Geld – Traum und Albtraum: Rüstzeug für den selbstkritischen Gebrauch [1 ed.] 9783666406775, 9783525406779


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German Pages [92] Year 2019

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Geld – Traum und Albtraum: Rüstzeug für den selbstkritischen Gebrauch [1 ed.]
 9783666406775, 9783525406779

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Rolf Haubl

GELD Traum und Albtraum

Rüstzeug für den selbstkritischen Gebrauch

Herausgegeben von

Stefan Busse, Rolf Haubl, Heidi Möller

BERATEN IN DER ARBEITSWELT Herausgegeben von Stefan Busse, Rolf Haubl und Heidi Möller

Rolf Haubl

Geld – Traum und Albtraum Rüstzeug für den selbstkritischen Gebrauch

Mit einer Tabelle

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: vladwel/shutterstock.com Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2625-6061 ISBN 978-3-666-40677-5

Inhalt Zu dieser Buchreihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Einleitung und Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Gesellschaftliche Funktionen des Geldverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Gefühle des Homo oeconomicus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Geld und das gute Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Ambivalenz des Geldgebrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 ▶  Fallanalyse: Sehnsucht nach geldfreien Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . 14 Geld schafft Wahlfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Kommerzialisierung: Alles hat seinen Preis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Reichtum: Mehr ist oft zu viel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Monetäre Sozialcharaktere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Tugenden und Untugenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Sparsamkeit: Veredelung des Verzichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Verschwendung: Ohne Maß und Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Geiz: Angst, Geld auszugeben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Gier: Angst, nicht satt zu werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Kleinlichkeit: Zwanghafte Korrektheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Großzügigkeit: In Hülle und Fülle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Akteure im Geldgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Kredite: Verzichte nie! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Aktien: Den großen Coup landen! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 ▶  Fallanalyse: Geld arbeiten lassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Kundenberater und -beraterinnen als professionelle Verführende . . . . . . . . 42 ▶  Fallanalyse: Daytrading als magische Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Wissenschaftlich optimierter Optimismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Inhalt

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Private Finanzkrisen: Überschuldung als kritisches Lebensereignis . . . . . 52 Exemplarische Schuldnerkarriere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Schuldnerberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Die heilige Familie und das liebe Geld: Geld und Besitz in Familienunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Nachfolgeprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 ▶  Fallanalyse: Destruktive Kränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Typische Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Beratungsresistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 (Unbewusste) subjektive Bedeutungen des Geldes . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Typologie der Geldstile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 Geldstile und Geschlecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Finanztherapeutische Interventionen: Geldzentrierte Selbsterfahrungsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Modul »Wünsche« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 Modul »Statements« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 ▶  Fallvignette »Harmoney« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Modul »Herkunft« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 ▶  Fallvignette »Geld vernünftig gebrauchen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Modul »Konfliktsituationen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 ▶  Fallvignette »Kollegialität« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 Modul »Gehaltsforderung« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Geld im Beratungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 ▶  Fallvignette »Im Dienst des Klienten« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 ▶  Fallvignette »Insidergeschäft« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 ▶  Fallvignette »Auftrag zum Coaching« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

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Inhalt

Zu dieser Buchreihe

Die Reihe wendet sich an erfahrene Beratende und Personal­ verantwortliche, die Beratung beauftragen, die Lust haben, scheinbar vertraute Positionen neu zu entdecken, neue Positionen kennenzulernen, und die auch angeregt werden wollen, eigene zu beziehen. Wir denken aber auch an Kolleginnen und Kollegen in der Aus- und Weiterbildung, die neben dem Bedürfnis, sich Beratungsexpertise anzueignen, verfolgen wollen, was in der Community praktisch, theoretisch und diskursiv en vogue ist. Als weitere Zielgruppe haben wir mit dieser Reihe Beratungsforschende, die den Dialog mit einer theoretisch aufgeklärten Praxis und einer praxisaffinen Theorie verfolgen und mitgestalten wollen, im Blick. Theoretische wie konzeptuelle Basics als auch aktuelle Trends werden pointiert, kompakt, aber auch kritisch und kontrovers dargestellt und besprochen. Komprimierende Darstellungen »verstreuten« Wissens als auch theoretische wie konzeptuelle Weiterentwicklungen von Beratungsansätzen sollen hier Platz haben. Die Bände wollen auf je rund 90 Seiten den Leserinnen und Lesern die Option eröffnen, sich mit den Themen intensiver vertraut zu machen, als dies bei der Lektüre kleinerer Formate wie Zeitschriftenaufsätzen oder Hand- oder Lehrbuchartikeln möglich ist. Die Autorinnen und Autoren der Reihe bearbeiten Themen, die sie aktuell selbst beschäftigen und umtreiben, die aber auch in der Beratungscommunity Virulenz haben und Aufmerksamkeit finden. So offerieren die Texte nicht einfach abgehangenes Beratungswissen, sondern bewegen sich an den vordersten Linien aktueller und brisanter Zu dieser Buchreihe

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Themen und Fragestellungen von Beratung in der Arbeitswelt. Der gemeinsame Fokus liegt dabei auf einer handwerklich fundierten, theoretisch verankerten und gesellschaftlich verantwortlichen Beratung. Die Reihe versteht sich dabei als methoden- und schulenübergreifend, in der zu einem transdisziplinären und interprofessionellen Dialog in der Beratungsszene angeregt wird. Wir laden Sie als Leserinnen und Leser dazu ein, sich von der ­Themenauswahl und der kompakten Qualität der Texte für Ihren Arbeitsalltag in den Feldern Supervision, Coaching und Organisationsberatung inspirieren zu lassen. Stefan Busse, Rolf Haubl und Heidi Möller

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Zu dieser Buchreihe

Einleitung und Vorbemerkung

Vor einiger Zeit suchte mich eine junge Frau auf, um Coaching nachzufragen. Sie hatte sich auf die Stelle einer Assistentin der Geschäftsleitung eines Unternehmens beworben und wollte sich nun mit meiner Hilfe auf das anstehende Bewerbungsgespräch vorbereiten. Die Stelle erschien ihr von den Aufgaben her attraktiv und auch gut bezahlt. Allerdings würde sie weniger verdienen als ein Mann in einer vergleichbaren Position. Sie wisse, wie verbreitet diese soziale Ungleichheit sei. Der Maxime »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit« stimme sie nicht nur zu, sondern trete auch politisch für deren Realisierung ein. Im Bewerbungsgespräch wolle sie diese Ungerechtigkeit gegebenenfalls zum Thema machen, zu bedenken geben, wie kränkend es sei, nicht gleich behandelt zu werden. Meine Frage, ob ein Bewerbungsgespräch denn der passende Ort sei, um eine solche Diskussion zu provozieren, verneinte sie zwar, es blieb aber spürbar, dass die Angelegenheit für sie noch nicht erledigt war. Wenn es dazu komme, ihre Gehaltsvorstellungen zu erläutern, werde sie mit einer langen Liste von Qualifikationen aufwarten und letztlich eine Summe nennen, die nahe an den Vergleichsgrößen der Männer liege. Gesagt, getan. Nach dem Bewerbungsgespräch kam die junge Frau erneut zu mir und erzählte, wie es gelaufen war. In der Tat habe sie ihre Gehaltsvorstellungen offensiv vorgetragen und es sich nicht verkneifen können, mit der Bemerkung zu enden, das Geld »sei sie auch wert«. Ihr potenzieller Chef habe daraufhin gekontert: Sie wisse aber schon, dass sich »Wert und Preis unterscheiden«. An diesem Punkt im Gespräch sei ihr mulmig geworden. Sie habe mit einer scharfen Reaktion gerechnet, die aber ausgeblieben sei. Sie beide hätten wortlos so getan, als sei ihre Konfrontation gar nicht ernst gemeint. Auf diese Einleitung und Vorbemerkung

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Weise entschärft, hätten sie sich wieder den Arbeitsinhalten zugewandt. Die junge Frau habe sich als kompetent präsentiert und sei offenbar auch so wahrgenommen worden. Am Ende des Gesprächs habe sie ein Angebot erhalten, das zwar unter ihren Vorstellungen liege, aber lukrativ genug sei, um es anzunehmen. Welchen tatsächlichen Wert ihre Arbeit für das Unternehmen haben werde, müsse sich nun zeigen.

Dieser Ausschnitt aus einer Fallerzählung gibt das Leitmotiv des Buches vor: Geld ist ein soziales Medium, das das Wirtschaftssystem einer Gesellschaft mit dem psychischen System seiner Mitglieder verbindet. Auf diese Weise entstehen Sozialcharaktere, die eine Gesellschaft und ihre verschiedenen Organisationen reproduzieren. Geld macht mobil. Bewusst, vorbewusst und unbewusst. Was das im Guten wie im Schlechten heißt, soll in den folgenden Kapiteln exploriert werden. Der Inhalt des Buches besteht zum Teil aus bereits vorhandenen Textbausteinen, manche überarbeitet, inhaltlich und/oder stilistisch; andere sind neu. Eingebettet werden diese Bausteine in verschiedene Diskurse, die es zum Thema monetärer Kompetenz gibt, angereichert durch eigene Daten aus qualitativen und quantitativen empirischen Untersuchungen, plus Erfahrungen mit geldzentrierten Selbsterfahrungsgruppen (»Mein persönlicher Umgang mit Geld«) sowie Einzelcoachings, die ich in den letzten Jahren gesammelt habe. Ziel ist es zum einen, Beratern einige Anregungen zu geben, wie sie das Thema Geld in ihrer praktischen Arbeit fallspezifisch reflektieren können, zum anderen, welche gehaltvollen explikativen Konzepte sie dafür nutzen können. Bevor es losgeht, noch eine Anmerkung: Bei der gendergerechten Schreibweise habe ich mich um einen lockeren Wechsel zwischen männlichen und weiblichen Bezeichnungen bemüht, es mögen sich bitte alle Geschlechtsidentitäten angesprochen und mitgemeint fühlen. Sofern Personen eines bestimmten Geschlechts gemeint sind, werde ich das explizit zum Ausdruck bringen.

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Einleitung und Vorbemerkung

Gesellschaftliche Funktionen des Geldverkehrs

Gefühle des Homo oeconomicus In modernen Gesellschaften werden die Lebenschancen der Gesellschaftsmitglieder weitgehend durch die Geldmenge bestimmt, über die sie verfügen. Da Geld keinen Eigenwert hat, sondern seinen Wert aus seinen Einsatzmöglichkeiten auf Märkten bezieht, manifestiert es Tauschbeziehungen, die prinzipiell ohne Ansehen der Person bestehen. Um kompetent mit ihm umzugehen, müssen die Gesellschaftsmitglieder deshalb fähig sein, von allem abzusehen, was persönliche Beziehungen ausmacht. Denn nur dann können sie nüchtern monetär kalkulieren. Diese Abstraktion erfolgt nicht naturwüchsig. Vielmehr ist sie das historische Ergebnis langwieriger Vergesellschaftungs- und Sozialisationsprozesse, in deren Verlauf die »Triebstruktur des Geldes« zunehmend rationalisiert wird. Dabei führt der Weg der Entsinnlichung von den frühen Naturalgeldkonventionen über die stoffliche Wertdeckung (Gold- und Silbermünzen) und die Erfindung von Scheidemünzen und Banknoten, Kredit- und Giralgeld (Schecks, Wechsel, Überweisungen) hin zur Plastiklegitimation der Scheckkarte. Obwohl sich die Geldwirtschaft seit Jahrhunderten durchgesetzt hat, ist ein zweckrationales Verhältnis zu Geld bis heute nicht selbstverständlich. Die Gesellschaftsmitglieder erleben und gebrauchen es nicht nur gemäß seiner ökonomischen Bestimmung. Geld ist nicht einfach bloßes Tausch- und Zahlungsmittel sowie Mittel der Wertbemessung, Wertaufbewahrung und Wertübertragung und hat sonst keine Bedeutung. Die Mitglieder moderner Gesellschaften erleben Gefühle des Homo oeconomicus

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und gebrauchen es immer auch als ein Symbol, in dem die ökonomische Bedeutung mit einer emotionalen Bedeutung konfundiert ist. In der Art und Weise, wie wir mit Geld umgehen, kommt unsere Persönlichkeit mit allen unbewältigten lebensgeschichtlichen Traumata und Konflikten zum Ausdruck. Und deshalb lässt Geld uns nicht kalt, ganz gleich, wie viel wir davon zur Verfügung haben. Die emotionale Bedeutung kann derart im Vordergrund stehen, dass sie – und zwar unabhängig von der Geldmenge – einen kompetenten Geldgebrauch erschwert oder gar verhindert. Um das alltagsökonomische Handeln moderner Menschen angemessen zu verstehen, sind Vorstellungen, wie sie von Wirtschaftswissenschaftlern entwickelt werden, keine große Hilfe, da es den von ihnen unterstellten Homo oeconomicus lebensweltlich nicht gibt. Dessen Rationalität ist nur allzu oft die Rationalisierung eines irrationalen Begehrens, dessen Konzeptualisierung einer sozio- und psychodynamischen Perspektive bedarf. In einer modernen Gesellschaft kann sich kein Mitglied leisten, von Geld nichts zu verstehen. Die Beherrschung dieses Mediums sozioökonomischer Integration ist eine elementare Kulturtechnik, mindestens ebenso relevant wie Lesen, Schreiben, Rechnen und die Handhabung des Computers. Und dennoch enthält ein Großteil der Bevölkerung in der Regel keine systematische Unterrichtung, wie Geld erworben, verwaltet und vermehrt wird. Ihre monetäre Kompetenz erlangen die Gesellschaftsmitglieder hauptsächlich durch die praktische Teilhabe am alltäglichen Geldgebrauch. Es fehlen soziale Räume, in denen wir handlungsentlastet darüber reflektieren, was wir mit Geld machen und was Geld mit uns macht. Für manche von uns muss es erst zu einer krisenhaften Entwicklung unserer finanziellen Verhältnisse kommen, um uns die monetären Randbedingungen unseres persönlichen Lebensentwurfes bewusst zu machen und unsere monetäre Kompetenz selbstkritisch auf den Prüfstand zu stellen.

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Gesellschaftliche Funktionen des Geldverkehrs

Geld und das gute Leben Zu allen modernen Vorstellungen von einem guten Leben gehört, dass man das nötige Geld besitzt und es für befriedigende Güter ausgibt. Geld soll Mittel bleiben und nicht zu einem Selbstzweck werden. Aber wer hat wann genug Geld? In einer kapitalistischen Gesellschaft, in der die Tendenz besteht, den Wert von Personen nach dem Geld zu bemessen, über das sie verfügen, ist die Frage schwer zu beantworten. Im sozialen Vergleich wird es immer andere geben, die weniger Geld haben, aber immer auch andere, die mehr haben. Da Geldbesitz auf einer Skala abgetragen wird, die nach oben offen ist, gibt es für ihn keine natürliche Grenze, so wie auch niemand zu Ende zählen kann, weil die Zahlenreihe kein Ende hat. Im Unterschied zu Geld sind Bedürfnisse ihrer Natur nach nicht linear, sondern zyklisch. Einer kapitalistischen Gesellschaft muss dies ein Ärgernis sein, weil ihre Warenproduktion einen Konsumenten verlangt, der keine Sättigung kennt. Folglich zielt sie darauf ab, nicht nur Waren, sondern auch Bedürfnisse zu produzieren. Durch die Synchronisierung von Warenproduktion und Bedürfnisproduktion werden die Bedürfnisse nach der Logik des Geldes strukturiert und damit unendlich. Als Gut, in dem alle käuflichen Güter aufgehoben sind, verweist Geld zudem immer über die Gegenwart hinaus: Es hält Möglichkeiten für Befriedigungen vorrätig, für die es in der Gegenwart noch gar keine Bedürfnisse gibt. Die Ultima Ratio dieser Orientierung ist es, alle Güter zu Waren zu machen und die Vorstellung von einem guten Leben an deren Besitz zu binden. In einem finalen Schritt sind es dann die Waren selbst, die diese Entwicklung stören. Denn alle gekauften Güter sind enttäuschungs­anfällig, weil sich jederzeit herausstellen kann, dass sie nicht – vielleicht auch nie – so gut sind wie versprochen und gewünscht. Das einzige Gut, für das dies nicht in gleicher Weise gilt, ist das Geld, weshalb es der Logik des Systems entspricht, es selbst zu einer endlos nachgefragten Ware zu machen.

Geld und das gute Leben

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Ambivalenz des Geldgebrauchs Monetarisierung ist allerdings psychisch riskant. So habe ich vor einigen Jahren mit einem Kollegen eine explorative Befragung zu Geldstereotypen durchgeführt. Wir befragten eine repräsentative Stichprobe von Augsburger Erstsemestern der Wirtschaftswissenschaften. In dieser Stichprobe stimmte eine Mehrheit dem Statement »Geld verdirbt den Charakter« zu. Desgleichen war die Mehrheit der Befragten der Meinung: »Freundlichkeit, Großzügigkeit und Liebe sind eher unter den Armen als unter den Reichen zu finden.« Die in diesen Stereotypen zum Ausdruck kommende Sehnsucht nach unmittelbaren, nicht geldvermittelten zwischenmenschlichen Beziehungen stand im Gegensatz zu dem Stereotyp »Geld regiert die Welt«. Und auch diesem Statement stimmte eine Mehrheit der Befragten zu. Damit wird ein Dilemma deutlich: Auf der einen Seite büßt man in einer monetarisierten Gesellschaft, ohne über ausreichend Geld zu verfügen, an Kontrolle über seine Lebensbedingungen ein. Folglich gilt es, nach Geld zu streben, um sich möglichst viele Befriedigungschancen zu eröffnen. Dieses Streben bringt aber auf der anderen Seite psychische Kosten mit sich, die – allgemein formuliert – in der Gefahr bestehen, sich an die Welt des Geldes zu verlieren.

▶▶ Fallanalyse: Sehnsucht nach geldfreien Beziehungen An einer meiner geldzentrierten Selbsterfahrungsgruppen nahm ein ökonomisch höchst erfolgreicher jüngerer Mann teil, der in den letzten paar Jahren bereits drei Geschäfte eröffnet hatte und jetzt vor der Eröffnung eines vierten stand. Seine Teilnahme begründete er mit der rätselhaften Frage, herausfinden zu wollen, warum seine Frau so gut wie kein Geld ausgebe, es sei denn für die Kinder, obwohl er doch mehr als genug Geld zur Verfügung hätte. Im Laufe des Gruppenprozesses, in dem er immer wieder andere Gruppenmitglieder durch sein großspuriges Auftreten provozierte, 14

Gesellschaftliche Funktionen des Geldverkehrs

stellte sich heraus, dass er aus armen sozialen Verhältnissen stammte. Während seine Eltern stolz darauf waren, eine vielköpfige Familie durchzubringen, schämte er sich für sie. Bereits als Jugendlicher hatte er den Entschluss gefasst, seine Herkunft vergessen zu machen. Das gelang ihm, ganz Selfmademan, dann auch auf beeindruckende Weise. Die Beziehung zu seiner Familie war allerdings denkbar schlecht. Sie beschränkte sich auf einen minimalen Kontakt. Für finanzielle Hilfeleistungen stand er erst nach Bitten und Betteln zur Verfügung, wenn überhaupt. Die Frau, die er heiratete, entstammte ähnlichen sozialen Verhältnissen, ohne sich aber ihrer Herkunft zu schämen. Indem sie das Geld zurückwies, das er ihr zur Verfügung stellte und von dem er sich wünschte, dass sie es mit vollen Händen ausgäbe, spiegelte sie ihm seinen Reichtum als Abwehr von Scham- und Schuldgefühlen. Was er sich tatsächlich wünschte, zeigte sich in einer der Gruppensitzungen, als er anders als sonst nicht im feinen Anzug, sondern in Freizeitkleidung erschien: Er trug einen samtweichen Nicki-Pullover mit aufgestickter Teddybären-Familie: Papa Bär, Mama Bär und ein kleiner Bär mit bunten Luftballons. Dieses regressive Kinderbild einer sorgenfreien Familie war offenbar der tyrannische Harmoniestandard, an dem er seine Eltern scheitern ließ, obwohl sie ihn doch stets nach Kräften förderten. Destruktiv wirkte dieses Bild noch auf andere Weise: Je mehr sich seine Frau seinem Geld verweigerte, desto geschäftiger wurde er. So stellte sich heraus, dass er jedes weitere seiner Geschäfte weniger solide finanziert hatte, so dass er auf einen Ruin zusteuerte, der sich bereits am Horizont abzeichnete – als wollte er auf fatale Weise zu der Armut zurück, aus der er einst aufgestiegen war, ohne diesen Aufstieg bisher psychisch integriert zu haben. Zu Beginn der Selbsterfahrungsgruppe war ihm der Großteil dieser Psychodynamik nicht bewusst. Allmählich gewann er immer mehr Einsicht, die ihn aber so schreckte, dass er seine Teilnahme schließlich abbrach, einfach nicht mehr zu den Sitzungen erschien, dafür aber dem Institut, in dessen Rahmen ich die Selbsterfahrungsgruppe anbot, eine größere Summe Geldes spendete. Ambivalenz des Geldgebrauchs

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Geld schafft Wahlfreiheit Mit Geld gewinnt man an Kontrolle über seine Lebensbedingungen, weil es Wahlfreiheit verschafft. Wer über Geld verfügt, kann wählen, welches Bedürfnis er damit zu befriedigen sucht. Diese Freiheit wird hoch geschätzt. Das lässt sich an folgender Alltagsszene gut veranschaulichen: Sie werden von einem jungen Mann am Bahnhof um einen Euro angebettelt. Sie stiften nicht unbedingt Freude, sollten Sie ihm, statt ihm Geld zu geben, ein belegtes Brötchen kaufen, auch wenn das sehr viel mehr als einen Euro kostet. Während das Geldgeschenk die Wahlfreiheit des Bettelnden vergrößert, bewirkt das Brötchen nichts dergleichen. Mehr noch: Der Bettelnde kann es sogar als Versuch verstehen, ihm seine Wahlfreiheit zu nehmen. Zum Beispiel dann, wenn er Grund hat, Ihnen zu unterstellen, Sie würden ihm ein belegtes Brötchen kaufen, damit er etwas zu essen habe und sein Geld nicht für Alkohol oder sonstige Drogen ausgebe. Dadurch wird aus Ihrem Geschenk ein Erziehungsversuch, der moralisierend in das Leben des Bettelnden eingreift. Indem Sie ihm ein belegtes Brötchen statt Geld geben, bestreiten Sie seine Freiheit, zu leben, wie er will. Stattdessen führen Sie mit Ihrer Handlung eine Unterscheidung zwischen legitimen Bedürfnissen und illegitimen Bedürfnissen ein. Sie zensieren, und das ärgert ihn. Wahlfreiheit – genau das ist die psychosoziale Bedeutung von eigenem Geld: Wer über eigenes Geld verfügt, kann damit machen, was er oder sie will. Solange er etwa als Kind seine Eltern bitten muss, ihm dieses oder jenes zu kaufen, solange ist er gezwungen, seine Bedürfnisse ihrer Prüfung auszusetzen, das heißt: Er ist von ihrem guten Willen abhängig. Wer über eigenes Geld verfügt, ganz gleich, woher er es hat, verlässt diese kindliche Position. Denn er kann es in eine Lebensführung investieren, die anderen nicht gefallen muss. Insofern markiert eigenes Geld den Status eines Erwachsenen. Wem es fehlt, erleidet einen beschämenden Statusverlust.

