in MünchKomm. ZPO, 15. Aufl. 2016, § 260 ZPO Rz. 23. 12 BGH v. 3.7.2002 – IV ZR 227/01, NJW-RR 2003, 45 f.; Grüneberg in Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, § 262 BGB Rz. 3; Krüger in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2019, § 262 BGB Rz. 13; Bittner in Staudinger, BGB, Stand 2014, § 263 BGB Rz. 4; Toissant in jurisPK BGB –­Herberger/ Martinek/Rössmann/Weht/Würdinger (Hrsg.), Junker/Beckmann/Rössmann (Band­hrsg.), 8. Aufl. 2017, Stand 1.4.2017, § 262 BGB Rz. 8; Reischl in jurisPK BGB – Herberger/Martinek/Rössmann/Weht/Würdinger (Hrsg.), Martinek (Bandhrsg.), 8.  Aufl. 2017 Stand 1.4.2017, § 1191 BGB Rz. 102. 13 OLG Köln v. 19.4.1991  – 19 U 63/90, VersR 1993, 321, 322; BAG v. 17.5.2011  – 1 AZR 473/09, NJW 2012, 250, 251 Rz. 24; BAG v. 12.2.2013 – 3 AZR 100/11, NJW 2013, 2540 Rz. 14; Grüneberg in Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, § 262 BGB Rz. 1.

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Anspruch mit alternativem Inhalt.14 Man nehme etwa den Fall eines Wahlvermächtnisses; der Begünstigte soll eines von mehreren Bildern erhalten.15 Kommt es dann zum Streit, muss der Vermächtnisnehmer Klage auf Übereignung eines von mehreren Bildern erheben; übt der Schuldner dann sein Wahlrecht aus, so gibt nach § 263 Abs. 1 BGB diese Leistung als allein geschuldet – und zwar von Anfang an.16 Trotzdem handelt es sich nur um einen Streitgegenstand und nicht um mehrere Streitgegenstände. Denn ansonsten wäre die Klage abzuweisen, was die Leistungen angeht, die als nie geschuldet galten. Das wäre ein wenig plausibles Ergebnis. Der Gesetzgeber kann keinen Anspruch eröffnen, den der Berechtigte nur unter partiellem Verlust im Prozess durchsetzen kann. Denn auch die Möglichkeit der einseitigen Erledigterklärung durch den Kläger, die nach dem Erlass des Urteils nicht mehr möglich ist, scheidet nach h.M. aus. Die durch das erledigende Ereignis zunächst zulässige und begründete Klage muss nachträglich gegenstandslos geworden sein.17 Ein erledigendes Ereignis, das vor die Klageerhebung zurückwirkt, führt dazu, dass die Klage als unbegründet abzuweisen ist.18 Nur wenn man das anders sieht, wie das der BGH für die Aufrechnung im Prozess mit einer schon vor Klageerhebung entstandenen Gegenforderung getan hat,19 und wenn man diese Regel auf die Wahlschuld erstreckt, kann der Kläger den Rechtsstreit zum Teil für erledigt erklären. Dann, aber nur dann, kann man im Fall der Wahlschuld von einer alternativen Klagehäufung mit zwei Streitgegenständen sprechen. 2. Die unterschiedlichen Fallgruppen Allerdings verbergen sich unter dem Terminus der alternativen Klagehäufung zwei unterschiedliche Fallgruppen. a) Unterschiedliche Streitgegenstände Der Kläger kann sich einmal trotz eines identischen Klageantrags auf zwei unterschiedliche Sachverhalte stützen – etwa auf den Widerruf eines Verbrauchervertrags 14 BAG v. 17.5.2011 – 1 AZR 473/09, NJW 2012, 250, 251 Rz. 24; BAG v. 12.2.2013 – 3 AZR 100/11, NJW 2013, 2540 Rz. 14; Grüneberg in Palandt, BGB 78. Aufl. 2019, § 262 BGB Rz. 1. 15 Beispiel nach Weidlich in Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, § 2154 BGB Rz. 1. 16 Grüneberg in Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, § 263 BGB Rz. 2; Krüger in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2019, § 263 BGB Rz. 7; Bittner in Staudinger, BGB, Stand 2014, § 263 BGB Rz. 11. 17 BGH v. 16.5.1962 – IV ZR 215/61, BGHZ 37, 137, 142 f.; BGH v. 15.1.1982 – V ZR 50/81, BGHZ 83, 12, 13; BGH v. 17.4.1984 – IX ZR 153/83, BGHZ 91, 126, 127; BGH v. 8.2.1989 – IVa ZR 98/87, BGHZ 106, 359, 366 f.; BGH v. 5.5.1999 – XII ZR 184/97, BGHZ 141, 307, 316; BGH v. 17.7.2003 – IX ZR 268/02, BGHZ 155, 392, 395; BGH v. 8.3.1990 – I ZR 116/88, NJW 1990, 3147, 3148; BGH v. 14.3.2014 – V ZR 115/13, NJW 2014, 2199, 2200 Rz. 7; BGH v. 14.7.2008 – II ZR 132/07, NJW RR 2008, 1512, 1512 f. Rz. 7; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 39. Aufl. 2018, § 91a ZPO Rz. 33; Gierl in Saenger, ZPO, 8. Aufl. 2019, § 91a ZPO Rz. 75; Althammer in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 91a ZPO Rz. 43. 18 BGH v. 8.2.1989 – IVa ZR 98/87, BGHZ 106, 359, 366 f.; BGH v. 17.7.2003 – IX ZR 268/02, BGHZ 155, 392, 395; Jaspersen in BeckOK-ZPO, Stand 1.3.2019, § 91a ZPO Rz. 56; Althammer in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 91a ZPO Rz. 43. 19 BGH v. 17.7.2003 – IX ZR 268/02, BGHZ 155, 392, 398 f.

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und auf Schadensersatz.20 Hier muss der Kläger in der Tat in der Klage die Klärung darüber herbeiführen, in welcher Reihenfolge die unterschiedlichen Lebenssachverhalte vom Gericht behandelt werden sollen; ansonsten ist die Klage unzulässig.21 Gleiches gilt, wenn die alternative Begründung auf zwei Lebenssachverhalte gestützt wird, etwa einen Kauf- und einen Darlehensvertrag.22 Dass der BGH hier die Klage als unzulässig abweist und nicht als unbegründet, da die doppelte Verurteilung durch den Klageantrag nicht gedeckt sei, dient dem Kläger, der nicht partiell aus materiellrechtlichen Gründen abgewiesen wird und den Anspruch nicht mehr geltend machen kann. b) Die alternative Klagebegründung Bei einem einheitlichen Lebenssachverhalt kann die Begründung alternativ genannt werden, so etwa wenn ein Schmerzensgeldanspruch auf einen unsachgemäßen Eingriff und fehlerhafte Nachbehandlung gestützt wird;23 man spricht hier auch von alternativer Klagebegründung.24 3. Die Notwendigkeit der Festlegung Das bedeutet allerdings im Ergebnis, dass es eine alternative Klagehäufung nicht oder nur unter gewissen weitreichenden Prämissen gibt. Der Kläger muss sich dann allerdings entscheiden, auf welchen der behaupteten Lebenssachverhalte er seinen Anspruch stützt; den zweiten kann er nur im Eventualverhältnis geltend machen. Damit schält sich als die entscheidende Frage heraus, wie denn der Streitgegenstand in concreto zu bestimmen ist.

III. Die Definition des Streitgegenstands 1. Die gängige Diskussion Der Streitgegenstand – auch als prozessualer Anspruch bezeichnet – wird durch den Klageantrag, in dem sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebenssachverhalt bestimmt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet.25 Im Allgemeinen ist der Streitgegenstand nicht durch die An20 BGH v. 5.7.2016 – XI ZR 254/15, BGHZ 211, 189, 197 f. Rz. 26 f.; BGH v. 20.6.2017 – XI ZR 72/16, NJW-RR 2017, 1197, 1198 Rz. 16. 21 BGH v. 24.3.2011 – 1 ZR 108/09, BGHZ 189, 56, 60 Rz. 8 f.; Bacher in BeckOK-ZPO, Stand 1.3.2019, § 260 ZPO Rz. 12; Becker-Eberhard in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 260 ZPO Rz. 22. 22 Bacher in BeckOK-ZPO, Stand 1.3.2019, § 260 ZPO Rz. 12. 23 BGH v. 14.3.2017 – VI ZR 605/15, VersR 2017, 822, 824 f. Rz. 15 ff. 24 Becker-Eberhard in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 260 ZPO Rz. 25. 25 BGH v. 19.12.1991 – IX ZR 96/91, BGHZ 117, 1, 5; BGH v. 10.12.2002 – X ARZ 208/02, BGHZ 153, 173, 175; BGH v. 3.4.2003  – I ZR 1/01, BGHZ 154, 342, 347  f.; BGH v. 19.11.2003 – VIII ZR 60/03, BGHZ 157, 47, 60; BGH v. 7.3.2002 – III ZR 73/01, NJW 2002, 1503; BGH v. 30.10.2002 – XII ZR 345/00, NJW 2003, 585, 586; BGH v. 23.6.2015 – II ZR 166/14, NJW 2015, 3040, 3041 Rz. 14; BGH v. 20.12.2018 – 1 ZR 104/17, NJW 2019, 757 f.

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spruchsgrundlage definiert oder begrenzt.26 Die unterschiedlichen materiell-rechtlichen Bewertungen ändern nichts am – in tatsächlicher Hinsicht – einheitlichen Lebenssachverhalt. Von der Rechtskraft werden alle materiell-rechtlichen Ansprüche erfasst, die sich im Rahmen des Antrags aus dem zur Entscheidung gestellten Lebenssachverhalt herleiten lassen,27 unabhängig davon, ob sämtliche entscheidungserheblichen Tatsachen des Lebenssachverhalts vorgetragen werden.28 Es spielt auch keine Rolle, ob die Parteien die zunächst nicht vorgetragenen Tatsachen des Lebensvorgangs bereits kannten oder hätten kennen können.29 Damit wird auch die Rechtskraft bestimmt.30 Das gilt nur dann nicht, wenn die Tatsachen erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Prozess entstanden sind31 oder das Gericht über den zugrunde gelegten Sachverhalt nicht abschließend entscheiden will.32 2. Besonderheiten bei Schutzrechten Das sieht der BGH bei Schutzrechten jedenfalls zum Teil anders. Dort zählt zum Streitgegenstand auch das im Einzelnen bezeichnete Schutzrecht.33 Ob das nicht im Widerspruch zu § 145 PatG steht, sei dahingestellt. Jedenfalls wird der prozessuale Rz. 14; BGH v. 18.7.2002 – III ZR 287/01, NVwZ 2002, 1535, 1536; BGH v. 7.12.2000 – I ZR 146/98, GRUR 2001, 755, 756 f.; BGH v. 27.9.2011 – II ZR 221/09, NZG 2011, 1352, 1353 Rz. 21; BGH v. 14.3.2017 – VI ZR 605/15, VersR 2017, 822, 824 Rz. 17; Thole, ZZP 2011 (Bd. 124), 403, 416 f. 26 BGH v. 22.10.2013 – XI ZR 42/12, BGHZ 198, 294, 300 f. Rz. 21; BGH v. 25.10.2012 – IX ZR 207/11, NJW 2013, 540, 541 Rz. 15; BGH v. 27.9.2011 – II ZR 221/09, NZG 2011, 1352, 1353 Rz. 15. 27 BGH v. 22.10.2013 – XI ZR 42/12, BGHZ 198, 294, 301 Rz. 21; BGH, NZG 2011, 1532, 1533 Rz. 21. 28 BGH v. 19.12.1991 – IX ZR 96/91, BGHZ 117, 1, 6 f.; BGH v. 19.11.2003 – VIII ZR 60/03, BGHZ 157, 47, 51; BGH v. 13.9.2012 – I ZR 230/11, BGHZ 194, 314, 320 f. Rz. 19; BGH v. 22.10.2013 – XI ZR 42/12, BGHZ 198, 294, 298 f. Rz. 15; 301, 21; BGH v. 17.3.1995 – V ZR 178/93, NJW 1995, 1757, 1758; BGH v. 23.6.2015 – II ZR 166/14, NJW 2015, 3040, 3041 Rz. 14; BGH v. 27.9.2011 – II ZR 221/09, NZG 2011, 1352, 1353 f. Rz. 21; BGH v. 10.11.2016 – IX ZR 119/14, ZIP 2016, 2479 Rz. 11; BGH v. 14.3.2017 – VI ZR 605/15, VersR 2017, 822, 824 Rz. 17. 29 BGH v. 7.7.1993  – VIII ZR 103/92, BGHZ 123, 137, 141; BGH v. 19.11.2003  – VIII ZR 60/03, BGHZ 157, 47, 51; BGH v. 13.9.2012 – I ZR 230/11, BGHZ 194, 314, 320 f. Rz. 19; BGH v. 22.10.2013 – XI ZR 42/12, BGHZ 198, 294, 298 f. Rz. 15; BGH v. 23.6.2015 – II ZR 166/14, NJW 2015, 3040, 3041 Rz. 14; BGH v. 10.11.2016 – IX ZR 119/14, ZIP 2016, 2479 Rz. 11; BGH v. 14.3.2017 – VI ZR 605/15, VersR 2017, 822, 824 Rz. 17. 30 BGH v. 5.11.2009 – IX ZR 239/07, BGHZ 183, 77 Rz. 9; BGH v. 24.6.1993 – III ZR 43/92, NJW 1993, 3204, 3205; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2016, vor § 253 ZPO Rz. 47; H. Roth, ZZP 124 (2011), 2. 31 BGH v. 15.10.1986 – IV b ZR 78/85, BGHZ 98, 353, 358; BGH v. 17.3.1995 – V ZR 178/93, NJW 1995, 1757, 1757 f.; BGH v. 27.9.2011 – II ZR 221/09, NZG 2011, 1352, 1353 f. Rz. 21. 32 BGH v. 12.12.2008 – V ZR 49/08, BeckRS 2009, 05314 Rz. 45; BGH v. 27.9.2011 – II ZR 221/09, NZG 2011, 1352, 1354 Rz. 23. 33 BGH v. 7.12.2000 – I ZR 146/98, GRUR 2001, 755, 756; BGH v. 20.9.2007 – I ZR 94/04, GRUR 2007, 1066 Rz. 60; BGH v. 20.9.2007 – I ZR 6/05, GRUR 2007, 1071, Rz. 56; BGH v. 17.8.2011 – I ZR 108/09, GRUR 2011, 1043, 1044 Rz. 26.

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Streitgegenstandsbegriff zumindest relativiert, wenn nicht zu Gänze aufgegeben. Denn es erscheint jetzt möglich, eine erneute Klage auf ein weiteres Schutzrecht zu stützen, obwohl sich weder der Antrag noch der Lebenssachverhalt ändert. Es wird sich allerdings zeigen, dass dies keine Besonderheit des Immaterialgüterrechts ist, sondern Platz in der gesamten Rechtsordnung hat und zu Modifikationen an altbekannten Instituten – wie etwa der Vollstreckungsgegenklage gem. § 767 ZPO – zwingt.

IV. Die Bedenken gegen die TÜV-Entscheidung Die Bedenken gegen die erstgenannte Entscheidung sind damit allerdings nicht vom Tisch. 1. Das Bestimmtheitsgebot Das Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO wird von vornherein nicht verletzt. Zwar muss der Kläger den Streitgegenstand festlegen und kann ihn nicht zur Disposition des Gerichtes stellen.34 Doch geschieht das nicht, wenn der Kläger sich auf mehrere Marken stützt, um seinen Anspruch zu begründen. Das ist nichts anderes als der Schulfall, in dem der Kläger vertragliche und deliktische Ansprüche zur Untermauerung seiner Forderungen benennt. 2. Die Waffengleichheit Dasselbe gilt für den Gesichtspunkt der Waffengleichheit.35 Der Beklagte muss sich durchaus gegen alle potentiellen Anspruchsgrundlagen verteidigen. 3. Die Rolle des Streitgegenstandes Letztendlich fasst die TÜV-Entscheidung jede materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage als eigenen Streitgegenstand auf. Damit gibt man den Vorteil des prozessualen Streitgegenstands auf, der gerade darin besteht, dass alle materiell-rechtlichen Ansprüche umfasst sind, die sich im Rahmen des gestellten Antrags aus dem zur Entscheidung unterbreiteten Lebenssachverhalt herleiten lassen – unabhängig davon, ob die einzelnen Tatsachen vorgetragen sind, und unabhängig davon, ob die Parteien sie kannten oder hätten kennen müssen.36

34 BGH v. 24.3.2011 – I ZR 108/09, BGHZ 189, 56, 60 Rz. 9. 35 BGH v. 24.3.2011 – I ZR 108/09, BGHZ 189, 56, 61 Rz. 11. 36 Vgl. die Nachweise in Fn. 29.

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V. Die Funktion der Vollstreckungsgegenklage 1. Der Umfang der gerichtlichen Entscheidung Mehr Gewicht hat das Argument, die Reichweite der Verurteilung wirke sich auf § 767 ZPO aus. Habe das Gericht sein Unterlassungsurteil auf mehrere Kennzeichenrechte der klagenden Partei gestützt, so lasse das Erlöschen eines der Kennzeichenrechte den Verbotsanspruch unberührt. Anders sei es dagegen, wenn die Untersagung nur auf ein Kennzeichenrecht gestützt und dieses inzwischen erloschen sei.37 2. Die allgemeine Problematik Das ist allerdings keine Besonderheit des Marken- oder Urheberrechts. Man kann sich den Fall vorstellen, dass der Hauseigentümer – besonders ruhebedürftig – in einem Vertrag mit seinen Nachbarn vereinbart, dass die Immissionen nur erheblich niedriger ausfallen dürfen, als es §  906 BGB gestattet. Wenn es dann zum Streit kommt, kann sich der vertraglich Begünstigte auf diese Abrede stützen. Findet der Vertrag – aus welchen Gründen auch immer – ein Ende, und ist der Begünstigte daher auf den allgemeinen Immissionsschutz des § 906 BGB verwiesen, dann muss es dem Beklagten des ursprünglichen Prozesses möglich sein, Vollstreckungsgegenklage zu erheben, wenn die Immissionen das Normalmaß des § 906 BGB nicht übersteigen. 3. Die notwendige Modifikation Damit geht indes eine Modifikation überkommener Grundsätze einher. Ausgangspunkt ist der allgemein anerkannte Satz, dass rechtskräftig nur der Subsumtionsschluss wird, wie er in der Urteilsform niedergelegt ist;38 nur bei Unklarheiten sind die Gründe ergänzend heranzuziehen.39 Doch soll das bei einem eindeutigen Tenor nur in Ausnahmefällen möglich sein.40 a) Konkurrenz mehrerer Anspruchsgrundlagen Damit wird man dem Problem nicht gerecht. § 322 ZPO ist im Kontext des § 767 ZPO zu lesen. Kann der Schuldner gegen das Urteil nach § 767 Abs. 1 ZPO vorgehen, so wird die Vollstreckung dieses rechtskräftigen Urteils nach den Regeln des §  767 Abs. 1, Abs. 2 ZPO für unzulässig erklärt.41 Nun lässt es sich durchaus vorstellen, dass zwei Anspruchsgrundlagen konkurrieren. Der Eigentümer stützt sich nicht nur auf § 1004 BGB, sondern auch auf einen Vertrag mit dem Beklagten, in dem dieser die 37 BGH v. 24.3.2011 – I ZR 108/09, BGHZ 189, 56, 61 Rz. 10. 38 Saenger in Saenger, ZPO, 8. Aufl. 2019, § 322 ZPO Rz. 23. 39 BGH v. 14.2.2008 – I ZR 135/05, NJW 2008, 2716, 2717 Rz. 13. 40 BGH v. 14.2.2008 – I ZR 135/05, NJW 2008, 2716, 2717 Rz. 14. 41 Vgl. statt aller Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 39. Aufl. 2018, § 767 ZPO Rz. 12. Zum Pro­ blem, ob das Urteil aufgehoben wird oder nur die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt wird, vgl. unten VI.

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Einhaltung weniger intensiver Immissionswerte zugesagt hatte. Das Ausgangsgericht hatte sich auf dieses – weil leicht beweisbares – Abkommen gestützt. Für die Prüfung von § 1004 BGB bestand keine Notwendigkeit, da die Klage aufgrund des Vertrages bereits begründet war. b) Konsequenzen für § 767 ZPO Wenn der Vertrag endet, so entsteht genau die Situation, die der BGH in der ersten Entscheidung  – dem TÜV-Urteil  – als Hauptargument genannt hat. Der Beklagte kann nach § 767 Abs. 1 ZPO gegen das Urteil bzw. seine Vollstreckbarkeit vorgehen, das nur auf einen Grund – nämlich die Vertragsverletzung – gestützt war. Betrachtet man die Klage auf Unterlassung aufgrund von § 1004 BGB und aufgrund des Vertrages als einen Streitgegenstand, so hatte das Gericht keine Veranlassung für eine kumulative Prüfung von vertraglichen und gesetzlichen Ansprüchen. Der vertragliche Anspruch begründete die Klage bereits. Nichts anderes gilt, wenn man zwei Streitgegenstände annimmt, wie es das erste besprochene Urteil nahelegt.42 Sie hätten dann allerdings in ein Eventualverhältnis gestellt werden müssen. Die Klage war auf vertraglicher Grundlage zuzusprechen. Auf die exakte Definition des Streitgegenstandes einzugehen, hatte das Gericht keine Veranlassung. War die Immissionsgrenze des § 906 BGB überschritten, so wäre das Ergebnis identisch und brächte dem Gegner nichts. Ist die Immissionsgrenze dagegen eingehalten, nützt eine Klageabweisung wegen Verneinung des § 1004 BGB dem Gegner nichts, da sich der Titel ja auf den Vertrag stützt. c) Die Fallgruppen Wenn der Vertrag ausläuft und damit für die Zukunft keine Wirkung mehr entfalten kann, so tritt eine Situation ein, die im Rahmen des § 767 Abs. 1 ZPO praktisch nicht erörtert wird. aa) Das Wesen der Rechtskraft Für den Normalfall wird mit der Rechtskraft der Entscheidung der Titel nur aufgrund neu entstandener Einwendungen angreifbar. Seine Grundlage ist solchen Angriffen entzogen. Das gilt nach herrschender Meinung auch für rückwirkende Nichtigkeitsgründe, etwa die Anfechtung des den Anspruch stützenden Vertrags oder der Aufrechnung.43 Die Einwendung, der die Anspruchsgrundlage bildende Vertrag sei nichtig, ist durch § 767 Abs. 2 ZPO also abgeschnitten.

42 So auch BGH v. 20.12.2018 – I ZR 104/17, NJW 2019, 757, 758 Rz. 18; BGH v. 8.3.2012 – I ZR 75/16, NJW-RR 2012, 748 Rz. 18 f.; BGH v. 22.3.2018 – I ZR 180/16, NJW-RR 2019, 159, 160 Rz. 23. 43 Vgl. statt aller K. Schmidt/Brinkmann in MünchKomm. ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  767 ZPO Rz. 80, 82 m.w.N.

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bb) Der Wegfall einer Anspruchsgrundlage Das ist bei einer Beendigung des Vertrages etwa durch Zeitablauf oder Kündigung nicht der Fall. Die Einwendung entsteht ja erst zu diesem Zeitpunkt, kann folglich auch erst dann geltend gemacht werden und ist durch § 767 Abs. 2 ZPO nicht präkludiert. Das ist nicht nur bei Verträgen, die gekündigt werden können und deren Ende daher ungewiss ist, der Fall, sondern auch bei solchen Dauerschuldverhältnissen, die zeitlich von vornherein befristet sind. Das mag allenfalls anders sein, wenn der Befristung bereits im Urteil Rechnung getragen wurde. Doch dürfte das die Ausnahme bilden. Wenn jemand eine Sache mietet und vom Vermieter die Überlassung einklagt, wird keine Veranlassung bestehen, bei feststehender Mietzeit diese Dauer in den Titel aufzunehmen. Jedenfalls wenn die Mietzeit nicht feststeht, gibt es keine Veranlassung oder auch nur die Möglichkeit, den Tenor zeitlich zu befristen. cc) Die Folgen Wenn nur der Beklagte des Ausgangsprozesses Einwendungen gegen den Titel auf das Ende des Vertrages stützt, so muss andererseits der Kläger des Ausgangsprozesses geltend machen können, dass ihm weitere Anspruchsgrundlagen zur Seite stehen, die er im Ausgangsprozess nicht geltend zu machen brauchte, da er ohnehin obsiegte. Die Unterlassung von Immissionen kann er jetzt also auf § 1004 BGB stützen, um dies der Vollstreckungsgegenklage entgegenhalten zu können. d) Das Wiederholungsverbot Dagegen lässt sich nicht einwenden, damit werde die Rechtskraft der Entscheidung relativiert und gegen den Grundsatz „Ne bis in idem“ verstoßen. Denn im Ausgangsprozess gab es angesichts des Erfolges des Klägers keinen Grund, auf konkurrierende Anspruchsgrundlagen oder hilfsweise Ansprüche eines anderen Streitgegenstandes einzugehen. Und es kann nicht vom Zufall abhängen, welche Anspruchsgrundlage das Gericht geprüft hat. Sonst entstünde ein Unterschied zwischen dem Fall, in dem das Gericht nur den Vertrag geprüft und den auf ihn gestützten Anspruch bejaht hat, und demjenigen, in dem es § 1004 BGB untersucht und der Klage deswegen stattgegeben hat; das mag sich etwa angeboten haben, weil der Vertragsschluss in hohem Maße umstritten war. Hier wäre nach Ende des Vertrages die Vollstreckungsgegenklage zum Scheitern verurteilt; das kann in der ersten Konstellation nicht anders sein. e) Die Rechtlosstellung des Klägers Für dieses Ergebnis spricht auch, dass der Kläger des Ausgangsprozesses sonst leer ausgehen bzw. rechtlos gestellt sein könnte. Denn einer erneuten Klage stünde das rechtskräftige Urteil entgegen. Über denselben Gegenstand darf nicht erneut verhandelt und sachlich entschieden werden.44 Eine der seltenen Ausnahmen – wie Verlust 44 BGH v. 16.6.1993 – I ZB 14/91, BGHZ 123, 30, 32; BGH v. 19.11.2003 – VIII ZR 60/03, BGHZ 157, 47, 50; BGH v. 1.10.1992  – IV R 60/91, NJW 1993, 2133, 2134; BGH v.

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des Titels, Notwendigkeit der Hemmung der Verjährung oder ausländische Titel  – liegen nicht vor.45 f) Die Geltung für alle Leistungsklagen Dieser Befund ist auch keine Besonderheit der Unterlassungsklage, sondern gilt auch bei einer Klage auf Leistung. Die Fälle kommen zwar zugegebenermaßen weniger häufig vor, sind aber durchaus denkbar. So liegt es etwa, wenn der zur Zahlung der Leasingraten verurteilte Leasingnehmer noch vor Beginn der Vollstreckung aufgrund der aus dem Vertrag zwischen dem Lieferanten und dem Leasinggeber abgetretenen Sachmängelgewährleistungsrechte wirksam zurücktritt und damit die Geschäftsgrundlage des Leasingvertrags rückwirkend wegfällt. Gegenüber der Vollstreckungsgegenklage des Leasingnehmers kann der Leasinggeber dann die Pflicht des Leasingnehmers zur Herausgabe der gezogenen Nutzungen einwenden; keine Rolle spielt es dabei, ob dies nach Bereicherungsrecht46 oder nach den Regeln des Rücktritts geschieht.47 4. Die Erweiterung auf andere Streitgegenstände Der Gedankengang lässt sich noch weiterführen. Die Gegenrechte des Klägers der Ausgangsklage und Beklagten der Vollstreckungsgegenklage sind nicht durch den Streitgegenstand begrenzt. a) Die Zufälligkeiten der Definition Dies zeigt sich schon, wenn man die TÜV- und Biomineralwasser-Entscheidungen gegeneinanderstellt. Je nach der Definition des Streitgegenstandes hätte der Kläger des Ausgangsverfahrens die Möglichkeit, die Vollstreckungsgegenklage abzuwehren oder nicht. Von solchen eher zufälligen und schwer fassbaren Unterscheidungen darf das Ergebnis nicht abhängen. b) Die Prozessökonomie Das Ergebnis wird auch gestützt durch die Prozessökonomie. Es ist wenig einsichtig, dass der Kläger des Ausgangsverfahrens – die Begründetheit seines Vorgehens unterstellt – zwar einen neuen Titel soll erstreiten, sich aber nicht gegen die Klage aus § 767 BGB soll wehren können. Das ist zumindest ein überflüssiger Umweg. Allerdings ist hier eine Einschränkung zu machen. Angriffsmittel, mit denen er in der Klage präklu17.3.1995 – V ZR 178/93, NJW 1995, 1757, 1758; BGH v. 26.6.2003 – I ZR 269/00, NJW 2003, 3058, 3059; BGH v. 16.1.2008 – XII ZR 216/05, NJW 2008, 1227 f. Rz. 9; Gottwald in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 322 ZPO Rz. 39. 45 Vgl. die Aufzählung bei Gottwald in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 322 ZPO Rz. 47-50. 46 BGH v. 25.10.1989 – VIII ZR 105/88, BGHZ 109, 139, 146 ff.; BGH v. 5.12.1984 – VIII ZR 277/83, NJW 1985, 796, 797. 47 Koch in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, Finanzierungsleasing Rz. 112.

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diert ist, können auch in der Vollstreckungsgegenklage dem Beklagten des Ausgangsverfahrens nicht entgegengehalten werden. c) Das Gebot der Waffengleichheit Schließlich spricht in diesem Fall auch das Gebot der Waffengleichheit für das Ergebnis, begrenzt aber auch den Umfang. aa) Die Regeln der Klageänderung Dass der Kläger der Vollstreckungsgegenklage zwar nach Maßgabe des § 767 Abs. 2 und 3 ZPO präkludiert ist, ergibt sich schon aus dem Gesetz. Ansonsten ist aber streitig, ob er neue Einwendungen nachschieben darf. Die Rechtsprechung lässt das nur im Rahmen einer Klageänderung mit den Beschränkungen der §§ 263-267 ZPO zu,48 wobei wegen der Gefahr der Präklusion die Klageänderung aber immer sachdienlich ist.49 Die Literatur verzichtet auf die Anwendung der §§ 263-267 ZPO.50 Die Frage, ob die Annahme einer Klageänderung sich mit dem von der Rechtsprechung vertretenen Streitgegenstandsbegriff verträgt,51 kann angesichts der durchgängigen Sachdienlichkeit dahinstehen. bb) Die Voraussetzung der Sachdienlichkeit Damit ist das Muster vorgezeichnet für den Kläger des Ausgangsverfahrens und Beklagten der Vollstreckungsgegenklage. Auch er hat die Möglichkeit, seine Rechte geltend zu machen, jedenfalls soweit es sich um eine zulässige Klageänderung handeln würde. Damit kann das Gericht, insbesondere nach Maßgabe der Sachdienlichkeit, die Klageänderung als zulässig erachten. cc) Die Funktion der Vollstreckungsgegenklage Kein Gegenargument ist es, dass der Beklagte im Erkenntnisverfahren nicht die Möglichkeit einer Klageänderung hat. Funktionell ist der Beklagte der Vollstreckungsgegenklage der Kläger des Ausgangsverfahrens. Er hätte dort den zweiten Streitgegenstand zumindest im Wege einer eventuellen Klagehäufung einbringen können. Ihn jetzt zu einer zweiten Klage zu zwingen widerspräche zumindest der Prozessökonomie, ohne irgendwelche Vorteile mit sich zu bringen. 48 RG v. 27.10.1905 – Rep. VII. 7/05, JW 1905, 133; BGH v. 2.5.1966 – II ZR 178/65, BGHZ 45, 231, 232 f.; BGH v. 18.10.1966 – VI ZB 13/66, NJW 1967, 107, 108; Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 39. Aufl. 2018, § 767 ZPO Rz. 17a; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 11. Aufl. 2018, Rz. 1356; offengelassen in BGH v. 17.4.1986 – III ZR 246/84, NJW-RR 1987, 59. 49 Kindl in Saenger, ZPO, 8.  Aufl. 2019, §  767 ZPO Rz.  15; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 11. Aufl. 2018, Rz. 1356. 50 K. Schmidt/Brinkmann in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 767 ZPO Rz. 42; Münzberg in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2017, § 767 ZPO Rz. 50. 51 Verneinend K. Schmidt/Brinkmann in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 767 ZPO Rz. 42.

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dd) Die analoge Klagehäufung Allerdings ist dem Beklagten der Vollstreckungsgegenklage hier keine Änderung im Sinne einer (analogen) Klageänderung, sondern einer (analogen) Klagehäufung zu empfehlen, wenn er sich Chancen ausrechnet, auch aufgrund des übrigen Streit­ gegenstands die Vollstreckungsgegenklage zu Fall bringen zu können. Diese nachträgliche Klagehäufung ist zwar keine Klageänderung;52 doch werden die Regeln entsprechend herangezogen.53 Sie ist auch in Form einer nachträglichen eventuellen Klagehäufung zulässig.54 Die Sachdienlichkeit ist geprägt durch die Prozessökonomie,55 sodass sich ein weiterer Prozess vermeiden lässt.56 d) Die „Auffüllung“ des Titels Es bleibt das Problem, ob damit dem Kläger ein Titel zur Verfügung steht, den er beliebig mit anderen Ansprüchen auffüllen kann. Das ist in der Tat die Konsequenz der hier vertretenen These; indes ist dies kein durchgreifender Einwand. Denn eine erneute Klage, die  – wie hier unterstellt wird  – erfolgreich wäre, würde dem Kläger ebenfalls zum Erfolg führen. Konsequenterweise muss man dem Kläger der Vollstreckungsgegenklage die Möglichkeit des sofortigen Verzichts geben, wenn er etwa den Anspruch seines Gegners nicht kannte oder nie bestritten hat. Das ist eine Konsequenz des Umstandes, dass in der Vollstreckungsgegenklage die Parteirollen umgedreht sind.57

52 K. Schmidt/Brinkmann in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 263 ZPO Rz. 21. 53 BGH v. 19.3.2004 – V ZR 104/03, BGHZ 158, 295, 305; BGH v. 4.2.2015 – VIII ZR 175/14, BGHZ 204, 134, 138 f. Rz. 14; BGH v. 10.1.1985 – III ZR 93/83, NJW 1985, 1841, 1842; BGH v. 11.7.1996 – IX ZR 80/95, NJW 1996, 2869; BGH v. 27.9.2006 – VIII ZR 19/04, NJW 2007, 2414, 2415 Rz. 8; BGH v. 4.7.2014 – V ZR 298/13, NJW 2014, 3314, 3315 Rz. 16; BGH v. 22.1.2015 – I ZR 127/13, NJW 2015, 1608, 1609 Rz. 13; BGH v. 19.3.2015 – I ZR 4/14, NJW 2015, 3576, 3578 Rz. 24; BGH v. 29.4.1981 – VIII ZR 157/80, WM 1981, 798, 799; BGH v. 15.6.2005 – VIII ZR 74/04, NVwZ-RR 2006, 109, 112; BGH v. 20.11.2012 – VIII ZR 157/12, BeckRS 2013, 00267 Rz. 8. 54 BGH v. 19.3.2004 – V ZR 104/03, BGHZ 158, 295, 350; BGH v. 4.2.2015 – VIII ZR 175/14, BGHZ 204, 134, 139 Rz. 14; BGH v. 10.1.1985 – III ZR 93/83, NJW 1985, 1841, 1842; BGH v. 27.9.2006 – VIII ZR 19/04, NJW 2007, 2414, 2415 Rz. 8; BGH v. 22.1.2015 – I ZR 127/13, NJW 2015, 1608, 1609 Rz. 13; BGH v. 19.3.2015 – I ZR 4/14, NJW 2015, 3576, 3578 Rz. 24. 55 BGH, Urteil v. 17.1.1951 – II ZR 16/50, BGHZ 1, 65, 71 f.; BGH v. 26.5.1986 – II ZR 237/85, NJW-RR 1987, 58; Becker-Eberhardt in MünchKomm. ZPO, 5.  Aufl. 2016, §  263 ZPO Rz. 32. 56 BGH v. 27.9.2006 – VIII ZR 19/04, NJW 2007, 2414, 2415 Rz. 10; BGH v. 13.4.1994 – XII ZR 168/92, NJW-RR 1994, 1143. 57 Ob in solchen Fällen § 93 ZPO analog gilt, ist umstritten, kann hier offenbleiben; verneinend BGH v. 5.5.1994 – III ZR 98/93, NJW 1994, 2895, 2896; bejahend OLG Frankfurt v. 27.9.1979 – VI U 74/79, OLGZ 1981, 99, 100 f.

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e) Die Kombination mit einer Leistungsklage Dass das Ergebnis nahe liegt, zeigt eine weitere Überlegung. Auf den ersten Blick könnte man ja dem Beklagten der Vollstreckungsgegenklage empfehlen, seinerseits Leistungsklage zu erheben und seinen Anspruch auf den zweiten Streitgegenstand zu stützen. Wenn dem Beklagten der Vollstreckungsgegenklage seiner Ansicht nach begründete Ansprüche im Rahmen des ersten Streitgegenstandes zustehen, so wäre es für ihn ratsam, eine Eventualwiderklage für den Fall zu erheben, dass der Kläger der Vollstreckungsgegenklage obsiegt. Der Unterschied zur bedingten Klageänderung ist dann marginal; das spricht entscheidend für die Zulassung der kumulativen Häufung auf Beklagtenseite. 5. Die Tragung der Kosten Was die Frage angeht, wer die Kosten zu tragen hat, so gibt den Ausschlag, welcher Anspruch nun die weitere Vollstreckung rechtfertigt. Ist es der Anspruch aus einem weiteren Streitgegenstand, so ist der Kläger des Ausgangsverfahrens und Beklagter der Vollstreckungsgegenklage teilweise unterlegen. Anders liegt es dagegen, wenn die Vollstreckungsgegenklage abgewiesen wird, weil ein Anspruch innerhalb desselben Streitgegenstands besteht. 6. Die einheitliche Lösung Letztendlich gibt es vor diesem Hintergrund zwischen der TÜV-Entscheidung und der Biomineralwasserentscheidung bei Erfolg der Klage keinen Unterschied. Erlischt später das Recht, aufgrund dessen die Klage zugesprochen wurde, so kann der Ausgangskläger sich in der Vollstreckungsgegenklage auf weitere in der Klage nicht geprüfte Ansprüche stützen. Wenn er die Klage verliert, hängt der Umfang der Rechtskraft von der Reichweite des Streitgegenstands ab. Das spricht für eine weite Fassung des Streitgegenstandes.

VI. Die Rechtsnatur der Vollstreckungsgegenklage 1. Die Definition der herrschenden Meinung Dies gibt Anlass, sich nochmals über die Natur der Vollstreckungsgenklage Gedanken zu machen. Normalerweise wird sie interpretiert als prozessuale Gestaltungsklage, die die Vollstreckbarkeit des Titels aufgrund von Einwendungen gegen den Anspruch des Gläubigers beseitige.58 Nicht dagegen soll die Titelforderung Streitgegenstand sein.59 Das ist nach dem Gesagten nur zum Teil überzeugend. Streitgegenstand ist die Auf58 BGH v. 19.2.2009 – V ZB 188/08, NJW 2009, 1282, 1283 Rz. 12; Kindl in Saenger, ZPO, 8. Aufl. 2019, § 767 ZPO Rz. 1; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 11. Aufl. 2018, Rz. 1313. 59 Kindl in Saenger, ZPO, 8. Aufl. 2019, § 767 ZPO Rz. 1; Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 11. Aufl. 2018, Rz. 1313.

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hebung oder Nichtaufhebung des rechtskräftigen Urteils als solchem. Die Vollstreckungsgegenklage ist, bildlich gesprochen, die umgekehrte Klage und in ihrer Funktion auf die Aufhebung des Titels gerichtet. 2. Der Wortlaut Fragt man nach der Begründung für die h.M., so stößt man auf den Hinweis, das ergebe sich aus dem Wortlaut des § 795 Nr. 1 ZPO. Er verlangt, dass eine Entscheidung vorgelegt wird, aus der sich ergibt, dass die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt wird.60 § 775 Nr. 1 ZPO lässt es alternativ aber auch genügen, dass eine Entscheidung vorgelegt wird, aus der sich ergibt, dass das zu vollstreckende Urteil aufgehoben ist. Das Wortlautargument ist also wenig ergiebig. 3. Die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung Das wichtigste Argument wird erkennbar, wenn irrtümlich nach dem Erfolg der Klage noch vollstreckt wird. Diese Vollstreckung ist nach Bereicherungsrecht rückabzuwickeln61 – wobei, da es um einen staatlichen Eingriff geht, von einer Leistung des Schuldners mangels Freiwilligkeit wohl nicht die Rede sein kann und daher die Nichtleistungskondiktion des § 812 Abs. 1 S. 1 Fall 2 BGB gegeben ist. Der Fall einer Leistungskondiktion ist denkbar, wenn der Schuldner freiwillig aufgrund eines Irrtums leistet. Stets bedarf es eines fehlenden Rechtsgrundes für das Behaltendürfen. Das zu erklären fällt einfach, wenn das Urteil aufgehoben ist. Die Gegenmeinung müsste die Vernichtung der Vollstreckbarkeit des Titels mit dem fehlenden Rechtsgrund gleichstellen; eines derartigen Umwegs bedarf es aber nicht.

VII. Zusammenfassung 1. Die §§ 262 ff. BGB sind kein Fall einer alternativen Klagehäufung. 2. Die alternative Klagehäufung, die auf zwei oder mehr Streitgegenstände gestützt wird, ist unzulässig. 3. Gegenüber einer Vollstreckungsgegenklage kann sich der erfolgreiche Kläger des Ausgangsverfahrens auf dort nicht geprüfte Anspruchsgrundlagen stützen. 4. Er kann sich ferner auf Anspruchsgrundlagen stützen, die nicht vom Streitgegenstand der Ausgangsklage umfasst waren. 5. Bei Verlust der Klage ist dem Kläger ein Rekurs auf Anspruchsgrundlagen verwehrt, die vom Streitgegenstand umfasst sind. 6. Die erfolgreiche Vollstreckungsgegenklage beseitigt den rechtskräftigen Titel. 60 Spohnheimer in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2016, § 767 ZPO Rz. 3. 61 BGH v. 17.2.1982 – IVb ZR 657/80, BGHZ 83, 278, 280; BGH v. 7.7.2005 – VII ZR 351/03, BGHZ 163, 339, 341 f.; BGH v. 5.7.2013 – V ZR 141/12, NJW 2013, 3243, 3245 Rz. 15; Brox/ Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, 11. Aufl. 2018, Rz. 1328.

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Perspektiven mit Volkert Vorwerk – Naturwissenschaft trifft auf Rechtswissenschaft Inhaltsübersicht I. Anlass

III. Ergebnisse

II. Herausforderung und Schnittmengen

I. Anlass In den frühen Jahren der Bekanntschaft und späteren Freundschaft mit Volkert Vorwerk – wir waren beide schon einige Jahre jeder in seiner Disziplin promoviert – wurde es zunehmend immer schwieriger, den unumstößlichen Denkansätzen eines Volkert Vorwerk zu widersprechen oder gar der akkuraten sprachlichen Umsetzung etwas Vergleichbares oder auch Nützliches entgegenzusetzen. Es traf Naturwissenschaft auf Rechtswissenschaft und endete nach heftigem Streitgespräch (konstruktiv) oft in dem Satz: „ … so unterschiedlich kann es doch nicht sein – nun reiß Dich doch mal zusammen!“ Die damals von mir so gefürchteten so genannten „Celler-Gespräche“ liefen immer in der gleichen Geometrie ab, zwei, dreimal um eine überschaubare quadratische norddeutsche Feldmark ohne Höhen und Tiefen, aber immer mit Hund.

II. Herausforderung und Schnittmengen Durch meinen beruflichen Wechsel an das Bundesgesundheitsamt in Berlin ergaben sich unerwartete Perspektiven und juristische Schnittmengen der unliebsamen Aktennotizen und Verfügungen, die ich von Dienst wegen zu verfassen hatte. Mit der „Qualitätssicherung“ und der sprachlichen Diktion eines Volkert Vorwerk gelang es mir allerdings sehr schnell, die Amtsleitung und mein Spiegelreferat, damals noch in Bonn, von Dingen zu überzeugen, die man unbedingt und schon lange hätte machen müssen, z.B. gab es vorbildliche Gesetzeswerke zum Gewässerschutz im Vorfeld der Wasser-Rahmen-Richtlinie (WRRL), die aber einfach nicht umgesetzt wurden und daher unwirksam waren! Ein kleiner, aber nachhaltiger Hinweis bei meinen Brüsseler Kollegen reichte, und schon drohte der Bundesrepublik Deutschland eine Klage wegen nicht Umsetzen – in diesem Fall der Fischereirichtlinie –, ich war beeindruckt und mein Bonner Spiegelreferat irritiert. Doch schon bald erreichten mich die Folgewirkungen und die eigentlichen gesetzlich festgelegten Aufgaben des Bundesgesundheitsamtes (BGA), vor allem die der Forschung auf dem Gebiet der öffentlichen Gesundheitspflege sowie wissenschaftliche Fragestellungen „von einiger Bedeutung“ für 149

Peter-Diedrich Hansen

die Erfüllung gesetzlicher Auflagen. So leitete ich gesetzeskonform und kohärent mit den eigentlichen Aufgaben des BGA einen Ausschuss zur Erstellung einer Rechtsverordnung (Abwasser aus Fischintensivanlagen) zu § 7a Wasserhaushaltsgesetz (WHG) – zusammengesetzt nur aus Chemikern und Biologen, und so lieferte Volkert Vorwerk das juristische Rüstzeug mit seiner unschlagbaren Argumentation. Ich fieberte von nun an den Wochenenden und den „Celler-Gesprächen“ mit ihm entgegen und sein „…nun reiß Dich endlich zusammen“ war Musik in meinen Ohren und Volkert Vorwerk wurde zu meinem „Rechtsprechprogramm“: die richtige Wortwahl!

III. Ergebnisse In kürzester Zeit war über einige Entwürfe die noch heute gültige 29. Rechtsverordnung zu § 7a WHG erstellt, abgestimmt und implementiert. Nach diesem Erfolgserlebnis dachte ich sogleich an eine weitere Bewährungsprobe und ließ mich auf ein Sachverständigen-Gutachten mit dem jetzt erweiterten Wissensstand ein: „Konvertierung einer Eisfabrik in eine Aquakulturanlage“, es ging von der Sache her gut, doch das Eis war dünn und die Benennung als Sachverständiger durch die Senatsverwaltung und Beauftragung durch das Landgericht Berlin in einer Schadensersatz-Klage (Angelverein gegen Industriebetrieb) brachte mir dann erheblichen Ärger ein, durch eine postalische Fehlleitung und Kenntnisnahme meiner Amtsleitung betrachtete das BGA das Gutachtenersuchen als Auftrag an das BGA, was natürlich abgelehnt werden musste, da es mit den gesetzlich festgelegten Amtsaufgaben nicht vereinbar ist. Letztlich setzte sich das Landgericht aber durch, und ich konnte das Gutachten erstellen, ich hatte ja meine „Celler-Gespräche“. Bei einem solchen Anlass präsentierte ich mein nun weitestgehend selbst erstelltes Gutachten voller Stolz. Der Kommentar von Volkert Vorwerk war vernichtend: „-was ist denn das für ein Schwachsinn  – versteht kein Mensch! Hast Du es schon weggeschickt?“ Ich hatte (!) und bat nun um Überleben und Reparaturstrategien – Nichts – nur beharrliches Schweigen! Nur dieses markante, abrupte Dreifach-Räuspern. Dann irgendwann, wir näherten uns schon dem Haus, ein lakonisches: „wart ab, was passiert“. Und es passierte heftig: der Klageabweisungsantrag folgte von einer dieser „Leuchtturm-Sozietäten vom Kurfürstendamm“ und natürlich das Gegengutachten! Kleinlaut kam ich nach Celle und hörte immer nur dieses aufrüttelnde Räuspern und „ …versteht kein Mensch, versteht kein Mensch!“ Dabei hatte ich doch zur toxikologischen Wirkung und zur Beweisführung vor Ort Strömungsmodelle, Stoffeintrag und Verteilung im Gewässer sowie eine überzeugende Risikoanalyse zur Toxiko-Kinetik angestellt und aufgefahren: „  … versteht kein Mensch!“. Volkert Vorwerk: „Vor Gericht nur die vier Grundrechenarten!“. Immerhin, nun ging es konstruktiv voran! Volkert Vorwerk brachte mir das richtige Unterstreichen bei, alle abgeleiteten, komplexeren Rechenarten wurden eliminiert: keine Prozente, keine 1:1 und 1:2 nur noch 1+1 und 1+2  (!), die richtige Wortwahl und die klaren Bezüge. Eigentlich ganz einfach! Und so einfach ist nun inzwischen auch die Methode zur Berechnung der durch den Verursacher zu zahlenden Abwasserabgabe im Rahmen des Abwasserabgabegesetzes (AbwAG): die Abwasserabgabe relevante Giftigkeit (Verdünnungsfaktor G) eines Abwassers wird in Verdünnungsschritten mit DIN-genormten Biotestverfahren geprüft, aber heute nur noch in den Verdünnungs150

Perspektiven mit Volkert Vorwerk – Naturwissenschaft trifft auf Rechtswissenschaft

schritten einer geometrischen Reihe nach Volkert Vorwerk – wie z.B. 1+1, 1+2, …., 1+8 (1 Teil Abwasser + 1 Teil Verdünnungswasser = Verdünnungsfaktor G = 2, 1+2 Teile Verdünnungswasser  = Verdünnungsfaktor G  = 3, 1+8 Teile Verdünnungswasser  = Verdünnungsfaktor G = 9). Es kam der Tag der Gerichtverhandlung David gegen Goliath! Der Angelverein geht auf mich zu und hat nur eine Sorge: mein Honorar, und sie wollten, völlig verunsichert, wissen, warum ich das mache? Der Gegengutachter grüßt verhalten, aber irgendwie kennen wir uns. In der Verhandlung erklärt der Gegengutachter die harmlose Wirkung mit den üblichen, unbrauchbaren Beispielen aus dem täglichen Leben. Ich halte mich an die vier Grundrechenarten! Die Verhandlung wird mehrfach unterbrochen und die Gegenseite hat viel zu telefonieren und einen erheblichen Abstimmungsbedarf. Am Ende bekommt der Angelverein die volle Erstattung seines Schadens (den vergifteten Fischbesatz), zu zahlen durch den Verursacher, zugesprochen. Einzige Auflage: ich darf meine überzeugenden Berechnungen bzw. das ursprüngliche Gutachten nicht veröffentlichen – aha, war wohl doch nicht so schlecht – damit kann ich leben! Der Gegengutachter lädt mich zu einem Bier in die Gerichtkantine ein, wir essen zusammen und diskutieren angeregt, der Staatsanwalt kommt an unseren Tisch und wundert sich über die plötzlich eingekehrte Harmonie. Zusammenfassend ist zu sagen, Gutachten kann ich inzwischen, man braucht eben einen Volkert Vorwerk; ohne ihn geht es nicht. Oder besser: ohne ihn wäre „alles anders gekommen“, aber wohl dem, der einen Volkert Vorwerk kennt! Heute sind wir beide habilitiert, und ich erkläre meinen Studenten in der Toxikologie, wie man ein gerichtsfestes Gutachten schreibt: Das habe ich von Volkert Vorwerk gelernt!

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Felix Christopher Hey

Die Titelgegenklage – eine geglückte Rechtsfortbildung im Prozessrecht? Inhaltsübersicht I. Der Weg zur Rechtsfortbildung in der Rechtsprechung

III. Die in der Titelgegenklage liegende Rechtsfortbildung durch Analogieschluss

II. Prozessuale Eigenheiten der Titelgegenklage

IV. Bewertung der Rechtsfortbildung V. Fazit

Befasst man sich mit den Perspektiven des Prozessrechts, dann gehört dazu insbesondere der Stand seiner Anpassung und Fortbildung durch die Rechtsprechung. Dass die Rechtsprechung zur Fortbildung des Rechts legitimiert ist, geht gerade aus dem Verfahrensrecht selbst hervor, wie § 132 Abs. 3 GVG, §§ 511 Abs. 4 Nr. 1, 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO belegen. Ein Beispiel aus der jüngeren Zeit stellt im Prozessrecht die Titelgegenklage dar.1 Es handelt sich um eine schöpferische Rechtsfortbildung durch die Rechtsprechung im Zwangsvollstreckungsrecht. In Analogie zur Vollstreckungsgegenklage nach § 767 Abs. 1 ZPO, mit der Einwendungen gegen den titulierten Anspruch geltend gemacht werden, erlaubt die Titelgegenklage die Erhebung einer besonderen zivilprozessualen Gestaltungsklage, mittels derer die Unwirksamkeit oder geminderte Wirksamkeit des Vollstreckungstitels zum Gegenstand gemacht wird.2 Sie hat erhebliche praktische Relevanz. In seinem Grundsatzurteil aus dem Jahr 1993 hat der BGH die Besonderheiten der Titelgegenklage und ihre Abgrenzung anhand einer gegen einen gerichtlichen Titel geltend gemachten Klage entwickelt,3 die weitaus überwiegende Zahl der einschlägigen Urteile betrifft indes vollstreckbare, notarielle Urkunden im Sinne von § 794 Abs. 1 Nr. 4 ZPO.4 Die Titelgegenklage steht auf diese Weise in Zusammenhang mit zwei praktischen Fragen des Prozessrechts, die sich an die Nutzung vollstreckbarer Urkunden nach § 794 Abs. 1 Nr. 4 ZPO knüpfen. Zum einen vermeidet die Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung einen eigens geführten Prozess zur Erlangung des Vollstreckungstitels – sie vermag damit zu der allgemein rückläufigen Zahl der Zivilverfahren beizutragen.5 Andererseits 1 Allgemein zur Lückenschließung und Analogie im Prozessrecht G. Vollkommer in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, Einl. Rz. 97. 2 BGH v. 19.12.2004 – V ZR 82/13, NJW 2015, 1181. 3 BGH v. 18.11.1993 – IX ZR 244/92, MDR 1994, 1040, 1041. 4 Vgl. zuletzt BGH v. 6.7.2018 – V ZR 115/17, WM 2018, 1932, 1933; insges. Preuß in BeckOKZPO, 31. Edition, Stand 1.12.2018, § 767 ZPO Rz. 57.2 m.N. 5 Vgl. die Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes unter Fachserie 10 Reihe 2.1 – Rechtspflege Zivilgerichte, zuletzt für das Jahr 2017, S. 12 ff.; G. Vollkommer in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, Einl. Rz. 20 m.N.

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entspringt sie dem Bedürfnis nach einem schneller zur Verfügung stehenden Titel; ihre Verbreitung wirft daher Fragen nach Geschwindigkeit und Effizienz des Zivilprozesses auf.6 Vor diesem Hintergrund nimmt die Bedeutung und die Praxisrelevanz vollstreckbarer notarieller Urkunden zu: So hat zuletzt der BGH ihre Verwendung im Wohnraummietverhältnis neben einer herkömmlichen Kaution gebilligt.7 Mit der zunehmenden Verbreitung vollstreckbarer Urkunden wächst indes auch das Bedürfnis nach gerichtlicher Nachprüfung, wenn es um Einwendungen gegen den titulierten Anspruch geht oder eben um die Frage der Wirksamkeit des Titels selbst wie bei der Titelgegenklage. In der Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des BGH hat Karsten Schmidt festgestellt, dass die Titelgegenklage noch kein voll ausgereiftes Rechtsinstitut und deshalb ein Thema für weitere Diskussionen um die Vollstreckungsgegenklage sei.8 Deshalb und wegen der praktischen Relevanz soll im vorliegendem Beitrag der Frage nachgegangen werden: Inwieweit handelt es sich bei der Titelgegenklage um eine geglückte Rechtsfortbildung auf dem Gebiet des Prozessrechts?

I. Der Weg zur Rechtsfortbildung in der Rechtsprechung Betrachtet man die praktische Bedeutung der zugrundeliegenden Frage, welcher Rechtsbehelf gegen die Unwirksamkeit des Titels in Anspruch genommen werden kann, dann ist der von der Rechtsprechung entwickelte eigene Typ einer prozessualen Gestaltungsklage unter dem Namen „Titelgegenklage“ eine vergleichsweise junge Rechtsfortbildung. Nach der früheren Rechtsprechung des BGH konnte sich der Schuldner gegen die Vollstreckung aus einem unwirksamen Titel lediglich mit der Klauselerinnerung nach § 732 Abs. 1 ZPO und gerade nicht mit einer Vollstreckungsgegenklage nach § 767 Abs. 1 ZPO wehren, weil letztere nach der damaligen Begründung einen wirksamen Titel voraussetzte.9 Ließ sich dieser Rechtsprechung demzufolge auch kein Anlass einer Rechtsfortbildung entnehmen, weil die gesetzlichen Rechtsbehelfe scheinbar einen lückenlosen Schutz des Schuldners darstellten, so änderte sich diese Einschätzung durch das Urteil des VII. Zivilsenates des BGH aus dem Jahr 1992.10 Die Entscheidung verhält sich zwar nicht ausdrücklich zu einem neuen, eigenen Rechtsbehelf, spricht allerdings nochmals deutlich aus, dass zum Verfahren der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 Abs. 1 ZPO solche Einwendungen nicht gehören, mit denen die Unwirksamkeit des Titels geltend gemacht wird. Daraus folgert das Gericht an dieser Stelle bereits, dass die aus der Unwirksamkeit hergeleitete Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung auch nicht Streitgegenstand der Vollstreckungsgegenklage sein kann. Zugleich wird jedoch betont, dass der Schuldner insoweit nicht 6 Zum Gesetzeszweck der Entlastung der Gerichte durch § 794 Abs. 1 Nr. 4 ZPO vgl. nur die Begründung zur 2. Zwangsvollstreckungsnovelle BT-Drucks. 13/341, S. 9, 20. 7 BGH v. 14.6.2017 – VIII ZR 76/16, MDR 2017, 1048. 8 Karsten Schmidt in FS 50 Jahre BGH, 2000, Bd. 3, 491, 519. 9 BGH v. 21.5.1987 – VII ZR 210/82, MDR 1988, 136 f. 10 BGH v. 14.5.1992 – VII ZR 204/90, BGHZ 118, 229 ff. = MDR 1992, 902 = NJW 1992, 2160, 2162.

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Die Titelgegenklage – eine geglückte Rechtsfortbildung im Prozessrecht?

rechtlos gestellt werde, wobei nicht zu entscheiden sei, ob der einschlägige Rechtsbehelf eine Feststellungsklage oder aber eine prozessuale Gestaltungsklage analog § 767 ZPO sei. Diese Überlegung greift dann das Grundsatzurteil des IX. Zivilsenats aus dem Jahr 1993 auf,11 das diese „prozessualen Gestaltungsklage analog § 767 Abs. 1 ZPO“ ausdrücklich als im konkreten Fall statthaften Rechtsbehelf etabliert,12 und zwar als ein solcher, der gegenüber der Vollstreckungsgegenklage einen eigenen Streitgegenstand aufweise.13 Zwei Jahrzehnte später bezeichnet der V. Zivilsenat dann den durch Analogieschluss entwickelten Rechtsbehelf in einem Urteil ausdrücklich als „Titelgegenklage“.14

II. Prozessuale Eigenheiten der Titelgegenklage In den Urteilen, in denen sich der BGH zur Titelgegenklage als einer prozessualen Gestaltungsklage analog § 767 Abs. 1 ZPO äußert, belässt es das Gericht nicht bei der bloßen analogen Anwendung von § 767 Abs. 1 ZPO, sondern hebt die Eigenständigkeit als gesonderter Rechtsbehelf in der Zwangsvollstreckung hervor. Das wird auch deutlich durch eine Reihe prozessualer Besonderheiten für diesen Gestaltungsklagetyp. So hat die konzeptionelle Einordnung der Titelgegenklage durch den BGH als eigenständiger Rechtsbehelf in der Zwangsvollstreckung zur Folge, dass die Klage mit der Wirksamkeit des Titels einen eigenen, von der Vollstreckungsgegenklage zu unterscheidenden Streitgegenstand besitzt.15 Der BGH begründet diesen Schluss in seinen beiden Grundsatzurteilen von 1992 und 1993 allerdings nur knapp damit, dass die Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO selbst nur auf Einwendungen gegen den titulierten Anspruch gestützt werden könne und daher nicht die Prüfung der fehlenden oder geminderten Wirksamkeit des Titels selbst erlaube.16 Allerdings war der BGH bereit, ein Klagebegehren, nach dem wegen der Unbestimmtheit des Titels die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung ausgesprochen werden soll, nicht als Voll­ streckungsgegenklage, sondern als Titelgegenklage analog § 767 Abs. 1 ZPO auszulegen.17 Zudem lässt das Gericht es in ständiger Rechtsprechung zu, dass Vollstreckungsgegenklage und Titelgegenklage miteinander verbunden erhoben werden können.18 11 BGH v. 18.11.1993 – IX ZR 244/92, MDR 1994, 1040, 1041 = NJW 1994, 460, 461. 12 BGH v. 18.11.1993 – IX ZR 244/92, MDR 1994, 1040, 1041 = NJW 1994, 460, 461. 13 Allerdings zweifelt BGH v. 18.11.1993 – IX ZR 244/92, NJW 1994, 460, 462, ob aus dem unterschiedlichen Streitgegenstand auch folgt, dass die fehlende Wirksamkeit des Titels im Rahmen der Vollstreckungsgenklage nicht geprüft werden kann. 14 BGH v. 19.12.2014 – V ZR 82/13, NJW 2015, 1181, so zuletzt auch BGH v. 14.6.2017 – VIII ZR 76/16, MDR 2017, 1048; zum Terminus Karsten Schmidt/Brinkmann in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 767 ZPO Rz. 6 Fn. 39. 15 BGH v. 18.11.1993 – IX ZR 244/92, MDR 1994, 1040, 1041 f. 16 BGH v. 14.5.1992 – VII ZR 204/90, MDR 1992, 902; BGH v. 18.11.1993 – IX ZR 244/92, MDR 1994, 1040, 1041. 17 BGH v. 18.11.1993 – IX ZR 244/92, ZIP 1994, 67, 69. 18 BGH v. 6.7.2018 – V ZR 115/17, WM 2018, 1932, 1933; BGH v. 19.12.2014 – V ZR 82/13, NJW 2015, 1181; BGH v. 30.3.2010 – XI ZR 200/09, ZIP 2010, 1072, 1073.

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Eng verknüpft mit der analogen Anwendung von §  767 Abs.  1 ZPO ist zudem die Frage, ob insoweit dann auch § 767 Abs. 2 ZPO anwendbar ist. Der BGH hat das verneint mit der Erwägung, § 767 Abs. 2 ZPO bezwecke, die Rechtskraftwirkung unanfechtbarer Entscheidungen zu sichern.19 Daher gelte die Norm nicht gegenüber Vollstreckungstiteln, die nicht der materiellen Rechtskraft fähig seien, was etwa bei einer Klage wegen fehlender Bestimmtheit des titulierten Anspruchs der Fall sei. Nun ist zwar fraglich, ob die Präklusionsnorm einen Bestandteil der Rechtskraft bildet20 und sich gerade daraus die Unanwendbarkeit von § 767 Abs. 2 ZPO auf die Titelgegenklage ergibt. Naheliegender ist es, dies unmittelbar mit dem Analogieschluss aus § 767 Abs. 1 ZPO zu begründen; soweit man nämlich Einwendungen gegen die Wirksamkeit eines Titels erst einmal zulässt, lassen diese sich schwerlich nach §  767 Abs.  2 ZPO dann als präkludiert ansehen. Für die Mehrzahl der Fälle, die sich gegen die Vollstreckung aus Urkunden nach § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO richten, scheidet die Anwendung von § 767 Abs. 2 ZPO schon wegen der ausdrücklichen Anordnung in § 797 Abs. 4 ZPO aus. Der Leitentscheidung des BGH aus dem Jahr 1993 wird schließlich entnommen, dass auch § 767 Abs. 3 ZPO auf die Titelgegenklage nicht anwendbar ist.21 Die Ausführungen in der konkreten Entscheidung des BGH betreffen indes genau genommen lediglich die Frage, ob eine Titelgegenklage durch eine vorausgegangene Vollstreckungsgegenklage nach § 767 Abs. 1 ZPO der Präklusion nach § 767 Abs. 3 ZPO ausgesetzt sein könnte; das hat der BGH – von seinem Standpunkt der unterschiedlichen Streitgegenstände beider Klagen aus gesehen konsequent – verneint. Dass § 767 Abs. 3 ZPO auf die Titelgegenklage selber generell nicht anwendbar sein sollte, würde dem von § 767 Abs. 3 ZPO verfolgten Zweck der Verfahrenskonzentration22 nicht gerecht. Daher verdient § 767 Abs. 3 ZPO grundsätzlich auch Geltung für die Titelgegenklage.23

III. Die in der Titelgegenklage liegende Rechtsfortbildung durch Analogieschluss Die in der Rechtsprechung bei der Titelgegenklage vollzogene Rechtsfortbildung besteht in der Analogie zu § 767 Abs. 1 ZPO.24 Als sich der BGH zur Änderung seiner  früheren, langjährigen Rechtsprechung entschloss, lag der damit verbundenen Rechtsfortbildung also die Feststellung einer Gesetzeslücke zugrunde. Greift man auf 19 BGH v. 18.11.1993 – IX ZR 244/92, MDR 1994, 1040, 1041. 20 Krit. Karsten Schmidt in FS 50 Jahre BGH, 2000, Bd. 3, 491, 498 ff. 21 Vgl. BGH v. 18.11.1993 – IX ZR 244/92, MDR 1994, 1040, 1041; Karsten Schmidt/Brinkmann in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 767 ZPO Rz. 6; Lackmann in Musielak/Voit, ZPO, 15. Aufl. 2018, § 767 ZPO Rz. 9b; zweifelnd Preuß in BeckOK-ZPO, 31. Edition, Stand 1.12.2018, § 767 ZPO Rz. 60; abl. Walker/Reichenbach, EWiR 2004, 257, 258; Özen/Hein, JuS 2010, 124, 126 f. 22 Vgl. Herget in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 767 ZPO Rz. 22. 23 Preuß in BeckOK-ZPO, 31. Edition, Stand 1.12.2018, § 767 ZPO Rz. 60; Özen/Hein, JuS 2010, 124, 126 f. und wohl auch BGH v. 29.1.2015 – V ZR 93/14, juris bei Rz. 12. 24 BGH v. 18.11.1993 – IX ZR 244/92, MDR 1994, 1040, 1041.

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die gängigen Definitionen zurück, dann ist unter einer solchen Lücke die planwidrige Unvollständigkeit des positiven Rechts (d.h. des Gesetzes innerhalb der Grenzen seines möglichen Wortsinns und des Gewohnheitsrechts) zu verstehen gemessen am Maßstab der gesamten geltenden Rechtsordnung.25 Der dabei notwendige, wertende Vorgang liegt nicht erst in der Lückenschließung durch die Analogie, sondern bereits in der Lückenfeststellung.26 In seinem Grundsatzurteil aus dem Jahr 1993 entwickelt der BGH die Feststellung der Gesetzeslücke aus dem schutzwürdigen Interesse des Schuldners daran, dass die Vollstreckungsfähigkeit eines Titels beseitigt wird, wenn die titulierte Forderung unbestimmt ist.27 Der Schuldner soll bei Titeln, die solche und vergleichbare Mängel aufweisen, die Möglichkeit haben, die Vollstreckung rechtskräftig insgesamt ausschließen zu können. Das Gericht sieht die Lücke erkennbar im System der Rechtsbehelfe in der Zwangsvollstreckung insgesamt. Folgerichtig grenzt der BGH die Titelgegenklage gegen andere denkbare Rechtsschutzmöglichkeiten ab und erklärt, dass diese dem Rechtsschutzziel des Klägers nicht genügend Rechnung tragen. Insbesondere eigne sich der bei einer Unwirksamkeit des Vollstreckungstitels eigentlich nahe liegende Rechtsbehelf der Klauselerinnerung gemäß § 732 Abs. 1 ZPO nicht für das Anliegen des Schuldners, weil er auf diesem Weg keine rechtskräftige Entscheidung über die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung erlangen könne.28 Die Gesetzeslücke liegt im Hinblick auf §  732 Abs.  1 ZPO also nicht darin, dass der Schuldner über gar keinen vom Gesetz vorgesehenen Rechtsbehelf verfügte, sondern darin, dass mit dem gesetzlich geregelten Rechtsbehelf keine rechtskräftige Entscheidung herbeigeführt werden kann, die die Vollstreckungsfähigkeit des Titels insgesamt beseitigt. Man kann im Hinblick auf § 732 Abs. 1 ZPO von einer „verdeckten Lücke“ sprechen,29 deren Vorliegen erst aus dem wirklichen Schutzinteresse des Schuldners deutlich wird. Denn § 732 Abs. 1 ZPO räumt dem Schuldner zwar einen Rechtsbehelf in den einschlägigen Fallgestaltungen ein, so dass keine Lücke zu bestehen scheint, doch kann dadurch die Vollstreckbarkeit des Titels nicht endgültig für unzulässig erklärt werden. Auch andere Möglichkeiten, dem Schutzinteresse des Schuldners Rechnung zu tragen, bestehen nach Auffassung des BGH nicht. Da es in dem zugrunde liegenden Fall um die Unbestimmtheit des titulierten Anspruchs aus dem Erstprozess ging, erwiesen sich auch auf § 1004 BGB analog oder § 371 BGB analog gestützte Leistungsklagen als 25 Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl. 1983, S. 30; Honsell in Staudinger, BGB, 2018, Einl. zum BGB Rz. 123. 26 Grüneberg in Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, Einl. Rz. 55; dazu, dass die Analogie nicht nur Mittel der Lückenschließung, sondern auch bereits der Lückenfeststellung ist, grundlegend Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl. 1983, S. 57 ff. 27 BGH v. 18.11.1993 – IX ZR 244/92, MDR 1994, 1040, 1041. 28 BGH v. 18.11.1993 – IX ZR 244/92, MDR 1994, 1040, 1041; BGH v. 19.12.2014 – V ZR 82/13, NJW 2015, 1181, 1182; kritisch zu dieser Sicht Wolfsteiner, MittBayNot 2016, 173, weil bei einer stattgebenden Entscheidung auf Dauer ausgeschlossen sei, dass eine neue Klausel erteilt wird und aus ihr vollstreckt werden kann. 29 Dazu Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl. 1983, S. 136 f.

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untauglich, weil kein eindeutiger Zusammenhang zwischen materieller Rechtslage und Titel hergestellt werden könne, zumal auf derartige Klagen ergehende Urteile keine gerichtlichen Entscheidungen im Sinne der §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO wären,30 so dass die Zwangsvollstreckung nicht eingestellt und getroffene Maßnahmen nicht aufgehoben würden. Das Schrifttum, das die Ergebnisse der älteren Rechtsprechung zuletzt deutlich in Frage gestellt hatte,31 hat die Rechtsprechungsänderung durch den BGH zur Titelgegenklage nahezu einhellig begrüßt.32 Soweit Kritik geübt wird, bezieht diese sich auf Teilaspekte. Dazu zählt die Abgrenzung zur Klauselerinnerung nach §  732 Abs.  1 ZPO.33 Da die Titelgegenklage durch die Rechtsprechung zur Lückenschließung im Wege einer Analogie etabliert worden ist, stellt sich insoweit in der Tat ein Abgrenzungsproblem, denn an einer Gesetzeslücke würde es fehlen, wenn mit der Klausel­ erinnerung ein gesetzlich vorgesehener Rechtsbehelf vorhanden wäre. Die Haltung der früheren Rechtsprechung, dass Vollstreckungsgegenklage und der Erinnerung nach § 732 Abs. 1 ZPO sich gegenseitig ausschlössen und dass der Schuldner im Fall eines unwirksamen Titels auf die Klauselerinnerung zu verweisen sei, 34 besaß insofern eine gewisse Konsequenz. Nachdem der BGH von dieser strikten Grenzziehung mittlerweile abgerückt ist, bleiben dennoch Abgrenzungsfragen, wenn der Titel nicht aus materiell-rechtlichen Gründen unwirksam ist (dann ist die Statthaftigkeit der ­Titelgegenklage unproblematisch),35 sondern sich die Unwirksamkeit aus formell-­ rechtlichen Gründen ergibt. Im Verfahren nach § 732 Abs. 1 ZPO zu klären ist nach Auffassung des BGH etwa die Frage der prozessualen Ordnungsgemäßheit der Unterwerfungserklärung.36 Denn insoweit richtet sich der Rechtsbehelf nur gegen die Vollstreckungsklausel. Entscheidend soll im Übrigen sein, ob sich der geltend gemachte Einwand darauf beschränkt oder ob sich der Schuldner aus anderen formell-rechtlichen Gründen wie etwa der fehlenden Bestimmtheit des titulierten Anspruchs gegen die Vollstreckung wendet.37 Bei Unwirksamkeitsgründen wie der Unbestimmtheit von Gläubiger und Schuldner ist dagegen nach der Rechtsprechung wiederum § 732 Abs.  1 ZPO der zutreffende Rechtsbehelf.38 Liegen allerdings die Voraussetzungen beider Rechtsbehelfe vor, so ermöglicht es der BGH dem Schuldner, je nach dem von ihm konkret verfolgten Rechtsschutzziel die Zwangsvollstreckung aus der erteilten Klausel für unzulässig erklären zu lassen, oder aber eine rechtskräftige Entscheidung 30 BGH v. 18.11.1993 – IX ZR 244/92, MDR 1994, 1040, 1041. 31 Rieble/Rumler, MDR 1989, 499, 500; Windel, ZZP 102 (1989), 175 ff. 32 Vgl. Kaiser, NJW 2015, 1183  f.; Karsten Schmidt in FS 50  Jahre BGH, 2000, Bd.  3, 491, 514 ff.; Preuß in BeckOK-ZPO, 31. Edition, Stand 1.12.2018, § 767 ZPO Rz. 57 ff.; Kindl in Saenger, HK ZPO, 7. Aufl. 2017, § 767 ZPO Rz. 6b f.; Walker/Reichenbach, EWiR 2004, 257, 258; Herget in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 767 ZPO Rz. 7. 33 Wolfsteiner, MittBayNot 2016, 173 f. 34 BGH v. 21.5.1987 – VII ZR 210/86, MDR 1988, 136 f. 35 Vgl. Kaiser, NJW 2010, 2933, 2934; Kindl in Saenger, HK ZPO, 7. Aufl. 2017, § 767 ZPO Rz. 6c m.N. 36 BGH v. 30.3.2010 – XI ZR 200/09, ZIP 2010, 1072, 1073. 37 BGH v. 19.12.2014 – V ZR 82/13, NJW 2015, 1181. 38 BGH v. 30.3.2010 – XI ZR 200/09, MDR 2010, 880, 881 f.

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herbeizuführen, dass die Vollstreckung aus dem Titel unzulässig ist. Im Ergebnis stehen deshalb Klauselerinnerung und Titelgegenklage insoweit nicht mehr in einem sich ausschließenden Verhältnis.39 In der Praxis nimmt das der Abgrenzungsfrage die Relevanz. Noch mehr Gewicht verdient indes der zweite Kritikpunkt an der Rechtsprechung, der sich gegen die Annahme eines eigenständigen Streitgegenstandes der Titelgegenklage richtet.40 Der Kläger muss sich danach nämlich entscheiden, ob er Einwendungen gegen den titulierten Anspruch (dann Klage nach § 767 Abs. 1 ZPO unmittelbar) oder gegen den Titel selbst erhebt (dann Titelgegenklage) – das Gericht wiederum ist bei seiner Prüfung an diese Antragstellung gebunden und kann nur diejenigen Einwendungen prüfen, die dem eingeschlagenen Weg entsprechen. Der BGH betont, dass beide Klagen miteinander verbunden werden können,41 was jedoch die Folge der Teilabweisung hat, wenn sich nur eine der beiden Klagen als begründet erweist (obwohl die Vollstreckung aus dem Titel auch dann insgesamt rechtskräftig beseitigt wird).42 Diese Ergebnisse erwecken Zweifel, ob die vom BGH vorgenommene Einordnung der Titelgegenklage in das System der Rechtsbehelfe in der Zwangsvollstreckung der vorzugswürdige Weg ist. Eine „Analogie zu § 767 Abs. 1 ZPO“ müsste nämlich nicht zwangsläufig zu einem eigenen Rechtsbehelf mit gesondertem Streitgegenstand führen; vielmehr ließe sich die Lückenschließung durch Analogie auch innerhalb der Anwendung von § 767 Abs. 1 ZPO dergestalt durchführen, dass als „Einwendungen“ im Sinne der Vorschrift auch solche zugelassen werden, die sich gegen den Titel selbst richten.43 So ist es auch bemerkenswert, dass der BGH in einem jüngst entschiedenen Fall, nämlich bei der Lückenfeststellung im Rechtsschutz gegen den Verstoß gegen eine vollstreckungsbeschränkende Vereinbarung methodisch anders vorgegangen ist. Das Gericht hat hier entschieden, dass weder die Vollstreckungserinnerung nach § 766 Abs. 1 ZPO noch die Vollstreckungsgegenklage nach § 767 Abs. 1 ZPO in diesen Fällen unmittelbar anwendbar seien, aufgrund der Abwägung der Argumente die insofern bestehende Lücke aber durch die analoge Anwendung des § 767 Abs. 1 ZPO zu schließen und damit die Vollstreckungsgegenklage der einschlägige Rechtsbehelf sei.44 An dieser Stelle erweitert der BGH also nicht die Rechtsbehelfe in der Zwangsvollstreckung um einen neuen Klagetypus, sondern beschränkt sich zur Berücksichtigung der fraglichen Einwendung auf die Analogie zu § 767 Abs. 1 ZPO. 39 BGH v. 14.5.1992 – VII ZR 204/90, MDR 1992, 902; BGH v. 7.12.2005 – XII ZR 94/03, FamRZ 2006, 261, 261; Kaiser, NJW 2010, 2933, 2934, Lackmann in Musielak/Voit, ZPO, 15. Aufl. 2018, § 767 ZPO Rz. 9b; Karsten Schmidt in FS 50 Jahre BGH, 2000, Bd. 3, 491, 514 f. 40 Karsten Schmidt in FS 50 Jahre BGH, 2000, Bd. 3, 491, 517. 41 BGH v. 19.12.2014 – V ZR 82/13, NJW 2015, 1181, BGH v. 15.3.2005 – XI ZR 135/04, ZIP 2005, 846, 848. 42 BGH v. 15.3.2005 – XI ZR 135/04, ZIP 2005, 846, 848. 43 Karsten Schmidt/Brinkmann in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 767 ZPO Rz. 6. 44 BGH v. 18.5.2017 – VII ZB 38/16, MDR 2017, 903 f.

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IV. Bewertung der Rechtsfortbildung An dieser Stelle lässt sich die eingangs gestellte Frage aufgreifen, inwieweit die Rechtsfortbildung zur Titelklage geglückt ist. Zum Vorliegen einer Gesetzeslücke im Rahmen der Rechtsbehelfe in der Zwangsvollstreckung wurde bereits darauf hingewiesen, dass keiner der beiden vorrangig in Betracht zu ziehenden Rechtsbehelfe unmittelbar einschlägig ist. Die Vollstreckungs­ gegenklage nach § 767 Abs. 1 ZPO ermöglicht unmittelbar nur die Geltendmachung von Einwendungen gegen den titulierten Anspruch, nicht aber gegen die Wirksamkeit des Titels.45 Die Klauselerinnerung nach § 732 Abs. 1 ZPO würde es wiederum zwar ermöglichen, Einwendungen gegen die Wirksamkeit des Titels zu erheben,46 damit wird im Ergebnis aber nur eine Entscheidung über die Unzulässigkeit der Vollstreckung aus der erteilten Klausel herbeigeführt.47 Die Möglichkeit, die Vollstreckung aus dem Titel mittels rechtskräftiger Entscheidung schlechthin für unzulässig zu erklären, besteht insoweit nicht. Man kann zwar einwenden, dass im Falle einer erfolgreichen Klauselerinnerung rein praktisch eine neue Vollstreckungsklausel nicht erteilt werden wird.48 Dieser Einwand würde aber das Interesse des Schuldners nicht berücksichtigen, auch rechtlich gegen den Titel selber vorgehen und die Vollstreckung für unzulässig erklären zu können. So gesehen regelt auch der Rechtsbehelf nach §  732 Abs.  1 ZPO das Rechtsschutzbegehren des Schuldners nicht. Auch aus dieser Vorschrift resultiert also eine – insoweit verdeckte – Gesetzeslücke. Aus diesen Überlegungen geht zugleich hervor, dass wegen des Rechtsschutzzieles des Schuldners der Lückenschluss nur über eine analoge Anwendung von § 767 Abs. 1 ZPO erfolgen kann. Wenn die ZPO in § 767 Abs. 1 ZPO gegen Endurteile und über §  795 S.  1 ZPO gegen andere Vollstreckungstitel einen Rechtsbehelf einräumt, die Vollstreckung aus dem Titel insgesamt für unzulässig zu erklären und wenn man zutreffend die Einwendungen gegen den Titel selber wertungsmäßig den Einwendungen gegen den titulierten Anspruch gleichstellt, wie sie der Wortlaut des § 767 Abs. 1 ZPO vorsieht, dann rechtfertigt das unter Beachtung des Gleichheitssatzes die analoge Anwendung des § 767 Abs. 1 ZPO. Zurecht betont der BGH insoweit zur Rechtfertigung des Analogieschlusses, etwa wegen der Unbestimmtheit des titulierten Anspruchs, der Schuldner habe ein schutzwürdiges Interesse daran, dass die Vollstreckungsfähigkeit eines solchen Titels beseitigt wird und der Gläubiger diesen nicht beliebig „in Reserve halten“ könne.49 Der in der älteren BGH-Rechtsprechung gezogene Umkehrschluss aus §  768 ZPO, wonach ein Nebeneinander von Klauselerinnerung und Vollstreckungsgegenklage nur in den ausdrücklich dort genannten Ausnahmefällen zuzulas-

45 BGH v. 18.11.1992 – IX ZR 244/92, MDR 1994, 1040, 1041. 46 Zweifelnd an der Notwendigkeit einer Titelklage nach § 767 Abs. 1 ZPO analog daher Wolfsteiner, MittBayNot 2016, 173 f.; ebenso auch die ältere, langjährige Rechtsprechung vgl. BGH v. 21.5.1987 – VII ZR 210/82, MDR 1988, 136 f. m.N. 47 BGH v. 19.12.2014 – V ZR 82/13, NJW 2015, 1181, 1182. 48 Wolfsteiner, MittBayNot 2016, 173. 49 BGH v. 18.11.1993 – IX ZR 244/92, MDR 1994, 1040, 1041.

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sen sei,50 überzeugt dagegen nicht; der Schutz des Schuldners spricht für die Analogie zu § 767 Abs. 1 ZPO. Kein Problem der Analogie stellt dann allerdings die Frage dar, ob die Geltendmachung der nunmehr zugelassenen Einwendung der Unwirksamkeit oder der geminderten Wirksamkeit des Titels gegenüber den in § 767 Abs. 1 ZPO schon dem Wortlaut nach angeordneten Einwendungen gegen den titulierten Anspruch einen eigenen Streitgegenstand bildet. Diese Frage ist unabhängig von der Analogie eine solche des Streitgegenstands der Vollstreckungsgegenklage. Soweit sich der BGH hierzu in seinen Urteilen zur Titelgegenklage explizit geäußert hat, bildet nach seiner Auffassung die „Wirksamkeit des Titels“ den Streitgegenstand dieser Klage.51 Diese Beschränkung auf einen eher punktuellen Aspekt des Klageinhalts wirkt wenig überzeugend. Der Antrag im Fall einer Titelklage stellt sich als derselbe dar wie der einer herkömmlichen Vollstreckungsgegenklage. Dieser richtet sich darauf, die Vollstreckung aus dem angegriffenen Titel für unzulässig zu erklären.52 Für die Vollstreckungsgegenklage nach § 767 Abs. 1 ZPO wird deswegen – auch vom BGH – umfassender formuliert, die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung wegen des titulierten Anspruchs stelle den Streitgegenstand dar.53 Es ist daher bedauerlich, dass die Rechtsprechung noch nicht die Gelegenheit genutzt hat, ihre These eines eigenständigen Streitgegenstands der Titelgegenklage eingehender zu begründen.54 Bemerkenswert ist nämlich, dass der BGH die Notwendigkeit der Rechtsfortbildung zur Titelgegenklage in Analogie zu § 767 Abs. 1 ZPO bei der Abgrenzung zur Klauselerinnerung nach § 732 Abs. 1 ZPO mit der Überlegung begründet hat, nur durch die Zulassung einer Gestaltungsklage analog § 767 Abs. 1 ZPO könne es der Schuldner erreichen, eine rechtskräftige Entscheidung über die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung zu erlangen.55 Gerade mit dieser Formulierung greift der BGH aber dieselbe auf, die er auch zur Definition des Streitgegenstands der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 Abs. 1 ZPO verwendet.56 Dafür, dass der Streitgegenstand bei der Vollstreckungsgegenklage eher weit und damit im Ergebnis auch die Titelklage umfassend begriffen werden sollte, spricht zudem der Rechtsgedanke des § 767 Abs. 3 ZPO, also einer Vorschrift, die – wie dargelegt – auch für die Titelgegenklage anwendbar ist. Denn diese Bestimmung verfolgt das Ziel der Verfahrenskonzentration; daher muss der Schuldner in der Klage alle 50 Vgl. BGH v. 21.5.1987 – VII ZR 210/82, MDR 1988, 136 f. m.N.; dagegen insbesondere bereits Rieble/Rumler, MDR 1989, 499, 500. 51 BGH v. 15.12.2003 – II ZR 358/01, ZIP 2004, 356, 358. 52 Vgl. Vorwerk/Wiemer, Prozessformularbuch, 11. Aufl. 2019, Kap. 63 M.63.1, G. Vollkommer in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, Einl. Rz. 81 und zur Titelgegenklage etwa BGH v. 19.12.2014 – V ZR 82/13, NJW 2015, 1181, 1182.  53 BGH v. 18.10.2016 – XI ZR 145/14, ZIP 2016, 2408, 2412; Karsten Schmidt in FS 50 Jahre BGH, 2000, Bd. 3, 491, 493; Herget in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 767 ZPO Rz 1. 54 BGH v. 14.5.1992 – VII ZR 204/90, MDR 1992, 902; BGH v. 18.11.1993 – IX ZR 244/92, MDR 1994, 1040, 1041. 55 BGH v. 18.11.1993 – IX ZR 244/92, MDR 1994, 1040, 1041; BGH v. 19.12.2014 – V ZR 82/13, NJW 2015, 1181, 1182; kritisch zu dieser Sicht Wolfsteiner, MittBayNot 2016, 173, weil bei einer stattgebenden Entscheidung auf Dauer ausgeschlossen sei, dass eine neue Klausel erteilt wird und aus ihr vollstreckt werden kann. 56 Zuletzt BGH v. 18.10.2016 – XI ZR 145/14, ZIP 2016, 2408, 2412.

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Einwendungen geltend machen, zu deren Erhebung er imstande ist.57 Dem Gedanken dieser Zielsetzung widerspricht es, einer Titelgegenklage einen eigenständigen Streitgegenstand beizumessen. Es leuchtet nach alldem nicht ein, für die Titelgegenklage von einem anderen Streitgegenstand auszugehen als bei der gesetzlich geregelten Vollstreckungsgegenklage.58

V. Fazit Die Frage, ob die Titelgegenklage eine geglückte Rechtsfortbildung auf dem Gebiet des Prozessrechts darstellt, ist zu bejahen. Auch wenn der gewählte Name für das Institut treffend sein mag, kann er allerdings die Vorstellung verstärken, es müsse sich hier um einen ganz eigenen Rechtsbehelf in der Zwangsvollstreckung handeln und darum liege auch ein eigener Streitgegenstand im Verhältnis zur Vollstreckungsgegenklage nach § 767 Abs. 1 ZPO vor. Daran sind indes erhebliche Zweifel angebracht. Die Rechtsfortbildung in Form einer Analogie sollte nicht, wie bislang vom BGH angenommen, zu einer vom Streitgegenstand der eigentlichen Vollstreckungsgegen­ klage nach § 767 Abs. 1 ZPO unterschiedenen Klageform führen, sondern lediglich das Tatbestandsmerkmal der nach § 767 Abs. 1 ZPO zuzulassenden Einwendungen erweitern.59 Denn der Streitgegenstand von Vollstreckungsgegenklage und Titelgegenklage ist identisch. Das Interesse richtet sich auf einen für die Rechtsschutz Suchenden möglichst einfachen und unnötige Kosten vermeidenden Weg, in dem nach Möglichkeit alle Einwendungen umfassend und von Amts wegen geprüft werden können.

57 BGH v. 28.5.1991 – IX ZR 181/90, MDR 1991, 1204, 1205; Herget in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 767 ZPO Rz. 22, krit. zu dieser Deutung des § 767 Abs. 3 ZPO durch die h.M. freilich Karsten Schmidt in FS 50 Jahre BGH, 2000, Bd. 3, 491, 508 ff. 58 So wohl auch BGH v. 29.1.2015 – V ZR 93/14, juris, zum einheitlichen Gegenstand einer „Vollstreckungs- oder Titelgegenklage“, bei Rz. 8. 59 So zurecht Karsten Schmidt in FS 50 Jahre BGH, 2000, Bd. 3, 491, 517; Karsten Schmidt/ Brinkmann in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 767 ZPO Rz. 6.

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Von Formularen und Strukturen – zur Rhetorik des Prozessvortrags Inhaltsübersicht I. Ausgangspunkt II. Formularkultur 1. Der Formularbegriff 2. Formulare und Rhetorik 3. Formulare und Vertrauen 4. Formulare als Bündelung der Rechtserfahrung

III. Strukturvorgaben 1. Der Vorschlag Vorwerks 2. Struktur und Rhetorik 3. Strukturalismus 4. Struktur versus Interesse 5. Praktische Bedenken 6. Freiwillig gewählte Strukturen IV. Ergebnis

„I saw ten thousand talkers whose tongues were all broken“ Bob Dylan1

I. Ausgangspunkt Volkert Vorwerk trägt die Bürde der Verdoppelung. Wenn von dem „Vorwerk“ die Rede ist, klären nur Kontext oder Nachfrage, ob es sich um das Prozessformularbuch2 handelt oder um die Person. Wenigen juristischen Autoren ist vergönnt, auf diese Weise selbst zur Marke zu werden. Das ist in diesem Falle umso bemerkenswerter, als Formularbüchern traditionell eine gewisse Geringschätzung sicher ist. Zwar benutzt sie jeder, dies aber eher verschämt, selten durch Zitate kundbar gemacht und meist ohne wissenschaftlichen Anspruch. Diese Vorurteile sind nie so falsch wie im Falle des von Vorwerk mit straffer Führung herausgegebenen und in weiten Teilen mitverfassten Prozessformularbuchs. Der Bedeutung von Formularen für eine sachgerechte Prozessführung, und zwar gerade auch im Rahmen der Rhetorik des Prozessvortrags, sollen daher nachfolgend einige Überlegungen gewidmet werden. In jüngerer Zeit, vor allem seit dem 70. Deutschen Juristentag im Jahre 2014, befasst sich Volkert Vorwerk mit dem Appell, der traditionelle Zivilprozess müsse durch ein Strukturiertes Verfahren verbessert werden.3 Auf erste Sicht könnte man annehmen, die Befolgung klarer Strukturen diene in ähnlicher Weise wie die Verwendung sinn1 Bob Dylan, A Hard Rain’s A-Gonna Fall, zitiert nach Bob Dylan, Best of Lyrics, 1. Aufl. 2017, Hamburg. 2 Vorwerk, Das Prozessformularbuch, 11. Aufl. 2019. 3 Vorwerk, NJW 2017, 2326 ff.; vgl. auch Vorwerk in Verhandlungen zum 70. Deutschen Juristentag, Bd. II/1, 2014, 135, 136.

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voller Formulare der Rechtsdurchsetzung im Zivilprozess. Hier allerdings sind Zweifel angebracht, wie die weiteren nachstehenden Ausführungen, wiederum in Bezug gesetzt zur Rhetorik des Prozessvortrages, zeigen mögen.

II. Formularkultur 1. Der Formularbegriff Dem Begriff „Formular“ ist eigen der Bezug zur staatlichen Gewalt. Amtliche Vordrucke, die das Verwaltungshandeln vereinfachen sollen, nennt man Formulare. Diese Konnotation ist wesentliche Ursache für die Geringschätzung, die vielfach Formularbüchern entgegengebracht wird. Juristische Formularbücher versammeln indessen fast ausschließlich Formulierungsanregungen, die also nicht auf amtliche Vordrucke zurückzuführen sind, sondern, sei es im Prozessverkehr oder bei der Vertragsgestaltung, ein anregendes Gerüst für eigene Gedanken bieten sollen. Formularbücher in diesem Sinne gehören auch nach deutscher Tradition durchaus zum Bereich der Rhetorik. Schon 1483 erschien das Werk „Formulare und deutsch Rhetorica“.4 Im Jahre 1502 legte Heinrich Gessler das Werk „Formulare und tütsch rhetorica“ vor.5 Weitere Werke, die den Zusammenhang von Rhetorik und Formularen bereits im Titel tragen, folgten.6 2. Formulare und Rhetorik Die Verbindung von Formularen und Rhetorik hat einen inneren Grund. Rhetorik ist die Kunst, einen anderen Menschen von etwas zu überzeugen oder zu etwas zu überreden. Die Rhetorik des Prozessvortrags hat also das Ziel, den entscheidenden Richter zu veranlassen, den in Klage oder Rechtsverteidigung eingenommenen Standpunkt zu übernehmen. Die Kunst der Rhetorik des Prozessvortrags ist Anwaltskunst. Spätestens seit Aristoteles ist die Herstellung von Verlässlichkeit Basis erfolgreicher Rhetorik.7 Rhetorik hat also die Aufgabe, das Glaubhafte auch tatsächlich als glaubhaft erscheinen zu lassen, damit der Adressat Vertrauen fassen kann. Nach den bis heute gültigen Grundprinzipien der Rhetorik sind es drei Mittel, die Überzeugungsoder Überredungskraft erzeugen, nämlich das Argument selbst (Logos), die Person 4 Vgl. die Fachtexte-Datenbank www.Kallimachos.de (abgerufen am 7.2.2019) zum Thema „Rhetorik und Formularbücher“, betreut vom Digitalisierungszentrum der Julius-Maxi­ milians-­Universität Würzburg. 5 Vgl. die Fachtexte-Datenbank www.Kallimachos.de (abgerufen am 7.2.2019) zum Thema „Rhetorik und Formularbücher“, betreut vom Digitalisierungszentrum der Julius-Maxi­ milians-Universität Würzburg. 6 Vgl. die Fachtexte-Datenbank www.Kallimachos.de (abgerufen am 7.2.2019) zum Thema „Rhetorik und Formularbücher“, betreut vom Digitalisierungszentrum der Julius-Maxi­ milians-Universität Würzburg; z.B. Alexander Huge, Rhetorica und Formulare, 1548. 7 Joachim Knape, Allgemeine Rhetorik, 2000, S. 31 ff., 42 ff.

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des Redners (oder der vertretenen Partei), also Ethos, und die Stimmung des Hörers oder Lesers (Pathos).8 Juristische Wissenschaft und Methode präferieren Logos. Aber im Bereich juristischer Wertungen ist der Einfluss von Ethos nicht nur bei der Anwendung von Generalklauseln erforderlich. Im Rahmen der Argumentation kann Vertrauen (sowohl im Ethosbereich als auch im Pathosbereich) durch die Bezugnahme auf bewährte Praktiken helfen. Das rhetorische Ziel der Konsensstiftung kann nicht erreicht werden, wenn der Adressat zur Kenntnisnahme der Argumentation gar nicht erst veranlasst werden kann. Zur Rhetorik des Prozessvortrags gehört es also, einen möglichen Widerstand auf Richterseite zu überwinden, um das rhetorische Ziel (den Prozesserfolg) zu erreichen. Prozessrhetorik ist nicht nur mündlicher Wortgebrauch. Die Gestaltung von Schriftsätzen ist angewandte Rhetorik des Schreibens.9 3. Formulare und Vertrauen Die Verwendung von Prozessformularen bedient in diesem Sinne alle Grundelemente der Rhetorik. Logos ist angesprochen, soweit es um die in prozessrechtlichen oder materiell-rechtlichen Normen enthaltenen Vorgaben zu Gestaltung und Inhalt von Schriftsätzen geht. Unmittelbar berührt ist aber auch der Bereich des Ethos, weil die Anlehnung an bewährte Formulare nichts anderes ist als ein konkludenter Verweis auf gute Tradition, der Vertrauen schafft. Damit ist zugleich die Ebene des Pathos erreicht, weil der so vermittelte Eindruck die Geneigtheit des Lesers verstärkt, sich mit der Sache inhaltlich auseinanderzusetzen. Ein wesentlicher weiterer Umstand kommt hinzu: Die Anlehnung an Formulare (sei es zur Prozessführung oder sei es zur Vertragsgestaltung) ist in Wahrheit nichts anderes als die Fortschreibung konzentrierter Rechtserfahrung. Hier gibt es eine Verwandtschaft zum Case-Law der angloamerikanischen Rechtstradition. Inhalte und Formen, die sich (vielfach seit Jahrzehnten) im Rechtsalltag bewährt haben, und die nach den jeweils aktuellen Anforderungen fortgeschrieben werden, geraten so zur Basis gegenwärtiger Rechtsanwendung. 4. Formulare als Bündelung der Rechtserfahrung In diesem Sinne ist das Prozessformularbuch von Vorwerk eine Bündelung der Rechtserfahrung von Generationen von Richtern und Rechtsanwälten. Diese konzentrierte Rechtstradition wird von den Verfassern der einzelnen Kapitel erläutert und fortgeschrieben. Nicht etwa die Formulare, sondern die Erläuterungen zu deren Verwendung nehmen den wesentlichen Teil im Vorwerk’schen Prozessformularbuch ein. Dass diese Erläuterungen nicht nur Praxisbezug haben, sondern vielfach wissenschaftlichen Standards der Kommentierungen zum Prozessrecht mindestens ebenbürtig sind, macht die Bedeutung des Werkes aus. Der Nutzer des Formularbuchs 8 Joachim Knape, Allgemeine Rhetorik, 2000, S. 42 ff. 9 Vgl. dazu generell Gert Ueding, Rhetorik des Schreibens, 4. Aufl. 1996.

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kann auf diesen Erläuterungen aufbauen und die vorgeschlagenen Formulare für seinen jeweiligen Einzelfall nutzen. Dadurch wird Verlässlichkeit im Sinne eines rhetorischen Prozessvortrages generiert.

III. Strukturvorgaben 1. Der Vorschlag Vorwerks Vorwerk schlägt ein Strukturiertes Verfahren im Zivilprozess vor.10 Er hat Sonder­ regelungen entworfen, die neben oder anstelle der Regeln des allgemeinen Erkenntnisverfahrens Anwendung finden sollen.11 Die Anordnung des Strukturierten Ver­ fahrens soll im Ermessen des Gerichts stehen.12 Gemäß § 608 Abs. 2 Buchst. a des Vorwerk’schen ZPO-Entwurfs kann das Gericht insbesondere anordnen, „dass die Parteien die Anspruchsgrundlagen oder Einredevoraussetzungen, auf die sie sich stützen wollen, konkret nennen und den Vortrag auf diese Voraussetzungen ausrichten“.13 All dies beruht auf dem Gedanken, durch Vorschriften zur Aufbereitung der Informationen ausufernden, ungelenkten und unstrukturierten Prozessvortrag zu vermeiden und damit die Effizienz des Zivilprozesses zu verbessern.14 2. Struktur und Rhetorik Auf erste Sicht gibt es eine innere Verwandtschaft zwischen der von Vorwerk geförderten Kultur der Verwendung von Prozessformularen und dem Appell für die Einführung eines Strukturierten Verfahrens. Denn durch eine vorgegebene Strukturierung des Prozessvortrags kann die Bereitschaft des Gerichts zunehmen, die sorgfältig verortete Argumentation im Sinne des Vortrags der Partei zur Kenntnis zu nehmen. Die einmal gewählte Struktur schafft (wenngleich aufgrund eines autoritativen Aktes) Verlässlichkeit und ist also mindestens mit einer Ethos-Anmutung verbunden. Darüber hinaus ist die Pathos-Ebene berührt: Die Neigung des Gerichts, Prozessvortrag zur Kenntnis zu nehmen und effizient zu bearbeiten, kann durchaus zunehmen. Indessen gibt es zwischen den Bereichen „Prozessformulare“ und „Strukturvorgabe“ einen wesentlichen Unterschied. Die Anwendung von Prozessformularen und des in ihnen verkörperten tradierten Rechtswissens geschieht durch den jeweiligen Prozessbevollmächtigten freiwillig. Er ist in der Wahl seiner prozess-rhetorischen Mittel weitgehend frei. Kraft seiner Persönlichkeit und persönlichen Eigenart wird er in seiner Verantwortung in Schriftsätzen rhetorisch handeln. Das passt zum Anwaltsbild der freien Advokatur, wie es in §§ 1 bis 3 BRAO und in § 1 BORA niedergelegt ist.

10 Vorwerk, NJW 2017, 2326 ff. 11 Vorwerk, NJW 2017, 2326, 2327 ff. 12 Vorwerk, NJW 2017, 2326, 2327 ff. 13 Vorwerk, NJW 2017, 2326, 2328. 14 Gaier, NJW 2013, 2871, 2874; Greger, NJW-Aktuell 38/2017, 10.

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Ganz anders ist es im Strukturierten Verfahren. Hier soll das Gericht anordnen können, dass im Prozessvortrag eine an Anspruchsgrundlagen oder Einredevoraussetzungen orientierte Struktur eingehalten wird. Unabhängig davon, dass eine solche Vorgabe unpraktikabel ist, wird der Bereich der Eigenverantwortlichkeit des Rechtsanwalts empfindlich berührt. Strukturelle Vorgaben in diesem Sinne vermindern also den Ethos-Bereich anwaltlicher Gestaltungsfreiheit. Die Vorgabe von Strukturen ­blockiert zugleich ein wesentliches Element der Prozessführung im von der Parteienmaxime geprägten Verfahren. 3. Strukturalismus Um Missverständnissen vorzubeugen: Ein Strukturiertes Verfahren in diesem Sinne entspricht nicht etwa den Erkenntnissen des sprachwissenschaftlichen oder philosophischen Strukturalismus; es negiert sie sogar. Legendär ist das Kursbuch 5,15 welches sich durch die Wiedergabe von Beiträgen verschiedener Sprachwissenschaftler und Philosophen16 dem Thema Strukturalismus (insbesondere in sprachwissenschaftlicher Hinsicht) gewidmet hat. Sprachwissenschaftliche und philosophische Überlegungen des Strukturalismus befassen sich nicht mit der Frage, was aus Sprache und Erkenntnis wird, wenn Sprachverwendung durch von außen vorgegebene Strukturen domestiziert werden. Untersucht werden vom Strukturalismus vielmehr die hinter Sprache und Grammatik stehenden Strukturen.17 Der französische Philosoph Roland Barthes erweitert die sprachtheoretischen Ansätze in seinen Überlegungen zum strukturalen Menschen. Nach Roland Barthes18 nimmt der strukturale Mensch das Gegebene, zerlegt es, setzt es wieder zusammen. Das – nach Roland Barthes – Entscheidende ist, dass sich zwischen den beiden Momenten strukturalistischer Tätigkeit etwas Neues bildet, nämlich das allgemein Intelligible.19 Diese Überlegung kann für die Diskussion um Strukturfragen des Zivilprozesses fruchtbar gemacht werden. Die Prozessentscheidung durch das Gericht setzt voraus, dass auf Seiten des Gerichts der Zusammenhang der Einzelteile erkannt wird. Aus diesem Zusammenhang ergibt sich das richtige Urteil (frei nach Barthes: das Intelligible). Für die rechtliche Beurteilung eines Sachverhaltes ist es erforderlich, Verbindungen zwischen den Strukturen erkennbar werden zu lassen. Diese rhetorische Aufgabe der Prozessbevollmächtigten würde durch die Vorgabe von Strukturen durch den Richter verdeckt und vernebelt. Strukturvorgaben schaffen mit anderen Worten ein verborgenes Vorurteil, innerhalb dessen der weitere Erkenntnisprozess Schaden nehmen kann.

