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German Pages [660] Year 2011
Jesús Huerta de Soto Geld, Bankkredit und Konjunkturzyklen
Meiner Frau Sonsoles Huarte Giménez
Jesús Huerta de Soto
Geld, Bankkredit und Konjunkturzyklen
Übersetzt von Philipp Bagus
Lucius 8t Lucius • Stuttgart -2011
Anschrift des Autors [email protected]
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar
ISBN 978-3-8282-0532-1 ® Lucius Et Lucius Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart 2011 Gerokstraße 51 • D-70184 Stuttgart www.luciusverlag.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Claudia Rupp, Stuttgart Druck und Bindung: Druckhaus Thomas Müntzer, Bad Langensalza
Inhaltsverzeichnis 1
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Die rechtliche Natur des monetären Depositum irreguläre 1.1 Eine vorläufige Begriffsklärung: Leihverträge (Mutuum und Commodatum) und Depositenverträge 1.1.1 Das Commodatum 1.1.2 DasMutuum 1.1.3 Der Depositenvertrag 1.1.4 Das Depositum fungibler Güter oder das Depositum irreguläre 1.2 Die ökonomische und soziale Funktion des Depositum irreguläre . . 1.2.1 Das grundlegende Element des monetären Depositum irreguläre 1.2.2 Die Folgen aus der Nichterfüllung der grundlegenden Verpflichtung des Depositum irreguläre 1.2.3 Gerichtsurteile, welche die grundlegenden Rechtsprinzipien bestätigen, die das monetäre Depositum irreguläre regeln (Reservedeckung von hundert Prozent) 1.3 Die grundlegenden Unterschiede zwischen dem monetären Depositum irreguläre und dem Darlehensvertrag 1.3.1 Das Ausmaß, in dem Eigentumsrechte in beiden Verträgen übertragen werden 1.3.2 Die grundlegenden ökonomischen Unterschiede zwischen beiden Verträgen 1.3.3 Der fundamentale rechtliche Unterschied zwischen beiden Verträgen 1.4 Die Entdeckung der allgemeinen Rechtsprinzipien, die den Vertrag des monetären Depositum irreguläre bestimmen, durch römische Rechtsexperten 1.4.1 Die Entstehung von traditionellen Rechtsprinzipien nach Menger, Hayek und Leoni 1.4.2 Römische Rechtsprechung 1.4.3 Der Vertrag des Depositum irreguläre im römischen Gesetzbuch
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Historische Verletzungen der den Vertrag des monetären Depositum irreguläre bestimmenden Rechtsprinzipien 2.1 Einleitung 2.2 Das Bankwesen in Griechenland und Rom 2.2.1 Trapezitei oder griechische Bankiers 2.2.2 Das Bankwesen der hellenistischen Welt 2.2.3 Das römische Bankwesen 2.2.4 Der Zusammenbruch der Bank des Christen Callistus 2.2.5 Die Societates Argentariae
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Inhaltsverzeichnis 2.3 Bankiers im späten Mittelalter 2.3.1 Die Wiederbelebung der Depositenbanken im mediterranen Europa 2.3.2 Das kanonische Zinsverbot und das Depositum confessatum 2.3.3 Das Bankwesen im Florenz des vierzehnten Jahrhunderts. . . 2.3.4 Die Medicibank 2.3.5 Das Bankwesen im Katalonien des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts: die Taula de Canvi 2.4 Das Bankwesen während der Herrschaft Karls V. und die Lehre der Schule von Salamanca 2.4.1 Die Entwicklung des Bankwesens in Sevilla 2.4.2 Die Schule von Salamanca und das Bankgeschäft 2.5 Ein neuer Versuch eines legitimen Bankwesens: die Bank von Amsterdam. Das Bankwesen im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert 2.5.1 Die Bank von Amsterdam 2.5.2 David Hume und die Bank von Amsterdam 2.5.3 Sir James Steuart, Adam Smith und die Bank von Amsterdam 2.5.4 Die Banken von Schweden und England 2.5.5 John Law und das Bankwesen im Frankreich des 18. Jahrhunderts 2.5.6 Richard Cantillon und die betrügerische Verletzung des Vertrages des Depositum irreguläre
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Die Versuche der juristischen Rechtfertigung des Teildeckungsbankwesens 3.1 Einleitung 3.2 Warum es unmöglich ist, den Vertrag des Depositum irreguläre mit dem Darlehens- oder Mutuumvertrag gleichzusetzen 3.2.1 Die Wurzeln der Verwirrung 3.2.2 Die irrige Lehre des Common Law 3.2.3 Die Doktrin des (spanischen) Zivil- und Handelsgesetzbuches 3.2.4 Kritik des Versuchs, den Vertrag des monetären Depositum irreguläre mit dem Darlehens- oder Mutuumvertrag gleichzusetzen 3.2.5 Die unterschiedliche Ursache oder der verschiedene Zweck der beiden Verträge 3.2.6 Der Begriff der unausgesprochenen oder impliziten Abmachung 3.3 Eine unangemessene Lösung: Die Neudefinierung des Konzepts der Verfügbarkeit
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Inhaltsverzeichnis 3.4 Das monetäre Depositum irreguläre, Transaktionen mit Rückkaufvereinbarungen und Lebensversicherungsverträge 3.4.1 Transaktionen mit einer Rückkaufvereinbarung 3.4.2 Der Fall der Lebensversicherungsverträge 4
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Der Kreditausweitungsprozess 4.1 Einleitung 4.2 Die Rolle der Bank als ein wahrhaftiger Intermediär beim Darlehensvertrag 4.3 Die Rolle der Bank beim monetären Bankdepositenvertrag 4.4 Die durch die Nutzung der Sichteinlagen durch die Banken hervorgerufenen Effekte: der Fall einer einzelnen Bank 4.4.1 Die kontinentale Bilanzierung 4.4.2 Die Bilanzierungspraktiken der englischsprachigen Welt... . 4.4.3 Die Fähigkeit zur Kreditexpansion und Depositenschaffung einer isolierten Bank 4.4.4 Der Fall einer sehr kleinen Bank 4.4.5 Kreditausweitung und Depositenschaffung ex nihilo durch eine einzelne, monopolistische Bank 4.5 Kreditausweitung und die Schaffung neuer Depositen durch das gesamte Bankensystem 4.5.1 Die Darlehensschaffung in einem System kleiner Banken... 4.6 Einige weitere Schwierigkeiten 4.6.1 Simultane Kreditausweitung durch alle Banken 4.6.2 Das Sickern des Geldes aus dem Bankensystem 4.6.3 Das Halten von Reserven in einer die Mindestreserve übersteigenden Höhe 4.6.4 Unterschiedliche Mindestreserven für unterschiedliche Depositenarten 4.7 Die Parallelen der Schaffung von Depositen und der Emission von ungedeckten Banknoten 4.8 Der Kreditrestriktionsprozess Die Kreditausweitung der Banken und ihre wirtschaftlichen Folgen . . 5.1 Die Grundlagen der Kapitaltheorie 5.1.1 Menschliches Handeln als eine Reihe subjektiver Etappen . . 5.1.2 Kapital und Kapitalgüter 5.1.3 Der Zinssatz 5.1.4 Die Produktionsstruktur 5.1.5 Einige weitere Überlegungen 5.1.6 Kritik der in der volkswirtschafdichen Gesamtrechnung benutzten Konzepte
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Inhaltsverzeichnis
5.2 Die Wirkung eines ansteigenden Kreditvolumens bedingt durch einen freiwilligen Anstieg der Ersparnisse auf die Produktionsstruktur 5.2.1 Die drei Erscheinungsformen des freiwilligen Sparprozesses 5.2.2 Buchungssätze der in Darlehen fließenden Ersparnisse 5.2.3 Der Fall des Konsumentendarlehens 5.2.4 Die Wirkungen des freiwilligen Sparens auf die Produktionsstruktur 5.2.5 Erstens: Die Wirkung der neuen Gewinndisparität zwischen den verschiedenen Produktionsstufen 5.2.6 Zweitens: Die Wirkung des Zinssatzrückgangs auf den Marktpreis der Kapitalgüter 5.2.7 Drittens: Der Ricardoeffekt 5.2.8 Fazit: Das Entstehen einer neuen, kapitalintensiveren Produktionsstruktur 5.2.9 Die theoretische Lösung des „Sparparadoxons" 5.2.10 Der Fall einer zurückgehenden Wirtschaft 5.3 Die Wirkungen der nicht durch einen Ersparnisanstieg gedeckten Kreditausweitung: Die österreichische Konjunkturtheorie oder die Zirkulationskredittheorie 5.3.1 Die Wirkungen der Kreditausweitung auf die Produktionsstruktur 5.3.2 Die spontane Reaktion des Marktes auf die Kreditausweitung 5.4 Banken, Teildeckungen und das Gesetz der großen Zahl 6
Weitere Betrachtungen zur Konjunkturtheorie 6.1 Warum keine Krise ausbricht, wenn neue Investitionen durch reale Ersparnisse finanziert werden (und nicht durch eine Kreditausweitung) 6.2 Die Möglichkeit, den Ausbruch der Krise zu verschieben: die theoretische Erklärung des Stagflationsprozesses 6.3 Konsumentenkredit und die Konjunkturtheorie 6.4 Das selbstzerstörerische Wesen des durch die Kreditausweitung erzeugten künstlichen Aufschwungs: die Theorie des „Zwangssparens" 6.5 Kapitalverschwendung, stillliegende Kapazitäten und Fehlinvestition von Produktivkräften 6.6 Kreditausweitung als Ursache von Massenarbeitslosigkeit 6.7 Die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ist für die Darstellung der verschiedenen Stufen des Konjunkturzyklus unzureichend . . . . 6.8 Die unternehmerische Funktion und die Konjunkturtheorie
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Inhaltsverzeichnis 6.9 Die Politik der Preisniveaustabilisierung und ihre destabilisierende Wirkung auf die Volkswirtschaft 6.10 Wie Konjunkturzyklen zu vermeiden sind: Prävention und Erholung von Wirtschaftskrisen 6.11 Die Konjunkturtheorie und brachliegende Ressourcen: ihre Rolle in den Anfangsphasen des Aufschwungs 6.12 Die notwendige Kreditrestriktion während der Rezessionsphase: Kritik der Theorie der „sekundären Depression" 6.13 Die „manisch-depressive" Wirtschaft: die Verkümmerung des unternehmerischen Geistes und andere negative Auswirkungen der wiederkehrenden Konjunkturzyklen auf die Marktwirtschaft... 6.14 Der Einfluss der Wirtschaftsschwankungen auf die Börse 6.15 Die Wirkungen des Konjunkturzyklus auf den Bankensektor 6.16 Marx, Hayek und die Auffassung, dass Wirtschaftskrisen den Marktwirtschaften inhärent sind 6.17 Zwei weitere Überlegungen 6.18 Empirische Belege für die Konjunkturtheorie 6.18.1 Konjunkturzyklen vor der industriellen Revolution 6.18.2 Konjunkturzyklen seit Beginn der industriellen Revolution 6.18.3 Die „Roaring Twenties" und die Große Depression von 1929 6.18.4 Die Rezessionen der späten 1970er- und frühen 1990er-Jahre 6.18.5 Empirische Tests der österreichischen Konjunkturtheorie . . . 6.18.6 Schlussfolgerung 7
Eine Kritik der monetaristischen und keynesianischen Theorien 7.1 Einführung 7.2 Kritik des Monetarismus 7.2.1 Der mystische Kapitalbegriff 7.2.2 Die österreichische Kritik an Clark und Knight 7.2.3 Eine Kritik der mechanistischen, monetaristischen Version der Quantitätstheorie des Geldes 7.2.4 Eine kurze Bemerkung zur Theorie der rationalen Erwartungen 7.3 Kritik der keynesianischen Wirtschaftslehre 7.3.1 Das saysche Marktgesetz 7.3.2 Die drei Argumente von Keynes zur Kreditausweitung 7.3.3 Die keynesianische Analyse als eine spezifische T h e o r i e . . . . 7.3.4 Die sogenannte Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals 7.3.5 Keynes' Kritik an Mises und Hayek 7.3.6 Die Kritik des keynesianischen Multiplikators 7.3.7 Kritik des „Akzeleratorprinzips"
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Inhaltsverzeichnis 7.4 Die marxistische Tradition und die österreichische Konjunkturtheorie. Die neoricardianische Revolution und die Reswitching-Kontroverse 7.5 Schlussfolgerung 7.6 Anhang über Lebensversicherungsgesellschaften und andere Nichtbank-Finanzintermediäre 7.6.1 Die Lebensversicherungsgesellschaften als echte Finanzintermediäre 7.6.2 Der Rückkaufwert und die Geldmenge 7.6.3 Der Verfall der traditionellen Lebensversicherungsprinzipien 7.6.4 Weitere echte Finanzintermediäre: Investmentfonds und Beteiligungsgesellschaften 7.6.5 Einige spezifische Kommentare zur Kreditversicherung
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Die Theorie der Zentralbank und der Bankfreiheit 8.1 Eine kritische Analyse der Banking-Schule 8.1.1 Die Sichtweise der Banking- und Currency-Schule und die Schule von Salamanca 8.1.2 Die Antwort der englischsprachigen Welt auf diese Ideen zum Bankgeld 8.1.3 Die Kontroverse zwischen der Currency-Schule und der Banking-Schule 8.2 Die Debatte zwischen Verteidigern der Zentralbank und Befürwortern der Bankfreiheit 8.2.1 Pamells Plädoyer für die Bankfreiheit und die Antworten von McCulloch und Longfield 8.2.2 Ein Fehlstart für die Kontroverse zwischen Zentralbankwesen und Bankfreiheit 8.2.3 Das Argument für Zentralbanken 8.2.4 Die Position der Gelehrten der Currency-Schule, die ein Bankfreiheitssystem verteidigten 8.3 Das „Theorem der Unmöglichkeit des Sozialismus" und seine Anwendung auf das Zentralbankwesen 8.3.1 Die Theorie der Unmöglichkeit der Koordination einer Gesellschaft durch institutionellen Zwang oder die Verletzung traditioneller Rechtsprinzipien 8.3.2 Die Anwendung des Theorems der Unmöglichkeit des Sozialismus auf die Zentralbank und das Teildeckungsbankensystem 8.3.3 Schlussfolgerung: das Scheitern der Bankgesetzgebung . . . .
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Inhaltsverzeichnis 8.4 Eine kritische Einschätzung der modernen teilgedeckten Bankfreiheitsschule 8.4.1 Die fehlerhafte Basis der Analyse: die Umlaufsmittelnachfrage als eine exogene Variable 8.4.2 Die Möglichkeit, dass ein teilgedecktes Bankfreiheitssystem autonom eine Kreditausweitung initiiert 8.4.3 Die Theorie des „monetären Gleichgewichts" der Bankfreiheitsschule beruht auf einer rein makroökonomischen Analyse 8.4.4 Die Verwechslung des Konzepts des Sparens mit dem Konzept der Geldnachfrage 8.4.5 Das Problem mit historischen Illustrationen des Bankfreiheitssystems 8.4.6 Die Ignoranz der juristischen Argumente 8.5 Schlussfolgerung: die falsche Debatte zwischen Vertretern des Zentralbankwesens und Verteidigern einer teilgedeckten Bankfreiheit 9
Ein Vorschlag zur Bankreform: die Theorie einer hundertprozentigen Reservepflicht 9.1 Ein geschichtlicher Überblick über moderne Theorien, die eine hundertprozentige Reservepflicht unterstützen 9.1.1 Der Vorschlag von Ludwig von Mises 9.1.2 Friedrich A. von Hayek und der Vorschlag einer hundertprozentigen Reservepflicht 9.1.3 Murray N. Rothbard und der Vorschlag eines reinen Goldstandards mit einer hundertprozentigen Reservepflicht 9.1.4 Maurice Allais und die europäische Verteidigung einer hundertprozentigen Reservepflicht 9.1.5 Die alte Tradition der Unterstützung einer hundertprozentigen Reservepflicht in der Chicago-Schule 9.2 Unser Vorschlag zur Reform des Bankwesens 9.2.1 Totale Wahlfreiheit der Währung 9.2.2 Ein System vollständiger B ankfreiheit 9.2.3 Die Verpflichtung aller Wirtschaftssubjekte in einem Bankfreiheitssystem zur Einhaltung der traditionellen Rechtsregeln und Prinzipien, besonders der hundertprozentigen Reservepflicht für Sichteinlagen 9.2.4 Wie würde das Finanz- und Bankensystem in einer vollkommen freien Gesellschaft aussehen? 9.3 Eine Analyse der Vorteile des vorgeschlagenen Systems
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Inhaltsverzeichnis 9.4 Antworten auf mögliche Einwände gegen unseren Vorschlag zur Geldreform 9.5 Eine ökonomische Analyse des Reform- und Übergangsprozesses zum vorgeschlagenen Geld- und Bankensystem 9.5.1 Einige grundlegende strategische Prinzipien 9.5.2 Stufen der Reform des Finanz- und Bankensystems 9.5.3 Die Bedeutung der dritten und der nachfolgenden Stufen der Reform: die Möglichkeit, die sie zur Begleichung der Staatsschulden oder der Rentenverbindlichkeiten der sozialen Sicherungssysteme eröffnet 9.5.4 Die Anwendung der Theorie der Bank- und Finanzreform auf die Europäische Währungsunion und die Schaffung des Finanzsektors in den Volkswirtschaften des ehemaligen Ostblocks 9.6 Schlussfolgerung: Das Bankensystem einer freien Gesellschaft . . . .
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Literaturverzeichnis
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Stichwortverzeichnis
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Namensverzeichnis
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Vorwort zur deutschen Ausgabe Ich bin sehr glücklich, die deutsche Erstausgabe von Geld, Bankkredit und Konjunkturzyklen präsentieren zu können. Das Erscheinen dieser Ausgabe ist zeitlich besonders passend, da die schwere Finanzkrise und die daraus resultierende weltweite Rezession, die ich seit der ersten Auflage dieses Buches vor zehn Jahre prognostiziert habe, nun mit voller Wucht zuschlagen. Zu besonderem Dank bin ich Dr. Philipp Bagus verpflichtet, der mein Werk aufopferungsvoll übersetzt hat.
Die Politik der künstlichen Kreditausweitung, welche die Zentralbanken in den letzten fünfzehn Jahren erlaubt und koordiniert haben, hätte nicht auf eine andere Weise enden können. Der Expansionszyklus, der nun zum Abschluss gekommen ist, begann Fahrt aufzunehmen, als die amerikanische Wirtschaft 2001 ihre letzte Rezession hinter sich ließ (obgleich diese noch nicht abgeschlossen war und unterdrückt wurde) und die Federal Reserve die große künstliche Expansion der Kredite und Investitionen wieder aufnahm, die sie 1992 begonnen hatte. Diese Kreditausweitung wurde nicht durch einen parallelen Anstieg der freiwilligen Ersparnisse der Haushalte gestützt. Viele Jahre lange stieg die Geldmenge in der Form von Banknoten und Depositen in durchschnittlichen Raten von über zehn Prozent pro Jahr (was bedeutet, dass sich die Gesamtgeldmenge in der Welt alle sieben Jahre verdoppelte). Die Tauschmittel, die aus dieser starken Umlaufsmittelinflation entstanden, wurden durch das Bankensystem in Form von neu geschaffenen Krediten zu sehr niedrigen Zinssätzen, die real gesehen sogar negativ waren, auf dem Markt platziert. Dieses Vorgehen speiste eine Spekulationsblase in Form substanzieller Preissteigerungen von Kapitalgütern, Grundstücken und Immobilien sowie der Wertpapiere, die diese repräsentieren und an der Börse gehandelt werden, wo die Indizes emporschnellten. Kurioserweise hat - ähnlich wie in den „wilden Zwanzigern" vor Beginn der Großen Depression 1929 - der monetäre Wachstumsschock die Preise der Konsumgüter und Leistungen, die ungefähr ein Drittel aller Güter ausmachen, nicht signifikant beeinflusst. Das letzte Jahrzehnt war wie die 1920er-Jahre von einem bemerkenswerten Produktivitätsanstieg infolge der massiven Einführung von neuen Technologien und bedeutenden unternehmerischen Innovationen geprägt. Diese Fortschritte hätten, wäre es nicht zur Geld- und Kreditinjektion gekommen, zu einem gesunden und anhaltenden Rückgang der Preise von Konsumgütern und Leistungen geführt. Darüber hinaus hat die Eingliederung der chinesischen und indischen Volkswirtschaften in den globalisierten Markt die reale Produktivität von Konsumgütern und Leistungen noch weiter gesteigert. Das Ausbleiben einer gesunden Preisdeflation bei den Konsumgüterpreisen in einer Phase beachtlichen Produktivitätswachstums ist das Hauptindiz dafür, dass der Geldmengenschock den Wirtschaftsprozess schwer gestört hat. Ich analysiere dieses Phänomen detailliert in Kapitel 6, Abschnitt 9.
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Vorwort
Wie ich in diesem Buch erkläre, ist die künstliche Kreditausweitung und die Inflation der Umlaufsmittel keine Abkürzung hin zu einer stabilen und nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung. Es gibt keinen Weg, das notwendige Opfer und die Disziplin, die hinter allen hohen freiwilligen Sparraten stehen, zu umgehen. (Tatsächlich sind die freiwilligen Ersparnisse, vor allem in den Vereinigten Staaten, in den letzten Jahren nicht nur nicht gestiegen, sondern zeitweise sogar geschrumpft.) In der Tat ist eine künstliche Ausweitung des Kredits und des Geldes niemals mehr als eine kurzfristige Lösung, wenn überhaupt. So besteht heute gar kein Zweifel hinsichtlich der depressiven Eigenschaften, die ein monetärer Schock auf lange Sicht immer hat: Neu geschaffene Darlehen (von Geldern, die nicht von den Bürgern zuvor gespart wurden) liefern den Unternehmern unmittelbar eine Kaufkraft, die sie in allzu ambitiösen Investitionsprojekten verwenden (in den letzten Jahren vor allem im Bau- und Immobiliensektor). Anders ausgedrückt handeln die Unternehmer so, als ob die Bürger ihre Ersparnisse erhöht hätten, obgleich sie dies in Wirklichkeit nicht getan haben. Die Folge ist eine allgemeine Fehlkoordination des Wirtschaftssystems: die Finanzblase („irrational exuberance") übt einen abträglichen Effekt auf die Realwirtschaft aus, und früher oder später kehrt sich der Prozess in Form einer Rezession um, die den Beginn einer schmerzvollen und notwendigen Wiederanpassung markiert. Diese Wiederanpassung verlangt unweigerlich eine Rückwandlung aller von der Inflation verzerrten Teile der realen Produktionsstruktur. Die spezifischen Auslöser für das Ende des euphorischen monetären „Gelages" und den Beginn des depressiven „Katers" können vieler Art sein und variieren von einem Zyklus zum nächsten. In den gegenwärtigen Umständen waren die offensichtlichsten Auslöser des konjunkturellen Umschwungs der Anstieg der Rohstoffpreise, vor allem des Rohöls, die Subprime-Hypothekenkrise in den Vereinigten Staaten und schließlich der Zusammenbruch von bedeutenden Bankinstitutionen, als es im Markt deutlich wurde, dass der Wert ihrer Verbindlichkeiten den ihrer Vermögenswerte (die gewährten Hypothekendarlehen) überstieg. Gegenwärtig fordern zahlreiche eigennützige Stimmen weitere Reduzierungen der Zinssätze bzw. eine Beibehaltung der historisch niedrigen Zinssätze sowie neue Geldinjektionen, die es jenen, die diese Maßnahmen wünschen, ermöglichen, ihre Investitionsprojekte ohne Verluste abzuschließen. Nichtsdestoweniger verschiebt diese Flucht nach vom die Probleme nur temporär um den Preis ihrer erheblichen Verschärfung in der Zukunft. Die Krise hat zugeschlagen, weil die Gewinne der Kapitalgüterunternehmen (vor allem im Bau- und Immobiliensektor) durch unternehmerische Fehler, provoziert durch billigen Kredit, verschwunden sind und die Konsumgüterpreise begonnen haben, sich weniger schlecht zu entwickeln als die Kapitalgüterpreise. An dieser Stelle beginnt eine schmerzvolle, unvermeidbare Wiederanpassung und wir sehen nun neben dem Produktionsrückgang und dem Anstieg der Arbeitslosigkeit einen sehr nachteiligen Anstieg der Konsumgüterpreise (Stagflation). Die strengste ökonomische Analyse und die kühlste, ausgewogenste Interpretation der jüngsten wirtschaftlichen und finanziellen Ereignisse unterstützt die Schlussfolgerung, dass Zentralbanken (die wahrhaftige zentralplanwirtschaftliche Finanz-
Vorwort
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behörden sind) unmöglich die vorteilhafteste Geldpolitik zu jedem Zeitpunkt finden können. Genau dies wurde auch im Fall der gescheiterten Versuche, die Sowjetwirtschaft von oben zu planen, deutlich. Anders ausgedrückt ist das Theorem der wirtschaftlichen Unmöglichkeit des Sozialismus, das die österreichischen Ökonomen Ludwig von Mises und Friedrich A. von Hayek entdeckten, vollkommen auf die Zentralbanken im Allgemeinen und die Federal Reserve - einst Alan Greenspan und gegenwärtig Ben Bernanke - im Besonderen anwendbar. Nach diesem Theorem ist es unmöglich, eine Gesellschaft auf ökonomische Weise basierend auf Befehlen einer Planungsbehörde zu organisieren, denn eine derartige Institution vermag sich niemals die Informationen aneignen, die sie braucht, damit ihre Befehle koordinierend wirken. In der Tat gibt es nichts Gefährlicheres als die „verhängnisvolle Anmaßung" - um Hayeks nützlichen Begriff zu verwenden - zu glauben, dass man selbst allwissend ist oder zumindest weise und mächtig genug, um in der Lage zu sein, die Feinabstimmung der Geldpolitik zu erreichen. Anstatt das energische Auf und Ab des Konjunkturzyklus zu dämpfen, sind die Federal Reserve und in geringerem Ausmaß die Europäische Zentralbank deshalb sehr wahrscheinlich die Hauptarchitekten dieser Bewegungen und die Schuldigen an ihrer Verstärkung. Daher ist das Dilemma, dem sich Ben Bernanke und seine Federal Reserve Board sowie die anderen Zentralbanken (beginnend bei der Europäischen Zentralbank) gegenübersehen, alles andere als angenehm. Jahrelang haben sie sich vor ihrer monetären Verantwortung gedrückt und befinden sich nun in einer Sackgasse. Entweder lassen sie zu, dass jetzt ein Rezessionsprozess beginnt und mit ihm eine gesunde und schmerzvolle Wiederanpassung, oder sie treten mit der Methode des „Katerbiers" die Flucht nach vorne an. Bei Wahl des Letzteren steigt die Wahrscheinlichkeit einer noch heftigeren Stagflation in nicht so femer Zukunft exponentiell an. (Dies war gerade der Fehler, der nach dem Börsenkrach von 1987 begangen wurde und in die scharfe Rezession von 1990 bis 1992 führte.) Außerdem würde in dieser Phase die Wiedereinführung einer Politik des billigen Kredits die notwendigen Liquidationen unprofitabler Investitionen und die Restrukturierung von Unternehmen nur behindern. Dies könnte sogar die Rezession auf unbestimmte Zeit hinaus verlängern, so wie es in Japan in den letzten Jahren geschehen ist: Obwohl alle möglichen Interventionen ausprobiert worden sind, reagiert die japanische Wirtschaft auf Stimuli, die Kreditausweitung oder keynesianische Methoden enthalten, nicht mehr. In diesem Kontext der „finanziellen Schizophrenie" müssen wir die jüngsten von den Finanzbehörden abgegebenen „Schüsse ins Blaue" beurteilen (diese haben zwei völlig widersprüchliche Verantwortlichkeiten: Sie sollen sowohl die Inflation kontrollieren als auch so viel Liquidität ins Finanzsystem injizieren, dass sein Kollaps verhindert wird). So rettet die Federal Reserve an einem Tag Bear Stearns, AIG, Fannie Mae und Freddie Mac oder Citigroup, um am Tag darauf den Zusammenbruch von Lehman Brothers zu erlauben unter dem hinreichend gerechtfertigten Vorwand, eine „Lehrstunde zu erteilen" und den Moral Hazard nicht noch weiter anzuheizen. Dann, wenn sich die Ereignisse überschlagen, wird ein 700-Milliarden-Dollar-Plan für den Kauf von - euphemistisch als „toxisch" oder „illiquide" bezeichneten (d.h. wertlosen) - Vermögenswerten
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Vorwort
vom Bankensystem verabschiedet. Wenn der Plan durch Steuern (und nicht durch weitere Inflation) finanziert wird, bedeutet dies eine schwere Steuerlast für die Haushalte gerade dann, wenn sie am wenigsten dazu in der Lage sind, diese zu tragen. Als schließlich Zweifel aufkamen, ob ein derartiger Plan überhaupt einen Effekt haben würde, entschied man sich, staatliche Gelder direkt in die Banken zu injizieren und sogar die gesamte Depositensumme zu „garantieren". Die Volkswirtschaften der Europäischen Union befinden sich vergleichsweise in einer weniger desolaten Lage (wenn wir von den expansiven Effekten der gezielten Dollarabwertungspolitik absehen und den relativ größeren europäischen Preisrigiditäten vor allem auf dem Arbeitsmarkt, die Rezessionen in Europa länger und schmerzvoller machen). Die expansive Politik der Europäischen Zentralbank, obgleich sie nicht frei von schwerwiegenden Fehlern war, ist in gewissem Maße weniger unverantwortlich gewesen als die Politik der Federal Reserve. Außerdem beinhaltete die Einhaltung der Konvergenzkriterien seiner Zeit eine gesunde und signifikante Sanierung der größten europäischen Volkswirtschaften. Die Länder in der Peripherie wie Irland und vor allem Spanien befanden sich in einer beachtlichen Kreditausweitung von dem Zeitpunkt an, als ihr Konvergenzprozess begann. Das Beispiel von Spanien ist paradigmatisch. Die spanische Wirtschaft boomte, was teilweise auf reale Ursachen zurückzuführen ist (die Liberalisierungen und Strukturreformen, die unter der Regierung von José Maria Aznar 1996 begannen). Nichtsdestoweniger wurde der Aufschwung auch größtenteils durch eine künstliche Ausweitung des Geldes und des Kredits angetrieben. Die Kredite wuchsen beinahe dreimal so schnell wie in Frankreich und Deutschland. Die spanischen Wirtschaftssubjekte interpretierten den Zinsrückgang, der aus dem Konvergenzprozess resultierte, auf die für die spanische Tradition des billigen Geldes typische Weise: Eine größere Verfügbarkeit billigen Geldes und massive Darlehensgesuche an die spanischen Banken (hauptsächlich, um die Immobilienspekulation zu finanzieren). Die Banken gewährten diese Darlehen durch die Schaffung von Geld ex nihilo, was die europäischen Zentralbanker jedoch unbeeindruckt ließ. Konfrontiert mit dem Preisanstieg ist die Europäische Zentralbank ihrem Mandat treu geblieben und hat versucht, die Zinssätze so lange als möglich aufrechtzuerhalten, trotz der Schwierigkeiten einiger Mitglieder der Währungsunion, die wie Spanien nun entdecken, dass ein Großteil ihrer Immobilieninvestitionen ein Fehler war und auf eine lange und schmerzvolle Reorganisation ihrer Realwirtschaft zusteuern. Unter diesen Umständen wäre die angemessenste Politik eine Liberalisierung der Volkswirtschaft auf allen Gebieten (vor allem dem Arbeitsmarkt), um eine zügige Reallokation der Produktivkräfte (vor allem der Arbeit) in profitable Sektoren zu erlauben. In gleicher Weise ist es essenziell die öffentlichen Ausgaben und Steuern zu senken, um das verfügbare Einkommen der hoch verschuldeten Wirtschaftssubjekte, die ihre Darlehen so schnell als möglich zurückzahlen müssen, zu erhöhen. Die Wirtschaftssubjekte im Allgemeinen und die Unternehmen im Besonderen können ihre Finanzen nur in Ordnung bringen, wenn sie Kosten reduzieren (vor allem Arbeitskosten) und ihre Darlehen zurückzahlen. Für dieses Ziel sind ein flexibler Arbeitsmarkt und ein entsagender öffentlicher Sektor grundlegend. Diese
Vorwort
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Faktoren sind fundamental, wenn der Markt so schnell als möglich den realen Wert der irrtümlicherweise produzierten Investitionsgüter offenlegen und damit die Grundlage für eine gesunde, nachhaltige wirtschaftliche Erholung in der Zukunft legen soll, die zu unser aller Wohl, so hoffe ich, nicht lange auf sich warten lassen wird.
Wir dürfen nicht vergessen, dass ein zentraler Bestandteil der jüngsten Periode künstlicher Expansion - sowohl auf dem amerikanischen Kontinent als auch in Europa - eine graduelle Korruption der traditionellen Prinzipien der Bilanzierung war, wie sie jahrhundertelang weltweit praktiziert wurden. Genauer gesagt bedeutet die Akzeptanz der International Accounting Standards (LAS) und ihre gesetzliche Einführung in verschiedenen Ländern (in Spanien durch den neuen Allgemeinen Bilanzierungsplan, der am 1. Januar 2008 in Kraft trat) eine Abkehr von dem traditionellen Vorsichtsprinzip bei der Bewertung der Vermögenswerte in der Bilanz und besonders der Finanzvermögenswerte und seinen Ersatz durch das Marktwertprinzip. Bei dieser Abkehr vom traditionellen Vorsichtsprinzip spielten Broker, Investmentbanken (die - glücklicherweise - nun am Aussterben sind) und im Allgemeinen alle Gruppen eine wichtige Rolle, die an „inflationierten" Buchwerten interessiert waren, um diese den angeblich „objektiven" Aktienkursen anzunähern, die in der Vergangenheit in einem ökonomischen Prozess der Finanzeuphorie kontinuierlich gestiegen waren. In der Tat war dieser Prozess während der Jahre der „Spekulationsblase" durch eine Rückkopplung gekennzeichnet: Die steigenden Aktienkurse wurden unmittelbar in die Bücher aufgenommen und dann hielten diese Buchhaltungseinträge als Rechtfertigung fxir weitere künstliche Steigerungen der Preise von börsennotierten Finanzwerten her. In diesem wilden Rennen um die Abkehr von den traditionellen Prinzipien der Bilanzierung und ihren Ersatz durch andere, „zeitgemäßere" Prinzipien wurde es gang und gäbe, Unternehmen mittels unorthodoxer Annahmen und rein subjektiver Kriterien zu bewerten, die in den neuen Standards das einzig objektive Kriterium ersetzten (das der historischen Kosten). Nun hat der Kollaps der Finanzmärkte und der Vertrauensverlust der Wirtschaftssubjekte in die Banken und ihre Bilanzierung gezeigt, dass es ein schwerer Fehler ist, sich dem LAS zuzuwenden und den traditionellen Bilanzierungskriterien, die auf dem Vorsichtsprinzip basieren, den Rücken zu kehren. Es wurde auch deutlich, dass es ein Fehler ist, sich den Lastern der kreativen Bilanzierung nach dem Marktwertprinzip hinzugeben. Es ist dieser Zusammenhang, in dem wir die jüngsten Maßnahmen in den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union zur „Abfederung" (d.h. teilweisen Rücknahme) des Einflusses der Marktwertbilanzierung („fair value accounting") für Finanzinstitutionen beurteilen müssen. Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung, greift jedoch zu kurz und wird aus den falschen Beweggründen unternommen. In der Tat versuchen die Verantwortlichen in den Finanzinstitutionen, „den Brunnen zuzudecken, wenn das Kind schon hineingefallen ist", d.h., wenn der dramatische
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Werteverfall der „toxischen" bzw. „illiquiden" Vermögenswerte die Solvenz ihrer Institutionen bereits gefährdet hat. Freilich waren diese Personen während der vorangehenden Jahre der „irrational exuberance" über die neuen LA.S hoch erfreut, als die steigenden und exzessiven Bewertungen an den Börsen und Finanzmärkten ihre Bilanzen mit atemberaubenden Zahlen bei Gewinn und Eigenkapital zierten. Diese Zahlen wiederum veranlassten sie, Risiken (oder besser: Unsicherheiten) einzugehen, praktisch ohne einen Gedanken an das Risiko zu verschwenden. Wir sehen mithin, dass die IAS prozyklisch wirken, indem sie die Volatilität erhöht und das Management fehlleitet: In Zeiten von Hochkonjunktur generiert es einen irrigen „Reichtumseffekt", der die Leute dazu veranlasst, disproportionale Risiken einzugehen. Wenn dann von einem Tag auf den anderen die begangenen Fehler ans Licht kommen, entkapitalisiert der Wertverlust des Vermögens unmittelbar die Unternehmen, die sich gezwungen sehen, ihre Vermögenswerte im ungünstigsten Augenblick zu verkaufen und sich gerade dann zu rekapitalisieren, wenn die Vermögenswerte den geringsten Wert aufweisen und die Finanzmärkte ausgetrocknet sind. Bilanzierungsprinzipien, die wie die IAS sich derart störend erwiesen haben, sollten eindeutig so schnell als möglich fallen gelassen werden und die jüngst verabschiedeten Bilanzierungsreformen, vor allem die spanische, die am 1. Januar 2008 in Kraft trat, müssen rückgängig gemacht werden. Das ist nicht nur dadurch zu begründen, dass diese Reformen in Zeiten von Finanzkrise und Rezession in die Sackgasse führen, sondern auch dadurch, dass es essenziell ist, sich in Wachstumsperioden bei der Bewertung an das Vorsichtsprinzip zu halten - ein Prinzip, das alle Bilanzierungssysteme von der Zeit Luca Paciolis zu Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts bis zur Einführung des falschen Idols der IAS geprägt haben. Kurzum: Der größte Fehler der jüngsten, weltweit eingeführten Bilanzierungsreform besteht darin, dass sie Jahrhunderte von Bilanzierungserfahrung und Unternehmensfiihrung über den Haufen wirft, wenn sie das Vorsichtsprinzip als das wichtigste aller traditionellen Buchhaltungsprinzipien durch das „Marktwertprinzip" ersetzt, das einfach den volatilen Marktwert für eine ganze Reihe von Vermögenswerten, vor allem für Finanzvermögen, einführt. Diese kopemikanische Wende ist besonders schädlich und bedroht die Grundlagen der Marktwirtschaft aus verschiedenen Gründen. Erstens: Die Verletzung des traditionellen Vorsichtsprinzips und die Erfordernis, dass Bilanzierungseinträge Marktwerte reflektieren, provoziert - abhängig von der Phase des Zyklus - eine Inflation der Buchwerte durch Überschüsse, die sich noch nicht realisiert haben und sich in vielen Fällen niemals realisieren. Dieser künstliche „Reichtumseffekt", der sich dadurch vor allem während der Aufschwungphase des Konjunkturzyklus einstellen kann, führt zur Verteilung von Papier- (bzw. lediglich temporären) Gewinnen, zur Akzeptanz von disproportionalen Risiken und kurzum zu systematischen unternehmerischen Fehlern und dem Konsum des Kapitals der Volkswirtschaft zum Nachteil ihrer Produktionsstruktur und ihres langfristigen Wachstumspotenzials. Zweitens muss ich betonen, dass es nicht Zweck der Bilanzierung ist, vermeintliche „reale" Werte (die in jedem Fall subjektiv sind, durch die entsprechenden Märkte bestimmt werden und täglich variieren) unter dem Vorwand einer (falsch verstandenen) „Bilan-
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zierungstransparenz" darzustellen. Stattdessen ist es der Zweck der Bilanzierung, eine umsichtige Unternehmensfiihrung zu ermöglichen und den Kapitalkonsum zu verhindern, 1 indem strikt der Grundsatz der Buchhaltungsvorsicht angewendet wird, der auf dem Vorsichtsprinzip und der Erfassung der historischen Kosten oder des Marktwerts (je nachdem, welcher Wert niedriger ist) basiert. Dieser Standard gewährleistet jederzeit, dass die verteilbaren Gewinne aus einem sicheren Überschuss stammen, der verteilt werden kann, ohne in irgendeiner Weise die künftige Lebensfähigkeit oder Kapitalisierung des Unternehmens zu gefährden. Drittens müssen wir beachten, dass es im Markt keine Gleichgewichtspreise gibt, die eine dritte Partei objektiv bestimmen kann. Gerade das Gegenteil ist der Fall: Marktwerte kommen durch subjektive Wertschätzungen zustande und fluktuieren stark. Deshalb beseitigt ihr Einsatz in der Bilanzierung einen Großteil der Klarheit, Gewissheit und Information, welche die Bilanzen in der Vergangenheit enthielten. Heute sind Bilanzen zu einem Großteil unverständlich und nutzlos für die Wirtschaftssubjekte geworden. Weiterhin beraubt die den Marktwerten inhärente Volatilität die auf den neuen Regeln basierende Bilanzierung eines Großteils ihres Potenzials als Handlungshilfe für Unternehmensleiter und veranlasst diese dazu, systematisch schwere Managementfehler zu begehen - Fehler, welche die schwerwiegendste Finanzkrise provoziert haben, welche die Welt seit 1929 heimgesucht hat.
In Kapitel 9 dieses Buches entwerfe ich einen Übergangsprozess zu einer neuen Weltfinanzordnung, die mit der freien Marktwirtschaft vollkommen kompatibel ist und die Finanzkrisen und Rezessionen, welche die Volkswirtschaften der Welt regelmäßig heimsuchen, zu eliminieren vermag. Der Vorschlag, den dieses Buch für eine internationale Finanzreform enthält, ist zum heutigen Zeitpunkt (November 2009) von höchster Relevanz. Im vergangenen Jahr organisierten die beunruhigten Regierungen von Europa und Amerika einen Weltgipfel zur Reform des internationalen Geldsystems, um in der Zukunft derartig ernste Finanz- und Bankkrisen, wie sie gegenwärtig die gesamte Welt erfasst haben, zu vermeiden. Wie in den neun Kapiteln dieses Buches ausführlich erklärt wird, wird jede künftige Reform genauso kläglich scheitern wie vergangene Reformen, wenn man nicht die Wurzel der gegenwärtigen Probleme angeht und die Reform nicht auf den folgenden Prinzipien ruht: 1) die Wiedereinführung einer hundertprozentigen Reservepflicht für alle Bankeinlagen und Äquivalente; 2) die Abschaffung der Zentralbanken als Kreditgeber letzter Instanz (diese werden nicht mehr benötigt, wenn das erste Prinzip Anwendung findet, und sie sind schädlich, wenn sie weiterhin als zentrale Finanzplanungsbehörden agieren); und 3) die Privatisierung des gegenwärtigen monopolistischen und staatlich emittierten Zwangsgeldes und seine Ablöse durch 1
Vgl. vor allem F. A. Hayek, „The Maintenance of Capital", Economica 2 (August 1934), erneut veröffentlicht in Profits, Interest and Investment and Other Essays on the Theory of Industrial Fluctuations (New Jersey: Augustus M. Kelley, 1979; 1. Auflage, London: George Routledge Et Sons, 1939); vor allem Abschnitt 9, „Capital Accounting and Monetary Policy", S. 130- 132.
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einen klassischen Goldstandard. Diese radikale, endgültige Reform würde im Wesentlichen den Höhepunkt des Falls der Berliner Mauer im Jahr 1989 und des real existierenden Sozialismus markieren. Denn diese Reform würde die Anwendung der gleichen Prinzipien der Liberalisierung und des Privateigentums auf das Finanz- und Bankwesen bedeuten - den einzigen Bereich, der heute noch im Sumpf der zentralen Planwirtschaft (durchgeführt von ,,Zentral"banken), extremer Staatseingriffe (der Fixierung von Zinssätzen und dem verworrenen Netz von staatlichen Regulierungen) und des staatlichen Monopols (die Bestimmungen zur Verwendung eines gesetzlichen Zahlungsmittels, die zur Akzeptanz des gegenwärtig vom Staat emittierten Zwangsgeldes verpflichten) steckt; alles Umstände mit sehr negativen und dramatischen Auswirkungen, wie wir gesehen haben. Es sollte betont werden, dass der Übergangsprozess, der im letzten Kapitel dieses Buches entworfen wird, es auch erlauben würde, das gegenwärtige Bankensystem von vorneherein zu retten und damit seinen unmittelbaren Zusammenbruch zu vermeiden - und mit diesem die plötzliche Kreditklemme, die unvermeidbar wäre, wenn in einem Umfeld allgemeinen Vertrauensverlusts der Deponenten ein signifikanter Betrag von Bankdepositen verschwinden würde. Dieses kurzfristige Ziel, das die westlichen Regierungen verzweifelt mit den verschiedensten Plänen zu erreichen versucht haben (der massive Kauf von „toxischen" Bankvermögenswerten, die Ad-hominem-Garantie aller Depositen oder schlicht die teilweise oder komplette Nationalisierung des privaten Bankensystems), könnte viel schneller und effektiver und für die Marktwirtschaft viel verträglicher erreicht werden, wenn der erste Schritt der vorgeschlagenen Reform unverzüglich unternommen würde: die Deckung aller gegenwärtig existierenden Bankdepositen (Sichteinlagen und Äquivalente) durch Bargeld, indem den Banken Noten übergeben werden, sodass diese von diesem Zeitpunkt an eine hundertprozentige Reservedeckung ihrer Depositen aufrechterhalten. Wie in Abbildung 9.2, welche die konsolidierte Bilanz des Bankensystems nach diesem Schritt zeigt, dargestellt wird, wäre die Emission dieser Noten in keiner Weise inflationär (denn das neue Geld würde gewissermaßen durch seinen Zweck der Deckung zur Befriedigung aller plötzlichen Depositenabzüge „sterilisiert"). Weiterhin würde dieser Schritt alle Bankvermögenswerte, seien sie „toxisch" oder nicht, die gegenwärtig als Deckung der Sichteinlagen (und Äquivalente) auf den Bilanzen der Privatbanken erscheinen, freisetzen. Unter der Annahme, dass der Übergang zum neuen Finanzsystem unter „normalen" Umständen stattfinden würde und nicht in einer Finanzkrise, die so akut wie die gegenwärtige ist, habe ich in Kapitel 9 vorgeschlagen, dass die „freigesetzten" Vermögenswerte an ad hoc geschaffene Investmentfonds übertragen und vom Bankensystem verwaltet werden und dass die Anteile an diesen Fonds gegen ausstehende Staatsanleihen und implizite Verpflichtungen in Verbindung mit den sozialen Sicherungssystemen getauscht werden. Gleichwohl haben wir im gegenwärtigen Umfeld einer ernsten Finanz- und Wirtschaftskrise eine weitere Alternative: Neben der Abschreibung von „toxischen" Vermögenswerten mit diesen Fonds könnten wir, falls erwünscht, einen Teil dazu verwenden, den Sparern (nicht den Deponenten, denn ihre Depositen sind bereits zu hundert Prozent
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gedeckt) einen Großteil des Wertverlusts ihrer Investitionen auszugleichen (vor allem die Darlehen an Geschäftsbanken, Investmentbanken und Beteiligungsunternehmen). Diese Maßnahmen würden unmittelbar das Vertrauen wiederherstellen und - unser ursprüngliches Ziel - einen bedeutenden Betrag dafür übrig lassen, einen beträchtlichen Teil der Staatsschulden einzutauschen - ein für alle Mal und ohne Kosten. In jedem Fall muss folgende wichtige Warnung gegeben werden: Selbstverständlich, und ich werde niemals müde dies zu wiederholen, ist die vorgeschlagene Lösung nur im Kontext einer unwiderruflichen Entscheidung für die Wiedereinführung eines Bankfreiheitssystems (Free-Banking-Systems) gültig, das der hundertprozentigen Reservepflicht für Sichteinlagen unterliegt. Jede der oben benannten Reformen wäre ohne vorherige und standfeste Überzeugung und den Entschluss zur Veränderung des internationalen Finanz- und Bankensystems im obigen Sinne einfach katastrophal: Ein privates Bankensystem, das weiterhin mit einer Teildeckung operiert (und durch die entsprechenden Zentralbanken koordiniert wird), würde einen sich selbst verstärkenden Effekt und - auf Basis des zur Deckung der Depositen geschaffen Bargelds - eine inflationäre Ausweitung erzeugen, wie sie es noch nie in der Geschichte gegeben hat. Sie würde letztlich das Ende unseres gesamten Wirtschaftssystems bedeuten.
Die obigen Betrachtungen sind von höchster Wichtigkeit und zeigen, wie relevant diese Abhandlung im Licht des kritischen Zustands des internationalen Finanzsystems geworden ist (obwohl ich es definitiv vorgezogen hätte, dieses Vorwort unter ganz anderen wirtschaftlichen Umständen zu schreiben). Allerdings: So tragisch es ist, dass wir in die gegenwärtige Situation gelangt sind, so ist es noch viel tragischer, falls dies überhaupt möglich ist, dass allgemein das Verständnis der Ursachen der uns plagenden Phänomene fehlt, und vor allem, dass eine Atmosphäre der Verwirrung und Unsicherheit unter den Experten, Analysten und den meisten Volkswirtschaftlern herrscht. Auf diesem Gebiet zumindest, so mag ich hoffen, können die sukzessiven Auflagen dieses Buches, das in der ganzen Welt veröffentlicht wird2, zum theoretischen Training der Leser, der intellektuellen Wiederaufrüstung neuer Generationen und schließlich zu der so schmerzlich benötigten institutionellen Neugestaltung des gesamtem Geld- und Finanzsystems der gegenwärtigen Marktwirtschaften beitragen. Wenn sich diese Hoffnung erfüllt,
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Seit dem Erscheinen der ersten englischsprachigen Auflage von 2006 wurden deren beinahe 4.000 Exemplare komplett ausverkauft; eine zweite Auflage erschien 2009. Weiterhin haben Tatjana Danilova und Grigory Sapov eine russische Übersetzung angefertigt, die unter dem Titel Denugi, Bankovskii Kredit i Ekonomicheski Tzikli (Moskau: Sotsium Publishing House, 2008) veröffentlicht worden ist. Zunächst sind dreitausend Exemplare gedruckt worden, und ich hatte das Vergnügen, das Buch am 30. Oktober 2008 an der volkswirtschaftlichen Fakultät der Universität Moskau zu präsentieren. Außerdem hat Professor Rosine Letinier eine französische Übersetzung produziert, die bald publiziert wird. Grzegorz Luczkiewicz hat die polnische Übersetzung besorgt. Zudem wurde das Buch ins Tschechische übersetzt. Außerdem befindet sich die Übersetzung in folgende Sprachen kurz vor dem Abschluss: Italienisch, Rumänisch, Holländisch, Chinesisch, Japanisch und Arabisch. So Gott will, werden diese Übersetzungen bald veröffentlicht.
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werde ich nicht nur die unternommenen Anstrengungen als lohnenswert ansehen, sondern es auch als eine große Ehre betrachten, in einem sehr geringeren Ausmaß zur Bewegung in die richtige Richtung beigetragen zu haben. Jesús Huerta de Soto Madrid, April 2011
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Vorwort zur ersten englischen Auflage Es ist mir eine große Freude, diesen ansehnlichen Druck der englischen Fassung meines Werkes Dinero, Crédito Bancario y Ciclos Económicos, das zuerst 1998 auf Spanisch erschien, in den Händen zu halten. Diese Übersetzung beinhaltet eine geringe Zahl von Verbesserungen hinsichtlich der zweiten spanischen Auflage vom Januar 2002 und ist das Ergebnis der großartigen Bemühungen von Melinda A. Stroup, die das erste englische Manuskript des gesamten Buches verfasste. Diese englische Fassung wurde gründlich durch Dr. Jörg Guido Hülsmann geprüft. Seine Kommentare zu verschiedenen wichtigen Punkten verbesserten das Manuskript substanziell. Zudem möchte ich die Arbeit meines wissenschaftlichen Mitarbeiters Dr. Gabriel Calzada würdigen, der verschiedene englische Ausgaben von seltenen Büchern aufstöberte, die nicht in Spanien erhältlich sind, und bestimmte Zitate und Referenzen nachschlug. Schließlich habe ich persönlich die letzte Version in ihrer Gesamtheit geprüft, um ihre Richtigkeit zu sichern. Ich bin dem Ludwig von Mises Institute und vor allem seinem Präsidenten, Llewellyn H. Rockwell, dafür sehr dankbar, dass er dieses Projekt mit diesem hohen Standard zur Vollendung gebracht hat. Jesús Huerta de Soto Señorío de Sarria, Mai 2005
Vorwort zur dritten spanischen Auflage Obgleich in dieser dritten Auflage von Geld, Bankkredit und Konjunkturzyklen versucht wurde, soweit als möglich den Inhalt, die Struktur und die Seitennummerierung der zwei vorherigen Auflagen beizubehalten, war dies nicht in allen Fällen möglich. Denn es wurde die Möglichkeit genutzt, sowohl im Haupttext als auch in einigen wenigen Fußnoten einige Gedankengänge und zusätzliche Klarstellungen einzuführen. Ebenso wurde die Bibliografie aktualisiert. So wurden neue Auflagen und Übersetzungen ins Spanische berücksichtigt, die in den vier Jahren seit dem Erscheinen der letzten Auflage das Licht der Welt erblickt haben. Ferner wurden einige neue Bücher und Artikel hinzugezogen, die zwar nicht sehr zahlreich, jedoch für den Inhalt der in diesem Buch behandelten Themen besonders relevant sind.3 Schließlich hat die Herausgeberin der englischen Version von Geld, Bank3
Unter allen diesen Werken ist es die Mühe Wert, das Buch von Roger W. Garrison, Time and Money: The Macroeconomics of Capital Strueture hervorzuheben, das 2001, d.h. bereits drei Jahre nach der ersten spanischen Auflage von Geld, Bankkredit und Konjunkturzyklen, in London und New York von Routledge veröffentlicht wurde. Die Arbeit von Garrison, die man als komplementäres Lehrbuch zu dem vorliegenden Werk betrachten kann, ist besonders wegen der Entwicklung der österreichischen Analyse des Kapitals und der Konjunkturzyklen im Kontext der verschiedenen Paradigmen der modernen Makroökonomie bemerkenswert. Dabei benutzt Garrison eine Fokussierung und Sprache, die vollkommen mit denjenigen im Einklang stehen, die vom Mainstream unserer Disziplin benutzt werden. Dies wird zweifellos zu einer Ausdehnung des Wissens unter
XXIV Vorwort kredit und Konjunkturzyklen,4 Judith Thommesen, sehr sorgfältig und detailliert Hunderte von Zitaten im Englischen und in anderen Sprachen anhand ihrer Originale überprüft und dabei eine bedeutende Zahl von kleinen Fehlern entdeckt, die sogleich behoben worden sind, was diese dritte Auflage noch perfekter gemacht hat. Für all das drücke ich ihr an dieser Stelle meine tiefste Dankbarkeit aus, die ich auch Dr. Gabriel Calzada, Dozent an der Universidad Rey Juan Carlos, für seine Mitwirkung bei der Überarbeitung und Verbesserung einiger bibliografischer Referenzen schuldig bin. Die Konjunktur wurde seit der letzten Auflage durch die große Umlaufsmittelinflation und den Anstieg der Staatsschulden geprägt, die notwendig waren, um den Irakkrieg zu finanzieren und den ansteigenden Ausgaben nachzukommen, die der „Wohlfahrtsstaat" - bedrängt von schweren und unlösbaren Problemen im Großteil der Länder der westlichen Welt erfordert. Das Geldangebot und der Zinssatz sind weiterhin manipuliert worden. Der Zinssatz fiel durch die Manipulation der amerikanischen Federal Reserve bis auf ein historisches Minimum von 1 Prozent, was auf diese Weise verhinderte, dass die Restrukturierung der Fehlinvestitionen, die vor der Rezession im Jahr 2001 begonnen worden war, beendet werden konnte. Dies alles hat eine neue Spekulationsblase im Immobilienmarkt und einen spektakulären Anstieg der Preise der Energieprodukte und Rohstoffe erzeugt. Diese Rohstoffe und Energieprodukte werden auf dem Weltmarkt für die neuen Investitionsprojekte, die vor allem im asiatischen Becken und besonders in China unternommen werden, quasi unbegrenzt nachgefragt. Es erscheint daher, dass wir uns in einer typischen Phase eines Konjunkturwendepunkts befinden, der jeder wirtschaftlichen Rezession vorangeht. Diese Einschätzung ist durch den jüngsten 180-Grad-Schwenk in der Geldpolitik der Federal Reserve, die in wenigen Monaten die Zinssätze bis auf 4 Prozent erhöht hat, bestätigt worden. Ich hoffe, dass diese neue Auflage Lesern und Studierenden dabei helfen kann, die ökonomischen Phänomene der Welt, die sie umgeben, besser zu verstehen, und dass die Spezialisten und Verantwortlichen der aktuellen Wirtschaftspolitik davon überzeugt werden, dass es unumgänglich ist, vom „social engineering" im monetären und finanziellen Gebiet so schnell wie möglich Abstand zu nehmen. Wenn dies geschieht, betrachte ich meine Hauptziele als weitestgehend erfüllt. Jesús Huerta de Soto Formentor, 28. August 2005
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Ökonomen um die allgemeine Notwendigkeit beitragen, die österreichische Sichtweise und ihre komparativen Vorteile zu berücksichtigen. Obwohl Garrisons Analyse nach unserer Meinung in seinen Erläuterungen eines exzessiven Mechanizismus' schuldig ist und nicht ausreichend durch eine juristisch-institutionelle Sichtweise unterstützt wird, haben wir es dennoch als nützlich angesehen, die Übersetzung des Werks ins Spanische durch eine Team von Dozenten und Schülern unseres Lehrstuhl an der Universidad Rey Juan Carlos, angeführt von Dr. Miguel Angel Alonso Neira, anzustoßen. Die Übersetzung wurde bereits in Spanien mit dem Titel Tiempo y dinero: la macroeconomía en la estructura del capital durch Unión Editorial (Madrid 2005) veröffentlicht. Die englische Auflage wurde 2006 in großartiger Manier mit dem Titel Money, Bank Credit and Economic Cycles mit dem Beistand des Ludwig von Mises Institutes in Auburn, Alabama, und dank der Unterstützung seines Präsidenten Lewellyn H. Rockwell herausgegeben.