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Gesellschaftliche Funktionen des Geldverkehrs

Kommerzialisierung: Alles hat seinen Preis »Käuflichkeit« heißt in seiner Grundbedeutung, dass etwas zu kaufen ist. Ökonomisch ausgedrückt: dass ein materielles oder ideelles Gut als Ware auf einem Markt gehandelt wird und demzufolge einen Preis hat, wenn auch nicht immer denselben, weil Preisschwankungen aufgrund veränderter Angebote und Nachfragen an der Tagesordnung sind. Von Käuflichkeit zu sprechen, hat aber noch eine weitere Bedeutung: dass ein bestimmtes Gut als Ware behandelt und gehandelt wird, aber nicht so behandelt und gehandelt werden sollte, weil dadurch ein zentraler Wert verletzt wird, der für die Gesellschaft kon­ stitutiv ist. In diesem Sinne empört es, wenn sich z. B. herausstellt, dass bei einer Abstimmung »gekaufte« Stimmen den Ausschlag gegeben haben, wobei »gekauft« nicht immer Geld heißen muss, sondern auch in Vergünstigungen bestehen kann. Für welche Güter ein Verkaufs- und Kaufverbot gilt, lässt sich nicht definitiv sagen, denn die Zeiten ändern sich. Im historischen Maßstab betrachtet, wird man sagen müssen, dass die Kommerzialisierung – die Verwandlung eines Gutes in eine Ware – zunimmt. Wodurch das geschieht? Durch Nachfragen, die sich um moralische Vorbehalte nicht kümmern. Anders formuliert: Kann man mit einem bestimmten Gut gutes Geld verdienen, wird es früher oder später zu einer Ware gemacht. Einen natürlichen Schutz davor gibt es nicht. Jedes Gut kann Ware werden. Oftmals gibt es »interessierte Kreise«, die eine Kommerzialisierung vorantreiben, um das betreffende Gut aus dem Dunkelfeld sanktionierter illegaler Käufe und Verkäufe herauszuholen. Ökonomen behaupten, dass die Kommerzialisierung eines Gutes dem Gut äußerlich bleibe: Ware zu werden, verändere ein Gut (und seinen Besitzer bzw. Nutzer) nicht. Das aber ist zu bestreiten. Kommerzialisierung kann symmetrisch oder asymmetrisch erfolgen: Symmetrisch ist sie, wenn alle Akteure ein Gut gleichermaßen Kommerzialisierung: Alles hat seinen Preis

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als Ware ansehen oder gleichermaßen davon absehen. Andernfalls entstehen Konflikte: Die einen treiben die Kommerzialisierung voran, andere versuchen, ihr Grenzen zu setzen. Beispiel: Ein Kunsthändler will eine Madonna kaufen, die von Gläubigen sehr verehrt wird und ihnen deshalb als unverkäuflich gilt. Bereits ein Kaufangebot zu machen, erleben sie als Sakrileg. Im Unterschied dazu hält der Kunsthändler dieses Verkaufsverbot nicht für absolut, sondern schlicht für eine Frage des Preises. Er unterstellt, dass es lediglich von der Höhe der gebotenen Summe abhängt, »ob man miteinander ins Geschäft kommt«. Denn es gibt in dieser Per­spektive nichts, was nicht käuflich wäre, alles hängt vom Preis ab, sogar ein Verkaufsschutz: Um Kaufinteressenten abzuhalten, kann der Besitzer eines begehrten Gutes dessen Preis so hoch ansetzen, dass Interessenten ihr Interesse verlieren. Da Geld eine radikale Profanisierung von allem Sakralen betreibt, sei es religiös verfasst oder ideografisch bedeutsam, ist eine Monetarisierung der Gesellschaft nicht ohne Verlustrechnung zu haben. Nicht weniger gravierend ist es, wenn die konstitutiven Regeln der sozialen Ordnung der Logik des Geldes anheimfallen. Denn dann werden auch Regelbrüche durch die Verhängung von Bußgeldern geahndet, was zur Folge hat, dass sich alle, die über genug Geld verfügen, einer Strafe entziehen können: »Die Armen hängt man, die Reichen lässt man (gegen Entgelt) laufen.« Um eine solche Ungleichbehandlung zu verhindern, werden Mechanismen benötigt, die den Einfluss des Geldes ausschalten, wie es etwa das moderne Rechtssystem für sich in Anspruch nimmt.

Reichtum: Mehr ist oft zu viel Eine besondere Form des Geldbesitzes ist Reichtum. Wer wäre nicht gern reich?! Ja, aber … Die Situation ist nicht so einfach. Betrachtet man den Zusammenhang von Einkommen und Zufriedenheit, dann steigt mit der Zunahme an Geldmitteln auch die Zufriedenheit, aller18

Gesellschaftliche Funktionen des Geldverkehrs

dings nur bis zu einem kritischen Wert. Etwa ab 100.000 Euro nimmt die Zufriedenheit nicht weiter zu, kann sogar rückläufig sein. Nun hängt die Zufriedenheit freilich nicht nur vom Einkommen ab. Es gibt ein Tripel von psychosozialen Faktoren, die ebenso wichtig sind: verlässliche soziale Beziehungen, Selbstwirksamkeit (die erfolgreiche Gestaltung der eigenen Lebensbedingungen) und Selbstbestimmung (die Freiheit, sein Leben nach eigenen Vorstellungen zu leben). Wer Geld und zudem das Faktoren-Tripel sein Eigen nennt, hat große Chancen auf eine nennenswerte Lebenszufriedenheit. Dabei können die Tripel-Faktoren helfen, Geldmangel zu »überbrücken«, zumindest für eine gewisse Zeit. Umgekehrt ist anzunehmen, dass die Tripel-­ Faktoren dazu beitragen, ein zufriedenstellendes Einkommen zu erzielen, mindestens dadurch, dass sich Geldbesitzer bzw. -besitzerin relativ entspannt auf die Nutzung eigener Fähigkeiten und Fertigkeiten konzentrieren kann. Zu unterscheiden sind weiterhin Lebenszufriedenheit und aktuelle Zufriedenheit. Wer aktuell unzufrieden ist, kann bei bestehender Lebenszufriedenheit darauf vertrauen, dass die Unzufriedenheit nicht ewig währt und der »innere Frieden« nur vorübergehend gestört ist. Aufgrund einer solchen Zuversicht bleibt eine regressive Handlungshemmung aus. Geld trägt einen gewichtigen Teil zu dieser Psychodynamik bei. Sein Einfluss ist nicht zu unterschätzen. So kann Geld die Selbstbestimmung und die Selbstwirksamkeit eines Menschen stärken und verlässliche Beziehungen – Vertragsbeziehungen – institutionalisieren. Es kann aber auch überwertig werden und dann dazu führen, dass der Sinn des Lebens auf wirtschaftliche Erfolge verengt wird. Reich oder sogar sehr reich zu sein, ist für die meisten Gesellschaftsmitglieder nur ein Traum. Sie kennen es eher vom Hören­sagen und aus dem TV als aus der eigenen Lebenspraxis. Deshalb sind ihre Vorstellungen meist nicht besonders realistisch. Es gelingt vergleichsweise leicht, sich vorzustellen, an eine Million zu kommen, aber vergleichsweise schwer, sich vorzustellen, was diese Summe Geldes mit einem macht. Zugespitzt formuliert: Die Probleme Reichtum: Mehr ist oft zu viel

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fangen dann erst richtig an, wenn die Wünsche, deren Erfüllung man herbeigesehnt hat, tatsächlich erfüllt werden. Der frischgebackene Millionär gerät zunächst in einen positiven Erregungszustand. Aber schon bald muss er sich mit einer Enttäuschung auseinandersetzen: Hat er gedacht, sein Leben werde nunmehr ein Fest, muss er überrascht feststellen, dass er sich ganz schnell dran gewöhnt, Millionär zu sein. Wenn nicht wenige Lottomillionäre ihren Gewinn auf die eine oder andere Weise »durchbringen« oder treffender noch »auf den Kopf hauen«, hat das verschiedene Gründe. Einer davon dürfte sein, die positive Erregung des Gewinns wiederholen zu wollen. Hingegen ebnet dessen Veralltäglichung die Sensation ein. Lust wird von Angst abgelöst. Muss der Gewinner nicht mit dem feindselig-schädigenden Neid der anderen rechnen, die sich vordergründig mit ihm freuen, hinterrücks aber seine Diffamierung als »Geizhals« betreiben, es sei denn, er löst deren imperative Erwartung ein, freigiebig zu sein, und sei es zu seinem Nachteil? Und so wundert es nicht, wenn von Lotto-­ Gewinnern berichtet wird, die ihren Gewinn sofort an eine Stiftung übergeben oder selbst eine Stiftung gründen, obwohl sie bislang keineswegs reich gewesen sind, nur um einer befürchteten emotionalen Überforderung zu entgehen. Es gibt Reiche, die ihren Reichtum zu verbergen suchen, um sich vor Anfeindungen zu schützen. Aber nicht nur das. Sie befürchten ebenfalls, dass alles, was sie tun oder lassen, ihrem Reichtum zugeschrieben wird, will heißen: Sie fühlen sich zu Unrecht auf ihr Geld reduziert. Gegenläufig dazu sind Reiche, die ihren Reichtum demonstrieren, und das nicht unbeabsichtigt, sondern vorsätzlich, um andere zu beschämen und dadurch auf Distanz zu halten. Über Reiche kursieren zahlreiche Vorstellungen, die meist projektiv aufgeladen sind, da es an belastbaren Informationen fehlt. Stellt man diese Vorstellungen zusammen, ergibt sich in etwa die folgende Liste. Reiche … ▶ … sind reich, weil sie geerbt, also nicht für ihr Geld gearbeitet haben, was ihren Reichtum suspekt macht; 20

Gesellschaftliche Funktionen des Geldverkehrs

▶ … sind reich, weil sie ethisch bedenkliche Finanzgeschäfte getätigt haben, denn hohe Renditen erzielt man nur, wenn einen nicht kümmert, woher das Geld stammt; ▶ … spenden viel, weil sie ein schlechtes Gewissen haben, freilich können sie ihre Spenden auch steuerrechtlich geltend machen, so dass sie sogar beim Spenden noch verdienen; ▶ … haben Steuerberater, die alle juristischen Schlupflöcher kennen und ihre Steuerschuld auf null drücken; ▶ … glauben, sich alles erlauben zu können, was verboten ist, kaufen sich frei, wo andere ins Gefängnis gehen; ▶ … haben keine Freunde, weil sie allen misstrauen und unterstellen, nur an ihr Geld zu wollen; ▶ … leben länger, nicht nur, weil sie sich die besten Ärzte leisten können, sondern auch, weil ihre Sorgen in der Regel keine existenziellen Belastungen wie die von weniger Reichen oder Armen sind; ▶ … verlieren den Bezug zur Realität, wissen nicht, wie teuer die aktuelle Lebenshaltung ist; ▶ … umgeben sich mit Personen, die ihnen schmeicheln, statt sie konstruktiv zu kritisieren; ▶ … verwöhnen ihre Kinder mit materiellen Gütern, statt sie liebevoll zu begleiten. Bei der Beratung von Reichen ist Vorsicht geboten. Schnell schleichen sich Entwertungen ein, die auf negativen Stereotypen und Vorurteilen beruhen. Sie gilt es, selbstkritisch zu reflektieren. Insbesondere deshalb, weil viele Beraterinnen und Berater aus der Mittelschicht stammen, gerade aufgestiegen sind und sich dort halten wollen. So passen sie sich dem Habitus ihrer Klientel an, identifizieren sich mit deren Erfolg, was sie zu Jasagern macht. Oder zum Gegenteil. Dann suchen sie unbewusst ihren Klienten nachzuweisen, dass diese ihren Reichtum nicht verdient haben, zumal ihr Klient anscheinend keine Spur leistungsfähiger und leistungsbereiter ist als sie selbst. Erfahrungsgemäß sind Honorarverhandlungen vor diesem Hintergrund konfliktträchtig. So neigen die Beratenden von reichen KlienReichtum: Mehr ist oft zu viel

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ten dazu, mehr Honorar zu verlangen als von anderen, zumindest in der Fantasie. Und sie treffen dabei nicht selten auf reiche Klienten, die misstrauisch darauf achten, nicht »gemolken« zu werden.

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Gesellschaftliche Funktionen des Geldverkehrs

Monetäre Sozialcharaktere

Tugenden und Untugenden Habitueller Geldgebrauch bringt eine Reihe von monetären Charaktereigenschaften hervor, die zusammen eine Matrix bilden, die sich als monetäre Tugendlehre begreifen lässt. Ihre Bestimmungsstücke sind: ▶ Sparsamkeit und Verschwendung, ▶ Geiz und Gier, ▶ Kleinlichkeit und Großzügigkeit. Wer sparsam ist, weiß, dass die begehrten Güter knapp sind, weshalb er darauf achten muss, dass sie zur Verfügung stehen, wenn er sie braucht. Wer verschwenderisch ist, verhält sich so, als seien die begehrten Güter nicht knapp, sondern stünden in Fülle zur Verfügung, weshalb er riskiert, dass sie nicht zur Verfügung stehen, wenn er sie braucht. Wer geizig ist, weiß, dass die begehrten Güter knapp und schwer zu beschaffen sind, wenn sie gebraucht werden, weshalb er sie nicht verausgabt. Wer gierig ist, gibt sich nicht damit zufrieden, dass ihm die begehrten Güter ausreichend zur Verfügung stehen, er will immer mehr davon. Wer kleinlich ist, verfügt über mehr der begehrten Güter, als er braucht, gibt davon aber nur genau so viel ab, wie es sich für ihn rechnet. Wer großzügig ist, verfügt über mehr der begehrten Güter, als er braucht, und gibt deshalb nach seinem Belieben davon ab. Tugenden und Untugenden

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Sparsamkeit: Veredelung des Verzichts In der Geschichte des Kapitalismus war Sparen einst das Ideal, das an die Fähigkeit und Bereitschaft gekoppelt ist, Bedürfnisse aufzuschieben. Wer zu sparen lernt, lernt gleichzeitig Weitsicht: heute zu verzichten, um morgen dafür umso mehr zu gewinnen. Sparen kann verschiedene Funktionen erfüllen: Es gibt das Sparen aus ökonomischer Not, das freilich nur bedingt diese Bezeichnung rechtfertigt: Wer kein Geld hat, kann auch keines zurücklegen. Dann das Vorsorgesparen: Wer Geld hat, legt einen Teil davon zurück, um Zeiten ökonomischer Not überbrücken zu können. Hinzu kommen das Zwecksparen, das dazu dient, sich morgen bestimmte Güter kaufen zu können, deren Preis die Geldmenge übersteigt, die heute zur Verfügung steht, und schließlich das Kapitalsparen. Es hat die Funktion, ein Vermögen zu bilden, das nicht nur Zeiten ökonomischer Not zu überbrücken hilft oder für den Kauf bestimmter Güter reserviert ist, sondern den allgemeinen Lebensstandard hebt, indem es die Möglichkeit schafft, Güter zu kaufen, wann immer es den Vermögenden danach verlangt. Historisch betrachtet, haben die ökonomischen Funktionen des Sparens stets moralische Implikationen. Erwartet wird Sparsamkeit als eine generalisierte Form der Lebensführung. Sie beruht auf der Fähigkeit der Selbstbeherrschung: sich nicht von seinen Bedürfnissen leiten zu lassen, sondern sie zu kontrollieren. Dienen Güter der Befriedigung von Bedürfnissen, so verlangt Sparsamkeit zunächst, auf Güter zu verzichten, die mit dem heute verfügbaren Geld gekauft werden könnten. Dieser Verzicht aber wird belohnt, wenn infolge der Sparsamkeit morgen mehr Geld zur Verfügung steht und dadurch Güter gekauft werden können, die sonst außer Reichweite bleiben. Mit mehr Geld lassen sich Bedürfnisse auf immer luxuriösere Weise bzw. immer luxuriösere Bedürfnisse befriedigen. Im Sparen geht es somit um eine Veredelung des Verzichts. Die ökonomische Tugend der Sparsamkeit liegt historisch auch der Sparkassenbewegung zugrunde. Diese Bewegung sollte vor allem den weniger vermögenden Bevölkerungsschichten helfen, an Geld 24

Monetäre Sozialcharaktere

zu kommen. Um dieses Ziel zu erreichen, gilt es, die Bevölkerung von Kindheit an zur Sparsamkeit zu erziehen. Die dazu erforderliche Weitsicht entsteht nur, wenn es gelingt, das Sparen selbst libidinös zu besetzen. Das heißt etwa im Falle des Zwecksparens: das Warten auf den Zeitpunkt, an dem genug Geld zur Verfügung steht, um ein bestimmtes Gut kaufen zu können, als Vorfreude zu erleben, welche die Freude am schließlich gekauften Gut vermehrt. Das ergibt die propagierte Vorstellung, dass Güter, die man sofort bezahlen kann, letztlich weniger Freude machen. Die Erziehung zum Sparen verlangt aber auch noch Vertrauen in die Institution der Sparkasse und mehr noch: in die Geldpolitik des Staates insgesamt. Denn Sparen lohnt sich nur, wenn die Sparerin das Gut, das sie heute gern hätte, aber nicht bezahlen kann, morgen tatsächlich bezahlen kann, nachdem sie Geld zurückgelegt und angelegt, also der Sparkasse gegen Zinsen zu deren Verwendung geliehen hat. Nehmen wir an, die Sparerin begehrt das Gut tatsächlich auch morgen noch, denn faktisch kann es ja sein, dass sie es sich anders überlegt, da sich inzwischen ihre Bedürfnisse geändert haben. Begehrt sie es aber nach wie vor, dann ist für ihre Sparbereitschaft wichtig, wie lange es dauern wird, bis sie das nötige Geld zusammenhat. Vielleicht kommt ihr der Markt entgegen, und das Gut wird im Laufe der Zeit billiger. Oder die Zinsen steigen. Beides ist gut für sie. Schlecht dagegen ist die Inflationsrate. Zwar nimmt dann das Geld nominell zu, aber seine Kaufkraft sinkt, was sich darin zeigt, dass das Gut nicht billiger, sondern teurer wird. Die Sparerin muss nicht mehr den Preis zahlen, den sie hätte zahlen müssen, als sie ihn noch nicht zahlen konnte, sondern mehr, so dass sie es nach wie vor nicht kaufen kann, obwohl sie inzwischen über den damaligen Betrag nominell verfügt. Insofern hat die Stabilität des Geldes einen maßgeblichen Einfluss auf die Sparbereitschaft. Sparen muss sich lohnen, sonst wird nicht gespart. Das verlockende Motto war deshalb einst »Spare dich reich!«. Da heutzutage Sparbuchsparen bestenfalls den Inflationsausgleich gewährleistet, verspricht das Motto etwas, was es nicht halten kann. Sparsamkeit: Veredelung des Verzichts

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Verschwendung: Ohne Maß und Ziel Verschwendung wird meist negativ bewertet: als übermäßiger und ineffizienter Ge- und Verbrauch von (knappen) Gütern. Sie kann aber auch die Suggestion einer unendlichen Fülle sein, die alle Ängste bannt, wenn auch nur vorübergehend. Dabei ist die Geste wichtiger als die tatsächlich vorhandene Gütermenge. Wer verschwendet, verhält sich, als gäbe es kein Morgen. Er rechnet nicht. Moralische Argumente sind ihm fremd: Er verschwendet, gleich, wem er damit Schaden zufügt. Im Moment der Verschwendung erlebt er sich als unangreifbar. Hat Verschwendung keinen guten Ruf, dann hat Verschwendungssucht einen noch schlechteren. »Sucht« impliziert zwei Aspekte: Sie ist ein unkontrollierbares Bedürfnis, das auf sofortige Befriedigung drängt, also keinen Befriedigungsaufschub erlaubt, weil ein solcher Aufschub unerträglich ist. Je häufiger das Suchtmittel gebraucht wird, desto schneller lässt seine Wirkung nach, was eine Zeit lang durch eine Erhöhung der Dosis kompensiert wird, so lange, bis das Mittel wirkungslos geworden ist. Suchtmittel gibt es stoffgebundene und solche, die rein psychologisch wirken. So können Arbeitnehmende sie einnehmen, um ihre herausfordernde bzw. überfordernde Arbeit (gut) zu erledigen. Aber auch die Arbeit selbst kann süchtig machen. Dabei sind es weniger die sachlichen Arbeitsaufgaben, die diesen Effekt haben, als deren psychosoziale Faktoren, allen voran Macht, die nach mehr Macht süchtig macht. Was an Macht kann süchtig machen? Sie verschafft narzisstische Gratifikationen, die den Mächtigen erhöhen, ihn glauben lassen, er sei unvergleichbar gut, besser als jeder andere. Dieses Erleben enthält immer Züge von Selbstüberschätzung, die dadurch abgesichert werden, dass sich der bzw. die Mächtige einer Realitätsprüfung entzieht bzw. eigene narzisstische Illusionen immer schon für unbestreitbar wahr hält. Zumindest vorübergehend hat das sogar den motivierenden Effekt, dass die mächtige Person etwas wagt, was andere (zu) vorsichtig sein lässt. 26

Monetäre Sozialcharaktere

Ist Macht ein Suchtmittel und Geld ein Machtfaktor, dann ist auch Geld ein Suchtmittel, das der Gefühlsregulation dienen kann. Gilt das allgemein, so fragt sich, wie einzelne Varianten des Geldgebrauchs in den Gefühlshaushalt eingreifen. Wie steht es in dieser Perspektive um die Verschwendung? Eine Unterscheidung ist angebracht. Es gibt die unbeabsichtigte Verschwendung, die entsteht, wenn jemand die Kontrolle über seinen Geldgebrauch verliert. Und es gibt die beabsichtigte Variante: die demonstrative Verschwendung eines kostbaren Gutes, wie es Geld eines ist. Oft geht es dabei nicht rational zur Sache. Stattdessen dominiert die Psycho-Logik. Am Beispiel: Geld wird in Projekte investiert, von denen bereits bekannt ist, dass sie unprofitabel sein werden, bzw. bei denen sich schnell herausstellt, dass sie es sind. Statt die Investitionen einzustellen, was vernünftig wäre, wird weiter wie bisher verfahren, mehr noch: Die Investitionen werden erhöht! Diese vermeintliche Irrationalität hat eine latente Funktion: Wer demonstrativ Geld (oder sonstige Güter) verschwendet, signalisiert anderen, dass er über unendlich viel davon verfügt, was ihn »unsterblich« macht. Die Inszenierung kippt, wenn die verschwendeten Güter nahezu verbraucht sind. Insofern geht ein Verschwender das Risiko ein, seine Demonstration nicht durchhalten zu können oder sogar sich selbst zu schädigen. So weit die Seite des Verschwenders. Was aber, wenn jemand mit der Verschwendungssucht eines anderen konfrontiert ist, was, wenn er diese nicht nur beobachtet, sondern selbst im Fadenkreuz der Verschwendung steht? Wenn jemand die Verschwendung eines anderen beobachtet und selbst von dem verschwendeten Gut nur wenig oder gar nichts besitzt, kann er neidisch werden, aber auch wütend, weil er benötigt, was der Verschwender im Überfluss zur Verfügung hat, es also gar nicht braucht. Quälend sind Situationen, in denen die Verschwenderin das verschwendete Gut vor den Augen dessen, der es benötigt, unbrauchVerschwendung: Ohne Maß und Ziel

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bar macht – statt ihm davon abzugeben, weil sie dies angesichts des Überflusses nichts kosten würde. Hat der Verschwender die Macht, nicht abgeben zu müssen, kann er sich daran weiden, den anderen bedürftig zu sehen und sich selbst in der Lage, etwas dagegen zu tun, aber eben auch zu lassen. Ob, wer verschwendet, bereit ist, Hilfe zu leisten, hängt unter diesen Umständen davon ab, ob er antizipiert, die Nutznießerin werde ihm »auf ewig dankbar« sein. Es gibt Formen der Statuskonkurrenz, die über Verschwendung ausgetragen werden. Wer ist der größte Verschwender? Legt der eine vor, zieht die andere nach. Dabei geht es zunehmend weniger um die Sache als um eine Demonstration von Überlegenheit. Eine solche Konkurrenz endet oft erst, wenn es nichts mehr zu verschwenden gibt. Dann lassen sich zwar Sieger und Verliererin unterscheiden, meist hat sich aber auch der Sieger so verausgabt, dass er geschwächt aus dem Kräftemessen hervorgeht. Das trifft vor allem dann zu, wenn die Statuskonkurrenten annähernd gleich mächtig und gewillt sind, niemanden zu schonen, auch sich selbst nicht.