15 Kursbuch (Mai) 1966, Hans Magnus Enzensberger (Hrsg.). 16 Rudolph Carnap, Manfred Bierwisch, Jerry A. Fodor und Jerrold J. Katz, Claude Lévi-Strauss, Roland Barthes. 17 Bierwisch, Strukturalismus, Kursbuch 5 1966, S. 77 ff., 137 ff. 18 Barthes, Die strukturalistische Tätigkeit, Kursbuch 5, 1966, S. 191 ff. 19 Barthes, Die strukturalistische Tätigkeit, Kursbuch 5, 1966, 190 ff., 192.

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4. Struktur versus Interesse Eng verwandt mit dieser Problematik ist die Gefahr, dass Strukturvorgaben, die an Anspruchsgrundlagen orientiert werden, noch vielmehr als bisher das Positionendenken im Zivilprozess verstärken. Die nach dem Harvard-Prinzip erforderliche Aufdeckung der hinter den Positionen stehenden Interessen, deren Kenntnis insbesondere (nicht nur im Falle der Mediation) für Einigungsvorschläge Voraussetzung ist, wird erschwert. Damit ist zugleich im Sinne der Darlegungen von Barthes in Frage gestellt, dass es dem Prozessbevollmächtigten durch Prozessrhetorik überhaupt noch gelingen kann, die Verbindungen zwischen den Strukturen und damit die Interessen der Partei erkennbar werden zu lassen. 5. Praktische Bedenken Hinzu kommen praktische Bedenken: Wenn etwa im Bauprozess der Mangel eines Fensters (in einer Punktesache) einer der vielen Gegenstände ist, mag der Sachvortrag  zu diesem Fenster im Strukturierten Verfahren (oder beim Einsatz von Legal Tech) leichter wiedergefunden werden können. Aber der Mangel dieses Fensters wird für verschiedene Rechtsfragen (Abnahmefähigkeit/Gegenansprüche/Schadenersatz) rechtliche Bedeutung haben. Der Vorschlag, den Vortrag an Anspruchsgrundlagen oder Einredevoraussetzungen auszurichten (vgl. § 608 Abs. 2 Buchst. a des Entwurfs Vorwerk),20 würde also dazu führen, dass nunmehr an verschiedenen Stellen dasselbe Fenster schriftsätzlich behandelt werden muss. Die freie Möglichkeit des Prozessvortrages berücksichtigt besser die Erkenntnis, dass der Sachverhalt von den Parteien vorgetragen werden muss, während die Rechtsanwendung Sache des Gerichts ist. Weitere prozesspraktische Bedenken kommen hinzu. Schon heute ist in der Prozess­ praxis erkennbar, dass nach einem Richterwechsel ein Verfahren häufig eine ganz andere Richtung nimmt. Ein einmal mit Strukturvorgaben begonnener Zivilprozess würde also nach einem Richterwechsel möglicherweise in eine ganz andere Richtung geführt werden müssen, ohne dass die bisherigen Strukturen verwendet werden könnten. Das gilt erst recht für den Wechsel der Instanz. Mithin besteht die Gefahr, dass der Streit um Formalien den eigentlichen Streit um Inhalte überlagert.21 6. Freiwillig gewählte Strukturen Auch wenn der Vorschlag von Vorwerk für ein Strukturiertes Verfahren im Zivil­ prozess also hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung Bedenken begegnet, ist die Grundüberlegung von Vorwerk, dem Prozessvortrag eindeutigere Struktur zu geben, in jeder Hinsicht berechtigt.

20 Vorwerk, NJW 2017, 2326, 2628. 21 Hirtz, NJW 2014, 2529, 2531.

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Von Formularen und Strukturen – zur Rhetorik des Prozessvortrags

Es bedarf keiner Änderung der ZPO, um etwa dem Klägervertreter anzuraten, in umfangreichen Verfahren seinen Prozessvortrag von vorneherein zu gliedern und damit auffindbar zu machen. Dieses Postulat gilt erst recht im Rahmen eines künftig zu erwartenden digitalen Zivilprozesses. Dabei geht es nicht nur darum, dass über Legal Tech Begriffe und Sachzusammenhänge elektronisch aufgefunden und gelesen werden können. Erfahrungen mit der elektronischen Überprüfung umfangreicher Vertragswerke im Zusammenhang mit Due Diligence Verfahren belegen erhebliche Effizienzgewinne. Es gehört in diesem Rahmen zur Freiheit der Parteien und der diese Parteien vertretenden Anwälte, auf welche Art und Weise der Prozessvortrag dem Gericht präsentiert wird. Dabei ist nicht immer eine nach Anspruchsgrundlagen geordnete Darstellung vorzugswürdig. Vielfach orientieren sich, gerade in Umfangsverfahren, wesentliche Teile des Prozessvortrags an sachlichen oder faktischen Gegebenheiten, um dann auf Basis dieses Sachvortrags rechtliche Schlussfolgerungen zu ziehen. Es wäre kontraproduktiv, eine solche Art des Prozessvortrages durch Strukturvorgaben zu verhindern oder einzuschränken. Die Einhaltung freiwillig gewählter Strukturvorgaben ist Anwaltskunst und zugleich durch Logos, Ethos und Pathos gespeiste Prozessrhetorik. In diesem Sinne wird strukturierter Prozessvortrag zur Erleichterung der Entscheidungsfindung beitragen. Der Appell von Vorwerk, strukturiert vorzutragen, ist insoweit in jeder Hinsicht berechtigt. Das gilt umso mehr, als der Richter auch heute nicht machtlos ist. Die zahlreichen Möglichkeiten des Gerichts zur Prozessleitung (vgl. nur §§ 139, 141, 142, 273, 278, 356, 358a, 371, 378, 377 Abs. 3, 404a, 411 Abs. 1 ZPO), von denen viel zu wenig Gebrauch gemacht wird, sind zu nutzen. Im Rahmen dieser durch die ZPO vorgegebenen richterlichen Möglichkeiten können frühzeitige richterliche Hinweise Anregungen (Bitten) zu Strukturvorgaben enthalten, die erfahrungsgemäß gern von den Verfahrensbevollmächtigten aufgegriffen werden. Bevor dem Gericht also die Möglichkeit eingeräumt werden soll, verbindliche Strukturvorgaben zu machen, müsste praktisch geklärt werden, ob es einer solchen Möglichkeit überhaupt bedarf. Aus der Praxis sind Beschwerden darüber, dass richterliche Strukturierungsbitten oder Strukturierungsanregungen ungehört bleiben, sodass eine Möglichkeit eines Zwangsverfahrens eingeräumt werden müsste, nicht bekannt.

IV. Ergebnis Es gehört zur Anwaltskunst, Vorwerks Prozessformularbuch zu nutzen. Die mit Leben gefüllte Verwendung von Prozessformularen dient der Rhetorik des Prozessvortrags. Logos des Arguments, Ethos des Prozessvortragenden und Pathos der Prozesssitua­ tion verhindern, dass gebrochene oder gar gespaltene Zungen im Sinne des von Bob Dylan gewählten und im Eingangszitat wiedergegebenen apokalyptischen Bildes Pro169

Bernd Hirtz

zesswirklichkeit werden. Anders ist es mit der verbindlichen Vorgabe eines strukturierten Prozessvortrages, weil Logos sich vielfach gegen Strukturierung sperrt, Strukturierung die für Ethos wesentliche Eigenverantwortung behindert und die Hoffnung auf wirkmächtiges Pathos für den Prozessvortragenden, der richterlichen Vorgaben folgen muss, eine zu kleine Münze ist.

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Abschichtung von Verfahren durch Teil-, Grund- und Zwischenfeststellungsurteil Inhaltsübersicht I. Vorbemerkung II. Einleitung und Problemaufriss III. Teilurteil 1. Anspruch 2. Entscheidungsreife 3. Widerspruchsverbot a) Rechtsprechung b) Kritik c) Stellungnahme d) Lösungsansätze und Ergebnis IV. Grundurteil 1. Anspruch auf Zahlung einer Geldsumme bzw. vertretbarer Sachen 2. Der Grund des Anspruchs

3. Nach Grund und Höhe streitiger ­Anspruch 4. Entscheidungsreifer Grund 5. Hohe Wahrscheinlichkeit eines Anspruchs V. Zwischenfeststellungsklage 1. Rechtsverhältnis 2. Vorgreiflichkeit 3. Feststellungsinteresse 4. Erfordernis eines Klageantrags 5. Streitig gewordenes Rechtsverhältnis 6. Entscheidung durch Teilurteil VI. Zusammenfassung und Schluss­ betrachtung

I. Vorbemerkung Dem Jubilar gebührt großer Respekt vor allem für seine Verdienste um das deutsche Zivilverfahrensrecht. Der nachfolgende Beitrag sei ihm dankbar gewidmet. Er will als Diskussionsanregung und -fortführung verstanden sein, die von der ZPO vorgehaltenen Möglichkeiten zur Verfahrensökonomisierung in einem Teilbereich aufzuzeigen. Gleichzeitig sollen gegebene Defizite herausgearbeitet werden.

II. Einleitung und Problemaufriss Das Prozessrecht gibt in gesetzförmiger Weise vor, wie die materielle Rechtslage zu „erkennen“ und festzuhalten ist, um ggf. auch Grundlage ihrer zwangsweisen Durchsetzung – der Zwangsvollstreckung – zu sein. Im Zivilprozessrecht gilt es, den Inte­ ressen der Parteien angemessen Rechnung zu tragen und sie dort, wo sie sich widerstreiten, in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Die ZPO will (und muss) dem Gericht und den Rechtsanwälten das Handwerkszeug zur Feststellung und Durchsetzung der materiellen Rechtslage zur Verfügung stellen.1 Richtschnur hierfür muss – selbstverständlich – das Verfassungsrecht sein, soweit es Vorgaben allgemeiner Art 1 Geisler, AnwBl 2017, 1046.

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macht. Ein wesentlicher und auch zivilprozessrechtlich zu beachtender Grundsatz ist das Gebot eines wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 19 Abs. 4 GG). Den Parteien darf es nicht unzumutbar, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Art und Weise erschwert werden, eine gerichtliche Entscheidung zu erreichen. Auch der Anspruch auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) verpflichtet den Richter, das bei ihm anhängige Verfahren entsprechend zu gestalten. Die Verfahrenswirklichkeit zeigt, dass komplexe Rechtsstreitigkeiten insbesondere aus dem Bereich des Bau-, Architekten- und Ingenieurrechts nicht in angemessener Zeit abgeschlossen werden können. Die Ursachen hierfür sind vielfältig.2 Ein nicht zu unterschätzender und bislang rechtstatsächlich wenig beleuchteter Grund ist darin zu sehen, dass sich schwierige Tatsachen- und Rechtsfragen häufig nur zeitversetzt beantworten lassen; eine im Laufe des Verfahrens bereits beantwortete Tatsachen- bzw. Rechtsfrage kann durch veränderte Umstände (wie z.B. neuen Tatsachenvortrag, der nicht als verspätet zurückgewiesen werden kann; geänderte Rechtsprechung) wieder offen werden. Ggf. muss das Gericht hinsichtlich dieser Frage erneut in eine Beweisaufnahme eintreten, wodurch sich das Verfahren weiter verzögern kann. Dies gilt zumal dann, wenn im zuständigen Richter ein Wechsel eintritt, was bei länger andauernden, komplexen Verfahren und der „Pensionierungswelle“ in den kommenden Jahren eine zunehmend größer werdende Gefahr für angemessene Verfahrenslaufzeiten befürchten lässt. Der neue Richter ist an die bisherige Rechtsansicht und Beweiswürdigung des Gerichts nicht gebunden. Aussagen von Zeugen kann er nur eingeschränkt würdigen.3 Legt es ein Beklagter im Wege einer Konfliktprozessführung auf eine Prozessverschleppung an, bieten sich ihm vielfältige Möglichkeiten zur Verfahrensverzögerung. Ist jedenfalls ein Teil des Rechtsstreits zugunsten des Klägers entscheidungs- und titulierungsreif, muss er gleichwohl bis zum Verfahrensabschluss durch Endurteil auf einen vollstreckungsfähigen Titel warten. Dieser Problematik lässt sich im Wege der Abschichtung4 ausweichen, indem einzelne Streitpunkte für die Instanz frühzeitig und verbindlich für die Endentscheidung geklärt werden. Ein wünschenswerter Begleitumstand ist, dass sich verspätetes Vorbringen zu dem abzuschichtenden Streitpunkt ggf. gem. §  296 ZPO zurückweisen lässt.5 Die ZPO lässt die Parteien und das Gericht nicht gänzlich allein und bietet einen in seiner Fülle leicht unterschätzten Werkzeugkasten: –– Teilurteil (§ 301 ZPO) –– Grundurteil (304 ZPO) –– Zwischenfeststellungsurteil (§ 256 Abs. 2 ZPO) –– Vorbehaltsurteil (§ 302 ZPO) 2 Vgl. Keders/Walter, NJW 2013, 1697. 3 Vgl. BGH v. 19.12.1994 – II ZR 4/94, NJW 1995, 1292, 1293. 4 Vgl. zu dem Begriff u.a. Elzer in BeckOK-ZPO, 31. Ed. 1.12.2018, § 301 ZPO Rz. 1. 5 Für ein Grundurteil bejahend BGH v. 6.6.1979 – VIII ZR 281/78, WM 1979, 918 Tz. 51; für ein Teilurteil verneinend BGH v. 26.6.1980 – VII ZR 143/79, BGHZ 77, 309 Tz. 10.

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–– Prozesstrennung (§ 145 ZPO) –– Abschluss eines Teil- bzw. Zwischenvergleichs Von vorgenannten Möglichkeiten macht die Praxis auch nach der Erfahrung des Verfassers allerdings nur zurückhaltend Gebrauch,6 obwohl die Vorteile auf der Hand liegen. Rechtsfragen lassen sich u.U. frühzeitig klären und aufwändige Beweisaufnahmen vermeiden. Sind Teile eines Rechtstreits überzeugend entschieden, werden sich vielfach die Chancen einer vergleichsweisen Gesamtregelung vergrößern. Das häufig vorgebrachte Argument, ein Teil- oder Zwischenurteil könne den Rechtsstreit verzögern, greift nicht durch. Nach einem Teilurteil muss das Gericht das Verfahren ohne Antrag sofort weiter betreiben, soweit es nicht entschieden ist. Bei einem Grundurteil haben die Parteien es vor Rechtskraft des Grundurteils in der Hand, die Fortsetzung des Betragsverfahrens zu erreichen (vgl. § 304 Abs. 2 ZPO). Die Parteien selbst regen eine der vorgenannten Möglichkeiten der Abschichtung nahezu niemals an. Eine Ursache ist auch darin zu sehen, dass die jeweiligen Vorschriften und Voraussetzungen ein Schattendasein führen; sie werden kaum propagiert und sind wenig bekannt. ­Hinzukommt, dass die jeweiligen Zulässigkeitsvoraussetzungen eine Reihe von Fallstricken bereithalten, die die Praxis meidet.7 In jüngerer Zeit hat sich die Lehre der Problematik wieder angenommen und Teilbereiche näher beleuchtet.8 Auch in der Rechtsprechung wird versucht, die Anforderungen an Teil- und Grundurteil unter Berücksichtigung der Erfordernisse der Praxis neu zu justieren.9 Hieran gilt es anzuknüpfen. Zur Verdeutlichung soll die Problematik immer wieder in Bezug auf den praxisrelevanten Fall aufgezeigt werden, dass ein (Rest)-Werklohnanspruch bestehend aus mehreren Rechnungsposten geltend gemacht wird. Der Fokus soll auf Teil- und Grundurteil liegen; abschließend wird auf die Zwischenfeststellungsklage eingegangen.

III. Teilurteil Die bei weitem bedeutungsvollste von der ZPO vorgesehene Möglichkeit, ein Verfahren abzuschichten, ist die Entscheidung durch ein Teilurteil (§ 301 ZPO). Der Prozessstoff wird abgeschichtet und konzentriert und der Kläger erlangt ggf. vorzeitig einen Vollstreckungstitel. 6 Für das Teilurteil Elzer in BeckOK-ZPO, 31. Ed. 1.12.2018, § 301 ZPO Rz. 30; Musielak in FS Lüke, 1997, S. 562; Prütting, ZZP 1981, 103. 7 Hinzukommt, dass für das Teilurteil – von Amts wegen zu prüfende (BGH v. 23.11.2010 – XI ZR 82/08, BeckRS 2010, 30444) – schwierige Zulässigkeitsvoraussetzungen gelten und bei einem unzulässigen Teilurteil dessen Aufhebung nebst Verfahren und die Zurückverweisung der Sache droht. Eines Antrags oder der Zustimmung der Parteien hierzu bedarf es nicht. Einige Rechtsmittelgerichte nutzen diese Gelegenheit gerne, um sich eines ggf. schwierigen Verfahrens auf einfache Weise zu entledigen. 8 Vgl. u.a. Voit, NJW 2017, 203; Jurgeleit, BauR 2016, 375; Zepp, NZBau 2017, 141. 9 Vgl. OLG Stuttgart v. 14.7.2011 – 10 U 59/10, BauR 2012, 1130 Tz. 43 ff.

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1. Anspruch Nach dem Gesetzeswortlaut kommt ein Teilurteil nur bei einem Rechtstreit mit einer Klage in Betracht, –– die mehrere Ansprüche zum Gegenstand hat, –– die aus einem Anspruch mit mehreren Teilen besteht oder –– die sich einer Widerklage gegenübersieht. Seit jeher bereitet Schwierigkeiten zu bestimmen, wie ein Anspruch abzugrenzen ist von einem anderen Anspruch, was insbesondere im Hinblick auf § 301 Abs. 1 Satz 2 ZPO von Bedeutung ist, und was unter „einem von mehreren Teilen eines Anspruchs“ zu verstehen ist. Der in § 301 ZPO verwandte Begriff des Anspruchs ist nicht mate­ riell-rechtlich im Sinne von 194 BGB zu verstehen, sondern prozessrechtlich.10 Vor dem Hintergrund von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist unter dem prozessualen Anspruch das vom Kläger durch Tatbestand und behauptete Rechtsfolge bezeichnete Begehren zu verstehen.11 Die Abgrenzung des prozessualen Anspruchs von anderen prozessualen Ansprüchen, wenn Restforderungen aus werkvertraglichen Schlussrechnungen geltend gemacht werden, ist ebenso schwierig wie die Beantwortung der Frage, ob und ggf. welche Positionen einer werkvertraglichen Schlussrechnung einen eigenständigen prozessualen Anspruch bilden können. Eine griffige Definition lässt sich nicht finden. Die Rechtsprechung gebraucht die Begriffe des unselbständigen bzw. selbständigen Rechnungspostens12 ohne sich auf eine Definition festzulegen. Geht es um den Werklohnanspruch des Werkunternehmers, ist prozessualer Anspruch bei einem VOB/B-Vertrag der positive Saldo (Guthaben) aus der Schlussrechnung, soweit es um die Abrechnung der vereinbarten Leistungspositionen geht.13 Der Saldo ergibt sich bei einem Einheitspreisvertrag aus der Summe der nach Einheitspreisen zu berechnenden Leistungspositionen (Aktivposten) abzüglich der Summe etwaiger Abschlagszahlungen und unter Berücksichtigung von etwaigen Nachlässen, Gutschriften etc. Ein feststehender Bezug zwischen den einzelnen Leistungspositionen des Einheitspreisvertrags und dem Schlussrechnungssaldo fehlt; die Leistungspositionen sind lediglich unselbständige Rechnungsposten, mit Hilfe derer der Saldo errechnet wird.14 Zu diesen ge10 Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2016, § 253 ZPO Rz. 23. 11 Vgl. u.a. BGH v. 26.9.2000 – VI ZR 279/99, NJW 2001, 157: Heute herrschende prozessrechtliche Auffassung bei der Leistungsklage vom zweigliedrigen Streitgegenstand im Zivilprozess. 12 BGH v. 8.11.2017 – VII ZR 81/17, BeckRS 2017, 135529; BGH v. 1.2.1995 – XII ZR 218/94, NJW-RR 1995, 508 (betr. Vorschussanspruch); BGH v. 23.1.2003 – VII ZR 10/01, BeckRS 2003, 01666; vgl. auch BGH v. 22.10.1998 – VII ZR 167/97, NJW 1999, 417: unselbständige Aktivpositionen einer saldierten Abrechnung. 13 Vgl. § 14 Nr. 1, 16 Nr. 3 VOB/B; für einen BGB-Bauvertrag gilt entsprechendes, wenn es sich um einen Einheitspreisvertrag handelt. 14 BGH v. 22.10.1998 – VII ZR 167-97, NJW 1999, 417; OLG Köln v. 22.8.2007 – 17 U 57/06, NZBau 2007, 788.

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hören bei einem Einheitspreisvertrag nicht nur die im vertraglichen Leistungsverzeichnis vorgesehenen Positionen, sondern auch solche Leistungspositionen, die sich erst im Laufe der Durchführung des Werkvertrags ergeben wie z.B. Zusatzansprüche –– wegen Überschreitung bzw. Unterschreitung des Mengenansatzes (vgl. §  2 Nr.  3 VOB/B) –– wegen Änderungsanordnungen (vgl. §§ 1 Nr. 3, 2 Nr. 5 VOB/B) –– wegen zusätzlicher Leistungen (vgl. §§ 1 Nr. 4, 2 Nr. 6 VOB/B) –– wegen nicht vom ursprünglichen Vertrag umfasster Leistungen (vgl. §  2 Nr.  8 VOB/B) –– wegen einer Baubehinderung (vgl. § 6 Nr. 6 VOB/B) Unter „Teil eines Anspruchs“ ist ein weniger der mit dem Anspruch geltend gemachten Rechtsfolge zu verstehen. Die Frage, ob der „Teil des Anspruchs“ alleiniger Gegenstand einer Klage und eines Urteils hätte sein können, muss positiv beantwortbar sein. Insoweit drängt sich eine Parallele zur Problematik auf, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Teilklage zulässig wäre.15 Vom Ergebnis her gedacht muss über den „Teil des Anspruchs“ eine Entscheidung denkbar sein, die hinreichend bestimmt und abgrenzbar sein muss für eine Rechtskraft (§ 322 Abs. 1 ZPO). Ausgehend hiervon beantwortet sich die Frage, ob bei einer Werklohnklage mit mehreren Rechnungsposten eine Teilklage in Betracht kommt. Soweit die Rechnungs­ posten als eigenständige prozessuale Ansprüche qualifiziert werden können (selbständige Rechnungsposten), bestehen von vorneherein keine Einwände, § 301 ZPO in Betracht zu ziehen. Hinsichtlich eines unselbständigen Rechnungspostens kommt ein Teilurteil dagegen nicht in Betracht: Da es sich nur um einen Berechnungsfaktor für die Ermittlung des werkvertraglichen Schlussrechnungssaldos handelt, kann er nicht als ein (bestimmbarer) Teil des Klagebegehrens im Sinne des prozessualen Anspruchs verstanden werden.16 Wohl aber kann ein Teil des werkvertraglichen Schlussrechnungssaldos ein teilurteilsfähiger Anspruch bzw. Teilanspruch sein.17

15 Vgl. Sonntag, NZBau 2008, 361, 362/363: „Doch Teilklage und Teilurteil betreffen nur scheinbar dieselbe Art von Teilbarkeit. Bei der Zulässigkeit der Teilklage geht es um die Frage, ob ein einheitlicher Lebenssachverhalt in mehrere prozessuale Streitgegenstände aufgeteilt werden kann – demgegenüber geht es bei der Zulässigkeit eines Teilurteils um die Teilbarkeit eines einheitlichen prozessualen Streitgegenstands. Ein Teilurteil ist zulässig, wenn der Streitgegenstand teilbar ist, und ein Endurteil ergehen könnte, falls nur der Teilanspruch anhängig wäre.“ 16 Elzer in BeckOK-ZPO, 31. Ed. 1.12.2018, § 301 ZPO Rz. 5; a.A. Sonntag, NZBau 2006, 91, 92.  17 Soweit in der Rechtsprechung vereinzelt (BGH v. 19.11.2008  – VIII ZR 47/07, NJW-RR 2009, 494, 495; BGH v. 21.2.1992 – V ZR 253/90, NJW 1992, 1769) gegenteiliges anklingt, ergibt sich hieraus m.E. nichts anderes. Es hat jeweils nur noch die Höhe eines Schadensersatzsaldos im Streit gestanden. Die für teilurteilsfähig erachteten unselbständigen Rechnungsposten haben sich auch als Teil des Schadensersatzsaldos verstehen lassen.

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2. Entscheidungsreife § 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO hebt ab auf eine Entscheidungsreife gem. § 300 Abs. 1 ZPO. Soll sich das ins Auge gefasste Teilurteil auf einen von mehreren prozessualen Ansprüchen beziehen, müssen alle Tatsachen geklärt sein, die prozessual und materiell-­ rechtlich maßgeblich sind, um den einen Anspruch zuzusprechen. Geht es darum, ob ein Teil eines prozessualen Anspruchs entscheidungsreif ist (wie z.B. ein Teil aus dem Saldo einer werkvertraglichen Schlussrechnung) müssen die einzelnen unselbständigen Rechnungsposten soweit geklärt sein, dass sich der Teil berechnen lässt. Nach Aufklärung ggf. nur einiger der streitigen Rechnungsposten und unter Berücksichtigung von Abschlags- bzw. Vorauszahlungen, vereinbarten Zu- bzw. Abschlägen, Kürzungen, Verrechnungen und Gegenansprüchen muss sich ein Mindestschlussrechnungssaldo ergeben.18 Das Gericht ist dabei frei darin, in welcher Reihenfolge es die unselbständigen Rechnungsposten prüft und mit welchem Wert es die positiv geprüften in die Berechnung für das Teilurteil einfließen lässt. Es muss – anders als bei einem Grundurteil (s.u.) – nicht alle unselbständigen Rechnungsposten dem Grunde nach prüfen.19 Ebenso kann durch Teilurteil ein Teil eines prozessualen Anspruchs abgewiesen werden, wenn sich feststellen lässt, dass insoweit kein Anspruch gegeben sein kann. Ein solches Teilurteil über einen Mindestschlussrechnungssaldo entfaltet zwar Rechtskraft (§ 322 Abs. 1 ZPO) und Bindungskraft (§ 318 ZPO) für das weitere Verfahren, aber nur insoweit, als das Schlussurteil nicht hinter dem Mindestschlussrechnungssaldo zurückbleiben bzw. über den Höchstschlussrechnungssaldo hinausgehen darf. Das für das Teilurteil maßgebliche Ergebnis der Prüfung einzelner unselbständiger Rechnungsposten nimmt an der Rechtskraft nicht teil, weil es sich um bloße Urteils­ elemente handelt. Es ist grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass für das Schlussurteil einzelne unselbständige Rechnungsposten, die bei Abfassung des Teilurteils geklärt gewesen sind, wieder in Frage gestellt werden und anders beurteilt werden müssen als im Teilurteil. Vorbehaltlich einer bindenden Entscheidung durch ein Grund- oder ein Zwischenfeststellungsurteil und unabhängig von der Frage des nachfolgend zu erörternden 18 BGH v. 24.1.2008 – VII ZR 43/07, NJW 2008, 1741. 19 Vgl. BGH v. 24.1.2008 – VII ZR 43/07, NJW 2008, 1741, 1742: „Dem steht die Rechtsprechung des Senats zu den Voraussetzungen der Zulässigkeit eines Grundurteils … nicht entgegen. Die dort angestellten Erwägungen zu den Anforderungen an die Prüfung unterschiedlicher Anspruchsgrundlagen vor Erlass eines Grundurteils sind nicht auf die Prüfung der Zulässigkeit der Klage in dem Fall übertragbar, dass eine Teilforderung aus einem Schlussrechnungssaldo im Wege der Teilklage geltend gemacht wird. Die für die verschiedenen Leistungen angesetzten Beträge sind in Bezug auf den Schlussrechnungssaldo lediglich als Rechnungsposten anzusehen. Der Schlussrechnungssaldo stellt in diesem Sinne eine einheitliche Forderung dar, von der ein erstrangiger Teilbetrag ohne weiteres geltend gemacht werden kann, auch wenn in die Schlussrechnung Forderungen zum Beispiel aus Änderungsanordnungen (§§ 1 Nr. 3, 2 Nr. 5 VOB/B) oder zusätzlichen Leistungen (§§ 1 Nr. 4, 2 Nr. 6 VOB/B) eingestellt sind.“

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Widerspruchsverbots wäre mit einem solchen Teilurteil ggf. prozessökonomisch für das weitere Verfahren nicht viel gewonnen. 3. Widerspruchsverbot a) Rechtsprechung In ständiger Rechtsprechung soll ein Teilurteil unzulässig sein, wenn auf Grund der Entscheidung über den Teil des Anspruchs die Gefahr besteht, dass es bei der Entscheidung über den noch anhängigen Streitgegenstand im Schlussurteil  – auch in­ folge einer Änderung des Sach- und Streitstandes bzw. einer abweichender Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht – zu einander widersprechenden Entscheidungen kommt.20 Diese Gefahr bestehe vor allem dann, wenn der durch Teilurteil beschiedene Teilanspruch und der noch rechtshängige Restanspruch von gemeinsamen Vorfragen oder Urteilselementen abhingen,21 die mit dem Teilurteil weder in Rechtskraft erwachsen noch das Gericht nach § 318 ZPO für das weitere Verfahren binden. Eine solche Gefahr bestehe namentlich bei einer Mehrheit selbstständiger prozessualer Ansprüche, wenn zwischen den prozessual selbstständigen Ansprüchen eine ma­ teriell-rechtliche Verzahnung bestehe oder die Ansprüche prozessual in ein Abhängigkeitsverhältnis gestellt seien.22 Musielak hat – soweit ersichtlich als einziger – vertiefend versucht, das von der Rechtsprechung angenommene und nicht näher begründete Widerspruchsverbot dogmatisch aus den vom Gesetz vorgegebenen Tatbestandsmerkmalen der Entscheidungsreife und Abgrenzbarkeit der Ansprüche herzuleiten.23 b) Kritik Diese ständige Rechtsprechung ist insbesondere in jüngerer Zeit hinterfragt worden, auch weil sie wenig praxisgerecht die Möglichkeit von Teilurteilen allzu sehr beschneidet. Im ursprünglichen Gesetzeswortlaut des §  301 Abs.  1 ZPO24 hat das Widerspruchsverbot keine unmittelbare Stütze gefunden. Jurgeleit hat herausgearbeitet, dass weder Telos und Entstehungsgeschichte noch die Systematik der ZPO das von der Rechtsprechung bemühte Widerspruchsverbot begründen.25 Ein Widerspruchsverbot hinsichtlich bloßer Urteilselemente bzw. Vorfragen ist der ZPO nicht immanent; Der Gesetzgeber hat sich bewusst dazu entschieden, von der Rechtskraft (§  322 Abs.  1 ZPO) Urteilselemente bzw. Vorfragen auszunehmen,26 und damit widersprüchliche 20 Vgl. u.a. BGH v. 30.11.1999 – VI ZR 219/98, NJW 2000, 800, 801. 21 Vgl. u.a. BGH v. 21.8.2014 – VII ZR 24/12, NZBau 2014, 695. 22 Vgl. u.a. BGH v. 21.11.2017 – VI ZR 436/16, NJW 2018, 623. 23 FS Gerhard Lüke, 1997, 561. 24 Ist von mehreren in einer Klage geltend gemachten Ansprüchen nur der eine oder ist nur ein Teil eines Anspruchs oder bei erhobener Widerklage nur die Klage oder die Widerklage zur Endentscheidung reif, so hat das Gericht sie durch Endurteil (Teilurteil) zu erlassen (§ 301 ZPO in der Fassung v. 1.1.1964). 25 Jurgeleit, BauR 2016, 375, 379. 26 Vollkommer in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, Vor § 322 ZPO Rz. 30 ff.

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Entscheidungen in Kauf nehmen wollen. Für die Bindungswirkung gem. § 318 ZPO, die auch ein Teilurteil entfaltet,27 gilt entsprechendes.28 c) Stellungnahme Die Rechtsprechung muss sich in der Tat entgegenhalten lassen, dass sie eine dogmatisch überzeugende Herleitung des Widerspruchsverbots schuldig bleibt. Sie selbst lässt zudem Einschränkungen vom Widerspruchsverbot zu. Bei einer subjektiven Klagenhäufung soll ein Teilurteil für bzw. gegen nur eine Partei erlaubt sein, wenn der Rechtstreit hinsichtlich der anderen Partei infolge ihres Todes ausgesetzt (§§ 239, 246 ZPO) bzw. ihrer Insolvenz unterbrochen ist (§ 240 ZPO), soweit „ungewiss“ ist, wann dieser Teil des Rechtstreits aufgenommen wird. Insoweit wird von einer „faktischen Trennung“ des Rechtstreits gesprochen.29 Die Rechtsprechung hält das Gebot vom Widerspruchsverbot auch insofern nicht durch, als es um dieselben Prozessvoraussetzungen für Teil- und Schlussurteil geht. Die Prozessfähigkeit einer Partei z.B. muss sowohl in Bezug auf das Teilurteil geprüft werden als auch in Bezug auf das Schlussurteil. Ein Teilurteil käme denknotwendig niemals in Betracht, weil eine unterschiedliche Beurteilung nicht ausgeschlossen werden kann. Darüber sind der ZPO Widersprüche, wie sie das Widerspruchsverbot verhindern soll, nicht fremd. Die auf eine Stufenklage gemäß § 254 ZPO ergehende, zur Auskunft verurteilende Teilentscheidung erwächst weder nach § 322 Abs. 1 ZPO in materielle Rechtskraft noch bindet sie das Gericht im Sinne von § 318 ZPO, soweit in ihr bereits der Rechtsgrund des Anspruchs der Hauptsache bejaht wird.30 Die ZPO erlaubt es auch, Teilklagen in getrennten Prozessen zu erheben, was divergierende Entscheidungen ermöglicht. Schließlich eröffnen beschränkte Rechtsmittel vielfältige Möglichkeiten, dass es zu Widersprüchen zwischen der nichtangegriffenen und rechtskräftig gewordenen Teilentscheidung einerseits und der angegriffenen und durch das Rechtsmittelgericht zu entscheidenden Restentscheidung kommt.31 Letztlich kann die Rechtsprechung in dogmatischer Hinsicht für ihr Widerspruchsverbot nur den  – weichen  – Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsprechung ins Feld führen. Bei aller berechtigten Kritik darf allerdings nicht verkannt werden, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Ergänzung des § 301 Abs. 1 ZPO32 die Rechtsprechung inzident aufgegriffen und bestätigt hat. Die Rechtsprechung hatte zur Vermeidung eines Widerspruchs bei einem Teilurteil die Verbindung mit einem Grundurteil über den rest27 Musielak in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 318 ZPO Rz. 5. 28 BGH v. 21.2.1994 – II ZB 13/93, NJW 1994, 1222, 1222/1223; BGH GemSOGB, 6.2.1973 – GmS-OGB 1/72, BGHZ 60, 392, 396. 29 BGH v. 7.11.2006 – X ZR 149/04, NJW 2007, 156, 157; Jaspersen in BeckOK-ZPO, 31. Ed. 1.12.2018, § 240 ZPO Rz. 5 m.w.N. 30 BGH v. 24.5.2012 – IX ZR 168/11, BeckRS 2012, 12770 Rz. 32. 31 OLG Hamm v. 24.5.2016 – 24 U 10/14, NJW 2017, 268 Tz. 83. 32 Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen v. 30.3.2000 (BGBl. I S. 330).

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lichen Anspruch (§  304 ZPO) propagiert.33 Der Gesetzgeber hat dem durch §  301 Abs. 1 Satz 2 ZPO Rechnung getragen und damit die Rechtsprechung in den gesetzgeberischen Willen aufgenommen ohne sie in Frage zu stellen.34 Sich über diesen gesetzgeberischen Willen hinwegzusetzen, dürfte schwerlich begründbar sein. d) Lösungsansätze und Ergebnis Es stellt sich die Frage, ob und ggf. wie sich die mit dem Widerspruchsverbot ver­ bundenen Ungereimtheiten praxisgerecht auflösen lassen. Teilweise wird das Widerspruchsverbot nur hinsichtlich solcher Urteilselemente bzw. Vorfragen angenommen, die zwischen den Parteien bereits bei Erlass des Teilurteils streitig gewesen sind.35 Aber nicht nur, dass sich die Rechtsprechung m.E. noch nicht in diesem Sinne ge­ äußert hat bzw. hat anklingen lassen, diesen Weg mitzugehen, ergeben sich auch Einwände grundsätzlicher Natur. Urteilselemente bzw. Vorfragen können nicht im Sinne des Zivilprozessrechts unstreitig bzw. streitig sein (vorbehaltlich einer prozessvertraglichen Regelung z.B. in einem Teil- bzw. Zwischenvergleich), sondern nur die für sie relevanten Tatsachen. Ob Tatsachen streitig bzw. unstreitig sind, kann – vorbehaltlich zugestandener Tatsachen (§§  288, 290 ZPO)  – im Laufe des Prozesses vielfältigen Wandlungen unterliegen. Rechtshindernde Einwendungen können erst im späteren Verlauf des Prozesses relevant werden, so dass sich gar nicht sagen lässt, ob bei Erlass des Teilurteils eine Frage streitig bzw. unstreitig gewesen ist. Jurgeleit will das Widerspruchsverbot dahin modifizieren, dass ein Teilurteil hinsichtlich solcher Ansprüche bzw. Anspruchsteile erlaubt sei, die auch Gegenstand einer gesonderten Klage sein könnten. Die Gefahr des Widerspruchs zwischen Teil- und Schlussurteil sei hinzunehmen, weil die gleiche Gefahr bei mehreren Teilklagen ebenfalls gegeben sei.36 Würde man dieser Ansicht folgen, bliebe vom Widerspruchsverbot im Sinne der Rechtsprechung und Gesetzgebers nahezu nichts übrig. Selbst eine Klage auf Zahlung des Schlussrechnungssaldos bei einer Werklohnforderung lässt sich nahezu beliebig in mehrere Teilklagen aufsplitten. Nach alledem ist de lege lata ein Teilurteil betr. eines werkvertraglichen Schlussrechnungssaldos nur zulässig, wenn dem Widerspruchsverbot Rechnung getragen wird. 33 Vgl. u.a. BGH v. 26.4.1989 – IVb ZR 48/88, NJW 1989, 2821. 34 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses v. 21.2.2000 zum Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen v. 30.3.2000 (BGBl. I, S. 330): „Nicht selten kann der Erlass eines Teilurteils das Verfahren entlasten und auch die Bereitschaft der Parteien fördern, den Rechtsstreit durch eine gütliche Einigung zu beenden. Die Regelung des § 301 ZPO ermöglicht den Erlass von Teilurteilen und ist auch hinreichend flexibel. Ein Teilurteil kann allerdings nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur dann ergehen, wenn es einen quantitativen, zahlenmäßig oder auf sonstige Weise bestimmten Teil des teilbaren Streitgegenstandes unabhängig von der Entscheidung über den Rest des Anspruchs abschließend bescheidet, so dass die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen vermieden wird (z.B. BGHZ 107, 236; 108, 256). Es erscheint wenig sinnvoll, diese Voraussetzung des Teilurteils zu lockern.“ 35 Kniffka, Kompendium des Baurechts, 18. Teil Rz. 56; Sonntag, NZBau 2006, 91, 95. 36 Jurgeleit, BauR 2016, 375, 380; zust. Voit, NJW 2017, 203, 205.

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Es stellt sich die Frage nach den zivilprozessualen Möglichkeiten, den mit dem Widerspruchsverbot verbundenen Einschränkungen gerecht zu werden und Urteilselemente bzw. Vorfragen vorzeitig verbindlich zu klären. Nur wenn diese Möglichkeiten praktikabel und beherrschbar sind, kann das vom Gesetzgeber in § 301 Abs. 2 ZPO vorgesehene Regel-Ausnahme-Prinzip auf der Rechtsfolgenseite Wirkung entfalten. Zwei dieser Möglichkeiten (Grundurteil und Zwischenfeststellungsklage) sollen im Folgenden näher beleuchtet werden.

IV. Grundurteil § 304 ZPO – ggf. in Verbindung mit einem Teilurteil (§ 301 Abs. 1 Satz 2 ZPO) – erlaubt die Abschichtung eines Rechtstreits durch ein sog. Grundurteil.37 Es handelt sich um ein materiell-rechtliches Zwischenurteil,38 das hinsichtlich der Anfechtbarkeit einem Endurteil gleichsteht (§ 304 Abs. 2 ZPO) und dem notwendigerweise ein Schlussurteil (bzw. eine andere verfahrensabschließende Entscheidung bzw. Handlung) folgen muss. 1. Anspruch auf Zahlung einer Geldsumme bzw. vertretbarer Sachen § 304 Abs. 1 ZPO stellt auf den „Anspruch“ ab. Damit ist – anders als bei § 301 Abs. 1 ZPO – der materiell-rechtliche Anspruch gem. § 194 BGB gemeint, wie er sich aus dem streitgegenständlichen prozessualen Anspruch ergibt (s.o.); ist eine Klagenhäufung gegeben und sind mehrere Ansprüche streitgegenständlich, sind die Voraussetzungen des § 304 Abs. 1 ZPO für jede Klage und ihren Anspruch gesondert zu prüfen. Liegen die Voraussetzungen lediglich hinsichtlich eines Teils des Streitgegenstands vor, kann nur ein Teil-Grundurteil ergehen, wenn auch die Voraussetzungen des § 301 Abs. 1 ZPO erfüllt sind. Der Ein- und Abgrenzung des Anspruchs gem. § 304 Abs. 1 ZPO muss besonderes Augenmerk gelten. Denn dem Grundurteil muss sich entnehmen lassen, welche Ansprüche dem Grunde nach zugestanden werden;39 ein insoweit unbestimmtes Grund­ urteil entfaltet keine Wirkung für das Nachverfahren.40 Nach allg. Ansicht kann bei einem Anspruch, der sich aus mehreren Teilansprüchen zusammensetzt, ein einheitliches Grundurteil nur ergehen, wenn feststeht, dass jeder der Teilansprüche dem Grunde nach gerechtfertigt ist.41 Der auf eine werkvertragliche Schlussrechnung gestützte Anspruch umfasst alle unselbständigen Rechnungsposten, die sich aus dem streitgegenständlichen Werkver37 BGH v. 26.6.1980 – VII ZR 143/79, BGHZ 77, 306-310, Rz. 13: „Das Grundurteil schichtet den Prozessstoff ab und bewirkt einen Verfahrenseinschnitt, der es für die Instanz ausschließt, den Klageanspruch dem Grunde nach noch einmal in Frage zu stellen.“ 38 Musielak in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 304 ZPO Rz. 5. 39 BGH v. 29.7.2003 – X ZR 160/01, BauR 2003, 1884, 1884.  40 OLG Brandenburg v. 26.1.2017 – 12 U 179/15, NJW-RR 2017, 399, 400. 41 BGH v. 17.9.2015 – IX ZR 263/13, NJW 2015, 3453 Tz. 11.

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trag über ein Bauvorhaben ergeben, und ist im Sinne des § 304 ZPO als ein Anspruch zu verstehen. Zu diesem gehören bei einem Einheitspreisvertrag nicht nur die im vertraglichen Leistungsverzeichnis vorgesehenen Positionen, sondern auch solche Leistungspositionen, die sich erst im Laufe der Durchführung ergeben wie z.B. die o.g. Zusatzansprüche.42 Ein Grundurteil verbietet sich nicht bei einem Gesamtanspruch mit einzelnen unselbständigen Rechnungsposten, die unterschiedliche Anspruchsvoraussetzungen haben.43 Zwar wird bei einem Gesamtanspruch, der sich aus mehreren Einzelpositionen zusammensetzt, ein Grundurteil grundsätzlich nur für zulässig erachtet, wenn der geltend gemachte Gesamtanspruch auf demselben tatsächlichen und rechtlichen Grund beruht. Nach zutreffender Ansicht44 darf dies aber nicht dahin (miss)verstanden werden, für ein Grundurteil müssten bzgl. aller unselbständigen Rechnungsposten die gleichen Anspruchsvoraussetzungen gegeben sein.45 2. Der Grund des Anspruchs Von grundlegender Bedeutung für § 304 Abs. 1 ZPO ist die Unterscheidung zwischen Grund und Höhe des Anspruchs.46 Ein Grundurteil setzt zum einen voraus, dass nicht nur hinsichtlich der Höhe, sondern auch hinsichtlich des Grundes Streit zwischen den Parteien besteht, was sich schon aus dem Gesetzeswortlaut ergibt. Hieraus folgt die Notwendigkeit, dass sich der Rechtstreit überhaupt in eine Frage des Grundes und eine Frage des Betrages (Höhe) aufteilen lässt, anderenfalls ein Grundurteil von vorneherein ausscheiden muss.47 Zum anderen verlangt das Grundurteil nach 42 Auf die spiegelbildliche Problematik, wie der Anspruch im Sinne von § 304 Abs. 1 ZPO ab- und einzugrenzen ist, wenn ein Auftraggeber auf Zahlung von Geld gerichtete sekundäre Gewährleistungsansprüche wegen mehrerer Mängel geltend macht, ist hinzuweisen. Einiges spricht für eine differenzierte Betrachtung. Beim Anspruch wegen eines sog. großen Schadensersatzes oder bei einem Anspruch wegen eines Rücktritts handelt es sich um einen Anspruch mit ggf. mehreren unselbständigen Rechnungsposten. Wird ein Anspruch auf einen sog. kleinen Schadensersatz bzw. auf Minderung mit mehreren Mängeln begründet, könnte darauf abzustellen sein, ob sich die Mängel und damit die für sie in Betracht kommenden Ansprüche voneinander abgrenzen lassen. 43 Wohl a.A. Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2016, § 304 ZPO Fn. 148. 44 BGH v. 9.11.2006 – VII ZR 151/05, NZBau 2007, 167 Tz. 13. 45 Sonntag, NZBau 2007, 168 kritisiert unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie die sich hieraus ergebende Konsequenz: Bei größeren Bauprozessen mit einer Vielzahl von Nachträgen werde ein Grund- und mittelbar ein Teilurteil wesentlich erschwert. Der Gesetzgeber sei aufgefordert, dem Rechnung zu tragen. „Ein Teilurteil sollte … auch ergehen können, wenn dem Auftragnehmer – nach Prüfung der Gegenforderungen – auf Grund eines einzelnen Nachtrags bereits mit Sicherheit ein positiver Saldo zusteht, selbst wenn weitere Positionen der Schlussrechnung dem Grunde nach noch streitig sind.“ Diese Kritik teile ich nicht. Schon jetzt ist es erlaubt, einzelne Fragen und Streitpunkte dem Betragsverfahren zu überlassen (vgl. unter unter 4. a.E.). 46 Grundlegend Schilken, ZZP 1982, 95, 45. 47 Schwab/Gottwald in Löwe/Rosenberg, StPO, § 59 StPO Rz. 48; OLG Oldenburg, NJW 2019, 1377 betr. eine Klage auf Schadensersatz wegen Überschreitung des Kostenrahmens.

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allgemeiner Ansicht,48 dass grundsätzlich49 alle Fragen hinsichtlich des Grundes geklärt sind; denn das Nachverfahren soll auf die Höhe des Anspruchs begrenzt sein und den Grund des Anspruchs als bindend festgestellt annehmen. Beide Voraussetzungen zwingen dazu, zwischen den Fragen zum Anspruchsgrund und den Fragen zum Anspruchsbetrag zu unterscheiden. Das Gesetz spart eine nähere Konkreti­ sierung aus, welche Einzelfragen zum Anspruchsgrund gehören und welche zur ­Anspruchshöhe.50 Auch Rechtsprechung und Literatur tun sich mit einer allgemeingültigen Abgrenzungsdefinition schwer.51 Allein aus Gründen der Praktikabilität vor dem Hintergrund des der Prozessökonomie verpflichteten Charakters von § 304 ZPO auf allgemeine Abgrenzungskriterien zu verzichten und fallbezogen zu entscheiden, dürfte sich mit dem Gesetz nicht vereinbaren lassen.52 Die Rechtsprechung lässt sich allerdings vielfach von der zutreffenden Erwägung leiten, aus prozessökonomischen Gründen den Erlass eines Grundurteils zu ermöglichen bzw. zu erleichtern.53 Für die Ein- und Abgrenzung des Anspruchsgrundes muss – ausgehend vom prozessualen Anspruch – der materiell-rechtliche Anspruch in den Fokus genommen werden, der Gegenstand des prozessrechtlichen Anspruchs ist. Lässt sich der materiell-rechtliche Anspruch in einen haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden Tatbestand aufteilen, ist die Ein- und Abgrenzung nur scheinbar einfach: Zwar sind alle Umstände betr. den haftungsbegründenden Tatbestand vom Grund gem. § 304 Abs. 1 ZPO umfasst, aber ohne einen haftungsausfüllenden Tatbestand ist auch dem Grunde nach kein Anspruch gegeben. Gleiches gilt, wenn ein Anspruch aus einem Vertrag hergeleitet wird, der einen Tatbestand und eine Rechtsfolge vorsieht wie z.B. der Anspruch aus einem werkvertraglichen Schlussrechnungssaldo. Im Folgenden

48 Vgl. u.a. BGH v. 8.9.2016 – VII ZR 168/15, NJW 2017, 265 Tz. 21; BGH v. 2.10.2000 – II ZR 54/99, NJW 2001, 224. 49 Zu Ausnahmen siehe unten. 50 Zutr. Voit, NJW 2017, 203. 51 Vgl. nur RG v. 18.10.1919 – V 97/19, RGZ 97, 25, 29: „… hat den Grund des Anspruchs erschöpfend zu bestimmen, so dass für das weitere Verfahren nur noch die Entscheidung über den Betrag übrig bleibt.“; Musielak in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 304 ZPO Rz.  17: „Es müssen alle die Fragen im Grundverfahren entschieden werden, von denen nicht die Höhe des Anspruchs abhängt, und es dürfen nur solche auch für den Grund erheblichen Punkte im Grundverfahren ausgeklammert und zur Entscheidung in das Betragsverfahren verwiesen werden, die die Höhe des Anspruchs beeinflussen“; Voit, NJW 2017, 203, 204: „Da Grund und Betrag zusammengenommen eine Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch ergeben, sind alle relevanten Fragestellungen einem der beiden Begriffe zuzuordnen. Daraus wird mit Recht geschlossen, dass zum Anspruchsgrund alle Fragen gehören, die nicht den Betrag betreffen. Eine Entscheidung über einzelne Angriffs- und Verteidigungsmittel, wie hier die Verjährungseinrede, kann damit durch Grund­ urteil nicht ergehen, weil mehr als die Entscheidung über den Betrag als nicht entschieden übrigbleibt.“ 52 Musielak in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 304 ZPO Rz. 16. 53 BGH v. 3.3.2005 – III ZR 186/04, VersR 2006, 76, 79: „§ 304 ZPO entspringt prozesswirtschaftlichen Erwägungen, so dass dogmatische Gesichtspunkte bei der Auslegung der Vorschrift … bei der Auslegung der Vorschrift in den Hintergrund treten.“

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soll durch eine Katalogisierung versucht werden, sich einer praxisgerechten Problemlösung insbesondere für vertragliche Werklohnansprüche zu nähern. Der Grund des Anspruchs gem. § 304 Abs. 1 ZPO muss – selbstverständlich – nicht nur die Begründetheit der Klage zum Gegenstand haben, sondern auch deren Zulässigkeit in Gestalt ihrer zivilprozessualen Durchsetzbarkeit (sog. Sachurteils- bzw. Prozessvoraussetzungen). Fehlt es an einer Zulässigkeitsvoraussetzung, ist die Klage abweisungsreif und ein Grundurteil verbietet sich von vorneherein. Bei allen Ansprüchen gehören zunächst sämtliche rechtsbegründenden Umstände einschließlich der Fragen zur Aktiv- und Passivlegitimation zum Grund des Anspruchs.54 Weiterhin sind alle rechtshindernden Einwendungen, die den Anspruch von vorneherein nicht entstehen lassen oder wieder entfallen lassen, dem Grund zuzurechnen. Neben spezifischen individualvertraglichen Wirksamkeitsvoraussetzungen sind beispielsweise zu nennen die gesetzlich vorgesehenen Nichtigkeitsgründe betr. einen vertraglichen Anspruch wegen eines Formmangels (§  125 BGB), eines Verstoßes gegen ein Verbotsgesetz (§ 134 BGB), einer Anfechtung (§ 142 Abs. 1 BGB) oder eines Widerrufs der vertragsbegründenden Willenserklärung. Geht es um primäre Erfüllungsansprüche sind auch vertraglich vereinbarte oder vom Gesetz vorgesehene Fälligkeitsvoraussetzungen vom Grund mit umfasst wie z.B. eine ordnungsgemäße Abrechnung (§ 16 VOB/B) oder eine Abnahme (§ 640 BGB) bzw. die wesentliche Mängelfreiheit des Werks. Bei einem werkvertraglichen Schadensersatzanspruch muss auch ein etwaiges Mitverschulden dem Grund zugerechnet werden, soweit es den Anspruch in Gänze hindern kann. Gleiches muss für rechtsvernichtende Einwendungen gelten (wie z.B. Unmöglichkeit gem. §§ 275 Abs. 1, 326 BGB; Erfüllung gem. §§ 362 ff. BGB; Rücktritt gem. §§ 346 ff.). Insoweit kann sich bei Werklohnklagen das Problem stellen, wie mit der Fallkon­ stellation umzugehen ist, dass der Auftraggeber geltend macht, es sei ausgehend von seiner Berechnung des Werklohns und seinen Abschlagszahlungen keine restliche Werklohnforderung mehr offen. In diesem Fall ist es gerechtfertigt, die Fragen betr. die Erfüllungshandlung (z.B.: In welcher Höhe ist gezahlt worden oder ist an den richtigen Empfänger gezahlt worden?) dem Grundverfahren zuzuordnen, die Frage der Höhe der Restwerklohnforderung aber dem Betragsverfahren (z.B. die Frage der erbrachten und in Ansatz zu bringenden Mengen).55 Eine für Bauprozesse typische Fallkonstellation ist die, dass der Auftraggeber geltend macht, wegen Werkmängeln und sich hieraus ergebender Gewährleistungsansprüche sei kein Restwerklohnanspruch mehr gegeben. Nach der Rechtsprechung des BGH56 muss der Auftraggeber seine Gewährleistungsrechte im Wege der Aufrechnung geltend machen. Soweit kein Vorbehaltsurteil gem. § 302 ZPO in Betracht kommt, stellt 54 Allg. Ansicht; vgl. u.a. Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2016, § 304 Rz. 29 für die Sachlegitimation; zutr. Keller, JA 2007, 433, 438. 55 Diese Unterscheidung ist auch beachtlich, wenn die Parteien nur über die Höhe der tax­ mäßigen oder der üblichen Vergütung gem. § 632 Abs. 2 BGB streiten. 56 BGH v. 23.6.2005 – VII ZR 197/03, NZBau 2005, 582.

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sich die Frage, ob und inwieweit der aufgerechnete Gewährleistungsanspruch im Grundverfahren zu klären ist, weil es sich um eine rechtsvernichtende Einwendung handelt, oder im Betragsverfahren. Überwiegend wird für ein Grundurteil die Feststellung verlangt, dass die Aufrechnung den dem Grunde nach als bestehend vorausgesetzten Zahlungsanspruch nicht in voller Höhe zu Fall bringt und mit dem nötigen Grad an Wahrscheinlichkeit ein Anspruchssockel übrig bleibt.57 Unter Hinweis auf die Änderung des § 302 Abs. 1 ZPO, wonach nunmehr grundsätzlich auch bei konnexen Forderungen ein Vorbehaltsurteil erlaubt sein soll, wird auch vertreten, dass in jedem Fall die Entscheidung über die Aufrechnung dem Betragsverfahren überlassen werden könne.58 Letztgenannte Auffassung verdient Zustimmung. Die von der Rechtsprechung entwickelte Einschränkung des § 302 Abs. 1 ZPO bei konnexen Aufrechnungsforderungen59 gewinnt im Rahmen des § 304 Abs. 1 ZPO keine Bedeutung, weil keine Gefahr eines vollstreckbaren Titels droht. Zur Aufrechnung gestellte Mängelansprüche des Auftraggebers stehen einem Grundurteil danach nicht entgegen. Nach der älteren Rechtsprechung60 und Literatur61 kann sowohl die Einrede des nicht­ erfüllten Vertrages (§§ 320, 322 BGB) als auch die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts (§ 274 BGB) dem Betragsverfahren überlassen bleiben, weil der Grund des Anspruchs nicht berührt werde und sich nur die Art der Leistung ändere. Dem kann gefolgt werden, wenn sich ein Anspruch und seine grundsätzliche Durchsetzbarkeit bereits feststellen lässt. Für die Werklohnklage bedeutet dies, dass die Frage der dem Werklohnanspruch entgegengehaltenen Mängeleinrede dem Betragsverfahren überlassen werden kann. Bei Einwendungen, die eine Rechtsdurchsetzung hemmen (Einreden), handelt es sich nach hiesigem Verständnis um solche Einwendungen, die die Durchsetzung des Anspruchs dauerhaft oder jedenfalls zeitweilig in Gänze ausschließen; sie sind im Grundverfahren zu klären. Hierher gehören die Einrede der Verjährung (§ 214 BGB) bzw. Stundung (§  215 BGB) und die Mängeleinrede (§§  438 Abs.  4 Satz  2, 634a Abs.  4 Satz 2 BGB). Gleiches muss für den – von Amts wegen zu prüfenden – Einwand der Verwirkung (§ 242 BGB) gelten. 3. Nach Grund und Höhe streitiger Anspruch Ein Grundurteil darf – wie das Gesetz ausdrücklich vorgibt – nur ergehen, wenn der Anspruch nach Grund und Höhe streitig ist. Ist nur der Grund oder nur die Höhe streitig, verbietet sich ein Grundurteil. Hieraus ergibt sich die gesetzliche Lücke, dass bei einem unstreitigen Anspruchsgrund ein Teilurteil betr. eines entscheidungsreifen Teils des Rechnungssaldos ggf. nur des57 BGH v. 18.10.2017 – VII ZR 86/16, NJW 2018, 291 m.w.N.; Feskorn in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 304 Rz. 15 auch für die Verrechnung. 58 Saenger in Saenger, ZPO, 7. Aufl. 2017, § 304 Rz. 8. 59 BGH v. 24.11.2005 – VII ZR 304/04, NZBau 2006, 169. 60 Vgl. RGZ 123, 6; vgl. BGH v. 21.6.1990 – VII ZR 109/89, NJW 1990, 2384 Rz. 19. 61 Vgl. Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 32. Aufl., § 304 Rz. 39.

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halb nicht ergehen kann, weil dem Widerspruchsverbot nicht durch ein Grund­urteil Rechnung getragen werden kann.62 Sich hierüber mit einem Erst-Recht-Schluss hinwegzusetzen, dürfte sich mit dem klaren Gesetzeswortlaut nicht vereinbaren lassen. 4. Entscheidungsreifer Grund Nach ständiger Rechtsprechung müssen alle Fragen, die zum Grund des Anspruchs gehören, erledigt sein.63 Damit ist eine Entscheidungsreife gem. §  300 Abs.  1 ZPO gemeint. Hier zeigt sich, wie wichtig es ist, den Grund des Anspruchs herausgearbeitet und festgehalten zu haben. Sind mehrere selbständige Ansprüche eingeklagt, muss die Entscheidungsreife zum Grund für jeden Anspruch erfüllt sein. Alle aufgezeigten Fragen betreffend den Anspruchsgrund müssen geklärt sein. Vorbehaltlich einer gesetzlich vorgesehenen Alternative (§ 302 Abs. 1 ZPO) muss bzgl. sämtlicher Einwendungen geklärt sein, dass sie nicht durchgreifend sind. Erfasst eine Einwendung nur einen Teil des Anspruchs (z.B. eine nicht den gesamten Anspruch erfassende Verjährungseinrede), ist im Grundurteil klarzustellen, wie weit die Einwendung reicht.64 Es muss möglich sein, über den von der Einwendung umfassten Teil des Anspruchs durch klageabweisendes Teilurteil zu entscheiden, wenn im Übrigen ein Grundurteil ergeht, indem die beschränkte Reichweite der Einwendung klargestellt wird. Setzt sich ein Anspruch aus mehreren unselbständigen Rechnungsposten zusammen, kann ein Grundurteil schon dann ergehen, wenn für alle Rechnungsposten derselbe tatsächliche und rechtliche Grund maßgeblich ist und sich dieser feststellen lässt. Bei Werklohnklagen ist ein wiederkehrender Streitpunkt, ob die mit dem unselbstän­ digen Rechnungsposten geltend gemachte Leistungsposition angefallen und vergütungspflichtig ist. Für ein Grundurteil müsste für jeden dieser Rechnungsposten dieser Streitpunkt geklärt werden. Bei einer Vielzahl von Rechnungsposten in einer Schlussrechnung würde dies ein Grundurteil wesentlich erschweren. Deshalb ist es aus prozesswirtschaftlichen Gründen zuzulassen, die Frage, ob die Leistungsposition in geltend gemachter Höhe angefallen und vergütungspflichtig ist, dem Betragsverfahren zu überlassen. Insoweit kann nichts anderes gelten als bei Schadensersatzansprüchen mit einer Vielzahl von Schadenspositionen, bei denen nicht feststeht, dass hinsichtlich aller eine Kausalität gegeben ist.65 Bei einer Schlussrechnung mit unterschiedlichen unselbständigen Rechnungsposten ist für ein Grundurteil immer in Betracht zu ziehen, dass unterschiedliche Voraussetzungen für die einzelnen Rechnungsposten gelten können. Soweit für einen unselbständigen Rechnungsposten andere bzw. zusätzliche Anspruchsvoraussetzungen zum Grund maßgeblich sind, steht dies einem Grundurteil zwar nicht entgegen. Aller62 Zu Recht kritisch zur Rechtslage Schmitz, NJW 2000, 3622. 63 BGH v. 8.9.2016 – VII ZR 168/15, NJW 2017, 265 m.w.N.; OLG Hamm v. 24.5.2016 – 24 U 10/14, NJW 2017, 268, 269: „Es dürfen keine zum Rechtsgrund gehörenden Fragen offenbleiben.“ 64 BGH v. 28.5.1968 – VI ZR 37/67, NJW 1968, 2105 für die Verjährungseinrede; Musielak in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 304 Rz. 24 m.w.N. auch zur Gegenansicht. 65 Elzer in BeckOK ZPO, 28. Ed. 1.3.2018, § 304 Rz. 3 m.w.N.

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dings muss sich das Grundurteil auch zu diesen Voraussetzungen verhalten.66 Lassen sich bzgl. eines unselbständigen Rechnungspostens die Anspruchsvoraussetzungen nicht feststellen, steht das einem Grundurteil nicht entgegen. Nur ist im Grundurteil deutlich zu machen, dass der Ausspruch zum Grund diesen Rechnungsposten aus­ nimmt. Auch die diesbezügliche Entscheidung ist für das weitere Verfahren bindend.67 Wird ein unselbständiger Rechnungsposten mit alternativen Leistungspositionen begründet, darf das Grundurteil nicht unentschieden lassen, ob die eine oder andere Leistungsposition gerechtfertigt ist. Kommen konkurrierende materiell-rechtliche Anspruchsgrundlagen für ein und denselben unselbständigen Rechnungsposten in Betracht, muss nur eine zu bejahen sein, wenn sie sich in der Rechtsfolge nicht unterscheiden.68 Ist ein ziffernmäßig bestimmter Teil einer einheitlichen Forderung entscheidungsreif, soll ein Grundurteil über die Gesamtforderung nicht mehr in Betracht kommen.69 Dem kann nicht beigepflichtet werden. Dem Wortlaut und der Intention von § 304 Abs. 1 ZPO lässt sich nicht entnehmen, dass dem Tatbestandsmerkmal der Strei­tigkeit über Grund und Höhe eine teilweise Entscheidungsreife entgegenstehen soll. Zu denken ist in diesen Fällen allerdings an ein kombiniertes Teil-Grundurteil. Bei diesem ist zu beachten, dass das Teilurteil nur den Teil-Rechnungssaldo verbindlich feststellt, nicht aber die für seine Begründung herangezogenen und geprüften unselbständigen Rechnungsposten. Das Grundurteil darf sich deshalb nicht darauf beschränken, den Grund nur hinsichtlich der unselbständigen Rechnungsposten festzustellen, die für das Teilurteil nicht entscheidungserheblich gewesen sind; vielmehr muss es sich zu allen unselbständigen Rechnungsposten verhalten, die für den noch festzustellenden Gesamtschlussrechnungssaldo relevant sind. Insoweit muss eine Entscheidungsreife gegeben sein. Aus dem prozessökonomischen Charakter von §  304 Abs.  1 ZPO wird hergeleitet, dass in Ausnahmefällen einzelne anspruchsgrundrelevante Fragen offenbleiben dürfen.70 Dies erfordert es, im Urteilstenor oder jedenfalls in den Urteilsgründen genau herauszustellen, welche anspruchsgrundrelevante Frage dem Betragsverfahren vorbehalten bleiben soll.71

66 BGH v. 9.11.2006 – VII ZR 151/05, NJW-RR 2007, 305, 306. 67 Vgl. u.a. Elzer in BeckOK ZPO, 28. Ed. 1.3.2018, § 318 Rz. 43; ggf. kann sogar ein klageabweisendes Teilurteil ergehen, wenn sich sicher ermitteln lässt, dass infolge der Unbegründetheit des unselbständigen Rechnungspostens die Werklohnklage nicht in voller Höhe erfolgreich sein kann. 68 Thole in Prütting/Gehrlein, § 304 Rz. 8 m.w.N. 69 So OLG Frankfurt v. 16.9.1987 – 17 U 100/86, NJW-RR 1988, 640; Musielak in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 304 Rz. 7. 70 BGH v. 12.2.2003 – XII ZR 324/98, NZM 2003, 372, 373. 71 BGH v. 31.1.1996 – VIII ZR 243/94, NJW-RR 1996, 700, 701.

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Abschichtung von Verfahren durch Teil-, Grund- und Zwischenfeststellungsurteil

5. Hohe Wahrscheinlichkeit eines Anspruchs In ständiger Rechtsprechung72 und ihr folgend im Schrifttum73 wird für ein Grundurteil verlangt, dass der geltend gemachte Anspruch nach dem Sach- und Streitstand mit Wahrscheinlichkeit in irgendeiner Höhe gegeben ist.74 Nach zutreffender Ansicht handelt es sich nicht um ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, sondern lediglich um einen Gesichtspunkt, der im Rahmen der Ermessensentscheidung, ob der Weg über ein Grundurteil zu gehen ist, beachtlich ist.75 Inwieweit der Gesichtspunkt der Modifizierung bedarf, ist unter Heranziehung prozesswirtschaftlicher Überlegungen zu entscheiden.76 Kommt ein Vorteilsausgleich in Betracht, bedarf es der Feststellung, dass dieser die Klageforderung nicht zu Fall bringt. Bei Restwerklohnklagen wird häufig – neben den Einwendungen zum Grund – nur noch darum gestritten, ob die Werkleistung bereits mit den Abschlagszahlungen ausreichend vergütet ist. Ohne Feststellungen zur Höhe (angefallene Massen und angemessene Einheitspreise), die dem Betragsverfahren vorbehalten sind, wird sich die „Wahrscheinlichkeit“ einer Restwerklohnforderung schwerlich einschätzen lassen. Deshalb ist für ein Grundurteil bei Restwerklohnklagen entscheidend darauf abzustellen, ob die Abschichtung des Prozesses durch ein Grundurteil prozessökonomisch im Hinblick auf eine Optimierung der Verfahrenslaufzeit und des Prozessaufwands ist. Ein ausreichender Grund muss sein, dass das Grundurteil ein Teilurteil ermöglicht. Die Einschätzungsprärogative steht hierbei dem Gericht zu; ihm ist ein großzügiges grundsätzlich nicht nachprüfbares Ermessen einzuräumen.77

V. Zwischenfeststellungsklage Eine weitere Möglichkeit, einen Rechtstreit abzuschichten und auch dem o.g. Widerspruchsverbot bei der Teilklage (§ 301 ZPO) Rechnung zu tragen,78 bietet die in § 256 Abs. 2 ZPO vorgesehene Zwischenfeststellungsklage. Im Folgenden soll im Hinblick auf eine Werklohnklage aus einer Schlussrechnung mit ihren typischen Streitpunkten der Frage nachgegangen werden, ob die Zwischenfeststellungsklage ein geeignetes Werkzeug darstellt. 72 Vgl. u.a. BGH v. 9.11.2006 – VII ZR 151/05, NZBau 2007, 167, 168; BGH v. 17.9.2015 – IX ZR 263/13, NJW 2015, 3453 Rz. 11: „…, dass im Betragsverfahren voraussichtlich etwas übrig bleibt.“ 73 Vgl. u.a. Musielak in Musielak/Voit ZPO, 15.  Aufl. 2018, §  304 Rz.  16; Elzer in BeckOK ZPO, 28. Ed. 1.3.2018, § 304 Rz. 20 verortet die Frage beim Ermessen. 74 Zum Wahrscheinlichkeitsmaßstab vgl. Thole in Prütting/Gehrlein, § 304 Rz. 8 m.w.N. zur Rspr. 75 Zutr. Elzer in BeckOK ZPO, 28. Ed. 1.3.2018, § 304 Rz. 20. 76 Vgl. u.a. BGH v. 11.1.1974 – I ZR 89/72, MDR 1974, 558; BGH v. 28.6.2016 – VI ZR 559/14, NJW 2016, 3244 Rz. 26. 77 BGH, WM 1975, 141, 142. 78 BGH v. 28.11.2002 – VII ZR 270/01, NZBau 2003, 153; BGH v. 26.4.2012 – VII ZR 25/11, NJW-RR 2012, 849 Rz. 13; BGH v. 7.3.2013 – VII ZR 223/11, NZBau 2013, 300 Rz. 20.

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1. Rechtsverhältnis Der vom Gesetz verwandte Begriff des Rechtsverhältnisses in § 256 Abs. 2 ZPO deckt sich mit dem in § 256 Abs. 1 ZPO. Es muss darum gehen, ob ein Rechtsverhältnis besteht oder nicht besteht. Mit Rechtsverhältnis sind die aus einem konkreten Lebenssachverhalt entstandenen Rechtsbeziehungen von Personen zu Personen oder von Personen zu Sachen gemeint. Das Feststellungsbegehren muss sich nicht auf ein Rechtsverhältnis im Ganzen beziehen; es kann sich auch auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder auf den Umfang einer Leistungspflicht, insbesondere auch auf einen streitigen Teil des Vertragsinhalts, beschränken.79 Die Grenze ist dort zu ziehen, wo es nur noch um einzelne Streitpunkte eines Rechtsverhältnisses (wie z.B. eine Berechnungsgrundlage für einen Anspruch oder eine Tatsachenfrage) geht; sie sind nicht zwischenfeststellungsfähig.80 Allerdings kann es möglich sein, solche an sich nicht zwischenfeststellungsfähigen Streitpunkte in ein Rechtsverhältnis einzubetten. Wichtiges Beispiel hierfür ist die Frage, ob ein Werk im Wesentlichen mangelfrei und abnahmefähig ist. Der Auftraggeber kann die Frage der Abnahme dadurch zum Gegenstand einer Zwischenfeststellungswiderklage machen, indem er die Feststellung begehrt, dass der Werkunternehmer zur Beseitigung der für die Abnahmefähigkeit relevanten Mängel verpflichtet sei.81 Entsprechendes gilt für das spiegelbildliche und ebenfalls feststellungsfähige Rechtsverhältnis, dem Auftraggeber stünden keine Ansprüche auf Beseitigung von Mängeln zu, die für die Abnahmefähigkeit relevant seien.82 Auch die für die Abrechnung eines vorzeitig beendeten Werkvertrages wichtige Frage, ob eine freie Kündigung des Auftraggebers anzunehmen ist (vgl. § 649 Abs. 1 BGB; § 8 Nr. 1 VOB/B) oder eine Kündigung aus wichtigem Grund (vgl. §§ 5 Nr. 4, 8 Nr. 3 VOB/B), lässt sich zum Gegenstand einer Zwischenfeststellungsklage machen.83 Die Frage, ob sich auch einzelne unselbständige Rechnungsposten einer werkvertraglichen Schlussrechnung mit ihren Streitpunkten als ein Rechtsverhältnis verstehen lassen, haben – soweit ersichtlich – Rechtsprechung und Literatur bislang nicht beantwortet. Ich möchte die Frage nicht grundsätzlich verneinen, auch soweit der Rechnungsposten wegen seiner Unselbständigkeit nicht teilurteilsfähig ist. Hinter dem unselbständigen Rechnungsposten steht der Anspruch des Werkunternehmers gegen seinen Auftraggeber, dass der Rechnungsposten mit seiner spezifischen Berechnung beim Schlussrechnungs­ saldo zu berücksichtigen ist (z.B. dass ein Mehrvergütungsanspruch besteht). Auch

79 BGH v. 19.11.2014 – VIII ZR 79/14, NJW 2015, 873 Rz. 24 betr. die Frage einer Fälligkeit. 80 BGH v. 5.5.2011 – VII ZR 179/10, NJW 2011, 2195 Rz. 19; OLG Koblenz v. 10.7.2014 – 3 U 1415/13, NJW-RR 2014, 1212. 81 BGH v. 25.10.2007 – VII ZR 27/06, NJW-RR 2008, 262 Rz. 11. 82 Vgl. auch Siegburg, ZfBR 2000, 507, 511, der die Abnahme wegen ihrer Wirkungen selbst schon für ein „Rechtsverhältnis“ gem. § 256 ZPO ansieht. 83 BGH v. 7.3.2013 – VII ZR 223/11, NZBau 2013, 300 Rz. 19 f.: „Es wird festgestellt, dass die von der Klägerin … ausgesprochene Kündigung des Bauvertrages ihrer Rechtsnatur nach eine berechtigte Kündigung aus wichtigem Grund … ist.“; Thode, BauR 2012, 1178.

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Abschichtung von Verfahren durch Teil-, Grund- und Zwischenfeststellungsurteil

Gegenansprüche des Auftraggebers wegen einzelner Mängel können ein Rechtsverhältnis begründen. 2. Vorgreiflichkeit § 256 Abs. 2 ZPO verlangt ein Rechtsverhältnis, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits abhängt. Hieraus ergibt sich das Erfordernis der sog. Vorgreiflichkeit des Rechtsverhältnisses (Präjudizialität). Hintergrund dieses Erfordernisses ist, dass nach der Konzeption der ZPO nur der zugesprochene Leistungsbefehl in Rechtskraft erwächst bzw. die Aberkennung des geltend gemachten Anspruchs, nicht aber die tragenden Gründe. Mit § 256 Abs. 2 ZPO soll den Parteien die Möglichkeit gegeben werden, diese beschränkte Rechtskraft zu erweitern. Die Voraussetzung der Vorgreiflichkeit ist erfüllt, wenn das Rechtsverhältnis ein notwendiges Element für den in der Hauptsache erforderlichen Subsumtionsschluss ist.84 3. Feststellungsinteresse Die Vorgreiflichkeit ersetzt grundsätzlich das für eine allgemeine Feststellungsklage notwendige Interesse an einer baldigen Feststellung,85 weil das Rechtsverhältnis ohnedies zu klären ist. Gleichwohl wird allgemein verlangt, dass sich die begehrte Zwischenfeststellung auf einen Gegenstand bezieht, der über den der Rechtskraft fähigen Gegenstand des Rechtsstreits hinausgeht. Begründen lässt sich dieses Erfordernis mit dem allgemeinen Rechtsschutzinteresse.86 Für eine Zwischenfeststellungsklage wird deshalb kein Raum gesehen, wenn mit dem Urteil über die Hauptsache die Rechtsbeziehungen der Parteien erschöpfend geregelt werden.87 Im Hinblick auf den prozessökonomischen Charakter der Zwischenfeststellungsklage soll die bloße Möglichkeit ausreichen, dass das vorgreifliche Rechtsverhältnis für die Parteien über die Hauptsache hinaus Bedeutung erlangen kann.88 Danach wäre eine Zwischenfeststellungsklage allein zur sinnvollen Abschichtung eines Rechtsstreits nicht zulässig. Nach zutreffender Ansicht wird allerdings eine Zwischenfeststellungsklage für zulässig erachtet, wenn nur eine Zwischenfeststellung ­wegen des zu beachtenden Widerspruchsverbots ein Teilurteil ermöglicht. Das allgemeine Rechtschutzinteresse folgt insoweit aus der Bedeutung der Zwischenfeststellung für ein Teilurteil und das nachfolgende Schlussurteil.89 Diese Rechtsprechung ist 84 Becker-Eberhard in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 256 Rz. 85 m.w.N. 85 BGH v. 17.5.1977 – VI ZR 174/74, NJW 1977, 1637; Hager, KTS 1993, 39, 40 m.w.N. 86 Bacher in BeckOK ZPO, 28. Ed. 1.3.2018, ZPO § 256 Rz. 45. 87 BGH v. 28.9.2006  – VII ZR 247/05, NJW 2007, 82 Rz.  12; BGH v. 9.12.2015  – VIII ZR 330/12, NJOZ 2016, 1515 Rz. 34; soweit der Auftraggeber Mängelansprüche geltend macht und er dies im Wege der Aufrechnung tut, kommt eine Zwischenfeststellungsklage deshalb nicht in Betracht, weil die Entscheidung über eine Aufrechnungsforderung in Rechtskraft erwächst (vgl. § 322 Abs. 2 ZPO). 88 BGH v. 2.3.1979 – V ZR 102/76, MDR 1979, 746; BGH v. 5.5.2011 – VII ZR 179/10, NJW 2011, 2195 Rz. 21. 89 BGH v. 7.3.2013 – VII ZR 223/11, NJW 2013, 1744 Rz. 19 f.

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weiterzudenken dahin, dass einer Zwischenfeststellungsklage immer dann kein fehlendes allgemeines Rechtsschutzinteresse entgegengehalten werden kann, wenn sie den Prozess sinnvoll abschichtet und dadurch konzentriert und vereinfacht. 4. Erfordernis eines Klageantrags Die Zwischenfeststellungsklage unterliegt dem Antragserfordernis (§ 308 Abs. 1 ZPO). Die Rechtsprechung hat die Frage verneint, ob im Hauptsacheantrag als Minus ein Zwischenfeststellungsantrag enthalten ist.90 Das Gericht muss im Rahmen seiner Möglichkeiten auf eine Antragstellung hinwirken (vgl. 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Nach hier vertretener Ansicht darf das Gericht solche Sachanträge anregen, die die Möglichkeit eröffnen einen Prozess sinnvoll abzuschichten. Es geht nicht darum, eine Partei zu Lasten der anderen Partei zu begünstigen, sondern darum, einen Rechtsstreit prozessökonomisch zu gestalten. Dies liegt im Interesse beider Parteien und kann keine Befangenheit begründen.91 5. Streitig gewordenes Rechtsverhältnis Nach allg. Ansicht ist es – entgegen dem Gesetzeswortlaut – nicht zwingend, dass das Rechtsverhältnis erst im Laufe des Rechtstreits streitig geworden ist. Sind sich die Parteien schon vorprozessual uneins gewesen darüber, welche Rechte und Pflichten sich aus dem Rechtsverhältnis ergeben (z.B. ob eine gesondert in Rechnung gestellte Leistungsposition bereits von einer pauschaliert abgerechneten Leistungsposition umfasst ist), kann ebenfalls eine Zwischenfeststellungsklage erhoben werden. 6. Entscheidung durch Teilurteil Nach zutreffender Ansicht steht einem Teilurteil gem. § 301 Abs. 1 ZPO über eine beantragte Zwischenfeststellung nichts im Weg.92 Dies eröffnet die Möglichkeit, bei einer Werklohnklage einzelne Abrechnungsfragen vorab durch ein Teilurteil zu beantworten, soweit sie sich in ein Rechtsverhältnis kleiden lassen. Das o.g. Widerspruchsverbot steht nicht entgegen, weil die Zwischenfeststellung für die Endentscheidung bindend ist. Streiten die Parteien z.B. darum, ob der Werkunternehmer eine Vergütung für eine Zusatzleistung verlangen kann, lässt sich folgende Zwischenfeststellung denken: „Es wird festgestellt, dass der Werkunternehmer für die Erbringung folgender Leistung (Rechnungsposition) … ein Anspruch in Höhe von … in die Schlussrechnung einstellen darf.“

90 BGH v. 16.12.2004 – VII ZR 174/03, NZBau 2005, 163 Rz. 13 f. 91 Zurückhaltender Jurgeleit, BauR 2016, 375, 377. 92 BGH v. 17.11.2005 – IX ZR 162/04, NJW 2006, 915 Rz. 7; Bacher in BeckOK ZPO, 28. Ed. 1.3.2018, § 256 Rz. 47; einschränkend Hager, KTS 1993, 39.

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Abschichtung von Verfahren durch Teil-, Grund- und Zwischenfeststellungsurteil

VI. Zusammenfassung und Schlussbetrachtung Die von der ZPO de lege lata vorgesehenen Möglichkeiten, einen Werklohnprozess durch ein Teil-, Grund- und Zwischenfeststellungsurteil abzuschichten und dadurch fortschreitend zu konzentrieren, sind gegeben, in ihren Voraussetzungen jedoch schwierig und komplex. Im Wesentlichen gilt es folgendes zu beachten: –– Für ein Teilurteil ist das Widerspruchsverbot beachtlich. Dem Verbot kann durch ein Grund- oder Zwischenfeststellungsurteil Rechnung getragen werden. –– Ein Teilurteil ist hinsichtlich unselbständiger Rechnungsposten einer werkvertraglichen Schlussrechnung unzulässig, sondern nur hinsichtlich eines Teils des Schlussrechnungssaldos möglich. –– Das Teilurteil entfaltet keine Bindungswirkung oder Rechtskraft hinsichtlich der für die Begründung herangezogenen unselbständigen Rechnungsposten. –– Umfasst die streitgegenständliche Schlussrechnung unselbständige Rechnungsposten mit unterschiedlichen Anspruchsvoraussetzungen, muss sich das Grundurteil über diese mitverhalten und darf grundsätzlich nicht offen lassen, ob die gesonderten Voraussetzungen erfüllt sind. –– Soweit in einem Grundurteil ein unselbständiger Rechnungsposten für dem Grunde nach berechtigt oder unberechtigt erklärt worden ist, wird das Gericht hierdurch bei der Endentscheidung gebunden. –– Im Grundurteil können einzelne Streitpunkte, bei denen unklar ist, ob sie dem Grund- oder dem Betragsverfahren zuzuordnen sind, dahinstehen; dies ist im Grundurteil deutlich zu machen. –– Fragen zum Grund eines Werklohnanspruchs (Fälligkeit, Berechtigung zur Abrechnung nicht erbrachter Leistungen) oder die Berechtigung unselbständiger Rechnungsposten können Gegenstand einer Zwischenfeststellungsklage sein, über die vorab durch Teilurteil entschieden werden kann. De lege ferenda sind folgende Änderungen diskussionswürdig. –– Das für § 301 Abs. 1 ZPO geltende Widerspruchsverbot sollte entfallen. Dies könnte schon durch Streichung von § 301 Abs. 1 Satz 2 ZPO erfolgen, wenn der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck bringt, am Widerspruchsverbot nicht festhalten zu wollen. –– In § 304 Abs. 1 ZPO sollte das Erfordernis eines streitigen Grundes entfallen. –– § 256 Abs. 2 ZPO sollte um einen Satz 2 ergänzt werden: „Das Gericht kann auf eine entsprechende Antragstellung hinwirken.“

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Gerhart Kreft

Eröffnung und Schließung eines Zahlungskontos mit grundlegenden Funktionen Inhaltsübersicht I. Vorbemerkung II. Anspruch auf ein Basiskonto 1. Inhaber des Anspruchs a) Verbraucher b) Rechtmäßiger Aufenthalt in der ­Europäischen Union 2. Anspruchsgegner oder Verpflichteter a) Institut b) Vollständiges Angebot von Basisdienstleistungen I II. Abschluss eines Basiskontovertrags 1. Gegenstand eines Basiskontovertrags 2. Zustandekommen eines Basiskonto­ vertrages a) Antrag des Berechtigten b) Formular nach Anlage 3 zum ­Zahlungskontengesetz c) Angebot des Instituts als Vertrags­ antrag d) Vertragsantrag des Instituts ohne ­Antrag des Berechtigten e) Basiskontovertrag als Zahlungs­ diensterahmenvertrag 3. Entgelt a) Angemessenheit b) Vom Kontoinhaber zu erstattende Kosten c) Keine Vertragsstrafen des Konto­ inhabers d) Unwirksamkeit vereinbarter Entgelte und Kostenerstattungen oder Vertragsstrafen e) Unwirksamkeit vereinbarter Entgelte, Kostenerstattungen oder Vertrags­ strafen berührt Basiskontovertrag im Übrigen nicht 4. Ablehnung des Antrags auf Abschluss eines Basiskontovertrags

a) Allgemeine Ablehnungsvoraus­ setzungen, Unverzüglichkeit der ­Ablehnungserklärung, Unterrichtungspflichten b) Verhalten des Berechtigten beim ­Fehlen einer Unterrichtung über die Ablehnungsgründe c) Ablehnung gemäß § 35 ZKG d) Ablehnung gemäß § 36 ZKG e) Ablehnung gemäß § 37 ZKG 5. Kündigung des Basiskontovertrags durch das Institut a) Vertraglich vereinbarte Kündigung nach § 42 Abs. 2 ZKG b) Kündigung ohne Vereinbarung eines Kündigungsrechts c) Kündigungserklärung (§ 43 ZKG) 6. Kündigung des Basiskontovertrags durch den Kontoinhaber (§ 44 ZKG) a) Ordentliche und außerordentliche Kündigung b) Pflicht des Instituts zur Konto­ schließung IV. Rechtsbehelfe 1. Rechtsbehelfe des Berechtigten a) Verwaltungsverfahren wegen Ablehnung des Antrags auf Abschluss eines Basiskontovertrags, wegen nicht fristgerechter Entscheidung über den ­Antrag oder wegen nicht fristgerechter Eröffnung eines Basiskontos b) Klage gegen die Bundesanstalt vor dem Landgericht c) Klage gegen das Institut; Anrufung der zuständigen Verbraucherschlichtungsstelle d) Zur Freiheit des Berechtigten, zwischen den drei Rechtsbehelfen zu wählen

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Gerhart Kreft e) Rechtsbehelfe gegen die Vereinbarung unangemessener Entgelte und Kostenerstattungen sowie unzulässiger ­Vertragsstrafen f) Bei jedem Pflichtverstoß eines Instituts Möglichkeit der Anregung einer ­Anordnung nach § 46 Abs. 3 ZKG

2. Rechtsbehelf des Verpflichteten a) Anordnungen der Bundesanstalt zu Lasten des Verpflichteten b) Klage des Verpflichteten gegen die Bundesanstalt

I. Vorbemerkung Artikel 1 des Gesetzes vom 11.4.20161 zur Umsetzung der Richtlinie 2014/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.7.2014 über die Vergleichbarkeit von Zahlungskontoentgelten, den Wechsel von Zahlungskonten sowie den Zugang zu Zahlungskonten mit grundlegenden Funktionen,2 der sogenannten Zahlungskontenrichtlinie,3 enthält das „Gesetz über die Vergleichbarkeit von Zahlungskontoentgelten, den Wechsel von Zahlungskonten sowie den Zugang zu Zahlungskonten mit grundlegenden Funktionen (Zahlungskontengesetz – ZKG)“. Dieses Gesetz begründet einen Anspruch auf Eröffnung und Führung eines als Basiskonto bezeichneten Zahlungskontos für Verbraucher mit grundlegenden Funktionen.4 In der Gesetzesbegründung heißt es dazu:5 „Bislang sind die Vorschriften, die in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Zusammenhang mit der Führung von Zahlungskonten für Verbraucher gelten, sehr unterschiedlich bzw. nicht durchgängig an einem hohen Verbraucherstandard orientiert. Das gilt insbesondere mit Blick auf die Vergleichbarkeit von Entgelten, den Wechsel des Zahlungskontos und das Recht auf Zugang zu einem Zahlungskonto in der Europäischen Union. Dies hemmt die finan* Stand: grundsätzlich Juli 2018. 1 BGBl. I, S. 720. Abgedruckt bei Wollgarten, Kommentar zum Zahlungskontengesetz, Deutscher Sparkassenverlag Stuttgart, 2017, S.  13-42.  Das Zahlungskontengesetz wurde durch Artikel  22 Abs.  6 des Gesetzes zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie, zur Ausführung der EU-Geldtransferverordnung und zur Neuorganisation der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen v. 23.6.2017 (BGBl.  I, S.  1822; vgl. zu diesem Umsetzungsgesetz Escher-Weingart/Stief, WM 2018, 693) und durch Artikel 14 Abs. 5 des Gesetzes zur Umsetzung der Zweiten Zahlungsdiensterichtlinie v. 17.7.2017 (BGBl. I, S. 2446) geändert. 2 ABl. L 257 v. 28.8.2014, S. 214. Dazu allgemein Linardatos, WM 2015, 755 ff.; Böger in Bankrechtstag 2016, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung 38, 2017, S. 193, 199 f. 3 Vgl. BT-Drucks. 18/7204, S. 44 Abs. 1. 4 Abschnitt 5 (insbes. §§ 30, 31, 38) ZKG. Die Bezeichnung „Basiskonto“ findet sich bereits in der Empfehlung 2011/442/EU der Europäischen Kommission v. 18.7.2011 über den Zugang zu einem Konto mit grundlegenden Zahlungsfunktionen („Basiskonto“), ABl. L 190 v. 21.7.2011, S. 87. Zum Zahlungskontengesetz allgemein Conreder/Schilk, BKR 2016, 89 ff.; Herresthal, BKR 2016, 133 ff.; Artz, ZBB 2016, 191 ff.; Grote, ZInsO 2016, 1239 ff.; Gondert/ Huneke, VuR 2016, 323  ff.; Bunte in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, § 2 Rz. 33, 34; Böger, in Bankrechtstag 2016, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung 38, 2017, S. 200-203, 205-248; kritisch zum Kontrahierungszwang Held, BKR 2016, 353 ff. 5 BT-Drucks. 18/7204, S. 44 Abs. 2.

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Eröffnung und Schließung eines Zahlungskontos mit grundlegenden Funktionen zielle Mobilität der Verbraucher und führt dazu, dass das Nachfragepotenzial nach Zahlungsdiensten, die über ein Zahlungskonto abgewickelt werden, nicht ausgeschöpft wird. Insbesondere der Zugang zu Zahlungsdiensten und damit zu einem Zahlungskonto ist in Europa jedoch für alle Bürgerinnen und Bürger eine unabdingbare Voraussetzung für eine uneingeschränkte Teilhabe am wirtschaftlichen und sozialen Leben. Der Zugang zu einem Zahlungskonto für alle hat damit absolute Priorität. Bürgerinnen und Bürger ohne ein Konto sind heutzutage stärker als früher vom Binnenmarkt ausgeschlossen, da die Zahl der alltäglichen Geschäfte, die nur über Girokonten abgewickelt werden, stetig steigt. In den meisten Lebensbereichen der Europäischen Union ist die Bedeutung des reinen Bargeldverkehrs gegenüber unbaren Zahlungsweisen mittlerweile in den Hintergrund getreten. Das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts und die Entwicklung einer modernen, sozial integrativen Wirtschaft hängen immer stärker von der lückenlosen Erbringung von Zahlungsdiensten ab. Gleichwohl ist einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung der Zugang zu einem Zahlungskonto versagt, wobei zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union bei der Zahl der Kontolosen durchaus Diskrepanzen bestehen. Da diese potenziell an einem Zahlungskonto inte­ressierten Verbraucher kein solches Konto eröffnen können, weil ihnen dies entweder von den kontoführenden Instituten verwehrt wird oder weil ihnen keine passenden Zahlungsprodukte angeboten werden, wird derzeit zudem das Nachfragepotenzial nach Zahlungskontendiensten in der Europäischen Union nicht in vollem Umfang ausgeschöpft. Die unbare Abwicklung des Zahlungsverkehrs über ein eigenes Zahlungskonto ist angesichts der Erfordernisse und Usancen des Geschäfts- und Wirtschaftsverkehrs im Alltag des 21. Jahrhunderts für alle Bürgerinnen und Bürger von essentieller Bedeutung.“

Mit dem Zahlungskontengesetz wurde gegenüber der bisherigen Rechtslage ein fundamentaler Wandel vollzogen. Bis zu seinem Inkrafttreten6 gab es grundsätzlich keine Rechtspflicht von Kreditinstituten zum Abschluss von Verträgen über ein Girokonto. Allerdings bestand in Deutschland seit dem Jahr 1995 eine „freiwillige Selbstverpflichtung“ der Kreditinstitute, die von den im Zentralen Kreditausschuss (ZKA) zusammengeschlossenen Spitzenverbänden der deutschen Kreditwirtschaft und dem Bundesfinanzministerium erarbeitet und als sog. ZKA-Empfehlung zum Girokonto für jedermann im Juni 1995 in der Erkenntnis verabschiedet wurde, dass dem unbaren Zahlungsverkehr im Wirtschaftskreislauf eine besondere Bedeutung zukommt und Verbraucher, die von einem Girokonto ausgeschlossen sind, „bei der Entgegennahme von Gehaltszahlungen oder sonstigen Einkünften oder der Begleichung von Miet-, Strom-, Telefon- oder Versicherungsrechnungen in Schwierigkeiten kommen“ können „bzw. … zumindest einen Zusatzaufwand und/oder Kosten für Bareinzahlungen in Kauf nehmen“ müssen. Die Empfehlung beruhte auf der Voraussetzung, dass „gewisse unternehmerische Grenzen, wie

6 Gemäß Artikel 9 Absatz 4 des Gesetzes v. 11.4.2016 zur Umsetzung der Zahlungskontenrichtlinie (Fn. 1) grundsätzlich zwei Monate nach der Verkündung, die am 18.4.2016 mit der Ausgabe des Bundesgesetzblattes Teil I Nr. 17 stattfand (vgl. BVerfGE 34, 9, 22), also (nach §§ 186, 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Fall 1 BGB) mit Ablauf des 18.6.2016, d.h. am 19.6.2016 (Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, Einführung Rz. 25; Böger in Bankrechtstag 2016, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung 38, 2017, S. 203 f.; anders Findeisen, WM 2016, 1765: am 18.6.2016 [richtig aber Findeisen, WM 2018, 55 in einer Besprechung des Kommentars zum ZKG von Bülow/Artz]; Gondert/Huneke, VuR 2016, 323; wohl auch Kunz, die bank, Nr. 6 – Juni 2016, S. 52).

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Gerhart Kreft

–– die Freiheit eines jeden Instituts, seine bankgeschäftlichen Aktivitäten selbst zu bestimmen, –– die Freiheit der Produktgestaltung, –– der Anspruch auf ein angemessenes, möglichst kostendeckendes Leistungsentgelt sowie –– der Grundsatz der Zumutbarkeit nicht beeinträchtigt werden“.7 Die ZKA-Empfehlung hatte folgenden Wortlaut:8 „Alle Kreditinstitute, die Girokonten für alle Bevölkerungsgruppen führen, halten für jede/n Bürgerin/Bürger in ihrem jeweiligen Geschäftsgebiet auf Wunsch ein Girokonto bereit. Der Kunde erhält dadurch die Möglichkeit zur Entgegennahme von Gutschriften, zu Barein- und -auszahlungen und zur Teilnahme am Überweisungsverkehr. Überziehungen braucht das Kreditinstitut nicht zuzulassen. Jedem Institut ist es freigestellt, darüber hinausgehende Bankdienstleistungen anzubieten. Die Bereitschaft zur Kontoführung ist grundsätzlich gegeben, unabhängig von Art und Höhe der Einkünfte, z.B. Arbeitslosengeld, Sozialhilfe. Eintragungen bei der Schufa, die auf schlechte wirtschaftliche Verhältnisse des Kunden hindeuten, sind allein kein Grund, die Führung eines Girokontos zu verweigern. Das Kreditinstitut ist nicht verpflichtet, ein Girokonto für den Antragsteller zu führen, wenn dies unzumutbar ist. In diesem Fall darf die Bank auch ein bestehendes Konto kündigen. Unzumutbar ist die Eröffnung oder Fortführung einer Kontoverbindung insbesondere, wenn –– der Kunde die Leistungen des Kreditinstitutes missbraucht, insbesondere für gesetzwidrige Transaktionen, z.B. Betrug, Geldwäsche o.Ä.; –– der Kunde Falschangaben macht, die für das Vertragsverhältnis wesentlich sind; –– der Kunde Mitarbeiter oder Kunden grob belästigt oder gefährdet; –– die bezweckte Nutzung des Kontos zur Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr nicht gegeben ist, weil z.B. das Konto durch Handlungen vollstreckender Gläubiger blockiert ist oder ein Jahr lang umsatzlos geführt wird; –– nicht sichergestellt ist, dass das Institut die für die Kontoführung und -nutzung vereinbarten üblichen Entgelte erhält; –– der Kunde auch im Übrigen die Vereinbarungen nicht einhält.“

Weder aus der ZKA-Empfehlung, die später umbenannt wurde in Empfehlung der Deutschen Kreditwirtschaft zum Girokonto für jedermann, noch aus dem bisherigen

7 Vgl. Kreft in FS Graf von Westphalen, 2010, S. 415, 416 m.w.N. 8 Abgedruckt außer bei Kreft in FS Graf von Westphalen, 2010, S.  417 etwa in BT-Drucks. 15/2500, S.  8; bei Mayen in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4.  Aufl. 2011, § 47 Rz. 4.

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Eröffnung und Schließung eines Zahlungskontos mit grundlegenden Funktionen

Gesetzesrecht ließ sich ein flächendeckender Kontrahierungszwang ableiten.9 Lediglich im Sparkassenbereich gab es in mehreren Bundesländern einen gesetzlich geregelten Anspruch auf Einrichtung eines Girokontos. Ab Oktober 2012 wurde die Erklärung der Sparkassen vom 26.9.2012 zum Bürgerkonto als Grundlage für einen Kontrahierungszwang der Sparkassen angesehen.10 Im Mittelpunkt dieses Beitrags sollen wesentliche Fragen zum Anspruch auf ein ­Basiskonto nach dem Zahlungskontengesetz (Abschnitt  5 [§§  30-45]) und zu den Möglichkeiten der Durchsetzung dieses Anspruchs bei einer Weigerung des Kredit­ instituts oder einer (unberechtigten) Kündigung (Abschnitt  6 [§§  46-52]) stehen. Demgegenüber werden die Abschnitte des Zahlungskontengesetzes über Informationspflichten sowie Vergleichbarkeit der Entgelte für Zahlungskonten (Abschnitt  2 [§§ 5-19]), über Kontenwechselhilfe (Abschnitt 3 [§§ 20-26]) und über grenzüberschreitende Kontoeröffnung (Abschnitt 4 [§§ 27-29]) nicht näher behandelt.

II. Anspruch auf ein Basiskonto 1. Inhaber des Anspruchs a) Verbraucher Nach § 1 ZKG gilt das Zahlungskontengesetz, soweit hierin nicht ausdrücklich etwas anderes geregelt ist, für alle Verbraucher sowie für Zahlungsdienstleister, die auf dem Markt Zahlungskonten für Verbraucher anbieten. Der Verbraucherbegriff wird im Zahlungskontengesetz nicht definiert. Allerdings bezeichnet der Ausdruck „Verbraucher“ für die Zwecke der Zahlungskontenrichtlinie11 nach deren Artikel 2 Nr. 1 „jede natürliche Person, die zu Zwecken handelt, die nicht ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können“. Diese Umschreibung des Verbrauchers stimmt ihrem Wortlaut nach nicht ganz mit derjenigen in § 13 BGB überein. Diese Norm erhielt ihre geltende Fassung durch Artikel 1 Nr. 2 des nach seinem Artikel 15 am 13.6.2014 in Kraft getretenen Gesetzes zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie12 und zur Änderung des Gesetzes zur Rege-

9 Vgl. Kreft in FS Graf von Westphalen, 2010, S.  429  ff.; Schmieder in Schimansky/Bunte/ Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, § 47 Rz. 3, 4; Böger in Bankrechtstag 2016, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung 38, 2017, S. 207 f.; vgl. auch Bunte in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, § 2 Rz. 28-32; OLG Dresden v. 10.4.2018 – 14 U 82/16, WM 2018, 1304, 1305. 10 Dazu Schmieder in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5.  Aufl. 2017, Rz.  4.  Vgl. auch Rott, VuR 2016, 3 li. Sp.; Bunte in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, § 2 Rz. 30; Böger in Bankrechtstag 2016, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung 38, 2017, S. 208. 11 Vgl. Vorbemerkungen mit Fn. 2 und 3. 12 Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25.10.2011 über die Rechte der Verbraucher pp. (ABl. L 304 v. 22.11.2011, S.  64); fortan Verbraucherrechterichtlinie.

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lung der Wohnungsvermittlung vom 20.9.2013.13 Nach § 13 BGB neuer Fassung ist „Verbraucher … jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können.“14 Das eingefügte Wort „überwiegend“ hat zur Folge, dass eine natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft vornimmt, welches sowohl zu ihrem nicht unternehmerischen (privaten) als auch zu ihrem unternehmerischen Bereich gehört, auch dann als Verbraucher handelt, wenn der unternehmerische Bereich nicht überwiegt, wenn sich mit anderen Worten privater und unternehmerischer Bereich die Waage halten. Dies folgt aus Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6.  Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung  – Drucksache 17/12637 –, wo es „Zu Nummer 2 – neu – (§ 13)“ heißt:15 „Im Hinblick auf den Erwägungsgrund 17 der Verbraucherrechterichtlinie wird ausdrücklich klargestellt, dass es bei Verträgen, die sowohl zu gewerblichen als auch zu nichtgewerblichen Zwecken geschlossen werden (sogenannte Dual-use-Verträge), auf den überwiegenden Zweck ankommt. Schließt eine natürliche Person einen Vertrag nicht überwiegend zu gewerblichen oder selbständigen beruflichen Zwecken, handelt sie als Verbraucher.“

Diese Verbraucherdefinition liegt nach Lage der Dinge auch dem Zahlungskontengesetz zugrunde,16 obwohl das Wort „überwiegend“ in der Umschreibung des Verbrauchers in Artikel 2 Nr. 1 der Zahlungskontenrichtlinie fehlt. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass § 13 BGB der Verbraucherrechterichtlinie entspricht, obwohl auch in den Normen dieser Richtlinie das Tatbestandsmerkmal „überwiegend“ nicht enthalten ist und die Richtlinie das Vollharmonisierungsprinzip verwirklicht. Es wird jedoch zutreffend aus dem Erwägungsgrund 17 der Verbraucherrechterichtlinie17 gefolgert,18 dessen Satz 2 lautet: „Wird der Vertrag jedoch teilweise für gewerbliche und teilweise für nichtgewerbliche Zwecke abgeschlossen (Verträge mit doppeltem Zweck) und ist der gewerbliche Zweck im Gesamtzusammenhang des Vertrags nicht überwiegend, so sollte diese Person auch als Verbraucher betrachtet werden.“19

13 BGBl. I, S. 3642.  14 Zur Abgrenzung zwischen Verbraucher- und Unternehmerhandeln etwa BGH v. 27.9.2017 – VIII ZR 271/16, ZIP 2017, 2153 Rz. 39-45 m.w.N.; BGH v. 20.2.2018 – XI ZR 445/17, WM 2018, 782 Rz. 21-27. 15 BT-Drucks. 17/13951, S. 61; dazu Ellenberger in Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, § 13 BGB Rz. 1. 16 Richtig Findeisen, WM 2016, 1765, 1769; missverständlich Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 1 Rz. 6 Fn. 1.  17 Siehe Fn. 12. 18 Bülow, WM 2014, 1 unter Hinweis auf BT-Drucks. 17/13951, S. 96 (richtig: S. 61) zu IV. 19 Ähnlich heißt es in Erwägungsgrund 12 der Richtlinie 2014/17/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 4.2.2014 über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher pp. (ABl. L 60 v. 28.2.2014, S. 34).