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Vorwort zur zweiten spanischen Auflage Im Zuge des Erfolgs der ersten Auflage von Dinero, Crédito Bancario y Ciclos Económicos, die schnell vergriffen war, bin ich erfreut, die zweite Auflage für spanischsprachige Leser vorzulegen. Um Verwirrungen zu vermeiden und die Arbeit von Wissenschaftlern und Forschern zu erleichtern, wurden die Gliederung, die Struktur und die Seitennummerierung der ersten Auflage beibehalten, obwohl das Buch gründlich durchgesehen wurde und alle Druckfehler eliminiert worden sind. Nach einem Jahrzehnt, das von einer ausgedehnten Kreditexpansion und der Herausbildung einer großen finanziellen Blase geprägt war, waren die ökonomischen Ereignisse von 1999 bis 2001 durch den Einbruch der Börsennotierungen und das Heraufziehen einer Rezession charakterisiert, die jetzt die USA, Europa und Japan simultan erfasst. Diese Umstände haben die in diesem Werk präsentierte Analyse noch klarer und ausgeprägter illustriert, als es zum Zeitpunkt der ersten Veröffentlichung, Ende 1998, der Fall war. Während die Regierungen und Zentralbanken auf die Terroranschläge auf das World Trade Center in New York reagiert haben, indem sie die Zinssätze manipulierten und auf historische Tiefststände reduzierten (1 Prozent in den USA, 0,15 Prozent in Japan und 2 Prozent in Europa), wird die massive Umlaufsmittelexpansion, die in das System injiziert wurde, nicht nur die notwendige Anpassung der realen Produktionsstruktur verlängern und hinauszögern, sondern könnte auch zu einer gefährlichen Stagflation führen. Angesichts dieser bedenklichen wirtschaftlichen Umstände, die sich seit der Herausbildung des gegenwärtigen Bankwesens immer wieder wiederholt haben, hoffe ich, dass die Analyse in diesem Buch dem Leser helfen wird, die ihn umgebenden Phänomene zu verstehen und zu interpretieren, und dass sie einen positiven Einfluss auf die öffentliche Meinung, meine Universitätskollegen und die Dienststellen in Regierungen und Zentralbanken, die für die Wirtschaftspolitik zuständig sind, entfalten wird. Mittlerweile sind verschiedene Rezensionen der ersten Auflage dieses Werks erschienen, und ich bin ihren bedeutenden Autoren für ihre zahlreichen positiven Kommentare dankbar. 5 Ein gemeinsamer Nenner in allen Rezensionen war die Forderung einer Übersetzung des Buches ins Englische, eine Aufgabe, die jetzt vollendet ist. Es ist meine große Hoffnung, dass, so Gott will, die erste englische Auflage dieses Buches in Kürze in den Vereinigten Staaten veröffentlicht wird und so einigen der einflussreichsten akademischen und politischen Kreise zugänglich gemacht wird. Zum Abschluss sei erwähnt, dass ich dieses Werk erfolgreich in meinen Vorlesungen verwendet habe, die der Geld-, Bank- und Konjunkturtheorie im Rahmen der Veranstaltung „Einführung in die Volkswirtschaftslehre" gewidmet sind - zunächst an der juristischen Fakultät der Universidad Complutense in Madrid und 5
Besonders dankbar für ihre Bemerkungen bin ich Leland Yeager (Review of Austrian Eonomics 14 Nr. 4 [2001]: 255) und Jörg Guido Hülsmann (Quarterly Journal of Austrian Economics 3 Nr. 2 [2000]: 8 5 - 8 8 ) .
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später an der juristischen und sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universidad Rey Juan Carlos, die sich ebenfalls in Madrid befindet. Diese pädagogische Erfahrung basierte auf einer institutionellen und entschieden multidisziplinären Herangehensweise an ökonomische Theorie, und ich glaube, dass diese Methode einfach und erfolgreich in jeder Vorlesung angewendet werden kann, die mit der Banktheorie in Verbindung steht (Wirtschaftspolitik, Makroökonomie, Geld- und Finanzmarkttheorie etc.). Meine Erfahrung wäre ohne den großen Enthusiasmus und das leidenschaftliche Interesse, das hunderte von Studenten beim Studieren und Diskutieren der im vorliegenden Werk enthaltenen Lehrinhalte bewiesen haben, nicht möglich gewesen. Dieses Buch, dem die Studenten, denen ich allen danke, ihre Anstrengungen gewidmet haben, richtet sich hauptsächlich an diese. Mögen sie weiterhin ihren kritischen Geist und ihre intellektuelle Neugier pflegen, während sie zu höheren und zusehends bereichernderen Stufen ihrer humanistischen und universitären Bildung voranschreiten. 6 Jesús Huerta de Soto Madrid, 6. Dezember 2001
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Kommentare zu dieser zweiten Auflage sind herzlich willkommen und an [email protected] zu richten.
Einleitung Die ökonomische Analyse des Rechts ist in den letzten Jahren in den Blickpunkt gerückt und verspricht eines der fruchtbarsten Gebiete der Ökonomie zu werden. Ein Großteil der bis jetzt fertiggestellten Arbeit ist stark von traditionellen neoklassischen Annahmen beeinflusst worden, vor allem vom Konzept der reinen Maximierung im Gleichgewichtskontext. Die ökonomische Analyse des Rechts enthüllt die Unzulänglichkeiten des traditionellen Ansatzes vielleicht besser als irgendein anderer Zweig der Ökonomie. In der Tat sind die Rechtsinstitutionen so intim im täglichen Leben involviert, dass es offenkundig schwierig ist, die traditionellen Annahmen der ökonomischen Analyse auf sie anzuwenden. Ich habe bereits an anderer Stelle versucht, die Gefahren darzulegen, welche die neoklassische Perspektive für die Analyse des Rechts birgt.7 Die ökonomische Analyse des Rechts ist sicherlich notwendig, sie erfordert jedoch eine weniger restriktive Methodologie, als sie bis heute allgemein in Gebrauch gewesen ist, eine, die besser diesem besonderen Forschungsgebiet angepasst ist. Die subjektive Sicht ist eine passendere Methode. Entwickelt von der Österreichischen Schule basiert sie auf dem Konzept des kreativen menschlichen Handelns und der unternehmerischen Funktion und impliziert eine dynamische Analyse der allgemeinen Prozesse der sozialen Interaktion. Diese Perspektive verspricht einen großen Beitrag für die künftige Entwicklung der ökonomischen Analyse des Rechts zu leisten. Außerdem haben die meisten bisher unternommenen Studien von Rechtsinstitutionen ausschließlich mikroökonomische Implikationen, weil - neben anderen Gründen - die Theoretiker einfach die traditionellen Analyseinstrumente der neoklassischen MikroÖkonomie genommen und zur Analyse des Rechts angewendet haben. Dies ist zum Beispiel der Fall gewesen bei der ökonomischen Analyse von Verträgen und der zivilrechtlichen Haftung, des Insolvenzrechts, der Familie und sogar des Strafrechts und der Justiz. Sehr wenige ökonomische Analysen des Rechts haben hauptsächlich makroökonomische Implikationen hervorgebracht, was die schädliche, jahrzehntelange Trennung der beiden Gebiete der Ökonomie reflektiert. Diese Trennung ist jedoch nicht notwendig. Es ist erforderlich, die Ökonomie als ein vereinigtes Ganzes zu begreifen, in dem die makroökonomischen Elemente fest in ihren mikroökonomischen Fundamenten verwurzelt sind. Außerdem werde ich versuchen zu zeigen, dass sich aus der ökonomischen Analyse einiger Rechtsinstitutionen kritische Implikationen und Schlussfolgerungen ergeben, die hauptsächlich makroökonomischer Natur sind. Oder mit anderen Worten: Selbst wenn die Basisanalyse mikroökonomischer Natur ist, sind die Schlussfolgerungen und Ergebnisse, die sich aus ihr ergeben, makroökonomischer Natur. Mit dem Schließen der tiefen und künstlichen Kluft zwischen Mikro- und Makroökonomie gelangen wir zu einer vereinigten theoretischen Einschätzung der Rechtsfragen in der ökonomischen Analyse des Rechts. 7
Vgl. Jesús Huerta de Soto, „The Ongoing Methodenstreit of the Austrian School", Journal Économistes et des Études Humaines 8, Nr. 1 (März 1998): 7 5 - 113.
des
XXVIII Einleitung Dies ist mein höchstes Ziel bei der ökonomischen Analyse des Vertrages des monetären Depositum irreguläre in seinen verschiedenen Facetten. Des Weiteren werde ich versuchen, mittels meiner Untersuchung Licht auf eines der undurchsichtigsten und komplexesten Gebiete der Ökonomie zu werfen: die Theorie des Geldes, der Bankkredite und Konjunkturzyklen. Jetzt, da der Streitpunkt des Sozialismus zumindest aus theoretischer Sicht gelöst worden ist,8 liegt die größte theoretische Herausforderung, mit der die Ökonomen in der Dämmerung des 21. Jahrhunderts konfrontiert sind, wahrscheinlich im Feld des Geldes, der Kredite und der Finanzinstitutionen. Die höchst abstrakte Natur der sozialen Beziehungen, die das Geld in seinen verschiedenen Formen involviert, macht das Verständnis dieser Beziehungen außergewöhnlich schwierig und die korrespondierende theoretische Behandlung besonders komplex. Außerdem wurden in der finanziellen und monetären Sphäre der westlichen Welt eine Reihe von Institutionen entwickelt und eingeführt; nämlich Zentralbanken, Bankregulierung, ein Monopol der Geldemission und Wechselkurskontrollen. Diese Institutionen regulieren den Finanzsektor aller Länder so vollständig, dass dieser einem sozialistischen System der zentralen Planwirtschaft viel ähnlicher ist, als es für eine wahre Marktwirtschaft angebracht wäre. Daher sind, wie ich versuchen werde zu beweisen, die Argumente, welche die Unmöglichkeit der Wirtschaftsrechnung im Sozialismus begründen, vollkommen auf den Finanzsektor anwendbar. Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie entwickelten ursprünglich diese Argumente, als sie zeigten, dass es unmöglich ist, eine Gesellschaft in einer koordinierten Weise mittels Befehlsgewalt zu organisieren. Wenn meine These richtig ist, muss die Unmöglichkeit des Sozialismus auch im Finanzsektor festgestellt werden. Des Weiteren wird die unvermeidbare Diskoordination, die aus jeder Staatsintervention resultiert, eindringlich in den zyklischen Phasen des Aufschwungs und der Rezession enthüllt, die die gemischten Wirtschaftsformen der entwickelten Welt traditionell befallen. Jede theoretische Studie, die heutzutage versucht, die Ursachen und Phasen der Konjunkturzyklen, die Gegenmittel und Möglichkeiten für ihre Verhinderung zu identifizieren, ist von größter Aktualität. In der Tat erfasst, während ich diese Zeilen schreibe (November 1997), eine ernste Finanz- und Bankkrise die asiatischen Märkte und droht, auf Lateinamerika und die restliche westliche Welt überzuspringen. Diese Krise entsteht im Sog einer trügerischen Periode der Prosperität, die ihrerseits den schweren finanziellen Krisen und ökonomischen Rezessionen folgte, welche die Welt in den frühen 90er-Jahren und besonders am Ende der 70er-Jahre erschütterten. Des Weiteren ist in den Augen der gewöhnlichen Leute, der Politiker und der Mehrheit der theoretischen Ökonomen selbst noch kein Verständnis der wahren Gründe dieser Phänomene erreicht worden. Ihr fortlaufendes und periodisches Auftreten wird ständig von Politikern, Philosophen und Theoretikern des Interventionismus gleichermaßen als Vorwand benutzt, die Marktwirtschaft abzulehnen und ein steigendes Niveau von gewaltsamen Interventionen des Staates in die Wirtschaft und Gesellschaft zu rechtfertigen. 8
Jesús Huerta de Soto, Socialismo, cálculo económico y fiinción empresarial (Madrid: Unión Editorial, 1992; 3. Aufl. 2005).
Einleitung XXIX Aus diesem Grunde ist es aus der Sicht der liberalen Doktrin von großem theoretischen Interesse, den Ursprung der Konjunkturzyklen wissenschaftlich zu analysieren und besonders das ideale Modell eines finanziellen Systems einer wahrhaft freien Gesellschaft zu bestimmen. Liberale Theoretiker haben selbst untereinander noch abweichende Meinungen auf diesem Gebiet und es bestehen nach wie vor große Meinungsunterschiede bezüglich der Rolle der Zentralbanken. Einerseits wäre es denkbar, die Zentralbanken zu erhalten, andererseits könnte sich ein Free-Banking-System als effektiver erweisen. Im letzteren Fall müssten die konkreten Regeln geklärt werden, welche die ökonomischen Agenten in einem vollkommen freien Finanzsystem befolgen müssten. Ursprünglich sind Zentralbanken das Ergebnis einer Reihe von Staatsinterventionen, zu denen die Regierungen hauptsächlich von verschiedenen Agenten des Finanzsektors (besonders von den Privatbanken selbst) angehalten wurden, die es in vielen Fällen für erforderlich gehalten haben, sich Staatshilfe zu erbitten, um die Stabilität ihrer Geschäfte während rezessiver Phasen zu gewährleisten. Bedeutet dies, dass Zentralbanken ein unausweichliches evolutionäres Ergebnis einer Marktwirtschaft sind? Oder eher, dass die Art und Weise, wie Privatbanken typischerweise Geschäfte gemacht haben und die ab einem bestimmten Zeitpunkt aus rechtlicher Sicht korrupt wurde, zu Finanzpraktiken geführt hat, die ohne einen Kreditgeber letzter Instanz nicht aufrechtzuerhalten sind? Diese und andere Fragen sind von größtem theoretischen Interesse und sollten auf das Sorgfältigste untersucht werden. Kurz gesagt ist mein Hauptziel die Entwicklung eines Forschungsplans, der die Bestimmung eines angemessenen Finanz- und Bankensystems für eine freie Gesellschaft zum Zweck hat. Ich werde dabei versuchen, multidisziplinär vorzugehen. Die Untersuchungen werden sich nicht nur auf das Studium der Rechtswissenschaft und der Rechtsgeschichte, sondern auch auf die ökonomische Theorie und besonders die Geld-, Kapital- und Konjunkturtheorie stützen. Außerdem wird meine Analyse einige historische ökonomische Ereignisse aus der Finanzwelt in ein anderes Licht rücken und die Evolution gewisser Tendenzen der Geschichte der Wirtschaftstheorie selbst und der Entwicklung der verschiedenen Buchhaltungs- und Bankpraktiken auf eine neue Weise illustrieren. Um die Finanzwelt richtig zu verstehen, ist die Integration der verschiedenen Disziplinen und Wissenszweige erforderlich, und wir werden diese aus den drei Perspektiven betrachten, die ich für ein korrektes Verständnis aller sozialen Phänomene für erforderlich halte: die historisch-evolutionäre, die theoretische und die ethische Perspektive.9 Das vorliegende Werk umfasst neun Kapitel. Im ersten beschreibe ich das rechtliche Wesen des Vertrages, des monetären Depositum irreguläre, mit besonderer Berücksichtigung seiner Hauptunterschiede zum Darlehensvertrag bzw. Mutuum. Zusätzlich behandelt das erste Kapitel die unterschiedliche rechtliche Logik, die diesen beiden Institutionen inhärent ist, ihre gegenseitige Unvereinbarkeit auf einem grundsätzlichen Niveau und die Frage, wie ihre verschiedenartige Regelung 9
Ich habe meine Theorie der dreifachen Annäherung an das Studium sozialer Fragen in Jesus Huerta de Soto, „Conjectural History and Beyond", Human Studies Review 6, Nr. 2 (Winter 1988-89): 10 dargelegt.
XXX
Einleitung
traditionelle, universelle Rechtsprinzipien verkörpert, die zur Zeit des klassischen römischen Rechts entdeckt und entwickelt wurden. Kapitel 2 ist eine historische Studie ökonomischer Ereignisse. Dort betrachte ich die verschiedenen Weisen, mittels derer das traditionelle Rechtsprinzip, das den Vertrag des Depositum irreguläre bestimmt, korrumpiert worden ist, hauptsächlich durch die Verlockung der ersten Bankiers, das Geld ihrer Deponenten zu ihrem eigenen Gewinn zu nutzen. Die Interventionen des politischen Establishments haben auch eine bedeutende Rolle in diesem Prozess gespielt. Immer begierig, sich neue Einnahmequellen zu sichern, haben sich die Regierenden an die Bankiers gewandt, denen die Depositen anderer anvertraut waren, und versucht, diese Geldmittel abzuschöpfen, wobei sie den Bankiers allerlei Arten von Privilegien gewährten, hauptsächlich die Ermächtigung, das Geld ihrer Deponenten zu ihrem eigenen Gewinn zu gebrauchen (natürlich unter der Bedingung, dass ein bedeutender Teil der Geldmittel den Politikern selbst geliehen wurde). Dieses Kapitel führt drei verschiedene Beispiele an (klassisches Griechenland und Rom, das Wiederaufleben des Bankwesens in den italienischen Städten des Mittelalters und die Belebung des Bankwesens in der Neuzeit), um den Prozess zu illustrieren, mit dem die traditionellen, den Vertrag des monetären Depositum irreguläre bestimmenden Rechtsprinzipien korrumpiert wurden, und um die resultierenden ökonomischen Folgen zu umreißen. In Kapitel 3 betrachte ich aus rechtlicher Sicht die verschiedenen theoretischen Versuche, einen neuen Vertragstypus zu kreieren, unter den der Vertrag der monetären Bankdepositen gefasst werden könnte. Diese Versuche zielen darauf ab, das Verleihen der als Sichteinlagen erhaltenen Gelder durch die Banken an Dritte zu rechtfertigen. Ich versuche zu zeigen, dass die Rechtfertigungsversuche zu einem unlösbaren logischen Widerspruch fuhren und deshalb der Erfolglosigkeit geweiht sind. Außerdem werde ich erklären, wie die Folgen der privilegierten Bankpraktiken (vgl. Kapitel 2) tiefgründige Widersprüche und Schwächen in der Formulierung einer neuen rechtlichen und theoretischen Grundlage des Vertrages des monetären Depositum irreguläre entlarven. Der Versuch, eine solche Grundlage zu etablieren, geht bis ins Mittelalter zurück und setzt sich praktisch bis zum heutigen Tage fort. Wir werden die verschiedenen Anstrengungen betrachten, ein Rechtsprinzip sui generis zu formulieren, das fähig ist, die heutigen monetären Bankdepositen in logischer und kohärenter Weise zu regeln. Ich komme zu dem Schluss, dass derartige Bemühungen keinen Erfolg haben können, weil die gegenwärtigen Bankpraktiken gerade auf einer Verletzung der traditionellen, den Eigentumsrechten inhärenten Prinzipien beruhen, die nicht verletzt werden können, ohne ernste, dem Prozess der sozialen Interaktion abträgliche Folgen zu zeitigen. Die Kapitel 4, 5, 6 und 7 umfassen das Herz meiner ökonomischen Analyse des Vertrags der Bankdepositen, wie er sich im Laufe der Zeit entwickelt hat, d.h., unter Verletzung traditioneller Rechtsprinzipien eine Teildeckung zu gebrauchen. Ich werde erklären, warum Hayeks bedeutende Intuition korrekt ist, nach der es, wenn man ein traditionelles Rechtsprinzip verletzt, früher oder später zu ernsten, der Gesellschaft schädlichen Folgen kommt. Aus theoretischer Sicht werde ich die
Einleitung XXXI Folgen analysieren, welche die gegenwärtige Bankpraxis der Nichtbeachtung der traditionellen Rechtsprinzipien beim Vertrag des monetären Depositum irreguläre auf die Schaffung von Geld, die intra- und intertemporäre Marktkoordination, die unternehmerische Funktion und die Konjunkturzyklen zeitigt. Meine Konklusion ist, dass die wiederkehrenden, aufeinanderfolgenden Phasen des Aufschwungs, der Krise und der Rezession aus der Verletzung der traditionellen Rechtsprinzipien resultieren, auf die der Vertrag der monetären Bankdepositen basieren sollte. Sie haben ihre Ursache in den Privilegien, derer sich die Bankiers erfreuen und die von den Regierungen in gegenseitigem Interesse gewährt wurden. Wir werden die Konjunkturtheorie tiefgründig untersuchen und kritisch die alternativen Erklärungen würdigen, die Monetaristen und Keynesianer für diese Art von Phänomenen anbieten. Kapitel 8 konzentriert sich auf die Zentralbank als Kreditgeber letzter Instanz. Die Schaffung dieser Institution folgte unvermeidlich aus bestimmten Ereignissen. Wenn die Prinzipien verletzt werden, die den Vertrag des Depositum irreguläre bestimmen sollten, treten solch heftige und unentrinnbare Folgen auf, dass Privatbanken bald erkennen, dass sie sich an die Regierung wenden müssen, um eine Institution zu fordern, die ihnen als Kreditgeber der letzten Instanz fungieren kann und zu Krisenzeiten für Unterstützung sorgt - ein wiederkehrendes Phänomen, wie die Erfahrung gezeigt hat. Ich werde mich bemühen, zu zeigen, dass sich die Zentralbanken nicht spontan als Ergebnis von Marktinstitutionen herausgebildet haben, sondern gewaltsam von der Regierung eingeführt wurden und dem Verlangen von mächtigen Interessengruppen entsprechen. Ich werde außerdem das gegenwärtige, auf dem Zentralbankwesen fußende Finanzsystem untersuchen und auf dieses die ökonomische Analyse der theoretischen Unmöglichkeit des Sozialismus anwenden. In der Tat basiert das gegenwärtige Finanzsystem auf dem Monopol, das eine Regierungsbehörde bezüglich der wichtigsten Entscheidungen über die Art und Menge des Geldes und der Kredite, die geschaffen und in das ökonomische System eingespeist werden, innehat. Demnach handelt es sich beim Finanzmarkt um ein System der „zentralen Planwirtschaft", das einen hohen Grad an Interventionen beinhaltet und zu einem großen Ausmaß „sozialistisch" ist. Früher oder später wird das System unausweichlich mit der Unmöglichkeit der Wirtschaftsrechnung im Sozialismus konfrontiert, ein Theorem, nach dem es unmöglich ist, irgendeine Sphäre der Gesellschaft, vor allem nicht die finanzielle, mittels Zwangsbefehlen zu koordinieren, weil die Regierungsbehörde (in diesem Falle die Zentralbank) nicht in der Lage ist, die zu diesem Zwecke notwendige und relevante Information zu erlangen. Das Kapitel schließt mit einer Bewertung der jüngsten Kontroverse zwischen Zentralbank- und Free-Banking-Vertretern. Wir werden sehen, dass die jüngsten Bankfreiheitstheoretiker es nicht geschafft haben zu erkennen, dass ihr Plan einen Großteil seines Potenzials und theoretischen Gewichts verliert, wenn er nicht von einem Aufruf begleitet wird, zu den traditionellen Rechtsprinzipien zurückzukehren, d.h. zu einem Bankwesen mit einer hundertprozentigen Reservedeckung. Freiheit muss mit Verantwortung und der strikten Befolgung der traditionellen Rechtsprinzipien Hand in Hand gehen.
XXXII Einleitung Das neunte und letzte Kapitel legt ein ideales, kohärentes Modell eines Finanzsystems vor, das die traditionellen Rechtsprinzipien respektiert und demnach auf dem Erfordernis einer hundertprozentigen Reservedeckung basiert. Außerdem werden die verschiedenen Argumente gegen meinen Vorschlag sorgfaltig geprüft. Ich kritisiere sie und lege einen Übergang vom gegenwärtigen System zum vorgeschlagenen idealen System mit einem Minimum an Friktionen dar. Eine Zusammenfassung der Hauptschlussfolgerungen zusammen mit ein paar zusätzlichen Überlegungen zu den Vorzügen des vorgeschlagenen Finanzsystems schließt dieses Werk ab. Die hier untersuchten Prinzipien werden zudem auf gewisse dringende praktische Fragen angewandt, wie etwa die Errichtung eines neuen europäischen Geldsystems und moderner Finanzsysteme in den ehemaligen sozialistischen Volkswirtschaften. Eine zusammenfassende Version der grundlegenden These dieser Arbeit wurde in einem Vortrag vor der Mont Pèlerin Society in Rio de Janeiro im September 1993 präsentiert und erhielt die Unterstützung von James M. Buchanan, dem ich dafür sehr dankbar bin. Eine schriftliche spanische Fassung ist teilweise als die „Introducción Crítica" der ersten spanischen Auflage von Vera C. Smiths Buch The Rationale of Central Banking and the Free Banking Alternative10 erschienen. Sie wurde später in Französisch als Aufsatz mit dem Titel „Banque centrale ou banque libre: le débat théorique sure les réserves fractionnaires" veröffentlicht. 11 Ich möchte meiner Kollegin an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Madrider Universidad Complutense, Professor Mercedes López Amor, meine Dankbarkeit für ihre Hilfe bei der Suche der Quellen und Bibliografie bezüglich der Behandlung des monetären Depositum irreguläre im römischen Recht ausdrücken. Mein ehemaliger Professor Pablo Martín Aceña von der Universität Alcalá de Henares (Madrid) wies mir ebenfalls bei meiner Untersuchung über die Entwicklung des Bankwesens während des Mittelalters den Weg. Luis Reig, Rafael Manzanares, José Antonio de Aguirre, José Luis Feito, Richard Adamiak aus Chicago, die Professoren Murray N. Rothbard (in seinen letzten Jahren) und Hans-Hermann Hoppe von der University of Nevada in Las Vegas, Manuel Gurdiel von der Universidad Complutense in Madrid, Pablo Vázquez von der Universität Cantabria (Spanien), Enrique Menéndeu Ureña von der Universidad Comillas (Madrid), James Sadowsky von der Fordham Universität, Pedro Tenorio von der UNED (Spanien), Rafael Termes von der ŒSE
10 Vera C. Smith, Fundamentos de la banca central y de la libertad bancaria (Madrid: Unión Editorial/Ediciones Aosta, 1993), S. 2 7 - 4 2 (The Rationale of Central Banking and the Free Banking Alternative [Indianapolis: Liberty Press, 1990].) 11 Jesús Huerta de Soto, „Banque centrale ou banque libre: le débat théorique sure les réserves fractionnaires", in Journal des Économistes et des Études Humaines 5, Nr. 2/3 (Juni-September 1994): 379-91. Dieser Aufsatz erschien später auf Spanisch mit dem Titel „La teoría del banco central y de la banca libre" in meinem Buch, Estudios de economía política, Kap. 11, S. 1 2 9 - 4 3 . Zudem wurden später zwei weitere Versionen dieses Aufsatzes veröffentlicht: eine auf Englisch mit dem Titel „A Critical Analysis of Central Banks and Fractional Reserve Free Banking from the Austrian School Perspective", in The Review of Austrian Economics 8, Nr. 2 (1995): 117-30: die andere dank Octavian Vasilescu, „Bändle centrale çi sistemul de free-banking cu rezerve fraccionare: o analizä criticà din perspectiva Scolii Austriece", Polis: Revista de §tiin{e Politice 4, Nr. 1 (Bukarest, 1997): 1 4 5 - 5 7 .
Einleitung XXXIII
(Madrid), Raimondo Cubeddu von der Universität Pisa, Rafael Rubio de Urquía von der Universidad Autónoma in Madrid, José Antonio García Durán von der Universidad Central de Barcelona (Spanien) und der Gelehrte José Antonio Linage Conde von der Universidad CEU San Pablo in Madrid sind mir mit ihren Vorschlägen und bei der Beschaffung von Büchern, Aufsätzen und seltenen bibliografischen Referenzen zu Themen des Bank- und Geldwesens eine große Hilfe gewesen. Meine Studenten im Doktorandenprogramm der juristischen Fakultät der Universidad Complutense in Madrid, besonders Elena Sousmatzian, Xavier Sampedro, Luis Alfonso López García, Rubén Manso, Ángel Luis Rodríguez, César Martínez Meseguer, Juan Ignacio Funes, Alberto Recarte und Esteban Gándara, zusammen mit den Dozenten Óscar Vara, Javier Aranzadi und Ángel Rodríguez haben mir zahllose Vorschläge unterbreitet und sorgfaltig daran gearbeitet, Tippfehler in verschiedenen früheren Versionen des Manuskripts zu korrigieren. Ich möchte ihnen allen meine Dankbarkeit ausdrücken und spreche sie, logischerweise, von aller Verantwortung hinsichtlich der Inhalte des vorliegenden Buches frei. Endlich möchte ich Sandra Moyano, Ann Lewis und Yolanda Moyano für ihre große Hilfe und Geduld beim Tippen und Korrigieren der verschiedenen Versionen des Manuskripts danken. Darüber hinaus bin ich, wie immer, meiner Frau Sonsoles für ihre Hilfe, ihr Verständnis und ihre ständige Ermutigung und Unterstützung während des ganzen Projekts dankbar. Dieses Werk ist ihr gewidmet. Jesús Huerta de Soto Formentor, 15. August 1997
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Die rechtliche Natur des monetären Depositum irreguläre
1.1
Eine vorläufige Begriffsklärung: Leihverträge (Mutuum und Commodatum) und Depositenverträge
Nach dem Diccionario der Real Academia Española ist eine Leihe die Sache bzw. das Geld, die eine Person einer anderen übergibt, damit Letztere die Sache benutzt und danach zurückgibt.12 Traditionell gibt es zwei Arten von Leihen: die Leihe fiir den Gebrauch, wobei nur der Gebrauch des verliehenen Objekts übertragen wird und der Entleiher nach dem Gebrauch des Objektes zu dessen Rückgabe verpflichtet ist; und die Leihe fiir den Konsum, bei der das Eigentum des verliehenen Objekts übertragen wird. In letzterem Falle wird das Objekt für den Konsum übergeben und der Entleiher ist dazu verpflichtet, etwas von der gleichen Quantität und Qualität wie die Sache, die er ursprünglich erhalten und konsumiert hat, zurückzugeben.13 1.1.1 Das Commodatum Commodatum (lat.) ist ein realer Vertrag im guten Glauben, bei dem eine Person, der Verleiher, einer anderen Person, dem Entleiher, ein spezifisches Objekt zum freien Gebrauch während eines bestimmten Zeitraumes anvertraut, wobei am Ende des Zeitraumes das geliehene Objekt seinem Eigentümer zurückgegeben werden muss.14 Der Vertrag wird als „Realvertrag" bezeichnet, weil der Gegenstand übergeben werden muss. Ein Beispiel ist die Leihe eines Autos an einen Freund, damit dieser einen Ausflug unternehmen kann. Es ist eindeutig, dass in diesem Falle der Verleiher weiterhin der Eigentümer des entliehenen Objekts ist und die empfangende Person dazu verpflichtet ist, das Objekt (das Auto) angemessen zu benutzen und am Ende des ausgemachten Zeitraumes (wenn der Ausflug beendet ist) zurückzugeben. Die Verpflichtung des Freundes, des Entleihers, ist es, das Objekt (das Auto) in seinem Besitz zu behalten, es angemessen zu behandeln (die Verkehrsregeln zu beachten und auf das Auto achtzugeben, als wäre es sein eigenes) und es zurückzugeben, wenn das Commodatum beendet ist (der Ausflug vorbei ist). 1.1.2 Das Mutuum Obgleich das Commodatum von praktischer Bedeutung ist, besitzt das Verleihen von fiingiblenlb (vertretbaren) und konsumfahigen Gütern wie Öl, Weizen und vor 12 Diccionario de la Real Academia Española, Escasa Calpe, Madrid 1992, S. 1179, der erste Eintrag zum Begriff „Leihe". 13 Manuel Albaladejo, Derecho civil II, Derecho de obligaciones, vol. 2: Los contratos en particulat y las obligaciones no contractuales (Barcelona: Librería Bosch, 1975), S. 304. 14 Juan Iglesias, Derecho Romano: Instituciones de derecho privado, 6. Überarb. Aufl. (Barcelona: Ediciones Ariel, 1972), S. 408-09. 15 Fungible Güter sind derartige Güter, die durch andere Güter derselben Art substituiert werden können. Oder mit anderen Worten: Sie sind Güter, die nicht einzeln betrachtet werden, sondern vielmehr in Form ihrer Menge, ihres Gewichts oder ihres Ausmaßes. Die Römer sagten, dass Dinge, „quae in genere suo functionem in solutione recipiunt", fungible sind; d.h. „res quae pondere numero mensurave constant". Verbrauchsgüter sind oft fungibel.
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Die rechtliche Natur des monetären Depositum irreguläre
allem Geld einen größeren ökonomischen Stellenwert. Das Mutuum (lat.) ist ein Vertrag, in dem eine Person, der Darlehensgeber, einer anderen Person, dem Darlehensnehmer, eine bestimmte Menge an fungiblen Gütern anvertraut und der Entleiher verpflichtet ist, nach Ablauf eines bestimmten Zeitraumes die gleiche Menge an Gütern der gleichen Art und Qualität („tantundem" im Lateinischen) zurückzugeben. Ein typisches Beispiel eines Mutuums ist der Vertrag des Gelddarlehens mit dem Geld als Paradebeispiel eines fungiblen Guts. Mittels dieses Vertrages wird heute eine bestimmte Menge an Geldeinheiten von einer Person an eine andere übergeben, indem der Besitz und die Verfügbarkeit des Geldes von der Person, die das Darlehen vergibt, zu der Person, die es empfangt, übertragen wird. Die Person, die das Darlehen erhält, ist dazu berechtigt, das Geld so zu benutzen, als wäre es ihr eigenes, wobei sie verspricht, am Ende der verabredeten Laufzeit, die gleiche Menge an Geldeinheiten, die sie entliehen hatte, zurückzugeben. Das Mutuum bedingt einen Tausch von „Gegenwartsgütern" gegen „Zukunfisgüter", da es ein Darlehen von fungiblen Gütern darstellt. Deshalb wird für gewöhnlich beim Mutuum im Gegensatz zum Commodatum eine Zinsvereinbarung getroffen, weil die Menschen aufgrund der Zeitpräferenz (nach der unter sonst gleichen Umständen Gegenwartsgüter immer Zukunftsgütern vorgezogen werden) nur im Tausch gegen eine größere Anzahl von fungiblen Gütern in der Zukunft (am Ende der Laufzeit) dazu bereit sein werden, eine bestimmte Anzahl von fungiblen Gütern aufzugeben. Demnach ist der Unterschied zwischen der Anzahl der ursprünglich übergebenen Einheiten und der Anzahl, die am Ende der Laufzeit durch den Darlehensnehmer übergeben wird, genau gesagt der Zins. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass im Falle des Mutuums der Verleiher die Verpflichtung übernimmt, eine vorher bestimmte Anzahl von Einheiten dem Darlehensnehmer auszuhändigen. Der Darlehensnehmer, der das Darlehen erhält, übernimmt die Verpflichtung, die gleiche Anzahl an Einheiten der gleichen Art und Qualität, die er erhalten hat, (Tantundem) am Ende der im Vertrag festgelegten Laufzeit zurückzugeben. Außerdem muss er einen Zins zahlen, sofern dies in der Vereinbarung festgelegt worden ist, was allgemein der Fall ist. Die grundlegende Verpflichtung, die mit einem Mutuum bzw. dem Darlehen eines fungiblen Gutes verknüpft ist, besteht in der Rückgabe - am Ende der festgelegten Laufzeit - der gleichen Anzahl an Einheiten der gleichen Art und in der gleichen Qualität wie die Erhaltenen, selbst wenn dem betroffenen Gut eine Preisänderung widerfahren ist. Das bedeutet, dass der Darlehensnehmer, da er am Ende des vorher bestimmten Zeitraums nur das Tantundem zurückgeben muss, den Nutzen des zeitweiligen Eigentums der Sache empfängt und sich daher dessen vollständiger Verfügbarkeit erfreuen kann. Außerdem ist die festgesetzte Laufzeit ein grundlegendes Element eines Darlehens oder eines Mutuums, da ein Zeitraum festgelegt wird, während dessen die Verfügbarkeit und das Eigentum des Gutes dem Darlehensnehmer zusteht und an dessen Ende dieser verpflichtet ist, das Tantundem zurückzugeben. Ohne die explizite oder implizite Feststellung einer festgelegten Laufzeit kann das Mutuum bzw. Darlehen nicht existieren.
Eine vorläufige Begriffsklärung: Leihverträge und Depositenverträge
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1.1.3 Der Depositenvertrag Während Leih- und Darlehensverträge (Commodatum und Mutuum) die Übertrag u n g der Verfügbarkeit des Gutes beinhalten, die v o m Verleiher/Darlehensgeber zum Entleiher/Darlehensnehmer transferiert wird, erfordert eine andere Art v o n Verträgen, der Depositen- oder Verwahrungsvertrag, dass die Verfügbarkeit des Gutes nicht übertragen wird. In der Tat ist der Depositenvertrag („depositum" im Lateinischen) ein Vertrag, bei dem eine Person, der Deponent, im guten Glauben einer anderen Person, dem Depositar, ein bewegliches Gut anvertraut, damit es der Depositar bewacht, beschützt und zu j e d e m Zeitpunkt dem Deponenten aushändigt, falls dieser es verlangt. Folglich wird das Depositum (bzw. die Einlage) immer im Interesse des Deponenten genutzt. Der grundlegende Zweck der Einlage ist die Auflewahrung und Bewachung des Gutes, und dies impliziert für die Dauer des Vertrages, dass die vollständige Verfügbarkeit des Gutes beim Deponenten verbleibt, der das Gut zu jeder Zeit verlangen kann. Die Verpflichtung des Deponenten ist neben der Auslieferung des Gutes die Kompensation des Depositars für die Kosten der Einlage (falls eine solche Kompensation vereinbart wurde; falls nicht, ist das Depositum gebührenfrei). Die Verpflichtung des Depositars ist es, das Gut mit der höchsten Sorgfalt, die für gute Eltern typisch ist, zu bewahren und zu beschützen sowie das Gut unverzüglich dem Deponenten zurückzugeben, w e n n dieser danach verlangt. Es ist eindeutig, dass im Gegensatz zu Leihen und Darlehen, die einen Zeitraum beinhalten, in dem die Verfügbarkeit des Gutes übertragen wird, im Falle des Depositums dies nicht so ist. Vielmehr wird das Depositum immer bereitgehalten, ist stets für den Deponenten verfügbar und endet, sobald dieser die Rückgabe des Gutes v o m Depositar einfordert. 1.1.4 Das Depositum fungibler Güter oder das Depositum irreguläre Oft in unserem Leben wollen wir keine spezifischen Dinge deponieren (wie ein Gemälde, ein Schmuckstück oder eine versiegelte, mit Münzen gefüllte Truhe), sondern fungible Güter (wie Ölfässer, Kubikmeter Gas, Scheffel Weizen, oder Tausende Euro). Das Depositum v o n fungiblen Gütern ist insofern zweifellos auch ein Depositum, als sein Hauptelement die vollständige Verfügbarkeit der deponierten Güter für den Deponenten ist, wie auch die Verpflichtung des Depositars, die Güter gewissenhaft zu bewahren und zu beschützen. Der einzige Unterschied zwischen dem Depositum fungibler Güter und dem Depositum reguläre bzw. dem Depositum spezifischer Güter ist, dass bei Ersterem die deponierten Güter unmerklich mit anderen Gütern derselben Art und Qualität vermischt werden (so wie es zum Beispiel bei einem Warenhaus, das Getreide oder Weizen lagert, in einem Öltank, einer Ölraffinerie oder einem Banktresor der Fall ist). Wegen der ununterscheidbaren Mischung v o n unterschiedlichen deponierten Einheiten derselben Art und Qualität kann man zu der A u f f a s s u n g kommen, dass das „Eigentum" der deponierten Güter im Fall des Depositums fungibler Güter übertragen wird. In der Tat wird sich der Deponent, w e n n er sein Depositum entnehmen will, logischerweise mit dem genauen Äquivalent hinsichtlich Quantität und Qualität des ursprünglich Deponierten zufriedengeben. A u f keinen Fall wird er dieselben spezifischen Einheiten erhalten,
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Die rechtliche Natur des monetären Depositum irreguläre
die er abgegeben hat, weil die fungible Natur der Güter es unmöglich macht, diese individuell zu behandeln, da sie ununterscheidbar mit dem Rest der Güter, die der Depositar in seinem Besitz hält, vermischt worden sind. Das Depositum fungibler Güter, das die grundlegenden Eigenschaften eines Depositenvertrages besitzt, wird „Depositum irreguläre" 16 genannt, weil eines seiner charakteristischen Elemente andersartig ist. (Im Fall des regelmäßigen Depositums oder der Deponierung eines spezifischen Gutes wird das Eigentum nicht übertragen, sondern der Deponent ist weiterhin Eigentümer des Gutes, während im Fall der Depositen fungibler Güter das Eigentum an den Depositar übertragen wird.) Nichtsdestoweniger müssen wir betonen, dass das Wesen des Depositums unverändert bleibt und dass das Depositum irreguläre vollständig die grundlegende Natur aller Depositen teilt: die Verpflichtung der sicheren Aufbewahrung und Bewachung. In der Tat besteht beim Depositum irreguläre immer die unmittelbare Verfügbarkeit für den Deponenten, der jederzeit zum Getreidespeicher, Öltank oder Banktresor gehen und das Äquivalent der Einheiten, die er ursprünglich übergeben hat, entnehmen kann. Die entnommenen Güter werden das genaue Äquivalent hinsichtlich Quantität und Qualität der Güter haben, die er ausgehändigt hat; oder, wie die Römer sagten, das „tantundem eiusdem generis, qualitatis et bonetatis". 1.2 Die ökonomische und soziale Funktion des Depositum irreguläre Depositen fungibler Güter (wie Geld), die auch unregelmäßige Depositen genannt werden, leisten eine wichtige soziale Funktion, die nicht von den regelmäßigen Depositen, d. h. von Depositen spezifischer Güter, eingenommen werden kann. Es wäre sinnlos und sehr teuer, Öl in separaten, nummerierten Behältern zu deponieren (d.h. als versiegelte Depositen, bei denen der Besitz nicht übertragen wird) oder Geldscheine in individuell nummerierte, versiegelte Umschläge zu stecken. Obgleich diese extremen Fälle regelmäßige Depositen darstellten, bei denen Besitz nicht übertragen wird, würden sie einen Verlust der außerordentlichen Effizienz und Kosteneinsparung bedeuten, die daraus resultieren, dass die individuellen Depositen gemeinsam und voneinander ununterscheidbar behandelt werden, 17 ohne dass dies Kosten oder eine Einschränkung der Verfügbarkeit für den Deponenten 16 Mein Schüler César Martínez Meseguer argumentiert überzeugend, dass eine andere adäquate Lösung unseres Problems darin besteht anzunehmen, dass beim Depositum irreguläre keine wahre Übertragung des Eigentums erfolgt, sondern dass das Konzept des Eigentums sich abstrakt auf das Tantundem oder die Quantität der deponierten Güter bezieht und das Eigentum als solches beim Deponenten verbleibt und nicht übertragen wird. Diese Lösung ist diejenige, die - den Fall der Vermischung einschließend - zum Beispiel in Artikel 381 des spanischen Código Civil angeboten wird, indem anerkannt wird, dass jeder Eigentümer in Proportion zu dem Teil, der ihm zusteht, Rechte erhalten wird". Obwohl das Depositum irreguläre traditionell anders interpretiert wurde (als eine wahre Übertragung des Eigentums der physischen Einheiten), erscheint es korrekter zu sein, das Eigentum abstrakt wie im Artikel 381 des spanischen Código Civil zu definieren, wo angenommen wird, dass es keine Übertragung des Eigentums beim Depositum irreguläre gibt. Dies scheint außerdem die Sicht von Luis Diez-Picazo und Antonio Gullón, Sistema de derecho civil, 6. Aufl. (Madrid: Editorial Tecnos, 1989), Bd. 2, S. 4 6 8 - 7 0 zu sein. 17 Im speziellen Fall des monetären Depositum irreguläre ist der gelegentliche Gebrauch von Kontenführungsdiensten, der von Banken angeboten wird, ein weiterer Vorteil.
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bedeuten würde, der gleichsam zufrieden ist, wenn er auf Verlangen das Tantundem in derselben Quantität und Qualität erhält, ohne dass dieses identisch mit dem spezifischen Inhalt ist, den er ursprünglich ausgehändigt hatte. Das Depositum irreguläre besitzt noch andere Vorteile. Beim Depositum reguläre bzw. beim Depositum spezifischer Güter ist der Depositar nicht für den Verlust durch einen unvermeidbaren Unfall oder durch höhere Gewalt verantwortlich, während beim Depositum irreguläre der Depositar sogar im Falle höherer Gewalt verantwortlich ist. Deshalb dient das unregelmäßige Depositum - zusätzlich zu den traditionellen Vorteilen der direkten Verfügbarkeit und sicheren Aufbewahrung des ganzen Depositums - als eine Art Versicherung gegen die Möglichkeit des Verlusts durch unvermeidbare Unfälle.18 1.2.1 Das grundlegende Element des monetären Depositum irreguläre
Beim Depositum irreguläre nimmt die Verpflichtung zur Bewachung und zum Schutz der deponierten Güter, welches das grundlegende Element aller Depositen ist, die Form der Verpflichtung an, immer die vollständige Verfügbarkeit des Tantundems für den Deponenten zu gewährleisten. Mit anderen Worten: Während beim Depositum reguläre das spezifische deponierte Gut ständig sorgfältig und in individuo behütet werden muss, ist das, was beim Depositum fungibler Güter ständig bewacht, gesichert und verfügbar gehalten werden muss, das Tantundem, d.h. das Äquivalent in Quantität und Qualität der ursprünglich ausgehändigten Güter. Das bedeutet, dass beim Depositum irreguläre die Aufbewahrung die Verpflichtung mit sich bringt, für den Deponenten immer Güter mit derselben Quantität und Qualität wie die entgegengenommenen Güter verfügbar zu halten. Diese Verfügbarkeit ist im Fall der fungiblen Güter, obwohl die Güter ständig durch andere ausgetauscht werden, das Äquivalent zur Verwahrung in individuo im Fall der nicht fungiblen Güter. Mit anderen Worten: Der Eigentümer des Öltanks oder Getreidespeichers kann das spezifische Öl oder Getreide, das er erhält, entweder für seinen eigenen Gebrauch oder zur Rückgabe an einen anderen Deponenten benutzen, solange er dem originären Deponenten Öl und Weizen in derselben Quantität und Qualität, in der sie deponiert worden sind, verfügbar hält. Beim Gelddepositum gilt die gleiche Regel. Wenn man von einem Freund einen 20-Euro-Schein zum Deponieren erhält, kann man in Betracht ziehen, dass er einem das Eigentum der spezifischen Note überträgt und man diese für die eigenen Ausgaben oder zu irgendeinem anderen Gebrauch nutzen darf, solange man den äquivalenten Betrag (in Form eines anderen 20-Euro-Scheins oder zweier 10-Euro-Scheine) aufbewahrt, sodass man
18 Wie Pasquale Coppa-Zuccari klugerweise hervorhebt, „a differenza del deposito regolare, l'irregolare gli garantisce la restituzione del tantundem nella stessa specia e qualità, sempre ed in ogni caso.... Il deponente irregolare è garantito contro il caso fortuito, contro il quale il depositario regolare non lo garantisce; trovase anzi in una condizione economicamente ben più fortunata che se fosse assicurato." (Vgl. Pasquale Coppa-Zuccari, Il deposito irregolare [Modena: Biblioteca dell'Archivio Guiridico Filippo Serafini, 1901], Bd. 6, S. 109-10)
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Die rechtliche Natur des monetären Depositum irreguläre
in dem Augenblick, in dem er einen zur Rückzahlung auffordert, dies unverzüglich ohne Probleme und ohne einer Ausrede zu bedürfen vornehmen kann. 19 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die zugrunde liegende Logik der Institution des Depositum irreguläre auf universellen Rechtsprinzipien beruht und nahelegt, dass das essenzielle Element der Bewachung oder sicheren Aufbewahrung erfordert, dass das Tantundem äquivalent zum originären Depositum ständig dem Deponenten verfügbar ist. 1.2.2 Die Folgen aus der Nichterfüllung der grundlegenden Verpflichtung des Depositum irreguläre
Wenn die Verpflichtung der sicheren Aufbewahrung des Depositums nicht erfüllt wird, wird es logischerweise notwendig, den Deponenten zu entschädigen. Und wenn der Depositar in betrügerischer Absicht gehandelt hat und das deponierte Gut für seinen eigenen, persönlichen Gebrauch verwendet hat, hat er die Straftat der Veruntreuung begangen. So begeht jemand beim regelmäßigen Depositum, wenn er z.B. als Depositum ein Gemälde empfängt und es zu seinem eigenen Gewinn verkauft, die Straftat der Veruntreuung. Die gleiche Straftat liegt beim Depositum irreguläre fungibler Güter vor, wenn der Depositar die deponierten Güter zu seinem eigenen Gewinn nutzt, ohne das äquivalente Tantundem dem Deponenten jederzeit bereitzuhalten. Dies wäre der Fall des Öldepositars, der in seinem Tank eine Ölmenge ungleich der gesamten deponierten bereithält, oder des Depositars, der ein Gelddepositum erhält und es in irgendeiner Art zu seinem eigenen Nutzen verwendet (indem er es selbst ausgibt oder verleiht), ohne jederzeit eine Reservedeckung von hundert Prozent beizubehalten. 20 Der Strafrechtsexperte Antonio 19 Coppa-Zuccari hat dieses essenzielle Prinzip des Depositum irreguläre am besten ausgedrückt, wenn er sagt, dass der Depositar „risponde della diligenza di un buon padre di famiglia indipendentemente da quella che esplica nel giro ordinario della sua vita economica e guiridica. Il depositario invece, nella custodia delle cose ricevute in deposito, deve spiegare la diligenza, quam suis rebus adhibere solet. E questa diligenza diretta alla conservazione delle cose propie, il depositario esplica: in rapporto alle cose infungibili, con l'impedire che esse si perdano o si deteriorino; il rapporto alle fungibili, col curare di averne sempre a disposizione la medesima quantità e qualità. Questo tenere a disposizione una eguale quantità è qualità di cose determinate, si rinnovellino pur di continuo e si sostituiscano, equivale per le fungibili a ciò che per le infungibili è l'esistenza della cosa in individuo." (Coppa-Zuccari, Il deposito irregolare, S. 95) Joaquín Garrigues vertritt die gleiche Meinung in Contratos bancarios (Madrid, 1971), S. 365, und ebenso formuliert Juan Roca Juan seine Auffassung in seinem Aufsatz über das Gelddepositum {Comentarios al Código Civil y Compilaciones Forales, hrsg. von Manuel Albaladejo, Bd. 22, Vol. 1, Editorial Revista de Derecho Privado EDERSA [Madrid, 1982], S. 246-55), in dem er zu der Schlussfolgerung gelangt, dass die Aufbewahrungsverpflichtung beim Depositum irreguläre gerade bedeutet, dass der Depositar „die deponierte Menge zu jeder Zeit für den Deponenten verfügbar halten muss, und daher die Anzahl an Einheiten von der Art des Deponierten vorhalten muss, die notwendig ist, um die Menge zurückzugeben, wenn es von ihm verlangt wird." (S. 251) Mit anderen Worten: Im Falle des monetären Depositum irreguläre bedeutet die Aufbewahrungsverpflichtung die Erfordernis einer ständigen hundertprozentigen Bargeldreserve. 20 Andere verwandte Straftaten liegen vor, wenn der Depositar die Nummer der Depositenzertifikate oder -belege fälscht. Dies wäre der Fall des Öldepositars, der falsche Depositenbelege für den Handel mit Dritten ausgibt, und im Allgemeinen der Fall jedes Depositars eines fungiblen Gutes, der Zertifikate oder Belege in einer Menge ausgibt, die die tatsächlich deponierte Menge
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Ferrer Sama legt dar, dass man, falls das Depositum in einer Geldmenge und der Verpflichtung, die gleiche Menge zurückzugeben, besteht (Depositum irreguläre), und der Depositar das Geld nimmt und es zu seinem eigenen Gewinn benutzt, unterscheiden muss „welche der folgenden Situationen vorliegt, um dadurch seine kriminelle Haftung zu bestimmen: Zu dem Zeitpunkt, zu dem er sich das Geld aneignet, verfügt der Depositar über eine Liquidität, die ausreicht, um jederzeit die Menge, die er als Depositum erhielt, zurückzuzahlen; oder, im Gegenteil, zu dem Zeitpunkt, zu dem er sich das Geld aneignet, verfügt er nicht über genügend eigenes Bargeld, um seine Verpflichtung zu erßillen, dem Deponenten jederzeit sein Geld auf Verlangen zurückzuzahlen. Im ersten Fall liegt die Straftat der Veruntreuung nicht vor. Wenn indes zu dem Zeitpunkt, zu dem sich der Depositar die deponierte Menge aneignet, dieser nicht genügend Bargeld hat, um seine Verpflichtungen gegenüber dem Deponent zu erfüllen, ist er der Veruntreuung schuldig, und zwar von genau dem Augenblick an, in dem er die deponierten Güter für seinen eigenen Gebrauch nutzt und nicht mehr das Tantundem äquivalent zu dem originären Depositum besitzt."21
übersteigt. Es ist offensichtlich, dass es sich in diesem Fall um die Straftaten der Dokumentenfälschung (der Ausgabe der falschen Belege) und des Betruges (wenn bei der Ausgabe der Belege die Intention besteht, dritte Parteien zu täuschen und einen spezifischen Gewinn zu erzielen) handelt. Untenstehend werden wir untermauern, dass die historische Entwicklung des Bankwesens auf dem Begehen krimineller Akte wie dem „Geschäft" der Banknotenemission basiert. 21 Antonio Ferrer Sama, El delito de apropiación indebida (Murcia: Publicaciones del Seminario de Derecho Penal de la Uiversidad de Murcia, Editorial Sucesores de Nogués, 1945), S. 26-27. Wie wir im Text gezeigt haben und wie auch Eugenio Cuello Calón darlegt (Derecho penal, Barcelona: Editorial Bosch, 1971, Band 2, Spezialabschnitt, 13. Aufl, Vol. 2, S. 952-53), wird das Verbrechen in dem Moment begangen, in dem die Aneignung oder Veruntreuung geschieht, und die Straftat leitet sich tatsächlich von der Intention ab, die Aneignung vorzunehmen. Da die Intention der Aneignung privater Natur ist, muss sie aus dem Ergebnis externer Handlungen, wie der Entäußerung, dem Konsum oder dem Verleih des Gutes, abgeleitet werden. Diese Handlungen finden im Allgemeinen lange vor der Entdeckung durch den Deponenten statt, der, wenn er versucht, sein Depositum zu entnehmen, überrascht ist, dass der Depositar nicht in der Lage ist, ihm unverzüglich das entsprechende Tantundem auszuhändigen. Miguel Bajo Fernández, Mercedes Pérez Manzano und Carlos Suárez Gonzáles (Manual de derecho penal, Spezialabschnitt, „Delitos patrimoniales y económicos" [Madrid: Editorial Centro de Estudios Ramón Areces, 1993]) folgern ebenfalls, dass die Straftat in genau dem Augenblick begangen wird, in dem die Verfügung stattfindet, unabhängig von den späteren Folgen, und dass das Vergehen als Straftat fortbesteht, sogar wenn das Objekt zurückgewonnen wird oder es dem Täter misslingt, einen Gewinn aus der Aneignung zu ziehen, „ohne Rücksicht auf die Frage, ob der Depositar im Stande ist, das Tantundem, wenn es verlangt wird, zurückzugeben" (S. 421). Die gleichen Autoren bringen zutage, dass es eine nicht zu akzeptierende Lücke im spanischen Strafrecht gibt, während andere Rechtssysteme „... spezifische Regelungen für korporative Verbrechen und Treuebrüche [beinhalten], unter die man das widerrechtliche Verhalten der Banken hinsichtlich des Depositum irreguläre der Girokonten fassen könnte" (S. 429). Der Paragraf, der im spanischen Strafrecht die Veruntreuung regelt, ist der Paragraf 252 (den Antonio Ferrer Sama erwähnt) des neuen Strafgesetzbuches von 1996 (Paragraf 528 des alten), der besagt: „Die Strafen, die in Paragraf 249 oder 250 spezifiziert werden, werden auf jeden angewandt, der sich zum Schaden eines anderen Geld, Wertpapiere oder irgendeine andere bewegliche Sache oder einen Vermögenswert aneignet oder unterschlägt, die er als Depositum, als Kommission oder treuhänderisch oder mittels eines anderen Anspruchs, der die Verpflichtung mit sich bringt, das Eigentum auszuliefern oder zurückzugeben, erhalten hat, wenn die angeeignete Menge einen Wert von 300 Euro übersteigt. Diese Strafen werden im Falle eines notwendigen Depositums um 50 Prozent erhöht."