Geiz: Angst, Geld auszugeben Geiz ist maßlose Sparsamkeit. Bezieht er sich auf Geld, bringt er einen bestimmten Aspekt der Geldlogik zum Vorschein: Geld bleibt gegenüber allen Gütern, die sich kaufen lassen, gleichgültig. Solange es nicht für ein bestimmtes Gut ausgegeben worden ist, bietet es die Möglichkeit, alle Güter zu kaufen, die für Geld bzw. einen bestimmten Geldbetrag zu kaufen sind. Als »Vermögen« vermag es etwas. In modernen Gesellschaften vermag es, sich jederzeit und allerorts in käufliche Güter zu verwandeln, die konkrete Bedürfnisse zu befriedigen versprechen. Wenn Geld Wahlfreiheit ist, dann vermehrt, wer es spart und gewinnbringend anlegt, seine Wahlfreiheit. Dies gelingt aber nur, wenn man vorübergehend oder endgültig auf die Befriedigung konkreter Bedürfnisse verzichtet. Verzichtet man endgültig, pervertiert man die 28

Monetäre Sozialcharaktere

Funktion des Geldes. Es ist dann nicht länger Mittel zum Zweck der Befriedigung konkreter Bedürfnisse, sondern Selbstzweck. Dadurch werden aber auch die konkreten Bedürfnisse pervertiert: Sie verarmen, indem sie sich auf das eine Bedürfnis reduzieren, ein möglichst großes Geldvermögen zu besitzen. Geiz bedeutet, leidenschaftlich nach einem solchen Vermögen zu streben. Diese Leidenschaft verdeckt aber nur notdürftig die Angst, die mit der Vorstellung verbunden ist, Geld auszugeben. Geld auszugeben heißt ja, es in käufliche Güter zu verwandeln, um konkrete Bedürfnisse zu befriedigen. Damit ist das Eingeständnis verbunden, bedürftig zu sein und Güter zu bedürfen, die befriedigen. Wer aber garantiert, dass die Güter, für die das Geld ausgegeben wird, tatsächlich befriedigend sind? Halten sie nicht, was sie versprechen, bereiten sie der Geizigen eine Enttäuschung, die ihr erspart geblieben wäre, hätte sie ihr Geld erst gar nicht ausgegeben. So gesehen, ist Geldvermögen als akkumulierte Wahlfreiheit sehr viel weniger anfällig, enttäuscht zu werden. Geiz sucht solche Enttäuschungen zu vermeiden. Da die Befriedigung konkreter Bedürfnisse aber nicht ohne das Risiko zu haben ist, von den gekauften Gütern enttäuscht zu werden, die versprechen, befriedigend zu sein, verzichtet die Geizige nicht nur darauf, Geld auszugeben. Was sie an Geld spart, kostet sie an Lebendigkeit, weshalb sie letztlich verbittert. Unter Umständen erweist sich Geiz dabei eng mit Neid verbunden: Dann weigert sich jemand, einen anderen mit seinem Geld zu unterstützen, weil er unterstellt, dass der befähigt würde, mit diesem Geld Güter zu kaufen, die seine Bedürfnisse wirklich befriedigen. Um diese Fähigkeit beneidet er ihn und geizt deshalb mit seinem Geld. Es gibt Menschen, die sind zu geizig, um Geld für sich und andere auszugeben. Es finden sich aber auch zwei andere Typen: Der eine Typus geizt mit seinem Geld, wenn er es für andere ausgeben soll. Das kommt vor, wenn Neid die beschriebene Rolle spielt. Der andere Typus kann zwar kein Geld für sich ausgeben, sehr wohl aber für andere. Es kommt sogar vor, dass er einem anderen Geld gibt, der es Geiz: Angst, Geld auszugeben

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verschwendet. Oder genauer: damit der es verschwendet. Dabei ist der Geizige unbewusst mit dem Verschwender identifiziert und partizipiert so an dessen Lebendigkeit, die er sich selbst verbietet. Auch wenn er ständig mit ihm um Geld streitet, schiebt er doch immer welches nach. Im Streit kann er genießen, was ihm Schuld- oder Scham­gefühle bereitete, wenn er sich zu seinem Genuss offen bekennen würde. Wenn Geiz in der modernen Gesellschaft letztlich nicht goutiert wird, hat das damit zu tun, dass extreme Sparsamkeit den Wirtschaftskreislauf behindert. Wer sich dem Kauf von Gütern verweigert, hebelt den Gütermarkt aus. Werden die angebotenen Güter nicht gekauft, steht die Produktion still. Es lassen sich keine Geschäfte machen – außer Finanzgeschäfte. Wenn es der Geizigen darum geht, die Enttäuschungen zu vermeiden, die gekaufte Güter bereiten können, dann liegt es nahe, Geld für Güter auszugeben, die sie nicht in gleicher Weise abhängig machen. Das Gut, das diese Anforderung perfekt erfüllt, ist Geld. Deshalb befriedigt es die Geizige, wenn sie ihr Geld ausgibt, um Geld zu kaufen, d. h. wenn sie ihr Geld gewinnbringend anlegt, um ein großes Vermögen zu machen. Herrscht dieses Motiv vor, entwickelt sich der Markt der Finanzdienstleistungen, aber auf Kosten des Gütermarktes, der vergleichsweise zunehmend weniger Profit abwirft.

Gier: Angst, nicht satt zu werden Auf eine einfache Formel gebracht, kann man einen von Gier getriebenen Menschen daran erkennen, dass er seine Lebensführung nach dem Prinzip »Alles. Sofort. Und nur für mich« ausrichtet. Damit ist gleichzeitig angezeigt, was ein solcher Mensch nicht kann: Er kann nicht warten und nicht mit anderen teilen. Insofern ist Gier asozial. Aber ein gieriger Mensch schadet nicht nur seinen Mitmenschen, indem er ihnen nicht einmal Reste lässt. Ein gieriger Mensch schadet auch sich selbst, da er unfähig ist zu genießen, was er hat, gleichgültig, wie viel er davon hat. 30

Monetäre Sozialcharaktere

Um es in dem metaphorischen Feld auszudrücken, das auf den oralen Ursprung der Gier verweist: Wer einen Bissen hinunterschlingt (weil er schon den nächsten Bissen im Auge hat), kann ihn sich nicht auf der Zunge zergehen lassen. Seine Genussunfähigkeit macht einen gierigen Menschen unersättlich. Er erlebt keine Sättigung, weil kein Bissen ihn befriedigt, und so folgt er der enttäuschungsanfälligen Illusion, dass es immer wieder der nächste Bissen ist, der die ersehnte Befriedigung verspricht. Da aber kein Bissen hält, was sich ein gieriger Mensch von ihm verspricht, reduziert er sein Begehren auf eine bloße Vermehrung der Bissen: Quantität statt sinnlicher Qualität. Hinzu kommt, dass seine Unfähigkeit zu warten in einer zunehmenden Beschleunigung gipfelt, durch die er den Enttäuschungen zuvorzukommen sucht: Letztlich erstickt ein gieriger Mensch, von dem es heißt, er könne seinen »Hals nicht voll genug bekommen«, gerade daran, dass ihm die schnell hinuntergeschlungenen Bissen im Halse stecken bleiben. Insofern hat auch Gier eine Vernichtung von Lebendigkeit zur Folge. Gier wäre dann eine Form der Anästhesie, die der Abwehr von Todesangst dient. An die Stelle der Anerkennung des Todes als eines unaufhebbaren Mangels setzt die Gier ein hyperaktives Begehren, das sich letztlich aber selbst verzehrt und damit herbeiführt, was es zu kompensieren scheint: wenn nicht den Tod, dann doch den Tod des Begehrens. So gesehen, kommt in allen Formen der Gier immer Lebensgier zum Vorschein: ein gieriges Hungern nach Leben, das umso stärker wird, je mehr der Tod ein unerfülltes Leben zu beenden droht.

Kleinlichkeit: Zwanghafte Korrektheit Wer in Geldangelegenheiten kleinlich ist, der macht aus einer sozialen Beziehung einen Vertrag, der genau regelt, wann der Geldnehmer wie viel Geld (zu welchen Zinsen) an die Geldgeberin zurückzuzahlen hat. Die Geberin anerkennt keine Rückzahlung, die nicht auf Euro und Cent stimmt. Wer weniger anbietet bzw. anbieten kann, wird Kleinlichkeit: Zwanghafte Korrektheit

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von ihr so lange verfolgt, bis er zahlt. Es muss für sie – zwanghaft – korrekt zugehen, weil sie sich dadurch anderen moralisch überlegen fühlt. Um dieses Gefühl zu erleben, stellt sie Situationen her, in denen andere zu ihren Schuldnern werden, die in Zahlungsverzug geraten, denn das erlaubt ihr, die Moralkeule zu schwingen. Wer nicht in der Lage ist, »fünfe gerade sein zu lassen«, der hat ständig etwas auszusetzen, der erlebt Zahlungsverzögerungen als Angriff auf seine psychische Integrität. Soziale Beziehungen sind für ihn keine vertrauensvollen Beziehungen, sondern Beziehungen voller Misstrauen, in denen man selbst um minimale Anerkennung kämpfen muss, bekommt man doch »nichts geschenkt«. Wer kleinlich ist, sucht nach einer speziellen – aggressiven – Belohnung. Diese Person fühlt sich am ehesten zufrieden, wenn sie andere mit ihrer zwanghaften Korrektheit quälen kann. Sie raubt ihnen dadurch die Spontaneität und lässt sie so erleben, worunter sie selbst leidet: Angst vor Fehlern, wobei im häufigsten Fall die Fehlerwahrscheinlichkeit sinkt, weil die Angst vorsichtig macht; gegenläufig dazu führt steigende Angst zu einer Erhöhung der Fehlerwahrscheinlichkeit.

Großzügigkeit: In Hülle und Fülle Wer in Geldangelegenheiten großzügig ist, der schenkt anderen, die es brauchen können, einen bestimmten Betrag. Das heißt: Er erwartet nicht, diesen Betrag von den Beschenkten zurückzubekommen, noch nicht einmal einen Teil davon. Wenn überhaupt, dann erwartet, wer großzügig ist, eine bestehende gute – solidarische – Beziehung bekräftigt fortzuführen oder die Einleitung einer solchen Beziehung anzubieten. Den Verpflichtungscharakter der Großzügigkeit erkennt man deutlich an Fällen, in denen sich der Beschenkte beschämt fühlt, weil er das Geld nimmt, wohl wissend, dass ihm an einer Beziehung nicht gelegen ist, er den Geber vielleicht sogar bewusst darüber täuscht, um an dessen Geld zu gelangen. Aber Großzügigkeit baut auf Reziprozi32

Monetäre Sozialcharaktere

tät: Der Großzügige darf erwarten, dass er dem Beschenkten nicht gleichgültig ist und der deshalb bei Bedarf auch etwas Gutes für ihn tut. Es einzuklagen, dazu hat er kein Recht. Allerdings darf, wer ein großzügiges Angebot nicht annimmt oder sogar – schroff – zurückweist, keine Unterstützung mehr erwarten. Da aber Großzügigkeit in Maßen selbstlos ist, wird es Menschen geben, die trotzdem auch weiterhin ihre Unterstützung anbieten, sich nicht beirren lassen, was die Beschenkten allerdings noch mehr beschämt.

Großzügigkeit: In Hülle und Fülle

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Akteure im Geldgeschäft

Kredite: Verzichte nie! In der Geschichte der Ökonomie des Geldes ist es nicht bei Sparguthaben geblieben. Profitablere, aber auch riskantere Formen, sich Geld zu beschaffen, sind hinzugekommen – insbesondere Kredite und Aktien. Setzt Sparen die Fähigkeit und Bereitschaft voraus, die Befriedigung von Bedürfnissen aufzuschieben, so ändert sich mit der Einführung und Verbreitung von Krediten die Situation: Kredite mildern die Unlust des Befriedigungsaufschubs und setzen damit eine geringere Frustrationstoleranz voraus. Wer einen Kredit aufnimmt, vermehrt seine gegenwärtige Wahlfreiheit, allerdings auf Kosten seiner zukünftigen Wahlfreiheit. Denn Kredite müssen zurückgezahlt werden. Kreditnehmende spielen das gern herunter. Es lockt die Wunschvorstellung, ablaufende Kredite durch neu aufgenommene Kredite immer wieder ablösen zu können, so dass der ultimative Zahltag in endlose Ferne rückt: Befriedige dich heute, verzichte nie! Damit es kein böses Erwachen gibt, besteht die Bank als Kreditgeberin auf einer Prüfung der Kreditwürdigkeit: Verfügt der Kreditnehmer über Garantien, die sicherstellen, dass es nach menschlichem Ermessen zu keiner Überschuldung kommt, weil die Kreditraten pünktlich gezahlt werden können? Aber auch dann, wenn dies zutrifft, können immer noch Situationen eintreten, die alle guten Vorsätze platzen lassen. In gravierenden Fällen kann dadurch eine unheilvolle Entwicklung in Gang kommen. 34

Akteure im Geldgeschäft

Schätzungen gehen von mindestens zehn Prozent Kreditvergaben aus, bei denen Kunden und Kundinnen mehr Kredit wollen und auch bekommen, als sie es sich leisten können. Fahrlässige Prüfungen der Kreditwürdigkeit hängen von verschiedenen Faktoren ab: zum Beispiel von Verkaufsvorgaben, nach denen sich das Personal der Bankberater zu richten hat; oder davon, dass Banken »Not leidende Kredite« nicht sofort abzuschreiben brauchen, sondern weiter verkaufen können; oder davon, dass Kundenberater, obwohl sie darum wissen, es zulassen oder sogar fördern, dass Kreditnehmerinnen das geliehene Geld einsetzen, um Aktien zu kaufen. Die Machtverhältnisse zwischen Bank und ver- bzw. überschuldeten Kunden und Kundinnen bestehen zum Nachteil der Kundschaft. Um eine Angleichung zu erzielen, wäre es zum Beispiel geboten, einen staatlich überwachten Kündigungsschutz zu haben, der es Banken verbietet, Kredite, die nicht mehr hinreichend bedient werden, nach Belieben fällig werden zu lassen. Einen solchen Schutz gibt es aber bislang nicht, obwohl auch unzureichende oder gar unterlassene Prüfungen der Kreditwürdigkeit zu den Ursachen gehören, warum Kreditnehmende in Zinsverzug geraten. Traurige weltweite Berühmtheit haben in diesem Zusammenhang die US-amerikanischen Immobilienkredite erlangt, die bis 2007 massenhaft ohne jegliche Prüfung der Kreditwürdigkeit vergeben wurden. Als schließlich die Banken die »faul« gewordenen Kredite kündigten und die Häuser zwangsversteigern ließen, wurde dies die Initial­ zündung einer globalen Erschütterung der Finanzmärkte.

Aktien: Den großen Coup landen! Die Öffnung des Aktienmarktes für die breite Öffentlichkeit hat in Deutschland eine prägnante historische Signatur. Sie hängt mit dem Börsengang der »Deutschen Telekom« im Jahr 1996 zusammen. Hatte sich der Umbau des schwerfälligen Behördenapparates der alten Bundespost zu einem modernen Dienstleistungsunternehmen anfangs Aktien: Den großen Coup landen!

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unspektakulär vollzogen, so konnten nun mit einem in der deutschen Wirtschaftsgeschichte bis dato einmaligen Werbeaufwand breite Schichten als Aktionäre gewonnen werden. Da kritische Stimmen von Wirtschaftsexperten kaum Gehör fanden, wurde die Aktie schließlich fünffach überzeichnet. Nicht zuletzt aufgrund einer sozialen Epidemie, die immer mehr private Anleger erfasste und 650.000 Deutsche erstmals zu Aktionären machte. Vor allem diese Neu-Aktionäre belegten den Erfolg eines Aktienmarketings, das alle rhetorischen Register zog, um die öffentliche Wahrnehmung zu beeinflussen, auch wenn dadurch der Aufmerksamkeitswert der Aktie von der ökonomischen Substanz des Unternehmens mehr oder weniger abgekoppelt wurde. Rückblickend ist an den Schauspieler Manfred Krug zu denken, der in Deutschland die T-Aktie populär machte. Er war der herausragende Sympathieträger der Werbekampagne, der ein signifikantes Image einbrachte. In seinen bekanntesten Fernsehrollen als »Anwalt Liebling« und »Tatort«-Kommissar verkörperte er einen Zeitgenossen, der einen hedonistischen Materialismus mit einer Moralität paart, die gerade den »kleinen Leuten« zu ihrem Recht verhilft. Diese spezifische Volkstümlichkeit authentifizierte das Projekt, die T-Aktie als »Volksaktie« zu präsentieren. Hatte die deutsche Bevölkerung unter Anlageberatern und -beraterinnen bis zu diesem – wenn man so will: popkulturellen – ökonomischen Ereignis den Ruf gehabt, sich – vor allem im Vergleich mit den USA – zu scheuen, ihr Geld in Aktien anzulegen, so ist seitdem die Scheu verflogen. Aktienkäufe sind sehr viel selbstverständlicher geworden, und die Bereitschaft der Bevölkerung wächst, ihr Geld für immer riskantere Anlagen auszugeben. Das gilt zunächst für die gehobenen und höchsten Einkommensklassen, hat aber auch eine die Einstellung prägende Wirkung nach unten. Wichtig ist vor allem der Umstand, dass es in Deutschland in den letzten Jahrzehnten einen kontinuierlichen sozialen Aufstieg und damit einhergehend eine starke Zunahme des Geldvermögens gegeben hat, so dass der deutschen Bevölkerung seit Beginn des 21. Jahr36

Akteure im Geldgeschäft

hunderts ein einmaliger Geldüberschuss zur Verfügung steht, den sie – provokant formuliert – als »Spielgeld« nutzen kann, ohne sofort ihren Lebensstil oder sogar ihre Existenz zu gefährden, wenn es verloren geht. Damit steigt die generelle Risikobereitschaft, bis hin zu einem Punkt, an dem auch der Teil der Bevölkerung, dem es an Geldüberschuss fehlt, versucht ist, Aktien zu kaufen.

▶▶ Fallanalyse: Geld arbeiten lassen Aktien stimulieren die Fantasie – wie es der Fall eines jungen Mannes, dem einzigen Sohn kleinbürgerlicher Eltern, veranschaulicht. Sein Vater hält sich zugute, ein Leben lang rechtschaffen gearbeitet und deshalb heute etwas »auf der hohen Kante« zu haben, so dass er und seine Frau gelassen ihrem Alter entgegensehen können. Seinen Sohn sucht er von Kindheit an auf sein Arbeitsethos zu verpflichten. Gleichzeitig erwartet er aber auch, sein Sohn solle es weiter bringen als er selbst, da dieser ja die besseren Startbedingungen vorgefunden habe. Der Sohn fühlt sich seit der Schulzeit unter einem enormen Leistungsdruck, die Investition, die sein Vater in seine Ausbildung macht, zu rechtfertigen. Der Vater ist der Überzeugung, dass Personen seiner eigenen sozialen Herkunft, die aber heute ökonomisch bessergestellt sind als er, dies häufig nicht durch eigene Leistung, sondern durch Begünstigung oder sonst wie, mithin eigentlich unverdient geschafft haben. Den Neid, der dieser Überzeugung entspricht, erlebt er jedoch nicht bewusst, weil er ihn kompensieren kann: Da er sich selbst alles, was aus ihm geworden ist, sogar gegen Widerstand habe erkämpfen müssen, fühlt er sich den vermeintlichen Günstlingen gegenüber moralisch überlegen. Dass sein Sohn BWL studiert, findet seine Zustimmung. Schon bald ist der Sohn von allem fasziniert, was mit Börse zu tun hat. Er schließt sich einer Studierendengruppe an, die zu Übungs­ zwecken Börsengeschäfte simuliert, d. h. mit echten Aktienkursen, wenn auch ohne echtes Geld, auf Anlagengewinne spekuliert. Da er Aktien: Den großen Coup landen!