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Zum anderen folgt die Vereinbarkeit des dem Zahlungskontengesetz zugrundeliegenden Verbraucherbegriffs von §  13 BGB mit der Zahlungskontenrichtlinie20 daraus, dass die Mitgliedstaaten nach Erwägungsgrund 11 dieser Richtlinie nicht gehindert sind, strengere Bestimmungen zum Zweck des Verbraucherschutzes beizubehalten oder zu erlassen, sofern diese Bestimmungen mit ihren Pflichten nach dem Unionsrecht und nach dieser Richtlinie übereinstimmen. Das trifft für den Verbraucherbegriff des § 13 BGB neuer Fassung zu. b) Rechtmäßiger Aufenthalt in der Europäischen Union Da das Zahlungskontengesetz gemäß § 1 ZKG für „alle“ Verbraucher gilt, kommt es auf eine besondere Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers nicht an.21 Allerdings muss es sich bei dem Verbraucher gemäß § 31 Abs. 1 Satz 2 ZKG um einen Verbraucher mit rechtmäßigem Aufenthalt in der Europäischen Union handeln. Nach dieser auf Artikel  16 Abs.  2 der Zahlungskontenrichtlinie zurückgehenden Norm ist „Berechtigter … jeder Verbraucher mit rechtmäßigem Aufenthalt in der Europäischen Union einschließlich Personen ohne festen Wohnsitz und Asylsuchende sowie Personen ohne Aufenthaltstitel, die aber aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abgeschoben werden können.“ § 2 Abs. 1 ZKG bestimmt den rechtmäßigen Aufenthalt in Anlehnung an Artikel 2 Nr. 2 der Zahlungskontenrichtlinie wie folgt, wobei § 2 Abs. 1 Satz 2 ZKG darauf beruht, dass der deutsche Gesetzgeber von der in Erwägungsgrund  36 Satz  4 der Zahlungskontenrichtlinie vorgesehenen Möglichkeit der Ausdehnung des Begriffs Gebrauch gemacht hat:22 „Rechtmäßiger Aufenthalt in der Europäischen Union ist der rechtmäßige Aufenthalt natürlicher Personen, einschließlich Personen ohne festen Wohnsitz, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union auf Grund des Unionsrechts oder auf Grund nationalen Rechts sowie der rechtmäßige Aufenthalt Asylsuchender im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.7.1951 (BGBl. II 1953, S. 560), des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31.1.1967 (BGBl. II 1969, S. 1294) und anderer einschlägiger völkerrechtlicher Verträge. Als rechtmäßiger Aufenthalt in der Europäischen Union im Sinne dieses Gesetzes gilt auch der Aufenthalt im Inland Geduldeter.“

20 Siehe Vorbemerkungen mit Fn. 2 und 3. 21 Zahlungskontenrichtlinie Erwägungsgrund  46; Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, §  30 Rz. 5. 22 Vgl. Brinkmann in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 2 Rz. 6 unter Hinweis auf § 60a des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz – AufenthG) in der Fassung der Bekanntmachung v. 25.2.2008 (BGBl. I, S. 162), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Verlängerung der Aussetzung des Familiennachzugs von subsidiär Schutzberechtigten v. 8.3.2018 (BGBl. I, S. 342). Vgl. auch Böger in Bankrechtstag 2016, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung 38, 2017, S. 209-211.

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2. Anspruchsgegner oder Verpflichteter a) Institut Normadressat und Vertragspartner des Verbrauchers beim Abschluss des Zahlungsdiensterahmenvertrags über die Führung eines Zahlungskontos für Verbraucher mit grundlegenden Funktionen (Basiskontovertrag) ist gemäß §  30 Abs.  1, 2 ZKG ein „Institut“ und damit nach der Umschreibung in § 2 Abs. 5 ZKG ein Kreditinstitut im Sinne des Artikels 4 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 über Aufsichtsanforderungen an Kredit­ institute und Wertpapierfirmen pp. (ABl. L 176 vom 27.6.2013, S. 1 u.a.).23 Danach bezeichnet der Ausdruck „‘Kreditinstitut’ ein Unternehmen, dessen Tätigkeit darin besteht, Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums entgegenzunehmen und Kredite für eigene Rechnung zu gewähren“.

Handelt es sich bei dem Institut um eine rechtlich nicht selbständige Zweigniederlassung nach § 53b Abs. 1 des Kreditwesengesetzes24 (KWG) oder um eine Zweigstelle nach § 53 KWG, ist Träger der Rechte und Pflichten des Instituts nach Abschnitt 5 ZKG gemäß § 30 Abs. 3 ZKG das Unternehmen mit Sitz im Ausland, das diese Zweig­ niederlassung oder Zweigstelle betreibt. In der Regierungsbegründung zu § 30 Abs. 3 ZKG heißt es dazu:25 „Absatz 3 trägt der Tatsache Rechnung, dass auch einzelne Zweigniederlassungen nach § 53b Absatz 1 KWG oder Zweigstellen nach § 53 KWG Zahlungsdienste und die Führung von Girokonten in Deutschland anbieten. Es gibt deshalb keinen Grund, diese Institute aus dem Anwendungsbereich der §§ 30 ff. auszunehmen. Zweigstellen werden durch die im KWG insoweit vorgenommene Fiktion aufsichtsrechtlich verselbständigt, wodurch der rechtliche Anwendungsbereich des KWG ausgedehnt wird, obwohl es sich um rechtlich unselbständige Zweigstellen von ausländischen Unternehmen handelt. Für die überwiegend zivilrechtlichen Verpflichtungen des Instituts nach diesem Gesetz gilt dies jedoch nicht, so dass nach dieser Regelung klarzustellen ist, dass gegenüber dem Berechtigten der Verpflichtete und Träger von Rechten und Pflichten aus dem Basiskontovertrag das Unternehmen mit Sitz im Ausland ist. Gleiches gilt für die in Deutschland tätige Zweigniederlassung nach § 53b KWG, soweit diese rechtlich unselbständig ist.“

b) Vollständiges Angebot von Basisdienstleistungen Der Begriff „Institut“ wird in Abschnitt 5 (§§ 30-45) ZKG verwendet, um den Kreis der Verpflichteten bei einem Basiskonto festzulegen und gegenüber dem Begriff Zah-

23 Geändert durch die Delegierte Verordnung (EU) 2015/62 (ABl. L 11 v. 17.1.2015, S. 37). 24 Gesetz über das Kreditwesen in der Fassung der Bekanntmachung v. 9.9.1998 (BGBl.  I, S. 2776), zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes zur Umsetzung der Zweiten Zahlungsdiensterichtlinie v. 17.7.2017 (vgl. Fn. 1). 25 BT-Drucks. 18/7204, S. 75.

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lungsdienstleister26 einzuschränken.27 Die Verpflichtung soll nicht sämtliche Zahlungsdienstleister treffen, sondern nur diejenigen, bei denen im Interesse der Verbraucher ein vollständiges Angebot von Basisdienstleistungen gesichert ist.28 Das sind Kreditinstitute im Sinn von § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Zahlungsdiensteaufsichtsgesetzes alter und neuer Fassung,29 mithin private Banken, Sparkassen und Kreditgenossenschaften; Zahlungsdienstleister im Sinn von § 1 Abs. 1 Nr. 2-5 ZAG a.F. und n.F. gehören nicht dazu.30 Von der in Artikel 1 Abs. 4 Satz 2 der Zahlungskontenrichtlinie eingeräumten Möglichkeit, die Bestimmungen über den Zugang zu Basiskonten auch

26 Im Sinne des Artikels 4 Nr. 9 der Richtlinie 2007/64/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13.11.2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt pp. (ABl. L 319 v. 5.12.2007, S. 1 u.a.) – Zahlungsdiensterichtlinie –, die durch die Richtlinie 2009/111/EG (ABl. L 302 v. 17.11.2009, S. 97) geändert worden ist (vgl. § 2 Abs. 3 in Verb. mit Abs. 2 ZKG). In § 1 Abs. 1 Nr. 1 des in Artikel 1 des der Umsetzung der aufsichtsrechtlichen Vorschriften dieser Richtlinie dienenden Gesetzes über die Beaufsichtigung von Zahlungsdiensten (Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz – ZAG) v. 25.6.2009 (BGBl. I, S. 1506), zuletzt geändert durch Artikel 18 des Gesetzes v. 23.6.2017 (BGBl. I, S. 1822; vgl. Fn. 1), hieß es: „§ 1 Begriffsbestimmungen; Ausnahmen für bestimmte Zahlungsinstitute (1) Zahlungsdienstleister sind: 1. die Kreditinstitute im Sinne des Artikels 4 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.6.2013 über Aufsichtsanforderungen an Kredit­ institute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr.  646/2012 (ABl. L v. 27.6.2013, S. 1), die im Inland zum Geschäftsbetrieb berechtigt sind“. Die Zahlungsdiensterichtlinie 2007/64/EG wurde durch die Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25.11.2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/65/EG, 2009/110/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2007/64/EG – sog. Zweite Zahlungsdiensterichtlinie (Payment Services Directive II – PSD2; dazu allgemein Böger in Bankrechtstag 2016, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung 38, 2017, S. 248-296; Omlor, WM 2018, 57 ff.) – aufgehoben (ABl. L 337 v. 23.12.2015, S.35; L 169 v. 28.6.2016, S.18). In § 1 Abs. 1 Nr. 1 des in Artikel 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Zweiten Zahlungsdiensterichtlinie v. 17.7.2017 (vgl. Fn. 1) enthaltenen, gemäß Artikel 15 Abs. 4 Satz 1 dieses Umsetzungsgesetzes grundsätzlich am 13.1.2018 in Kraft getretenen Gesetzes über die Beaufsichtigung von Zahlungsdiensten (Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz – ZAG) – künftig Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz neuer Fassung oder ZAG n.F. – heißt es: „§ 1 Begriffsbestimmungen (1) Zahlungsdienstleister sind 1. Unternehmen, die gewerbsmäßig oder in einem Umfang, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, Zahlungsdienste erbringen ohne Zahlungsdienstleister im Sinn der Nummern 2 bis 5 zu sein (Zahlungsinstitute)“. Nach Artikel 15 Abs. 4 Satz 2 des Umsetzungsgesetzes v. 17.7.2017 trat das Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz alter Fassung mit dem Inkrafttreten des Zahlungsdiensteaufsichtsgesetzes neuer Fassung am 13.1.2018 außer Kraft. 27 BT-Drucks. 18/7204, S. 75; Brinkmann in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 2 Rz. 23; Findeisen, WM 2016, 1765, 1769; Böger in Bankrechtstag 2016, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung 38, 2017, S. 211 f.; vgl. auch Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 30 Rz. 9. 28 Brinkmann in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 2 Rz. 23. 29 Vgl. Fn. 26. 30 Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 30 Rz. 9.

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auf sonstige Zahlungsdienstleister anzuwenden, die keine Kreditinstitute sind, hat der Gesetzgeber im Interesse des Verbrauchers bewusst keinen Gebrauch gemacht.31

III. Abschluss eines Basiskontovertrags 1. Gegenstand eines Basiskontovertrags Ein Zahlungskonto mit grundlegenden Funktionen (Basiskonto) erfüllt nach §  30 Abs. 2 ZKG folgende Kriterien: „1. mit ihm wird mindestens die Erbringung von Zahlungsdiensten im Sinne des § 38 Absatz 2 Nummer 1 und 2 ermöglicht und 2. es wird auf Grund eines Basiskontovertrags geführt, der a) vom Kontoinhaber auf Grund der Geltendmachung eines Anspruchs auf Abschluss eines Basiskontovertrags mit dem nach § 31 Absatz 1 Satz 1 Verpflichteten geschlossen worden ist oder b) zwischen dem Kontoinhaber und dem kontoführenden Institut in anderer als in Buchstabe a bezeichneter Weise auf Grund eines angebotenen Zahlungsdiensterahmenvertrags über die Führung eines Basiskontos bei ausdrücklicher Bezeichnung des Zahlungskontos als Basiskonto geschlossen worden ist.“

Als Zahlungskonto unterfiel das Basiskonto der Definition in §  1 Abs.  3 ZAG  a.F. ­Diese lautete: „Ein Zahlungskonto ist ein auf den Namen eines oder mehrerer Zahlungsdienstnutzer lautendes und der Ausführung von Zahlungsvorgängen dienendes Konto, das die Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen dem Zahlungsdienstnutzer und dem Zahlungsdienstleister innerhalb der Geschäftsbeziehung buch- und rechnungsmäßig darstellt und für den Zahlungsdienstnutzer dessen jeweilige Forderung gegenüber dem Zahlungsdienstleister bestimmt.“

§ 1 Abs. 17 ZAG n.F. (s.o. Fn. 26) definiert etwas knapper, ohne jedoch in der Sache abzuweichen: „Zahlungskonto ist ein auf den Namen eines oder mehrerer Zahlungsdienstnutzer lautendes Konto, das für die Ausführung von Zahlungsdiensten genutzt wird.“

Das Basiskonto ist mithin ein laufendes Konto oder Kontokorrentkonto (vgl. § 355 HGB), das mindestens die in § 38 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZKG aufgeführten Zahlungsdienste ohne Kreditgeschäft zu ermöglichen hat, d.h. Bareinzahlungen und -auszahlungen sowie alle für die Führung eines Zahlungskontos erforderlichen Vorgänge (Nr. 1) und die Ausführung von Zahlungsvorgängen durch die Ausführung von Lastschriften, von Überweisungen einschließlich Daueraufträgen und von Zahlungsvorgängen mittels einer Zahlungskarte oder eines ähnlichen Zahlungsinstruments (Nr. 2). Gemäß § 38 Abs. 3 ZKG sind Barauszahlungen innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums an Schaltern und an Geldautomaten zu ermöglichen; Zahlungs31 BT-Drucks. 18/7204, S. 75.

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dienste nach Abs. 2 Nr. 2 sind auch dann zu ermöglichen, wenn der Zahlungsdienstleister des Destinatärs oder des an den Kontoinhaber Zahlenden seinen Sitz nicht im Geltungsbereich des Zahlungskontengesetzes, aber innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums hat. Nach § 38 Abs. 4 ZKG ist der Inhaber eines Basiskontos gegenüber anderen Verbraucherkunden im Hinblick auf den Umfang der Zahlungsdienste und in Bezug auf die Kommunikationsformen nicht zu benachteiligen; die Anzahl der Zahlungsdienste darf nicht beschränkt werden.32 2. Zustandekommen eines Basiskontovertrages a) Antrag des Berechtigten Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 ZKG hat ein „Institut, das Zahlungskonten für Verbraucher anbietet (Verpflichteter),  … mit einem Berechtigten einen Basiskontovertrag zu schließen, wenn dessen Antrag die Voraussetzungen des §  33 erfüllt.“ Nach §  33 Abs. 1 Satz 1 ZKG muss der Antrag des Berechtigten auf Abschluss eines Basiskontovertrags alle Angaben enthalten, die für den Abschluss dieses Vertrages erforderlich sind. Das gilt insbesondere für Angaben darüber, ob und gegebenenfalls bei welchem Institut für den Berechtigten bereits ein Zahlungskonto geführt wird, das die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Satz 2 ZKG erfüllt. Diese Regelung hängt eng mit den übrigen Bestimmungen des § 35 Abs. 1 ZKG zusammen. Der Absatz lautet: „Ein Verpflichteter kann den Antrag auf Abschluss eines Basiskontovertrags ablehnen, wenn der Berechtigte bereits Inhaber eines Zahlungskontos bei einem im Geltungsbereich dieses Gesetzes ansässigen Institut ist und er mit diesem Konto die in § 38 Absatz 2 genannten Dienste tatsächlich nutzen kann. Eine tatsächliche Nutzungsmöglichkeit setzt insbesondere voraus, dass der Kunde mit diesen Diensten am Zahlungsverkehr teilnehmen kann. Der Verpflichtete darf den Antrag nicht ablehnen, wenn das Konto gekündigt wurde oder der Berechtigte von der Schließung dieses Zahlungskontos benachrichtigt wurde.“

Daraus ist zu folgern, dass der Berechtigte anzugeben hat, ob für ihn bei einem (oder mehreren) in Deutschland ansässigen Institut(en) mit Einschluss von Zweigniederlassungen und Zweigstellen im Sinn von § 30 Abs. 3 ZKG ein Zahlungskonto (oder mehrere Zahlungskonten) – nicht notwendig ein Basiskonto (Basiskonten) – geführt wird (werden), mit dem (denen) er die in § 38 Abs. 2 ZKG genannten Dienste tatsächlich nutzen kann. In der Regierungsbegründung zum Zahlungskontengesetz heißt es dazu:33 „Es muss sich um ein ‚aktives Konto’ handeln. Dies ist beispielsweise dann nicht der Fall, wenn Zahlungen nicht vom Berechtigten als Auftraggeber in Auftrag gegeben oder ausgelöst werden bzw. durchgeführt werden können, weil das Zahlungskonto wegen Pfändungen eines Gläubigers oder aufgrund kontokorrentmäßiger Verrechnung bzw. Aufrechnung durch die kontofüh32 Zu Gegenstand und Inhalt des Basiskontos auch Gondert/Huneke, VuR 2016, 323, 327 f.; Böger in Bankrechtstag 2016, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung 38, 2017, S. 222-225. Vgl. auch LG Leipzig v. 13.6.2018 – 05 O 2018/17, ZIP 2018, 1967.  33 BT-Drucks. 18/7204, S. 78 f. Vgl. auch Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 35 Rz. 4-9.

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Gerhart Kreft rende Bank für Zahlungsaufträge ‚blockiert’ ist. Jedoch ist eine tatsächliche Nutzungsmöglichkeit gewährleistet, wenn das Zahlungskonto als Pfändungsschutzkonto im Sinne des § 850k ZPO geführt wird34 oder eine Umwandlung des Zahlungskontos in ein Pfändungsschutzkonto mit den Wirkungen des § 850k Absatz 1 Satz 4 ZPO möglich ist. Ebenso kann der Antrag nicht abgelehnt werden, wenn das Konto gekündigt wurde oder der Berechtigte von der Schließung dieses Zahlungskontos unterrichtet wurde. In beiden Fällen wäre es unzumutbar für den Berechtigten, wenn er für den Neuantrag auf Abschluss eines Basiskontovertrags erst die tatsächlich erfolgte Schließung seines bisherigen Zahlungskontos abwarten müsste.“

b) Formular nach Anlage 3 zum Zahlungskontengesetz Die Antwort auf die Frage, ob der Antrag des Berechtigten auf Abschluss eines Basiskontovertrags alle Angaben enthält, die für den Abschluss des Vertrags erforderlich sind, wird dem Berechtigten erleichtert, wenn er vor der Antragstellung dem in Aussicht genommenen Institut mitteilt, dass er mit ihm einen Basiskontovertrag abschließen möchte. In einem solchen Fall hat das Institut dem Berechtigten gemäß §  33 Abs. 2 Satz 1 ZKG unentgeltlich ein Formular nach Anlage 3 zum Zahlungskontengesetz35 zu übermitteln. Verfügt das Institut über einen Internetauftritt, so ist das Formular nach Anlage 3 gemäß § 33 Abs. 2 Satz 4 ZKG auch dort zur Verfügung zu stellen. § 33 Abs. 2 Satz 2 ZKG legt dem Berechtigten in Form einer Sollvorschrift nahe, das Formular zur Antragstellung zu nutzen. § 33 Abs. 2 Satz 3 ZKG knüpft an die vollständige Ausfüllung des Formulars, bei der das Institut den Berechtigten gemäß § 45 ZKG gegebenenfalls zu unterstützen hat,36 die Folge, dass der Verpflichtete sich nicht darauf berufen kann, der Antrag sei unvollständig. Deshalb weist die Regierungsbegründung zum Zahlungskontengesetz grundsätzlich zutreffend darauf hin:37 „Der Berechtigte sollte in seinem eigenen Interesse und im Interesse der Überprüfbarkeit der Angaben durch den Verpflichteten, aus Beweisgründen sowie zur Beschleunigung des Verwaltungsverfahrens nach § 48 das Formular in Anlage 3 zu diesem Gesetz nutzen.“

aa) Lückenhaftigkeit des Formulars Allerdings spricht vieles dafür, dass das Antragsformular wesentliche Angaben namentlich in persönlicher Hinsicht vernachlässigt. So werden unter Nr. 2 (Angaben zu meiner Person) lediglich verlangt:

34 Das Recht des Berechtigten auf Führung des Basiskontos als Pfändungsschutzkonto folgt aus §  33 Abs.  1 Satz  3 ZKG. Vgl. auch Böger in Bankrechtstag 2016, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung 38, 2017, S. 217 f.; Hippeli, DZWIR 2017, 367, 372-374. 35 Die Anlage 3 befindet sich im BGBl. I 2016 Nr. 17, S. 720, dort auf S. 742. 36 BT-Drucks. 18/7204, S. 93 Zu § 45 Abs. 2; Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 33 Rz. 6; § 45 Rz. 5 a.E. 37 BT-Drucks. 18/7204, S. 77 Zu § 33 Abs. 2. Vgl. auch Böger in Bankrechtstag 2016, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung 38, 2017, S. 214 f.

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Eröffnung und Schließung eines Zahlungskontos mit grundlegenden Funktionen „Frau/Herr: … (Vorname(n) und Nachname) Geburtsdatum: … Geburtsort: … Anschrift: Straße und Hausnummer: … Postleitzahl und Ort: …“

Hier und an sonstigen Stellen des Antragsformulars wird etwa die aufgrund des § 4 Abs. 4 Satz 2 des durch Artikel 2 des Gesetzes zur Ergänzung der Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung (Geldwäschebekämpfungsergänzungsgesetz – GwBekErgG) vom 13.8.2008 (BGBl. I, S. 1690) erlassenen Gesetzes über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (Geldwäschegesetz – GwG) ergangene Verordnung des Bundesministeriums des Innern über die Bestimmung von Dokumenten, die zur Überprüfung der Identität einer nach dem Geldwäschegesetz zu identifizierenden Person zum Zwecke des Abschlusses eines Zahlungskontovertrags zugelassen werden (Zahlungskonto-Identitätsprüfungsverordnung – ZIdPrüfV) vom 5.7.201638 nicht angesprochen. § 1 dieser Verordnung, der durch Artikel 22 Abs. 7 des Gesetzes zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie pp. vom 23.6.201739 und durch Artikel 14 Abs. 6 des Gesetzes zur Umsetzung der Zweiten Zahlungsdiensterichtlinie vom 17.7.201740 geändert wurde, lautet unter Berücksichtigung der Änderungen wie folgt: „Weitere Dokumente, die zur Überprüfung der Identität zum Zwecke des A ­ bschlusses eines Zahlungskontovertrags zugelassen werden (1) Zum Zwecke des Abschlusses eines Vertrags über ein Zahlungskonto im Sinne von §  1 Absatz 17 des Zahlungsdiensteaufsichtsgesetzes ist zur Überprüfung der Identität einer nach dem Geldwäschegesetz zu identifizierenden Person auch zugelassen: 1. bei einer Person, die das 16. Lebensjahr nicht vollendet hat und nicht selbst im Besitz eines Dokuments nach § 12 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Geldwäschegesetzes41 ist, die Geburtsurkunde in Verbindung mit der Überprüfung der Identität des gesetzlichen Vertreters anhand eines Dokuments nach § 12 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Geldwäschegesetzes, 2. bei einem Betreuten die Bestellungsurkunde des Betreuers nach § 290 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtspraxis in

38 BAnz AT 6.7.2016 V1. Dazu Böger in Bankrechtstag 2016, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung 38, 2017, S. 210. 39 Vgl. Fn. 1. 40 Vgl. Fn. 1. 41 Hier heißt es: „Die Identitätsüberprüfung hat in den Fällen des § 10 Absatz 1 Nummer 1“ (wiedergegeben unten zu II, 4, d, aa) „bei natürlichen Personen zu erfolgen anhand 1. eines gültigen amtlichen Ausweises, der ein Lichtbild des Inhabers enthält und mit dem die Pass- und Ausweispflicht im Inland erfüllt wird, insbesondere anhand eines inländi-

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Gerhart Kreft Verbindung mit der Überprüfung der Identität des Betreuers anhand eines Dokuments nach § 12 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Geldwäschegesetzes. (2) Zum Zwecke des Abschlusses eines Basiskontovertrags im Sinn der §§ 31, 38 des Zahlungskontengesetzes ist zur Überprüfung der Identität einer nach dem Geldwäschegesetz zu identifizierenden Person auch zugelassen: 1. bei einem Ausländer, der nicht im Besitz eines der in § 12 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Geldwäschegesetzes genannten Dokumente ist, eine Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Absatz 4 des Aufenthaltsgesetzes42 gemäß Anlage D2b in Verbindung mit Anlage D2a der Aufenthaltsverordnung,43 2. bei einem Asylsuchenden, der nicht im Besitz eines der in § 12 Abs. 1 Satz 1 Nummer 1 des Geldwäschegesetzes genannten Dokumente ist, ein Ankunftsnachweis nach § 63a des Asylgesetzes.44“

bb) Zur Auslegung von § 33 Abs. 2 Satz 3 ZKG Derartige Angaben werden in dem Antragsformular nicht – jedenfalls nicht mit hinreichender Klarheit – verlangt.45 Wegen der Lückenhaftigkeit des Antragsformulars vertritt Bülow die Ansicht, die Regelung des § 33 Abs. 2 Satz 3 ZKG, wonach der Verpflichtete sich bei vollständiger Ausfüllung des Formulars nicht darauf berufen kann, der Antrag sei unvollständig, gelange „zu keiner Anwendungsmöglichkeit und Bedeutung“, weil der das Institut treffende Kontrahierungszwang nach § 31 Abs. 1 Satz 1, § 33 Abs. 1 Satz 1 ZKG alle für den Abschluss eines Basiskontovertrags erforderlichen Angaben enthalten müsse, dies aber nicht in sämtlichen Fällen zutreffe, in denen der Berechtigte das Antragsformular vollständig ausgefüllt habe.46 Diese Auffassung erscheint in ihrer Allgemeinheit nicht zwingend. Es dürfte zu weit gehen, der Norm des § 33 Abs. 2 Satz 3 ZKG keinerlei Bedeutung beizumessen. Vielmehr spricht vieles daschen oder nach ausländerrechtlichen Bestimmungen anerkannten oder zugelassenen Passes, Personalausweises oder Pass- oder Ausweisersatzes“. 42 Vgl. zunächst oben Fn. 22; § 60a Abs. 4 Aufenthaltsgesetz lautet: „Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.“ 43 Die Aufenthaltsverordnung wurde erlassen als Artikel  1 der Verordnung zur Durchführung des Zuwanderungsgesetzes v. 25.11.2004 (BGBl. I, S. 2945), zuletzt geändert durch die Verordnung zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union zur Arbeitsmigration v. 1.8.2017 (BGBl. I, S. 3066). Die Anlagen D2b und D2a zur Aufenthaltsverordnung sind im BGBl. I 2004 Nr. 62, S. 2945 ff. dort auf S. 2972 und 2973 zu finden. 44 § 63a des Asylgesetzes wurde durch Artikel 1 Nr. 23 des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes v. 20.10.2015 (BGBl. I, S. 1722) in das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung v. 2.9.2008 (BGBl. I, S. 1798), zuletzt geändert durch das Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht v. 20.7.2017 (BGBl. I, S. 2780), eingefügt und durch Artikel 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Verbesserung der Registrierung und des Datenaustausches zu aufenthalts- und asylrechtlichen Zwecken (Datenaustauschverbesserungsgesetz) v. 2.2.2016 (BGBl. I, S. 130) geändert. Die aktuelle Fassung des Asylgesetzes findet sich unter www.gesetze-im-internet. de 45 Vgl. BT-Drucks. 18/7204, S. 76; Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 31 Rz. 9; § 33 Rz. 3 Spiegelstrich 1. 46 Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 33 Rz. 7.

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für, ihren Anwendungsbereich zu reduzieren. Füllt der Antragsteller das Formular dem Wortlaut nach vollständig aus, fehlt jedoch die Angabe von notwendigen Umständen, etwa von erforderlichen Dokumenten, sollte das Institut den Antrag nicht ohne weiteres als unvollständig behandeln dürfen, sondern gemäß § 45 ZKG47 gehalten sein, den Antragsteller auf diesen Umstand hinzuweisen und ihn zu bitten, den Antrag entsprechend zu ergänzen. Erst wenn der Antragsteller dieser Bitte nicht entspricht, darf das Institut davon ausgehen, dass der Antrag die Voraussetzungen des § 33 ZKG nicht erfüllt und es dem Antragsteller den Abschluss eines Basiskontovertrags nicht anzubieten braucht. Unterlässt das Institut den Hinweis und die Bitte um Ergänzung, sollte die Regelung des § 33 Abs. 2 Satz 3 ZKG hingegen eingreifen und der Verpflichtete sich nicht darauf berufen können, dass der Antrag unvollständig sei. c) Angebot des Instituts als Vertragsantrag Erfüllt der Antrag des Berechtigten die Voraussetzungen des § 33 ZKG, hat das Institut dem Berechtigten unverzüglich, spätestens innerhalb von zehn Geschäftstagen nach Eingang des entsprechenden Antrags, den Abschluss des Basiskontovertrags anzubieten. Dabei hat es die Benachteiligungs- und Koppelungsverbote der § 32 und § 40 ZKG zu berücksichtigen, deren Verletzung im Fall des § 32 ZKG eine Ordnungswidrigkeit nach § 53 Abs. 1 Nr. 16 ZKG begründet. Gemäß § 39 ZKG darf das kontoführende Institut unbeschadet von §  32 ZKG mit dem Kontoinhaber zusätzliche Dienstleistungen vereinbaren, die sich auf das Basiskonto beziehen und nicht von § 38 ZKG erfasst sind. Das schließt auch die Vereinbarung einer eingeräumten Überziehungsmöglichkeit gemäß § 504 BGB oder eines Entgelts für eine geduldete Überziehung gemäß § 505 BGB ein. Erst in dem Angebot des Verpflichteten liegt der Vertragsantrag im Sinn von § 145 BGB, der von dem Berechtigten gemäß §§ 147 ff. BGB angenommen werden muss.48 Der Verpflichtete hat dem Berechtigten den Eingang von dessen Antrag – einer Vorstufe zum Vertragsabschluss –49 unter Beifügung einer Antragsabschrift zu bestätigen. d) Vertragsantrag des Instituts ohne Antrag des Berechtigten Allerdings kann der Vertragsantrag (§ 145 BGB) gemäß § 30 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b ZKG auch ohne einen „Antrag“ des Berechtigten nach § 31 Abs. 1 Satz 1 ZKG allein vom Institut ausgehen und vom Berechtigten nach §§ 147 ff. angenommen werden. Dadurch kommt es zu einem Basiskontovertrag, auch wenn es an den Voraussetzungen des § 33 ZKG fehlt.50

47 Vgl. Fn. 36. 48 Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 31 Rz. 11; Böger in Bankrechtstag 2016, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung 38, 2017, S. 215. 49 Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 30 Rz. 13. 50 Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 30 Rz. 12.

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e) Basiskontovertrag als Zahlungsdiensterahmenvertrag Der Basiskontovertrag, durch den das kontoführende Institut verpflichtet wird, für den Kontoinhaber ein Basiskonto in Euro zu eröffnen und zu führen (§  38 Abs.  1 ZKG), ist der Spezialfall eines Zahlungsdiensterahmenvertrags im Sinn von §  675f (Abs. 2 Satz 1) BGB, dessen Vertragsinhalt sich auf ein Basiskonto, also ein Zahlungskonto mit grundlegenden Funktionen bezieht.51 Als Partei eines derartigen Vertrags ist der Verbraucher Zahlungsdienstnutzer im Sinn von § 675f Abs. 1 BGB,52 das Institut Zahlungsdienstleister im Sinn von § 1 Abs. 1 Nr. 1 ZAG.53 3. Entgelt Gemäß § 41 Abs. 1 ZKG ist der Kontoinhaber verpflichtet, an das kontoführende Institut für die Erbringung von Diensten auf Grund des Basiskontovertrags das vereinbarte Entgelt zu entrichten. Dies entspricht der allgemeinen Regelung in § 675f Abs. 5 Satz 1 BGB.54 Wird eine Entgeltvereinbarung nicht getroffen, ist ein Entgelt nicht geschuldet.55 a) Angemessenheit Nach § 41 Abs. 2 Satz 1 ZKG muss das Entgelt für die von § 38 ZKG erfassten Dienste angemessen sein. Entgelte für zusätzliche Dienstleistungen (§ 39 ZKG) werden von Satz 1 nicht erfasst.56 Für die Beurteilung der Angemessenheit sind gemäß § 41 Abs. 2 Satz 2 ZKG insbesondere die marktüblichen Entgelte und das Nutzerverhalten zu berücksichtigen. Dazu wird insbesondere auf die Regierungsbegründung zu § 41 ZKG und auf das vorhandene Schrifttum verwiesen.57 Im Einzelnen ist hier noch vieles unklar. 51 BT-Drucks. 18/7204, S. 74 Zu § 30, Zu Absatz 1. 52 Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 30 Rz. 12. 53 Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 30 Rz. 9. 54 In der Fassung durch Artikel 2 Nr. 7 des Gesetzes zur Umsetzung der Zweiten Zahlungsdiensterichtlinie v. 17.7.2017 (vgl. Fn. 1), insoweit in Kraft ab 13.1.2018 (dazu Sprau in Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, Einf. vor § 675c BGB Rz. 10). 55 BT-Drucks. 18/7204, S. 85 Zu § 41 Abs. 3. 56 BT-Drucks. 18/7204, S. 86 Abs. 2; Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 41 Rz. 5; Herresthal, BKR 2016, 133, 142; Böger in Bankrechtstag 2016, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung 38, 2017, S. 226 f. In Bezug auf die Einräumung einer Überziehungsmöglichkeit nach § 39 ZKG kritisch Rott, VuR 2016, 3, 6. 57 BT-Drucks. 18/7204, S. 85-87; Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 41 Rz. 5-13; Rott, VuR 2016, 3, 6; Gondert/Huneke, VuR 2016, 323, 327 f. mit dem Hinweis darauf, dass Basiskonten in Frankreich und Großbritannien entgeltfrei geführt werden müssen; Bülow, WM 2017, 161 ff.; Böger in Bankrechtstag 2016, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung 38, 2017, S. 226 f.; auch Findeisen, WM 2018, 55, 56 unter Verweis auf die pragmatische österreichische Lösung mit einer Deckelung auf 80 Euro im Jahr; dazu ferner Böger in Bankrechtstag 2016, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung 38, 2017, S. 227 f. (in Österreich Höchstgrenzen „von 80 bzw. 40 Euro“). Vgl. OLG Schleswig v. 8.5.2018 – 2 U 6/17, ZIP 2019, 212 mit Anm. Vortmann, EWiR 2019, 195; OLG Frankfurt v. 27.2.2019 – 19 U 104/18, ZIP 2019, 560.

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b) Vom Kontoinhaber zu erstattende Kosten § 41 Abs. 2 Satz 3 ZKG erklärt die Sätze 1 und 2 dieses Absatzes für entsprechend anwendbar auf Vereinbarungen über vom Kontoinhaber zu erstattende Kosten.58 c) Keine Vertragsstrafen des Kontoinhabers Nach § 41 Abs. 3 ZKG ist die Vereinbarung über eine vom Kontoinhaber im Zusammenhang mit dem Basiskontovertrag geschuldete Vertragsstrafe unzulässig. Dazu wird in der Regierungsbegründung zu § 41 ZKG ausgeführt:59 „Absatz 3 verbietet vom Kontoinhaber geschuldete Vertragsstrafen: Vereinbarungen, nach denen der Kontoinhaber eine Vertragsstrafe im Zusammenhang mit dem Basiskontovertrag schuldet, sind unzulässig. Diese Regelung beruht auf den Vorgaben nach Artikel 18 Absatz 2 der Richtlinie, wonach auch sämtliche Entgelte, wozu nach Artikel 2 Nummer 15 der Richtlinie auch Kosten und Vertragsstrafen zählen, die dem Verbraucher aufgrund der Nichteinhaltung seiner Verpflichtungen aus dem Rahmenvertrag mit dem kontoführenden Institut in Rechnung gestellt werden, angemessen sein müssen. Dies lässt keinen Raum für die Vereinbarung von Vertragsstrafen, mit denen eine über den Ersatz konkreter Nachteile des kontoführenden Instituts hinausgehende Zahlungspflicht des Kontoinhabers für den Fall der Nichterfüllung seiner Verpflichtungen aus dem Basiskontovertrag bestimmt würde.“

d) Unwirksamkeit vereinbarter Entgelte und Kostenerstattungen oder Vertragsstrafen Haben die Parteien höhere als angemessene Entgelte oder Kostenerstattungen vereinbart, sind diese Vereinbarungen wegen Verstoßes gegen das gesetzliche Verbot des § 41 Abs. 2 Satz 1 ZKG gemäß § 134 BGB unwirksam.60 Die Vereinbarung von Entgelten oder Kostenerstattungen, deren Höhe hinter angemessenen Entgelten und Kosten­ erstattungen zurückbleibt, ist demgegenüber gemäß § 4 Abs. 1 ZKG wirksam, weil sie dem Verbraucher nicht nachteilig ist.61 Die Vereinbarung einer Vertragsstrafe ist stets wegen Verstoßes gegen das Verbot des § 41 Abs. 3 ZKG nach § 134 BGB nichtig.62 e) Unwirksamkeit vereinbarter Entgelte, Kostenerstattungen oder Vertragsstrafen berührt Basiskontovertrag im Übrigen nicht Gemäß § 41 Abs. 4 ZKG lässt die Unwirksamkeit der Vereinbarung eines Entgelts, eines Kostenerstattungsanspruchs oder einer Vertragsstrafe die Wirksamkeit des Basiskontovertrags im Übrigen unberührt. Dazu heißt es im Hinblick auf die unwirksa58 Dazu Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 41 Rz. 22, 23. Zu gesetzlichen Kostenerstattungsansprüchen daselbst Rz. 21; Böger in Bankrechtstag 2016, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung 38, 2017, S. 228. 59 BT-Drucks. 18/7204, S. 86 f. Vgl. auch Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 41 Rz. 24. 60 BT-Drucks. 18/7204, S. 86; Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 41 Rz. 15. 61 BT-Drucks. 18/7204, S. 86; Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 41 Rz. 11, 14. 62 BT-Drucks. 18/7204, S. 87; Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 41 Rz. 25.

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me Vereinbarung eines Entgelts und eines Kostenerstattungsanspruchs in der Regierungsbegründung zu § 41 ZKG:63 „Anders als in Bezug auf die Regelungen zur Begrenzung der Höhe von Entgeltvereinbarungen nach den §§ 675d Absatz 3 Satz 2 sowie 675f Absatz 4 Satz 2, 2. Halbsatz BGB64 war im Rahmen des § 41 im Interesse der verbraucherschützenden Zielsetzungen dieses Gesetzes wegen des Abschlusses des Basiskontovertrags auf der Grundlage des Kontrahierungszwangs aus §  31 klarzustellen, dass die Unwirksamkeit einer Vereinbarung wegen eines Verstoßes gegen das gesetzliche Verbot aus § 41 in Abweichung vom Grundsatz des § 139 BGB nicht zur Nichtigkeit des Basiskontovertrags im Übrigen führt (Absatz 4). Das Basiskonto ist mithin insoweit dann unentgeltlich bzw. unter Beschränkung auf gesetzliche Kostenerstattungsansprüche zu führen. Dem kontoführenden Institut steht bei einer zunächst unwirksam getroffenen Vereinbarung eines Entgelts oder eines Kostenerstattungsanspruchs im Rahmen der durch Absatz  2 bestimmten Grenzen der Angemessenheit das Angebot einer entsprechenden Änderung der Bedingungen des Basiskontovertrags nach § 675g BGB aber grundsätzlich offen.“

4. Ablehnung des Antrags auf Abschluss eines Basiskontovertrags65 a) Allgemeine Ablehnungsvoraussetzungen, Unverzüglichkeit der Ablehnungserklärung, Unterrichtungspflichten Gemäß § 34 Abs. 1 ZKG kann ein Verpflichteter den Antrag eines Berechtigten auf Abschluss eines Basiskontovertrags, der den Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 ZKG genügt, nur aus den in den §§ 35-37 ZKG genannten Gründen ablehnen. Nach § 34 Abs. 2 ZKG ist die Ablehnung gegenüber dem Berechtigten unverzüglich, spätestens zehn Geschäftstage nach Eingang des Antrags zu erklären. § 34 Abs. 3 Satz 1 ZKG sieht vor, dass der Verpflichtete den Berechtigten mit der Ablehnung unentgeltlich in Textform und – mangels einer anderweitigen Vereinbarung – in deutscher Sprache über die Gründe der Ablehnung zu unterrichten hat. Nach Satz 2 unterbleibt diese Unterrichtung, soweit hierdurch die öffentliche Sicherheit, insbesondere die gesetzlichen Regelungen zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zweck der Geldwäsche oder der Terrorismusfinanzierung, gefährdet oder gegen ein Verbot der Informationsweitergabe verstoßen würde. § 34 Abs. 4 ZKG bestimmt: „Der Verpflichtete hat den Berechtigten mit der Ablehnung des Antrags … unentgeltlich in Textform sowie, soweit nicht anders vereinbart, in deutscher Sprache auch über das Verwaltungsverfahren nach § 48 sowie über das Recht des Berechtigten zu unterrichten, sich an die nach § 14 Absatz 1 des Unterlassungsklagengesetzes66 zuständige Verbraucherschlichtungsstel63 BT-Drucks. 18/7204, S. 86. 64 Nunmehr § 675d Abs. 4 Satz 2 sowie § 675f Abs. 5 Satz 2, 2. Halbsatz BGB in der Fassung durch Artikel 2 Nr. 5 Buchst. c sowie Nr. 7 Buchst. c des Gesetzes zur Umsetzung der Zweiten Zahlungsdiensterichtlinie v. 17.7.2017 (vgl. Fn. 1). 65 Vgl. Böger in Bankrechtstag 2016, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung 38, 2017, S. 216-220. 66 Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen (Unterlassungsklagengesetz – UKlaG) in der Fassung der Bekanntmachung v. 27.8.2002 (BGBl. I, S.  3422, ber. S.  4346), zuletzt geändert durch Artikel  3 des Gesetzes zur Umsetzung der Zahlungskontenrichtlinie v. 11.4.2016 (BGBl. I, S. 720; vgl. Fn. 1). Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1

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Eröffnung und Schließung eines Zahlungskontos mit grundlegenden Funktionen le zu wenden. Er hat dem Berechtigten zugleich die Kontaktdaten dieser Stelle mitzuteilen. Der Ablehnungserklärung durch den Verpflichteten ist das Antragsformular nach Anlage 467 beizufügen.“

b) Verhalten des Berechtigten beim Fehlen einer Unterrichtung über die Ablehnungsgründe Hierzu ist zu bemerken: Fehlt eine Unterrichtung über die Gründe für die Ablehnung des Antrags auf Abschluss eines Basiskontovertrags, sollte der Berechtigte das Institut zunächst um die Mitteilung dieser Gründe bitten. Kommt das Institut dieser Bitte nicht nach, sollte der Berechtigte das Verwaltungsverfahren nach § 48 ZKG einleiten (vgl. unten zu IV. 1.), weil nur die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht überprüfen kann und ggf. muss, ob die öffentliche Sicherheit gefährdet ist oder gegen ein Verbot der Informationsweitergabe verstoßen würde. c) Ablehnung gemäß § 35 ZKG Nach § 35 Abs. 1 ZKG kann der Verpflichtete den Antrag wegen eines bereits vorhandenen Zahlungskontos ablehnen. Dazu wird zunächst auf die Wiedergabe dieser Norm oben zu III. 2. a) verwiesen. In § 35 Abs. 2 ZKG wird dem Verpflichteten gestattet, vor Abschluss eines Basiskontovertrags innerhalb der Frist des § 31 Abs. 2 ZKG nachzuprüfen, ob der Berechtigte bereits Inhaber eines Zahlungskontos im Sinne von Absatz 1 ist. Dabei darf der Verpflichtete sich nach § 35 Abs. 2 Satz 2 ZKG auch an Kreditauskunfteien wie die Schufa wenden.68 Allerdings darf der Verpflichtete sich gemäß § 35 Abs. 2 Satz 3 ZKG nicht auf die Auskunft einer solchen Auskunftei beschränken, wenn diese Auskunft zu den Angaben des Verbrauchers nach § 33 Abs. 1 Satz 2 ZKG in Widerspruch steht. Dazu führt die Regierungsbegründung zu § 35 ZKG aus:69 „Falls die Auskünfte aus dieser Datenbank zu den Angaben des Berechtigten in Widerspruch stehen, hat das Institut diesen Widerspruch bei Nichtaufklärbarkeit trotz erneuter Nachfrage bei dem Berechtigten durch zusätzliche Maßnahmen, etwa durch Auskünfte bei einem Kredit­ institut, bei dem ein Konto geführt werden soll, aufzuklären. Verweigert der Berechtigte seine Zustimmung zu dieser Auskunftseinholung, so kann dies als treuwidrig angesehen werden und dem Institut wird regelmäßig gestattet werden müssen, wegen dieser Vereitelung der Aufklärungsmöglichkeiten durch den Berechtigten davon auszugehen, dass tatsächlich ein anderweitiges Zahlungskonto bereits vorhanden ist.“70 Nr. 5 UKlaG können die Beteiligten bei Streitigkeiten aus der Anwendung der Vorschriften des Zahlungskontengesetzes, die das Verhältnis zwischen einem Zahlungsdienstleister und einem Verbraucher regeln, unbeschadet ihres Rechts, sich an die Gerichte zu wenden, eine vom Bundesamt für Justiz für diese Streitigkeiten anerkannte private Verbraucherschlichtungsstelle anrufen. 67 Die Anlage 4 zum Zahlungskontengesetz findet sich im BGBl. I 2016 Nr. 17, S. 720, dort auf S. 744.  68 Vgl. Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 35 Rz. 12. 69 BT-Drucks. 18/7204, S. 79 zu Absatz 2. 70 Vgl. insoweit auch Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 35 Rz. 13; Böger in Bankrechtstag 2016, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung 38, 2017, S. 217.

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d) Ablehnung gemäß § 36 ZKG § 36 Abs. 1 ZKG regelt die Möglichkeit des Verpflichteten, den Antrag abzulehnen, wenn der Berechtigte innerhalb der letzten drei Jahre vor Antragstellung wegen einer vorsätzlichen Straftat zum Nachteil des Verpflichteten, dessen Mitarbeitern oder Kunden mit Bezug auf deren Stellung als Mitarbeiter oder Kunden des Verpflichteten verurteilt worden ist (Nr. 1),71 wenn der Verpflichtete den Zahlungsdiensterahmenvertrag über ein von ihm für den Berechtigten geführtes Basiskonto innerhalb des letzten Jahres vor Antragstellung nach § 42 Abs. 4 Nr. 1 ZKG berechtigt gekündigt hat (Nr. 2),72 weil der Kontoinhaber das Zahlungskonto vorsätzlich für Zwecke nutzte, die gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen, oder (Nr. 3) wenn „der Verpflichtete“ – so die ursprüngliche Fassung dieser Nummer – „die Sorgfaltspflichten im Hinblick auf die Aufnahme und das Unterhalten einer Geschäftsbeziehung zu diesem Berechtigten nach § 3 Absatz 1 Nummer 1-3 des Geldwäschegesetzes oder nach § 25j des Kreditwesengesetzes nicht erfüllen kann oder bei der Begründung der Ablehnung gegen das Verbot der Informationsweitergabe nach § 12 Absatz 1 des Geldwäschegesetzes verstoßen würde.“73 §  36 Abs.  2 ZKG zufolge hat der Verpflichtete in „den Fällen des Absatzes 1 Nummer 3 … die gemäß § 46 Absatz 1“ (richtig: Absatz 2)74 „zuständige Behörde über die Ablehnung und den Ablehnungsgrund zu informieren.“ aa) Ablehnung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZKG nach Änderung dieser Norm durch Artikel 22 Abs. 6 des Umsetzungsgesetzes vom 23.6.2017 Unterdessen wurde § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZKG durch Artikel 22 Abs. 6 des Gesetzes zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie pp. vom 23.6.201775 dahin geändert, dass die Wörter „§ 3 Absatz 1 Nummer 1 bis 3 des Geldwäschegesetzes“ durch die Wörter „§ 10 Absatz 1 Nummer 1 bis 3 des Geldwäschegesetzes“ und die Wörter „§ 12 Absatz 1 des Geldwäschegesetzes“ durch die Wörter „§ 47 Absatz 1 des Geldwäschegesetzes“ ersetzt werden. § 10 (mit der Überschrift „Allgemeine Sorgfaltspflichten“) Abs. 1 Nr. 1 bis 3 des durch Artikel 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie pp76 erlassenen Gesetzes über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (Geldwäschegesetz – GwG) hat folgenden Wortlaut: „(1) Die allgemeinen Sorgfaltspflichten sind: 1. die Identifizierung des Vertragspartners und gegebenenfalls der für ihn auftretenden Person nach Maßgabe des § 11 Absatz 4 und des § 12 Absatz 1 und 2 sowie die Prüfung, ob die für den Vertragspartner auftretende Person hierzu berechtigt ist,

71 Vgl. BT-Drucks. 18/7204, S. 79 Zu § 36; Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 36 Rz. 6-9. 72 Vgl. Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 36 Rz. 10-14. 73 Dazu näher BT-Drucks. 18/7204, S. 79 Zu § 36. 74 Vgl. Fn. 88. 75 Vgl. Fn. 1. 76 Vgl. Fn. 1.

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Eröffnung und Schließung eines Zahlungskontos mit grundlegenden Funktionen 2. die Abklärung, ob der Vertragspartner für einen wirtschaftlich Berechtigten handelt, und, soweit dies der Fall ist, die Identifizierung des wirtschaftlich Berechtigten nach Maßgabe des §  11 Absatz  5; dies umfasst in Fällen, in denen der Vertragspartner keine natürliche Person ist, die Pflicht, die Eigentums- und Kontrollstruktur des Vertragspartners mit angemessenen Mitteln in Erfahrung zu bringen, 3. die Einholung und Bewertung von Informationen über den Zweck und über die angestrebte Art der Geschäftsbeziehung, soweit sich diese Informationen im Einzelfall nicht bereits zweifelsfrei aus der Geschäftsbeziehung ergeben“.

§ 47 (mit der Überschrift „Verbot der Informationsweitergabe, Verordnungsermächtigung“) Abs. 1 dieses Gesetzes lautet: „(1) Ein Verpflichteter darf den Vertragspartner, den Auftraggeber der Transaktion und sonstige Dritte nicht in Kenntnis setzen von 1. einer beabsichtigten oder erstatteten Meldung nach § 43 Absatz 1, 2. einem Ermittlungsverfahren, das aufgrund einer Meldung nach § 43 Absatz 1 eingeleitet worden ist, und 3. einem Auskunftsverlangen nach § 30 Absatz 3 Satz 1.“

bb) Ablehnung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZKG nach Änderung von § 25j KWG durch Artikel 17 Nr. 6 des Umsetzungsgesetzes vom 23.6.2017 Dem ebenfalls in § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZKG genannten § 25j KWG77 wurde durch Artikel 17 Nr. 6 des Gesetzes zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie pp.78 folgende Fassung gegeben: „Zeitpunkt der Identitätsüberprüfung Abweichend von § 11 Absatz 1 des Geldwäschegesetzes kann die Überprüfung der Identität des Vertragspartners, einer für diesen auftretenden Person und des wirtschaftlich Berechtigten auch unverzüglich nach der Eröffnung eines Kontos oder Depots abgeschlossen werden. In diesem Fall muss sichergestellt sein, dass vor Abschluss der Überprüfung der Identität keine Gelder von dem Konto oder dem Depot abverfügt werden können. Für den Fall einer Rückzahlung eingegangener Gelder dürfen diese nur an den Einzahler ausgezahlt werden.“

§ 11 (mit der Überschrift „Identifizierung“) Abs. 1 Geldwäschegesetz hat folgenden Wortlaut: „Verpflichtete haben Vertragspartner, gegebenenfalls für diese auftretende Personen und wirtschaftlich Berechtigte vor Begründung der Geschäftsbeziehung oder vor Durchführung der Transaktion zu identifizieren. Die Identifizierung kann auch noch während der Begründung der Geschäftsbeziehung abgeschlossen werden, wenn dies erforderlich ist, um den normalen Geschäftsablauf nicht zu unterbrechen, und wenn ein geringes Risiko der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung besteht.“

77 Vgl. Fn. 24. 78 Vgl. Fn. 1.

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e) Ablehnung gemäß § 37 ZKG Nach § 37 ZKG kann ein Verpflichteter den Antrag ablehnen, wenn der Berechtigte Inhaber eines Basiskontos bei demselben Verpflichteten war und dieser den Zahlungsdiensterahmenvertrag über die Führung des Basiskontos innerhalb des letzten Jahres vor Antragstellung nach § 42 Abs. 3 Nr. 2 ZKG (wegen qualifizierten Verzugs des Berechtigten mit einem nicht unerheblichen Teil der geschuldeten Entgelte oder Kosten) berechtigt gekündigt hat. 5. Kündigung des Basiskontovertrags durch das Institut79 Gemäß § 42 Abs. 1 ZKG kann das kontoführende Institut den Basiskontovertrag nur unter den Voraussetzungen der folgenden Absätze (2-5) des § 42 ZKG kündigen. a) Vertraglich vereinbarte Kündigung nach § 42 Abs. 2 ZKG §  42 Abs.  2 ZKG regelt die vertraglich vereinbarte Kündigung (vgl. §  675h Abs.  2 BGB). Wurde ein entsprechendes Kündigungsrecht vereinbart, kann das Institut den Vertrag unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von mindestens zwei Monaten kündigen (gemäß § 675h Abs. 3 BGB mit der Folge einer zeitanteiligen Entgeltpflicht),80 „wenn 1. über das Basiskonto in mehr als 24 aufeinanderfolgenden Monaten kein vom Kontoinhaber in Auftrag gegebener Zahlungsvorgang ausgeführt wurde, 2. der Kontoinhaber die Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 Satz 2 ZKG nicht mehr erfüllt, d.h. wenn er nicht mehr als Verbraucher handelt, d.h. das Konto überwiegend zu unternehmerischen Zwecken nutzt, oder sich nicht mehr rechtmäßig in der Europäischen Union aufhält, 3. der Kontoinhaber ein weiteres nach Maßgabe des § 35 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZKG nutzbares Zahlungskonto im Geltungsbereich des Zahlungskontengesetzes (also in Deutschland) eröffnet hat oder 4. der Kontoinhaber eine angekündigte Änderung des Basiskontovertrags nach § 675g BGB abgelehnt hat, die das kontoführende Institut allen Inhabern von bei ihm geführten entsprechenden Basiskonten wirksam angeboten hat.“81

b) Kündigung ohne Vereinbarung eines Kündigungsrechts § 42 Abs. 3 und 4 ZKG regelt die Kündigung durch das Institut, wenn es an der Vereinbarung eines Kündigungsrechts fehlt: Absatz 3 lässt es bei der Kündigungsfrist von mindestens zwei Monaten, Absatz 4 verhält sich über die fristlose Kündigung. 79 Dazu auch Gondert/Huneke, VuR 2016, 323, 330-332; Böger in Bankrechtstag 2016, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung 38, 2017, S. 229-233. 80 Vgl. BT-Drucks. 18/7204, S. 87 „Zu den § 42 und § 43 …“ Abs. 1. 81 Vgl. zu § 42 Abs. 2 ZKG im Einzelnen Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 42 Rz. 6-20; Böger in Bankrechtstag 2016, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung 38, 2017, S. 230-233.

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aa) Fristgebundene Kündigung nach § 42 Abs. 3 ZKG § 42 Abs. 3 ZKG (fristgebundene Kündigung) greift ein, „wenn der Kontoinhaber 1. eine vorsätzliche Straftat zum Nachteil des kontoführenden Instituts oder dessen Mitarbeitern oder Kunden mit Bezug auf deren Stellung als Mitarbeiter oder Kunden des Instituts begangen oder durch sonstiges vorsätzliches strafbares Verhalten die Interessen des Instituts schwerwiegend verletzt hat und deshalb dem kontoführenden Institut unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann82 oder 2. mit der Entrichtung eines nicht unerheblichen Teils der dem kontoführenden Institut geschuldeten Entgelte oder Kosten über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten in Verzug ist und dieser Betrag 100 Euro übersteigt und zu besorgen ist, dass aus der Führung des Basiskontos weitere Forderungen entstehen werden, deren Erfüllung nicht gesichert ist.“83

bb) Fristlose Kündigung gemäß § 42 Abs. 4 ZKG Eine fristlose Kündigung ist nach § 42 Abs. 4 ZKG möglich, „wenn der Kontoinhaber 1. das Zahlungskonto vorsätzlich für Zwecke nutzt, die gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen, oder 2. unzutreffende Angaben gemacht hat, um den Basiskontovertrag abschließen zu können, und bei Vorlage der zutreffenden Angaben kein solcher Vertrag mit ihm abgeschlossen worden wäre.“84

cc) Entsprechende Anwendung von § 314 Abs. 3 und 4 BGB bei Kündigung nach § 42 Abs. 3 und 4 ZKG § 42 Abs. 5 Satz 1 ZKG erklärt für eine Kündigung nach § 42 Abs. 3 oder Abs. 4 ZKG § 314 Abs. 3 und 4 BGB (Kündigung innerhalb einer angemessenen Frist ab Kenntnis vom Kündigungsgrund, Abs. 3; kein Ausschluss der Berechtigung auf Schadensersatz durch die Kündigung, Abs. 4) für anwendbar.

82 Insoweit bestehen Ähnlichkeiten mit § 36 Abs. 1 Nr. 1 ZKG (vgl. III. 4.), doch gibt es auch nicht unerhebliche Unterschiede zu dieser Norm: vgl. Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 42 Rz. 28, 29. 83 Dazu Rott, VuR 2016, 3, 7. Diese Regelung entspricht § 37 ZKG, vgl. Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 42 Rz. 31. 84 Zu § 42 Abs. 4 ZKG im Einzelnen BT-Drucks. 18/7204, S. 91; Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 42 Rz. 39-44. Vgl. auch Sprau in Palandt, BGB, 77. Aufl. 2018, § 675h BGB Rz. 4.

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dd) Zusätzliche entsprechende Anwendung von § 314 Abs. 2 BGB bei Kündigung nach § 42 Abs. 3 ZKG Gemäß § 42 Abs. 5 Satz 2 und 3 ZKG ist für eine Kündigung nach § 42 Abs. 3 ZKG auch § 314 Abs. 2 BGB mit der Maßgabe entsprechend anwendbar, dass die Bestimmung einer Frist zur Abhilfe und eine Abmahnung auch dann unterbleiben, „wenn hierdurch die öffentliche Sicherheit, insbesondere die gesetzlichen Regelungen zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zweck der Geldwäsche oder der Terrorismusfinanzierung, gefährdet oder gegen ein Verbot der Informationsweitergabe verstoßen würde.“85

c) Kündigungserklärung (§ 43 ZKG) aa) Formalien, Informationspflichten § 43 ZKG regelt die Formalien der Kündigungserklärung (Textform, Klarheit, Verständlichkeit, grundsätzlich Verwendung der deutschen Sprache [Absatz  1])86 und begründet Informationspflichten im Zusammenhang mit der Kündigung. Nach Absatz 2 Satz 1 ist in der Kündigung der Kündigungsgrund anzugeben. Dies hat nach Satz  2 zu unterbleiben, wenn hierdurch die öffentliche Sicherheit (vgl. §  42 Abs.  5 Satz 3 ZKG) gefährdet oder gegen ein Verbot der Informationsweitergabe verstoßen würde. In einem solchen Fall ist nach § 43 Abs. 5 ZKG die „gemäß § 46 Absatz 1“ (richtig: § 46 Absatz 2)87 zuständige Behörde über Kündigung und Kündigungsgrund zu informieren. § 43 Abs. 3 ZKG zufolge ist der Kontoinhaber darüber zu unterrichten, dass er berechtigt ist, sich an die zuständige Behörde „gemäß § 46 Absatz 1“ (auch hier richtig: § 46 Absatz 2)88 und an die nach § 14 Abs. 1 UKlaG zuständige Verbraucherschlichtungsstelle89 zu wenden.

85 Zu § 42 Abs. 5 ZKG BT-Drucks. 18/7204, S. 91, 92; Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 42 Rz.  26, 27, 37, 38; Schmieder in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, § 47 Rz. 32. 86 Dazu BT-Drucks. 18/7204, S. 92; Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 43 Rz. 3-5. 87 Vgl. die folgende Fn. 88. 88 Die in § 43 Abs. 3 und Abs. 5 ZKG enthaltene Unrichtigkeit der Verweisung auf § 46 Abs. 1 anstelle von § 46 Abs. 2 ZKG ist darauf zurückzuführen, dass § 46 im Referentenentwurf (Stand 29.7.2015) des Bundesministeriums der Finanzen und des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (dazu Böger in Bankrechtstag 2016, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung 38, 2017, S. 200 f.) eine von den späteren Gesetzentwürfen der Bundesregierung in BR-Drucks. 537/15 v. 6.11.2015 und in BT-Drucks. 18/7204 v. 6.1.2016 sowie von dem damit übereinstimmenden § 46 des Zahlungskontengesetzes v. 11.4.2016 (vgl. Fn. 1) abweichende Reihenfolge enthielt. Der in den Gesetzentwürfen der Bundesregierung und im Gesetz enthaltene § 46 Abs. 1 war im Referentenentwurf § 46 Abs. 4. Er rutschte an die erste Stelle und wurde Absatz 1, die früheren Absätze 1-3 wurden Absätze 2-4, wobei der neue Absatz 4 um zwei Sätze erweitert wurde; die Absätze 5 und 6 blieben inhaltlich und in der Reihenfolge gleich. Ersichtlich wurde versäumt, § 43 Abs. 3 und 5 ZKG an die neue Stellung des ursprünglichen Absatz 1 als Absatz 2 anzupassen (vgl. auch BT-Drucks. 18/7204, S. 92 Zu § 43, fünfter und siebenter Absatz sowie BT-Drucks. 18/7691, S. 42 und 43 f.). 89 Vgl. Fn. 66.

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bb) Verhalten des Berechtigten beim Fehlen einer Angabe des Kündigungsgrundes Auch hier ist zu bemerken: Gibt das Institut den Kündigungsgrund nicht an, sollte der Berechtigte beim Institut zunächst um Bekanntgabe der Gründe nachsuchen. Bleibt dies ohne Erfolg, sollte er das Verwaltungsverfahren nach § 48 ZKG einleiten. Insoweit gilt das Gleiche wie bei einer Nichtbegründung der Ablehnung des Antrags auf Abschluss eines Basiskontovertrags (vgl. III. 4. b] zu § 34 Abs. 3 Satz 2 ZKG). 6. Kündigung des Basiskontovertrags durch den Kontoinhaber (§ 44 ZKG) a) Ordentliche und außerordentliche Kündigung Für die ordentliche Kündigung durch den Kontoinhaber verweist §  44 ZKG auf § 675h Abs. 1 BGB. Nach dieser Norm kann der Zahlungsdienstnutzer, hier mithin der Kontoinhaber (vgl. oben zu III. 2. e]), den Zahlungsdiensterahmenvertrag, d.h. den Basiskontovertrag, jederzeit ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen, sofern nicht eine Kündigungsfrist vereinbart wurde, die höchstens einen Monat betragen darf. Diese Kündigungsfrist braucht nicht eingehalten zu werden, wenn die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung nach § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB wegen Störung der Geschäftsgrundlage oder nach § 314 BGB aus wichtigem Grund vorliegen.90 b) Pflicht des Instituts zur Kontoschließung Nach Wirksamwerden der Kündigung, also nach Zugang der Kündigungserklärung oder – bei Vereinbarung einer Kündigungsfrist – zusätzlich nach Ablauf der Kündigungsfrist hat das kontoführende Institut das Konto grundsätzlich gemäß § 44 Satz 2 ZKG zu schließen.91

IV. Rechtsbehelfe 1. Rechtsbehelfe des Berechtigten a) Verwaltungsverfahren wegen Ablehnung des Antrags auf Abschluss eines Basiskontovertrags, wegen nicht fristgerechter Entscheidung über den Antrag oder wegen nicht fristgerechter Eröffnung eines Basiskontos Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 ZKG kann der Berechtigte bei der Bundesanstalt (das ist gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 ZKG die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) – gegebenenfalls auf dem in § 34 Abs. 4 Satz 3 ZKG vorgesehenen Formular92 – den 90 Vgl. BT-Drucks. 18/7204, S. 93 Zu § 44; Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 44 Rz. 2. 91 Dazu Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 44 Rz. 3. 92 Anlage 4 zum Zahlungskontengesetz (dazu Fn. 67). Vgl. Brinkmann in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 48 Rz. 13.

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Antrag stellen, dessen Eingang die Bundesanstalt dem Berechtigten nach § 48 Abs. 3 Satz 1 ZKG schriftlich zu bestätigen hat, ein Verwaltungsverfahren gegen den Verpflichteten durchzuführen, „wenn dieser 1. den Antrag des Berechtigten auf Abschluss eines Basiskontovertrags ablehnt, 2. über den Antrag nach Nummer 1 nicht innerhalb von zehn Geschäftstagen nach dessen Eingang entscheidet oder 3. ein Basiskonto nicht innerhalb von zehn Geschäftstagen nach Abschluss eines Basiskontovertrags eröffnet.“

Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 ZKG verringert sich die in Satz 1 Nr. 3 vorgesehene Frist von zehn Geschäftstagen um den Zeitraum, der zwischen dem Eingang des Antrags des Berechtigten beim Verpflichteten und dem Zugang von dessen Angebot beim Berechtigten liegt. Nach § 48 Abs. 1 Satz 3 ZKG verlängert sich die Frist nach Satz 1 Nr. 3 um den Zeitraum, der zwischen dem Zugang des Angebots des Verpflichteten beim Berechtigten und dem Zugang von dessen Angebotsannahme beim Verpflichteten verstreicht. b) Klage gegen die Bundesanstalt vor dem Landgericht aa) Bei einer dem Berechtigen nachteiligen Entscheidung oder bei einer grundlosen Nichtentscheidung Kann der Verpflichtete die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Antrags nach den §§ 34-37 ZKG oder das Nichtvorliegen nach § 32 Abs. 1 ZKG zulässiger Voraussetzungen auf Seiten des Berechtigten (Zugehörigkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe – etwa kirchliche Einrichtungen, Apotheker, Ärzte –, an die sich der Verpflichtete ausschließlich wendet [Nr. 1];93 Erwerb von Geschäftsanteilen eines Verpflichteten – d.h. eines in der Form einer Genossenschaft betriebenen Instituts –, die dieser von allen seinen Kunden gleichermaßen verlangt [Nr. 2])94 glaubhaft machen, lehnt die Bundesanstalt gemäß § 49 Abs. 1 Satz 3 ZKG den nach § 48 Abs. 1 ZKG gestellten Antrag des Berechtigten ab. Den Abschluss des Verwaltungsverfahrens hat die Bundesanstalt dem Berechtigten gemäß § 48 Abs. 3 Satz 2 ZKG schriftlich zu bestätigen.95 Gegen die Ablehnung des Antrags des Berechtigten durch die Bundesanstalt ist gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 ZKG die Klage des Berechtigten gegen die Bundesanstalt zulässig. Die Klage ist nach § 50 Abs. 1 Satz 2 ZKG auch gegen die Unterlassung einer von dem Berechtigten beantragten Anordnung zulässig, wenn die Bundesanstalt (über) den vollständigen und zulässigen Antrag ohne zureichenden Grund nicht binnen eines Monats nach dessen Eingang entschieden hat. Für die Klage ist nach § 50

93 Vgl. BT-Drucks. 18/7204, S. 77 oben; Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 32 Rz. 8. 94 Bülow in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 32 Rz. 9. 95 Zu §§ 48, 49 ZKG auch Klöppel, WM 2017, 1090 ff.

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Abs.  1 Satz  3 ZKG das Landgericht zuständig,96 in dessen Bezirk der Verpflichtete seinen Sitz hat, wobei es gemäß § 50 Abs. 8 ZKG den Landesregierungen oder – bei einer entsprechenden Übertragung – den Landesjustizverwaltungen freisteht, die Zuständigkeit einem Landgericht für die Bezirke mehrerer Landgerichte zuzuweisen. Nach § 50 Abs. 1 Satz 4 ZKG sind an dem Rechtsstreit der Berechtigte, der Verpflichtete und die Bundesanstalt beteiligt. bb) Widerspruchsverfahren vor Klageerhebung Allerdings sind nach § 50 Abs. 2 ZKG vor Erhebung der Klage Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Anordnung (Ablehnung des Antrags) gemäß § 49 Abs. 1 Satz 3 ZKG von der Bundesanstalt in einem Widerspruchsverfahren nachzuprüfen (Satz 1), wobei die §§ 69-72 sowie § 73 Abs. 1 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung entsprechend anzuwenden sind (Satz 2) und Widerspruch und Klage keine aufschiebende Wirkung haben (Satz 3). Nach § 50 Abs. 3 ZKG muss die Klage innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids schriftlich bei dem zuständigen Gericht erhoben werden (Satz  1). Ergeht ohne zureichenden Grund in angemessener Frist auf einen Antrag keine Anordnung oder auf einen Widerspruch kein Widerspruchsbescheid, so ist die Klage abweichend von § 50 Abs. 2 Satz 1 zulässig und nicht an eine Frist gebunden. Ein Versäumnisurteil ist nach § 50 Abs. 4 Satz 1 ZKG ausgeschlossen.97 cc) Entscheidung des Gerichts Hält das Gericht die Ablehnung des Antrags oder die Unterlassung der Anordnung für rechtswidrig, spricht es die Verpflichtung der Bundesanstalt aus, die beantragte Anordnung zu erlassen (§ 50 Abs. 4 Satz 3 ZKG). dd) Verfahrensregeln Das Gericht kann gemäß § 50 Abs. 5 ZKG anordnen, dass die notwendigen Kosten von einem Beteiligten ganz oder teilweise zu erstatten sind, wenn dies der Billigkeit entspricht. Für das Verfahren gelten  – sofern sich nicht aus Vorschriften des Zahlungskontengesetzes Abweichendes ergibt  – die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend (§ 50 Abs. 7 ZKG). Nach § 50 Abs. 6 ZKG darf die Bundesanstalt sich abweichend von § 78 ZPO durch ein Mitglied der Behörde vertreten lassen. c) Klage gegen das Institut; Anrufung der zuständigen Verbraucherschlichtungsstelle Der Berechtigte kann wegen der in § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1-3 ZKG genannten Gründe – sofern ein Verwaltungsverfahren gemäß §§ 48-50 ZKG nicht anhängig ist und es 96 Dazu Böger in Bankrechtstag 2016, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung 38, 2017, S. 236 m.w.N. 97 Vgl. Brinkmann in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 50 Rz. 7.

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an einer unanfechtbaren Entscheidung der Bundesanstalt fehlt (§ 51 Abs. 2 ZKG) – auch eine Klage gegen den Verpflichteten vor dem Landgericht erheben, in dessen Bezirk der Verpflichtete seinen Sitz hat (§ 51 Abs. 1, 3 ZKG), wobei hier § 50 Abs. 8 ZKG eingreift (vgl. IV.1.b], aa]). Ferner kann er nach § 14 Abs. 1 UKlaG die zuständige Verbraucher­schlichtungsstelle anrufen.98 d) Zur Freiheit des Berechtigten, zwischen den drei Rechtsbehelfen zu wählen Dem Berechtigten steht es frei, welchen der ihm zur Verfügung stehenden drei Rechtbehelfe er ergreifen will. Hat er sich jedoch für einen bestimmten Rechtsbehelf entschieden und diesen ergriffen, gibt es grundsätzlich Sperren für die beiden anderen Rechtsbehelfe.99 aa) Unzulässigkeit eines Verwaltungsverfahrens nach § 48 Abs. 2 ZKG Nach §  48 Abs.  2 ZKG ist die Beantragung eines Verwaltungsverfahrens nach Absatz 1 unzulässig, „wenn 1. der Berechtigte wegen der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 3 genannten Gründe bereits eine Klage gegen den Verpflichteten vor den ordentlichen Gerichten erhoben hat und diese Klage noch anhängig ist oder rechtskräftig über sie entschieden wurde oder 2. wegen der in Absatz 1 Nummer 1 bis 3 genannten Gründe ein Verfahren vor der nach § 14 Absatz  1 des Unterlassungsklagengesetzes zuständigen Verbraucherschlichtungsstelle anhängig ist.“

bb) Unzulässigkeit einer Klage gegen das Institut Nach § 51 Abs. 2 ZKG ist die Klage des Berechtigten gegen den Verpflichteten auf Abschluss eines Basiskontovertrags oder auf Eröffnung eines Basiskontos unzulässig während der Anhängigkeit eines Verwaltungsverfahrens gemäß den §§ 48-50 ZKG zur Durchsetzung des Anspruchs oder bei Vorliegen einer in einem solchen Verfahren ergangenen unanfechtbaren Entscheidung der Bundesanstalt. Hingegen steht ein Verfahren vor einer Verbraucherschlichtungsstelle einer solchen Klage nicht entgegen, weil diese zu einer Ablehnung der Schlichtung führt.100 cc) Unzulässigkeit eines Verbraucherschlichtungsverfahrens Ein Verbraucherschlichtungsverfahren wird durch ein anhängiges, auch ein später eingeleitetes Verwaltungsverfahren gemäß Artikel 2 Nr. 3 des Gesetzes vom 11.4.2016 98 Vgl. § 34 Abs. 4 ZKG und Fn. 66. 99 Brinkmann in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 48 Rz. 8, 9; Böger in Bankrechtstag 2016, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung 38, 2017, S. 235. 100 Vgl. BT-Drucks. 18/7204, S. 98.

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zur Umsetzung der Zahlungskontenrichtlinie101 gehindert. Dadurch wird § 48 Abs. 2 Nr. 2 ZKG (vgl. oben zu aa) entgegen seinem Wortlaut eingeschränkt.102 e) Rechtsbehelfe gegen die Vereinbarung unangemessener Entgelte und Kostenerstattungen sowie unzulässiger Vertragsstrafen Es spricht viel dafür, dass im Zahlungskontengesetz, insbesondere den §§ 48 ff. ZKG, eine Regelung fehlt, wie der Berechtigte gegen die Vereinbarung seiner Meinung nach unangemessener Entgelte, unangemessener Kostenerstattung oder unzulässiger Vertragsstrafen (§ 41 ZKG) vorgehen kann. aa) Je nach Streitwert Amts- oder Landgericht Es wird die Auffassung vertreten, die Überprüfung (des vereinbarten Entgelts) erfolge entsprechend § 51 Abs. 1, 3 ZKG durch die Landgerichte.103 Das erscheint nicht zweifelsfrei. Vielmehr dürften, weil es sich um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit handelt und es an einer anderweitigen Regelung fehlt, gemäß § 13 GVG die ordentlichen Gerichte (§ 12 GVG) und hier bei einem Streitwert bis zu 5.000 Euro gemäß § 23 Nr. 1 GVG die Amtsgerichte, bei einem höheren Streitwert gemäß § 71 GVG die Landgerichte zuständig sein. bb) Anrufung einer Verbraucherschlichtungsstelle, Anregung einer Anordnung nach § 46 Abs. 3 ZKG Allerdings kann der Berechtigte stattdessen auch eine Verbraucherschlichtungsstelle anrufen oder bei der Bundesanstalt eine Anordnung nach §  46 Abs.  3 ZKG anregen.104 f) Bei jedem Pflichtverstoß eines Instituts Möglichkeit der Anregung einer Anordnung nach § 46 Abs. 3 ZKG In jedem Fall ist es dem Berechtigten unbenommen, wegen irgendeines Pflichtverstoßes des Instituts eine Anordnung der Bundesanstalt nach § 46 Abs. 3 ZKG gegen den Verpflichteten oder seine Geschäftsleiter anzuregen. Dass die Bundesanstalt ihre Aufsichtspflicht nach § 46 ZKG nur im öffentlichen Interesse erfüllt und die Aufsichtspflicht keinen Rechtsanspruch des Berechtigten auf ein Vorgehen der Bundesanstalt

101 Vgl. Fn. 1. 102 Vgl. BT-Drucks. 18/7204, S. 98, 99; Brinkmann in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 48 Rz. 9. 103 Gondert/Huneke, VuR 2016, 323, 328-330. 104 Zu der zuletzt genannten Möglichkeit vgl. unten zu f; ferner Gondert/Huneke, VuR 2016, 323, 330; Böger in Bankrechtstag 2016, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung 38, 2017, S. 234.

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gegen den Verpflichteten oder dessen Geschäftsleiter begründet,105 hindert eine derartige Anregung nicht.106 2. Rechtsbehelf des Verpflichteten a) Anordnungen der Bundesanstalt zu Lasten des Verpflichteten Verweigert ein Verpflichteter dem Berechtigten den Abschluss eines Basiskontovertrags oder die Eröffnung eines Basiskontos und kann der Verpflichtete die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Antrags des Berechtigten nach den §§  34-37 ZKG oder das Nichtvorliegen von gemäß § 32 Abs. 1 zulässigen Voraussetzungen gegenüber der Bundesanstalt nicht glaubhaft machen, so ordnet die Bundesanstalt gegenüber dem Verpflichteten den Abschluss eines Basiskontovertrags oder für den Fall, dass ein Basiskontovertrag abgeschlossen wurde und es nur an der Eröffnung eines Basiskontos fehlt, die Eröffnung eines solchen Kontos an (§ 49 Abs. 1 Satz 1 ZKG). Beim Fehlen eines Basiskontovertrags hat dies nach § 49 Abs. 2 ZKG zur Folge, dass der Verpflichtete dem Berechtigten ein Angebot auf Abschluss eines Basiskontovertrags zu machen und nach Vertragsabschluss ein Basiskonto zu eröffnen hat. Für eine Anordnung kann die Bundesanstalt von dem Verpflichteten gemäß § 49 Abs. 3 ZKG eine Gebühr erheben. b) Klage des Verpflichteten gegen die Bundesanstalt Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 ZKG kann der Verpflichtete gegen ihm nachteilige Anordnungen der Bundesanstalt Klage erheben. Auch insoweit gelten die Regelungen in § 50 Abs. 1 Satz 3 und 4 sowie in § 50 Abs. 2 und 3, Abs. 4 Satz 1 und 2, Abs. 5-8 ZKG (vgl. oben zu IV. 1. b]).

105 Vgl. Brinkmann in Bülow/Artz, ZKG, 2017, § 46 Rz. 8, 9; Böger in Bankrechtstag 2016, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung 38, 2017, S. 234. 106 Vgl. Gondert/Huneke, VuR 2016, 323, 330 zu D III 3; Böger in Bankrechtstag 2016, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung 38, 2017, S. 234; Klöppel, WM 2017, 1090, 1094 zu D II a.E.

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Melilla, Brüssel und Luxemburg – Zum Urteil des EuGH vom 7.3.2018 Inhaltsübersicht I. Einleitung

IV. Zum Erfüllungsort

II. Das Problem

V. Konsequenzen aus dem Urteil des EuGH

III. Ansprüche aus einem Vertrag?

I. Einleitung Melilla – eine Stadt in Afrika und gleichwohl in Spanien! Wie Ceuta (seit 1580) gehört sie seit 1497 zu Spanien, nicht anders als etwa Sevilla und Granada. Allerdings ist die Stadt (wie Ceuta) auf der Landseite von marokkanischem Staatsgebiet umgeben  – eine EU-Außengrenze mit allen typischen Problemen. Dass sie aber deshalb auf marokkanischem Territorium läge, trifft ebenso wenig zu wie die einstige Propaganda­ lüge, Westberlin liege auf dem Territorium der DDR. Allenfalls könnte man nach Rechtsansprüchen Marokkos auf die beiden Städte fragen; es handelt sich um Relikte aus der Zeit der Eroberungskriege, und Verträge scheint es nicht zu geben. In der Gegend existieren noch andere seltsame Phänomene: Seit ähnlich langer Zeit gehören drei unbewohnte Felsenriffe in der Straße von Gibraltar und in Sichtweite der marokkanischen Küste zu Spanien, nämlich Alborán, Alhucemas und El Peñón de Velez de la Gomera, zusammengefasst als Los Presidios. Sie haben aber keine Flughäfen und können wegen ihrer Topographie auch keine haben.

II. Das Problem Melilla hat indessen einen Flughafen (ebenso Ceuta). Die Flüge, die von dort aus zu einem Flughafen in der EU starten, sind EU-Binnenflüge. Für ihre Fluggäste gilt die Fluggastrechteverordnung1 unabhängig davon, ob die ausführende Fluggesellschaft ihren Sitz in der EU hat oder nicht.2 Für den Fluggast bedeutet dies, dass er gemäß Art. 5 Nr. 1 Brüssel-I-Verordnung3 für den Fall großer Verspätung seinen Ausgleichs1 Verordnung (EG) Nr.  261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.2.2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91, ABl. L 46 v. 17.2.2004, S. 1. 2 Art. 3 Ziffer 1 lit. a der Verordnung. 3 EuGVVO a.F., entsprechend Art. 7 Nr. 1 Brüssel-Ia-Verordnung = EuGVVO n.F.

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anspruch entweder beim Gericht in Melilla oder beim Gericht des Ankunftsortes geltend machen kann. Für die Luftbeförderung ist der Erfüllungsort im Sinne der genannten Bestimmung an jedem der beiden Orte anzunehmen. Wie aber, wenn der Fluggast auf einen Zubringerflug von Melilla nach Madrid gebucht ist und erst in Madrid das Flugzeug nach Deutschland besteigt? Hier mag es keine Schwierigkeiten geben, wenn beide Flüge von derselben Fluggesellschaft ausgeführt werden; denn dann hat der in Deutschland ansässige Fluggast den willkommenen Gerichtsstand in Deutschland. Wie aber, wenn die Fluggesellschaft, mit der der Beförderungsvertrag geschlossen ist und die auch den Flug von Madrid nach Deutschland ausführt, die Ausführung des Fluges von Melilla nach Madrid einer Tochtergesellschaft überträgt? Wie ist es insbesondere, wenn dieser Zubringerflug der Tochtergesellschaft zu spät startet, der Fluggast deshalb in Madrid den Flug nach Deutschland verpasst und erst mit einem anderen Flug und großer Verspätung in Deutschland ankommt? Für die Fluggesellschaft, mit der der Vertrag geschlossen ist, liegt es dann nahe, die Verantwortung auf ihre Tochtergesellschaft abzuwälzen. Kann aber diese wegen der großen Verspätung, die erst bei der Ankunft auf dem Zielflughafen in Deutschland offenbar wird, ebenfalls in Deutschland verklagt werden? Ein Gerichtsstand in Melilla oder Madrid ist für den in Deutschland ansässigen Fluggast nicht attraktiv. Handelt es sich bei seinem Rechtsverhältnis zu dieser Fluggesellschaft um ein Vertragsverhältnis im Sinne von Art. 5 Nr. 1 Brüssel-I-VO? Welche Leistung erbringt die erste Fluggesellschaft mit Bezug auf die Ankunft des Fluggastes in Deutschland, so dass auch der Zielort in Deutschland als Gerichtsort in Betracht kommen könnte? Diese Probleme stellen sich zugegebenermaßen nicht nur für Zubringerflüge aus Melilla oder Ceuta nach Madrid, sondern ganz allgemein für solche von einem Flughafen in der EU aus, wenn das Endziel des Fluggastes in Deutschland liegt, aber in der EU außerhalb Deutschlands umgestiegen werden soll. Der EuGH hat sich in seinem Urteil vom 7.3.20184 mit beiden Fragen befasst. Vorausgegangen war ein Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs.5 Sedes materiae ist Art. 5 Nr. 1 lit. a Brüssel-I-VO.6 Danach kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates hat, abweichend von der Grundregel in Art. 2 Abs. 1 der Verordnung in einem anderen Mitgliedsstaat verklagt werden, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden; zuständig sind dann (auch) die Gerichte des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Kann dies zugunsten des in Deutschland 4 Verbundene Rechtssachen: EuGH v. 7.3.2018 – C-274/16, C-447/16 und C-448/16, EuZW 2018, 465 und NJW 2018, 2105. 5 BGH v. 14.6.2016 – X ZR 92/15, juris. Nach der Vorabentscheidung des EuGH hat der Bundesgerichtshof mit Urteil v. 11.9.2018 der Revision der Fluggäste stattgegeben und das Urteil der ersten Instanz wiederhergestellt, worin die ausführende Fluggesellschaft der ersten Teilstrecke zu Ausgleichsleistungen verurteilt worden war. 6 Hier und vom EuGH noch zitiert in der Fassung v. 12.12.2012, da der Rechtsstreit vor dem 10.1.2015 eingeleitet worden ist; nunmehr Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVVO in der ab 10.1.2015 geltenden Fassung, insoweit ohne Änderungen.

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ansässigen Klägers, der gegen die ausführende Fluggesellschaft der ersten Teilstrecke vorgeht, die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte begründen?

III. Ansprüche aus einem Vertrag? Dies führt zunächst auf die Frage, ob Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Rechtsstreits bilden. Der Bundesgerichtshof hat den Ausgleichsanspruch nach der Fluggastrechteverordnung stets als vertraglichen Anspruch angesehen. Dies galt in Fällen, in denen die Flugreise nur aus einem einzigen Flug bestand und die Fluggesellschaft, mit der der Vertrag geschlossen war, diesen Flug auch ausgeführt hat bzw. ausführen sollte.7 Maßgebend dafür war, dass der Ausgleichsanspruch aus Art. 5 der Fluggastrechteverordnung eine bestätigte Buchung voraussetzt (Art.  3 Abs.  2 der Fluggastrechteverordnung), mithin einen Vertrag. Insgesamt qualifiziert der Bundesgerichtshof demgemäß den Ausgleichsanspruch als gesetzlichen Anspruch auf vertraglicher Grundlage.8 Dasselbe gilt aber auch in den Fällen, in denen die Fluggesellschaft, mit der der Vertrag geschlossen war, dessen Ausführung ganz oder teilweise einer anderen Fluggesellschaft überlassen hatte und die Unregelmäßigkeit auf der von dieser Gesellschaft ausgeführten Teilstrecke auftrat.9 Für den Bundesgerichtshof war insoweit maßgebend, dass der Vertrag, bei dessen Ausführung die Unregelmäßigkeit eingetreten ist, nicht mit der ausführenden Fluggesellschaft geschlossen sein muss, sondern auch mit einer anderen geschlossen sein kann, zu der diese wiederum in einem Vertragsverhältnis steht.10 Für den EuGH war in einem Fall, in dem es um einen Direktflug mit einer Fluggesellschaft ging, mit der auch der Flug abgeschlossen war und die diesen Flug ausführen sollte, selbstverständlich, dass es sich bei der Verfolgung des Ausgleichsanspruchs um eine vertragliche Streitigkeit im Sinne von Art. 5 Nr. 1 Brüssel-I-VO handelt. Er hat diese Frage in seinem Urteil vom 9.7.200911 gar nicht näher erörtert. Die Frage, wie es sich gegenüber einem ausführenden Luftfahrtunternehmen verhält, mit dem der Fluggast keinen Vertrag geschlossen hat, hat der EuGH damals noch nicht entscheiden müssen. Ein früherer Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs hierzu12 hatte sich vor Entscheidung durch den EuGH erledigt, da das Verfahren anderweit ein Ende gefunden hatte.

7 BGH v. 12.11.2009 – Xa ZR 76/07, juris Rz. 18 zu § 29 ZPO; BGH v. 18.1.2011 – X ZR 71/10, BGHZ 188, 85 Rz. 26 zu Art. 5 Nr. 1 Brüssel-I-VO. 8 Vorlagebeschluss v. 14.6.2016 zu BGH v. 18.8.2015 – X ZR 2/15, juris Rz. 9.  9 BGH v. 30.4.2009 – Xa ZR 78/08, DAR 2009, 696 Rz. 13; BGH v. 28.5.2009 – X ZR 113/08, DAR 2009, 648 Rz. 9; BGH v. 18.8.2015 – X ZR 2/15, juris Rz. 15.  10 So etwa BGH v. 18.1.2011 – X ZR 71/10, BGHZ 188, 85 Rz. 26.  11 „Rehder“ – EuGH v. 9.7.2009 – C-204/08, EuZW 2009, 569; gleiche Rechtssache wie BGH v. 12.11.2009 – Xa ZR 76/07, DAR 2010, 86. 12 BGH v. 18.8.2015 – X ZR 2/15, juris.

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Der EuGH folgt in seinem Urteil vom 7.3.2018 dem Bundesgerichtshof auch für den Fall der Einschaltung eines ausführenden Luftfahrtunternehmens, und dies mit annähernd gleicher Begründung.13 Danach genügt es, dass eine von einer Person gegenüber einer anderen Person eingegangene rechtliche Verpflichtung besteht, auf die sich die betreffende Klage stützt. Der Abschluss eines Vertrages zwischen den beiden Parteien des Rechtsstreits wird nicht verlangt. Für die hier erörterte Konstellation genügt es deshalb, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen die Verpflichtung zur Beförderung gegenüber dem Unternehmen eingegangen ist, mit dem der Fluggast den Beförderungsvertrag abgeschlossen hatte. Dass dem in der Regel so ist, entnimmt der EuGH dem Art. 3 Abs. 5 Satz 2 der Fluggastrechteverordnung. Diese weite Abgrenzung mag sich dadurch rechtfertigen, dass als Gegenstück nur deliktische Ansprüche verbleiben.14

IV. Zum Erfüllungsort Damit ist indessen der in Deutschland ansässige Kläger noch keineswegs bei der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte angelangt. Vielmehr muss nach Art. 5 Nr. 1 Brüssel-I-VO auch die streitige Verpflichtung in Deutschland erfüllt worden sein oder in Deutschland zu erfüllen gewesen sein. Hierzu hat der EuGH bereits entschieden, dass der Fluggast Ausgleichszahlungen nach der Fluggastrechteverordnung nach seiner Wahl entweder am Ort des Abflugs oder am Ankunftsort einklagen kann.15 Er erkennt dabei an, dass Beförderungen im Luftverkehr im Gegensatz zu Lieferungen beweglicher Sachen bereits ihrer Natur nach Dienstleistungen sind, die untrennbar und einheitlich vom Ort des Abflugs bis zum Ort der Ankunft des Flugzeugs erbracht werden, so dass es in solchen Fällen nicht möglich ist, anhand wirtschaftlicher Kriterien einen gesonderten Teil der Leistung auszumachen, der die an einem bestimmten Ort erbrachte Hauptleistung darstellte.16 Maßgebend sind alsdann für ihn die Gesichtspunkte der Nähe zum Sachverhalt des Rechtsstreits und der Vorhersehbarkeit des Ortes der Prozessführung, die der EuGH bei seiner Lösung jeweils als gewahrt ansieht.17 Unerheblich sind demgegenüber der Sitz der Fluggesellschaft (der aber dem Wohnsitz gleichsteht und damit natürlich den allgemeinen Gerichtsstand nach Art. 2 Abs. 1 Brüssel-I-VO begründet), Orte eventueller Zwischenlandungen und die Orte des Vertragsschlusses und der Aushändigung des Flugscheins.18 Dies alles betrifft freilich einen Direktflug aufgrund eines Vertrages mit einer einzigen Fluggesellschaft, die den Flug dann auch selbst ausgeführt hat. Wie aber, wenn es sich um zwei Flüge innerhalb einer Flugreise handelt, ebenso um zwei Fluggesellschaften, 13 EuGH v. 7.3.2018 – C-274/16, C-447/16 und C-448/16, EuZW 2018, 465, Rz. 63. 14 Art. 5 Nr. 2 Brüssel-I-VO. 15 „Rehder“ – EuGH v. 9.7.2009 – C-204/08, EuZW 2009, 569. 16 EuGH v. 9.7.2009 Rz. 42. 17 EuGH v. 9.7.2009 Rz. 43-45. 18 EuGH v. 9.7.2009 Rz. 39.

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und der Fluggast diejenige, die die erste Teilstrecke ausgeführt hat, am Zielflughafen in Anspruch nehmen will? Kann man sagen, dass sie auch dort vertragliche Leistungen erbracht hat oder erbringen sollte, etwa in dem Sinne, dem Fluggast das sichere Verlassen des Flugzeugs am Zielflughafen zur vereinbarten Zeit19 zu ermöglichen? Die Frage hat sich als das eigentliche Problem des Falles erwiesen. Schon der Bundesgerichtshof hat aber angedeutet, dass sie womöglich zu eng gefasst ist.20 Er verweist darauf, dass durch die Überleitung der Verpflichtungen nach der Fluggastrechteverordnung vom Vertragspartner auf das ausführende Luftfahrtunternehmen die Rechtsposition des Fluggastes verbessert, nicht aber verschlechtert werden sollte; es erscheine deshalb nicht unangemessen, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen es sich bei der Bestimmung des Erfüllungsortes zurechnen lassen muss, dass die von dem Vertragspartner des Fluggastes eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen auch am Endziel zu erfüllen sind. Der Generalanwalt beim EuGH hatte dahin argumentiert, die durch den Wunsch des Fluggastes definierte Gesamtdienstleistung und der dementsprechend abgeschlossene Beförderungsvertrag müssten ungeachtet dessen, welche und wie viele „Unterauftragnehmer“, also ausführende Luftfahrtunternehmen, das vertragsschließende Luftfahrtunternehmen zur Erbringung der Dienstleistung auswählt, dieselben bleiben.21 Das vertragsschließende Luftfahrtunternehmen könne sich auf der materiell-rechtlichen Ebene nicht dadurch von den mit dem Fluggast vereinbarten vertraglichen Pflichten befreien, dass es im Wege eines Unterauftrags ein anderes Luftfahrtunternehmen mit einem Teil der Beförderungsleistung betraut; diese Rechtslage müsse spiegelbildlich auch auf der Ebene des Verfahrens und der gerichtlichen Zuständigkeit gelten.22 Der EuGH meint hierzu schlicht, auch bei einer aus zwei Teilstrecken bestehenden Luftreise sei der Zielflughafen Erfüllungsort; dies dürfe nicht dadurch in Frage gestellt werden, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen, das nicht Vertragspartner der betreffenden Fluggäste ist, die Beförderung auf einem Flug übernimmt, der nicht am Ankunftsort der zweiten Teilstrecke endet.23 Dies entspreche auch dem Grundsatz der Vorhersehbarkeit, da sowohl der Kläger als auch der Beklagte leicht das Gericht an dem Ort, der in dem betreffenden Beförderungsvertrag als Ankunftsort der zweiten Teilstrecke festgelegt ist, als Gericht ausmachen können, bei dem eine Klage erhoben werden kann.24 Man darf hinzufügen, dass die gegenteilige Entscheidung der Vorhersehbarkeit jedenfalls für den Fluggast schon deshalb nicht Rechnung trüge, weil er keinen Einfluss darauf hat und möglicherweise auch gar nicht feststellen kann, ob die Fluggesellschaft, mit der er den Vertrag abgeschlossen hat, eine Teilstrecke 19 EuGH v. 9.7.2009 Rz. 40. 20 BGH, Vorlagebeschl. v. 14.6.2016 – X ZR 92/15, juris Rz. 16. 21 Schlussanträge des Generalanwalts Bobek v. 19.10.2017 zu EuGH v. 7.3.2018 – C-274/16, C-447/16 und C-448/16, CILFIT [ECLI:EU:C:2017:787] Rz. 74. 22 Schlussanträge des Generalanwalts Bobek v. 19.10.2017 zu EuGH v. 7.3.2018 – C-274/16, C-447/16 und C-448/16, CILFIT [ECLI:EU:C:2017:787] Rz. 77. 23 EuGH v. 7.3.2018 – C-274/16, C-447/16 und C-448/16, EuZW 2018, 465, Rz. 72. 24 EuGH v. 7.3.2018 – C-274/16, C-447/16 und C-448/16, EuZW 2018, 465, Rz. 75.

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durch eine andere – ihr verbundene und womöglich sogar namensähnliche – Fluggesellschaft ausführen lässt. Der Kläger, dem an der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte gelegen war, hat also sein Ziel erreicht. Der Ausgleichsanspruch gegen die ausführende Fluggesellschaft der ersten Teilstrecke, deren Betrieb zu einer großen Verspätung auf der zweiten Teilstrecke geführt hat, kann in Deutschland geltend gemacht werden, weil es ausreicht, dass sich hier der Zielflughafen befindet.

V. Konsequenzen aus dem Urteil des EuGH Was lernen wir daraus? Das eine Teilstrecke ausführende Luftfahrtunternehmen muss damit rechnen, auch am Zielort der gesamten Flugreise auf Ausgleichsleistungen in Anspruch genommen zu werden, selbst wenn es nur eine Ursache gesetzt hat, die sich erst auf der späteren Teilstrecke ausgewirkt hat. Der Fluggast, der solche Ansprüche geltend macht, muss nicht am Sitz des ausführenden Luftfahrtunternehmens und nicht am Abflug- oder Ankunftsort der ersten Teilstrecke klagen. Die Entscheidung gilt auch für Flugreisen, die aus mehr als zwei Teilstrecken bestehen, und bei denen die Fluggesellschaft, mit der der Vertrag abgeschlossen ist, womöglich mehr als eine Teilstrecke an eine oder mehrere andere ausführende Fluggesellschaften abgegeben hat. Der Generalanwalt hat ausdrücklich eine Entscheidung verlangt, die auch diese Fälle zufriedenstellend löst;25 er hat sie in der Maßgeblichkeit auch des Zielorts gesehen, der der EuGH gefolgt ist. Das Urteil des EuGH setzt nicht (wie noch der Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs) voraus, dass auf dem Umsteigeflughafen kein nennenswerter Aufenthalt vorgesehen war. Es genügt vielmehr, wenn die beiden Teilstrecken Gegenstand einer einheitlichen Buchung waren.26 Im Übrigen wird sich in der Praxis ein (planmäßiger) längerer Aufenthalt auf dem Umsteigeflughafen vielfach dahin auswirken, dass die Verspätung des Fluges aus der ersten Teilstrecke aufgefangen wird und nicht zu einer großen Verspätung am Zielflughafen führt. Es bleibt die Frage, ob der Fluggast den Ausgleichsanspruch gegen die ausführende Fluggesellschaft der ersten Teilstrecke auch an dem Ort geltend machen kann, an dem die erste Teilstrecke geendet hat. Daran könnte vor allem ein Interesse bestehen, wenn dieser Ort weder im Staat des Abflugortes auf der ersten Teilstrecke noch im Staat des Zielflughafens liegt. Macht man aber Ernst mit der Einheit des Vertragszwecks27 und der Unwichtigkeit von Zwischenlandungen,28 so sollte dies nicht angehen. 25 Schlussanträge des Generalanwalts Bobek v. 19.10.2017 zu EuGH v. 7.3.2018 – C-274/16, C-447/16 und C-448/16, CILFIT [ECLI:EU:C:2017:787] Rz. 85. 26 EuGH v. 7.3.2018 – C-274/16, C-447/16 und C-448/16, EuZW 2018, 465, Rz. 71. 27 EuGH v. 7.3.2018 – C-274/16, C-447/16 und C-448/16, EuZW 2018, 465, Rz. 71. 28 „Rehder“ – EuGH v. 9.7.2009 – C-204/08, EuZW 2009, 569, Rz. 40.

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Melilla, Brüssel und Luxemburg – Zum Urteil des EuGH vom 7.3.2018

Nicht entschieden ist im Urteil vom 7.3.2018 die Frage, ob der Fluggast am Abflugort der ersten Teilstrecke klagen kann, wenn diese ordnungsgemäß ausgeführt worden, der Umsteigeort in der EU belegen, die Unregelmäßigkeit aber auf der zweiten Teilstrecke eingetreten und von der Fluggesellschaft zu verantworten ist, mit welcher der Fluggast den Vertrag für die gesamte Beförderung abgeschlossen hat und gegenüber der er nunmehr den Ausgleichsanspruch geltend macht. Der EuGH hat darüber deshalb nicht entschieden, weil im konkreten – mit dem vorbezeichneten Rechtsstreit zu gemeinsamer Entscheidung verbundenen  – Fall letztere Fluggesellschaft ihren Sitz außerhalb der EU hatte, so dass sie nicht der Brüssel-I-VO unterliegt. Indessen hat der Bundesgerichtshof bereits einen weiteren Vorlagebeschluss zu dieser Problematik „nachgeschoben“, bei dem eine Fluggesellschaft mit Sitz in der EU in Anspruch genommen wird.29 Dieser spiegelbildliche Fall sollte nach den gleichen Kriterien entschieden werden; insbesondere sollte auch hier die Fluggesellschaft, mit der der Vertrag besteht, unter dem Gesichtspunkt der einheitlichen Dienstleistung aus dem Vertrag am ersten Abflugort belangt werden können.

29 BGH v. 28.11.2017 – X ZR 76/16, juris.

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Qualitätssicherung im Zivilprozess Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Spezialisierung 1. Sinn und Zweck 2. Änderung zum 1.1.2018 3. Weitere Entwicklung III. Kammern für Handelssachen der ­Landgerichte 1. Gegenwärtige Situation 2. Spezialisierung 3. Nichtjuristischer Sachverstand – ein ­Vorteil der Kammern für Handelssachen? 4. Resümee zur Zukunft der Kammern für Handelssachen

IV. Beiziehung von Sachverständigen im ­Zivilprozess 1. Notwendigkeit der Heranziehung 2. Problemstellung 3. Lösung

V. Strukturierung des Verfahrens 1. Problemstellung 2. Lösung

VI. Stärkung des Kammer-/Senatsprinzips VII. Ausblick

I. Einleitung Die Sicherung der Qualität des Zivilprozesses ist ein Thema, das in letzter Zeit vielfach diskutiert wird. Der 70. Deutsche Juristentag 2014 hat diese Qualitätsdiskussion mit mannigfaltigen konkreten Vorschlägen belebt.1 Im Herbst 2017 hat sich die Konferenz der Justizministerinnen und -minister des Themas angenommen und Vorschläge gemacht, wie der Zivilprozess fortentwickelt werden sollte. Auch die Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Kammergerichts und des Bundesgerichtshofs haben sich dem Thema auf ihren Jahrestagungen 2015 und 2017 gewidmet. In der Literatur finden sich in jüngster Zeit vermehrt Veröffentlichungen zu der Thematik.2 Im Sommer 2017 hat nun der Gesetzgeber mit der Einführung von obligatorischen Spezialspruchkörpern für bestimmte Materien bei den Land- und Oberlandesgerichten einen diese Diskussionen aufgreifenden ersten Schritt in Richtung Fortentwicklung des Zivilprozesses gemacht. Im Folgenden sollen einige Aspek-

1 Vgl. Verhandlungen des 70. Deutschen Juristentages 2014, Bd. I, S. A1 ff. (Gutachten Callies) und Bd. II/1, S. I 11 ff. (Referate Lotz und Vorwerk). 2 Vgl. zur Spezialisierung Fölsch, DRiZ 2017, 166 ff., und die Diskussion des Für und Wider von mehr Spezialisierung in der Ziviljustiz durch Haferanke/Neumann, DRiZ 2018, 58  f.; zum Verhandeln auf Englisch vor deutschen Gerichten Hoffmann, DRiZ 2018, 6  ff.; zum Klagerückgang bei den Zivilgerichten Prütting, DRiZ 2018, 62; zur Zukunft der Kammern für Handelssachen Fleischer/Danninger, ZIP 2017, 205 ff.; zur Frage der Flexibilität des Richtereinsatzes die Diskussion von Sandherr/Tappert, DRiZ 2018, 16 f.