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Die rechtliche Natur des monetären Depositum irreguläre
1.2.3 Gerichtsurteile, welche die grundlegenden Rechtsprinzipien bestätigen, die das monetäre Depositum irreguläre regeln (Reservedeckung von hundert Prozent)
Bis in das zwanzigste Jahrhundert hinein haben Gerichtsurteile in Europa eine Reservedeckung von hundert Prozent, die Verkörperung des essenziellen Elements der Bewachung und sicheren Aufbewahrung beim monetären Depositum irreguläre, gefordert. Am 12. Juni 1927 verurteilte das Pariser Gericht einen Banker wegen Veruntreuung, weil er, wie es allgemeine Bankpraxis war, die Geldmittel benutzte, die ein Kunde bei ihm deponiert hatte. Am 4. Januar 1934 bestätigte ein weiteres Urteil desselben Gerichts diese Position.22 Als die Bank von Barcelona bankrottging und protestierende Bankkonteninhaber die Anerkennung als Deponenten forderten, fällte das Gericht des nördlichen Bezirks Barcelonas darüber hinaus in erster Instanz ein Urteil, das diese als solche bestätigte und ihnen damit einen präferierten Status als Gläubiger einer Insolvenz und einen Anspruch auf Vermögenswerte zusprach. Diese Entscheidung beruht auf der Tatsache, dass das Recht der Banken, die Gelder der Bankkonten zu benutzen, notwendigerweise mit der Verpflichtung verbunden ist, die Verfügbarkeit dieser Gelder für die Bankkonteninhaber ununterbrochen zu gewährleisten. Folglich schloss diese rechtliche Einschränkung der Verfügbarkeit die Möglichkeit aus, dass die Banken die auf den Bankkonten hinterlegten Gelder als ihnen alleine zugehörig betrachten konnten. 23 Obwohl das höchste spanische Gericht nicht die Gelegenheit hatte, über den Bankrott der Bank von Barcelona zu entscheiden, führte sein Urteil vom 21. Juni 1928 zu einer ähnlichen Schlussfolgerung: Nach der üblichen, v o n der Rechtsprechung anerkannten Handelspraxis besteht der Vertrag des Gelddepositums in einem Depositum bei einer Person, die, obwohl sie nicht die Verpflichtung eingeht, dem Deponenten dieselben Gelder und Werte aufzubewahren, die übergeben worden sind, den hinterlegten Betrag in ihrem Besitz behalten muss, mit der Absicht, den Betrag teilweise oder vollständig in dem Moment, in dem der Deponent dies verlangt, zurückzugeben; der Depositar erwirbt nicht das Recht, die Einlage für seine eigenen Zwecke zu nutzen, da er - verpflichtet die Einlage in dem Moment zurückzugeben, in dem dies v o n ihm verlangt wird - ständig genügend Bargeld in seinem Besitz vorhalten muss. 2 4
Und schließlich stammt das gründlichste Werk über die strafrechtlichen Aspekte der Veruntreuung von Geld, das in extenso die Meinung der Professoren Ferrer Sama, Bajo Fernández und anderer behandelt, von Norberto J. de la Mata Barranco, Tutela penal de la propiedad y delitos de apropiación: el dinero como objeto material de los delitos de hurto y apropiación indebida (Barcelona: Promociones y Publicaciones Universitarias [PPU, Inc.], 1994), vor allem S. 407 - 08 und 512. 22 Diese Gerichtsentscheidungen sind in Jean Escarras Principes de droit commercial, S. 256, zu finden; Garrigues erwähnt sie zudem in Contratos bancarios, S. 3 6 7 - 6 8 . 23 „Dictamen de Antonio Goicoechea", in: La Cuenta corriente de efectos o valores de un sector de la banca catalana y el mercado libre de valores de Barcelona (Madrid: Imprenta Delgado Sáez, 1936), S. 233-89, vor allem S. 263-64. Garrigues bezieht sich auch auf dieses Urteil in Contratos bancarios, S. 368. 24 José Luis García-Pita y Lastres zitiert dieses Urteil in seinem Aufsatz „Los depósitos bancarios de dinero y su documentación", der in La revista de derecho bancario y bursátil (Centro de Documentación Bancaria y Bursátil, Oktober-Dezember 1993), S. 919 - 1008, vor allem S. 991 erschien. Garrigues bezieht sich auch auf dieses Urteil in Contratos bancarios, S. 387.
grundlegende Unterschiede zwischen Depositum irreguläre und Darlehensvertrag
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1.3 Die grundlegenden Unterschiede zwischen dem monetären Depositum irreguläre und dem Darlehensvertrag An dieser Stelle ist wichtig, die fundamentalen Unterschiede zwischen dem monetären Depositum irreguläre und dem Darlehensvertrag zu bewerten und zu betonen. Wie wir später in verschiedenen Kontexten sehen werden, stammen ein Großteil der Verwirrung und viele rechtliche und ökonomische Irrtümer hinsichtlich unseres Themas vom fehlenden Verständnis der Unterschiede der beiden Verträge. 1.3.1 Das Ausmaß, in dem Eigentumsrechte in beiden Verträgen übertragen werden
Zunächst ist es notwendig hervorzuheben, dass das Unvermögen, zwischen dem Depositum irreguläre und dem Darlehen zu unterscheiden, aus der überhöhten und unangemessenen Bedeutung entspringt, die, wie wir schon wissen, der Tatsache gegeben wird, dass man beim monetären Depositum irreguläre oder dem Depositum eines anderen fungiblen Gutes der Ansicht sein kann, dass das Eigentum des hinterlegten Gutes dem Depositar übertragen wird - „genau wie" bei einem Darlehen oder Mutuum. Dies ist die einzige Ähnlichkeit der beiden Verträge, die viele Gelehrte dazu veranlasst hat, diese ohne Grund durcheinanderzubringen. Wir haben bereits gesehen, dass beim Depositum irreguläre die Übertragung des „Eigentums" ein zweitrangiges Erfordernis ist, das darin begründet liegt, dass der Gegenstand des Eigentums ein fungibles Gut ist, das nicht individuell übergeben werden kann. Wir wissen auch, dass viele Vorteile darin bestehen, die Einlage mit anderen Mengen des gleichen Gutes aufzubewahren und die individuellen Einheiten undifferenziert zu behandeln. In der Tat mag - da nach strikten rechtlichen Bestimmungen nicht die Rückgabe der spezifischen Güter verlangt werden kann und dies auch physisch unmöglich ist - die Annahme notwendig erscheinen, dass ein „Transfer" des Eigentums im Sinne der individuellen, spezifischen Einheiten, die deponiert worden sind, vorliegt, weil diese voneinander ununterscheidbar sind. Damit wird der Depositar zum „Eigentümer", indes nur in dem Sinne, dass er nach Belieben die einzelnen, ununterscheidbaren Einheiten verteilen kann, solange er weiterhin das Tantundem bereithält. Dies ist das ganze Ausmaß, in dem Eigentumsrechte beim Depositum irreguläre übertragen werden. Beim Darlehensvertrag hingegen wird die gesamte Verfügbarkeit des geliehenen Gutes für die Dauer des Vertrages übertragen. Mithin ist es - selbst mit der einzigen möglichen „Ähnlichkeit" zwischen dem Depositum irreguläre und dem Darlehensgeschäft (die angenommene „Übertragung" des Eigentums) - wichtig zu verstehen, dass diese Übertragung des Eigentums sehr verschiedene ökonomische und rechtliche Bedeutungen in beiden Verträgen besitzt. Vielleicht wäre es, wie wir in Fußnote 16 erklärt haben, das Sinnvollste anzunehmen, dass beim Depositum irreguläre keine Übertragung des Eigentums vorliegt, sondern vielmehr, dass der Deponent jederzeit das Eigentum über das Tantundem in einem abstrakten Sinne innehat.
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Die rechtliche Natur des monetären Depositum irreguläre
1.3.2 Die grundlegenden ökonomischen Unterschiede zwischen beiden Verträgen
Der Grund für den verschiedenen rechtlichen Inhalt beider Verträge ist auf ihren grundlegenden Unterschied zurückzuführen, der seinerseits in dem verschiedenen ökonomischen Wesen, auf dem beide basieren, begründet ist. So zeigt Ludwig von Mises mit seiner gewohnten Klarheit, dass, „wenn wir nationalökonomisch unter Kredit den Tausch eines gegenwärtigen Gutes oder einer gegenwärtigen Leistung gegen ein künftiges Gut oder eine künftige Leistung verstehen, dann ist es wohl nicht möglich, das fragliche Geschäft [unregelmäßiges Depositum] unter den Begriff des Kredites einzureihen. Der Deponent von Geldbeträgen, der im Austausch für die hinterlegte Summe eine jederzeit fällige Geldforderung erwirbt, die ihm ganz die gleichen Dienste leistet wie jene Summe, hat kein Gegenwartsgut gegen ein Zukunftsgut ausgetauscht. Auch die Forderung, die er durch die Deponierung erworben hat, stellt für ihn ein Gegenwartsgut dar. Die Hinterlegung des Geldes bedeutet für ihn keineswegs den Verzicht auf die unmittelbare augenblickliche Verfügung über seine Nutzwirkung." Er kommt zu dem Schluss: „Ein Kreditgeschäft liegt hier [beim Depositum] aber nicht vor, da das wesentliche Moment, der Tausch gegenwärtiger gegen künftige Güter, fehlt." 25 Mithin gibt es beim monetären Depositum irreguläre keinen Verzicht auf Gegenwartsgüter zugunsten einer größeren Menge von Zukunftsgütern am Ende der Zeitperiode, sondern lediglich eine Änderung in der Art, in der über die Gegenwartsgüter verfügt wird. Diese Änderung wird vorgenommen, weil es der Deponent in vielen Situationen von seinem subjektiven Standpunkt aus als vorteilhafter (d.h. als seinen Zielen zuträglicher) empfindet, ein monetäres Depositum irreguläre vorzunehmen, in dem das eigentliche deponierte Gut mit anderen Gütern derselben Art vermengt und als von diesen ununterscheidbar behandelt wird. Erwähnt haben wir bereits neben weiteren Vorteilen die Versicherung gegen das Risiko des Verlustes durch einen unvermeidbaren Unfall und die Möglichkeit, Kontenführungsdienste zu nutzen, die Banken ihren Kunden bei einem Bankkonto anbieten. Im Gegensatz dazu ist das Wesen eines Darlehensvertrages fundamental verschieden. Das Ziel des Darlehensvertrages ist es gerade, auf die Verfügbarkeit über Gegenwartsgüter heute zugunsten des Gebrauchs des Darlehensnehmers zu verzichten, um dafür in der Zukunft am Ende der im Vertrag festgesetzten Laufzeit eine im Allgemeinen größere Menge an Gütern zu erhalten. Wir sagen „im Allgemeinen größere", weil es wegen der Logik der Zeitpräferenz, die allen menschlichen Handlungen inhärent ist und die besagt, dass unter sonst gleichen Umständen Gegenwartsgüter immer Zukunftsgütern vorgezogen werden, notwendig ist, den Zukunftsgütern einen Differenzbetrag in Form des Zinses hinzuzufügen. Andernfalls wäre es sehr schwierig, jemanden zu finden, der bereit wäre, auf die Verfügbarkeit von Gegenwartsgütern zu verzichten, was die Voraussetzung für jedes Darlehen ist.
25 Ludwig von Mises, Die Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel, 1924, S. 272, veröffentlicht von Duncker und Humblot in München und Leipzig. Die erste Auflage erschien 1912.
g r u n d l e g e n d e Unterschiede z w i s c h e n Depositum irreguläre und Darlehensvertrag
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Demzufolge ist der Unterschied zwischen beiden Verträgen aus ökonomischer Sicht vollkommen klar: Der Vertrag des Depositum irreguläre enthält anders als der Darlehensvertrag keinen Tausch von Gegenwartsgütem gegen Zukunftsgüter. Folglich wird beim Depositum irreguläre die Verfügbarkeit des Gutes nicht übergeben, sondern vielmehr bleibt das Gut ständig für den Deponenten verfügbar (trotz der Tatsache, dass in einem gewissen Sinne, vom rechtlichen Standpunkt aus, das „Eigentum" gewechselt hat), während beim Darlehensvertrag immer eine Übertragung der Verfügbarkeit vom Darlehensgeber auf den Darlehensnehmer besteht. Weiterhin enthält der Darlehensvertrag für gewöhnlich eine Zinsvereinbarung, während beim Vertrag des monetären Depositum irreguläre Zinsvereinbarungen contra naturam und absurd sind. Coppa-Zuccari erläutert mit seinem typischen Scharfsinn, dass die absolute Unmöglichkeit einer Zinsvereinbarung beim Vertrag des Depositum irreguläre vom rechtlichen Standpunkt aus als die direkte Folge des dem Deponenten zugestandenen Rechts, die Einlage jederzeit zu entnehmen, und der entsprechenden Verpflichtung des Depositars, das betreffende Tantundem ständig dem Deponent verfügbar zu halten, zu sehen ist.26 Ludwig von Mises weist auch darauf hin, dass es für den Deponenten möglich ist, Depositen vorzunehmen, ohne irgendeine Art von Zinsen zu fordern, denn er schätzt „auch die Forderung, w e l c h e er i m Austausch f ü r die G e l d s u m m e erhält, nicht anders ab, ob er sie früher, später oder überhaupt niemals einzieht, und nur darum kann er, o h n e seine wirtschaftlichen Interessen zu schädigen, derartige F o r d e r u n g e n g e g e n die H i n g a b e v o n Geld erwerben, o h n e eine V e r g ü t u n g für eine aus einer - eben nicht vorhandenen -
Z e i t d i f f e r e n z z w i s c h e n Leistung und G e g e n l e i s t u n g
herrührende
Wertungleichheit z u f o r d e r n . " 2 7
Angesichts der ökonomischen Grundlage des Vertrages des monetären Depositum irreguläre, der nicht den Austausch von Gegenwartsgütern gegen Zukunftsgüter beinhaltet, ergibt sich die ununterbrochene Verfügbarkeit zugunsten des Deponenten und die Unvereinbarkeit mit einer Zinsvereinbarung folgerichtig und direkt aus dem rechtlichen Wesen des Vertrages des Depositum irreguläre, der sich scharf vom rechtlichen Wesen des Darlehensvertrages abgrenzt.28 26 „Conseguenza immediata del diritto concesso al deponente di ritirare in ogni tempo il deposito e del correlativo obbligo del depositario di renderlo alla prima richiesta e di tenere sempre a disposizione del deponente il suo tantundem nel deposito irregolare, è l'impossibilità assoluta per il depositario di corrispondere interessi al deponente." (Coppa-Zuccari, II deposito irregolare, S. 292) Coppa-Zuccari betont auch, dass die Unvereinbarkeit des Depositum irreguläre und der Zahlung von Zinsen logischerweise nicht bei dem vollständig getrennten Fall zum Tragen kommt, bei dem ein Zins zugesprochen wird, weil der Depositar nicht auf Verlangen das Geld zurückgibt und damit zum Säumigen wird. Als eine Folge wurde das Konzept des Depositum confessatum, wie wir sehen werden, während des ganzen Mittelalters systematisch als eine rechtliche List angewandt, um das kanonische Zinsverbot bei Darlehen zu umgehen. 27 Mises, Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel, S. 272. 28 Die Tatsache, dass Zinsvereinbarungen mit dem monetären Depositum irreguläre unvereinbar sind, bedeutet nicht, dass Letzteres gebührenfrei sein sollte. In der Tat beinhaltet das Depositum irreguläre - im Einklang mit seiner eigentlichen Natur - die Festsetzung der Zahlung einer bestimmten Summe durch den Deponent an den Depositar für die Kosten der Aufbewahrung des Depositums oder die Kontoführung. Die Zinszahlung ist ein sinnvoller Indikator dafür, dass die grundlegende Verpflichtung der sicheren Aufbewahrung, die beim Vertrag des monetären Depositum irreguläre einzuhalten ist, geradezu sicher verletzt worden ist und dass der Depositar das
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Die rechtliche Natur des monetären Depositum irreguläre
1.3.3 Der fundamentale rechtliche Unterschied zwischen beiden Verträgen
Das wesentliche rechtliche Element beim monetären Depositum irreguläre ist die Bewachung und sichere Aufbewahrung des deponierten Geldes. Für die Parteien, die sich dafür entscheiden, in Depositum irreguläre zu deponieren oder ein solches zu empfangen, ist dies das wichtigste Ziel bzw. der Vertragszweck.29 Dieser Zweck unterscheidet sich stark vom wesentlichen Zweck des Darlehensvertrages, nämlich der Übertragung der Verfügbarkeit des geliehenen Gutes an den Darlehensnehmer, sodass dieser es eine Zeit lang nutzen kann. Zwei weitere wichtige rechtliche Unterschiede ergeben sich aus dieser wesentlichen Verschiedenheit im Zweck beider Verträge. Erstens entbehrt der Vertrag des Depositum irreguläre einer Laufzeit, dem wesentlichen und kennzeichnenden Element eines Darlehensvertrages. In der Tat gibt es beim Depositum irreguläre zu keiner Zeit irgendeine Laufzeit, sondern es besteht vielmehr eine ständige Verfügbarkeit zugunsten des Deponenten, der jederzeit das Tantundem entnehmen kann. Im Gegensatz dazu ist es unmöglich, sich einen Darlehensvertrag ohne eine festgesetzte Laufzeit vorzustellen (während derer nicht nur das Eigentum übergeben wird, sondern während der auch der Darlehensgeber die Verfügbarkeit verliert), an deren Ende das Tantundem des ursprünglich geliehenen Geldes zuzüglich Zinsen zurückzugeben ist.30 Der zweite grundlegende rechtliche Unterschied bezieht sich auf die Verpflichtung der beiden Parteien: Beim Vertrag des Depositum irreguläre besteht, wie wir wissen, die im Wesen des Vertrages implizierte Verpflichtung zur gewissenhaften Bewachung und sicheren Auftiewahrung des Tantundems (wie sie von guten Eltern erwartet werden würde), das ständig dem Deponenten bereitgehalten wird.31 Beim Darlehensvertrag
Geld des Deponenten zu seinem eigenen Nutzen gebraucht, indem er einen Teils des Tantundems, das er jederzeit für den Deponent verfugbar halten sollte, veruntreut. 29 J. Dabin, La teoría de la causa: estudio histórico y jurisprudencial, übersetzt von Franscisco de Pelsmaeker und überarbeitet von Francisco Bonet Ramón, 2. Aufl. (Madrid: Editorial Revista de Derecho Privado, 1955), S. 24 ff. Dass der Zweck des Vertrags des Depositum irreguläre die Bewachung und sichere Aufbewahrung und somit vom Ziel des Darlehensvertrages verschieden ist, wird sogar von Autoren anerkannt, die wie García-Pita oder Ozcáriz Marco nicht akzeptieren, dass die unvermeidbare, logische Konsequenz des Zwecks der sicheren Aufbewahrung die Erfordernis eine hundertprozentigen Reservedeckung für Bankeinlagen ist. Vgl. José Luis García-Pita y Lastres, „Depósitos bancarios y protección del depositante", Contratos bancarios (Madrid: Colegios Notariales de España, 1996), S. 119-266, siehe vor allem S. 167-91; und Florencio Ozcáriz Marco, El contrato de depósito: estudio de la obligación de guarda (Barcelona: J. M. Bosch Editor, 1997), S. 37 und 47. 30 Privatrechtsexperten stimmen geschlossen überein, dass eine Laufzeit wesentlich für einen Darlehensvertrag ist, im Gegensatz zum Depositum irreguläre, das keine Laufzeit besitzt. Manuel Albaladejo betont, dass am Ende der Laufzeit der Mutuum endet und das Darlehen zurückgegeben werden muss (vgl. z.B. Paragraf 1125 des spanischen Código Civil). Er weist sogar daraufhin, dass, wenn eine Laufzeit nicht explizit bestimmt worden ist, die Absicht des Darlehensnehmers, eine solche festzusetzen, angenommen werden muss, weil eine Frist durch die essenzielle Natur des Darlehensvertrages erforderlich ist. In diesem Falle muss es einer dritten Partei (den Gerichten) erlaubt sein, die entsprechende Laufzeit festzulegen (diese Lösung wird in Paragraf 1128 des spanischen Código Civil angewandt); vgl. Albaladejo, Derecho civil IL, Derecho de obligaciones, vol. 2, S. 317. 31 Eindeutig ist es das Tantundem, das dem Deponenten ständig bereitgehalten wird, und nicht dieselben spezifischen Einheiten, die deponiert worden sind. Mit anderen Worten gewinnt der Depositar keine wirkliche Verfügbarkeit, obgleich der Besitz der konkreten, physischen deponierten Einheiten übergeben wird und diese genutzt werden können; denn das, was er an spezifischen Einheiten, die er erhält, gewinnt, wird genau durch den notwendigen Verlust an äquivalenter
grundlegende Unterschiede zwischen Depositum irreguläre und Darlehensvertrag
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e x i s t i e r t d i e s e V e r p f l i c h t u n g n i c h t u n d der D a r l e h e n s n e h m e r darf d e n g e l i e h e n e n B e t r a g i n v ö l l i g e r Freiheit n u t z e n . In der Tat b e z i e h e n w i r u n s a u f z w e i s e h r v e r s c h i e d e n e K o n z e p t e , w e n n w i r v o n der r e c h t l i c h e n „ Ü b e r t r a g u n g d e s B e s i t z e s " i n d e n b e i d e n V e r t r ä g e n s p r e c h e n . W ä h r e n d d i e „Übertragung" d e s E i g e n t u m s b e i m Vertrag d e s D e p o s i t u m irreguläre (die als Erfordernis der f u n g i b l e n N a t u r der d e p o n i e r t e n Güter b e t r a c h t e t w e r d e n k ö n n t e ) n i c h t z e i t g l e i c h e i n e Ü b e r t r a g u n g der V e r f ü g b a r k e i t d e s T a n t u n d e m s impliziert, b e s t e h t b e i m D a r l e h e n s v e r t r a g e i n e ständige
voll-
Ü b e r t r a g u n g d e s E i g e n t u m s u n d der V e r f ü g b a r k e i t d e s T a n t u n d e m s v o m
Darlehensgeber z u m Darlehensnehmer.32 Die Unterschiede, die in diesem Abschnitt erfasst w u r d e n , w e r d e n i n der Tabelle 1.1 z u s a m m e n g e f a s s t . Tabelle 1.1: Wesentliche Unterschiede zwischen zwei grundlegend verschiedenen Verträgen Monetäres Depositum irreguläre
Gelddarlehen
Ökonomische Unterschiede 1. Gegenwartsgüter werden nicht gegen Zukunftsgüter ausgetauscht 2. Es besteht eine vollständige, kontinuierliche Verfügbarkeit zugunsten des Deponenten 3. Es gibt keine Zinsen, da kein Tausch von Gegenwartsgütern gegen Zukunftsgüter stattfindet
1. Gegenwartsgüter werden gegen Zukunftsgüter ausgetauscht 2. Die völlige Verfügbarkeit wird vom Darlehensgeber zum Darlehensnehmer übertragen 3. Es gibt Zinsen, da ein Tausch von Gegenwartsgütern gegen Zukunftsgüter stattfindet
Rechtliche Unterschiede 1. Das wesentliche Element (und die Hauptmotivation des Deponenten) ist die Bewachung und sichere Aufbewahrung des Tantundems 2. Es gibt keine Laufzeit für die Rückgabe des Geldes, vielmehr ist der Vertrag „auf Sicht" 3. Die Verpflichtung des Depositars ist es, dem Deponenten das Tantundem jederzeit verfügbar zu halten (hundert Prozent Bargeldreserve)
1. Das wesentliche Element ist die Übertragung der Verfügbarkeit der Gegenwartsgüter an den Darlehensnehmer 2. Der Vertrag erfordert die Festlegung einer Laufzeit für die Rückgabe des Darlehens sowie die Berechnung und Zahlung des Zinses 3. Die Verpflichtung des Darlehensnehmers ist es, das Tantundem am Ende der Laufzeit zurückzugeben und den vereinbarten Zins zu zahlen
Verfügbarkeit bezüglich anderer spezifischer Einheiten ausgeglichen, die sich bereits in seinem Besitz befinden. Die Notwendigkeit liegt in der Verpflichtung begründet, das Tantundem ständig dem Deponenten verfügbar zu halten. Beim monetären Depositenvertrag wird diese ständige Verfügbarkeit für den Deponenten gewöhnlich mit dem Ausdruck „auf Sicht" bezeichnet, was den wesentlichen, unmissveiständlichen Zweck des Bankkontos oder des Vertrags der „Sichteinlage" veranschaulicht: das Tantundem ständig dem Deponenten bereitzuhalten. 32 An dieser Stelle sollte die Aufmerksamkeit auf den Vertrag der „Termineinlage" gelenkt werden, der die ökonomischen und rechtlichen Eigenschaften eines wahren Darlehens und nicht eines Depositums besitzt. Wir müssen betonen, dass der Gebrauch dieser Terminologie irreführend ist und den wahren Darlehensvertrag verschleiert, in dem Gegenwartsgüter gegen Zukunftsgüter ausgetauscht werden, die Verfügbarkeit des Geldes für die Dauer einer festgesetzten Laufzeit übergeben wird und der Kunde das Recht hat, die korrespondierenden Zinsen zu beziehen. Diese verwirrende Terminologie macht es den Bürgern noch komplizierter und schwieriger, zwischen einer wahren (Sicht-)Einlage und einem Darlehensvertrag (mit Laufzeit) zu unterscheiden. Gewisse ökonomische Agenten haben wiederholt und eigennützig von diesen Begriffen Gebrauch gemacht, um aus der bestehenden Verwirrung Nutzen zu ziehen. Die Situation verschärft sich noch weiter, wenn Banken, was recht oft geschieht, „Termineinlagert" (die wahre Darlehen sein sollten) anbieten, die de facto Sichteinlagen werden, weil die Banken die Möglichkeit anbieten, die Gelder jederzeit ohne Sanktion abzuheben.
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Die rechtliche Natur des monetären Depositum irreguläre
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Die Entdeckung der allgemeinen Rechtsprinzipien, die den Vertrag des monetären Depositum irreguläre bestimmen, durch römische Rechtsexperten
1.4.1 Die Entstehung von traditionellen Rechtsprinzipien nach Menger, Hayek und Leoni Die traditionellen, universellen Rechtsprinzipien, die wir im letzten Abschnitt in Verbindung mit dem Vertrag des monetären Depositum irreguläre behandelt haben, sind nicht in einem Vakuum entstanden. Das Konzept des Rechts, verstanden als eine Reihe von Regeln und Institutionen, an welche die Menschen stetig, fortwährend und den Gewohnheiten folgend ihr Verhalten anpassen, ist in einem repetitiven, evolutionären Prozess entwickelt und verfeinert worden. Vielleicht einer der wichtigsten Beiträge Carl Mengers war die Entwicklung einer vollständigen ökonomischen Theorie sozialer Institutionen. Nach seiner Theorie entstehen soziale Institutionen als das Ergebnis eines evolutionären Prozesses, in dem unzählige Menschen interagieren, jeder Einzelne von ihnen ausgestattet mit seiner eigenen kleinen persönlichen Habe an subjektivem Wissen, praktischen Erfahrungen, Wünschen, Angelegenheiten, Zielen, Zweifeln, Gefühlen etc. Durch diesen spontanen, evolutionären Prozess bilden sich im Gebiet der Ökonomie und der Sprache wie auch des Rechts eine Reihe von Verhaltensmustern oder Institutionen heraus, die das Leben in der Gesellschaft ermöglichen. Menger entdeckte, dass Institutionen durch einen sozialen Prozess entstehen, der sich aus einer Vielzahl von menschlichen Handlungen zusammensetzt. Dieser Prozess wird immer durch eine relativ kleine Gruppe von Individuen, Menschen aus Fleisch und Blut, angeführt, die in ihren jeweiligen historischen und geografischen Umständen als erste bestimmte Verhaltensmuster entdecken, die ihnen helfen, ihre Ziele effizienter zu erreichen. Diese Entdeckung initiiert einen dezentralen Prozess von Versuch und Irrtum, der viele Generationen umfasst und in dem sich jenes Verhaltensmuster allmählich immer weiter verbreitet, das sich am effektivsten gegen soziale Unordnungen erweist. Somit findet ein unbewusster sozialer Prozess des Lernens und der Imitation statt, der erklärt, wie sich das Verhalten der erfolgreichsten und kreativsten Individuen ausbreitet und von den restlichen Mitgliedern der Gesellschaft übernommen wird. Zudem pflegen sich durch diesen evolutionären Prozess jene Gesellschaften auszubreiten und gegen andere soziale Gruppen durchzusetzen, die als erste erfolgreiche Prinzipien und Institutionen annehmen. Obgleich Menger seine Theorie in Bezug auf den Ursprung und die Entstehung des Geldes entwickelt hat, erwähnt er auch, dass das gleiche theoretische Schema ohne Umstände für die Untersuchung des Ursprungs und der Entwicklung der Sprache genutzt und auch auf unser jetziges Thema, die rechtlichen Institutionen, anwendbar ist. Daraus folgt die paradoxe Tatsache, dass die moralischen, rechtlichen, ökonomischen und linguistischen Institutionen, die am wichtigsten und unentbehrlichsten für das Leben des Menschen in der Gesellschaft sind, nicht durch den Menschen selbst geschaffen worden sind, weil ihm die notwendige intellektuelle Kapazität abgeht, um die gewaltige Menge
Die Entdeckung der allgemeinen Rechtsprinzipien durch römische Rechtsexperten
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a n verstreuten Informationen z u assimilieren, die diese Institutionen mit sich bring e n u n d generieren. Im Gegenteil, diese Institutionen entspringen unvermeidbar u n d s p o n t a n d e m s o z i a l e n P r o z e s s d e r m e n s c h l i c h e n I n t e r a k t i o n , der i n M e n g e r s M e i n u n g der H a u p t g e g e n s t a n d der ö k o n o m i s c h e n F o r s c h u n g sein sollte.33 M e n g e r s I d e e n w u r d e n s p ä t e r v o n F. A . v o n H a y e k i n s e i n e n v e r s c h i e d e n e n W e r k e n über die Grundsätze des Rechts u n d der rechtlichen I n s t i t u t i o n e n 3 4 s o w i e v o r allem v o n B r u n o Leoni weiterentwickelt. Leoni, ein italienischer Professor der Politikwiss e n s c h a f t e n , h a t a l s erster d a s F o l g e n d e i n e i n e r s y n o p t i s c h e n T h e o r i e d e r R e c h t s p h i l o s o p h i e v e r b u n d e n : die ö k o n o m i s c h e Theorie der s o z i a l e n Prozesse, die v o n M e n g e r u n d der Österreichischen Schule entwickelt wurde, die altehrwürdige röm i s c h e R e c h t s t r a d i t i o n u n d d i e a n g e l s ä c h s i s c h e T r a d i t i o n d e s Ruk
of Law.
In d e r
Tat ist e s B r u n o L e o n i s g r o ß e s V e r d i e n s t , g e z e i g t z u h a b e n , d a s s d i e ö s t e r r e i c h i s c h e Theorie der E n t s t e h u n g u n d E v o l u t i o n der s o z i a l e n Institutionen perfekt durch d a s P h ä n o m e n d e s G e w o h n h e i t s r e c h t s illustriert w i r d u n d d a s s d i e s e s s c h o n der römischen klassischen Rechtsschule bekannt u n d v o n dieser formuliert w o r d e n w a r . 3 5 L e o n i , der C i c e r o s W i e d e r g a b e v o n C a t o s W o r t e n zitiert, b e t o n t b e s o n d e r s , dass die r ö m i s c h e n Juristen w u s s t e n , dass das römische Recht nicht die persönliche E r f i n d u n g e i n e s M e n s c h e n war, s o n d e r n v i e l m e h r e i n e K r e a t i o n v o n v i e l e n M e n schen über Generationen und Jahrhunderte hinweg: „[...] während unser Staat nicht durch die geistige Leistung eines, sondern vieler Männer, und nicht in einem Menschenleben, sondern in einer Reihe v o n Jahrhunderten und Menschenaltern geschaffen worden sei. Denn, so sagte er, nie habe eine so gewaltige Geisteskraft existiert, daß es j e einen Menschen gegeben hätte, dem nichts verborgen blieb, und w e n n selbst alle Geistesgaben in einen Menschen z u sammenströmen, so könnten sie doch nicht in einem Augenblick so viel vorausschauen, daß sie alles erfaßten ohne eine langjährige praktische Erfahrung." 36
33 Carl Menger, Untersuchungen über die Methode der Socialwissenschafien und der Politischen Ökonomie insbesondere (Leipzig: Duncker und Humblot, 1883), vor allem S. 182. Menger selbst formuliert eloquent diese neue Frage, die das wissenschaftliche Forschungsprogramm, das er für die Ökonomie vorschlägt, beantworten soll: „Wieso vermögen dem Gemeinwohl dienende und für dessen Entwickelung höchst bedeutsame Institutionen ohne einen auf ihre Begründung gerichteten Gemeinwillen zu entstehen?" (S. 163) Die beste und vielleicht brillanteste Zusammenfassung von Mengers Theorie des evolutionären Ursprungs des Geldes erschien in seinem Artikel „On the Origin of Money", Economic Journal (Juni 1892): 239 - 55. Dieser wurde von Israel M. Kirzner erneut veröffentlicht in dessen Classics in Austrian Economic: A Sampling in the History of a Tradition (London: William Pickering, 1994), Vol. 1, S. 91 - 106. 34 F. A. von Hayek, Die Verfassung der Freiheit (Tübingen: J. C. B. Mohr [Paul Siebeck], 4. Aufl. 2005); Recht, Gesetz und Freiheit (Tübingen: J. C. B. Mohr [Paul Siebeck], 2003); Die verhängnisvolle Anmaßung: Die Irrtümer des Sozialismus (Tübingen: J. C. B. Mohr [Paul Siebeck], 1996). 35 Vgl. Jesús Huerta de Soto, Estudios de economía política (Madrid: Unión Editorial, 1994), Kapitel 10, S. 121-28, und Bruno Leonis Werk, Freedom and the Law (Princeton, N. J.: D. Van Nostrand Company, 1961), das eine grundlegende Lektüre für alle Juristen und Ökonomen ist. 36 „[...] nostra autem res publica non unius esset ingenio, sed multarum, nec una hominis vita, sed aliquod constitutum saeculis et aetatibus, nam neque ullum ingenium tantum extitisse dicebat, ut, quem res nulla fugeret, quisquam aliquando fuisset, neque cuncta ingenia conlata in unum tantum posse uno tempore providere, ut omnia complecterentur sine rerum usu ac vetustate." (Marcus Tullius Cicero, De re publica, 2, 1 - 2 , in: Ciceros Staatstheoretische Schriften, 2. Aufl., Akademie-Verlag, Berlin, 1979, S. 251-252). Vgl. zudem Leoni, Freedom and the Law, S. 89). Leonis Werk ist in allen Belangen außergewöhnlich. Er enthüllt nicht nur die Parallele zwischen
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Kurz gefasst war Leonis Meinung, dass sich das Recht in einem kontinuierlichen Prozess des Ausprobierens herausbildet, in dem jedes Individuum seine eigenen Umstände und das Verhalten anderer berücksichtigt. Das Recht wird in einem evolutionären Prozess perfektioniert.37 1.4.2 Römische Rechtsprechung
Die Größe der klassischen römischen Rechtsprechung ist auf die Erkenntnis dieser wichtigen Wahrheit und auf die kontinuierlichen Anstrengungen der Rechtsgelehrten zurückzuführen, die sie dem Studium, der Interpretation der Rechtsgewohnheiten, der Exegese, der logischen Analyse, dem Schließen von Gesetzeslücken und der Berichtigung von Fehlern widmeten, wobei sie alles mit der notwendigen Umsicht und Ruhe besorgten.38 Der Beruf der klassischen Juristen war eine richtige Kunst, dessen gleichbleibendes Ziel die Ermittlung und Definition des Wesens der rechtlichen Institutionen war, die sich im evolutionären Prozess der Gesellschaft entwickelt hatten. Des Weiteren maßten sich die klassischen Juristen niemals an, „originell" oder „clever" sein zu wollen. Vielmehr waren sie „die Diener von bestimmten fimdamentalen Prinzipien, und, wie Savigny herausstellt, liegt hierin ihre Größe begründet."39 Ihr wichtigstes Ziel war die Entdeckung der universellen Prinzipien des Rechts, die unveränderlich und in der Logik der menschlichen Beziehungen inhärent sind. Es ist indes wahr, dass die soziale Evolution selbst oft die Anwendung dieser unveränderlichen universellen Prinzipien auf neue Situationen
Markt und Gewohnheitsrecht (oder „common law") auf der einen Seite und Sozialismus und positiven Recht auf der anderen Seite, sondern er ist auch der erste Jurist, der begreift, dass Ludwig von Mises' Argument der Unmöglichkeit der Wirtschaftsrechnung im Sozialismus als einen besonderer Fall ist des „allgemeineren Prinzips, dass kein Gesetzgeber allein und ohne irgendeine Art der kontinuierlichen Mitarbeit aller betroffenen Personen in der Lage sein würde, die Regeln aufzustellen, die das wirkliche Verhalten aller in den unzähligen Beziehungen mit allen anderen lenken." (S. 18- 19) Für Infomationen über das Werk Bruno Leonis, dem Gründer der angesehenen Zeitschrift II Politico im Jahre 1950, vgl. Omaggio a Bruno Leoni, Pasquale Scaramozzino, Hrsg. (Mailand: Ad. A. Guiffrè, 1969), und den Aufsatz „Bruno Leoni in Retrospect" von Peter H. Aranson, Harvard Journal ofLaw and Public Policy (Sommer 1988). Leoni war ein vielseitiger Mensch und äußerst aktiv in den Gebieten der universitären Lehre, des Rechts, der Unternehmung, der Architektur, der Musik und der Sprachwissenschaft. Er wurde auf tragische Weise in der Nacht vom 21. November 1967 von einem seiner Mieter ermordet, als er versuchte die Miete zu kassieren. Er wurde 54 Jahre alt. 37 In den Worten Bruno Leonis erfolgt eine Herausbildung des Rechts durch „una continua serie de tentativi, che gli individui compiono quando pretendono un comportamento altrui, e si affidano al propio potere di determinare quel comportamento, qualora propio potere di determinare quel comportamento, qualora esso non si determini in modo spontaneo." (Bruno Leoni, „Diritto e politica", in seinem Buch Scritti di scienza politica e teoria del diritto [Mailand: A. Giuffrè, 1880], S. 240) 38 Tatsächlich war der Deuter des Jus" der „prudens", d.h. der Rechtsgelehrte oder „iuris prudens". Es war sein Aufgabe, das Recht offenzulegen. Die Juristen versorgten die Individuen mit Rat und Beistand, unterwiesen sie in Geschäftspraktiken und Vertragsarten, boten Antworten zu ihren Fragen an und berieten Richter und Prätoren. Vgl. Juan Iglesias, Derecho romano: Instituciones de derecho privado, 6. Überarb. Aufl. (Barcelona: Ediciones Ariel, 1972), S. 54-55. 39 Iglesias, Derecho romano: Instituciones de derecho privado, S. 56. Und vor allem Rudolf von Ihering, El espíritu del derecho romano, Clásicos del Pensamiento Jurídico (Madrid: Marcial Pons, 1997), vor allem S. 196-202 und 251-53.
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und Probleme erfordert, die ständig aus diesem evolutionären Prozess entstehen. 40 Ferner arbeiteten die römischen Juristen unabhängig und waren nicht im Staatsdienst. Trotz mehrfacher Versuche durch offizielle Rechtsexperten zu römischer Zeit waren diese niemals in der Lage, der freien Praxis der Rechtsprechung ein Ende zu setzen. Letztere verlor niemals ihr gewaltiges Ansehen und ihre Unabhängigkeit. Die Jurisprudenz bzw. Rechtswissenschaft wurde im dritten Jahrhundert nach Christus eine unabhängige Profession. Die wichtigsten Juristen vor Christus waren Marcus Porcius Cato und sein Sohn Cato Licianus, der Konsul Mucius Scaevola und die Juristen Quintus Mucius Scaevola, Servius Surpicius Rufus und Alfenus Varus. Im zweiten Jahrhundert nach Christus begann die klassische Ära. Die wichtigsten Juristen in dieser Zeit waren Gaius, Pomponius, Africanus und Marcellus. Im dritten Jahrhundert folgten ihrem Beispiel Papinianus, Paulus, Ulpianus und Modestinus neben anderen Juristen. Von dieser Zeit an erfreuten sich die Lösungen, die von diesen unabhängigen Juristen gefunden worden waren, eines so großen Ansehens, dass ihnen Gesetzeskraft zugesprochen wurde. Und um Schwierigkeiten zu verhindern, die aus den unterschiedlichen Meinungen in den juristischen Schriften entstehen konnten, wurde den Werken von Papinianus, Paulus, Ulpianus, Gaius und Modestinus und den Lehren der von ihnen zitierten Juristen Gesetzeskraft gegeben, solange diese Referenzen durch Vergleiche mit den Originalschriften bestätigt werden konnten. Wenn diese Autoren unterschiedlicher Meinung waren, war der Richter gezwungen, der Lehre zu folgen, die von der Mehrheit verteidigt wurde; und im Falle einer Stimmengleichheit würde sich die Meinung Papinianus' durchsetzen. Falls dieser seine Meinung über den Sachverhalt nicht vermittelt hatte, musste der Richter frei entscheiden.41 Die klassischen römischen Juristen haben sich den Verdienst erworben, die wichtigsten Rechtsinstitutionen, die das Leben in der Gesellschaft möglich machen, als Erste entdeckt, interpretiert und perfektioniert zu haben. Zudem war ihnen, wie wir sehen werden, der Vertrag des Depositum irreguläre bereits bekannt. Sie verstanden seine wesentlichen Prinzipien und umrissen seinen Inhalt und sein Wesen, wie wir zuvor schon dargelegt haben. Der Vertrag des Depositum irreguläre ist keine intellektuelle, abstrakte Kreation. Er ist die logische Konsequenz der menschlichen Natur, die sich in den vielfachen Akten der sozialen Interaktion und Kooperation manifestiert, die sich wiederum selbst in einer Reihe von Prinzipien darstellen, die nicht missachtet werden können, ohne schwerwiegende Folgen für das Netzwerk der menschlichen Kooperation zu zeitigen. Die große Bedeutung des Rechts in diesem evolutionären Sinne, durch die Wissenschaft der Rechtsexperten entdeckt 40 Der Beruf der „interpretatio" war sehr eng mit der Rolle des Beraters von Individuen, Prätoren und Richtern verknüpft und bestand in der Anwendung altehrwürdiger Prinzipien auf neue Anforderungen; das bedeutet die Ausdehnung des Ius civile, selbst wenn keine neuen Institutionen formell gegründet wurden. (Francisco Hernández-Tejero Jorge, Lecciones de derecho romano [Madrid: Ediciones Darro, 1972], S. 30) 41 Erstmalig ergibt sich diese Gesetzeskraft aus einer Verfassung aus dem Jahr 426, die als das Zitationsgesetz von Theodosius und Valentinianus III bekannt ist. Vgl. Hernández-Tejero Jorge, Lecciones de derecho romano, S. 3.
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und von seinen logischen Fehlern gereinigt, besteht in der Anleitung, die es den Menschen in ihrem täglichen Leben anbietet, obwohl die Menschen nicht in der Lage sein mögen, die spezifische Funktion jeder rechtlichen Institution gänzlich zu identifizieren und zu verstehen. Erst in der jüngsten Vergangenheit der Evolution des menschlichen Denkens ist es möglich geworden, die Gesetze des sozialen Prozesses zu verstehen und die Rolle der verschiedenen Rechtsinstitutionen dürftig zu erfassen, wofür größtenteils die Beiträge der Nationalökonomie verantwortlich gewesen sind. Eine unserer wichtigsten Ziele ist die ökonomische Analyse der sozialen Konsequenzen, die sich aus der Verletzung der universellen Rechtsprinzipien ergeben, die den Vertrag des monetären Depositum irreguläre regeln. Im vierten Kapitel werden wir die theoretische ökonomische Analyse dieser rechtlichen Institution (des Vertrags des monetären Depositum irreguläre) beginnen. Das Wissen, das wir heute von den universellen Rechtsprinzipien besitzen, die von den römischen Juristen entdeckt worden waren, ist uns durch das Werk von Kaiser Justinian überliefert, der in den Jahren 528-533 nach Christus die gewaltige Anstrengung unternahm, die Beiträge der klassischen römischen Juristen zusammenzutragen. Er schrieb sie in vier Bücher nieder (den Institutiones, den Digest, dem Codex Constitutionum und den Novellae), die seit der Ausgabe von Dionysius Gottfried42 als der Corps Juris Civilis bekannt sind. Die Institutiones sind ein grundlegendes Werk, das sich an Studenten richtet und auf Gaius' Institutiones beruht. Der Digest oder Pandecta ist eine Zusammenstellung von klassischen Rechtstexten, die über 9.000 Ausschnitte aus den Werken verschiedener angesehener Juristen umfasst. Passagen aus den Werken von Ulpianus, die ein Drittel des Digest ausmachen, zusammen mit Ausschnitten von Paulus, Papinianus und Julianus, nehmen einen größeren Raum des Buches ein als die restlichen Juristen zusammengenommen. Insgesamt erscheinen im klassischen römischen Recht Beiträge von 39 Spezialisten. Der Codex Constitutionum besteht aus einer chronologisch geordneten Sammlung von Gesetzen und Verfassungen der Kaiser (dem heutigen Konzept der Gesetzgebung entsprechend). Der Corpus endet mit den Novellae, welche die Verfassungen der Kaiser, die auf das Codex Constitutionum folgten, beinhalten. 43 Nach dieser kurzen Einführung werden wir uns nun den klassischen römischen Juristen und ihrem Verständnis des monetären Depositum irreguläre zuwenden. Es ist eindeutig, dass es als eine besondere Art des Depositums mit dessen wesentlichen Eigenschaften begriffen wurde und es als von völlig anderer Natur und Wesen als das Mutuum bzw. der Darlehensvertrag aufgefasst wurde.
42 Corpus Juris Civilis (Genf: Dionysius Gottfried, 1583). 43 Justinian ordnete an, dass die notwendigen Veränderungen an den gesammelten Materialien vorgenommen wurden, sodass das Gesetz den historischen Umständen angemessen und der Perfektion so nahe als möglich sei. Diese Modifikationen, Korrekturen und Auslassungen werden „interpolaciones" und auch „emblemata Triboniani", nach Tribonianus, dem Verantwortlichen für die Zusammenstellung, genannt. Es gibt einen ganzen Wissenszweig, der sich ihrem Studium widmet, um ihren Inhalt durch Vergleich, logische Analyse, das Studium der Anachronismen in der Sprache etc. zu bestimmen, da man entdeckt hat, dass eine bedeutende Anzahl der „interpolaciones" nach der Ära Justinians gemacht wurden. Vgl. Hernández-Tejero Jorge, Lecciones de derecho romano, S. 5 0 - 5 1 .
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1.4.3 Der Vertrag des Depositum irreguläre im römischen Gesetzbuch Der Depositenvertrag im A l l g e m e i n e n ist in Abschnitt 3 des 16. Buches des
Digest
mit d e m Titel „Über das Deponieren u n d Entziehen" („Depositi v e l contra") erfasst. Ulpianus beginnt mit der f o l g e n d e n Definition: „Ein Depositum ist etwas, das von einem anderen zur sorgfältigen Aufbewahrung gegeben wird. Es wird derart genannt, weil ein Gut deponiert wird. Die Präposition de intensiviert die Bedeutung des Depositums, um zu zeigen, dass alle Verpflichtungen bezüglich der sicheren Verwahrung des Gutes der Ehrlichkeit dieser Person anvertraut sind." 44 Ein Depositum kann entweder, im Fall eines spezifischen Gutes, ein Depositum reguläre sein oder, im Falle des f u n g i b l e n Gutes, ein Depositum irreguläre. 4 3 In der Tat erklärt Paulus in N u m m e r 31 des Titels 2 des Buches 19 v o m Digest den Unterschied z w i s c h e n d e m Darlehensvertrag bzw. M u t u u m und d e m Depositenvertrag eines f u n g i b l e n Gutes u n d gelangt zu dem Ergebnis: „wenn eine Person einen bestimmten Betrag an losem Geld deponiert, das sie zählt und nicht versiegelt oder in etwas eingeschlossen übergibt, dann ist die Pflicht der empfangenen Person, den gleichen Betrag zurückzugeben." 46 Mit anderen Worten: Paulus zeigt eindeutig, dass beim monetären Depositum irreguläre die einzige Verpflichtung des Depositars darin besteht, das Tantundem zurückzugeben, d.h. das Äquivalent in Quantität und Qualität der originären Einlage.
44 Ulpianus, geboren in Tyros (Phoenizien), war Berater eines anderen großen Juristen, Papinianus. Zudem war er zusammen mit Paulus ein beratendes Mitglied der „concilium principis" und „praefectus praetorio" unter Alexander Severus. Er wurde im Jahr 228 von den Prätorianern ermordet. Er war ein überaus produktiver Autor, der mehr für sein Wissen der juristischen Literatur als für seine kreative Arbeit bekannt war. Er schrieb klar und war ein guter Übersetzer. Seine Werke werden besonders günstig in Justinians Digest hervorgehoben, von dem sie einen großen Teil einnehmen. Vgl. zu diesem Thema Iglesias, Derecho romano: Institueiones de derecho privado, S. 58. Die im Text zitierte Stelle lautet in Latein wie folgt: „Depositum est, quod custodiendum alicui datum est, dictum ex eo, quod ponitur, praepositio enim de äuget depositum, ut ostendat totum fidei eiue commissum, quod ad custodiam rei pertinet." (Vgl. Ildefonso L. Garcia del Corral, hrsg., Cuerpo de derecho civil romano, 6 Bände. [Valladolid: Editorial Lex Nova, 1988], Bd. 1, S. 963) 45 Allerdings tauchte, wie Pasquale Coppa-Zuccari scharfsinnig aufzeigt, der Ausdruck „depositum irreguläre" nicht auf, bis er erstmalig von Jason de Maino benutzt wurde, der ein Kommentator des 15. Jahrhunderts von früheren Werken war und dessen Schriften in Venedig im Jahr 1513 veröffentlicht wurden. Vgl. Coppa-Zuccari, II deposito irregolare, S. 41. Zudem befasst sich das ganze erste Kapitel dieses wichtigen Werkes mit der Behandlung des Depositum irreguläre im römischen Recht. Für eine exzellente aktuelle Abhandlung der bibliografischen Quellen über das Depositum irreguläre in Rom auf Spanisch vgl. den Artikel von Mercedes Löpez-Amor y Garcia „Observaciones sobre el deposito irregulär romano", in Revista de la Facultad de Derecho de la Universidad Complutense 74 (1988-1989), S. 341 - 59. 46 Dies ist eigentlich eine Zusammenfassung des Digest des Alfenus Varus durch Paulus. Varus war Konsul im Jahr 39 n. Chr. und der Autor von 40 Büchem des Digest. Paulus seinerseits war ein Schüler des Scaevola und ein Berater des Papinianus während der Zeit, in der Papinianus ein Mitglied des kaiserlichen Rats unter Severus und Caracalla war. Er war eine sehr geistreiche, gelehrte Persönlichkeit und der Verfasser zahlreicher Schriften. Die Stelle, die im Text zitiert wird, lautet im Lateinischen wie folgt: „Idem iuris esse in deposito; nam si quis pecuniam numeratam ita deposuisset ut neque clausam, neque obsignatam traderet, sed adnumeraret, nihil aluid eum debere, apud quem deposita esset, nisi tantundem pecuniae solvere." (Vgl. Ildefonso L. Garcia del Corral, Hrsg., Cuerpo de derecho civil romano, 6 Bände. [Valladolid: Editorial Lex Nova, 1988], Bd. 1, S. 963)
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Des Weiteren erhielt jemand, w a n n immer er ein monetäres Depositum irreguläre machte, ein geschriebenes Zertifikat oder eine Empfangsbestätigung. Dies wissen wir, weil Papinianus, in Paragraf 24, Titel 3 des 16. Buches des Digest, in Bezug auf das monetäre Depositum irreguläre sagt: Ich schreibe diesen Brief von meiner Hand um dich zu informieren, damit du weißt, dass die 100 Münzen, die du mir heute durch den Sklaven und Verwalter Sticho anvertraut hast, in meinem Besitz sind und ich sie dir unverzüglich zurückgeben werde, wann immer und wo immer du es wünschst."