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bei dieser Simulation einigen Erfolg hat, wird sein Wunsch immer drängender, sein Können unter Realbedingungen unter Beweis zu stellen. Der junge Mann träumt vom schnellen Geld. Seine Träume zeigen die großen Börsen dieser Welt mit ihrer fiebrigen Atmosphäre. Besonders faszinieren ihn legendäre Berichte von riesigen Verlusten, die kurz darauf von noch riesigeren Gewinnen wieder wettgemacht werden. Er liest sie als Versicherung, dass Verluste nie endgültig, sondern immer nur vorübergehend sein werden. Aus seiner Identifikation mit den Heldinnen und Helden der Börse heraus verachtet er seinen Vater für dessen kleinbürgerlichen Stolz auf ein rechtschaffenes Arbeitsleben. So macht er sich über dessen Vorsicht lustig, sein Erspartes lediglich in Bundesschatzbriefen anzulegen. Dagegen entwirft der Sohn das visionäre Bild zwar riskanter, aber ab einer bestimmten Geldsumme sicher kalkulierbarer Börsengeschäfte, die seinen Vater auf einen Schlag mehr Geld verdienen lassen würden, als dieser in seinem bisherigen Leben zusammengespart habe. Es dauert einige Monate, dann hält der Vater diesem Druck seines Sohnes nicht länger stand; er lässt sich von dessen Faszination anstecken und stellt ihm 90.000 DM, den größten Teil der familiären Ersparnisse, zur Verfügung, um sie an der Börse zu vervielfachen. Stattdessen ist das Geld in kürzester Zeit durchgebracht, die väter­ liche Lebensleistung vernichtet. Den Sohn befällt panische Angst, dies seinem Vater sagen zu müssen, weshalb er ständig neue Geschichten von Reinvestitionen erfindet, um ihn hinzuhalten. Offensichtlich ahnt dieser die Katastrophe, wagt aber seinerseits nicht, seinen Sohn zur Rede zu stellen, und lässt sich deshalb von ihm auch immer wieder vertrösten. Auffällig ist, dass der junge Mann keine Schuldgefühle gegenüber seinem Vater empfindet. Weit gefehlt: Ihm bereite es viel größere Probleme, dass er versagt habe und sich deswegen schämen müsse; denn warum er versagt habe, verstehe er nicht. Und so läge er nachts wach und grübele voll innerer Unruhe darüber nach, wie er wieder zu Geld kommen könne, das den momentanen Verlust in einen Gewinn verwandele, um den ihn dann alle beneiden würden. 38

Akteure im Geldgeschäft

Diese Fallgeschichte enthält drei Punkte, die fallübergreifend bedeutsam sind: ▶▶ Erstens zeugt sie von einer massiven Entwertung von Lohnarbeit, die der Sohn betreibt und in die sein Vater letztlich mit einstimmt. ▶▶ Zweitens belegt sie die Wirkung einer Kontrollillusion, die den Sohn wider besseres Wissen glauben lässt, die Marktmechanismen austricksen zu können, denen Gewinn und Verlust auf dem Aktienmarkt unterliegen. ▶▶ Drittens zeugt sie von einer Entmoralisierung monetären Gewinnstrebens, die sich darin manifestiert, dass der Sohn keinerlei Schuldgefühle erlebt, wenn er die Alterssicherung seiner Eltern verzockt.

Entwertung der Lohnarbeit Der Vater verkörpert eine Generation, für die es selbstverständlich ist, für Geld zu arbeiten, wobei die zu leistende Lohnarbeit eher nicht als Selbstverwirklichung verstanden wird, die über den finanziellen Gewinn hinaus in sich belohnend wäre. Gearbeitet wird, um Geld zu verdienen, das dann die Wahlfreiheit verschafft, die entfremdete Lohnarbeit nicht bietet. Denn Geld suggeriert nicht nur die Freiheit, sein Leben so zu gestalten, wie man möchte, es realisiert diese Freiheit auch, zumindest in dem Maße, wie jeder ohne Ansehung seiner Person kaufen kann, was es an Gütern und damit an »Gutem« zu kaufen gibt. Geld macht gleich, denn der Markt kennt nur einen einzigen Unterschied: mehr oder weniger davon zur Verfügung zu haben. Deshalb kommt es darauf an, sich möglichst viel Geld zu beschaffen. Lohnarbeit ist nur einer von verschiedenen Wegen und – das Alltagsbewusstsein weiß schon immer darum – keiner, der große finanzielle Sprünge erlaubt. Wenn der Vater in der Fallgeschichte sich über »Günstlinge« mokiert, von denen er sich in seinem Leben übervorteilt fühlt, dann bringt er damit zweierlei zum Ausdruck: Zum einen verweist er auf Wege, sich Geld zu beschaffen, die nicht durch die von der bürgerAktien: Den großen Coup landen!

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lichen Gesellschaft propagierte Leistungsgerechtigkeit gedeckt sind, denn »Günstlinge« bekommen mehr Geld, als sie verdienen. Zum anderen wird eine tiefe Kränkung darüber spürbar, dass die monetäre Bewertung seiner Arbeitsleistung von einer Arbeitsmarktdynamik abhängt, die er nicht beeinflussen kann. Dies sind Bedingungen, die Millionen von Menschen den Traum von einem arbeitsfreien Einkommen und Vermögen träumen lassen. Eine Variante dieses Traumes ist es, einen enormen Lotto-­Jackpot zu knacken. Freilich kommt das nur selten vor. Arbeitsfreies Einkommen und Vermögen für sehr viel mehr Menschen verspricht die Finanzwirtschaft: nicht länger für Geld zu arbeiten, sondern Geld arbeiten zu lassen.

Kontrollillusionen Es spricht einiges dafür, dass der BWL-Student der Illusion unterliegt, das Börsengeschehen zutreffend wahrnehmen und zu seinem Vorteil nutzen zu können. Indessen führen solche Kontrollillusionen zu Selbstüberschätzungen, die gegen jede Realitätsprüfung immunisiert werden. Dies betrifft etwa Anlageentscheidungen: das rechtzeitige Kaufen und Verkaufen von Aktien. Dabei zeigt sich, dass nicht nur Laien davon betroffen sind. Auch Kundenberaterinnen und -berater, selbst wenn sie ihr Bestes geben und nicht einfach Vorgaben umsetzen, zeigen mitunter ein vergleichbares Wunschdenken. Sie neigen dazu, die Erfolgswahrscheinlichkeiten ihrer Anlageentscheidungen für größer zu halten, als sie es sind: Zufälligkeiten erhalten so die Weihe sicherer prognostischer Hinweise. Zwar unterliegen beide Geschlechter der Selbstüberschätzung, Männer aber mehr als Frauen. So verbringen Anleger im Vergleich zu Anlegerinnen viel mehr Zeit mit Risikoanalysen, halten Gewinne für vorhersagbar und sagen höhere Gewinne für sich voraus. Und dies umso mehr, je stärker sie sich mit dem Aktienmarkt beschäftigen. Eine Folge davon ist, dass Anleger oftmals weniger erfolgreich sind 40

Akteure im Geldgeschäft

als Anlegerinnen, weil sie ihr Portfolio zu oft umschichten: Ihre Angst vor Kontrollverlust treibt sie in einen Aktionismus. Indem sie jede neue Kursinformation sofort umsetzen, stabilisieren sie ihre Kontroll­ illusionen. Und es sind nicht nur die Laien, die so verfahren. Professionelle Anleger unterliegen denselben Illusionen, selbst dann, wenn sie geschult werden, vorsichtig zu sein. Männer tun sich vergleichsweise schwer, anzuerkennen, dass ihnen erforderliche Informationen fehlen oder sie diese Informationen nicht verstehen. So verlangen sie in Beratungsgesprächen oftmals nach bestimmten Finanzprodukten, ohne sie wirklich zu durchschauen, und halten an ihren Entscheidungen fest, weil sie vor dem Kundenberater nicht als unwissend erscheinen wollen. Diesen Eindruck zu vermeiden, mag ein Grund für den größeren Anteil von Männern unter der Anlegerschaft sein, die ihre Investitionen vor allem per Internetbanking vornehmen. Frauen dagegen suchen intensive Beratungsgespräche. Sie streben ein vertieftes Verständnis der Finanzprodukte an, für die sie sich interessieren. Deshalb benötigen sie im Vergleich zu Männern auch sehr viel mehr Zeit, bevor sie sich entscheiden. Sobald sie aber eine Entscheidung getroffen haben, halten sie an dieser auch sehr viel länger fest, ohne nervös zu werden. Im Unterschied zu männlichen Anlegern diversifizieren weibliche Anlegerinnen ihre Portfolios sehr viel mehr, und sie interessieren sich auch nicht nur für die Rendite. Vielmehr berücksichtigen sie sehr viel stärker, ob sie sich mit dem Unternehmen, dessen Aktien sie kaufen wollen, identifizieren können. Im Falle ethischer Bedenken verzichten sie sogar auf eine mögliche höhere Rendite. Männer orientieren sich dagegen vor allem an einer hohen Rendite, die kurzfristig zu erreichen ist. Nicht selten lassen sie sich von der Höhe der möglichen Gewinnsumme so sehr blenden, dass sie das tragbare Risiko überschreiten. Die paradoxe Psycho-Logik des Kontrollbedürfnisses legt ihnen nahe, ihre Angst vor Kontrollverlust dadurch zu vertreiben, dass sie kontraphobisch handeln.

Aktien: Den großen Coup landen!

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Entmoralisierung des Gewinnstrebens Gewinnstreben ist nicht nur ein legitimes Interesse unternehmerischen Handelns, sondern auch ein legitimes persönliches Motiv jedes Gesellschaftsmitgliedes. Worauf es ankommt, ist die ethische Begrenzung dieses Strebens. Fehlt es an einer solchen Begrenzung, resultiert eine Rücksichtslosigkeit, die vor keinen sozialen Bindungen haltmacht. In dieser Hinsicht beeindruckt an der Fallgeschichte besonders, dass der Sohn überhaupt keinen Zugang zu einer moralischen Reflexion seines Handelns hat. Er ist derart von den Gewinnmöglichkeiten absorbiert, die er fantasiert, dass er sich gar keinen Verlust vorstellen kann, für den er sich zu verantworten hätte. Seine Reflexion bleibt über den Verlust hinaus ganz auf die investitionstechnischen Aspekte seines Handelns beschränkt, was als psychische Verarmung erscheint. Die Funktion einer solchen Beschränkung besteht in einer Blockierung der Empathie für alle, die durch das eigene Handeln zu Schaden kommen können.

Kundenberater und -beraterinnen als professionelle Verführende Der Wunsch, nicht selbst zu arbeiten, sondern sein Geld arbeiten zu lassen, ist ein Hebel, an dem die Kundenberater von Banken ansetzen. Längst sind sie zu Verkäufern von Finanzprodukten – vom Konsumentenkredit über Lebensversicherungen bis hin zu Wertpapierfonds – geworden, die unter einem enormen Vertriebsdruck stehen. Zwar gibt es Unterschiede zwischen den Banken, der Trend aber ist generell. Die Kundenberatenden werden von ihren Vorgesetzten unter Druck gesetzt, hohe Ertragsziele zu realisieren, das heißt: Für jeden Berater wird für jedes Finanzprodukt festgelegt, wie viele davon er in einer bestimmten Zeiteinheit zu verkaufen hat. Übertrifft er die Vorgaben, locken Boni, unterschreitet er sie, drohen negative Sanktionen. 42

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Da Abmahnungen arbeitsrechtlich schwer zu legitimieren sind, werden die negativen Sanktionen in der Regel indirekt exekutiert, zum Beispiel über kontinuierliche Rankings, an denen alle Kollegen und Kolleginnen ablesen können, wer von ihnen ein High-Performer oder ein Low-Performer ist. Über solche Rankings lässt sich Gruppendruck erzeugen, da es neben den individuellen Ertragszielen auch solche für die ganze Filiale gibt. Mithin lässt sich an den Rankings ablesen, welche Kundenberaterin wie viel zur Erreichung der kollektiven Vorgabe beiträgt. Da auch diese Vorgaben hoch sind, gefährden Low-Performer eine Gesamtperformanz, welche die Vorgabe erfüllt. Folglich müssen sie von den erfolgreicheren Kollegen zu einer höheren Performanz gebracht werden, weil diese sonst selbst ihre Performanz noch weiter steigern müssten. Oder: Die High-Performer sorgen dafür, dass die Low-Performer von sich aus gehen. Dabei sitzen alle in derselben Falle: Erreichen sie ihre Vorgaben nicht, gibt es nicht nur keine Boni, es wird zudem die beschämende Vorstellung hervorgerufen, nicht gut genug zu sein; erreichen sie ihre Vorgaben, gibt es zwar Boni, gleichzeitig steigen aber auch die künftigen Vorgaben. Diese Situation führt bei Kundenberatenden zwangsläufig dazu, Kunden falsch zu beraten, um sich auf deren Kosten zu bereichern, aber eher noch: um negativen Sanktionen zu entgehen. Um sich selbst nicht als Opfer fühlen zu müssen, opfern sie ihre Kundinnen und Kunden. Die im Branchenvergleich überdurchschnittliche Zunahme psychischer Belastungen und Störungen in Banken und Finanzinstituten mag ein Indikator für diese verschärfte Situation sein, wobei moralische Konflikte allerdings erst gar nicht als Stressoren bilanziert werden. Kundenberater wissen, dass sie ihre Kundschaft belügen, wenn sie vorgeben, primär deren Interessen zu vertreten; gleichzeitig leugnen sie aber, dass sie dies tun. Greift diese psychische Spaltung, erleichtert es ihnen, ihre Vorgaben immer rücksichtsloser umzusetzen, womit sie immer erfolgreicher werden, so dass die Vorgaben immer weiter Kundenberater und -beraterinnen als professionelle Verführende

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steigen. Dies wiederum führt zu einer immer tieferen Spaltung und entstellt die Beratung der Kunden und Kundinnen zu einem unwirklichen Geschehen, es sei denn, eine eintretende psychische Krise bietet die Chance für eine Neuorientierung. Von Personen der Kundenberatung wird eine »aktive Kundenansprache« erwartet. Das heißt im Klartext: Es gilt, den Kundinnen deren Angst vor risikoreichen Finanzprodukten zu nehmen und zu diesem Zweck das Wissensgefälle zwischen Experten und Laien auszunutzen. Je komplexer die zu verkaufenden Finanzprodukte in finanzmathematischer Hinsicht sind, desto mehr sind Kunden darauf angewiesen, dass sie ihren Beratern vertrauen können. Dieses Rollenvertrauen ist dann berechtigt, wenn die Beraterinnen tatsächlich über die notwendige Expertise verfügen. Nun ist aber die Finanzkrise 2007–2008 dadurch gekennzeichnet gewesen, dass die Strategie, Risiken finanzmathematisch zu verstecken, zu der Entwicklung von Finanzprodukten geführt hat, deren Funktionslogik kaum mehr ein Kundenberater durchschaut. Sind sie von ihren Banken dennoch gehalten, solche Produkte zu verkaufen, müssen die meisten von ihnen eine Expertise darstellen, über die sie faktisch nicht verfügen, ohne dies aber kommunizieren zu dürfen. Da die moderne arbeitsteilige Gesellschaft insgesamt darauf angewiesen ist, dass Rollenvertrauen nicht enttäuscht wird, hat der Vertrauensverlust der Kunden und Kundinnen mehr als nur den Bankensektor erschüttert. Schlagartig ist deutlich geworden, welcher Missbrauch sich mit entsprechenden Abhängigkeiten treiben lässt und wie sehr die moderne arbeitsteilige Gesellschaft insgesamt auf vertrauensbildende Maßnahmen angewiesen ist. Dies betrifft nicht nur Rollenvertrauen, sondern letztlich auch das Vertrauen in Institutionen. Wenn Banken anderen Banken keinen Kredit mehr gewähren, weil sie den Missbrauch fürchten, den sie selbst betreiben, dann wird dadurch der Vertrauensverlust der Privatkunden validiert. Sieht es nach den bisherigen Ausführungen so aus, als sei die Kundschaft von Bankberatern die reinen Opfer, so bedarf das Szenario einer notwendigen Differenzierung: Kunden sind nicht nur Opfer, 44

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sondern auch Mittäter. Zu gern glauben sie an eine wunderbare Geldvermehrung. Sie wissen, dass risikoarme Geldanlagen geringe, aber vergleichsweise sichere Renditen bringen, und risikoreiche Anlagen große, aber vergleichsweise unsichere Renditen. Ihre Wünsche lassen sie jedoch von Anlagen träumen, die mit Sicherheit große Renditen abwerfen. Gelingt es Kundenberaterinnen, das Wunschdenken ihrer Kundschaft zu stimulieren, dann setzt leicht deren Realitätsprüfung aus, obendrein rationalisiert durch eine angesichts der Komplexität der Materie nachvollziehbare mangelnde monetäre Expertise. Auf diese Weise weckt die systemimmanente Gier der Finanzwirtschaft die individuelle Gier der Kundinnen und Kunden.

▶▶ Fallanalyse: Daytrading als magische Praxis Daytrading als Verhäuslichung von Börsengeschäften, die von mehr oder weniger geschulten Laien betrieben wird, dürfte in Deutschland keine Seltenheit mehr sein, auch wenn genaue Zahlen nicht vorliegen. Der Siegeszug des Internets hat dafür die Voraussetzungen geschaffen. Was Menschen motiviert, auf diese Weise ihr Einkommen zu sichern, ist interindividuell verschieden. Dennoch mag der Fall von Frau S. nicht untypisch sein: Eine ziemlich heruntergekommene Hochhaussiedlung am Rande einer deutschen Großstadt. Hier lebt Elfriede S., 48 Jahre alt, mit ihrem neunjährigen Sohn Peter. Sie ist gelernte Einzelhandelskauffrau, seit ihrer Scheidung vor drei Jahren arbeitslos. In der Küche: Am Küchentisch sitzt Peter, der gerade von der Schule nach Hause gekommen ist und jetzt auf sein Essen wartet. Seine Mutter steht am Herd und macht ihm Bratkartoffeln mit Ei. Ihre Aufmerksamkeit gilt nicht allein der Pfanne, sondern mehr noch dem Laptop, der auf dem Küchentisch steht. Auf dessen geteiltem Bildschirm sind mehrere Kurven zu sehen: Die eine gibt den Verlauf des Dollarkurses an, die anderen, wie sich bestimmte Aktien seit den frühen Morgenstunden entwickelt haben. Kundenberater und -beraterinnen als professionelle Verführende

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Frau S. betätigt sich als Daytraderin. Als es für sie absehbar wurde, dass sie lange arbeitslos bleiben würde, hat sie ihre Ersparnisse, einen Kleinkredit und von Verwandten geliehenes Geld zusammengenommen, um in diese Spekulationsart an der Börse einzusteigen, bei der sich Gewinne aus kurzfristigen Preisschwankungen ergeben. Sie hat die teure Schulung einer Broker-Firma besucht, um das nötige Knowhow zu erlangen. Anschließend hat sie sich die Voraussetzungen für einen internetbasierten Börsenzugang beschafft und ist jetzt seit wenigen Monaten im Geschäft. Über das in der Schulung als notwendig erachtete Mindest-Startkapital von 10.000 Euro verfügt sie nur zur Hälfte. Dass sie Hunderte Euro am Tag verdienen würde, wie es selbst ernannte Börsengurus in ihren Erfolgsrezepten versprechen, hat sie nie geglaubt und sich deshalb auch nie als Gewinnziel vorgenommen. Unterm Strich gehört sie nicht zu denen, die bereits nach kurzer Zeit ihr Startkapital verspielt haben, aber viel Geld verdient hat sie bisher auch noch nicht. Die biografische Erzählung von Frau S. ist geprägt von dem Grundgefühl, dass es das Schicksal bisher nicht gut mit ihr meint: Obwohl sie sich immer angestrengt habe, vorwärtszukommen, sind dauerhafte Erfolge bislang ausgeblieben. So hat sie mehrfach – unverschuldet, wie sie betont – ihre Stelle verloren. Andere würden sich halt besser verkaufen. Mit einer jüngeren Frau, die das könne, ist ihr Ehemann auf und davon. Frau S. klagt, in Deutschland gehe es ungerecht zu, wenige würden sich auf Kosten vieler bereichern, dabei verlange sie doch nur ein kleines Stück vom Glück für sich und ihren Sohn. Wenn sie wählen ginge, würde sie der Linkspartei ihre Stimme geben, glaube aber, dass die genauso wie die anderen Parteien wäre, wenn sie das Sagen hätte, weshalb sie gar nicht wählen gehe. Frau S. wünscht sich, wie sie betont, mehr ausgleichende Gerechtigkeit, hat aber offenbar keine Vorstellung, woher die kommen soll. Auf die Frage, ob das große Los an der Börse eine solche ausgleichende Gerechtigkeit wäre, schüttelt sie zwar den Kopf, ihr verschämtes Lächeln lässt aber vermuten, dass dies nicht die ganze Wahrheit ist. 46

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Die Frage, ob sie Risikomanagement betreibe, bejaht sie. Und nennt als Erstes: literweise Kaffee trinken! Damit meint sie eine anhaltende hohe Wachheit, die sie als unbedingte Voraussetzung für einen Erfolg ansieht. Zudem nennt sie als Regeln: möglichst nur ein- bis zweimal pro Tag kaufen und verkaufen, damit Provisionen und Steuern den Gewinn so wenig wie möglich schmälern, zudem bei einem Tagesgewinn von über 300 Euro den Handel an diesem Tag einstellen. Gleichzeitig räumt sie aber ein, dass sei bislang noch nicht so oft vorgekommen, und dann sei es ihr schwergefallen, sich an die Regel zu halten. Ursprünglich habe sie auch die Regel gehabt, keinen Tag im Minus zu beenden. Damit habe sie sich aber mehr geschadet als genützt. Auch sei es wenig hilfreich gewesen, sich an einem Internet-Börsenforum zu beteiligen. Das mache sie nur nervös, so wie es ihr auch gar nichts bringe, sich mit Wirtschaftsdaten zu beschäftigen. Was sie brauche, sei Ruhe, weshalb sie in ihrer Küche auch schon einmal die Fenster abdunkeln würde. An ihrer Kühlschranktür hängen zwei Passbilder, die in einem Fotoautomaten gemacht wurden und auf denen sie und ihr Sohn in enger Verbundenheit lachend zu sehen sind. Auf diese Bilder falle des Öfteren ihr Blick, wenn sie am Monitor vorbeischaue, sie fühle sich dann gut. Ähnliche Funktionen zur Regulation ihrer Emotionen haben anscheinend auch bestimmte Gesten in der Handhabung ihres Laptops. So kommt es vor, dass sie sofort nach dem Abschicken eines Auftrags mit den Fingern über die Oberkante des Bildschirms streicht und dann schon mal den Bildschirm an den Seiten mit beiden Händen fest packt und mit dem Gesicht nahe an ihn herangeht, bis der nächste Punktwert in der Kurve auftaucht und Gewinn oder Verlust signalisiert. In Anbetracht des Befundes, dass neunzig Prozent der Daytrader im Laufe der Zeit große Teile ihres Kapitals verlieren, ist zu vermuten, dass Frau S. die Gesten, von denen sie berichtet, als magischen Selbstschutz praktiziert. Denn sie kennt diese Zahlen, lässt sich aber nicht von ihnen erschrecken. Zu den drei Prozent zu gehören, die große Gewinne machen, ließe sich als die gewünschte ausgleichende Gerechtigkeit verbuchen. Aber wie schon gesagt: Bislang ist der große Gewinn ausgeblieben. Kundenberater und -beraterinnen als professionelle Verführende