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te angesprochen werden, die meines Erachtens wichtig sind, um die Qualität des Zivilprozesses weiter zu sichern.

II. Spezialisierung 1. Sinn und Zweck Spezialisierung ist ein Thema, das die Justiz lange Zeit der Anwaltschaft überlassen hat. Während die Anwaltschaft immer neue Fachanwaltstitel geschaffen hat und große Rechtsanwaltskanzleien bereits heute arbeitsteilig, hoch spezialisiert und, soweit erforderlich, auch interdisziplinär arbeiten, hielt vor allem die ordentliche Justiz am Bild des Einheitsjuristen, der alles gleich gut beherrscht, lange Zeit beharrlich fest. Tatsächlich zeigt die Erfahrung in der gerichtlichen Praxis, dass die Idee des Einheitsjuristen auch in der Zivilgerichtsbarkeit nur noch bedingt funktioniert. Richter können im Zivilprozess nur dann hoch spezialisierten Anwälten auf Augenhöhe begegnen, wenn sie sich im gleichen Maß in einem Sachgebiet fortbilden wie die Spe­ zialanwälte und die aktuelle  – häufig sehr ausdifferenzierte  – Rechtsprechung und Literatur in diesem Sachgebiet laufend im Blick behalten. Das ist aber nur möglich, wenn die sachliche Zuständigkeit des Richters begrenzt ist. Die Präsidien zahlreicher Gerichte haben auf diesen Befund bereits vor Jahren reagiert und Spezialspruchkörper gebildet. Nach einer Umfrage des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz aus dem Jahr 2014 fanden sich allerdings zum Beispiel an deutlich weniger als der Hälfte der Landgerichte in Deutschland Spezialspruchkörper für Bausachen, obwohl gerade Bausachen bei jedem Landgericht in relevanter Anzahl eingehen und hier der Ruf nach Spezialisierung bei den Landgerichten sogar aus dem Bausenat des Bundesgerichtshofs kam.3 2. Änderung zum 1.1.2018 Bis Ende 2017 gab es für die Präsidien der Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit nur für einzelne, besonders ausgewählte Rechtsmaterien Vorgaben für die gerichtsinterne Geschäftsverteilung. Zu nennen ist hier beispielsweise die gesetzliche Pflicht der Amtsgerichte zur Bildung von Abteilungen für Familiensachen gemäß §  23b GVG und für Betreuungs- und Unterbringungssachen gemäß §  23c GVG, aber auch die Einrichtung der landgerichtlichen Kammern für Handelssachen durch die Landesregierungen bzw. Landesjustizverwaltungen gemäß § 93 GVG.4

3 Vgl. Kniffka, Die Zukunft des Baurechts, in FS 50 Jahre Deutsches Anwaltsinstitut e.V., 2003, S. 131 ff., 139; Kniffka war seit 1998 Mitglied und von 2008 bis 2014 Vorsitzender des für Baurecht zuständigen VII. ZS des BGH. 4 Ergänzend seien auch die Landwirtschaftsgerichte bei den Amts- und Oberlandesgerichten nach § 2 des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen sowie die Baulandkammern der Landgerichte und Baulandsenate der Oberlandesgerichte nach §§  220, 229 BauGB erwähnt.

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Qualitätssicherung im Zivilprozess

Zum 1.1.2018 ist der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Reform des Bauvertrags, zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung, zur Stärkung des zivilprozessualen Rechtsschutzes und zum maschinellen Siegel in Grundbuch- und Schiffsregisterverfahren einen entscheidenden Schritt weiter gegangen: Er hat für allgemeine zivilrechtliche Materien eine obligatorische Spezialisierung an den Land- und Oberlandesgerichten an­ geordnet. Die §§ 72a, 119a GVG sehen seitdem vor, dass an den Land- und Oberlandesgerichten ein oder mehrere Zivilkammern bzw. -senate für folgende Sachgebiete gebildet werden müssen: für Streitigkeiten aus Bank- und Finanzgeschäften, aus Bauund Architektenverträgen sowie aus Ingenieursverträgen, soweit sie im Zusammenhang mit Bauleistungen stehen, sowie über Ansprüche aus Heilbehandlungen und aus Versicherungsvertragsverhältnissen. Begründet hat der Gesetzgeber diese obligatorische Spezialisierung damit, es werde die Idee aufgegriffen, dass eine häufigere Befassung mit einer bestimmten Materie zu einer Qualitätssteigerung führe.5 Damit hat auch der Gesetzgeber ganz allgemein den Wert der Spezialisierung für die Zivilkammern und Zivilsenate der Land- und Oberlandesgerichte erkannt. 3. Weitere Entwicklung Die Justizministerinnen und -minister haben sich auf ihrer Herbstkonferenz 2017 dieser Erkenntnis folgend für weitere obligatorische Spezialisierungen bei den Zivilkammern und -senaten ausgesprochen. Derzeit berät eine Arbeitsgruppe unter Federführung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz und unter Beteiligung einiger Bundesländer, ob weitere obligatorische Spezialisierungen sinnvoll sind und, wenn ja, für welche Sachgebiete diese eingeführt werden sollten. In der Diskussion sind für die Land- und Oberlandesgerichte Streitigkeiten aus dem Ge­ sellschaftsrecht, aus dem Bereich der Kommunikations- und Informationstechno­ logie, Anfechtungssachen nach dem Anfechtungsgesetz und der Insolvenzordnung und Streitigkeiten aus Finanzgeschäften, auch ohne Beteiligung von Banken oder sonstigen Kredit- oder Finanzinstituten. Bei den Amtsgerichten wird über obligatorische Spezialisierungen im Bereich des Wohnraummietrechts und des Wohnungseigentumsrechts nachgedacht. Weitere Spezialisierungen sollen nach Ansicht der Bund-­ Länder-Arbeitsgruppe Teil eines umfassenderen gesetzgeberischen Maßnahmenpakets zur Stärkung der Ziviljustiz sein. In der gerichtlichen Praxis regt sich allerdings Widerstand gegen weitere Spezialisierungen.6 Angeführt wird, bei kleineren Landgerichten mit wenigen Zivilkammern bleibe bereits bei der jetzt im Gesetz vorgeschriebenen Spezialisierung der gewünschte Effekt einer Spezialisierung aus. Denn hier seien die gesetzlichen Vorgaben häufig nur so umsetzbar, dass jeder Richter Mitglied in mehreren Zivilspezialkammern sei. Aber selbst bei den meisten kleineren Landgerichten bewirkt die obligatorische Spezialisierung doch zumindest, dass nicht mehr jeder Richter für jede Rechtsmaterie zuständig ist. 5 So die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz, BT-Drucks. 18/11437, S. 44/45. 6 Vgl. Neumann, DRiZ 2018, 59.

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Zugegeben, gerade bei kleinen Landgerichten wird häufig auch die nötige Fallzahl fehlen, damit sich in einem Sachgebiet eine wirkliche Expertise herausbilden und die Spezialisierung ihre volle Wirkung entfalten kann. Hier sind aber Lösungen denkbar: § 13a GVG ermöglicht, dass einem Gericht für die Bezirke mehrerer Gerichte Sachen aller Art ganz oder teilweise zugewiesen werden. Auf der Grundlage dieser Vorschrift könnten also mehrere kleinere Landgerichte miteinander kooperieren: Das eine Landgericht könnte die Spezialkammer für das eine Sachgebiet für die Bezirke mehrerer Gerichte stellen, während das Nachbar-Landgericht die Spezialkammer für ein anderes Sachgebiet für die Bezirke mehrerer Gerichte einrichten könnte. Dies würde zum einen die kleinen Gerichte in der Fläche erhalten und sogar stärken, zum anderen würde es die Qualität der Rechtsprechung auch in der Fläche sichern. § 13a GVG fordert allerdings ein formelles Landesgesetz für derartige Zuständigkeitskonzentrationen.7 Ein schwerfälliges Gesetzgebungsverfahren verhindert hier aber ein flexibles Reagieren auf Entwicklungen. Deshalb haben sich die Justizministerinnen und -minister der Länder im Herbst 2017 auch dafür ausgesprochen, dass der Bundesgesetzgeber in § 13a GVG entsprechend dem Vorbild zum Beispiel des § 71 Absatz 4 GVG eine Rechtsverordnungsermächtigung für die Landesregierungen und eine Subdelegationsermächtigung für die Landesjustizverwaltungen einführt.

III. Kammern für Handelssachen der Landgerichte 1. Gegenwärtige Situation Die Einführung von Spezialisierungen bei den Zivilkammern der Landgerichte sichert nicht nur die Qualität der Rechtsprechung der Zivilkammern, sie könnte auch Auswirkungen auf die Attraktivität der Kammern für Handelssachen haben. Bereits seit Jahren verzeichnen die Kammern für Handelssachen deutschlandweit einen erheblichen Verfahrensrückgang: Vergleicht man die Zahl der Erledigungen der Jahre 1995 und 2015, so betrug der Rückgang deutschlandweit bei den Kammern für Handelssachen 49,58 %.8 Erklärungsversuche dafür gibt es viele.9 Als ein Grund wird angeführt, dass Kaufleute lieber zu privaten Schiedsgerichten als zu den Kammern für Handelssachen gingen, da sie bei den privaten Schiedsgerichten die schnellen und sachkundigen Entscheidungen schätzten.10 Aus seinen rechtsvergleichenden Betrachtungen zieht Wagner den Schluss, dass die Unternehmen lieber zusätzlichen juristischen Sachverstand auf der Richterbank haben als nichtjuristischen Sachverstand.11 Dann dürften künftig aber auch vermehrt die spezialisierten Zivilkammern eine Kon 7 So die Gesetzesbegründung, vgl. BT-Drucks. 16/47, S.  40; ebenso Kissel/Mayer, GVG, 8. Aufl. 2015, § 13a GVG Rz. 1 und Prütting/Gehrlein, ZPO, 7. Aufl. 2015, § 13a GVG Rz. 1.  8 Wagner, Rechtsstandort Deutschland im Wettbewerb, 2017, S.  201, vergleicht die Jahre 2005 und 2015 und kommt für diesen Zeitraum zu einem Rückgang von ca. 35 %. 9 Vgl. exemplarisch die Ausführungen bei Wagner, Rechtsstandort Deutschland im Wettbewerb, 2017, S. 199 ff. 10 Fleischer/Danninger, ZIP 2017, 205, 207. 11 Vgl. Wagner, Rechtsstandort Deutschland im Wettbewerb, 2017, S. 204.

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kurrenz für die Kammern für Handelssachen werden. Eine größere Spezialisierung bei den Zivilkammern der Landgerichte lässt also befürchten, dass die Kammern für Handelssachen weiter an Attraktivität verlieren. Es stellt sich die Frage, wie das „Ausbluten“ der Kammern für Handelssachen gestoppt werden kann. 2. Spezialisierung Um die Attraktivität der Kammern für Handelssachen wieder herzustellen, bietet es sich zunächst einmal an, die Spezialisierung auch bei den Kammern für Handelssachen voranzutreiben. Der Katalog der Sachgebiete nach § 95 GVG, für den die Kammern für Handelssachen zuständig sind, ist breit gefächert und würde daher eine Spezialisierung auch innerhalb der Kammern für Handelssachen im Grundsatz erlauben. Allerdings ist die Anzahl der an einem Landgericht eingerichteten Kammern für Handelssachen deutlich kleiner als die Zahl der Zivilkammern. Deshalb erscheint es – je nach Anzahl der gewollten Spezialisierungsgebiete – bei kleineren und mittleren Landgerichten tatsächlich fraglich, ob der mit der Spezialisierung gewünschte Effekt erreicht werden kann. 3. Nichtjuristischer Sachverstand – ein Vorteil der Kammern für Handelssachen? Unabhängig von der Frage, ob es möglich ist, durch Spezialisierung innerhalb des Systems der Kammern für Handelssachen deren Attraktivität wesentlich zu steigern, sollte man vielleicht vor allem auch bei dem Merkmal ansetzen, das die Kammern für Handelssachen von den Zivilkammern unterscheidet: bei der Hinzuziehung von nichtjuristischem Sachverstand auf die Richterbank, nämlich der Hinzuziehung der ehrenamtlichen Handelsrichter. Die Kammern für Handelssachen bei den Landgerichten sind in der heutigen Form bereits seit der Einführung des GVG im Gesetz verankert.12 Der historische Gesetzgeber hatte den Zweck der Besetzung der Richterbank auch mit ehrenamtlichen Handelsrichtern wie folgt begründet: „Gerichte, bei welchen tüchtige und erfahrene Kaufleute mitwirken, werden in Handelssachen ohne Weiteres und mit Sicherheit zu einem sachgemäßen, die Gestaltung des kaufmännischen Verkehrs richtig würdigenden Urtheil gelangen können, während ein nur mit rechtsgelehrten Richtern besetztes Gericht in vielen Fällen nur durch das umständliche und weniger sichere Mittel der Vernehmung von Sachverständigen sich die nothwendigen Grundlagen des Urtheils verschaffen kann.“13

Wie steht es aber heute mit diesem vom historischen Gesetzgeber bezweckten qualitativen Vorteil? In der gerichtlichen Praxis wird erfahrungsgemäß häufig von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, dass der Vorsitzende der Kammer für Handelssa12 Zur Geschichte: Fleischer/Danninger, ZIP 2017, 205. 13 Hahn, Die gesamten Materialien zu dem Gerichtsverfassungsgesetz, 2.  Aufl.1883, I. Abt. S. 112.

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chen nach § 349 Absatz 3 ZPO anstelle der Kammer entscheidet, also ohne die Handelsrichter hinzuzuziehen.14 Diese Praxis mag aber ihre Ursache vor allem auch darin haben, dass die Handelsrichter entsprechend einer zu Jahresbeginn festgelegten Geschäftsverteilung den Verfahren „blind“ zugeteilt werden. Sie werden also nicht zielgerichtet entsprechend ihrer spezifischen Fachkenntnisse in den Verfahren eingesetzt. Denkbar wäre, dass ein Spezialist für Buchhaltungsfragen zu einem Verfahren hinzugezogen wird, bei dem es genau um solche Fragen geht und nicht etwa zu einer Bausache, bei der es darum geht, Baumängel zu beurteilen. Durch das „blinde“ Zuteilungsverfahren bleibt im Ergebnis das fachliche Wissen der Handelsrichter häufig ungenutzt. Dieses Potential nutzen demgegenüber die Zürcher und die Wiener Handelsgerichtsbarkeit besser: Beide Gerichte setzen die Handelsrichter in den einzelnen Verfahren entsprechend ihrer besonderen Fachkenntnisse zur Materie des Verfahrens passend und nicht nach einem im Voraus bestimmten „fachblinden“ Zuteilungsmodus ein.15 Eine Reform der Kammern für Handelssachen könnte zunächst genau hier ansetzen: beim Zuteilungsmodus für die Handelsrichter. Entsprechende Reformvorschläge gibt es.16 Bei der Änderung des Zuteilungsmodus für Handelsrichter ist allerdings Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 GG, also das Recht auf den gesetzlichen Richter, zu beachten. Eine Heranziehung eines Handelsrichters zu einem Verfahren entsprechend seiner zur Verfahrensmaterie passenden Fachkenntnisse könnte unter gewissen Umständen eine unzulässige Heranziehung des Richters im Einzelfall bedeuten. Es sind aber durchaus – auch praktikable – abstrakt-generelle Zuteilungsregeln denkbar, die den Spagat schaffen zwischen der Heranziehung des Handelsrichters zu einem Verfahren im Einzelfall gemäß seiner Sachkunde und der Wahrung des Grundsatzes des gesetzlichen Richters.17 Allerdings muss zur Schaffung des gewünschten qualitativen Mehrwerts der Pool der Handelsrichter so mit Handelsrichtern verschiedener Fachrichtungen „bestückt“ werden, dass an dem Gericht auch tatsächlich der für das einzelne Verfahren „passende“ nichtjuristische Sachverstand vorhanden ist. Es stellt sich aber die Frage, ob darüber hinaus die Vorteile der Zivilkammer, nämlich die Möglichkeit, dass mehrere Berufsrichter ein Verfahren beurteilen und entscheiden, mit den Vorteilen der Kammern für Handelssachen, nämlich der Heranziehung von Handelsrichtern mit einem zur Verfahrensmaterie passenden nichtjuristischen Sachverstand, kombiniert werden könnten. Um keine „aufgeblähte“ Besetzung mit drei Berufsrichtern und zwei Handelsrichtern zu schaffen, könnte man daran denken, die Besetzung der Kammer für Handelssachen dahin abzuändern, dass sie mit zwei Berufsrichtern und dafür nur mit einem Handelsrichter besetzt wird.

14 So auch Fleischer/Danninger, ZIP 2017, 205; Wagner, Rechtsstandort Deutschland im Wettbewerb, 2017, S. 202. 15 Ausführlich Fleischer/Danninger, ZIP 2017, 205, 207; vgl. auch Brunner, Europäische Handelsgerichtsbarkeit, S. 59, 78 f. bzw. 106 und Brunner, Handelsgerichte im Rechtsvergleich, S. 31, 47 bzw. 188/189. 16 Vgl. Fleischer/Danninger, ZIP 2017, 205, 207. 17 So Fleischer/Danninger, ZIP 2017, 205, 207.

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4. Resümee zur Zukunft der Kammern für Handelssachen In Anbetracht der fortschreitenden Spezialisierung der allgemeinen Zivilkammern und der Möglichkeiten zur interdisziplinären Vernetzung durch beratende Beiziehung von Sachverständigen auch bei den allgemeinen Zivilkammern18 stellt sich jedenfalls die Frage, wie es mit der Kammer für Handelssachen in Zukunft weitergehen kann. Hat sie überhaupt eine Zukunft? Es gibt Stimmen, die das verneinen.19 Tatsächlich macht nachdenklich, dass derzeit weltweit ein Trend zur Errichtung von staatlichen Commercial Courts zu verzeichnen ist,20 z.B. in Singapur21 und Amsterdam,22 die sich am London Commercial Court orientieren und eine Beteiligung von ehrenamtlichen Richtern gerade nicht vorsehen. Andererseits sehen Schiedsgerichtsvereinbarungen häufig interdisziplinär spezialisiert besetzte Schiedsgerichte vor.23 Wenn man die Kammern für Handelssachen erhalten will, müssen sie jedenfalls reformiert werden. Ansonsten werden sie in der Konkurrenz mit den spezialisierten allgemeinen Zivilkammern nicht überleben können. Eine von der Konferenz der Landesjustizministerinnen und -minister im Frühjahr 2018 eingesetzte Arbeitsgruppe widmet sich u. a. auch diesem Thema.

IV. Beiziehung von Sachverständigen im Zivilprozess 1. Notwendigkeit der Heranziehung Der Umstand, dass unsere Rechtsordnung – spiegelbildlich zu den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen und den wissenschaftlichen Erkenntnissen – immer komplexer, immer ausdifferenzierter wird, darf sich nicht nur in der juristischen Spezialisierung der Zivilkammern niederschlagen. Es ist außerdem notwendig, nichtjuristischen Sachverstand besser fruchtbar zu machen, als dies bisher geschieht. ­Parallel zur juristischen Spezialisierung der Richterbank sollte daher in den Blick genommen werden, dass auch die Hinzuziehung eines zu dem Streitfall „passenden“ nichtjuristischen Fachkundigen eine Qualitätssteigerung darstellen kann. Eben weil es in den Verfahren häufig nicht nur um komplizierte juristische, sondern auch um komplizierte nichtjuristische Problemstellungen geht. Zu fragen ist daher, ob es nicht eine Qualitätssteigerung des Zivilverfahrens sein kann, wenn das Gericht bei besonderer Schwierigkeit tatsächlicher Art einen zum Fall „passenden“ Sachverständigen zur Begleitung des ganzen Verfahrens beizieht, und zwar unabhängig von der Notwendigkeit und ggf. Durchführung einer Sachverständigen-Beweiserhebung über konkrete streitige Parteibehauptungen.

18 Dazu im Folgenden unter IV. 19 Wagner, Rechtsstandort Deutschland im Wettbewerb, 2017, S. 199 ff. 20 Ausführlich Wagner, Rechtsstandort Deutschland im Wettbewerb, 2017, S. 196 ff. 21 www.sicc.gov.sg (abgerufen am 10.2.2019). 22 https://netherlands-commercial-court.com (abgerufen am 10.2.2019). 23 Vgl. u.a. Lachmann, Hdb. für die Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2007, Rz. 133, insbesondere dort Fn. 5.

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2. Problemstellung Sinnvoll wäre zum Beispiel, wenn das Gericht in komplexeren privatrechtlichen Bausachen einen Ingenieur oder Architekten beiziehen könnte, auch wenn noch unklar ist, ob in dem Fall überhaupt Beweis zu erheben ist. Oder in komplizierteren Kapi­ talanlagehaftungsfällen einen Finanzfachmann oder Betriebswirt, der die zu beurteilenden Kapitalanlagen mit allen ihren Kompliziertheiten und auch „Gemeinheiten“ wirklich versteht. Oder in schwierigen Arzthaftungsprozessen einen Mediziner. Oder in Software-Streitigkeiten einen Informatiker. Zu letzterem Beispiel sei angemerkt, dass eine Studie aus den Jahren 2003 bis 2006 ergeben hat, dass die Handelspartner in der Softwarebranche die Kompetenz der staatlichen Gerichte zur Erfassung der technischen Komplexität von Softwareverträgen anzweifeln und auch aus diesem Grund in die private Schiedsgerichtsbarkeit ausweichen.24 Eine förmliche Beweisaufnahme durch Sachverständige kann den Qualitätsgewinn, der durch eine solche (optionale) Begleitung des ganzen Verfahrens durch einen Sachverständigen erzielt werden kann, nicht kompensieren: Zum einen ist eine förmliche Beweisaufnahme auch bei komplexen Sachverhalten verfahrensrechtlich häufig gar nicht erforderlich. Zum anderen ist sie – wenn sie erforderlich ist – stets punktuell auf den zwischen den Parteien streitigen entscheidungserheblichen Sachverhalt beschränkt. Über den zur Begleitung des Verfahrens beigezogenen Sachverständigen fließt die nichtjuristische Sachkunde dagegen schon dann in den gerichtlichen Entscheidungsprozess ein, wenn sie zur Beurteilung des Falles schlicht „nützlich“ – zum Verständnis des Falles also „nur“ von Vorteil (aber eben von Vorteil) – ist. Wenn zu speziellen entscheidungserheblichen streitigen Sachfragen eine förmliche Beweisaufnahme mit einem Sachverständigen stattfindet, könnten die richtigen Fachfragen im Übrigen dem zur Beweisaufnahme bestellten Sachverständigen aufgrund der fachlichen Kompetenz des zur Begleitung des ganzen Verfahrens beigezogenen Sachverständigen auch wesentlich präziser gestellt werden. Auch könnte der zur Begleitung des ganzen Verfahrens beigezogene Sachverständige weit besser die Ausführungen des im Rahmen der Beweisaufnahme beigezogenen Sachverständigen auf Plausibilität überprüfen. Die Richterbank wäre daher der „Sachkunde“ des Beweissachverständigen weniger „ausgeliefert“, eben weil sich die Richter durch das ganze Verfahren sachverständig begleiten lassen könnten. Die oft benannte Ohnmacht des Gerichts gegenüber dem Sachverständigen würde also reduziert werden. 3. Lösung Fraglich ist, wie man eine solche Begleitung des ganzen Verfahrens durch einen Sachverständigen rechtlich ausgestaltet. Möglich wäre eine gerichtsverfassungsrechtliche Lösung, nämlich die Schaffung einer (optional) „interdisziplinär besetzten Richterbank“.25 Diese Lösung würde allerdings größere Fragen aufwerfen. Auch wenn sie 24 Vgl. Hoffmann, Kammern für internationale Handelssachen, 2011, S. 36. 25 Dazu Lotz, DRiZ 2014, 20 ff.

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lösbar sein sollten,26 ist insoweit mit erheblichem rechtspolitischem Widerstand zu rechnen, wie insbesondere die Abstimmung beim Deutschen Juristentag 2014 über diesen Vorschlag deutlich gezeigt hat.27 Es erscheint daher sinnvoll, nach einer einfacheren und damit rechtspolitisch umsetzbaren Lösung zur beschriebenen Qualitätssteigerung zu suchen. Zu denken ist dabei an eine verfahrensrechtliche Lösung, nämlich eine rein beratende – verfahrensbegleitende – Beiziehung eines Sachverständigen zur Unterstützung des Gerichts. Diese ist zwar nach wohl überwiegender Auffassung in der Literatur bereits heute nach § 144 ZPO zulässig.28 Da die Gerichte von dieser Möglichkeit aber faktisch keinen Gebrauch machen, sollte überlegt werden, hierfür einen speziellen § 144a ZPO zu schaffen.29 Dieser sollte deutlich und damit „hoffähig“ sowie kostenmäßig legitimierbar machen, dass das Gericht bei besonderer Schwierigkeit der Sachlage einen Sachverständigen zur fachkundigen Begleitung und Unterstützung des Verfahrens beiziehen kann – und zwar gerade unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen für eine Sachverständigen-Beweisaufnahme und auch unabhängig von deren Durchführung. Ein solcher § 144a ZPO könnte wie folgt lauten: § 144a ZPO (1) Das Gericht kann bei besonderer Schwierigkeit tatsächlicher Art unabhängig von der Notwendigkeit einer Beweisaufnahme und unabhängig von der Ernennung eines Sachverständigen zum Zweck des Beweises anordnen, dass ein Sachverständiger das Gericht nach näherer Maßgabe während des Verfahrens unterstützt. (2) Die Vorschriften über das Verfahren über den Beweis durch Sachverständige gelten entsprechend.

V. Strukturierung des Verfahrens 1. Problemstellung Bei Umfangsverfahren kommt der strukturierten Prozessführung durch das Gericht eine besondere Bedeutung zu. Auch wenn dies in der ZPO nicht ausdrücklich erwähnt wird, gibt es bereits heute die Möglichkeit, dass das Gericht das Verfahren durch Anordnungen strukturiert. So kann es auch nach derzeitiger Gesetzeslage insbesondere frühzeitig einen Termin bestimmen, um mit den Parteien und ihren Prozessbevollmächtigten einen „Fahrplan“ für das Verfahren zu besprechen und zu vereinbaren („Organisationstermin“). Dieser Termin kann vor allem der Planung der Abschichtung und damit Strukturierung des Parteivortrags im weiteren Verfahren 26 Vgl. dazu im Einzelnen Lotz, DRiZ 2014, 20 ff. 27 Vgl. Verhandlungen des 70. Deutschen Juristentages 2014, Bd. II/1, S. I 51, Beschluss Ziff. I 7a. 28 Vgl. u.a. Stamm, ZZP 124 (2011), 433 ff. und Strohn, ZHR 178 (2014), 115, 120. 29 Derselbe „animierende“ Gedanke lag der stärkeren gesetzlichen Verankerung der Güte­ verhandlung durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses v. 27.7.2001, BGBl. I 2001, S. 1887, zugrunde, vgl. BT-Drucks. 14/3750, S. 35/36, 39.

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nach Maßgabe richterlicher Anordnungen dienen. In der Realität erfolgt eine solche Verfahrensstrukturierung aber sehr selten. Das Verfahren wird vielmehr „laufen gelassen“, die Anwälte schreiben hin und her, wobei sie – mangels Anordnungen des Gerichts zur Abschichtung des Parteivortrags – ihrer Prozessförderungspflicht Rechnung tragend jeweils versuchen, zu allen von der gegnerischen Seite vorgetragenen Punkten unverzüglich erschöpfend vorzutragen. Ohne aktive Verfahrensführung durch den Richter können sie ja nicht wissen, welche Punkte und welchen Vortrag der Gegenseite der Richter für relevant hält und zu welchen Punkten und zu welchem Vortrag der Gegenseite unverzüglich vorzutragen ihre prozessuale Pflicht ist. 2. Lösung Von einer verbesserten Strukturierung des Verfahrens unter Anleitung des Gerichts würden alle am Verfahren Beteiligten profitieren; die Parteien und ihre Prozess­ bevollmächtigten, aber auch das Gericht selbst. Alle Parteien und ihre Prozessbe­ vollmächtigten könnten sich bei einer klareren Verfahrensstrukturierung durch das Gericht zielgenauer auf die nach Auffassung des Gerichts für das Verfahren entscheidungserheblichen Punkte konzentrieren. Für die Parteien und ihre Prozessbevollmächtigten wäre der Umfang ihrer Prozessförderungspflicht verlässlicher definiert, nämlich durch die Abschichtungsanordnungen des Gerichts. Der Ruf nach einer klaren Verfahrensstrukturierung kommt daher in erster Linie aus der Anwaltschaft und von Unternehmensjuristen. Aber auch das Gericht würde durch eine strikte Verfahrensstrukturierung und die damit erfolgende bessere Konzentration des Parteivortrags profitieren: Gerade bei Umfangsverfahren würde die Akte wesentlich weniger umfangreich werden. Die Schiedsgerichtsbarkeit hat gute Erfahrungen damit gemacht, in einem Organisationstermin zunächst die Organisation und die Gestaltung – auch Abschichtung – des Verfahrens zu besprechen und dann das Verfahren entsprechend strukturiert durchzuführen. Diese Möglichkeit sollte in der ZPO ausdrücklich erwähnt werden, um den Richter zu animieren, von ihr auch wirklich Gebrauch zu machen.30 Vorwerk31 schlägt sogar vor, ein „strukturiertes Verfahren“ als besondere Verfahrensart in die ZPO aufzunehmen. Auf Akzeptanz dürfte jedoch wohl eher eine niederschwelligere Regelung der Verfahrensstrukturierung stoßen. Denkbar wäre die Einführung folgender Regelung in die ZPO:

30 Ein „animierender“ Gedanke lag etwa auch der stärkeren gesetzlichen Verankerung der Güteverhandlung durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses v. 27.7.2001, BGBl.  I 2001, S. 1887, zugrunde, vgl. BT-Drucks. 14/3750, S. 35/36, 39. 31 Vorwerk, NJW 2017, 2326 ff.

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Qualitätssicherung im Zivilprozess § 139a Strukturierung des Verfahrens (1) Das Gericht kann anordnen, den Prozessstoff abzuschichten, insbesondere, dass Vortrag zunächst nur zu bestimmten Angriffs- und Verteidigungsmitteln zu halten ist. (2) Haben sich die Parteien aufgrund einer Anordnung gemäß Absatz 1 zu erklären, haben sie ihren weiteren Vortrag der Anordnung entsprechend zu beschränken. Sie werden nur mit dem Vortrag gehört, der der Anordnung entsprechend erfolgt. (3) Das Gericht kann jederzeit, insbesondere nach Eingang von Klage oder Klageerwiderung, einen Termin ausschließlich zur Erörterung der Gestaltung und Organisation des Verfahrens bestimmen, insbesondere zur Erörterung der Abschichtung des Verfahrens.

VI. Stärkung des Kammer-/Senatsprinzips Eine weitere Maßnahme zur Qualitätssicherung in der Justiz wäre die Stärkung – oder besser: Wiederbelebung – des Kammer- und Senatsprinzips bei den Zivilkammern der Landgerichte bzw. den Zivilsenaten der Oberlandesgerichte. Denn unbestreitbar ist, dass drei Richter mehr sehen als ein Richter. Mit der Förderung des Einzelrichtersystems durch den Gesetzgeber mit Wirkung zum 1.1.200232 war die Annahme verbunden, ein verstärktes Einzelrichtersystem führe wegen seiner geringeren Bindung von Richterarbeitskraft für das einzelne Verfahren zu einer Beschleunigung der Verfahren und zu einer Steigerung der Erledigungsquote pro Richter.33 Diese Annahme trifft in dieser Allgemeinheit aber gerade nicht zu.34 Zwar muss nicht jeder Verkehrsunfall oder jeder streitig gewordene Autokauf in voller Kammerbesetzung mit drei Richtern verhandelt werden, wenn die Sach- und Rechtslage nicht schwierig ist. Eine differenziertere Handhabung des Kammer- und Einzelrichtersystems, als es seit der zum 1.1.2002 in Kraft getretenen ZPO-Reform praktiziert wird, würde jedoch nicht nur hinsichtlich der Qualität der Rechtsprechung, sondern auch hinsichtlich der Verfahrensdauer die besten Werte bringen und wäre demnach sogar unter dem Aspekt der Prozesswirtschaftlichkeit anzustreben.35

VII. Ausblick Der Zivilprozess lässt sich weiter verbessern. Einige Maßnahmen, die zu einer Verbesserung beitragen könnten, habe ich dargestellt.36 Sie sind bewusst niederschwellig 32 Gesetz zur Reform des Zivilprozesses v. 27.7.2001, BGBl. I 2001, S. 1887. 33 Vgl. BT-Drucks. 14/3750, S. 40; im Einzelnen Münchbach/Lotz, ZRP 1999, 374, 379. 34 Hierzu bereits ausführlich, insbesondere mit einem statistischen Vergleich zwischen Bundesländern mit damals hoher und solchen mit damals niedrigerer Einzelrichterquote: Münchbach/Lotz, ZRP 1999, 374, 379 f. 35 Vgl. Münchbach/Lotz, ZRP 1999, 374, 379 f. 36 Vgl. zu weiteren Maßnahmen mein Referat auf dem 70. Deutschen Juristentag 2014, Verhandlungen des Deutschen Juristentages 2014, Bd. II/1, S. I 11 ff.

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gehalten, um ihre politische Umsetzbarkeit zu ermöglichen und Richter sowie Rechtsanwälte „mitzunehmen“. Letztlich geht es darum, die staatliche Gerichtsbarkeit für die heutigen Anforderungen „fit zu machen“ und auch den Wettbewerb mit der Schiedsgerichtsbarkeit um die großen Verfahren mit hohen Streitwerten aufzunehmen. Wenn diese Verfahren der staatlichen Gerichtsbarkeit weiterhin verloren gehen, wird über kurz oder lang die Rechtsfortbildung in gesellschaftlich wichtigen Bereichen leiden. Das zu verhindern sollte alle rechtspolitischen Kräfte beflügeln.

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Zu Funktion und Bewertung von Sachverständigengutachten im Patentprozess Inhaltsübersicht I. Problemstellung II. Prozessrechtliche Ausgangslage 1. Funktion des gerichtlichen Gutachtens 2. Stellenwert des Gutachtens für die ­Entscheidungsfindung III. Anforderungen an das Gutachten in ­Patentsachen 1. Technische Grundlagen 2. Gegenstand der geschützten Lehre a) Technischer Gehalt der beanspruchten Lehre

b) Der Durchschnittsfachmann als ­Beurteilungsmaßstab 3. Schutzfähigkeit der beanspruchten Lehre 4. Feststellung des Standes der Technik und einer Verletzungsform 5. Beweiswürdigung 6. Einordnung eines Gutachtens 7. Übernahme des Gutachtens 8. Inhalt der gerichtlichen (Be-)Wertung IV. Ergebnis

I. Problemstellung Wie vermutlich auch der Jubilar aus eigener leidvoller Erfahrung bestätigen kann, kann ein anwaltlicher Vertreter seinem Mandanten oft nur schwer vermitteln, dass auch ein seitens des Gerichtes eingeholtes Gutachten, das den eigenen Standpunkt bestätigt, allenfalls eine Etappe auf dem Weg zum Prozesserfolg ist, nicht jedoch den Sieg garantiert. Nicht nur den Halbgöttern in Weiß, sondern allgemein wird den Inhabern besonderer Sachkunde eine Kompetenz zugeschrieben, über die sich hinwegzusetzen ausgeschlossen erscheint – noch dazu durch solche Personen, die wie die nur juristisch ausgebildeten Richter nicht über diese Sachkunde verfügen. Das gilt umso mehr, als sie ihre mangelnde Sachkunde aus der Sicht der Partei dadurch belegt haben, dass sie einen Sachverständigen hinzugezogen haben. Mit dem Gutachter hat sich eine – auch mit der technischen oder naturwissenschaftlichen Materie in hohem Maße vertraute – Person mit der Materie befasst und ist aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz und in Anwendung ihres die Kenntnisse der Allgemeinheit im Allgemeinen und aller Prozessbeteiligten einschließlich des Gerichts im Besonderen deutlich übersteigenden Wissens zu dem im Gutachten festgehaltenen Ergebnis gelangt. Erfahrungsgemäß gehen die Parteien daher schon im allgemeinen Zivilprozess regelmäßig davon aus, das Verfahren so gut wie gewonnen zu haben, wenn die eigene Darstellung durch das vom Gericht1 eingeholte Gutachten eines Sachverständigen bestätigt 1 Auch wenn das im Einzelfall eine Behörde sein kann, wird es bei patentrechtlichen Auseinandersetzungen in der Regel um die Vorbereitung einer gerichtlichen Entscheidung gehen. Im Folgenden wird an dieser Stelle daher nur noch von Gerichten gesprochen werden.

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wird. Nicht selten wird von ihnen einer dem Gutachten widersprechenden Erwägung in der Erörterung der Sachen mit dem Einwurf begegnet, der Sachverständige habe doch das Gegenteil festgestellt oder ausgeführt. Umgekehrt neigt die Prozesspartei, deren Standpunkt in einem solchen Gutachten nicht bestätigt wurde, eher dazu, die fachliche Kompetenz des Gutachters zu bezweifeln und einen Obergutachter zu fordern, als auf Fähigkeit und Kompetenz des Gerichts bei der Würdigung auch dieser Form von Beweisen zu vertrauen. In besonderem Maße gilt diese allgemeine Erfahrung in den verschiedenen Formen patentrechtlicher Auseinandersetzungen insbesondere dann, wenn an der Entscheidung – wie im Verletzungsprozess oder in der zweiten Instanz der Bestandsverfahren – nur Juristen ohne technische Ausbildung berufen sind, wobei auch die Ausbildung in einem technischen Fach alle Richter in Patentsachen nicht unbedingt als zur Beurteilung technischer Fragen qualifiziert erscheinen lässt. Aus der Sicht der betroffenen Partei erscheint schon schwer vorstellbar, dass ein pharmazeutisch oder chemisch vorgebildeter technischer Prüfer oder Richter Technik und Qualität einer Erfindung etwa auf dem Gebiet des Brückenbaus soll besser beurteilen können als ein einschlägig vorgebildeter, gerade wegen seiner Qualifikation auf diesem Gebiet ausgewählter Gutachter. Selbst wenn – wie bei den Patentämtern, deren Prüfer eine Ausbildung in einem technischen Beruf absolviert haben, oder bei den Patentgerichten wie das Bundespatentgericht, dem neben Juristen in großem Umfang auch Richter mit einer technischen Ausbildung angehören  – die Entscheidungsträger einen erheblichen eigenen technischen Sachverstand einbringen können, wird ihre Kompetenz zur Beurteilung technisch komplexer Sachverhalte, wie sie sich im Patentrecht stellen, in Zweifel gezogen, insbesondere wenn sie sich zur Stellungnahme eines ausgewiesenen Fachmanns auf dem betreffenden Gebiet in Widerspruch setzen. Mehr noch gilt das für die nur als Juristen ausgebildeten Richter, die über Rechtsmittel gegen die Entscheidungen dieses Gerichts oder über Streitigkeiten aufgrund einer von einem Rechtsinhaber als Verletzung der ihm erteilten Schutzrechte angesehenen Anwendung einer technischen Lehre angesehen werden. Die dort berufenen Richter verfügen nach den gesetzlichen Anforderungen nur über eine juristische Ausbildung. Sind sie auch in einem technischen Beruf ausgebildet, ist das sicher von Vorteil, aber keine notwendige Vorbedingung für eine Mitwirkung in einem solchen Spruchkörper. Zwar sind sie überwiegend aufgrund einer langjährigen Tätigkeit in einem für solche Verfahren zuständigen Spruchköper in der Lage, einfachere technische Sachverhalte zu beurteilen. Ein über die gesamte Breite aller Gebiete der Technik reichender Sachverstand kann bei ihnen aus der Sicht der Partei indessen nicht vorausgesetzt werden, so dass sie schon objektiv auf sachverständige Hilfe vor allem dann angewiesen sind, wenn sie nicht selbst auf dem in Frage stehenden technischen Gebiet ausgebildet sind2 oder die Sicht des Fachmanns bzw. die technischen Zusammenhänge aus eigener Kenntnis nicht zuverlässig selbst bewerten können.3 Ist das die Voraussetzung für die 2 BGH v. 17.3.1994 – X ZR 16/93, GRUR 1994, 597 – Zerlegevorrichtung für Baumstämme; BGH v. 18.2.1975 – X ZR 24/74, GRUR 1975, 425 – Metronidazol; BGH v. 28.10.2003 – X ZR 76/00, GRUR 2004, 413  – Geflügelkörperhalterung; vgl. auch BGH v. 26.8.2014  – X ZB 19/12, GRUR 2014, 1235 – Kommunikationsrouter. 3 BGH v. 22.12.2009 – X ZR 56/08, GRUR 2010, 314 – Kettenradanordnung II.

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Einholung eines Gutachtens, erscheint auf den ersten Blick wenig überzeugend, wenn sich der so wegen der Einholung eines solchen Gutachtens offenbar auch nach eigenem Verständnis der Belehrung Bedürftige über das Ergebnis dieser Belehrung hinwegzusetzen berechtigt ansieht.

II. Prozessrechtliche Ausgangslage So nachvollziehbar diese Bewertung auf den ersten Blick erscheint, so sehr beruht sie doch, wie die nähere Betrachtung zeigt, auf einer Verkennung sowohl der Bedeutung des Sachverständigengutachtens als auch des Verfahrensrechtes und hier insbesondere auch der Funktion solcher Gutachten in patentrechtlichen Auseinandersetzungen. 1. Funktion des gerichtlichen Gutachtens Schon vordergründig lässt sich ihr entgegenhalten, dass das seitens eines Gerichts eingeholte Sachverständigengutachten ein Beweismittel ist, das die Entscheidung des Gerichts vorbereiten helfen soll,4 diese jedoch nicht ersetzen kann und darf. Nach dem – auch verfassungsrechtlich geschützten – Gebot des gesetzlichen Richters obliegt es allein dem Gericht,5 die Entscheidung in eigener Verantwortung aufgrund einer eigenen Würdigung der Sach- und Rechtslage zu treffen. Dies kann und darf einem Dritten auch dann nicht übertragen werden, wenn er zu den im Rechtsstreit zu würdigenden tatsächlichen und technischen Fragen und deren Bewertung über eine größere eigene fachliche Kompetenz verfügt. Auch im Patentrecht ist ein solches Gutachten zur Technik und zu technischen Lehren und Erfahrungen nur ein Beweismittel, das das Gericht bei seiner Entscheidung unterstützen und diese vorbereiten helfen, sie nicht jedoch ersetzen kann.6 Schon nach den Vorgaben der Verfassung, insbesondere dem verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf den gesetzlichen Richter, aber auch nach dem diese Gebote ausfüllenden Prozessrecht, kann und darf diese einem Dritten auch dann nicht übertragen werden, wenn er bei der einer konkreten Entscheidung vorgelagerten Frage über die bessere Sachkenntnis verfügt. Aufgabe des Sachverständigen ist es allein, diesen Mangel an Sachkunde des Gerichts auszugleichen, d.h. ihm mit seiner Sachkunde das Wissen zu vermitteln, dass es für die Findung der nach Lage des Sachverhalts richtigen Entscheidung benötigt. Der 4 Allg. Meinung vgl. statt aller Huber in Musielak/Voit, ZPO, 14. Aufl. 2017, § 492 ZPO Rz. 1. 5 Für eine Verwaltungsbehörde wie das Patentamt gilt dieses Gebot zwar nicht mit der gleichen Stringenz. Auch sie ist jedoch gehalten, eine Entscheidung selbst und in eigener Verantwortung zu treffen; Dritten wie einem Gutachter darf sie nach dem Rechtsstaatsgebot und dem Gebot der Rechtstaatlichkeit der Verwaltung jedoch nur dort übertragen werden, wo das das Gesetz eine solche Übertragung zulässt oder anordnet. 6 BGH v. 11.10.2005 – X ZR 76/04, GRUR 2006, 131 Rz. 19 – Seitenspiegel; BGH v. 13.2.2007 – X ZR 74/05, GRUR 2007, 410 Rz.18  – Kettenradanordnung; BGH v. 31.5.2007  – X ZR 172/04, GRUR 2007, 1059 Rz. 38 – Zerfallszeitmessgerät; BGH v. 22.12.2009 – X ZR 56/08, GRUR 2010, 314 Rz. 25 – Kettenradanordnung II; BGH v. 29.6.2010 – X ZR 193/03, GRUR 2010, 858 Rz. 15 – Crimpwerkzeug III; Grabinski/Zülch in Benkard, PatG, 11. Aufl. 2015, § 139 PatG Rz. 125.

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Sachverständige soll die dafür erforderlichen Wertungen durch Darstellung der für diese benötigten Tatsachen vorbereiten; er kann und darf sie jedoch nicht ersetzen. 2. Stellenwert des Gutachtens für die Entscheidungsfindung Das macht zugleich deutlich, dass sich das Gericht, das ein solches Gutachten eingeholt hat, bei seiner Entscheidungsfindung nicht darauf beschränken kann und darf, dessen Ergebnisse mit der Begründung zu übernehmen, es erscheine überzeugend und werde deshalb der Entscheidung zugrunde gelegt. Geboten ist vielmehr, dass es seinen Inhalt selbst, eigenverantwortlich und kritisch auf seine Überzeugungskraft prüft und selbst eine Überzeugung davon gewinnt, was richtig ist und deshalb der Entscheidung zugrunde gelegt werden kann.7 Wie die Zeugenvernehmung bildet auch die Einholung des Gutachtens eines Sachverständigen nur ein Mittel, den maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln; welche Schlüsse daraus zu ziehen sind, hat allein das Gericht zu entscheiden. Dessen Schlussfolgerungen kann der Sachverständige durch sein Gutachten nur vorbereiten und u.U. erleichtern, aber nicht entbehrlich machen oder gar ersetzen. Ob und in welchem Umfang das Gericht ihm bei seiner Entscheidung folgt, hat es in pflichtgemäßer, an den Regeln von Beweis und Beweiswürdigung orientierter Bewertung in eigener Kompetenz und Verantwortung auch darauf zu überprüfen, ob und in welchem Umfang sie überzeugend erscheinen und deshalb der Entscheidung zugrunde gelegt werden könnten.

III. Anforderungen an das Gutachten in Patentsachen 1. Technische Grundlagen Für die Entscheidung patentrechtlicher Auseinandersetzungen muss zunächst der Gegenstand der beanspruchten technischen Lehre bestimmt und eingeordnet werden. Auch wenn die in Patentsachen tätigen Gerichte aufgrund der umfangreichen Befassung eine solche Einordnung in vielen Fällen aufgrund ihrer Erfahrung selbst und ohne sachverständige Hilfe selbst vornehmen können,8 wird diese Sachkunde nicht in allen Fällen für ein Verständnis des technischen Gebiets ausreichen, auf dem sich die beanspruchte Erfindung bewegt; ebenso wird sich deren Funktionsweise ohne weiteres und in jedem Fall erschließen.9 Was eine Erfindung leistet und wie sie in die konkrete Technik einzuordnen ist, kann vielfach sachgerecht nur beurteilt werden, wenn ihre Funktionsweise und deren Einordnung in das technische Umfeld bekannt und verständlich sind. Die Darstellung des Anmelders im Erteilungsverfahren und der Parteien im Prozess zu diesem Thema wird vielfach von deren Interessen 7 BGH v. 7.3.2001  – X ZR 176/99, GRUR 2001, 770, 772  – Kabeldurchführung  II; BGH v. 29.7.2010 – Xa ZR 68/06, BeckRS 2010, 19957. 8 Vgl. BGH v. 26.8.2014 – X ZB 19/12, GRUR 2014, 1235 – Kommunikationsrouter für die technischen Senate des BPatG; s.a. BGH v. 30.5.1995 – X ZR 54/93, GRUR 1995, 578 – Steuerungseinrichtung II; BGH v. 29.4.2003 – X ZB 4/01, GRUR 2003, 781 – Abwasserbehandlung; BGH v. 28.10.2003 – X ZR 76/00, GRUR 2004, 413 – Gefügelkörperhalterung. 9 Vgl. dazu BGH v. 17.7.2012 – X ZR 117/11, GRUR 2012, 1124 – Polymerschaum.

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beeinflusst. Hier kann eine objektive Darstellung durch einen unabhängigen Sachverständigen die Bewertung durch das Gericht nicht selten erleichtern, zumal eine  – schutzfähige – Erfindung ihrer Idee nach einen oberhalb des üblichen Standards angesiedelten technischen Level betrifft und damit in ihrem Verständnis und ihrer Einordnung zusätzliche Schwierigkeiten aufweisen kann. Auch an dieser Stelle wird jedoch sehr schnell deutlich, dass und warum nicht diese Einordnung selbst, sondern nur Beschaffung und Darlegung der für sie relevanten Tatsachen Gegenstand eines Sachverständigengutachtens sein kann. Die Auslegung des Patentanspruchs ist eine Rechtsfrage, die nur das Gericht entscheiden kann.10 Technisches Verständnis einer beanspruchten Lehre und deren Einordnung sind aus der Sicht des Patentrechts nach dem Prioriätstag, d.h. grundsätzlich dem Tag der Patentanmeldung und damit nach Verhältnissen aus der Vergangenheit zu beurteilen. Da dieser zum Zeitpunkt der Entscheidung zurückliegt (teilweise längere Zeit), bedarf es einer nachträglichen Bewertung, die einem Fachmann auch deshalb nicht übertragen werden kann, weil in dessen Kenntnisstand und die daran anschließende Bewertung vielfach auch all das einfließt, was er zwischenzeitlich erfahren hat. Bei der daran anschließenden Einordnung geht es daher nicht nur um die Feststellung von Tatsachen; gefordert ist vielmehr auch und gerade eine Bewertung auf der Basis eines in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkts. Das verlangt – wie letztlich jede Beweiswürdigung – eine Überzeugungsbildung auf Seiten des Gerichts, für die der Sachverstand eines Gutachters allenfalls eine vorbereitende Hilfe bilden kann, die aber das Gericht in eigener Verantwortung zu treffen hat. 2. Gegenstand der geschützten Lehre a) Technischer Gehalt der beanspruchten Lehre Die gleichen inhaltlichen Grenzen gelten auch für die Frage, welche technische Lehre in einer Patentanmeldung oder einem Patent unter Schutz gestellt wird. Definiert wird diese durch die Patentansprüche;11 Beschreibung und Abbildungen sind lediglich Hilfsmittel, die für die Zwecke dieser Auslegung herangezogen werden können, wenngleich sie einen nachhaltigen Einfluss auf diese gewinnen können.12 Allerdings 10 BGH v. 11.10.2005 – X ZR 76/04, GRUR 2006, 131, 133 – Seitenspiegel. 11 BGH v. 17.4.2007 – X ZR 72/05, GRUR 2007, 778 – Ziehmaschinenzugeinheit I; BGH v. 13.10.2015 – X ZR 74/14, GRUR 2016, 169 Rz. 16 – Luftkappensystem, st. Rspr. Vgl. dazu auch BGH v. 10.5.2011 – X ZR 16/09, GRUR 2011, 701 ff. – Okklusionsvorrichtung m. krit. Anm. Kühnen; vgl. auch BGH v. 14.6.2016 – X ZR 29/15, GRUR 2016, 921 – Pemetrexed. 12 Vgl. dazu BGH v. 10.5.2011 – X ZR 16/09, GRUR 2011, 701 ff. – Okklusionsvorrichtung m. krit. Anm. Kühnen; vgl. auch BGH v. 14.6.2016 – X ZR 29/15, GRUR 2016, 921 – Pemetrexed. Die insbesondere an den in der Entscheidung Okklusionsvorrichtung festgelegte stringente Anbindung an das, was der Leser nach dem Inhalt der Patentschrift als Gegenstand des Schutzbegehrens erkennen kann, ansetzende Kritik verkennt, dass mit einer ­Erstreckung des so bestimmten Gegenstandes auf in der Beschreibung genannte, vom Anspruch aber gerade nicht erfasste Ausführungsformen eine mit den Geboten der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit unvereinbare Erweiterung des Schutzgegenstandes verbunden wäre. Die Äquivalenzlehre, die eine solche Erweiterung zulässt, beruht gerade darauf, dass

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sind diese Ansprüche selten so gefasst, dass sie ohne weiteres ein eindeutiges Bild hinterlassen. Im Interesse eines möglichst umfassenden Schutzes wird die beanspruchte technische Lehre in der Regel in den Patentansprüchen regelmäßig in einer der Fassung von Gesetzen vergleichbaren abstrahierten Form beschrieben, die eine Auslegung erforderlich macht, wie die beanspruchte Lehre zum technischen Handeln nach objektiven Maßstäben aus fachlicher Sicht zu verstehen ist.13 Diese ist als Feststellung einer erfinderischen Tätigkeit ein Akt wertender Entscheidung über eine Rechtsfrage,14 die wiederum allein und eigenverantwortlich das Gericht auf der Grundlage einer an der Auslegung von Rechtsnormen orientierten objektivierten Betrachtung zu treffen hat.15 Gegenstand und Umfang des Schutzes einer technischen Lehre können nicht danach bestimmt werden, wie sie der Verfasser der Patentanmeldung verstanden wissen wollte. Durch das erteilte Patent wird dem Inhaber das Recht verliehen, eine gewerbliche Benutzung der beschriebenen Erfindung ohne seine Erlaubnis durch alle anderen Teilnehmer am geschäftlichen Verkehr zu unterbinden. Wie bei jedem an die Allgemeinheit gerichteten Verbot gebieten die – auch verfassungsrechtlich garantierten – Gebote von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, dass jedenfalls die von diesem Verbot angesprochenen Verkehrskreise dem Wortlaut des Verbots entnehmen können, was ihnen künftig verwehrt sein soll. Damit gleichen sie Rechtsnormen und sind wie diese auszulegen.16 Wie auch sonst bei Rechtsnormen und normähnlichen Regelungen kommt es daher darauf an, was diese Adressaten in ihrer Gesamtheit aufgrund der Formulierung des Verbots als dessen Gegenstand erkennen können. b) Der Durchschnittsfachmann als Beurteilungsmaßstab Bei Patenten ist Adressat in diesem Sinne allerdings nicht – wie bei Gesetzen – die Allgemeinheit. Da sie sich an die Fachwelt richten, ist entscheidend vielmehr, wie die Beschreibung der beanspruchten Lehre von den einschlägigen Fachleuten verstanden der Leser und damit auch der Verkehr davon ausgehen müssen, dass nicht erkannte, aber gleichwertige Ausführungsformen in den Schutz einbezogen werden sollen. Bei einer ersichtlich erkannten, aber vom – durch den Anmelder, nicht den Leser formulierten Anspruch nicht erfassten Ausführungsform, besteht aus der Sicht des Betrachters für eine solche Annahme kein Anlass; aus seiner Sicht legt sie vielmehr, wie in den Entscheidungen des BGH zu Recht angenommen, den Schluss nahe, dass für sie Schutz nicht begehrt werden sollte. Ist dieser Schluss falsch, kann das nur zu Lasten desjenigen gehen, der den Anspruch formuliert hat bzw. für den sie formuliert wurde, nicht hingegen derjenigen, die diese Formulierung nicht beeinflussen konnten. 13 BGH v. 22.12.2009 – X ZR 56/08, GRUR 2010, 314 Rz. 29 – Kettenradanordnung II. 14 BGH v. 26.9.1996 – X ZR 72/94, GRUR 1997, 116, 117 f. – Prospekthalter; vgl. z.B. BGH v. 7.9.2004 – X ZR 255/01, BGHZ 160, 204, 212 = GRUR 2004, 1023 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung; BGH v. 31.3.2009 – X ZR 95/05, BGHZ 180, 215, 220 Rz. 16 = GRUR 2009, 653 – Straßenbaumaschine; BGH v. 13.4.2000 – IX ZR 372/98, NJW 2000, 1944, 1945. 15 BGH v. 26.1.2010 – X ZR 25/06, GRUR 2010, 410 Rz. 40 – Insassenschutzsystemsteuereinheit. 16 BGH v. 8.7.2008  – X ZB 13/06, GRUR 2008, 887, Rz.  13  – Momentanpol II; BGH v. 22.12.2009 – X ZR 55/08, BeckRS 2010, 03145; BGH v. 31.3.2009 – X ZR 95/05, BGHZ 180, 215 Rz. 16 – Straßenbaumaschine.

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wird, die in der Realität wie jede Mehrheit von Menschen Personen unterschiedlicher Herkunft, Ausbildung und Fähigkeiten umfasst, also gerade keine homogene Einheit bildet. Auch zur Ermittlung des Verständnisses der in einer Patentschrift beanspruchten Lehre bedarf es daher  – ähnlich wie bei der Interpretation von Normen  – der Bildung einer Bezugsgröße, auf deren Grundlage die Auslegung vollzogen werden kann. Auch wenn der – ursprünglich im deutschen Patentgesetz für die Bezeichnung dieser Bezugsgröße enthaltene – Begriff des Durchschnittsfachmanns mittlerweile entfallen ist, wird dieser mangels brauchbarer Alternativen in der Praxis weiterhin zugrunde gelegt,17 zumal er nur eine fachbezogene alternative Bezeichnung für den vernünftigen, durchschnittlich befähigten Betrachter bildet, von dem sonst bei der Interpretation ausgegangen wird. Schon diese Ableitung macht deutlich, dass der Durchschnittsfachmann in diesem Sinne nicht eine reale Person,18 seine Bestimmung vielmehr in erster Linie das Ergebnis einer auch rechtlichen Bewertung ist, die nicht einem Gutachter überlassen werden kann, sondern ebenfalls dem Gericht in eigener Verantwortung obliegt.19 Ein Auftreten in Form einer realen Person erscheint zwar nicht ausgeschlossen, wäre angesichts seiner Beschreibung nach idealisierten Eigenschaften ein eher nicht zu erwartender Zufall. Die für die Bildung dieses Maßstabs erforderliche Bewertung ist als Teil der Entscheidungsfindung allein Aufgabe des Gerichts; der Sachverständige soll ihm aufgrund seiner spezifischen Sachkunde die dafür erforderliche tatsächliche Grundlage vermitteln.20 Bestimmt wird der Begriff des Durchschnittsfachmanns durch die typischerweise bei Angehörigen des entsprechenden Berufszweiges vorhandenen Fähigkeiten und Fertigkeiten, die vor allem zum einen durch die Ausbildung bestimmt werden, die ein hier Tätiger typischerweise durchlaufen hat, und zum anderen aber auch die praktische Erfahrung, über die eine mit einschlägigen Entwicklungen befasste Person verfügt.21 Zu beidem wird das Gericht in der Regel über ein eigenes Wissen und eigene Erfahrungen nicht verfügen; Aufgabe des Gutachters ist es daher, ihm die Tatsachen zu vermitteln, die für die daran anschließende Definition des Durchschnittsfachmanns durch das Gericht erforderlich sind. Dabei bietet es sich an, insoweit auf den Sachverstand eines Gutachters zurückzugreifen, der über eine über dem Durchschnitt liegende Qualifikation verfügt; wer nur dem Durchschnitt entspricht oder gar gerin17 Vgl. für die ähnliche Problematik bei AGB etwa BGH v. 9.4.2014 – VIII ZR 404/12, BGHZ 200, 362 = NJW 2014, 2269 Rz. 57; BGH v. 20.1.2016 – VIII ZR 152/15, NJW-RR 2016, 526 = WuM 2016, 164 Rz. 17; BGH v. 17.2.2016 – XII ZR 183/13, NJW-RR 2016, 572 = NZM 2016, 315; BGH v. 29.6.2016 – VIII ZR 191/15, NJW 2016, 3015; jew. m.w.N. 18 Meier-Beck, Mitt. 2005, 529; Melullis in FS Ullmann, 2006, S. 503, 508 ff. 19 Das Verständnis des Patentanspruchs selbst durch den Durchschnittsfachmann ist hingegen unmittelbarer Feststellung regelmäßig entzogen, BGH v. 7.9.2004  – X ZR 255/01, BGHZ 160, 204, 213 = GRUR 2004, 1023 – Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung). 20 BGH v. 26.1.2010 – X ZR 25/06, GRUR 2010, 410 Rz. 40 – Insassenschutzsystemsteuereinheit. 21 Vgl. etwa BGH v. 30.6.2009 – X ZR 107/05, BeckRS 2009, 23384; BGH v. 30.6.2009 – X ZR 107/05, BeckRS 2009, 23384 – Widerstandsschweißvorrichtung.

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ger qualifiziert ist, wird kaum verlässlich darüber Auskunft geben können, welchen Anforderungen ein durchschnittlich Qualifizierter genügen muss.22 3. Schutzfähigkeit der beanspruchten Lehre Im Kern das Gleiche gilt dort, wo es um die Schutzfähigkeit einer beanspruchten Lehre geht. Mit den vergleichsweise kompliziert gefassten Vorschriften zu Neuheit und erfinderischer Tätigkeit bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass zum einen nur die eigene Leistung des Erfinders, diese zum anderen aber auch nur dann belohnt werden soll, wenn sie nicht von jedem bzw. ohne weiteres erbracht werden könnte, oder – vereinfacht formuliert – das Ergebnis einer Leistung ist, die das, was jeder einschlägige Fachmann erbringen sollte und was von ihm erwartet werden kann, übersteigt, d.h. das Ergebnis einer das zu Erwartende übersteigenden, mehr als durchschnittlichen Leistung ist. Damit wird die Grenze, nach deren Überschreiten die Erteilung des Schutzrechtes berechtigt erscheint, durch eine mehr als nur durchschnittliche Leistung bei der Entwicklung der technischen Lehre bestimmt, d.h. das, was eben nicht von jedem auf diesem Sektor Tätigen erwartet werden kann. Mit diesem Ansatz knüpft auch diese Bewertung an die oben definierte Figur des Durchschnittsfachmanns an, in dem sich die erforderlichen Maßstäbe für die zu treffende Bewertung vereinen. Auch in diesem Kontext handelt es sich um die gleiche Kunstfigur wie bei der Ermittlung des geschützten Gegenstands. Wie dort kann die inhaltliche Ausfüllung dieser Figur auch hier nicht einem Gutachter überlassen werden, sondern ist vom Gericht in eigener Verantwortung zu treffen. Das gilt umso mehr, als sie auch von Merkmalen geprägt wird, die in jedenfalls ihrer Kombination in der Realität nicht anzutreffen sein werden und sich damit einer rein tatsächlichen Beurteilung entziehen, wie sie einem Gutachter anvertraut werden könnte. Da geschützt werden soll nur die eigene Leistung, nicht das zufällige Auffinden von von anderer Seite entwickelten Gedanken, ist nach der gesetzlichen Regelung neuheitsschädlich jede irgendwo auf der Welt erschienene Bekanntgabe der beanspruchten Lehre in welcher Form auch immer,23 durch die die beanspruchte Erfindung vorweggenommen wurde, unabhängig davon, ob sie bei Entwicklung der beanspruchten Erfindung dem Entwickler oder seinem Umfeld bekannt war.24 22 Verfehlt ist es daher, wenn ein Gericht die Übernahme der Wertungen mit der Überlegung begründet, der Gutachter habe sich überzeugend selbst als Durchschnittsfachmann bezeichnet, BGH v. 11.10.2005 – X ZR 76/04, BGHZ 164, 261 – Seitenspiegel. Trifft das zu, war der Sachverständige eher ungeeignet. Das gilt umso mehr, als eine Bewertung von Fähigkeiten und Leistungen als durchschnittlich in der Regel die Sicht einer über dem Durchschnitt stehenden Person voraussetzt. Was zum von jedermann zu Erwartenden gehört, kann verlässlich nur der beurteilen, der über weitergehende Fähigkeiten verfügt. Auch deshalb wählen die Gerichte in der Regel zu Recht Gutachter mit einer überdurchschnittlichen Qualifikation aus. 23 Also etwa in Form einer Beschreibung, Benutzung oder zeichnerischen Darstellung. 24 Mit dieser Regelung will das Gesetz eine u.U. umfangreiche und nicht erfolgreich abzuschließende Klärung zu der Frage vermeiden, was der konkrete Erfinder gewusst hat und was nicht, und zugleich auch einen parallelen Schutz des gleichen Gegenstandes unterbinden.

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Da anderseits das Gesetz für die Annahme einer schutzfähigen Erfindung eine Leistung verlangt, wie sie nicht von jedem einschlägigen Fachmann erwartet werden kann, ist auch hier Durchschnittsfachmann eine fachkundige Person, die einerseits jede Bekanntmachung der beanspruchten Lehre und darüber hinaus auch alles kennt, was zu ihrem Gegenstand veröffentlicht wurde, andererseits dieses Wissen nur in dem Umfang anzuwenden weiß, wie er von jedem auf diesem Sektor Tätigen mit typischer Ausbildung und Erfahrung zu erwarten ist. Vor diesem Hintergrund kommt es auch in diesem Kontext nicht darauf an, ob sich eine solche Person überhaupt unter den einschlägigen Fachleuten finden lässt; entscheidend ist allein, was von einem so definierten, gedachten Fachmann erwartet werden kann. Seine Festlegung setzt über die Feststellung der typischen Ausbildung und Erfahrung eine rechtliche Bewertung und Einordnung voraus, die die zur Entscheidung berufene Instanz – auch mit Blick auf den verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf den gesetzlichen Richter – nicht einem Dritten überlassen kann, sondern in eigener Verantwortung zu treffen hat. Auch hier beschränkt sich die Aufgabe eines Gutachters auf die Vermittlung der für diese Einordnung erforderlichen Sachkunde, d.h. insbesondere des Wissens, über welche Ausbildung und ggf. welche zusätzliche in der praktischen Arbeit erworbene (technische) Erfahrung die mit entsprechenden Entwicklungen auf dem jeweiligen Fachgebiet tätigen Personen verfügen, ob sie einzeln oder in Zusammenarbeit mit anderen Fachleuten tätig werden und ob bzw. wo sie sich Hilfe bei Problemen aus anderen technischen Gebieten einholen. Diese Fragen werden in der Regel nur von den Personen beantwortet werden können, die Einblick in die Ausbildung solcher Fachleute und ihre berufliche Praxis haben und die dort typischerweise herrschenden Verhältnisse kennen und bewerten können. Das wird einigermaßen verlässlich nur von einem Gutachter zu bestimmen sein, der über eine höhere Qualifikation verfügt. Nur wer besser ist als der Durchschnitt, wird überzeugend darlegen können, welche Ausbildung in dem betreffenden Zweig der Technik typisch ist und über welche berufliche Erfahrung Entwickler in diesem Sektor verfügen. 4. Feststellung des Standes der Technik und einer Verletzungsform Vergleichbare Anforderungen gelten auch dort, wo – in Bestands- oder Verletzungsfahren  – die Feststellung des Standes der Technik oder des Gegenstandes einer als Verletzung gerügten Benutzung in Frage steht. Neuheit und Erfindungshöhe können Benutzungen oder Veröffentlichungen nur in Form der technischen Lehre entgegengehalten werden, in der sie die „Fachwelt“ dem jeweils Zugänglichen entnimmt. Die Fachwelt wird auch in diesem Kontext durch den Durchschnittsfachmann repräsentiert. Richtet sich die Beurteilung von Neuheit und Erfindungshöhe, kann für die Feststellung des Vorhandenen, das dieser Bewertung zugrunde liegt, kein anderer Maßstab gelten.25 Wollte Bestimmung der Schutzfähigkeit und Feststellung einer Be25 In der Rechtsprechung ist daher auch grundsätzlich anerkannt, dass der Durchschnittsfachmann grundsätzlich einheitlich zu bestimmen ist. Soweit in der jüngeren Rechtsprechung je nach Kontext unterschiedliche Inhalte zugrundegelegt werden, handelt es sich nur

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nutzung der geschützten Lehre nach unterschiedlichen Maßstäben bewerten, wäre eine Vorhersehbarkeit der Entscheidung, wie sie für die gewerbliche Wirtschaft unerlässlich ist, nicht mehr gewährleistet. Den Beurteilungsmaßstab bildet auch hier daher allein der Durchschnittsfachmann. Unterschiedlich kann allenfalls der Kenntnisstand sein, von dem für die Beurteilung durch ihn ausgegangen wird. So erscheint es wenig überzeugend, Abwandlungen aus dem Schutzbereich eines Patentes oder Gebrauchsmusters herauszunehmen, die der Fachmann im Verletzungszeitpunkt als bloße Umsetzung der geschützten Lehre erkennt, die aber im Zeitpunkt der Patentanmeldung wegen des bis dahin unbekannten technischen Umfeldes noch nicht als solche erkennbar waren. Hier unterschiedliche Maßstäbe anzulegen, verbietet sich auch deshalb, weil die jeweils vorzunehmenden (Be-)Wertungen sich zumindest zu einem erheblichen Teil überlagern und überschneiden, so dass unterschiedliche Maßstäbe im Ergebnis nicht vertretbare inkohärente Ergebnisse zur Folge hätten. Maßstab für diese Beurteilung ist daher wiederum der Durchschnittsfachmann, der als solcher nach den gleichen Kriterien wie oben zu bestimmen ist. Auch diese Bestimmung ist ebenso wie die anschließende Bewertung, ob eine Verletzung festzustellen ist, allein Aufgabe des Gerichts; ein Gutachter wird auch hier nur herangezogen, um die für diese Bestimmung erforderliche Tatsachengrundlage, also insbesondere die Angaben zu üblicher Ausbildung und der darüber hinaus vorhandenen beruflichen und fachlichen Erfahrung zu vermitteln. Daneben soll er dem Gericht dabei mit seinem Fachwissen und seinem fachlichen Rat unterstützen, ein Bild von Gestaltung, Funktion und Funktionsweise der Entgegenhaltung aus dem Stand der Technik zu gewinnen. Die jeweilige Einordnung selbst bleibt jedoch wiederum allein Aufgabe des Gerichts.26 Auch insoweit kann sie einem Sachverständigen schon deshalb nicht verantwortlich übertragen werden, weil sie Teil der Entscheidungsfindung ist, die in der Verantwortung des Gerichts steht. Der Gutachter kann bei der Findung dieser Entscheidung helfen, indem er dem Gericht die Kenntnis der für diese Bewertung erforderlichen Kenntnisse vermittelt und diesem so die notwendige Fachkunde vermittelt. Es ist jedoch nicht seine Aufgabe, diese Wertung und Entscheidung anstelle des Gerichts zu treffen. Selbst wenn an ihn die Frage gerichtet wird, wie er diese Wertung vollziehen würde, geht seine Antwort in ihrer Bedeutung nicht über eine auf seine Fachkunde zu stützende subjektive Stellungnahme hinaus. Auch wenn er, insbesondere als gerichtlich bestellter Gutachter verpflichtet ist, sein Gutachten nach bestem Wissen und Gewissen zu erstellen, bildet es nur ein Mittel der Sachaufklärung, die das Gericht insgesamt in eigener Verantwortung zu würdigen hat.27 Diese Verantwortung darf und kann es nicht auf den Sachverständigen übertragen. scheinbar um eine Abkehr von diesem Grundsatz; es geht bei den dabei aufgezeigten Abweichungen um den jeweils zur fordernden Kenntnisstand, insbesondere in welchem Umfang ein nach dem Anmeldetagerworbenes Wissen Berücksichtigung finden kann. 26 BGH v. 3.2.2015 – X ZR 76/13, GRUR 2015, 472 – Stabilisierung der Wasserqualität. 27 BGH v. 13.2.2007 – X ZR 74/05, GRUR 2007, 410 Rz. 18 – Kettenradanordnung; BGH v. 22.12.2009 – X ZR 55/08, BeckRS 2010, 03145. Die an dieser Stelle oft benutzte Wendung, das bleibe seinem pflichtgemäßen Ermessen überlassen, ist irreführend. Bei dieser Bewertung geht es nicht um eine Auswahl unter mehreren Möglichkeiten im Hinblick auf deren Angemessenheit oder Sachgerechtigkeit, sondern darum, was das Gericht als richtig und

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5. Beweiswürdigung Im Ergebnis ist das Sachverständigengutachten im Zivilprozess damit ein Beweismittel wie jedes andere. Das gilt auch dann, wenn man dem Vorschlag des Jubilars folgt und ein auf Anordnung des Gerichts von den Parteien eingeholtes Gutachten als Zwischenstufe zwischen dem Gerichtsgutachten und dem reinen Parteigutachten einführt.28 Keines dieser Gutachten kann einen Anschein der Richtigkeit für sich in Anspruch nehmen, der von einer Prozesspartei entkräftet werden müsste; es ist nicht mehr und nicht weniger als die Beantwortung gestellter (Sach-)Fragen zur Technik, deren Funktionieren und den Fähigkeiten der typischerweise Beteiligten aus der Sicht eines auf dem jeweiligen Gebiet Kundigen, die auch von seinen subjektiven Erfahrungen beeinflusst sein kann. Ob das Gericht den Ausführungen des Sachverständigen folgt, hängt allein davon ab, ob es von den Ausführungen überzeugt ist. Es muss diese Ausführungen daher in jedem Fall selbst sorgfältig und in eigener Verantwortung prüfen. Wie jedes Beweismittel unterliegt auch das Gutachten, auch wenn es durch das Gericht eingeholt wurde, der freien Beweiswürdigung durch das Gericht (§ 286 ZPO), das ihm daher nicht notwendig folgen muss, sondern von seinen Feststellungen und Ergebnissen abweichen kann.29 Da es aber andererseits mit der Einholung des Gutachtens zum Ausdruck gebracht hat, dass es nicht über zur Beurteilung erforderliche Sachkunde zu verfügen glaubt und deshalb auf die Hilfe zum Erwerb dieser Sachkunde angewiesen ist, bedarf es nicht nur einer sorgfältigen Prüfung der Frage, ob es ohne jede weitere sachverständige Hilfe seine Zweifel an dem Gutachten zur Grundlage des Urteils machen kann.30 Das setzt eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Frage voraus, ob und inwieweit sie Angaben enthalten, die Aufklärung im Hinblick auf entscheidungserhebliche und allein von dem erkennenden Gericht zu beantwortende Fragen zu bieten vermögen, deren Vornahme und Ergebnis aus dem in dem Verfahren ergangenen Urteil erkennbar werden müssen.31 Insbesondere die unterlegene Partei kann und darf erwarten, dass sich das Gericht in seiner Entscheidung nicht nur mit wenigen Worten über die vorliegende Stellungnahme hinwegsetzt, sondern auch nachvollziehbar darlegt, warum es den Ausführungen nicht folgt. Die bloße Aussage, es folge dem Sachverständigen nicht, ohne Darlegung der Gründe, kann dem auch dann, wenn das Gutachten fehlerhaft ist, nicht genügen. Erforderlich ist zumindest eine kurze Darlegung der Gründe, die dieses aus der Sicht des Gerichts nicht verwertbar machen.

wahr und was es als unrichtig und falsch ansieht. Das ist – anders als das Ermessen, dem auch eine subjektive Wertung innerwohnt  – ein in der Sache vollständig überprüfbarer Vorgang. 28 Vorwerk in Verhandlungen zum 70. Deutschen Juristentag, Bd. II/1, 2014, 135, 136; vgl. dazu auch Ahrens, ZRP 2015, 105, 107 sowie Vorwerk, NJW 2017, 2326, 2237 f. 29 BGH v. 5.6.1981 – V ZR 11/80, NJW 1981, 2578. 30 BGH v. 5.6.1981 – V ZR 11/80, NJW 1981, 2578. 31 BGH v. 7.3.2001 – X ZR 176/99, GRUR 2001, 770, 773 – Kabeldurchführung II.

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6. Einordnung eines Gutachtens Die Einordnung des Sachverständigengutachtens im Zivilprozess im Allgemeinen und im Patentprozess im Besonderen als bloßes Beweismittel macht deutlich, dass die Annahme, bei einem den eigenen Standpunkt bestätigenden Gutachten sei eine rechtliche Auseinandersetzung so gut wie gewonnen, nicht nur eher fragwürdig ist, sondern dass das Gutachten ein Teil der umfassenden Würdigung des Vortrags und des Ergebnisses der Beweisaufnahme ist, die das Gericht in eigener Verantwortung vorzunehmen hat. Auch wenn die praktische Erfahrung lehrt, dass die Gerichte häufig einem von ihnen eingeholten Gutachten folgen, beruht das auf der inhaltlichen Qualität und Überzeugungskraft von dessen Inhalt, nicht hingegen an einer wie auch immer gearteten Bindung an die sachverständige Stellungnahme. Es kommt daher nicht darauf an, welche Schlussfolgerungen der Sachverständige im Hinblick auf die Patentierungsvoraussetzungen, den Schutzgegenstand oder die als Verletzung gerügte Benutzung gezogen hat; wesentlich allein sind die (tatsächlichen) Informationen, mit denen das Gericht sein Defizit an Sachkunde bei der Vornahme der ihm obliegenden Bewertungen ausgleichen kann. 7. Übernahme des Gutachtens Auch wenn die – in nahezu jedem Gutachten zu lesenden – Bewertungen durch den Sachverständigen im Einzelfall für das Verständnis des Sachverhalts und seiner Stellungnahme dazu sinnvoll sein können, sind sie aus der Sicht des Verfahrens nur eine subjektive Einordnung durch ihn, die – ebenso wie eine entsprechende Bewertung aufgrund einer Frage an den Gutachter in der mündlichen Verhandlung – der kritischen Überprüfung bedarf. Das gilt, unbeschadet der – im Einzelfall oft problematischen – Frage, ob sich der Sachverständige bei seiner Bewertung von seinen subjek­ tiven Vorstellungen und Erfahrungen hat lösen können, vor allem auch deshalb, weil Auslegung von Patentansprüchen, Bestimmung des Durchschnittsfachmanns und Bestimmung des als Verletzung gerügten Gegenstandes maßgeblich auch von rechtlichen Anforderungen geprägt werden, deren Ausfüllung auch einem auf dem fraglichen Gebiet tätigen, hoch qualifizierten Fachmann nicht überlasen werden kann.32 In eigener Verantwortung kann er lediglich das Tatsachenmaterial bereitstellen, das das Gericht zum Erwerb der Sachkunde benötigt, ohne die es die allein obliegende Bewertung des technischen Sachverhalts und der darauf aufbauenden Entscheidung benötigt. Diese obliegt ihm in eigener und alleiniger Verantwortung.33 8. Inhalt der gerichtlichen (Be-)Wertung Die Funktion der gerichtlichen Entscheidung als das Ergebnis seiner eigenen unabhängigen und selbständigen Bewertung schließt die Möglichkeit ein, dass das Gericht zu einem anderen Ergebnis gelangt als das von ihm eingeholte Gutachten. Hat ihm 32 BGH v. 11.10.2005 – X ZR 76/04, GRUR 2006, 131, 133 Rz. 10 – Seitenspiegel. 33 BGH v. 7.3.2001 – X ZR 176/99, GRUR 2001, 770, 773 – Kabeldurchführung II; BGH v. 3.2.2015 – X ZR 76/13, GRUR 2015, 472 – Stabilisierung der Wasserqualität.

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der Prozessverlauf, insbesondere der Vortrag der Parteien und die Kritik an dem eingeholten Gutachten die erforderlichen Kenntnisse vermittelt, kann das auch einer Entscheidung ohne erneutes Gutachten zugrunde gelegt werden – es ging immer nur darum, diese Grundlage zu erwerben. Resultat einer solchen Bewertung kann daher auch sein, dass das Gericht dem Vortrag einer der Parteien oder einem von diesen eingereichten Gutachten selbst dann folgt,34 wenn der Gegner einer Verwertung einer solchen Stellungnahme nicht zugestimmt hat und diese daher rechtlich lediglich als Parteivortrag zu behandeln ist.35 Entscheidend ist allein, was das Gericht im Rahmen der ihm obliegenden Pflicht zur objektiven, unparteiischen und sachgerechten Prüfung als richtig, zutreffend und wahr ansieht.

IV. Ergebnis Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass die eingangs angesprochene Parteivorstellung die Rolle des Gerichts im Prozess und dessen Verhältnis zum sachverständigen Gutachter verkennt. Der Gutachter wird allein zu dem Zweck eingeschaltet, den Mangel an Sachkunde auszugleichen, der bei wegen des Fehlens einer einschlägigen Vorbildung vielfach selbst dann nicht zu vermeiden ist, wenn es sich in großem Umfang mit Entscheidungen zu einschlägigen Themen befasst hat. Dieser Zweck des Gutachtens macht es zugleich entbehrlich, wenn das Gericht bereits über die erforderliche Sachkunde verfügt oder aufgrund der vorhandenen Sachkompetenz die von ihm geforderten Wertungen treffen kann.

34 Vgl. dazu auch Ghassemi-Tabar/Nober, NJW 2016, 552; s.a. Kopp, NJOZ 2017, 330, 333. 35 Kopp, NJOZ 2017, 330, 333.

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Literaturrecherche im Recht – Erfahrungen, Versuche, Anregungen Inhaltsübersicht I. Recherche benötigt Spuren II. Verlorene Spuren 1. Verlust in historischer Zeit 2. Verlust in digitaler Zeit 3. Verlust von Druck- und Digitalwerk 4. Einen deutschen Zitierindex gibt es nicht III. Recherche 1. Was wird worin gesucht? 2. Durchsuchte Quellen a) KJB b) Kuselit c) Juris d) beck-online

e) Jurion f) Katalog des Südwestverbunds 3. Ergebnisse und Erkenntnisse a) Biografische Suche b) Suche mit Stichwörtern c) Nicht berücksichtigter Katalog IV. Anregungen zur Fortentwicklung 1. Verbundteilnahme weiterer Bibliotheken 2. Auswertung von Vorwörtern 3. Vollständigere Katalogisierung von ­Beiträgen mehrerer Verfasser V. Exkurs – amtliche Netzpublikationen

I. Recherche benötigt Spuren Elektronische Medien sind bei Juristen längst angekommen, das gilt schon über ein Jahrzehnt.1 Die erhoffte Übersichtlichkeit ist ausgeblieben, Veränderungen in der Methodenlehre wurden postuliert.2 Die von vielen Datenbanken angebotenen Suchschlitze in Datenbanken täuschen eine vermeintliche Einfachheit der Recherche vor, die es so nicht geben kann. Dies bestätigt auch der amerikanische Kollege Pratter.3 Ich befasse mich hier rein praktisch mit einzelnen subjektiven Erfahrungen, Einblicken und Ausblicken der Literaturrecherche, die mir zum Nutzen des Publikums dieser Festschrift mitteilenswert erscheinen.4 Recherchen können nur erfolgreich verlaufen, wenn es Hilfsmittel und Spuren des gesuchten Objekts gibt. Das bedeutet für uns, dass auch wir Spuren hinterlassen müssen, denen später geschichtlich Interessierte nachgehen können, die sie dann unter 1 Noack/Kremer, Professionelle Online-Dienste für Juristen, NJW 2006, 3313-3317. 2 Knauer, Juristische Methodenlehre 2.0? Der Wandel der juristischen Publikationsformate und sein Einfluss auf die juristische Methodenlehre, Recht, Bibliothek, Dokumentation (RBD), 2014, S. 29-51. 3 Pratter, Die neuen Publikationsformate und die juristische Methodenlehre: ein Nachtrag zur Lage der Dinge in den Vereinigten Staaten, RBD, 2015, S. 40-51. 4 Einen vollständigeren, mehr an den ungeübten Nutzer gerichteten Leitfaden bietet das Werk von Ivo Vogel, Erfolgreich recherchieren – Jura, 2. Aufl. 2015, XI, S. 154.

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anderen Blickwinkeln betrachten können, als es uns gegenwärtig möglich ist. Bemerkenswert ist es, dass in der Rechtsliteratur offensichtlich mögliche Spuren fahrlässig nicht gelegt werden, andere hingegen vorzeitig und vorsätzlich verschwinden oder deren Unterdrückung und Vernichtung gar aus vorgeblich rechtlichen Gründen gefordert und amtlich geduldet wird. Der Jurist macht sich kaum viele Gedanken über die Fülle der Rechtsliteratur und deren Recherchierbarkeit. Gewöhnt an ordentliche Strukturen geht er davon aus, dass sich fast alles finden lässt, wenn man die richtigen Mittel anwendet, tief genug sucht und ein wenig Mühe darauf verwendet. Das ist im Grunde kein schlechter Ansatz, wenn wir uns vorher über das Angebot und die Strukturierung möglicher Quellen im Klaren sind. Es gelingt nur nicht immer.

II. Verlorene Spuren 1. Verlust in historischer Zeit Im November 2016 wurde über die bibliothekarische Liste „inetbib“ eine 1. Auflage des Werkes von August Quaritsch, „Compendium des europäischen Völkerrechts. Lehrbuch und Repetitorium“ gesucht, die wohl vor 1875 herauskam. Niemand konnte helfen. In allen deutschen elektronischen Bibliothekskatalogen wurden nur die 2. Auflage von 1875 und spätere Auflagen nachgewiesen. Selbst in Otto Mühlbrechts Bibliografie „Wegweiser durch die neuere Literatur der Rechts- und Staatswissenschaften“, die in dessen eigenem Verlag erschien und in dem auch die 2. und weitere Auflagen verlegt wurden, kann das „Compendium“ nicht nachgewiesen werden. Der Nutzer hat das Werk gesucht, „weil August Quaritsch scheinbar der Erste war, der im Zusammenhang mit Völkergewohnheitsrecht von „opinio juris necessitatis“ gesprochen hat (2.  Auflage, 1875) und geprüft werden sollte, ob dies auch schon in der 1. Auflage der Fall war. Ich neige zu der Ansicht, dass die 1. Auflage nicht im Buchhandel erschienen ist, sondern nur als Manuskript gedruckt und nur an Fachkollegen gesendet wurde. Wäre die Resonanz der Kollegen vernichtend ausgefallen, hätte es keine 2. Auflage gegeben und das als 1. Auflage gesuchte Manuskript hätte man leichter als bloßen Versuch darstellen können. Zur damaligen Zeit gab es noch keine Pflichtexemplarbibliotheken, deren Bestände man hätte befragen können. Die damals bereits existierende Bibliothek des Kammergerichts besitzt keine Auflage, was dadurch erklärt werden kann, dass Völkerrecht keine für dieses Gericht relevante Materie war. Man merke, nicht alles, was einmal da gewesen ist, lässt sich auch bei sonst guter Quellenlage wieder auffinden. 2. Verlust in digitaler Zeit Im Ergebnis ähnlich und doch ganz anders verhält es sich mit einer neueren digitalen Schöpfung, die ihre Väter schmählich im Stich gelassen haben. Für Juristen ist bekanntlich auch Undenkbares nicht unmöglich, selbst wenn man es im Moment für irreal hält. Ein solcher Fall ereignete sich für mich mit dem Verschwinden der im Herbst des Jahres 2012 neu erschienenen, nicht sehr umfangreichen „Onlinezeitschrift für Suchtstoffrecht. OZSR“. Als Herausgeber und Bearbeiter der Zeitschrift 258

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zeichneten zwei Staatsanwälte, die etwas ungewöhnlich als Redaktionsadresse unter „c/o“ die Namen und die Adressen ihrer Dienststellen angaben. Die OZSR wurde im Jahrgang 2013 in der Karlsruher Juristischen Bibliographie (KJB) unter der laufenden Nummer 5550 als kostenfrei unter der URL „www.ozsr.de“ nutzbare Zeitschrift angezeigt. In den folgenden 11 Monaten enthielt die Zeitschrift 13 Beiträge, die die Bibliothek des BGH in ihren Katalog aufnahm, den man auch im Internet findet. Diese Menge ließ sich auch leicht in die ca. 2050 Einträge je Heft der KJB eingliedern. Da die Zeitschrift online verfügbar war und die fachliche Auffächerung in der KJB nicht so sehr differenziert ist, konnte auch der schwierige Titel „Was haben ein palästinensischer Häftling und eine peruanische Lehrerin gemeinsam?“ leicht klassifiziert werden. Die Zeitschrift wurde auch an die „Zeitschriftendatenbank“5 gemeldet und fand so Eingang in die „Elektronische Zeitschriftendatenbank (EZB)“, bei der viele juris­ tische Bibliotheken auch diesen Titel abonnierten. Mitte des Jahres 2013 erschien Heft 2 des Jahrgangs 2013, danach nichts weiter. Anfang 2015 teilten die Herausgeber auf Nachfrage mit: „Der Aufwand, die einschlägigen Informationen aufzuarbeiten und zusammenzustellen, ist hoch – für uns zwischenzeitlich leider zu hoch. Aus diesem Grund haben wir uns nunmehr schweren Herzens entschlossen, das Projekt endgültig einzustellen. Die bisherigen Ausgaben der OzSR (!) stellen wir aber – bis auf Weiteres – online zur Verfügung.“ Eine große rechtswissenschaftliche Bibliothek lud umgehend die im PDF-Format erschienenen Seiten von OZSR herunter und speicherte sie auf einem von außen nicht erreichbaren Server. Der „Häftling und die Lehrerin“ haben dort nun ein neues und gesichertes Zuhause. Alle im Rahmen der EZB auf die „OZSR“ gesetzten Links gehen seitdem ins Leere. Die URL OZSR.de ist nicht mehr erreichbar, das Original vernichtet. Man könnte dies als für die Rechtsgeschichte nebensächlichen Fall vernachlässigen, wenn die Herausgeber ihre Gründe etwas besser offen gelegt und die Zeitschrift einfach im bisherigen Umfang online belassen hätten. Tatsächlich haben die Autoren schon im Jahr 2012 mit der Fortführung des Kommentars von Körner zum Betäubungsmittelgesetz ein schweres Erbe angetreten. Und sie haben dabei noch eins draufgesetzt: Im Verzeichnis der Abkürzungen der 8. Auflage im Jahr 2016 geben sie an: „OzSR Onlinezeitschrift für Suchtstoffrecht (abrufbar unter www.ozsr.de)“. Im Schriftenverzeichnis dieser Auflage wird keiner der 13 Beiträge aufgeführt. Wer Zugang zu beck-online hat, kann das selbst dort nachprüfen.6 Man merke auch hier, nicht alles, was einmal da gewesen ist, lässt sich auch wieder auffinden. Datenbanken bzw. digitale Produkte können irgendwann einmal aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen verloren gehen, das müssen Bibliothekare wie Nutzer fürchten. Online-Datenbanken lassen nach der Abbestellung nichts mehr zurück, keine alten Jahrgänge für die Zeit, in der man die Datenbank abonniert hatte, auch keine Archiv-CD mit kompatibler Software, die ein späteres Lesen noch gestatten würde. Bei Druckwerken kann man sich darauf verlassen, dass es Mehrfachexemplare in verschiedenen Bibliotheken gibt. Sie bieten also auch „Kulturgedächtnisschutz“ vor gemeinen Gefahren und Urhebern. Dass die Autoren selbst ihr Werk zerstören ist neu und befremdlich. Das wirft ethische Fragen auf. 5 Siehe http://zdb-katalog.de 6 https://beck-onlie.beck.de/?vpath=bibdata/komm/KoernerKoBtMGAMG_8/cont/Koerner​ KoBtMGAMG.glossary1.glud15.htm

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3. Verlust von Druck- und Digitalwerk Der Verlag C.H. Beck hat ähnliche Eigentümlichkeiten aufzuweisen. Öfters lässt er zu besonderen Anlässen Beilagen zu seinen führenden Zeitschriften erscheinen. Darin sind Beiträge sonst hoch geschätzter Autoren enthalten. Exemplarisch nenne ich das Heft „60 Jahre Bundesverwaltungsgericht“, das im Jahr 2013 als Beilage zum Heft 14 der NVwZ erschien. Es enthält 11 Aufsätze, der von Angelika Nußberger7 erstreckt sich über immerhin 9 Seiten. Die vom Verlag zu den Jahrgängen gelieferten Einbanddecken sehen nicht vor, dass die Sonderhefte mit eingebunden werden, es gibt auch keine Bindehinweise. In „beck-online“ sind diese Sonderhefte nicht abgebildet. Auch der Empfänger dieser Festschrift ist davon betroffen.8 Es kommt also besonders auf findige Bibliotheken an, diese Geringschätzung des Verlags gegenüber seinen Autoren durch Katalogisierung der Beiträge und Anbinden der Hefte an den Jahrgang zu mildern und den Beiträgen ein Überleben zu sichern. Gleiches passiert natürlich auch den gelegentlich in den römisch paginierten Heftumschlägen erscheinenden Beiträgen und statistischen Übersichten. Wer hier interessierende Dinge findet, sollte sie gleich in seinem persönlichen Archiv sichern. 4. Einen deutschen Zitierindex gibt es nicht Die vielfältige deutschsprachige Rechtsliteratur erscheint, anders als in den USA, in wirtschaftlich arbeitenden Verlagen, die ihren Markt behaupten und verteidigen. Das haben vor nicht zu langer Zeit die deutschen juristischen Ableger von Lexis-Nexis und West erfahren, die wieder aufgegeben wurden. Das bedeutet aber nicht, dass die deutschen Verleger an einem Strang ziehen und dem Publikum einen leichten Überblick über ihre Produktion bieten. Jeder hat seine eigene Datenbank und die haben ihre eigenen Formate und Inhalte. Wer keine eigenen Datenbanken hat bzw. selbst aufbauen möchte, der schließt sich einer Gruppe an, die ebenso proprietär nicht alle Produkte und meist daneben keine fremden Produkte nachweist. Immer wieder fragen gerade jüngere Professoren bei Bibliothekaren an, ob es bei uns nicht auch so etwas wie den Social Sciences Citation Index9 gibt. Ein solches Vorhaben würde bedeuten, dass man die Inhalte aller Zeitschriften indexieren müsste, was heute nur noch mit Hilfe der EDV und einem qualifizierten Bearbeiterstab zu schaffen wäre. Zu diesem Kraftaufwand scheint niemand bereit, zumal keiner der nachfragenden Professoren für diese Information, besonders zum eigenen Ranking, auch mit eigenem Geld zu zahlen bereit wäre. Dieses von Noack/Kremer konstatierte strukturelle Manko in der Übersichtlichkeit der elektronischen, aber auch der konventionellen Angebote dauert auch heute noch an.

7 Nußberger, Das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Strukturprinzip richterlichen Entscheidens in Europa, NVwZ, 2013, 14, Beil. 1, 36-44. 8 Die NJW-Sonderhefte zu den Hannoveraner ZPO-Symposien sind nicht in beck-online zu finden, aber beim Veranstalter, https://www.jura.uni-hannover.de/970.html 9 https://de.wikipedia.org/wiki/Social_Sciences_Citation_Index

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III. Recherche 1. Was wird worin gesucht? Welche Nachweisinstrumente bieten sich zu inhaltlichen und biografischen Recherchen von Aufsätzen, Kommentaren, Monografien und Sammelwerken an? Welche Ergebnisse kann man erwarten? Das versuche ich an zwei Personen, Prof. Dr. Volkert Vorwerk und Prof. Dr. Thomas Fischer, sowie zwei Stichwörtern grob aufzuzeigen. Für Vorwerk wurde ein Schriftenverzeichnis erstellt, das 65 Einträge enthält, 15 davon betreffen monografische Werke, Kommentierungen und Herausgeberschaft (in allen Auflagen und Formaten), die übrigen 50 sind Artikel und Entscheidungsanmerkungen. Fischer hat im Internet ein eigenes Schriftenverzeichnis aufgelegt.10 25 Einträge betreffen monografische Werke, Kommentierungen und Herausgeberschaften (in allen Auflagen), 88 betreffen Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen. Von den von ihm „Sonstige Veröffentlichungen“ benannten Einträgen wurden 9 in den Vergleich mit einbezogen, der so auf 122 Einträgen fußt. Die von mir willkürlich gewählten Stichwörter „Beweisverwertungsverbot“ und „Ehegattenunterhalt“ sollten im Titel von Literaturbeiträgen/Aufsätzen enthalten sein. Die Recherchen wurden im Februar 2018 abgeschlossen. Die benannten Mengen und die daraus gezogenen Schlüsse beruhen auf diesem Stand. 2. Durchsuchte Quellen a) KJB Es gibt immer noch und nur monatlich im Druck die „Karlsruhe Juristische Bibliographie“ (KJB). Sie war 1965 zu einer Zeit entstanden, als der Heftumfang noch ausreichte, um dem Anspruch gerecht zu werden, zeitnah die relevante Literatur aus Recht, Staat und Gesellschaft aus dem deutschsprachigen Bereich nachzuweisen. So ist die KJB auch eine Quelle der Rechtsgeschichte, denn sie informiert nicht nur den heutigen Leser, sondern kann auch nach Jahrzehnten als Spiegel der Rechtsentwicklung in verschiedene Richtungen ausgewertet werden. Als Quellen nutzte die KJB ganz überwiegend die Bibliotheken des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundesgerichtshofs (BGH). Diese erwerben nicht nur aus eigenen Mittel umfangreich, sie erhielten früher weitgehend alle Dissertationen, seltener auch Habilita­ tionen, die anders als heute seltener im normalen Buchhandel erhältlich waren. Daneben ist es ein Anliegen der Bibliotheken auch so genanntes „graues Schrifttum“ zu erwerben. Darunter sind Publikationen von Behörden, Instituten, Firmen, Parteien, Interessengruppen etc. zu verstehen, das nicht über den Buchhandel vertrieben wird. Beide Bibliotheken katalogisieren auch Aufsätze aus Zeitschriften und Sammelwerken. Die KJB ordnet die Einträge 18 Haupt- und 179 Untergruppen zu, was eine in10 https://www.fischer-stgb.de/fischer/schriftenverzeichnis/

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haltliche Suche möglich macht. Die schwierig zu erstellenden jährlichen Sachregister haben in den letzten Jahren keinen Bearbeiter mehr gefunden Bei nicht wesentlich wachsendem Umfang der monatlichen Hefte der KJB, aber wesentlicher Steigerung des Umfangs der publizierten Literatur und dem Hinzutreten von Online-Publikationen wurde die Auswahl für die Heftredakteure zu einem immer dringlicher werdenden Problem. Die Vollständigkeit und damit die Qualität nahmen ab. In den vergangenen drei Jahrgängen sind zudem Schwankungen in der Erscheinungsweise der Hefte aufgetreten. Heft 9 des Jahrgang 2017 wurde erst im Januar 2018 ausgeliefert. Die KJB in eine Datenbank innerhalb oder außerhalb von „beck-online“ zu überführen wurde leider nie vom Verlag ernsthaft erwogen. Die retrospektive Suche in der KJB ist daher sehr arbeitsintensiv auf nicht mehr optimaler Datenbasis. Die konventionelle Suche nach Titelstichwort wäre nur mit unverhältnismäßigem Aufwand leistbar. b) Kuselit Vor nun zwanzig Jahren hat sich mit der Datenbank Kuselit-Online ein Kleinstunternehmen mit einer Online-Bibliografie etabliert, die zunehmend der KJB den Rang abläuft.11 Kuselit bezeichnet sein Angebot als verlagsübergreifende Rechtsbibliografie und bietet aus seiner Datenbank verschiedene Produkte an. Kuselit-Online wird wöchentlich zweimal aktualisiert. Der Verlag gibt gegenwärtig einen Bestand von 4 Millionen Fundstellen aus derzeit 770 Fachzeitschriften an. Darunter sind auch nur online erscheinende Titel zu finden. Weiterhin wird auf dieser Datenbasis ein Profildienst angeboten, der dem Nutzer erlaubt, sich bis zu 10 individuelle Profile anzulegen und Informationen zu Neueintragungen in den Profilkategorien zweimal wöchentlich zu erhalten. In beiden genannten Produkten ist im Abonnementspreis enthalten ein wöchentlicher Zeitschrifteninhaltsdienst (ZID), der nach 29 Sachgruppen ordnet. Von diesem ZID gibt es auch eine monatliche kostenlose Ausgabe mit den Neueintragungen des vergangenen Monats. Der Nutzer erhält einen Hinweis auf die Existenz, das Erscheinen eines Beitrags, er bekommt aber keinen Link zu der Quelle bzw. zu einer elektronischen Ausgabe der Zeitschrift. Kuselit ist also vor allem eine entgeltpflichtige Bibliografie, die sich auf Aufsätze in Zeitschriften und zunehmend auch in Sammelwerken wie Festschriften konzentriert. Monografien, Kommentare, Tagungsbände werden derzeit nicht berücksichtigt. In diesen Beschränkungen liegt die Schwäche der Datenbank. Für Zeitschriftenaufsätze wird ein Kopierdienst angeboten, nicht aber für Sammelwerke. Ein Bestandsnachweis für diese Werke gibt es nicht. In einem kostenfreien Gastzugang kann man in den aktuellen Daten der letzten 60 Tage suchen. c) Juris Juris bezeichnet sich als das größte verlagsübergreifende juristische Informations­ angebot auf dem deutschen Markt. Zusammen mit den Partnern sind 9 Verlage im Angebot vertreten. 165 Zeitschriftentitel stehen in der Suche zur Verfügung, mit Beständen mindestens ab dem Jahr 1991. Das sind aus meiner Sicht gemessen am Ge11 http://www.kuselit.de/cms/index.php

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samtaufkommen aber noch nicht genug.12 Sammelwerke werden allenfalls als Ausnahmen ausgewertet. Die Erschließung der nachgewiesenen Aufsätze mit Abstracts, Schlagwörtern und Normen ist durchweg recht hilfreich und bei der Recherche sinnvoll einzusetzen. Bei einem Werk wie einem BGB-Kommentar ist die Normangabe „§ 1 BGB“ dagegen nicht wirklich hilfreich. Monographien sind nur gering nachgewiesen. Sie werden jetzt wohl eher durch die Juris-Partner beigetragen. Einen so nicht gekennzeichneten Nachdruck aus dem Jahr 2014 von Rudolf Jhering’s „Recht und Sitte“ (im Original 1924) hätte ich hier nicht erwartet. Ich gebe zu, ich hatte mit der neuen „verbesserten“ Rechercheoberfläche von juris bezogen auf meine Fragestellungen meine Probleme. Juris bietet für den Einstieg eine kostenlose Suche an, gründlicher wird nur das zahlende Publikum bedient, von der „Transparenz für alle“ hatte man sich früh verabschiedet. Die für jedermann kostenlos einsehbaren „Gesetze im Internet“ und neuerdings „Rechtsprechung im Internet“ werden von juris gegen einen Finanzierungsbeitrag des Bundes bereitgestellt, der damit ohnehin nur seinem nicht mehr in Zweifel gezogenen Informationsauftrag gegenüber dem Bürger nachkommt. d) beck-online Der Verlag C.H.Beck als übermächtiger Anbieter juristischer Information nimmt Monographien zu einzelnen Themen und Sammelwerke wie Festschriften von seinem elektronischen Angebot „beck-online“ aus. Einige Umsatzbringer wie der Palandt und die Kleinkommentare zum StGB und zur StPO bleiben dem Druck vorbehalten. Ansonsten scheint fast die ganze seit 1950 herausgebrachte Produktion an Zeitschriften und Kommentaren in digitaler Form enthalten. Fremde Produkte werden bibliografisch nicht nachgewiesen, könnten aber in der „Leitsatzkartei“ gelegentlich erwähnt sein. Wegen der Zeitschriften ergibt sich ein erheblicher bibliografischer Beitrag. Eine individualisierende Personalisierung der Autoren erfolgt nicht. Der Zugang ist nicht frei. Der Verlag hält sogar seinen Abonnenten Information zurück, die er sonst als Teil seiner Zeitschriften ansieht. Wie man hört, hat man die digitale Ausgabe der Zeitschrift „NJW-Spezial“ auf ausdrückliche Anordnung des Verlegers Dr. Hans Dieter Beck auslaufen lassen. Sie ist in der Datenbank „beck-online“ nur bis einschließlich Heft 15 des 12. Jahrgangs 2015 enthalten und wird seitdem nur noch gedruckt an die Abonnenten ausgeliefert. Welches die Motivation des Verlegers war, wurde nicht kolportiert. Wenn man davon ausgeht, dass heute Druck- wie Onlinemedien digitale Vorstufen durchlaufen, kann dieses Unterdrücken der digitalen Form für den Nutzer ökonomisch nicht begründet werden. Es ist vielmehr eine Behinderung der aktuellen Wissenschaft und der digitalen Rechtsgeschichte. Auch wer wie Juristen gerne am gedruckten Text festhält, wird sich über die hier nun nicht mehr gegebene Möglichkeit digitaler Recherche wundern und ärgern.