Diese Stelle zeigt die unmittelbare Verfügbarkeit des Geldes für den Deponenten und den Brauch, diesem eine Empfangsbestätigung oder Quittung zur Beglaubigung des monetären Depositum irreguläre zu geben, die nicht nur der Beweis des Eigentumstitels war, sondern auch bei der Entnahme vorgelegt werden musste. 47 Die wesentliche Verpflichtung des Depositars ist es, das Tantundem ständig für die Deponenten bereitzuhalten. Falls, aus irgendeinem Grund, der Depositar bankrottgeht, haben die Deponenten ein Vorrecht vor allen anderen Anspruchstellem, wie Ulpianus fachkundig erklärt (Paragraf 2, Nummer 7, Titel 3, Buch 16 des Digest): Immer wenn Bankiers für bankrott erklärt werden, werden für gewöhnlich zunächst die Deponenten berücksichtigt. Das sind jene, die Geld deponiert hatten, und nicht die, die ihr Geld den Bankiers für Zinsen überließen. Folglich haben, wenn die Güter einmal verkauft worden sind, die Deponenten Priorität vor jenen, die Privilegien haben, und jene, die Zinsen erhalten haben, werden nicht berücksichtigt, als ob sie ein Depositum aufgegeben hätten. 48
Hier zeigt Ulpianus auch, dass Zinsen als mit dem monetären Depositum irreguläre unvereinbar betrachtet wurden und es in Verbindung mit einem völlig anderen Vertrag stand, wenn Bankiers Zinsen zahlten (in diesem Falle ein Mutuum oder Darlehen für den Bankier, dass heute besser als der Vertrag einer „Termineinlage" bekannt ist). Im Hinblick auf die Verpflichtungen des Deponenten wird im Digest (Buch 47, Titel 2, Nummer 78) ausdrücklich erklärt, dass deijenige, der ein Gut als Depositum erhält und es für einen anderen Zweck benutzt als den, für den er es erhalten hat, des Diebstahls schuldig ist. Im gleichen Titel (Buch 47, Titel 2, Nummer 67) stellt Cel-
47 Papinianus, geboren in Syrien, war ab dem Jahr 203 n. Chr. „Praefectus Praetorio" und wurde von Kaiser Caracalla im Jahr 212 zum Tode verurteilt, weil er sich weigerte, den Mord an dessen Bruder Geta zu rechtfertigen. Mit Julianus teilte er die Reputation, der angesehenste römische Jurist zu sein. Und nach Juan Iglesias „sind seine Schriften wegen ihres Scharfsinns, ihres Pragmatismus wie auch ihres nüchternen Stils bemerkenswert." (Derecho romano: Instituciones de derecho privado, S. 58). Die im Text zitierte Stelle lautet im Lateinischen wie folgt: „centum numos, quos hac die commendasti mihi annumerante servo Sticho actore, esse apud me, ut notum haberes, hac epitistola manu mea scripta tibi notum facio; quae quando volis, et ubi voles, confestim tibi numerabo." (Garcia del Corral, Hrsg., Cuerpo de derecho civil romano, Bd. 1, S. 840) 48 „Quoties foro cedunt numularii, solet primo loco ratio haberi depositatiorum, hoc est eorum, qui depositas pecunias habuerunt, non quas foenore apud numularios, vel cum numulariis, vel per ipsos exercebant; et ante privilegia igitur, si bona venierint, depositariorum ratio habetur, dummodo eorum, qui vel postea usuras acceperunt, ratio non habeatur, quasi renuntiaverint deposito." (Garcia del Corral, Hrsg., Cuerpo de derecho civil romano, Bd. 1, S. 837)
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sus auch fest, dass das Aneignen des Depositums mit dem Zweck der Täuschung einen Diebstahl darstellt. Paulus definiert Diebstahl als „die betrügerische Aneignung eines Gutes, um, entweder aus dem Gut selbst oder von seinem Gebrauch oder Besitz, einen Gewinn zu erzielen; dies ist durch das Naturrecht verboten" 4 9 . Wie wir sehen, war das, was heute das Verbrechen der Veruntreuung genannt wird, im römischen Recht in der Definition des Diebstahls enthalten. Zudem folgert Ulpianus in Referenz zu Julianus: „wenn jemand von mir Geld erhält, um einen Gläubiger von mir zu bezahlen, er selbst den gleichen Betrag dem Gläubiger schuldet und er ihm in seinem Namen zahlt, dann begeht er Diebstahl." (Digest, Buch 47, Title 2, Nummer 52, Paragraf 16)50 Sogar noch eindeutiger dargelegt sind die Verpflichtung, die vollständige Verfügbarkeit des Tantundems zu gewährleisten, und der Tatbestand des Diebstahls, wenn das Tantundem nicht verfügbar gehalten wird, in Nummer 3, Titel 24 (über „das Depositum"), Buch 4 der Codex Constitutionum des Corpus Juris civilis, das die Verfassung enthält, die unter dem Konsulat des Gordianus und des Aviola im Jahr 239 eingeführt wurde. In der Verfassung weist Kaiser Gordianus den Austerus auf Folgendes hin: „wenn du eine Einlage machst, wirst du nicht ohne Grund Zinsen fordern. Der Depositar wird dir dankbar dafür sein, dass du ihn der Verantwortung des Diebstahls enthebst, denn der, welcher wissend und willentlich das deponierte Gut zu seinem eigenem Gewinn gegen den Willen des Eigentümers nutzt, begeht auch das Verbrechen des Diebstahls. "51 Abschnitt 8 der gleichen Quelle behandelt ausdrücklich den Fall der Depositare, die das Geld, das sie als Einlage erhalten haben, verleihen und so für ihren eigenen Gewinn nutzen. Es wird betont, dass eine solche Handlung das Prinzip der sicheren Aufbewahrung verletzt und die Depositare der Zinszahlung verpflichtet sowie des Diebstahls schuldig macht, wie wir gerade in der Verfassung des Gordianus gesehen haben. In diesem Abschnitt lesen wir: „Wenn eine Person, die Geld von dir als Einlage erhalten hat, es in ihrem Namen oder im Namen irgendeiner anderen Person verleiht, sind sie und ihre Nachfolger selbstverständlich verpflichtet, die Vertrauensaufgabe zu erfüllen, die sie angenommen haben."52 Kurzum wird erkannt, dass jene, die das Geld als Depositum erhalten, oft versucht sind, es für sich selbst zu nutzen. Dies wird ausdrücklich an einer anderen Stelle des Corpus Juris Civilis (Novellae, Verfassung LXXXVIII, am Ende des ersten Kapitels) bestätigt. Zudem wird dort auf die Wichtigkeit der angemessenen Bestrafung 49 „Furtum est contrectatio rei fraudulosa, lucri faciendi gratia, vel ipsius rei, vel etiam usu eius possessionisve; quod lege naurali prohibitum est admittere." (Ebenda, Bd. 3, S. 645) 50 Ebenda, S. 663. 51 „Si depositi experiaris, non immerito etiam usuras tibi restituì flagitabis, quum tibi debeat gratulali, quod furti eum actione non facias obnoxium, siquidem qui rem depositam invito domino sciens prudensque in usus suus converterit, etiam furti delicto succedit." (Ebenda, Bd, 4, S. 490) 52 „Si is, qui depositam a te pecuniam accepit, eam suo nomine vel cuiuslibet alterius mutuo dedit, tam ipsum de implenda suscepta fide, quam eius successores teneri tibi, certissimum est." (Ebenda, S. 491)
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dieser Handlungen hingewiesen, die nicht nur in einer Bestrafung des Depositars für den Diebstahl besteht, sondern ihm auch die Zahlung von rückständigen Zinsen auferlegt, „sodass aus Angst vor diesen Strafen die Menschen davon ablassen, einen teuflischen, dummen und perversen Gebrauch der Depositen zu machen." 53 Die römischen Juristen führten ein, dass das Tantundem, wenn ein Depositar seiner Pflicht nicht nachkam, unmittelbar auf Verlangen herauszugeben war und dieser nicht nur eindeutig des vorherigen Verbrechens des Diebstahls schuldig, sondern auch für die rückständigen Zinsen haftbar war. Dementsprechend schreibt Papinianus: „Jener, der ein Depositum eines unversiegelten Geldpakets erhält und einwilligt, den gleichen Betrag zurückzugeben, jedoch dieses Geld zu seinem eigenen Gewinn nutzt, der muss für die Verzögerung der Auslieferung des Depositums Zinsen zahlen."54
Dieses vollkommen gerechte Prinzip steht hinter dem sogenannten Depositum confessatum, das wir genauer im nächsten Kapitel untersuchen werden, und bezieht sich auf die Umgehung des kanonischen Zinsverbots durch die Verschleierung eines eigentlichen Darlehensvertrages oder Mutuums als Depositum irreguläre, wobei dann die Rückzahlung absichtlich verzögert wurde, um so die Erhebung von Zinsen zu autorisieren. Wenn diese Verträge von Anfang an öffentlich als Darlehens- oder Mutuumverträge bezeichnet worden wären, wären sie nach kanonischem Recht nicht erlaubt gewesen. Schließlich finden wir in den folgenden Auszügen (neben anderen) Hinweise, dass die römischen Juristen den grundlegenden Unterschied zwischen einem Darlehensvertrag bzw. Mutuum und dem Vertrag des monetären Depositum irreguläre verstanden: Nummer 26, Titel 2, Buch 16 (Absatz von Paulus); Nummer 9, Punkt 9, Titel 1, Buch 12 des Digest (Ausschnitte von Ulpian) und Nummer 10 desselben Titels und Buchs. Indes wurden in dieser Hinsicht die klarsten und spezifischsten Anmerkungen von Ulpianus in Abschnitt 2, Nummer 14, Titel 5, Buch 17 des Digest gemacht, wo er ausdrücklich folgert, dass „etwas zu verleihen eine Sache ist und etwas zu deponieren eine andere Sache". Und er legt fest: „Sobald die Güter des Bankiers verkauft und die Belange der Privilegierten beachtet worden sind, sollten die Leute bevorzugt bedacht werden, die nach den bezeugten Dokumenten Geld in der Bank deponiert haben. Nichtsdestoweniger werden jene, die Zinsen von den Bankiers auf ihr deponiertes Geld erhalten haben, nicht getrennt vom Rest der Gläubiger behandelt werden; und dies aus gutem Grunde, denn zu verleihen ist eine Sache und zu deponieren eine andere."55
53 „Ut hoc timore stultorum simul et perversorum maligne versandi eursum in depositionibus homines cessent." Es ist eindeutig und es ist (wir werden dies später weiter ausfuhren) bereits bewiesen worden, dass die Depositare einen perversen Gebrauch von dem Geld machten, das ihnen von den Deponenten anvertraut wurde. Vgl. ebenda, Bd. 6, S. 310- 11. 54 „Qui pecuniam apud se non obsignatam, ut tantundem rederet, depositam ad usus proprios convertit, post moram in usuras quoque iudicoi depositi condemnandus est." (Ebenda, Bd. 1, S. 841) 55 „In bonis mensularii vendundis post privilegia potiorem eorum causam esse placuit, qui pecunias apud mensam fidem publicam secuti deposuerunt. Set enim qui depositis numis usuras a mensulariis accepurunt, a ceteris creditoribus non seperantur; et merito, aliud est enim credere, aliud deponere." (Ebenda, Bd. 3, S. 386)
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Aus den Worten von Ulpianus in diesem Abschnitt wird daher deutlich, dass Bankiers zwei verschiedene Arten von Funktionen ausübten: Einerseits akzeptierten sie Depositen, die kein Recht auf Zinszahlung beinhalteten und den Depositar verpflichteten, die vollständige und ständige Verfügbarkeit des Tantundems zugunsten des Deponenten zu gewährleisten, der bei einem Bankrott ein absolutes Vorrecht besaß. Andererseits erhielten sie Darlehen (Mutuumverträge), die den Bankier verpflichteten Zinsen, an den Darlehensgeber zu zahlen, der keinerlei Vorrecht bei einem Bankrott innehatte. Weder hätte Ulpianus in seinen Schlussfolgerungen eine größere Klarheit in der Unterscheidung beider Verträge zeigen können, noch hätte er in den Lösungen der verschiedenen Fälle eine größere Gerechtigkeit an den Tag legen können. Die klassischen römischen Juristen entdeckten und analysierten die universellen Rechtsprinzipien, die den Vertrag des monetären Depositum irreguläre bestimmen. Und diese Analyse trifft natürlich mit der Entwicklung einer bedeutenden Geschäfts- und Finanzwirtschaft zusammen, in der die Bankiers eine wichtige Rolle erlangt hatten. Außerdem tauchten diese Prinzipien, trotz der ernsten ökonomischen und unternehmerischen Rezession, die durch den Untergang des Römischen Reiches und den Anbruch des Mittelalters bedingt war, später in den mittelalterlichen Gesetzbüchern verschiedener europäischer Länder, auch in Spanien, auf. In Las Partidas (Gesetz 2, Titel 3, Punkt 5) ist festgelegt, dass eine Person, die einwilligt, die Güter einer anderen Person zu verwahren, Teil eines Depositum irreguläre ist, bei dem ihr die Kontrolle der Güter übertragen wird. Nichtsdestoweniger ist sie, abhängig von den Vereinbarungen des jeweiligen Schriftstücks, verpflichtet, ein Gut bzw. den Wert, den der Vertrag jedem Gut zuweist, für jedes Gut zurückzugeben, das aus dem Depositum verschwunden ist, entweder weil es mit der Erlaubnis des ursprünglichen Eigentümers verkauft wurde oder weil es aus anderen unerwarteten Gründen entfernt wurde. 56 Des Weiteren wird im Fuero Real (Gesetz 5, Titel 15, Buch 3) unterschieden zwischen dem Depositum „von abgezähltem Geld, unverarbeitetem Silber oder Gold", das von „einem anderen nach
Papinianus seinerseits schreibt, dass, wenn ein Depositar nicht seinen Verpflichtungen nachkommt, zur Rückgabe der deponierten Gelder nicht nur die Depositen, die sich im Vermögen des Depositars befinden, herangezogen werden können, sondern dass dazu alle Vermögenswerte des Betrügers genutzt werden können. Das Recht des Deponenten „erstreckt sich nicht nur auf die deponierten Gelder, die sich noch im Vermögen des Bankiers befinden, sondern auf alle Vermögenswerte des Betrügers; und dies dient dem öffentlichen Nutzen angesichts der Notwendigkeit der Bankdienste. Indes haben notwendige Ausgaben immer Vorrang, da die Berechnung der Vermögenswerte nach Abzug dieser erfolgt." (Das hier reflektierte Prinzip der unbegrenzten Haftung der Bankiers findet sich in Punkt 8, Titel 3, Buch 16 des Digest.) 56 In Las Partidas werden Depositen condesijos [versteckte Depositen] genannt. Im Gesetz 2 dieses Werkes lesen wir, dass „die Kontrolle über das Eigentum der Güter, die einem anderen zur sicheren Aufbewahrung gegeben werden, wird nicht auf den Empfänger dieser Güter übertragen, außer wenn das Depositum bei der Abgabe gezählt, gewogen oder gemessen wird. Er muss jedoch das Gut oder eine Menge eines anderen zurückgeben, die der Menge gleich ist, die ihm zur sicheren Aufbewahrung übergeben wurde." Dieses Thema wird mit äußerster Eloquenz und Klarheit in Las Partidas behandelt. Vgl. Las Siete Partidas, kommentiert durch den Universitätsabsolventen Gregorio Lopez; Faksimile Ausgabe durch das Boletin Oficial del Estado [ein offizielles Amtsblatt] (Madrid, 1985), Bd. 3, 5. Partida, Titel 3, Gesetz 2, S. 7 - 8 .
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Die rechtliche Natur des monetären Depositum irreguläre
Gewicht" in Empfang genommen wird, und dem Depositum, „das versiegelt ist und nicht gezählt oder nach Gewicht gemessen wird". Im ersten Fall „dürfen die Güter benutzt und Güter derselben Quantität und Qualität wie die empfangenen zurückgegeben werden". Im zweiten Fall „darf das Depositum nicht benutzt werden, und falls dies doch geschieht, muss das Doppelte zurückgezahlt werden." 57 Diese mittelalterlichen Gesetzbücher enthalten eine klare Unterscheidung zwischen dem Depositum reguläre eines spezifischen Gutes und dem Depositum irreguläre des Geldes und weisen darauf hin, dass bei Letzterem Eigentum übertragen wird. Jedoch enthalten die Gesetzbücher nicht die wichtige Klarstellung, die im Corpus Juris Civilis gemacht wird, dass, obgleich das Eigentum „übertragen" wird, die Verpflichtung der sicheren Aufbewahrung ebenso erhalten bleibt wie die Pflicht, das Äquivalent in Quantität und Qualität (Tantundem) des ursprünglichen Depositums ständig für den Deponenten bereitzuhalten. Vielleicht liegt der Grund für diese Auslassung in der steigenden Verbreitung des Depositum confessatum. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die römische Rechtstradition die Institution des monetären Depositum irreguläre, seine bestimmenden Prinzipien sowie die grundlegenden Unterschiede zwischen diesem Vertrag und anderen Rechtsinstitutionen oder Verträgen, wie das Darlehen bzw. Mutuum, richtig definiert hat. Im nächsten Kapitel werden wir verschiedene Wege betrachten, mit denen die grundlegenden Prinzipien, welche die menschlichen Interaktionen beim monetären Depositum irreguläre regeln (und besonders die im Vertrag impliziten Rechte der Verfügbarkeit und des Eigentums), über den Verlauf der Jahrhunderte infolge der verknüpften Handlungen der Bankiers und Politiker allmählich korrumpiert wurden. Wir werden die Umstände wie auch die Gründe analysieren, die diese Entwicklung möglich machten. In Kapitel 3 werden wir die verschiedenen Versuche untersuchen, die von Juristen unternommen wurden, um die Verträge zu rechtfertigen, die sich entgegen den traditionellen Rechtsprinzipien nach und nach durchsetzten. Sodann werden wir in Kapitel 4 beginnen, die ökonomischen Konsequenzen dieser Entwicklung zu betrachten.
57 Vgl. die Referenz von Juan Roca Juan hinsichtlich des Fuero Real in seinem Artikel über „El depósito de dinero", in Comentarios al Código Civil y Compilacones Forales, Bd. 1, Buch 22, S. 249.
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Historische Verletzungen der den Vertrag des monetären Depositum irreguläre bestimmenden Rechtsprinzipien
In diesem Kapitel werden wir anhand verschiedener Beispiele aufzeigen, wie die Bankiers im Verlauf der Geschichte die traditionellen Rechtsprinzipien des Depositum irreguläre verletzt haben; und wir werden die Gründe für das Versagen der gesellschaftlichen Regulierungsmechanismen zur Unterbindung dieser Missbräuche betrachten. Wir werden auch die Rolle der Regierungen in diesem Prozess ins Auge fassen. Weit davon entfernt, sich um eine bedingungslose Verteidigung von Eigentumsrechten zu bemühen, unterstützten diese vielmehr beinahe von Beginn an die unrechtmäßigen Aktivitäten der Bankiers und gewährten diesen Ausnahmen und Privilegien, um aus deren Aktivitäten Vorteile für ihre eigenen Zwecke zu ziehen. Darin liegt die intime Komplizenschaft und Solidarität begründet, die traditionell (und noch heute) die Beziehungen zwischen Staats- und Bankinstitutionen bestimmt. Um zu verstehen, warum die verschiedenen Versuche misslangen, die Missbräuche juristisch zu rechtfertigen, müssen wir zunächst den rechtlich korrupten Ursprung der Teildeckung bei monetären Bankdepositen verstehen. Wir werden die Rechtfertigungsversuche in Kapitel 3 untersuchen. 2.1
Einleitung
Im letzten Kapitel haben wir die klare, kohärent rechtliche Natur des Vertrages des monetären Depositum irreguläre dargelegt. Zweifellos kannten jene, die anfangs Geld von ihren Mitmenschen zur sicheren Aufbewahrung erhielten, die Verpflichtungen, die sie auf sich nahmen, im Besonderen die Verpflichtung, das Tantundem wie gute Eltern zu schützen und ständig dem Hinterleger verfügbar zu halten. Dies ist gerade die Bedeutung der sicheren Aufbewahrung beim Depositenvertrag eines fungiblen Gutes. Indes ist, während die rechtliche Natur des Vertrages des Depositum irreguläre klar und einfach zu verstehen ist, die menschliche Natur unvollkommen und schwach. Es ist daher verständlich, dass jene, welche die Gelddepositen empfingen, versucht waren, die Verpflichtung der sicheren Aufbewahrung zu verletzen und das Geld, das sie für andere hätten verfügbar halten sollen, zu ihrem eigenen Zwecke zu gebrauchen. Die Versuchung war sehr stark: Ohne dass die Hinterleger es bemerkten, verfügten die Bankiers über große Geldsummen; und sofern die Gelder geschickt eingesetzt wurden, konnten bedeutende Gewinne bzw. Zinsen erzielt werden, welche die Bankiers behalten konnten, ohne dass irgendjemand öffentlich geschädigt wurde.58 Angesichts der Schwäche der menschlichen 58 Wir beziehen uns hier auf die offensichtlichste Gewinnquelle, die ursprünglich die Bankiers zum Missbrauch des Geldes der Hinterleger anregte. In Kapitel 4 werden wir eine Quelle noch größerer Gewinne untersuchen: die Fähigkeit der Bankiers, Geld zu emittieren sowie Darlehen und Depositen aus dem Nichts zu schaffen. Der daraus resultierende Gewinn ist um vieles größer; jedoch ist es klar, wie es sich bei einem abstrakten Prozess ergibt, dass diese Art der Gewinnmöglichkeit noch nicht einmal von den Bankiers bis zu einem späten Punkt in der Evolution des Finanzwesens vollkommen verstanden wurde. Trotzdem bedeutet die Tatsache, dass sie die
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Historische V e r l e t z u n g e n der den Vertrag b e s t i m m e n d e n Rechtsprinzipien
Natur und der beinahe unwiderstehlichen Versuchung für die Bankiers ist es verständlich, dass die traditionellen Prinzipien der sicheren Aufbewahrung, auf denen der Vertrag des monetären Depositum irreguläre ruht, von Beginn an auf eine verheimlichende Art verletzt wurde. Überdies bemerkten angesichts der abstrakten und verwirrenden Natur des Geldwesens die meisten Bürger und die Mehrheit der Regierenden, die für die Durchsetzung der moralischen und rechtlichen Prinzipien verantwortlich waren, mit der Ausnahme von Einzelfallen dieses Phänomen nicht. Und als schließlich die Missbräuche und Betrugsfälle an die Oberfläche kamen und besser verstanden wurden, hatte sich die Institution des Bankwesens schon so lange etabliert und eine solche Macht erlangt, dass es praktisch unmöglich war, die Missbräuche effektiv zu zügeln. Außerdem entdeckten die Regierenden allmählich die immense Macht der Banken, Geld zu schaffen. Dies erklärt, warum die Regierungen in den meisten Fällen zu Komplizen des Bankbetrugs wurden, indem sie den Bankiers Privilegien gewährten und die betrügerische Aktivität legalisierten im Tausch gegen die Möglichkeit, direkt oder indirekt an den enormen Gewinnen zu partizipieren. Auf diese Weise etablierten sie eine bedeutende alternative Quelle der Staatsfinanzierung. Diese Zersetzung der traditionellen Staatsaufgabe, Eigentumsrechte zu definieren und zu verteidigen, wurde darüber hinaus durch den enormen und immer wiederkehrenden Ressourcenbedarf der Regierungen gefördert, der durch deren historische Verantwortungslosigkeit und das Fehlen einer finanziellen Kontrolle bedingt ist. Auf diese Weise wurde eine immer perfektere Symbiose oder Gemeinschaft an Interessen zwischen Regierungen und Bankiers geformt; eine Beziehung, die zu einem großen Maße bis heute existiert. Indes begannen einige scharfsinnige Denker schon vor langer Zeit, die oben dargestellte Situation trotz ihrer Komplexität zu verstehen. Doktor Saravia de la Calle schreibt in seinem Buch Instrucción de mercaderes die zerstörerischen Effekte des Bankwesen der Tatsache zu, dass „des M e n s c h e n unersättliche H a b g i e r seine A n g s t v o r Gott und sein S c h a m g e f ü h l so gründlich vertrieben hat, und ich glaube sogar, dass dies auf die Nachlässigkeit der geistigen und w e l t l i c h e n Führer der Republik zurückzuführen ist." 5 9
Falls Saravia de la Calles Analyse irgendeine Schwäche hat, dann ist es das Übermaß an Großzügigkeit gegenüber den Führern der Republik. Er schreibt richtigerweise den Betrug beim Depositum irreguläre der Schwachheit oder Habgier des Menschen zu, aber er macht die Führer nur für ihre „Nachlässigkeit" verantwortlich, den Missbräuchen kein Ende gesetzt zu haben. Die historischen Vorkommnisse enthüllen, dass sich die Regierungen, ganz abgesehen von einer unleugbaren
zweite Gewinnart nicht verstanden, sondern nur intuitiv wahrnahmen, nicht, dass sie diese nicht vollständig ausgenutzt hätten. In Kapitel 4 werden wir erklären, wie die Verletzung der traditionellen Rechtsprinzipien durch die Bankiers mittels Teildeckungsbanken es ermöglicht, Darlehen aus dem Nichts zu schaffen, die dann in hartem Bargeld (und mit Zinsen) zurückgefordert werden. Kurz gesagt handelt es sich um eine konstante, privilegierte Finanzierungsquelle in der Form von Depositen, die Bankiers aus dem Nichts schaffen und fortwährend für ihre eigenen Zwecke nutzen. 59 Luis Saravia de la Calle, Instrucción de mercaderes (Medina del Campo: Pedro de Castro, 1544; Madrid: Colección de Joyas Bibliográficas, 1949), Kapitel 8, S. 179.
Einleitung
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Nachlässigkeit, in vielen Fällen eindeutig und explizit die großen Gewinne des Bankgeschäfts" zunutze gemacht haben. Außerdem werden wir sehen, dass die Regierenden in anderen Fällen den Bankiers nicht nur Privilegien gewährt haben, sodass diese ihre Aktivitäten ungestraft im Tausch für gewisse Gefälligkeiten durchführen konnten, sondern dass sie sogar Staatsbanken schufen, um sich die entsprechenden Gewinne direkt zunutze zu machen. Obgleich sich die Bankaktivitäten vor langer Zeit entwickelten und praktisch mit der Entstehung des Geldes, dem Beginn des Handels und den ersten Ansätzen der Arbeitsteilung zusammenfielen,60 werden wir die Verletzung der traditionellen Rechtsprinzipien beim Depositum irreguläre durch Bankiers und Regierende anhand von drei verschiedenen historischen Fällen aufzeigen und illustrieren: die griechisch-römische Welt, die mediterranen Handelsstädte des späten Mittelalters und des Beginns der Renaissance und schließlich das Entstehen der ersten wichtigen Staatsbanken zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Des Weiteren führte die Evolution des Bankwesens in diesen drei separaten historischen Fällen größtenteils zu den gleichen typischen Ergebnissen. In der Tat beobachten wir in jedem der Fälle, dass sich perverse Effekte einstellten, sobald die Menschen begannen, die traditionellen Rechtsprinzipien zu verletzen, nicht nur in der Form von Bankzusammenbrüchen, sondern auch in Gestalt schwerer finanzieller und wirtschaftlicher Krisen. In den folgenden historischen Beispielen wurde jeweils der gleiche Betrug begangen, gefolgt von den gleichen typischen Etappen und Ergebnissen
60 Der Archäologe Lenor Mant hat in den Ruinen Babylons eine Tontafel mit einer Inschrift entdeckt, die den Handel zwischen den Städten und den Gebrauch von kaufmännischen und finanziellen Zahlungsmethoden bezeugt. Die Tafel erwähnt einen gewissen Ardu-Nama (der Wechselaussteller), der einen gewissen Marduk-Bal-at-Irib (der Wechselbezogene) der Stadt Orkoe anweist, in Ardu-Namas Namen die Summe von vier Minen und fünfzehn Schekel Silber in einem festgesetzten Zeitraum zu zahlen. Dieses Dokument ist mit dem 14. Arakhsamna des zweiten Jahres der Herrschaft des Nabonaid datiert. Der Forscher Hilprecht hat seinerseits in den Ruinen der Stadt Nippur die Summe von 730 gebrannten Tontafeln mit Inschriften entdeckt, von denen angenommen wird, dass sie aus dem Archiv einer Bank stammen, die in der Stadt 400 v. Chr. existierte und Nurashu und Söhne genannt wurde (vgl. „Origen y desenvolvimiento histórico de los bancos", in Enciclopedia universal ilustrada europeo-americana [Madrid: Editorial Espasa-Calpe, 1979], Bd. 7, S. 477). Joaquín Trigo wiederum - abgesehen davon, dass er uns die obige Information liefert - berichtet, dass etwa um das Jahr 3300 v. Chr. der Tempel von Uruk der Eigentümer der Ländereien war, die er verwaltete, und Opfergaben und Depositen empfing sowie Bauern und Händlern von Vieh und Getreide Darlehen gewährte und somit zur ersten Bank der Geschichte wurde. Im Britischen Museum finden wir auch Tafeln, welche die Finanzoperationen der Bank „Söhne des Egibi" dokumentieren. Die Folge der Tafeln zeigt, dass ab der Zeit der Assyrer und für mehr als 180 Jahre diese Institution von einer richtigen Finanzdynastie kontrolliert wurde. Der Kodex Hammurabi erleichterte die Übertragung von Eigentum und regulierte die mit ihm verbundenen Rechte sowie die Handelsaktivitäten auf das Genaueste. Femer setzte er Höchstgrenzen der Zinssätze fest und etablierte sogar öffentliche Darlehen zu einem Zinssatz von 12,5 Prozent. Auch Personengesellschaften und die Buchführung wurden reguliert. Die Manusmriti Indiens verweisen ebenso auf Bank- und Finanzoperationen. Kurzum deutet vieles darauf hin, dass die ersten Finanzoperationen zwischen 2300 und 2100 v. Chr. vorgenommen wurden, obgleich das „Bankgeschäft sich zwischen 730 und 540 v. Chr. auszubreiten begann, als die Assyrer und die neuen babylonischen Dynastien einen sicheren Handel gewährleisteten, was zur Entstehung von spezialisierten Banken führte. Diese Aktivität breitete sich auch nach Ägypten aus und später von dort in die Welt der griechischen Antike (Joaquín Trigo Pórtela, „Historia de la banca", Kapitel 3 der Enciclopedia práctica de la banca (Barcelona: Editorial Planeta, 1989), Bd. 6, vor allem S. 234-37).
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Historische Verletzungen der den Vertrag bestimmenden Rechtsprinzipien
sowie den gleichen fehlgeschlagenen Versuchen, die traditionellen Prinzipien der sicheren Aufbewahrung durchzusetzen. Die gleichen zerstörerischen Effekte folgen dann unerbittlich; und dieser Prozess wiederholt sich wieder und wieder bis zum heutigen Tag. Nun werden wir die Verletzung der Rechtsprinzipien und die Mittäterschaft der Regierenden beim Betrug und Missbrauch durch die Banken über die ganze Historie hinweg untersuchen. 2.2
Das Bankwesen in Griechenland und Rom
Im antiken Griechenland fungierten Tempel als Banken, die den Individuen und Monarchen Geld verliehen. Aus religiösen Gründen wurden Tempel als unantastbar betrachtet und wurden zu einer relativ sicheren Zufluchtsstätte für Geld. Außerdem besaßen sie ihre eigenen Milizen, um sich zu verteidigen, und ihr Reichtum weckte das Vertrauen der Deponenten. Vom finanziellen Standpunkt aus betrachtet waren die folgenden griechischen Tempel die Wichtigsten: der Apollotempel in Delphi, der Artemistempel in Ephesus und der Heratempel in Samos. 2.2.1 Trapezitei oder griechische Bankiers
Glücklicherweise stehen uns bestimmte dokumentarische Quellen über das Bankwesen Griechenlands zur Verfügung. Die erste und vielleicht wichtigste ist die Trapezitica61, die von Isokrates62 um das Jahr 393 v. Chr. verfasst worden ist. Es ist eine juristische Rede, in der Isokrates den Sohn eines Günstlings des Satyros,
61 Raymond de Roover hebt hervor, dass der derzeit geläufige Begriff „Bankier" aus Florenz stammt, wo die Bankiers entweder „banchieri" oder „tavolieri" genannt wurden, weil sie hinter einer Bank („banco") oder einem Tisch („tavola") sitzend arbeiteten. Die gleiche Logik stand auch hinter der im antiken Griechenland gebräuchlichen Terminologie, wo die Bankiers „trapezitei" gerufen wurden, weil sie an einem „trapeza", einem Tisch, arbeiteten. Aus diesem Grund ist Isokrates' Rede „Über eine Bankangelegenheit" für gewöhnlich als Trapezitica bekannt. Vgl. Raymond de Roover, The Rise and Decline of the Medici Bank, 1397-1494 (Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 1963), S. 15. Der große Diego de Covarrubias y Leyva weist seinerseits darauf hin, dass „die Entlohnung, die den Geldwechslern für den Tausch des Geldes gezahlt wurde, bei den Griechen als Collybus bezeichnet wurde und die Geldwechsler daher Collybisten genannt wurden. Sie wurden auch Nummularii und Argentarii ebenso wie Trapezitii, Mensularii oder Bankiers genannt, weil sie neben dem Geldwechsel ein weitaus gewinnbringenderes Geschäft ausübten: Sie erhielten Geld zur sicheren Aufbewahrung und verliehen gegen Zinsen ihr eigenes Geld und das anderer." Vgl. Kapitel 7 des Veterum collatio numismatum, veröffentlicht im Omnium operum in Salamanca im Jahr 1577. 62 Isokrates war einer der antiken Macröbioi und erreichte beinahe sein hundertstes Lebensjahr (436-338 v. Chr.). Sein Leben begann in den letzten friedvollen Jahren nach dem athenischen Sieg gegen Persien und umspannte den Peloponnesischen Krieg, die Vorherrschaft Spartas, die Hegemonie Thebens und die makedonische Expansion, die mit der Schlacht von Chaironeia endete, in der Philipp IL, im Jahr von Isokrates' Tod, die griechischen Städte besiegte. Isokrates' Vater, Theodoras, war ein Bürger der Mittelschicht, dessen Flötenmanufaktur ihm zu ansehnlichem Wohlstand verholfen hatte und es ihm erlaubte, seinen Kindern eine exzellente Erziehung angedeihen zu lassen. Unter Isokrates' direkten Lehrern scheinen Thermines, Gorgias und vor allem Sokrates gewesen zu sein (es gibt einen Abschnitt im Phaidros, in dem Piaton, durch den Mund des Sokrates sprechend, den jungen Isokrates preist und - offensichtlich ironisch - dessen große Zukunft voraussagt). Isokrates war ein Logograf, d.h., er schrieb juristische Reden für andere (Leute, die vor Gericht klagten oder ihre Rechte verteidigten). Später eröffnete er eine
Das Bankwesen in Griechenland und Rom
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König des Bosporus, verteidigt. Der Sohn klagt Passio, einen Athener Bankier, der widerrechtlichen Aneignung eines Depositums an, das diesem anvertraut worden war. Passio war ein ehemaliger Sklave anderer Bankiers (Antisthenes und Archetratos), deren Vertrauen er erworben hatte und deren Erfolg er sogar übertraf, wofür ihm das athenische Bürgerrecht verliehen wurde. Isokrates' juristische Rede beschreibt den Versuch des Passio, sich die seiner Bank anvertrauten Depositen anzueignen, indem er schwierige Umstände seines Deponenten ausnutzte, wofür er ohne Skrupel täuschte, Urkunden fälschte und stahl sowie bestach. Auf jeden Fall ist diese Rede so bedeutend für unser Thema, dass es unsere Anstrengung Wert ist, einige Passagen im Detail zu betrachten. Isokrates beginnt seine Argumentation mit dem Hinweis, dass es sehr gewagt ist, einen Bankier zu verklagen, weil „Geschäfte mit Bankiers ohne Zeugen gemacht werden und die geschädigten Parteien sich gezwungenermaßen gerade gegenüber Leuten in Gefahr bringen müssen, die viele Freunde haben, über große Geldsummen glaubwürdig erscheinen."63
verfügen und durch ihren Beruf als
Es ist interessant, den Gebrauch zu bedenken, den Bankiers immer schon von all ihrem sozialen Einfluss und ihrer Macht (die gewaltig ist in Anbetracht der Anzahl und des Status der Personen, die von ihnen Darlehen erhalten und ihnen Gefallen schulden) gemacht haben, um ihre Privilegien zu verteidigen und in ihrer betrügerischen Aktivität fortzufahren. 64
Rhetorikschule in Athen. Für Informationen über Isokrates vgl. Juan Manuel Guzmán Hermidas „Introducción General" zu den Discursos (Madrid: Biblioteca Clásica Gredos, 1979), Bd. 1, S. 7 - 4 3 . 63 Isokrates, „Über eine Bankangelegenheit", in Discursos I, S. 112. 64 Mehr als 2200 Jahre nach Isokrates hat auch der pennsylvanische Senator Condy Raguet erkannt, welche große Macht die Bankiers haben und wie sie diese dazu einsetzen, ihre Feinde einzuschüchtern und in jeder möglichen Form Deponenten von einer Entnahme ihrer Depositen zu entmutigen und diese Entnahmen zu erschweren, in der eitlen Hoffnung, so u. a. Krisen zu verhindern. Condy Raguet folgert, dass der Druck beinahe unerträglich ist und dass „an independent man, who was neither a stockholder or a debtor who would have ventured to compel the banks to do justice, would have been persecuted as an enemy of society". Vgl. den Brief von Raguet an Ricardo vom 18. April 1821, veröffentlicht in David Ricardo, Minor Papers on the Currency Question 1805-1823, Jacob Hollander, Hrsg. (Baltimore: The Johns Hopkins University Press, 1932). Dieselbe Idee war schon beinahe 300 Jahre früher von Saravia de la Calle formuliert worden. Er zeigte die Hindemisse auf, welche die Bankiers geschaffen hatten, um die Deponenten von der Entnahme ihres Geldes abzuhalten - wogegen nur wenige zu protestieren wagten -, und führte an, dass „tausende andere Erniedrigungen bestehen, die ihr jenen auferlegt, die ihr Geld bei euch entnehmen wollen; ihr haltet sie zurück und lasst sie ihr Geld verschleudern und droht sie in schlechter Währung auszuzahlen. Auf diese Art zwingt ihr sie, euch alles, was ihr wollt, zu geben. Ihr habt diesen Weg zu stehlen gefunden, denn wenn sie daran gehen, ihr Geld zu entnehmen, wagen sie es nicht, nach Bargeld zu fragen, sondern überlassen euch das Geld für größere und noch teuflischere Gewinne." (Instrucción de mercaderes, S. 183). Richard Cantillon erwähnt eine Liste von Tricks, die Bankiers nutzen, um die Auszahlung der Depositen zu verzögern. Sie ist in seinem Essay sur la nature du commerce in général (London: Fletcher Gycles, 1755), S. 425-426 zu finden. In der deutschen Ausgabe, Abhandlung über die Natur des Handels im allgemeinen [Jena: Gustav Fischer, 1931], ist die Liste auf S. 205-06 zu finden.
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Historische Verletzungen der den Vertrag bestimmenden Rechtsprinzipien
Isokrates erklärt, dass sein Mandant, der eine Reise plante, eine große Geldsumme in Passios Bank hinterlegte. Als Isokrates' Mandant nach einer Reihe von Abenteuern sein Geld entnehmen wollte, behauptete der Bankier, dass er „momentan keine Geldmittel hätte und es nicht zurückgeben könnte". Anstatt seine Situation einzugestehen, bestritt der Bankier dennoch öffentlich die Existenz eines Depositums oder einer Schuld zugunsten von Isokrates' Mandanten. Als der Mandant, äußerst überrascht vom Verhalten des Bankiers, erneut die Auszahlung von Passio forderte, habe der Bankier, so der Mandant, „nachdem er seinen Kopf in seinen Händen begraben hatte, zu weinen angefangen und gesagt, dass er durch wirtschaftliche Schwierigkeiten gezwungen gewesen sei, mir mein Depositum vorzuenthalten, er aber in Kürze versuchen werde, mir das Geld zurückzugeben; er bat mich, mit ihm Mitleid zu haben und seine elendige Situation geheim zu halten, sodass nicht entdeckt würde, dass er einen Betrug begangen hatte."65
Es ist daher offensichtlich, dass im griechischen Bankwesen, wie Isokrates in seiner Rede andeutet, Bankiers, die Geld zur sicheren Aufbewahrung und Bewachung erhielten, verpflichtet waren, es so aufzubewahren, dass es ihren Kunden zur Verfügung stand. Aus diesem Grunde wurde die Benutzung des Geldes durch den Bankier zu dessen eigenem Gebrauch als Betrug angesehen. Sehr bezeichnend ist auch der Versuch, diese Art des Betruges geheim zu halten, sodass die Leute ihr Vertrauen in die Bankiers bewahrten und Letztere ihr betrügerisches Geschäft fortsetzen konnten. Zudem können wir aus Isokrates' Rede ableiten, dass dies für Passio kein isolierter Fall des Betrugs war, um sich unter günstigen Gegebenheiten das Geld eines Kunden anzueignen, sondern dass der Bankier Schwierigkeiten hatte, das Geld zurückzugeben, weil er keine hundertprozentige Reservedeckung aufrechterhalten und das deponierte Geld in Privatgeschäften genutzt hatte, sodass dass ihm kein anderer „Ausweg" blieb, als öffentlich die Existenz des Depositums zu leugnen. Isokrates fährt mit seiner Rede fort, indem er wieder seinen Klienten zitiert, der aussagt: „Weil ich dachte, er würde den Vorfall bedauern, schloss ich mit ihm einen Kompromiss und wies ihn an, einen Weg zu finden, mir mein Geld zurückzugeben und gleichzeitig sein Gesicht zu wahren. Wir trafen uns drei Tage später und versprachen beide, das Vorgefallene als Geheimnis zu bewahren; (er brach sein Versprechen, wie wir im Verlaufe meiner Rede noch erfahren werden). Er stimmte zu, mit mir nach Pontus zu segeln und mir dort das Gold zurückzugeben; auf diese Weise würde niemand von hier die Details der Auflösung erfahren und nach der Rückfahrt könnte er sagen, was immer er wollte."
Endlich erwähnt auch Karl Marx die Angst und Ehrfurcht, die Bankiers in jedem erregen. Er zitiert die folgenden ironischen Worte von G. M. Bell: „Das Stimrunzeln des Bankiers hat mehr Einfluss auf ihn, als die Moralpredigten seiner Freunde; zittert er nicht, im Verdacht zu stehn, sich einer Täuschung oder der kleinsten unrichtigen Aussage schuldig gemacht zu haben, aus Furcht, dies könne Verdacht erregen, und infolgedessen könne seine Bankakkommodation beschränkt oder gekündigt werden! Der Rat des Bankiers ist ihm wichtiger als der des Geistlichen." (Karl Marx, Werke, Band 25, „Das Kapital", Bd. III, Fünfter Abschnitt [Berlin/DDR: Dietz Verlag 1983], S. 561). 65 Isokrates, „Über eine Bankangelegenheit", S. 114 und 117.
Das Bankwesen in Griechenland und Rom
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Dennoch streitet Passio diese Abmachung ab, lässt die Sklaven verschwinden, die seine Zeugen waren, und fälscht und stiehlt die Dokumente, die notwendig sind, um zeigen zu können, dass der Kunde bei ihm Schulden anstatt eines Depositums hatte. In Anbetracht der Geheimnistuerei, mit der die Bankiers die meisten ihrer Geschäfte betrieben, und der geheimnisvollen Natur der meisten Depositen66 wurden keine Zeugen berufen, und Isokrates war gezwungen, indirekte Zeugen zu präsentieren, die wussten, dass der Deponent eine große Geldsumme zurückgelegt und dabei Passios Bank benutzt hatte. Außerdem wussten die Zeugen, dass zu der Zeit, als das Depositum gemacht wurde, der Deponent mehr als eintausend Stater in Gold getauscht hatte. Des Weiteren behauptet Isokrates, dass der Punkt, der die größte Aussicht darauf hatte, die Richter von der Existenz des Depositums und der Tatsache zu überzeugen, dass Passio es sich anzueignen versuchte, der Umstand war, dass sich Passio immer weigerte, „den Sklaven, der von dem Depositum wusste, zur Befragung unter Folter auszuliefern. Was für ein stärkerer Beweis existiert in Verträgen mit Bankiers? Wir schließen sie ohne Zeugen ab."67 Obwohl wir keinen dokumentarischen Beleg des Gerichtsurteils haben, ist es sicher, dass Passio entweder schuldig gesprochen wurde oder es zu einem Kompromiss mit dem Kläger kam. Auf jeden Fall scheint es, dass er sich anschließend anständig benahm und das Vertrauen der Stadt wiedergewann. Sein Haus erbte Phormio, ein alter Sklave von ihm, der sein Geschäft erfolgreich übernahm. Weitere interessante Informationen über die Aktivitäten von Bankiers in Griechenland stammen aus einer Gerichtsrede, die Demosthenes zu Ehren des Phormio schrieb. Demosthenes deutet an, dass Passio zur Zeit seines Todes noch offene Darlehen in Höhe von 50 Talenten besaß und von diesem Betrag „11 Talente aus Bankdepositen stammten". Obwohl es unklar ist, ob es sich um Termineinlagen oder Sichteinlagen handelte, fügt Demosthenes hinzu, dass die Gewinne des Bankiers „unsicher waren und vom Geld anderer kamen". Demosthenes folgert, dass es „unter Männern, die mit Geld arbeiten, bewundernswert ist, wenn dieselbe Person als harter Arbeiter und als ehrlich gilt", denn „das Vertrauen gehört allen und ist das für die Geschäfte wichtigste Kapital". Kurzum basierte das Bankwesen auf dem Vertrauen der Deponenten, der Ehrlichkeit der Bankiers und dem Sachverhalt, dass das den Bankiers zum Gewinn geliehene Geld mit der größten Klugheit und Vernunft genutzt werden sollte. Jedenfalls gibt es viele Indikatoren, dass sich die griechischen Bankiers nicht immer an diese Richtlinien hielten und das Geld der Sichteinlagen für sich selbst nutzten, wie es bei Isokrates in den Trapezitica beschrieben wird und wie es Demosthenes in seiner Rede für Phormio von anderen
66 Die Griechen unterschieden zwischen monetären Sichteinlagen („phanerä ousia") und unsichtbaren Depositen („aphanes ousia"). Die Unterscheidung bezieht sich anscheinend weniger auf die Frage, ob das Geld ständig dem Deponenten verfügbar war (in beiden Fällen sollte es das sein), sondern darauf, ob das Depositum und sein Betrag öffentlich bekannt waren. Fall sie bekannt waren, konnte das Geld, hauptsächlich aus steuerlichen Gründen, beschlagnahmt oder konfisziert werden. 67 Isokrates, „Über eine Bankangelegenheit", S. 116.
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Bankiers berichtet (die als Folge von derartigen Aktivitäten Bankrott gingen). Dies trifft auf Aristolochus zu, der ein Feld besaß, das „er kaufte, währenddessen er Gold an viele Leute schuldete", wie auch auf Sosynomus, Timodemus und andere, die Bankrott gingen und die, „wenn es notwendig wurde, jene zu bezahlen, denen sie Geld schuldeten, alle Zahlungen einstellten und ihre Vermögenswerte den Gläubigern übergaben". 68 Demosthenes schrieb noch weitere Reden, die wichtige Informationen über das griechische Bankwesen enthalten. Zum Beispiel konstatiert er in „Gegen Olympiodorus, wegen der Schäden" 69 ausdrücklich, dass ein gewisser Como „Geld als Sichteinlagen an die Bank des Heraclides gab und das Geld für Begräbnis- und andere rituelle Zeremonien sowie das Errichten eines Grabdenkmals ausgegeben wurde". Es handelt sich demnach in diesem Fall um eine Sichteinlage des Verstorbenen, die von seinen Erben nach seinem Tod entnommen wurde, um die Begräbniskosten zu decken. Weitere Informationen über die Bankpraktiken bietet die Rede „Gegen Timotheos, wegen einer Schuld" in der Demosthenes bestätigt, dass „Bankiers die Gewohnheit haben, Einträge für die Beträge, die sie ausgeben, und für die Depositen, die sie erhalten, vorzunehmen, sodass die a u s g e g e b e n e n u n d erhaltenen Beträge beim Blick auf ihre Bilanzen bekannt sind". 7 0
Diese 362 v. Chr. gehaltene Rede dokumentiert als erste, dass Bankiers Einträge der Depositen ihrer Kunden und der Geldentnahmen vornahmen. 71 Demosthenes erklärt zudem, wie die Bankkonten funktionierten. Mittels dieser Art von Konten führten die Banken nach den Anweisungen der Hinterleger Zahlungen zugunsten dritter Parteien aus. 72 Als Beweis in diesem spezifischen Fall zog Demosthenes „die Bankbücher heran u n d forderte Kopien an, und nachdem ich sie dem Phrasierides gezeigt hatte, erlaubte ich ihm, die Bücher zu kontrollieren und den Betrag zu notieren, den dieses Individuum schuldete" 7 3 .
Endlich schließt Demosthenes seine Rede, indem er seine Besorgnis über die Alltäglichkeit von Bankzusammenbrüchen und die große Empörung zum Ausdruck bringt, die Bankrott gegangen Bankiers entgegengebracht wurde. Irrtümlicherweise führt Demosthenes die Bankzusammenbrüche auf Männer zurück, die
68 Demosthenes, Discursos privados I, Biblioteca Clásica Gredos {Madrid: Editorial Gredos, 1983), S. 1 5 7 - 8 0 . Die Textstellen sind auf den Seiten 162, 164 und 176 der obigen Ausgabe zu finden. Für weitere Informationen über Zusammenbrüche griechischer Banken vgl. Edward E. Cohen, Athenian Economy and Society: A Banking Perspective (Princeton, N. J.: Princeton University Press, 1992), S. 2 1 5 - 2 4 . Dennoch scheint Cohen nicht verstanden zu haben, wie die Kreditexpansion der Banken die wirtschaftlichen Krisen erzeugte, welche die Solvenz der Banken beeinträchtigten. 69 Demosthenes, Discursos privados II, Biblioteca Clásica Gredos (Madrid: Editorial Gredos, 1983), S. 7 9 - 9 8 . Die erwähnte Stelle kann im Haupttext auf Seite 86 gefunden werden. 70 Ebenda, S. 9 9 - 1 2 0 . Die zitierte Stelle ist auf Seite 102 zu finden. 71 G. J. Costouros, „Development of Banking and Related Book-Keeping Techniques in Ancient Greece", International Journal of Accounting 7, Nr. 2 (1973): 7 5 - 8 1 . 72 Demosthenes, Discursos privados II, S. 119. 73 Ebenda, S. 112.
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„in schwierigen Situationen um Darlehen fragten und glaubten, dass ihnen aufgrund ihrer Reputation Kredit bewilligt werden sollte; die jedoch, sobald sie sich wirtschaftlich erholt haben, das Geld nicht zurückzahlen, sondern es zu unterschlagen versuchen"74.
Wir müssen Demosthenes' Kommentar im Kontext der Gerichtsrede interpretieren, in der er seine Argumente präsentiert. Der genaue Zweck der Rede war es, Timotheos für das Nichtzurückgeben eines Bankdarlehens zu verklagen. Es wäre zu viel verlangt zu erwarten, dass Demosthenes erwähnt, dass die meisten Bankzusammenbrüche deshalb stattfanden, weil Bankiers ihre Verpflichtung zur sicheren Aufbewahrung der Sichteinlagen verletzten und das Geld so lange für sich selbst benutzten und es in private Geschäfte steckten, bis die Öffentlichkeit aus irgendeinem Grund das Vertrauen in die Banken verlor und versuchte, die Depositen zu entnehmen, und mit größter Empörung feststellen musste, dass das Geld nicht verfügbar war. Verschiedene Forschungen deuten an, dass die griechischen Bankiers gewöhnlich wussten, dass sie eine hundertprozentige Reservedeckung auf Sichteinlagen vorhalten sollten. Dies würde erklären, warum es keine Anzeichen von Zinszahlungen auf diese Depositen gibt und Athener Banken für gewöhnlich nicht als Kreditquellen betrachtet wurden.75 Die Kunden hinterlegten aus Sicherheitsgründen Depositen und erwarteten von den Banken die Bewachung und sichere Aufbewahrung sowie die zusätzlichen Vorteile der einfachen Dokumentation und Kassenführung und die Ausfuhrung von Zahlungen an Dritte. Die Tatsache, dass dies die grundlegenden Prinzipien des legitimen Bankwesens waren, verhinderte dennoch nicht, dass eine große Gruppe von Bankiers der (sehr gewinnträchtigen) Versuchung nachgab, sich Depositen anzueignen - eine betrügerische Aktivität, die relativ sicher war, solange die Leute das Vertrauen in die Bankiers bewahrten, jedoch auf lange Sicht dazu bestimmt war, im Bankrott zu enden. Wie wir anhand verschiedener historischer Beispiele illustrieren werden, bewirken Netzwerke betrügerischer Bankiers, die entgegen den allgemeinen rechtlichen Prinzipien mit einer Teildeckung operieren,
74 Ebenda, S. 120. 75 Im Hinblick auf das Athener Bankwesen bestätigt Stephen C. Todd, dass „Banken nicht als offensichtliche Kreditquellen betrachtet wurden ... es ist bezeichnend, dass unter hunderten in den Quellen bezeugten Darlehen nur elf von Bankiers geliehen waren; und es gibt in der Tat keinen Hinweis darauf, dass ein Hinterleger normalerweise erwarten konnte, von seiner Bank Zinsen zu erhalten." (S. C. Todd, The Shape of Athenian Law (Oxford: Clarendon Press, 1993), S. 251. Bogaert seinerseits bekräftigt, dass Bankiers keine Zinsen auf Sichteinlagen zahlten und sogar eine Kommission für die Bewachung und sicher Aufbewahrung erhoben: „Les dépôts de paiement pouvaient donc avoir différentes formes. Ce qu'ils ont en commun est l'absence d'intérêts. Dans aucun des cas précités nous n'en avons trouvé des demandé une commission pour la tenue de comptes de dépôts ou pour l'exécution des mandats." (Raymond Bogaert, Banques et banquiers dans les cités grecques [Leyden, Holland: A.W. Sijhoff, 1968], S. 336) Bogaert erwähnt zudem das Fehlen irgendeines Hinweises, dass die Athener Bankiers eine bestimmte Teildeckung aufrechterhielten („Nous ne possédons malheureeusement aucune indication concernant l'encaisse d'une banque antique", S. 364), obwohl wir wissen, dass verschiedene Bankiers, einschließlich Pison, betrügerisch handelten und keine hundertprozentige Reservedeckung aufrechterhielten. Als Folge davon konnten sie in vielen Fällen nicht zahlen und gingen bankrott.
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darüber hinaus eine Kreditexpansion76, die nicht von realen Ersparnissen gestützt wird und zu einem künstlichen und inflationären wirtschaftlichen Aufschwung fuhrt, der sich schließlich in Gestalt von Krisen und wirtschaftlichen Rezessionen umkehren wird, in denen die Banken unerbittlich zum Zusammenbruch neigen. Raymond Bogaert erwähnt die periodischen Krisen, die das Bankwesen des antiken Griechenlands erschütterten; besonders die wirtschaftlichen und finanziellen Rezessionen von 377-76 v. Chr. und 361 v. Chr., in denen u.a. die Banken von Timodemus, Sosynomus und Aristolochus zusammenbrachen. Obwohl diese Rezessionen durch den Angriff Spartas und den Sieg Thebens ausgelöst wurden, entwickeln sie sich nach einem eindeutigen Prozess inflationärer Expansion, in dem die betrügerischen Banken eine zentrale Rolle spielten.77 Die Quellen reflektieren zudem die ernste Bankenkrise, die in Ephesos in der Folge der Revolte gegen Mithridates stattfand. Die Krise veranlasste die Regierenden, dem Bankensektor sein erstes explizites und historisch dokumentiertes Privileg zu gewähren, das einen zehnjährigen Aufschub der Auszahlung von Depositen vorsah. 78 Jedenfalls waren die betrügerischen Aktivitäten der Bankiers äußerst „profitabel", solange sie nicht entdeckt wurden und die Banken nicht zusammenbrachen. Wir wissen zum Beispiel, dass das Einkommen des Passio 100 Minen bzw. einzweidrittel Talente erreichte. Professor Portela hat geschätzt, dass diese Zahl umgerechnet in Goldkilos einem heutigen Äquivalent von fast zwei Millionen Dollar pro Jahr entsprechen würde. Obgleich dies nicht als ein äußerst großer Betrag erscheint, war er tatsächlich wahrhaft spektakulär, wenn man berücksichtigt, dass die meisten Menschen am Existenzminimum lebten, einmal am Tag aßen und sich von Getreide und Gemüse ernährten. Bis zu seinem Tode sammelte Passio ein Vermögen von sechzig Talenten an, was sich, bei einer konstanten Kaufkraft des Goldes, zu einem Vermögen von beinahe vierundvierzig Millionen Dollar summiert. 79 2.2.2 Das Bankwesen der hellenistischen W e l t
Die Zeit des Hellenismus, vor allem des ptolemäischen Ägyptens, war ein Wendepunkt in der Geschichte des Bankwesens, weil es zur Gründung der ersten Staatsbank kam. Die Ptolemäer erkannten bald, wie profitabel Privatbanken waren, und anstatt zu überwachen und betrügerische Bankaktivitäten zu beendigen, entschie76 Man kann daher davon ausgehen, dass die Geldmenge in Athen aus Bankverbindlichkeiten („Depositen") und dem im Umlauf befindlichen Bargeld bestand. Der Anstieg des Bankanteils an dieser Geldmenge hängt vom Volumen und der Umlaufgeschwindigkeit der Bankdarlehen, von dem Prozentanteil dieser Darlehen, die unmittelbar oder mittelbar in den Trapezai erneut deponiert werden, und von der Dauer und Umlaufgeschwindigkeit der Depositen ab. (Cohen, Athenian Economy and Society, S. 13). 77 Bogaert, Banques et banquiers dans les cités grecques, S. 391-93. 78 Ebenda, S. 391. 79 Trigo Portela, „Historia de la banca", S. 238. Raymon Bogaert hingegen schätzt Passios Jahreseinkommen vor seinem Tod mit neun Talenten als um einige Male größer ein: „Cela donne en tout pour environ 9 talents de revenus annuels. On comprend que le banquier ait du constituer en peu d'années un important patrimoine, faire des dons généreux à la cité et faire les frais de cinq triérchies." (Bogaert, Banques et banquiers dans les cités grecques, S. 367 und zudem Cohen, Athenian Economy and Society, S. 67.)