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Angstlust Da Währungs- und Aktienkurse in kurzer Zeit in Abhängigkeit von der Nachfrage mehr oder weniger starke Schwankungen aufweisen, erzielt man Gewinne, indem man vergleichsweise günstig kauft und teurer verkauft, wobei sich die Situation allerdings in kürzester Zeit ändern kann. Diese Änderungen werden nahezu zeitgleich als Punktwert auf den Kurskurven sichtbar, die Daytrader nicht aus den Augen lassen. Dementsprechend verbringt Frau S. den größten Teil ihres Tages von frühmorgens bis spät in den Abend oder sogar in die Nachtstunden hinein vor dem Monitor. Dabei wechseln Phasen der Langeweile mit Phasen steigender und fallender Erregung sowie Phasen höchster Erregung, in denen sie glaubt, die Kursentwicklung »sehen« zu können. Diese Höchst-Phasen sind von einer nahezu schmerzhaften Angstlust geprägt, wobei die Gewinnerwartung zunächst nicht durch die Angst vor Verlust bedroht ist, sondern durch die Angst, dass im Moment ihrer Auftragsentscheidung der Strom ausfällt oder die Leitungen blockiert sind. Die soziale Integrationskraft einer Gesellschaft ist nicht zuletzt davon abhängig, dass die relevanten Güter unter den Gesellschaftsmitgliedern gerecht verteilt sind, wobei die gefühlte Gerechtigkeit wichtiger als die diskursiv begründete sein dürfte. Es ist anzunehmen, dass eine Gesellschaft an Integrationskraft verliert, wenn es einer kritischen Masse von Gesellschaftsmitgliedern an gefühlter Gerechtigkeit mangelt bzw. wenn sie sich ungerecht behandelt fühlt. Und kommt dann im Einzelfall noch das Erleben einer mangelnden Selbstwirksamkeit hinzu, die es einem als aussichtslos erscheinen lässt, seine finanzielle Situation durch eine Erhöhung der Leistungsbereitschaft zu verbessern, können riskante Geldgeschäfte zu einer psychisch attraktiven Option werden: Die Angstlust, die solche Geschäfte begleitet, erzeugt auf der einen Seite eine hypomanische Stimmung, die so lange anti-depressiv wirkt, wie Gewinnerwartungen greifen. Wird sie enttäuscht, droht ein Zusammenbruch der Depressionsabwehr, die durch neue Investitionen 48

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stabilisiert werden muss, was auf den »Teufelskreis« eines erheblichen Suchtpotenzials verweist, in dem Kontrollillusionen nur oberflächlich die Schicksalsgläubigkeit maskieren, die aus Gewinn und Verlust eine Art »Gottesurteil« machen.

Wissenschaftlich optimierter Optimismus Wer sein Geld durch Aktiengeschäfte für sich arbeiten lassen möchte, muss auch bereit sein, das Risiko einzugehen, Geld zu verlieren. Anlageentscheidungen hängen von der Risikobereitschaft ab, die unter Anlegern interindividuell variiert. Rational betrachtet, sollte die Risikobereitschaft an eine kritische Prüfung der Gewinnchancen zurückgebunden sein. Allerdings ist die Wahrnehmung, wie groß diese Chancen sind, ihrerseits nicht zwangsläufig rational.

Begrenzte Rationalität Seit Längerem lässt sich eine Verwissenschaftlichung der Risiko­ kalkulation beobachten. Es wird versucht, das Geschehen auf Finanzmärkten mithilfe von soziologischen, psychologischen und – immer häufiger – neurowissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten menschlichen Handelns zu beschreiben, zu erklären und mehr noch: es im Hinblick auf die Optimierung von Investitionsentscheidungen vorherzusagen. Grundannahme ist, dass die Marktteilnehmer nur über eine begrenzte Rationalität verfügen. Wenn sie riskante Investitionsentscheidungen treffen, dann unterliegen sie einer Reihe von »Anomalien«, die es zu kontrollieren gilt. Betroffen sind alle Stadien eines Entscheidungsprozesses. Um nur ein paar davon anzuführen: Investoren neigen dazu, Aktien von Unternehmen zu kaufen, die gerade Schlagzeilen machen, seien es gute oder schlechte. Zudem halten sie Positionen mit Verlusten zu lange und stoßen solche mit Gewinnen zu schnell ab (Dispositionseffekt). Wenn sie auf VerlustWissenschaftlich optimierter Optimismus

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positionen beharren, auch wenn es erfolgversprechende Alternativen gibt, dann deshalb, weil es zu schmerzlich ist, sich Fehlentscheidungen einzugestehen (Sunk-Costs-Effekt). Machen sie Gewinne, dann reinvestieren sie diese besonders risikobereit, wenn sie spekulativ erwirtschaftet worden sind (House-Money-Effekt). Generell neigen Investoren zu einem unrealistischen Optimismus, weil sie den pro­ gnostischen Wert der ihnen zur Verfügung stehenden Informationen ebenso überschätzen wie ihre eigene Fähigkeit, diese Informationen angemessen zu verarbeiten (Overconfidence). Sind Investoren übermäßig selbstbewusst, betreiben sie einen exzessiven Handel und erzielen dadurch im Schnitt eine schlechtere Performance (Excessive Trading). Dies trifft auch für professionelle Investoren zu, die generell den »Anomalien« kaum weniger unterliegen als Laien.

Hormonelle Aufrüstung Das – oft in Laboruntersuchungen generierte – Wissen über die Fallstricke der Risikokalkulation wird in zahlreichen Büchern unterschiedlichen Anspruchsniveaus publiziert, die regelmäßig – unter Ausblendung von Allokationseffekten – die Hoffnung der Investoren erneuern, den Finanzmarkt doch noch hinreichend kontrollieren zu können. Den vorerst letzten Hype erzeugt das Forschungsfeld der »Neurofinance«, in das große Summen von Forschungsgeldern fließen. Nüchtern betrachtet, fragt man sich freilich, worin denn der Erkenntnisgewinn besteht: Dass Emotionen bei Entscheidungen eine Rolle spielen, wer hätte das nicht gewusst? Wenn Untersuchungen zeigen, dass starke Emotionen, positive oder negative, zu weniger erfolgreichen Investitionen führen, was lässt sich daraus mehr ableiten als die altbekannte Klugheitsregel, einen »kühlen Kopf« zu bewahren? Den könnte man freilich trainieren, indem man ihm – selbstredend in teuren Seminaren – Techniken der Emotionsregulation beibringt. Die größte Faszination geht derzeit von bildgebenden Verfahren aus, die es vermeintlich erlauben, das Gehirn bei der Arbeit zu be50

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obachten. Oder von Stoffen wie dem Bindungshormon Oxytocin. So findet sich in einer Ausgabe der erstrangigen Fachzeitschrift »Nature« ein bemerkenswertes neuroökonomisches Experiment: Im Rahmen eines Gewinnspieles besteht die Möglichkeit, einem Mitspieler eine Summe Geld zu geben, der sie zu vermehren verspricht, aber auch für sich behalten kann. Wird Versuchspersonen per Nasenspray Oxytocin verabreicht, dann überlassen sie ihrem Mitspieler signifikant mehr Geld als Versuchspersonen, die lediglich ein Placebo erhalten. Folglich gehen sie höhere Risiken ein, allerdings ohne ganz unvorsichtig zu werden. Vertrauen verwandelt unbegründete Risikobereitschaft in Zuversicht, auch das Ergebnis dürfte nicht überraschen. Nun geht es in dem Experiment aber um die Manipulation von Vertrauen. Auch wenn die Vorstellung, Bankberaterinnen verabreichten ihren Kundinnen heimlich eine Dosis Oxytocin, damit diese sich für riskantere Investitionen entscheiden, zunächst weit hergeholt sein mag, eine Haltung der Profitmaximierung legt aber genau solche Fantasien nahe.

Wissenschaftlich optimierter Optimismus

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Private Finanzkrisen: Überschuldung als kritisches Lebensereignis

In Deutschland sind mehr als drei Millionen privater Haushalte überschuldet. Überschuldet ist, wer mehr ausgibt, als er durch Vermögen oder Einkommen tilgen kann, gleich, wie hoch die Summen sind, um die es geht. Als Ursachen für Überschuldung lassen sich objektive und subjektive unterscheiden. Objektive Ursachen sind z. B. Arbeitslosigkeit, Scheidung oder Krankheit. Zu den subjektiven Ursachen zählen kognitive Defizite in der Haushaltsführung, aber auch emotionale Selbstkontrollverluste wie bei der Kaufsucht. Überschuldung ist eine negative Folge von Verschuldung, die in Marktgesellschaften in Form von Kreditaufnahmen zu den bewährten Finanzierungsinstrumenten gehört. Solange Bankkredite erreichbar sind, führen Schulden nicht zu einer Zahlungsunfähigkeit und damit zu einer Überschuldung. Wer als kreditunwürdig eingestuft wird, ist meist schon vorher überschuldet. Schulden, die nicht zurückgezahlt werden können, verändern die Männer und Frauen, die sie haben, und das umso mehr, je länger dieser Zustand andauert. Womit Überschuldete sozioemotional zu rechnen haben, ergibt bei allen individuellen Unterschieden ein Muster, wie es im Folgenden auf der Grundlage biografischer Analysen beschrieben wird.

Exemplarische Schuldnerkarriere Wer keine Überschuldungserfahrungen hat, mag dazu neigen, sich ihre Bewältigung einfacher vorzustellen, als sie es tatsächlich ist. Überschuldet zu sein, stürzt die Betroffenen in eine existenzielle Krise, 52

Private Finanzkrisen: Überschuldung als kritisches Lebensereignis

die ihr ganzes Leben verändert. In einer monetarisierten Gesellschaft droht nicht weniger als das gesellschaftliche Aus. ▶ Sich einzugestehen, überschuldet zu sein, erschüttert das Selbstbild der Betroffenen, in dem die Überzeugung verankert ist, das eigene Leben kontrollieren zu können. Nunmehr lässt sich der Kontrollverlust nicht länger übersehen. Diese Erschütterung führt zu quälenden Scham- und Schuldgefühlen. Sie sind besonders stark, wenn die Betroffenen ihre Überschuldung als Verletzung von Idealen erleben, die ihnen ihre Herkunftsfamilien vermittelt haben. Der Kontrollverlust erscheint als Unbotmäßigkeit gegenüber den eigenen Eltern. In dieser Perspektive wirkt das Angebot, einen Offenbarungseid zu leisten, als nicht reversible Festschreibung eines Gesichtsverlustes – als sozialer Tod; er wird deshalb möglichst lange hinausgeschoben. ▶ Wer Überschuldung als Makel erlebt, gerät unter permanente Selbstaufmerksamkeit. Die Betroffenen fangen an zu grübeln; ihre Schuldenlast wird monothematisch: Alle ihre Gedanken kreisen um die Frage, wie sie trotz Schulden über die Runden kommen. Situationen, in denen derselbe Haushaltsposten immer und immer wieder – fast wie bei einer magischen Handlung – durchgerechnet wird, häufen sich. Ist solches Grübeln für sich genommen bereits belastend, macht es darüber hinaus reizbar und verschlechtert so die Qualität der Sozialkontakte. Als chronifizierte Haltung wird es schließlich sogar pathogen: Die Betroffenen klagen über massive Ein- und Durchschlafstörungen sowie über psychosomatische Schmerzen in den Bereichen Kopf, Magen-Darm und Herz-Kreislauf. ▶ Die Betroffenen sehen sich in ihrer Entwicklungsperspektive bedroht. So haben sie etwa nicht genug Geld zur Verfügung, um es in ihr berufliches Fortkommen zu investieren. Ihr Zukunftshorizont verengt sich, in Extremfällen reduziert er sich auf die unmittelbare Gegenwart. Dann leben die Betroffenen von Tag zu Tag – eine darüber hinaus­ gehende Planung gelingt ihnen nicht mehr. Besonders belastend wirkt dabei das Gefühl, hinter vergleichbaren Bezugspersonen zurückzubleiben und womöglich sogar noch Partner oder Partnerin und vor allem Kinder mit in den sozialen Abstieg hineinzuziehen. Um ÜberExemplarische Schuldnerkarriere

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schuldung und die damit einhergehenden Beschränkungen des eigenen Selbstverwirklichungsanspruches leichter ertragen zu können, ergehen sich die Betroffenen in Tagträumen. Diese haben einerseits eine handlungsvorbereitende Funktion, indem sie Durchhalte­motivation erzeugen, andererseits können sie aber auch der Realitätsflucht dienen: Die Betroffenen stellen sich vor, was sie alles hätten anders machen können, um es nicht erst so weit kommen zu lassen; sie malen sich aus, was sie sich alles leisten würden, wenn ihnen genug Geld zur Verfügung stünde; oder sie bieten eine imaginäre Wiedergutmachung an. Dazu gehören Versuche, der Überschuldung den Sinn abzugewinnen, ein neues Leben zu beginnen, in dem man nicht mehr so konsumorientiert zu sein verspricht. Die Betroffenen hegen aber auch Rachefantasien. Diese aggressiven Fantasien gehen in der Regel mit defensiven Ursachenzuschreibungen einher: Schuld ist die Gesellschaft, die den Konsum anheizt, besonders die Werbung; schuld sind die Banken mit ihrer unverantwortlichen Kreditvergabe – man sollte eine davon überfallen. Mit einer negativen Identität spielt auch die Fantasie, den bürgerlichen Lebensentwurf aufzukündigen und als Aussteiger in einem fremden Land unerkannt unterzutauchen. Die meisten dieser Fantasien reduzieren langfristig aber nicht die Belastung, sondern verstärken sie eher. ▶ Vor allem für die Betroffenen, die Geldwert und Selbstwert kurzschließen, bedeutet der schuldenbedingte Verlust von Konsumchancen einen einschneidenden Selbstwertverlust. Zudem ist Konsumieren nicht selten eine Betätigung, in der neurotische Tendenzen sozial integriert agiert werden können. Die Beschneidung dieser Betätigung beraubt die Betroffenen dann einer Möglichkeit der Depressionsabwehr, die für ihr psychosoziales Wohlbefinden unverzichtbar ist. Folglich haben sie große Schwierigkeiten, Konsumverzicht durchzuhalten, auch wenn daraus immer wieder Neuverschuldungen resultieren. Aber auch Betroffenen, die keinen kompensatorischen Konsum benötigen und deshalb diszipliniert Konsumverzicht leisten, um ihre Schuldentilgung zu beschleunigen, passiert es immer wieder, dass sie plötzlich die Selbstkontrolle verlieren und impulsiv Geld ausge54

Private Finanzkrisen: Überschuldung als kritisches Lebensereignis

ben, das sie eigentlich zur Tilgung vorgesehen haben. Rückblickend werden diese Einbrüche von den Betroffenen als besonders beschämend erlebt. ▶ Die Betroffenen fürchten, soziale Anerkennung zu verlieren. Dies nicht zuletzt deshalb, weil sie auch tatsächlich die Erfahrung machen, stigmatisiert zu werden: Freunde und Bekannte, gelegentlich sogar Verwandte ziehen sich von ihnen zurück. Wo dies ausbleibt, wird jede gemeinsame Unternehmung, die Geld kostet, dennoch zum Problem: Entweder man macht nur noch das gemeinsam, was sich alle Beteiligten leisten können, oder die Betroffenen lassen sich einladen. Das aber beschämt sie, wenn es so häufig vorkommt, dass die Reziprozität in der Beziehung verletzt wird. Zudem fürchten die Betroffenen Generalisierungseffekte: dass eine mögliche negative Einstellung ihres sozialen Umfelds gegenüber Schulden auf ihre ganze Person ausstrahlt, so dass sie entwertet werden. Eine belastende Folge dieser Befürchtungen sind selektive Interaktionen oder gar soziale Isolation. Nicht selten reagieren die Betroffenen dabei vorauseilend: Um befürchtete Zurückweisungen erst gar nicht erleben zu müssen, reduzieren sie von sich aus ihre Sozialkontakte. ▶ Eine Gegenbewegung dazu ist der Versuch von Betroffenen, ihre psychosoziale Notlage vor den Augen ihrer Mitmenschen zu verbergen. Diese Maskierung zerrt an den Nerven, weil sich die Betroffenen ständig verstellen müssen, um ihr Geheimnis zu wahren; sie schließt auch die Gefahr der Neuverschuldung ein, wenn die Betroffenen – um ihre Angst vor Entdeckung abzuwehren – demonstrativ großzügig sind. ▶ Latente Konflikte, die zwischen überschuldeten Ehepartnern bestehen, verschärfen sich. Werden die Schulden nicht als gemeinsame Schulden erlebt, ist die Partnerschaft durch die Frage belastet, wer wen ins Unglück gestürzt hat. Aber auch dann, wenn beide Partner Verantwortung übernehmen, bleibt es kaum aus, dass auf eine Gleichverteilung der Verzichtsleistungen geachtet wird: Keiner darf sich mehr gönnen als der andere. Denn Ungleichverteilungen erzeugen fast zwangsläufig Trennungsängste: Wird der Partner zu mir stehen, wenn ich ihm nicht mehr dieselben Konsumchancen bieten kann? In Exemplarische Schuldnerkarriere

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kontraphobischer Abwehr dieser Ängste kommt es vor, dass die Überschuldung als Test behandelt wird: Geld oder Liebe. Ohne Geld werde sich erweisen, ob einen der Partner oder die Partnerin »wirklich« liebt. ▶ Ähnliche Veränderungen zeigen sich im Verhältnis überschuldeter Eltern zu ihren Kindern. Ohne über hinreichend Geld zu verfügen, ihren Kindern deren Wünsche zu erfüllen, befürchten die Betroffenen einen Autoritätsverlust; gelingt es den Eltern nicht, ihren Kindern die psychosoziale Notlage der Familie zu vermitteln, verlieren sie auch tatsächlich an Autorität. Gereiztheit entsteht: An den als maßlos erlebten Wünschen der Kinder, die keine Rücksicht auf die elterliche Situation nehmen, entzündet sich ein aggressives Gemisch aus schlechtem Gewissen und Ohnmachtsgefühlen. ▶ Die Hauptressource, Schulden zu tilgen, ist die eigene Arbeitskraft. Folglich liegt es für die (erwerbstätigen) Betroffenen nahe, Mehrarbeit zu leisten, sei es in Form von Überstunden oder Schwarzarbeit; schließlich verzichten sie auf Urlaub. Insgesamt betreiben die Betroffenen dadurch Raubbau an ihren Kräften: Sie vernachlässigen ihre Erholung, überspielen Krankheiten und nehmen Erschöpfungs­ zustände in Kauf, die sie womöglich noch mit exzessivem Alkoholund Tabletten­konsum abzufangen suchen. Gleichzeitig fürchten sie sich vor ihren Kollegen und Vorgesetzten: Erfahren diese, dass sie nicht mit Geld umgehen können, sind sie vor allem im Geschäfts­ leben – vermeintlich oder real – diskreditiert.

Schuldnerberatung Wer in einem hohen Maß verschuldet ist, tut gut daran, sich an eine nicht-kommerzielle Schuldnerberatung zu wenden, um Erfolg versprechende Entschuldungspläne zu entwickeln. In letzter Konsequenz besteht die Möglichkeit einer Privatinsolvenz, um einer nicht endenden Zinsknechtschaft zu entkommen. Ob eine solche Insolvenz gegebenenfalls an die Auflage einer Nacherziehung in Geldangelegenheiten gebunden sein soll, ist strittig. 56

Private Finanzkrisen: Überschuldung als kritisches Lebensereignis

Nicht-kommerzielle Schuldnerberatung kann in vielen Fällen kompetente Hilfe bieten. In den letzten Jahren ist sie zunehmend professionalisiert worden, wobei es nach wie vor am meisten an evaluierten Beratungsmethoden und an Fachwissen über die Psychodynamik des Geldes mangelt, das immer dann gebraucht wird, wenn sich Verschuldete oder Überschuldete vermeintlich irrational verhalten. Dies gilt im Übrigen nicht nur für private Haushalte, sondern nicht minder für die »Geldpolitik« von Organisationen.

Schuldnerberatung

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Die heilige Familie und das liebe Geld: Geld und Besitz in Familienunternehmen

Wie alle Organisationen, so stehen auch mittelständische Familienunternehmen unter einer Rationalitätsfiktion: Die Handelnden unterstellen, dass die Strukturen und Prozesse, die das Unternehmen ausmachen, rational sind. Mehr noch: dass es gute, durchdachte Gründe für deren Existenz gibt. Andernfalls wären die bestehenden Strukturen und Prozesse ja längst verändert worden. Diese Unterstellung erfüllt eine wichtige Funktion: Sie entlastet alle Mitglieder des Unternehmens von aufwendigen Prüfungen, ob das Unternehmen tatsächlich so gut organisiert ist, wie sie glauben möchten. Und weil die Rationalitätsfiktion diese entlastende Funktion hat, wird sie oft gegen besseres Wissen aufrechterhalten. Oft dauert es lange, bis sich die Mitglieder des Unternehmens eingestehen, dass ihnen Entscheidungen, sogar solche, an denen sie selbst beteiligt waren, ziemlich irrational vorkommen. Genau besehen, verweist die vermeintliche Irrationalität aber lediglich auf eine Verschiebung des Rationalitätstypus: Statt einer betriebswirtschaftlichen Rationalität, die kühle Kosten-Nutzen-Berechnungen mit dem Ziel der Gewinnmaximierung verlangt, schiebt sich die Psyche der Akteure in den Vordergrund. Es »menschelt«. Mit anderen Worten: Es geht um Bedürfnisse, Wünsche und Leidenschaften, um Träume und Albträume, um Sympathien und Antipathien, um Wertschätzung und Kränkungen … Wenn man so will: um Privates, das sich in die Betriebswirtschaft einmischt; meist in maskierter Form, weil eine solche Vermischung ja nicht sein soll, aber auch, weil wir Menschen uns der Gründe vieler unserer Handlungen nur unzureichend oder überhaupt nicht bewusst sind, wir 58

Die heilige Familie und das liebe Geld

uns über unsere wahren Gründe täuschen, selbst dann, wenn wir genau zu wissen glauben, warum wir in einer bestimmten Situation wie gehandelt haben.