12 Die von mir zuletzt für 2010 vorgelegte Preisstatistik wies damals bereits 361 Titel aus. http://www.makrolog.de/ajbd/search?q=zeitschriftenpreisstatistik&autor=

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e) Jurion Der niederländische Konzern Wolters Kluwer hat um den schon früher erworbenen Carl Heymann Verlag eine Gruppe von 25, meist ebenfalls übernommenen Verlagen gebildet, deren Produkte er in seiner Datenbank „jurion“ elektronisch präsentiert. Der Zugang ist hier ebenfalls kostenpflichtig. Wenn man sich registriert und an­ meldet, aber keine Bibliothek anlegt, kann man „in allen jurion-Bereichen suchen. Darunter befindet sich auch eine „Zeitschriftenauswertung“, die nicht nur jurion-Inhalte auswertet. Man erhält also auch Treffer aus anderen Zeitschriften. Bücher sollte man eher im Shop suchen, das erscheint einfacher. Die erarbeiteten Trefferlisten kann man sich ausdrucken, eine Speicherung schlug bei mir fehl. „Jurion“ deckt nicht so viele Rechtsbereiche so flächendeckend ab wie „juris“ und „beck-online“. Inzwischen hat Wolters Kluwer sich entschlossen, das Produkt „Jurion“ neu auszurichten und in seine Datenbank „Wolters Kluwer Online“ zu integrieren. Dabei wurden die Inhalte neu strukturiert und überarbeitet. f) Katalog des Südwestverbunds Die Bibliotheken des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs entschieden sich noch vor der Jahrhundertwende dafür, zwar lokale elektronische Bibliothekssysteme einzuführen, aber die Katalogisierung mit anderen Bibliotheken zusammen im so genannten Südwestverbund (SWB) beim Bibliotheksservice-Zentrum Baden Württemberg13 durchzuführen. So eine Kooperation führt bei ähnlichem Erwerbungsspektrum zu Arbeitsersparnis und Qualitätsverbesserung der Katalogarbeit und deren Ergebnis ist im Online-Katalog des SWB für jedermann über das Internet kostenfrei nutzbar. Später kam die Bibliothek des Bundesverwaltungsgerichts noch hinzu. Die Bibliotheken der juristischen Max-Planck-Institute in Hamburg, Heidelberg und Freiburg, der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und die juristischen Seminarbibliotheken in Heidelberg und Tübingen sind ebenfalls dort vertreten, um nur die größeren Rechtsbibliotheken zu nennen. Eine ähnliche Konzentration findet sich in keinem anderen Katalogverbund. Katalogisiert werden durchweg alle Erwerbungen dieser Bibliotheken, die den Schwerpunkten der Träger entsprechen. Dieses Zusammenspiel ergibt eine sehr breite und verlagsübergreifende Datenbasis. Die Bibliotheken kooperieren auch bei der Erfassung von unselbständigen Werken (Aufsätzen). Man ist auch bemüht, Beiträge aus juristischen Online-Zeitschriften zu erfassen. Jüngst finden sich auch einige Beiträge aus der „Legal Tribune Online“ und der „Zeit-Online“. Erfasst werden bibliografischen Daten der Bücher und Aufsätze, also Autor(-en), Herausgeber, Titel, Verlag, Quelle, Umfang, Reihenangaben u.a. Es findet keine Verschlagwortung statt. Soweit die Bibliotheken für die Aufstellung Klassifikationen wie z.B. die Regensburger Verbundklassifikation verwenden, können auch diese für die Recherche verwendet werden.14 Die Bibliotheken geben an, ob und in welchem Umfang sie an der Fernleihe teilnehmen. 13 http://www.bsz-bw.de/index.html 14 Siehe beispielhaft: http://www.bundesgerichtshof.de/DE/Bibliothek/Recherche/recherche_ node.html

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Bei der Suche im SWB kann man bei einem Einstieg über die Online-GID15 (Gemeinsame NormDatei) mit einem personalisierten Autor suchen und so namensgleiche Autoren ausschließen. In allen anderen genannten Quellen gibt es keine individualisierenden Personenstammsätze. Dort kann zwischen dem „Rechtsanwalt Thomas Fischer“ und dem „VRiBGH Prof. Dr. Thomas Fischer“ bei der Recherche nicht unterschieden werden. In „Wolters Kluwer Online“ gibt es jetzt Ansätze dazu, die sich aber an nicht immer gleichen Statusbezeichnungen orientieren. 3. Ergebnisse und Erkenntnisse a) Biografische Suche Die KJB habe ich nicht auf die genannten vier Testobjekte durchgesehen. Aus eigener Kenntnis der KJB kann ich behaupten, dort sind keine Einträge aus der Zeitung „Die Zeit“, der „Legal Tribune Online“ und ähnlichen Quellen enthalten. Bezogen auf Vorwerk fehlen nur ein Kapitel aus einem Sammelwerk und die Entscheidungsanmerkungen und ein Beitrag in „Zeit-Online“. Bezogen auf Fischer kann man davon ausgehen, dass alle Monografien und Kommentare nachgewiesen sind, von den übrigen 97 Einträgen dürften 7 fehlen, weil sie aus in Karlsruhe nicht erschlossenen Tagungsbänden bzw. Zeitschriften stammen. Das Titelstichwort zu suchen, hätte ebenfalls den vertretbaren Aufwand gesprengt. Die Gesamttrefferquoten von 84,6 % bei Vorwerk und 94,3 % bei Fischer können sich sehen lassen, sie könnten manuell aber nur mit unverhältnismäßigem Aufwand nachvollziehbar sein. Anders als eine Datenbank wächst die KJB bei steigender Literaturproduktion und gleichbleibendem Seitenumfang nicht mit und wird daher in den Trefferquoten künftig sinken. Die Printform macht retrospektive Recherchen enorm zeitaufwendig. Kuselit kann im gegenwärtigen Stadium dem Anspruch noch nicht gerecht werden. Bezogen auf Vorwerk leidet die Trefferquote von 50,8 % durch zu wenig nachgewiesene Monografien bzw. Auflagen. Verstärkt gilt dies bezogen auf Fischer. Dessen Kommentar zum Strafgesetzbuch wird nur mit einem Hinweis erwähnt, dass das Werk früher unter anderen Autoren erschienen ist. Von den Aufsätzen habe ich nur 18 finden können. Es fehlen besonders Beiträge in Sammelwerken. Die Gesamttrefferquote bei Fischer daher nur 15,6 %. Juris weist nur ganz gering Monographien und Sammelwerke wie Festschriften, Tagungsbände etc. nach. Die Trefferquoten liegen bezogen auf Vorwerk mit 43,1 % und Fischer mit 41,0 % nahe beieinander. Sie beruhen auf dem vollständigeren Nachweis der Aufsätze bzw. Anmerkungen und nehmen unter allen Datenbanken damit einen zweiten Platz ein. Beck-online kann da nicht mithalten, weil beide Autoren mit ihren nicht bei C.H. Beck erschienen Beiträgen in der Statistik nicht punkten können. Da der StGB-Kommentar von Fischer in beck-online nicht enthalten ist, erbringt auch keine seiner Auf-

15 http://ognd.bsz-bw.de/

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lagen hier einen Treffer. 16,9 % bezogen auf Vorwerk und 12,3 % bezogen auf Fischer geben ein anderes Bild von „beck-online“, als man es gemeinhin erwartet. Noch schlechter schneidet „nomos-online“ ab. Nur 8 Aufsätze von Vorwerk ergeben gerade 12,3 %, von Fischer wird nichts nachgewiesen, Totalausfall mit 0,0 %. Dass Jurion ein undankbares Ergebnis erzielt, liegt daran, dass Vorwerk nur mit drei Aufsätzen vertreten ist, das ergibt 4,6  %, bei Fischer lag die Gesamttrefferquote in Jurion noch schlechter mit 3,3 Prozent. In Wolters Kluwer Online verbessert sie sich mit 6 Treffern, auf 4,9 %. Die Katalogdatenbank des SWB bietet als neutrales, verlagsübergreifendes Nachweisinstrument die weitaus vollständigeren Ergebnisse. Bezogen auf Vorwerk wurden 76,9  % erreicht (100  % der Monografien, 70  % der Aufsätze). Bezogen auf Fischer wird das noch getoppt, da im SWB 3 monografische Beiträge und 23 Aufsätze mehr nachgewiesen werden, als in dessen eigener Liste. Das beruht besonders auf der gesonderten Aufnahme von Beiträgen aus Fischers Kolumne in der „Zeit“, die in einem Sammelband erschienen, von ihm aber so nicht aufgeführt wurden. Platzziffern waren ohnehin nicht das Ziel der Untersuchung. Die wichtigere Aussage besteht nicht in den Trefferquoten, sondern darin, dass es an Übersichtlichkeit für den suchenden Nachfrager erheblich mangelt, wenn er die Verbundkataloge, allen voran den SWB-Katalog nicht vorab befragt. Aus meiner Sicht sind dessen Existenz und Möglichkeiten noch zu wenig unter den Nutzern präsent. b) Suche mit Stichwörtern Für die Suche nach den Stichwörtern „Beweisverwertungsverbot“ (B) und „Ehegattenunterhalt“ (E) in Aufsatztiteln ging ich davon aus, dass nach meiner Erfahrung die rechtswissenschaftlichen Autoren durchweg das Hauptthema ihres Artikels auch im Titel deutlich benennen. Auch die Suche mit nur zwei Stichwörtern zeigt auch hier auf, dass die einbezogenen Quellen unterschiedliche Ergebnisse erbringen, die ihre Gründe in den unterschiedlichen Strukturen und Inhalten der Datenbanken haben. In Kuselit werden zwar die Titel der Aufsätze angezeigt, Die Treffer ergeben sich aber nicht nur aus Stichwörtern im Titel, sondern zusätzlich aus den den Aufsätzen zugeschriebenen Schlagwörtern. Für „B“ ergaben sich 32 Treffer, für „E“ waren es 100 Treffer. In „beck-online“ gibt es eine Expertensuche, die eine Suche „nur in den Überschriften“ ermöglicht. Für „B“ ergaben sich 74 Treffer, für „E“ 85 Treffer. „Nomos-online“ ist technisch ein Zwilling zu „beck-online“. Auch hier also die Expertensuche, für „B“ ergaben sich 2 Treffer, für „E“ 6 Treffer. Die Datenbank ist mehr dem Öffentlichen Recht und dem Verfassungsrecht zugewandt.

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Bei Juris waren die ersten der 107 Treffer bei „B“ und der 125 Treffer bei „E“ jeweils aus dem Jahr 1977, hier wirkt sich aus meiner Sicht bezogen auf „E“ die Auswertung der FamRZ aus. „Beck-online“, „nomos-online“ und „Juris“ beinhalten keine Artikel aus Festschriften und sind auch inhaltlich verschieden zu Kuselit. „Jurion“ kannte eine Suche nur in Zeitschriften. Es wurden sowohl die Titel als auch die einzelnen Aufsätze indexiert. Ein Aufsatz zum „Ehegattenunterhalt“, der sich über drei Seiten erstreckt und in dem das Wort 27 Mal vorkommt, ergibt so samt dem Wort im Titel mal eben 28 Treffer. Fürwahr ein Meer an Information, für den Benutzer wäre weniger wahrlich mehr. Für „B“ kamen 1212 Treffer zusammen. Von den 6477 Treffern für „E“ kamen 4598 aus Artikeln in der FamRZ, die zum Portfolio von Jurion gehörte. In Wolters Kluwer Online ist die FamRZ nicht mehr enthalten. Die Trefferzahl sank auf 778. Trotz der Auswahl „Rechtsgebiet: Familienrecht“, „Quellen: Zeitschriften“, „Gattung: Literatur“ waren in den Quellen abgedruckte Entscheidungen enthalten. Für „B“ kamen in gleicher Weise beim „Rechtsgebiet: Strafrecht“ 1046 Treffer zusammen. Eine Suche nur in Aufsatztiteln habe ich nicht finden können. Im Katalog des SWB gibt es nur Titel, keine Schlagwörter, daher kommen die 31 Treffer für „B“ und 53 Treffer für „E“ den realistischeren Angaben von Kuselit, Juris und beck-online näher. Es werden aber auch Aufsätze aus Sammelwerken erfasst. Die Aufsatzkatalogisierung beim BGH erfolgte nach Systemumstellung erst ab 1997 im SWB, niedrigere Trefferzahlen sind die zu erwartende Folge. Inhaltlich ist festzuhalten, dass auch hier keine Datenbank „alle“ aufgefundenen Treffer beinhaltet. Man kann sich nicht auf nur eine verlassen, nicht einmal auf die vermeintlichen Hechte im Karpfenteich. c) Nicht berücksichtigter Katalog Nicht in die Untersuchung einbezogen habe ich die Virtuelle Fachbibliothek Recht (ViFa Recht). Der Begriff „Ehegattenunterhalt“ als Suchwort ergab bei einer Vorabprüfung in der ViFa-Recht überraschend nur 27 Treffer. Wenn man bedenkt, dass die ViFa-­ Recht angibt, auch der Katalog des Südwestverbundes werde ausgewertet, ist das ein erstaunliches Ergebnis. Hierbei hatte ich in der Suche im Gastzugang angegeben, das Wort solle in der Disziplin Recht im Zeitraum 1990 bis 2017 als Stichwort im Titel oder als Schlagwort vorkommen. Nur 6 Treffer (davon 2 Entscheidungsabdrucke) wurden klar genannt. Die übrigen erforderten eine Anmeldung bei der Staatsbibliothek. Nur für eine Recherche in der ViFa Recht kann man sich aber gar nicht anmelden. Man landet in einer Anmeldung mit schriftlichem Formular für die Staatsbibliothek zu Berlin. Mit ihrer Vielzahl an ausländischen Zuspielungen und enthaltenen Sprachen, hat sie für den im deutschen Recht Suchenden an Bedeutung sehr verloren.16 16 https://www.vifa-recht.de/

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IV. Anregungen zur Fortentwicklung 1. Verbundteilnahme weiterer Bibliotheken Daraus ergeben sich Wünsche für eine Vervollständigung der jedermann ohne Anmeldung zugänglichen Angaben im Katalog des SWB. Besonders die teilnehmenden  Gerichts- und Instituts-Bibliotheken arbeiten zunächst für sich allein nach ihren Möglichkeiten und Kapazitäten. Sie erfassen aber nicht für sich als Selbstzweck, sondern für eine hochqualifizierte Nutzerschar aus Richtern und Wissenschaftlern. Denen sollte man nicht zumuten, solche Unzulänglichkeiten bei der Materialsuche durch eigenen Zeitaufwand kompensieren zu müssen. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits vor einigen Jahren seiner Bibliothek Mittel an die Hand gegeben, die für eine Retrokatalogisierung des früheren Zettelkataloges durch Vergabe von Werkverträgen wertschöpfend genutzt wurden. Das sollten andere Gerichtsbibliotheken nachahmen können, wenn sie und ihre Dienstherren es nur wollen und ermöglichen. Der Lorbeer, dass man damit im Katalogverbund auch etwas im Sinne einer Waffengleichheit aller am Recht Beteiligten erbringt, fällt dabei so nebenbei kostenfrei an. Meine Aufforderung richtet sich nicht nur an die beim Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz ressortierenden Bundesgerichte. Datenaustausch ist auch über Ressortgrenzen machbar und sinnvoll. Wenn Ordentliche Gerichtsbarkeit und Verfassungsgerichtsbarkeit dies können und Bibliothekssysteme auch einmal zu erneuern sind, kann jede Institution leicht die Kooperation rechtzeitig ins Auge fassen. Die Katalogisierungsregeln sind ohnehin allen gemein und auch einhaltbar. 2. Auswertung von Vorwörtern Anlass dieser Zeilen ist eine Festschrift, das gibt Anlass zu einer weiteren Überlegung. Wohl mit Ausnahme des Verlages Nomos pflegen fast alle Verlage im deutschen Sprachraum solche Werke zunächst mit römisch paginierten Seiten zu beginnen und die enthaltenen Beiträge dann auf arabisch paginierten Seiten aufzuführen. Das scheint bei vielen Bibliographen und Bibliothekaren den Eindruck zu erwecken, die römischen Seiten enthielten wissenschaftlich wenig ergiebige Inhalte wie z.B. Schmutztitel, Haupttitel, Impressum, Abkürzungsverzeichnis, Personenverzeichnis, Inhaltsverzeichnis und Vorworte. Erst danach käme der eigentlich wertvolle Inhalt. Damit ist der erste Schritt zur Fehleinschätzung bereits getan. In aller Regel legen im Vorwort die Herausgeber ihre Motivation für das Sammelwerk und die Bedeutung des gefeierten Anlasses, der Person dar. Bei all diesen Sammelwerken sollten sowohl Vorworte als auch Beiträge vollständig ausgewertet und in Katalogen und Bibliografien verzeichnet werden. Dabei ist kein besonderer Anspruch an die Qualität dieser Beiträge oder gefeierten Personen/Institutionen zu legen. Bibliografen und Bibliothekaren steht es ohnehin nicht zu, die Beiträge zu werten. Der nachfragende Leser, Empfänger bestimmt auch hier für sich selbst den Wert der Botschaft, die ihm nicht vorenthalten werden darf. Wer heute in digitalen Verbundkatalogen recherchiert, geht wie selbstverständlich davon aus, dass alles erfasst sein sollte. Wo doch personelle Engpässe bei der, auch rückwärtig gerichteten, Erfassung bremsen, sollte man eher 268

Literaturrecherche im Recht – Erfahrungen, Versuche, Anregungen

auf Verbesserung der Kapazität denn auf zweifelhafte und oft zufällige Auswahl setzen, die zudem noch besserwissende Abwägungsarbeit erfordert. Die noch späteren Forscher mögen das vielleicht genauso beurteilen, aber wenn wir Ihnen heute das Material nicht erfassen und den Zugang dazu nicht erleichtern, werden sie die nicht aufgeführte Quelle auch deshalb übersehen, weil sie mit solch einem Erfassungsdefizit nicht rechnen. 3. Vollständigere Katalogisierung von Beiträgen mehrerer Verfasser Der Vergleich der Angaben bei Fischer und beim SWB hat mir auch wieder gezeigt, dass die gemeinsame Katalogisierung im SWB sehr gute Ergebnisse zeitigt, es aber aus Sicht des Benutzers auch Fallstricke gibt. So hat der Beitrag „Zur Reform der Tötungsdelikte Mord und Totschlag: Überblick und eigener Vorschlag“ in der NStZ 2014, S. 9–17 vier Professoren als Autoren: Rüdiger Deckers/Thomas Fischer/Stefan König/ Klaus Bernsmann. Die Katalogisierungsregeln sehen vor, dass zumindest ein Autor genannt werden soll. Das entsprechende Erfassungsfeld im SWB kann man bis zu 24 Mal duplizieren. Davon wurde hier zunächst kein Gebrauch gemacht. Es steht zu befürchten, dass Katalogisierer bei mehreren Autoren nur den Erstgenannten aufnehmen und dem Suchenden die weiteren Autoren vorenthalten. Jeder der Mitautoren wird diesen Aufsatz auch in seinem eigenen Schriftenverzeichnis aufführen, Bibliothekskataloge sollten sich hier am Suchenden orientieren und nicht am Arbeitsaufkommen für weitere Einträge, vollständige Information ist bessere Information. Das merkt der Bibliothekar spätestens dann, wenn er an den Auskunftsplatz wechselt und hier wie ein Nutzer mit Unvollständigkeiten zu kämpfen hat.

V. Exkurs – amtliche Netzpublikationen Als Amtsdruckschriften von Ministerien erschienen früher auch umfangreichere Broschüren, derer man nicht immer rechtzeitig habhaft wurde. Auch von diesen ­Drucken waren und sind immer noch Pflichtexemplare abzugeben. Das gilt heute auch für Ausgaben in elektronischer Form. Leider ist die Abgabemoral durchweg verbesserungswürdig. So ist z. B. der Band „Frauenrechte in Verfassung und Gesetzgebung nach bewaffneten Konflikten: Workshop des Bundesministeriums der Justiz und der Bundesakademie für Sicherheitspolitik am 30.10.2012 in Berlin (2014) – Berlin: Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) 2014, 152 Seiten“17 nicht im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) aufzufinden. Die Ministerialbibliotheken des Bundes hatten sich aus Kenntnis der Lage für einen Server stark gemacht, auf dem alle diese Werke gespeichert und angeboten werden. Er wurde auch installiert, sein Füllungsgrad lässt allerdings zu wünschen übrig und er steht hinter einer Firewall des Bundes und kann von extern nicht erreicht werden. Der genannte Tagungsband ist stattdessen zusammen mit vielen anderen Publikationen der Bundesministerien auf der „zentralen Publikationenseite der Bundesregie17 https://www.bundesregierung.de/Content/Infomaterial/BMJ/Frauenrechte_Verfassung_ Gesetzgebung_6689528.html?nn= 670290

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Dietrich Pannier

rung„18 im Internet aufgeführt, die gegenüber dem internen Server ein Minus an Publikationen enthalten dürfte. Dieser Titel ist nur elektronisch und nur an dieser Stelle verfügbar. Ob der ebenfalls im SWB katalogisierenden Bibliothek des BMJV das Werk bekanntgemacht wurde, kann ich nicht sagen. Eine Titelaufnahme dazu fehlt im SWB. Daraus ergibt sich, dass diese Publikation entweder vom BMJV der DNB nicht angeboten oder von dieser trotz ihres Auftrags zur Sammlung von Netzpublikationen z.B. durch so genanntes Harvesting nicht erfasst wurde. Dieser Auftrag an die DNB erging im Juni 2006 durch das Gesetz über die DNB,19 sie hat aber bei der Auftragserfüllung immer noch erhebliche Probleme. Zudem stünden die in ein eigenes Archiv der DNB aufgenommenen Netzpublikationen nicht für eine Online-Nutzung außerhalb der Räumlichkeiten der DNB zur Verfügung. Diese Beschränkung beruht auf geltendem Urheberrecht, wie man anschaulich einem Beitrag von Ellen Euler im internen DNB-Wiki entnehmen kann, der aber im Cache bei „google.de“ zu finden ist.20 Gerade wegen der auf der erwähnten Publikationsseite der Bundesregierung zum Herunterladen für jedermann angebotenen Amtsnetzpublikationen, die in Erfüllung öffentlicher Aufgaben publiziert werden, muss man sich fragen, warum der Gesetzgeber diese widersinnige Lage sehenden Auges geschaffen hat. Wer auf der Publikationsseite oder auch einer Internetseite eines Ministeriums etwas Interessantes für sich gefunden hat, sollte es darum umgehend herunterladen, denn es könnte demnächst nicht mehr oder nur noch in neuerer Ausgabe verfügbar sein. Gleiches gilt auch für die Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages, die im Internet frei verfügbar sind.21 Holger Scherer hat dazu eine kurze Einführung in das in der Grundeinstellung chronologisch sortierende Verzeichnis verfasst.22

18 https://www.bundesregierung.de/SiteGlobals/Forms/Webs/Breg/Suche/DE/Infomaterial/ Solr_Infomaterial_Startseite_Formular.html?nn= 8988; siehe auch die vorangehende Fußnote 17. 19 Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek v. 22.6.2006, BGBl. I 2006, 1338. 20 Euler, Urheberrechtswidrigkeit von Web-Harvesting, PDF-Dokument im Cache von ­Google. de, ein Link wäre zu lang für eine Fußnote. 21 http://www.bundestag.de/ausarbeitungen. 22 Scherer, Bundestagsgutachten im Netz – Das Online-Archiv der Arbeiten der wissenschaftlichen Dienste, RBD, 2016, 122-125.

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Manfred Parigger

Die Erklärung nach § 257 Abs. 2 StPO – Gedanken zu einem vernachlässigten Prozessrecht des Verteidigers Inhaltsübersicht I. Einleitung 1. Zur Gefahrenlage in der Hauptverhandlung 2. Sinn und Zweck der Erklärung II. Das Erklärungsrecht gemäß § 257 Abs. 2 StPO als selbständiges Verteidigerrecht

III. Die Grenzen des Erklärungsrechtes und die Sachleitungsbefugnis des ­Vorsitzenden IV. Das Erklärungsrecht als Teil der ­Verteidigungsstrategie V. Prozessuale Durchsetzung des ­Erklärungsrechtes und die Sachleitungsbefugnis des Vorsitzenden – Revision

I. Einleitung 1. Zur Gefahrenlage in der Hauptverhandlung Den angeklagten Ärzten wird ein Abrechnungsbetrug gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung vorgeworfen. Der Zeuge – Justitiar der Kassenärztlichen Vereinigung – soll zu der Frage vernommen werden, ob die Abrechnungsweise der Angeklagten in dem von der Anklage erfassten Zeitraum von der Kassenärztlichen Vereinigung – wie von den Angeklagten behauptet – als rechtens angesehen und erst später wegen einer geänderten Auffassung als unzulässig eingeschätzt worden ist. Der Zeuge sagt umfassend zum Beweisthema aus und bekundet, dass er die Abrechnungsweise der Angeklagten heute zwar als unzulässig, damals  – im angeklagten Zeitraum  – jedoch als zulässig und vertretbar angesehen hätte. Die Verteidigung atmet auf. Mit der Aussage dieses Zeugen bricht aus ihrer Sicht der wesentliche Anklagevorwurf in sich zusammen. Der Hauptverhandlungstag endet mit der Entlassung des Zeugen. Tags darauf werden Urkunden verlesen. Es kommt im Anschluss an die Verhandlung  – die übrigen Verfahrensbeteiligten hatten den Gerichtssaal bereits verlassen – beim Zusammenpacken der Verfahrensakten zu einem * Meinem früheren Kollegen Andre Woydak danke ich für seine wertvolle Zuarbeit. Der Sachverhalt ist nicht fiktiv, sondern hat sich tatsächlich so abgespielt. Ausgewählte Literatur zur Vertiefung: Burkhard, Erklärungsrecht des Verteidigers, § 257 Abs. 2 StPO, StV 2004, 390 ff.; Hammerstein, Die Grenzen des Erklärungsrechtes nach § 257 StPO, in FS Rebmann, 1989, S. 233 ff.; Leipold, Form und Umfang des Erklärungsrechts nach § 257 StPO und seine Auswirkungen auf die Widerspruchslösung des Bundesgerichtshofes, StraFo 2001, 300 ff.

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Manfred Parigger

Gespräch zwischen einem der Verteidiger und dem Berichterstatter der Strafkammer. Es geht um den weiteren Verlauf der Hauptverhandlung und die bevorstehende Einvernahme weiterer Zeugen. Der Verteidiger meint, dass nach der gestrigen Aussage des Justitiars der Kassenärztlichen Vereinigung von der Vernehmung weiterer Zeugen doch abgesehen werden könne, da diese zentrale Beweisperson die Einlassung der Angeklagten bestätigt hätte und damit auch der hauptsächliche Anklagevorwurf entkräftet sei. Der Berichterstatter schüttelt erstaunt den Kopf. Nein, auf die Vernehmung weiterer Zeugen könne keineswegs verzichtet werden; habe doch der gestern gehörte Zeuge die Angeklagten gerade belastet und den Vorwurf der Anklage untermauert. Er habe die Aussage mitgeschrieben. Der Berichterstatter blättert in seinen handschriftlichen Aufzeichnungen und liest wörtlich vor, was er sich notiert hat. Dem Verteidiger verschlägt es die Sprache. Er kann sich nicht vorstellen, dass es hier derartige Wahrnehmungsdifferenzen zwischen sämtlichen Verteidigern – es waren fünf an der Zahl – und den Mitgliedern der Strafkammer gegeben haben soll. Er kündigt dem Berichterstatter an, das Thema gleich morgen zu Beginn des nächsten Hauptverhandlungstages noch einmal zu erörtern. Die Verhandlung wird fortgesetzt. Der Berichterstatter hatte bereits mit dem Vorsitzenden der Strafkammer gesprochen. Dieser erklärt, er habe sich die Aussage des Zeugen genauso notiert, wie der Berichterstatter. Die Verteidigerbank ist entsetzt. Es wird beantragt, den Zeugen erneut zu vernehmen. Dies geschieht. Der Zeuge bleibt bei seiner ersten Aussage und bestätigt das, was die Verteidigung wahrgenommen und festgestellt hatte. Der Vorsitzende der Strafkammer entschuldigt sich nachdrücklich. Das Verfahren wurde mit Blick auf einen weiteren (geringfügigen) Anklagevorwurf nach § 153a StPO eingestellt. Das Beispiel spricht für sich. Es zeigt einmal mehr, wie groß die Gefahr ist, dass Aussagen von Zeugen  – möglicherweise auch in Ansehung einer bereits beim Gericht und bei der Staatsanwaltschaft vorhandenen ergebnisorientierten Betrachtung – unzutreffend festgehalten und bewertet werden. Zugleich wird deutlich, wie wichtig und unverzichtbar es für die Verteidigung ist, rechtzeitig von ihrem Recht aus § 257 Abs. 2 StPO Gebrauch zu machen. 2. Sinn und Zweck der Erklärung Dem Angeklagten, dem Staatsanwalt und dem Verteidiger kommt im Strafprozess die Stellung eines Verfahrenssubjektes zu. § 257 Abs. 2 StPO bringt die Subjektstellung des Verteidigers dergestalt zum Ausdruck, dass ihm das Recht eingeräumt ist, nach der Vernehmung des Angeklagten und jeder einzelnen Beweiserhebung dazu eine Erklärung abzugeben.1 Die Norm dient damit auch der Kommunikation der Verfahrensbeteiligten in der Hauptverhandlung und ihrer Mitwirkung an der Überzeu1 § 257 Abs. 2 StPO gewährt dieses Recht auch dem Nebenkläger (§ 397 Abs. 1 S. 3 StPO), dem Privatkläger (§ 385 Abs. 1 S. 1 StPO), dem Prozessbevollmächtigtem des Nebenbeteiligten (§ 434 StPO), nicht aber dem Zeugenbeistand, vgl. Gollwitzer in LR-StPO, 24. Aufl., § 257 StPO, Rz. 101. Zum Frage- und Erklärungsrecht des Angeklagten vgl. Eisenberg, Rz. 792 ff.

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gungsbildung des Gerichts. Dem Auftreten einer kognitiven Dissonanz durch verdachtsfremde Informationen soll entgegengewirkt werden können.2 Trotz seiner hohen Bedeutung für die Verteidigungsmöglichkeiten scheint dieses Recht des Verteidigers aus § 257 Abs. 2 StPO in der täglichen Praxis der Strafverteidigung nur stiefmütterlich behandelt. In seinem Beitrag zu der Fezer-Festschrift (2008) konstatierte Egon Müller, die Praxis der Verteidigung werde der Relevanz der Vorschrift nicht gerecht. „Das Erklärungsrecht des Verteidigers fristet im Justizalltag noch immer ein Schattendasein.“3 Dabei kann es für die Verteidigung eines Angeklagten zuweilen sogar förderlicher sein, während der Hauptverhandlung zu einzelnen Beweiserhebungen etwas zu sagen, als dies erst später im Rahmen des Schlussvortrages zu tun. Jedenfalls bei umfangreichen Hauptverhandlungen und langwährenden Beweisaufnahmen kann es, wie das eingangs geschilderte Beispiel nur allzu deutlich zeigt, geboten sein, durch Gebrauch des Erklärungsrechtes auf den Verfahrensgang einzuwirken und eine frühzeitige Festlegung des Gerichtes auf ein vorläufiges Beweisergebnis oder eine zweifelhafte oder gar falsche Bewertung einer Zeugenaussage zu verhindern. Auch den anderen Verfahrensbeteiligten kann so die Gelegenheit gegeben werden, durch weitere verfahrensgestaltende Maßnahmen zur Sachaufklärung beizutragen.4 Sie sind zwar nicht wie der Angeklagte vom Vorsitzenden nach jeder Beweiserhebung zu befragen, ob sie etwas erklären möchten, können das aber von sich aus tun.5 Durch Ausübung des Erklärungsrechtes kann auch das Ergebnis einer Beweiserhebung in tatsächlicher Hinsicht im Hauptverhandlungsprotokoll festgeschrieben werden, um eine Auseinandersetzung des Gerichtes mit der Sicht der Verteidigung von einem Beweisakt in den Urteilsgründen zu erzwingen.6

II. Das Erklärungsrecht gemäß § 257 Abs. 2 StPO als selbständiges Verteidigerrecht Bis zu der im Jahr 1964 erfolgten Einführung des § 257a a.F. StPO, der die Regelung des § 257 Abs. 2 StPO in geringfügig anderer Form enthielt, war umstritten, ob der Angeklagte in der Ausübung seines Erklärungsrechtes durch seinen Verteidiger vertreten werden kann.7 Seit der gesetzlichen Normierung ist diese Streitfrage jedoch geklärt.8 Der Verteidiger kann dieses eigene Recht deshalb unabhängig vom Willen 2 Eschelbach in BeckOK-StPO, Einl. zu § 257 StPO. 3 Müller in FS Fezer, 2008, S. 153, 156. 4 Gollwitzer in LR-StPO, § 257 StPO Rz. 2. 5 Eschelbach in BeckOK-StPO, § 257 StPO Rz. 13. 6 Burkhard, StV 2004, 390, 395. 7 Vgl. dazu Dahs, NJW 1962, 2238  ff.; zur Entstehungsgeschichte der Norm im Übrigen Schlüchter in SK-StPO, § 257 StPO Rz. 1; Hammerstein in FS Rebmann, 1989, S. 233, 234. 8 Zur rein akademischen Frage, ob der Verteidiger den Angeklagten nach geltendem Recht in seinem Recht aus § 257 Abs. 1 StPO vertreten kann, vgl. Leipold, StraFo 2001, 300, 301.

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des Mandanten ausüben und zwar auch dann, wenn dieser die Einlassung zur Sache verweigert.9 Sichert § 257 Abs. 1 StPO den verfassungsrechtlich garantierten Anspruch des Angeklagten auf rechtliches Gehör und dient darüber hinaus der prozessualen Sachaufklärung,10 so verbürgt §  257 Abs.  2 StPO das Recht der Verteidigung, die richterliche Urteilsbildung bereits während der Beweisaufnahme zu beeinflussen. Es ist als prozessuales Mitwirkungsrecht Ausfluss des Gebotes des fairen Verfahrens,11 Ausdruck der gerichtlichen Fürsorgepflicht und des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG; Art. 6 EMRK).12 Als spezielles Erklärungsrecht tritt § 257 Abs. 2 StPO neben13 das Recht der Verteidigung, jederzeit zum Verfahrensstoff Erklärungen abzugeben (§ 243 Abs. 4 S. 2 StPO, sog. allgemeines Erklärungsrecht) und das Fragerecht gemäß § 240 Abs. 2 S. 1 StPO.14 Zeitlich steht es zwischen dem Fragerecht und dem Schlussvortrag (§ 258 StPO). Mit Blick auf diese verfahrensgestaltenden Rechte der Verteidigung liegt die Bedeutung des § 257 StPO vorrangig darin, eine Erklärung zu dem Zeitpunkt zu gewähr­ leisten, in dem sie ihre größte Wirkung entfalten kann, nämlich dann, wenn der ­Eindruck vom jeweiligen Beweismittel den Verfahrensbeteiligten noch unmittelbar präsent ist.15 Im Unterschied zum späteren Schlussvortrag kann insbesondere bei langdauernden und umfangreichen Verfahren durch eine Erklärung nach §  257 Abs.  2 StPO unmittelbar auf die richterliche Überzeugungsbildung eingewirkt werden.16 Das Recht zur Abgabe einer Erklärung nach § 257 Abs. 2 StPO folgt aus dem Gesetz. Sie ist an keine bestimmte Form gebunden und unterliegt keinen Beschränkungen, sofern sie nicht eine Gesamtwürdigung des bisherigen Verhandlungsergebnisses enthält.17 Die Erklärung muss sich aber nicht auf die im Rahmen der Beweiserhebung erörterten Tatsachen beschränken. Sie kann auch eine Analyse dieser Tatsachen und eine rechtliche Bewertung enthalten.18 Das Recht Anträge zu stellen wird durch § 257 StPO nicht eingeschränkt. Der Verteidiger muss jedoch – anders als bei dem Angeklagten, der zu fragen ist, ob er eine Erklärung zur vorangegangenen Beweiserhebung abgeben will, § 257 Abs. 1 StPO – nicht befragt werden, ob eine Stellungnahme erfol 9 Stuckenberg in KMR-StPO, § 257 StPO Rz. 17. 10 Dahs/Dahs, S. 313; Diemer in KK-StPO, § 257 StPO Rz. 1; Gollwitzer in LR-StPO, § 257 StPO Rz. 1; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 257 StPO Rz. 1. 11 Hammerstein, FS Rebmann, 1989, S. 233, 234; Stuckenberg in KMR-StPO, § 257 StPO Rz. 3. 12 Cierniak/Niehaus in MünchKomm. StPO, Stand 2016, § 257 StPO Rz. 2. 13 Teilweise wird dem Erklärungsrecht ein höherer Stellenwert beigemessen als dem späteren  Schlussvortrag, vgl. Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 8.  Aufl., Rz.  526, 528  f.; Hammerstein in FS Rebmann, 1989, S. 233. 14 Das Fragerecht eröffnet nicht die Möglichkeit, während der Vernehmung einer Beweisperson Erklärungen im Sinne von § 257 Abs. 2 StPO bereits vor Abschluss der Beweiserhebung abzugeben, vgl. Gollwitzer in LR-StPO, § 257 StPO Rz. 19. 15 Stuckenberg in KMR-StPO, § 257 StPO Rz. 1. 16 Dahs, Rz. 483; Hammerstein in FS Rebmann, 1989, S. 233. 17 Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 257 StPO Rz. 8. 18 Cierniak/Niehaus in MünchKomm. StPO, Stand 2016, § 257 StPO Rz. 13.

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gen soll. Ihm ist vom Vorsitzenden durch ausdrückliche oder schlüssige Handlung Gelegenheit zur Äußerung geben, wenn es verlangt wird.19 Dieser hat jedoch abzuwarten, bis ihm der Vorsitzende nach pflichtgemäßem Ermessen das Wort erteilt.20 Die Abgabe einer Erklärung nach § 257 Abs. 2 StPO ist nach allgemeiner Ansicht im Hauptverhandlungsprotokoll zu vermerken, ebenso wie der Umstand, dass dem Verteidiger entgegen seinem Verlangen die Abgabe einer Erklärung nicht gestattet wurde.21

III. Die Grenzen des Erklärungsrechtes und die Sachleitungsbefugnis des Vorsitzenden Aus dem Zweck des Erklärungsrechtes nach § 257 Abs. 2 StPO und seiner Einbindung in den Ablauf der Beweisaufnahme folgt, dass es nur zwischen Beendigung der eigentlichen Beweiserhebung und einem neuen Beweiserhebungsvorgang bzw. zum Abschluss der Beweisaufnahme ausgeübt werden kann.22 Beispielsweise muss ein Zeuge schon von den Prozessbeteiligten befragt (§ 69 Abs. 2 StPO) und es sollte ggf. auch über seine Vereidigung entschieden worden sein (§ 59 Abs. 1 StPO). Das Wort „nach“ in § 257 Abs. 2 StPO stellt zudem klar, dass eine Beweiserhebung nicht für die Abgabe einer Erklärung unterbrochen werden muss.23 Als inhaltliche Grenze des Erklärungsrechtes bestimmt zunächst § 257 Abs. 2 StPO, durch das Wort „dazu“, dass die Erklärung den unmittelbar vorhergehenden, abgeschlossenen Beweisakt betreffen muss, ist also thematisch darauf beschränkt.24 § 257 Abs. 3 StPO regelt weiterhin, dass durch die Erklärung der Schlussvortrag nicht vorweggenommen werden darf und grenzt damit die Vorwegnahme des Schlussvortrags negativ aus dem Kreis der zulässigen Erklärungen aus und zwar für den Geltungsbereich der Abs. 1 und 2.25 Die thematische Grenze des § 257 Abs. 2 StPO ist jedenfalls auch dann überschritten, wenn auf weitere Beweiserhebungen vorgegriffen wird.26 Für eine zeitliche Grenze, im Sinne einer Redezeitbegrenzung, bei deren Überschreitung der Entzug droht, bietet § 257 StPO allerdings keine Grundlage.27 Missbrauch begegnet der Vorsitzende über sein Recht zur Verhandlungsleitung (§ 238 Abs. 1 StPO). 19 Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, §  257 StPO Rz.  5; Stuckenberg in KMR-StPO, §  257 StPO Rz. 18. 20 Gollwitzer in LR-StPO, § 257 StPO Rz. 15; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 257 StPO Rz. 5; Schlüchter in SK-StPO, § 257 StPO Rz. 8; Stuckenberg in KMR-StPO, § 257 StPO Rz. 18. 21 Burkhard, StraFo 2004, 390, 397; Diemer in KK-StPO, § 257 StPO Rz. 6; Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, § 257 StPO Rz. 7; Gollwitzer in LR-StPO, § 257 StPO Rz. 24; Stuckenberg in KMR-StPO, § 257 StPO Rz. 20. 22 Gollwitzer in LR-StPO, § 257 StPO Rz. 11. 23 Hohmann, StraFo 1999, 155. 24 Hammerstein in FS Rebmann, 1989, S. 233; Cierniak/Niehaus in MünchKomm. StPO, Stand 2016, § 257 StPO Rz. 15. 25 Müller, FS Fezer, 2008, S. 153, 155. 26 Gollwitzer in LR-StPO, § 257 StPO Rz. 10, anders Hammerstein, FS Rebmann, 1989, S. 233. 27 Hohmann, StraFo 1999, 153, 154; Müller in FS Fezer, 2008, S. 153, 157; Cierniak/Niehaus in MünchKomm. StPO, Stand 2016, § 257 StPO Rz. 16.

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Durch diese thematischen Einschränkungen soll der Gefahr des Missbrauchs des ­Erklärungsrechtes für verfahrensfremde Zwecke begegnet werden. Die Gefahr der Verfahrensverschleppung droht insbesondere durch uferlose Erklärungen. Mit der Einführung der Begrenzung im Jahre 1975 reagierte der Gesetzgeber auf bekanntgewordene „Missbrauchsfälle“ in den Terroristenprozessen, die den Ablauf von Verfahren verzögert hatten, weil das Erklärungsrecht zu längeren, häufig ideologischen Ausführungen gebraucht worden war.28 Die Bestimmung suggeriert nach Ansicht von Hammerstein, dass Inhalt, Umfang und Form des Schlussvortrages bereits im Voraus bestimmbar seien.29 Eine derartige Vorwegnahme soll deshalb nur dann vorliegen, wenn eine Gesamtwürdigung des bisherigen Verhandlungsergebnisses erfolgt.30 Innerhalb dieser Grenzen stehen Umfang und Inhalt der Erklärung im freien Ermessen des Verteidigers. Nach Eisenberg führt der thematische Bezugspunkt (§ 257 Abs. 2 StPO „dazu“) und das Verbot einer „Gesamtwürdigung“ (§ 257 Abs. 3 StPO) jedoch zu einer „indirekten Umfangsbegrenzung“ in zeitlicher und thematischer Hinsicht.

IV. Das Erklärungsrecht als Teil der Verteidigungsstrategie Aufgrund der beschränkten Einwirkungsmöglichkeiten des Verteidigers ist eine Ausübung des Erklärungsrechtes zum richtigen Zeitpunkt in der Verhandlung geboten. Inhalt der Stellungnahme im Rahmen von § 257 Abs. 2 StPO können insbesondere die Bedeutung und der Beweiswert des Beweismittels oder die Analyse einer Zeugenaussage sein. Ferner können Widersprüche und Unklarheiten aufgezeigt sowie Zusammenhänge mit anderen Beweismitteln dargestellt werden. Auch eine Würdigung des vorangegangenen Beweisaktes mit Blick auf frühere Beweisergebnisse ist möglich; die Grenze des § 257 Abs. 2 StPO („dazu“) wird hierdurch nicht überschritten. Aufgrund der Grenzen des § 257 StPO ist allerdings nur nach der den gesamten Prozessgegenstand betreffenden Vernehmung des Angeklagten zur Sache (und nur hier!) Raum, den übrigen Verfahrensbeteiligten die Verteidigungsstrategie zu erläutern und eine Gegendarstellung zur Anklage abzugeben.31 Der Verteidiger kann mit seiner Erklärung bezwecken, die Aufmerksamkeit des Gerichtes auf Gesichtspunkte zu lenken, die er für entscheidungserheblich erachtet. Dem Erklärenden steht es frei, sich rein wertend mit dem Beweisvorgang und seinem Beweiswert auseinanderzusetzen. Die Erklärung kann aber auch Rechtsausführungen zu einem neuen Gesichtspunkt umfassen und dazu gebraucht werden, eigene Anträge zu stellen.32 28 BT-Drucks. 7/2985, S. 8; Hammerstein in FS Rebmann, 1989, S. 233, 237; Vogel, NJW 1978, 1219. 29 Hammerstein in FS Rebmann, 1989, S. 233, 237, ihm zustimmend Müller in FS Fezer, 2008, S. 153, 155. 30 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 10. Aufl. 2017, Rz. 805a; Diemer in KK-StPO, § 257 StPO Rz.  4; Hammerstein in FS Rebmann, 1989, S.  233, 238; Leipold, StraFo 2001, 300, 301; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 257 StPO Rz. 8. 31 Gollwitzer in LR-StPO, § 257 StPO Rz. 21. 32 So bereits RG v. 3.2.1911 – II 1117/10, RGSt 44, 284.

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Die Erklärung nach § 257 Abs. 2 StPO

Insbesondere bietet sich das spezielle Erklärungsrecht nach § 257 Abs. 2 StPO an, –– Angaben des Angeklagten bei dessen früherer Vernehmung (§ 243 Abs. 4 StPO) zu ergänzen oder „in Einklang“ mit der Beweiserhebung zu bringen,33 –– beim Zeugenbeweis zur Abgabe einer Stellungnahme zur Glaubwürdigkeit des Zeugen oder bei Widersprüchen der Zeugenaussage zu früheren Aussagen des Zeugen und zu denen anderer Zeugen, –– beim Sachverständigenbeweis als Hinweis auf die mangelnde Sachkunde des Sachverständigen, auf unterlegene oder überlegene Forschungsmittel, auf abweichende Meinungen anderer wissenschaftlicher Schulen oder Widersprüche, –– beim Urkundenbeweis die Echtheit der Urkunde in Frage zu stellen, Hinweise auf Widersprüche zu anderen Urkunden aufzudecken, die Urkunde auszulegen und zu prüfen, ob der Angeklagte die Urkunde kannte oder hätte kennen müssen, –– beim Augenschein, zu beweisen, dass die nachgestellten Zeugenpositionen die Beobachtungsmöglichkeiten der Zeugen erschwert haben.34 Obwohl das Erklärungsrecht vorrangig dazu gebraucht wird, Unrichtigkeiten, Widersprüche und Unklarheiten aufzuzeigen, sollte es auch genutzt werden, um für den Angeklagten günstige Beweisergebnisse „festzuschreiben“.35 Hierzu empfiehlt es sich, während der Hauptverhandlung schriftliche Erklärungen abzugeben, die als Anlage zum Hauptverhandlungsprotokoll Bestandteil der Akte werden.36 Gegebenenfalls sollte deshalb auch um eine Unterbrechung gebeten werden, um eine schriftliche Erklärung auszuarbeiten.37 Eine Verpflichtung des Gerichtes, sich zum Inhalt, Verständnis und Ergebnis einzelner Akte der Beweisaufnahme bereits in der Hauptverhandlung zu äußern, begründet § 257 StPO jedoch nicht.38 Auch eine Anrufung des Gerichtes (§ 238 Abs. 2 StPO) mit der Absicht, eine derartige Stellungnahme herbeizuführen, wäre unzulässig. Jedoch besteht die Möglichkeit einen sog. „affirmativen“ Beweisantrag zu stellen, um im Rahmen der Bescheidung die Einschätzung des Gerichtes zu erfahren.

V. Prozessuale Durchsetzung des Erklärungsrechtes und die Sachleitungsbefugnis des Vorsitzenden – Revision Werden die Grenzen des § 257 Abs. 3 StPO, wonach der Schlussvortrag nicht vorweggenommen werden darf, überschritten, so kann der Vorsitzende in Ausübung seiner 33 Hammerstein in FS Rebmann, 1989, S. 233, 234. 34 Vgl. Tondorf, Formularbuch, 6. Aufl. 2018, VIII J.5. 35 Burkhard, StV 2004, 390, 395. 36 Dahs, Rz. 526. 37 Burkhard, StV 2004, 390, 391. 38 BGH v. 3.9.1997 – 5 StR 237/97, BGHSt 43, 212; Diemer in KK-StPO, § 257 StPO Rz. 1, Gollwitzer in LR-StPO, § 257 StPO Rz. 17.

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Manfred Parigger

Verhandlungsleitungsbefugnis (§ 238 Abs. 1 StPO) den Vortrag des Verfahrensbeteiligten unterbrechen, abmahnen und als letztes Mittel – sofern der Erklärende keinen Bezug der Erklärung zum Beweisvorgang aufzeigen kann  – das Wort entziehen.39 Wann und in welcher Weise der Vorsitzende bei einer Überschreitung der Grenzen des Erklärungsrechtes eingreift, liegt in dessen Ermessen.40 Hierbei ist er an die Grundsätze der Rechtsprechung über die Voraussetzungen des Entzugs des Fragerechtes gebunden.41 Gegen derartige Eingriffe kann nach § 238 Abs. 2 StPO das Gericht angerufen werden. Mit Blick auf die Revision ist der Verteidiger gehalten, zu dokumentieren, wenn ihm das Recht, Erklärungen nach § 257 Abs. 2 StPO abzugeben, nicht hinreichend gewährt wird. Dies kann durch Antrag zu Protokoll auf Wort­ erteilung zwecks Abgabe einer Erklärung geschehen. Darüber ist dann eine Entscheidung des Gerichts nach § 238 Abs. 2 StPO einzuholen. Verstöße des Gerichtes gegen § 257 Abs. 2 StPO können grundsätzlich mit der Revision gerügt werden.42 Aufzuzeigen ist, dass der Erklärungsberechtigte sich selbst zu Wort gemeldet hat und ihm das Wort versagt oder zu Unrecht entzogen worden ist. Darzulegen ist weiter, dass der Erklärungsberechtigte an urteilsrelevanten Ausführungen gehindert wurde. Verstöße gegen § 257 Abs. 2 StPO können jedoch nur gerügt werden, wenn zuvor das Gericht nach § 238 Abs. 2 StPO angerufen und ein entsprechender Beschluss erwirkt worden ist.43 Das Gericht trifft aber nur eine Entscheidung darüber, ob die beanstandete Anordnung des Vorsitzenden rechtmäßig war. Wegen der Möglichkeit, die Erklärung im Schlussvortrag nachzuholen, wird ein Urteil jedoch regelmäßig nicht allein auf einer Verletzung des §  257 StPO „beruhen“ (§ 337 Abs. 1 StPO). Entsprechendes gilt für einen damit verbundenen Verstoß gegen die richterliche Aufklärungspflicht (§  244 Abs.  2 StPO) oder eine wesentliche Beschränkung der Verteidigung.44 Besondere Bedeutung erlangt § 257 Abs. 2 StPO in Fällen, in denen die Unverwertbarkeit einer im Vorverfahren rechtswidrig zustande gekommenen Vernehmung vom Widerspruch abhängt (sog. Widerspruchslösung des BGH).45 Ein nach dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt erhobener Widerspruch gegen die Verwertung eines Beweismittels ist folglich wirkungslos. Jedoch: Was wäre wohl im Ausgangsfall geschehen, wenn die Verteidigung ihre Wahrnehmung von der Aussage des Zeugen erst im Schlussvortrag mitgeteilt hätte? Man mag gar nicht daran denken! 39 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 10. Aufl. 2017, Rz. 806; Gollwitzer in LR-StPO, § 257 StPO Rz. 14; Hammerstein in FS Rebmann, 1989, S. 233, 238. 40 Gollwitzer in LR-StPO, § 257 StPO Rz. 16; Stuckenberg in KMR-StPO, § 257 StPO Rz. 10. 41 Hammerstein in FS Rebmann, 1989, S.  233, 235; vgl. dazu Schneider in KK-StPO, §  241 StPO Rz. 15. 42 Vgl. hierzu Burkhard, StV 2004, 390, 397; Leipold, StraFo 2001, 300, 301. 43 Diemer in KK-StPO, § 257 StPO Rz. 5; Gollwitzer in LR-StPO, § 257 StPO Rz. 26; Hohmann, StraFo 1999, 153, 156 f. 44 Stuckenberg in KMR-StPO, § 257 StPO Rz. 25. 45 Vgl. hierzu insbesondere Leipold, StraFo 2001, 300.

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Heike Piorreck und Michael Keilbach

Verwerfung und Zurückweisung der Berufung gemäß § 522 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO in einem Beschluss Inhaltsübersicht I. Das Problem



II. Ein Beispielsfall III. § 522 ZPO – ein kurzer Abriss über seine Entstehung und Entwicklung 1. Die Zivilprozessrechtsreform 2. Das Gesetz zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung vom 21.10.2011 3. Die Anfechtbarkeit des Zurückweisungsbeschlusses gemäß § 522 Abs. 3 ZPO n.F. IV. Zur Zulässigkeit eines einheitlichen ­Beschlusses über die teilweise Verwerfung der Berufung als unzulässig und die ­teilweise Zurückweisung der Berufung als unbegründet 1. Hinweisbeschluss 2. Zurückweisungsbeschluss





V. Das richtige Rechtsmittel im Falle ­eines „Verwerfungs-und-Zurück­ weisungsbeschlusses“ 1. Zulässigkeit der Verwerfung und ­Zurückweisung der Berufung in einem Beschluss a) Entscheidung durch Urteil b) Entscheidung durch Beschluss c) Der sicherste Weg 2. Unzulässigkeit der Verwerfung und Zurückweisung der Berufung in einem Beschluss

VI. Fazit VII. Formulierungsvorschlag

I. Das Problem § 522 ZPO hat seit seiner Einführung durch das Zivilprozessreformgesetz (nachfolgend auch verkürzt: ZPO-Reform) im Jahr 2002 eine Vielzahl von Diskussionen ausgelöst,1 die zur grundlegenden Änderung des § 522 ZPO im Jahr 2011 geführt haben. Ursprünglich war ein Zurückweisungsbeschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO unanfechtbar (§ 522 Abs. 3 ZPO a.F.).2 Mit dem „Gesetz zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung vom 21.10.2011“3 wurde die Möglichkeit der Anfechtung des Zurückweisungsbeschlusses gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch einen neuen Absatz 3 geschaffen. Seither kann nicht nur der die Berufung als unzulässig verwerfende Beschluss mit der Rechtsbeschwerde gemäß §  522 Abs.  1 Satz  4 ZPO angefochten werden;4 auch der die Berufung zurückweisende Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1

1 Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2018, § 522 ZPO Rz. 48. 2 Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2018, § 522 ZPO Rz. 65. 3 Gesetz zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung v. 21.10.2011, BGBl. I 2011, 2082. 4 Vor der Einführung des § 522 ZPO sah § 519b ZPO a.F. die Verwerfung der Berufung als unzulässig  – auch  – durch Beschluss vor; die Entscheidung durch Beschluss unterlag der

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Heike Piorreck und Michael Keilbach

ZPO ist anfechtbar und zwar mit dem Rechtsmittel, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre (§ 522 Abs. 3 ZPO). Es stellt sich die – bisher in Rechtsprechung und Literatur wenig beachtete – Frage, ob die Berufung in einem Beschluss teilweise als unzulässig verworfen und teilweise als unbegründet zurückgewiesen werden kann. Daran schließt sich die weitere Frage an, welche(s) Rechtsmittel in einem solchen Fall gegen den „Verwerfungs-und-Zurückweisungsbeschluss“ statthaft ist/sind.

II. Ein Beispielsfall Der Kläger macht Schadensersatz wegen verschiedener Pflichtverletzungen gegenüber dem Beklagten geltend. Die Schadensersatzansprüche stellen jeweils eigenständige, abgrenzbare Streitgegenstände dar. Das Landgericht weist die Klage vollständig ab; der Kläger legt gegen die Entscheidung des Landgerichts Berufung ein. Nachdem das Berufungsgericht durch Beschluss auf seine Rechtsauffassung hingewiesen hatte, verwirft das Berufungsgericht einen Teil der Berufung als unzulässig, weil der Kläger in der Berufungsbegründung unter Verletzung von § 520 ZPO nicht die Abweisung aller durch das Landgericht als unbegründet angesehener Schadensersatzansprüche angegriffenen habe; den anderen Teil der Berufung weist das Berufungsgericht mangels Erfolgsaussicht als unbegründet zurück. Das Berufungsgericht fasst den Beschluss: „Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts wird verworfen, soweit das Landgericht die Schadensersatzansprüche des Klägers im Zusammenhang mit (…) verneint hat; im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.“ Es folgt die Entscheidung über die Kostenverteilung und über die vorläufige Vollstreckbarkeit.5

III. § 522 ZPO – ein kurzer Abriss über seine Entstehung und Entwicklung 1. Die Zivilprozessrechtsreform Durch die ZPO-Reform, die zum 1.1.2002 in Kraft getreten ist,6 ist auch das Rechtsmittelrecht neu gefasst worden. Der Gesetzgeber wollte den Berufungsgerichten ermöglichen, eine Berufung – ohne mündliche Verhandlung – im Beschlusswege zurückweisen zu können.7 Denn nach dem vor der ZPO-Reform geltenden Recht hatte sofortigen Beschwerde, sofern gegen ein Urteil gleichen Inhalts die Revision zulässig wäre (§ 519b ZPO a.F.). 5 Exkurs: In der Berufungsinstanz sollte der Antrag gemäß § 712 ZPO gestellt werden, was in der Praxis leider häufig vergessen wird. Versäumt es der Schuldner, im Berufungsverfahren einen Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 712 ZPO zu stellen, obwohl ihm dies möglich und zumutbar gewesen wäre, so kommt eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 719 Abs. 2 ZPO nicht in Betracht, BGH, Beschluss v. 13.1.2017 – V ZR 291/16, WuM 2017, 162. Der Antrag nach § 719 ZPO geht dann „ins Leere“. Der Anwalt haftet dem Mandanten auf den vollen Vollstreckungsschaden, vgl. dazu Wintermeier/Langbehn, ZJS 2014, 30.  6 ZPO-RG, BGBl. I 2001, 1887.  7 BT-Drucks. 14/4722, S. 96.

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Verwerfung und Zurückweisung der Berufung

das Berufungsgericht keine Möglichkeit, über eine zulässige Berufung ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.8 Gemäß § 519b ZPO a.F. konnte das Berufungsgericht lediglich über eine Berufung durch Beschluss entscheiden, wenn die Berufung unzulässig war.9 Auch bei offensichtlich unbegründeten Berufungen musste ein Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt werden – unabhängig davon, ob die Berufungsbegründung Aussicht auf Erfolg bot oder nicht.10 Der Gesetzgeber wollte mit der ZPO-Reform eine effektivere Einsetzung der richterlichen Ressourcen erreichen und die Berufungsinstanz auf die reine Fehlerkontrolle und Fehlerbeseitigung beschränken.11 Ziele, die allerdings nach Ansicht der Kommentarliteratur bisher nicht erreicht wurden.12 Die ab dem 1.1.2002 geltende Fassung des § 522 ZPO lautete: § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss13 (1) 1Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. 2 Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. 3Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. 4Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt. (2) 1Das Berufungsgericht weist die Berufung durch einstimmigen Beschluss unverzüglich zurück, wenn es davon überzeugt ist, dass 1. die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, 2. die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und 3. die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert. Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. 3Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. 2

(3) Der Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 ist nicht anfechtbar.

8 BT-Drucks. 14/4722, S. 96. 9 S. Fn. 6. 10 BT-Drucks. 14/4722, S. 96, 97. 11 BT-Drucks. 14/4722, S. 97. 12 Vgl. nur Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2018, § 522 ZPO Rz. 48.  13 ZPO-RG v. 1.1.2002, Buch 3 (§§ 511 bis 577 ZPO) neugefasst durch Gesetz v. 27.7.2001 (BGBl. I , S. 1887).

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Heike Piorreck und Michael Keilbach

2. Das Gesetz zur Änderung des § 522 der Zivilprozessordnung vom 21.10.2011 § 522 ZPO ist auch deshalb auf Kritik14 gestoßen, weil die Möglichkeit der Berufungszurückweisung durch Beschluss in den Bezirken verschiedener Oberlandesgerichte unterschiedlich angewendet wurde:15 Auswertungen der Statistiken der Zivilgerichtsbarkeit, die das Statistische Bundesamt erstellt, ergaben, dass in den Jahren 2004 bis 2008 im Bundesdurchschnitt ca. 14 % aller beendeten Verfahren durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO erledigt wurden.16 Im Bezirk des Oberlandesgerichts Zwei­ brücken wurden allerdings rund 26 % aller Verfahren durch Beschluss gemäß § 522 Abs.  2 Satz  1 ZPO erledigt.17 Bei manchen bayerischen Landgerichten wurden fast dreimal so viele Verfahren durch Zurückweisungsbeschlüsse wie durch Urteile erledigt (26,3 zu 10).18 Dagegen wurden in Bremen nur rund 6,5 % aller Verfahren auf diese Weise abgeschlossen.19 Selbst innerhalb eines Bundeslandes gab es große Unterschiede: im Bezirk des Oberlandesgerichts München wurde die Berufung über­wiegend durch Beschluss zurückgewiesen (52,8 % der Verfahren); im Bezirk des Oberlandesgerichts Bamberg lag dieser Anteil nur bei 30 % der Verfahren.20 Die unterschiedliche regionale Anwendung von § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO begegnete auch verfassungsrechtlichen Bedenken (Art. 3 GG, Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG).21 Zudem hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die in § 522 Abs. 2 ZPO vorgesehene Abgrenzung, die für die Zurückweisung einer Berufung durch einen unanfechtbaren Beschluss neben der fehlenden Erfolgsaussicht des Rechtsmittels (§  522 Abs.  2 ZPO Satz 1 Nr. 1 ZPO) und dem Fehlen eines Bedürfnisses für revisionsrechtliche Klärung (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO) die Einstimmigkeit des Spruchkörpers verlangt, in den Grenzen des Willkürverbotes sachgerecht ist und damit den sich aus dem Gleichheitssatz ergebenden Anforderungen an die Ausgestaltung des Instanzenzuges genügt.22 Weder sei der effektive Rechtsschutz verletzt, noch könne von einer unzumutbaren Erschwerung des Weges in die nächste Instanz die Rede sein.23 In der Kom14 Vgl. dazu auch Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2018, § 522 ZPO Rz. 48. 15 Vgl. Greger, BRAK-Mitt. Sonderdruck, 2010, S. 22. 16 Vgl. Schultz, BRAK-Mitt. Sonderdruck, 2010, S.  27.  Wobei dieser Wert innerhalb der Spannbreite der vom Bundesrat erwarteten Anteile von 10-15 % lag, vgl. Greger, BRAKMitt. Sonderdruck, 2010, S. 22, 23. 17 Vgl. Greger, BRAK-Mitt. Sonderdruck, 2010, S. 22, 24; Schultz, BRAK-Mitt. Sonderdruck, 2010, S. 27. 18 Greger, BRAK-Mitt. Sonderdruck, 2010, S. 22, 24. 19 Greger, BRAK-Mitt. Sonderdruck, 2010, S. 22, 24. 20 Greger, BRAK-Mitt. Sonderdruck, 2010, S. 22, 24. 21 Vgl. BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats) v. 30.7.2008 – 1 BvR 1525/08, NJW 2009, 137; BVerfG (1.  Kammer des Ersten Senats) v. 18.6.2008  – 1 BvR 1336/08, NJW 2008, 3419; BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats) v. 26.4.2005 – 1 BvR 1924/04, NJW 2005, 1931 zu Art. 2 Abs. 1 GG, dessen Verletzung bejaht wurde, da im konkreten Fall die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aufgrund einer geänderten BGH-Rechtsprechung nicht mehr verneint werden dürfe. 22 BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats) v. 30.7.2008 – 1 BvR 1525/08, NJW 2009, 137. 23 BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats) v. 25.2.2009 – 1 BvR 3598/08, NJW-RR 2009, 1026, Rz. 9, 10. 

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Verwerfung und Zurückweisung der Berufung

mentarliteratur wird – unter Verweis auf eine Entscheidung des EGMR24 – vertreten, dass auch der EGMR wegen der besonderen Ausgestaltung des deutschen Berufungsverfahrens die Beschlusszurückweisung gebilligt habe.25 Ein Verstoß gegen Art.  6 Abs. 1 EMRK liege – losgelöst vom entschiedenen Fall – nicht vor. Ob der EGMR-Entscheidung wirklich diese Tragweite zugemessen werden kann, ist fraglich. Durch die in der Wissenschaft geführte lebhafte Diskussion über mögliche Reform­ ideen wuchs der Druck auf den Gesetzgeber, eine Reform der Vorschrift zu prüfen.26 Hervorzuheben ist hier zunächst der Gesetzentwurf der FDP-Fraktion, den diese 2008 in den Bundestag eingebracht hat.27 Dieser sah die Rechtsbeschwerde als neues Rechtsmittel gegen den Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO vor. Für die so ausgestaltete Rechtsbeschwerde hätte analog § 26 Nr. 8 EGZPO eine neue Nummer 9 des § 26 EGZPO28 eine Beschwer von mehr als 20.000 Euro erfordert. Der Vorschlag wurde in der Literatur kritisch begleitet.29 Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) veranstaltete im Jahr 2010 ein Symposion zu möglichen Reformvorschlägen.30 Greger forderte in diesem Rahmen etwa die Abschaffung von § 522 Abs. 2 ZPO; und: dachte neue Ideen zur Entlastung der Berufungsgerichte, wie etwa die Einführung eines schriftlichen Berufungsverfahrens oder neue Zulassungs- und Annahmevoraussetzungen an.31 Schultz wiederum sprach sich in seinem Beitrag für die Er­ öffnung der Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO aus.32 Das separat hiervon entwickelte sog. „Hannoveraner-Modell“, das vom Institut für Prozess- und Anwaltsrecht der Leibniz Universität Hannover vorgeschlagen wurde,33 sah vor, dass gegen den Zurückweisungsbeschluss innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen die Durchführung der mündlichen Verhandlung beantragt werden konnte.34 Das Berufungsgericht hätte in der daraufhin durchzuführenden mündlichen Verhandlung durch Urteil entscheiden müssen. Dadurch wäre der Weg in die dritte Instanz zum Bundegerichtshof vorgezeichnet gewesen; entweder hätte das Berufungsgericht die Revision zugelassen oder es wäre die Nichtzulassungsbeschwerde möglich gewesen. 35

24 Nicht zu verwechseln mit dem EuGH, da der EGMR ein Organ (str.) des Europarates ist und seine Rechtsgrundlage in der EMRK (Art. 19 EMRK) findet. Zum EGMR vgl. Meyer-­ Ladewig/von Raumer in Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, Europäische Menschenrechtskonvention, 4. Aufl. 2017, Einl. Rz. 40 f. 25 EGMR v. 2.2.2006, Nr.  5398/02, abrufbar unter www.hudoc.echr.coe.int (abgerufen am 12.6.2018); Heßler in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 522 ZPO Rz. 36. 26 Vgl. dazu Reinelt, ZRP 2009, 203; Knorps, ZZP 120 (2007), 403, 407. 27 BT-Drucks. 16/11457. 28 Vgl. dazu Art. 3 des Entwurfes, BT-Drucks. 16/11457. 29 Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2018, § 522 ZPO Rz. 48, 65. 30 Vgl. dazu Sonderdruck zum 5. ZPR-Symposion der Bundesrechtsanwaltskammer, 2010. 31 Oder auch Präklusionsvorschriften, vgl. dazu Greger, BRAK-Mitt. Sonderdruck, 2010, S. 22, 25. 32 Schultz, BRAK-Mitt. Sonderdruck, 2010, S. 27, 29. 33 Vgl. Wolf, BRAK-Mitt. 2010, 194. 34 Wolf, BRAK-Mitt. 2010, 194, 196. 35 Wolf, BRAK-Mitt. 2010, 194, 196.

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Heike Piorreck und Michael Keilbach

Die rechtspolitische und verfassungsrechtliche Kritik an §  522 Abs.  2 und 3 ZPO führten schließlich im Jahr 2011 zu seiner Neufassung.36 Seit dem 27.10.2011 hat § 522 ZPO folgenden Wortlaut: § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss37 (1) 1Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. 2 Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. 3Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. 4Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt. (2) 1Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass 1. die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, 2. die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, 3. die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und 4. eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. 3Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. 4Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten. 2

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre. 3. Die Anfechtbarkeit des Zurückweisungsbeschlusses gemäß § 522 Abs. 3 ZPO n.F. Der Zurückweisungsbeschluss ist seit der Reform im Jahr 2011 mit dem Rechtsmittel angreifbar, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre (§ 522 Abs. 3 ZPO). In der Gesetzesbegründung heißt es: Nach dem Regierungsentwurf entscheidet das Berufungsgericht mit der Wahl des Verfahrens nicht mehr über den Zugang zur 36 Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 23.  Aufl. 2018, §  522 ZPO Rz.  48, sowie dort Fn.  157; Meller-­Hannich, NJW 2011, 3393. 37 §  522 Abs.  2 Satz  1 neu gef., Satz  4 angef., Abs.  3 neu gef. mWv 27.10.2011 durch G v. 21.10.2011 (BGBl. I, S. 2082).

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Verwerfung und Zurückweisung der Berufung

Revisionsinstanz.38 Weist das Berufungsgericht die Berufung gemäß §  522 Abs.  2 Satz 1 ZPO zurück, ist mithin die Nichtzulassungsbeschwerde statthaftes Rechtsmittel, wenn der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 Euro überschreitet.39 Die Hürde des § 26 Nr. 8 EGZPO trifft also auch diejenigen, die den Zurückweisungsbeschluss angreifen wollen. Die „Übergangsvorschrift“ des § 26 Nr. 8 EGZPO, deren Geltungsdauer seit der ZPO-Reform bisher regelmäßig verlängert wird, begrenzt den Zugang zur dritten Instanz auch im Falle der Zurückweisung durch Beschluss; derzeit gilt die Vorschrift mindestens bis zum 31.12.2019.40 Zuletzt wurde in der Begründung zur Verlängerung der Geltungsdauer auf die gestiegenen Eingangszahlen beim Bundesgerichtshof verwiesen, die die Reform des § 522 ZPO mit sich brachte.41 Obwohl der Gesetzgeber selbst davon ausgeht, dass sich die Wertgrenze bewährt hat,42 hat er die Norm bisher nicht in der ZPO selbst „verankert“, sondern hat auch im 18. Jahr seit der ZPO Reform „Übergangscharakter“ beibehalten. Nach Ansicht des Gesetzgebers drohe ohne die Vorschrift eine „nicht mehr tragbare Belastung des Bundesgerichtshofes“.43 Man darf gespannt sein, wie es in Zukunft mit § 26 Nr. 8 EGZPO weitergeht. Die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO gilt allerdings nicht, wenn die Berufung als unzulässig verworfen worden ist. Die Rechtsbeschwerde ist generell unabhängig von der Höhe der Beschwer statthaft. Im Falle der Verwerfung der Berufung durch Urteil44 kommt es gemäß §  26 Nr.  8 Satz  2 EGZPO auch nicht darauf an, ob der Beschwerdeführer mit einem 20.000 Euro überschreitenden Betrag beschwert ist oder nicht.45

IV. Zur Zulässigkeit eines einheitlichen Beschlusses über die teilweise Verwerfung der Berufung als unzulässig und die teilweise Zurückweisung der Berufung als unbegründet 1. Hinweisbeschluss Sowohl die Verwerfung der Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 1 Satz 3 ZPO als auch die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 38 BT-Drucks. 17/6406, S. 8.  39 Vgl. BGH v. 19.1.2017 – V ZR 100/16, WuM 2017, 174; vgl. auch Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2018, § 522 ZPO Rz. 65; Wulf in BeckOK-ZPO, 31. Ed. 1.12.2018, § 522 ZPO Rz. 25. 40 BGBl. I 2018, 863, Art. 1. 41 Vgl. BT-Drucks. 18/10470, S. 9, 13. 42 BT-Drucks. 18/10470, S. 13. 43 BT-Drucks. 19/1686, S. 1 f.; so bereits BT-Drucks. 18/10470, S. 13. 44 Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2018, § 522 ZPO Rz. 33; Ball in Musielak/Voit, ZPO, 15. Aufl. 2018, § 522 ZPO Rz. 17. 45 26 Nr. 8 Satz 2 EGZPO wurde im Jahr 2004 eingeführt, Art. 2 Nr. 1 Erstes Gesetz zur Modernisierung der Justiz, BGBl. I 2004, S. 2200; vgl. auch Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2018, § 522 ZPO Rz. 33. 

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Heike Piorreck und Michael Keilbach

ZPO bedürfen eines vorherigen Hinweises46 durch das Berufungsgericht. Anhaltspunkte dafür, dass diese Hinweise im Falle der Absicht des Berufungsgerichts, die Berufung teilweise zu verwerfen und teilweise zurückzuverweisen, nicht in einem Beschluss erteilt werden dürfen, gibt es nicht. 2. Zurückweisungsbeschluss Nicht ganz frei von Zweifeln ist jedoch, ob das Berufungsgericht in einem Beschluss die Berufung teilweise verwerfen und teilweise zurückweisen darf. Der Gesetzgeber hat bei Einführung des § 522 ZPO ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine „Teilzurückweisung“ gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht zulässig sei.47 Der Bundesgerichtshof hat dagegen – ebenfalls die ursprüngliche Fassung des § 522 ZPO betreffend – entschieden, dass die Nichtigkeit eines Teilzurückweisungsbeschlusses nicht angenommen werden könne.48 Zwar sei nach der Gesetzesbegründung eine teilweise Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nicht möglich; im Gesetzeswortlaut finde dies aber keinen Ausdruck.49 Auch in der Literatur wird ganz überwiegend die Auffassung vertreten, dass die Teilzurückweisung grundsätzlich zulässig sei.50

V. Das richtige Rechtsmittel im Falle eines „Verwerfungs-undZurückweisungsbeschlusses“ 1. Zulässigkeit der Verwerfung und Zurückweisung der Berufung in einem Beschluss Bejaht man mit dem Berufungsgericht im Beispielsfall die Zulässigkeit der Teilzurückweisung und Teilverwerfung in einem Beschluss, stellt sich die Frage, welches Rechtsmittel gegen seine Entscheidung überhaupt statthaft ist. a) Entscheidung durch Urteil Dem Berufungsgericht steht grundsätzlich die Möglichkeit offen, die Berufung in einem Urteil teilweise zu verwerfen und teilweise zurückzuweisen.51 Zulässiges Rechtsmittel ist in diesem Fall die Nichtzulassungsbeschwerde – sowohl gegen die Verwerfung der Berufung als auch gegen die Zurückweisung der Berufung.52 46 Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2018, § 522 ZPO Rz. 20. 47 BT-Drucks. 14/4722, S. 97; vgl. auch Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2018, § 522 ZPO Rz. 64. 48 BGH v. 23.11.2006 – IX ZR 141/04, WM 2007, 570. 49 BGH v. 23.11.2006 – IX ZR 141/04, WM 2007, 570. 50 Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2018, § 522 ZPO Rz. 64; Heßler in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 522 ZPO Rz. 43; Ball in Musielak/Voit, ZPO, 15. Aufl. 2018, § 522 ZPO Rz. 28a; Wulf in BeckOK-ZPO, 31. Ed. 1.12.2018, § 522 ZPO Rz. 23; a.A. Rimmelspacher in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 522 ZPO Rz. 34. 51 Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2018, § 522 ZPO Rz. 14. 52 Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2018, § 522 ZPO Rz. 14.

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Verwerfung und Zurückweisung der Berufung

b) Entscheidung durch Beschluss Fraglich ist, ob derjenige, der in der Berufungsinstanz unterlegen ist, gegen den Beschluss, der die Berufung teilweise verwirft und teilweise zurückweist, Rechtsbeschwerde und Nichtzulassungsbeschwerde einlegen muss oder – wie gegen das Urteil, in dem die Berufung teilweise verworfen und teilweise zurückgewiesen worden ist – nur Nichtzulassungsbeschwerde. Der Beschwerdeführer kann sich nicht darauf berufen, das Einlegen zweier Rechtsmittel sei unzumutbar. Der Zivilprozess kennt auch in anderem Zusammenhang die Verpflichtung des Rechtsmittelführers, zwei verschiedene Rechtsmittel einzulegen, um eine Entscheidung vollumfänglich angreifen zu können. Lässt das Berufungsgericht etwa die Revision nur beschränkt zu, muss der Rechtsmittelführer zur Wahrung seiner Rechte Revision und Nichtzulassungsbeschwerde einlegen. In Betracht kommt also, Rechtsbeschwerde einzulegen, soweit das Berufungsgericht die Berufung verworfen hat, und Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen, soweit das Berufungsgericht die Berufung zurückgewiesen hat.53 c) Der sicherste Weg Die zu favorisierende Lösung ist, gegen die gesamte Entscheidung des Berufungs­ gerichts vorsorglich Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen und zugleich Rechts­ beschwerde, soweit das Berufungsgericht die Berufung verworfen hat. So hat der ­Anwalt den „sichersten Weg“54 gewählt.55 Der Anwalt hat den Beschluss dann vollumfänglich mit der Nichtzulassungsbeschwerde angegriffen, wie in dem Fall, in dem das Berufungsgericht durch Urteil entschieden hätte; gleichzeitig hat der Anwalt den als unzulässig verworfenen Teil des Beschlusses mit dem vom Gesetz vorgesehenen Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde angefochten (§ 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO).56 Besteht Unsicherheit, welcher Rechtsbehelf zulässig ist, hat der Rechtsanwalt jeden ernsthaft in Betracht zu ziehenden Rechtsbehelf zu ergreifen.57 Der Bundesgerichthof hat etwa in einem Fall, in dem Zweifel daran bestanden, ob der Wert des Beschwerdege­ genstands 600 Euro übersteigt, geurteilt, dass der sicherste Weg die Einlegung beider möglichen Rechtsbehelfe  – also die Berufung und die Anhörungsrüge  – gewesen ­wäre.58

53 Vgl. Toussaint, FD-ZVR 2016, 381987 Anm. zu BGH v. 13.9.2016 – VII ZR 17/14, NJW 2017, 1180. 54 Vgl. dazu in der Rechtsprechung des BGH: BGH v. 3.11.2010 – XII ZB 197/10, NJW 2011, 386, Rz. 19; BGH v. 9.7.1993 – V ZB 20/93, NJW 1993, 2538, 2539; des BVerfG: BVerfG (1. Kammer des Ersten Senats) v. 26.2.2008 – 1 BvR 2327/07, NJW 2012, 2523, Rz. 10 sowie in der Kommentarliteratur Grandel in Musielak/Voit, ZPO, 15.  Aufl. 2018, §  233 ZPO Rz. 44; Wendtland in BeckOK-ZPO, 31. Ed. 1.12.2018, § 233 ZPO Rz. 47. 55 Ähnlich Toussaint, FD-ZVR 2016, 381987 Anm. zu BGH v. 13.9.2016 – VII ZR 17/14, NJW 2017, 1180, der jedoch von zwei getrennten Rechtsbehelfen ausgeht. 56 BGH v. 4.9.2002 – VIII ZB 23/02, VIII ZB 23/02, NJW 2002, 3783. 57 BGH v. 8.5.2012 – VI ZB 1/11, VI ZB 2/11, NJW 2012, 2523, Rz. 10. 58 BGH v. 8.5.2012 – VI ZB 1/11, VI ZB 2/11, NJW 2012, 2523, Rz. 10.

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Heike Piorreck und Michael Keilbach

2. Unzulässigkeit der Verwerfung und Zurückweisung der Berufung in einem Beschluss Hätte das Berufungsgericht nicht einen Beschluss über die teilweise Verwerfung der Berufung und über die teilweise Zurückweisung der Berufung fassen dürfen, stellt sich ebenfalls die Frage nach dem richtigen Rechtsmittel. Grundsätzlich gilt, dass die Prozessparteien dadurch, dass das Gericht seine Entscheidung in einer falschen Form erlässt, keinen Rechtsnachteil erleiden dürfen.59 Ihnen steht deshalb sowohl das Rechtsmittel zu, das nach der Art der tatsächlich ergangenen Entscheidung statthaft ist, als auch das Rechtsmittel, das bei einer in der richtigen Form erlassenen Entscheidung zulässig wäre (Grundsatz der „Meistbegünstigung“).60 Der Schutzgedanke der Meistbegünstigung soll die beschwerte Partei vor Nachteilen schützen, die auf der unrichtigen Entscheidungsform beruhen.61 Da die richtige Entscheidungsform jedenfalls das Urteil gewesen wäre, hätte der Rechtsmittelführer gegen die Verwerfung der Berufung als unzulässig und gegen die Zurückweisung der Berufung als unbegründet insgesamt lediglich Nichtzulassungsbeschwerde einlegen können. Wegen der Zweifel daran, ob die Entscheidung durch Beschluss zulässig oder unzulässig gewesen ist, hätte der Rechtsmittelführer als sichersten Weg62 gegen die gesamte Entscheidung des Berufungsgerichts vorsorglich Nichtzulassungsbeschwerde und zugleich Rechtsbeschwerde, soweit das Berufungsgericht die Berufung verworfen hat, einlegen sollen.63

VI. Fazit Unabhängig davon, ob das Berufungsgericht in einem Beschluss die Berufung teilweise verwerfen und teilweise zurückweisen durfte, hätte der Rechtsmittelführer – bei Beschreiten des sichersten Weges64 – gegen die gesamte Entscheidung des Berufungsgerichts vorsorglich Nichtzulassungsbeschwerde einlegen müssen und zugleich Rechtsbeschwerde, soweit das Berufungsgericht die Berufung verworfen hat. Im Auge behalten muss der Anwalt stets auch die kostenrechtlichen Folgen seines Tuns, über die er den Mandanten aufzuklären hat und die Einfluss nehmen auf die Entscheidung über das weitere Vorgehen. Regelmäßig wird das Risiko kostenauslösender Maßnahmen hinter dem Risiko, zu versäumen, ein statthaftes Rechtsmittel einzulegen und dadurch den Anspruch nicht mehr geltend machen zu können, zurücktreten.

59 BGH v. 29.2.2012 – XII ZB 198/11, NJW-RR 2012, 753. 60 BGH v. 29.2.2012 – XII ZB 198/11, NJW-RR 2012, 753. 61 BGH v. 29.2.2012 – XII ZB 198/11, NJW-RR 2012, 753. 62 S. V 1 lit. c. 63 S. V 1 lit. c. 64 S. V 1 lit. c.

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Verwerfung und Zurückweisung der Berufung

VII. Formulierungsvorschlag Nichtzulassungsbeschwerde und Rechtsbeschwerde In dem Rechtsstreit … Kläger, Berufungskläger, Nichtzulassungsbeschwerdeführer und Rechtsbeschwerdeführer Prozessbevollmächtigter: … gegen … Beklagte, Berufungsbeklagte, Nichtzulassungsbeschwerdegegnerin und Rechts­ beschwerdegegnerin Prozessbevollmächtigte: … lege ich hiermit für den Kläger gegen den … gefassten und am … zugestellten Beschluss des Oberlandesgerichts … AZ: … – AZ I. Instanz: … Landgericht … vorsorglich insgesamt Nichtzulassungsbeschwerde und zugleich, soweit die Berufung des Klägers verworfen worden ist, Rechtsbeschwerde ein. 289

Ekkehart Schäfer

Der strukturierte Parteivortrag im elektronischen Rechtsverkehr Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Inhaltliche Anforderungen an den ­Parteivortrag – aktueller Stand III. Ansätze und Reformvorschläge für eine Strukturierung des Parteivortrags

IV. Der strukturierte Parteivortrag im ­elektronischen Rechtsverkehr – ­Auswirkungen für die Anwaltschaft V. Fazit

I. Einleitung In der juristischen Fachwelt wird immer wieder darüber debattiert, den Parteivortrag im Zivilprozess bestimmten Strukturvorgaben zu unterwerfen. So wird vorgeschlagen, die Parteien durch gesetzliche Regulierung zu verpflichten, ihr Vorbringen an einer vorgegebenen Gliederung im Sinne der Relationsmethode auszurichten. Oder sie sollen auf Anordnung des Gerichts, ggf. unter Fristsetzung, nur zu einem spezifischen Prüfungspunkt vortragen. Vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung und mit der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs gewinnen diese Überlegungen unter dem Stichwort „digitale Relationstechnik“ oder „Anspruchsbündelung auf Knopfdruck“ neue aktuelle Relevanz. Auch der Jubilar hat sich umfassend mit der Thematik des strukturierten Parteivortrags auseinandergesetzt  – er ist einer der entscheidenden Vordenker auf diesem ­Gebiet. 2017 hat er sogar einen vollständig ausgearbeiteten Gesetzentwurf zum „Strukturierten Verfahren im Zivilprozess“ veröffentlicht.1 Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist dabei die Frage, ob und ggf. wie eine Verfahrensvereinfachung und eine damit einhergehende Verfahrensbeschleunigung im Zivilprozess durch eine Modifizierung der Verfahrensordnung bewirkt werden kann. Bei den Zivilgerichten ist bekanntlich ein Rückgang der Verfahrenseingänge zu verzeichnen. Gleichzeitig nimmt die Dauer der Verfahren stetig zu.2 Den Grund dafür sieht der Jubilar in dem von den Parteien und dem Gericht zu bewältigenden Prozessstoff, der in einer Vielzahl von Verfahren gegenüber den Verhältnissen, unter denen die Prozessordnung Ende des 19.  Jahrhunderts geschaffen worden ist, deutlich an 1 Vorwerk, Strukturiertes Verfahren im Zivilprozess, NJW 2017, 2326. 2 Vgl. Statistisches Bundesamt (https://www.destatis.de/DE/Startseite.html), Statistische Jahrbücher, Kapitel 11 Justiz.

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Umfang zugenommen habe; zudem sei er differenzierter und komplexer geworden.3 Das Problem sei, dass das Gericht in umfangreichen Verfahren mit ausufernden Sachvorträgen konfrontiert werde mit der Folge, dass die den Anspruch begründenden oder vernichtenden Normen und damit zugleich der ihnen zuzuordnende Vortrag aus dem Blick der Parteien gerate. Das geltende Prozessrecht verschlinge auf diese Weise kostbare Ressourcen bei den Rechtsanwälten, den Parteien und bei der Entscheidungsvorbereitung des Richters, der mehrere hundert Seiten Prozessvortrag lesen muss, um herauszufinden, ob nicht doch an einer Stelle eines Schriftsatzes die Substanz zum aus seiner Sicht maßgeblichen Umstand zu finden ist, der für die Entscheidung selbst ausschlaggebend ist. Der Jubilar ist sicher nicht der Einzige, der erhebliche prozessuale Möglichkeiten sieht, die Qualität von Schriftsätzen zu verbessern. So werde der Sinn und Zweck des § 129 ZPO, die mündliche Verhandlung mit dem Ziel eines zügigen Verfahrens vorzubereiten, verfehlt, wenn das Gericht durch bloße Übermittlung der Schriftsätze zu einem unstrukturierten und nicht selten in Polemik abgleitenden Hin- und Herschreiben zwischen den Parteivertretern beitrage, wodurch der Streitstoff unnötig ausgeweitet und zunehmend unübersichtlich würde.4 Darüber hinaus gebe es keine „Kunst der Anfertigung von Schriftsätzen“, jeder schreibe nach seinen persönlichen Vorlieben aufs Geratewohl, nicht selten am Thema und regelmäßig am Vortrag des Gegners vorbei.5 Nach Auffassung des Jubilars ermöglichten die von ihm vorgeschlagenen Regelungen des strukturierten Verfahrens eine Abschichtung des Streitstoffs und trügen auf diese Weise zur Beschleunigung insbesondere komplexer Verfahren bei. Das strukturierte Verfahren erlaube die bessere Erschließung des Prozessvortrags der Parteien gerade im Rahmen des vom Gesetzgeber forcierten elektronischen Rechtsverkehrs.6 In der Tat ist es in Anbetracht des zu ihm ergangenen Regelwerks7 kaum verständlich, wenn Richter einen Großteil ihrer Arbeitszeit für die Zuordnung des Parteivorbringens aufbringen, damit ihre eigentliche Aufgabe, deren Argumente abzuwägen, überhaupt erst möglich wird.8 Legal Tech bzw. die Digitalisierung verlagern schließlich Datenaustausch und Datenspeicherung auf die elektronische Ebene und ermöglichen so grundsätzlich eine Beschleunigung der Kommunikation wie auch eine bessere Strukturierung und Vernetzung der Informationen.9 Bei dem Einsatz von IT zur Arbeitserleichterung bestehen deshalb in Justiz und Anwaltschaft noch erhebliche Entwicklungschancen. 3 Vorwerk, Strukturiertes Verfahren im Zivilprozess, NJW 2017, 2326. 4 Greger in Zöller, ZPO, 32. Aufl., § 129 Rz. 1. 5 Gaier, Strukturiertes Parteivorbringen im Zivilprozess, ZPR 2015, 101, 103. 6 Vorwerk, Strukturiertes Verfahren im Zivilprozess, NJW 2017, 2326. 7 Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten v. 10.10.2013, BGBl. I 2013, 3786. 8 Fries, PayPal Law und Legal Tech  – Was macht die Digitalisierung mit dem Privatrecht?, NJW 2016, 2860, 2864. 9 Fries, PayPal Law und Legal Tech  – Was macht die Digitalisierung mit dem Privatrecht?, NJW 2016, 2860 2862; Stiemerling, CR 2015, 762.

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Der strukturierte Parteivortrag im elektronischen Rechtsverkehr

Mit der Einführung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) nach §  31a BRAO hat der Gesetzgeber einen wesentlichen Grundstein dafür gelegt, die ausschließliche Kommunikation zwischen der Anwaltschaft, den Behörden und der Justiz auf elektronischem Wege zu verwirklichen.10 Es wäre aber vergebliche Liebesmüh, wenn die umfänglichen Reformen hin zum elektronischen Rechtsverkehr nur die Konsequenz hätten, dass sich der Ort des Ausdruckens von Dokumenten von der Rechtsanwaltskanzlei zum Gericht verlagern würde. Dies würde sicherlich den Chancen nicht gerecht, die in der Digitalisierung für den gesamten juristischen Bereich liegen. Es ist vielmehr nur konsequent, Schriftstücke während des gesamten Verfahrens auch in ihrer elektronischen Form zu belassen. Nur so können die Potenziale, die gerade in der Weiterverarbeitungsmöglichkeit digitaler Daten liegen, ausgeschöpft werden. Der Gesetzgeber hat deshalb mit der Einführung der elektronischen Akte in der Justiz11 die richtige Konsequenz gezogen. Prozessakten müssen ab dem 1.1.2026 von den Gerichten verpflichtend elektronisch geführt werden (§ 298a Abs. 1a ZPO). Bis dahin „können“ sie es tun (§ 298a Abs. 1 ZPO), aber nur, wenn die für die jeweilige Gerichtsbarkeit zuständige Landesregierung dies angeordnet hat. Bis zum 1.1.2026 soll also eine vollständige Substitution der Papierakten bei Gericht durch elektronisch geführte Prozessakten erfolgen. Damit sind für die Zukunft des elektronischen Rechtsverkehrs in den Gerichten eine inhaltliche Richtung und eine zeitliche Perspektive vorgegeben.12 Für Rechtsanwälte ist eine gesetzliche Pflicht zur elektronischen Aktenführung nicht vorgesehen. Es ist aber nur folgerichtig, dass auch Rechtsanwälte – sofern noch nicht geschehen – ihre Kanzleiorganisation zur elektronischen Aktenführung hin umorganisieren. Nur auf diese Weise wird die Intention des Gesetzgebers, die Kommunikation und Aktenverwaltung ausschließlich elektronisch zu leben, konsequent umgesetzt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob auch der strukturierte Parteivortrag eine logische bzw. zwangsläufige Konsequenz der Digitalisierung, des elektronischen Rechtsverkehrs und schließlich der Führung von elektronischen Akten (jedenfalls in der Justiz) ist. Denn mit dem Werkzeug des Legal Tech ausstaffiert, ließe sich – den Überlegungen des Jubilars zum strukturierten Parteivorbringen folgend – eine digitale Dokumentenverwaltung schneidern, die mit den Mitteln der Relationstechnik aufeinander bezogene Ausführungen gegenüberstellt und dabei das Streitige klar aus dem Unstreitigen heraushebt.13 Welche Auswirkungen aber haben strukturierte Parteivorträge auf die anwaltliche Arbeitsweise? Hat ein strukturierter Parteivortrag Vorteile für die Anwaltschaft? Oder 10 Eine verpflichtende Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr besteht spätestens ab 1.1.2022. 11 Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs, BGBl. I 2017, 2208. 12 Hähnchen/Bommel, Digitalisierung und Rechtsanwendung, JZ 2018, 334, 338. 13 Fries, PayPal Law und Legal Tech – Was macht die Digitalisierung mit dem Privatrecht?, NJW 2016, 2860 2864 m.w.N.

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Ekkehart Schäfer

überwiegen die negativen Folgen? Bevor erste vorläufige und sicher an anderer Stelle zu vertiefende Überlegungen zu diesen Fragen angestellt werden, sollen zunächst die aktuell an den Inhalt des Parteivortrags gestellten gesetzlichen Anforderungen und daran anschließend die bisher diskutierten Ansätze und Reformvorschläge für eine Strukturierung des Parteivortrags dargestellt werden.

II. Inhaltliche Anforderungen an den Parteivortrag – aktueller Stand Die ZPO macht in ihrer aktuellen Fassung nur wenige inhaltliche Vorgaben zum Parteivortrag.14 Über die in den §§ 130, 253 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO geforderten Formalia hinaus normiert sie keine inhaltsbezogenen Anforderungen an Schriftsätze.15 Damit ergibt sich zwar aus dem materiellen Recht und aus den einschlägigen Verfahrensvorschriften, welcher Parteivortrag zur erfolgreichen Geltendmachung oder Abwehr eines prozessualen Anspruchs überhaupt erforderlich ist. Der Anspruchsteller muss seinen Anspruch schlüssig darlegen, die dafür relevanten Tatsachen substan­ tiiert vortragen und die erforderlichen Beweismittel anbieten. Der Anspruchsgegner wiederum muss den relevanten Vortrag der Gegenseite ggf. wirksam bestreiten und Tatsachen vortragen und unter Beweis stellen, die eine rechtshindernde, rechtsvernichtende oder rechtshemmende Einwendung begründen.16 Die Strukturierung des Vortrags aber bleibt allein den Parteien vorbehalten. Nur für stark eingrenzbare und eingegrenzte Bereiche wie etwa für die bei einem Prozesskostenhilfegesuch erforderlichen Angaben zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, für einen Antrag auf den Erlass eines Mahn- oder Vollstreckungsbescheids oder für einen Vollstreckungsauftrag sind derzeit Formulare vorgesehen.17 Es ist aber auch festzustellen, dass die ZPO zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten geschaffen hat, die eine Effizienzsteigerung des Prozesses im Allgemeinen, aber auch der Qualität der Schriftsätze im Besonderen durch ein frühzeitiges, lenkendes Eingreifen des Richters bewirken können.18 Schließlich obliegt ihm die formelle Prozessleitung. Es unterliegt damit seiner Verantwortung, den äußeren Verfahrensablauf sowohl in (§  136 Abs.  1 ZPO) als auch außerhalb der mündlichen Verhandlung zu gestalten.19 Dadurch kann das Gericht dem Prozess eine effiziente Struktur geben, an der auch die Parteien frühzeitig ihr weiteres Vorgehen ausrichten können. Im Rahmen der materiellen Prozessführung (§ 139 Abs. 1 ZPO) setzen sich diese Optimierungsmöglichkeiten fort. Durch eine frühe und umfassende Aufarbeitung des Sachverhalts ist das Gericht in der Lage, die Parteien frühzeitig über die aus seiner Sicht

14 Zwickel, Die Strukturierung von Schriftsätzen, MDR 2016, 988. 15 Bacher in BeckOK.ZPO, 26. Ed. 15.9.2017, § 253 Rz. 31a. 16 Bacher in BeckOK.ZPO, 26. Ed. 15.9.2017, § 253 Rz. 31a. 17 Bacher in BeckOK.ZPO, 26. Ed. 15.9.2017, § 253 Rz. 31a. 18 Duve/Schoch, Wege zu effizienten Verfahrensgestaltungen im Zivilprozess, AnwBl. 2017, 240, 242. 19 Fritsche in MünchKomm.ZPO, § 136 Rz. 2 f.

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Der strukturierte Parteivortrag im elektronischen Rechtsverkehr

erheblichen Streitpunkte in tatsächlicher und rechtlicher Art zu informieren, sodass sie ihre weiteren Schriftsätze auf die klärungsbedürftigen Punkte fokussieren können. Es stellt sich deshalb die Frage, ob es überhaupt neuer Regelungen bedarf oder ob nicht bereits heute den Gerichten ausreichend Instrumente zur Verfügung stehen, um den Parteien klare Vorgaben für ihren Vortrag zu machen. Kann nicht schon jetzt eine erhebliche Verfahrensbeschleunigung erreicht werden, wenn die Gerichte ihrer formellen und materiellen Prozessleitung in dem ihnen aktuell gesetzlich erlaubten Umfang nachkommen und sie aktiv wahrnehmen?

III. Ansätze und Reformvorschläge für eine Strukturierung des Parteivortrags Bereits im Jahr 1993 schlugen Dr. Schnelle und Prof. Bender mit dem „Neuen Stuttgarter Modell“ einen elektronisch gestützten Zivilprozess vor. Grundgedanke der Überlegungen war, dass die Aufbereitung des Aktenstoffs nicht nur für den Richter, sondern auch für den Rechtsanwalt die arbeitsaufwendigste Aufgabe im Prozess sei. Zudem sei sie auch fehlerträchtig, da insbesondere häufig wichtiger Parteivortrag übersehen werde.20 Prof. Bender und Dr. Schnelle sahen die Lösung des Problems in der Führung einer elektronischen Akte. Alle richterlichen und anwaltlichen Aktivitäten im Zivilprozess seien nach einem gemeinsamen Strukturmuster zu ordnen. Dieses Strukturmuster sollte die Basis für die Entwicklung eines EDV-Programms bilden, das den gesamten Akteninhalt nach jedem beliebigen, vom Bearbeiter gewünschten Gesichtspunkt ordnen und die jeweiligen Beweisantritte, Beweisergebnisse etc. gegenüberstellen könnte. Zusätzlich sollten sog. Pfadsysteme der schnelleren und sichereren Bewältigung von Alltagsfällen dienen.21 Diese elektronisch nutzbaren Pfadsysteme enthielten Informationen über die in unterschiedlichen Rechtsgebieten relevanten Rechtstatsachen, deren regelmäßig auftretenden Probleme und Lösungswege zu deren Bewältigung. Darauf aufbauend stellte Dr. Hendel im Jahr 2002 im Nachgang zur ZPO-Reform22 weitere Überlegungen zur Digitalisierung und zur Reform des Zivilprozesses an. Sie befassten sich auch mit der Formalisierung des Schriftsatzwesens durch Strukturschemata  – gewissermaßen die Umsetzung der Relationstechnik in Reinform. Die Klageschrift sei in mehrere funktionelle Blöcke zu gliedern, u. a. für den Vortrag des Sachverhalts und für die rechtliche Würdigung. Jeder Block müsse wiederum in einzelne Aussagen und Unteraussagen strukturiert werden. In der Klagerwiderung sei diese Struktur zu übernehmen, wobei Ergänzungsmöglichkeiten für neue Komplexe 20 Schnelle/Bender, Der elektronisch gestützte Zivilprozeß – Das „Neue Stuttgarter Modell“, DRiZ 1993, 97, 102. 21 Schnelle/Bender, Der elektronisch gestützte Zivilprozeß – Das „Neue Stuttgarter Modell“, DRiZ 1993, 97, 104. 22 Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (Zivilprozessreformgesetz – ZPO-RG) v. 27.7.2001, BGBl. I 2001, 1887.

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bestünden. Dann könne eindeutig zugeordnet werden, was als anspruchsbegründender Sachverhalt vorgetragen, was zugestanden oder aber bestritten werde. Eine solche Aufbereitung des Streitstoffes ermögliche eine EDV-mäßige Bearbeitung der Materie. Es lasse sich ein Rechenprogramm erarbeiten, das letztlich einen Aktenspiegel im Sinne der Relationstechnik erstellen könne.23 Auf dem 70. Deutschen Juristentag 2014 beschloss sodann dessen prozessrechtliche Abteilung, im Zivilprozess über verbindliche Regelungen sicherzustellen, dass die Parteien ihren Vortrag zum tatsächlichen und rechtlichen Vorbringen strukturieren.24 Damit verbunden wurde eine Verpflichtung des Gerichts zu einer vertieften Prozessleitung, die bei Wahrung des rechtlichen Gehörs zu einer Abschichtung des Vortrages führen sollte.25 An diesen Beschlüssen war unser Jubilar maßgeblich beteiligt – mit seinem Referat setzte er hierfür wichtige Impulse.26 Im Jahr 2017 veröffentlichte der Jubilar, wie bereits eingangs erwähnt, einen ausgearbeiteten Gesetzentwurf zum „Strukturierten Verfahren“ (§§ 606 bis 614 ZPO-E). Er will ein verfahrensrechtliches Instrument einführen, durch das der Prozessvortrag zur Erleichterung der Entscheidungsfindung strukturiert wird, um eine effiziente Verfahrensführung zu ermöglichen und komplexe Verfahren auf diese Weise zu beschleunigen.27 Im landgerichtlichen Zivilprozess kann danach die Kammer sowohl nach Eingang der Klage als auch im Laufe des Verfahrens die Anordnung treffen, das Verfahren nach den Sonderregelungen des Strukturierten Verfahrens durchzuführen. Dann kann sie der klägerischen Partei aufgeben, die Anspruchsgrundlage, auf die sie sich stützt, konkret zu benennen und ihren Vortrag danach auszurichten. Der Beklagte kann angewiesen werden, entsprechend der Struktur des Klägervortrags zu erwidern. Dabei kann sich der Vortrag zunächst auf bestimmte Anspruchsgrundlagen, Tatbestandsvoraussetzungen, rechtsvernichtende oder -hemmende Einwendungen oder Rechtsfragen beschränken. Darüber hinaus erhält das Gericht die Befugnis, den Parteien aufzugeben, ihren Vortrag nur unter bestimmten, ggf. maschinenlesbaren Gliederungspunkten oder Stichworten darzulegen.28 Gerade letzteres ermöglicht es nach Auffassung des Jubilars, in der Entscheidungsvorbereitung gezielt auf den Sachverhalt zuzugreifen, der unter einem bestimmten Schlagwort vorgetragen wurde, und so Rede und Gegenrede unmittelbar gegenüber zu stellen, um darauf basierend die rechtliche Bewertung vorzunehmen.29 23 Hendel, Der moderne Zivilprozess zwischen Mensch und Maschine – elektronische Akte, summarisches Verfahren und langfristige Reform des Zivilprozesses –, JurPC Web-Dok. 68/2002, Abs. 16. 24 Beschlüsse des 70.  DJT, http://www.djt.de/fileadmin/downloads/70/djt_70_Beschluesse_141202.pdf, S. 7, Beschluss Nr. 13. 25 Ebd., Beschluss Nr. 15. 26 Verhandlungen des 70. DJT, Band II/1 Sitzungsberichte, Verlag C.H. Beck, 2015. 27 Vorwerk, Strukturiertes Verfahren im Zivilprozess, NJW 2017, 2326. 28 Vorwerk, Strukturiertes Verfahren im Zivilprozess, NJW 2017, 2326, 2327. 29 Vorwerk, Strukturiertes Verfahren im Zivilprozess, NJW 2017, 2326.