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den sie sich dafür, eine Staatsbank zu gründen, die sich selbst der betrügerischen Bankaktivitäten betätigte und zugleich über das „Prestige" des Staates verfügte. Obwohl es niemals ein wahres Staatsmonopol auf Bankaktivitäten gab und die Privatbanken (die in den meisten Fällen von Griechen geleitet wurden) ihre Geschäfte fortführten, erlangte im Zuge der andauernden Prosperität Ägyptens die Staatsbank eine beherrschende Stellung. Rostovtzeff bemerkt, dass die Bank der Ptolemäer zudem ein ausgefeiltes Buchhaltungssystem entwickelte: „Die verfeinerte Buchhaltung, auf einer gut definierten professionellen Terminologie basierend, ersetzte die eher primitive Buchhaltung, die im Athen des vierten Jahrhunderts vorherrschte."80 Verschiedene archäologische Studien zeigen die weite Verbreitung des Bankwesens in der hellenistischen Periode Ägyptens. Ein unvollständiges, in Tebtunis gefundenes Dokument, das die täglichen Buchungen einer ländlichen Bank in der Provinz Heracleopolis enthält, zeigt, dass eine unerwartet hohe Anzahl von Dorfbewohnern, ob Landwirt oder nicht, ihre Geschäfte durch die Banken abwickelten und Zahlungen von ihren Depositen und Bankkonten vornahmen. Unter den Kunden der Bank waren relativ wenig reiche Leute. Die meisten waren Einzelhändler und einheimische Handwerker, Leinenhändler, Textilarbeiter, Schneider, Silberschmiede und ein Kesselflicker. Zudem wurden die Schulden nach alter ägyptischer Tradition oft in Gold oder Rohsilber bezahlt. Getreide-, Öl-, und Viehhändler wie auch Fleischer und viele Gastwirte sind als Kunden der Bank dokumentiert. Die ptolemäische Staatsbank, private Banken und auch die Tempel verwahrten verschiedene Arten von Depositen. Nach Rostovtzeff akzeptierten die Bankiers sowohl Sichteinlagen als auch zinsbringende Termineinlagen. Letztere wurden, in der Theorie, in „Kreditoperationen verschiedener Art [investiert]: Darlehen mit Sicherheiten als Garantie, Verpfändungen, Hypotheken und eine spezielle, sehr populäre Kreditart: Seedarlehen".81 Privatbanken verwahrten die Depositen ihrer Kunden, während sie gleichzeitig ihr eigenes Geld in der Staatsbank deponierten. Die Hauptneuerung des ägyptischen Bankwesens war die Zentralisierung: die Schaffung einer staatlichen Zentralbank in Alexandria mit Zweigstellen in den meisten Provinzhauptstädten und in den wichtigsten Orten, sodass Privatbanken, wenn sie verfügbar waren, eine zweitrangige Rolle in der Wirtschaft des Landes spielten. Rostovtzeff zufolge verwahrte die Staatsbank die Steuereinnahmen, nahm auch private Gelder und Depositen gewöhnlicher Kunden an und investierte die nicht ausgegebenen Gelder zum Nutzen des Staates. Daher ist es beinahe sicher, dass ein Teildeckungsbankensystem genutzt wurde und die Ptolemäer sich die riesigen Gewinne der Bank aneigneten. Die Briefe Zenos geben weitgehend Aufschluss darüber, wie die Banken das Geld ihrer Kunden entgegennahmen und als Depositen verwahrten. Sie erzählen uns auch, dass Apollonius, der Leiter der Zentralbank in Alexandria, persönliche Depo-
80 Michael Rostovtzeff, The Social and Economic History of the Hellenistic University Press, 1953), Bd. 1, S. 405. 81 Michael Rostovtzeff, The Social and Economic History of the Hellenistic University Press, 1957), Bd. 1, S. 1279.
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siten in verschiedenen Zweigstellen der königlichen Bank besaß. Alle diese Quellen zeigen, wie häufig Individuen die Staatsbank genutzt haben, um Depositen und auch Zahlungen vorzunehmen. Zudem wurde die Bezahlung von Schulden mittels Bankverkehr wegen ihres ausgefeilten Buchhaltungssystems äußerst bequem, da eine offizielle Aufzeichnung der Transaktionen bestand - ein wichtiges Beweisstück im Falle eines Rechtsstreits. Das hellenistische Bankensystem überlebte die Dynastie der Ptolemäer und wurde unter römischer Herrschaft mit kleinen Änderungen beibehalten. In der Tat hatte das ptolemäische Zentralbanksystem einigen Einfluss auf das Römische Reich: Ein merkwürdiges Faktum ist, dass Cassius Dio in seiner sehr bekannten Maecenasrede die Schaffung einer römischen Staatsbank fordert, die jedermann (vor allem Grundbesitzern) Darlehen zu einem zumutbaren Zins anbieten könnte. Die Bank sollte ihr Kapital aus den Einkünften aller Besitztümer des Staates erhalten. 82 Cassius Dios Vorschlag wurde niemals in die Tat umgesetzt. 2.2.3 Das römische Bankwesen
Da es keine lateinischen Äquivalente der Reden von Isokrates und Demosthenes gibt, sind die römischen Banken nicht so detailliert dokumentiert wie ihre griechischen Gegenstücke. Jedoch wissen wir aus dem römischen Recht, dass das Bankwesen und das monetäre Depositum irreguläre hoch entwickelt waren. Und wir haben in Kapitel 1 bereits die Regelungen betrachtet, welche die römischen Juristen auf diesem Gebiet aufstellten. In der Tat war es nicht vorgesehen, dass die römischen Bankiers, die Argentarii, das Tantundem der Depositen frei nutzen konnten. Vielmehr waren sie dazu verpflichtet, das Tantundem mit der größten Sorgfalt zu verwahren. Dies ist genau der Grund, warum die Gelddepositen nicht zinsbringend waren und theoretisch nicht verliehen werden durften, obgleich der Deponent die Bank autorisieren konnte, in seinem Namen Zahlungen vorzunehmen. In ähnlicher Weise nahmen die Banken Termin„einlagen" an, die eigentlich Darlehen an die Bank bzw. Mutuumverträge waren. Diese waren zinsbringend und verliehen dem Bankier das Recht, die Gelder so zu nutzen, wie er es während der vereinbarten Laufzeit für günstig hielt. Hinweise auf diese Praktiken tauchen schon im Jahr 350 v. Chr. in Komödien auf. Darunter sind die Captivi, Asinaria und Mostellaria des Plautus und der Phormio des Terenz, wo wir auf reizvolle Dialoge stoßen, die finanzielle Operationen, Clearings, Kontensalden, den Gebrauch von Schecks usw. beschreiben.83 Auf jeden Fall scheint das Werk der Berufsjuristen das römische Bankwesen besser reguliert und zumindest eine klarere Idee darüber vermittelt zu haben, was erlaubt war und was nicht. Dies ist indes keine Garantie dafür, dass die Bankiers sich ehrenhaft verhalten und davon Abstand genommen haben, die Sichteinlagen zu ihrem eigenen Gewinn zu nutzen. In der Tat existiert ein Reskript von Hadrianus an Händler von Perga82 Ebenda, S. 623. 83 In Plautus' Captivi zum Beispiel lesen wir: „Subducam ratunculam quantillum argenti mihi apud trapezitam sied" („Ich gehe rein, weil ich berechnen muss, wie viel Geld ich in meiner Bank habe", zitiert Knut Wicksell in seinen Lectures on Political Economy (London: Routledge and Kegan Paul, 1935), Bd. 2, S. 73.
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mon, die sich über illegale Eintreibungen und eine allgemeine Unehrlichkeit ihrer Bankiers beschwerten. Zudem enthält ein Schriftdokument der Stadt Mylasa an den Kaiser Septimus Severus einen Erlass des Stadtrats und der Volksversammlung, der auf die Regulierung der Aktivitäten lokaler Bankiers abzielte.84 All dies legt nahe, dass es, wenn vielleicht auch weniger häufig als in der hellenischen Welt, in der Tat skrupellose Bankiers gab, welche die Gelder ihrer Hinterleger veruntreuten und schließlich bankrottgingen. 2.2.4 Der Zusammenbruch der Bank des Christen Callistus
Ein merkwürdiges Beispiel betrügerischen Bankwesens ist das des Papstes und Heiligen Callistus I. (217-222 n. Chr.), der, als er Sklave des Christen Carpophorus war, in dessen Namen als Bankier handelte und Depositen von anderen Christen annahm. Er ging jedoch bankrott und wurde von seinem Herrn gefasst, als er zu fliehen versuchte. Schließlich wurde er auf das Gesuch derselben Christen, die er betrogen hatte, begnadigt. 85 Refittatio omnium haeresium, ein Werk, das Hippolytus zugeschrieben wird und 1844 in einem Konvent auf dem Berg Athos gefunden wurde, berichtet von Callistus' Bankrott im Detail.86 Wie die wiederkehrenden Krisen, die Griechenland plagten, ereignete sich der Bankrott des Callistus nach einem ausgeprägten Aufschwung, dem eine ernste Vertrauenskrise, ein Rückgang der Kaufkraft des Geldes und der Zusammenbruch vieler Finanz- und Handelsfirmen folgten. Diese Ereignisse fanden zwischen 185 und 190 n. Chr. unter der Herrschaft von Kaiser Commodus statt. Hippolytus berichtet, wie Callistus, zu der Zeit ein Sklave seines christlichen Glaubensbruders Carpophorus, eine Bank in dessen Namen eröffnete und Depositen annahm, hauptsächlich von Witwen und Christen (eine Gruppe, die zunehmend an Einfluss und Mitgliedern gewann). Nichtsdestoweniger eignete sich Callistus hinterlistig das Geld an, und als er nicht in der Lage war, es auf Verlangen zurückzugeben, versuchte er über das Meer zu entkommen und beging sogar einen Selbstmordversuch. Nach einer Reihe von Abenteuern wurde er ausgepeitscht und zu Zwangsarbeit in den sardischen Minen verurteilt. Schließlich wurde er auf wundersame Weise freigelassen, als Marcia, Konkubine des Kaisers Commodus, ihren Einfluss geltend machte. Dreißig Jahre später, im Jahre 217, wurde er als freier Mann zum siebzehnten Papst gewählt und starb schließlich als Märtyrer, als er in den öffentlichen Unruhen vom 14. Oktober 222 n. Chr. von Heiden in einen Brunnen geworfen wurde. 87 84 Trigo Pórtela, „Historia de la banca", S. 239. 85 Die außerordentliche Tatsache, dass jemand aus dem Banksektor tatsächlich Papst und später zum Heiligen wurde, würde Callistus I. zu einem guten Schutzpatron der Bankiers machen. Unglücklicherweise stellt er als bankrottgegangener Bankier, der die Gutgläubigkeit seiner christlichen Glaubensbrüder missbrauchte, ein schlechtes Vorbild dar. Schutzpatron der Bankiers ist stattdessen St. Carlo Borromeo (1538- 1584), ein Mailänder Erzbischof. Er war der Neffe und Vermögensverwalter von Giovanni Angelo Medid (Papst Pius IV.) und sein Feiertag ist der 4. November. 86 Hippolytus, Hippolytus Werke, Bd. 3: Refiitation omnium haeresium (Leipzig: P. Wendland), 1916. 87 Juan de Churruca, „La quiebra de la banca del cristiano Calisto (c. a. 185- 190)", Seminarios complutenses de derecho romano, Februar-März 1991 (Madrid, 1992), S. 61-86.
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Wir können jetzt nachvollziehen, warum die Heiligen Väter in ihren apostolischen Verfassungen die Bankiers ermahnt haben, ehrlich zu sein und ihren zahlreichen Versuchungen zu widerstehen.88 Diese moralischen Mahnrufe nutzten die frühen Christen kontinuierlich, um die Bankiers vor der Versuchung zu warnen und an ihre Pflichten zu erinnern, und man versuchte sogar, die Mahnrufe bis auf die Heilige Schrift zurückzuführen. 2.2.5 Die Societates Argentariae
Bankiersvereinigungen oder Societas Argentariae waren eine Besonderheit des Bankwesens der römischen Welt. Die finanziellen Beiträge der Mitglieder bildeten deren Kapital und mit diesem Kapital wurden Schulden beglichen. Weil die Banken von besonderem öffentlichen Interesse waren, setzte das römische Recht jedoch fest, dass die Mitglieder der Societates Argentariae für die Depositen mit all ihren Vermögenswerten hafteten. 89 Mithin war die unbegrenzte gemeinsame Haftung der Mitglieder ein allgemeines Prinzip römischen Rechts, um die Folgen des Betrugs und Missbrauchs durch die Bankiers zu minimieren und das Recht der Deponenten zu schützen, ihr Geld jederzeit zurückzuverlangen.90
88 „Ginesthe trapézitai dókimoi" („Bankiers, ihr müsst rechtschaffen sein!"). Vgl. „Orígenes y movimiento histórico de los bancos", in Enciclopedia universal ilustrada europeo-americana (Madrid: Espasa Calpe, 1973), Bd. 7, S. 478. 89 Vgl. Manuel J. García-Garrido, „La sociedad de los banqueros (societas argentaría)", in Studi in onore di Amoldo Biscardi (Mailand 1988), Bd. 3, bes. S. 380-83. Die unbegrenzte Haftung der Mitglieder der Bankiersvereinigungen im römischen Recht ist unter anderem in dem bereits erwähnten Text von Ulpianus (Digest, 16, 3, 7, 2-3) festgehalten sowie in einer Passage bei Papinianus (Digest, 16, 3, 8), in der dieser festlegt, dass die Rückzahlung der Schulden der betrügerischen Bankiers nicht nur mit den „deponierten Geldern, die im Vermögen der Bankiers gefunden werden, sondern mit allen Vermögenswerten der Betrüger" beglichen werden sollen (Cuerpo de derecho civil romano, Bd. 1, S. 837). Einige zeitgenössische Autoren haben zudem vorgeschlagen, zum Prinzip der unbegrenzten Haftung der Bankiers zurückzukehren, um ihnen einen Anreiz zu geben, die Gelder vernünftig zu verwalten. Diese Auflage ist aber weder notwendig, um ein solventes Bankensystem zu erreichen, noch würde sie eine hinreichende Maßnahme darstellen. Sie ist nicht notwendig, weil eine hundertprozentige Reservedeckung Bankenkrisen und wirtschaftliche Rezessionen effektiver eliminieren würde. Sie ist nicht hinreichend, weil sogar mit einer unbegrenzten Haftung der Aktionäre der Banken unvermeidlich wirtschaftliche Rezessionen wiederkehren würden, solange ein Teildeckungssystem benutzt wird. 90 Im Römischen Reich fungierten einige große, einflussreiche Tempel weiterhin als Banken. Unter diesen waren die Tempel von Delos, Delphi und Sardis (Artemis) und als wichtigster der Tempel von Jerusalem, in dem die Hebräer, arme und reiche, ihr Geld deponierten. In diesem Kontext müssen wir die Vertreibung der Geldwechsler aus dem Tempel in Jerusalem interpretieren, wie sie im Neuen Testament beschrieben wird. In Matthäus 21,12-14 lesen wir: „Jesus ging in den Tempel hinein und trieb heraus alle Verkäufer und Käufer im Tempel und stieß die Tische der Geldwechsler um und die Stände der Taubenhändler und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben (Jesaja 56,7): ,Mein Haus soll ein Bethaus heißen'; ihr aber macht eine Räuberhöhle daraus." Markus 11,15-17 bietet beinahe den identischen Text. Johannes 2,14-15 ist ein bisschen expliziter und erzählt uns von Jesus: „Und er fand im Tempel die Händler, die Rinder, Schafe und Tauben verkauften, und die Wechsler, die da saßen. Und er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle zum Tempel hinaus samt den Schafen und Rindern und schüttete den Wechslern das Geld aus und stieß die Tische um." (Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers in der revidierten Fassung von 1984). Die Übersetzung dieser Bibelstellen ist nicht sehr genau und der gleiche Fehler ist in der Übersetzung des Digest von García del Corral zu finden. Anstatt von „Wechsler" sollte es „Bankiers"
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Die Argentarii machten ihre Geschäfte an einem besonderen Ort, der „tavema". Ihre Geschäftsbücher reflektieren Eingänge und Abgänge von den Konten ihrer Kunden. Die Geschäftsbücher der römischen Bankiers waren als Beweis bei Gericht zugelassen und mussten nach den „editio rationum" geführt werden, die festlegten, wie Konten zu datieren und zu verwalten waren.91 Bankiers wurden auch „mensarii" genannt, nach der „mensa", dem Schalter, an dem sie ursprünglich ihre Geldwechselgeschäfte vornahmen. Die „mensa" konnte, sehr ähnlich wie heutige Banklizenzen, übertragen werden. In Rom jedoch, wo der Staat das Gelände und die Geschäfte besaß, in denen die Bankgeschäfte stattfanden, erwarb man beim Kauf der Lizenz das vom Staat gewährte Recht, Bankgeschäfte zu betreiben. Die Übertragung konnte alle Möbel und Hilfseinrichtungen der „tavema" wie auch die finanziellen Vermögenswerte und Verbindlichkeiten einschließen. Außerdem bildeten die Bankiers eine Gilde, um ihre gemeinsamen Interessen zu verteidigen, und erlangten bedeutende Privilegien von den Kaisern, vor allem von Justinian. Einige dieser Privilegien erscheinen im Corpus Juris Civilis.92 Der wirtschaftliche und soziale Zerfall des Römischen Reiches wurde durch eine inflationäre Politik des Staates verursacht, welche die Kaufkraft der Währung verminderte, und durch die Einführung von Höchstpreisen auf grundlegende Güter, was wiederum die Händler in den Ruin trieb und den Handel zwischen verschiedenen Regionen des Reiches zum Zusammenbruch brachte. Dies bedeutete auch das Ende des Bankwesens. Die meisten Banken brachen während der fortlaufenden wirtschaftlichen Krisen des dritten und vierten Jahrhunderts nach Christus zusammen. Bei dem Versuch, den sozialen und wirtschaftlichen Zerfall des Reiches aufzuhalten, wurden zusätzliche interventionistische Zwangsmaßnahmen vorgeheißen, was mehr im Einklang mit dem wörtlichen Sinne der Vulgata, der lateinischen Bibelversion, steht, in der sich die Matthäuspassage wie folgt liest: „Et intravit Iesus in templum et eiiciebat omnes vendentes et ementes in templo, et mensas numulatiorum, et cathedras vendentium columbas evertit: et dicit eis: Scriptum est: Domus mea domus orationis vocabitar: vos autem fecistis illam speluncam latronum." (Biblia Sacra iuxta Vulgatam Clementinam, Alberto Colunga und Laurencia Turrado, Hrsg. [Madrid: Biblioteca de Autores Cristianos, 1994], Mateo 21,12-13, S. 982) Diese Evangeliumstexte bestätigen, dass der Tempel von Jerusalem als eine wahrhaftige Bank fungierte, in der die allgemeine Öffentlichkeit, ob Arm oder Reich, Depositen hinterlegte. Die Räumung des Tempels durch Jesus kann als ein Protest gegen die Missbräuche verstanden werden, die aus einer unerlaubten Handlung herrühren (wie wir wissen, bestanden diese Missbräuche in dem Gebrauch der deponierten Gelder). Außerdem veranschaulichen diese Bibelreferenzen die Symbiose, die damals schon zwischen den Bankiers und den öffentlichen Autoritäten bestand, denn sowohl die obersten Priester als auch die Schriftgelehrten empörten sich ob Jesu Verhalten (alle kursiven Hervorhebungen sind natürlich hinzugefügt worden). Zu der Bedeutung des Jerusalemer Tempels als Depositenbank der Hebräer vgl. Rostovtzeff, The Social and Economic History ofthe Roman Empire, Bd. 2, S. 622. 91 Jean Imbert stellt in seinem Buch Historia económica (de los orígenes a 1789), die spanische Übersetzung ist von Armando Sáez (Barcelona: Editorial Vicens-Vives, 1971), S. 58, heraus, dass „die praescriptio den heutigen Schecks entsprechen. Wenn ein Kapitalist einen Bankier beauftragte, in seinem Namen eine Darlehenszahlung vorzunehmen, machte der Bankier dies mit der Vorlage eines Bankwechsels, der praescriptio genannt wurde." 92 Vgl. beispielsweise die Neue Verfassung CXXVI über „Bankverträge", Edikt 7 („Dekret und Regulierung der Bankverträge") und Edikt 9 („Über die Bankverträge"), die alle von Justinian stammen und in der Novellae enthalten sind (vgl. Cuerpo de derecho civil romano, Bd. 6, S. 479-83, 539-44 und 547-51).
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nommen, was den Auflösungsprozess weiter beschleunigte und es den Barbaren, die von den römischen Legionen Jahrhunderte lang besiegt und eingedämmt worden waren, ermöglichte, die Reste des alten, blühenden Römischen Reiches zu verwüsten und zu erobern. Mit dem Fall der klassischen römischen Welt begann die lange Periode des Mittelalters, und es war beinahe achthundert Jahre später, als das Bankwesen in den italienischen Städten des Spätmittelalters wiederentdeckt wurde. 93 2.3 Bankiers im späten Mittelalter Der Fall des Römischen Reiches bedeutete das Ende eines Großteils des Handels und die Feudalisierung der wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen. Die enorme Verminderung des Handels und der Arbeitsteilung bedeutete einen entscheidenden Schlag für den Finanzmarkt und vor allem für das Bankwesen. Nur die Klöster als sichere Zentren der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung konnten als Wächter ökonomischer Ressourcen fungieren. Auf diesem Gebiet sind besonders die Aktivitäten der Templer zu erwähnen, ein 1119 in Jerusalem mit dem Zweck gegründeter Orden, Pilger zu beschützen. Die Templer besaßen bedeutsame finanzielle Ressourcen, die sie bei ihren Feldzügen geplündert oder als Nachlass der feudalen Adligen und Prinzen erhalten hatten. Da sie international agierten (sie besaßen mehr als 9.000 Stützpunkte und zwei Hauptquartiere) und ein militärischer und religiöser Orden waren, stellten die Templer zuverlässige Wächter von Depositen dar und besaßen eine große moralische Autorität, was ihnen das Vertrauen der Bevölkerung einbrachte. Infolgedessen erhielten sie von den Individuen, von denen sie eine Gebühr für die sichere Aufbewahrung verlangten, sowohl Deposita regularia als auch Deposita irregularia. Die Templer führten auch Geldüberweisungen durch, wobei sie einen bestimmten Betrag für den Transport und den Schutz verlangten. Der Orden erlebte eine steigende Prosperität, welche die Angst und den Neid vieler Menschen erregte, bis Philipp der Schöne, König von Frankreich, sich entschloss, den Orden aufzulösen. Mit dem Ziel, sich der Reichtümer des Ordens zu bemächtigen, ordnete er an, die Köpfe des Ordens einschließlich ihres Grand Maitre, Jaques de Molay, auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen. 94
93 Eine hervorragende Übersicht über die Gründe des Zerfalls des Römischen Reiches bietet Ludwig von Mises Werk Human Action: A Treatise on Economies, Scholar's Edition (Auburn, Alabama: Ludwig von Mises Institute, 1998), S. 161 - 63. Wir werden zudem die verbreitetere dritte Auflage von Mises' Human Action zitieren (Chicago: Henry Regnery, 1966), S. 7 6 7 - 6 9 . 94 Vgl. beispielsweise das Werk Jules Piquets, Des banquiers au Moyen Age: les Templiers, Étude de leurs opérations financiers (Paris, 1939), zitiert von Henri Pirenne in seinem Buch, Histoire Economique et Sociale Du Moyen Age (Paris: Presses Universitaires de France, 1969), S. 116 und 219. Piquet meint, in den Aufzeichnungen der Templer die Anfänge der doppelten Buchführung und sogar einer primitiven Form des Schecks wiederzufinden. Jedoch erscheint es, dass die Buchführungspraktiken der Templer höchstens direkte Vorläufer der doppelten Buchführung waren, die später im Jahre 1494 von Luca Pacioli, dem großen venezianischen Mönch und Freund Leonardo da Vincis, formalisiert wurden. Eine Bank in Pisa benutzte die doppelte Buchführung schon 1336, wie auch die Familie Masari (die Steuereintreiber Genuas) im Jahre 1340. Das älteste europäische Buchfuhrungsdokument, von dem wir einen Beweis haben, stammt aus dem Jahre 1211. Vgl.
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Das Ende des elften und der Beginn des zwölften Jahrhunderts brachten einen bescheidenen Anstieg der Wirtschaft und des Handels, vor allem unter den italienischen Städten an der Adria (vor allem Venedig) sowie Pisa und später Florenz. Diese Städte spezialisierten sich auf den Handel mit Konstantinopel und dem Orient. Das bedeutende finanzielle Wachstum in diesen Städten führte zu einer Wiederbelebung des Bankwesens und das Muster, das wir in der antiken Welt beobachtet haben, wiederholte sich. Zwar respektierten die Bankiers zunächst die aus dem alten Rom überlieferten Rechtsprinzipien und führten ihre Geschäfte rechtmäßig, indem sie den unerlaubten Gebrauch der Sichteinlagen (d. h. der monetären Deposita irregularia) unterließen. Sie nutzten oder verliehen nur das Geld, das sie als Darlehen erhielten (d. h. Termin,.einlagen"), und das nur während der vereinbarten Laufzeit.95 Doch kamen die Bankiers erneut in Versuchung, das Geld der Sichteinlagen auszunutzen. Dieser Prozess war graduell und führte zu Missbräuchen und der Wiederbelebung des Teildeckungsbankwesens. Die Regierenden waren im Allgemeinen nicht in der Lage, die Rechtsprinzipien durchzusetzen, und gewährten den Bankiers in vielen Fällen sogar Privilegien und Lizenzen, um sie in ihren ungehörigen Aktivitäten zu ermutigen und daraus Gewinne in Form von Darlehen oder Steuereinnahmen zu erzielen. Sie schufen sogar Staatsbanken (wie die Depositenbank von Barcelona oder Taula de Canvi und andere, die wir später betrachten werden).96 2.3.1 Die Wiederbelebung der Depositenbanken im mediterranen Europa
Abbot Payson Usher untersucht in seinem monumentalen Werk The Early History of Deposit Banking in Mediterranean Europt97 das graduelle Aufkommen des Teildeckungsbankwesens im späten Mittelalter - ein Prozess, der auf der Verletzung
G. A. Lee, „The Oldest European Account Book: A Florentine Bank Ledger of 1211", in Accounting History: Some British Contributions, hrsg. von R. H. Parker und B. S. Yamey (Oxford: Clarendon Press, 1994), S. 160-96. 95 "In theory at least, early banks of deposit were not discount or lending banks. They did not create money but served a system of 100 percent reserves, such as some monetarists today would like to see established. Overdrafts were forbidden. In practice, the standards proved difficult to maintain, especially in face of public emergency. The Taula de Valencia was on the verge of using its deposited treasure to buy wheat for the city in 1567. Illegal advances were made to city officials in 1590 and illegal loans to the city itself on a number of occasions." (Charles P. Kindleberger, A Financial History of Western Europe, 2. Auflage [Oxford: Oxford University Press, 1993], S. 49) 96 Auch das islamische Recht untersagte den persönlichen Gebrauch des Depositum irreguläre durch den Bankier während des gesamten Mittelalters, vor allem auf der Iberischen Halbinsel. Vgl. beispielsweise das Compendio de derecho islämico (Risäla, Fi-l-Fiqh) Ibn Abi Zayds, genannt Al-Quayrawäni, eines spanisch-arabischen Juristen aus dem zehnten Jahrhundert. Dieses Werk wurde mit der Unterstützung von Jesus Riosalido (Madrid: Editorial Trotta, 1993) veröffentlicht. Auf Seite 130 finden wir die folgende Aufstellung eines Rechtsprinzips: „der, welcher ein Gelddepositum für seine Geschäfte nutzt, begeht eine verwerfliche Tat. Wenn er jedoch sein eigenes Geld benutzt, darf er den Gewinn behalten." (Vgl. zudem S. 214-15, wo gefordert wird, dass im Falle eines wahrhaftigen Darlehens oder Mutuums der Darlehensgeber das Geld nicht nach Belieben zurückziehen kann, sondern erst am Ende der verabredeten Laufzeit; das islamische Rechtskonzept des Gelddepositums zeigt enge Parallelen zum römischen Depositum irreguläre.) 97 Abbot Payson Usher lehrte Nationalökonomie an der Universität von Harvard und ist der Urheber des gefeierten Werks The Early History of Deposit Banking in Mediterranean Europe (Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 1943).
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des allgemeinen Rechtsprinzips beruht, dass die volle Verfügbarkeit des Tantundems dem Deponenten gewährleistet sein muss. Nach Usher begannen die ersten privaten Bankiers erst im dreizehnten Jahrhundert damit, das Geld ihrer Deponenten zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen, was zum Aufstieg des Teildeckungsbankwesens führte und die Möglichkeit zur Kreditausweitung eröffnete. Überdies und entgegen der weitläufigen Meinung glaubt Usher, dass dies das bedeutendste Ereignis in der Geschichte des Bankwesens ist und nicht etwa das Aufkommen von Notenbanken, die erst viel später, im späten siebzehnten Jahrhundert, in Erscheinung traten. Obwohl, wie wir in Kapitel 4 sehen werden, dieselben Effekte aus der Ausgabe von Banknoten ohne Deckung und aus der Gewährung von Darlehen aus Sichteinlagen resultieren, wurde die historische Entwicklung des Bankwesens stärker von letzterer der erwähnten Praktiken geprägt als von ersterer. Usher gibt an, dass „the history of banks of issue has, until lately, obscured the importance of due deposit banking in all its form, whether primitive or modern". In einer ironischen Referenz an die unangemessene Bedeutung, welche die Ökonomen der Problematik der Notenbanken im Vergleich zu den älteren, aber nicht weniger schädlichen Praktiken der Depositenbanken geben, folgert er: „the demand for currency, and the theoretical interests created by the problem, did much to foster misconceptions on the relative importance of notes and deposits. Just as French diplomats „discovered" the Pyrenees in the diplomatic crisis of the eighteenth century, so banking theorists „discovered" deposits in the mid-nineteenth century."98
Wieder und wieder zeigt Usher, dass das moderne Bankensystem aus dem Teildeckungsbankwesen entstanden ist (das seinerseits das Ergebnis von Betrug und staatlicher Mittäterschaft ist, wie Usher detailliert am Beispiel des spätmittelalterlichen katalonischen Bankensystem veranschaulicht) und nicht aus den Notenbanken, die erst viel später auftauchten. Usher stellt heraus, dass die ersten Banken im Genua des zwölften Jahrhunderts eine klare Unterscheidung in ihren Büchern zwischen Sichteinlagen und „Termin"einlagen vornahmen und letztere als Darlehen oder als Mutuum erfassten." Jedenfalls begannen die Bankiers später, die Sichteinlagen schrittweise in ihrem eigenen Interesse zu nutzen, was zum expansiven Potenzial des heutigen Bankensystems führte - oder genauer: zur Fähigkeit, aus dem Nichts Depositen zu schaffen und Kredite zu gewähren. Barcelonas Depositenbank ist ein Beispielfall. Usher schätzt, dass die Bargeldreserven der Bank bis zu 29 Prozent der Gesamtsumme der Depositen betrugen. Das impliziert eine Fähigkeit zur Kreditausweitung in Höhe des 3,3-fachen ihrer Bargeldreserve.100
98 Ebenda, S. 9 und 192. 99 „In all these Genoese registers there is also a series of instruments in which the money received is explicitiy described as a loan (mutuum)." Ebenda, S. 63. 100 „Against these liabilities, the Bank of Deposit held reserves in specie amounting to 29 percent of the total. Using the phraseology of the present time, the bank was capable of extending credit in the ratio of 3.3 times the reserves on hand." (Ebenda, S. 181.)
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Usher stellt außerdem das Versagen der öffentlichen Stellen auf verschiedenen Ebenen heraus, solide Bankpraktiken und vor allem die Forderung einer hundertprozentigen Reservedeckung auf Sichteinlagen durchzusetzen. Zudem gewährten die Behörden den Banken schließlich die staatliche Genehmigung (ein Privileg „ius Privilegium"), mit einer Teildeckung zu operieren. Trotzdem wurde von den Banken verlangt, die Depositen zu garantieren. 101 Auf jeden Fall waren für gewöhnlich die Regierenden die Ersten, die das betrügerische Bankwesen zu ihrem Vorteil nutzten, indem sie Darlehen als eine leicht zugängliche Quelle zur Finanzierung der öffentlichen Haushalte entdeckten. Es scheint, als ob den Bankiers das Privileg des Gebrauchs des Deponentengeldes zu ihrem eigenen Vorteil in einer stillschweigenden Übereinkunft dafür erteilt wurde, dass der Gebrauch in den meisten Fällen in Form von Darlehen an öffentliche Stellen erfolgte. In verschiedenen Fällen gingen die Regierenden so weit, Staatsbanken zu schaffen, um direkt die beträchtlichen Gewinne abzuschöpfen, die im Bankwesen möglich waren. Wie wir sehen werden, wurde Barcelonas Depositenbank, die Taula de Canvi, mit diesem Hauptzweck gegründet. 2.3.2 Das kanonische Zinsverbot und das Depositum confessatum
Das Zinsverbot durch die drei großen monotheistischen Religionen (Judentum, Islam und Christentum) trug viel dazu bei, die mittelalterlichen Finanzpraktiken zu komplizieren und zu verdunkeln. Maq'orie Grice-Hutchinson hat das mittelalterliche Zinsverbot und seine Implikationen sorgfältig erforscht.102 Sie stellt heraus, dass es den Juden nicht verboten war, Geld für Zinsen an Ungläubige zu verleihen, was erklärt, warum zumindest in der ersten Hälfte des Mittelalters die meisten Bankiers und Kapitalgeber in der christlichen Welt Juden waren. 103
Wir können jedoch nicht mit der Aussage übereinstimmen, die Usher unmittelbar danach macht; er behauptet, dass die Privatbanken in Barcelona zu dieser Zeit eine viele niedrigere Reservedeckung gehabt haben müssen. Genau das Gegenteil muss der Wahrheit entsprechen. Weil die Privatbanken kleiner waren, konnten sie kein so großes Vertrauen in der Öffentlichkeit gewinnen wie die Stadtbank, und da sie in einem zweifellos konkurrenzbetonten Umfeld agierten, müssen ihre Bargeldreserven größer gewesen sein (vgl. S. 181 - 1 8 2 in Ushers Buch). Jedenfalls folgert Usher, dass „there was considerable centralization of clearance in the early period and extensive credit creation. In the absence of comprehensive statistical records, we have scarcely any basis for an estimate of the quantitative importance of credit in the medieval and early modem periods, though the implications of our material suggest an extensive use of credit purchasing power." (Ebenda, S. 8 - 9 . ) Wir werden später die Werke von C. Cipolla zitieren, der Ushers Hauptthese vollauf bestätigt. Im vierten Kapitel werden wir die Geldmultiplikatoren in extenso untersuchen. 101 Im Katalonien des fünfzehnten Jahrhunderts waren keine Garantien erforderlich, aber nur Bankiers, die Garantien anboten, durften Tischdecken auf ihre Schalter legen. Mit diesem System konnte die Öffentlichkeit leicht die solventeren Unternehmungen identifizieren. (Ebenda, S. 17.) 102 Maijorie Grice-Hutchinson, Early Economic Thought in Spain 1177-1740 (London: George Allen and Unwin, 1978). Vgl. „In Concealment of Usury", Kap. 1, S. 13-60. 103 „Until the thirteenth century, the greater part of financial activity was in the hands of Jews and other non-Christians, usually from the Near East. For such unbelievers from the Christian point of view there could be no salvation in any event, and the economic prohibitions of the Church did not apply to them.... Hatred for the Jews arose on the part of the people who resented such
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Die Komplexität des mittelalterlichen Bankwesens wurde wesentlich durch das kanonische Zinsverbot vergrößert und nicht, worauf viele Theoretiker insistiert haben, durch den Versuch der Bankiers, eine nützliche und notwendige Dienstleistung anzubieten. Durch das Zinsverbot mussten die Bankiers kontinuierlich nach neuen Wegen suchen, die notwendige Zinszahlung bei Darlehen zu verschleiern. Wenn die Bankiers das Geld verliehen, das sie von ihren Kunden als Darlehen (oder „Termin"einlage) erhielten, so handelten sie als wahre Finanzintermediäre und führten gewiss legitime Geschäfte durch, wobei sie wesentlich zu der produktiven Wirtschaft ihrer Zeit beitrugen. Dennoch sollte die späte Anerkennung der Zulässigkeit des Zinses durch die Kirche nicht als eine Genehmigung aller Bankaktivitäten gewertet werden, sondern nur als die Autorisierung der Banken, das Geld zu verleihen, das ihnen von Dritten geliehen wurde. In anderen Worten wurde ihnen gestattet, als Finanzintermediäre zu fungieren. Die Entwicklung der kirchlichen Zinsdoktrin bedeutet keinesfalls die Billigung des Teildeckungsbankwesens, d.h. des eigennützigen Gebrauchs der Sichteinlagen durch die Bankiers (was im Allgemeinen bedeutete, Darlehen zu gewähren). 104 Zu einem großen Teil ist die konzeptuelle Verwirrung, mit der wir es zu tun haben, im Mittelalter als ein Ergebnis des kanonischen Zinsverbots entstanden. Einer der vielen Kunstgriffe 105 , mit denen die ökonomischen Agenten versuchten, die tatsächlich zinstragenden Darlehen zu verbergen, war es, diese als Sichteinlagen zu tarnen. Wir wollen nun betrachten, wie dies genau vor sich ging. Zunächst müssen wir uns an unsere Diskussion des Vertrages des monetären Depositum irreguläre im ersten Kapitel erinnern. Eine der bemerkenswertesten Richtlinien, die sich im Corpus Juris Civilis für diesen Vertrag findet, sah vor, dass der Depositar sich nicht nur des Diebstahls schuldig machte, sondern auch zur Zinszahlung für die verspätete Rückzahlung verpflichtet war, wenn er das Depositum auf Verlangen nicht herauszugeben konnte (Digest, 16, 3, 25, 1). Daher sollte es keine Überraschung sein, dass während des ganzen Mittelalters viele Bankiers und „Deponenten" zur Umgehung interest rates, while monarchs and princes, if less resentful, scented profits from expropriation of this more or less helpless group." (Harry Elmer Barnes, An Economic History of the Western World [New York: Harcourt, Brace and Company, 1940], S. 192-93.) 104 Dies entspricht genau der Meinung, die Father Bernard W. Demsey, SJ, vertritt, der in seinem bemerkenswerten Buch Interest and Usury (Washington, D. C.: American Council of Public Affairs, 1943) zu dem Schluss kommt, dass das Teildeckungsbankwesen, selbst wenn man Zinsen als legitim betrachtet, auf „institutionellen Wucher" hinausläuft und besonders schädlich für die Gesellschaft ist, weil es wiederholt künstliche Aufschwünge, Bankkrisen und wirtschaftliche Rezessionen generiert (S. 228). 105 Eine klare und präzise Liste der gebräuchlichen Kniffe, Darlehen und Zinsen zu verschleiern, findet sich in dem Buch von Imbert, Historia económica (de los orígenes a ¡789), S. 157-58. Imbert nennt die folgenden Methoden der Verschleierung zinstragender Darlehen: (a) Scheinverträge (wie Rückkaufvereinbarungen oder Immobiliengarantien); (b) Strafklauseln (den Zins als ökonomische Sanktion tarnen); (c) über den Betrag des Darlehens lügen (der Darlehensnehmer stimmt zu, eine höhere Summe als das ursprüngliche Darlehen zurückzuzahlen); (d) Devisentransaktionen (die Zinsen als zusätzliche Gebühr einschlössen); und (e) Einkommen oder Renten (Lebensrenten, die jeweils einen Teil für die Zinsen und für die Tilgung beinhalten). Jean Imbert erwähnt nicht explizit das Depositum confessatum, eine der populärsten Arten, Zinsen zu rechtfertigen. Es passt gut in die „Strafklausel"-Kategorie. Vgl. auch den Hinweis, den Henri Pirenne auf den „außerordentlichen Einfallsreichtum" zur Verschleierung der „gefährlichen Zinsen" macht (Economic and Social History of Medieval Europe [London: Kegan Paul, Trench and Company, 1947], S. 140).
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des kanonischen Zinsverbots ausdrücklich erklärten, einen Vertrag des monetären Depositum irreguläre eingegangen zu sein, obwohl sie tatsächlich ein echtes Darlehen oder ein Mutuum abgeschlossen hatten. Die Verschleierungsmethode, zu der diese Erklärung gehörte, wurde treffend Depositum confessatum genannt. Es war ein simuliertes Depositum, das, trotz der Erklärungen beider Parteien, kein wahres Depositum darstellte, sondern eher ein reines Darlehen oder Mutuum war. Am Ende der vereinbarten Laufzeit forderte der angebliche Deponent sein Geld zurück. Wenn der erklärte Depositar nicht in der Lage war, es zurückzugeben, war er gezwungen, eine „Strafe" in Form von Zinsen auf seine unterstellte „Säumnis" zu zahlen, die nichts mit dem wahren Grund für die „Strafe" zu tun hatte (der Tatsache, dass die Operation ein Darlehen darstellte). Die Verkleidung der Darlehen als Depositen wurde eine effektive Methode, um das kanonische Zinsverbot zu unterlaufen und den schweren Sanktionen, sowohl weltlicher als auch geistlicher Art, zu entkommen. Das Depositum confessatum pervertierte schließlich die Rechtsdoktrin des monetären Depositum irreguläre, indem es dieser die Grundsätze der Klarheit und Reinheit nahm, die es im klassischen Rom erhalten hatte, und so eine Verwirrung stiftete, die beinahe bis zum heutigen Tage Bestand hat. In der Tat brachten die unterschiedlichen Einstellungen zum Depositum confessatum die Gelehrten dazu, ungeachtet der Lehrmeinung der Experten hinsichtlich zinstragender Darlehen (entweder strikt gegen sie oder „für" sie in vernünftigen Grenzen) nicht mehr klar zwischen dem monetären Depositum irreguläre und dem Mutuum zu unterscheiden. Übereifrige Kanonisten tendierten dazu, Depositenverträge und Mutuumverträge automatisch gleichzusetzen, fest entschlossen, alle versteckten Darlehen aufzudecken und die dazugehörigen Zinsen zu verdammen. Sie glaubten, dass sie durch die Aufdeckung der Darlehen, die, wie sie annahmen, hinter jedem Depositum standen, der Täuschung durch das Depositum confessatum ein Ende setzen könnten. Hierin lag genau ihr Fehler: Sie betrachteten alle Depositen, auch die wirklichen Depositen (die mit dem grundlegenden Zweck der sicheren Aufbewahrung des Tantundems und unter der Bedingung ständiger Verfügbarkeit für den Deponenten gemacht wurden) als „deposita confessata". Jene Experten dagegen, die Darlehen und Zinsen relativ stärker befürworteten und nach Wegen suchten, sie für die Kirche akzeptabel zu machen, verteidigten das Depositum confessatum als eine Art säumiges Darlehen, das nach den im Digest enthaltenen Prinzipien die Zahlung von Zinsen rechtfertigte. Als Resultat beider Lehrmeinungen kamen die Gelehrten zu der Auffassung, dass sich die „Irregularität" beim monetären Depositum irreguläre nicht auf das Depositum einer bestimmten Menge eines fungiblen Gutes bezog (dessen Einheiten von denen der gleichen Art ununterscheidbar waren und dessen Tantundem ständig dem Deponenten bereitgehalten werden musste), sondern auf die „Irregularität", Darlehen immer als Depositen zu verschleiern.106 Außerdem erkannten schließlich 106 Die Gleichsetzung des monetären Depositum irreguläre mit dem Vertrag eines Darlehens oder Mutuums durch die Kanonisten hat Experten dazu veranlasst, nach einer gemeinsamen juristischen Eigenschaft beider Verträge zu suchen. Sie erkannten bald, dass beim Depositum eines fungiblen Gutes das „Eigentum" der individuellen deponierten Einheiten „übertragen" wird, da
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die Bankiers, die das Depositum confessatum mit dem Ziel genutzt hatten, Darlehen als Depositen zu tarnen und die illegale Zinszahlung zu rechtfertigen, dass die Lehre, nach der Depositen immer versteckte Darlehen darstellten, für sie äußerst lukrativ sein könnte. Denn sie konnten diese Lehre anwenden, um sich sogar gegen die Veruntreuung von Geldern zu verteidigen, die eigentlich als Sichteinlagen hinterlegt und ihnen gar nicht geliehen worden waren. Auf diese Weise hatte das kanonische Zinsverbot den unerwarteten Effekt, die klare Rechtsdefinition des Vertrages des monetären Depositum irreguläre zu verschleiern, welche die römischen Juristen erarbeitet hatten. Viele nutzten die folgende Verwirrung für den Versuch, das betrügerische Bankwesen und die Veruntreuung der Sichteinlagen juristisch zu rechtfertigen. Den Experten gelang es bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts nicht, das resultierende rechtliche Chaos aufzuklären. 107 Wir werden uns jetzt drei besonderen Fällen zuwenden, die zusammen die Entwicklung des mittelalterlichen Bankwesens illustrieren: die florentinischen Banken des vierzehnten Jahrhunderts; die Depositenbank Barcelonas, die Taula de Canvi im fünfzehnten Jahrhundert und später; sowie die Bank der Medici. Diese Banken, wie alle wichtigen Banken des Spätmittelalters, zeigen durchweg jenes Muster, das wir schon in Griechenland und Rom gesehen haben: Die Banken respektierten der Depositar nur dazu verpflichtet ist, das Tantundem sicher aufzubewahren, zu erhalten und auf Verlangen zurückzugeben. Diese Eigentumsübertragung schien mit deijenigen beim Darlehensvertrag oder Mutuum übereinzustimmen, sodass es ein natürlicher Schritt für die Gelehrten war, automatisch anzunehmen, dass alle monetären Deposita irregularia Darlehen darstellten, weil beide eine „Übertragung" des „Eigentums" vom Deponenten zum Depositar darstellten. Daher übersahen die Theoretiker den grundlegenden Unterschied (vgl. Kapitel 1) zwischen dem monetären Depositum irreguläre und dem Mutuum oder Darlehen: Der Hauptzweck des Depositum irreguläre ist die Bewachung und sichere Aufbewahrung des Gutes; und während das „Eigentum" in einem gewissen Sinne „übertragen" wird, trifft das nicht auf die Verfügbarkeit zu und das Tantundem muss dem Deponenten ständig verfügbar gehalten werden. Im Gegensatz dazu impliziert ein Darlehen zusätzlich zur Eigentumsübertragung (in der Tat werden Gegenwartsgüter gegen Zukunftsgüter getauscht) die Übertragung der vollständigen Verfügbarkeit und beinhaltet dieses fundamentale Element: eine Laufzeit, während der die Güter aufhören, dem Darlehensgeber verfügbar zu sein. Deposita irregularia beinhalten eine solche Laufzeit nicht. Kurzum, weil das kanonische Zinsverbot zu der betrügerischen und falschen Institution des Depositum confessatum führte, war es indirekt dafür verantwortlich, dass die Unterscheidung zwischen dem monetären Depositum irreguläre und dem Mutuum verloren ging. Diese Verwirrung liegt eindeutig dem falschen, endgültigen Gerichtsurteil von 1342 im Fall Isabetta Querini vs. die Bank von Marino Vendelino zugrunde, das von Reinhold C. Mueller in The Venetian Money Market: Banks, Panics, and the Public Debt, 1200-1500 erwähnt wird ([Baltimore: John Hopkins Univeristy Press, 1997], S. 12-13). 107 In der Tat war es Pasquale Coppa-Zucarri, dessen Werk wir bereits zitiert haben, der als Erster damit begann, eine vollständige Rechtstheorie des monetären Depositum irreguläre zu rekonstruieren. Er ging von den gleichen Prämissen wie die klassischen römischen Gelehrten aus und enthüllte erneut die Illegitimität der Veruntreuung der Sichteinlagen durch die Banken. Bezüglich der Folgen des Depositum confessatum auf die theoretische Behandlung der juristischen Institution des Depositum irreguläre folgert Coppa-Zuccari, dass „le condizioni legislative die tempi rendevano fertile il terreno in cui il seme della discordia dottrinale cadeva. Il divieto degli interessi nel mutuo non valeva pel deposito irregolare. Qual meraviglia dunque se chi aveva denaro da impiegare fruttuosamente lo desse a deposito irregolare, confessatum se occorreva, e non a mutuo? Quel divieto degli interessi, che tanto addestrò il commercio a frodare a legge e la cui efficacia era nulla di fronte ad un mutuo dissimulato, conservò in vita questo ibrido instituto, e fece sì che il nome di deposito venissi imposto al mutuo, che non poteva chiamarsi col proprio nome, perchè esso avrebbe importato la nullità del patto relativo agli interessi." (Coppa-Zuccari, TI deposito irregolare, S. 59 - 60).
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zunächst die traditionellen Rechtsprinzipien, die im Corpus Juris Civilis zu finden sind, d.h., sie operierten mit einer hundertprozentigen Reservedeckung, welche die sichere Aufbewahrung des Tantundems und seine ständige Verfügbarkeit für die Deponenten garantierte. Dann wurden diese Prinzipien wegen der Gier der Bankiers und der Komplizenschaft der Regierenden immer mehr missachtet und die Bankiers begannen, das Geld der Sichteinlagen zu verleihen, und zwar oftmals an die Regierenden. So entstanden ein Teildeckungsbankwesen und eine künstliche Kreditausweitung, die in der ersten Phase das wirtschaftliche Wachstum anzuregen schien. Der ganze Prozess endete in einer allgemeinen wirtschaftlichen Krise und dem Zusammenbruch der Banken, welche die Depositen auf Verlangen nicht zurückgeben konnten, als die Rezession zuschlug und deswegen das Vertrauen der Öffentlichkeit verloren ging. Wann immer Darlehen systematisch aus Sichteinlagen vergeben wurden, scheint die historische Konstante im Bankwesen der letztendliche Zusammenbruch gewesen zu sein. 108 Außerdem wurden Bankenzusammenbrüche von einer starken Kontraktion der Geldmenge (vor allem einem Mangel an Darlehen und Depositen) und von der daraus resultierenden, unvermeidlichen wirtschaftlichen Rezession begleitet. Wie wir in den folgenden Kapiteln sehen werden, brauchten die ökonomischen Gelehrten beinahe fünf Jahrhunderte, um die theoretischen Ursachen all dieser Prozesse zu verstehen. 109
108 Zum Beispiel erwähnt Raymond Bogaert, dass es urkundliche Beweise gibt, die zeigen, dass mindesten 93 der 163 in Venedig bekannten Banken zusammenbrachen. Bogaert, Banques et banquiers dans les cites grecques, Fußnote 513, S. 392. Für eine detaillierte Liste von 46 Zusammenbrüchen venezianischer Banken vgl. Mueller, The Venetian Money Market, S. 585-86. Das gleiche Schicksal des Zusammenbruchs erfasste alle Banken von Sevilla im 15. Jahrhundert. Der systematische Zusammenbruch von privaten Teildeckungsbanken, die nicht von einer Zentralbank (oder einem Äquivalent) unterstützt werden, ist daher ein geschichtliches Faktum. Pascal Salin übersieht diese Tatsache in seinem Artikel „In Defense of Fractional Monetary Reserves", präsentiert auf der Austrian Scholars Conference, 30.-31. März 2001. 109 Wie man sich vorstellen kann, führten die Bankiers ihre Verstöße gegen die allgemeinen Rechtsprinzipien und ihre Veruntreuungen der Gelder der Sichteinlagen in einer geheimnisvollen und schmachvollen Manier aus. In der Tat waren sie sich vollkommen der unrechtmäßigen Natur ihrer Aktivitäten bewusst und wussten auch, dass ihre Kunden, falls sie von diesen Aktivitäten erfahren würden, unmittelbar das Vertrauen in die Bank verlieren würden und diese bestimmt zusammenbrechen würde. Das erklärt die exzessive Geheimhaltung, die traditionell für das Bankwesen typisch ist. Zusammen mit der verwirrenden, abstrakten Natur von Finanztransaktionen schützt dieser Mangel an Offenheit Bankiers noch heute weitgehend vor öffentlicher Rechenschaft. Die Geheimhaltung lässt auch einen Großteil der Öffentlichkeit über die tatsächliche Natur des Bankwesens im Dunkeln. Während Banken für gewöhnlich als echte Finanzvermittler präsentiert werden, wäre es treffender, sie lediglich als die Erschaffer von Darlehen und Depositen, die aus dem Nichts entstehen und einen expansiven Effekt auf die Wirtschaft haben, zu betrachten. Die schändliche und daher geheime Natur dieser Bankpraktiken hat Knut Wickseil gekonnt mit den folgenden Worten enthüllt: „in effect, and contrary to the original plan, the banks became credit institutions, instruments for increasing the supplies of a medium of exchange, or for imparting to the total stock of money, an increased velocity of circulation, physical or virtual. Giro banking continued as before, though no actual stock of money existed to correspond with the total of deposit certificates. So long, however, as people continued to believe that the existence of money in the banks was a necessary condition of the convertibility of the deposit certificates, these loans had to remain a profound secret. If they were discovered the bank lost the confidence of the public and was ruined, especially if the discovery was made at a time when the Government was not in a position to repay the advances." (Wicksell, Lectures on Political Economy, Bd. 2, S. 74-75)
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2.3.3 Das Bankwesen im Florenz des vierzehnten Jahrhunderts
Gegen Ende des zwölften und zu Beginn des dreizehnten Jahrhunderts war Florenz der Schauplatz eines entstehenden Bankwesens, das im vierzehnten Jahrhundert eine große Bedeutung gewann. Die folgenden Familien besaßen einen Großteil der bedeutendsten Banken: die Acciaioulis, die Bonaccorsis, die Cocchis, die Antellesis, die Corsinis, die Uzzanos, die Perendolis, die Peruzzis und die Bardis. Es gibt Beweise, dass sich die Bankiers seit dem Beginn des vierzehnten Jahrhunderts allmählich anschickten, betrügerischen Gebrauch eines Teils der Gelder in den Sichteinlagen zu machen, wobei sie aus dem Nichts und in expansiver Weise eine bedeutende Menge an Krediten schufen. 110 Daher ist es nicht überraschend, dass ein Anstieg der Geldmenge (in der Form einer Kreditausweitung) einen künstlichen wirtschaftlichen Aufschwung verursachte, dem eine schwere und unvermeidbare Rezession folgte. Diese Rezession wurde nicht nur durch das massive Abziehen von Geldern durch neapolitanische Fürsten ausgelöst, sondern auch durch das Unvermögen Englands zur Rückzahlung seiner Darlehen und den drastischen Preisverfall bei florentinischen Staatsobligationen. In Florenz waren die öffentlichen Schulden durch spekulative, von florentinischen Banken aus dem Nichts geschaffene Darlehen finanziert worden. Eine allgemeine Vertrauenskrise brach aus und führte zwischen 1341 und 1346 zum Zusammenbruch aller oben genannten Banken. Wie zu erwarten, waren diese Bankzusammenbrüche zum Nachteil aller Deponenten, die nach einer ausgedehnten Zeitspanne höchstens die Hälfte, ein Drittel oder sogar nur ein Fünftel ihrer Depositen erhielten.111 Glücklicherweise beschreibt Villani die wirtschaftlichen und finanziellen Ereignisse dieser Periode in einer Chronik, die Carlo M. Cipolla entdeckt hat. Nach Villani war die Rezession von einer enormen Krediteinschränkung begleitet (die anschaulich als „mancamento della credenza" oder „Kreditmangel" beschrieben wird), welche die wirtschaftliche Lage weiter verschlechterte und zu einer Sintflut von Zusammenbrüchen von Industrie-, Handwerks- und Handelsbetrieben führte. Cipolla hat diese wirtschaftliche Rezession im Detail untersucht und beschreibt anschaulich den Übergang vom wirtschaftlichen Aufschwung zur Krise und Rezession: „Das Zeitalter des ,Lobgesangs der Sonne' wich dem Zeitalter des Danse macabre."112 In der Tat dauerte die Rezession laut Cipolla „dank" der verheerenden Effekte der Pest, welche die Bevölkerungszahl radikal verminderte, solange an, bis das Pro-Kopf-Angebot an Bar- und Kreditgeld
110 Zu diesem Thema sind verschiedene Artikel geschrieben worden. Vgl. den interessanten Beitrag von Reinhold C. Mueller, „The Role of Bank Money in Venice, 1300-1500", in Studi Veneziani n. s. 3 (1979): 4 7 - 9 6 , und das 5. Kapitel seines Buches The Venetian Money Market. Auch Carlo M. Cipolla bestätigt in seiner bemerkenswerten Veröffentlichung The Monetary Policy of Fourteenth-Century Florence (Berkeley: University of California Press, 1982) die Kreditausweitung der Banken: „Die Banken dieser Zeit hatten sich bereits zu dem Punkt entwickelt, dass sie Geld schufen und seine Umlaufsgeschwindigkeit vergrößerten." (S. 13) 111 Cipolla, The Monetary Policy of Fourteenth-Century Florence, S. 9. 112 Ebenda, S. 1. Vgl. zudem Boccaccios Kommentar zu den wirtschaftlichen Folgen der Pest, der von John Hicks in Capital and Time: A Neo-Austrian Theory (Oxford: Clarendon Press, 1973), S. 1 2 - 1 3 , erwähnt wird; vgl. Fußnote 334, Kapitel 5.