Nachfolgeprozesse Ein beratungsrelevantes Feld irrationalen Handelns in mittelständischen Familienunternehmen sind Nachfolgeprozesse: Eine gelungene Nachfolge sichert den Fortbestand des Unternehmens und gehört deshalb geplant. Geht es rational zu, wird – im einfachsten Modellfall – das Familienmitglied der nachfolgenden Generation zum Geschäftsführer und Hauptanteilseigner, das geneigter, bereiter und fähiger ist als seine Mit-Konkurrenten. Diese Mit-Konkurrenten sind in erster Linie Geschwister. Gibt es keine Geschwister oder scheiden Geschwister aus welchen Gründen auch immer vorab aus, können die Mit-Konkurrenten ebenso Mitglieder der weiteren Verwandtschaft oder Nicht-Verwandte – firmeninterne wie firmenexterne – sein. Nachfolgeprozesse sind meiner Erfahrung nach immer Prozesse, in denen es um Fragen von Geld und Besitz geht. Und das nicht nur, wie offensichtlich, als betriebswirtschaftliches Problem, sondern auch als psychodynamisches.

▶▶ Fallanalyse: Destruktive Kränkungen Herr T. ist der Erbe eines erfolgreichen Elektronik-Unternehmens. Er hat Jahre darauf gewartet, das Unternehmen übernehmen zu dürfen. Sein Vater konnte sich lange Zeit nicht von seinem Chefsessel trennen. Mehrfach hat er Anlauf genommen, ist aber immer wieder in letzter Sekunde davor zurückgeschreckt. Für seinen Sohn ist es ein Auf und Ab zwischen Hoffnung und Enttäuschung, was ihn manchmal »zur Weißglut treibt«. Insgeheim spielt er dann mit dem Gedanken, den »Bettel hinzuschmeißen«, noch bevor sich sein Vater endlich »bequemt«, ernst zu machen. Nachfolgeprozesse

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Wenn Herr T. übernimmt, erhält er ein »gesundes« Unternehmen, das zu den Branchenführern gehört. Maßgeblich für den Erfolg verantwortlich sind die Entwicklungsabteilung und ihr Leiter, Herr K., ein »Genie«, das für eine vielversprechende Innovation nach der anderen sorgt. Allerdings ist er eine sehr eigenwillige, um nicht zu sagen: schwierige Person, was sich etwa darin zeigt, dass er niemanden darüber informiert, was er gerade tut. Alles geschieht im Verborgenen. Keine seiner Mitarbeiterinnen lässt er an seinem kreativen Prozess teilhaben. Am Ende präsentiert er ein Ergebnis, das er wie ein Zauberer aus dem Hut zieht. Wie Herr K. arbeitet, trägt manische Züge. Nach und nach gerät er in einen Erschöpfungszustand, den er aber nicht wahrhaben will. Indessen registrieren andere im Unternehmen sehr wohl, dass er unbedingt eine Auszeit benötigt. Schließlich wenden sie sich an Herrn T. und beschreiben ihm die Situation, die nicht nur für Herrn K. riskant ist, sondern auch für das Unternehmen, so lange jedenfalls, wie dieser wichtiges Know-how monopolisiert. Angenommen, Herr K. würde plötzlich – krankheitsbedingt – ausfallen, es gäbe keinen Ersatz. Bekommt man diese Risiken in aller Dringlichkeit vor Augen geführt, ist kaum zu übersehen, dass großer Handlungsbedarf besteht. Zur Verwunderung aller Betroffenen geschieht aber nichts. Verletzt Herr T. nicht seine Fürsorgepflicht als Chef, wenn er Herrn K. erlaubt bzw. ihn sogar dazu verleitet, sich krank zu arbeiten? Jedenfalls ist Herr T. spürbar aggressiv, auch wenn er das selbst anscheinend gar nicht bemerkt. Kann er es riskieren, seinen »besten Mann« zu verlieren? Verlöre er ihn, würde das schwerwiegende ökonomische Folgen haben. Denn die Kreativität von Herrn K. garantiert – geschätzt – ein Drittel des Umsatzes. Ihn sich krank arbeiten zu lassen, ist ökonomisch unvernünftig. Es muss demnach ein starkes Motiv für den Gewinnverzicht geben. Die Rekonstruktion des Falles lässt vermuten, dass Herr T. seine tiefe Kränkung durch die lang hingezogene Nachfolge noch nicht überwunden hat und seine Aggression seinem Vater gilt, dessen Lebenswerk er angreift, indem er zulässt, dass es ökonomisch geschwächt wird. Man 60

Die heilige Familie und das liebe Geld

gewinnt den Eindruck, er betrachte sein Erbe, als seien es »saure Trauben«: Hat Herr T. sich sehnlichst gewünscht, es anzutreten, so hat es ihm das Zögern seines Vaters gründlich verdorben und ihn selbst entwertet.

Typische Konflikte Im Folgenden habe ich eine Reihe von konfliktträchtigen Konstellationen zusammengestellt, die mir sowohl in der Forschung als auch in der Beratungspraxis wiederholt begegnet sind. In allen zwanzig untersuchten Fällen geht es um »verschlüsselte Botschaften«; in allen lassen die betroffenen Personen Geld und Besitz »sprechen«, weil sie über sich selbst und ihre familiären Beziehungsschwierigkeiten nicht sprechen wollen oder es nicht können. ▶ In vielen mittelständischen Familienunternehmen ist die finanzielle Unterstützung der Kinder eine heikle Angelegenheit. So gibt es zum einen die Unternehmerfamilie, die ihre Kinder finanziell sehr knapphält. Es besteht die Angst, dass der Nachwuchs nicht lernt, hart zu arbeiten, wenn er zu leicht an Geld kommt. Dies ist nicht selten mit dem mehr oder weniger realitätshaltigen Mythos verbunden, dass die Gründergeneration, sei es die Generation der Großeltern oder der Eltern, enormen Verzicht geleistet habe, damit ihre Nachkommen bis heute sorgenfrei leben können. Dies geht mit der Erwartung an eine Dankbarkeit einher, die letztlich nicht zu erstatten ist, so dass dem Nachwuchs immer wieder Undankbarkeit vorgehalten wird. Annähernd dankbar zeigt er sich nur dann, wenn er keinerlei Ansprüche stellt. Im gegenteiligen Typus werden die Kinder mit Geld- und Sachgeschenken überhäuft. So zu handeln, verdeckt meist ein schlechtes Gewissen, keine Zeit für ihre berechtigten Anliegen zu haben. Der Familienunternehmer versucht, sich freizukaufen, was seine Kinder einlädt, ihn zu erpressen: Nur, wenn er sie bezahlt, verzichten sie darauf, ihm ein schlechtes Gewissen zu machen. Dabei können die eingeforderten Geld- und Sachgeschenke immer größer werden, weil die Kinder Typische Konflikte

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mehr oder weniger bewusst endlich eine authentische emotionale Antwort von ihrem Vater erzwingen wollen. Bei einer Variante dieses Typus tritt der Familienunternehmer den Genuss, für den er selbst keine Zeit hat oder sich keine Zeit nimmt, demonstrativ an seine Frau und seine Kinder ab. Er ist sichtlich stolz darauf, dass er es sich leisten kann, sie finanziell hervorragend auszustatten. Gleichzeitig neidet er ihnen aber diesen Genuss, weshalb es immer wieder zum Streit mit einem Wechselbad der Gefühle kommt: erst verwöhnen, dann die Verwöhnten verachten, dann die verachteten Verwöhnten noch mehr verwöhnen. Eine weitere Variante: In der Konkurrenz zwischen seinem Sohn und seiner Tochter um die Nachfolge erweist sich der Sohn als weniger geeignet, was sein Vater aber nicht wahrhaben will, da er sich – ganz in einem patriarchalen Familienmodell gefangen – nur diesen als seinen Nachfolger vorstellen kann. Deshalb stattet er ihn – ohne Ansehen seiner tatsächlichen Leistungen – mit allen kostspieligen Insignien des Erfolges aus. Wenn Sohn und Tochter beide im Unternehmen arbeiten, erhält der Sohn wie selbstverständlich das größere Büro und auch den PS-stärkeren Firmenwagen, vom höheren Gehalt ganz zu schweigen, womit der Vater eine unfaire Situation zwischen den Geschwistern herstellt, die meist eine reibungslose Nachfolgeregelung vereitelt. Die erwachsenen Kinder arbeiten im Unternehmen mit, erhalten aber weniger Geld, als sie auf einer vergleichbaren Stelle in einem vergleichbaren Fremdunternehmen verdienen würden. Versuchen sie, die Differenz einzuklagen, werden sie von ihrem Vater oder ihrer Mutter darauf verwiesen, dass ihnen das Unternehmen ja in absehbarer Zeit gehöre, ohne sich aber festzulegen, wann dies sein wird. Eine Variante davon ist der Fall, dass der Vater innerhalb und außerhalb des Unternehmens, aus dessen Alltagsgeschäft er sich bereits zurückgezogen hat, lauthals verkündet, dass das Unternehmen ja längst dem Sohn oder der Tochter »gehöre«, obwohl er nach wie vor die Mehrheit der Besitzanteile hält.

Die heilige Familie und das liebe Geld

▶ Die Familienunternehmerin erlaubt ihren Kindern, denen sie das Unternehmen übertragen will, keinen Blick in die Bücher, so dass sie auf Mutmaßungen angewiesen sind, was es wert ist. Sie hält sie nicht zuletzt damit in Schach, dass sie ihr blindes Vertrauen einfordert. Ein Grund dafür kann sein, dass ein Blick in die Bücher etwas zum Vorschein bringen würde, das nicht mit dem Bild übereinstimmt, das sie in ihrer Familie abgeben möchte. Das können Kleinigkeiten sein, die nur sie als beschämend erlebt, aber auch gravierende Vorkommnisse: In einem markanten Fall z. B. hatte der Firmenpatriarch seiner Familie mit seiner finanziellen Freigiebigkeit über Jahre ein blühendes Unternehmen vorgespielt, das in Wahrheit längst heruntergewirtschaftet war. Niemand wagte, genau hinzusehen, um nicht auf finanzielle Vorteile verzichten zu müssen. Alle stützten nur allzu bereit das Selbstbild des Ehemannes und Vaters, ein erfolgreicher Unternehmer zu sein, so dass die Tochter das Unternehmen beinahe ohne jegliche Rentabilitäts­ prüfung übernommen hätte. Heute kann sie von Glück sagen, dass sie zu guter Letzt ihr Erbe ausgeschlagen hat, weil ihr dadurch lebenslange Schulden erspart geblieben sind. ▶ In Übergabeverhandlungen gibt es nicht selten Streit über die Unternehmensbewertung, auch wenn sie von neutraler Seite vorgenommen worden ist. Oft überschätzt der Familienunternehmer den Wert seines Unternehmens, da er seine Lebensleistung als psychische Investitionen einrechnet. Dann versteht er die Summe, die der Sohn bietet, als Aussage darüber, wie sehr er von diesem geschätzt wird. Umgekehrt kann der Sohn den Preis, den sein Vater verlangt, als unverhältnismäßig erleben, wenn er bisher ohne angemessene Bezahlung im Unternehmen mitgearbeitet hat und sich den ökonomischen Erfolg als seine eigene Leistung zuschreibt. ▶ Der Familienunternehmer schafft kurz vor der Übergabe eine extrem teure Maschine an, die seiner Produktlinie dient. Er tut dies vor dem Hintergrund der Ankündigung seines Sohnes, nach dem Ausscheiden des Vaters die Produktlinie verändern zu wollen. Die Anschaffung der Maschine bindet so viel finanzielle Ressourcen, Typische Konflikte

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dass der Sohn für lange Zeit daran gehindert wird, seine Vorstellungen in die Tat umzusetzen. Eine Variante davon: Zwischen Mutter und Sohn, der in verantwortlicher Position im Unternehmen mitarbeitet und auf die Übergabe wartet, besteht eine Konkurrenz, wer die erfolgreicheren unternehmerischen Entscheidungen trifft. Die Mutter setzt – am Sohn vorbei – eine riskante Investition durch, die sich als Fehl­ investition erweist. Sie ist aber nicht bereit, sie abzuschreiben, weil sie dies als beschämende Niederlage erleben würde, die ihr Ende im Unternehmen besiegelte. Und so wirft sie dem schlechten Geld gutes Geld hinterher, um ihr Gesicht zu wahren. Ist eine Familienunternehmerpersönlichkeit mit ihrem Unternehmen kritiklos identifiziert und gelingt ihr keine befriedigende Aussicht auf ein erfüllendes Dasein nach dem Berufsleben, dann kann es sein, dass sie auf die anstehende Übergabe mit Niedergeschlagenheit reagiert. Sie fühlt sich am Anfang vom Ende, was sie ängstigt. Dagegen setzt sie Versuche, sich lebendig zu fühlen. Eine Art, dies zu tun, besteht darin, ohne Not riskante Entscheidungen zu treffen. Das Risiko erzeugt eine positive Erregung, getragen von einer verklärten Erinnerung an frühere Herausforderungen, die sie bewältigt hat. Verklärt deshalb, weil die Familienunternehmerpersönlichkeit im Bewusstsein, die Herausforderung bewältigt zu haben, nur den Erfolg, nicht aber die Qual schlafloser Nächte erinnert. Eine weitere Art, sich lebendig zu fühlen, hängt mit der Ehezufrie­ denheit des Unternehmers zusammen. Öfter als man meint, hat man es mit der Situation zu tun, dass die Unternehmergattin das Unternehmen mitgeführt hat, aber informell, von der Hinterbühne aus. Die Ehe gleicht eher einer Geschäfts- als einer Liebesbeziehung. Und das über Jahrzehnte, in denen sich beide darin eingerichtet haben, auf die Befriedigung intimer Bedürfnisse zu verzichten. Mit der Aussicht, nach der Übergabe mehr freie Zeit füreinander zu haben, wächst die Unsicherheit, denn beide sind emotionale Nähe nicht gewohnt. Zu diesem Zeitpunkt nimmt der

Die heilige Familie und das liebe Geld

Unternehmer sich eine Geliebte, mit der er sich jung fühlt, oder er verlässt seine Familie, um noch einmal – eine Frau im Alter seiner Kinder – zu heiraten. Er umwirbt die neue Frau mit großer finanzieller Freigiebigkeit. Ich weiß von Fällen, in denen Familienunternehmer auf diese Weise große Teile des Firmenvermögens durchgebracht haben. Die Frauen, die sie nun wählen, sind vom Typ her andere als diejenigen, die sie geheiratet haben. In der Regel sinnlicher. Wird der Familienunternehmer auf seine alten Tage »liebestoll«, so hat dies oft mit einem nicht gelebten Leben zu tun, das in seinem letzten Abschnitt noch korrigiert werden soll. ▶ Sind die Hauptanteilseigner eines mittelständischen Familienunternehmens zwei Brüder oder Bruder und Schwester, habe ich mehrfach beobachtet, dass sie in Geldfragen eine gegenläufige Haltung zeigen, vor allem, was ihre Risikobereitschaft betrifft. Wenn die Geschwister gut kooperieren, kann es zum Vorteil des Unternehmens sein, dass sich Risikofreude auf der einen und Risiko­ scheu auf der anderen Seite ausgleichen. Sind sie, die das Unternehmen führen, aber offen zerstritten, und mehr noch, wenn ihre Beziehung von einer latenten Feindseligkeit geprägt ist, kommt es leicht dazu, dass sie sich bei jeder Gelegenheit gegenseitig die gleichen Vorwürfe machen: Ein Geschwister wirft dem anderen vor, die Finanzmittel des Unternehmens zu verschwenden, worauf es von diesem zu hören bekommt, sein Geiz verhindere dringend notwendige Investitionen. Nicht selten werden diese wechselseitigen Vorwürfe, das Unternehmen zu ruinieren, von dem Kommentar begleitet, »eigentlich« habe man »nichts anderes erwartet« – oder aber: Jetzt zeigten die anderen Anteilseigner »endlich« ihr »wahres Gesicht«. ▶ Besonders gravierend ist es, wenn die Unternehmerfamilie aus mehreren »Stämmen« besteht. Mir sind Fälle begegnet, da machen sich der eine Teil der Unternehmerfamilie und der andere Teil über Generationen hinweg das Leben gegenseitig schwer. Jede nachfolgende Generation wird eingeschworen, die Verwandten so zu beurteilen, wie sie seit Gründung des Unternehmens beurteilt Typische Konflikte

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worden sind. Wer sich wann hat was zuschulden kommen lassen, weiß eigentlich niemand so recht zu sagen. Die vermeintlichen Ereignisse, die das wechselseitige Misstrauen scheinbar rechtfertigen, verlieren sich in grauer Vorzeit. Was resultiert, ist eine Notgemeinschaft der familiären Anteilseigner, in der man nicht miteinander, aber auch nicht ohne einander auskommt – und das zum Schaden des Unternehmens, da alle wichtigen unternehmerischen Entscheidungen erst nach zähem Ringen und dann oft zu spät getroffen werden. ▶ Sitzen verfeindete Familienmitglieder in der Gesellschafterversammlung, in der die Zukunft des Familienunternehmens beraten und in Form von Zielen beschlossen wird, kommt es nicht selten zu einem Kampf, der als rationale Verhandlung maskiert ausgetragen wird: So kann es sein, dass ein Anteilseigner dem Vorschlag eines anderen Anteilseigners nur deshalb nicht zustimmt, weil er von eben diesem, einem langjährigen Widersacher, kommt. Oder er stimmt nur deshalb zu, weil er erwartet, dass der Vorschlag zum finanziellen Schaden des Unternehmens ist, der dann seinem Widersacher angelastet wird. Dabei kann es sein, dass die eine Anteilseignerin es sogar hinnimmt, sich durch ihre Zustimmung wider besseres Wissen selbst finanziell zu schädigen – Hauptsache, der finanzielle Schaden des Widersachers erscheint größer als der eigene. So weit eine Reihe von Konstellationen, in denen Geld und Besitz die Kristallisationspunkte von unbewältigten familiären Beziehungs­ konflikten in Unternehmen sind. Ein Großteil der Unternehmerfamilien findet Wege, sie so zu bewältigen, dass zumindest kein ruinöser ökonomischer Schaden entsteht. Allerdings muss man auch sagen, dass manche mittelständischen Familienunternehmen nicht deshalb erfolgreich sind, weil sich die Unternehmerfamilie einig ist, sondern: obwohl sie es nicht ist.

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Die heilige Familie und das liebe Geld

Beratungsresistenz Vor allem kleine und mittlere Familienunternehmen lassen sich oft erst in letzter Minute professionell beraten, wenn überhaupt. Sie nutzen Beratung nicht als Mittel, ihr Potenzial zu entwickeln. Stattdessen fürchten sie einen Blick von außen, der sich nur für ihre »schmutzige Wäsche« interessiert, und zeigen sich beratungsresistent. Als Berater und Beraterinnen haben wir diese Resistenz zu respektieren. Denn »keine Beratung« ist vermutlich immer noch besser als »schlechte Beratung«. Deshalb gilt es, die Beratung zu verbessern: daran zu arbeiten, wie heikle Familienthemen angesprochen werden können, weil sie zum Erhalt und zum Nutzen des Unternehmens angesprochen werden müssen, ohne die Familie zu beschämen. Die Familiendynamik, die wir in Unternehmerfamilien beobachtet haben, unterscheidet sich nicht wesentlich von der Familiendynamik in anderen Familien, auch wenn die Konsequenzen sehr viel weiter reichen, weil unter Umständen Dutzende oder gar Hunderte Menschen in Mitleidenschaft gezogen werden. Was sich ereignet, ist allzu menschlich. Diese Erkenntnis Familienunternehmern überzeugend zu kommunizieren, mag es ihnen erleichtern, professionelle Beratung auch für die konfliktbereite Gestaltung ihrer familiären Beziehungen als eine Bedingung ihres ökonomischen Erfolges nachzufragen.

Beratungsresistenz

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(Unbewusste) subjektive Bedeutungen des Geldes

Typologie der Geldstile Wenn man die Art und Weise, wie die Gesellschaftsmitglieder mit Geld umgehen, eine Zeit lang in verschiedenen Situationen beobachtet, entdeckt man in der Regel ein Muster, einen charakteristischen Stil, der anzeigt, welche kognitive und vor allem auch emotionale Bedeutung Geld für sie jeweils hat. Ein solcher Geldstil ist vermutlich ähnlich stabil wie Eigenschaften und einem selbst nicht durchgängig bewusst. Bislang fehlt eine theoretisch begründete und empirisch geprüfte Typologie von Geldstilen, die sich etwa im Rahmen einer an Aufklärung orientierten Finanzberatung praktisch nutzen ließe. Meine eigenen Bemühungen, Geldstile zu konzeptualisieren, postulieren eine Sequenz von Entwicklungsaufgaben, mit denen jedes Gesellschaftsmitglied im Laufe seines Lebens immer wieder konfrontiert wird (siehe Tabelle 1), auch wenn Kindheit und Jugend dafür besonders einflussreiche Lebensphasen sein dürften. Im Geldstil einer Person spiegelt sich, wie sie diese Aufgaben gelöst hat. Tabelle 1: Entwicklungsbezogene Ängste und Wünsche

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Entwicklungsaufgabe

Angst vor

Wunsch nach

Überleben

Leblosigkeit

Vitalität

Schutz

Hilflosigkeit

Sicherheit

Bindung

Gleichgültigkeit

Liebe

Individuation

Abhängigkeit

Selbständigkeit

Zielsetzung

Versagen

Erfolg

Kontrolle

Unterwerfung

Macht

(Unbewusste) subjektive Bedeutungen des Geldes

Geldstile lassen sich als Konfigurationen spezifischer (latenter) Wünsche und – komplementär dazu – spezifischer (latenter) Ängste beschreiben: Geld ist in dieser Hinsicht ein Mittel, die jeweiligen Wünsche zu erfüllen, um dadurch die jeweiligen Ängste zu besänftigen. Und umgekehrt: Es löst spezifische Ängste aus, wenn spezifische Wünsche nicht erfüllt werden. Um den Geldstil einer Person angemessen zu beschreiben, kann man sich erst einmal mit stereotypen Spruchweisheiten des Alltagsbewusstseins behelfen – »Nur Bares ist Wahres«, »Borgen bringt Sorgen«, »Beim Geld hört die Liebe auf«, »Geld macht nicht glücklich, beruhigt aber die Nerven« und andere mehr. Solche Spruchweisheiten sind Niederschläge tradierter kollektiver Erfahrungen. Bittet man heutige Männer und Frauen, ihre eigenen Erfahrungen ähnlich prägnant auf den Punkt zu bringen, trifft man auf ähnliche Statements, z. B. »Schulden halten wach«, »Wenn ich mich schon verbiege, soll sich das wenigstens lohnen« – und drastisch: »Ohne Geld putzen sich andere mit dir den Arsch ab«. Solche Sammlungen ersetzen freilich keine theoretisch begründete und empirisch geprüfte Typologie von Geldstilen. Deshalb habe ich gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen Interviews und Frage­bögen genutzt, um ein Modell zu entwerfen, das eine Vielzahl von Daten verdichtet und systematisiert. Als Ergebnis ist es möglich, sechs verschiedene Geldstile zu unterscheiden, in denen sich sechs lebensgeschichtliche Entwicklungsaufgaben manifestieren (vgl. zum Folgenden ebenfalls Tabelle 1).