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Der strukturierte Parteivortrag im elektronischen Rechtsverkehr

Strenger ist der rein methodische Ansatz von Gaier, der die Rechtsanwälte verpflichten möchte, exakt die Tatbestandsmerkmale einer selbst gewählten Anspruchsgrundlage vorzutragen. Unter Weiterentwicklung des Beibringungsgrundsatzes sollen die anwaltlich vertretenen Parteien dabei verpflichtet werden, ihr Vorbringen zu koordinieren.30 In seiner Klageschrift könne der Kläger seinen Vortrag nicht mehr in beliebiger, freier Form gestalten. Vielmehr müsse er sich für eine oder mehrere, auch hilfsweise verfolgte Anspruchsgrundlagen entscheiden und deren tatbestandliche Voraussetzungen darlegen. Die geltend gemachten Ansprüche seien mit den nötigen Tatsachenbehauptungen nebst etwaigen Beweisangeboten zu belegen. Der Beklagte müsse bei seiner Klageerwiderung der Struktur folgen, die mit der Klageschrift vorgegeben worden sei, und rechtshindernde, rechtsvernichtende oder rechtshemmende Gegennormen strukturiert darlegen. Der Kläger habe sodann an diesen Aufbau für seine Duplik punktgenau anzuknüpfen. Von einem so strukturierten Vorbringen verspricht sich Gaier, dass der Richter sich in umfangreichen Sachen einen seine eigene Arbeit ordnenden Aktenauszug erstellen könne. Bei einfachen Sachverhalten könne er schon unmittelbar anhand der Schriftsätze einen Überblick über das Vorbringen erhalten. Daran könne dann zügig die rechtliche Prüfung anschließen und bei Entscheidungsreife bereits in ein Urteil, ansonsten in einen Beweisbeschluss münden.31 Noch weitergehend verfolgt Dr. Köbler einen „strukturierten Parteivortrag als Norm“.32 Um das zeitaufwändige Zusammentragen des jeweils aufeinander bezogenen Sachvortrags zu vermeiden, sollen Kläger und Beklagter, geordnet nach Tatbestandsmerk­ malen der ausgewählten Anspruchsgrundlage, ihren Vortrag in das gleiche digitale Dokument eingeben. Alternativ schlägt er für typische und standardmäßige Klagesituationen des Alltags wie Rechtsstreitigkeiten aufgrund von Verkehrsunfällen, Wohnraumkündigungen oder Kündigungen des Arbeitsverhältnisses ein Formularverfahren vor.33 Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) solle für geeignete Verfahren Formulare ausarbeiten und zur Verfügung stellen, die auf die entscheidenden Sachfragen und Tatbestandsmerkmale ausgerichtet sind und entsprechende Eingabefelder für Kläger und Beklagte vorsehen. Für die richterliche Würdigung sei eine weitere Spalte anzulegen.34 Auch das BMJV forciert die Strukturierung des Prozessvortrags. So ermächtigt § 130c ZPO das Ministerium, durch Rechtsverordnung elektronische Formulare einzuführen und die Einreichung von Angaben in strukturierter maschinenlesbarer Form vorzuschreiben. Nach der Gesetzesbegründung dient die Verordnungsermächtigung der

30 Gaier, Strukturiertes Parteivorbingen im Zivilprozess, JurPC Web-Dok. 133/2015, Abs. 16 f. 31 Gaier, Strukturiertes Parteivorbingen im Zivilprozess, ZPR 2015, 101, 103 f. 32 Köbler, Vortrag beim beA-Symposium des EDV-Gerichtstags am 5.3.2018 in Berlin. 33 Köbler, Strukturierter Parteivortrag – das geht doch sowieso nicht, DRiZ 2018, 88, 90; so auch Weller/Köbler, Verfahrensgrundsätze und Modellregeln für die grundsätzlich elektronische Führung gerichtlicher Erkenntnisverfahren, Nomos, S. 93 ff. 34 Köbler, Strukturierter Parteivortrag – das geht doch sowieso nicht, DRiZ 2018, 88, 90 f.

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Förderung der elektronischen Kommunikation mit den Gerichten.35 Durch die Übermittlung von Strukturdaten werde eine IT-gestützte Vorgangsbearbeitung erleichtert, und gerichtliche Verfahrensabläufe könnten effizienter gestaltet werden, beispielsweise bei Kostenfestsetzungsanträgen, der Anzeige von Veränderungen der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse im PKH-Verfahren oder beim Einspruch gegen ein Versäumnisurteil oder einen Vollstreckungsbescheid. Nach eigener Aussage36 stellt das BMJV Überlegungen für weitere Anwendungsfälle an. So könnten in Massenverfahren spezielle Schriftfelder zur automatisierten Erfassung und automatischen Verarbeitung vorgegeben werden. Fraglich erscheint jedoch, ob die Vorschrift des § 130c ZPO dazu berechtigt, zielt sie doch eher auf die einseitige Einreichung durch eine Partei, nicht aber auf eine neuartige digitale Zusammenarbeit ab.37 Konkrete Gesetzentwürfe hat das BMJV bislang nicht vorgelegt. Schon jetzt stellen aber die bereits geltenden Regelungen nach §  130a Abs.  2 ZPO i.V.m. § 2 ERVV Anforderungen an die Form elektronischer Dokumente. So soll nach § 2 Abs. 3 ERVV Dokumenten, die in elektronischer Form an die Gerichte übermittelt werden, ein strukturierter maschinenlesbarer Datensatz im Dateiformat XML beigefügt werden und mindestens die Bezeichnung des Gerichts, das Aktenzeichen des Verfahrens, die Bezeichnung der Parteien oder Verfahrensbeteiligten, die Angabe des Verfahrensgegenstandes, das Aktenzeichen eines denselben Verfahrensgegenstand betreffenden Verfahrens sowie die Bezeichnung der die Akten führenden Stelle enthalten. Insofern sieht § 2 ERVV zwar keinen strukturierten Vortrag im engeren Sinne vor, ermöglicht aber die automatisierte Erfassung bestimmter Grunddaten durch die Gerichte und im weiteren Verfahren die Zuordnung eines elektronischen Dokuments zu einem (bereits anhängigen) Gerichtsverfahren.38 Insbesondere Rechtsanwälte werden danach grundsätzlich verpflichtet, einen strukturierten Datensatz bei Gericht einzureichen, weshalb das beA die automatisierte Erstellung und Übermittlung eines strukturierten Datensatzes vorsehen wird.39

IV. Der strukturierte Parteivortrag im elektronischen Rechtsverkehr – Auswirkungen für die Anwaltschaft Die vorstehenden Überlegungen und Vorschläge machen deutlich, dass nur ein Parteivortrag in vorgegebenen Strukturen die Möglichkeiten, die der elektronische Datenverkehr eröffnet, vollständig ausschöpft und damit gerichtliche Verfahrensabläufe noch effizienter gestaltet als jetzt schon möglich. Es ist unverkennbar, dass die Werkzeuge des Legal Tech automatisiert eine Gegenüberstellung des Prozessstoffs in rela­ 35 BT-Drucks. 17/12634, S. 20. 36 Vortrag eines Vertreters des BMJV auf dem Symposium des Deutschen EDV-Gerichtstag „Die E-Akte und strukturierter Parteivortrag – alter Wein oder ist die Zeit jetzt reif?“ am 8.6.2017 in Berlin. 37 Köbler, Strukturierter Parteivortrag – das geht doch sowieso nicht, DRiZ 2018, 88, 90. 38 BR-Drucks. 645/2017, S. 13. 39 Ebd.

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Der strukturierte Parteivortrag im elektronischen Rechtsverkehr

tionsmäßiger Form erlauben, die Anwendung der Relationsmethode als ureigene Technik der juristischen Arbeitsweise – neben einer sauberen Subsumtion – also nahezu in Reinform möglich machen. Aber welche Auswirkungen hat die Pflicht zu einem strukturierten Parteivortrag auf die Arbeitsweise der Anwaltschaft? Müssten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte dadurch möglicherweise Nachteile in Kauf nehmen? Der Rechtsanwalt ist gemäß § 1 BRAO ein unabhängiges Organ der Rechtspflege, nur er ist nach § 3 BRAO zur Beratung und Vertretung in allen Rechtsangelegenheiten befugt. Würden ihn verpflichten­ de gesetzliche Vorgaben zur Strukturierung seiner Schriftsätze zum Aufbau seines Vortrags darin beschneiden? Oder ist eine in anwaltlichen Schriftsätzen vorgegebene Struktur für sie ebenso vorteilhaft wie für Richter in ihrer Entscheidungsvorbereitung und -findung? Zunächst gilt es festzustellen, dass  – auch wenn keine gesetzlichen Vorgaben zur Strukturierung des Parteivortrags in der ZPO normiert sind  – dies nicht bedeutet, dass der Rechtsanwalt ohne jegliche Struktur seinen Vortrag gestaltet. Denn „nicht strukturiert“ heißt nicht zwangsläufig „unstrukturiert“.40 Vielmehr richtet der Rechtsanwalt seinen Vortrag an dem Interesse seines Mandanten aus, mit seinem Petitum zu überzeugen. Das erfordert Klarheit, Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit seiner schriftsätzlichen Darstellung sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht. Jeder Fall weist aber unterschiedliche und vielschichtige Facetten auf. Die Komplexität der zu bewertenden Lebenssachverhalte hat zugenommen. Ihre rechtliche Einordnung ist schwieriger geworden, zumal der Gesetzgeber ihr durch zunehmende Regulierung Herr zu werden bemüht ist. Um dem Interesse seines Mandanten zu genügen, wird der Rechtsanwalt deshalb für jeden Schriftsatz den Aufbau wählen, der ihm am geeignetsten erscheint, es bestmöglich zu wahren. Dies abstrakt regulatorisch für jeden Einzelfall festzulegen, erscheint kaum möglich. Ferner ist zu bedenken, dass es in Gerichtsverfahren um streitige Auseinandersetzungen geht. Dem Zeitpunkt und der Intensität eines Vorbringens können deshalb auch taktische Erwägungen zugrunde liegen. Außerdem muss es weiter erlaubt sein, prozessuale Möglichkeiten ebenso auszunutzen wie etwaige Schwächen der gegnerischen Argumentation. Und schließlich steht zu befürchten, dass Strukturvorgaben die Funktion der Sprache im Vortrag des Rechtsanwalts aushöhlen, nämlich – wie gerade angesprochen – Klarheit, Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit eines Textes zu gewährleisten. Es stellt sich darüber hinaus die Frage, welche Auswirkungen verpflichtende Vorgaben für den anwaltlichen Vortrag auf den Beibringungsgrundsatz als vorherrschende Prozessmaxime der ZPO haben. Schließlich gilt bis heute: da mihi factum, dabo tibi ius  – die Parteien liefern den Sachverhalt, das Gericht zieht daraus die rechtlichen Schlüsse. Die ZPO überlässt es dementsprechend den Parteien, die nötigen Tatsachen zu beschaffen, schriftlich anzukündigen (§  129 ZPO) und mündlich vorzutragen

40 Vortrag RA Prof. Dr. Bühling „E-Akte und strukturierter Parteivortrag – Wo bleibt die anwaltliche Kunst?“ auf dem Symposium des Deutschen EDV-Gerichtstag „Die E-Akte und strukturierter Parteivortrag – alter Wein oder ist die Zeit jetzt reif?“ am 8.6.2017 in Berlin.

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(§ 137 ZPO).41 Zudem zählt prozessrechtlich nach §§ 128 Abs. 1, 137 ZPO nicht schon der schriftliche Akteninhalt, sondern erst der mündliche Parteivortrag in der Verhandlung. Die Schriftsätze kündigen ihn nach § 129 ZPO nur an. Was die Parteien beantragen, behaupten und bestreiten, erfährt man erst in der mündlichen Verhandlung.42 Will man den Beibringungsgrundsatz nicht in Frage stellen, erscheint es bedenklich, dem Rechtsanwalt konkrete Vorgaben zum Inhalt, zur Reihenfolge und ggf. auch zum Zeitpunkt seines Vorbringens zu machen. Solche Verfahrensregeln erhöhen vielmehr die Gefahr, anwaltlichen Vortrag einzuschränken und zu beschneiden. Auf der anderen Seite soll nicht verkannt werden, dass die Strukturierung des Parteivortrags im elektronischen Rechtsverkehr für die Anwaltschaft auch Vorteile bietet, seine Arbeitsweise partiell erleichtert. So sieht auch der Jubilar in seinem Vorschlag, den Vortrag nur unter bestimmten Schlagwörtern halten zu dürfen und dadurch eine gezielte Gegenüberstellung von Rede und Gegenrede zu ermöglichen, eine Erleichterung der Arbeit des Richters und des Rechtsanwalts gleichermaßen.43 Denn auch der Rechtsanwalt könne durch entsprechenden Aufruf des Schlagwortes zum einen konkret auf den gegnerischen Vortrag erwidern, zum anderen aber auch überprüfen, ob er selbst vollständig vorgetragen, z.B. alle zu bestreitenden Tatsachen bereits bestritten hat. Zudem erleichtere die strukturierte Verfahrensweise sowohl dem Richter als auch dem Rechtsanwalt insbesondere im Fall eines Richterwechsels oder im Berufungsverfahren, in dem sich der Streit nur noch auf die Teile des Streitstoffs erster Instanz erstreckt, die Arbeit.44 In der Tat dient, wie oben bereits ausgeführt, eine Strukturierung des eigenen Schriftsatzes auch dem Rechtsanwalt. Sie gibt ihm die Möglichkeit, insbesondere im fortgeschrittenen Verfahrensstadium konkret nachzuvollziehen, zu welchen Tatbestandsvoraussetzungen er vorgetragen hat, an welchen Stellen Nachbesserungsbedarf, auch im Vergleich zum gegnerischen Vortrag, besteht. So vermeidet er unnötige Wiederholungen und unbeabsichtigte Widersprüche.45 Voraussetzung hierfür ist aber, dass der Rechtsanwalt auf die gleiche Gegenüberstellung des eigenen und des gegnerischen Vortrags zurückgreifen kann wie das Gericht, das Gericht den Parteien also seine elektronisch generierten Auswertungen zur Verfügung stellt. Dadurch würde sogar die Chancengleichheit erhöht. Denn die Wahrscheinlichkeit, entscheidungserhebliches Vorbringen zu übersehen oder es zu versäumen, es ggf. zu bestreiten, wird durch die Möglichkeit der Gegenüberstellung und Vergleichbarkeit der Vorträge deutlich reduziert. Der Rechtsanwalt findet auf Anhieb die relevanten Ausführungen des Gegners, ohne die gesamten Schriftsätze durcharbeiten zu müssen. Dies verringert auch das Risiko einer anwaltlichen Haftung. 41 Schellhammer, Die Arbeitsmethode des Zivilrichters, 17. Aufl. 2014, Rz. 22. 42 Schellhammer, Die Arbeitsmethode des Zivilrichters, 17. Aufl. 2014, Rz. 33. 43 Vorwerk, Strukturiertes Verfahren im Zivilprozess, NJW 2017, 2326, 2327. 44 An dieser Stelle sei angemerkt, dass § 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV die Einreichung elektronischer Dokumente u.a. in durchsuchbarer Form im Dateiformat PDF voraussetzt. 45 Schnelle/Bender, Der elektronisch gestützte Zivilprozeß – Das „Neue Stuttgarter Modell“, DRiZ 1993, 97, 104.

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Der strukturierte Parteivortrag im elektronischen Rechtsverkehr

Unbestritten ist auch, dass durch gesetzliche Vorgaben, den Parteivortrag in strukturierter Form zu gestalten, eine Beschleunigung des jeweiligen Verfahrens erreicht werden kann. Sie kommt nicht nur den Mandaten zugute, da die Verfahren schneller beendet werden und sie ggf. schneller zu ihrem Recht kommen. Kürzere Verfahrensdauern vermindern auch den Arbeitsaufwand des Rechtsanwalts.

V. Fazit Die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und die mit ihm einhergehende zunehmende Nutzung elektronischer Dokumente wird auch Auswirkungen auf den Zivilprozess haben müssen, soll die Realisierung einer umfassenden elektronischen Kommunikation der Justiz und der Anwaltschaft eine wirkliche Chance haben. Ob aber der Parteivortrag in vorgegebenen Strukturen eine „notwendige“ Weiterentwicklung ist, um die Vorteile der Digitalisierung zu nutzen, bedarf der genaueren Untersuchung. Dabei sind die Vorteile einer Strukturierung für eine effizientere Gestaltung der gerichtlichen Verfahrensabläufe nicht von der Hand zu weisen, denkt man nur an die Möglichkeit, gewissermaßen auf Knopfdruck eine Gegenüberstellung des Prozessstoffs in der relationsmäßigen Form eines Aktenauszugs zu generieren.46 Völlig offen, weil noch nicht ausdiskutiert, ist allerdings derzeit, welche konkreten Strukturschemata welche Auswirkungen (oder soll man gleich Beschränkungen sagen?) auf Prozessgestaltung und Rechtsfindung haben werden, für welche Verfahren welcher Rechtsgebiete sie geeignet erscheinen und für welche nicht. Bleibt der Beibringungsgrundsatz als tragende Maxime des Zivilprozesses erhalten? Oder wird durch Strukturvorgaben die Unabhängigkeit von uns Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten im Kern betroffen, wird unsere Kreativität in unzumutbarer Weise beschnitten? Und, weil Prozessrechte nicht Anwalts-, sondern Mandantenrechte sind: Wird dem Bürger die Möglichkeit beschränkt, Recht zu bekommen, sein Recht durchzusetzen, sich gegen Unrecht erfolgreich zu wehren? Die Debatte darüber hat in der Anwaltschaft erst begonnen, sie bedarf der Verbreiterung und Intensivierung. Es stimmt aber zuversichtlich, dass u. a. auch dem BMJV bewusst ist, dass für eine erfolgreiche Realisierung die Beteiligung der Anwaltschaft besonders wichtig ist.47 Gesetzgeberische Schnellschüsse wird es deshalb sicherlich nicht geben.

46 Gaier, Strukturiertes Parteivorbingen im Zivilprozess, ZPR 2015, 101, 104. 47 Vortrag eines Vertreters des BMJV auf dem Symposium des Deutschen EDV-Gerichtstag „Die E-Akte und strukturierter Parteivortrag – alter Wein oder ist die Zeit jetzt reif?“ am 8.6.2017 in Berlin.

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Die Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 GVG – zugleich Anmerkung zu BFHE 253, 205 Inhaltsübersicht I. Überlange Gerichtsverfahren II. Rechtsnatur der Verzögerungsrüge I II. Zeitpunkt der Rügeerhebung 1. Frühester Zeitpunkt 2. Spätester Zeitpunkt

a) Rechtsprechung des BFH b) Kritische Würdigung c) Eigener Standpunkt d) Folgen verspäteter Rügeerhebung IV. Mehrheit von Rügen – Rügewieder­ holung

I. Überlange Gerichtsverfahren Nicht nur Gottes Mühlen, auch die Mühlen der Justiz mahlen bisweilen (allzu) langsam, wobei im Unterschied zu den göttlichen bei den irdischen Mühlen leider nicht immer gewährleistet ist, dass schlussendlich trefflich klein gemahlen wird. Mit dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGRG) vom 24.11.20111 will der Gesetzgeber  – angespornt durch die Rechtsprechung des EGMR2 – dem (nach Auffassung des EGMR: strukturellen) Problem überlanger Gerichtsverfahren zu Leibe rücken. Er hat mit den §§ 198 bis 201 GVG spezielle Entschädigungsregelungen getroffen, durch die eine Rechtsschutzlücke geschlossen werden soll, die nach Meinung des EGMR hinsichtlich der Durchsetzung des sich aus Art. 6 Abs. 1 sowie Art. 13 EMRK ergebenden Anspruchs auf gerichtlichen Rechtsschutz in angemessener Zeit im deutschen Recht bestanden hat. Seit mehr als sieben Jahren ist das ÜGRG mittlerweile in Kraft. Darüber, ob das Gesetz, entsprechend den Intentionen des EGMR und des Gesetzgebers, tatsächlich dazu geführt hat oder weiter dazu führen wird, dass die Anzahl überlanger Gerichtsverfahren in der Bundesrepublik signifikant geringer geworden ist oder werden wird, lässt sich nur spekulieren. Jedenfalls hat sich die Befürchtung nicht bewahrheitet, dass sich Entschädigungsklagen nach §§ 198 ff. GVG zu einem „Massenphänomen“ entwickeln könnten mit der Folge, dass die knappe Resource Recht noch weiter verknappt wird, weil die Aufarbeitung (vermeintlich) überlanger Verfahren erhebliche Kapazitäten bindet.3 Dass an der „Entschädigungsfront“, jedenfalls soweit es die ordentliche Gerichtsbarkeit betrifft, weitgehend Ruhe herrscht, ist sicherlich nicht zuletzt darauf 1 BGBl. I 2011, S. 2302. 2 S. vor allem EGMR, Urt. v. 2.9.2010 – 46344/06 – Rumpf/Deutschland, NJW 2010, 3355, Rz. 59 ff.; s. dazu auch die Anmerkung Schlick, NJW 2017, 3055. 3 S. dazu Reiter, NJW 2015, 2554 f. sowie Schlick, NJW 2017, 3055 f.

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zurückzuführen, dass der für Entschädigungsklagen nach §§ 198 ff. GVG zuständige III. Zivilsenat des BGH innerhalb weniger Monate in einer Reihe von Grundsatzurteilen für weitgehende Klarheit gesorgt hat, insbesondere was die Frage der unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens angeht.4 Bei einem dieser Verfahren5 war im Übrigen – was an dieser Stelle nicht verschwiegen werden soll – der Jubilar Prozessvertreter der obsiegenden Freien und Hansestadt Hamburg vor dem III. Zivilsenat. Der Umstand, dass es der Rechtsprechung in kurzer Zeit gelungen ist, Licht in das Dunkel der §§ 198 ff. GVG zu bringen, bedeutet freilich nicht, dass sämtliche Probleme gelöst und alle offenen Fragen zufriedenstellend beantwortet wären. Es gibt immer noch in dem einen oder anderen Punkt Klärungsbedarf, der auch und gerade das Instrument der Verzögerungsrüge betrifft. Mit diesem „konventionsrechtlich fundierten Rechtsbehelf sui generis“ wird sich der vorliegende Beitrag näher befassen.

II. Rechtsnatur der Verzögerungsrüge Nach § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG erhält ein Verfahrensbeteiligter nur dann eine Entschädigung, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht eine Verzögerungsrüge erhoben hat. Die Rüge muss nicht ausdrücklich als Verzögerungsrüge bezeichnet werden; es genügt, wenn der Betroffene hinreichend deutlich die Dauer des Verfahrens beanstandet.6 Die Rüge bedarf keiner Begründung. Nach ganz h.M., die sich auf eine entsprechende „Randbemerkung“ in der Gesetzesbegründung berufen kann,7 ist Schriftform nicht erforderlich,8 aber schon aus Gründen der Rechtsklarheit und der Beweissicherung zu empfehlen. Im Anwaltsprozess umfasst der Anwaltszwang auch die Verzögerungsrüge.9 Die Erhebung einer Verzögerungsrüge ist eine (prozessuale) Obliegenheit, deren Erfüllung zwingende (materiell-rechtliche) Voraussetzung für den Entschädigungsanspruch ist.10 Bei Fehlen der Rüge ist die Klage als unbegründet abzuweisen; die Zulässigkeit der Klage bleibt davon unberührt.11 4 BGH, Urt. v. 14.11.2013 – III ZR 376/12, BGHZ 199, 87 Rz. 28 ff.; BGH, Urt. v. 5.12.2013 – III ZR 73/13, BGHZ 199, 190 Rz. 40 ff.; BGH, Urt. v. 23.1.2014 – III ZR 37/13, BGHZ 200, 20 Rz. 36 ff.; BGH, Urt. v. 13.3.2014 – III ZR 91/13, NJW 2014, 1816 Rz. 31 ff.; s. dazu auch Reiter, AD LEGENDUM 2015, 151, 152 ff.; Schlick, WM 2016, 485, 487 ff. 5 BGH, Urt. v. 23.1.2014 – III ZR 37/13, BGHZ 200, 20. 6 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.12.2015 – 1 BvR 3164/13, NJW 2016, 2018 Rz. 31.  7 BT-Drucks. 17/3802, S. 22 zu § 198 Abs. 5 Satz 1. 8 So Dörr in BeckOGK-BGB, §  839 BGB Rz.  1278; Rathmann in Hk-ZPO, 7.  Aufl., §  198 GVG Rz.  17; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 39.  Aufl., §  198 GVG Rz.  6; Reiter, AD ­LEGENDUM 2015, 151, 155; a.A. – und m.E. vorzugswürdig – Zimmermann in MünchKommZPO, 5. Aufl., § 198 GVG Rz. 57; Lückemann in Zöller, ZPO, 32. Aufl., § 198 GVG Rz. 9: Schriftform notwendig. 9 Vgl. BT-Drucks. 17/3802, S. 20 zu § 198 Abs. 3 Satz 1. 10 Trotz der „materiell-rechtlichen Konzeption“ der Rüge ist diese als Prozesserklärung und nicht als Willenserklärung einzustufen, vgl. Rathmann in Hk-ZPO, 7.  Aufl., §  198 GVG Rz. 17; Zimmermann in MünchKommZPO, 5. Aufl., § 198 GVG Rz. 59; s. aber Röhl, juris­ PK-SGG, § 198 GVG Rz. 85: Erklärung mit Doppelnatur. 11 BGH, Urt. v. 17.7.2014 – III ZR 228/13, NJW 2014, 2588 Rz. 14.

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Die Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 GVG

Aufgrund ihrer auf der Ebene des materiellen Rechts angesiedelten Wirkkraft sowie der fehlenden Suspensiv- und Devolutiv-Wirkung ist die Verzögerungsrüge selbstverständlich kein Rechtsmittel im Sinne der ZPO. Sie kann aber durchaus mit Blick darauf, dass sie dem Richter als „Vorwarnung“ dienen und ihn zu einer Beschleunigung des Verfahrens anhalten will (Präventiv-Funktion),12 als ein besonderer (atypischer) Rechtsbehelf angesehen werden, den man mit einer gewissen Berechtigung auch als „rudimentäre Untätigkeitsbeschwerde“ bezeichnen könnte.13 Der Rechtsbehelfscharakter der Vorschrift zeigt sich auch daran, dass die Verzögerungsrüge zwanglos als Rechtsmittel i.S. des § 839 Abs. 3 BGB zu verstehen ist mit der Folge, dass die geschädigte Partei (auch) den Verlust eines Amtshaftungsanspruchs wegen schuldhaft verzögerlicher richterlicher Prozessführung riskiert, wenn sie von der Erhebung einer Verzögerungsrüge Abstand nimmt.14 Auf die Erhebung einer Verzögerungsrüge kann grundsätzlich nicht verzichtet werden. Nach § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 GVG kann das Entschädigungsgericht jedoch auch bei Fehlen einer Verzögerungsrüge im Ausgangsverfahren feststellen, dass die Verfahrensdauer unangemessen war.

III. Zeitpunkt der Rügeerhebung Besonders schwierig ist die Beantwortung der Frage, wann eine Verzögerungsrüge frühestens erhoben werden kann und wann sie spätestens zu erheben ist. Die hierbei sich ergebenden Unsicherheiten sind vor allem darauf zurückzuführen, dass das Gesetz in diesem Punkt – bewusst und klugerweise – sehr vage und unbestimmt formuliert ist. 1. Frühester Zeitpunkt Nach § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG kann die Verzögerungsrüge erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird. Es liegt auf der Hand, dass sich der richtige Zeitpunkt aus Sicht des Betroffenen nur schwer einschätzen lässt, zumal er keinen Einblick in die internen Abläufe des Gerichts hat: Ob es sachliche Gründe dafür gibt, andere Verfahren vorzuziehen oder das eigene Verfahren, etwa mit Blick auf die in der Rechtsmittelinstanz anstehende Entscheidung in einem Parallelverfahren, zurückzustellen,15 kann er regelmäßig nicht beurteilen. Hier darf kein allzu strenger Maßstab angelegt werden; im Kern geht es darum, Missbrauch zu verhindern.16 Eine zu früh erhobene Rüge ist im 12 Vgl. BT-Drucks. 17/3802, S. 20 zu § 198 Abs. 3 Satz 1. 13 So Kirchberg in FS Schlick, 2015, S.  225, 230; konsequenterweise ist eine Untätigkeits­ beschwerde seit dem Inkrafttreten des ÜGRG nicht mehr statthaft; vgl. BGH, Beschl. v. 20.11.2012 – VIII ZR 49/12, NJW 2013, 385 Rz. 3 ff. 14 S.  dazu sowie allgemein zum Verhältnis Entschädigungsklage und Amtshaftungsprozess Schlick in FS Tolksdorf, 2014, S. 549, 558 ff. 15 S. dazu Schlick, WM 2016, 485, 487. 16 So auch Dörr in BeckOGK-BGB, § 839 BGB Rz. 1280.

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Übrigen nicht nur wirkungslos,17 sondern hat schädliche „Nebenwirkungen“: Nach § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 GVG ist die Wiederholung einer Rüge frühestens nach sechs Monaten möglich. Dies gilt unabhängig davon, ob die „Erstrüge“ wirksam erhoben worden war oder nicht.18 2. Spätester Zeitpunkt Das Gesetz enthält keine Regelung, wann die Verzögerungsrüge spätestens erhoben werden muss. Das ist kein Zufall. In der Übergangsvorschrift des Art. 23 Satz 2 ÜGRG ist bestimmt, dass bei schwebenden „Altverfahren“ (d.h. bei anhängigen, bei Inkrafttreten des Gesetzes bereits überlangen Verfahren) die Rüge unverzüglich erhoben werden muss. In § 198 Abs. 3 GVG hat der Gesetzgeber bewusst auf eine derartige Ausschluss- bzw. Präklusionsbestimmung verzichtet: Die Geduld eines Verfahrensbeteiligten soll nicht „bestraft“ werden.19 Das ist vernünftig: Es gibt (insbesondere) für einen Anwalt gute Gründe, von dem Instrument der Verzögerungsrüge nur zurückhaltend Gebrauch zu machen. Die Erhebung einer Verzögerungsrüge ist dem Prozessklima selten förderlich und kann sogar kontraproduktiv wirken, indem das Gericht anschließend in hektische Betriebsamkeit verfällt und „kurzen Prozess“ macht mit der Folge, dass die höhere Instanz zur Erzielung einer materiell richtigen und verfahrensfehlerfrei zustande gekommenen Entscheidung bemüht werden muss und so im Endergebnis der Prozess insgesamt sogar noch verlängert wird. Daher sollte vermieden werden, den einsichtigen und kooperativen Anwalt gegen seinen Willen in die Verzögerungsrüge zu zwingen, um nicht später mit dem Vorwurf in Haftung genommen zu werden, er habe durch pflichtwidrig verspätete Erhebung der Verzögerungsrüge das Scheitern der Entschädigungsklage zu verantworten.20 a) Rechtsprechung des BFH Im Widerspruch zu diesen gesetzgeberischen Überlegungen soll nach der Grundsatz­ entscheidung des BFH vom 6.4.201621 durch eine verspätet erhobene Verzögerungsrüge der Anspruch auf Entschädigung der durch die überlange Verfahrensdauer erlittenen Nachteile auf einen Zeitraum begrenzt werden, der im Regelfall sechs Monate 17 S.  BFH, Urt. v. 26.10.2016  – X K 2/15, BFHE 255, 407 Rz.  46; OVG NRW, Beschl. v. 15.2.2018 – 13 D 68/17, BeckRS 2018, 1834 Rz. 9 m.w.N. 18 Vgl. Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rz. 200; Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren, 2012, § 198 GVG Rz. 140; a.A. Röhl, jurisPK-SGG, § 198 GVG Rz. 99. 19 BT-Drucks. 17/3802, S. 21 zu § 198 Abs. 3 Satz 2. 20 Vgl. Zimmermann in MünchKommZPO, 5. Aufl., § 198 GVG Rz. 52. 21 BFH, Urt. v. 6.4.2016 – X K 1/15, BFHE 253, 205 = NJW 2016, 2365 Rz. 40 ff.; bestätigt durch Urteil v. 25.10.2016 – X K 3/15, BFH/NV 2017, 159 Rz. 39; ein Abweichen von dieser „Vermutungsregel“ hielt der BFH jedoch in einem Fall für geboten, in dem der Kläger auf die Ankündigung des Gerichts vertraute, das Verfahren zu einem bestimmten Zeitpunkt abzuschließen, s. BFH, Urt. v. 29.11.2017 – X K 1/16, DStRE 2018, 175 Rz. 44 f.

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Die Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 GVG

vor Erhebung der Rüge umfasst. Diese Rechtsprechung führt im Ergebnis dazu, dass die Verzögerungsrüge spätestens sechs Monate nach Eintritt der Überlänge des Verfahrens erhoben werden muss, wenn der Entschädigungskläger eine Reduzierung seines Entschädigungsanspruchs vermeiden will. Damit sieht sich der sorgfältige und vorsichtige Anwalt, der sich keinesfalls dem Vorwurf einer Verletzung seiner Anwaltspflichten ausgesetzt sehen will, doch wieder – was der Gesetzgeber gerade vermeiden wollte  – gezwungen, „zeitnah“ eine Verzögerungsrüge zu erheben, sobald eine überlange Verfahrensdauer auch nur zu besorgen ist. b) Kritische Würdigung Die Rechtsprechung des BFH ist abzulehnen.22 Sie steht nicht nur im Widerspruch zu den Intentionen des Gesetzgebers, sondern auch im Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH und des BSG. Der BFH meinte, sich darüber hinwegsetzen zu können, weil es sich – was im Übrigen nicht weiter ausgeführt wird – bei den Aussagen des BGH und des BSG um bloße obiter dicta handele.23 aa) Der III. Zivilsenat hatte durch Urteil vom 10.4.2014 darüber zu entscheiden, welche Rechtsfolgen sich daraus ergeben, dass in einem bei Inkrafttreten des ÜGRG bereits anhängigen (überlangen) Zivilrechtsstreit eine Verzögerungsrüge erst vier Monate nach Inkrafttreten des ÜGRG und damit nicht mehr unverzüglich im Sinne des Art. 23 Satz 2 ÜGRG24 erhoben worden war. Der Senat hat hierzu ausgeführt:25 Eine gemäß Art. 23 Satz 2 ÜGRG verspätete Rüge führe dazu, dass Entschädigungsansprüche wegen überlanger Verfahrensdauer nicht nur bis zum Inkrafttreten des ÜGRG, sondern bis zum tatsächlichen Rügezeitpunkt präkludiert seien. Dies ergebe sich aus einem Umkehrschluss aus Art. 23 Satz 3 ÜGRG, wonach eine rechtzeitig erhobene Verzögerungsrüge einen Entschädigungsanspruch nach § 198 GVG auch für den „vorausgehenden Zeitraum“ wahre. Die Bestimmung des § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG rechtfertige kein anderes Ergebnis, da Art. 23 Satz 2, 3 ÜGRG und § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG unterschiedliche Anknüpfungspunkte hätten und sich nach Sinn und Zweck grundlegend unterschieden. § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG regele den Zeitpunkt, zu dem die Verzögerungsrüge frühestens wirksam erhoben werden könne. Da nach dem Willen des Gesetzgebers die Geduld der Verfahrensbeteiligten nicht bestraft werden solle, sei es nach § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG grundsätzlich unerheblich, wann die Rüge nach dem in § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG bestimmten Zeitpunkt eingelegt werde. Davon abweichend sei Anknüpfungspunkt für die Übergangsregelung des Art. 23 Satz 2, 3 ÜGRG der spätestmögliche Zeitpunkt, zu dem eine Verzögerungsrüge erhoben werden müsse. Sei eine Rüge nach Art. 23 Satz 2 ÜGRG verspätet, so erfasse die Präklusionswirkung 22 Ebenso Dörr in BeckOGK-BGB, §  839 BGB Rz.  1283; Röhl, jurisPK-SGG, §  198 GVG Rz. 96. 23 BFH, Urt. v. 6.4.2016 – X K 1/15, BFHE 253, 205 = NJW 2016, 2365 Rz. 43. 24 Der III.  Zivilsenat folgte insoweit einer Entscheidung des BFH, wonach der Begriff der Unverzüglichkeit in Art. 23 Satz 2 ÜGRG weit zu verstehen und eine Frist von drei Monaten erforderlich, aber auch ausreichend sei, um den Anforderungen des Art. 13 EMRK zu entsprechen; vgl. BFH, Urt. v. 7.11.2013 – X K 13/12, BFHE 243, 126 Rz. 46. 25 BGH, Urt. v. 10.4.2014 – III ZR 335/13, NJW 2014, 1967 Rz. 27 ff.

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des Art. 23 Satz 3 ÜGRG nicht nur den Anspruch auf Geldentschädigung, sondern ohne Einschränkung alle Formen der Wiedergutmachung; insbesondere scheide auch eine Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer nach § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 GVG aus. Die Kernaussagen dieser Entscheidung des III. Zivilsenats, der sich das BSG und (zunächst) auch der BFH angeschlossen hat,26 lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die Verzögerungsrüge ist materielle Voraussetzung eines Entschädigungsanspruchs. Wird sie wirksam erhoben, so ist es grundsätzlich unerheblich, wann die Rüge erhoben worden ist. Bei wirksam erhobener Rüge hat das Gericht die Angemessenheit der Verfahrensdauer insgesamt zu überprüfen und bei Vorliegen einer Überlänge den Betroffenen vollständig zu entschädigen. Ist eine Verzögerungsrüge ausnahmsweise als verspätet zu behandeln, so vermag sie Rechtswirkungen erst ab dem Zeitpunkt der Rügeerhebung zu entfalten. bb) Demgegenüber ist die vom BFH befürwortete „eingeschränkte Rückwirkung“, sei es – so die Lösung des BFH – in Gestalt einer zeitlich begrenzten Rückwirkung der Verzögerungsrüge, sei es in Form einer Kürzung der Entschädigungssumme (etwa: Reduzierung des Durchschnittssatzes von 1200 Euro, vgl. § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG), weder mit dem Wortlaut des Gesetzes noch mit seinem Sinn und Zweck zu vereinbaren. Das BSG hat denn auch durch Urteil vom 7.9.201727 dem BFH zu Recht die Gefolgschaft verweigert. c) Eigener Standpunkt Allerdings ist dem BFH zuzugeben, dass der von ihm betonte28 präventive Aspekt der Verzögerungsrüge durchaus bei der Auslegung und Anwendung des Gesetzes nicht außer Acht gelassen werden darf. Zutreffend führt der BFH aus, dass die Verzögerungsrüge im jeweiligen Einzelfall eine „konkret-präventive Beschleunigungswirkung“ entfalten und so dazu beitragen soll, dass es gar nicht erst zu einer entschädigungspflichtigen Verzögerung kommt. Dies ist m.E. in zweierlei Hinsicht bedeutsam: aa) Die Verzögerungsrüge soll dem Richter Gelegenheit geben, durch eine Beschleunigung des Verfahrens zu reagieren (Präventiv- bzw. Warnfunktion). Daraus folgt, dass die Rüge immer dann zu spät kommt, wenn eine Reaktion des Richters gar nicht mehr möglich ist. Das bedeutet etwa: Im Erkenntnisverfahren eingetretene Verzögerungen können durch eine erstmals im Verfahren über eine Anhörungsrüge erhobene Verzögerungsrüge nicht mehr geltend gemacht werden, da Gegenstand des Anhörungsrügeverfahrens allein die behauptete Gehörsverletzung ist und für das Gericht 26 Vgl. BSG, Urt. v. 5.5.2015 – B 10 ÜG 8/14 R, BeckRS 2015, 71568; BFH, Urt. v. 20.8.2014 – X K 9/13, BFHE 247, 1 Rz. 24. 27 BSG, Urt. v. 7.9.2017 – B 10 ÜG 3/16 R, BeckRS 2017, 131934; zuzugeben ist freilich, dass die unter Rz. 22 gegebene Begründung dafür, dass eine Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe entbehrlich sei, nicht zu überzeugen vermag. Man darf vermuten, dass hier das BSG dem BFH mit gleicher Münze zurückgezahlt hat. 28 BFH, Urt. v. 6.4.2016 – X K 1/15, NJW 2016, 2365 Rz. 44 f.

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Die Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 GVG

keine Möglichkeit mehr besteht, das bereits beendete Hauptsacheverfahren noch zu beschleunigen.29 Wer erst im Berufungsrechtszug rügt, dass das erstinstanzliche Verfahren unangemessen lang gedauert hat, kann wegen der überlangen Dauer des ersten Rechtszugs keine Entschädigung verlangen. Allerdings muss das Berufungsgericht – und zwar auch ohne Rüge – dem Umstand, dass das Verfahren erster Instanz überlang war, Rechnung tragen und seinerseits verstärkt auf eine Verfahrensbeschleunigung dringen. bb) Weitergehend wird man angesichts des vom Gesetz intendierten Beschleunigungseffekts den Verzicht auf eine gesetzliche „Fristenregelung“ nicht dahin (miss-) verstehen dürfen, dass ein Beteiligter mit der Erhebung der Verzögerungsrüge endlos zuwarten darf. Ansonsten würde die Präventivfunktion der Rüge weitestgehend aufgegeben und der Zweck der Rüge dadurch konterkariert, dass einem Dulde und Liquidiere-Prinzip30 Tür und Tor geöffnet würde. Daher dürfte eine Verzögerungsrüge dann verspätet erhoben sein, wenn ein weiteres Zuwarten vom Standpunkt einer Partei, der an einer zügigen Erledigung des Rechtsstreits gelegen ist, völlig unverständlich und in keiner Weise mehr nachvollziehbar erscheint. Also: ein Taktieren soll nicht belohnt werden; eine Partei, die an einer Beschleunigung des Verfahrens ersichtlich keinerlei Interesse hat, darf nicht damit rechnen, später entschädigt zu werden. Kurz: Die Rügeobliegenheit dient sowohl präventiv der Verfahrensbeschleunigung als auch der Missbrauchsabwehr.31 d) Folgen verspäteter Rügeerhebung Welche Rechtsfolgen sich im Fall einer (ausnahmsweise) verspätet erhobenen Verzögerungsrüge ergeben, wird in der Gesetzesbegründung nur kurz angesprochen. Dabei wird die These in den Raum gestellt, man könne diesen Umstand sowohl bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer berücksichtigen als auch bei der Frage, ob Wiedergutmachung auf andere Weise durch Feststellung der Überlänge ausreiche.32 Die erste Überlegung ist verfehlt: Das Nicht-Erheben einer Verzögerungsrüge hat mit der Frage der Angemessenheit der Verfahrensdauer nichts zu tun, sondern nur damit, ob und welche Konsequenzen hieraus bei einer festzustellenden Überlange zu ziehen sind.33 Die zweite Variante ist zwar gesetzeskonform, weil § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG eine entsprechende Feststellung auch dann erlaubt, wenn eine Verzögerungsrüge nicht erhoben worden ist.34 Von einer solchen Verfahrensweise sollte freilich zurückhaltend Gebrauch gemacht werden, nötigt sie doch das Gericht zur (u.U. sehr aufwendigen) vollen Überprüfung der Angemessenheit der Verfahrens29 BGH, Urt. v. 21.5.2014 – III ZR 355/13, NJW 2014, 2443 Rz. 16. 30 S. zu diesem Aspekt auch BT-Drucks. 17/3802, S. 20 zu § 198 Abs. 3 Satz 1. 31 BT-Drucks. 17/3802, S. 20 zu § 198 Abs. 3 Satz 1. 32 BT-Drucks. 17/3802, S. 21 zu § 198 Abs. 3 Satz 2. 33 So auch Dörr in BeckOGK-BGB, § 839 BGB Rz. 1283 Fn. 4810 unter Hinweis auf Schlick, WM 2016, 485, 490.  34 S. etwa LSG Bayern, Urt. v. 20.6.2013 – L 8 SF 134/12 EK, BeckRS 2013, 71961 unter 4. der Entscheidungsgründe.

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dauer, wohlwissend, dass der Entschädigungskläger doch nur Steine statt Brot erhalten wird: Hier stehen Aufwand und Ertrag in einem grobem Missverhältnis. Ich meine daher, dass es entsprechend dem Gedanken der Verwirkung bzw. des Missbrauchs und in konsequenter Fortführung der in der Entscheidung des III. Zivilsenats zu Art. 23 ÜGRG entwickelten Grundsätze nur eine überzeugende Lösung gibt: Entweder ist die Rüge in einem noch (großzügig zu bemessenden) vertretbaren zeitlichen Zusammenhang mit der eingetretenen Verzögerung erhoben worden, dann gibt es die volle Entschädigung für den gesamten Zeitraum der Überlänge oder aber es gibt – wenn ausnahmsweise der „Verwirkungseinwand“ greift – für die Vergangenheit überhaupt keine Entschädigung und (im Regelfall) auch keine Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer (Präklusionswirkung).

IV. Mehrheit von Rügen – Rügewiederholung Um sich einen Entschädigungsanspruch wegen überlanger Verfahrensdauer zu sichern, reicht im Allgemeinen eine einzige Verzögerungsrüge aus. Hinsichtlich der „Reichweite“ der Rüge ist zunächst festzustellen, dass sich die Wirkung der Verzögerungsrüge  – wie selbstverständlich  – auf das gerichtliche Verfahren beschränkt, in dem sie erhoben wird. Nach § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG erfasst der Begriff des Gerichtsverfahrens alle Verfahrensstadien von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss; das Gesetz geht dabei von einem an der Hauptsache orientierten Verfahrensbegriff aus.35 Ob einem vor, neben oder nach dem Hauptsacheverfahren geführten Neben- oder Annex-Verfahren entschädigungsrechtlich eigenständige Bedeutung zukommt oder ob dieses Verfahren sozusagen als Bestandteil des Hauptsacheverfahrens anzusehen ist, ist nicht immer leicht zu beantworten (hier sind zahlreiche Va­ rianten denkbar, s. etwa selbständiges Beweiserfahren i.S.  des §  485 Abs.  2 ZPO,36 Kostenfestsetzungsverfahren,37 etc.). Das Gesetz selbst hat zwei besondere Verfahrensarten ausdrücklich als entschädigungsrechtlich eigenständige Verfahren festgelegt: Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und PKH-Verfahren. Der Grund liegt darin, dass in solchen Fällen das Recht auf effektiven Rechtsschutz durch eine zu späte richterliche Entscheidung verletzt werden kann, weil eine abschließende Entscheidung in der Hauptsache die Verletzung der Rechtsschutzgarantie nicht mehr heilen kann.38 Entschädigungsrechtlich eigenständig bedeutet, dass dann, wenn etwa sowohl das vorläufige Rechtsschutzverfahren als auch das Hauptsacheverfahren unangemessen lange dauert, es auch zwei Entschädigungsansprüche gibt, bei denen jeweils sämtliche Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sein müssen. Daraus folgt ohne 35 BGH, Urt. v. 5.12.2013 – III ZR 73/13, BGHZ 199, 190 Rz. 21; BGH, Urt. v. 13.3.2014 – III ZR 91/13, NJW 2014, 1816 Rz. 23. 36 Eigenständiges Verfahren, vgl. BGH, Urt. v. 5.12.2013  – III ZR 73/13, BGHZ 199, 190 Rz. 19.  37 Ebenfalls eigenständiges Verfahren, vgl. BSG, Urt. v. 10.7.2014 – B 10 ÜG 8/13 R, BeckRS 2014, 73674 Rz. 16 ff. 38 BT-Drucks. 17/3802, S. 22 f. zu § 198 Abs. 6 Nr. 1.

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Weiteres, dass der Entschädigungskläger grundsätzlich in beiden Verfahren eine Verzögerungsrüge erheben muss, wenn er jeweils eine Entschädigung erlangen möchte. Nach § 198 Abs. 3 Satz 3 GVG bedarf es dann, wenn sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter verzögert, einer erneuten Verzögerungsrüge. Dies bedeutet vor allem, dass Verfahrensverzögerungen in einer höheren Instanz nicht durch eine in der unteren Instanz erhobene Verzögerungsrüge „abgedeckt“ werden; in der höheren Instanz werden entschädigungsrechtlich „die Karten neu gemischt“. Aus dem Umkehrschluss aus § 198 Abs. 3 Satz 3 GVG ergibt sich, dass, solange das Verfahren in derselben Instanz anhängig bleibt, eine einmal erhobene Rüge grundsätzlich nicht wiederholt werden muss.39 Aus § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 GVG folgt nichts Anderes: Dass eine Verzögerungsrüge frühestens nach sechs Monaten (wirksam) wiederholt werden kann, bedeutet nicht, dass sie auch wiederholt werden muss. Dennoch sind „Prozesslagen“ denkbar, bei denen sich eine Wiederholung der Rüge zumindest empfiehlt, wenn sie nicht gar rechtlich geboten ist, so wenn etwa der entscheidende Einzelrichter wechselt40 oder der Prozess in ein neues Verfahrensstadium tritt (etwa Betragsverfahren nach Erlass eines Grundurteils). In jedem Falle ist eine erneute Rüge erforderlich, wenn das (überlange) Verfahren, in dem die Rüge erhoben worden ist, in die nächste Instanz gelangt und von dieser die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Ausgangsgericht zurückverwiesen worden ist.

39 Ebenso Dörr in BeckOGK-BGB, § 839 BGB Rz. 1282.  40 Vgl. Röhl, jurisPK-SGG, § 198 GVG Rz. 101; s. auch BT-Drucks. 17/3802, S. 21 zu § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG.

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Rolf Stürner

Die European Rules of Civil Procedure Zum Stand der Arbeiten des European Law Institute und des ­International Institute for the Unification of Private Law Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Der Ausgangspunkt: Die ALI/UNIDROIT Principles of Transnational Civil Procedure III. Das gemeinsame Projekt des neugegründeten European Law Institute und von UNIDROIT IV. Organisation und Stand der Arbeiten V. Ausgewählte wesentliche Gestaltungs­ elemente 1. Zeitgenössische allgemeine Grundsätze 2. Die Verfahrensstruktur



3. Das Beweisrecht 4. Massenklagen 5. Moderne Kommunikationsformen

VI. Die Atmosphäre der Zusammenarbeit und das professorale Übergewicht 1. Die beteiligten Institutionen 2. Die unterschiedlichen Rechtskulturen und ihre Stellung zu Deutschland 3. Das professorale Übergewicht und ­seine Folgen VII. Modellgesetz – kein europäisches ­Einheitsrecht

I. Einleitung Volkert Vorwerk, dem diese Festschrift zu ehren bestimmt ist, hat sich vor allem in den letzten Jahrzehnten immer wieder auch literarisch mit Fragen der europäischen Rechtsentwicklung und insbesondere ihres Einflusses auf den Zivilprozess befasst.1 Die Wahl eines Themas, das dem Stand europäischer Bemühungen um ein europä­ isches Modellgesetz zum Zivilprozess gewidmet ist, mag deshalb gute Aussicht haben, das Interesse Volkert Vorwerks zu wecken, obwohl oder gerade weil sich die deutsche Anwaltschaft bei der Teilnahme an Projekten leider ziemlich zurückhält, die der Schaffung harmonisierenden Modellrechts gelten. Wer Volkert Vorwerk persönlich kennenlernen durfte, konnte auch nicht zuletzt seine Zukunftsoffenheit schätzen lernen, die sich aber immer wohltuend mit einem nüchternen Sinn für die menschlichen Realitäten des Rechtslebens gepaart hat. So mag es gerade für ihn interessant sein zu 1 Beispielhaft Vorwerk, Kudla gegen Polen – Was kommt danach?, JZ 2004, 553 ff.; Vorwerk, Anwendungsvorrang des Europarechts – Erinnerung an eine in Vergessenheit (?) geratene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in FS Ulrich Scharf, 2008, S. 317 ff.; Vorwerk, Beweisaufnahme im Ausland – Die EG-BeweisaufnahmeVO und der Grundsatz der Beweisunmittelbarkeit, in FS Achim Krämer, 2009, S. 551 ff.; Vorwerk, Der Einfluss des Europarechts auf die nationale Rechtsentwicklung, in 300 Jahre Oberlandesgericht Celle – FS zum 300-jährigen Jubiläum am 14.10.2011, S. 291 ff.

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sehen, inwieweit im Zivilprozessrecht der Gedanke europäischer Harmonisierung realistische Gestalt anzunehmen in der Lage sein könnte.

II. Der Ausgangspunkt: Die ALI/UNIDROIT Principles of Transnational Civil Procedure Wie vielleicht inzwischen allgemein bekannt sein dürfte,2 haben das International ­Institute for the Unification of Private Law (Unidroit), Rom, und das American Law Institute (ALI), Philadelphia/Washington, im Jahre 2004 die „Principles of Trans­ national Civil Procedure“ einstimmig verabschiedet. Die „Principles of Transnational Civil Procedure“ waren das erste gemeinsame Projekt beider wichtigen rechtsharmonisierenden Institutionen. Der erfolgreiche Abschluss dieses Projekts widerlegte eine vielfach verbreitete Überzeugung, eine weltweite Harmonisierung des Zivilprozessrechts könne es nicht einmal textlich geben. Die Grundidee zum Harmonisierungsversuch von ALI und Unidroit stammte von den Professoren Geoffrey Hazard, Philadelphia, und Michele Taruffo, Pavia. Sie versuchten, einen Kodex von Regeln zu entwickeln, die bei transnationalen Verfahren nationales Recht ersetzen sollten. Das American Law Institute übernahm diese Initiative als offizielles Projekt. Als ein sehr US-amerikanisch geprägter preliminary draft vorlag, erkannte man aber die schmale Basis als unzureichend für einen chancenreichen ersten Schritt zu einem Versuch weltweiter Harmonisierung. 1998 fragte das ALI bei Unidroit, Rom, an, ob sich Uni­ droit beteiligen wolle. Unidroit holte beim Autor eine „Feasibility Study“ ein, welche die Aussichten erfolgreicher Durchführung vorsichtig bejahte, falls man kein zu ­detailliertes Regelwerk intendiere. Hierauf beschloss der Governing Council von Uni­ droit, gemeinsam mit dem American Law Institute „Principles“ zu entwickeln. Beide Institutionen richteten Arbeitsgruppen ein.  Berichterstatter für Unidroit waren Geoffrey Hazard und der Autor, Reporter für das ALI waren Geoffrey Hazard und Michele Taruffo. Die „Principles“ waren seit dem Jahre 2000 in vielen Arbeitssitzungen in Rom und den USA und Tagungen in vielen Ländern der Welt fertiggestellt worden. Parallel wurden detaillierte „Rules“ entwickelt, dann aber nicht offiziell verabschiedet, sondern als „Reporters’ Study“ den Principles an die Seite gestellt. Die Principles hatten in Veröffentlichungen in vielen Ländern eine starke Resonanz, vor allem in Frankreich und England, weniger und verhaltener in Deutschland.3 Der eu2 Zu diesem Vorhaben und seinen Ergebnissen Stürner, RabelsZ 69 (2005), 201 ff. (in englischer Sprache); Stürner, ZZPInt 11 (2006), 381 ff. (deutsche gekürzte Fassung); ferner ALI/ UNIDROIT, Principles of Transnational Civil Procedure, Cambridge University Press, 2006. 3 Für England etwa Zuckerman, Civil Justice Quaterly, Vol. 21 2002, S. 322; Andenas/Andrews/ Nazzini (Hrsg.), The Future of Transnational Commercial Litigation: English Response to the ALI-UNIDROIT Draft Principles and Rules of Transnational Civil Procedure, 2003; Andrews, English Civil Procedure, 2003, Rz. 43.07 ff.; Andrews, On Civil Processes, Court Proceedings, Vol. 1 2013, S. 728-731 und passim. Für Frankreich ausführlich Guinchard u.a., Droit processuel. Droit fondamentaux du procès, 8. Aufl. 2015, S. 484 ff., Rz. 217 ff.; Cadiet/ Jeuland, Droit judiciaire privé, 8. Aufl. 2013, insbes. S. 22; Jeuland, Droit processuel, 2007, No.  142  ff.; 2.  Aufl. 2012 (unter dem Titel Droit processuel général), No.  142  ff.; ferner Fouchard (Hrsg.), Vers un procès civil universel?, 2001; Ferrand (Hrsg.), La procédure civile

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ropäische Gesetzgeber hat sie – wie aus dem entsprechenden Grünbuch und seinen Materialien hervorgeht  – bei seinen Arbeiten zur Richtlinie über beweisrechtliche Vorschriften bei der privaten Rechtsverfolgung kartellbedingter Schäden seinen Überlegungen etwas versteckt in nicht unerheblichem Umfang zu Grunde gelegt.4

III. Das gemeinsame Projekt des neugegründeten European Law Institute und von UNIDROIT Im Jahre 2014 hat das neugeründete European Law Institute (ELI) beschlossen, einen European Model Code of Civil Procedure zu entwickeln und sich dabei an den ALI/ UNIDROIT Principles of Transnational Civil Procedure zu orientieren. UNIDROIT hat einer entsprechenden Zusammenarbeit zugestimmt. UNIDROIT möchte zu der stark US-amerikanisch inspirierten, bereits existierenden Implementation, den Rules of Transnational Civil Procedure,5 ein europäisches Gegenstück entwickelt haben, das die Principles für Zwecke europäischer Harmonisierung implementiert und teilweise vielleicht auch etwas modifiziert.6 UNIDROIT möchte mit diesem Projekt auch ähnliche Bewegungen in Iberoamerika und Ostasien anstoßen, in Iberoamerika auf der Basis der Principles und des bestehenden Codigo Modelo,7 der aber etwas in die Jahre gekommen ist und eine Überarbeitung nötig hätte, und in Ostasien auf der Basis der Principles und der Prozessgesetzgebung der dort existierenden bedeutenden mo-

mondiale modélisée, 2004; für Deutschland die zutreffende Analyse von Gottwald in FS Dieter Leipold, 2009, S. 33 ff., der in dieser Festschrift als einer der wenigen deutschen Prozessualisten – vom Verfasser als Beteiligtem einmal abgesehen – eine ausführlichere und teilweise auch kritische Besprechung dieses Regelwerkes präsentiert. In anderem Zusammenhang neuerdings ausführlicher auch Althammer, ZZP 126 (2013), 3 ff., 29 ff.; ferner Bruns, Maximendenken im Zivilprozessrecht. Irrweg oder Zukunftschance?, in Bruns/Münch/Stadler (Hrsg.), Die Zukunft des Zivilprozesses, 2014, S. 53 ff. 4 Dazu der Band Basedow (Hrsg.), Private Enforcement of EC Competition Law, 2007, insbes. S. 163 ff. (Stürner, Duties of Disclosure and Burden of Proof in the Private Enforcement of European Competition Law) und S. 269 ff., 287 ff. (Commission Staff Working Paper). 5 Hierzu der Abdruck in ALI/UNIDROIT, Principles of Transnational Civil Procedure, 2006, S. 100 ff. 6 Zu diesem Projekt zusammenfassend Stürner, Principles of European Civil Procedure or a European Model Code? Some Considerations on the Joint ELI/UNIDROIT Project, Uniform Law Review Vol. 19 (NS) 2014, 322-328. In dem Band finden sich auch weitere Beiträge zur Gestaltung dieses Projekts. 7 Hierzu die Darstellung Barbosa Moreira, Le code-modèle de procédure civile pour l’Amérique latine de l’Institut Ibéro-américain de Droit Processuel, ZZPInt 3 (1998), 437 ff.; zur Aktuali­ sierung insbesondere das Instituto Iberoamericano de Derecho Procesal, Propuestas para las Bases del Nuovo Código Modelo de Proceso Civil para Iberoameica, 2012; ferner Bettinger, Prozessmodelle im Zivilverfahrensrecht, 2016, S. 139 ff., S. 150/151; siehe auch zur Bedeutung des Codigo für Reformen in Argentinien Berizonce, Bases para actualizar el código modelo procesal civil para Iberoamerica, Revista Anales de la Facultad de Ciencias Juridicas y Sociales U.N.L.P. 2014, 2102 ff.

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dernen Hybridkulturen.8 Das European Law Institute ist an der Zusammenarbeit insofern interessiert, als ein europäisches Modellgesetz nicht nur europäischen Ansprüchen genügen, sondern in die weltweite Prozessharmonisierung eingepasst sein sollte, wenn es den Anforderungen eines dem offenen Austausch von Gütern und Ideen verpflichteten Europa gerecht werden soll. Auf diese Weise entstand ein Projekt, das unter der Leitung einer Doppelspitze und auf der Basis einer gemeinsamen Finanzierung arbeitet, wobei beide Organisationen wiederum eine nicht unkomplizierte innere Willensbildung und Finanzstruktur haben. Ein Steering Committee, dem der Generalsekretär von UNIDROIT (Ignacio Tirado)9 und seine Stellvertreterin (Anna Veneziano), die erste Präsidentin des European Law Institute (Diana Wallis) und drei Prozessualisten aus Italien (Remo Caponi), England (John Sorabji) und Deutschland (der Autor) angehören, soll für die fachliche Koordination sorgen.

IV. Organisation und Stand der Arbeiten Die Organisation der Arbeit war ursprünglich stark von den Vorstellungen der Spitzen beider Organisationen geprägt. Man wählte ein Modell, das von der Bearbeitung einzelner Arbeitsgebiete durch Arbeitsgruppen ausging und die Formulierung übergreifender Prinzipien sowie die Entscheidung für eine bestimmte Verfahrensstruktur eher einer zweiten Arbeitsphase vorbehielt. Dies war deshalb ein gangbarer Weg, weil die ALI/UNIDROIT Principles eine gewisse Rahmung vorgaben und es bei der Bildung von Rechtsregeln generell gewisse Vorzüge hat, aus Regeln zu konkreten Pro­ blemlagen abstraktere Regeln und übergreifende Strukturprinzipien zu entwickeln. Man bildete Arbeitsgruppen in einer ersten Runde für provisional measures, law of evidence, service of process und obligations of court and parties und in zwei späteren Runden für res judicata und lis pendens, judgments and procedure upon default, parties und collective redress, costs, und appeals. Eine structure group mit Prozessua­ listen aus Frankreich (Loic Cadiet), Niederlande (Xandra Kramer), England (John Sorabji) und Deutschland (der Autor) soll für eine Harmonisierung der einzelnen Teile und Entwürfe sorgen sowie sich um die Ausfüllung von Lücken bemühen. Bisher sind Entwürfe für provisional measures, law of evidence und service of process gefertigt worden, die bereits 2017 eine erste Billigung des Gouverning Council von UNIDROIT erfahren haben und auf der Jahrestagung des ELI zustimmend zur Kenntnis genommen worden sind. Relativ weit fortgeschritten sind die Entwürfe zu res judicata und lis pendens, zu parties und collective redress, und zu judgments und default procedure. Für appeals und costs haben sich die Vorarbeiten inzwischen zu ersten Textentwürfen weiterentwickelt. Die strucure group hat eine erste Gesamtgliederung des Verfahrens erarbeitet und ist gerade dabei, aus den Entwürfen aller Gruppen, vor allem der Gruppen obligations of parties and court und law of evidence, die 8 Zu Ostasien und seiner teilweise rezeptionsbedingten prozessualen Kohärenz Bu in FS Rolf Stürner, 2013, Band 2, S. 1425 ff.; ferner Stürner, Nakamura und Ho in Habscheid, Das deutsche Zivilprozessrecht und seine Ausstrahlung auf andere Rechtsordnungen, 1991, S. 3 ff., S. 25 ff.; S. 415 ff.; S. 448 ff. 9 Bis Frühsommer 2018 José Angelo Estrella Faria.

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dort formulierten allgemeinen und gemeinsamen Prinzipien herauszuarbeiten, um sie in einem allgemeinen Teil den Einzelregelungen des Gesamtentwurfs voranzustellen. Ferner ist es notwendig, das Zusammenspiel der gerichtlicher Prozessleitung und der einzelnen Parteiaktivitäten in eine zeitlich geordnete Struktur zu bringen. 10

V. Ausgewählte wesentliche Gestaltungselemente 1. Zeitgenössische allgemeine Grundsätze Es ist nur möglich, auf dem in dieser Festschrift zur Verfügung stehenden Raum einen Überblick über besonders wichtige Weichenstellungen des Projekts zu geben. Ein Tribut an den deutlichen europäischen Trend, die Parteien im Vorfeld des Verfahrens einem Zwang zum aktiven Versuch einer gütlichen Einigung durch Informationsaustausch sowie Schlichtungs- und Mediationsverfahren auszusetzen und fehlende vorprozessuale Kooperation nach richterlichem Ermessen Kostensanktionen zu unterwerfen, wird sich in diesem Projekt wohl kaum vermeiden lassen, obwohl nicht wenige Teilnehmer diesem Trend schon deshalb nicht unkritisch gegenüberstehen, weil er begütertere Schichten weniger als die Masse der Bürger treffen und einmal mehr die Klarheit des Rechts der Kostentragung beeinträchtigen wird, auch mit fragwürdigen Folgen für die Bedingungen einer Rechtsschutzversicherung. Damit zusammen hängt die Tendenz, nach englischem Vorbild proportionality im Sinne der  Verhältnismäßigkeit zwischen prozessualem Aufwand und dem Gewicht eines Rechtstreits zu einer allgemeinen Maxime zu erheben mit schwer absehbaren Folgen für die Sorgfalt richterlicher Verfahrensgestaltung im Einzelfall. 2. Die Verfahrensstruktur Die Struktur des Verfahrens wird sich zwar an einer Gliederung orientieren, wie sie den germanischen Rechtskreis inzwischen dominiert und auch der modernen englischen und spanischen Konzeption entspricht: Einer schriftlichen Einleitungsphase folgt eine Zwischenphase für Maßnahmen materieller richterlicher Prozessleitung, für den Austausch von Beweismaterial und für Maßnahmen früher Beweisaufnahme, und in einer konzentrierten mündlichen Hauptverhandlung mit abschließender Beweisaufnahme und Gesamterörterung soll dann Entscheidungsreife erreicht sein. Ein gewisse Schwierigkeit, die einer ganz klaren Lösung etwas entgegenstehen könnte, ist allerdings die in einigen romanischen Ländern teilweise noch sehr ausgeprägte Tendenz zu einer Sequenz von Terminen in der Zwischenphase mit voller Beweisaufnahme und einem eher förmlichen und entleerten Schlusstermin vor dem Urteil ohne jede Beweisaufnahme.

10 Soweit die Ergebnisse der Arbeit sich bereits in öffentlich zugänglichen Entwürfen niedergeschlagen haben, können sie auf der Website des ELI und der Website von UNIDROIT abgerufen werden.

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3. Das Beweisrecht Im Beweisrecht sind es vor allem drei Gesichtspunkte, die besondere Erwähnung verdienen. Einmal eine deutliche Tendenz, an ausreichendem Tatsachenvortrag und ausreichender Spezifizierung der Beweismittel als Voraussetzung gegnerischer substan­ tiierter Erwiderung und beweismäßiger Tatsachenerhebung festzuhalten, andererseits aber in Fällen eines Geschehensablaufs in der Sphäre des Gegners oder Dritter allgemeineren Vortrag und Beweisantritt ausreichen zu lassen, falls überzeugende Anhaltspunkte für das in allgemeinerer Form behauptete Geschehen beigebracht sind. Zum anderen zeigt sich eine bemerkenswerte Tendenz, der vorbereitenden schriftlichen Zeugenaussage breiteren Raum einzuräumen und nur zur näheren Erläuterung besonders wichtiger streitiger Kernpunkte mündlich zu vernehmen – eine mit den psychologischen Erkenntnissen zur Zuverlässigkeit von Zeugenaussagen nicht ohne weiteres harmonierende Art des Vorgehens. Endlich sehen die bisherigen Entwürfe eine sehr großzügig ausgestaltete Möglichkeit vor, schon vor Klageerhebung auf A ­ ntrag einer Partei eine Beweisaufnahme zu erlauben, wobei man sich neben rechtzeitiger Beweissicherung hiervon auch eine Förderung vorprozessualer Einigung verspricht. 4. Massenklagen Bemerkenswert ist schließlich, dass nach bisherigem Entwicklungsstand ein eigener Abschnitt zum collective redress vorgesehen ist, der neben verbandsmäßiger Verfahrenseinleitung auch Gruppenrepräsentation durch Einzelkläger zulässt und insbesondere nach niederländischem Vorbild ein besonderes zum Vergleich führendes Verfahren vorschlägt, bei dem ein Verband einen Vergleichsvorschlag ausarbeiten und dem Gericht zur Billigung vorlegen kann. Interessanterweise vermeidet der Entwurf das strikte Entweder – Oder zwischen Opt-in und Opt-out und wählt eine differenzierende Lösung. Auch wenn man bisher der Gruppenklage zurückhaltend gegenüberstand und in Europa und Deutschland anders als in den USA auf ausreichende Prävention und Sanktion durch Administration und Gesetzgebung hoffte, muss man doch sehen, dass das konzertierte Versagen von europäischer und nationaler Gesetzgebung und Verwaltung im Dieselskandal und schon vorher bei der Gestaltung der Finanzmärkte zu einem Stimmungswandel beigetragen haben könnte, der Überlegungen zu Kollektivklagen neuen Schub gibt. 5. Moderne Kommunikationsformen Dem Einsatz elektronischer Kommunikation und neuer Medien steht das Projekt sehr positiv gegenüber und erwähnt diese Möglichkeit in ermutigender Weise an einer Vielzahl von Stellen. Allerdings ist es für eine Gesamtkonzeption mit einer vollen und umfassenden Präferenz für solche Medien zumindest in bestimmten Verfahrensabschnitten oder für bestimmte Verfahrenstypen noch etwas früh, weil ähnlich wie beim „Internet der Dinge“ angesichts vieler Pannen der genauere zeitliche Lauf der Dinge schwer absehbar ist. Aber vielleicht wird man sich dieser Frage am Ende des Projekts noch einmal abschließend zu widmen haben, um dann allerdings auch auf Untugenden mancher Formen elektronischer Verarbeitung einzugehen. 318

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VI. Die Atmosphäre der Zusammenarbeit und das professorale Übergewicht Abschließend seien noch einige Ausführungen zur Atmosphäre der Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Institutionen, Nationalitäten und Berufsgruppen gemacht. 1. Die beteiligten Institutionen Die Zusammenarbeit zwischen dem European Law Institute und UNIDROIT gestaltet sich trotz der Vielzahl beteiligter Personen und der Schwierigkeit ihrer Koordination insgesamt recht förderlich, auch die Verteilung der finanziellen Lasten – bei solchen Projekten immer eine besondere Beschwer – konnte in sehr kooperativer Weise erfolgen. Von Anfang an hat sich die Europäische Kommission sehr intensiv für das Projekt interessiert, einen sehr fachkundigen fachlichen Berater entsandt und dem ELI auch großzügige finanzielle Unterstützung gewährt, allerdings teilweise mit der Beschränkung auf Veranstaltungen innerhalb der EU, was dann zu Irritationen bei Schweizer Beteiligten führte, nach dem Brexit auch bei Teilnehmern aus Großbritannien, denn immerhin sind beide Länder Mitgliedstaaten von UNIDROIT. Beide Institutionen, das ELI und UNIDROIT, sind sich aber darüber einig, dass im Projekt auch die Mitarbeit von Vertretern Europäischer Staaten erwünscht ist und bleibt, die nicht EU-Mitgliedstaaten sind. Der Einfluss europäischer Institutionen – neben der Kommission zeigen sich auch der EuGH mit seiner Richterschaft und das europäische Parlament durchaus interessiert – beschränkt sich auf Anregungen, obgleich nicht zu verkennen ist, dass sie bei vielen beteiligten Professoren auf besonderes Gehör stoßen können, die an ähnlichen oder parallelen Teilprojekten der EU-Kommission oder des Parlaments beteiligt sind. Das ELI ist indessen sehr bemüht, gerade auch im Verhältnis zur EU die Grenzlinie zwischen guter Zusammenarbeit und wechselseitiger Information einerseits und notwendiger Unabhängigkeit eigener Willensbildung andererseits sorgfältig einzuhalten, wobei die Selbständigkeit des ELI auch im wohlverstandenen Interesse der EU liegen dürfte. Sehr erfreulich ist, dass sich im Rahmen des Projekts die Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut in Luxemburg immer stärker intensiviert hat. 2. Die unterschiedlichen Rechtskulturen und ihre Stellung zu Deutschland Das Zusammenwirken unterschiedlicher nationaler Rechtskulturen gestaltet sich in der Regel in wechselseitiger Offenheit für die sachlich bessere Lösung, jedoch spielen natürlich rechtskulturelle Unterschiede bei der Beurteilung der Vorzugswürdigkeit einzelner Gestaltungsformen durchaus eine Rolle, obwohl ausgesprochener Rechtsnationalismus eher die Ausnahme ist. Manchmal ist nicht zu übersehen, dass eine Furcht vor deutscher Dominanz, wie sie gegenwärtig in der EU wieder verstärkt und vielleicht nicht ohne Grund anzutreffen ist, auch im Projekt sichtbar wird, wenn es um die Auswahl von Gruppenmitgliedern und Reportern geht oder wenn der Verdacht geäußert wird, dass Strukturen deutschen dogmatischen Denkens importiert 319

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werden sollen. Hier ist gerade von deutscher Seite besondere Vorsicht geboten, beste Chancen bestehen, wenn man den Vorschlag deutscher Gruppenmitglieder oder die Promotion prozessualer Gestaltung mit Anklängen an deutsche Dogmatik ausländischen Kollegen überlässt, was natürlich bei der Personenauswahl zu einer Dominanz internationaler Netzwerker führen kann mit allen Vor- und Nachteilen, die sich aus Netzwerken für Wissenschaft und Praxis ergeben können. 3. Das professorale Übergewicht und seine Folgen Ein besonderes Problem ist die durchaus professorale Ausrichtung des Projektes, man würde sich etwas mehr Beteiligung von Richtern und Anwälten wünschen. Während die deutsche Richter- und Anwaltschaft praktisch kaum Präsenz und Interesse zeigt, ist es vor allem die englische Rechtskultur, die sich hier einbringt, ein Bild, das man aus vielen internationalen Projekten unterschiedlichster Organisationen kennt und der deutschen Rechtskultur in diesem Punkt kein gutes Zeugnis ausstellt. Nicht alle Professoren haben breitere praktische Erfahrung. Teilweise besteht etwas die Gefahr, dass Professoren ihre wissenschaftlichen Steckenpferde durchs Ziel bringen wollen, und dies nicht immer frei von modischen Ideologien. Interessanterweise ist gegenwärtig in der akademischen Prozessualistik teilweise ein sehr stark auf gerichtliche Prozessleitung und korrespondierende Parteipflichten abhebendes Verständnis en vogue, das die Bedeutung der an Risikozuweisungen anknüpfenden Motivation der Parteien ebenso unterschätzt wie ihre gegensätzliche Interessenlage und Gefahr läuft, der unrealistischen Romantik einer prozessualen Aufklärungsgemeinschaft zu erliegen. Bei der Definition der Rollen der Parteien sollte eigentlich im Gefolge funktionaler Rechtsvergleichung die vorrechtliche Logik einer Unterscheidung zwischen vollen Risikozuweisungen an gegnerische Parteien und bloßen Parteipflichten mit ihren beschränkten Anforderungen an das Parteiverhalten die Grundlage realistischer Rollenverteilung sein. Risikozuweisungen wie Behauptungs- und Beweislast ordnen rein erfolgsbezogen Rechtsfolgen ohne Rücksicht auf Vermögen und Sorgfalt der Parteien an. Andere Verhaltenserwartungen an Parteien wie Rechtzeitigkeit des Vorbringens oder Mitwirkung bei der Bewältigung gegnerischer Risiken, die man in deutscher Sprache häufig als prozessuale Pflichten bezeichnet, knüpfen Rechtsfolgen allein an die Aufklärungsfähigkeit und Sorgfalt der Parteien.11 Dabei geht es nicht um Begriffe, die auch in Deutschland bis hin zum BGH durcheinandergehen,12 sondern um die 11 Zu dieser Unterscheidung und ihrer rechtsethischen Qualität insbesondere Esser, Schuld­ recht, 2. Aufl. 1960, S. 89; Esser, AcP 54 (1955), 49 ff.; von Thur, Allgemeiner Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Band I, 1910, S. 99; Stürner, Die Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses, 1976, S. 74 ff.; Henckel, ZZP 92 (1979), 100 ff. 12 Die vom BGH immer weiter entwickelte sekundäre Darlegungslast (zuletzt BGH v. 8.1.2014 – I ZR 169/12, BGHZ 200, 76 ff.; BGH v. 30.3.2017 – I ZR 19/16, NJW 2018, 65 und BGH v. 27.7.2017 – I ZR 68/16, NJW 2018, 68; Zekoll/Haas, JZ 2017, 1140, 1144) orientiert sich anders als die primäre Darlegungslast der beweisbelasteten Partei, die ein Risiko zuweist, an der Aufklärungsfähigkeit und der Sorgfalt der mit der sekundären Darlegungslast belasteten Partei, ist also eine grundsätzlich andere Form des Aufklärungszwangs als die primäre Darlegungslast und sollte deshalb der Klarheit halber auch mit einem anderen Begriff bezeichnet sein, wobei sich der Begriff einer prozessualen Pflicht eigentlich an-

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Beschreibung einer fein abgestimmten Rollenverteilung in einer verständlichen gemeinsamen Sprache. Nur so kann man die Extreme eines rücksichtslosen „Justice Game“ zwischen gegnerischen Anwälten und einer wirklichkeitsfremden Aufklärungsgemeinschaft meiden und zu einer ausgewogenen Balance zwischen freiheitlicher Eigenverantwortlichkeit und Pflichtenbindung der Parteien gelangen, die vergänglichen prozessualen Modeerscheinungen und realitätsfremder Idealisierung menschlicher Natur nicht zu viel Tribut zollt.13 Insoweit könnte mehr Einfluss abkühlender praktischer Vernunft manchmal gute Dienste leisten und manche Diskussionen verkürzen und vereinfachen. Es besteht aber trotz solcher Beschwernisse die gute Hoffnung auf eine Konzeption praktischer Vernunft, insbesondere auch bei der Gestaltung sorgfältig aufeinander abgestimmter Rollen von Parteien, Richtern und Anwälten.

VII. Modellgesetz – kein europäisches Einheitsrecht Um jedweden Missverständnissen vorzubeugen, bedarf es abschließend nochmals besonderer Betonung, dass die European Rules of Civil Procedure ein Modellgesetz sein sollen und nicht ein erster Schritt zu einem EU-Einheitsrecht, dem viele Beteiligte des Projekts wie auch der Autor eher ablehnend gegenüberstehen. Vielmehr sollen sie zu einer Harmonisierung beitragen, die von den einzelnen Mitgliedstaaten ausgeht und eine harmonisierte Vielfalt erhält und zulässt, also zu keiner bürokratischen Versteinerung dieses Rechtsgebiets führt. Sie sollen auch den Blick für das Ganze dort bewahren, wo die EU im materiellen Recht Inseln einheitlicher prozessualer Gestaltung schafft und gleichwohl eine am prozessualen Gesamtsystem orientierte Verträglichkeitskontrolle hilfreich sein könnte.

bietet; ohne klare Differenzierung und mit unsauberem Zitat insoweit bereits BGH v. 11.6.1990 – II ZR 159/89, NJW 1990, 3151. Die häufig anzutreffende Einordnung als Pflicht oder Last nach der Rechtsfolge verwischt in unglücklicher Weise die grundlegende und für das Verständnis der Parteirolle elementare Unterschiedlichkeit des ausgeübten Aufklärungszwangs und ist deshalb nicht sehr hilfreich, sondern verwirrend. 13 Hierzu ausführlich Stürner, Developments of the Law of Evidence from a Comparative Point of View. General Report on the Congress for the Celebration of the 800th Anniversary of the University of Salamanca in Salamanca, 17-19th October 2018, in: Instituto Iberoamericano de Derecho Procesal and International Association of Procedural Law (Herausgeber), La Prueba en el Proceso – Evidence in the Process, 2018, S. 49-69. 

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Der Begriff „Lebenssachverhalt“ im Sinne des ­Kapitalanleger-  Musterverfahrensgesetz Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Anlegerklagen wegen Dieselgate 1. Vorlagebeschluss des LG Braunschweig vom 5.8.2016 2. Vorlagebeschluss des LG Stuttgart vom 28.2.2017 3. Vorlagebeschluss des LG Stuttgart vom 6.12.2017 4. Mögliche Unzulässigkeit der Stuttgarter Vorlagebeschlüsse nach § 7 KapMuG 5. Aussetzungspraxis in Stuttgart und Braunschweig III. Bestandsaufnahme zu den vom Begriff Lebenssachverhalt betroffenen Normen 1. Darlegung gleichgelagerter Rechts­ streitigkeiten nach § 2 Abs. 3 KapMuG 2. Bekanntmachung eines zulässigen ­Musterverfahrensantrags nach § 3 Abs. 2 KapMuG 3. Legaldefinition „gleichgerichtete ­Musterverfahrensanträge“ nach § 4 Abs. 1 KapMuG 4. Inhalt des Vorlagebeschlusses nach § 6 Abs. 3 KapMuG 5. Erweiterung des Musterverfahrens nach § 15 KapMuG 6. Aussetzung nach § 8 KapMuG 7. Sperrwirkung des Vorlagebeschlusses nach § 7 KapMuG 8. Anspruchsanmeldung nach § 10 Abs. 2, 3 KapMuG 9. Verjährungshemmung durch Anspruchs­ anmeldung nach § 204 Abs. 1 Nr. 6a BGB

10. Ausschließlicher Gerichtsstand nach § 32b ZPO IV. Gesetzgeberisches Schweigen zur ­Begriffsbestimmung

V. Vom Gesetz verwendete Terminologie zum Begriff Lebenssachverhalt

VI. Sinn und Zweck des KapMuG VII. Koordinaten für die Begriffs­ bestimmung 1. Der ZPO-Lebenssachverhalt als ­Ausgangspunkt 2. Potentielle Bestandteile des Lebenssachverhalts a) Fehlgeschlagene Kapitalanlagen b) Öffentliche Kapitalmarkt­ informationen c) Informationsträger d) Anspruchsgrundlagen e) Anspruchsgegner f) Feststellungsziele g) Kerngeschehen 3. Keine Limitierung des Lebenssach­ verhalts durch den Parteivortrag 4. Keine Limitierung des Lebenssach­ verhalts durch die Darstellung im ­Vorlagebeschluss VIII. Konzeptioneller Vorschlag zur ­Begriffsbestimmung IX. Ausblick

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I. Einleitung Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) ist seit dem 1.11.2005 in Kraft1 und wurde zum 1.11.2012 gründlich reformiert.2 Mit dem KapMuG hat der Gesetzgeber den Versuch unternommen, kapitalmarktrechtliche Massenprozesse mittels einer speziellen Verfahrensordnung des kollektiven Rechtsschutzes handhabbar zu machen.3 Unter kollektivem Rechtsschutz versteht man die gebündelte Rechtsverfolgung durch eine Vielzahl gleichartig Betroffener in einem einzigen Verfahren mit Zuständigkeitskonzentration.4 Der erste Kommentar zum KapMuG erschien 2007, es ist der Vorwerk/Wolf,5 eines der Meisterstücke des Jubilars. Zum Zeitpunkt seines Erscheinens kannte ich Volkert Vorwerk nur von Fachtagungen und aus der Literatur. Das von ihm herausgegebene Prozessformularhandbuch6 gehört damals wie heute zum zivilprozessualen Waffenarsenal meiner Kanzleien. Kurz nachdem der Jubilar das im Kick-Back-Bereich für den freien Vertrieb – zu dessen Gunsten – bahnbrechende Urteil des BGH vom 15.4.20107 erstritten hat,8 begann die berufliche Zusammenarbeit zwischen Vorwerk und TILP in KapMuG-Musterverfahren. Beide Kanzleien vertraten bzw. vertreten gemeinsam die jeweiligen Musterkläger in den Musterverfahren gegen Deutsche Telekom AG – DT 3,9 Deutsche Telekom AG – DT 2“,10 CorealCredit Bank AG,11 Hypo Real Estate Holding AG,12 Barclays Bank PLC13 und Morgan Stanley Real Estate Investment GmbH.14 Der Jubilar steht aktuell auch den von der TILP Litigation Rechtsanwaltsgesellschaft mbH 1 BGBl. I 2005, 2437. 2 KapMuG n.F. (fortan nur KapMuG), BGBl. I 2012, 2182; hierzu Tilp, VuR 2012, 282. 3 Das ursprüngliche KapMuG war die Reaktion auf über 2.650 Klagen von etwa 17.000 Klägern vor ein und derselben Kammer für Handelssachen des LG Frankfurt a.M. und wird daher auch als „Lex Telekom“ bezeichnet; zur Geschichte des Telekom-Prozesses vgl. Tilp in FS Krämer, 2009, S. 331 ff. 4 Zöller/Althammer, ZPO, 32. Aufl. 2018, vor § 50 Rz. 58. 5 KapMuG, 2007. 6 Vorwerk (Hrsg.), Das Prozessformularhandbuch, 11. Aufl. 2019. 7 BGH, Urt. v. 15.4.2010 – III ZR 196/09. 8 Der Verfasser erstritt am 19.12.2006 das für die Beratungshaftung von Banken – zu deren Lasten – bahnbrechende Urteil des BGH, XI ZR 56/05. 9 OLG Frankfurt, Musterentscheid v. 16.5.2012 – 23 KAP 1/06; BGH, Beschl. v. 21.10.2014 – XI ZB 12/12; OLG Frankfurt, Musterentscheid v. 30.11.2016  – 23 KAP 1/06, Rechtsbeschwerde beim BGH, XI ZB 24/16; alle Musterentscheide und Vorlagebeschlüsse nach dem KapMuG sind im Klageregister unter www.bundesanzeiger.de, Gerichtlicher Teil abrufbar. 10 OLG Frankfurt, Musterentscheid v. 3.7.2013 – 23 KAP 2/06; BGH, Beschl. v. 22.11.2016 – XI ZB 9/13. 11 Vormals AHBR bzw. CorealCredit Bank, heute Aareal Beteiligungen AG, OLG Frankfurt, Musterentscheid v. 20.8.2014 – 23 KAP 1/08, Rechtsbeschwerde beim BGH, II ZB 24/14. 12 OLG München, Musterentscheid v. 15.12.2014 – Kap 3/10, Rechtsbeschwerde beim BGH, XI ZB 13/14. 13 OLG Frankfurt, Musterentscheid v. 22.4.2015 – 23 Kap 1/13; BGH, Beschl. v. 19.9.2017 – XI ZB 17/15. 14 OLG Frankfurt, Musterentscheid v. 13.1.2016 – 23 Kap 1/14, Rechtsbeschwerde beim BGH, XI ZB 3/16.

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Der Begriff „Lebenssachverhalt“ im Sinne des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz

vertretenen Musterklägern gegen die Porsche Automobil Holding SE (PSE) und die Volkswagen AG (VW) wegen der „fehlgeschlagenen Übernahme“ von VW im Jahr 2008 vor dem OLG Celle15 sowie gegen die Volkswagen AG und die Porsche Auto­ mobil Holding SE in den Anlegerklagen vor den Oberlandesgerichten in Braunschweig und Stuttgart16 wegen Dieselgate17 beratend zur Seite. Volkert Vorwerk habe ich dabei als scharfen Analytiker, kreativen Sparringspartner und brillanten Prozessrechtler erlebt, meine Hochachtung gebührt ihm als Kollege und Mensch. Daher widme ich ihm in großer Dankbarkeit den vorliegenden Beitrag.18 War der Lebenssachverhalt seit jeher bedeutsam für die Frage, ob ein KapMuG-Musterverfahren bei Vorliegen von zehn gleichgerichteten Musterverfahrensanträgen überhaupt eingeleitet wird,19 ist seine Bedeutung durch die KapMuG-Reform des Jahres 2012 noch deutlich gewachsen. So wurde der Anwendungsbereich des Gesetzes erweitert auf bisher nicht „KapMuG-fähige“20 Ansprüche wie beispielsweise aus Beratungs- und Aufklärungshaftung.21 Und anders als früher können jetzt ausdrücklich mehrere Feststellungsziele Streitgegenstand eines Musterverfahrens sein.22 Auch sind nunmehr alle Beklagten der ausgesetzten Ausgangsklagen Musterbeklagte.23 Schließlich wurden das neue Institut der Anspruchsanmeldung nach § 10 KapMuG und die damit einhergehende Verjährungshemmungsregelung nach § 204 Abs. 1 Nr. 6a BGB geschaffen, was faktisch auch nicht am Musterverfahren beteiligte Anmelder davon profitieren lässt.24 Der Begriff des Lebenssachverhalts ist für das KapMuG damit von zentraler Bedeutung. Es mag nicht verwundern, dass dieser Terminus, dem ein hoher Abstraktionsgrad innewohnt, nicht legal definiert ist, wohl aber, dass zu ihm die Gesetzesmaterialien sowohl des alten als auch des neuen KapMuG schweigen. Mit der Frage, wie die Bestimmung des Begriffs Lebenssachverhalt vorzunehmen ist, beschäftigt sich mein Beitrag. Ich zeige auf, dass es in einem Musterverfahren nach KapMuG „den (selben)“ Lebenssachverhalt nicht gibt, sondern stets nur „den gleichen“ – und innerhalb welcher Koordinaten er wie zu bestimmen ist. Hierzu erfolgen zunächst die Darstellung des aktuellen Bezugs zu den Dieselgate-Anlegerklagen (II.), sodann eine Bestandsaufnahme der vom Begriff des Lebenssachverhalts betroffenen Normen (III.) und im 15 OLG Celle – 13 Kap 1/16. 16 OLG Braunschweig – 3 Kap 1/16; OLG Stuttgart – 20 Kap 2/17, 3/17 und 4/17. 17 Dazu II. 18 Das Manuskript wurde am 8.7.2018 abgeschlossen. 19 Dazu III.3. 20 Unter KapMuG-Fähigkeit versteht man die Eröffnung des Anwendungsbereichs des KapMuG. 21 Dazu VII.2.d). 22 Dazu III.; der Begriff „Feststellungsziele“ (Plural) wird legal definiert in § 2 Abs. 1 Satz 1 KapMuG unter Bezeichnung der „Feststellungsziel-Fähigkeit“. 23 „Musterbeklagten-Fähigkeit“, vgl. § 9 Abs. 5 KapMuG, woraus sich zugleich ergibt, dass das Gesetz mit einer Mehrzahl von Beklagten in den Ausgangsklagen rechnet; auch das alte KapMuG kannte mehrere Beklagte, vgl. § 8 Abs. 3 Satz 1 KapMuG a.F., aber nur einen Musterbeklagten, vgl. § 8 Abs. 1 Nr. 2 KapMuG a.F. 24 Zu dieser „Verjährungshemmungs-Fähigkeit“ III.8f.

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Anschluss die Auswertung der Gesetzgebungsmaterialien (IV.) und des Gesetzestextes (V.) sowie die Darlegung von Sinn und Zweck des reformierten KapMuG (VI.). Danach zeige ich Koordinaten für die Begriffsbestimmung auf (VII.) und unterbreite hierzu einen konzeptionellen Vorschlag (VIII.), um dann mit einem Ausblick zu schließen (IX.).

II. Anlegerklagen wegen Dieselgate Die zentrale Bedeutung des Lebenssachverhalts in KapMuG-Verfahren veranschaulichen aktuell die Anlegerklagen wegen Dieselgate,25 welche zu den drei nachgenannten Vorlagebeschlüssen der Landgerichte Braunschweig und Stuttgart26 und den dadurch eingeleiteten vier Musterverfahren vor den Oberlandesgerichten Braunschweig und Stuttgart geführt haben. Deren Gemengelage drängt die Frage auf, ob die Mechanismen des KapMuG an ihre Grenzen stoßen.27 Außerhalb des Kapitalmarktrechts28 hat Dieselgate ebenfalls zu einer Vielzahl von Fragen geführt29 und entwickelte sich für den Gesetzgeber zur Triebfeder,30 die zivilprozessuale Musterfeststellungsklage zum 1.11.2018 einzuführen.31 Die Anlegerklagen in Braunschweig werden von über 1.000 institutionellen Inves­ toren sowie über 2.000 sonstigen Anlegern geführt. Deren gesamtes Klagevolumen beläuft sich gegenüber VW auf über 9 Mrd. Euro. Der Kernvorwurf gegenüber VW lautet auf fehlerhafte Regel- und Ad-hoc-Publizität durch Tun und Unterlassen. Die Anlegerklagen in Stuttgart werden von über 100 institutionellen Investoren sowie über 200 sonstigen Anlegern geführt. Deren gesamtes Klagevolumen beläuft sich gegenüber PSE auf rund 1 Mrd. Euro. Der Kernvorwurf gegenüber PSE lautet ebenfalls auf falsche und verschwiegene Kapitalmarktinformationen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass PSE Mehrheitsaktionärin der VW ist und der Vorstandsvorsitzen25 Dieselgate bezeichnet den Komplex der von der Volkswagen AG vorgenommenen Abgasmanipulationen, auch „VW-Dieselskandal“ genannt, vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.6.2018 – 2 BvR 1562/17. 26 Nur diese kommen hier als ausschließliche Gerichtsstände nach § 32b ZPO in Betracht, dazu III.10. 27 Bejahend Vollkommer, EWiR 2018, 127, 128. 28 Zum materiell-rechtlichen Kapitalmarktrecht z.B. Meschede, Dieselgate: denkbare Anspruchsgrundlagen für Schadensersatzansprüche von Porsche-Aktionären und Erwerbern von Derivaten auf VW-Aktien gegen die Volkswagen AG, ZIP 2017, 215; Kort, Entlastung der Organmitglieder einer Holding und „Dieselthematik“ – Auskunftsrecht, Risikofrüherkennung und Compliance, NZG 2018, 641. 29 Z.B. Witt, Der Dieselskandal und seine kauf- und deliktsrechtlichen Folgen, NJW 2017, 361; Harke, Herstellerhaftung im Abgasskandal, VuR 2017, 83; Brand/Hotz, Der „VW-Skandal“ unter wirtschaftsstrafrechtlichen Vorzeichen, NZG 2017, 976; Walter/Zipse, Dieselgate aus Sicht der Bank, BKR 2018, 18. 30 Aufgrund des Ende 2018 eventuell drohenden Verjährungseintritts zu Lasten von Erwerbern von Fahrzeugen des VW-Konzerns. 31 Die Musterfeststellungsklage ist eine „Lex VW“, dazu vgl. Tilp/Schiefer, VW-Dieselgate – die Notwendigkeit zur Einführung einer zivilrechtlichen Sammelklage, NZV 2017, 14. 

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de beider Unternehmen seit 25.11.2009 bis 23.9.2015 Martin Winterkorn in Personalunion war, sind auch Fragen der Wissenszurechnung im Konzernverhältnis aufgeworfen. In beiden Gerichtsständen werden im Übrigen sowohl VW als auch PSE (einzeln oder zusammen) verklagt, wobei es hauptsächlich um Schäden in VW-Aktien (Stämme und Vorzüge) sowie in PSE-Aktien (Vorzüge) geht. 1. Vorlagebeschluss des LG Braunschweig vom 5.8.2016 Diesem Vorlagebeschluss32 lagen zum Zeitpunkt seines Erlasses lediglich Ausgangsklagen gegen VW zugrunde, u.a. wegen Schäden in VW-Aktien einerseits und in PSE-Aktien andererseits, also in Finanzinstrumenten zweier unterschiedlicher Emittenten. Unter „Gründe I.“ heißt es dort: „Diesen und den weiteren beim LG Braunschweig vorliegenden gleichgerichteten Verfahren liegt folgender Lebenssachverhalt zugrunde: Die jeweiligen Kläger machen als Aktionäre der Beklagten (Stammaktien und Vorzugsaktien), teilweise als Aktionäre der Porsche Automobil Holding SE (Vorzugsaktien) … Ansprüche gegen die Beklagte wegen unterlassener Ad-hoc-Mitteilungen im Hinblick auf den sog. Abgasskandal (Manipulationen bei der Software von Dieselmotoren) … geltend. Die als Aktiengesellschaft börsennotierte Beklagte ist ein großer Automobilhersteller mit Sitz in Wolfsburg, der im Jahre 2007 unter der Bezeichnung VW EA 189 eine neue Baureihe von Dieselmotoren vorstellte und diese ab dem Jahr 2008 in Serie baute … Spätestens am 03.09.2015 räumte die Beklagte den Einbau einer als „Defeat Device“ bezeichneten Software, welche die Abgaswerte manipulieren konnte … ein.“

Die Feststellungsziele des dem OLG Braunschweig33 vorgelegten Vorlagebeschlusses beinhalten zu treffende Feststellungen zu den tatsächlichen Umständen von Dieselgate sowie zu Rechtsfragen der Haftung von VW. 2. Vorlagebeschluss des LG Stuttgart vom 28.2.2017 Diesem Vorlagebeschluss34 liegen Ausgangsklagen gegen die PSE wegen Schäden in PSE-Aktien zugrunde. Unter „A – Sachverhalt“ heißt es dort: „Die Volkswagen AG stellte im Jahr 2007 eine neue Baureihe von Dieselmotoren unter der Bezeichnung EA 189 vor, die sie ab 2008 in Serie baute und auch in den USA vermarktete. Insgesamt wurden ca. 11 Millionen dieser Motoren ausgeliefert. Diese Motorentypen waren mit Hilfe einer Abschalt-Einrichtung („Defeat Device“) manipuliert worden, um vorzutäuschen, sie würden die emissionsrechtlichen Normen einhalten.“ 35

32 LG Braunschweig, Vorlagebeschl. v. 5.8.2016 – 5 OH 62/16.  33 OLG Braunschweig – 3 Kap 1/16, Termin zur ersten mündlichen Verhandlung ist auf den 10.9.2018 bestimmt. 34 LG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 28.2.2017 – 22 AR 1/17; dieser stammt, wie auch die weiteren im vorliegenden Beitrag zitierten Entscheidungen der 22. Zivilkammer des LG Stuttgart zu Dieselgate, von dem Einzelrichter Dr. Fabian Richter Reuschle, welcher als Gesetzgebungsreferent an der Entstehung des alten KapMuG beteiligt war. 35 LG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 28.2.2017 – 22 AR 1/17, Rz. 8. 

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Und weiter: „In Rede steht im vorliegenden Rechtsstreit nicht der Abgasskandal, sondern eine Frage der Wissenszurechnung, die Frage der Verantwortung für fremde Informationsweitergabe im Rahmen eines Konzernverhältnisses. Die Vorfrage, welche Informationen ggf. von der Volkswagen AG an die Beklagte hätten weitergegeben werden müssen, ist für die Musterverfahrensanträge nicht tragend.“ 36

Die Feststellungsziele des dem OLG Stuttgart37 vorgelegten Vorlagebeschlusses beinhalten zu treffende Feststellungen zur Wissenszurechnung und zu kapitalmarktrechtlichen Verantwortlichkeiten der PSE. 3. Vorlagebeschluss des LG Stuttgart vom 6.12.2017 Diesem Vorlagebeschluss38 liegen Ausgangsklagen gegen VW (allein) sowie VW und PSE (als Gesamtschuldner) wegen Schäden in VW- und/oder PSE-Aktien39 zugrunde. Unter „A – Sachverhalt“ heißt es: „Die Kläger nehmen die Musterbeklagte wegen Verletzung kapitalmarktrechtlicher Publizitätspflichten im Zusammenhang mit dem Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen in Dieselfahrzeugen in Anspruch. Darüber hinaus nimmt ein Teil der Kläger die Musterbeklagte auch in Anspruch, weil deren Mehrheitsaktionärin ihre kapitalmarktrechtlichen Publizitätspflichten bis zum 22. September 2015 nicht erfüllt habe, der vormalige Vorstandsvorsitzende beider Unternehmen, Prof. Dr. Martin Winterkorn, über die veröffentlichungspflichtigen Insiderinfor­ mationen in der Unternehmens-Sphäre der Musterbeklagten spätestens seit dem 23. Mai 2014 informiert gewesen sei und die Musterbeklagte ihre Mehrheitsaktionärin darüber hätte informieren müssen. Die Musterbeklagte stellte im Jahr 2007 eine neue Baureihe von Dieselmotoren unter der Bezeichnung EA 189 vor, die sie ab 2008 in Serie gebaut … Diese Motorentypen waren mit Hilfe einer Abschalt-Einrichtung („Defeat Device“) manipuliert worden.“ 40

Die Feststellungsziele des dem OLG Stuttgart41 vorgelegten Vorlagebeschlusses beinhalten zu treffende Feststellungen zur Frage des ausschließlichen Gerichtsstandes nach § 32b ZPO42 in Fällen, in denen unterschiedliche Emittenten verklagt sind. 4. Mögliche Unzulässigkeit der Stuttgarter Vorlagebeschlüsse nach § 7 KapMuG Die vorzitierten „(Lebens)Sachverhalte“ beinhalten in allen drei Vorlagebeschlüssen explizit die(selbe) Manipulation der Volkswagen AG an ihren Dieselmotoren unter 36 LG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 28.2.2017 – 22 AR 1/17, Rz. 106.  37 OLG Stuttgart – 20 Kap 2/17, eine Bekanntmachung nach § 10 KapMuG ist bislang nicht erfolgt. 38 LG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 6.12.2017 – 22 AR 2/17 Kap. 39 Zu den vom LG Stuttgart hierzu herausgearbeiteten Fallkonstellationen vgl. Vorlagebeschl. v. 6.12.2017 – 22 AR 2/17 Kap, Rz. 3 ff. 40 LG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 6.12.2017 – 22 AR 2/17 Kap, Rz. 8f. 41 OLG Stuttgart – 20 Kap 3/17 und 4/17, Bekanntmachungen nach § 10 KapMuG sind bislang nicht erfolgt. 42 Dazu III.10.

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der Bezeichnung EA 189. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob der zeitlich erste Vorlagebeschluss des LG Braunschweig Sperrwirkung im Hinblick auf die beiden späteren Stuttgarter Vorlagebeschlüsse entfaltet hat. Diskutiert wird dies bisher  lediglich für das Verhältnis des Braunschweiger Vorlagebeschlusses zum ersten Vorlagebeschluss des LG Stuttgart vom Februar 2017 zur Haftung der PSE, nicht dagegen zu dessen zweiten vom Dezember 2017 zur Gerichtsstandproblematik. Das LG Stuttgart verneint eine solche Sperrwirkung, da der Vorlagebeschluss des LG Braunschweig „lediglich Bindungs- und Sperrwirkung für Schadensersatzklagen gegen die Volkswagen AG wegen unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen in Bezug auf Finanzinstrumente der Volkswagen AG, nicht jedoch in Bezug auf … PSE-Finanzinstrumente“

entfalte.43 Die Sperrwirkung des § 7 Satz 1 KapMuG knüpfe „an die ausschließliche Zuständigkeit des Vorlagegerichts an, ohne dies unmittelbar auszusprechen. Die Bindungswirkung des Vorlagebeschlusses reicht jedenfalls nur soweit, als sich das Vorlagegericht im Rahmen seiner ausschließlichen Zuständigkeit bewegt.“44

Für Schäden in PSE Finanzinstrumenten gegen die PSE sei aber ausschließlich das LG Stuttgart zuständig.45 Entgegen dem Wortlaut des § 7 Satz 1 KapMuG, welcher auf das Vorliegen der Aussetzungsvoraussetzungen nach § 8 KapMuG abstellt, knüpft das LG Stuttgart die Sperrwirkungsnorm also an § 32b ZPO an, welcher „eine klare Kognitionsschranke“ enthalte, „die es im Rahmen von § 7 Satz 1 KapMuG zu beachten gilt“.46 Das OLG Braunschweig lehnt dagegen die die Sperrwirkung verneinende Auffassung des LG Stuttgart ab, indem es ausführt: „Es würde der Bedeutung des Kerngeschehens bei der [VW] nicht hinreichend gerecht, wenn man maßgeblich darauf abstellte, dass verschiedene Ad-hoc-Mitteilungen von unterschiedlichen Emittenten im Streit stehen. Dies ergibt sich bereits aus dem Tenor des Vorlagebeschlusses des Landgerichts Stuttgart vom 28.2.2017: Ohne die unter Ziffer A 2) in Spiegelstrichen aufgeführten Punkte und ihre Ad-hoc-Relevanz, bei denen es sich um Gegenstände des hiesigen Musterverfahrens handelt, wäre der Vorlagebeschluss des Landgerichts Stuttgart sinnentleert, genauso wie die Klagen gegen die [PSE] in den ausgesetzten Ausgangsverfahren ohne den – teils unbestrittenen, teils streitigen  – Vortrag des Geschehens zur sogenannten „Dieselthematik“ unschlüssig wären.“ 47

Anknüpfungspunkt des OLG Braunschweig ist damit das Kerngeschehen bei VW als der gleiche Lebenssachverhalt unter dezidierter Ablehnung48 der Auffassung des LG Stuttgart,49 wonach Ad-hoc-Mitteilungen verschiedener Emittenten unterschiedliche Lebenssachverhalte darstellen sollen. 43 LG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 28.2.2017 – 22 AR 1/17, Rz. 114.  44 LG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 28.2.2017 – 22 AR 1/17, Rz. 124.  45 LG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 28.2.2017 – 22 AR 1/17, Rz. 120.  46 LG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 28.2.2017 – 22 AR 1/17, Rz. 125.  47 OLG Braunschweig, Hinweisbeschl. v. 15.6.2018 – 3 Kap 1/16, S. 9, unv. 48 OLG Braunschweig, Hinweisbeschl. v. 15.6.2018 – 3 Kap 1/16, S. 9, unv. 49 LG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 28.2.2017 – 22 AR 1/17, Rz. 105 ff.