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s e i n e n Vorkrisenstand w i e d e r erreichte u n d die Grundlage für eine a n s c h l i e ß e n d e Erholung legte. 1 1 3 2.3.4 Die Medicibank Die Geschichte der Medicibank ist durch die F o r s c h u n g u n d Entschlossenheit v o n R a y m o n d de R o o v e r a n s Licht g e k o m m e n , d e s s e n Arbeit w i e d e r u m durch die 1 9 5 0 im
florentinischen
Archivio
di Stato
entdeckten vertraulichen Bücher („libri s e -
greti") der Medicibank vorangetrieben w u r d e . 1 1 4 Die G e h e i m h a l t u n g dieser Bücher zeigt erneut die verborgene, s c h a m v o l l e Natur der Bankaktivitäten (vgl. F u ß n o te 166) w i e a u c h d e n W u n s c h vieler K u n d e n italienischer B a n k e n (Adliger, Prinzen u n d s o g a r des Papstes), ihr Geld a u f G e h e i m k o n t e n z u hinterlegen. Die Entdeckung dieser Bücher w a r in der Tat ein Glücksfall, w e i l sie u n s e i n tief g e h e n d e s Verständnis d a v o n vermitteln, w i e die Medicibank i m f ü n f z e h n t e n Jahrhundert operierte. Es m u s s betont werden, dass die Medicibank ursprünglich keine Sichteinlagen akzeptierte. Zunächst n a h m sie nur Termineinlagen an, bei d e n e n es sich tatsächlich u m Darlehen der Kunden an die Bank handelte. Diese Mutuumverträge wurden „depositi a discrezione" genannt. Die Wörter „a discrezione" z e i g e n an, dass diese s o g e n a n n t e n „Depositen" tatsächlich Darlehen waren u n d die Bank diese vollständig gebrauchen u n d n a c h Belieben investieren konnte - zumindest für die Länge der festgelegten Laufzeit. 1 1 5 „Discrezioni" w a r auch ein Hinweis auf die Zinsen, w e l c h e die Bank den Kunden zahlte, die ihr Geld in Form v o n „Termin"einlagen" geliehen hatten. 113 Carlo M. Cipollas interpretative Analyse der historischen Ereignisse offenbart ein größeres Wissen und eine bessere Anwendung der ökonomischen Theorie, als sie andere Autoren gezeigt haben (wie A. P. Usher und Raymond de Roover, die beide ihr Erstaunen über die mittelalterlichen Rezessionen ausdrücken, deren Ursprünge für sie oft „mysteriös und unerklärlich" waren). Dennoch konzentriert sich seine in ihrer Natur monetaristische Analyse auf die Phasen der Rezession, die er einem Geldmangel zuschreibt, der seinerseits in einer allgemeinen Krediteinschränkung begründet ist. Bemerkenswerterweise ignoriert er den vorhergehenden ökonomischen Aufschwung und fällt unbewusst in die „monetaristische" Interpretation der Geschichte, sodass er nicht erkennt, dass der künstliche, durch die Kreditausweitung verursachte Aufschwung die wahre Quelle der folgenden unvermeidbaren Rezessionen ist Cipollas These, dass es der Schwarze Tod war, der schließlich die Geld„knappheit" behob, ist höchst fraglich, weil ein Geldmangel dazu tendiert, sich spontan durch einen allgemeinen Fall der Preise (mittels eines entsprechenden Anstiegs im Geldwert) zu korrigieren, was es für die Individuen obsolet macht, solch hohe Geldvorräte zu halten. Es besteht daher keine Notwendigkeit eines Krieges oder einer Seuche, um die Bevölkerung zu dezimieren. Selbst wenn es keine Pest gegeben hätte, wäre der Prozess des wirtschaftlichen Niedergangs durch einen Anstieg der Geldmenge und die nachfolgende Verringerung der Geldvorräte früher oder später zu einem Ende gekommen, wenn erst einmal die während des Aufschwungs gemachten Investitionsfehler korrigiert worden wären. Diese Entwicklung fiel unzweifelhaft mit den Folgen des Schwarzen Tods zusammen, trat jedoch unabhängig von ihnen auf. Daher kommen sogar die gebildetsten und einsichtigsten Historiker wie Cipolla in ihren Interpretationen eindeutig zu teilweisen Fehleinschätzungen, wenn sie nicht die geeigneten theoretischen Werkzeuge zu gebrauchen wissen. In jedem Fall ist es sehr bezeichnend, dass diese Vertreter einer inflationären Interpretation der Geschichte weiterhin auf die „positiven Effekte" von Kriegen und Seuchen hinweisen und diese als den Schlüssel zur Erholung von wirtschaftlichen Krisen betrachten. 114 De Roover, The Rise and Decline ofthe Medici Bank 1397- 1494. 115 „The Medici Bank and its subsidiaries also accepted deposits from Outsiders, especially great nobles, church dignataries, condottieri, and political figures, such as Philippe de Commines and Ymbert de Batarnay. Such deposits were not usually payable on demand but were either explicitly or implicitly time deposits on which interest, or rather discrezione, was paid." (De Roover, The Rise and Decline ofthe Medici Bank 1397- 1494, S. 101)
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In seinem Buch nimmt Raymond de Roover eine gründliche und detaillierte Untersuchung der Entwicklung und der Wechselhafitigkeit der Medicibank durch das Jahrhundert ihrer Existenz vor. Für unsere Zwecke ist es lediglich notwendig hervorzuheben, dass die Bank ab einem gewissen Zeitpunkt begann, Sichteinlagen zu akzeptieren und einen Teil dieser Sichteinlagen unerlaubterweise als Darlehen zu nutzen. Die „libri segreti" dokumentieren diese Tatsache. Die Buchungsunterlagen vom März 1442 enthalten eine Notiz neben jedem Eintrag einer Sichteinlage, die anzeigt, mit welcher Wahrscheinlichkeit jeder Deponent sein Geld zurückfordern könnte. 116 Eine Bilanz der englischen Niederlassung der Medicibank, datiert auf den 12. November 1477, zeigt, dass ein signifikanter Teil der Verpflichtungen der Bank Sichteinlagen waren. Raymond de Roover selbst schätzt, dass ab einem gewissen Zeitpunkt die liquiden Reserven der Bank auf 50 Prozent der gesamten Sichtverbindlichkeiten gesunken waren. 117 Wenn wir das von A. P. Usher benutzte Standardkriterium anwenden, bedeutet das ein Verhältnis von Kreditausweitung zu empfangenen Sichteinlagen von 2 : 1. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass sich dieses Verhältnis über die Lebensspanne des Instituts verschlechterte, vor allem nach 1464, einem Jahr, das den Beginn wachsender Schwierigkeiten für die Bank markierte. Die Ursprünge der allgemeinen wirtschaftlichen Krise und der Bankenkrise, welche die Medicibank in den Ruin trieben, ähneln jenen, die Carlo M. Cipolla in seiner Studie des Florenz des 14. Jahrhunderts ausmacht. In der Tat führte eine Kreditausweitung, die aus der widerrechtlichen Aneignung von Sichteinlagen durch die Bankiers resultierte, zu einem künstlichen Aufschwung, der sich aus dem Anstieg der Geldmenge und dessen scheinbar „vorteilhaften" kurzfristigen Folgen speiste. Dennoch war die Umkehr des Prozesses unvermeidbar, wie wir in Kapitel 4 und folgende detailliert erklären werden, weil der Aufschwung aus einem Anstieg der Geldmenge hervorging, genauer einer Kreditausweitung ohne einen realen Anstieg der Ersparnisse. Genau dies geschah in den italienischen Geschäftszentren in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts. Hinsichtlich der ökonomischen Analyse ist Raymond de Roovers Verständnis des historischen Prozesses unglücklicherweise noch oberflächlicher als Cipollas und er geht sogar so weit zu behaupten: „what caused these general crises remains a mysteiy."118 Es kann jedoch nicht überraschen, dass die Medicibank schließlich ebenso bankrottging wie die anderen Banken, deren Geschäfte hauptsächlich vom Teildeckungsbankwesen abhingen. Obwohl Raymond de Roover behauptet, er verstünde nicht, was die allgemeine Krise am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts verursachte, zeigt seine genaue historische Darstellung der letzten Phase der Medicibank alle typischen Anzeichen einer unvermeidbaren Rezession und eines Kreditengpasses, die auf einen Prozess einer großen künstlichen Kreditausweitung folgen. De Roover erläutert, dass die Medici gezwungen waren, eine Politik der Krediteinschränkung zu fahren. Sie forderten die Rückzahlung von Darlehen ein und versuchten, die Liquidität der 116 Ebenda, S. 213. 117 Ebenda, S. 245. 118 Ebenda, S. 239.
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Bank zu erhöhen. Ferner ist gezeigt worden, dass die Medicibank in ihrer letzten Phase mit einer sehr geringen Reservedeckung operierte. Die Reservedeckung der Bank fiel sogar unter die Marke von 10 Prozent der gesamten Vermögenswerte und war daher unangemessen, um die Verpflichtungen der Bank während der Rezessionsperiode zu erfüllen.119 Die Medicibank ging schließlich bankrott und alle ihre Vermögenswerte fielen in die Hände ihrer Gläubiger. Die Wettbewerber der Bank gingen aus denselben Gründen bankrott: wegen der unvermeidbaren Folgen der künstlichen Expansion und der anschließenden wirtschaftlichen Rezession, die ausnahmslos durch das Verletzen der traditionellen Rechtsprinzipien bedingt ist, die das monetäre Depositum irreguläre regulieren. 2.3.5 Das Bankwesen im Katalonien des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts: die Taula de Canvi
Das Aufkommen von Privatbanken in Barcelona fiel mit der Entwicklung des privaten Bankwesens in den großen italienischen Geschäftszentren zusammen. Unter der Herrschaft von Jaime I. dem Eroberer (1213- 1276) wurden die gotischen und römischen Gesetze abgeschafft, die Geschäftsbeziehungen regelten, und durch die „Usos de Barcelona" ersetzt. Außerdem führten die Cortes von 1300-1301 eine Reihe von gründlichen und detaillierten Regulierungen zur Kontrolle des Bankwesens ein. Die Regulierungen bestimmten die Befugnisse, Rechte und Pflichten der Bankiers und legten die Erfordernisse in Bezug auf Bürgschaften fest. Einige der eingeführten Regeln sind für unser Thema sehr relevant. Zum Beispiel wurde am 13. Februar 1300 festgesetzt, dass jeder bankrottgegangene Bankier durch einen öffentlichen Ausrufer in ganz Barcelona verunglimpft und gezwungen würde, von Wasser und Brot zu leben, bis er die gesamten Depositen seinen Gläubigem zurückgegeben hätte. 120 Ein Jahr später, am 16. Mai 1301, wurde zudem entschieden, dass Bankiers verpflichtet seien, Sicherheiten oder Garantien von dritten Parteien zu haben, um ihr Geschäft betreiben zu können, und dass es jenen, die dies nicht taten, verboten sei, eine Tischdecke über ihren Bankschalter auszubreiten. Der Zweck dieser Regelung war es, jedermann klarzumachen, dass Bankiers ohne Tischdecke nicht so liquide waren wie solche, die Tischdecken benutzten und von Sicherheiten gestützt wurden. Jeder Bankier, welcher der Regel zuwiderhandelte (d.h., der mit einer Tischdecke operierte, ohne Sicherheiten zu haben), würde des Betrugs schuldig befunden werden. 121 In Anbetracht dieser Re119 Über die Lebensspanne der Bank verletzten ihre Eigentümer zunehmend das traditionelle Rechtsprinzip, wonach sie den hundertprozentigen Besitz der Sichteinlagen aufrechtzuerhalten hatten, und so verringerte sich ihre Reservedeckung kontinuierlich: „A perusal of the extant balance sheets reveals another significant fact: the Medici Bank operated with tenuous cash reserves which were usually well below 10 percent of total assets. It is true that this is a common feature in the financial statements of medieval merchant-bankers, such as Francesco Datini and the Borromei of Milan. The extent to which they made use of money substitutes is always a surprise to modem historians. Nevertheless, one may raise the question whether cash reserves were adequate and whether the Medici Bank was not suffering from lack of liquidity." (Ebenda, S. 371) 120 Usher, The Early History of Deposit Banking in Mediterranean Europe, S. 239. 121 Ebenda, S. 239.
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gulierungen muss Barcelonas Bankensystem ursprünglich recht liquide gewesen sein und die Banken müssen im Großen und Ganzen die grundlegenden Rechtsprinzipien respektiert haben, die das monetäre Bankdepositum bestimmten. Dennoch gibt es Anzeichen dafür, dass die Privatbankiers trotz allem bald damit begannen, ihre Kunden zu täuschen, und am 14. August 1321 wurden die Regulierungen bezüglich der Bankzusammenbrüche modifiziert. Es wurde festgelegt, dass deijenige, der nicht auf der Stelle seine Verpflichtungen nachkam, für bankrott erklärt würde; und wenn er seine Schulden nicht binnen eines Jahres zahlen konnte, so würde er in öffentliche Ungnade fallen, die durch einen städtischen Ausrufer in ganz Katalonien verkündet werden solle. Direkt nach dieser Maßnahme würde der Bankier vor seinem Bankschalter geköpft und sein Eigentum vor Ort verkauft werden, um seine Gläubiger zu bezahlen. In der Tat war dies eine der wenigen historischen Fälle, in denen die Regierenden sich darum bemühten, die allgemeinen Prinzipien der Eigentumsrechte in Bezug auf den monetären Bankdepositenvertrag effektiv zu verteidigen. Während es wahrscheinlich ist, dass die meisten katalonischen Bankiers zu fliehen versuchten oder ihre Schulden innerhalb eines Jahres zu bezahlen, beweisen Dokumente, dass zumindest ein Bankier, ein gewisser Francesch Castello, im Jahre 1360 direkt vor seinem Schalter geköpft wurde - in strikter Auslegung des Gesetzes. 122 Trotz dieser Sanktionen kamen die liquiden Gelder der Banken nicht den Beträgen gleich, die als Sichteinlagen empfangen wurden. Als eine Folge gingen die Banken im vierzehnten Jahrhundert schließlich reihenweise bankrott, in derselben wirtschaftlichen Rezession und Kreditkrise, welche die italienische Finanzwelt verheerte und von Carlo M. Cipolla untersucht worden ist. Obgleich es Anzeichen dafür gibt, dass die katalanischen Banken ein wenig länger als die italienischen aushielten (die schweren Strafen für Betrug führten unzweifelhaft zu einer höheren Reservedeckung), zeigen die Dokumente, dass schließlich auch die katalanischen Banken ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen konnten. Im März 1397 wurden weitere Regulierungen eingeführt, als die Öffentlichkeit begann, sich darüber zu beschweren, dass die Bankiers nur widerstrebend das deponierte Geld zurückgaben, alle möglichen Ausreden vorbrachten, ihre Kunden baten, „später wiederzukommen", und diese letztendlich - wenn sie Glück hatten - in kleinen Münzen geringen Wertes auszahlten, aber niemals im ursprünglich deponierten Gold. 123 Die Bankenkrise des vierzehnten Jahrhunderts führte nicht zu einer erhöhten Überwachung und einem besseren Schutz der Eigentumsrechte der Deponenten. Stattdessen hatte die Krise die Schaffung einer städtischen, öffentlichen Bank zur Folge, der Taula de Canvi, Barcelonas Depositenbank. Diese Bank wurde mit dem 122 Ebenda, S. 240 und 242. In Anbetracht jüngster Skandale und Bankkrisen in Spanien könnte man sich spaßeshalber fragen, ob es nicht eine gute Idee wäre, betrügerische Bankiers wieder so hart zu bestrafen wie im vierzehnten Jahrhundert in Katalonien. Eine unserer Studentinnen, Elena Sousmatzian, berichtete, dass in der jüngsten Bankenkrise, die Venezuela heimsuchte, ein Senator der sozialen christlichen Partei Copei in einer Presseerklärung sogar „ernsthaft" derartige Schritte vorgeschlagen habe. Übrigens wurden seine Anmerkungen von den von der Krise betroffenen Deponenten sehr gut aufgenommen. 123 Ebenda, S. 244.
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Zweck gegründet, Depositen anzunehmen und sie zur Finanzierung städtischer Ausgaben und Emission öffentlicher Anleihen der Stadt Barcelona zu verwenden. Mithin passt die Taula de Canvi in das traditionelle Muster einer Bank, die von den Regierenden geschaffen wird, um direkt die unehrlichen Vorteile des Bankwesens auszunutzen. A. P. Usher hat das Wirken dieser Bank bis ins Detail untersucht. Wie vorherzusehen war, endete es (im Februar 1468) in Zahlungsunfähigkeit, weil ein großer Teil ihrer Reserven in Darlehen für die Stadt Barcelona geflossen waren und die Bank nicht imstande war, die Wünsche der Deponenten, Bargeld abzuheben, zu befriedigen. 124 Von diesem Zeitpunkt an wurde die Bank reorganisiert. Es wurden ihr mehr und mehr Privilegien zugestanden, wie zum Beispiel das Monopol auf alle Depositen, die aus richterlich angeordneten Pfändungen und Beschlagnahmungen stammten. Dies war beinahe eine garantierte, kontinuierliche Einnahmequelle und fungierte als Sicherheit bei Darlehen zur Finanzierung der Projekte der Stadt. Die „Taula" erhielt zudem das Monopol auf die Ressourcen aller Depositen der Exekutive. Ferner mussten Gelder in Vormundschafts- und Testamentsprozessen bei der Bank eingezahlt und festgesetzt werden. 125 2.4 Das Bankwesen während der Herrschaft Karls V. und die Lehre der Schule von Salamanca 126 Das Bankwesen während der Herrschaft Karls V. ist aus verschiedenen Gründen paradigmatisch für das beschriebene Szenario. Erstens verschob sich durch den massiven Zustrom von Edelmetallen aus dem amerikanischen Kontinent der ökonomische Fokus, zumindest zeitweise, von den norditalienischen Handelsstädten auf Spanien, vor allem auf Sevilla und anderen spanischen Wirtschaftszentren. Zweitens benötigte Karl V. wegen seiner kostspieligen Reichspolitik fortwährend neue Gelder und wandte sich auf der Suche nach einer beständigen Finanzierungsquelle dem Bankensystem zu. So nutzte er skrupellos die Liquidität aus, mit der
124 „In February 1468, after a long period of strain, the Bank of Deposit was obliged to suspend specie payments completely. For all balances on the books at that date, annuities bearing interest at 5 percent were issued to depositors willing to accept them. Those unwilling to accept annuities remained creditors of the bank, but they were nor allowed to withdraw funds in cash." (Ebenda, S. 278) 125 Die Dokumente zeigen, dass im Jahr 1433 mindestens 28 Prozent der Depositen der Taula de Canvi Barcelonas aus gerichtlichen Zwangsbeschlagnahmungen stammten und sehr stabil waren. Vgl. Usher, The Early History of Deposit Banking in Mediterranean Europe, S. 339, und Kindleberger, A Financial History of Western Europe, S. 49. Auf jeden Fall verschlechterte sich die Reservedeckung progressiv bis zur Zahlungseinstellung im Jahr 1468. In der Folge der Reorganisation zu dieser Zeit gelang es Barcelonas Depositenbank, für die nächsten 300 Jahre eine zerbrechliche, finanzielle Existenz zu führen, was auf die Privilegien zurückzuführen ist, die sie hinsichtlich der juristischen Depositen innehatte, sowie auf die Grenzen, die den Darlehen an die Stadt gesetzt wurden. Kurz nachdem Barcelona am 14. September 1714 von den Bourbonen erobert worden war, wurden der Bank neue Statuten gegeben, die vom Grafen von Montemar am 14. Januar 1723 entworfen wurden. Diese Statuten waren das Rückgrat der Bank bis zu ihrer endgültigen Liquidierung im Jahr 1853. 126 Eine weitere englische Version dieses Kapitels ist in Jesus Huerta de Soto, „New Light on the Prehistory of the Theory of Banking and the School of Salamanca", Review of Austrian Economics 9. Nr. 2 (1996): 5 9 - 8 1 , erschienen.
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ihn das Bankensystem versorgte, und festigte die traditionelle Komplizenschaft zwischen Regierenden und Bankiers. Eine eher verdeckte Zusammenarbeit zwischen beiden war zu dieser Zeit bereits an der Tagesordnung. Zudem war Karl V. nicht imstande, den Bankrott der königlichen Staatskasse zu verhindern, was, wie zu erwarten, sehr negative Folgen für die spanische Wirtschaft und die Bankiers zeitigte, die seine Projekte finanziert hatten. Alle diese Vorkommnisse regten die brillantesten Köpfe der Zeit, die Gelehrten der Schule von Salamanca, dazu an, die Finanz- und Bankaktivitäten zu reflektieren, deren sie Zeuge wurden. Diese Theoretiker hinterließen uns einige sehr wertvolle Analysen, die es wert sind, detailliert studiert zu werden. Wir werden nun jedes dieser historischen Ereignisse der Reihe nach untersuchen. 2.4.1 Die Entwicklung des Bankwesens in Sevilla
Dank der Arbeiten von Ramon Carande kennen wir heute in einigen Details die Entwicklung des privaten Bankwesens in Sevilla unter der Herrschaft Karls V.127 Carande zufolge wurden seine Forschungen durch die Entdeckung einer Liste unterstützt, die vor der Konfiszierung der Edelmetalle durch Sevillas Casa de Contratación (Handelskammer) 1545 zusammengestellt worden war. Eine verarmte Staatskasse veranlasste Karl V., die grundlegendsten Rechtsprinzipien zu verletzten und Gelder zu beschlagnahmen, wo er sie nur finden konnte, d. h. deponiert in den Tresoren der Bankiers von Sevilla. Zugegebenermaßen verletzen auch diese Bankiers die grundlegenden Rechtsprinzipien, die das monetäre Depositum irreguläre regeln, und hatten einen Großteil des deponierten Geldes in ihre eigenen privaten Unternehmungen eingebracht. Die Politik des Kaisers, jegliche Gelder zu konfiszieren, die sich noch in ihren Tresorräumen befanden, veranlasste sie jedoch dazu, den Großteil des deponierten Geldes regelmäßig an Dritte zu verleihen. Denn letztendlich gab es keine Garantien, dass die Regierenden die Bankreserven respektieren würden (und ihre eigenen Erfahrungen lehrten die Bankiers, dass der Kaiser, wenn er knapp bei Kasse war, keine Skrupel hatte, sich diese Gelder gewaltsam in Form von Zwangsdarlehen an die Krone anzueignen). So erschien es klüger, einen Großteil des deponierten Geldes in Darlehen an die Privatindustrie und den Handel zu geben, wodurch Enteignungen verhindert und höhere Profite erwirtschaftet werden konnten. Die Praxis des Konfiszierens der Depositen ist vielleicht das extremste Beispiel der traditionellen Politik der Regierenden, aus den Bankgewinnen Kapital zu schlagen, indem die Vermögenswerte jener enteignet wurden, die eine rechtliche Pflicht haben, die Depositen Dritter besser zu schützen. Es ist daher verständlich, dass die Herrschenden als die Hauptnutznießer der zweifelhaften Aktivitäten der Bankiers dieses Gebaren schließlich legitimierten, den Bankiers allerlei Privilegien gewährten und es ihnen erlaubten, mit einer Teildeckung an der Randzone der Legalität zu operieren.
127 Ramön Carande,
Carlos Vy sus banqueros,
3 Bde. (Barcelona und Madrid: Editorial Critica, 1897).
Das B a n k w e s e n während der Herrschaft Karls V.
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In seinem Hauptwerk, Carlos V y sus banqueros, führt Ramón Carande die wichtigsten Bankiers im Sevilla Karls V. auf, nämlich die Espinosas, Domingo de Lizarrazas und Pedro de Morga, daneben die weniger prominenten Cristóbal Francisquin, Diego Martínez, Juan Iñiguez und Octavio de Negrón. Unaufhaltsam gingen alle diese Bankiers in den Ruin, meistens wegen einer Liquidität, die nicht ausreichte, um den Abruf von Sichteinlagen durch die Deponenten zu befriedigen. Dies zeigt, dass sie mit einer Teildeckung operierten, unterstützt durch eine Lizenz oder ein Privileg, das sie von der Stadt Sevilla oder Karl V. selbst erhielten. 128 Wir haben keine Informationen über die genaue Höhe der Reservedeckung, aber wir wissen, dass die Bankiers in einigen Fällen persönliche Investitionen in die amerikanische Handelsflotte, die Steuereintreibung etc. vornahmen. Diese riskanten Unternehmungen waren besonders verlockend, denn sie warfen einen beträchtlichen Gewinn ab, wenn sie einigermaßen mit Erfolg beendet wurden. Außerdem bestärkte die bereits erwähnte wiederholte Konfiszierung von Bankdepositen aus Edelmetallen die Bankiers darin, ihre illegitimen Aktivitäten fortzusetzen. Infolgedessen ging 1579 die Bank der Espinosas bankrott, die Hauptgesellschafter wurden eingesperrt. Die Bank des Domingo de Lizarrazas ging am 11. März 1553 bankrott, als er unfähig war, eine Zahlung von mehr als sechseinhalb Millionen Maravedís vorzunehmen, während die Bank des Pedro de Morga, die ihre Geschäfte 1553 aufnahm, 1575 während des zweiten Bankrotts Philipp II. ihrerseits bankrottging. Die weniger prominenten Banken erlitten das gleiche Schicksal. Thomas Gresham machte einen interessanten Kommentar über diesen Sachverhalt. Er war nach Sevilla gereist mit der Instruktion, 320.000 Dukaten in bar abzuheben, wofür er die notwendige Bewilligung des Kaisers und von Queen Mary erhalten hatte. Gresham staunte, dass Geld gerade in der Stadt, welche die Schätze der Neuen Welt erhalten hatte, so knapp sein konnte. Auch auf den Märkten war das Geld knapp und Gresham fürchtete, dass alle Banken der Stadt die Zahlungen einstellen würden, sobald seine Abhebung abgewickelt war. 129 Es ist bedauerlich, dass Ramón Carande derart unzulängliche Analysewerkzeuge benutzt und sich seine Interpretation der Bankrotte hauptsächlich aus anekdotenhaften Informationen ableitet, wie z. B. die Gier nach Metallen, die ständig die Zahlungsfähigkeit der Banken bedrohte; die wagemutigen persönlichen Unternehmungen der Bankiers (ihre Mitwirkung beim Chartern von Schiffen, im Überseehandel, bei Versicherungen, bei verschiedenen Arten der Spekulation etc.), die diese kontinuierlich in missliche Lagen brachte; und die wiederholte Konfiszierung von Wertgegenständen durch das königliche Schatzamt und dessen Wunsch nach Liquidität. Nicht ein einziges Mal erwähnt er die folgende Kette von Ereignissen: Das Teildeckungsbankwesen führte zu einer 128 Die spanischen Banken des siebzehnten Jahrhunderts hatten nicht mehr Glück: „Zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts gab es Banken am Hofe, in Sevilla, Toledo und Granada. Kurz nach 1622 beschwerte sich Alejandro Lindo, dass keine Bank mehr existierte, wobei die letzte (im Eigentum von Jacome Matedo) in Sevilla bankrottging." (M. Colmeiro, Historia de la economía política española [1863; Madrid: Fundación Banco Exterior, 1988], Bd. 2, S. 342) 129 Schließlich, nach einigen Anstrengungen, war es ihm möglich, ungefähr 200.000 Dukaten zu erhalten, woraufhin er schrieb: „Ich befürchte, dass ich den Bankrott sämtlicher Banken Sevillas verursachen werde." Vgl. Carande, Carlos V y sus banqueros, Bd. 1, S. 2 9 9 - 3 2 3 , vor allem S. 3 1 5 - 16, die sich auf Greshams Besuch Sevillas beziehen.
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künstlichen Kreditausweitung, die nicht durch ausreichende reale Ersparnisse gestützt wurde; zusammen mit der Inflation der Edelmetalle aus Amerika erzeugte diese Kreditausweitung einen künstlichen Aufschwung, der seinerseits eine wirtschaftliche Krise und eine unausweichliche Rezession hervorrief, die der wahre Grund der Bankzusammenbrüche war. Glücklicherweise wurde Ramön Carandes Auslassung der Theorie zumindest teilweise durch Carlo M. Cipollas interpretative Studie der wirtschaftlichen und finanziellen Krise der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts kompensiert. Obwohl sich seine Analyse strikt auf die italienischen Banken bezieht, ist sie auch direkt auf das spanische Finanzsystem anwendbar, was auf die enge Verbindung zwischen den Finanz- und Handelsströmen der beiden Länder zu dieser Zeit zurückzuführen ist. 130 Cipolla erklärt, dass in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts die Geldmenge (was wir heute als Ml oder M2 bezeichnen würden) eine große Menge an „Bankgeld" oder Depositen umfasste, die von Bankiers, die keine hundertprozentige Bargelddeckung ihrer Sichteinlagen aufrechterhielten, aus dem Nichts geschaffen wurden. Das führte zu einer Periode künstlichen wirtschaftlichen Wachstums, das sich in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts in eine Rezession umzukehren begann, als Deponenten nervös anfingen, erste wirtschaftliche Schwierigkeiten zu erfahren und die wichtigsten florentinischen Banken bankrottgingen. Cipolla zufolge wurde die Phase der Expansion in Italien durch die Direktoren der Riccibank ausgelöst, die einen Großteil ihrer Depositen benutzten, um Staatspapiere zu kaufen und Darlehen zu gewähren. Die anderen Privatbanken sahen sich gezwungen, die gleiche Kreditausweitungspolitik anzuwenden, wenn ihre Manager wettbewerbsfähig bleiben und ihre Gewinne und Marktanteile erhalten wollten. Dieser Prozess führte zu einem Kreditboom, der eine Phase größter künstlicher Expansion einleitete, die sich bald umkehrte. 1574 beschuldigte eine Proklamation die Bankiers, die Auszahlung von Depositen in bar zu verweigern, und prangerte den Umstand an, dass diese nur „mit Tinte bezahlten". Es wurde für die Bankiers zunehmend schwieriger, die Depositen sofort in bar zurückzuzahlen, und die venezianischen Städte begannen eine bedeutende Geldknappheit durchzumachen. Handwerker konnten weder ihre Depositen abheben noch ihre Rechnungen bezahlen und es folgte eine schwere Kreditrestriktion (d.h. Deflation) zusammen mit einer ernsten wirtschaftlichen Krise, die detailliert von Cipolla analysiert worden ist. Von einem theoretischen Standpunkt aus ist Cipollas Analyse besser als die von Ramön Carandes, obwohl auch sie nicht völlig angemessen ist, weil sie auf die Krise und Kreditklemme eine größere Betonung legt als auf die vorhergehende Stufe der Kreditausweitung, in der die Wurzel des Übels liegt. Die Phase der Kredit-
130 Vgl. Cipolla Money in Sixteenth-Century Florence (Berkeley: University of California Press, 1989), vor allem S. 101 ff. Die enge Beziehung der Finanzwelt und des Handels zwischen Spanien und Italien um das sechzehnte Jahrhundert ist sehr gut in Felipe Ruiz Martins Buch Pequeno capitalismo, gran capitalismo: Simon Ruiz y sus negocios en Florencia (Barcelona: Editorial Critica, 1990) dokumentiert.
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ausweitung ihrerseits wurzelt in dem Versäumnis der Bankiers, der Verpflichtung zu entsprechen, das Tantundem zu beschützen und zu hundert Prozent intakt zu halten. 131 Von internationaler Bedeutung waren die langjährigen Verbindungen zwischen Karl V. und den Mitgliedern der prominenten Bankiersfamilie Fugger (bekannt in Spanien als die Fúcares}. Die Fugger aus Augsburg begannen als Woll- und Silberhändler und handelten auch mit Gewürzen zwischen ihrer Stadt und Venedig. Später konzentrierten sie sich auf das Bankwesen und betrieben zu ihrer Glanzzeit achtzehn Zweigstellen in verschiedenen Teilen Europas. Sie gewährten Kredite, die halfen, die Wahl Karls V. zum Kaiser zu finanzieren, und versahen viele weitere seiner Unternehmungen mit Geldmitteln, wobei sie als Sicherheit sowohl die Silberlieferungen aus Amerika als auch die Bevollmächtigung erhielten, Steuern einzutreiben. Ihre Geschäfte kamen zu einem abrupten Ende und entgingen nur knapp dem Bankrott, als Philipp EL 1557 de facto die Zahlungen an die Gläubiger der Krone einstellte. Trotz allem blieben die Fugger bis 1634 Pächter der Ordensgebiete.132 2.4.2 Die Schute von Salamanca und das Bankgeschäft
Die angesprochenen Phänomene der Bank- und Finanzwelt gingen nicht unbeachtet an den illustren Geistern der Mitglieder der Schule von Salamanca vorüber, die sehr verlässlichen Forschungen zufolge der modernen subjektivistischen Werttheorie, wie sie von der Österreichischen Schule entwickelt wurde, den Weg bereiteten.133 Aus chronologischer Sicht ist das erste zu berücksichtigende und 131 Cipolla zeigt, dass die Riccibank in den 1570er-Jahren nicht mehr den Wünschen nach Bargeldabhebungen nachkommen konnte, tatsächlich die Zahlungen einstellte und nur „mit Tinte" oder „Bankwertpapieren" zahlte. Die florentinische Regierung richtete ihr Augenmerk nur auf die Symptome dieser besorgniserregenden Situation und machte den typischen Versuch, die Situation durch bloße Verordnungen in den Griff zu bekommen. Sie zwang die Bankiers, ihre Gläubiger sogleich in bar auszuzahlen, aber sie diagnostizierte und attackierte den Ursprung des Problems nicht (die Entwendung der Depositen und ihre Kanalisierung in Darlehen sowie das Versäumnis, eine hundertprozentige Reservedeckung aufrechtzuerhalten). In der Folge verfehlten die Dekrete die beabsichtigte Wirkung und die Krise verschärfte sich stetig, bis sie in der Mitte der 1570er-Jahre heftig ausbrach. Vgl. Cipolla, Money in Sixteenth-Century Florence, S. 107. 132 Die beste Quelle zu den Beziehungen zwischen der Fuggerbank und Karl V. ist wohl Ramón Carandes Carlos V y sus banqueros. Außerdem verdient die Studie Rafael Termes Carreros mit dem Titel Carlos Vy uno de sus banqueros: Jacobo Fugger (Madrid: Asociación de Caballeros del Monasterio de Yuste, 1993) Erwähnnung. Rafael Termes macht eine interessante Beobachtung über die Fugger'sche Dominanz in Spanien, indem er aufzeigt, dass „es eine Straße in Madrid gibt, die nach den Fuggem benannt ist." Die Calle de Fúcar, zwischen der Straße von Atocha und Motarin, trägt eine hispanisierte Fassung ihres Nachnamens. Außerdem ist das Wort fúcar noch heute mit der Bedeutung „eine reiche und wohlhabende Person" im Diccionario de la Real Academia verzeichnet. (S. 25) 133 Unter anderem die folgenden Autoren haben in jüngster Vergangenheit die Beiträge der spanischen Scholastiker zur ökonomischen Theorie untersucht: Murray N. Rothbard, „New Light on the Prehistory of the Austrian School", in The Foundations of Modern Austrian Economics, Edwin G. Dolan, Hrsg. (Kansas City, Mo.: Sheed and Ward, 1976), S. 52-74, und Economic Thought Before Adam Smith, Kap. 4, S. 97-133; Lucas Beltrán, „Sobre los orígenes hispanos de la economía de mercado", in Ensayos de economía política (Madrid: Unión Editorial, 1996), S. 234-54; Maijorie Grice-Hutchinson, The School of Salamanca: Readings in Spanish Monetary Theory 1544-1605 (Oxford: Clarendon Press, 1952), Early Economic Thought in Spain 1177-1740, London: George Allen and Unwin, und Economic Thought in Spain: Selected Essays of Mar-
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Historische Verletzungen der den Vertrag bestimmenden Rechtsprinzipien
für unsere These möglicherweise relevanteste Werk die Instrucción de mercaderes („Anweisung für Händler"), die von Doktor Luis Saravia de la Calle geschrieben und von Medina del Campo 1544 veröffentlicht wurde. Saravia de la Calle kritisiert die Bankiers harsch und nennt sie „unersättliche Vielfraße, die alles schlucken, alles zerstören, alles verwirren, alles stehlen und verunreinigen, wie die Harpyien des Phineus."134 Er sagt, dass die Bankiers „mit Tisch und Stuhl und Kasse und Buch hinaus auf die Straßen und Plätze gehen wie die Dirnen ins Freudenhaus mit ihrem Stuhl"; und wenn sie die notwendige Lizenz und die durch die Gesetze des Königreichs erforderliche Garantie erhalten haben, machen sie sich daran, Depositen von ihren Klienten zu akquirieren, denen sie Buchhaltungs- und Zahlungsverkehrsdienste, die Ausführung von Auftragszahlungen von den Klientenkonten und sogar Zinszahlungen auf die Depositen anbieten. In einwandfreier juristischer Argumentation zeigt Saravia de la Calle, dass Zinsen mit der Natur des monetären Depositums unvereinbar sind und der Bankier in jedem Fall eine Gebühr für die sichere Aufbewahrung des Geldes erhalten sollte.
jorie Grice-Hutchinson, Laurence S. Moss and Christopher K. Ryan, Hrsg. (Aldershot, England: Edward Elgar, 1993); Alejandro A. Chafuen, Christians for Freedom: Late-Scholastic Economics (San Francisco: Ignatius Press, 1986); und Huerta de Soto, „New Light on the Prehistory of the Theoiy of Banking and the School of Salamanca", S. 59-81. Der intellektuelle Einfluss der Schule von Salamanca auf die Österreichische Schule ist kein reiner Zufall oder ein Treppenwitz der Geschichte, sondern die Folge einer engen historischen, politischen und kulturellen Verbundenheit zwischen Spanien und Österreich während der Zeit Karls V. und seines Bruders Ferdinand I. Diese Verbundenheit dauerte mehrere Jahrhunderte an, wobei Italien eine entscheidende Rolle spielte, indem es als eine wahrhaftige kulturelle, wirtschaftliche und finanzielle Brücke zwischen den beiden äußersten Rändern Europas (Spanien und Wien) fungierte. (Zu diesem Thema empfehlen wir Jean Bérengers interessantes Buch A History of the Habsburg Empire, 1273-1700, C. A. Simpson, Übers. [London: Longman, 1994, S. 133-35]). Dennoch ist die scholastische Banklehre in der oben genannten Literatur größtenteils übersehen worden. Maijorie Grice-Hutchinson berührt das Thema mit einer beinahe wörtlichen Reproduktion von Ramón Carandes kurzem Beitrag zur Sache (vgl. The School of Salamanca, S. 7 - 8). Ramón Carande seinerseits zitiert lediglich (auf S. 297-98 des ersten Bandes seines Buches Carlos V y sus banqueros) Tomás de Mercados Reflexionen über das Bankwesen. Eine tiefgehendere Untersuchung wird von Alejandro A. Chafuen unternommen, der zumindest die Sichtweise von Louis de Molina bezüglich des Bankwesens wiedergibt und den Grad betrachtet, in dem die Schule von Salamanca das Teildeckungsbankwesen gutheißt oder ablehnt. Eine weitere relevante Quelle ist Restituto Sierra Bravos Arbeit El pensamiento social y económico de la Escolástica desde sus orígenes al comienzo del catolicismo social (Madrid: Consejo Superior de Investigaciones Científicas, Instituto de Sociología „Balmes", 1975). Band 1 (S. 214-37) enthält eine eher unausgewogene Interpretation der Standpunkte der Mitglieder der Schule von Salamanca über das Bankwesen. Nach Sierra Bravo tendierten einige der Theoretiker der Schule (einschließlich Domingo de Soto, Luis de Molina und sogar Tomás de Mercado) dazu, das Teildeckungsbankwesen zu akzeptieren. Sierra Bravo ignoriert jedoch die Schriften anderer Vertreter der Schule, die auf festerem theoretischen Boden eine radikal entgegengesetzte Auffassung vertraten. Die gleiche Kritik kann auch gegen die Verweise vorgebracht werden, die Francisco G. Camacho in seinem Vorwort zur spanischen Übersetzung von Molinas Werken macht, besonders gegen seine „Einleitung" zu La teoría del justo precio (Madrid: Editora Nacional, 1981), vor allem S. 33 - 34. Diese Fassung der Lehre, nach der einige Vertreter der Schule von Salamanca das Teildeckungsbankwesen akzeptierten, wurde stark von einem Artikel von Francisco Belda, SJ, mit dem Titel „Ética de la creación de créditos según la doctrina de Molina, Lessio y Lugo", veröffentlicht in Pensamiento 19 (1963): 53-89, beeinflusst. Aus den im Text angeführten Gründen stimmen wir nicht mit der Interpretation dieser Autoren der Lehre der Schule von Salamanca überein. Wir werden diese Einwände genauer im ersten Abschnitt von Kapitel 8 betrachten. 134 Saravia de la Calle, Instrucción de mercaderes, S. 180.
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Saravia de la Calle rügt sogar Kunden, die derartige Verträge mit Bankiers abschließen, und stellt fest: „Und wenn du, Händler, behauptest, dass du das Geld nicht verleihst, sondern dass du es deponierst, ist das ein noch größerer Spott; denn wer hat jemals einen Depositar zahlen sehen? Er wird gewöhnlich für den Umstand der sicheren Aufbewahrung des Depositums bezahlt. Mehr noch: Wenn du jetzt einem Profitjäger dein Geld als ein Darlehen oder Depositum anvertraust, wirst du - genauso wie du einen Teil des Gewinns erhältst - auch einen Teil der Schuld auf dich laden, sogar noch einen größeren Teil."135 In Kapitel 12 seines Buches macht Saravia de la Calle eine gute Unterscheidung zwischen zwei radikal unterschiedlichen Operationen, die Bankiers ausführen: Sichteinlagen und Termin„einlagen". Im ersten Fall vertrauen die Kunden ihr Geld den Bankiers zinsfrei an, „damit das Geld sicherer und fiir die Vornahme von Zahlungen erreichbarer ist; außerdem, um die Schwierigkeiten und Umstände zu vermeiden, die mit dem Zählen und Aufbewahren einhergehen; und auch, weil der Bankier in Dankbarkeit, dass ihm das Geld anvertraut wurde, auch Überziehungen ohne Zinsen akzeptiert, falls es vorkommen sollte, dass die Kunden kein Geld mehr in seiner Obhut übrig haben." 136 Die zweite Operation, die Termin„einlage", ist von der ersten grundverschieden und stellt tatsächlich ein echtes Darlehen oder Mutuum dar, das dem Bankier für eine festgelegte Zeit gewährt wird und Zinsen abwirft. Saravia de la Calle verurteilt im Einklang mit der traditionellen kanonischen Zinslehre diese Transaktionen. Außerdem erklärt er eindeutig, dass im Falle des Sichteinlagenvertrages die Kunden den Bankier bezahlen sollten, „denn falls sie Geld deponieren, sollten sie für die sichere Aufbewahrung bezahlen und keine so großen Gewinne erzielen, wie das Gesetz erlaubt, wenn sie Geld oder Eigentum deponieren, das die Bewachung erfordert"137. Saravia de la Calle fährt fort, jene Klienten zu tadeln, die eigennützig versuchen, die rechtswidrige Aktivität der Bankiers auszunutzen, indem sie Depositen vornehmen und erwarten, dass die Bankiers Zinsen dafür zahlen. Wie er es eindringlich ausdrückt: „Jener, der sein Geld bei jemandem hinterlegt, von dem er weiß, dass der es nicht bewachen, sondern ausgeben wird, ist nicht frei von Sünde, zumindest nicht lässlicher Sünde. Er handelt wie jemand, der eine Jungfrau einem Lustmolch oder eine Delikatesse einem Vielfraß übergibt."138 Des Weiteren kann der Deponent sein Gewissen nicht dadurch erleichtern, dass er glaubt, der Bankier werde das Geld anderer Leute verleihen oder nutzen, aber nicht sein eigenes.
135 Ebenda, 136 Ebenda, 137 Ebenda, 138 Ebenda,
S. S. S. S.
181. 195. 197. 197.
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Historische Verletzungen der den Vertrag bestimmenden Rechtsprinzipien „Er glaubt, dass der Bankier wahrscheinlich das Geld, das er deponiert, sicher aufbewahrt und keine Geschäfte mit ihm macht, obwohl dieses von keinem dieser Profitjäger erwartet werden kann. Im Gegenteil wird der Bankier bald das Depositum zur Gewinnerzielung investieren und versuchen, mit ihm Geld zu verdienen. Wie könnten Bankiers, die 7 und 10 Prozent Zinsen an jene zahlen, die sie mit Geld versorgen, davon Abstand nehmen, die Depositen zu benutzen? Selbst wenn es eindeutig bewiesen worden ist, dass du nicht sündigst (was nicht der Fall ist, sondern das Gegenteil) wird der Geldverleiher ganz sicher sündigen, wenn er mit deinem Geld Geschäfte macht und es schließlich nutzt, um von deinen Nachbarn Eigentum zu stehlen."139
Saravia de la Calles Lehre ist insofern sehr kohärent, als der eigennützige Gebrauch des (mittels der Darlehensvergabe) als Sichteinlage bei den Bankiers platzierten Geldes unrechtmäßig ist und eine schwere Sünde darstellt. Diese Lehre stimmt mit deijenigen überein, die ursprünglich von den klassischen Autoren des römischen Rechts eingeführt worden war. Eine Lehre, die sich natürlich gerade aus der Essenz, dem Zweck und der rechtlichen Natur des Vertrages des monetären Depositum irreguläre ableitet, die wir in Kapitel 1 untersucht haben. Saravia de la Calle beschreibt zudem plastisch die verhältniswidrig hohen Gewinne, welche die Bankiers durch ihre rechtswidrige Praxis der Aneignung der Depositen erwirtschaften, anstatt sich mit den moderateren Gewinnen zufriedenzugeben, die sie für die einfache Bewachung und sichere Aufbewahrung erhalten würden. Seine Erklärung ist recht anschaulich: „Wenn ihr einen Lohn erhaltet, sollte er moderat und eurem Beitrag angemessen sein, keine exzessive Beute, mit der ihr prächtige Häuser errichtet, verschwenderische Anwesen kauft, Diener bezahlt, euren Familien extravaganten Luxus bereitet, große Feste gebt und euch derart glanzvoll kleidet, vor allem, wenn ihr arm wart, als ihr mit euren Geschäften begannt und den bescheidenen Handel verließt."140 Außerdem erläutert Saravia de la Calle, dass Bankiers sehr anfällig dafür sind, bankrott zu gehen, und nimmt sogar eine oberflächliche Analyse vor, die zeigt, dass der Expansionsphase, die durch eine künstliche Kreditausweitung durch diese „Profitjäger" hervorgebracht wurde, unausweichlich eine Rezessionsphase folgt, während der die Nichtzahlung von Schulden zu einer Reihe von Bankzusammenbrüchen führt. Er fügt hinzu, dass „der Händler, wenn er den Profitjäger nicht bezahlt, dessen Bankrott bewirkt und dieser alle Zahlungen einstellt und alles verloren ist. Wie allgemein bekannt ist, sind die Geldverleiher, der Beginn, die Möglichkeit und sogar der Grund von all dem. Denn wenn sie nicht existierten, würde jede Person ihr Geld in dem Ausmaß nutzen, in dem sie es könnte, und nicht mehr, und die Dinge würden kosten, was sie wert sind, und es würde nicht mehr als ein fairer Barpreis verlangt. Deshalb wäre es sehr erstrebenswert für Fürsten, diese Profitjäger in Spanien nicht mehr zu tolerieren, da keine andere Nation auf der Welt diese erträgt, und diese Pestilenz von ihren Höfen und aus dem Königreich zu verbannen." 141
139 Ebenda. 140 Ebenda, S. 186. 141 Ebenda, S. 190; Hervorhebung hinzugefügt.
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Wie wir wissen, ist es nicht wahr, dass die Regierenden anderer Nationen die Aktivitäten der Bankiers erfolgreicher kontrolliert haben als die Spanier. Vielmehr passierte das Gleiche mehr oder weniger überall, und die Herrscher gewährten den Bankiers schließlich Privilegien, die es diesen erlaubten, einen eigennützigen Gebrauch von den Geldern ihrer Deponenten zu machen. Diese Privilegien erhielten sie im Austausch für die Möglichkeit, Kapital aus dem Bankensystem zu schlagen, das eine schnellere und einfachere Finanzierung ermöglichte als Steuern. Um seine Untersuchung abzuschließen, bekräftigt Saravia de la Calle, dass „ein Christ unter keinen Umständen sein Geld diesen Profitjägern geben sollte, weil er mit diesem Tun sündigen würde, was immer der Fall ist. Er sollte davon Abstand nehmen; und wenn er nicht sündigt, dann sollte er es unterlassen, um den Geldverleiher nicht zur Sünde zu veranlassen."
Außerdem fügt er hinzu, dass folgender zusätzlicher Vorteil entsteht, falls die Dienstleistungen der Bankiers nicht genutzt werden: Die Deponenten „werden nicht schockiert sein, wenn der Geldverleiher die Zahlungen einstellt; wenn er bankrottgeht, wie wir es so oft sehen und wie unser Herrgott es erlaubt, lasst ihn und seine Herren die unehrlichen Gewinne wieder verlieren."142
Wie wir gesehen haben, ist Saravia de la Calles Analyse ebenso gescheit und humorvoll wie tadellos und frei von Widersprüchen. Jedoch legt er in seiner Kritik der Bankiers eine zu große Betonung auf die Tatsache, dass sie Zinsen erhoben und zahlten und damit das kanonische Zinsverbot verletzten, anstatt zu betonen, dass sie Sichteinlagen veruntreuten. Ein anderer Autor, der den Vertrag des monetären Depositum irreguläre studierte, ist Martin de Azpilcueta, bekannt als „Doctor Navarro". In seinem Buch Comentario resolutorio de cambios („Aufklärende Kommentare über den Tausch"), das zuerst am Ende des Jahres 1556 veröffentlicht worden ist, bezieht sich Martin de Azpilcueta explizit auf das „Bankwesen des sicheren Aufbewahrens", das in dem Bankvertrag der monetären Sichteinlage besteht. Für Martin de Azpilcueta ist das Bankwesen des sicheren Aufbewahrens oder der Vertrag des Depositum irreguläre vollauf gerecht und bedeutet, dass der Bankier „der Wächter, Depositar und Bürge des Geldes [ist], das ihm gegeben oder für welchen Zweck auch immer von jenen getauscht wurde, die ihm Geld geben oder senden. Außerdem ist der Bankier verpflichtet, Zahlungen an Händler oder Personen vorzunehmen, an welche die Deponenten Zahlungen in einer gewissen Weise vornehmen wollen, [für die] er legitim eine faire Gebühr an die Republik oder die Deponenten erheben kann, weil dieser Handel und diese Pflicht für die Republik nützlich sind und frei von Frevel; denn es ist gerecht, dass ein Arbeiter seinen Lohn verdient. Und es ist die Arbeit des Geldwechslers, das Geld so vieler Händler zu erhalten, zu bewahren und bereitzuhalten und ihre Konten mit großer Schwierigkeit und manchmal mit der Gefahr eines Fehlers in den Aufzeichnungen und anderen Dingen zu fuhren. Dieses Übereinkommen könnte in einem Vertrag formalisiert werden, in dem sich eine Person verpflichtet, das Geld anderer Leute als Depositum zu halten und 142 Ebenda, S. 198.
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Historische Verletzungen der den Vertrag bestimmenden Rechtsprinzipien Zahlungen vorzunehmen und die Aufzeichnungen, wie sie von ihnen angeordnet wurden, zu tätigen etc., denn dies ist die Abmachung, eine Person fiir eine Arbeit anzustellen, was ein wohlbekannter, gerechter und gesegneter Vertrag ist."143
Wie wir sehen, betrachtet Martin de Azpilcueta den Vertrag des monetären Depositum irreguläre als einen völlig legitimen Vertrag, bei dem die Leute den Schutz ihres Geldes einem Experten (dem Bankier) anvertrauen, der dieses wie ein guter Vater bewahren und es ständig dem Deponenten verfügbar halten muss. Er muss jegliche Zahlungen vornehmen, die von ihm verlangt werden, und hat das Recht, von den Deponenten eine Gebühr für seine Dienste zu verlangen. Tatsächlich spürt Martin de Azpilcueta, dass es die Deponenten sind, die den Depositar oder Bankier bezahlen müssen, und niemals umgekehrt, sodass Deponenten „als Kompensation für die Schwierigkeiten und Umstände, die der Geldwechsler beim Empfangen und Aufbewahren ihres Geldes hat, bezahlen" und dass die Bankiers „ihr Geschäft ehrlich [durchführen müssen] und sich mit einem gerechten Lohn begnügen sollten, den sie von jenen beziehen, die ihn ihnen schulden, und deren Geld sie sicher aufbewahren und dessen Konten sie führen, und nicht von jenen, die ihnen nichts schuldig sind".144
Um die Angelegenheit klarzustellen und Missverständnisse zu vermeiden, verurteilt Martin de Azpilcueta (wobei er dieselbe Argumentation wie Doktor Saravia de la Calle nutzt) ausdrücklich die Klienten, die nichts für die Bewachung ihrer Depositen bezahlen wollen und sogar versuchen, mit ihnen Zinsen zu verdienen. Dr. Navarro schlussfolgert, dass „es in dieser Art des Tausches nicht nur die Sünde des Geldwechslers ist, sondern auch ... derer, die ihnen ihr Geld zur sicheren Aufbewahrung wie oben dargestellt anvertrauen. Später weigern sie sich, eine Gebühr zu zahlen, wobei sie behaupten, dass die Gewinne, die mit ihrem Geld erzielt werden und von jenen stammen, die sie in bar bezahlen, genug an Lohn ist. Und wenn die Geldwechsler einen Lohn verlangen, verlassen die Kunden sie und machen ihre Geschäfte woanders. Um also diese Kunden zu halten, verzichten die Bankiers auf ihre Gebühren und nehmen stattdessen das Geld von jenen, die ihnen nichts schulden."145
In seinem Buch Suma de tratos y contratos (dt.: „Aufstellung von Abkommen und Verträgen"; Sevilla 1571) leistet Tomás de Mercado eine Analyse des Bankwesens, die den Studien des vorangegangenen Autors sehr ähnlich ist. Er beginnt mit der zutreffenden Feststellung, dass die Deponenten die Bankiers für ihre Leistung des sicheren Aufbewahrens der Gelddepositen bezahlen sollten, und kommt zum Schluss, dass
143 Martin de Azpilcueta, Comentario resolutorio de cambios (Madrid: Consejo Superior de Investigaciones Científicas, 1965), S. 57-58. Bei unserem Studium der Lehren Dr. Navarros haben wir die erste spanische Ausgabe benutzt, die von Andrés de Portanarijs in Salamanca im Jahre 1556 veröffenüicht wurde, wie auch die portugiesische Auflage, die von Ioam de Barreyra in Coimbra im Jahr 1560 veröffentlicht wurde und den Titel Comentario resolutorio de onzenas trägt. In dieser Ausgabe erscheint der korrespondierende Text auf den Seiten 77 - 80. 144 Azpilcueta, Comentario resolutorio de cambios, S. 6 0 - 6 1 . 145 Ebenda, S. 61.