Entwicklungsaufgaben Zunächst sucht man, überhaupt am Leben zu bleiben. Ist Überleben gewährleistet, bedarf man des Schutzes durch Mitmenschen, um sich weiterentwickeln zu können. Diesen Schutz gewährleistet zu bekommen, heißt nicht zwangsläufig, auch emotional in eine menschliche Gemeinschaft eingebunden zu sein. Entstehen enge emotionale Bindungen Typologie der Geldstile

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zu anderen Menschen dieser Gemeinschaft, können die es erschweren, wenn nicht gar verunmöglichen, sich zu individuieren. Mit zunehmender Individuation setzt man sich persönliche Ziele und erhebt den Anspruch, sie aus eigenen Kräften zu erreichen. Ist man mit einer Zielsetzung hinreichend erfolgreich, ermutigt sie einen, seine Bestrebungen, sich selbst zu erproben, auch auf Ziele auszudehnen, die mit den für seinesgleichen geltenden sozialen Regeln kollidieren. In konfliktträchtigen Auseinandersetzungen mit den diese Regeln sichernden Sanktionsdrohungen lernt man, sich mit sozialer Kontrolle zu arrangieren.

Psychosoziale Bedeutung von Geld Geld kann dazu dienen, seiner Besitzerin ein Gefühl von Vitalität zu vermitteln, die gegen die Angst gerichtet ist, in Leblosigkeit zu erstarren. Es kann dazu dienen, seiner Besitzerin ein Gefühl von Sicherheit zu verschaffen, das sie von ihrer Angst befreit, hilflos ausgeliefert zu sein. Weiterhin kann es dazu dienen, der Angst vor Gleichgültigkeit zu begegnen, indem es seinen Besitzer fühlen lässt, liebenswert zu sein. Geld kann dazu dienen, sich selbständig zu fühlen und keine Angst haben zu müssen, von anderen abhängig zu bleiben oder es zu werden. Es kann dazu dienen, sich nicht vor persönlichem Versagen zu ängstigen, weil es ein Gefühl vermittelt, erfolgreich zu sein. Und Geld kann dazu dienen, sich mächtig zu fühlen, was die Angst vor Unterwerfung bannt. Um Missverständnissen vorzubeugen: Gemeint ist immer eine emotionale Bedeutung, ein subjektives Empfinden der genannten Aspekte. Beispielsweise kann gar kein Zweifel daran bestehen, dass Personen, die Geld besitzen, damit faktisch auch Macht besitzen, aber nicht jede Person, die faktisch Macht besitzt, fühlt sich auch mächtig. Vital, sicher, geliebt, selbständig, erfolgreich und mächtig – wer sich so fühlt, der ist auch in schwierigen Situationen handlungs­fähig, der scheut nicht davor zurück, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Das heißt aber auch, dass zu wenig oder fehlendes Geld zu gegenteiligen Gefühlen führen kann und dadurch die Handlungs­ 70

(Unbewusste) subjektive Bedeutungen des Geldes

fähigkeit untergräbt. Wer sich leblos, hilflos, ungeliebt, abhängig, als Versager oder Versagerin und dem Willen anderer unterworfen fühlt, der scheut vor allen Herausforderungen zurück, weil er oder sie nicht daran glaubt, sie meistern zu können.

Modellszenen Da es schwierig ist, die möglichen interindividuellen Variations- und Kombinationsmöglichkeiten von Geldstilen angemessen darzustellen, wählen wir eine typologische Ordnung: Die sechs postulierten Typen markieren wir durch Modellszenen, die wir als psychodynamisches Zusammenspiel von (latenten) Wünschen und Ängsten beschreiben. ▶ Wunsch nach Vielfalt und Angst vor Leblosigkeit. Das Gefühl der Betroffenen, lebendig zu sein, hängt von der Geldbewegung ab. Bewegtes Geld bedeutet Leben, fehlendes oder gehortetes Geld dagegen Tod. Rinnt es den Betroffenen durch die Finger, spüren sie ihr Herz schlagen und ihr Blut strömen; Verschwendung wird zum Existenzbeweis. Die gekauften Güter sind dagegen letztlich uninteressant. Denn in den Gütern endet die Bewegung, verebbt der lebensspendende Geld-Strom. ▶ Wunsch nach Sicherheit und Angst vor Hilflosigkeit. Die Betroffenen rechnen mit einer Katastrophe. Sie wissen nicht, wann sie kommt, aber sind überzeugt, dass sie kommt. Sie können sie nicht verhindern, aber sich darauf vorbereiten. Zu diesem Zweck halten sie Geld parat. Deshalb dürfen sie auch immer nur so viel ausgeben, dass genug übrig bleibt. Folglich müssen sie sparsam sein. Da sie aber nicht wissen, wie viel sie im Katastrophenfall benötigen, geben sie am besten gar nichts aus. Wird eine bestimmte kritische Geldmenge unterschritten, geraten die Betroffenen in Panik. Geld parat zu halten, heißt buchstäblich: Die Zahlungsmittel müssen in Reichweite bereitliegen; schon die Bank kann unerreichbar sein. Die Betroffenen sind überzeugt, dass sie sich auf Menschen nicht verlassen können. Tritt die Katastrophe ein, wird niemand da sein, der ihnen hilft. Typologie der Geldstile

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▶ Wunsch nach Liebe und Angst vor Gleichgültigkeit. Solange Geld im Spiel ist, wissen die Betroffenen nicht, ob sie geliebt werden. Deshalb misstrauen sie den Gefühlen ihrer Bezugspersonen. Wenn man Liebe, wie sie glauben, nur geschenkt bekommen kann, müssen sie Geld auszuschalten versuchen. Das führt zu einer Verachtung von Geld, die dessen Vernichtung heraufbeschwört: Erst, wenn ich arm bin, wird sich zeigen, wer mich wirklich liebt. Jedoch sind auch Kompromissbildungen möglich: Um nicht gekaufte Liebe befürchten zu müssen, wird überspielt, dass etwas Geld gekostet hat. Im Schutze dieser Kompromissbildung kann Geld dann sogar zum Liebesbeweis werden: Wer mich liebt, schaut nicht aufs Geld, sondern erfüllt mir alle meine Wünsche, freilich ohne mich damit zu konfrontieren, dass deren Erfüllung ihren Preis hat. ▶ Wunsch nach Selbständigkeit und Angst vor Abhängigkeit. Bewusst streben die Betroffenen danach, sich von Bezugspersonen unabhängig zu machen. Ihr Motto ist: Ich kann es in jedem Fall allein! Deshalb schätzen sie selbst verdientes Geld sehr hoch und ziehen es geschenktem und geliehenem Geld auch dann vor, wenn es gerade so zum Leben reicht. Eigensinnig achten die Betroffenen darauf, ihre Finanzhoheit nicht zu verlieren. Dazu schließen sie ihre Bezugspersonen sogar aus. Sie lassen sich nicht helfen; selbst Notlagen halten sie geheim. Gerade dann vermögen sie nicht um Hilfe zu bitten, wenn sie an dem Versuch gescheitert sind, ihren finanziellen Spielraum zu erweitern, um dadurch ihre Selbständigkeit zu vergrößern. Eigenes Geld heißt für die Betroffenen: sich jederzeit trennen zu können; kein eigenes Geld hingegen: bleiben zu müssen, auch wenn sie sich trennen wollen. Um sich ihrer Unabhängigkeit trotz bestehender finanzieller Abhängigkeit zu vergewissern, kann es sein, dass die Betroffenen darauf verzichten, sich bedürftig zu zeigen; sie geben sich bedürfnislos, um kein Geld für ihre Bedürfnisbefriedigung annehmen zu müssen. Nichts ängstigt sie mehr als Dankbarkeit. Haben sie reichlich Geld zur Verfügung, so gelingt es ihnen oftmals nicht, damit selbständig zu haushalten. Unbewusst manövrieren sie sich in finanziell prekäre oder sogar 72

(Unbewusste) subjektive Bedeutungen des Geldes

ausweglose Situationen. Denn erst eine vermeintlich rein objektive Existenznot erlaubt es ihnen, sich uneingestandene Abhängigkeitswünsche zu erfüllen. ▶ Wunsch nach Erfolg und Angst vor Versagen. Die Betroffenen sind sich ungewiss, ob das, was sie von sich zeigen, auch anerkennenswert ist, mehr noch: Eigentlich sind sie sich gewiss, keine Anerkennung zu verdienen. Folglich leben sie ständig in Gefahr, sich schämen zu müssen, ein Versager oder eine Versagerin zu sein. Da ihnen ein innerer Maßstab fehlt, wählen sie Geld als einen äußeren Maßstab. Je mehr Geld sie »machen«, desto mehr glauben sie, nicht versagt zu haben, ohne dass sie letztlich wirklich davon überzeugt wären. Deshalb müssen sie immer mehr »Geld machen« und dürfen auch nur das tun, was geldwert ist. Alles, was sich nicht berechnen lässt, vertieft ihre bohrende Ungewissheit, weshalb sie es vorauseilend entwerten, um sich nicht darauf einlassen zu müssen. ▶ Wunsch nach Macht und Angst vor Unterwerfung. Die Betroffenen setzen Geld ein, um ihre Bezugspersonen dem eigenen Willen zu unterwerfen. Damit versuchen sie, ihnen zuvorzukommen. Denn sie erwarten, dass ihre Bezugspersonen ihrerseits darauf aus sind, sie ihrem Willen zu unterwerfen. Jemand anderem zu Willen zu sein ist aber für die Betroffenen unerträglich, wobei sie allerdings schon jede Art von Vergemeinschaftung schnell als Unterwerfung erleben. Da es für sie um die Demonstration von Willensstärke geht, dürfen sich die Betroffenen keine Schwäche leisten. Bindungen erscheinen ihnen als solche Schwächen. Die Betroffenen versuchen deshalb, alles, was sie von Bezugspersonen brauchen, einschließlich emotionaler Zuwendung, zu kaufen. Dass sie für diese Leistungen bezahlen, beruhigt sie, erspart es ihnen doch, selbst Gefühle zu investieren. Denn echte Gefühle machen schwach und damit unvorsichtig, was sofort ausgenutzt wird. Das Modell ist längst nicht hinreichend überprüft. Dennoch kann ich einige Befunde berichten, die zwar schon älter sind, vermutlich aber kaum etwas an Aktualität verloren haben. Typologie der Geldstile

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Geldstile und Geschlecht Geld ist nicht geschlechtsneutral verteilt. Dafür sprechen die Daten einiger qualitativer und quantitativer explorativer Untersuchungen, die wir dereinst durchgeführt haben. Unseren qualitativen Daten nach wurde Geld von Männern am häufigsten mit Erfolg und Macht, von Frauen dagegen mit Sicherheit und Selbständigkeit verbunden. Das mag daran liegen, dass Sicherheit und Selbständigkeit für Frauen prekäre psychosoziale Ressourcen sind, während Männer sie sehr viel eher als selbstverständlichen Besitzstand voraussetzen. Erfolg und Macht sind aber auch ihnen nicht selbstverständlich, weshalb sie von ihnen ebenfalls genannt werden. Einig waren sich Männer und Frauen dagegen in der Ablehnung einer Verbindung von Geld mit Vitalität und Liebe: Mit beidem dürfe Geld nichts zu tun haben. Es kostete einige Überwindung, um über diesen tabuisierten Sachverhalt zu sprechen. Dann berichteten aber einzelne Frauen und Männer, dass die Verfügung über Geld für sie sehr wohl einen stimulierenden Effekt habe, durch den sie sich lebendig fühlten. Dabei zeigte sich, dass sogar die Vorstellung, Geld mache erotisch, offenbar nicht immer aus der Luft gegriffen ist. Wurde jedoch das Assoziationsfeld von Sexualität und Geld berührt, war die Tabuisierung am stärksten, weil der Verdacht gekaufter Sexualität den Liebeswunsch diffamiert. Der qualitative Befund, der aus den praktischen Erfahrungen in unseren geldzentrierten Selbsterfahrungsgruppen stammt, lässt sich durch die Ergebnisse einer quantitativen Befragung ergänzen, die ich mit einem Kollegen vor einem Jahrzehnt an einer Stichprobe von Wirtschaftsstudierenden durchgeführt habe, um einen Fragebogen zu testen, der die sechs Geldstile des Modells erfassen sollte. Dabei ergaben sich, ohne eine exakte differenzielle Zuordnung zu einzelnen Geldstilen zu erlauben, interessante signifikante Unterschiede zwischen den männlichen und weiblichen Studierenden. War die Angst, dass Geld die Gefühle verwirren könnte, bei den befragten jungen Frauen am stärksten ausgeprägt, so bei den be74

(Unbewusste) subjektive Bedeutungen des Geldes

fragten jungen Männern die Angst, nicht genug Geld vorweisen zu können, um als erfolgreich zu gelten. Im Unterschied zu den jungen Frauen meinten die jungen Männer der Befragung, dass die meisten ihrer Probleme gelöst wären, wenn sie mehr Geld hätten. Zudem stellte Geld für sie das höchste Zeichen ihres eigenen Erfolges sowie des Erfolges anderer dar. Ihr Urteil über andere hing dann auch davon ab, über wie viel Geld diese verfügten. Wer mehr Geld hatte, wurde von ihnen mehr geachtet. In der Konkurrenz mit anderen war Geld das zentrale Medium: Den jungen Männern war es wichtig, herauszufinden, was andere verdienen und besitzen. Sie hatten keine Skrupel, damit zu prahlen, was sie finanziell erreicht hatten. Sie kauften oder besaßen Dinge, um andere zu beeindrucken. Und schließlich hatten sie keine Skrupel, Geld einzusetzen, um andere dazu zu veranlassen, etwas für sie zu tun.

Geldstile und Geschlecht

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Finanztherapeutische Interventionen: Geldzentrierte Selbsterfahrungsgruppen

Ich habe in den späten 1990er Jahren unter dem Titel »Mein persönlicher Umgang mit Geld« das Konzept einer themenzentrierten Selbsterfahrungsgruppe entwickelt und an verschiedenen Zielgruppen erprobt. Die Laufzeit einer solchen Gruppe beträgt jeweils fünfzehn Sitzungen mit einer Dauer von neunzig Minuten und einer Frequenz von einer Sitzung pro Woche. Zahl der Teilnehmenden: acht, möglichst vier Frauen und vier Männer. Geleitet werden die Gruppen – trotz ihrer Themenzentrierung – nach den Prinzipien einer gruppenanalytischen Haltung, mithin non-direktiv. Generelles Ziel der Selbsterfahrungsgruppen ist eine Verbesserung der monetären Kompetenz der Gruppenteilnehmer bzw. -teilnehmerinnen. Diese Kompetenz besteht zum einen in den kognitiven Fähigkeiten, finanzielle Sachverhalte angemessen zu begreifen. So zeigt sich bei etlichen ver- und überschuldeten Personen, dass sie Kredite abschließen, deren Zinsentwicklung ihr Begriffsvermögen übersteigt. Allerdings reicht eine kognitive Befähigung nicht aus. Monetäre Kompetenz verlangt auch emotionale Fähigkeiten: die Selbsterkenntnis, wie Geld in den eigenen Gefühlshaushalt eingreift. Die Gruppenarbeit nutzt einzelne Module, die verschieden kombiniert werden können. Angestrebt wird eine offene Aussprache über kritische Ereignisse und Erlebnisse, aus denen sich die emotionale Bedeutung des Geldes für die Teilnehmenden rekonstruieren lässt. Die dazu erforderliche Selbstenthüllung und Selbstreflexion können allerdings nicht immer vorausgesetzt werden, zumal unstrukturierte Situationen, die zu wenig Orientierungssicherheit bieten, leicht so sehr ängstigen, dass die Angstbewältigung das inhaltliche Thema 76

Finanztherapeutische Interventionen

in den Hintergrund drängt. Unter solchen Bedingungen ist es angebracht, die Situation stärker zu strukturieren: z. B. dadurch, dass die Gruppenteilnehmer einzeln oder gemeinsam bestimmte inhaltliche Vorgaben bearbeiten, deren Ergebnisse dann als Anlass dienen, miteinander über konvergierende und divergierende persönliche Erfahrungen zu sprechen. Ich habe mit der Zeit eine ganze Reihe solcher Hilfsmittel erprobt und die bewährten zu einem Repertoire zusammengestellt, aus dem ich mich je nach Bedarf bediene. Stets geht es mir aber darum, mit ihrer Hilfe eine offene Aussprache anzubahnen, die nicht mehr auf eine solche Hilfe angewiesen ist. Um eine kleine Auswahl erprobter Module vorzustellen:

Modul »Wünsche« Auf einem Plakat ist ein Kreis aufgezeichnet, in dessen Mitte das Wort »Geld« geschrieben steht. Auf dem Kreisbogen sind im Uhrzeigersinn die Worte »Vitalität«, »Sicherheit«, »Liebe«, »Selbständigkeit«, »Erfolg« und »Macht« eingetragen, mithin die psychosozialen Wünsche, die das hier entwickelte theoretische Modell annimmt. Die Gruppenteilnehmerinnen werden gebeten, zunächst einmal für sich selbst zu klären, welchen Rang diese sechs Wünsche in ihrem Leben einnehmen. Anschließend sollen sie die entstandene Rangreihe daraufhin befragen, welche beiden Wünsche für sie am positivsten und welche beiden für sie am negativsten mit Geld assoziiert sind.

Modul »Statements« Eine Reihe von Statements zu Geld wird, auf große Zettel geschrieben, in die Mitte des Stuhlkreises gelegt. Die Gruppenteilnehmer erhalten die Instruktion, dass die Statements verschiedene Einstellungen zu Geld ausdrücken, von denen sie wahrscheinlich die eine oder andere Modul »Statements«

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teilen. Welches davon träfe ihre persönliche Überzeugung am besten? Vielleicht falle ihnen ja aber auch eine ganz eigene Formulierung ein, die sie dann aufschreiben und in die Mitte legen könnten. Nach meiner Erfahrung ist es nicht schwer, Gruppenteilnehmerinnen und -teilnehmer auf diese Weise zu motivieren, sich zu äußern. Prägnante Formulierungen gehen jeweils in der nächsten Gruppensitzung in die Anfangsmenge ein. In jedem der Statements sind bestimmte lebensgeschichtliche Erfahrungen eines Gruppenmitglieds verdichtet. Deshalb wird es gebeten, laut über sein Statement nachzudenken, wobei ihm die übrigen Gruppenteilnehmer ihre Einfälle zur Verfügung stellen, um eine weitere Exploration möglicher Bedeutungen anzuregen, an die es selbst vielleicht noch gar nicht gedacht hat.

▶▶ Fallvignette »Harmoney« Die Formulierung stammt von einem Mann. Seiner Meinung nach lohne es sich nicht, wegen Geld zu streiten. Er ziehe gute Beziehungen vor. Nach einem Beispiel aus seinem Leben gefragt: Er sei beruflich Mitglied eines Teams, in dem die Teammitglieder regelmäßig vor der Aufgabe stünden, Prämien untereinander zu verteilen. Auf eine Gleichverteilung habe man sich nicht einigen können. Stattdessen werde die Verteilung jeweils neu ausgehandelt, wobei die im Einzelnen erbrachten Leistungen zur Sprache kämen. Er halte sich aus diesen Verhandlungen heraus und erkläre sich vorab mit dem einverstanden, was ihm zugeteilt werde. In der Selbsterfahrungsgruppe stößt dieses Verhalten nun auf Unverständnis. Damit lade er seine Kolleginnen und Kollegen ein, ihn zu übervorteilen. Wie könne er nur so dumm sein. An seiner Stelle würde man sich nur ärgern. Na ja, ärgern würde er sich gelegentlich schon, allerdings darüber, dass ihn die Kolleginnen gar nicht mehr fragten. Kein Wunder, wird ihm entgegengehalten, wenn er doch darauf verzichte, seine Ansprüche anzumelden. Schließlich stellt sich heraus, dass er gefragt werden möchte, um dadurch eine Gelegenheit zu be78

Finanztherapeutische Interventionen

kommen, sich großzügig zu zeigen, nämlich als alleinstehender Mann auf einen leistungsgerechten Anteil an der Prämie zugunsten eines Familienvaters zu verzichten. Diesen moralischen Gewinn möchte er einstreichen, was ihm die Kollegen aber nicht gönnen, weil sein Verzicht sie ihrerseits moralisch unter Druck setzt. Insofern drängt sich die Frage auf, wie gut in diesem Fall die Beziehung tatsächlich ist. Ob der Mann die proklamierte Harmonie nicht gerade dadurch hintertreibt, dass er das Geldthema ausklammert und seine Kolleginnen nötigt, ihn heimlich für dumm zu halten?

Modul »Herkunft« Jeder Geldstil von erwachsenen Menschen hat eine Geschichte. Er wird in ihrer lebensgeschichtlichen Vergangenheit vorbereitet, in der es zu Identifikationen und Gegenidentifikationen mit den Geldbotschaften kommt, die sie als Kinder von ihren Eltern und anderen signifikanten Bezugspersonen gehört haben. Da aber oft das, was Familienmitglieder über Geld sagen, wenig mit dem zu tun hat, wie sie Geld tatsächlich gebrauchen, prägt die erlebte Praxis der Haushaltsführung den Geldstil weitaus stärker.