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5. Aussetzungspraxis in Stuttgart und Braunschweig Nach Erlass seines Vorlagebeschlusses hat das LG Braunschweig bei ihm rechtshängige Ausgangsklagen gegen VW und PSE nach § 8 KapMuG auf das Musterverfahren vor dem OLG Braunschweig ausgesetzt. Daneben hat es die Ausgangsklagen gegen PSE vor dem Hintergrund der aufgeworfenen Gerichtsstandproblematik auch auf den Vorlagebeschluss des LG Stuttgart vom Dezember 2017 ausgesetzt, nicht dagegen auf dessen Vorlagebeschluss vom Februar 2017, da das OLG Stuttgart insoweit noch keine Bekanntmachung eines Musterverfahrens nach § 10 KapMuG vorgenommen habe und es offen erscheine, ob es angesichts der Problematik der Sperrwirkung nach § 7 KapMuG hierzu überhaupt komme.50 Das LG Stuttgart hat bei ihm rechtshängige Ausgangsklagen im Hinblick auf seine beiden Vorlagebeschlüsse ganz oder teilweise51 ausgesetzt. Die von Klägerseite (überobligatorisch) beantragten52 Aussetzungen auf das Braunschweiger Musterverfahren verweigert es dagegen, da diesem seiner Meinung nach ein anderer Lebenssachverhalt zugrunde liegt.53 Es führt hierzu aus: „Maßgebend für die Grenzziehung zwischen gleichem und unterschiedlichem Lebenssachverhalt kann daher nur der in Bezug genommene Informationsträger, d.h. die Kapitalmarktinformation sowie der Umstand seiner Veröffentlichung bzw. seiner unterlassenen Veröffentlichung sein … Aus § 3 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 2 und 6 KapMuG folgt zugleich, dass die Kapitalmarktinformation das gleiche Wertpapier betreffen muss“.54

Über die gegen die Nicht-Aussetzung eingelegten sofortigen Beschwerden55 wurde vom OLG Stuttgart noch nicht entschieden, vielmehr hat dieses hierauf lapidar mitgeteilt, dass „ … die von dem Beschwerdeführer … aufgeworfenen Fragen vorrangig in dem Verfahren 20 Kap 2/17 zu klären“

seien, also nicht im Beschwerde-, sondern im Musterverfahren.56

50 LG Braunschweig, z.B. Hinweisverfügung v. 2.7.2018 – 5 O 255/17*049*, unv. 51 Hintergrund und Auswirkungen der Teilaussetzungen sind nicht Gegenstand meines Beitrages. 52 Aussetzungen sind von Amts wegen vorzunehmen. 53 Dazu bereits II.4. 54 Vgl. z.B. den im Rahmen eines Aussetzungsverfahrens ergangenen Nichtabhilfe-Beschl. des LG Stuttgart v. 2.1.2018 – 22 O 353/16, Rz. 10, unv. 55 Am 4.10.2017, z.B. zum vorzitierten Verfahren 22 O 353/16, unv. 56 OLG Stuttgart, z.B. Verfügung v. 15.3.2018 – 20 W 1/18, unv.; ob die vom OLG Stuttgart angenommene „Vorrangigkeit“ besteht, wird in meinem Beitrag nicht vertieft.

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Der Begriff „Lebenssachverhalt“ im Sinne des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz

III. Bestandsaufnahme zu den vom Begriff Lebenssachverhalt betroffenen Normen Der Terminus Lebenssachverhalt (Singular) fand sich im alten KapMuG nur an einer einzigen Stelle, nämlich im damaligen § 2 Abs. 1 Satz 5 zur Legaldefinition von gleichgerichteten Musterfeststellungsanträgen, welcher wie folgt lautete: „Musterfeststellungsanträge, deren Feststellungsziel den gleichen zugrunde liegenden Lebenssachverhalt betrifft (gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge), werden im Klageregister in der Reihenfolge ihrer Bekanntmachung erfasst“.

Eine sinngemäß gleichlautende Legaldefinition, welche sprachlich lediglich deshalb abweicht, weil das neue KapMuG zum einen nicht mehr nur von einem Feststellungsziel spricht, sondern ausdrücklich mehrere Feststellungsziele zulässt57 und zum an­ deren statt vom Musterfeststellungsantrag nunmehr vom Musterverfahrensantrag spricht, findet sich im heutigen §  4 Abs.  1 KapMuG.58 Dabei stellt jedes einzelne ­Feststellungsziel einen jeweils eigenständigen Streitgegenstand des Musterverfahrens dar,59 die Entscheidung über die Feststellungsziele erwächst gemäß § 24 Abs. 2 KapMuG in Rechtskraft und entfaltet Bindungswirkung für die Prozessgerichte i.S.d. § 24 Abs. 1 KapMuG.60 Das KapMuG selbst enthält den Begriff „(Streit)Gegenstand“ nicht (mehr).61 Der Begriff Lebenssachverhalt hat erst ganz am Ende des Gesetzgebungsverfahrens zum alten KapMuG Eingang in das Gesetz gefunden. Die ursprünglichen Gesetzes­ entwürfe enthielten ihn nicht, vielmehr war zunächst von Schadensereignis die Rede,62 anschließend nur noch von Ereignis.63 Nach der anschließenden Beschlussempfehlung und dem Bericht des Rechtsausschusses64 wurde der Begriff Ereignis dann gestrichen und der Begriff Lebenssachverhalt ins KapMuG eingeführt, nämlich im Rahmen der vorzitierten Legaldefinition gleichgerichteter Musterfeststellungsanträge. Die 57 Das alte KapMuG sprach vom Feststellungsziel nur im Singular, vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 KapMuG a.F., weshalb streitig war, ob auch mehrere Feststellungsziele zulässig seien, dazu Prütting/Gehrlein/Halfmeier ZPO, 10. Aufl. 2018, KapMuG § 2 Rz. 4; der Reformgesetzgeber scheint für das alte Recht nur von der Zulässigkeit eines Feststellungsziels auszugehen, vgl. BT-Drucks. 17/8799, S. 17. 58 Dazu III.3. 59 BGH, Beschl. v. 19.9.2017 – XI ZB 17/15, Rz. 32 ff. 60 Damit werden auch präjudizielle Rechtsverhältnisse und Vorfragen, falls sie Feststellungziele sind, rechtskräftig festgestellt, vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 32. Aufl. 2018, vor § 322 Rz. 34. 61 Anders noch das KapMuG a.F. in §§ 7 Abs. 2; 8 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1; 13; 17 Satz 3; 19 Abs. 5: „Gegenstand“ sowie § 16 Abs. 1 Satz 2: „Streitgegenstand“, jeweils ohne nähere Definition; der Reformgesetzgeber verbannte die Begriffe, vgl. BT-Drucks. 17/8799, S.  23: „Was der (Streit- oder Verfahrens-)Gegenstand des Musterverfahrens ist, erscheint bisher noch nicht abschließend geklärt … Der Begriff ist daher als Gesetzesbegriff nicht geeignet.“ 62 Diskussionsentwurf v. 7.4.2004, abrufbar unter http://www.kapitalmarktrecht-im-internet. eu/de/Rechtsgebiete/Kapitalmarktrecht/Artikelgesetze/17/KapMuG-EinfuehrungsG.htm, S. 5, 35, 39. 63 Regierungsentwurf v. 14.3.2005, BT-Drucks. 15/1591, S. 6, 22, 40, 49. 64 BT-Drucks. 15/5695, S. 6 f.

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Verwendung der ursprünglichen Ereignis-Begriffe war ebenso wenig begründet worden wie deren Streichung – und ebenso wenig die anschließende Einführung des Begriffs Lebenssachverhalt. Im neuen KapMuG findet sich der Begriff nunmehr dagegen in vier Normen.65 Daneben ist er in der neugeschaffenen Verjährungshemmungsregelung des § 204 Abs. 1 Nr. 6a BGB enthalten und schließlich für Normen relevant, in denen er nicht explizit genannt ist. All diese Ausweitungen belegen die gewachsene Bedeutung der Begriffsbestimmung. 1. Darlegung gleichgelagerter Rechtsstreitigkeiten nach § 2 Abs. 3 KapMuG Eine zentrale Zulässigkeitsvoraussetzung für den Musterverfahrensantrag ist nach § 2 Abs. 3 Satz 2 KapMuG, dass der Antragsteller darlegt, „dass der Entscheidung über die Feststellungsziele im Musterverfahren (Musterentscheid) Bedeutung über den einzelnen Rechtsstreit hinaus für andere gleichgelagerte Rechtsstreitigkeiten zukommen kann.“

Eine Legaldefinition von „gleichgelagert“ fehlt. Die Norm entspricht inhaltlich dem § 1 Abs. 2 Satz 3 KapMuG a.F., zu dem der damalige Regierungsentwurf ausführt: „Darüber hinaus muss er [der Antragsteller] nach Satz 3 darlegen, dass die Klärung der Musterfrage in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht auf andere Rechtsstreite eine Art „Breitenwirkung“ zu entfalten vermag. Dabei soll es auf der einen Seite ausreichen, dass aufgrund der falschen öffentlichen Kapitalmarktinformationen eine Vielzahl von anderen Anlegern betroffen und möglicherweise geschädigt ist.“66

Die Gleichgelagertheit bezieht sich danach auf die Breitenwirkung der Feststellungsziele. Diese wiederum haben den gleichen zugrunde liegenden Lebenssachverhalt zu betreffen,67 so dass diesem Begriff wichtige Bedeutung für die vorzitierte Norm zukommt, auch wenn sie ihn nicht enthält. 2. Bekanntmachung eines zulässigen Musterverfahrensantrags nach § 3 Abs. 2 KapMuG Nach § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 6 KapMuG hat die Bekanntmachung eines zulässigen Musterverfahrensantrags im Klageregister u.a. „eine knappe Darstellung des vorgetragenen Lebenssachverhalts“

zu enthalten. Die Begründung des Regierungsentwurfes lautet:

65 Schneider/Heppner weisen zutreffend darauf hin, dass „eine Präzisierung des schillernden Konzepts ‚Lebenssachverhalt‘ mit der Kodifizierung dieses Begriffs allerdings nicht verbunden“ ist, BB 2012, 2703, 2708. 66 BT-Drucks. 15/5091, S. 21. 67 Dazu III.3.

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Der Begriff „Lebenssachverhalt“ im Sinne des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz „Diese Darstellung ist notwendig, damit für die Entscheidung des Prozessgerichts nach § 6 aus dem Klageregister ersichtlich wird, ob in weiteren Verfahren gleichgerichtete Musterverfahrensanträge gemäß § 4 Absatz 1 gestellt wurden“. 68

Die Darstellung dient also der Beurteilung der Gleichgerichtetheit von Musterverfahrensanträgen gemäß § 4 Abs. 1, § 6 Abs. 1 KapMuG.69 3. Legaldefinition „gleichgerichtete Musterverfahrensanträge“ nach § 4 Abs. 1 KapMuG In § 4 Abs. 1 KapMuG wird der Begriff „gleichgerichtete Musterverfahrensanträge“ legal definiert. Die Norm lautet: „Musterverfahrensanträge, deren Feststellungsziele den gleichen zugrunde liegenden Lebenssachverhalt betreffen (gleichgerichtete Musterverfahrensanträge), werden im Klageregister in der Reihenfolge ihrer Bekanntmachung erfasst.“

Hierzu die Regierungsbegründung: „Ausschlaggebend für die Gleichgerichtetheit bleibt weiterhin, dass diese Feststellungsziele sich auf denselben Lebenssachverhalt beziehen. Es kommt nicht darauf an, dass die Feststellungsziele inhaltlich gleich sind. Dies hat zur Folge, dass in einem Musterverfahren verschiedene Feststellungsziele verbunden werden können, obwohl sie nicht alle in allen Musterverfahrensanträgen genannt wurden. Dementsprechend ordnet § 22 Absatz 1 Satz 2 an, dass die Entscheidung des Musterverfahrens für und gegen alle Beigeladenen gilt, unabhängig davon, ob der Beigeladene selbst alle festgestellten Tatsachen geltend gemacht hat. Diese Abweichung vom ansonsten im Zivilprozess gültigen Beibringungsgrundsatz ist durch den Zweck des Musterverfahrens gerechtfertigt. Das Musterverfahren soll eine möglichst effektive und umfassende Klärung aller einer gemeinsamen Entscheidung zugänglichen Fragen an einer Stelle herbeiführen. Notwendig ist dafür die größtmögliche Bündelung aller möglichen Feststellungsziele. Ausschlaggebend für die Beurteilung der Gleichgerichtetheit kann daher nur der zugrunde liegende Lebenssachverhalt sein.“70

Diese Legaldefinition ist für die Systematik des KapMuG zentral. Die Gleichgerichtetheit entscheidet, ob Musterverfahrensanträge zu einem Musterverfahren zusammengefasst werden können und ob das Quorum des § 6 Abs.1 Satz 1 KapMuG für den Erlass des Vorlagebeschlusses erreicht wird. 4. Inhalt des Vorlagebeschlusses nach § 6 Abs. 3 KapMuG Nach § 6 Abs. 3 Nr. 2 KapMuG hat der Vorlagebeschluss u.a. „eine knappe Darstellung des den Musterverfahrensanträgen zugrunde liegenden gleichen Lebenssachverhalts“

68 BT-Drucks. 17/8799, S. 18. 69 Prütting/Gehrlein/Halfmeier, ZPO, 10. Aufl. 2018, KapMuG § 3 Rz. 9. 70 BT-Drucks. 17/8799, S.  19; soweit die Regierungsbegründung hier von „demselben“ Lebenssachverhalt spricht, ist dies verfehlt, vgl. hierzu V.

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zu enthalten. Hierzu die Regierungsbegründung: „Als wesentlicher Inhalt ist nunmehr der den Musterverfahrensanträgen zugrunde liegende Lebenssachverhalt im Vorlagebeschluss aufzunehmen … Insbesondere wegen der Sperrwirkung des Vorlagebeschlusses nach § 7 besteht ein allgemeines Bedürfnis, dass sich der Erlass und der Inhalt eines Vorlagebeschlusses aus dem Klageregister entnehmen lassen. Da die Sperrwirkung nur für Verfahren gilt, die nach § 8 auszusetzen sind, muss erkennbar sein, ob ein Verfahren auszusetzen ist. Dies kann nur beurteilt werden, wenn der Inhalt des Vorlagebeschlusses – die Feststellungsziele und der zugrunde liegende Lebenssachverhalt – bekannt ist.“ 71

Der Inhalt des Vorlagebeschlusses dient dabei „nur der Beurteilung der Gleichgerichtetheit der Musterverfahrensanträge“.72

5. Erweiterung des Musterverfahrens nach § 15 KapMuG Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG erfordert ein Antrag auf Erweiterung des Musterverfahrens um weitere Feststellungsziele, dass „die Feststellungsziele den gleichen Lebenssachverhalt betreffen, der dem Vorlagebeschluss zugrunde liegt“.

Damit kann die Erweiterung nur um solche Feststellungsziele erfolgen, die auch von Anfang an in den Vorlagebeschluss hätten aufgenommen werden können.73 Die Regierungsbegründung stellt „klar, dass es sich hierbei nicht um eine Erweiterung des Vorlagebeschlusses, sondern des Musterverfahrens handelt. Der vom Prozessgericht erlassene Vorlagebeschluss wird nicht vom Oberlandesgericht abgeändert.“ 74

Die Norm hat den Zweck, weitere Vorlagebeschlüsse zu vermeiden.75 6. Aussetzung nach § 8 KapMuG § 8 Abs. 1 Satz 1 KapMuG lautet: „Nach der Bekanntmachung des Vorlagebeschlusses im Klageregister setzt das Prozessgericht von Amts wegen alle bereits anhängigen oder bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Feststellungsziele im Musterverfahren noch anhängig werdenden Verfahren aus, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängt.“

71 BT-Drucks. 17/8799, S. 20. 72 So ausdrücklich BT-Drucks. 17/8799, S. 20; vgl. auch Prütting/Gehrlein/Halfmeier, ZPO, 10. Aufl. 2018, KapMuG § 6 Rz. 6. 73 Wieczorek/Schütze/Kruis, ZPO, 4.  Aufl. 2018, §  15 KapMuG Rz.  14; KK-KapMuG/Vollkommer, 2. Aufl. 2014, § 15 Rz. 13. 74 BT-Drucks. 17/8799, S. 23. 75 KK-KapMuG/Vollkommer, 2. Aufl. 2014, § 15 Rz. 6.

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Hierzu betont die Regierungsbegründung, der Musterentscheid solle „möglichst viele Ausgangsverfahren mit gleichgerichtetem Lebenssachverhalt erfassen“. 76

Dagegen verwendet § 8 KapMuG den Begriff Lebenssachverhalt nicht, sondern stellt vielmehr (nur) auf die Feststellungsziele im Musterverfahren ab. Die Abhängigkeit als die Hauptvoraussetzung77 dieser Aussetzung wird als „Vorgreiflichkeit“ bezeichnet,78 und zwar nur im Hinblick auf die im konkreten Musterverfahren gegenständlichen79 Feststellungsziele, welche KapMuG-fähig80 sind. Nach der vorzitierten Regierungsbegründung und einhelliger Auffassung sind also all diejenigen Ausgangsklagen auszusetzen, denen der „gleichgerichtete“ (entspricht „gleiche“)81 Lebenssachverhalt zugrunde liegt.82 7. Sperrwirkung des Vorlagebeschlusses nach § 7 KapMuG § 7 KapMuG lautet: „Mit Erlass des Vorlagebeschlusses ist die Einleitung eines weiteren Musterverfahrens für die gemäß § 8 Absatz 1 auszusetzenden Verfahren unzulässig. Ein gleichwohl ergangener Vorlagebeschluss ist nicht bindend.“

§ 8 KapMuG kommt also für die Sperrwirkungsnorm, die den Begriff Lebenssachverhalt ebenfalls nicht enthält, eine Schlüsselrolle zu. Die Regierungsbegründung führt zu § 7 KapMuG aus: „Satz 1 übernimmt den bisherigen § 5 unverändert. In Satz 2 wird klargestellt, dass ein entgegen der Sperrwirkung erlassener Vorlagebeschluss das OLG als Ausnahme von der Vorschrift des § 6 Absatz 1 Satz 3 nicht bindet.“ 83

Die Norm bezweckt im Anwendungsbereich des § 8 KapMuG aus Gründen der Prozessökonomie parallele Musterverfahren wie auch die Befassung mehrerer Oberlandesgerichte zu vermeiden, da beides einer „zügigen, sachdienlichen und kosteneffizienten Erledigung der unterschiedlichen Musterfragen entgegenstehen“84

76 BT-Drucks. 17/8799, S. 20. 77 Zu weiteren Anforderungen vgl. Tilp in FS Schwintowski, 2018, S. 373. 78 Wieczorek/Schütze/Reuschle, ZPO, 4. Aufl. 2018, § 8 KapMuG Rz. 7; KK-KapMuG/Kruis, 2. Aufl. 2014, § 8 Rz. 28; Heidel AktienR/Gängel/Gansel/Huth, 4. Aufl. 2014, KapMuG, § 8 Rz. 4. 79 Und solchen, welche nach § 15 KapMuG potentiell weitere Streitgegenstände des Musterverfahrens werden können. 80 Darauf weist Möllers/Holzner, NZG 2009, 172, 174 zutreffend hin; vgl. auch Prütting/Gehrlein/Halfmeier, ZPO, 10. Aufl. 2018, KapMuG § 8 Rz. 6. 81 Dazu unter V. 82 Prütting/Gehrlein/Halfmeier, ZPO, 10. Aufl. 2018, KapMuG § 8 Rz. 4. 83 BT-Drucks. 17/8799, S. 20. 84 BT-Drucks. 15/5091, S. 24.

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würde; ferner soll sie der Gefahr sich widersprechender Musterentscheide entgegenwirken.85 8. Anspruchsanmeldung nach § 10 Abs. 2, 3 KapMuG Die KapMuG-Reform schuf das neue Institut der Anspruchsanmeldung. Nach § 10 Abs. 2 KapMuG kann „innerhalb einer Frist von sechs Monaten ab der Bekanntmachung nach Absatz 1 … ein Anspruch schriftlich gegenüber dem Oberlandesgericht zum Musterverfahren angemeldet werden. Die Anmeldung ist nicht zulässig, wenn wegen desselben Anspruchs bereits Klage erhoben wurde.“

Nach Abs. 3 muss die Anmeldung eines Anspruchs u.a. enthalten: 1. die Bezeichnung des Anmelders und seiner gesetzlichen Vertreter, 2. das Aktenzeichen des Musterverfahrens und die Erklärung, einen Anspruch anmelden zu wollen, 3. die Bezeichnung der Musterbeklagten, gegen die sich der Anspruch richtet, und 4. die Bezeichnung von Grund und Höhe des Anspruchs, der angemeldet werden soll.

Unter dem „Grund“ i.S.d. § 10 Abs. 3 Nr. 4 KapMuG ist der Lebenssachverhalt zu verstehen, aus dem der Anspruch entspringt bzw. hergeleitet wird.86 Aus dem nachfolgend zitierten § 204 Abs. 1 Nr. 6a BGB folgt, dass dies der gleiche Lebenssachverhalt sein muss, der den Feststellungszielen des Musterverfahrens zugrunde liegt. 9. Verjährungshemmung durch Anspruchsanmeldung nach § 204 Abs. 1 Nr. 6a BGB Zusammen mit der Anspruchsanmeldung schuf der Reformgesetzgeber ebenfalls neu die damit verbundene Möglichkeit zur Verjährungshemmung. §  204 Abs.  1 Nr.  6a BGB lautet: „Die Verjährung wird gehemmt durch die Zustellung der Anmeldung zu einem Musterverfahren für darin bezeichnete Ansprüche, soweit diesen der gleiche Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie den Feststellungszielen des Musterverfahrens und wenn innerhalb von drei Monaten nach dem rechtskräftigen Ende des Musterverfahrens die Klage auf Leistung oder Feststellung der in der Anmeldung bezeichneten Ansprüche erhoben wird.“

Hierzu heißt es in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses: „Die Hemmung der Verjährung tritt jedoch nur dann ein, wenn dem in der Anmeldung bezeichneten Anspruch der gleiche Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie den Feststellungszielen des Musterverfahrens, der Anspruchsinhaber also einen Anspruch anmeldet, dessen prozes85 Wieczorek/Schütze/Reuschle, ZPO, 4. Aufl. 2018, § 7 KapMuG Rz. 1; KK-KapMuG/Kruis, 2. Aufl. 2014, § 7 Rz. 2. 86 Wigand, WM 2013, 1884, 1890.

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Der Begriff „Lebenssachverhalt“ im Sinne des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz suale Geltendmachung während des Musterverfahrens dazu geführt hätte, dass das Verfahren nach § 8 KapMuG-E auszusetzen gewesen wäre.“ 87

Auch insoweit kommt der Aussetzungsvorschrift des § 8 KapMuG also eine Schlüsselrolle zu. 10.  Ausschließlicher Gerichtsstand nach § 32b ZPO Hinsichtlich der Schadenersatzansprüche wegen öffentlicher Kapitalmarktinforma­ tionen und deren Verwendung bestimmt sich der ausschließliche Gerichtsstand gemäß § 32b ZPO nach dem „Sitz des betroffenen Emittenten.“

Die Vorschrift wurde zeitgleich mit dem KapMuG und in dessen systematischem Zusammenhang geschaffen, um eine Zuständigkeitskonzentration der (Ausgangs)Klagen zu erreichen. Die Norm verwendet den Begriff Lebenssachverhalt nicht. Trotz der Zuständigkeitskonzentration können verschiedene (Land)Gerichte mit gleichgerichteten Musterverfahrensanträgen befasst sein, wie sich aus § 6 Abs.2, Abs. 1 Satz 1 KapMuG ergibt,88 und damit mit dem gleichen Lebenssachverhalt.89 Wer betroffener Emittent i.S.d. Norm ist, ist streitig. Teilweise wird auf die „verklagte“ (beklagte) Partei abgestellt,90 überwiegend auf den Emittenten, der die in den Klagen streitgegenständliche (fehlgeschlagene) Kapitalanlage emittiert hat, auch wenn dieser weder Prozesspartei noch Urheber der in den Klagen streitgegenständlichen Kapitalmarktinformationen ist.91 Auf wen schließlich im Falle mehrerer betroffener Emittenten abzustellen ist, ist ebenfalls streitig.92 Auch im Falle „desselben einheitlichen Lebenssachverhalts“ sollen dann ausschließliche Zuständigkeiten mehrerer Gerichte begründet werden können.93 Der Lebenssachverhalt nach KapMuG stellt vor diesem Hintergrund kein geeignetes Auslegungskriterium für § 32b ZPO dar.94

87 BT-Drucks. 17/10160, S. 28. 88 KK-KapMuG/Vollkommer, 2. Aufl. 2014, § 6 KapMuG, Rz. 40. 89 S. III.3. 90 KK-KapMuG/Hess, 2. Aufl. 2014, § 32b ZPO, Rz. 10; Cuypers, WM 2007, 1446, 1453. 91 OLG Braunschweig, Beschl. v. 27.10.2017  – 1 W 31/17, ZIP 2018, 348 m.w.N. aus der Rechtsprechung unter II.3.a); Wieczorek/Schütze/Reuschle/Kruis, ZPO, 4. Aufl. 2018, § 32b ZPO Rz.  82 m.w.N. unter Fn.  159; Vorwerk/Wolf/Parigger, KapMuG, 2007, §  32b ZPO Rz. 19. 92 Dazu Vorlagebeschl. des LG Stuttgart v. 6.12.2017 – 22 AR 2/17 Kap, vgl. oben II.3. 93 OLG Braunschweig, Beschl. v. 27.10.2017 – 1 W 31/17, ZIP 2018, 348 f. speziell zu einer Anlegerklage wegen Dieselgate gegen VW und PSE wegen Schäden in Aktien beider Unternehmen; zur dortigen verfehlten Verwendung des Begriffs „derselbe“ vgl. V. 94 So auch OLG Braunschweig, Beschl. v. 27.10.2017 – 1 W 31/17, ZIP 2018, 348, 351.

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IV. Gesetzgeberisches Schweigen zur Begriffsbestimmung Wie unter III. aufgezeigt, wird in den Gesetzesmaterialien zum alten wie zum neuen KapMuG der Begriff Lebenssachverhalt nur einmal erwähnt, nämlich in der Gegenäußerung der Bundesregierung zum KapMuG a.F. im Rahmen der Beantwortung einer Prüfbitte des Bundesrates zum damaligen Begriff „Feststellungsziel“95 (Singular). Zu diesem Zeitpunkt enthielt der Gesetzentwurf den Begriff Lebenssachverhalt noch nicht, sondern den des „Ereignis“. In der Gegenäußerung heißt es: „Die Gleichgerichtetheit eines Musterfeststellungsantrags bestimmt sich nach § 4 Abs. 1 Satz 4 KapMuG-E nach der Gleichgerichtetheit des Feststellungsziels und der Identität des dem ­Musterfeststellungsantrag zugrunde liegenden Ereignisses. Im Beispielsfall der Prospekthaftung stellt die Veröffentlichung des Prospekts das zugrunde liegende Ereignis dar. Dadurch wird der Lebenssachverhalt konturiert. Das Feststellungsziel hingegen bezieht sich auf die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit wesentlicher Angaben.“ 96

Aufgrund der anschließenden Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses wurde der vorgenannte § 4 Abs. 1 Satz 4 KapMuG-E und mit ihm der Begriff Ereignis gestrichen, sowie der Begriff gleichgerichtete Musterfeststellungsanträge sodann mittels des neu geschaffenen § 2 Abs. 1 Satz 5 KapMuG a.F. legal definiert.97 In diesem wurde nunmehr  – erstmals und auch nur an dieser Stelle  – der Begriff Lebenssachverhalt verwendet, ohne dass die (überraschende) Einführung dieses Begriffs begründet worden wäre.98 Der vorzitierten Gegenäußerung der Bundesregierung kann daher nicht entnommen werden, dass mit ihr eine Konkretisierung oder Auslegung des Begriffs „Lebenssachverhalt“ bezweckt wurde – denn dieser existierte im Gesetzentwurf ja noch gar nicht. Auch bezog sich die Gegenäußerung explizit und lediglich auf den dort genannten Beispielsfall – dem evident der Fall Telekom zugrunde lag. Für diesen soll die Prospektveröffentlichung den „Lebenssachverhalt konturieren“, die Prospektveröffentlichung selbst wird als Ereignis bezeichnet – eben aber dieser Begriff fehlt in dem dann zum Gesetz gewordenen KapMuG. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber den Begriff des Lebenssachverhalts im Sinne des KapMuG generell – und schon gar nicht „ausschließlich“99 – anhand des Informationsträgers100 der öffentlichen Kapitalmarktinformation(en) bestimmen wollte.

95 BT-Drucks. 15/5091, S. 40: „unter dem Gesichtspunkt der Rechtsklarheit“. 96 BT-Drucks. 15/5091, S. 49. 97 Dessen Textfassung findet sich III. zitiert. 98 Auch dazu III. 99 So aber LG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 28.2.2017 – 22 AR 1/17 Kap, Rz. 109 sowie Nichtabhilfe-Beschl. v. 2.1.2018 – 22 O 353/16, Rz. 10, unv. 100 Dazu VII.2.c).

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Der Begriff „Lebenssachverhalt“ im Sinne des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz

V. Vom Gesetz verwendete Terminologie zum Begriff Lebenssachverhalt Der Wortlaut des KapMuG kennt für den Begriff Lebenssachverhalt die Adjektive „vorgetragen(er)“101 und „zugrunde liegend(er)“,102 sowie das Demonstrativpronomen „der gleiche“;103 die Gesetzesmaterialien verwenden für ihn auch noch den Begriff „derselbe“.104 Die Wörter „derselbe“ und „der gleiche“ sind aber nicht dasselbe: Beide bezeichnen zwar eine Übereinstimmung, eine Identität, doch besteht ein Unterschied. Für die Kennzeichnung der Identität z.B. eines Umstandes, den es nur einmal gibt, verwendet man das Demonstrativpronomen derselbe. Will man dagegen eine Übereinstimmung in der Identität einer Gattung oder Art ausdrücken – gibt es also mehrere gleich ausgestaltete Umstände – gebraucht man der gleiche. „Denselben“ Lebenssachverhalt gibt es also denklogisch immer nur in ein und derselben Ausgangsklage, diesen (individuellen) Lebenssachverhalt trägt der jeweilige (einzelne) Kläger vor – daher ist das der „vorgetragene“ Lebenssachverhalt. Dagegen bezieht sich das Adjektiv „zugrunde liegend“ auf „den gleichen“ Lebenssachverhalt, der sämtlichen Ausgangsklagen zugrunde liegt, wie auch die aufgezeigte stetige Verbindung dieser beiden Begriffspaare zeigt. Der Wortlaut des Gesetzes ist somit präzise: Der zugrunde liegende Lebenssachverhalt des KapMuG ist stets nur der gleiche; die Verwendung des Begriffs „derselbe“ zur Bestimmung des Begriffs „zugrundeliegender Lebenssachverhalt“ scheidet somit aus.105 Die von verschiedenen Ausgangsklägern gestellten Musterverfahrensanträge hinsichtlich eines solchen Lebenssachverhalts müssen „gleichgerichtet“ sein.106 Synonyme für „gleichgerichtet“ stellen die Begriffe „gleichgelagert“107 sowie „gleich“108 dar. Syno­nym für „gleich“ ist auch „gleichartig“.109 Der Begriff „gleichartig“ wird im KapMuG nicht verwendet, dagegen in § 60 ZPO110 hinsichtlich der Zulässigkeit einer einfachen Streitgenossenschaft bei einer „im Wesentlichen“ Gleichartigkeit des Anspruchsgrundes.111

101 Und zwar nur bzgl. des einzelnen Musterverfahrensantrages, vgl. § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 6 KapMuG. 102 Vgl. § 4 Abs. 1; § 6 Abs. 3 Nr. 2; § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG; ebenso § 204 Abs. 1 Nr. 6a BGB. 103 Welches stets in sprachlicher Verbindung mit dem Adjektiv „zugrunde liegend“ verwendet wird, vgl. §§ 4 Abs. 1; 6 Abs. 3 Nr. 2; 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KapMuG; ebenso § 204 Abs. 1 Nr. 6a BGB. 104 BT-Drucks. 17/8799, S. 19. 105 Verfehlt daher die Formulierung in der III.3.  zitierten Stelle in der Regierungsbegründung. 106 Vgl. § 4 Abs. 1; § 6 Abs. 1 S.1, Abs. 5 Satz 1 KapMuG. 107 www.duden.de/rechtschreibung/gleich_gelagert. 108 https://synonyme.woxikon.de/synonyme/gleichgerichtet.php; http://de.dsynonym.com/ gleichgerichtet. 109 https://www.duden.de/rechtschreibung/gleichartig. 110 Und in der ZPO nur in dieser Vorschrift. 111 Näher dazu VII.2.e).

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VI. Sinn und Zweck des KapMuG Mit dem KapMuG verfolgt der Gesetzgeber folgende Ziele: –– Etablierung eines schlagkräftigen kollektiven Rechtsverfolgungsinstruments.112 –– Verbesserung des individuellen Rechtsschutzes.113 –– Bündelung gleichgerichteter Ansprüche.114 –– Senkung des Kostenrisikos für den Einzelnen.115 –– Senkung der Gefahr divergierender Entscheidungen.116 –– Entlastung der Gerichte.117 –– Einheitliche Klärung von Tatsachen- und Rechtsfragen in einem Musterverfahren.118 –– Verhinderung landgerichtlicher Parallelverfahren.119 –– Vermeidung kostenerhöhender Verfahrenstrennungen.120 –– Erleichterter Zugang zum Recht durch Anspruchsanmeldung und deren Verjährungshemmung.121 Hinzu kommt die durch den Reformgesetzgeber vorgenommene Ausweitung der –– KapMuG-Fähigkeit, –– Feststellungsziel-Fähigkeit und –– Musterbeklagten-Fähigkeit sowie die Einführung der –– Verjährungshemmungs-Fähigkeit.122

112 BT-Drucks. 17/8799, S. 13; BT-Drucks. 15/5091, S. 16. 113 BT-Drucks. 17/8799, S. 13; BT-Drucks. 15/5091, S. 16. 114 BT-Drucks. 17/8799, S. 13; BT-Drucks. 15/5091, S. 16. 115 BT-Drucks. 17/8799, S. 13; BT-Drucks. 15/5091, S. 16. 116 BT-Drucks. 17/8799, S. 13; BT-Drucks. 15/5091, S. 16; so auch BGH, Beschl. v. 4.5.2017 – III ZB 61/16, Rz. 17. 117 BT-Drucks. 17/8799, S. 13; BT-Drucks. 15/5091, S. 17. 118 „An einer Stelle“, vgl. BT-Drucks. 17/8799, S. 19; vgl. auch BT-Drucks. 15/5091, S. 24: es sollen „parallel laufende Musterverfahren … aus prozessökonomischen Gründen vermieden werden“, ebenso BGH, Beschl. v. 6.12.2011 – II ZB 5/11, Rz. 10. 119 BT-Drucks. 17/8799, S. 38; BT-Drucks. 15/5091, S. 17. 120 BT-Drucks. 17/8799, S. 39. 121 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BR-Drucks. 17/10160, S. 26. 122 Zu diesen vier Fähigkeiten vgl. I.

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All diese Ziele sind Ausprägungen eines kollektiven effektiven Rechtsschutzes, welcher zwangsläufig mit dem des individuellen konfligieren kann, was der Gesetzgeber aber bewusst in Kauf genommen hat. Das zeigt der Umstand, dass das KapMuG als Zwangsverfahren ausgestaltet ist, dem sich die Beteiligten nicht entziehen können.123 Daraus folgt zugleich, dass der Zwangscharakter nur dann hinzunehmen ist, wenn eine Partei nicht nur (potentiellen) Nachteilen eines Musterverfahrens124 unterworfen ist, sondern auch dessen Vorteilen125, ansonsten bestehen im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Grundsatz effektiven Rechtsschutzes Bedenken.126 Dabei sind eventuelle Konflikte zwischen den aufgezeigten Gesetzeszielen anhand vorgenannter Maßstäbe wertend zu entscheiden.

VII. Koordinaten für die Begriffsbestimmung Wie dargelegt127 verwarf der Gesetzgeber den Begriff Ereignis und entschied sich für den des Lebenssachverhalts. Dieser erlaubt zur begrifflichen Determinierung Rückgriffe insbesondere auf die Rechtsprechung zur ZPO, welche als Ausgangspunkt für eine Bestimmung des Begriffs i.S.d. KapMuG dient (VII.1.). Spezielle Koordinaten hierzu ergeben sich sodann aus potentiellen Bestandteilen von Lebenssachverhalten, auf die unter VII.2. exemplarisch eingegangen wird. Der Parteivortrag und die Darstellung im Vorlagebeschluss determiniert den Begriff dagegen nicht (VII.3.  und VII.4.). 1. Der ZPO-Lebenssachverhalt als Ausgangspunkt In einem Fall, der dem neuen KapMuG unterfällt, hat der BGH die dort aufgeworfene Frage nach dem zugrunde liegenden Lebenssachverhalt anhand seiner Rechtsprechung zur ZPO beantwortet.128 Dass die Begriffsbestimmung i.S.d. ZPO den Ausgangspunkt für die des KapMuG-Lebenssachverhalts darstellt, entspricht einhelliger Auffassung,129 ebenso dass sie die Besonderheiten des KapMuG zu berücksichtigen

123 Prütting/Gehrlein/Halfmeier, ZPO, 10. Aufl. 2018, KapMuG § 1 Rz. 2; Einsele, WuB 2018, 126, 129; Vorwerk/Wolf/Wolf/Lange, KapMuG, 2007, Einl. Rz.  39 m.w.N. unter Fn.  63; auch Parteien, die gar kein Musterverfahren wollen, werden mittels Aussetzung nach § 8 KapMuG in dieses gezwungen, dazu BGH, Beschl. v. 16.6.2009  – XI ZB 33/08, Rz.  13: „Zwangsaussetzung“. 124 Wie z.B. Verfahrensverzögerungen und zusätzlichen Kosten, dazu BGH, Beschl. v. 11.9.2012 – XI ZB 32/11, Rz. 13; Beschl. v. 16.6.2009 – XI ZB 33/08, Rz. 13. 125 BGH, Beschl. v. 16.6.2009 – XI ZB 33/08 Rz. 13. 126 BGH, Beschl. v. 8.4.2014 – XI ZB 40/11, Rz. 24; Beschl. v. 11.9.2012 – XI ZB 32/11, Rz. 13; Wolf/Lange, NJW 2012, 3751, 3753. 127 Vgl. IV. 128 BGH, Beschl. v. 2.12.2014 – XI ZB 17/13, Rz. 16, 18; es ging dort um eine Aussetzung gemäß § 8 KapMuG. 129 Vgl. nur Wieczorek/Schütze/Winter, §  4 KapMuG Rz.  38; Wieczorek/Schütze/Reuschle, ZPO, 4. Aufl. 2018, § 6 KapMuG Rz. 10; KK-KapMuG/Reuschle, 2. Aufl. 2014, § 4 Rz. 95.

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hat130; aus letzterem folge, dass bloß individuelle Umstände einer Ausgangsklage, die nicht kollektivierbar sind131, nicht vom Lebenssachverhalt des KapMuG umfasst würden.132 Auch sei der Begriff weiter zu verstehen als im Rahmen der Beurteilung des Streitgegenstandes nach der ZPO, da das KapMuG möglichst viele Verfahren bündeln wolle, maßgeblich komme es darauf an, ob der Kernpunkt der Rechtsstreitigkeiten derselbe sei.133 Im Folgenden werden diese Thesen näher überprüft. Die ZPO enthält den Begriff Lebenssachverhalt nicht. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH unterfallen ihm alle Tatsachen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden und den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtung zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören, den der Kläger zur Stützung seines Rechtsschutzbegehrens dem Gericht vorträgt.134 Das ist dann der Fall, wenn der Tatsachenstoff nicht sinnvoll auf verschiedene eigenständige, den Sachverhalt in seinem Kerngehalt verändernde Geschehensabläufe aufgeteilt werden kann, selbst wenn diese einer eigenständigen rechtlichen Bewertung zugänglich sind.135 Vom Streitgegenstand der ZPO136 werden damit alle materiell-rechtlichen Ansprüche erfasst, die sich im Rahmen des gestellten Antrags aus dem zur Entscheidung unterbreiteten Lebenssachverhalt herleiten lassen.137 Das gilt unabhängig davon, ob die einzelnen Tatsachen des Lebenssachverhalts von den Parteien vorgetragen worden sind oder nicht, und auch unabhängig davon, ob die Parteien die im Vorprozess nicht vorgetragenen Tatsachen des Lebensvorgangs damals bereits kannten und hätten ­vortragen können.138 Eine unnatürliche Betrachtung soll nach dieser Rechtsprechung also vermieden werden, eine unnatürliche Auftrennung eines seinem Wesen nach einheitlichen Lebenssachverhalts unterbleiben. Eine dementsprechende Begriffsbestimmung hat im jeweiligen Einzelfall im Rahmen einer wertenden Betrachtung zu erfolgen.

130 Vgl. nur Wieczorek/Schütze/Winter, ZPO, 4. Aufl. 2018, § 4 KapMuG Rz. 39; Wieczorek/ Schütze/Reuschle, ZPO, 4. Aufl. 2018, § 6 KapMuG Rz. 11; KK-KapMuG/Reuschle, 2. Aufl. 2014, § 4 Rz. 96. 131 Wie z.B. ein individueller Verjährungseintritt. 132 Wieczorek/Schütze/Winter, ZPO, 4. Aufl. 2018, § 4 KapMuG Rz. 39; KK-KapMuG/Reuschle, 2. Aufl. 2014, § 4 Rz. 96; Haufe, Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, 2012, S. 83. 133 KK-KapMuG/Vollkommer, 2. Aufl. 2014, § 6 Rz. 8; Heidel AktienR Gängel/Gansel/Huth, 4. Aufl. 2014, KapMuG, § 3 Rz. 39; Möllers/Seidenschwann, NZG 2012, 1401, 1404. 134 BGH, Urt. v. 21.11.2017 – II ZR 180/15, Rz. 17; BGH, Urt. v. 22.10.2013 – XI ZR 42/12, Rz. 15. 135 BGH, Urt. v. 21.11.2017 – II ZR 180/15, Rz. 18; BGH, Urt. v. 13.9.2012 – I ZR 230/11, Rz. 19. 136 Der Streitgegenstandsbegriff der ZPO unterscheidet sich von dem des KapMuG, vgl. hierzu III. 137 BGH, Urt. v. 21.11.2017 – II ZR 180/15, Rz. 17; BGH, Urt. v. 22.10.2013 – XI ZR 42/12, Rz. 15. 138 BGH, Urt. v. 22.10.2013  – XI ZR 42/12, Rz.  15; BGH, Urt. v. 13.9.2012  – I ZR 230/11, Rz. 19.

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2. Potentielle Bestandteile des Lebenssachverhalts Zwingend erforderliche Bestandteile des Lebenssachverhalts ergeben sich aus der Kardinalnorm des § 1 KapMuG, welche den Anwendungsbereich des Gesetzes regelt. Sie lautet auszugsweise: § 1 Anwendungsbereich (1) Dieses Gesetz ist anwendbar in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, in denen 1. ein Schadensersatzanspruch wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation, 2. ein Schadensersatzanspruch wegen Verwendung einer falschen oder irreführenden öffent­ lichen Kapitalmarktinformation oder wegen Unterlassung der gebotenen Aufklärung da­ rüber, dass eine öffentliche Kapitalmarktinformation falsch oder irreführend ist, oder 3. … . geltend gemacht wird. (2) Öffentliche Kapitalmarktinformationen sind Informationen über Tatsachen, Umstände, Kennzahlen und sonstige Unternehmensdaten, die für eine Vielzahl von Kapitalanlegern bestimmt sind und einen Emittenten von Wertpapieren oder einen Anbieter von sonstigen Vermögensanlagen betreffen. Dies sind insbesondere Angaben in 1. Prospekten …

Die vorstehend kursiv hervorgehobenen Begriffe lauten teilweise auf den Singular, teilweise auf den Plural. Diese Begriffe bilden einen „Wasserfall“ in der Reihenfolge der nachfolgenden Ziffern a) bis e). Deren jeweils nachgelagerte zwingende Bestandteile setzen dabei denklogisch die Existenz der jeweils vorhergegangenen voraus. a) Fehlgeschlagene Kapitalanlagen Mit der Ausgangsklage muss ein (vermeintlicher) Schaden in einer fehlgeschlagenen Kapitalanlage (in „Wertpapieren oder … sonstigen Vermögensanlagen“) geltend gemacht werden. Dabei scheint das LG Stuttgart die Auffassung zu vertreten, dass unterschiedliche betroffene Wertpapiere unterschiedliche Lebenssachverhalte darstellen: „Maßgebend für die Grenzziehung zwischen gleichem und unterschiedlichem Lebenssachverhalt kann daher nur der in Bezug genommene Informationsträger, d. h. die Kapitalmarktinformation sowie der Umstand seiner Veröffentlichung bzw. seiner unterlassenen Veröffentlichung sein … Aus § 3 Abs. 2 Satz 2 Ziff. 2 und 6 KapMuG folgt zugleich, dass die Kapitalmarktinformation das gleiche Wertpapier betreffen muss“.139

Danach würden erst recht Kapitalanlagen unterschiedlicher Emittenten separate Lebenssachverhalte darstellen, was auch aus der vorzitierten Formulierung in § 1 Abs. 2 KapMuG „und einen Emittenten von Wertpapieren …“

139 LG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 28.2.2017 – 22 AR 1/17 Kap, Rz. 109; Nichtabhilfe-Beschl. v. 2.1.2018 – 22 O 353/16, Rz. 10, unv.

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abgeleitet werden könnte. Eine derartige Emittenten bezogene Sichtweise wird unter dem Gesichtspunkt der Verfahrenseffizienz kritisiert;140 dass in den Ausgangsklagen unterschiedliche Wertpapiere unterschiedlicher Emittenten streitgegenständlich sind, soll der Annahme eines einheitlichen Lebenssachverhalts vielmehr nicht entgegen stehen.141 b) Öffentliche Kapitalmarktinformationen Für die Eröffnung des Anwendungsbereichs des KapMuG ist zweitens zwingend, dass eine öffentliche Kapitalmarktinformation vorliegt. Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KapMuG, der den Plural des Begriffs definiert, sind Kapitalmarktinformationen „Angaben“ in Informationsträgern, welche ihrerseits exemplarisch in Satz 2 der Norm aufgeführt werden (beispielsweise Prospekte, vgl. dessen Nr. 1). Die einzelne Angabe, sprich Kapitalmarktinformation, stellt dabei nicht jeweils einen eigenständigen Lebenssachverhalt dar. Dies hat der BGH hinsichtlich unrichtiger oder unvollständiger Angaben entschieden, welche in einem Prospekt enthalten sind. Diese stellen keine selbständigen Geschehensabläufe dar, sondern sind Bestandteile eines einheitlich zu beurteilenden Erwerbs der Aktien auf Grundlage des Prospekts;142 unterschiedliche Prospektfehler sind damit keine unterschiedlichen Lebenssachverhalte.143 Im Rahmen eines Feststellungsziels stellt jede einzelne Angabe aber jeweils einen eigenständigen Streitgegenstand i.S.d. KapMuG dar.144 Dass ein und dieselbe Angabe nicht nur einen, sondern mehrere Emittenten wie auch mehrere Finanzinstrumente betrifft, ist nicht unüblich, im Insiderrecht zum Beispiel sogar explizit typisierend geregelt.145 c) Informationsträger Dritter zwingender Bestandteil ist ein Informationsträger bzw. ein pflichtwidrig nicht veröffentlichter.146 Informationsträger transportieren lediglich die Kapitalmarktin­ formation(en), sind selbst aber keine;147 sie sind exemplarisch in §  1 Abs.  2 Satz 2 ­KapMuG aufgeführt. In VII.2.a) wurde ein wörtliches Zitat des LG Stuttgart wiedergegeben,148 wonach sich der Lebenssachverhalt „nur“ nach dem streitgegenständli140 Prütting/Gehrlein/Halfmeier, ZPO, 10. Aufl. 2018, KapMuG § 7 Rz. 3. 141 OLG Braunschweig, Hinweisbeschl. v. 15.6.2018 – 3 Kap 1/16, S. 9 unter Hinweis auf § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F., wonach sich typischerweise ein und dieselbe Insiderinformation auf „mehrere Emittenten von Insiderpapieren“ beziehen kann; Beschl. v. 27.10.2017 – 1 W 31/17, ZIP 2018, 348 f.; vgl. auch VII.2.b). 142 BGH, Beschl. v. 21.10.2014 – XI ZB 12/12, Rz. 145 – DT 3. 143 BGH, Beschl. v. 21.10.2014 – XI ZB 12/12, Rz. 142 – DT 3; a.A. der vorausgegangene Musterentscheid des OLG Frankfurt v. 16.5.2012 – 23 KAP 1/06, zitiert nach juris Rz. 1410. 144 BGH, Beschl. v. 19.9.2017 – XI ZB 17/15, Rz. 33. 145 Art 7 Abs. 1 a) MAR: „direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betreffen“; vgl. auch schon § 13 Abs. 1 Satz 1 WpHG a.F. 146 Wegen Nichtbeachtung einer Veröffentlichungspflicht. 147 Dazu VII.2.b). 148 LG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 28.2.2017 – 22 AR 1/17 Kap, Rz. 109; Nichtabhilfe-Beschl. v. 2.1.2018 – 22 O 353/16, Rz. 10, unv.

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chen „Informationsträger, d.h. Kapitalmarktinformation“ bestimmen soll; wie dargelegt, sind beide Begriffe jedoch strikt voneinander zu trennen. Verschiedene Informationsträger desselben Emittenten, die in keinem inneren Zusammenhang stehen, sollen unterschiedliche Lebenssachverhalte darstellen,149 ansonsten den gleichen.150 Unterschiedliche Prospekte desselben Emittenten zur selben Kapitalanlage sollen den gleichen Lebenssachverhalt bilden.151 Im Falle der Nichtbeachtung einer Veröffentlichungspflicht152 sei ein wertender Veröffentlichungszeitraum für die Abgrenzung des gleichen Lebenssachverhalts maßgeblich.153 Ad-hoc-Mitteilungen verschiedener Emittenten sollen unterschiedliche Lebenssachverhalte darstellen.154 d) Anspruchsgrundlagen Der vierte zwingende Bestandteil des Lebenssachverhalts ist nach § 1 Abs. 1 KapMuG das Vorliegen eines dort näher qualifizierten Anspruchs. Der Kreis der KapMuG-fähigen Ansprüche und ihrer rechtlicher Grundlagen wurde durch den Reformgesetzgeber deutlich ausgeweitet. Solche stellen nunmehr beispielsweise auch Ansprüche aus § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2, 3 BGB dar,155 damit werden jetzt auch beispielsweise Klagen aufgrund von Prospekthaftung i.w.S. gegen Emittenten und Anbieter s­ owie von Beratungshaftung gegen Anlageberater und -vermittler erfasst.156 Nach einhelliger Meinung ist dabei die in Bezug genommene materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage für den Begriff des Lebenssachverhalts nicht von Bedeutung.157 Konkurrierende Anspruchsgrundlagen und deren unterschiedliche Tatbestandsmerkmale würden der Annahme des gleichen Lebenssachverhalts nicht entgegen stehen.158 Macht der Kläger jedoch gegen denselben Beklagten Ansprüche, welche nicht Gegenstand eines Mus149 KK-KapMuG/Reuschle, 2.  Aufl. 2014, §  4 Rz.  107; KK-KapMuG/Vollkommer, 2.  Aufl. 2014, § 6 Rz. 14, 16. 150 KK-KapMuG/Kruis, 2008, § 1 Rz. 109 f. sowie KK-KapMuG/Reuschle, 2. Aufl. 2014, § 4 Rz. 102 für den Fall, dass dieselbe Kapitalmarktinformation streitgegenständlich ist. 151 OLG Frankfurt, Musterentscheid v. 13.1.2016 – 23 KAP 1/14; LG Frankfurt a.M., Vorlagebeschl. v. 28.4.2014 – 2-21 OH 2/14. 152 Z.B. Unterlassen einer Ad-hoc. 153 KK-KapMuG/Reuschle, 2. Aufl. 2014, § 4 Rz. 103; a.A. KK-KapMuG/Hess, 2. Aufl., Einl. Rz. 71, wonach verschiedene Veröffentlichungstermine unterschiedliche Lebenssachverhalte darstellen, ebenso Vollkommer, NJW 2007, 3094, 3096; nach Schneider/Heppner, BB 2012, 2703, 2709 würde die gemeinsame Aufklärung von Informationen und Zeitpunkten, die Monate oder Jahre auseinander lägen, in einem Musterverfahren keine prozessökonomischen Vorteile erwarten lassen. 154 LG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 28.2.2017 – 22 AR 1/17, Rz. 105 ff. m.w.N.; dezidiert a.A. OLG Braunschweig, Hinweisbeschl. v. 15.6.2018  – 3 Kap 1/16, S.  9 sowie Beschl. v. 27.10.2017 – 1 W 31/17, ZIP 2018, 348 f. 155 BT-Drucks. 17/8799, S. 16. 156 BGH, Beschl. v. 2.12.2014 – XI ZB 17/13, Rz. 10. 157 KK-KapMuG/Reuschle, 2. Aufl. 2014, § 4 Rz. 98; Haufe, Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, 2012, S. 98. 158 Schneider/Heppner, BB 2012, 2703, 2708; Vorwerk/Wolf/Fullenkamp, KapMuG, 2007, § 4 Rz. 21.

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terverfahrens sein können, neben einem KapMuG-fähigen Anspruch geltend, soll ein anderer Lebenssachverhalt vorliegen.159 e) Anspruchsgegner Der fünfte zwingende Bestandteil des Wasserfalls aus § 1 KapMuG besteht im Gegner des Anspruchs. Der Lebenssachverhalt könnte anhand der (jeweils) beklagten Partei, also anhand deren jeweiligen (unterschiedlichen) Prozessrechtsverhältnissen in den Ausgangsklagen bestimmt werden. Dies ist mit der einhelligen Auffassung abzulehnen,160 wie sich schon aus §  9 Abs.  5 KapMuG ergibt161. Dieser regelt, dass unterschiedliche Beklagte nach Aussetzung gemäß §  8 KapMuG jeweils eigenständige ­Musterbeklagte desselben Musterverfahrens sind. Daraus folgt, dass den Rechts­ verhältnissen der unterschiedlichen Beklagten der gleiche Lebenssachverhalt nach KapMuG zugrunde liegt.162 Auch hat der Gesetzgeber durch die Ausdehnung des KapMuG auf Fälle der Anlageberatung und -vermittlung jetzt bewusst Konstellationen einbezogen, in denen auf Beklagtenseite häufig gerade keine personellen Überschneidungen vorliegen.163 Mehrere Musterbeklagte stehen im Verhältnis der Streitgenossenschaft im Sinne der §§ 59 ff. ZPO zueinander.164 Ansprüche gegen verschiedene passive einfache Streitgenossen – gegen die Prospektherausgeberin wegen u.a. Prospekthaftung i.w.S., gegen die Gründungsgesellschafterin wegen Prospekthaftung i.w.S. sowie gegen die finanzierende Bank wegen vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzung aus Fremdfinanzierungsvertrag – wurden im Rahmen einer Anlegerklage außerhalb des KapMuG als auf „demselben Lebenssachverhalt“ beruhend qualifiziert, da sie „im Kern“ auf demselben fehlerhaften Emissionsprospekt fußten.165 Dagegen sollten nach altem Recht in einer Klage geltend gemachte KapMuG-fähige Prospekthaftungsansprüche gegen Prospektverantwortliche einerseits und damals nicht KapMuG-fähige Ansprüche gegen einen Anlageberater aus einer fehlerhaften Anlageberatung andererseits keinen gleichen Lebenssachverhalt darstellen.166 159 Vgl. BGH, Beschl. v. 30.11.2010 – XI ZB 23/10, Rz. 14, 16, zum alten Recht bzgl. Prospekthaftungsansprüchen i.e.S. einerseits und damals nicht KapMuG-fähigen Ansprüchen wegen Aufklärungspflichtverletzungen andererseits; das soll auch gelten im Falle einer Klage gegen Streitgenossen, dazu VII.2.e). 160 Wieczorek/Schütze/Großerichter, ZPO, 4. Aufl. 2018, § 1 KapMuG Rz. 62; Prütting/Gehrlein/Halfmeier ZPO, 10. Aufl. 2018, KapMuG § 4 Rz. 2 und § 8 Rz. 5; KK-KapMuG/Reuschle, 2. Aufl. 2014, § 4 Rz. 93, 98; KK-KapMuG/Vollkommer, 2. Aufl. 2014, § 6 Rz. 28; Gängel/Huth/Gansel in Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 4. Aufl. 2014, KapMuG, § 3 Rz. 41; Haufe, Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, 2012, S. 98; Vorwerk/Wolf/ Fullenkamp, KapMuG, 2007, § 4 Rz. 22. 161 LG Braunschweig, Aussetzungsbeschl. v. 8.3.2018 – 5 O 1158/17, unv. 162 Dazu III.6. 163 KK-KapMuG/Kruis, 2. Aufl. 2014, § 8 Rz. 42 f. 164 BT-Drucks. 17/8799, S. 21. 165 BGH, Urt. v. 21.11.2017 – II ZR 180/15, Rz. 17 ff., 20. 166 BGH, Beschl. v. 16.6.2009 – XI ZB 33/08, Rz. 14.

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Da mehrere Musterbeklagte passive einfache Streitgenossen sind, sind die gegen sie geltend gemachten Ansprüche zumindest „gleichartig und“ beruhen „auf einem im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grund“ i.S.d. §  60 ZPO. Diese Norm fußt weitgehend auf Zweckmäßigkeitserwägungen und ist deshalb grundsätzlich weit auszulegen.167 Identität oder Gleichheit der jeweiligen Ansprüche sind nicht erforderlich, falls diese in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt.168 So stellen etwa die Verkäuferin einer Eigentumswohnung als Kapitalanlage einerseits und die den Kauf finanzierende Bank andererseits, welche ein von der Verkäuferin herausgegebenes Exposé bei ihrer Beratung verwendet hat, Streitgenossen i.S.d. Norm dar;169 dies folgt daraus, dass diese Streitgenossen auf Ersatz derselben Schäden in Anspruch genommen werden, die im Zusammenhang mit der als einheitlicher Lebenssachverhalt zu beurteilenden Kapitalanlage entstanden sind.170 Auch einer Dieselgate-Fahrzeughalterklage in passiver einfacher Streitgenossenschaft gegen Hersteller und Händler liegt ein im Wesentlichen gleicher Lebenssachverhalt zugrunde;171 maßgeblicher Anknüpfungspunkt des Klagevorbringens gegen beide Beklagte sind der Schadstoffausstoß und Kraftstoffverbrauch des verkauften Fahrzeugs, darauf bezogene werbende Äußerungen und deren Einfluss auf die Kaufentscheidung.172 f) Feststellungsziele Feststellungsziele sind untauglich, den Begriff des Lebenssachverhalts zu determinieren; letzterer stellt vielmehr die zwingende Grundlage („Underlying“) eines Feststellungsziels dar, wie sich beispielsweise aus § 15 Abs. 1 KapMuG ergibt. Feststellungsziel und Lebenssachverhalt sind also strikt zu trennen.173 g) Kerngeschehen Dagegen ist ein Kerngeschehen geeignet, den Lebenssachverhalt nach KapMuG zu determinieren; allerdings ist der Begriff amorph, er bedarf in jedem Einzelfall der konkreten Ausfüllung. In den Dieselgate-Anlegerklagen stellt das OLG Braunschweig auf das „Kerngeschehen“ ab, dieses liegt nach seiner Auffassung als gleicher Lebenssachverhalt gegenüber

167 BGH, Beschl. v. 6.6.2018  – X ARZ 303/18, Rz.  12; BGH, Beschl. v. 7.1.2014  – X ARZ 578/13, Rz. 9; BGH, Beschl. v. 6.5.2013 – X ARZ 65/13, Rz. 8. 168 BGH, Beschl. v. 6.6.2018  – X ARZ 303/18, Rz.  12; BGH, Beschl. v. 7.1.2014  – X ARZ 578/13, Rz. 9; BGH, Beschl. v. 6.5.2013 – X ARZ 65/13, Rz. 8. 169 BGH, Beschl. v. 7.1.2014 – X ARZ 578/13, Rz. 1, 9. 170 BGH, Beschl. v. 7.1.2014 – X ARZ 578/13, Rz. 9; auf eine als einheitlichen Lebenssachverhalt zu beurteilende Vermögensanlage stellt auch BGH, Beschl. v. 6.5.2013 – X ARZ 65/13, Rz. 8 ab. 171 BGH, Beschl. v. 6.6.2018 – X ARZ 303/18, Rz. 13. 172 BGH, Beschl. v. 6.6.2018 – X ARZ 303/18, Rz. 13. 173 Einsele, WuB 2018, 126, 129.

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beiden Beklagten im „Geschehen zur sogenannten Dieselthematik“.174 Im Fall der „fehlgeschlagenen Übernahme“ von VW durch PSE im Jahr 2008 soll der gleiche Lebenssachverhalt gegenüber beiden Beklagten als „Kernpunkt“ in den „Vorgängen im Zusammenhang mit der versuchten Übernahme“ liegen.175 Bei DT 3 stellt der „Börsengang 2000“ den gleichen Lebenssachverhalt dar, nämlich das Angebot von Aktien der Deutschen Telekom durch den angegriffenen Verkaufsprospekt vom 26.5.2000.176 3. Keine Limitierung des Lebenssachverhalts durch den Parteivortrag Das KapMuG enthält keinen Normbefehl, dass nur derjenige Lebenssachverhalt, den eine Partei vorgetragen177 hat, der maßgebliche sein soll. Die natürliche Betrachtung zur Bestimmung des Begriffes hat lediglich „vom Standpunkt der Parteien auszugehen“,178 wird also durch den Parteivortrag nicht limitiert. 4. Keine Limitierung des Lebenssachverhalts durch die Darstellung im Vorlagebeschluss Das KapMuG enthält auch keinen Normbefehl, dass nur derjenige Lebenssachverhalt, der im Vorlagebeschluss dargestellt179 ist, der maßgebliche sein soll. Die dort geregelte Darstellung des den Musterverfahrensanträgen zugrunde liegenden gleichen Lebenssachverhaltes dient „nur der Beurteilung der Gleichgerichtetheit der Musterverfahrensanträge“.180

Eine wie auch immer geartete Limitierung der Begriffsbestimmung ist weder der Gesetzesbegründung zu entnehmen181 noch sonst ersichtlich.182 Die Darstellung hat lediglich informatorischen Charakter und bindet das Oberlandesgericht auch nicht gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 KapMuG.183 174 OLG Braunschweig, Hinweisbeschl. v. 15.6.2018 – 3 Kap 1/16, S. 9, unv. 175 LG Hannover, Vorlagebeschl. v. 13.4.2016 – 18 OH 2/16, C.II.3; siehe dazu Musterverfahren vor dem OLG Celle, 13 Kap 1/16. 176 LG Frankfurt a.M., Vorlagebeschl. v. 11.7.2006 – 3/7 OH 1/06, Ziff. C. – DT 3, (einziges) Feststellungsziel war die Unrichtigkeit des Prospektes; da das alte KapMuG nach umstrittener Ansicht jeweils nur ein Feststellungsziel kannte, vgl. oben III., wurde der Börsengang 1999 (DT 2) vom Landgericht Frankfurt a.M. mit separatem Vorlagebeschluss einem gesonderten Musterverfahren zugeführt. 177 Vgl. § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 6 KapMuG, dazu V. 178 Vgl. VII.1. 179 Vgl. § 6 Abs. 3 Nr. 2 KapMuG, dazu III.4. 180 So ausdrücklich BT-Drucks. 17/8799, S. 20; vgl. auch Prütting/Gehrlein/Halfmeier, ZPO, 10. Aufl. 2018, KapMuG § 6 Rz. 6. 181 Vielmehr führt BT-Drucks. 17/8799, S. 23 aus, es sei „bisher noch nicht abschließend geklärt, was der (Streit- oder Verfahrens-)Gegenstand des Musterverfahrens ist“, vgl. dazu oben III., soll der Darstellung im Vorlagebeschluss insoweit ersichtlich keine konstitutive Wirkung zu kommen. 182 A.A. wohl OLG München, Musterentscheid v. 15.12.2014 – KAP 3/10, Ziff. A.V.5. 183 KK-KapMuG/Vollkommer, 2. Aufl. 2014, § 6 Rz. 66.

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Der Begriff „Lebenssachverhalt“ im Sinne des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz

VIII. Konzeptioneller Vorschlag zur Begriffsbestimmung Für die Bestimmung des Begriffs Lebenssachverhalt nach KapMuG ist zunächst zu beachten, dass das Verfahrensrecht das materielle Recht verwirklichen soll und nicht dessen Durchsetzung vermeidbar hindern.184 Wie VII.1.  aufgezeigt, ist Ausgangspunkt für die Begriffsbestimmung die der ZPO. In deren Rahmen ist anerkannt, dass prozessuale Wertungen heranzuziehen sind.185 Daraus folgt, dass die Besonderheiten des KapMuG,186 insbesondere dessen oben V. dargelegte Terminologie sowie oben VI. dargelegter Sinn und Zweck des Gesetzes (Telos) bei der Auslegung des KapMuG-Begriffs Lebenssachverhalt spezifisch zu berücksichtigen sind. Danach bedarf es einer KapMuG-spezifischen natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden und den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtung.187 Diese führt angesichts des aufgezeigten Telos zu einer weiten Begriffsbestimmung,188 welche entscheidend auf das Kerngeschehen und den daraus sich ergebenden Gesamtvorgang abstellt.189 Kerngeschehen ist dabei das, was den oben VII.2.a)-e) dargelegten zwingenden Bestandteilen des KapMuG-Lebenssachverhaltes zugrunde liegt („Underlying der zwingenden Bestandteile“). Dieses ist kollektivierbar ausgestaltet, bloß indivi­ duelle  Umstände einer Ausgangsklage umfasst es damit ebenso wenig190 wie nicht ­KapMuG-fähige sowie nicht Feststellungziel-fähige Umstände und Rechtfragen.191 Eine Limitierung erfolgt dabei weder durch Parteivortrag192 noch durch die Darstellung im Vorlagebeschluss.193 Um eine uferlose Ausweitung zu vermeiden,194 ist der Maßstab des §  60 ZPO zur Begrenzung der Begriffsbestimmung heranzuziehen.195 Danach umfasst der Lebenssachverhalt nur „gleichartige Ansprüche oder Verpflichtungen“, die „auf einem im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grund beruhen“; wie dargelegt, sind die Voraussetzungen dieser Vorschrift ebenfalls weit auszulegen.196 Auch hierbei sind jedoch die Besonderheiten des KapMuG zu beach184 BGH, Urt. v. 21.3.2018 – VIII ZR 68/17, Rz. 32. 185 Zöller/Vollkommer, ZPO, 32. Aufl. 2018, Einl. Rz. 83; als Beispiele werden dort genannt: Erreichung sinnvoller Verfahrenskonzentration, Vermeidung von Parallel- und Folgeprozessen und der Gefahr widersprechender Entscheidungen. 186 Vgl. VII.1. 187 Vgl. VII.1. 188 Einsele, WuB 2018, 126, 129; KK-KapMuG/Vollkommer, 2. Aufl. 2014, § 6 Rz. 8; Heidel AktienR Gängel/Gansel/Huth, 4. Aufl. 2014, KapMuG, § 3 Rz. 39; Möllers/Seidenschwann, NZG 2012, 1401, 1404. 189 OLG Braunschweig, Hinweisbeschl. v. 15.6.2018 – 3 Kap 1/16, S. 9, unv.; LG Hannover, Vorlagebeschl. v. 13.4.2016  – 18 OH 2/16, C.II.3; Prütting/Gehrlein/Halfmeier, ZPO, 10.  Aufl. 2018, KapMuG §  4 Rz.  2; KK-KapMuG/Vollkommer, 2.  Aufl. 2014, §  6 Rz.  8; FA-HandelsR/Tewes, 2. Aufl. 2011, Kap 28 Rz. 38. 190 Vgl. VII.1. 191 Vgl. VI. i.V.m. VII.2.d) und VII.2.e). 192 Dazu VII.3. 193 Dazu VII.4. 194 Auf diese Notwendigkeit weist zu Recht Vorwerk, WM 2011, 817, 823 hin. 195 Dazu VII.2.e). 196 VII.2.e).

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ten. Eine drohende Unübersichtlichkeit oder Verwirrung der Prozessführung, die im Rahmen des § 60 ZPO zu einer Unzweckmäßigkeit einer gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung führen würde, ist angesichts des aufgezeigten Telos des KapMuG hinzunehmen.197 Dafür spricht auch, dass der Reformgesetzgeber zum November 2012 im Rahmen der damaligen Neufassung des § 145 ZPO ausgeführt hat, für eine Verfahrenstrennung genüge es nicht mehr, dass der Prozessstoff durch diese übersichtlicher gestaltet und geordnet werde.198 Schließlich ist der so bestimmte zugrunde liegende Lebenssachverhalt des KapMuG stets nur der gleiche, dieser Begriff wird vom Gesetz stets einheitlich verwendet.199

IX. Ausblick Für die konkurrierenden Vorlagebeschlüsse der Landgerichte Braunschweig und Stuttgart200 bedeutet das gefundene Ergebnis, dass ihnen jeweils der gleiche Lebenssachverhalt i.S.d. KapMuG zugrunde liegt.201 Erst die zukünftige höchstrichterliche Bestimmung des Begriffs Lebenssachverhalt nach Maßgabe des reformierten Gesetzes wird rechtssicher darüber entscheiden, ob es seine immer noch andauernde Testphase bestehen kann – oder aber durch unnatürliche Aufspaltungen in der Rechtspraxis scheitert. Der Jubilar jedenfalls beurteilte das KapMuG schon 2007 im Vorwort zum Vorwerk/Wolf mit nur skeptischem Optimismus.

197 Dazu VI. 198 Rechtsausschuss, BT-Drucks. 17/10160, S. 27. 199 Zur Begründung vgl. oben V.; für eine normspezifisch unterschiedliche Begriffsverwendung ist dagegen nichts ersichtlich, sie verbietet sich schon angesichts der II.9. und VI. dargelegten neu eingeführten Verjährungshemmungsregelung, da sonst für die Anmelder keine Rechtssicherheit bestünde. 200 Hierzu II. 201 Was dies für die II.4. angesprochene Frage der Sperrwirkung nach § 7 KapMuG sowie für die II.5. angesprochene Aussetzungspraxis nach § 8 KapMuG bedeutet, steht auf einem anderen Blatt; beide Normen erfordern das Vorliegen weiterer Voraussetzungen, die nicht Gegenstand meines Beitrags sind.

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Die Überprüfung von Entscheidungen über Ablehnungsgesuche Inhaltsübersicht I. Problemstellung II. Selbständige Anfechtung zivilprozessualer Ablehnungsentscheidungen III. Inzidente Überprüfung zivilprozessualer Ablehnungsentscheidungen 1. Rechtlicher Rahmen

2. Anwendung der §§ 512, 557 Abs. 2 ZPO auf zurückweisende Ablehnungsentscheidungen a) Ausgangspunkt b) Meinungsstand zur Inzidentprüfung im Revisionsverfahren c) Stellungnahme IV. Ergebnis

I. Problemstellung Wird ein Richter aufgrund seines Ausschlusses von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes oder wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, ist der über das Ablehnungsgesuch ergehende Beschluss nach § 42 Abs. 2 ZPO und § 6 Abs. 2 FamFG nur eingeschränkt und nach anderen Verfahrensordnungen überhaupt nicht anfechtbar (vgl. § 49 Abs. 3 ArbGG,1 §§ 146 Abs. 2, 152 Abs. 1 VwGO,2 §§ 172 Abs. 2, 177 SGG,3 § 128 Abs. 2 FGO4). Soweit danach eine (selbständige) Anfechtung nicht möglich ist, stellt sich vor allem bei ein Ablehnungsgesuch zurückweisenden Entscheidungen die Frage, ob diese nicht wenigstens auf ein Rechtsmittel gegen die nachfolgende Endentscheidung  – als Zwischenentscheidung i.S.d. §§  512, 557 Abs.  2 ZPO  – zur Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht gestellt werden können. Für die zivilprozessuale Revision ist dies in der Literatur umstritten.5 Eine nähere Betrachtung des Problems erscheint daher geboten. 1 Vgl. etwa BAG v. 14.2.2002 – 9 AZB 2/02, EzA § 49 ArbGG 1979 Nr. 8; v. 22.7.2008 – 3 AZB 26/08, BAGE 127, 173. 2 Vgl. etwa BVerwG v. 23.1.2009 – BVerwG 5 B 110.08, BeckRS 2009, 31216. 3 Vgl. etwa BSG v. 19.12.2018 – B 8 SO 87/18 S, BeckRS 2018, 36901. 4 Vgl. etwa BFH v. 13.6.2012 – V B 36/12, BFH/NV 2012, 1611. 5 Eine Inzidentprüfung bejahen etwa: Vollkommer, Das Ablehnungsverfahren der FGO nach dem Zweiten FGO-Änderungsgesetz – ein Modell für die anderen Verfahrensordnungen?, NJW 2001, 1827; Vollkommer in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 46 ZPO Rz. 14a; Gehrlein in MünchKomm. ZPO, 4. Aufl. 2013, § 46 ZPO Rz. 2; Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, 16. Aufl. 2019, § 46 ZPO Rz. 4; sie verneinen etwa: Gerken in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2015, § 46 ZPO Rz. 15; Prütting in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2014, § 557 ZPO Rz. 13; Krüger in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 557 ZPO Rz. 17; Koch in Saenger, ZPO, 8. Aufl. 2019, § 557 ZPO Rz. 10; Ball in Musielak/Voit, ZPO, 16. Aufl. 2019, § 557 ZPO Rz. 11; Jacobs in Stein/Jonas, ZPO, 23.  Aufl. 2018, §  557 Rz.  17; Vossler in BeckOK ZPO, 32.  Ed. Stand

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II. Selbständige Anfechtung zivilprozessualer Ablehnungs­ entscheidungen Hierfür ist zunächst in den Blick zu nehmen, in welchem Umfang die  – nach §  46 Abs. 1 ZPO durch Beschluss zu treffende – Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch nach der Zivilprozessordnung selbständig anfechtbar ist. Eine besondere Regelung hat diese Frage in § 46 Abs. 2 ZPO erfahren. Danach ist zu unterscheiden zwischen stattgebenden und ablehnenden Entscheidungen. Gegen einen Beschluss, der das Gesuch für begründet erklärt, findet nach § 46 Abs. 2 Hs. 1 ZPO kein Rechtsmittel statt. Hierfür sei, heißt es in der Begründung des Entwurfs einer Civilprozeßordnung, kein Bedürfnis, denn der ablehnenden Partei sei Genüge geschehen und dem Gegner müsse die Ersetzung des abgelehnten Richters durch einen anderen Richter gleichgültig sein, da prinzipiell alle Richter zur Entscheidung des Rechtsstreits gleich befähigt seien und die Parteien auf bestimmte Personen der Richter kein Recht hätten.6 Gegen einen Beschluss, durch den das Gesuch für unbegründet erklärt wird, findet dagegen nach § 46 Abs. 2 Hs. 2 ZPO die – hier, ohne dass dies in der Gesetzbegründung Niederschlag gefunden hätte, offensichtlich als erforderlich angesehene – sofortige Beschwerde statt. Dieses scheinbare Versprechen einer uneingeschränkten Anfechtbarkeit (nur) von Ablehnungsgesuche zurückweisenden Beschlüssen wird indessen durch die allgemeinen Regelungen des Rechtsmittelrechts teilweise revidiert. Dies allerdings ist Folge einer längeren Rechtsentwicklung: –– Bei Inkrafttreten der Civilprozeßordnung vom 30.1.1877 hatte § 46 Abs. 2 Hs. 2 ZPO noch zur Folge, dass jeder ein Ablehnungsgesuch zurückweisende Beschluss eines Instanzgerichts uneingeschränkt anfechtbar war. Denn nach §  530 Abs.  1 CPO 1877/§ 567 Abs. 1 CPO 1898 fand das Rechtsmittel der Beschwerde „in den in diesem Gesetz besonders hervorgehobenen Fällen“ unabhängig davon statt, ob die anzufechtende Entscheidung im ersten oder zweiten Rechtszug vom Amts-, Land- oder Oberlandesgericht erlassen worden war; Beschwerdegericht war nach § 531 Abs. 1 CPO 1877/§ 568 Abs. 1 CPO 1898 die nächsthöhere Instanz, für Entscheidungen der Oberlandesgerichte mithin nach §  135 Nr.  2 GVG 1898 das Reichsgericht. Eingeschränkt war das Rechtsmittel nur dadurch, dass es sich – zur Sicherung „gegen eine schädliche Verschleppung des Rechtsstreits, dessen Fortgang ohnehin durch das Verfahren über das Ablehnungsgesuch aufgehalten wird“7 – um eine sofortige Beschwerde i.S.d. § 540 CPO 1877/§ 577 CPO 1898 handelte, die – anders als die seinerzeit unbefristete „normale“ Beschwerde – nur innerhalb von zwei Wochen eingelegt werden konnte. Auch gegen die in der Beru1.3.2019, §  46 ZPO Rz.  14; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 77. Aufl. 2019, § 557 ZPO Rz. 8 „Befangenheit“. 6 RT-Drucks. 6 der II. Session der II. Legislaturperiode, Vhdl. des Deutschen Reichstags, Bd. 36, 1874/75, S. 418 = Hahn/Stegemann, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 2. Aufl. 1881, S. 165. 7 RT-Drucks. 6 der II. Session der II. Legislaturperiode, Vhdl. des Deutschen Reichstags, Bd. 36, 1874/75, S. 418 = Hahn/Stegemann, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 2. Aufl. 1881, S. 165.

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fungsinstanz durch das Oberlandesgericht erfolgte Zurückweisung eines dort gestellten Ablehnungsgesuchs konnte daher ursprünglich befristet Beschwerde eingelegt werden, über die das Reichsgericht8 entschied. –– Diese über 30 Jahre geltende Rechtslage änderte sich 1910 durch das zur Ent­lastung des Reichsgerichts geschaffene Gesetz, betreffend die Zuständigkeit des Reichsgerichts,9 grundlegend:10 Durch Änderung des (mit der Novelle 1898 eingefügten11 und mit der Novelle 1905 verschärften)12 § 567 Abs. 2 CPO 189813 wurden generell Beschwerden gegen Entscheidungen der Oberlandesgerichte unzulässig und durch Änderung des § 135 GVG 189814 wurde dem Reichsgericht seine Funktion als Beschwerdegericht in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten genommen. Dies hatte zur Folge, dass nunmehr – ungeachtet des unveränderten Wortlauts von § 46 Abs. 2 Hs. 2 ZPO – die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs durch ein Oberlandesgericht unanfechtbar war15 und sich die in § 46 Abs. 2 Hs. 2 ZPO versprochene Anfechtungsmöglichkeit tatsächlich auf Entscheidungen der Amts- und (erst- oder zweitinstanzlich entscheidenden) Landgerichte beschränkte. –– Die letzte weitreichende Änderung erfolgte zum 1.1.2002 durch das Zivilprozessreformgesetz.16 Dieses änderte zwar nichts an der 1910 erfolgten Abschaffung der (im Übrigen nunmehr stets befristeten) Beschwerde gegen eine Entscheidung des Oberlandesgerichts, sondern ging noch darüber hinaus, indem nach § 567 Abs. 1 ZPO nur noch im ersten Rechtszug ergangene Entscheidungen der Amts- und Landgerichte mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden können und somit auch Entscheidungen der Landgerichte im Berufungsverfahren der Beschwerde entzogen sind. Durch die Schaffung des neuen Rechtsmittels der Rechtsbeschwerde (§§ 574 ff. ZPO) und die Änderung des § 135 GVG ist aber das Revisionsgericht – jetzt der Bundesgerichtshof – nach gut 90 Jahren wieder (Rechts-)Beschwerdegericht geworden. Allerdings ist die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 1 ZPO 8 Vgl. etwa RG v. 23.4.1907 – Beschw.-Rep. VII 49/07, RGZ 66, 46. 9 V. 22.5.1910, RGBl., S. 767; Begründung: RT-Drucks. 309 der II. Session der 12. Legislaturperiode, Vhdl. des Deutschen Reichstags, Bd. 273, 1911. 10 Vgl. hierzu auch RG v. 26.6.1913 – IV 248/13, RGZ 83, 1, 2. 11 Durch Nr. 122 des Gesetzes, betreffend Änderungen der Civilprozeßordnung, v. 17.5.1898, RGBl., S. 256, 279, wurde dem § 530 ZPO 1877 (anschließend umnummeriert in § 567 ZPO 1898) ein zweiter Absatz angehängt mit dem Wortlaut: „Gegen die in Betreff der Prozeßkosten erlassenen Entscheidungen der Oberlandesgerichte ist die Beschwerde nur zulässig, wenn die Beschwerdesumme den Betrag von einhundert Mark übersteigt.“ 12 Durch Art.  I Nr.  9 des Gesetzes, betreffend Änderungen der Zivilprozeßordnung, v. 5.6.1905, RGBl., S. 536, erhielt § 567 Abs. 2 ZPO 1898 die Fassung „Gegen die in betreff der Prozeßkosten erlassenen Entscheidungen der Oberlandesgerichte ist eine Beschwerde nicht zulässig.“ 13 Mit Art. II Nr. 9 des Gesetzes, betreffend die Zuständigkeit des Reichsgerichts, v. 22.5.1910, RGBl., S. 767, 768, wurden in § 567 Abs. 2 ZPO 1898 die einschränkenden Worte „in betreff der Prozeßkosten erlassenen“ gestrichen. 14 Art.  I Nr.  2 des Gesetzes, betreffend die Zuständigkeit des Reichsgerichts, v. 22.5.1910, RGBl., S. 767. 15 Vgl. etwa RG v. 1.2.1933 – V 406/32, JW 1933, 1058. 16 Gesetz zur Reform des Zivilprozesses v. 27.7.2001, BGBl. I 1887.

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nur statthaft, wenn sie entweder allgemein im Gesetz ausdrücklich als statthaftes Rechtsmittel bezeichnet oder aber im Einzelfall vom Beschwerde-, Berufungsbzw. (ausnahmsweise, z.B. nach §§ 119 Abs. 3 Satz 1, 201 Abs. 1 Satz 1 GVG oder § 129 VGG erstinstanzlich zuständigen) Oberlandesgericht zugelassen worden ist. Ein Beschluss des Beschwerde-, Berufungs- oder Oberlandesgerichts, mit dem ein Ablehnungsgesuch zurückgewiesen worden ist, ist daher zwar weiterhin – entgegen dem Wortlaut des § 46 Abs. 2 Hs. 2 ZPO – nicht mit der Beschwerde anfechtbar.17 Insoweit kommt aber nunmehr aufgrund der allgemeinen Regelung in § 574 ZPO eine Rechtsbeschwerde in Betracht. Diese ist allerdings, da in § 46 Abs. 2 ZPO selbst nicht genannt, gem. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO nur statthaft, wenn sie im  Beschluss zugelassen worden ist;18 die Möglichkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde gibt es nicht.19 Diese Rechtslage gilt im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit inzwischen entsprechend (vgl. §§ 6, 70 Abs. 1 FamFG).

III. Inzidente Überprüfung zivilprozessualer Ablehnungsentscheidungen 1. Rechtlicher Rahmen Nach den §§ 512, 557 Abs. 2 ZPO unterliegen bei Anfechtung der Endentscheidung im Grundsatz auch die dieser vorausgegangenen Zwischenentscheidungen (auf entsprechende Rüge) der Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht. Solche der End­ entscheidung vorausgegangenen Zwischenentscheidungen binden nach §  318 ZPO das erlassende Gericht, nicht aber das nachfolgende Rechtsmittelgericht; eine „Abschichtung“ der mit der Zwischenentscheidung beantworteten Fragen findet mithin nur für die Instanz selbst, nicht aber für das weitere Verfahren statt.20 Mit einer solchen inzidenten Überprüfung bei Anfechtung der Endentscheidung an Stelle eines selbständigen Instanzenzugs für die Zwischenentscheidungen beabsichtigte der Gesetzgeber eine Konzentration des Rechtsmittelverfahrens.21 Indessen unterliegen nicht alle Zwischenentscheidungen einer solchen Inzidentprüfung. Ausgenommen sind im Berufungsverfahren nach §  512 ZPO unanfechtbare oder mit der sofortigen Beschwerde anfechtbare Zwischenentscheidungen und im Revisionsverfahren nach § 557 Abs. 2 ZPO (nur) unanfechtbare Zwischenentscheidungen. Damit sind insgesamt drei Kategorien von Zwischenentscheidungen angesprochen, nämlich „unanfechtbare“, „anfechtbare“ und „sonstige“ Zwischenentscheidungen: 17 BGH v. 13.1.2003 – XI ZR 357/01, WM 2003, 848, 849; BGH v. 8.11.2004 – II ZB 24/03, NJW-RR 2005, 294; BGH v. 24.11.2008 – II ZB 4/08, NJW-RR 2009, 465 Rz. 6. 18 BGH v. 13.1.2003 – XI ZR 357/01, WM 2003, 848, 849; v. 8.11.2004 – II ZB 24/03, NJW-RR 2005, 294. Als Beispiel einer zugelassenen Rechtsbeschwerde vgl. BGH v. 21.6.2018 – I ZB 58/17, NJW 2019, 516. 19 Vgl. nur BGH v. 24.11.2008 – II ZB 4/08, NJW-RR 2009, 465 Rz. 13. 20 Vgl. BGH v. 17.12.2008 – XII ZB 125/06, MDR 2009, 1000, Rz. 21. 21 Vgl. zu § 453 CPO-E = § 512 ZPO – RT-Drucks. 6 der II. Session der II. Legislaturperiode, Vhdl. des Deutschen Reichstags, Bd. 36, 1874/75, S. 514 = Hahn/Stegemann, Die gesammten Materialien zur Civilprozeßordnung, 2. Aufl. 1881, S. 350.

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–– „Unanfechtbare“ Zwischenentscheidungen sind jedenfalls solche, die vom Gesetz ausdrücklich als unanfechtbar bezeichnet werden.22 Durch ihre Nennung in den §§ 512, 557 Abs. 2 ZPO werden sie nicht nur einer selbständigen Anfechtung, sondern im weiteren Verfahren auch einer Inzidentprüfung entzogen und sind daher überhaupt nicht nachprüfbar. –– „Anfechtbare“ Zwischenentscheidungen sind jedenfalls die in § 512 ZPO genannten Entscheidungen, für die im Gesetz ausdrücklich die sofortige Beschwerde als Rechtsmittel vorgesehen ist (§ 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Dies sind außer der hier erörterten negativen Ablehnungsentscheidung insbesondere bestimmte Zwischenurteile23 sowie eine Reihe von Beschlüssen.24 Bei diesen Zwischenentscheidungen geht es – anders als bei den „unanfechtbaren“ Zwischenentscheidungen – nicht um die Beschränkung der Nachprüfbarkeit, sondern um eine Ausnahme von dem den §§ 512, 557 Abs. 2 ZPO zugrundeliegenden Konzentrationsprinzip. Diese Ausnahme ist regelmäßig deshalb erforderlich, weil es um Fragen geht, die Grundlagen der Endentscheidung betreffen, und daher aus prozessökonomischen Gründen vor Erlass der Endentscheidung abschließend geklärt sein müssen, so dass ihre Nachprüfung nicht erst im Rahmen der Überprüfung der Endentscheidung erfolgen kann. Solche Zwischenentscheidungen sind selbständig der (formellen) Rechtskraft fähig, die auch das Rechtsmittelgericht bei der anschließenden Überprüfung der nachfolgenden Endentscheidung bindet, so dass sie nicht nur innerhalb der In­ stanz, sondern für das gesamte Verfahren eine Abschichtung bewirken. –– „Sonstige“ Zwischenentscheidungen sind alle diejenigen der Endentscheidung vorausgehenden Entscheidungen, deren Anfechtung im Gesetz nicht geregelt ist. Beispiele sind die nach § 303 ZPO allgemein möglichen, nicht spezieller geregelten Zwischenurteile. Dass gegen sie kein selbständiges Rechtsmittel gegeben ist (nach den allgemeinen Vorschriften sind Berufung und Revision nur gegen Endurteile, Beschwerde und Rechtsbeschwerde nur gegen Beschlüsse statthaft), macht sie nicht zu „unanfechtbaren“ Zwischenentscheidungen; vielmehr ist ihre Anfechtung in den §§ 512, 557 Abs. 2 ZPO durch den dort formulierten Grundsatz der inzidenten Nachprüfung zusammen mit der Endentscheidung geregelt. Diese Kategorisierung gilt im Grundsatz auch für § 557 Abs. 2 ZPO, auch wenn dort die Ausnahme „anfechtbarer“ Zwischenentscheidungen nicht (mehr) genannt ist. Die  dort ursprünglich ebenfalls genannte Ausnahme ist mit der bereits erwähnten Abschaffung der Beschwerde zum Revisionsgericht im Jahre 1910 gestrichen worden.25 Bei der Schaffung der Rechtsbeschwerde mit der ZPO-Reform ist dieser Zu22 Z.B. §§ 37 Abs. 2, 46 Abs. 2 Hs. 1, 79 Abs. 3, 128a Abs. 3 Satz 2, 160 Abs. 4 Satz 3, 227 Abs. 4 Satz 3, 238 Abs. 3, 268, 281 Abs. 2 Satz 2, 319 Abs. 3 Hs. 1, 336 Abs. 2, 348 Abs. 2, 406 Abs. 5 Hs. 1, 490 Abs. 2 Satz 2 ZPO. 23 Vgl. §§ 71 Abs. 2, 135 Abs. 3, 387 Abs. 3, 372a Abs. 2 Satz 1, 402 ZPO. 24 Vgl. etwa §§ 78b Abs. 2, 78c Abs. 3, 252, 319 Abs. 3 Hs. 2, 336 Abs. 1 Satz 1, 406 Abs. 5 Hs. 2 ZPO. 25 In § 548 ZPO 1898, dessen Inhalt mit der ZPO-Reform in § 557 Abs. 2 ZPO übernommen wurde, wurden durch Art. III Nr. 6 des Gesetzes, betreffend die Zuständigkeit des Reichsgerichts, v. 22.5.1910, RGBl., S. 767, 768, die Worte „oder mit der Beschwerde anfechtbar“

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sammenhang offenkundig nicht erkannt und die notwendige Folgeänderung in § 557 Abs. 2 ZPO nicht vorgenommen worden; es steht indessen außer Frage, dass selbständig (nunmehr: mit der Rechtsbeschwerde) anfechtbare Zwischenentscheidungen auch im Revisionsverfahren einer Inzidentprüfung entzogen sind.26 2. Anwendung der §§ 512, 557 Abs. 2 ZPO auf zurückweisende Ablehnungs­ entscheidungen a) Ausgangspunkt Ob Entscheidungen über ein Ablehnungsgesuch auf ein Rechtsmittel gegen die nachfolgende Endentscheidung inzident überprüft werden können, hängt mithin davon ab, ob es sich um „unanfechtbare“, „anfechtbare“ oder „sonstige“ Zwischenentscheidungen i.S.d. §§ 512, 557 Abs. 2 ZPO handelt. Für den dem Ablehnungsgesuch stattgebenden Beschluss ist die Rechtslage insoweit klar, weil gegen diesen Beschluss nach der ausdrücklichen Regelung in § 46 Abs. 2 Hs. 1 ZPO kein Rechtsmittel stattfindet, er mithin „unanfechtbar“ und damit auch einer Inzidentprüfung nach §§ 512, 557 Abs. 2 ZPO entzogen ist. Dagegen ist dies für zurückweisende Beschlüsse nur scheinbar klar, wenn diese in § 46 Abs. 2 Hs. 2 ZPO für mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar erklärt werden. Danach kann zwar nicht zweifelhaft sein, dass in der Berufungsinstanz eine Inzidentprüfung solcher zurückweisenden Beschlüsse  – weil i.S.d. §  512 ZPO „anfechtbar“ – ausgeschlossen ist. Für die Behandlung von zurückweisenden Anlehnungsentscheidungen der Berufungsgerichte in der Revisionsinstanz ergibt sich indessen das Problem, dass gegen solche Entscheidungen (seit 1910) eine Beschwerde generell nicht und die durch das ZPO-Reformgesetz geschaffene Rechtsbeschwerde nur bei Zulassung statthaft ist. Soweit danach im konkreten Fall ein Rechtsmittel nicht gegeben ist, stellt sich für die Anwendung des § 557 Abs. 2 ZPO die Frage, ob die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs durch das Berufungs- bzw. Oberlandesgericht eine (mangels Statthaftigkeit des allgemein gegebenen Rechts­mittels) „unanfechtbare“, eine (mit dem im Allgemeinen gegebenen Rechtsmittel) „anfechtbare“ oder aber (weil zwar kein statthaftes Rechtsmittel gegeben ist, die Unanfechtbarkeit im Gesetz aber nicht ausgesprochen ist) eine „sonstige“ Zwischenentscheidung ist. b) Meinungsstand zur Inzidentprüfung im Revisionsverfahren aa) Rechtsprechung Das Reichsgericht hat nach der Abschaffung der Beschwerde gegen Beschlüsse der Oberlandesgerichte mit der Gesetzesänderung des Jahres 1910 die Auffassung vertreten, solche Beschlüsse seien nunmehr mangels eines statthaften Rechtsmittels generell „unanfechtbar“ und damit auch einer Inzidentprüfung nach § 548 ZPO a.F. (= § 557 (als nunmehr überflüssig, vgl. RT-Drucks. 309 der II. Session der 12.  Legislaturperiode, Vhdl. des Deutschen Reichstags, Bd. 273, 1911, S. 14; RG v. 26.6.1913 – IV 248/13, RGZ 83, 1, 2) gestrichen. 26 Vgl. etwa BGH v. 25.10.2007 – IX ZB 76/06, BeckRS 2007, 18646 Rz. 2; Ball in Musielak/ Voit, ZPO, 16. Aufl. 2019, § 557 ZPO Rz. 11 m.w.N.

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Abs. 2 ZPO) entzogen.27 Die Möglichkeit einer inzidenten Überprüfung der Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs durch das Oberlandesgericht in dem die nachfolgende Endentscheidung betreffenden Revisionsverfahren hat es daher – ohne weitere Problematisierung – abgelehnt.28 Der Bundesgerichtshof hat sich nach dem Inkrafttreten der ZPO-Reform mit der Frage der inzidenten Überprüfung einer das Ablehnungsgesuch zurückweisenden Entscheidung des Berufungsgerichts im Revisionsverfahren erstmals in einem Beschluss vom 8.11.2004 befasst und sie auch unter der neuen Rechtslage verneint.29 Diese Entscheidung ist allerdings aus zwei Gründen unergiebig. Zum einen verweist sie zur Begründung lediglich auf einen in diesem Zusammenhang häufig zitierten Beschluss vom 11.7.1985, der indessen ein Verfahren nach dem PatG betrifft, bei dem nach Ansicht des Bundesgerichtshofs hinsichtlich der Anfechtbarkeit der hier in Frage stehenden Entscheidungen (mangels Verweisung auf § 46 Abs. 2 ZPO) gerade anderes gelten soll.30 Zum anderen war die Erwägung zur Inzidentprüfung auch nicht tragend, da es lediglich um die Frage der Statthaftigkeit einer (nicht zugelassenen) Rechtsbeschwerde ging. Die Entscheidung tragend hat der Bundesgerichtshof dann aber eine inzidente Überprüfung in einem Beschluss vom 30.11.2006 abgelehnt, weil er unter – allerdings, wie gezeigt, nicht weiterführender – Bezugnahme auf die beiden vorgenannten Entscheidungen von einer „Unanfechtbarkeit“ der Entscheidung i.S.d. § 557 Abs. 2 ZPO ausgegangen ist.31 Dieser Standpunkt wird – anders als dies gelegentlich in der Literatur suggeriert wird32 – nicht durch einen zu § 512 ZPO ergangenen Beschluss vom 18.10.200633 in Frage gestellt. In diesem Beschluss hat der Bundesgerichtshof (allerdings wiederum nicht entscheidungstragend) zwar die Auffassung vertreten, dass im konkreten Fall eine in erster Instanz erfolgte Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs ungeachtet der in diesem Falle gegebenen Anfechtbarkeit vom Berufungsgericht inzident überprüft werden könne. Ausschlaggebend hierfür war indessen, dass das Ablehnungsgesuch durch den Erlass der Endentscheidung „überholt“ worden war. Daher sei, so der Bundesgerichtshof, der sofortigen Beschwerde 27 RG v. 23.2.1915 – VII 325/14, JW 1915, 592, 593; RG v. 19.10.1917 – II 350/17, Nachschlagewerk des RG, § 548 Nr. 6; RG v. 14.12.1922 – IV 166/22, RGZ 106, 57, 58; offengelassen noch von RG v. 26.6.1913 – IV 248/13, RGZ 83, 1, 3. 28 RG v. 1.2.1933 – V 406/32, JW 1933, 1058. 29 BGH v. 8.11.2004 – II ZB 24/03, NJW-RR 2005, 294, 295. 30 BGH v. 11.7.1985 – X ZB 18/84, BGHZ 95, 302, 306; bestätigt von BGH v. 21.12.1989 – X ZB 19/89, BGHZ 110, 25, 26. 31 BGH v. 30.11.2006 – III ZR 93/06, NJW-RR 2007, 775, Rz. 4. Auf derselben Linie liegt BGH v. 3.2.2012 – IX ZR 111/10, BeckRS 2011, 03872 Rz. 2, wo die inzidente Überprüfung einer mangels Zulassung der Rechtsbeschwerde „unanfechtbaren“ Beschwerdeentscheidung bezüglich einer Verfahrensaussetzung abgelehnt worden ist (der dort enthaltene Hinweis auf BAG v. 23.9.2008 – 6 AZN 84/08, NJW 2009, 1693, Rz. 5, führt allerdings in die Irre, weil im arbeitsgerichtlichen Verfahren der ein Ablehnungsgesuch zurückweisender Beschluss – wenn auch dort ebenfalls unerkannt – abweichend von § 46 Abs. 2 ZPO nach § 49 Abs. 3 ArbGG stets unanfechtbar ist). 32 Vgl. Vollkommer in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 46 ZPO Rz. 14a; Heinrich in Musielak/ Voit, ZPO, 16. Aufl. 2019, § 46 ZPO Rz. 4. 33 BGH v. 18.10.2006 – XII ZB 244/04, NJW-RR 2007, 411, Rz. 9.

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das Rechtsschutzbedürfnis abhandengekommen und auch die selbständige Anfechtbarkeit entfallen; damit sei (da auch keine „Unanfechtbarkeit“ vorliege) die Inzidentprüfung eröffnet. Eine weitergehende Einschränkung der Ausnahmen der §§ 512, 557 Abs. 2 ZPO ergibt sich hieraus ersichtlich nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier interessierende Frage in Kammerbeschlüssen vom 24.5.2006, 27.11.2006 und 12.1.2009 angesprochen. In den beiden ersten Entscheidungen hat es dabei – ohne eigene Bewertung – abweichende Rechtslagen angenommen: Im Beschluss vom 24.5.2006 ist es unter Bezugnahme auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 8.11.2004 davon ausgegangen, dass eine inzi­ dente Überprüfung nicht in Betracht komme,34 im Beschluss vom 27.11.2006 unter Bezugnahme auf die in der Literatur von Vollkommer und Heinrich vertretene Meinung (vgl. nachfolgend) hingegen davon, dass eine Inzidentprüfung stets stattfinde.35 Im Beschluss vom 12.1.2009 ist dann klargestellt worden, dass im Beschluss vom 27.11.2006 die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht berücksichtigt worden sei.36 Eine verfassungsrechtliche Bewertung dieser Rechtslage hat das Bundesverfassungsgericht lediglich dergestalt vorgenommen, dass es eine verfassungskonforme Auslegung des § 321a Abs. 1 Satz 2 ZPO für erforderlich gehalten hat, die die Anhörungsrüge nur für solche Zwischenentscheidungen ausschließt, die im Hinblick auf mögliche Gehörsverletzungen im weiteren fachgerichtlichen Verfahren noch überprüft und korrigiert werden können, mithin bei Verneinung sowohl einer selbständigen Anfechtung als auch einer Inzidentprüfung eine (dem Gesetzeswortlaut nach nur gegen Endentscheidungen gegebene) Anhörungsrüge möglich sein muss.37 bb) Literatur In der Literatur wird von Vollkommer38 und – ihm folgend – Heinrichs39 und Gehrlein40 eine von der des Bundesgerichtshofs abweichende Position vertreten.41 Danach 34 BVerfG v. 24.5.2006 – 1 BvR 1060/02, 1 BvR 1139/03, BVerfGK 8, 107, 117. 35 BVerfG v. 27.11.2006 – 1 BvR 2719/06, NJW-RR 2007, 409, 410. 36 BVerfG v. 12.1.2009 – 1 BvR 3113/08, NJW 2009, 833 Rz. 17. 37 BVerfG v. 12.1.2009  – 1 BvR 3113/08, NJW 2009, 833 Rz.  19.  Zum arbeitsgerichtlichen Verfahren (in dem die hier in Rede stehenden Entscheidungen allerdings ausdrücklich unanfechtbar sind, § 49 Abs. 3 ArbGG) bereits BVerfG v. 23.10.2007 – 1 BvR 782/07, BVerfGE 119, 292. 38 Vollkommer, Das Ablehnungsverfahren der FGO nach dem Zweiten FGO-Änderungsgesetz – ein Modell für die anderen Verfahrensordnungen?, NJW 2001, 1827; Vollkommer in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 46 ZPO Rz. 14a. 39 Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, 16. Aufl. 2019, § 46 ZPO Rz. 4. 40 Gehrlein in MünchKomm. ZPO, 4. Aufl. 2013, § 46 ZPO Rz. 2 (ohne Hinweis auf die ab­ weichende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs; offen gelassen jetzt von Stackmann in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 46 ZPO Rz. 5). 41 Dem BGH dagegen folgen etwa: Gerken in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2015, § 46 ZPO Rz. 15; Krüger in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2016, § 557 ZPO Rz. 17; Koch in Saenger, ZPO, 8. Aufl. 2019, § 557 ZPO Rz. 10; Vossler in BeckOK ZPO, 32. Ed. Stand 1.3.2019, § 46 ZPO Rz. 14; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 77. Aufl. 2019, § 577 ZPO Rz. 8 „Befangenheit“.