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„es eine bekannte, allgemeine Regel unter allen Bankiers ist, Löhne von jenen zu beziehen, die Geld in ihrer Bank deponieren, eine gewisse Summe pro Jahr oder für jedes Tausend, weil die Bankiers den Deponenten dienen und ihre Vermögenswerte sicher aufbewahren."146
Nichtsdestoweniger weist Tomás de Mercado ironisch daraufhin, dass die Bankiers Sevillas so „generös" sind, dass sie nichts für die Bewachung der Depositen verlangen: ,jene [Bankiers] dieser Stadt, das ist wahr, sind so königlich und nobel, dass sie weder nach einem Lohn fragen noch einen Lohn beziehen." 147 Tomás de Mercado bemerkt, dass diese Bankiers es nicht nötig haben, eine Gebühr zu erheben, denn ein Großteil des Geldes, das sie durch die Depositen erhalten, bringt ihnen stattliche Profite durch ihre persönlichen Geschäfte ein. Wir müssen betonen, dass unserer Meinung nach Tomás de Mercado hier nur eine Tatsache verifiziert und seine Formulierung nicht impliziert, dass diese Handlungen auf irgendeine Art gerechtfertigt wären, wie es verschiedene moderne Autoren (unter anderem Restituto Sierra Bravo und Francisco G. Camacho) nahezulegen scheinen. 148 Das Gegenteil entspricht der Wahrheit. Vom Standpunkt der reinsten römischen Lehre und der grundlegenden rechtlichen Natur des Vertrages des monetären Depositum irreguläre, die im ersten Kapitel analysiert wurde, ist Tomás de Mercado der scholastische Autor, der am klarsten zeigt, dass die Übertragung des Eigentums beim Depositum irreguläre nicht eine gleichzeitige Übergabe der Verfügbarkeit des Tantundems impliziert und es daher aus praktischer Sicht keinen vollen Transfer des Eigentums gibt. Er formuliert es recht gut: „sie [die Bankiers] müssen verstehen, dass das Geld nicht ihres ist, sondern anderen gehört; und dass es nicht gerecht ist, dass sie, wenn sie es benutzen, aufhören, seinen Besitzern zu Diensten zu sein." Tomás de Mercado fügt an, dass die Bankiers zwei fundamentalen Prinzipien Folge leisten sollten. Sie sollten erstens „die Banken nicht derart entblößen, dass diese die Wechsel, die sie erhalten, nicht bedienen können. Denn wenn sie unfähig werden, diese zu bezahlen, weil sie das Geld ausgegeben und in dubiosen Geschäften und anderen Unternehmungen investiert haben, dann sündigen sie eindeutig. ... Zweitens sollten sie sich nicht in riskante Geschäfte verwickeln, denn sie sündigen sogar, wenn die Geschäfte erfolgreich verlaufen, weil es die Bankiers riskieren, dass sie nicht fähig sind, ihren Verpflichtungen nachzukommen, und jenen, die ihnen vertraut haben, ernsten Schaden zuzufügen." 149
146 Wir zitieren aus der Ausgabe des Instituto de Estudios Fiscales, publiziert in Madrid im Jahre 1977, herausgegeben mit einer Einleitung von Nicolás Sánchez Albornoz, Bd. 2, S. 479. Eine andere Ausgabe ist von Restituto Sierra Bravo, publiziert durch Editora Nacional im Jahr 1975. Der obige Ausschnitt erscheint auf Seite 401 dieser Ausgabe. Die ursprüngliche Ausgabe wurde 1571 in Sevilla veröffentlicht „en casa de Hernando Díaz Impresor de Libros, en la calle de la Sierpe." 147 Mercado, Suma de tratos y contratos, Bd. 2, S. 480 der Ausgabe des Instituto de Estudios Fiscales und S. 401 des Restituto Sierra Bravo. 148 Vgl. die Werke von Restituto Sierra Bravo, Francisco Belda und Francisco Gómez Camacho, die in Fußnote 133 zitiert werden. 149 Mercado, Suma de tratos y contratos, Bd. 2, S. 480 der Ausgabe des Instituto de Estudios Fiscales und S. 401 der Ausgabe des Restituto Sierra Bravo.
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Diese Vorschläge könnte man als ein Anzeichen dafür sehen, dass Tomás de Mercado eine gewisse Teildeckung zu akzeptieren bereit ist. Es ist jedoch wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass er mit Nachdruck seine juristische Meinung ausdrückt, dass das deponierte Geld nicht den Bankiers gehört, sondern letztlich den Deponenten, und dass er außerdem schreibt, dass sich keiner der Bankiers seinen beiden Vorschlägen fügt: „Jedoch beherzigt keiner von ihnen diese Warnungen und erfüllt diese Bedingungen, weil es in Zeiten des Überflusses, wenn die Geschäfte gut laufen, sehr schwierig ist, die Gier zu zäumen."150
Aus diesem Grunde hält er die Regelungen, die Kaiser Karl V. erlassen hatte, in dieser Hinsicht für sehr nützlich. Sie verboten den Bankiers, persönliche Geschäfte durchzuführen, und zielten darauf ab, die Versuchung zu eliminieren, solche Geschäfte endlos mit dem Geld zu finanzieren, das sie von ihren Deponenten erhalten hatten.151 Am Ende des vierten Kapitels der Suma de tratos y contratos schreibt Tomás de Mercado auch, dass die Bankiers von Sevilla Gelddepositen und Edelmetalle halten, die den Händlern gehörten, die mit der Neuen Welt handelten, und dass sie mit solch beachtlichen Depositen „große Investitionen vornehmen" und ansehnliche Profite erwirtschaften. Er verurteilt diese Praktiken an dieser Stelle nicht. Aber wir müssen uns wiederum daran erinnern, dass die fragliche Stelle mehr eine Beschreibung der Umstände als eine Bewertung ihrer Rechtmäßigkeit ist. Den Aspekt der Rechtmäßigkeit betrachtet er jedoch detaillierter im vierzehnten Kapitel, das wir bereits behandelt haben. Tomás de Mercado zieht auch den Schluss, dass die Bankiers „zudem in Geldwechsel- und Abrechnungsgeschäften involviert sind; Bankiers engagieren sich in dieser Republik in einer extrem breiten Palette von Aktivitäten, weiter als der Ozean, aber manchmal verzetteln sie sich dabei zu sehr und alles ist verloren."152
150 Ebenda. 151 Nueva Recopilación, Gesetz 12, Titel 8, Buch 5, erlassen in Zamora am 6. Juni 1554 von Karl VI., Königin Juana und Prinz Philipp. Das Gesetz lautet wie folgt: „Weil die öffentlichen Banken auf den Märkten von Medina del Campo, Rioseco und Villalón und in den Städten, Orten und Dörfern dieses Königreichs ... [Geschäften nachgegangen sind, die nicht ihrer speziellen Aufgabe hinsichtlich des Geldes entsprachen], haben sie als eine Folge die Zahlungen eingestellt und sind bankrottgegangen; [Um] die oben erwähnten Ereignisse zu verhindern, ordnen wir an, dass sie sich von jetzt an auf ihre spezielle Aufgabe beschränken und dass nicht nur eine Person, sondern zumindest zwei erforderlich sind, um diese öffentlichen Banken zu gründen,... und dass sie bevor sie ... [ihrem Beruf nachgehen können], ausreichende Bürgen bereitstellen müssen." (Hervorhebung hinzugefügt.) Es ist darauf hinzuweisen, dass sich der Ausdruck „öffentliche Banken" hier nicht auf Staatsbanken bezieht, sondern auf Privatbanken, die unter bestimmten Auflagen Depositen von der Öffentlichkeit erhalten dürfen (mindestens zwei Eigentümer, ausreichende Bürgschaften usw.). Vgl. José Antonio Rubio Sacristán, „La fundación del Banco de Amsterdam y la banca de Sevilla (1609) y la banca de Sevilla", Moneda y crédito (März 1948). 152 Dies ist ein Zitat von Mercado, das Ramón Carande in den Band 1 seines Carlos Vy sus banqueros aufgenommen hat, und zwar in der Einleitung zu seiner Behandlung der Bankiers von Sevilla und der Krise, die zu ihrer aller Bankrott fährte. Vgl. Mercado, Suma de tratos y contratos, Bd. 2, S. 381-82 der Ausgabe von 1977 durch das Instituto de Estudios Fiscales und S. 321 der SierraBravo-Edition.
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Die Scholastiker, die in ihrer Analyse des Vertrages des monetären Depositum irreguläre am weitesten fehlgingen, waren Domingo de Soto und (vor allem) Luis de Molina und Juan de Lugo. In der Tat ließen sich diese Theoretiker von der mittelalterlichen Tradition der Glossatoren beeinflussen, die wir im zweiten Abschnitt dieses Kapitels behandelt haben, und vor allem von der Verwirrung, die durch die Lehre des Depositum confessatum entstand. De Soto und vor allem Molina betrachten das Depositum irreguläre als ein Darlehen, in dem sowohl das Eigentum als auch die volle Verfügbarkeit des Tantundems auf den Bankier übergeht. Deshalb glauben sie, dass die Praxis, die deponierten Gelder an dritte Parteien zu verleihen, legitim ist, solange die Bankiers dabei „umsichtig" handeln. Domingo de Soto kann wohl als der Erste betrachtet werden, der diese These vertrat, obgleich er dies nur sehr indirekt tat. In der Tat lesen wir in Buch 6, Thema 11 seines Werkes La justicia y el derecho („Über die Gerechtigkeit und das Recht" von 1556), dass die Bankiers, „so wird gesagt, die Gepflogenheit haben, für eine größere S u m m e Geldes verantwortlich zu sein, als deponiert wurde, w e n n ein Händler sein Depositum in bar vornimmt. Ich gab d e m Geldwechsler zehntausend; also wird er mir für zwölf, vielleicht f ü n f z e h n verantwortlich sein; denn Bargeld zu haben, ist sehr profitabel für den Geldwechsler. Es wird auch kein Übel darin gesehen." 1 5 3
Eine weiteres typisches Beispiel für die Kreditschaffung, die Domingo de Soto gutzuheißen scheint, ist das Darlehen in Form einer Diskontierung von Wechseln, die mit Hilfe der Depositen von Klienten finanziert wurde. Nichtsdestoweniger ist der Jesuit Luis de Molina deijenige Gelehrte, der am deutlichsten eine fehlerhafte Lehre über den Bankvertrag des monetären Depositum irreguläre vertreten hat. 154 Tatsächlich vertritt er in Tratado sobre los cambios („Traktat über den Tausch" von 1597) die mittelalterliche Lehre, dass das Depositum irreguläre ein Darlehens- oder Mutuumvertrag zugunsten des Bankiers ist, ein Vertrag, in dem nicht nur das Eigentum transferiert wird, sondern auch die volle Verfügbarkeit des Tantundems, was bedeutet, dass der Bankier berechtigt ist, das Geld in seinem eigenen Interesse zu nutzen, sei es in der Form von Darlehen oder irgendeiner anderen Weise. Werfen wir einen Blick darauf, wie er sein Argument präsentiert: 153 „Habet autem praeterea istorum usus, ut fertur si mereatorum quispiam in cambio nuraeratam pecuniam deponat, campsor pro maio ri illius gratia respondeat. Numeravi campsori dece milia: fide habebo apud ipsum Et creditu pro duodecim, Et forfam pro quim decim: qui capsori habere numerata pecuniam bonum est lucrum. Neq, vero quicq vitij in hoc foedere apparet." (Domingo de Soto, De iustìtita et iure [Salamanca: Andreas Portonorijs, 1556], Buch 6, Thema 11, der einzige Paragraf, S. 591. Instituto de Estudios Políticos edition [Madrid, 1968], Bd. 3, S. 591) Sierra Bravo [El pensamiento social y económico de la Escolástica, S. 215) ist der Meinung, dass diese Sätze von Domingo de Soto implizieren, dass er das Teildeckungsbankwesen akzeptierte. 154 Es ist sehr aussagekräftig, dass verschiedene Autoren, darunter Maijorie Grice-Hutchinson, damit zögern, Luis de Molina den Theoretikern der Schule von Salamanca zuzuordnen: „The inclusion of Molina in the School seems to me now to be more dubious." Maijorie Grice-Hutchinson, „The Concept of the School of Salamanca: Its Origins and Development", Kapitel 2 des Economic Thought in Spain: Selected Essays of Maijorie Grice-Hutchinson, S. 25. Es ist offensichtlich, dass die Kernmitglieder der Schule von Salamanca Dominikanermönche waren, und es ist notwendig, zumindest ihre Auffassungen in Fragen des Bankenwesens von denen der jesuitischen Theologen zu trennen, die eine abweichlerische und weniger rigorose Gruppe formten.
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Historische Verletzungen der den Vertrag bestimmenden Rechtsprinzipien „Weil diese Bankiers, wie alle anderen, die wahren Eigentümer des in ihren Banken deponierten Geldes sind und sich auf diese Art erheblich von anderen Depositaren unterscheiden,... erhalten sie das Geld als ein unsicheres Darlehen und damit auf ihr eigenes Risiko."
Weiter deutet er sogar noch klarer an, dass „solch ein Depositum tatsächlich ein Darlehen ist, wie gesagt worden ist, und das Eigentum des deponierten Geldes auf den Bankier übergeht, sodass es, wenn es verloren geht, dem Bankier verloren geht".155 Diese Position steht im Konflikt mit der Lehre, die Luis de Molina selbst in Tratado sobre los préstamos y la usura („Tratat über Darlehen und Wucher") vertritt, wo er andeutet, dass eine Laufzeit ein essenzielles Element aller Darlehensverträge ist und es, wenn die Laufzeit des Darlehens nicht explizit festgelegt und kein Datum für seine Rückzahlung vereinbart wurde, „notwendig sein wird, eine richterliche Entscheidung über die Laufzeit des Darlehens zu akzeptieren".156 Außerdem ignoriert Luis de Molina sämtliche Argumente, die in Kapitel 1 präsentiert wurden und zeigen, dass der Vertrag des Depositum irreguläre nichts mit dem Darlehens- oder Mutuumvertrag in seiner rechtlichen Natur und Essenz gemein hat. Deshalb ist sein doktrinärer Versuch, die beiden Verträge miteinander gleichzusetzen, ein klarer Rückschritt nicht nur im Vergleich zu den viel kohärenteren Ansichten von Saravia de la Calle und Martin de Azpilcueta, sondern auch im Hinblick auf die wahre rechtliche Natur des Vertrages, wie sie schon von den Vertretern der römischen Rechtswissenschaft entwickelt worden war. Daher ist es seltsam, dass solch ein brillanter und durchdringender Kopf wie Luis de Molina nicht die extreme Gefahr erkannte, die von der Akzeptanz der Verletzung der allgemeinen Rechtsprinzipien ausgeht, die das Depositum irreguläre regeln, und dass er behauptete, dass „es niemals vorkommt, dass alle Deponenten ihr Geld in derartiger Weise benötigen, dass sie nicht viele Tausende Dukaten deponiert lassen, mit denen die Bankiers Geschäft machen können und entweder einen Gewinn erzielen oder Verluste machen."157 Molina erkennt nicht, dass auf diese Weise nicht nur das Ziel und der essenzielle Zweck des Vertrages (Schutz und Aufbewahrung) verletzt wird, sondern auch ein Anreiz für alle Arten von rechtswidrigen Geschäften und Missbräuchen gegeben wird, die unausweichlich eine wirtschaftliche Rezession und Bankzusammenbrüche erzeugen. Wenn das traditionelle Rechtsprinzip nicht respektiert wird, das die kontinuierliche sichere Aufbewahrung des Tantundems zugunsten des Deponenten erfordert, so gibt es keine klare Richtlinie, um Bankenzusammenbrüche zu vermeiden. Zudem ist es offensichtlich, dass derart vage, oberflächliche Ratschläge wie
155 Luis de Molina, Tratado sobre los cambios, mit einer Einleitung und herausgegeben von Francisco Gómez Camacho (Madrid: Instituto de Estudios Fiscales, 1991), S. 137-40. Die ursprüngliche Ausgabe wurde 1597 in Cuenca veröffentlicht. 156 Luis de Molina, Tratado sobre los préstamos y la usura, mit einer Einleitung und herausgegeben von Francisco Gómez Camacho (Madrid: Instituto de Estudios Fiscales, 1989), S. 13. Die ursprüngliche Ausgabe wurde 1597 in Cuenca veröffentlicht. 157 Molina, Tratado sobre los cambios, S. 137.
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„Versuche, umsichtig zu handeln" und „Lass dich nicht auf riskante Geschäfte ein" nicht ausreichen, um die höchst schädlichen ökonomischen und sozialen Effekte des Teildeckungsbankwesens zu vermeiden. Jedenfalls macht sich Luis de Molina wenigstens die Mühe festzustellen: „Es ist wichtig zu mahnen, dass [Bankiers] eine Todsünde begehen, wenn sie in ihren eigenen Geschäften so viel von dem Geld einsetzen, das sie als Depositum halten, dass sie später nicht in der Lage sind, zur rechten Zeit die Mengen auszuhändigen, die von den Deponenten selbst verlangt werden oder die angewiesen werden, mit ihren deponierten Geldern zu bezahlen. ... Außerdem begehen sie eine Todsünde, wenn sie sich in Geschäften engagieren, die ein Risiko enthalten, die Depositen nicht zurückzahlen zu können. Wenn sie also zum Beispiel so viel Handelsware nach Übersee verschiffen, dass sie die Depositen nicht zurückzahlen können - selbst wenn sie alle ihre Vermögenswerte verkauften - , falls das Schiff sinken oder von Piraten gekapert werden sollte. Und sie sind nicht nur der Todsünde schuldig, wenn sich die Geschäfte schlecht entwickeln, sondern auch, wenn sie sich gut entwickeln. Dies ist die Folge davon, dass sie das Risiko eingehen, die Deponenten und die Bürgen, die sie selbst für die Depositen bereitstellen, zu schädigen.158
Wir finden diese Warnung von Luis de Molina vortrefflich, aber zugleich sind wir erstaunt ob seines Versäumnisses, den tief greifenden Widerspruch zu erkennen, der letztendlich zwischen seiner Warnung und seiner expliziten Akzeptanz des „umsichtigen" Teildeckungsbankwesens besteht. Fakt ist: Unabhängig davon, wie umsichtig die Bankiers sind, ist die allzeitige Aufrechterhaltung einer hundertprozentigen Reservedeckung der einzige narrensichere Weg, Risiken zu vermeiden und sicherzustellen, dass die Depositen permanent den Deponenten verfügbar sind. 159
158 Ebenda, S. 138-39; Hervorhebung hinzugefügt. 159 Nach Molina ist der führende Gelehrte mit einem ähnlichen Standpunkt hinsichtlich des Bankwesens Juan de Lugo, ebenfalls ein Jesuit. Dieser weist darauf hin, dass es in Bezug auf das Bankwesen in der Schule von Salamanca zwei Strömungen gab: Eine war solide, mit gutem doktrinären Unterbau und ihr Standpunkt war nahe an dem der späteren Currency-School. Sie wurde repräsentiert von Saravia de la Calle, Martin de Azpilcueta und Tomás de Mercado. Die andere war für die Torheiten des Inflationismus und des Teildeckungsbankwesens anfälliger und stand der späteren Banking-School nahe. Louis de Molina, Juan de Lugo und zu einem geringeren Maße Domingo de Soto stehen für diese Strömung. In Kapitel 8 werden wir diese These detaillierter verfolgen. An dieser Stelle würden wir nur gerne herausstellen, dass Juan de Lugo in Molinas Fußstapfen trat und eine besonders klare Warnung an die Bankiers aussprach: „Qui bene advertit, eivsmodi bancarios depositarios peccare graviter, Et damno subsequuto, cum obligatione restituendi pro damno, quoties ex peduniss apud se depositis tantam summam ad suas negotiationes exponunt, ut inhábiles maneant ad solvendum deposentibus, quando suo tempore exigent. Et idem est, si negotiationes tales aggrediantur, ex quibus periculum sit, ne postea ad paupertatem redacti pecunias acceptas reddere non possint, v.g. si euenrus ex navigatione peliculosa dependeat, in qua navis hostium, vel naufragij pericula expósita sit, qua iactura sequunta, ne ex propio quidem patrimonio solvere possint, sed in creditorum, vel fideiussorum damnum cedere debet." (R. P. Joannis de Lugo Hispalensis, S. I., Disputationum de iustitia et iure tomus secundus, Disp. XXVm, Abschnitt V [Lyon: Sumptibus Petri Prost, 1642], S. 406-407.
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Historische Verletzungen der den Vertrag bestimmenden Rechtsprinzipien
2.5 Ein neuer Versuch eines legitimen Bankwesens: die Bank von Amsterdam. Das Bankwesen im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert 2.5.1 Die Bank von Amsterdam
Der letzte ernsthafte Versuch, eine Bank einzurichten, die auf den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des monetären Depositum irreguläre basierte, und ein effizientes System der Staatskontrolle zu installieren, um die Eigentumsrechte der Deponenten adäquat zu definieren und zu verteidigen, fand 1609 mit der Gründung der städtischen Bank von Amsterdam statt. Diese Bank wurde nach einer Periode großen monetären Chaos und betrügerischen privaten (Teildeckungs-)Bankwesens geschaffen. Mit der Intention, diesen Umständen ein Ende zu setzen und Ordnung in den finanziellen Beziehungen herzustellen, nahm die Bank von Amsterdam am 31. Januar 1609 ihre Geschäftstätigkeit auf und wurde Wechselbank genannt. 160 Das Markenzeichen der Bank von Amsterdam war, dass sie vom Zeitpunkt ihrer Gründung an den universellen Rechtsgrundsätzen verpflichtet war, die das monetäre Depositum irreguläre bestimmen. Genauer wurde die Bank auf dem Prinzip gegründet, dass die Verpflichtung der Depositenbank beim Vertrag des monetären Depositum irreguläre darin besteht, zu jeder Zeit eine hundertprozentige Reservedeckung hinsichtlich der „Sicht"einlagen aufrechtzuerhalten. Diese Maßnahme sollte die Legitimität der Bankaktivitäten gewährleisten sowie Missbräuche und Bankzusammenbrüche verhindern, wie sie in der Geschichte in allen Ländern aufgetreten waren, in denen der Staat sich nicht darum bemüht hatte, die widerrechtliche Aneignung des Geldes der Sichteinlagen durch Banken zu verbieten und für illegal zu erklären, sondern den Bankiers im Gegenteil letztendlich allerlei Arten von Privilegien und Lizenzen gewährt hatte, um ihnen ihre betrügerischen Operationen zu erlauben - im Gegenzug für die Möglichkeit, daraus fiskalischen Vorteil zu ziehen. Für eine sehr lange Zeit, über einhundertfünfzig Jahre, erfüllte die Bank von Amsterdam die Verpflichtung, mit der sie gegründet worden war, peinlich genau. Die Zeugnisse reflektieren, dass während der ersten Jahre ihrer Existenz zwischen 1610 und 1616 sowohl die Depositen der Bank als auch ihre Barreserven bei nahezu einer Million Gulden lagen. Von 1619 bis 1635 betrugen die Depositen beinahe vier Millionen Gulden und die Barreserven überstiegen 3,5 Millionen Gulden. Nach dieser leichten Unausgeglichenheit wurde das Gleichgewicht 1645 wiederhergestellt, als die Depositen 11.288.000 Gulden betrugen und sich die Barreserven auf 11.800.000 Gulden beliefen. Diese Ausgewogenheit und das Wachstum blieben mehr oder weniger stabil; im achtzehnten Jahrhundert zwischen 1721 und 1722 summierten sich die Depositen der Bank auf 28 Millionen Gulden und ihr Bargeld 160 Die merkwürdige Bezugnahme auf die öffentlichen Banken von Sevilla (und Venedig) als Vorbilder (!) für die Bank von Amsterdam findet sich in einer Petition von führenden niederländischen Händlern an den Amsterdamer Stadtrat; vgl. dazu José Antonio Rubio Sacristán, „La fundación del Banco de Amsterdam (1609) y la banca de Sevilla."
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reichte mit 27 Millionen beinahe an diesen Betrag heran. Dieser große Anstieg bei den Depositen der Bank von Amsterdam ist neben anderen Gründen auf ihre Rolle als Zufluchtsort für Kapital zurückzuführen, das vor der verrückten inflationären Spekulation floh, die das System von John Law im Frankreich der 1720er-Jahre hervorbrachte. Wir werden uns damit später noch gründlicher auseinandersetzen. Dieser Zustand der Bank von Amsterdam hielt bis 1772 an, als sich Depositen und Bargeldreserven auf 28 respektive 29 Millionen Gulden summierten. Wie offensichtlich ist, hielt die Bank von Amsterdam praktisch während der ganzen Periode eine hundertprozentige Bargeldreserve. Dies erlaubte es ihr über alle Krisen hinweg, jede einzelne Bargeldrückforderung auf die deponierten Gulden zu erfüllen; so auch im Jahre 1672, als eine Panik, die durch die französische Bedrohung ausgelöst worden war, zu einer massiven Abhebung von Geld aus niederländischen Banken führte, von denen die meisten sich gezwungen sahen, die Zahlungen einzustellen (wie es bei den Banken von Rotterdam und Middelburg geschah). Die Bank von Amsterdam war eine Ausnahme und hatte logischerweise keine Schwierigkeiten, die Depositen zurückzugeben. Die Folge war ein ansteigendes und dauerhaftes Vertrauen in ihre Bonität. Die Bank von Amsterdam wurde zu einem Objekt der Bewunderung für die zivilisierte ökonomische Welt der Zeit. Pierre Vilar weist darauf hin, dass der französische Botschafter 1699 in einem Bericht an seinen König schrieb: „Von allen Städten der Vereinigten Provinzen steht die Stadt Amsterdam ohne Zweifel an erster Stelle, ersichtlich an ihrer Größe, ihrem Reichtum und dem Ausmaß ihres Handels. Selbst in Europa gibt es wenige Städte, die ihr in den beiden letzteren Aspekten gleichkommen; ihr Handel erstreckt sich über beide Hälften des Globus und ihr Reichtum ist so groß, dass sie während des Krieges mehr als fünfzig Millionen, wenn nicht mehr, pro Jahr bereitstellte."161
Auch im Jahr 1802, als die Bank von Amsterdam begann, wie wir nun sehen werden, korrupt zu werden und die Grundsätze zu verletzten, auf denen sie begründet war, erfreute sich die Bank noch immer eines enormen Prestiges, sodass der französische Konsul in Amsterdam schrieb: „Am Ende des Seekrieges, der die Schätze der Minen in den spanischen und portugiesischen Kolonien aufgestaut hat, ist Europa plötzlich in Mengen, die weit über dem liegen, was es benötigt, mit Gold und Silber überschwemmt worden, sodass sie im Wert fallen würden, wenn sie auf einmal in Umlauf gebracht werden würden. In einer solchen Eventualität deponierten die Bürger von Amsterdam das Metall in Form von Barren in der Bank, wo sie es zu sehr geringen Kosten zu ihrer Verfügung halten konnten, und holten es stückchenweise wieder hervor, um es in verschiedene 161 Pilar Vilar, A History of Gold and Money, 1450-1920, übers, v. Judith White, London: NLB, 1976, S. 207. Die Depositen- und Reservezahlen, die wir im Text zitiert haben, lassen sich auch hier finden (S. 208-09). Zwei weitere Banken, die nach dem Vorbild der Bank von Amsterdam modelliert waren, waren die Bank von Venedig und die Bank von Hamburg. Sie wurden beide 1619 gegründet. Obwohl die erstere letztendlich die strikte Verpflichtung zur sicheren Aufbewahrung verletzte und 1797 verschwand, operierte die Bank von Hamburg auf eine konsistentere Weise und überlebte, bis sie 1873 schließlich mit der Reichsbank verschmolz. J. K. Ingram, „Banks, Early European", in Palgrave's Dictionary of Political Economy, hrsg. von Heniy Higgs, London: Macmillan, 1926, Bd. 1, S. 103-06.
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Historische Verletzungen der den Vertrag bestimmenden Rechtsprinzipien Länder zu senden, als der Anstieg in den Wechselkursen es nötig machte. Hätte man zugelassen, dass dieses Geld zu schnell in Umlauf kommt, hätte es alle Güterpreise außerordentlich ansteigen lassen - zum großen Nachteil all jener, die von festen und begrenzten Einkommen leben; aber das Geld wurde allmählich durch verschiedene Kanäle verteilt, wodurch der Industrie Leben eingehaucht und der Handel angeregt wurde. Die Bank von Amsterdam handelte damit nicht nur im speziellen Interesse der Händler dieser Stadt. Ganz Europa steht nämlich in ihrer Schuld für die höhere Stabilität der Preise, das Gleichgewicht der Wechselkurse und ein konstanteres Verhältnis zwischen den beiden Metallen, aus denen die Münzen geprägt werden. Und falls die Bank nicht wiederhergestellt wird, könnte man sagen, dass das großartige System des Handels und der Volkswirtschaften der zivilisierten Welt ohne einen grundlegenden Teil seiner Maschinerie sein wird."162
So sehen wir, dass die Bank von Amsterdam nicht versuchte, durch den betrügerischen Gebrauch von Depositen unverhältnismäßige Gewinne zu erzielen. Ganz im Einklang mit den Forderungen Saravia de la Calles und anderer, die wir erwähnten, begnügte sie sich stattdessen mit bescheidenen Gewinnen aus den Gebühren für die sichere Aufbewahrung, mit einem geringen Einkommen aus dem Geldwechselgeschäft und dem Verkauf von Barren gestempelten Metalls. Nichtsdestoweniger war dieses Einkommen mehr als ausreichend, um die betrieblichen und administrativen Kosten der Bank zu befriedigen, einige Gewinne zu machen und eine ehrliche Institution aufrechtzuerhalten, die allen ihren Verpflichtungen nachkam. Das große Ansehen der Bank von Amsterdam ist auch durch eine Referenz belegt, die sich in der Gründungsurkunde der spanischen Banco de San Carlos aus dem Jahr 1782 findet. Obwohl dieser Bank von Anfang an die Bürgschaften der Bank von Amsterdam fehlten und sie mit der Intention gegründet wurde, mit ihren Depositen, ihrer Autorität und ihrem Einfluss bei der Finanzierung der Staatskasse behilflich zu sein, konnte sie sich trotzdem nicht dem immensen Einfluss der niederländischen Bank entziehen. So legt ihr Artikel XLIV fest, dass Privatleute Depositen oder „äquivalente Gelder in bar in der Bank selbst [halten dürfen], und wer immer wünscht, Depositen zu hinterlegen, um entweder Wechsel auf das Geld zu ziehen oder es schrittweise abzuheben, dem soll es erlaubt sein, dies zu tun; und auf diese Weise werden sie davon befreit sein, die Zahlungen selbst vorzunehmen, wenn ihre Wechsel als zahlbar durch die Bank akzeptiert werden. In ihrer ersten Versammlung werden die Anteilseigner den Betrag pro Tausend bestimmen, den die Händler der Bank in Relation zu ihren Depositen zahlen müssen, wie sie es in Holland machen, und sie werden Klauseln bezüglich der Ausführung von Nachlässen und Ermäßigungen festlegen." 163
162 Vilar, A History ofGold and Money, 1450- 1920, S. 209. 163 Wir zitieren aus einer Ausgabe von Real Cédula de S. M. Y Señores del Consejo, por la qual se crea y autoriza un Banco nacional y general para facilitar las operaciones del Comercio y el beneficio público de este Reynos y los de Indias, con la denominación de Banco de San Carlos baxo las reglas que se expresan („Königliche Urkunde seiner H. M. und seines Rates, durch die eine allgemeine nationale Bank geschaffen, errichtet und autorisiert wird, um den Handel und das Allgemeinwohl dieser Königreiche und der Neuen Welt zu fördern"), gedruckt durch Pedro
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2.5.2 David Hume und die Bank von Amsterdam
Ein Zeichen für das enorme Ansehen der Bank von Amsterdam unter Gelehrten und Intellektuellen wie auch Händlern ist die explizite Erwähnung, die sie in David Humes Essay Of Money findet. Dieser Essay erschien zuerst in einem Buch mit dem Titel Political Discourses, veröffentlicht in Edinburgh 1752. In ihm bringt David Hume seine Opposition zum Papiergeld zum Ausdruck und argumentiert, dass die einzig solide Finanzpolitik darin besteht, die Banken zu zwingen, eine hundertprozentige Reservedeckung im Einklang mit den traditionellen Rechtsgrundsätzen, die das monetäre Depositum irreguläre regeln, aufrechtzuerhalten. David Hume kommt zu dem Schluss, dass, „to endeavour artificially to encrease such a credit, can never be the interest of any trading nation; but must lay them under disadvantages, by increasing money beyond its natural proportion to labour and commodities, and thereby heightening their price to the merchant manufacturer. And in this view, it must be allowed, that no bank could be more advantageous, than such a one as locked up all the money it received, and never augmented the circulating coin, as is usual, by returning part of its treasury into commerce. A public bank, by this expedient, might cut off much of the dealings of private bankers and money-jobbers; and though the state bore the charge of salaries to the directors and tellers of this bank (for, according to the preceding supposition, it would have no profit from its dealings), the national advantage, resulting from the low price of labour and the destruction of paper credit, would be a sufficient compensation."164 Hume liegt nicht völlig richtig, wenn er erklärt, die Bank würde keine Gewinne erzielen, denn ihre Aufbewahrungsgebühren würden ausreichen, um die Betriebskosten zu decken, und sie könnte sogar bescheidene Gewinne erwirtschaften, wie es in der Tat die Bank von Amsterdam vormachte. Allerdings ist seine Analyse grundsätzlich und verrät, dass er bei seinem Eintreten für die Gründung einer öffentlichen Bank mit diesen Eigenschaften den Erfolg der Bank von Amsterdam vor Augen hatte und das Vorbild, das sie schon seit über einhundert Jahre gegeben hatte. Außerdem enthält die dritte Auflage seiner Essays and Treatises on Several Subjects, in vier Bänden von 1753 bis 1754 in London und Edinburgh veröffentlicht, eine Notiz Humes zu dem Satz: „no bank could be more advantageous, than such a one as locked up all the money it received". Fußnote vier enthält die folgenden Worte: „This is the case with the Bank of Amsterdam." Es scheint, als hätte Hume diese Fußnote mit der Intention geschrieben, seinen Standpunkt, dass die Bank von Amsterdam das ideale Vorbild für eine Bank sei, noch klarer zu betonen. Hume war nicht der Allererste, der die Pflicht zu einer hundertprozentigen Reservedeckung im Bankwesen vorschlug. Ihm gingen Jacob Vanderlint (1734)
Marin (Madrid, 1782), S. 31-32; Hervorhebung hinzugefügt. Es gibt eine exzellente Darstellung der Geschichte der Banco de San Carlos von Pedro Tedde de Lorca mit dem Titel El banco de San Carlos, 1782- 1829 (Madrid: Banco de España und Alianza Editorial, 1988). 164 Wir zitieren von S. 284-85 der exzellenten Neuausgabe von David Humes Werk Essays: Moral, Political and Literary, herausgegeben von Eugene F. Miller und veröffentlicht durch Liberty Fund, Indianapolis 1985; Hervorhebung hinzugefügt.
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und vor allem der Direktor der königlichen Münzanstalt, Joseph Harris, voraus, für den Banken nützlich waren, solange sie „issued no bills without an equivalent in real treasure" 165 . 2.5.3 Sir James Steuart, Adam Smith und die Bank von Amsterdam
In seiner Abhandlung aus dem Jahr 1767 mit dem Titel An Enquiry into the Principles of Political Oeconomy: Being an Essay on the Science of Domestic Policy in Free Nations bietet uns Sir James Steuart eine wichtige zeitgenössische Studie zum Betrieb der Bank von Amsterdam. In Kapitel 39 des zweiten Bandes präsentiert er uns eine Analyse der „circulation of coin through the Bank of Amsterdam". Steuart behauptet, dass „every shilling written in the books of the bank is actually locked up, in coin, in the bank repositories". Außerdem stellt er fest: .Although, by the regulations of the bank, no coin can be issued to any person who demands it in consequence of his credit in bank; yet I have not the least doubt, but that both the credit written in the books of the bank, and the cash in the repositories which balance it, may suffer alternate augmentations and diminutions, according to the greater or less demand for bank money."166
In jedem Fall zeigt Steuart, dass die Aktivitäten der Bank „are conducted with the greatest secrecy", ganz im Einklang mit dem traditionellen Mangel an Offenheit im Bankwesen und besonders wichtig im Fall der Bank von Amsterdam, deren Statuten und Betrieb die Aufrechterhaltung einer durchgehenden hundertprozentigen Reservedeckung erforderten. Falls Steuart recht hat und die Deckung zeitweise verletzt wurde, so ist es nur logisch, dass die Bank von Amsterdam dann versuchte, dies um jeden Preis zu verbergen. Obzwar es Anzeichen dafür gibt, dass die Bank von Amsterdam am Ende der 1770er-Jahre damit begann, die Prinzipien zu verletzen, auf denen sie gegründet war, versicherte Adam Smith noch 1776 in seinem Buch An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, dass „The Bank of Amsterdam professes to lend out no part of what is deposited with it, but, for every guilder for which it gives credit in its books, to keep in its repositories the value of a guilder either in money or bullion. That it keeps in its repositories all the money or bullion for which there are receipts in force, for which it is at all times liable to be called upon, and which, in reality, is continually going from it and returning to it again, cannot well be doubted. ... At Amsterdam no point of faith is better established than that for every guilder, circulated as bank money, there is a correspondant guilder in gold or silver to be found in the treasure of the bank."167
165 Zitiert in Rothbard, Economic Thought Before Adam Smith, S. 3 3 2 - 3 5 und 462. 166 Wir zitieren aus der Originalausgabe, veröffentlicht von A. Miller und T. Cadell in the Strand (London, 1767), Bd. 2, S. 301; Hervorhebung hinzugefügt. Vor Steuarts Analyse gibt es einer oberflächlichere Studie des Betriebs der Bank von Amsterdam in Abbot Ferdinando Galianis berühmten Buch, Deila moneta. The Erstausgabe wurde von Guiseppe Raimondi publiziert (Naples, 1750), S. 3 2 6 - 2 8 . 167 Wir zitieren direkt aus der Originalausgabe von Adam Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (London: W. Strahan and T. Cadell in the Strand, 1776), Bd. 2, S. 7 2 - 7 3 .
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Die Stadt selbst, so fährt Adam Smith fort, garantierte wie oben beschrieben den Betrieb der Bank von Amsterdam, die von vier Bürgermeistern geleitet wurde, die jedes Jahr wechselten. Jeder Bürgermeister stattete den Tresorräumen seine Besuche ab, verglich ihren Inhalt an Bargeld mit den Einträgen der Depositen in den Büchern und erklärte mit großer Feierlichkeit unter Eid, dass die beiden übereinstimmten. Adam Smith bemerkt mit ironischem Unterton, dass „in that sober and religious country oaths are not yet disregarded".168 Er endet seinen Kommentar, indem er anfugt, dass alle diese Praktiken ausreichend waren, um die absolute Sicherheit der Depositen in der Bank zu garantieren - eine Tatsache, die sich in verschiedenen politischen Revolutionen in den Niederlanden bewahrheitete. Keine politische Partei war jemals in der Lage, ihre Vorgänger der Treulosigkeit im Management der Bank zu bezichtigen. Als Beispiel nennt Adam Smith, dass die Bank von Amsterdam selbst im Jahr 1672, als der König von Frankreich nach Utrecht marschierte und die Gefahr der Eroberung Hollands durch eine ausländische Macht bestand, sämtliche Wünsche nach Rückzahlung der Sichteinlagen befriedigte. Wie wir oben angeführt haben, führte dies zu einer noch eindrucksvolleren Stärkung des öffentlichen Vertrauens in die absolute Solvenz der Bank. Als einen zusätzlichen Beweis dafür, dass die Bank von Amsterdam eine hundertprozentige Reservedeckung aufrechterhielt, erzählt Adam Smith die Anekdote, dass einige aus der Bank abgezogene Münzen offenbar durch einen Gebäudebrand beschädigt worden waren, der die Bank gleich nach ihrer Gründung 1609 heimgesucht hatte - was zeigt, dass diese Münzen mehr als 150 Jahre in der Bank geblieben sein mussten. Schließlich zeigt Adam Smith - im strikten Einklang mit der wahren rechtlichen Natur des Vertrages des Depositum irreguläre, das erfordert, dass es die Deponenten sind, welche die Bank bezahlen -, dass das Einkommen der Bank aus Gebühren für die sichere Aufbewahrung stammte: „The City of Amsterdam derives a considerable revenue from the bank, besides what may be called the warehouse-rent above mentioned, each person, upon first opening an account with the bank, pays a fee of ten guilders, and for every new account three guilders three stivers; for every transfer two stivers; and if the transfer is for less than three hundred guilders, six stivers, in order to discourage the multiplicity of small transactions."169
Darüber hinaus nennt Adam Smith weitere Einkommensquellen, die wir bereits erwähnt haben, wie das Geldwechseln und den Verkauf von Gold- und Silberbarren. Unglücklicherweise begann die Bank von Amsterdam in den 1780er-Jahren, die rechtlichen Grundsätze, auf denen sie gegründet wurde, systematisch zu verletzen, und Belege zeigen, dass sich die Reservedeckung ab der Zeit des vierten englischniederländischen Seekrieges drastisch verringerte, weil die Stadt von Amsterdam von der Bank forderte, einen Großteil ihrer Depositen als Darlehen zur Deckung der öffentlichen Ausgaben zu geben. Daher beliefen sich die Depositen zu dieser Zeit auf zwanzig Millionen Gulden, während nur vier Millionen Gulden an 168 Ebenda, S. 73. 169 Ebenda, S. 74.
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Edelmetallen in den Tresorräumen lagerten. Dies zeigt nicht nur, dass die Bank das grundlegende Prinzip der sicheren Aufbewahrung verletzte, auf dem sie gegründet worden war, sondern auch, dass die Reservedeckung von 100 Prozent auf weniger als 23 Prozent reduziert worden war. Dies bedeutete den endgültigen Verlust der seit Langem bestehenden Reputation der Bank von Amsterdam: Die Depositen schrumpften daraufhin auf weniger als 140.000 Gulden im Jahre 1820 zusammen. 170 Die Bank von Amsterdam war die letzte Bank der Geschichte, die eine hundertprozentige Reservedeckung aufrechterhielt, und ihr Verschwinden markierte das Ende der letzten Versuche, Banken auf den allgemeinen Rechtsprinzipien zu begründen. Die finanzielle Dominanz von Amsterdam wurde durch das Finanzsystem der Vereinigten Königreichs ersetzt, ein viel weniger stabiles und solventes System, das auf der Expansion von Krediten, Depositen und Papierwährung beruhte. 2.5.4 Die Banken von Schweden und England
Die Bank von Amsterdam war eine Vorgängerin der Bank von Stockholm (Riksbank), die 1656 den Betrieb aufnahm und in zwei Abteilungen unterteilt war: eine, die verantwortlich für die sichere Aufbewahrung der Depositen war (mit einer hundertprozentigen Reservedeckung) und nach dem Vorbild der Bank von Amsterdam modelliert wurde, und eine andere, die sich den Darlehen widmete. Obwohl diese Abteilungen getrennt voneinander operieren sollten, waren sie in der Praxis nur auf dem Papier getrennt, und die Bank von Stockholm wandte sich bald von den Standards ab, welche die niederländische Bank gesetzt hatte. 171 Die schwedische Regierung nationalisierte die Bank 1668 und machte sie damit zur ersten Staatsbank der modernen Welt.172 Sie verletzte nicht nur die traditionellen Prinzipien, welche die Bank von Amsterdam leiteten, sondern begann auch mit einer neuen betrügerischen und systematischen Praxis: der Ausgabe von Banknoten und Depositenbelegen in einer größeren Summe, als tatsächlich Depositen in bar entgegengenommen wurden. Auf diese Weise kamen Banknoten und die Praxis auf, diese in einer höheren Summe zu emittieren, als die Depositen ausmachten. Im Laufe der Zeit wurde diese Aktivität zur Bankpraxis par excellence - besonders während der folgenden Jahrhunderte, als sich die Gelehrten täuschen ließen und nicht erkannten, dass die Ausgabe von Banknoten die gleichen Auswirkungen wie eine künstliche Kreditausweitung und Depositenschaffung hatte. Diese beiden Praktiken hatten, wie A. P. Usher bemerkt hat, von seinem Ursprung an im Zentrum des Bankgeschäfts gestanden.
170 Vilar, A History of Gold and Money, 1450-1920, S. 208. Zum Betrieb der Bank von Amsterdam vgl. auch Wicksell, Lectures on Political Economy, Bd. 2, S. 7 5 - 7 6 . 171 In diesem Sinne war, wie Kindleberger eindringlich in A Financial History of Western Europe, S. 52 - 53, aufzeigt, das Organisationssystem der Riksbank ein Vorläufer der Struktur, die zwei Jahrhunderte später die Peel'sche Bankakte von 1844 der Bank von England zuwies. 172 Bei der Dreihundertjahrfeier der Bank von Stockholm 1968 wurde eine Stiftung gegründet, um den alljährlichen Nobelpreis für Ökonomie zu finanzieren.
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Die Bank von England wurde 1694 gegründet und ebenfalls nach dem Vorbild der Bank von Amsterdam geschaffen, was auf den beträchtlichen Einfluss zurückzuführen ist, den Holland nach der Besteigung des englischen Throns durch das Königshaus Oranien auf England ausübte. Die Bank wurde jedoch nicht mit den gleichen rechtlichen Garantien der sicheren Aufbewahrung ausgestattet wie die Bank von Amsterdam. Stattdessen war von Beginn an eine der wichtigsten Aufgaben der Bank die Finanzierung der öffentlichen Finanzen. Obwohl die Bank von England dazu gedacht war, die allgemein üblichen, systematischen Missbräuche durch Privatbankiers und die Regierung zu beenden, 173 wurde dieses Ziel aus eben diesem Grunde niemals erreicht. Kurzum: Die Bank von England brach schließlich trotz ihrer privilegierten Rolle als Bank der Regierung, ihres Monopols der begrenzten Haftbarkeit in England und ihrer exklusiven Berechtigung zur Notenausgabe zusammen. Als eine Folge ihrer systematischen Vernachlässigung der Aufbewahrungspflicht und ihrer Praxis der Darlehens- und Vorschussgewährung an die Staatskasse mittels der Depositen der Bank stellte die Bank von England nach verschiedenen kuriosen Unbeständigkeiten, welche die Südseeblase einschließen, 1797 schließlich die Zahlungen ein. 174 Ebenfalls 1797, dem Jahr, in dem es der Bank von England verboten wurde, Depositen in bar auszuzahlen, wurde verfügt, dass Steuern und Schulden mit von der Bank emittierten Noten zu zahlen waren, und es wurde ein Versuch unternommen, Vorschüsse und Darlehen an die Regie173 Zum Beispiel wiederholte 1640 Charles I. die Maßnahmen, die sein Namensvetter Karl V. hundert Jahre früher in Spanien ergriffen hatte: Er beschlagnahmte das Gold und die Wertsachen, die zur sicheren Aufbewahrung im Tower von London deponiert worden waren, und ruinierte dabei die Reputation des Münzamtes als sicheren Ort für Wertsachen. Zweiunddreißig Jahre später kam Charles II. seinen Pflichten nicht nach und ließ das königliche Schatzamt die Zahlungen einstellen, womit er den Zusammenbruch vieler privater Banken herbeiführte, die der Krone Darlehen gewährt hatten oder direkt Staatsanleihen mit den Geldern der Sichteinlagen gekauft hatten. Vgl. Kindleberger, A Financial History of Western Europe, S. 53 - 54. 174 1720 entwickelte die South Sea Company den ehrgeizigen Plan, die britischen Staatsschulden für einen Geldbetrag zu übernehmen. Die Gesellschaft ging aus der Partei der Tories hervor, genau wie die Bank von England, und war dazu gedacht, beim Finanzieren des Krieges behilflich zu sein. Im Gegenzug gewährte die Regierung Privilegien für gewisse Unternehmungen. Das eigentliche Ziel der Organisatoren der South Sea Company war es, mit den Aktien der Unternehmung zu spekulieren. Dies ging so weit, dass sogar Regierungsanleihen als Bezahlung für neue Aktien akzeptiert wurden. Die Rolle, welche die Bank von England während des Jahres 1720 spielte, bestand darin, Darlehen auf ihre eigenen Aktien zu gewähren, um deren Kauf zu erleichtern, genau so, wie es die South Sea Company getan hatte. Dies löste einen inflationären Prozess aus, in dessen Verlauf die Aktienkurse der South Sea Company und der Bank auf neue Höchststände getrieben wurden und hohe Profite abwarfen. Die Spekulanten, zu denen auch viele Funktionäre der Kompanie gehörten, nutzten diese Gewinne aus. Ein Teil der Gewinne wurde in Grundstücke investiert, deren Preise ebenfalls signifikant stiegen. Die ganze spekulative und inflationäre Manie kam im Sommer 1720 zu einem abrupten Ende, zu der gleichen Zeit, als John Laws Spekulationen in Paris im Abschwung begriffen waren. Als schließlich die Preise zu fallen begannen, war es nahezu unmöglich, ihren Absturz aufzuhalten. Die Aktienkurse der South Sea Company fielen von 775 Punkten im September auf 170 Mitte Oktober und die Aktien der Bank von England fielen in nur einem Monat von 225 Punkten auf 135. Das Parlament reagierte mit der Verabschiedung des Bubble Act, mit dem von dieser Zeit an die Gründung von Gesellschaften stark eingeschränkt wurde. Die finanziellen Probleme wurden jedoch erst 1722 nach langen Verhandlungen gemildert. In jenem Jahr stimmte das Parlament einer Vereinbarung zwischen der Bank von England und der South Sea Company zu, die festlegte, dass Erstere 4 Millionen Pfund von Letzterer in der Form von durch die Staatskasse garantierten jährlichen Zahlungen von 5 Prozent erhielt. Vgl. auch das Ende von Fußnote 43 von Kapitel 7.
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rung zu begrenzen. 175 Dies war der Beginn des modernen Bankensystems, das auf einer Teildeckung und einer Zentralbank als Kreditgeber letzter Instanz basiert. Im 8. Kapitel werden wir detailliert die Gründe, aus denen Zentralbanken ins Leben gerufen wurden, ihre Rolle und die theoretisch bedingte Unmöglichkeit analysieren, diese Rolle zu erfüllen; außerdem werden wir die Kontroverse Zentralbankwesen vs. Bankfreiheit und ihren Einfluss auf die verschiedenen Geld-, Bank- und Konjunkturtheorien untersuchen. Das vorliegende Kapitel wäre jedoch ohne eine Referenz an die Entwicklung des Bankwesens und des Papiergeldes im Frankreich des 18. Jahrhunderts nicht komplett. 2.5.5 John Law und das Bankwesen im Frankreich des 18. Jahrhunderts
Die Geschichte des Geld- und Bankwesens im Frankreich des 18. Jahrhunderts ist eng mit dem schottischen Finanzier John Law und dem „System" verknüpft, das er ausheckte und in Frankreich in die Praxis umsetzte. Law überzeugte den französischen Regenten Philippe d'Orleans, dass eine ideale Bank die erhaltenen Depositen benutzen sollte, weil dies die Menge des im Umlauf befindlichen Geldes erhöhe und das wirtschaftliche Wachstum „stimuliere". Laws System, wie der ökonomische Interventionismus im Allgemeinen, ergab sich aus drei miteinander in Beziehung stehenden Faktoren. Erstens aus der Missachtung der traditionellen rechtlichen und moralischen Prinzipien, in diesem Falle dem Gebot der kontinuierlichen Aufbewahrung von hundert Prozent des deponierten Geldes. Zweitens aus einem Argumentationsfehler, der die Verletzung der Rechtsprinzipien zu rechtfertigen scheint, um scheinbar nutzbringende Ziele schnell zu erreichen. Und drittens aus der Tatsache, dass es immer bestimmte Agenten geben wird, die in den vorgeschlagenen Reformen eine Möglichkeit zur Erzielung großer Gewinne sehen. Die Kombination dieser drei Faktoren erlaubte es einem politischen Träumer wie Law, sein „Bankensystem" zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Frankreich in Gang zu setzen. In der Tat begann die Bank, sobald sie einmal das Vertrauen der Leute erworben hatte, Banknoten in einem Ausmaß zu emittieren, das die verfügbaren Depositen weit überstieg. Die Menge der im Umlauf befindlichen No175 Von dieser Zeit an warnten vieler Theoretiker, vor allem aus den Vereinigten Staaten, vor der großen Gefahr, die von der impliziten oder expliziten Allianz zwischen Bankiers und Regierungen für die individuelle Freiheit ausgeht. Diese Art von Pakt drückte sich durch eine ständige, systematische Gewährung von Privilegien aus, die es den Banken erlaubten, ihre rechtlichen Verpflichtungen zu verletzen, indem sie die Barauszahlung der Depositen aussetzten. So stufte John Taylor, ein amerikanischer Senator aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, diese Praxis als einen wahrhaftigen Betrug ein, indem er sagt, dass „under our mild policy the banks' crimes may possibly be numbered, but no figures can record their punishments, because they are never punished." Vgl. John Taylor, Construction Construed and Constitutions Vindicated (Richmond, Va.: Shepherd and Polland, 1820; New York: Da Capa Press, 1970), S. 182-83. Ein weiteres sehr interessantes Schriftstück über dieses Thema ist James P. Philbins Artikel mit dem Titel „An Austrian Perspective on Some Leading Jacksonian Monetary Theorists", veröffentlicht im Journal of Libertarian Studies 10, Nr. 1 (Herbst, 1991): 8 3 - 9 5 , vor allem S. 89. Murray N. Rothbard verfasste eine großartige Zusammenfassung über die Entstehung des Teildeckungsbankwesens in den ersten Jahren der Vereinigten Staaten: „Inflation and the Creation of Paper Money", Kapitel 26 der Conceived in Liberty, Bd. 2: „Salutary Neglect": The American Colonies in the First Half of the 18th Century (New York: Arlington House, 1975), S. 123-40; 2. Aufl. (Auburn, Ala.: Ludwig von Mises Institute, 1999)
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ten stieg sehr rasch an und es folgte logischerweise ein signifikanter künstlicher wirtschaftlicher Aufschwung. 1718 wurde die Bank verstaatlicht, wobei sie zur königlichen Bank wurde, und begann am laufenden Band noch mehr Noten zu produzieren und Darlehen zu gewähren. Dies ermutigte die Börsenspekulation im Allgemeinen und im Besonderen das spekulative Kaufen und Verkaufen der Aktien von Laws Compagnie de la Lousiane ou d'Occident oder Mississippi-Kompanie, die den Handel und die fortschreitende Kolonisierung der französischen Territorien in Amerika unterstützen sollte. Im Jahr 1720 waren die absurden Proportionen der Finanzblase offensichtlich geworden. Law versuchte verzweifelt, den Kurs der Aktie der Kompanie und den Wert des Papiergeldes seiner Bank zu stabilisieren: Die Bank und die Kompanie wurden fusioniert, die Aktien der Kompanie wurden zum gesetzlichen Zahlungsmittel erklärt, die Münzen verloren in einem Versuch, ihre Beziehung zu den Noten wiederherzustellen, einen Teil ihres Gewichts etc. Es war jedoch alles vergeblich und so platzte die inflationäre Blase und brachte nicht nur der Bank den finanziellen Ruin, sondern auch vielen französischen Investoren, die ihr Vertrauen in sie und die Mississippi-Kompanie gesetzt hatten. Die Verluste waren so schwer und schmerzhaft, dass für über hundert Jahre gar die Äußerung des Wortes „Bank" in Frankreich als Fauxpas betrachtet wurde. Der Begriff war eine Zeit lang ein Synonym für „Betrug".176 Die Verheerungen der Inflation plagten Frankreich erneut ein paar Dekaden später, wie durch das ernste monetäre Chaos während der Revolution und die unkontrollierte Ausgabe der „assignats" zu dieser Zeit nachgewiesen werden kann. All diese Phänomene hinterließen einen bleibenden Eindruck im kollektiven Bewusstsein der Franzosen, die sich noch heute der großen Gefahren der Papiergeldinflation bewusst sind und sich die Tradition bewahrt haben, beträchtliche Mengen an Goldmünzen und -barren zu sammeln. In der Tat ist Frankreich zusammen mit Indien eines der Länder, in denen die Menschen die größten Geldvorräte auf privater Basis halten. Ungeachtet des oben Gesagten und trotz seines unglücklichen Bankexperiments machte John Law einige Beiträge zur Geldtheorie. Obwohl wir seine inflationistischen und proto-keynesianischen Auffassungen nicht teilen können, müssen wir wie schon Carl Menger anerkennen, dass Law der Erste war, der eine solide Theorie des spontanen, evolutionären Ursprungs des Geldes formulierte.