▶▶ Fallvignette »Geld vernünftig gebrauchen« Einem Gruppenteilnehmer ist deutlich in Erinnerung geblieben, dass er als Grundschulkind jeden Sonntag nach dem gemeinsamen Mittagessen sein Taschengeld für die kommende Woche erhielt. Dieses Geld stand ihm zu seiner freien Verfügung. Jedenfalls war das die Botschaft der Eltern, die er hörte. Er verstand sie so, dass er mit dem Geld kaufen könnte, was er wollte. Indessen erwarteten die Eltern offensichtlich etwas anderes von ihm: sein Geld »vernünftig« auszugeben. Diese Einschränkung führte zu peinlichen Situationen, in denen das Kind alle die »unnützen« Dinge vor den Eltern rechtfertigen musste, die es gekauft Modul »Herkunft«

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hatte, weil es wieder einmal »unvernünftig« gewesen war. Die Eltern verboten es ihm nicht, waren aber betrübt, wenn es ihren unausgesprochenen Erwartungen nicht folgte. Noch heute kämpfe er als Erwachsener gegen sein schlechtes Gewissen an, wenn er sich etwas Luxus gönne.

Modul »Konfliktsituationen« Die Gruppenteilnehmerinnen erhalten kurze Skizzen konfliktträchtiger monetärer sozialer Situationen, zu denen sie zunächst für sich Stellung nehmen. Anschließend werden die Antworten vorgelesen und anhand der Antworten verschiedene Untergruppen gebildet. Es beginnt mit zwei Untergruppen. Sie sitzen sich im Stuhlkreis gegenüber und diskutieren ihre gegensätzlichen Überzeugungen. Nach jeder Diskussionsrunde werden die Gruppenmitglieder umgruppiert, so dass der Stuhlkreis am Ende ein differenziertes Meinungsbild wiedergibt: Je größer die Entfernung zwischen zwei Stühlen ist, desto mehr unterscheiden sich die Überzeugungen derer, die auf ihnen sitzen.

▶▶ Fallvignette »Kollegialität« Der Gruppe wurde die folgende Situation vorgestellt: »Ein Müllmann ist überschuldet. Bei der Suche nach Möglichkeiten, Ausgaben einzusparen, stößt der Schuldnerberater auf einen Posten, der verzichtbar erscheint: Zweimal die Woche leisten sich der Müllmann und seine Kollegen, die auf demselben Wagen fahren, zum Mittagessen italienische Pizzen. Begnügte er sich stattdessen damit, Essen von zu Hause mitzunehmen, könnte er monatlich um die 40 Euro mehr zur Schuldentilgung verwenden. Würden Sie auf diesen Verzicht drängen?« Bei der Diskussion des Falles ergab sich eine Kontroverse: Während ein Teil der Gruppe für eine rigorose Entschuldung plädierte und sich nicht in die beschriebene soziale Situation einfühlen konnte oder wollte, be80

Finanztherapeutische Interventionen

tonte ein anderer Teil, dass der Klient seine Integration riskieren würde, wenn er sich nicht an dem gemeinsamen Pizza-Essen beteiligte. Dementsprechend wurde die Situation weiter ausgemalt: Wahrscheinlich sei die Finanzierung der Pizza reihum gegangen, wodurch sinnfällig werde, eine Gemeinschaft zu sein, in der man füreinander eintrete. Sich zu entziehen, mache einen zum Außenseiter. Insofern sei das Pizza-Essen kein Luxus, sondern Verpflichtung und könne deshalb nicht einfach gestrichen werden. Nach meiner Erfahrung bringen solche Diskussionsvorgaben den Gruppenprozess nur dann voran, wenn ihr Timing stimmt: wenn die Gruppenleitung sie einsetzt, um ein Problembewusstsein zu schaffen, das genau dem Problem entspricht, vor dem die Gruppenteilnehmer und -teilnehmerinnen zu einem bestimmten Zeitpunkt im Gruppenprozess thematisch stehen. Dazu muss sie aber das Anregungspotenzial ihrer Vorgaben genau kennen, weshalb es für ihre Vorbereitung unerlässlich ist, verschiedene Reaktionsmöglichkeiten erst einmal selbst zu durchdenken. Der skizzierte Fall wurde von einer Gruppe von Schuldnerberaterinnen diskutiert, als es um deren Praxis ging, sich bei ihren Klienten einen Überblick über vorhandene Einsparmöglichkeiten zu verschaffen. Während der eine Teil der Beratergruppe »mit sich reden« lassen wollte, hatte der andere Teil die Vorstellung, Entschuldung müsse »schmerzlich« sein, um nachhaltig zu wirken, was aber klingt, als solle die Entschuldung eine »gerechte Strafe« sein.

Modul »Gehaltsforderung« Eine Forderung nach einer Gehaltserhöhung hat in der Regel nur dann eine Chance, erhört zu werden, wenn sie einem Arbeitgeber als angemessen erscheint. Angemessen ist: weder zu niedrig noch zu hoch. Sich »unter Wert zu verkaufen«, schwächt die Position des Arbeitnehmers, weil er entweder nicht weiß, was seine Arbeitskraft wert ist, oder ihren Warencharakter verkennt, indem er sie wie ein Geschenk behandelt. Modul »Gehaltsforderung«

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Aber es gibt Ausnahmen: So kann zum Beispiel eine Belegschaft für einen Lohnverzicht votieren, um Massenentlassungen zu verhindern. Eine Arbeitnehmerin schwächt allerdings auch dann ihre Position, wenn sie mehr Geld verlangt, als es dem ökonomischen Nutzen entspricht, den ihr Arbeitgeber von ihrer Arbeitskraft hat. Im besten Fall kann ihre Forderung als ein Leistungsversprechen auf die Zukunft verstanden werden, das sie noch einzulösen hat. Gehaltsverhandlungen unterliegen einem bestimmten Timing: Wer mehr Gehalt fordern will, sollte dies tun, nachdem er eine bemerkenswerte Leistung erbracht hat. Riskant ist dabei eine Selbstdarstellung, mit der er sich über das Kollegium erhebt. Zwar mag er tatsächlich mehr leisten als die anderen, dies herauszustellen, bringt ihn aber in Verruf, unkollegial zu sein, was zu einer sozialen Isolierung führen kann, wenn es wiederholt geschieht. Unternehmen tun gut daran, in ihrer Belegschaft keinen destruktiv-feindseligen Neid aufkommen zu lassen, was auch heißt, ungerechte Differenzierungen zu vermeiden. Gehaltsverhandlungen sind ein bestimmter Typus von Mitarbeitergesprächen, die entweder periodisch stattfinden oder von einem Arbeitnehmer anlassbedingt nachgefragt werden, zum Beispiel dann, wenn dieser ein lukrativeres Stellenangebot in einem anderen Unternehmen erhalten hat. Dann sind Bleibeverhandlungen angesagt. Das Gelingen solcher Gespräche hängt nicht zuletzt von der kommunikativen Kompetenz der Verhandlungspartner ab. Gerade für Arbeitnehmende ist es wichtig, Strategien zu entwickeln, um sich in solchen Gesprächen erfolgreich zu behaupten. Das Einüben entsprechender Strategien mittels Rollenspielen ist dabei hilfreich, wobei die Effektivität gesteigert werden kann, indem sich die Spielerinnen und Spieler in den Rollen des Arbeitnehmenden und seines Vorgesetzten abwechseln. Am besten triangulierend: Dann versucht jeder der beiden zu antizipieren, wie der andere ihn wahrnimmt. Nachfolgende Konstellationen können als Gesprächsgrundlage für Rollenspiele dienen, die immer dann angesagt sind, wenn sich niemand in der Selbsterfahrungsgruppe findet, der bereit ist, seine 82

Finanztherapeutische Interventionen

eigene Situation zur Diskussion zu stellen. Wahlweise kann ein Gruppenteilnehmer einen anderen als Stellvertretung benennen und ihn über seine Situation informieren, um sich anschließend anzuschauen, wie der sich an seiner Stelle präsentieren würde. Um zwei Beispiele zu nennen: ▶ Einer eher unerfahrenen Teamleitung wird vom Arbeitgeber ein bestimmtes finanzielles Budget zur Verfügung gestellt, um eine bestimmte Aufgabe zu erledigen. Nach den ersten Meetings stellt sich heraus, dass bereits jetzt abzusehen ist, dass das Geld nicht reichen wird – oder nur, wenn die Teammitglieder an ihre Belastungsgrenze gehen. Wären Sie die Teamleitung, wie würden Sie sich verhalten? ▶ Gehälter, vor allem außertarifliche, setzen sich aus unterschiedlichen Komponenten zusammen, die verschieden gewichtet werden. Als Faktoren kommen infrage: Leistung, Berufserfahrung, Familienstand, Alter, Geschlecht, Vergleichsgehälter aus derselben Branche, derselben Region, derselben Karrierestufe, Attraktivität des Stand­ ortes, Identifikation mit dem Unternehmen, Dauer der Zugehörigkeit, letzte Gehaltserhöhung, Konjunkturbericht … Welche Erfahrungen haben Sie bei Ihrer Gehaltsfestsetzung gemacht? Welche Gewichtung der einzelnen Faktoren halten Sie für angemessen bzw. fair/gerecht? Soweit ich weiß, gibt es vergleichbare Angebote, die monetäre Kompetenz der Gesellschaftsmitglieder zu reflektieren und gegebenenfalls zu verbessern, bislang nicht. In Anbetracht der konfliktträchtigen Sozio- und Psychodynamiken des Geldes, wie sie in diesem Buch skizziert worden sind, ist es jedoch geboten, diesem Aspekt mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen als bisher. Alltagsweltlich, wissenschaftlich und als Thema von Beratungsprozessen.

Modul »Gehaltsforderung«

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Geld im Beratungsprozess

Wenn ein professioneller Coach einen Beratungsauftrag übernimmt, schließt er mit seiner Auftraggeberin, die auch zugleich seine Klientin sein kann, einen Vertrag, dessen Einhaltung unter juristischen Sanktionsdrohungen steht. Ein solcher Vertrag markiert Coaching als Geschäftsbeziehung und damit die Coaching-Leistung als Ware, die verkauft und gekauft wird. Als solche hat sie einen Preis, der verhandelt werden muss, weil es keine festen Tarife gibt. Wie und mit welchem Ergebnis verhandelt wird, ist dabei immer auch eine Frage monetärer Kompetenz.

▶▶ Fallvignette »Im Dienst des Klienten« Ein Coach begleitet einen Klienten über etliche Monate durch eine Situation, die diesen seine Position hätte kosten können. Dass sich das nicht bewahrheitet hat, liegt – da sind sich beide einig – am außergewöhnlichen Engagement des Coaches. Er hat sich ganz in den Dienst seines Klienten gestellt, mehr als einmal mit ihm telefoniert, gleich, ob tagsüber oder nachts. Oftmals, um ihn zu beruhigen. Eine solch aufwendige Begleitung war nicht kontraktiert gewesen, der Coach hatte aber sofort die Dringlichkeit des Unterstützungsbedarfs seines Klienten erkannt und deshalb »unbürokratisch« reagiert. Es gelingt, das Problem zu lösen, wobei der Coach allerdings an die Grenzen seiner eigenen Belastbarkeit stößt. Als die Rettungsaktion schließlich erfolgreich ist, stellt sich die Frage der Bezahlung. Der Klient ist dankbar, was freilich nicht den Anspruch 84

Geld im Beratungsprozess

des Coaches auf eine angemessene Bezahlung ersetzt. Und wie gesagt: Der Coaching-Vertrag ist bis dato nicht nachverhandelt worden. Welche Geldforderung wäre angemessen? Der Coach legt folgende Abrechnung vor: der bereits vereinbarte fixe Stundensatz zuzüglich einer Summe, die davon abhängt, wie ungewöhnlich das Setting einer Coaching-Sitzung in puncto Aufwand gewesen ist, wobei für ihn nicht nur zählt, wann und wie lange die Sitzung durchgeführt wurde, sondern auch die Größe der daraus für ihn resultierenden Belastung (z. B. eine Telefon-Sitzung sehr spät am Abend, wenn auch nur für zwanzig Minuten, oder das rasche Studium eines entscheidungsrelevanten Dokumentes); und schließlich noch ein Erfolgsbonus, dessen Höhe er dem Belieben des Klienten unterstellt, den er aber unbedingt erwartet. Da es im Coaching bislang keine vorgegebenen Tarife gibt, ist der Spielraum für Festlegungen groß – und damit auch der Spielraum für Konflikte, die sich an der Bezahlung entzünden. War der Klient im beschriebenen Fall während der schwierigen Situation bereit, fast jedes Honorar zu zahlen, veränderte sein Rückblick auf den Coaching-Erfolg seine Wahrnehmung. Quasi selbstverständlich geworden, erschien ihm das Coaching nunmehr als zu teuer. Hinzu kam, dass der Coach nicht jede Sitzung einzeln abrechnete, sondern en bloc, wodurch wiederholt hohe Summen fällig wurden. Gleichzeitig mit einem formalen Vertrag schließen Berater und Klientinnen einen »psychologischen Vertrag«, der mehr oder weniger klare Vorstellungen über die Gestaltung des Arbeitsbündnisses enthält. Psychologisch ist die Coaching-Leistung weniger eine Ware als eine Gabe, mithin mehr die Manifestation einer vertrauensvollen sozialen Beziehung als die eines profitorientierten ökonomischen Kalküls. Das schließt die Orientierung an beratungsethischen Standards ein.

▶▶ Fallvignette »Insidergeschäft« Ein Coach übernimmt den Auftrag eines Klienten, diesen in einem Konflikt zu beraten. Die Zusammenarbeit ist befriedigend, bis sich heraus­ Geld im Beratungsprozess

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stellt, dass der Klient in ein Insidergeschäft verwickelt ist. Mit einem privilegierten Zugang zu nicht öffentlichen Daten hat er sich einen Vorteil gegenüber Konkurrenten verschafft und diesen genutzt, um sie aus dem Feld zu schlagen. Resultat ist ein hoher Aktiengewinn, dem allerdings der dringende Verdacht einer illegalen Vorteilsnahme anhaftet. Indem der Klient seinem Coach davon erzählt, zieht er ihn ins Vertrauen, macht ihn zum Mitwisser. Dass er dies erst nach einiger Zeit tut, lässt ahnen, dass er seine Enthüllung als riskant erlebt. Wem ist sein Coach verpflichtet? Wird er die Ziele seines Klienten bedenkenlos übernehmen und mitwirken, das Insidergeschäft zu vertuschen? Oder wird er ihm ins Gewissen reden, wenn nicht sogar mit einer Veröffentlichung drohen oder den Auftrag zurückgeben? Der Coach schwankt in seiner Einstellung. Als ihm sein Klient allerdings das Versprechen abzunehmen sucht, auf jeden Fall Stillschweigen zu wahren, und auch nicht bereit ist, die Situation ergebnisoffen zu besprechen, tendiert er dazu, sich zurückzuziehen. Gerade als er sich dazu entschieden hat, wird sein Klient krank. Dieser entwickelt innerhalb kürzester Zeit eine Panikstörung. Mit ihr mag sich zum einen ein schlechtes Gewissen melden, gegen Recht und Gesetz zu verstoßen, zum anderen kann es aber auch ein Versuch sein, den Coach daran zu hindern, ihr Arbeitsbündnis aufzulösen. Tatsächlich bleibt der Coach bis auf Weiteres, weil er die Panik seines Klienten ernst nimmt und ihn motivieren möchte, sich psychotherapeutische Hilfe zu holen. Unausgesprochen formuliert er für sich ein Abbruchkriterium: Sollte sein Klient auf die Idee kommen, ihn am Gewinn des Insider­geschäftes beteiligen zu wollen, was er für denkbar hält, würde er sofort gehen. So viel Geld könne ihm sein Klient gar nicht bieten, als dass er seinen »guten Ruf« riskieren würde.

Coaching ist eine Beratungsmethode, die sich für Klientinnen und Klienten, die sie nachfragen, »rechnen« soll, indem sich nicht nur deren Selbstreflexionskompetenz verbessert, sondern zugleich auch deren Effektivität. Wenn dies gelingt, hat sich die Investition gelohnt, wie teuer sie auch wird. Dass teurere Coaches die erfolgreicheren 86

Geld im Beratungsprozess

seien, gehört dabei freilich zu den Glaubenssätzen, die Coaches aus Gründen ihres Selbstmarketings recht sind, und auch ihre Klientel macht sie sich gern zu eigen. Coaching ist triangulär angelegt. Ein Coach hat nicht nur einen Klienten, mit dem er arbeitet, sondern auch eine Auftraggeberin. Selbst wenn diese nicht leibhaftig präsent ist, bestimmt sie den Orientierungsrahmen, zumal sie die Coaching-Sitzungen zahlt. Gilt die Maxime »Wer zahlt, schafft an«, dann kommt in ihr eine Janus­köpfigkeit zum Ausdruck: Ohne Geld findet ein Coaching erst gar nicht statt; regiert das Geld, zwingt es alle Beteiligten dazu, sich so weit anzupassen, dass die Bezahlung und deren Höhe durch den Erfolg des Coachings hinreichend gerechtfertigt werden, wobei strittig sein kann, was denn als Erfolg zu verbuchen ist.

▶▶ Fallvignette »Auftrag zum Coaching« Eine junge Frau, seit Kurzem Trainee in einem Pharmaunternehmen, fragt Coaching nach, da ihr Vorgesetzter es ihr angeraten hat. Sie ist sich unsicher, was er damit bezweckt: Ist es ein Rat, den sie befolgen kann oder nicht, ohne Sanktionen zu befürchten, oder aber ein unausgesprochenes Muss, das es unbedingt zu befolgen gilt? Vertraute meinen, sie solle sich auf jeden Fall einen Coach nehmen. Da sie weiß, dass das Unternehmen über interne Coaches verfügt, geht sie davon aus, dass man ihr einen stellt und auch bezahlt. Dem ist aber nicht so. Wie sie in Erfahrung bringt, kennt das Unternehmen zwei Varianten: Coaching als Beförderungsmaßnahme oder als Warnung, sich mehr anzustrengen, um sichtbarer zu werden. Dass man ihr keinen internen Coach anbietet, befremdet sie, ist ihr aber nicht unrecht, da sie die internen Coaches des Unternehmens in Verdacht hat, primär dessen Interessen zu vertreten. Auf der anderen Seite entstehen ihr durch die Wahl eines externen Coaches, den ihr das Unternehmen nicht finanziert, erhebliche Kosten. Sie will auch nicht nach einer Kostenübernahme fragen, sondern fraglos selbst zahGeld im Beratungsprozess

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len. Intuitiv deutet sie die Situation treffend, dass ihr Arbeitgeber eine überzeugende »Opferbereitschaft« für das Wohl des Unternehmens von ihr sehen will. Bestehen Zweifel, bekommt sie unausgesprochen zu verstehen, dass es Zeit ist, diese zu zerstreuen, weil sie sonst keine Beförderung zu erwarten hat. Die Klientin durchschaut das Manöver und reagiert auf eine raffinierte strategisch-taktische Weise: Sie nimmt sich einen sehr bekannten und dementsprechend teuren externen Coach, zudem sorgt sie dafür, dass die gesamte Belegschaft von dieser Wahl erfährt. Und sie erlaubt ihrem Coach, Auskunft über sie zu geben, womit sie kontraphobisch Selbstbewusstsein demonstriert. Am liebsten wäre ihr, wenn ihr Coach sich von sich aus mit einer Empfehlung für sie im Unternehmen zu Wort melden würde.

Lässt man die Überlegungen in diesem Buch Revue passieren, dann sollte seine Hauptthese vielfach illustriert und argumentativ gestützt worden sein: Geld ist einer der wirkmächtigsten Faktoren in der Konstitution moderner Gesellschaften und der Sozialisation ihrer Mitglieder, eben »Traum und Albtraum«. Es hilft, gesellschaftliche und individuelle Ziele zu verwirklichen, ist aber nicht nur das sprichwörtliche »liebe Geld«, sondern auch ein Medium mit einer Eigendynamik, die durchschaut werden muss, um sich nicht hinterrücks in das Unglück zu verwandeln, vor dem es doch schützen soll. Mag es ein weitverbreiteter Wunsch sein, stets so viel Geld zu haben, dass man nicht an es zu denken braucht, so ist fraglich, ob uns eine solche Ruhe tatsächlich genügen würde. Denn Geld bedeutet auch eine Erregung, die wir nicht missen wollen, weil sie uns Angstlust bereitet, mithin nicht nur Angst, sondern eben auch Lust. Und wo die Lust das Sagen hat, ist genug nie genug.

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Geld im Beratungsprozess

Literatur

Eigene Texte, aus denen Textbausteine stammen, die in diesem Buch verwendet werden Günther, A., Haubl, R. (1998). Augsburger Geldstilstudie. Unveröffentlichte Auswertung. Haubl, R. (1996). Geldpathologie und Überschuldung: am Beispiel Kaufsucht. Ein von der Psychoanalyse vernachlässigtes Thema. Psyche – Zeitschrift für Psychoanalyse und ihre Anwendungen, 50 (9/10), 916–953. Haubl, R. (1998). Geld, Geschlecht und Konsum. Zur Psychopathologie ökonomischen Alltagshandelns. Gießen: Psychosozial-Verlag. Haubl, R. (1999). Zur Psychodynamik des Geldes. Unbewusste monetäre Phantasien. Psychoanalyse im Widerspruch, 21, 29–43. Haubl, R. (2000). Gruppenanalytische Supervision mit Schuldnerberaterinnen und -beratern. Erste Erfahrungen. Supervision. Mensch Arbeit Organisation, 1, 32–42. Haubl, R. (2002). Money madness. Eine psychodynamische Skizze. In Ch. Deutschmann (Hrsg.), Die gesellschaftliche Macht des Geldes (S. 203– 225). Opladen: Westdeutscher Verlag. Haubl, R. (2004). Ein Tabu brechen: Gemeinsam über Geld sprechen. Gruppendynamik und Organisationsberatung, 35 (3), 292–306. Haubl, R. (2008). »Diese Firma, dafür ist auch ein Stück Leben eingesetzt worden« – Nachfolge als kritisches Lebensereignis. In A. Ahlers-­ Niemann, U. Beumer, R. Redding Mersky, B. Sievers (Hrsg.), Organisationslandschaften. Sozioanalytische Gedanken und Interventionen zur normalen Verrücktheit in Organisationen (S. 107–119). Bergisch Gladbach: EHP-Verlag. Haubl, R. (2009). Spare Dich reich! Über einige Tugenden und Laster, Geld zu gebrauchen. In M. Beitl, Ch. Rapp, N. Rapp-Wimberger (Hrsg.), Wer hat, der hat. Eine illustrierte Geschichte des Sparens (S. 169–181). Wien: Metroverlag.

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