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soll dann, wenn der das Ablehnungsgesuch zurückweisende Beschluss des Berufungsgerichts nicht anfechtbar ist, weil das Berufungsgericht die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen hat, stets eine inzidente Überprüfung des Beschlusses in dem die Endentscheidung betreffenden Revisionsverfahren möglich sein. Zur Begründung wird zunächst auf die hohe Bedeutung des in Art. 101 Abs. 1 Satz 2, 20 Abs. 3 GG und Art. 6 Abs. 1 EMRK verbürgten Anspruchs der Partei auf einen unparteilichen Richter42 sowie darauf verwiesen, dass die Überprüfung der Unparteilichkeit des Richters durch das übergeordnete Gericht nicht von der (ihrerseits unanfechtbaren) Zulassungsentscheidung des unteren Gerichts abhängig sein dürfe.43 Ferner wird angeführt, dass die mit der Beschränkung der Anfechtung angezielte Entlastung des Rechtsmittelgerichts jedenfalls dann bedeutungslos sei, wenn die Hauptsache selbst ohnehin dort anfalle.44 Da Wortlaut und Systematik des § 557 Abs. 2 ZPO nicht weiter angesprochen werden, soll damit wohl eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift geltend gemacht werden. c) Stellungnahme aa) Überprüfung im Rahmen des § 557 Abs. 2 ZPO Wie gezeigt, geht die eine Inzidentprüfung von Zwischenentscheidungen der hier erörterten Art verneinende Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs davon aus, solche Entscheidungen seien wegen der konkret fehlenden Statt­haftigkeit des im Allgemeinen gegebenen Rechtsmittels i.S.d. § 557 Abs. 2 ZPO „unanfechtbar“. Dies kann allerdings nicht überzeugen. Denn wie das Beispiel nicht speziell geregelter Zwischenurteile nach § 303 ZPO zeigt, führt das Fehlen eines statt­ haften Rechtsmittels allein nicht zur „Unanfechtbarkeit“. Diese muss vielmehr ausdrücklich gesetzlich geregelt oder sich doch wenigstens aus der Systematik des Gesetzes ergeben. Ausdrücklich geregelt ist hier aber nur das Gegenteil, nämlich die im Grundsatz gegebene Anfechtbarkeit (mit der sofortigen Beschwerde). Die Beschränkung des Instanzenzuges, die 1910 erfolgte und mit der ZPO-Reform modifiziert wurde, diente lediglich der Entlastung des Revisionsgerichts, das sich nicht weiter mit regelmäßig nur Fragen geringeren Interesses betreffenden Beschwerdeverfahren45 bzw. in Rechtsbeschwerdeverfahren nur noch mit Fragen von Allgemeinbedeutung beschäftigen sollte. Vollkommer ist zuzugeben, dass dieser Gesetzeszweck nicht mehr tangiert ist, wenn sich das Revisionsgericht auf die Anfechtung der Endentscheidung hin ohnehin mit der Sache befassen muss. Den allein den Umfang der selbständigen Anfechtbarkeit regelnden, § 557 Abs. 2 ZPO ersichtlich nicht in den Blick nehmenden 42 Vollkommer, Das Ablehnungsverfahren der FGO nach dem Zweiten FGO-Änderungsgesetz  – ein Modell für die anderen Verfahrensordnungen?, NJW 2001, 1827, 1828, 1829; Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, 16. Aufl. 2019, § 46 Rz. 4. 43 Vollkommer, Das Ablehnungsverfahren der FGO nach dem Zweiten FGO-Änderungsgesetz – ein Modell für die anderen Verfahrensordnungen?, NJW 2001, 1827, 1831. 44 Vollkommer, Das Ablehnungsverfahren der FGO nach dem Zweiten FGO-Änderungsgesetz – ein Modell für die anderen Verfahrensordnungen?, NJW 2001, 1827, 1828. 45 Vgl. RT-Drucks. 309 der II. Session der 12. Legislaturperiode, Vhdl. des Deutschen Reichstags, Bd. 273, 1911, S. 14.

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Gesetzesänderungen kann daher nicht entnommen werden, dass damit zugleich ein endgültiger Ausschluss jeder Nachprüfung verbunden sein sollte. Die Annahme einer „Unanfechtbarkeit“ der hier erörterten Zwischenentscheidungen dürfte allerdings maßgeblich durch die 1910 erfolgte Verkürzung des Wortlauts des heutigen § 557 Abs. 2 ZPO geprägt sein. Wie ausgeführt, sind der Inzidentprüfung nach § 512 ZPO aber seit der ZPO-Reform auch (mit der Rechtsbeschwerde) „anfechtbare“ Zwischenentscheidungen entzogen. Sehr viel näher liegt daher die Annahme, dass die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs durch ein Berufungsgericht deshalb einer Inzidentprüfung entzogen ist, weil es sich um eine „anfechtbare“ Zwischenentscheidung handelt. Denn eine solche Zwischenentscheidung ist, wie ebenfalls bereits ausgeführt, mit der Rechtsbeschwerde anfechtbar. Dass die Rechtsbeschwerde im Einzelfall mangels Zulassung nicht statthaft ist, führt nicht zum Fortfall der „Anfechtbarkeit“ i.S.d. ergänzend ausgelegten § 557 Abs. 2 ZPO. Denn die He­ rausnahme der „anfechtbaren“ Zwischenentscheidungen beruht, wie ausgeführt, auf der prozessualen Notwendigkeit einer bindenden Klärung bestimmter Grundlagenfragen vor Erlass der Endentscheidung und daher auf dem Inhalt der betroffenen Zwischenentscheidungen. Die bezweckte Abschichtung wird auch dann erreicht, wenn im Einzelfall die „Anfechtbarkeit“ mangels Statthaftigkeit des an sich gegebenen Rechtsmittels leerläuft, weil auch dann die Zwischenentscheidung in Rechtskraft erwächst und die für solche Entscheidungen erwünschte Bindung für das Rechtsmittelgericht bei der nachfolgenden Überprüfung der Endentscheidung eintritt. Dem steht auch die auf dem Entlastungsgedanken gestützte Kritik Vollkommers nicht entgegen, weil das prozessuale Bedürfnis nach Abschichtung der betroffenen Fragen hierdurch nicht berührt wird. Danach ist mithin davon auszugehen, dass die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs durch ein Berufungsgericht – ebenso wie andere mit der Rechtsbeschwerde anfechtbare Zwischenentscheidungen – nach Wortlaut und Systematik der §§ 512, 557 Abs. 2 ZPO als eine der Inzidentprüfung entzogene „anfechtbare“ Zwischenentscheidung einzuordnen ist. Die Annahme einer „sonstigen“ Zwischenentscheidung verbietet sich hingegen schon deshalb, weil hier – anders als bei dieser Kategorie kennzeichnend  – mit der Rechtsbeschwerde ein eigenständiges Rechtsmittel im Grundsatz gegeben ist. bb) Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Verfahrensgarantien Es kann sich daher nur die Frage stellen, ob verfassungsrechtliche Erwägungen eine großzügigere Auslegung des § 557 Abs. 2 ZPO erfordern, insbesondere das in der Literatur in dem hier erörterten Zusammenhang genannte Verfahrensgrundrecht der Prozessparteien auf einen unparteilichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2, 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK). Da solche Erwägungen sich allerdings (bislang) auf die Richterablehnung beschränken und ersichtlich nicht, jedenfalls nicht ohne weiteres auf andere Zwischenentscheidungen übertragen werden können, liefe eine hierdurch be­ einflusste Auslegung des §  557 Abs.  2 ZPO auf ein „Sonderrechtsmittelrecht“ im Richterablehnungsverfahren hinaus. Es ist daher zu überlegen, ob dem berechtigten 360

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Anliegen, dem genannten Verfahrensgrundrecht wirkungsvollen Schutz zu verschaffen, nicht bereits auf anerkannter Rechtsgrundlage Genüge getan werden kann. Ausgangspunkt für solche Überlegungen ist die – auch von Vollkommer angesprochene46  – Rechtsprechung zu anderen Verfahrensordnungen, in denen durchweg eine Anfechtung der ein Ablehnungsgesuch zurückweisenden Beschlüsse generell bzw. jedenfalls dann, wenn sie vom Berufungsgericht erlassen wurden, gesetzlich ausgeschlossen ist. Dort ist nämlich im Wesentlichen anerkannt, dass in dem die Endentscheidung betreffenden Revisionsverfahren zwar die Ablehnungsentscheidung selbst nicht überprüfbar ist, dass aber solche Verfahrensmängel geltend gemacht werden können, die als Folge der Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs der angefochtenen Endentscheidung anhaften, was dann angenommen wird, wenn die Zurückweisung gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) verstößt oder ein Verfahrensgrundrecht verletzt, wie den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) oder den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).47 Diese  – bislang von den Zivilgerichten wohl nicht wahrgenommene  – Rechtsprechung kann ohne weiteres auf das Verfahren nach der ZPO übertragen werden. Denn bereits in der Rechtsprechung des Reichsgerichts48 und auch nachfolgend in der des Bundesgerichtshofs49 ist anerkannt, dass eine der inzidenten Überprüfung nach § 557 Abs. 2 ZPO entzogene Zwischenentscheidung nur als solche das Revisionsgericht bindet, während die vom Berufungsgericht aus der durch die Zwischenentscheidung geschaffenen Prozesslage für die Endentscheidung gezogenen Folgerungen der Nachprüfung des Revisionsgerichts unterliegen. Mit entsprechender Verfahrensrüge kann also auch im zivilprozessualen Revisionsverfahren über die absoluten Revisionsgründe des § 547 Nr. 2, 3 ZPO hinaus gerügt (bzw. als Zulassungsgrund i.S.d. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO geltend gemacht) werden, dass an der angefochtenen Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, dessen Mitwirkung nur aufgrund willkürlicher oder gehörswidriger50 Behandlung eines Ablehnungsgesuchs möglich war. Damit kann 46 Vollkommer, Das Ablehnungsverfahren der FGO nach dem Zweiten FGO-Änderungsgesetz – ein Modell für die anderen Verfahrensordnungen?, NJW 2001, 1827. 47 Vgl. aus neuerer Zeit etwa: BAG v. 29.8.2016  – 9 AZN 533/16, BeckRS 2016, 72260; ­BVerwG v. 30.12.2016 – BVerwG 10 B 4.16, BeckRS 2016, 123180 Rz. 6; BFH v. 4.12.2017 – X B 91/17, BFH/NV 2018, 342, Rz. 14; BSG v. 7.12.2017 – B 5 R 208/17 B, BeckRS 2017, 137913 Rz. 9 (zum sozialgerichtlichen Berufungsverfahren vgl. aber BVerfG v. 21.11.2018 – 1 BvR 436/17, NJW 2019, 505), jeweils m.w.N. Zur Auswirkung dieser Rechtsprechung auf die Ausschöpfung des Rechtswegs als Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Verfassungsbeschwerde vgl. BVerfG v. 29.11.2017 − 1 BvR 1904/17, BeckRS 2017, 135906 m. Anm. Tiedemann, jurisPR-ArbR 7/2018 Anm. 7; Toussaint, FD-ZVR 2018, 401842.  48 RG v. 26.6.1913 – IV 248/13, RGZ 83, 1, 3 f.; RG v. 17.4.1939 – IV 210/38, RGZ 160, 157, 160. 49 BGH v. 17.9.1953 – I ZR 139/52, LM § 548 ZPO Nr. 2; BGH v. 2.3.1988 – IVa ZR 316/86, BGHR §  567 Abs.  3 Prozeßkostenhilfe 1.  Zur Berufungsinstanz vgl. auch BGH v. 23.11.1972 – III ZR 13/71, VersR 1973, 158. 50 Insoweit scheidet dann wegen der Anfechtungsmöglichkeit eine Anhörungsrüge nach § 321a ZPO gegen die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs aus, auch wenn man eine solche Zurückweisung mit BVerfG v. 23.10.2007 – 1 BvR 782/07, BVerfGE 119, 292; BVerfG

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zwar nicht die „einfache“ Unrichtigkeit der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch gerügt werden, wohl aber die Verletzung von Verfahrensgrundrechten. Einer „Sonderauslegung“ des § 557 Abs. 2 ZPO bedarf es hierfür nicht.

IV. Ergebnis Weist das Berufungsgericht ein Ablehnungsgesuch zurück, ohne die Rechtsbeschwerde zuzulassen, scheidet nach der vom Bundesverfassungsgericht bislang nicht beanstandeten und zutreffenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch eine in­ zidente Überprüfung i.S.d. § 557 Abs. 2 ZPO in dem die nachfolgende Endentscheidung betreffenden Revisionsverfahren aus. Dies allerdings nicht, weil es sich um eine i.S.d. § 557 Abs. 2 ZPO „unanfechtbare“ Entscheidung handeln würde, sondern wegen der als Ausnahme von dem den §§ 512, 557 Abs. 2 ZPO zugrundeliegenden Konzentrationsprinzip grundsätzlich gegebenen selbständigen Anfechtungsmöglichkeit zur endgültigen verfahrensrechtlichen Abschichtung der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch vor Erlass der Endentscheidung. Den betroffenen Verfahrensgrundrechten der ablehnenden Partei, insbesondere auf den gesetzlichen Richter, kann – ohne dass es insoweit einer Erweiterung des §  557 Abs.  2 ZPO bedürfte  – im Revisionsverfahren durch Rüge der Verletzung der Verfahrensgrundrechte aus den Artt. 3 Abs. 1, 101 Abs. 1 Satz 2, 103 Abs. 1 GG (zugleich Zulassungsgrund i.S.d. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO) Geltung verschafft werden, weil das Revisionsgericht nach allgemeinen Grundsätzen zwar an die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch selbst, nicht aber an die vom Berufungsgericht aus dieser für das angefochtene Endurteil gezogenen Folgerungen gebunden ist. Hierzu reicht es freilich nicht aus, dass die Zurückweisung sich lediglich als (einfach) fehlerhaft erweist. Eine derart weitgehende Überprüfung entspricht aber offensichtlich auch nicht der Intention der  – primär auf verfassungsrechtliche Gesichtspunkte abstellenden  – Kritiker der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 557 Abs. 2 ZPO.

v. 12.1.2009 – 1 BvR 3113/08, NJW 2009, 833, Rz. 19, unter bestimmten Voraussetzungen ungeachtet des § 321a Abs. 1 Satz 2 ZPO für rügefähig hält. Aus den genannten Entscheidungen ergibt sich nichts anderes, denn die Entscheidung vom 23.10.2007 betraf eine (stets unanfechtbare) Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs durch ein oberstes Bundesgericht (BAG) und die Entscheidung vom 12.1.2009 gründet auf der – nach der hier vertretenen Auffassung nicht vollständig zutreffenden  – Annahme, im ZPO-Revisionsverfahren könne eine Gehörsverletzung bei einer solchen Entscheidung nicht geltend gemacht werden.

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Mehr als ein herausragender Jurist Es gibt solche Familien, wenn sie glücklicherweise auch nicht häufig sind – kämen Volkert Vorwerks Eltern, er, seine Brüder und deren Frauen zusammen, säßen acht Personen am Tisch, von denen fünf Juristen wären: der Vater, die drei Brüder und eine Schwägerin, Sie alle haben zumindest das erste juristische Staatsexamen abgelegt. Und dennoch wäre nur einer ein wirklicher Jurist: Volkert Vorwerk. Die Schwägerin und ein Bruder haben weise eine andere Karriere eingeschlagen, erfolgreich, aber ohne dass die Rechtswissenschaften einen bleibenden Eindruck bei ihnen hinterlassen haben. Der Vater, Volkert und der Autor wurden Rechtsanwälte. Nun muss man einräumen, dass der Vater und der Autor diesen Beruf ergriffen, ohne recht zu wissen, warum. Irgendetwas musste man ja werden, und da für das Meiste die Begabung fehlte, bot sich Jura an. Und weil weder der Vater noch der Autor charakterlich zum Beamten oder Angestellten geeignet waren, wurden sie Rechtsanwälte. Das kommt der familiären Neigung zur „Streitbegeisterung“ entgegen  – der Leser mag ein anderes Wort für geeigneter halten. Warum Volkert den Entschluss fasste, Jurist zu werden, weiß der Autor nicht. Als die Entscheidung fiel, war mal wieder – wie so oft in der Frühzeit der Beziehung – „Streit“ in der Familie. Eines aber hat sich herausgestellt: Der Entschluss war richtig. Denn er entspricht einer Vorstellung, die ihn prägt: Die Vernunft sei die wirkmächtigste aller Handlungsauslöser. Die logische Vernunft kann eben nur in der Mathematik oder der Jurisprudenz, also in einem in sich geschlossenen formalen System, in vollem Um­ fange zum Tragen kommen. Da Volkert – das sei ohne Triumph oder gar Häme erwähnt – kein begnadeter Mathematiker ist, bleibt Jura als vernunftgemäße Lösung. Es erklärt Volkert noch mehr, dass er selbst in den Rechtswissenschaften den Kern seiner Tätigkeit nach kurzer Zeit auf den formalsten, und damit vernünftig-logischen Teil der Jurisprudenz gelegt hat, das Prozessrecht. Während Vater und Bruder sich in den Niederungen der Landgerichte mit der Darstellung von Sachverhalten quälten, sich in nächtlichen Sitzungen an Vertragspartnern abarbeiteten, fragte sich Volkert, ob die „Lümmel von der Anwaltsbank“ denn überhaupt wussten, was sie taten. Was häufig nicht der Fall ist: Denn immer sind die Sachverhalte sperrig, wollen nicht so sein, wie es die Paragrafen vorschreiben; waren die Vertragspartner intransigent, bestanden auf ihrer Sicht, und das nicht nur in rechtlichen Fragen. Dagegen kann der Prozessrechtler mit besserem Recht von sich geben: „Das ist soundso, weil …“. Wer so viel Lust an der formalen Vernunft hat wie Volkert, kann – wie ein Journalist es einmal formulierte – mit „genießerischem Vergnügen“ seine Sicht sehr leise vor dem Publikum ausbreiten. Das Publikum hört zu, denn der Autor kennt nur wenige, die so konsequent Jura als logische Wissenschaft betreiben. Dazu gehört zunächst ein 363

Klaus Vorwerk

Höchstmaß an Sachkenntnis; niemand wird sie bei Volkert bestreiten. Dazu gehört aber auch ein Maß an Disziplin, das nur wenige aufbringen. Eine Disziplin, die sich auf alle Lebenslagen auswirkt. Ein in der engen Familie geflügeltes Wort mag das zeigen: Selbst bei baulichen Renovierungsarbeiten besteht Volkerts Ermahnung in den wiederholten Worten: „Mach das ja ordentlich.“ Eine Forderung, die eben nur er weitgehend einhalten kann. Zuletzt gehört dazu ein nicht ermüdender Fleiß. Auch darin übertrifft Volkert die meisten. Während im Ferienhaus der Familie des Autors die Erwachsenen im Liegestuhl in der Sonne lagen, die Kinder kreischten, der Rasen­ trecker brummte, der Wind leise mit den Blättern spielte, Eis in Gläsern klingelte oder von Zungen geschleckt wurde, hörte man im Hintergrund mit nimmermüder Stimme: „Absatz. Einrücken. Anführungsstriche. Der Revisionsführer …“. Nun meinen einige, Disziplin und Fleiß seien Sekundärtugenden, auf die man gut verzichten könne. Was dem Autor an Volkert nach den langen Jahren der gemeinsamen Erfahrungen aber sehr gefällt, sind seine Primärtugenden. Er ist ein verlässlicher Freund. Ein emotionaler Vater, der Freiheit lassen kann. Er kann neue Wege gehen. Er kann verzichten, um es anderen besser gehen zu lassen. Und er ist, wie es eine junge Frau formulierte, die ihn durch Zufall wenige Stunden in kleinerem Kreise erlebte, „superschlau“. Was der Antrieb ist? Volkert wie der Autor können Kritik leicht ertragen – aber nicht, wenn sie berechtigt ist. Denn dann haben sie einen Fehler gemacht, den sie vor sich mehr als jeder andere kritisieren. Und Fehler dürfen nicht vorkommen. Sie sind ein Verstoß gegen den Kodex. Wie der Kodex lautet? Das wissen nur wir zwei. Und das soll auch so bleiben.

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Legal Tech und juristische Methodik Inhaltsübersicht I. Einleitung II. KI und Big Data als Allheilmittel 1. Grundlagen 2. Der Bezug zur juristischen Entscheidungsfindung 3. Der heutige Stand

III. Offene Fragen 1. Datenbeschaffung und Datenintegrität 2. Transparenzproblem – Black Box Effect 3. Rechtliches Gehör

I. Einleitung Volkert Vorwerk ist Honorarprofessor an der Leibniz Universität Hannover. Das Logo seiner Universität stellt einen Ausschnitt aus dem Neujahrsbrief von Gottfried Wilhelm Leibniz an Herzog Rudolf August von Wolfenbüttel vom Januar 1697 dar. In diesem Brief hat Leibniz das Binäre Zahlensystem entwickelt. Das Binäre oder auch ­Duale Zahlensystem bildet bekanntlich die Grundlage der heutigen Computertechnologie und damit auch von Legal Tech. Zwischen dem Thema Legal Tech und Leibniz besteht aber noch eine weitere Verbindung. Leibniz hat nicht nur die mathematische Grundlage der heutigen Informatik entwickelt, sein Anspruch an das „Rechnen“ ging weit über die eigentliche Mathematik hinaus. Er wollte eine „Characteristica Universalis“ schaffen, also eine formale Sprache, mit der sich alle Probleme rechnen lassen. Durch mathematische Rechenoperationen (calculus ratiocinator) sollte so für jede Fragestellung ein eindeutiges Ergebnis gefunden werden.1 Durch diese Symbolsprache wollte Leibniz auch eine „Jurisprudentia Rationalis“ schaffen.2 Der Wunsch nach Eindeutigkeit ist in der Rechtswissenschaft weit verbreitet.3 Montesquieu hat den Richter als Mund des Gesetzes begriffen und als neutrale Staatsgewalt angesehen, weil die Urteile nur eine getreue Kopie der Gesetze zu sein haben.4 Im Grunde galt es über Jahrhunderte hinweg als ein feststehendes Dogma, dass Gesetze sich eindeutig formulieren lassen und daher nicht der Auslegung bedürfen.5

1 Hoffmann, Die Grenzen der Mathematik, 3. Aufl., 2018, S. 1 ff. 2 Schneider, ARSP 52 (1966), S. 553 ff. 3 Hierzu nur Kaufmann, Das Verfahren der Rechtsgewinnung, 1999, S. 1 und ders., Rechts­ philosophie, 2. Aufl., 1997, S. 54 ff. 4 Kaufmann, Rechtsphilosophie, 2. Aufl., 1997, S. 55. 5 Zum Nachweis, Meder, Mißverstehen und Verstehen, 2004, S. 19.

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Und auch heute wird noch an der Idee einer einzigen richtigen Entscheidung fest­ gehalten. So soll Dworkins Herkules6 auch in schwierigen Fällen, sogenannten hard cases, eine einzige, richtige Antwort finden. Canaris hat diese Idee als regulative Leitvorstellung richterlichen Handelns aufgegriffen.7 Für die juristische Methodenlehre ist die Erkenntnis von Kant, dass jede Rechtsanwendung immer auch ein Stück Rechtserzeugung ist,8 eine der großen Herausforderungen. Mit abstrakten Gesetzesnormen lassen sich konkrete Entscheidungen jedoch nur bis zu einem bestimmten Grad vom Gesetzgeber determinieren.9 Nach Kant vermag der Verstand Regeln zu bilden, hingegen bedürfe es der Urteilskraft, um unter diese [abstrakten] Regeln zu subsumieren. Da die allgemeine Logik von allen Erkenntnissen abstrahiert, könnte sie keine Vorschriften über die Urteilskraft enthalten: „Wollte sie [die allgemeine Logik] nun allgemein zeigen, wie man unter diese Regel subsumiert, d.h. unterscheiden sollte, ob etwas darunter steht oder nicht, so könne dieses nicht anders als wieder durch eine Regel geschehen. Die erfordert eben darum, weil es eine Regel ist, aufs Neue eine Unterweisung der Urteilskraft …“.10 Auf diese Einsicht hat die Rechtswissenschaft seit dem 19. Jahrhundert mit ganz unterschiedlichen Erklärungsmodellen geantwortet.11 Um hier nur einige Schlagworte zu nennen: Begriffsjurisprudenz, Interessensjurisprudenz, Wertungsjurisprudenz und Freirechtsschule. Allerdings wird die Erkenntnis, dass aus abstrakten Regeln kein konkretes Urteil mit mathematischer Genauigkeit abgeleitet werden kann, vielfach durch die Überbetonung des Justizsyllogismus verdrängt.12 Rechtsanwendung stellt sich in diesem Sinne als rein logische Operation im Modus barbara dar.13 Spätestens aber komplexere Fragestellungen sind nicht einfach nur unter das Gesetz subsu­ mierbar.14 Vielmehr bedarf es einer Wertung, welche in letzter Konsequenz der entscheidende Richter zu verantworten hat. Der sogenannten objektiven Auslegung, welche Rüthers treffend als subjektive Einlegung bezeichnet,15 lässt sich der Vorwurf machen, dass man nicht hinreichend deutlich macht, in welchem Umfang man als Richter selbst Wertungen vornehmen muss und wo die Steuerung durch den Gesetzgeber notwendigerweise aufhören muss. Das Bekenntnis zur rechtspolitischen Eigen 6 Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen, S. 144 ff.; vgl. hierzu Langenbucher, Die Entwicklung und Auslegung von Richterrecht, S.  30  ff.; Sinclair, Hercules, Omniscience, Omni­ potence, and the Right Answer Thesis 19 N.Y.L. Sch. J. Hum. Rts. (2003), S. 77.  7 Canaris, Richtigkeit und Eigenwert in der richterlichen Rechtsfindung, in: Grazer Universitätsreden, Ehrenpromotion des Herrn o. Univ.-Prof. Dr. Claus-Wilhelm Canaris, Graz, 1993, 22, S. 41. Hiergegen Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 7. Aufl., 2013, Rz. 491. 8 Bogdandy/Venzke, In wessen Namen, 2014, S. 138 f. 9 Bogdandy/Venzke, In wessen Namen, 2014, S. 138. 10 Kant, Werke, Bd. 3, Darmstadt, 1983, Kritik der reinen Vernunft, S. 184 (A 133). 11 Bogdandy/Venzke, ZaöRV 70 (2010), S. 12. 12 Allgemein zur Subsumtion z.B. Tettinger/Mann, Einführung in die juristische Arbeitstechnik, 5. Aufl., 2015, Rz. 248 ff. 13 Alle Menschen sind sterblich; Sokrates ist ein Mensch; Sokrates ist sterblich, hierzu Kaufmann, Rechtsphilosophie, 2. Aufl., 1997, S. 71. 14 Deutlich die Kritik z.B. bei Kaufmann, Rechtsphilosophie, 2. Aufl., 1997, S. 56. 15 Rüthers, Die heimliche Revolution vom Rechtsstaat zum Richterstaat, 1. Aufl., 2014, S. 56 f.

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produktion heißt Offenlegung des eigenen Wertungsmodells. Diese Darlegung der rechtspolitischen Begründung stellt hier einen Rationalitätsgewinn dar.16 Zugleich bedeutet dies aber auch, eigene Verantwortung für die Entscheidung zu übernehmen, sich nicht mehr mit dem Hinweis als Richter entlasten zu können, man habe das Gesetz bloß mechanisch vollzogen. Auf der Erkenntnis von Kant, dass aus abstrakten Regelungen nicht logisch konkrete Urteile ableitbar sind, beruht im Grunde unser gesamtes Verfahrensverständnis. Weil im Prozess entschieden wird und nicht lediglich das Gesetz vorgelesen wird, weil nicht lediglich pädagogisch vermittelt wird, was außerhalb des Prozesses bereits feststeht,17 haben wir ein dialogisches Erkenntnisverfahren.18 Das rechtliche Gehör dient gerade dazu, den Parteien den Einfluss auf die Rechtsfindung oder genauer Rechtsbestimmung zu sichern. Nach richtiger Ansicht beinhaltet das Recht auf rechtliches Gehör auch den Anspruch zu einem Rechtsgespräch.19 Vorwerk hat die Funktion des Prozesses wie folgt beschrieben: „Die Erkenntnis der Wahrheit, gleich ob sie sich auf tatsächliche Umstände oder darauf erstreckt, was rechtens ist, vollzieht sich als dynamischer Prozess. Die Möglichkeit der Erkenntnis wächst in der Auseinandersetzung um die Wahrheit. Die mit der Einführung des Musterverfahrens bezeichnete‚ deutliche Entlastung der Gerichte beschränkt die Möglichkeit zur Erkenntnis der Wahrheit.“20 Dieses beschriebene traditionelle Verständnis von Rechtsprechung und Rechtsfindung wird derzeit auf breiter Front durch die ganz unterschiedlichen Formen von Legal Tech in Frage gestellt. Neben mehr oder weniger empirischen Beschreibungen, was sich auf dem, vor allem von Großkanzleien und der IT-Industrie getriebenen, Entwicklungsgebiet tut, gibt es bislang ganz wenige Veröffentlichungen, welche den Versuch unternehmen, Recht, die juristische Methode und die Arbeitsweise von künstlicher Intelligenz (KI) 21 zu vergleichen. Mit anderen Worten: Ist die juristische Entscheidungsfindung durch KI abbildbar, können wir uns ein Recht ex machina22 vorstellen? Bislang galt als gesicherte Erkenntnis sowohl in der Philosophie als auch in der theoretischen Informatik, dass anspruchsvolle Gründe algorithmisch nicht darstellbar sind.23 Eine rein der Aussagenlogik verpflichtete Herangehensweise vermag die innere Struktur der verknüpften Aussagen nicht zu reflektieren.24 Hierzu ist ein Rückgriff 16 Kaufmann, Rechtsphilosophie, 2. Aufl., 1997, S. 56 ff. und Rüthers, Die heimliche Revolu­ tion, 2014, S. 168. 17 Christensen/Kudlich, Gesetzesbindung: Vom vertikalen zum horizontalen Verständnis, 2008, S. 203. 18 Braun, Zivilprozessrecht, 2014, S. 380. 19 In diesem Sinne bereits Arndt, NJW 1959, 6, 7. 20 Vorwerk in: Vorwerk/Wolf, KapMuG, 2007, § 1 Rz. 2. 21 Zum Begriff: Lämmel/Cleve, Künstliche Intelligenz, 2012, S. 11 ff. 22 Raabe/Wacker/Oberle/Baumann/Funk, Recht ex machina, 2012. 23 Nida-Rümelin, Vernunft und Freiheit, in: Sturma (Hrsg.), Vernunft und Freiheit, 2012, 329 ff. und ders. in: Humanistische Reflexionen, 2016, S. 149 f. 24 Herberger/Simon, Wissenschaftstheorie für Juristen, 1980, S. 89 ff.

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auf die Prädikatenlogik notwendig.25 Die Prädikatenlogik lässt sich aber algorithmisch – jedenfalls wenn man Kurt Gödels Unvollständigkeitstheorem akzeptiert26 – nicht berechnen.27 Im Nachfolgenden soll und kann nicht ein Beitrag zur mathematischen Grundlagendiskussion geleistet werden, wesentlich bescheidener soll dargestellt werden, wie mit KI das Urteilen als Prinzip bei sehr großen Datenmengen (Big Data) durch das Erkennen gleichgelagerter Muster ersetzt werden könnte.

II. KI und Big Data als Allheilmittel Formale Logik, wie sie in dem Justizsyllogismus dargestellt ist, beschreibt den Ansatz des deduktiven Schließens vom Generellen auf das Spezielle. Dabei steht die These im Raum, dass die Grenzen, die die formale Logik für die Utopie eines Subsumtions­ automaten28 aufzeigt, durch induktive Systeme oder ferner maschinelles Lernen und KI überwunden werden könnten. Jene Systeme verfolgen einen dem deduktiven Ansatz konträr stehenden Gedanken: Sie schließen vom Konkreten auf das Generelle.29 Abstrakter könnte man davon sprechen, dass aus Erfahrungen Wissen generiert werden soll.30 1. Grundlagen Zur Verdeutlichung kann das Beispiel der automatisieren Bilderkennung dienen. Mit Hilfe von maschinellem Lernen kann ein System mit einer Anzahl von Bildern eines bestimmten Inhalts – beispielsweise das Bild eines Stuhls – angelernt werden, so dass es am Ende in der Lage ist, Bilder mit selbigem oder ähnlichem Inhalt zu erkennen.31 Es wird von Erfahrungen (Bilder mit Stühlen) auf Wissen (das Aussehen eines Stuhles) geschlossen. In der Realität geschieht dies zumeist mit sogenannten künstlichen neuronalen Netzen,32 die sich am Aufbau ihrer biologischen Vorbilder orientieren.33 Dabei besteht ein neuronales Netz aus einer unbestimmten Anzahl von Neuronen und sogenannten Kanten – oder verbildlicht: Synapsen, die diese verbinden.34 Verein25 Herberger/Simon, Wissenschaftstheorie für Juristen, 1980, S. 89. 26 Hierzu Ernst/Schmidt/Beneken, Grundkurs Informatik, 5. Aufl., 2015, S. 417 f. 27 Nida-Rümelin, Vernunft und Freiheit, in: Sturma (Hrsg.), Vernunft und Freiheit, 2012, 329 ff. und ders. in: Humanistische Reflexionen, 2016, S. 149. 28 Vgl. Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat, 1986. 29 Vgl. Beierle/Kern-Isberner, Methoden wissensbasierter Systeme, 4. Aufl., 2008, S. 23. 30 Nauck/Klawonn/Kruse, Neuronale Netze und Fuzzy-Systeme: Grundlagen des Konnektionismus, 1994, S. 3. 31 Vgl. Meyering/Ritter, Visuelles Lernen mit neuronalen Netzen, in: Maschinelles Lernen, 1992, S. 4; von Bünau, Künstliche Intelligenz im Recht, LR 2018, 80, 81. 32 Meyering/Ritter, Visuelles Lernen mit neuronalen Netzen, in: Maschinelles Lernen, 1992, S. 4. 33 Nauck/Klawonn/Kruse, Neuronale Netze und Fuzzy-Systeme: Grundlagen des Konnektionismus, 1992, S. 11. 34 Brause, Neuronale Netze: Eine Einführung in die Neuroinformatik, 2. Aufl., 2013, S. 34 ff.

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facht nehmen die Neuronen der untersten Schicht einen Wert von außen, beispielsweise die Bilddaten eines Stuhls, entgegen, verarbeiten sie in der Form einer mathematischen Funktion und geben, falls die Funktion einen gewissen Schwellenwert übersteigt, den Wert an die nächste Neuronen-Schicht weiter. Die Neuronen der dahinterliegenden Schicht untersuchen den Wert anhand einer leicht abgewandelten, spezifischeren Funktion und geben beim Übersteigen ihres Schwellenwertes den Wert erneut – modifiziert und gewichtet – weiter. Hierdurch wird der Ausgangswert qualifiziert, weiter untersucht und abgeglichen. Dies geschieht so lange, bis nach der letzten Schicht ein Vektor ermittelt ist. Dieser kann beispielsweise besagen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Bild einen Stuhl enthält oder nicht.35 Der Vektor ist dabei zwangsläufig immer Ausdruck einer Wahrscheinlichkeit, nie einer Tatsache, neumoderne Stühle – besonders geartete Einzelfälle – können ob ihrer Einzigartigkeit nicht als solche erkannt werden. Selbst wenn man derartige Einzigartigkeiten in die Basisdaten hinzufügt, gelingt nicht jeder Abgleich mit den Indikatoren eines klassischen Stuhls. Ein Foto, das einen solchen aber zeigt, wird jetzt jedoch mit 98%iger Wahrscheinlichkeit als solcher erkannt. Aber wie lernt nun ein solches System, dass am Ende ein Stuhl erkannt werden kann? Die Kanten, die Neuronen verbinden, multiplizieren die Ausgangswerte eines Neurons mit einem Gewicht. Das Ergebnis der Multiplikation ist die Eingabe für das nächste Neuron. Wird ein neuronales Netz nun (überwacht) angelernt, so werden dem Netz eine Vielzahl von Inputdaten (Problem) übergeben und der erwartete Output (Lösung) mitgeteilt. Der Lernalgorithmus findet eine geeignete Kombination von Gewichten, die eine Lösung der gestellten Aufgabe im Generellen ermöglicht. Der Lösungsweg für das Problem – oder ferner die erkannten Muster36 – ist daher implizit in den Gewichten kodiert.37 Neuronale Netze benötigen also – im Gegensatz zu (multivarianten) statistischen Verfahren – keine Regeln, um ein Problem detailliert zu beschreiben, sondern lediglich Beispiele oder auch Erfahrungen.38 2. Der Bezug zur juristischen Entscheidungsfindung Ein solches Verfahren ließe sich nun auch für juristische Entscheidungsfindung vorstellen. Ein etwaiges neuronales Netz würde mit einer Menge an Sachverhalten, die beispielsweise einen bestimmten Tatbestand betreffen, angelernt werden und könnte dann gegebenenfalls anschließend nach dem Lernprozess für weitere Sachverhalte entscheiden. So könnte man die These aufstellen, dass bei Zugrundelegung einer unbegrenzt großen Datenmenge bestehend aus strukturierten und indizierten Urteilen, Kommentaren und weiterer Literatur mit Hilfe von KI ein Datenmodell geschaffen werden kann, das es ermöglicht, die Entscheidung eines Falls mit einer hohen Richtigkeitswahrscheinlichkeit zu treffen. 35 Brause, Neuronale Netze: Eine Einführung in die Neuroinformatik, 2. Aufl., 2013, S. 34 ff. 36 von Bünau, Künstliche Intelligenz im Recht, LR 2018, 80, 80.  37 Nauck/Klawonn/Kruse, Neuronale Netze und Fuzzy-Systeme: Grundlagen des Konnektionismus, 1992, S. 3. 38 Schulze, Vergleich von künstlichen Neuronalen Netzen und multivariaten statistischen Verfahren in der Primärforschung: Ein empirischer Vergleich, 2005, S. 53.

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Die Rechtswissenschaft lebt allerdings von der Sprache. Vorhandene Daten in der Form von Fällen, Urteilen oder Kommentaren sind in Text gegossen, sie lassen sich nicht in der gleichen Art und Weise in ein neuronales Netz einbinden wie die Daten eines Bildes  – sie sind vielmehr die am schwersten zugängliche Art von Daten für maschinelles Lernen.39 Für einen Computer ist ein Text zunächst eine Ansammlung unstrukturierter Daten – eine Menge von Einsen und Nullen.40 Damit ein System lernen und später auch „erkennen“ kann, müssen die Daten nicht nur strukturiert sein, sondern ferner muss dem System bekannt sein, welche „Bedeutung“ die Daten haben.41 Aus Daten müssen Informationen werden. Diese Informationen müssen anschließend in „Indikatoren“ gewandelt werden, die dem neuronalen Netz mitgeteilt werden können. Will man nun ein neuronales Netz erschaffen, welches feststellt, ob ein Sachverhalt den Tatbestand einer bestimmten Norm erfüllt, so müssten daher alle für die Auslegung der Norm bedeutsamen Umstände von den Indikatoren erfasst werden können. In einem optimalen Fall würde der Input in ein neuronales Netz daher sämtliche relevanten Umstände eines Tatbestandes erfassen. Diese Überführung des Sachverhaltstextes in relevante Informationen, die anschließende Aufbereitung und Strukturierung sowie deren vereinheitlichte Unterteilung in Indikatoren würde wohl bereits die meisten Menschen vor eine kaum zu bewältigende Herausforderung stellen – verfolgt man zumindest den Anspruch an die Vollständigkeit der Erfassung. Im Gegensatz zu Computern kann der Mensch jedoch die Bedeutung hinter einem Text verhältnismäßiger Weise unproblematisch erfassen.42 Für Maschinen hingegen ist diese Aufgabe immer noch denkbar schwierig und daher eine ganz eigene Subkategorie der KI: Natural Language Processing (NLP).43 Das Verständnis von natürlicher Sprache durch Computer mit NLP unterteilt sich dabei regelmäßig in verschiedene Arbeitsschritte, die ihrerseits unterschiedlich weit erschlossen und ausgereift sind. So unterteilt die voranstehende lexikalische Analyse den Text in logische Einheiten wie Paragraphen, Sätze und Wörter. Dem folgend erlaubt die syntaktische Analyse das Zuordnen eines Wortes in einen grammatikalischen Kontext – etwa ob ein Wort Subjekt oder gar Substantiv eines Satzes ist. Herausfordernder ist allerdings die anschließende semantische Analyse. Sie versucht die Bedeutung von Wörtern innerhalb eines Satzes zu erfassen, indem sie sie in Kontext zu den anderen Wörtern setzt. Wenngleich hierbei in den letzten Jahren beachtliche Fortschritte erzielt wurden, beschränkt sich derzeit die Erfassung insbesondere auf die Bedeutung eines einzelnen Satzes. Phrasen innerhalb diesem können erfasst und 39 von Bünau, Künstliche Intelligenz im Recht, LR 2018, 80, 81. 40 Simon, Künstliche Intelligenz – Blick in die digitale Zukunft, 2019, S. 40. 41 von Bünau, Künstliche Intelligenz im Recht, LR 2018, 80, 81. 42 Zum Verständnis des Inhalts komplizierter Texte durch KI: Puppe, Explizites Wissen versus Black Box Ansätze in der KI, in: Künstliche Intelligenz, 2011, S. 68. 43 von Bünau, Künstliche Intelligenz im Recht, LR 2018, 80, 82; an anderen Stellen wird hinsichtlich der Bedeutungsanalyse auch auf Natural Language Understanding (NLU) referiert, siehe dazu: Ovchinnikova, Integration of World Knowledge for Natural Language Understanding, 2012, 3 ff.

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Schlüsselwörter erkannt werden.44 Große Probleme bereiten auch heute noch die Ambiguität der Sprache45 und insbesondere satzübergreifende Analysen sowie komplexe verschachtelte Sätze.46 Ganz zu schweigen von der weitestgehend unbewältigten pragmatischen Analyse. Hierunter versteht man die Erfassung der Bedeutung eines Textes durch eine semantische Analyse, welche auch den außerhalb des jeweiligen Textes liegenden Kontext einbezieht. Indem auf außerhalb des eigentlichen Textes liegende Umstände zurückgegriffen wird, soll der tatsächliche Sinn im Text des Autors erfasst werden.47 Ein echtes Verständnis eines komplexen Textes ist schon alleine wegen der Kontextabhängigkeit der Bedeutung derzeit für Maschinen nicht möglich.48 Unwahrscheinlich ist, dass sich hieran in naher Zeit etwas ändert.49 3. Der heutige Stand Im Gegensatz zu dieser realistischen Einschätzung wird häufig – ganz im Sinne der Gartner Hype-Kurve – der Eindruck erweckt, dass die mathematischen und technischen Grenzen von Legal Tech bereits überwunden sind. Aufmerksamkeit erregte z.B. das Unternehmen LawGeex, welches im Februar 2018 mit seiner KI gegen 20 erfahrene Anwälte antrat. Ziel des Wettkampfes war, die Analyse von Geheimhaltungsvereinbarungen in Verträgen auf etwaige rechtliche Risiken zu untersuchen. Das Ergebnis scheint zukunftsweisend: Die KI von LawGeex war nicht nur um ein Vielfaches schneller, sondern erkannte auch mehr Risiken als die erfahrenen Anwälte.50 LawGeex steht mit einem solchen Dienst keineswegs alleine da. Anbieter wie Kira oder Leverton bieten ebenfalls Systeme, die digitale Datenräume und deren Dokumente automatisch analysieren.51 Der Unterschied zu einer selbstständigen und kreativen Sachverhaltsanalyse ist jedoch erheblich. Systeme wie LawGeex, Kira oder Leverton basieren auf der Erkennung von vorgegebenen Mustern und der Suche nach solchen Mustern in bereits bestehenden Beständen von ähnlichen Dokumenten.52 Trainiert man KI-Systeme für eine Dokumentenanalyse, die beispielsweise risikobehaftete Klauseln in einem Vertrag erkennen soll, so zeigt man dem System eine Vielzahl von Klauseln, die ein solches Risiko beinhalten. Das System referiert unter anderem – auch mit Unterstützung durch NLP – auf die benutzten Wörter, Satzbau und

44 von Bünau, Künstliche Intelligenz im Recht, LR 2018, 80, 82. 45 Fernández, Syntax und Semantik einer Sprache in der Computerlinguistikwissenschaft, in: Ease Seminar, 2000, S. 82; Puppe, Explizites Wissen versus Black Box Ansätze in der KI, in: Künstliche Intelligenz, 2011, S. 68. 46 Vgl. Deng/Liu, A Joint Introduction to Natural Language Processing and to Deep Learning, in: Natural Language Processing, 2018, S. 12. 47 Indurkhya/Damerau, Handbook of Natural Language Processing, 2010, S. 7. 48 Puppe, Explizites Wissen versus Black Box Ansätze in der KI, in: Künstliche Intelligenz, 2011, S. 68. 49 von Bünau, Künstliche Intelligenz im Recht, LR 2018, 80, 82. 50 https://www.lawgeex.com/resources/aivslawyer/, besucht am 14.3.2019. 51 Vgl. Wagner, Legal Tech und Legal Robots, 2017, S. 25. 52 von Bünau, Was kann KI – heute und morgen?, Rethinking Law 2018, 6, 6.

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die Satzstruktur.53 Solche Systeme referieren also oftmals darauf, ob diese Satzbausteine gleich lauten. Schon alleine, weil die pragmatische Analyse den Computerprogrammen nicht möglich ist, sind keine Aussagen darüber möglich, ob auch der gleiche Sinn gegeben ist. Noch weiter weg liegt der Vergleich zu einem System, welches Kerninformationen erkennt, Indikatoren aus ihnen extrahiert und sie in ein neuronales Netz zur Erkennung eines Tatbestands einspeist. Wollte man dies verbildlichen, so wäre das eine der Vergleich zweier Texte eines Tatbestandes und das andere der Vergleich zweier Situationen.

III. Offene Fragen Der Sprung zum tatsächlichen Verständnis eines komplexen Textes durch Computer und die tiefgreifende Analyse eines Sachverhalts durch ein neuronales Netz sind derzeit nicht möglich. Die bisherige Innovationskraft im Bereich der KI in Rechnung gestellt, könnte sich dies jedoch bald ändern. Bis dahin gilt es, offene Fragen zu beantworten. 1. Datenbeschaffung und Datenintegrität Für neuronale Netze sind nicht Rechenkapazitäten oder besonders elaborierte Algorithmen ausschlaggebend, sondern vielmehr die ihnen zu Grunde gelegten Daten54 – nicht unzutreffend heißt es: „in data lies the power“.55 Wichtige Datenquellen für die durch KI gestützte Rechtsanwendung sind Gerichtsurteile. Diese müssten also in einer repräsentativen Anzahl anonymisiert, veröffentlicht, digitalisiert und (händisch) strukturiert vorliegen, nur dann kann die KI diese Macht der Daten auch nutzbar machen. Allerdings wird in Deutschland nur ein verschwindend geringer Anteil an Urteilen anonymisiert und veröffentlicht, noch weniger werden digitalisiert und nahezu unbeachtlich viele werden strukturiert hinterlegt.56 Freilich kann und sollte dies nur ein temporäres Problem sein: Die Digitalisierung wird langfristig auch in der Justiz Einzug halten. Fraglich bleibt: Woher lassen sich die Daten für ein solches System derweil nehmen? Wer stellt die Urteile und Beschlüsse zur Verfügung und stellt ihre Integrität und Vollständigkeit sicher? 2. Transparenzproblem – Black Box Effect Nicht minder schwerwiegend und offen ist die Beantwortung der Frage nach der Transparenz eines automatisierten Entscheidungssystems, welches auf neuronalen Netzen basiert. Die Legitimation richterlicher Urteile ergibt sich aus der Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung und der einhergehenden Transparenz der Wahrheits53 Wagner, Legal Tech und Legal Robots, 2017, S. 24. 54 von Bünau, Künstliche Intelligenz im Recht, LR 2018, 80, 81. 55 Puppe, Explizites Wissen versus Black Box Ansätze in der KI, in: Künstliche Intelligenz, 2011, S. 67. 56 Vgl. Brägelmann, Datenmangel, Jura und XAI, Rethinking Law 2019, 22 ff.

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findung im geordneten Verfahren.57 In der Utopie einer vollautomatisieren juristischen Entscheidungsfindung durch KI kann für ein solches System nichts anderes gelten. Tatsächlich, außerhalb der Utopie, gelangt die Rechtsfindung durch KI hier allerdings an eine mögliche Legitimationsgrenze. Das eingangs beleuchtete Lernverfahren eines neuronalen Netzes zeigt nämlich, dass die Problemlösung – also das Erlernte – in den Gewichtungen der Kanten eines neuronalen Netzes kodiert ist.58 Nun wird ein komplexes System aber nicht aus ein, zwei oder zehn, sondern aus Millionen von Kanten und Neuronen bestehen.59 Will man also herausfinden, was das System gelernt hat, so könnte man sich dieses Netz anschauen und mathematisch versuchen, die Zahlen zu interpretieren – faktisch vermögen die konkreten Zahlen über das Gelernte aber keinen Aufschluss zu geben. Eine sinnvolle Interpretation dieser Millionen Werte ist für einen Menschen nahezu unmöglich.60 Etwas abstrakter: Wird dem System beigebracht, Katzenbilder zu erkennen, so kann den reinen Werten nicht entnommen werden, was für das System eine Katze ausmacht. Welcher Teil ist am relevantesten (Schnurrhaare, der Schwanz oder vlt. eine Kombination)? Das Wissen wird in dem neuronalen Netz integriert, nicht in dem Anwender. Eigene Forschungsbereiche beschäftigen sich derzeit mit dieser Problematik und kommen in kürzeren und regelmäßigeren Abständen zu immer neuen Lösungsansätzen.61 Es bleibt derweil bei einem Trade-Off Stigma: Transparenz oder Komplexität des neuronalen Netzes stehen sich diametral gegenüber.62 Wie lässt sich also Rechtsfindung oder Rechtsanwendung durch KI legitimieren, wenn die Begreifbarkeit – die Zugänglichkeit des Prozesses – dem Legitimationssubjekt unzugänglich ist? 3. Rechtliches Gehör In mehr als einer Richtung stellt KI eine Herausforderung für die Rechtswissenschaft dar. In viel zu geringem Umfang wird bislang der Frage der Unentscheidbarkeit mathematischer Fragestellungen nachgegangen. Die Übersetzung dessen, was wir mehr oder weniger blind im juristischen Schrifttum derzeit unter KI diskutieren, in die Grundlagen der theoretischen Informatik und die Problematik der Unentscheidbarkeit63 findet derzeit nicht statt. Ohne ein wechselseitiges Verständnis und interdiszi­ 57 Bröhmer, Transparenz als Verfassungsprinzip: Grundgesetz und Europäische Union, 2004, S. 266; BGHSt 9, 280, 281; Degenhart, HStR III, § 76 Rz. 52. 58 Nauck/Klawonn/Kruse, Neuronale Netze und Fuzzy-Systeme: Grundlagen des Konnektionismus, 1992, S. 3. 59 Darrah, Neural Network Visualization Techniques, in: Methods and Procedures for the Verification and Validation of Artificial Neural Networks, 2006, S. 164. 60 Vgl. Du/Swamy, Neural Networks and Statistical Learning, 2013, S. 678. 61 Vgl. Glander, Erklärbarkeit von Machine-Learning-Modellen, in: iX Developer 2018 – Machine Learning, 2018, S. 26. 62 Glander, Erklärbarkeit von Machine-Learning-Modellen, in: iX Developer 2018 – Machine Learning, 2018, S. 30. 63 Hierzu Hoffmann, Theoretische Informatik, 3. Aufl., 2015, S. 319 ff.

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plinäre Arbeit zwischen Informatikern und Juristen wird die Diskussion dauerhaft an der Oberfläche bleiben. Selbst wenn man annimmt, mit KI ließen sich komplexe Rechtsfragen algorithmisch lösen, wirft dies die Frage auf, ob eine demokratische und humane Gesellschaft dies will. Gerichtsverfahren sind im Kern nichts anderes als ein Prozess, sich von Gründen affizieren zu lassen. Im Kern ist es uns eigen, dass wir Entscheidungen nicht einfach hinnehmen wollen, sondern durch ein Nehmen und Geben von Gründen auf diesen Entscheidungsprozess Einfluss nehmen wollen. Das, was Nida-Rümelin als affizieren von Gründen beschreibt,64 ist in die Sprache des Prozessrechts übersetzt das faire Verfahren und das rechtliche Gehör. Eine Entscheidungserrechnung ohne Einfluss der Parteien auf den Algorithmus und ohne Geben und Nehmen von Gründen, verhält sich kontradiktorisch zu dem, was eine humane, sich zu ihren Widersprüchen bekennende Gesellschaft erfordert. Unabhängig davon, was technisch möglich wäre,65 die Offenheit des Rechtssystems für neue Entwicklungen und die Autonomie, über die Weiterentwicklung des Rechtssystems zu entscheiden, sind für unsere Gesellschaft zentral. Paul Nemitz kann nur zugestimmt werden, wenn er schreibt: „To be very clear: Requiring that law be either as precise as code or be rewritten as fast as code is updated is simply anti-democratic, as this ignore the need for deliberation and compromise in democracy as well as the time required for due process under the rule of law.“.

64 Nida-Rümelin, Humanistische Reflexionen, 2016, S. 260 ff. 65 Nemitz, Constitutional Democracy and Technology in the age of Artificial Intelligence, 2018, S. 17.

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Veröffentlichungsverzeichnis Volkert Vorwerk

I.  Monographien Die Auswirkungen des Sachschutzes für chemische und Arzneimittelerfindungen auf die Zwangslizenzregelung des § 15 Patentgesetz. – 1974, 208 S., Kiel, Univ., Diss., 1973. Schrottimmobilien: Die Geschichte von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen: Vortrag, gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 16. Juli 2008, Berlin: de Gruyter Recht, 2008, 35 S. (Schriften­reihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin; 186). Schrottimmobilien: Die Geschichte von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen. Vortrag, gehalten vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin am 16. Juli 2008 [Elek­ tronische Ressource], Berlin: De Gruyter, 2012, 35 S. [Reprint der Ausg. 2008] (Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin; 186). Materialien zur Bauverfügung – Berlin: epubli GmbH, 2014 [Online-Ressource]. Zur Vergesellschaftung großer Wohnimmobilien: Stellungnahme zu aktuellen Fragen des Senats des Landes Berlin / Dr. Volkert Vorwerk, Karlsruhe: Vorwerk, 16.11.2018, – 77 Blätter Zugleich als Online-Ressource im Internet noch im Mai 2019 aufsuchbar unter https://www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/wohnraum/vergesellschaftung/down​ load/Rechtliche-Stellungnahme-Vergesellschaftung-02-SenSW.pdf.

II.  Herausgebertätigkeit Beck‘scher Online-Kommentar ZPO [Elektronische Ressource] / hrsg. zusammen mit Christian Wolf, München: C.H.Beck, seit Edition 1/2011, derzeit Edition 32/2019. Das Prozessformularbuch  – Erläuterungen und Muster für den Zivilprozess, die Zwangsvollstreckung, das Insolvenzverfahren und den Arbeitsgerichtsprozess mit kostenrechtlichen Hinweisen – ZPO, FamFG, ArbGG / hrsg., Köln: Verlag Dr. Otto Schmidt, 6. völlig neu bearb. Auflage 2000, XCVIII, 2109 S., mit CD-ROM 7. neu bearb. Auflage 2002, CVII, 2474 S., mit CD-ROM 8. neu bearb. Auflage 2005, CXIII, 2732 S., mit CD-ROM 9. neu bearb. und stark erw. Auflage 2010, CXXV, 2916 S., mit CD-ROM 10. neu bearb. und erw. Auflage 2015, XXVIII, 3118 S., mit CD-ROM 11. neu bearb. und erw. Auflage 2019, XXVIII, 3311 S., mit Zugangsdaten für Muster-­ Download 11. neu bearb. und erw. Auflage 2019 [Elektronische Ressource]. 375

Veröffentlichungsverzeichnis Volkert Vorwerk

Festschrift für Ulrich Scharf zum 70.  Geburtstag / hrsg. zusammen mit Stephan ­Göcken, Thomas Remmers, Christian Wolf, Köln [u.a.]: Carl Heymanns, 2008, – XIII, 345 S.: Ill. + Sonderband. (III, 57 S.). Kapitalanleger – Musterverfahrensgesetz (KapMuG): Kommentar / hrsg. zusammen mit Christian Wolf 1. Aufl., München: C. H. Beck, 2007, XIX, 319 S. 2. Aufl., München: C. H. Beck, 2019, XIX, ca. 320 S. NJW Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion 2003 „Die ZPO-Reform auf dem Prüfstand von Wissenschaft und Praxis“, hrsg. zusammen mit Christian Wolf, Ulrich Scharf, Martin W. Huff. NJW Sonderheft 3.  Hannoveraner ZPO-Symposion 2005 „Interessenbündelung im Zivilprozess – aus der Sicht von Wissenschaft und Praxis“, hrsg. zusammen mit Christian Wolf, Ulrich Scharf, Achim Schunder. NJW Sonderheft 4. Hannoveraner ZPO-Symposion 2007 „Zugang zum Recht – aus der Sicht von Wissenschaft und Praxis“, hrsg. zusammen mit Christian Wolf, Ulrich Scharf, Achim Schunder. NJW Sonderheft 5. Hannoveraner ZPO-Symposion 2011 „Familien Streit – Soft: Wie geht das? – Das FamFG kritisch durchleuchtet von Wissenschaft und Praxis“ / hrsg. zusammen mit Christian Wolf, Thomas Remmers, Achim Schunder.

III.  Kommentierungen, Handbuchbeiträge §§ 48, 49, 49a, 145–147, 162–174 BRAO in: Anwaltliches Berufsrecht: BORA, BRAO, EMRK, EuRAG, FAO, GG, RDG, RDGEG, Anwaltshaftung / hrsg. von Reinhard Gaier, Christian Wolf, Stephan Göcken 1. Aufl., Köln: Carl Heymanns Verlag, 2010 2. Aufl., Köln: Verlag Dr. Otto Schmidt, 2014 3. Aufl., Köln: Verlag Dr. Otto Schmidt, 2019 (noch nicht erschienen, vrstl. August 2019). § 20 Gesamtschuldnerische Haftung in: Praxishandbuch Architektenrecht / hrsg. von Reinhold Thode, Axel Wirth, Johann Kuffer 1. Aufl., München: C.H.Beck, 2004, S. 695–724. § 19 Gesamtschuldnerische Haftung in: Praxishandbuch Architektenrecht / hrsg. von Reinhold Thode, Axel Wirth, Johann Kuffer 2. Aufl., München: C.H.Beck, 2016, S. 657–690.

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Kapitel 1: Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats, S. 1–32 Kapitel 3: Anwaltsvergleich, S. 40–48 Kapitel 15: Klageanträge (und Klagebegründung), S. 178–257 Kapitel 18: Beweisantritt, S. 274–301 Kapitel 26: Fristen, S. 408–412 in: Das Prozessformularbuch – Erläuterungen und Muster für den Zivilprozess, die Zwangsvollstreckung, das Insolvenzverfahren und den Arbeitsgerichtsprozess mit kostenrechtlichen Hinweisen – ZPO, FamFG, ArbGG / hrsg. Volkert Vorwerk, Köln: Verlag Dr. Otto Schmidt, 6. völlig neu bearb. Auflage 2000, XCVIII, 2109 S., mit CD-ROM Kapitel 1: Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats, S. 1–33 Kapitel 3: Anwaltsvergleich, S. 43–52 Kapitel 15: Klageanträge (und Klagebegründung), S. 197–281 Kapitel 18: Beweisantritt, S. 299–330 Kapitel 26: Fristen, S. 446–450 Kapitel 27: Fristwahrung bei elektronischer Übermittlung von Schriftsätzen, S. 454– 455 Kapitel 65: Berufung, Rz. 117–178 = S. 979–989 in: Das Prozessformularbuch – Erläuterungen und Muster für den Zivilprozess, die Zwangsvollstreckung, das Insolvenzverfahren und den Arbeitsgerichtsprozess mit kostenrechtlichen Hinweisen – ZPO, FamFG, ArbGG / hrsg., Volkert Vorwerk, Köln: Verlag Dr. Otto Schmidt, 7. neu bearb. Auflage 2002, CVII, 2474 S., mit CD-ROM Kapitel 1: Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats, S. 1–33 Kapitel 3: Anwaltsvergleich, S. 43–51 Kapitel 15: Klageanträge (und Klagebegründung), S. 215–300 Kapitel 18: Beweisantritt, S. 315–347 Kapitel 26: Fristen, S. 471–475 Kapitel 27: Fristwahrung bei elektronischer Übermittlung von Schriftsätzen, S. 479– 480 Kapitel 65: Berufung, S. 1025–1061 in: Das Prozessformularbuch – Erläuterungen und Muster für den Zivilprozess, die Zwangsvollstreckung, das Insolvenzverfahren und den Arbeitsgerichtsprozess mit kostenrechtlichen Hinweisen – ZPO, FamFG, ArbGG / hrsg. Volkert Vorwerk, Köln: Verlag Dr. Otto Schmidt, 8. neu bearb. Auflage 2005, CXIII, 2732 S., mit CD-ROM Kapitel 1: Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats, S. 1–30 Kapitel 3: Anwaltsvergleich, S. 38–46 Kapitel 15: Klageanträge (und Klagebegründung), S. 201–285 Kapitel 18: Beweisantritt, S. 303–334 Kapitel 65: Berufung, S. 965–997 in: Das Prozessformularbuch – Erläuterungen und Muster für den Zivilprozess, die Zwangsvollstreckung, das Insolvenzverfahren und den Arbeitsgerichtsprozess mit 377

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kostenrechtlichen Hinweisen – ZPO, FamFG, ArbGG / hrsg. Volkert Vorwerk, Köln: Verlag Dr. Otto Schmidt, 9. neu bearb. und stark erw. Auflage 2010, CXXV, 2916 S., mit CD-ROM Kapitel 1: Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats, S. 1–32 Kapitel 3: Anwaltsvergleich, S. 40–48 Kapitel 15: Klageanträge (und Klagebegründung), S. 218–302 Kapitel 18: Beweisantritt, S. 325–355 Kapitel 65: Berufung, S. 1003–1035 Kapitel 66: Einzelne Berufungsanträge, S. 1036–1053 Kapitel 67: Weitere Anträge im Berufungsverfahren, Berufungserweiterung, S. 1053– 1070 Kapitel 68: Anschlussberufung, Gegenrügen, S. 1070–1076 in: Das Prozessformularbuch – Erläuterungen und Muster für den Zivilprozess, die Zwangsvollstreckung, das Insolvenzverfahren und den Arbeitsgerichtsprozess mit kostenrechtlichen Hinweisen – ZPO, FamFG, ArbGG / hrsg., Köln: Verlag Dr. Otto Schmidt, 10. neu bearb. und erw. Auflage 2015, XXVIII, 3118 S., mit CD-ROM Kapitel 1: Anbahnung, Begründung und Niederlegung des Mandats, S. 1–33 Kapitel 3: Anwaltsvergleich, S. 42–51 Kapitel 15: Klageanträge (und Klagebegründung), S. 234–321 Kapitel 18: Beweisantritt, S. 347–379 Kapitel 65: Berufung, S. 1069–1104 Kapitel 66: Einzelne Berufungsanträge, S. 1105–1123 Kapitel 67: Weitere Anträge im Berufungsverfahren, Berufungserweiterung, S. 1123– 1142 Kapitel 68: Anschlussberufung, Gegenrügen, S. 1142–1148 in: Das Prozessformularbuch – Erläuterungen und Muster für den Zivilprozess, die Zwangsvollstreckung, das Insolvenzverfahren und den Arbeitsgerichtsprozess mit kostenrechtlichen Hinweisen – ZPO, FamFG, ArbGG / hrsg. Volkert Vorwerk, Köln: Verlag Dr. Otto Schmidt, 11. neu bearb. und erw. Auflage 2019, XXVIII, 3311 S., mit Zugangsdaten für Muster-Download 11. neu bearb. und erw. Auflage 2019 [Elektronische Ressource].

IV.  Aufsätze, Beiträge, Entscheidungsanmerkungen Die „angemessene Vergütung“ in § 14 Patentgesetz – In: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, 1973, S. 63–67. Zur „Vertretung“ abhängiger Unternehmen durch das herrschende Unternehmen im Verfahren vor dem Deutschen Patentamt – In: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, 1973, S. 571–576.

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Kann der Arbeitgeber eine freie Arbeitnehmererfindung benutzen? – In: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, 1975, S. 4–7. Die patentrechtliche Zwangslizenz. Buchbesprechung  – In: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, 1976, S. 108–109. Probleme der Zwangslizenzregelung – In: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, 1976, S. 64–74. Singularzulassung – Fakten und Zahlen – In: Berliner Anwaltsblatt, 1990, S. 474–480. Eigentumsverhältnisse und Vererbbarkeit von Bodenreformland – In: Zeitschrift für Erbrecht und Vermögens­nach­folge, 1996, S. 234. „Verfahrensvereinfachung“ im Zivilprozess zu Lasten der Justiz und der Parteien – In: Monatsschrift für deutsches Recht, 1996, S. 870–874. Zur Vererblichkeit des Bodenreformeigentums der ehemaligen DDR – In: Zeitschrift für Erbrecht und Vermögens­nach­folge, 1996, S. 346. Geldzuwendung durch erbrechtliche Auflage – In: Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge, 1998, S. 297–298. Kaufrecht und Werklieferungsvertrag – In: Baurecht, 2002, S. 165–181. Berufungsrichter, Tatrichter oder Revisionsrichter – Die ungeklärten Fragen in der Praxis – In: NJW Sonderheft 2. Hannoveraner ZPO-Symposion 2003 „Die ZPO-Reform auf dem Prüfstand von Wissenschaft und Praxis“ –, Hrsg.: Christian Wolf, Volkert Vorwerk, Ulrich Scharf, Martin W. Huff, S. 4–11 . Mängelhaftung des Werkunternehmers und Rechte des Bestellers nach neuem Recht – In: Baurecht, 2003, S. 1–13. Kudla gegen Polen – Was kommt danach? – In: Juristenzeitung, 2004, S. 553–559. Insolvenzbeschlag contra Rückgewinnungshilfe  – Ist die strafprozessuale Beschlagnahme insolvenzfest?  – In: Verschuldung, Haftung, Vollstreckung, Insolvenz. Festschrift für Gerhart Kreft, Recklinghausen: ZAP-Verlag, 2004, S. 581–593. Revisionsbegründung bei erfolgreicher Nichtzulassungsbeschwerde; Grundstückslasten bei Vorerbschaft – In: BGHReport, 2004, S. 1440–1441. Interessenbündelung auch außerhalb von Sondergesetzen? – Eine Frage an den Gesetzgeber – In NJW Sonderheft 3. Hannoveraner ZPO-Symposion 2005 „Interessenbündelung im Zivilprozess  – aus der Sicht von Wissenschaft und Praxis“ , Hrsg.: Christian Wolf, Volkert Vorwerk, Ulrich Scharf, Achim Schunder, S. 35–39 Die Nichtzulassungsbeschwerde im Licht des Gemeinschaftsrechts  – In: Festschrift für Reinhold Thode zum 65. Ge­burts­tag, München: C.H. Beck, 2005, S. 645–659.

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Veröffentlichungsverzeichnis Volkert Vorwerk

Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung auf dem Prüfstand – In: ZIP – Zeitschrift für Wirtschaftsrecht, 2005, S. 1157–1164. Zugang zum Recht durch Prozessfinanzierung – In: NJW Sonderheft 4. Hannoveraner ZPO-Symposion 2007 „Zugang zum Recht – aus der Sicht von Wissenschaft und Praxis“ , Hrsg.: Christian Wolf, Volkert Vorwerk, Ulrich Scharf, Achim Schunder, S. 36–41. HOAI – Ade? – In: Rechtshandbuch des ganzheitlichen Bauens, Wiesbaden: Vieweg, 2007, S. 79–93. Anwendungsvorrang des Europarechts – Erinnerung an eine in Vergessenheit geratene (?) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts  – In: Festschrift für Ulrich Scharf zum 70. Geburtstag, Köln [u.a.]: Carl Heymanns Verlag, 2008, S. 317–328. Wie viel HOAI erlaubt die Dienstleistungsrichtlinie der Europäischen Union? – Was ändert sich durch die neue HOAI? – In: Baurecht, Köln: Wolters Kluwer Deutschland, Werner-Verlag, Bd. 39, 2008, 10a, S. 1734–1739. Beweisaufnahme im Ausland – Die EG-BeweisaufnahmeVO und der Grundsatz der Beweisunmittelbarkeit  – In: Fest­schrift für Achim Krämer zum 70.  Geburtstag am 19. September 2009, Berlin: De Gruyter Recht, 2009, S. 551–562. Einstweilige Anordnung, Beschluss, Rechtsmittel und Rechtsmittelbelehrung nach dem FGG-RG – In: Familie, Partnerschaft, Recht, 2009, S. 8–11. Patent und Ethik – In: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, 2009, S. 375– 378. Schutz in der Finanzmarktkrise  – Welche Rechte hat der Verbraucher?  – In: Neue juristische Wochenschrift, 2009, S. 1777–1782. Anmerkung zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs, Beschluss vom 15.09.2010, XII ZB 166/10, FamFR 2010, 490 – In: Familienrecht und Familienverfahrensrecht, 2010, S. 490. Anmerkung zur Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz, Beschluss vom 26.03.2010, 13 UF 159/10, FamFR 2010, 355 – In: Familienrecht und Familienverfahrensrecht, 2010, S. 355. Anmerkung zur Entscheidung des Oberlandesgerichts Saarbrücken, Beschluss vom 20.01.2010, 9 WF 5/10, FamFR 2010, 159 – In: Familienrecht und Familienverfahrensrecht, 2010, S. 159. Anmerkung zur Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart, Beschluss vom 29.04.2010, 12 W 17/10, FamFR 2010, 277 – In: Familienrecht und Familienverfahrensrecht, 2010, S. 277. Die neuen Rechtsmittel im FamFG – In: Forum Familienrecht, 2010, S. 297–307. 380

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Exlibris – wo bleibt der gute Glaube? – In: Festschrift für Dietrich Pannier, Köln: Carl Heymanns Verlag, 2010, S. 415–423. Welchen Inhalt soll eine gesetzliche Regelung der Adjudikation haben? Wie soll eine vertragliche Verfahrens­ordnung zur außergerichtlichen Streitbeilegung aussehen und zur Anwendung kommen? Welche Anforderungen sind an die Person eines Adjudikators zu stellen? – In: Baurecht, 2010, S. 1428–1432. Anmerkung zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17.08.2011, XII ZB 50/11, FamFR 2011, 517 – In: Familienrecht und Familienverfahrensrecht, 2011, S. 517. Anmerkung zur Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 16.03.2011, 8 WF 35/11, FamFR 2011, 376  – In: Familienrecht und Familienverfahrensrecht, 2011, S. 376. Anmerkung zur Entscheidung des Oberlandesgerichts Schleswig, Beschluss vom 07.05.2010, 10 WF 78/10, FamFR 2011, 66 – In: Familienrecht und Familienverfahrensrecht, 2011, S. 66. Beweisaufnahme im Ausland: Neue Wege für den deutschen Prozess – Die EG-BeweisaufnahmeVO und der Grund­satz der Beweisunmittelbarkeit – In: Anwaltsblatt, 2011, S. 369–373. Der Zugang zur Revision – In: Wohnungswirtschaft und Mietrecht, 2011, S. 455–460. Einfluss des Europarechts auf die nationale Rechtsentwicklung – In: 300 Jahre Oberlandesgericht Celle, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2011, S. 291–301. KapMuG – Erfahrungen, Fazit, Ausblick – In: Wertpapier-Mitteilungen. Teil 4, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht, 2011, S. 817–825. Anmerkung zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 08.02.2012, XII ZB 462/11, FamFR 2012, 157  – In: Familienrecht und Familienverfahrensrecht, 2012, S. 157. Streitverkündung in Prozessstandschaft? – In: Festschrift für Rolf Stürner zum 70. Geburtstag; 1. Teilband: Deutsches Recht, Tübingen: Mohr Siebeck, 2013, S. 605–611. Vorrang dem sichersten Weg  – In: Neue juristische Wochenschrift, 2013, Heft 26, NJW-Editorial. Der Richter im Zivilprozess – Sind ZPO und GVG noch zeitgemäß? Referat – In: Verhandlungen des 70. Deutschen Juristentages. / hrsg. von der Ständigen Deputation des Deutschen Juristentages; 2,1: Sitzungsberichte – Referate und Beschlüsse, München: C. H. Beck, 2015, S. I 29–45. Der Richter im Zivilprozess – Sind ZPO und GVG noch zeitgemäß? Thesen zum Referat – In: Verhandlungen des 70. Deutschen Juristentages. / hrsg. von der Ständigen Deputation des Deutschen Juristentages; 2,1: Sitzungsberichte  – Referate und Beschlüsse, München: C.H. Beck, 2015, S. I 46–51. 381

Veröffentlichungsverzeichnis Volkert Vorwerk

Schiedsvereinbarung im grenzüberschreitenden europäischen Warenverkehr  – Zugleich eine Anmerkung zur Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 19.12.2012 – In: Festschrift für Wolfgang Schlick zum 65. Geburtstag, Köln: Carl Heymanns, 2015, S. 373–381. Anmerkung zu einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs, Beschluss vom 22.11.2016 (XI ZB 9/13) – Zu den speziellen verfahrensrechtlichen Grundsätzen im KapMuGVerfahren  – In: Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht, 2017, S. 360–363. Ein einziger Satz – und die Zukunft ist Wirklichkeit – In: Neue juristische Wochenschrift, 2017, Heft 22, NJW-Editorial. Strukturiertes Verfahren im Zivilprozess – In: Neue juristische Wochenschrift, 2017, S. 2326–2330. Warum hängt diese Tafel noch im Bundesgerichtshof? In: DIE ZEIT Nr. 7/2018 und – In: Die Zeit-Online – 2018 (7. Februar) 1 S., www.zeit.de/2018/07/gedenktafel-bundes​ gerichtshof-mitglieder-reichsgericht

V.  Gutachten Teilnahme als Sachverständiger an der Anhörung zum Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit am 11. Februar 2008 in Berlin, BT-Drucksache 16/9733, S. 283. Diskussion des Referentenentwurfs zum Reformgesetz des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes am 13. September 2011, Hannoveraner ZPO-Colloquiums zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes, ausgerichtet durch das Institut für Prozess- und Anwaltsrecht der Leipniz Universität Hannover (veranstaltet von Christian Wolf und Volkert Vorwerk). Stellungnahme zum Diskussionsentwurf  – Gesetz über Musterverfahren zu Schadensersatzklagen von Kapitalanlegern (KapMuG) von der Juristischen Fakultät Hannover an das Bundesministerium der Justiz, bearbeitet von Christian Wolf, Volkert Vorwerk und Sonja Lange, 9. August 2008. Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts (Stand 3/2004), erarbeitet vom Schuldrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer, BRAK-Stellungnahme Nr. 14/2004, April 2004.  Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins durch den Zivilverfahrensrechtsausschuss zum Entwurf eines Gesetzes über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügengesetz), Stellungnahme Nr. 27/2004, Berlin, Juni 2004.

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Veröffentlichungsverzeichnis Volkert Vorwerk

Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins durch den Zivilverfahrensrechtsausschuss unter Beteiligung des Verbraucherrechtsausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen („Small claims“), Stellungnahme Nr. 44/2005, Berlin, August 2005. Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins durch den Zivilverfahrensrechtsausschuss zur Prüfung gesetzgeberischen Änderungsbedarfs beim Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren (§ 276 ZPO), Stellungnahme Nr. 46/2005, Berlin, August 2005. Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins durch den Zivilverfahrensrechtsausschuss zur Änderung von Vorschriften der ZPO zum Schreiben des Bundesjustizministeriums vom 16. Februar 2006, Stellungnahme Nr. 13/2006, Berlin, April 2006.  Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins durch den Zivilverfahrensrechtsausschuss zum Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz, Stellungnahme Nr. 28/2006, Berlin, Juni 2006. Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins durch den Zivilverfahrensrechtsausschuss zum Schreiben des Bundesministeriums der Justiz: RA 2  – zu 3700 II R4 13/2006, Betr.: Sicherheitsleistung für Prozesskosten des Beklagten, Stellungnahme Nr. 38/2006, Berlin, Juni 2006. Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins durch den Zivilverfahrensrechtsausschuss zum Grünbuch der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zur effizienteren Vollstreckung von Urteilen in der Europäischen Union: Vorläufige Kostenpfändung (KOM 2006) 618 endg.; Ratsdok. 145 83/06 BR-Drucksache 754/06, Stellungnahme Nr. 9/2007, Berlin, Februar 2007. Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins durch den Zivilverfahrensrechtsausschuss zur Sicherheitsleistung nach § 108 ZPO, Versicherungsunternehmen als Bürgen, Stellungnahme Nr. 29/2007, Berlin, Juni 2007. Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages zum Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz – FGG-RG), BT-Drucksache 16/6308, am 11. Februar 2008, Protokoll des Rechtsausschusses Nr. 86 der 16. Wahlperiode. Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins durch die Ausschüsse „Geistiges Eigentum“ und „Zivilverfahrensrecht“ zum Schreiben des BMJ vom 4.11.2008 zu „Änderungen im Recht der einstweiligen Verfügung“, Stellungnahme Nr. 12/2009, Berlin, Januar 2009. Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zur Überprüfung des Bauvertragsrechts  – Befragung zu der rechtsvergleichenden Untersuchung zu Kernfragen des ­privaten Bauvertragsrechts der Ruprechts-Karls-Universität Heidelberg, erarbeitet vom Schuldrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer, BRAK-Stellungnahme Nr. 7/2010, April 2010.  383

Veröffentlichungsverzeichnis Volkert Vorwerk

Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Vorschriften über den Wertersatz bei Widerruf von Fernabsatzverträgen, erarbeitet vom Schulrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer, BRAK-Stellungnahme Nr. 8/2010, April 2010.  Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins durch die Ausschüsse Zivilverfahrensrecht und Verwaltungsrecht unter informeller Mitwirkung der Ausschüsse Strafrecht und Sozialrecht zum Referentenentwurf eines Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungen, Stellungnahme Nr. 26/2010, Berlin, Mai 2010. Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins durch den Zivilverfahrensrechtsausschuss und den Familienrechtsausschuss zum Referentenentwurf für ein Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess und der Änderung im RPflG und im FamFG (Bereinigung von Wertungswidersprüchen der FGG-Reform), Stellungnahme Nr. 49/2011, Berlin, August 2011.  Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins durch den Zivilrechtsausschuss zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz für ein Gesetz zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes, Stellungnahme Nr. 59/2011, Berlin, Oktober 2011. Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins durch den Zivilverfahrensrechtsausschuss als Anregung zu Änderung der §§ 696 ff. ZPO zur Lösung praktischer Schwierigkeiten bei Rücknahme des Widerspruchs gegen Mahnbescheid, Stellungnahme Nr. 12/2012, Berlin, Februar 2012. Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zum Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums für ein Gesetz zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, BRAK-Stellungnahme Nr. 7/2012, März 2012. Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages zum Gesetz zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes, BT-Drucksache 17/8799, am 25. April 2012, Protokoll des Rechtsausschusses Nr. 82 der 17. Wahlperiode. Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins durch die Ausschüsse Bank- und Kapitalmarktrecht, Europäisches Vertragsrecht, Zivilverfahrensrecht zur Empfehlung der Kommission Gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren in den Mitgliedsstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten (C2013) 3539, Stellungnahme Nr. 49/2013, Berlin, November 2013. Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zur Erhebung zum derzeitigen Rechtsschutzstandard bei Anordnungen des Auftraggebers nach §  1 Abs.  3, Abs.  4 VOB/B, erarbeitet vom Schuldrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer, BRAK-Stellungnahme Nr. 15/2015, Mai 2015. 

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Veröffentlichungsverzeichnis Volkert Vorwerk

Stellungnahme der Bundesrechtsanwaltskammer zum Referentenentwurf des BMJV für ein Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts und zur Änderung der kaufrechtlichen Mängelhaftung, erarbeitet vom Schulrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer, BRAK-Stellungnahme Nr. 41/2015, November 2015. Stellungnahme des Deutschen Anwaltsvereins durch die Ausschüsse Zivilverfahrensrecht und RVG und Gerichtskosten zum (inoffiziellen) Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für den Verbraucherschutz für ein Gesetz zur Ein­ führung einer Musterfeststellungsklage, Stellungnahme Nr. 14/2017, Berlin, Februar 2017.

VI.  Interviews „Question time“ – In: Anwaltsreport, 5/6/2001, S. 66. „Wir haben die Inquisition abgeschafft und wollen sie auch nicht durch die Hintertür wieder einführen!“ – In: Ad legendum, 2012, S. 227–230. „Schlussplädoyer“ – In: Anwaltsblatt, 2/2014, S. M 64. Enteignen oder Vergesellschaften: wie Berlin die Wohnungsnot bekämpfen will / Bernd Wolf Interviewer, Volkert Vorwerk Interviewter; [mit Zitaten von:] Robert Habeck  – Karlsruhe: Südwestrundfunk Studio Karlsruhe, ARD-Rechtsredaktion Hörfunk, 2019, 7 S. (Radioreport Recht; 30. April 2019).

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Liste der höchstrichterlichen Entscheidungen, an denen Rechtsanwalt Volkert Vorwerk mitgewirkt hat I. Bundesgerichtshof Vorbemerkung In bestimmtem Umfang referiert der Bundesgerichtshof in seinen Entscheidungen nicht nur die Argumente der Berufungsinstanz, sondern führt auch aus, auf welche zusätzlichen Argumente sich der Revisionsführer oder der Revisionsgegner gestützt hat. Meist aber bleiben, jedenfalls in der öffentlichen Wahrnehmung, die Argumente der Prozessbevollmächtigten Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof unbeachtet. Dabei dokumentieren gerade die Entscheidungen in BGHZ auch die Leistungen der Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof. Manchmal enden die Verfahren jedoch nicht vor dem Bundesgerichtshof, sondern die Rechtsfragen werden vor das Bundesverfassungsgericht oder den Europäischen Gerichtshof getragen. Hier gilt entsprechend das Gesagte zu den BGHZ Entscheidungen. Daher sollen auch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs, an denen Volkert Vorwerk mitgewirkt hat, dokumentiert werden. CW ZS I

II

386

BGH, Urteil v. 03.12.1998 – I ZR 119/96

BGHZ 140, 134

BGH, Urteil v. 13.06.2002 – I ZR 1/00

BGHZ 151, 92

BGH, Urteil v. 24.10.2002 – I ZR 3/00

BGHZ 152, 233

BGH, Urteil v. 05.02.2004 – I ZR 171/01

BGHZ 158, 26

BGH, Urteil v. 25.11.2004 – I ZR 145/02

BGHZ 161, 161

BGH, Urteil v. 22.09.2005 – I ZR 188/02

BGHZ 164, 139

BGH, Urteil v. 10.12.2009 – I ZR 46/07

BGHZ 183, 309

BGH, Urteil v. 21.02.2019 – I ZR 98/17

zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen

BGH, Urteil v. 16.11.1998 – II ZR 68/98

BGHZ 140, 63

BGH, Urteil v. 11.01.1999 – II ZR 170/98

BGHZ 140, 258

BGH, Beschl. v. 20.10.2003 – II ZB 27/02

BGHZ 156, 320

BGH, Urteil v. 18.06.2007 – II ZR 86/06

BGHZ 173, 1

BGH, Urteil v. 07.01.2008 – II ZR 283/06

BGHZ 175, 86

BGH, Urteil v. 17.03.2008 – II ZR 45/06

BGHZ 176, 43

BGH, Urteil v. 19.11.2013 – II ZR 383/12

BGHZ 199, 104

BGH, Urteil v. 10.05.2016 – II ZR 342/14

BGHZ 210, 186

Liste der höchstrichterlichen Entscheidungen III

IV

V

BGH, Urteil v. 10.04.1997 – III ZR 104/96

BGHZ 135, 192

BGH, Urteil v. 05.11.1998 – III ZR 95/97

BGHZ 140, 25

BGH, Urteil v. 10.12.1998 – III ZR 233/97

BGHZ 140, 200

BGH, Urteil v. 04.08.2000 – III ZR 158/99

BGHZ 145, 66

BGH, Urteil v. 05.07.2001 – III ZR 310/00

BGHZ 148, 233

BGH, Urteil v. 03.07.2003 – III ZR 348/02

BGHZ 155, 311

BGH, Urteil v. 04.12.2003 – III ZR 30/02

BGHZ 157, 168

BGH, Urteil v. 04.11.2004 – III ZR 361/03

BGHZ 161, 33

BGH, Beschl. v. 26.01.2006 – III ZB 63/05

BGHZ 166, 117

BGH, Urteil v. 23.03.2006 – III ZR 141/05

BGHZ 167, 1

BGH, Urteil v. 30.11.2006 – III ZR 352/04

BGHZ 170, 99

BGH, Urteil v. 07.02.2008 – III ZR 90/07

BGHZ 175, 232

BGH, Urteil v. 12.03.2009 – III ZR 142/08

BGHZ 180, 144

BGH, Urteil v. 15.04.2010 – III ZR 196/09

BGHZ 185, 185

BGH, Urteil v. 05.05.2010 – III ZR 209/09

BGHZ 185, 310

BGH, Urteil v. 21.10.2010 – III ZR 237/09

BGHZ 187, 177

BGH, Urteil v. 04.11.2010 – III ZR 32/10

BGHZ 187, 286

BGH, Urteil v. 14.04.2011 – III ZR 229/09

BGHZ 189, 218

BGH, Urteil v. 14.04.2011 – III ZR 30/10

BGHZ 189, 231

BGH, Urteil v. 07.07.2011 – III ZR 156/10

BGHZ 190, 227

BGH, Urteil v. 18.10.2012 – III ZR 312/11

BGHZ 195, 153

BGH, Urteil v. 23.01.2014 – III ZR 37/13

BGHZ 200, 20

BGH, Urteil v. 17.04.2014 – III ZR 87/13

BGHZ 201, 11

BGH, Urteil v. 11.09.2014 – III ZR 490/13

BGHZ 202, 217

BGH, Urteil v. 18.06.2015 – III ZR 198/14

BGHZ 206, 41

BGH, Urteil v. 09.07.2015 – III ZR 329/14

BGHZ 206, 195

BGH, Beschl. v. 05.11.2015 – III ZB 69/14

BGHZ 207, 306

BGH, Urteil v. 07.07.2016 – III ZR 28/15

BGHZ 211, 88

BGH, Urteil v. 05.04.2018 – III ZR 36/17

BGHZ 218, 200

BGH, Urteil v. 17.05.2018 – III ZR 195/17

BGHZ 219, 1

BGH, Urteil v. 07.03.2019 – III ZR 117/18

zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen

BGH, Urteil v. 27.05.1998 – IV ZR 166/97

BGHZ 139, 52

BGH, Urteil v. 21.05.2003 – IV ZR 209/02

BGHZ 155, 69

BGH, Urteil v. 12.07.2006 – IV ZR 23/05

BGHZ 168, 306

BGH, Urteil v. 03.07.2019 – IV ZR 111/18

zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen

BGH, Urteil v. 10.07.2019 – IV ZB 22/18

zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen

BGH, Urteil v. 24.11.1995 – V ZR 88/95

BGHZ 131, 220

BGH, Urteil v. 26.11.1999 – V ZR 432/98

BGHZ 143, 175

387

Liste der höchstrichterlichen Entscheidungen

VI

VII

388

BGH, Urteil v. 03.11.2000 – V ZR 189/99

BGHZ 145, 383

BGH, Urteil v. 04.05.2001 – V ZR 435/99

BGHZ 147, 320

BGH, Urteil v. 23.11.2001 – V ZR 419/00

BGHZ 149, 213

BGH, Urteil v. 25.10.2002 – V ZR 279/01

BGHZ 152, 255

BGH, Urteil v. 30.05.2003 – V ZR 37/02

BGHZ 155, 99

BGH, Urteil v. 16.01.2004 – V ZR 243/03

BGHZ 157, 301

BGH, Urteil v. 02.12.2005 – V ZR 35/05

BGHZ 165, 184

BGH, Urteil v. 24.03.2006 – V ZR 173/05

BGHZ 167, 19

BGH, Urteil v. 31.03.2006 – V ZR 51/05

BGHZ 167, 108

BGH, Urteil v. 06.10.2006 – V ZR 20/06

BGHZ 169, 215

BGH, Urteil v. 28.09.2007 – V ZR 276/06

BGHZ 174, 20

BGH, Urteil v. 15.02.2008 – V ZR 222/06

BGHZ 175, 253

BGH, Urteil v. 27.03.2009 – V ZR 30/08

BGHZ 180, 205

BGH, Urteil v. 14.12.2012 – V ZR 224/11

BGHZ 196, 45

BGH, Urteil v. 27.03.2015 – V ZR 216/13

BGHZ 204, 364

BGH, Urteil v. 22.01.2016 – V ZR 27/14

BGHZ 208, 316

BGH, Beschl. v. 13.07.2017 – V ZB 186/15

BGHZ 215, 250

BGH, Urteil v. 14.06.2019 – V ZR 254/17

zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen

BGH, Urteil v. 21.01.1997 – VI ZR 338/95

BGHZ 134, 304

BGH, Urteil v. 11.11.1997 – VI ZR 376/96

BGHZ 137, 142

BGH, Urteil v. 16.05.2000 – VI ZR 90/99

BGHZ 144, 311

BGH, Urteil v. 24.01.2006 – VI ZR 290/04

BGHZ 166, 42

BGH, Urteil v. 15.07.2008 – VI ZR 105/07

BGHZ 177, 237

BGH, Urteil v. 30.06.2009 – VI ZR 310/08

BGHZ 181, 368

BGH, Urteil v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12

BGHZ 199, 237

BGH, Urteil v. 14.07.2015 – VI ZR 326/14

BGHZ 206, 219

BGH, Beschl. v. 26.11.2015 – VI ZR 488/14

BGHZ 208, 75

BGH, Urteil v. 15.05.2018 – VI ZR 233/17

BGHZ 218, 348

BGH, Urteil v. 23.05.1996 – VII ZR 245/94

BGHZ 133, 44

BGH, Urteil v. 24.10.1996 – VII ZR 283/95

BGHZ 133, 399

BGH, Urteil v. 05.06.1997 – VII ZR 324/95

BGHZ 136, 27

BGH, Urteil v. 18.09.1997 – VII ZR 300/96

BGHZ 136, 342

BGH, Urteil v. 19.03.1998 – VII ZR 116/97

BGHZ 138, 176

BGH, Urteil v. 14.05.1998 – VII ZR 184/97

BGHZ 139, 16

BGH, Urteil v. 18.06.1998 – VII ZR 189/97

BGHZ 139, 111

BGH, Urteil v. 22.10.1998 – VII ZR 99/97

BGHZ 139, 387

BGH, Urteil v. 17.12.1998 – VII ZR 37/98

BGHZ 140, 248

BGH, Urteil v. 14.01.1999 – VII ZR 277/97

BGHZ 140, 263

Liste der höchstrichterlichen Entscheidungen

VIII

BGH, Urteil v. 11.02.1999 – VII ZR 399/97

BGHZ 140, 365

BGH, Urteil v. 16.09.1999 – VII ZR 456/98

BGHZ 142, 278

BGH, Urteil v. 21.10.1999 – VII ZR 185/98

BGHZ 143, 32

BGH, Urteil v. 17.02.2000 – VII ZR 51/98

BGHZ 143, 397

BGH, Urteil v. 07.06.2001 – VII ZR 420/00

BGHZ 148, 85

BGH, Urteil v. 27.02.2003 – VII ZR 338/01

BGHZ 154, 119

BGH, Urteil v. 24.02.2005 – VII ZR 141/03

BGHZ 162, 259

BGH, Urteil v. 06.10.2005 – VII ZR 325/03

BGHZ 164, 235

BGH, Urteil v. 12.01.2006 – VII ZR 2/04

BGHZ 165, 382

BGH, Urteil v. 11.05.2006 – VII ZR 261/04

BGHZ 167, 337

BGH, Urteil v. 08.06.2006 – VII ZR 13/05

BGHZ 168, 96

BGH, Urteil v. 27.07.2006 – VII ZR 202/04

BGHZ 168, 368

BGH, Urteil v. 28.09.2006 – VII ZR 247/05

BGHZ 169, 153

BGH, Urteil v. 12.10.2006 – VII ZR 307/04

BGHZ 169, 261

BGH, Urteil v. 14.06.2007 – VII ZR 45/06

BGHZ 172, 346

BGH, Urteil v. 28.06.2007 – VII ZR 81/06

BGHZ 173, 83

BGH, Urteil v. 11.10.2007 – VII ZR 99/06

BGHZ 174, 32

BGH, Urteil v. 25.09.2008 – VII ZR 174/07

BGHZ 178, 130

BGH, Urteil v. 27.11.2008 – VII ZR 206/06

BGHZ 179, 55

BGH, Urteil v. 17.04.2009 – VII ZR 164/07

BGHZ 180, 235

BGH, Urteil v. 04.06.2009 – VII ZR 54/07

BGHZ 181, 225

BGH, Beschl. v. 23.07.2009 – VII ZB 3/07

BGHZ 182, 150

BGH, Urteil v. 22.07.2010 – VII ZR 213/08

BGHZ 186, 295

BGH, Urteil v. 22.07.2010 – VII ZR 246/08

BGHZ 186, 345

BGH, Urteil v. 22.07.2010 – VII ZR 144/09

BGHZ 186, 314

BGH, Urteil v. 18.12.2014 – VII ZR 350/13

BGHZ 204, 19

BGH, Urteil v. 18.12.2014 – VII ZR 102/14

BGHZ 204, 12

BGH, Beschl. v. 29.06.2016 – VII ZB 4/15

BGHZ 211, 46

BGH, Urteil v. 06.12.2018 – VII ZR 285/17

zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen

BGH, Urteil v. 11.12.1996 – VIII ZR 154/95

BGHZ 134, 201

BGH, Urteil v. 26.05.1999 – VIII ZR 141/98

BGHZ 142, 23

BGH, Urteil v. 20.07.2005 – VIII ZR 121/04

BGHZ 164, 11

BGH, Urteil v. 15.07.2008 – VIII ZR 211/07

BGHZ 177, 224

BGH, Beschl. v. 27.10.2009 – VIII ZB 42/08

BGHZ 183, 49

BGH, Urteil v. 17.10.2012 – VIII ZR 226/11

BGHZ 195, 135

BGH, Urteil v. 14.05.2014 – VIII ZR 266/13

BGHZ 201, 252

389

Liste der höchstrichterlichen Entscheidungen

IX

X

XI

390

BGH, Urteil v. 15.04.2015 – VIII ZR 59/14

BGHZ 205, 43

BGH, Urteil v. 25.11.2015 – VIII ZR 360/14

BGHZ 208, 52

BGH, Urteil v. 18.01.2017 – VIII ZR 263/15

BGHZ 213, 302

BGH, Urteil v. 21.03.2018 – VIII ZR 104/17

BGHZ 218, 162

BGH, Urteil v. 09.05.2018 – VIII ZR 26/17

BGHZ 218, 320

BGH, Urteil v. 13.06.1996 – IX ZR 233/95

BGHZ 133, 110

BGH, Urteil v. 09.09.1997 – IX ZR 14/97

BGHZ 136, 309

BGH, Urteil v. 22.01.1998 – IX ZR 99/97

BGHZ 138, 40

BGH, Urteil v. 02.03.2000 – IX ZR 328/98

BGHZ 144, 52

BGH, Urteil v. 19.10.2000 – IX ZR 255/99

BGHZ 145, 352

BGH, Urteil v. 15.07.2004 – IX ZR 224/03

BGHZ 160, 107

BGH, Urteil v. 03.03.2005 – IX ZR 441/00

BGHZ 162, 276

BGH, Urteil v. 05.05.2011 – IX ZR 176/10

BGHZ 189, 320

BGH, Urteil v. 19.12.2000 – X ZR 128/99

BGHZ 146, 228

BGH, Urteil v. 10.02.2004 – X ZR 117/02

BGHZ 158, 63

BGH, Urteil v. 07.09.2004 – X ZR 255/01

BGHZ 160, 204

BGH, Urteil v. 21.12.2005 – X ZR 17/03

BGHZ 165, 305

BGH, Urteil v. 21.12.2005 – X ZR 72/04

BGHZ 165, 311

BGH, Urteil v. 18.09.2007 – X ZR 167/05

BGHZ 173, 356

BGH, Urteil v. 27.11.2012 – X ZR 58/07

BGHZ 195, 364

BGH, Urteil v. 19.06.2018 – X ZR 100/16

BGHZ 219, 108

BGH, Urteil v. 01.07.1997 – XI ZR 267/96

BGHZ 136, 161

BGH, Urteil v. 02.05.2000 – XI ZR 150/99

BGHZ 144, 223

BGH, Urteil v. 12.11.2002 – XI ZR 47/01

BGHZ 152, 331

BGH, Urteil v. 17.06.2003 – XI ZR 195/02

BGHZ 155, 166

BGH, Urteil v. 17.02.2004 – XI ZR 140/03

BGHZ 158, 149

BGH, Urteil v. 30.11.2004 – XI ZR 200/03

BGHZ 161, 189

BGH, Urteil v. 08.03.2005 – XI ZR 154/04

BGHZ 162, 294

BGH, Urteil v. 03.05.2005 – XI ZR 287/04

BGHZ 163, 59

BGH, Urteil v. 25.04.2006 – XI ZR 193/04

BGHZ 167, 252

BGH, Urteil v. 25.04.2006 – XI ZR 271/05

BGHZ 167, 268

BGH, Urteil v. 16.05.2006 – XI ZR 6/04

BGHZ 168, 1

BGH, Urteil v. 14.11.2006 – XI ZR 294/05

BGHZ 170, 18

BGH, Urteil v. 10.06.2008 – XI ZR 283/07

BGHZ 177, 69

BGH, Urteil v. 22.07.2008 – XI ZR 389/07

BGHZ 177, 345

BGH, Urteil v. 10.03.2009 – XI ZR 33/08

BGHZ 180, 123

BGH, Urteil v. 27.10.2009 – XI ZR 225/08

BGHZ 183, 60

BGH, Urteil v. 29.06.2010 – XI ZR 104/08

BGHZ 186, 96

Liste der höchstrichterlichen Entscheidungen

XII

BGH, Beschl. v. 21.10.2014 – XI ZB 12/12

BGHZ 203, 1

BGH, Beschl. v. 22.11.2016 – XI ZB 9/13

BGHZ 213, 65

BGH, Urteil v. 09.05.2017 – XI ZR 308/15

BGHZ 215, 23

BGH, Beschl. v. 19.09.2017 – XI ZB 13/14

BGHZ 216, 27

BGH, Beschl. v. 19.09.2017 – XI ZB 17/15

BGHZ 216, 37

BGH, Urteil v. 24.09.1997 – XII ZR 234/95

BGHZ 136, 357

BGH, Urteil v. 24.06.1998 – XII ZR 195/96

BGHZ 139, 123

BGH, Urteil v. 30.06.1999 – XII ZR 55/97

BGHZ 142, 158

BGH, Urteil v. 29.11.2000 – XII ZR 165/98

BGHZ 146, 114

BGH, Urteil v. 29.01.2003 – XII ZR 92/01

BGHZ 153, 358

BGH, Urteil v. 25.06.2003 – XII ZR 161/01

BGHZ 155, 249

BGH, Urteil v. 28.01.2004 – XII ZR 221/01

BGHZ 157, 379

BGH, Urteil v. 04.02.2004 – XII ZR 301/01

BGHZ 158, 19

BGH, Urteil v. 13.04.2005 – XII ZR 273/02

BGHZ 162, 384

BGH, Beschl. v. 27.04.2005 – XII ZB 184/02

BGHZ 163, 37

BGH, VU v. 06.07.2005 – XII ZR 293/02

BGHZ 163, 324

BGH, Urteil v. 01.03.2006 – XII ZR 210/04

BGHZ 166, 283

BGH, Urteil v. 03.05.2006 – XII ZR 195/03

BGHZ 168, 79

BGH, Urteil v. 25.10.2006 – XII ZR 5/04

BGHZ 169, 328

BGH, Urteil v. 22.11.2006 – XII ZR 119/04

BGHZ 170, 77

BGH, Urteil v. 06.12.2006 – XII ZR 164/04

BGHZ 170, 161

BGH, Urteil v. 04.07.2007 – XII ZR 251/04

BGHZ 173, 210

BGH, Urteil v. 06.02.2008 – XII ZR 45/06

BGHZ 175, 207

BGH, Urteil v. 28.05.2008 – XII ZR 61/06

BGHZ 176, 365

BGH, Urteil v. 30.07.2008 – XII ZR 177/06

BGHZ 177, 356

BGH, Urteil v. 17.12.2008 – XII ZR 9/07

BGHZ 179, 196

BGH, Urteil v. 18.02.2009 – XII ZR 156/07

BGHZ 180, 51

BGH, Beschl. v. 02.09.2009 – XII ZB 50/06

BGHZ 182, 204

BGH, Urteil v. 24.03.2010 – XII ZR 175/08

BGHZ 185, 1

BGH, Urteil v. 26.05.2010 – XII ZR 143/08

BGHZ 186, 1

BGH, Urteil v. 02.02.2011 – XII ZR 185/08

BGHZ 188, 249

BGH, Urteil v. 09.02.2011 – XII ZR 40/09

BGHZ 188, 282

BGH, Urteil v. 09.11.2011 – XII ZR 136/09

BGHZ 191, 259

BGH, Urteil v. 16.01.2013 – XII ZR 141/10

BGHZ 196, 95

BGH, Beschl. v. 08.07.2015 – XII ZB 56/14

BGHZ 206, 177

BGH, Beschl. v. 17.02.2016 – XII ZB 447/13

BGHZ 209, 32

BGH, Beschl. v. 23.11.2016 – XII ZB 149/16

BGHZ 213, 107

BGH, Beschl. v. 01.02.2017 – XII ZB 71/16

BGHZ 214, 45

391

Liste der höchstrichterlichen Entscheidungen

II. Bundesverfassungsgericht Entscheidungen zum „Badenia Komplex“ (mehrere Verfahren wurden aufgrund des Beschlusses v. 28.06.2012 gemeinsam ­unter einem Entscheidungsdatum entschieden) BVerfG (3. Kammer des Ersten Senates), Beschl. v. 28.06.2012

1 BvR 2952/08

BVerfGK 19, 467 = WM 2013, 15

BVerfG (3. Kammer des Ersten Senates), Beschl. v. 14.11.2012

1 BvR 3236/08 1 BvR 3241/08 1 BvR 83/09 1 BvR 423/09

BVerfG (3. Kammer des Ersten Senates), Beschl. v. 14.11.2012

1 BvR 2953/08 1 BvR 2956/08 1 BvR 2957/08 1 BvR 3488/08 1 BvR 3489/08 1 BvR 1421/09 1 BvR 1422/09 1 BvR 1423/09 1 BvR 1425/09 1 BvR 2042/09

BVerfG (3. Kammer des Ersten Senates), Beschl. v. 14.11.2012

1 BvR 3238/08 1 BvR 3239/08

BVerfG (3. Kammer des Ersten Senates), Beschl. v. 14.11.2012

1 BvR 2954/08

BVerfG (3. Kammer des Ersten Senates), Beschl. v. 14.11.2012

1 BvR 3237/08

BVerfG (3. Kammer des Ersten Senates), Beschl. v. 14.11.2012

1 BvR 3240/08

BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 22.08.2013

1 BvR 1067/12

NJW 2013, 3630

BVerfG (2. Kammer des Ersten Senats), Beschl. v. 20.11.2013

1 BvR 63/12

NJW 2014, 843

BVerfG, Beschl. v. 16.12.2014

1 BvR 2142/11

BVerfGE 138, 64

III. Europäischer Gerichtshof EuGH (Große Kammer), Urteil v. 18.10.2011

392

Rs. C-34/10 – Oliver Brüstle/Greenpeace eV. Ersuchen um Vorabent­scheidung: Bundesgerichtshof – Deutschland

European Court Reports 2011 I-09821, ECLI:EU:C:2011:669 = EuZW 2011, 908