176 Eine detaillierte Darstellung von Laws berüchtigtem Bankzusammenbruch in Frankreich von einem Gelehrten mit einer Kenntnis der Ereignisse aus erster Hand findet sich in dem Buch Deila moneta on Ferdinando Galiani, S. 3 2 9 - 3 4 , und in den Kapiteln 23 bis 35 des zweiten Bandes des An Enquiry into the Principles of Political Oeconomy von Sir James Steuart (S. 235-91). Eine aufschlussreiche und theoretisch solide Analyse des Finanz-, Geld- und Bankwesens im Frankreich des 18. Jahrhunderts ist in F. A. Hayeks Artikel „First Paper Money in Eighteenth Century France", zu finden, der als Kapitel 10 in dem Buch The Trend of Economic Thinking: Essays on Political Economists and Economic History, Band 2 der Collected Works of F. A. Hayek, hrsg. v. W. W. Bartley IK und Stephen Kresge, London und New York: Roudedge, 1991, S. 155-76, erschienen ist. Die beste Biografie von John Law stammt von Antoin E. Murphy, John Law: Economic Theorist and Policy Maker (Oxford: Clarendon Press, 1997).
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2.5.6 Richard Cantillon und die betrügerische Verletzung des Vertrages des Depositum irreguläre Es ist eine bemerkenswerte Tatsache, dass drei der berühmtesten Geldtheoretiker des achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhunderts Bankiers waren: John Law, Richard Cantillon177 und Henry Thornton. Alle ihre Banken brachen zusammen.178 Nur Cantillon entkam relativ unbeschadet und in guter finanzieller Verfassung, nicht nur, weil er seine riskanten Spekulationen rechtzeitig beendete, sondern auch, und das ist noch gewichtiger, weil er große Gewinne machte, indem er die Verpflichtung brach, die Vermögenswerte seiner Klienten sicher aufzubewahren. In der Tat verletzte Cantillon eindeutig den Vertrag des Depositum irreguläre, auch wenn in diesem Fall die Depositen nicht Gelder, sondern Aktien der von John Law gegründeten Mississippi-Kompanie waren. Cantillons betrügerisches System funktionierte wie folgt: Er gab große Summen an Geld als Darlehen an seine Kunden, damit diese damit Aktien der Kompanie kaufen konnten, mit der Bedingung, dass die Aktien als Sicherheit in Cantillons Bank in der Form eines Depositum irreguläre, in diesem Falle von fungiblen und nicht zu unterscheidenden Aktien, verblieben. Später eignete sich Cantillon ohne das Wissen seiner Klienten die deponierten Wertpapiere widerrechtlich an und verkaufte sie, als er die Kurse für hoch hielt, und behielt das Geld aus dem Verkauf. Als schließlich die Aktien praktisch ihren ganzen Wert verloren hatten, kaufte Cantillon sie für einen Bruchteil ihres alten Preises zurück und stellte die Depositen wieder her, womit er einen saftigen Gewinn einfuhr. Schließlich forderte er die Rückzahlung der Darlehen ein, die er anfangs seinen Kunden gewährt hatte; diese waren unfähig, das Geld zurückzugeben, weil der Wert der Sicherheit, die sie in der Bank hatten, nahe null lag. Diese betrügerischen Operationen führten zu mehreren Strafanzeigen und Zivilprozessen gegen Cantillon, der, nachdem er festgenommen und für kurze Zeit eingesperrt worden war, gezwungen war, Frankreich eilends zu verlassen und nach England zu fliehen.
177 Richard Cantillon war der Erste, der behauptete, ein „sicheres" Bankgeschäft könnte mit einer Reservedeckung von lediglich zehn Prozent durchgeführt werden: „Dans ce premier exemple la caisse d'un Banquier ne fait que la dixième partie de son commerce." Vgl. Seite 400 der Originalausgabe des Essai sur la nature du commerce en général: ,,[I]n der Regel ist es für ihn [den Bankier] hinreichend, den zehnten Teil dessen in seiner Kasse zurückzubehalten, was ihm anvertraut wurde." Abhandlung über die Natur des Handels im allgemeinen, 1931, Jena: Gustav Fischer, S. 191-92. Dieses Werk wurde zunächst anonym veröffentlicht und fälschlicherweise in London, Fletcher Gyles in Holborn, 1755. Erstaunlicherweise erwähnt Murray Rothbard dies nicht in seiner brillanten Studie über Cantillon. Vgl. Rothbard, Economic Thought Before Adam Smith, S. 345-62. 178 Zugegebenermaßen brach Thorntons Bank erst nach seinem Tode im Dezember 1825 zusammen. Vgl. S. 3 4 - 3 6 von F. A. Hayeks „Introduction" zu Henry Thorntons Buch An Inquiry into the Nature and Effects of the Paper Credit of Great Britain, ursprünglich veröffentlicht 1802 und neu aufgelegt v o n Augustus M. Kelley, 1978. A . E. Murphy bemerkt zudem, dass sich Law und Cantillon der traurigen „Auszeichnung" erfreuen können, neben Antoine de Montchrétien die einzigen Ökonomen zu sein, die des Mordes und anderer Verbrechen angeklagt wurden. Vgl. A. E. Murphy, Richard Cantillon: Entrepreneur and Economist (Oxford: Clarendon Press, 1986), S. 237. Thorntons religiöse und puritanische Reputation schützte ihn zumindest davor, solcher Grässlichkeiten beschuldigt zu werden.
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Zu seiner Verteidigung brachte Cantillon dasselbe Argument vor, das im Mittelalter so oft von verschiedenen Autoren gebraucht worden war, um das Depositum irreguläre mit dem Darlehen zu vermengen. Und zwar versuchte Cantillon sich zu verteidigen, indem er behauptete, dass die bei ihm deponierten Aktien als nicht nummerierte, fungible Güter in Wahrheit kein richtiges Depositum dargestellt hätten, sondern ein Darlehen, das den vollen Übergang des Eigentums und der Verfügbarkeit an die Bankiers impliziert. Daher betrachtete Cantillon seine Operationen als vollkommen „legitim". Gleichwohl wissen wir, dass sein juristisches Argument schlecht war und die Verpflichtung zur sicheren Aufbewahrung und Aufrechterhaltung des kontinuierlichen Besitzes sämtlicher Aktien erhalten blieb, obwohl das Depositum von Wertpapieren als ein Depositum irreguläre von fungiblen Gütern angesehen werden konnte. Mithin beging Cantillon, als er die Aktien zum Nachteil seiner Kunden verkaufte, eindeutig einen kriminellen Akt der Veruntreuung. F. A. Hayek erklärt Cantillons Versuch, seine betrügerischen Handlungen zu rechtfertigen: „His point of view was, as he later explained, that the shares given to him, since their numbers had not been registered, were not a genuine deposit, but rather - as one would say today - a block deposit so that none of his customers had claim to specific securities. The firm actually made an extraordinary profit in this way, since it could buy back at reduced prices the shares sold at high prices, and meanwhile the capital, for which they were charging high interest, lost nothing at all but rather was saved and invested in pounds. When Cantillon, who had partially made these advances in his own name, asked for repayments of the loans from the speculators, who had suffered great losses, and finally took them to court, the latter demanded that the profits obtained by Cantillon and the firm from their shares be credited against these advances. They in tum took Cantillon to court in London and Paris, charging fraud and usury. By presenting to the courts correspondence between Cantillon and the firm, they averred that the entire transaction was carried out under Cantillon's immediate direction and that he therefore bore personal responsibility." 179
Im folgenden Kapitel werden wir erklären, dass die Verletzung des Depositum irreguläre von Wertpapieren von einem rechtlichen Standpunkt aus genauso verderblich ist wie die Verletzung des Depositum irreguläre von Geld und sehr ähnliche wirtschaftliche und soziale Übel zur Folge hat. Ein perfektes Beispiel aus dem 20. Jahrhundert war der Zusammenbruch der Bank von Barcelona und anderer katalanischer Banken, die das Depositum irreguläre von Wertpapieren systematisch akzeptiert hatten, ohne für die vollständige Verwahrung zu sorgen. 180 Stattdessen 179 Vgl. Hayek, „Richard Cantillon (1680-1734)", Kapitel 13 aus The Trend of Economic Thinking, S. 245-93, besonders S. 284. 180 Zum Depositum irreguläre von Wertpapieren und zur Art der widerrechtlichen Aneignung, die von Cantillon und später den katalanischen Bankiers zu Beginn des 20. Jahrhunderts begangen wurden, vgl. La cuenta corriente de efectos o valores de un sector de la banca catalana: su repercusión en el crédito y en la economía, su calificación jurídica en el ámbito del derecho penal, civil y mercantil positivos españoles según los dictámenes emitidos por los letrados señores Rodríguez Sastre, Garrigues, Sánchez Román, Goicoechea, Miñana y Clemente de Diego, seguidos de un estudio sobre la cuenta de efectos y el mercado libre de valores de Barcelona por D. Agustín Peláez, Síndico Presidente de la Bolsa de Madrid (Madrid: Delgado Sáez, 1936).
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benutzten sie die Wertpapiere zur Erzielung von Gewinn in allerlei Arten spekulativer Operationen zum Nachteil ihrer wahren Eigentümer, genauso wie es Cantillon zwei Jahrhunderte früher getan hatte. Richard Cantillon wurde 1734 nach zwölf Jahren Rechtsstreitigkeiten, zwei Festnahmen und der ständigen Gefahr einer Gefängnisstrafe in seinem Londoner Haus brutal ermordet. Die offizielle Version lautete, dass er von einem ehemaligen Koch ermordet und sein Körper bis zur Unkenntlichkeit verbrannt worden sei, um ihn zu berauben; aber ebenso plausibel ist die Annahme, dass einer seiner vielen Gläubiger den Mörder anstiftete oder Cantillon sogar seinen eigenen Tod inszenierte, wie A. E. Murphy, sein neuester Biograf, nahelegt, um zu fliehen und so weitere Jahre voller Rechtsstreitigkeiten und rechtlicher Verfahren gegen ihn zu vermeiden. 181
181 Antoin E. Murphy, Richard Cantillon: Entrepreneur and Economist (Oxford: Clarendon Press, 1986), S. 209 und 291-97. Murphy erwähnt die folgenden Fakten, um seine letzte These zu unterstützen: (1) Cantillon liquidierte einen Großteil seines Vermögens einen Tag vor seinem Mord; (2) der Körper wurde bis zur Unkenntlichkeit verbrannt; (3) seine Familie offenbarte nach dem Mord eine mysteriöse Gleichgültigkeit; und (4) der Angeklagte benahm sich seltsam und verhielt sich niemals wie ein typischer Mörder.
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Die Versuche der juristischen Rechtfertigung des Teiideckungsbankwesens
In diesem Kapitel setzen wir uns kritisch mit den verschiedenen theoretischen Versuchen auseinander, das Teildeckungsbankwesen juristisch zu rechtfertigen. Wir werden die vorgeschlagenen Argumente betrachten, die dazu dienen sollen, einen Vertrag des monetären Depositum irreguläre juristisch zu untermauern, bei dem der Depositar zu seinem eigenen Interesse Gebrauch vom Geld der Sichteinlagen machen kann. Im Licht der rechtlichen Lehre, die wir in Kapitel 1 präsentiert haben, und der ökonomischen Analyse in den folgenden Kapiteln werden wir zwei Hauptverteidigungslinien kritisieren. 3.1
Einleitung
Die Rechtslehren zur Rechtfertigung des Teildeckungsbankwesens sind ex post facto formuliert worden. Sie basieren nicht auf vorher existierenden Rechtsprinzipien, die dann zu gewissen Rechtsgeschäften geführt haben. Ganz im Gegenteil haben die Bankpraktiken, wie wir sie im vorangegangenen Kapitel dargelegt haben, für lange Zeit gegen die grundlegenden universellen Rechtsprinzipien verstoßen. Und dies geschah als Reaktion auf die spezifischen Umstände, die zusammengenommen diese Vergehen konspirativ möglich machten (menschliche Gier, unangemessene Regulierung, die finanziellen Bedürfnisse der Regierung, die systematische Intervention der Regierenden und die Verwirrung, die auf das Depositum confessatum zurückzuführen war, das seinerseits ein Produkt des kanonischen Zinsverbots war). Logischerweise veranlasste das Fehlen einer rechtlichen Basis für eine derart weit verbreitete Praxis die Bankiers wie auch die Gelehrten bald dazu, nach einer passenden juristischen Rechtfertigung zu suchen. Dieser Drang wurde noch durch die Tatsache verstärkt, dass in fast allen Fällen letztlich die Regierung oder die öffentlichen Behörden die Hauptbegünstigten dieser betrügerischen Bankaktivitäten waren. In Anbetracht der traditionellen Symbiose zwischen politischen Autoritäten und Intellektuellen kann es deshalb nicht überraschen, dass Letztere durch Erstere dazu gedrängt wurden, nach rechtlichen Grundlagen zu suchen, welche die von der Politik erlaubten und ermutigten Praktiken bestätigen.182 Für das Überleben des ganzen Netzwerks verknüpfter Interessen, welches das Teildeckungsbankwesen erzeugt hatte, war es essenziell, adäquate rechtliche Grundlagen zu finden. Es war für jede gebildete Person klar, dass diese Praktiken auf etwas Soliderem als einer reinen De-facto-Situation basieren mussten. Es ist nicht ausreichend anzuerkennen und zu bekräftigen, wie es Shepard B. Clough tut, dass „In fact, [goldsmiths] even lent money given them for save-keeping on the theoiy and experience that they needed to have on hand only enough to meet the expected,
182 Vgl. Bertrand de Jouvenel, „The European Intellectuals and Capitalism", in F. A. von Hayek (Hrsg.), Capitalism and the Historians (Chicago: University of Chicago Press, 1954).
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Die Versuche der juristischen Rechtfertigung des Teildeckungsbankwesens current demand of depositors. This practice led them, at least by the seventeenth century, to the issuing of „promises to pay," that is, „goldsmiths' notes," which, like modern banknotes, circulated from person to person. These „promises to pay," which could be paid by using the deposits of customers, came actually to exceed the amount of money on deposit. When this happened credit had been actually created by issuing paper - a very major discovery."163
Für wie „gewaltig" man diese „Entdeckung" auch halten mag, dass es möglich ist, einen betrügerischen Gebrauch von dem Geld der Deponenten zu machen oder Depositenbelege in einer den tatsächlich deponierten Betrag übersteigenden Summe auszustellen: Es ist klar, dass diese Handlungen die gleichen Charakteristika besitzen, die allen anderen kriminellen Handlungen der widerrechtlichen Aneignung innewohnen; Handlungen, die immer ein Untersuchungsobjekt der Strafrechtsexperten gewesen sind. Die Ähnlichkeit dieser beiden Arten von Handlungen ist daher so offensichtlich, dass die Gelehrten angesichts einer derartigen rechtlichen Unregelmäßigkeit in der Wirtschaft nicht untätig bleiben konnten. Daher ist es nicht überraschend, dass große Anstrengungen unternommen wurden, um das zu rechtfertigen, was scheinbar nicht zu rechtfertigen ist: nämlich, dass es vom Standpunkt der allgemeinen Rechtsprinzipien legitim ist, sich die Gelder anzueignen, die zur sicheren Aufbewahrung deponiert worden sind, und Depositenbelege für mehr Geld auszustellen, als tatsächlich deponiert worden ist. Dennoch haben es die daran interessierten Parteien (hauptsächlich Bankiers und Regierungen) für derart wichtig gehalten, eine adäquate theoretische Rechtfertigung zu finden, die über die simple, voluntaristische Lösung hinausgeht, eine verderblich kriminelle Praxis einfach für legal zu erklären (was trotz aller gelehrten Fassaden und Konstrukten auch geschehen ist), dass viele Juristen noch immer mit dem Versuch beschäftigt sind, eine bis heute andauernde Praxis mit dem Mäntelchen der rechtlichen Respektabilität zu bedecken. Die Lehren, die versuchten den Gebrauch einer Teildeckung beim Depositum irreguläre zu rechtfertigen, können in zwei große Gruppen eingeteilt werden. Die erste Gruppe versuchte, das Problem durch die Gleichsetzung des Vertrages des Depositum irreguläre mit dem Darlehensvertrag zu beseitigen. Wir werden die Theorien dieser Gruppe detailliert analysieren und zeigen, dass es aus rechtlicher Sicht unmöglich ist, diese beiden Verträge gleichzusetzen. Die Verfasser der zweiten und jüngeren Lehren erkennen zunächst einmal an, dass es fundamentale Unterschiede zwischen dem Darlehensvertrag und dem Vertrag des Depositum irreguläre gibt. Diese Theoretiker haben ihre Anstrengungen auf die Schaffung eines neuen Rechtskonzepts von „Verfügbarkeit" fokussiert und plädieren für eine „großzügige" Interpretation des Begriffs. Demnach sollten die Bankiers nur dazu verpflichtet sein, ihre Investitionen umsichtig vorzunehmen und Regulierungen sowie Bankgesetzgebungen jederzeit zu befolgen. Eine detaillierte Studie dieser zweiten Art von Theorien wird zeigen, dass sie letztlich eine Rückkehr zum gescheiterten Versuch
183 Shepard B. Clough, The Economic Development of Western Civilization (New York: McGraw-Hill, 1959), S. 109; Hervorhebung hinzugefügt.
Einleitung
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der ersten Gruppe zur Folge haben, nämlich den Gebrauch einer Teildeckung beim Depositum irreguläre dadurch zu rechtfertigen, dass der Depositenvertrag mit dem Darlehensvertrag gleichgesetzt wird. Auf diese Weise fallen die Lehren der zweiten Art den gleichen Fehlem und rechtlichen Widersprüchen anheim, wie wir sie bei denen der ersten Art erkennen werden. Zudem werden wir im nächsten Kapitel erklären, warum der theoretische Kern der neuen Interpretation der Verfügbarkeit (der auf dem „Gesetz der großen Zahl" basiert) aus Sicht der ökonomischen Theorie unzulässig ist. Wir werden mithin zu dem Schluss kommen, dass die bisherigen Versuche, das Teildeckungsbankwesen bei Sichteinlagen zu rechtfertigen, gescheitert sind. Dies erklärt die durchgängige Mehrdeutigkeit in den Lehren über diese Art der Bankpraxis, die verzweifelten Versuche, Klarheit und Offenheit bei ihrer Behandlung zu vermeiden, das allgemeine Fehlen von Verantwortlichkeit und schließlich (weil das Teildeckungsbankwesen wirtschaftlich vermutlich nicht selbstständig überlebensfähig ist) die Tatsache, dass dieses System der Unterstützung durch eine Zentralbank bedarf, welche die Regulierungen einleitet und zu jeder Zeit für die Liquidität sorgt, die notwendig ist, um den Zusammenbruch des ganzen Konstrukts zu verhindern. Im achten Kapitel werden wir das Zentralbankwesen diskutieren und mittels einer theoretischen Analyse zeigen, dass die Nationalisierung des Geldes sowie die Kontrolle des Bankensystems und seiner leitenden Gesetze durch die Zentralbank nicht dazu imstande gewesen sind, ein stabiles Finanzsystem aufrechtzuerhalten, das Konjunkturzyklen verhindert und Bankenkrisen abwendet. Daher können wir zu dem Schluss kommen, dass das Teildeckungsbankwesen ebenfalls versagt hat, selbst wenn es von einer Zentralbank gestützt und beschützt wird. Am Ende dieses Kapitels werden wir die verschiedenen Arten von finanziellen Verträgen untersuchen, von denen einige jenen ähneln, welche die Bankiers bei den Bankdepositen zum Einsatz bringen. Besonders werden wir die verschiedenen finanziellen Operationen betrachten, die eine „RückkaufVereinbarung" beinhalten. Wir werden zeigen, dass diese eine Umgehung des Rechts mit sich bringen; wann immer die Zahlung eines vorher festgelegten Preises ungeachtet des aktuellen Preises am Sekundärmarkt garantiert wird, verschleiern solche Operationen einen echten Depositenvertrag. Schließlich werden wir einen Blick auf die tiefgründigen, essenziellen Unterschiede zwischen den finanziellen Operationen des Bankwesens und jenen des Lebensversicherungswesens werfen. Letztere repräsentieren eine perfektionierte Form des wahren Sparens, bei dem Gegenwartsgüter gegen Zukunftsgüter getauscht werden. Dies ist ein Tausch mit besonders attraktiven Eigenschaften, der jedoch weder die Aneignung von Sichteinlagen und die Schaffung von Kredit noch die Ausgabe von Belegen ohne Deckung beinhaltet. Wir werden auch den verderblichen Einfluss auf das Versicherungswesen diskutieren, der von dem jüngsten (in der staatlichen Gesetzgebung ganz offensichtlichen) Trend zur Eintrübung und Verschleierung der traditionellen rechtlichen und technischen Grenzen zwischen diesen beiden Arten von Institutionen (der Lebensversicherung und dem Bankwesen) ausgeht.
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3.2 Warum es unmöglich ist, den Vertrag des Depositum irreguläre mit dem Darlehens- oder Mutuumvertrag gleichzusetzen 3.2.1 Die Wurzeln der Verwirrung
Die Versuche, den Vertrag des monetären Depositum irreguläre mit dem Darlehensoder Mutuumvertrag rechtlich gleichzusetzen, sind besonders attraktiv für jene, die am meisten von den Bankpraktiken profitieren (Bankiers und Regierungen). In der Tat haben wir in Kapitel 1, das eine Erklärung der rechtlichen Natur beider Institutionen enthält, aufgezeigt, dass ein Darlehen die Übertragung nicht nur des Eigentums des geliehenen Gegenstandes impliziert, sondern auch seine volle Verfügbarkeit, und dass daher der Darlehensnehmer dieses in Gänze verwenden kann, indem er es investiert, ausgibt etc. Wenn man bedenkt, dass genau dies letztlich der Bankier tut, wenn er sich die als Sichteinlagen deponierten Gelder aneignet, so ist für ihn die Gleichsetzung des Vertrages des Depositum irreguläre mit dem Darlehensvertrag eindeutig die ideale rechtliche Lösung. Darüber hinaus wurde beharrlich ein abgenutzter Vorwand dazu benutzt, die Argumentation für eine Gleichsetzung der beiden Verträge zu stützen. Oberflächlich und vereinfacht handelt es sich um das folgende Argument: Weil der Vertrag des Depositum irreguläre in dem Depositum von fungiblen Gütern besteht, deren wirkliches Wesen den unumgänglichen Transfer des Eigentums an den individuellen deponierten Gegenständen impliziert (weil sie voneinander ununterscheidbar sind), sind das Depositum und das Darlehen naturgemäß ein und dasselbe, da beide Institutionen die Übertragung des Eigentums mit sich bringen. In Kapitel 1 haben wir gesehen, dass diese Argumentationskette falsch, oberflächlich und abstrus ist. Tatsächlich unterscheiden sich beide Verträge selbst unter der Annahme, dass das Eigentum in beiden Fällen übertragen wird, immer noch radikal hinsichtlich der Verfügbarkeit des Gegenstandes (eine essenzielle Eigenschaft der Verträge). Während beim Darlehensvertrag die volle Verfügbarkeit des Gegenstandes zusammen mit dem Eigentum übertragen wird, erfordert in das eigentliche Wesen des Vertrages des Depositum irreguläre, dass der Zweck der sicheren Aufiewahrung und Bewachung vorherrscht. Obwohl wir in der Theorie davon ausgehen, dass das Eigentum übertragen wird, ist eine solche Übergabe folglich in der Praxis vemachlässigbar, weil die sichere Aufbewahrung und Bewachung des fungiblen Gutes die beständige Verfügbarkeit des Tantundems für den Deponenten erfordert. Selbst wenn das Eigentum bei beiden Institutionen im gleichen Sinne transferiert würde, existierte deshalb immer noch ein grundlegender rechtlicher Unterschied zwischen ihnen: der Unterschied in der Verfügbarkeit. Es mag überraschend erscheinen, dass die Juristen, die es vorgezogen haben, den Depositenvertrag mit dem Darlehens- oder Mutuumvertrag gleichzusetzen, einen solch offensichtlichen Unterschied übersehen haben. Die Gleichsetzung beider Verträge wirkt so gezwungen und die Argumente sind so schwach, dass es erstaunlich ist, dass eine gewisse Gruppe von Theoretikern versucht hat, die Gleichsetzung zu verteidigen. Freilich gibt es für ihren Versuch eine historisch bedingte theoretische
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Erklärung: das Depositum confessatum, ein juristischer Kunstgriff, der im Mittelalter aus Versuchen geboren wurde, das kanonische Zinsverbot zu umgehen. Obwohl wir bereits gezeigt haben, dass das kanonische Zinsverbot und die Entwicklung des Teildeckungsbankwesens sehr wenige direkte Berührungspunkte haben, fungierte das Depositum confessatum als ein starkes indirektes Bindeglied zwischen ihnen. Wie wir bereits wissen, musste der Depositar ab der Zeit des römischen Rechts Zinsen zahlen, wenn er nicht in der Lage war, die zur sicheren Aufbewahrung hinterlegten Depositen auf Forderung des Deponenten zurückzuzahlen. Ungeachtet anderer absehbarer zivilrechtlicher oder strafrechtlicher Verfahren (die „actio depositi" und die „actio furti") wurde dann folgerichtig eine zusätzliche Klage angestrengt, um Zinsen für die verspätete Zahlung und den Verlust der Verfügbarkeit für den Deponenten bis zu dem Zeitpunkt der Rückgabe der deponierten Gelder zu erhalten. 184 Daher ist es leicht nachzuvollziehen, wie üblich es im Mittelalter war, ein Darlehen als ein Depositum zu tarnen, um die Zinszahlung juristisch zu rechtfertigen und sozial akzeptabel zu machen. Aus diesem Grund begannen die Bankiers systematisch, sich in Geschäften zu engagieren, in denen die Parteien öffentlich erklärten, dass sie einen Depositenvertrag und nicht einen Darlehensvertrag abschlössen. Es ist aber mit dem lateinischen Sprichwort festzuhalten: „excusation non petita, accusatio manifesta" („eine nicht geforderte Entschuldigung entspricht einer Selbstanklage"). In der Tat war es bei einem wahren Depositum nicht notwendig, irgendwelche Erklärungen abzugeben, und eine solche Erklärung, wenn sie denn abgegeben wurde, legte nur den Versuch offen, einen Darlehens- oder Mutuumvertrag zu verschleiern. Der Zweck der Verschleierung eines Darlehens als ein Depositum war es, dem strikten kanonischen Verbot von zinsbringenden Darlehen auszuweichen und viele wahrhaftige Kredittransaktionen möglich zu machen, die sowohl wirtschaftlich als auch sozial notwendig waren. Das Depositum confessatum trübte die entschieden klaren rechtlichen Grenzen zwischen dem Vertrag des Depositum irreguläre und dem Darlehens- oder Mutuumvertrag. Was auch immer die Sicht der Gelehrten zum kanonischen Zinsverbot war, das Depositum confessatum führte beinahe unvermeidlich zu einer „natürlichen" Identifikation der Depositenverträge mit den Mutuumverträgen. Für einen Gelehrten, der alle Verletzungen des kanonischen Verbots und jeden Fall der Verschleierung einer Zinszahlung entdecken und entblößen wollte, erschien gewiss von Beginn an alles, was einem „Depositum" ähnelte, als verdächtig, und die offensichtlichste und effizienteste Lösung aus dieser Sicht der Dinge war es, Depositen mit Darlehen automatisch gleichzusetzen und die Zinszahlung in allen Fällen zu verdammen, ungeachtet der äußeren juristischen Erscheinung der Operation. Paradoxerweise begnügten sich die „liberaleren" Moralphilosophen nicht damit, die rechtliche Existenz der Depositen und die daraus folgende Rechtmäßigkeit der Zinszahlung bei verspä184 Wie wir wissen, bedeutet die Tatsache, dass das monetäre Depositum irreguläre ein Depositenvertrag ist, dass die „actio depositi directa" zur Anwendung kommt. Die römischen Juristen entwickelten dieses Konzept, das es dem Deponenten überlässt, jederzeit zu bestimmen, wann sein Depositum ihm zurückgegeben wird. Diese Bedeutung der Verfügbarkeit ist so wichtig, dass der Anspruch des Deponenten als äquivalent zum Eigentum des deponierten Geldes angesehen wird (weil das Tantundem des Depositums ihm vollständig und unmittelbar verfügbar ist).
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teter Zahlung zu verteidigen, sondern gingen weiter, indem sie argumentierten, dass solche Depositen letztlich Darlehen waren und die Bankiers daher das Geld benutzen oder investieren konnten. Diese Autoren wollten nicht nur die Zahlung von Zinsen rechtfertigen, sondern auch eine Institution legitimieren, die eben jene Handlungen der Investition oder des Tausches von gegenwärtigen gegen zukünftige Güter erlaubte, die der Darlehensvertrag traditionell möglich machte. Überdies war diese Art von Tausch für Industrie und Handel extrem wichtig. Während des ganzen Mittelalters vertraten die meisten Juristen, die Gesetzestexte kommentierten, diese Meinung. Wie wir im vorangegangenen Kapitel gesehen haben, war dies auch die Meinung verschiedener Vertreter der Schule von Salamanca, wie etwa Luis de Molina, der glaubte, der Vertrag des monetären Depositum irreguläre sei ein „prekäres Darlehen", bei dem das Eigentum des Geldes (was, wie wir gesehen haben, im Fall des Depositums von fungiblem Geld statthaft ist) und auch die vollständige Verfügbarkeit (was, wie wir wissen, unmöglich und dem wahren Wesen des Depositums entgegengesetzt ist) an den Bankier übergehen. 185 Zudem hatte sich, wie wir bereits gesehen haben, der irische Bankier und Ökonom Richard Cantillon während einer Welle der Spekulation, die in Frankreich durch John Laws System verursacht worden war, widerrechtlich die bei ihm als fungible Güter in einem Vertrag eines Depositum irreguläre deponierten Wertpapiere angeeignet. In den zivilrechtlichen und strafrechtlichen Prozessen, die gegen ihn angestrengt wurden, versuchte er, sich durch die einzige bis dahin entwickelte Lehre, die seine Position begünstigte, zu verteidigen: Weil sich der Vertrag auf ein „irreguläres" Depositum beziehe (d.h., die Wertpapiere wurden als fungible Güter betrachtet), fände ein vollständiger Transfer sowohl des Eigentums als auch der Verfügbarkeit statt. Wäre das der Fall gewesen, hätte er sich legitimerweise die Aktien aneignen, sie verkaufen und zur Spekulation am Markt nutzen können, ohne irgendein Verbrechen zu begehen oder seinen Deponenten zu schaden. 186 Dasselbe juristische Argument, das Richard Cantillon zu seiner Verteidigung nutzte, war von den Gelehrten hinsichtlich der irregulären Gelddepositen (anstelle der irregulären Wertpapierdepositen) entwickelt worden. Wenn es als juristisch angemessen und gerechtfertigt betrachtet wird, den Gelddepositenvertrag mit dem Mutuumvertrag gleichzusetzen, dann wäre folglich dasselbe - „mutatis mutandis" - sicherlich auch auf alle anderen Depositen fungibler Güter anwendbar, im Besonderen auf die Depositen von Wertpapieren, die als Güter voneinander ununterscheidbar sind. Deshalb müssen wir hervorheben, dass jede theoretische Analy185 Vgl. Luis de Molina, Tratado sobre los cambios, herausgegeben mit einem Vorwort von Francisco Gömez Camacho, Disputation 608, 1022 d., S. 138. Wie wir gesehen haben, teilt Juan de Lugo die Sichtweise Molinas, wie es auch, obzwar in einem geringeren Maße, Domingo de Soto tut. Die anderen Mitglieder der Schule von Salamanca, vor allem Dr. Saravia de la Calle, waren als weise Juristen der römischen Tradition treu und lehnten das Teildeckungsbankwesen trotz des gegen sie ausgeübten Drucks und der von ihnen miterlebten Praktiken ab. 186 Vgl. F. A. Hayek, „Richard Cantillon (1680- 1734)", in The Collected Works ofF. A. Hayek, Bd. 3: The Trend of Economic Thinking: Essays on Political Economists and Economic History, S. 159. Vgl. zudem den klassischen Artikel von Henry Higgs, „Richard Cantillon", in The Economic Journal 1 (Juni 1891): 2 7 6 - 8 4 . Siehe schließlich A. E. Murphy, Richard Cantillon: Entrepreneur and Economics.
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se, die gegen die Rechtmäßigkeit des vollständigen Übergangs des Eigentums und der Verfügbarkeit beim Depositum irreguläre von Wertpapieren spricht, letztlich auch ein schlagkräftiges Argument gegen den Gebrauch einer Teildeckung beim monetären Depositum irreguläre liefert. Der bedeutende spanische Merkantilist Joaquín Garrigues hat diesen Tatbestand erkannt. Er schreibt: „Die Argumentation hat uns bis jetzt zu der Bestätigung geführt, dass ein Kunde, wenn er seine Aktien der Bank anvertraut, einen Bankdepositenvertrag abzuschließen versucht; unverzüglich nach dieser Feststellung werden wir uns eines anderen Vertrages mit einem ähnlichen finanziellen Zweck bewusst. Dieser Vertrag beinhaltet auch das Anvertrauen eines fungiblen Gutes (Geld) an die Bank. Zudem werden von der Bank Kontoführungsdienste geleistet. Dies - so werden Verteidiger des Bankkontos sagen - ist ein anderer einzigartiger Vertrag, der in den Bankdokumenten weder als Darlehen noch als Depositum aufgeführt wird und die gleichen rechtlichen Folgen hat wie das Wertpapierkonto; nämlich, die Übertragung des Eigentums an die Bank und die Rückgabe des Tantundems durch die Bank." 187
Trotz Garrigues' gekünstelten und nicht überzeugenden Versuchs, uns weiß zu machen, dass diese beiden Depositen unterschiedlich sind, ist es offensichtlich, dass beide irreguläre Depositenverträge (des Geldes und der Wertpapiere) im Wesentlichen identisch sind und wir deshalb, wenn wir die Übertragung der vollen Verfügbarkeit des Gutes in einem Falle (beim Gelddepositum) akzeptieren, dies auch in dem anderen Falle tun müssen. Folglich ist es nicht möglich, die Gesetzmäßigkeit des einen (des Wertpapierdepositums) abzustreiten, ohne die Gesetzmäßigkeit des anderen (des Gelddepositums) abzustreiten.188 Als Fazit lässt sich festhalten, dass die juristischen Argumente, die Cantillon zu seiner Verteidigung vorbrachte, von den Theorien hinsichtlich des Vertrages des monetären Depositum irreguläre abgeleitet waren. Und wenn wir diese Theorien als richtig ansehen, dann rechtfertigen sie auch Cantillons offensichtlichen Betrug an seinen Kunden und die Heerschar an irregulären und betrügerischen Aktivitäten, die später in Verbindung mit irregulären Wertpapierdepositen in anderen Ländern, vor allem in Spanien, durchge187 Zu diesem Thema siehe S. 194 ff. in dem „Dictamen de Joaquín Garrigues", Bestandteil des Buches La cuenta corriente de efectos o valores de un sector de la banca catalana y el mercado libre de valores de Barcelona, S. 159-209. Aus diesem bemerkenswerten Buch können daher viele Argumente gegen die These, dass beim Depositum irreguläre die vollständige Verfügbarkeit von Wertpapieren als eine Art fungibler Güter übertragen wird, direkt auf die Kritik der gleichen Theorie hinsichtlich des Depositum irreguläre des Geldes als eines fungiblen Gutes angewendet werden. Wir werden diese Argumente in unsere Studie, wann immer es angemessen ist, aufnehmen. 188 Das Gegenteil wäre ein unzulässiger logischer Widerspruch; Florencio Ozcáriz Marco jedoch begeht einen solchen Fehler. Er behauptet, dass Depositen von Massengütern nicht irreguläre Depositen seien, „weil es keine Ermächtigung gibt, sie zu benutzen, und noch weniger, sie sich nach Belieben anzueignen, nur die Ermächtigung sie zu vermischen", während er im Fall der Depositen anderer fungibler Güter (Geld) mysteriöserweise davon ausgeht, dass eine Übergabe der Berechtigung des Gebrauchs und der Verfügbarkeit stattfinde; eine Übertragung, welche die Depositen in „Darlehen" umformt. Zusätzlich zu diesem konzeptionellen Fehler begeht Ozcáriz einen terminologischen Fehler: In einer Analyse des „einzigartigen Falles" des Depositums von Massengütern zitiert er die Entscheidung des obersten spanischen Gerichts hinsichtlich eines Öldepositums, das einige Olivenhändler vorgenommen hatten (Entscheidung des obersten spanischen Gerichts vom 2. Juli 1948). In Wirklichkeit ist das Depositum von Massengütern das beste Beispiel eines Depositums von fungiblen Gütern oder eines Depositum irreguläre, das man sich vorstellen kann. Vgl. Ozcáriz Marco, El contrato de depósito: estudio de la obligación de guarda, S. 110-112.
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führt wurden. Die katalanischen Bankiers begingen derartigen Betrug bis weit ins zwanzigste Jahrhundert hinein. Die spanischen Gelehrten haben die unehrliche und kriminelle Natur dieses Verhaltens korrekt und einmütig festgestellt.189 3.2.2 Die irrige Lehre des C o m m o n Law
Die Lehre, die den Vertrag des monetären Depositum irreguläre mit dem Darlehens- oder Mutuumvertrag gleichsetzt, hat sich durch die Gesetzgebung nach dem Binding-Case-System auch im angelsächsischen Common Law durchgesetzt. Am Ende des achtzehnten Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts wurden mehrere Prozesse geführt, in denen Deponenten ihre Bankiers wegen widerrechtlicher Aneignung und Betrugs bei der Ausübung ihrer Aufbewahrungspflicht verklagten, als sie feststellten, dass sie die Rückzahlung ihrer Depositen nicht erreichen konnten. Unglücklicherweise fielen die Urteile der britischen Rechtsprechung dem von den Bankiers, der Bankpraxis und der Regierung ausgeübten Druck zum Opfer, und es wurde entschieden, dass der Vertrag des monetären Depositum irreguläre von dem Darlehensvertrag nicht verschieden sei und sich Bankiers, die zu ihrem eigenen Nutzen Gebrauch vom Geld ihrer Deponenten machten, deshalb keine widerrechtliche Aneignung zuschulden kommen ließen. 190 Von allen diesen Gerichtsentscheiden ist es lohnenswert, das Urteil im Fall Foley vs. Hill und andere von Richter Lord Cottenham aus dem Jahre 1848 zu betrachten. Hier kommt der Richter zu dem falschen Schluss, dass „the money placed in the custody of a banker is, to all intents and purposes, the money of the banker, to do with it as he pleases. He is guilty of no breach of trust in employing it. He is not answerable to the principal if he puts it into jeopardy, if he engages in a haphazardous speculation; he is not bound to keep it or deal with it as the property of his principal, but he is, of course, answerable for the amount, because he has contracted, having received that money, to repay to the principal, when demanded, a sum equivalent to that paid into his hands."191 189 Siehe La cuenta corriente de efectos o valores de un sector de la banca eatalana y el mercado libre de valores de Barcelona. 190 Diese Art der Gerichtsentscheide sticht von dem Trend der soliden Urteile ab, die sich durch die Erklärung etablierte, dass amerikanische Getreidedepositare betrügerisch handelten, als sie sich in den 1860er-Jahren einen Teil der Getreidedepositen aneigneten, die sie aufbewahren sollten, und mit diesem Teil am Chicagoer Markt spekulierten. In Antwort auf die verwirrende Begebenheit fragt Rothbard: ,,[W]hy did grain warehouse law, where the conditions - of depositing fungible goods - are exactly the same ... develop in precisely the opposite direction? ... Could it be that the bankers conducted a more effective lobbying operation than did the grain men?" Vgl. Murray N. Rothbard, The Case Against the Fed (Auburn, Ala.: Ludwig von Mises Institute, 1994), S. 43. Die gleiche gültige Rechtsauffassung ist in den spanischen Gerichtsentscheiden bezüglich der Massendepositen von Öl in Olivenölmühlen evident geworden. (Vgl. das Urteil des obersten spanischen Gerichtshofs vom 2. Juli 1948). 191 Vgl. die Fußnote auf S. 73 des Buches von E. T. Powell, Evolution of Money Markets (London: Cass, 1966), und den Kommentar von Mark Skousen zu dieser Entscheidung in seinem Buch The Economics of a Pure Gold Standard (Auburn, Ala.: Ludwig von Mises Institute, 1977), S. 2 2 - 2 4 . Zwei Präzedenzfälle zu Lord Cottenhams Entscheidung waren das Urteil von Sir William Grant 1811 im Fall Carr vs. Carr und die Entscheidung fünf Jahre später bei Devaynes vs. Noble. Vgl. J.
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In Anbetracht dieser Urteile ist es nicht überraschend, dass Richard Cantillon von Frankreich nach England floh, wo die finanziellen Praktiken - wie wir gesehen haben - sehr viel lockerer waren und die Gerichtsurteile der gleichen Argumentationslinie folgten, die er bei seiner Verteidigung gebraucht hatte. In Kontinentaleuropa übte dagegen die römische Rechtstradition noch einen großen Einfluss aus. Die römischen Juristen hatten auf unfehlbare Art und Weise die Natur des monetären Depositum irreguläre formuliert, wobei sie sich auf die Pflicht der sicheren Aufbewahrung und die Unrechtmäßigkeit der Aneignung deponierter Gelder durch die Banken stützten. Mithin ist Richard Cantillons Angst verständlich. Er floh aus Kontinentaleuropa zu einer Zeit, als die Bank von Amsterdam noch vollstes Ansehen genoss und mit einer hundertprozentigen Reservedeckung operierte.192 Zudem begann das Konzept des Depositum irreguläre, zu seinen klassischen Rechtswurzeln (die Teildeckungsbanken gesetzlich verboten) zurückzukehren. Es war bereits klar geworden, dass alle Bankensysteme, die auf einer Teildeckung basiert hatten, zusammengebrochen waren (beispielsweise die europäischen Banken des späten Mittelalters, die Banken von Sevilla und Italien im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert und das System von Law im achtzehnten Jahrhundert), und die Richter hatten regelmäßig Urteile gegen die Aneignung der Depositengelder durch Bankiers gefällt (und wie wir wissen, sind derartige Entscheidungen in Frankreich und Spanien bis in das zwanzigste Jahrhundert hinein gefällt worden). Wir müssen betonen, dass das angelsächsische Common-Law-System, zumindest hinsichtlich der uns interessierenden Institution (das Depositum irreguläre), die Verteidigung der Eigentumsrechte und die richtige Regulierung der sozialen Interaktion weniger effektiv garantiert hat als das Rechtssystem Kontinentaleuropas. Damit soll nicht gesagt sein, dass das kontinentale System in seiner letzten, kelsenianischen und positivistischen Ausprägung dem Common-Law-System überlegen ist, sondern lediglich, dass Letzteres oft dem römischen Recht unterlegen war. Mit „römisches Recht" beziehen wir uns auf das evolutionäre, auf Gewohnheitsrecht basierende System, das sich auf die logische, exegetische und gelehrte Analyse der Juristen der römischen klassischen Schule stützt. Mit anderen Worten sind im angelsächsischen Common-Law-System die einmal getroffenen Entscheidungen zu stark bindend. Die Richter werden oft mehr durch die spezifischen Details eines jeden Falles und die vordergründige Geschäftspraktik als durch eine leidenschaftslose, logische und exegetische Analyse beeinflusst, wie sie auf grundlegenden Rechtsprinzipien fußend durchgeführt werden sollte. Kurzum hängt das angelsächsische Rechtssystem übermäßig von Präzedenzfällen ab, während das kontinentale, auf dem römischen Recht basierende System auf Präzedenzfällen, einer soliden Lehre und der juristischen Theorie ruht.
Milden Holden, The Law and Practice of Banking, Bd. 1: Banker and Customer (London: Pitman Publishing, 1970), S. 31 - 3 2 und 52-55. 192 Erstaunlicherweise erwähnt Cantillon in seinem Essai diese wohlbekannte Tatsache unter folgendem Vorwand nicht: „Ich konnte keine genauen Informationen über ... [die] Summen [erhalten], die sie gewöhnlich in ihrer Kasse zurückbehalten, um ihren Verpflichtungen nachzukommen." (S. 196). Es muss angenommen werden, dass der Essai hauptsächlich geschrieben wurde, um Cantillons Verteidigung in seinen Rechtsprozessen gegen seine Kläger zu erleichtem.
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3.2.3 Die Doktrin des (spanischen) Zivil- und Handelsgesetzbuches
Eine Gruppe spanischer Theoretiker hat ebenfalls versucht, den Vertrag des monetären Depositum irreguläre mit dem Darlehensvertrag gleichzusetzen. Sie stützt sich dabei auf verschiedene Artikel im spanischen Zivilgesetzbuch und Handelsgesetzbuch und behauptet, dass das Depositum irreguläre in der spanischen Gesetzgebung nicht als ein separates Konzept anerkannt werde und mithin nicht mehr als ein einfacher Darlehens- oder Mutuumvertrag sei. Nichtsdestoweniger sichert noch nicht einmal das spanische positive Recht eine Verbindung zwischen dem Vertrag des Depositum irreguläre und dem Darlehensvertrag. Ganz im Gegenteil ist eine solche Verbindung äußerst zweifelhaft und unsicher, und tatsächlich ist die Mehrheit der modernen spanischen Theoretiker - im Einklang mit der klassischen Auffassung - zu dem Schluss gekommen, dass sogar vom Standpunkt des gegenwärtigen spanischen positiven Rechts der Darlehensvertrag eine Sache ist und der Vertrag des Depositum irreguläre eine ganz andere ist. Um die Gleichsetzung der beiden Vertragstypen zu rechtfertigen, haben sich die Theoretiker wiederholt auf den Artikel 1768 des spanischen Zivilgesetzbuches bezogen. Dieser Artikel setzt fest, dass, „wenn der Depositar die Erlaubnis besitzt, das deponierte Gut zu benutzen, der Vertrag die Eigenschaft eines Depositums verliert und zum Darlehen oder Commodatum wird. Die Erlaubnis wird nicht vorausgesetzt, sondern ist zu beweisen." Nach diesem Artikel und wenn wir das Wort „benutzen" in seinem allgemeinsten und weitesten Sinne verstehen, würde der Vertrag des Depositum irreguläre immer ipso facto zu einem Darlehen oder Mutuum werden, weil alle Verträge eines Depositum irreguläre die Übertragung des Eigentums der individuellen deponierten Dinge und damit auch einen vagen „Gebrauch" des fungiblen Gutes beinhalten. Obwohl wir später die verschiedenen Fälle untersuchen werden, von denen angenommen werden könnte, dass eine „Übergabe des Gebrauchs" stattfindet, ist es an dieser Stelle ausreichend, daran zu erinnern, dass die Übertragung des Eigentums und des Gebrauchs in einem allgemeinen Sinne eine Sache ist, wie wir im ersten Kapital gesehen haben, dass es aber eine völlig andere Sache ist, ob das Tantundem ständig dem Deponenten gänzlich verfügbar gehalten wird oder nicht. In dem Maße, in dem der Artikel 1768 nur dazu gedacht ist zu unterscheiden, ob das Tantundem ständig dem Deponenten verfügbar gehalten wird oder nicht, wäre es vollkommen möglich, im spanischen positiven Recht die Existenz eines Vertrages des Depositum irreguläre zu erkennen, der sich radikal von dem Darlehensvertrag unterscheidet. In der Tat scheint der Artikel 1770 eben dieses Zivilgesetzbuches diese zweite Interpretation anzudeuten. Dieser Artikel legt fest, dass „das deponierte Gut zusammen mit allen seinen Einnahmen und Zugängen zurückgegeben werden soll. Sollte das Depositum aus Geld bestehen, sind in Hinblick auf den Depositar die gleichen Vorschriften wie für den Bevollmächtigten aus Artikel 1724 anzuwenden."
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In anderen Worten scheint das Zivilgesetzbuch selbst einen Raum für eine Art Gelddepositum zu gestatten, das kein Darlehen ist. Wie José Luis Albäcar und Jaime Santos Briz darlegen: „Angesichts einer solchen Diskrepanz - man könnte es beinahe eine Antinomie nennen - zwischen widerstreitenden gesetzlichen Vorschriften [den „modernen" und den „klassischen"], sollten wir festhalten, dass es heutzutage die häufigere Auffassung ist, dass das Mutuum und das Depositum irreguläre verschieden sind; und zwar in einem Ausmaße, dass einige Menschen glauben, dass es sich in den besagten Fällen um eine besondere Art Depositum handelt: das atypische und komplexe Konzept des Depositum irreguläre."193 Die Behandlung, die das monetäre Depositum irreguläre im spanischen Zivilgesetzbuch erfahrt, könnte auch als widersprüchlich angesehen werden und eignet sich für beide Interpretationen. In der Tat legt Artikel 309 fest, „wann immer der Depositar mit der Zustimmung des Deponenten das deponierte Gut für sich selbst oder seine Geschäfte oder in Operationen, die der Deponent anordnet, benutzt, enden die Rechte und Pflichten des Depositars und des Deponenten und weichen zugunsten der Regeln und Vorschriften, die beim kommerziellen Darlehen, der Besorgung oder dem Vertrag, den sie anstelle des Depositums geschlossen hätten, angewendet werden." Es scheint deshalb, dass einige Parallelen zwischen Artikel 309 des spanischen Handelsgesetzbuches und Artikel 1768 des Zivilgesetzbuches bestehen. Indes legt Artikel 307 des Handelsgesetzbuches, der Bargelddepositen regelt, fest: „Wenn Bargelddepositen in nicht gekennzeichneter Währung oder in einem offenen unversiegelten Paket hinterlegt werden, ist der Depositar für ihre Aufbewahrung und Sicherheit nach den Konditionen, die in Paragraf 2 des Artikels 306 festgesetzt werden, verantwortlich." Und Artikel 306, Paragraf 2 liest sich wie folgt: „Bei der sicheren Aufbewahrung von Depositen, ist der Depositar für jeglichen Schaden der deponierten Güter verantwortlich, die aus Vorsatz und Fahrlässigkeit wie auch aus der Natur der Güter oder aus Fehlem in ihnen resultieren, wenn er es in solchen Fällen unterlässt, die notwendigen Maßnahmen vorzunehmen, um diesen Schaden zu verhindern oder zu reparieren, wobei er den Deponenten, sobald der Schaden offensichtlich wird, zu benachrichtigen hat." (Hervorhebung hinzugefügt). Auf diese Weise, wenn wir den letzten Paragrafen des Artikels 307 zusammen mit dem zweiten Paragrafen des Artikels 306 betrachten, erlaubt das spanische Handelsgesetzbuch das Konzept des monetären Depositum irreguläre gänzlich und erlegt dem Depositar eine sehr klare Aufbewahrungspflicht zugunsten des Depo193 José Luis Albácar López und Jaime Santos Briz, Código Civil: doctrina y jurisprudencia (Madrid: Editorial Trivium, 1991), Bd. 6, S. 1770. Das Zivilgesetzbuch Navarras enthält (im Gesetz 554 am Ende von Titel 12) ebenfalls eine Referenz zum Depositum irreguläre: „Wenn bei einem Depositum eines fungiblen Gutes dem Depositar vom Deponenten entweder explizit oder implizit die Berechtigung zum Gebrauch des Gutes gegeben wird, sind die Vorschriften für das Gelddarlehen, die in den Gesetzen 532, 534 und 535 festgelegt sind, anzuwenden." Wie zu sehen ist, wird der Inhalt von Artikel 1768 des spanischen Zivilgesetzbuches hier beinahe wörtlich wiederholt.
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nenten auf. Es erfordert sogar, dass der Depositar den Deponenten unverzüglich zu benachrichtigen hat, sollte dem deponierten fungiblen Geld irgendein Schaden zustoßen. Dennoch gewährt Artikel 310 des Handelsgesetzbuches den Bankiers ein gesetzliches Privileg („ius Privilegium"), das die Aneignung der bei ihnen deponierten Gelder legalisiert. Dieser Artikel spezifiziert: „ungeachtet der in den vorangehenden Artikeln dargelegten Vorschriften sind Depositen, die in Banken, öffentlichen Warenlagern, Kreditgenossenschaften oder irgendeiner anderen Gesellschaft hinterlegt worden sind, zunächst den Statuten dieser Gesellschaft unterworfen und dann den Vorschriften dieses Gesetzbuches und letztlich den allgemeinen Regeln, die auf alle Depositen anwendbar sind." Die Natur dieses „verhassten" Privilegs, das Banken und andere ähnliche Gesellschaften genießen, ist offensichtlich. Sogar aus der Sicht des spanischen positiven Rechts könnte man argumentieren, dass nach dem oben zitierten Artikel 306 des Handelsgesetzbuches jede Person, die nicht dem Metier des Bankiers oder einer ähnlichen Profession angehört und das ihr durch ein Depositum irreguläre anvertraute Geld benutzt, die Aufbewahrungspflicht verletzt und daher das Verbrechen der Entwendung begeht. Indes sind Bankiers von dieser Möglichkeit ausgenommen, falls die Statuten ihrer Gesellschaft vorsehen, dass sie die Gelder der Deponenten benutzen und sich für ihre eigenen Geschäfte aneignen dürfen. Nichtsdestoweniger sind die Bankstatuten und -Verträge keinesfalls einfach zu verstehen. Im Gegenteil sind Dokumente dieser Art für gewöhnlich vieldeutig und verwirrend, 194 was die
194 Wenn sie die allgemeinen Konditionen für die verschiedenen Bankkontenverträge spezifizieren, vermeiden spanische Banken kurioserweise den Gebrauch des Wortes „Depositum" aus Furcht vor den rechtlichen Auswirkungen eines solchen Vertrages (vor allem Anklagen wegen Entwendung). Sie vermeiden zudem die Wörter „Darlehen" und „Kredit", obwohl sie rechtlich abgesichert wären, wenn sie die monetären irregulären Depositen „Darlehen" nennen würden, weil es offensichtlich ist, dass es im Hinblick auf ihre Geschäfte viel schwieriger wäre, Depositen von Kunden zu locken, wenn diese sich im Allgemeinen bewusst wären, dass sie mit der Eröffnung eines Bankkontos tatsächlich der Bank Geld leihen und kein Depositum hinterlegen. Folglich ziehen es die Bankiers vor, die gegenwärtige Vieldeutigkeit und Verwirrung aufrechtzuerhalten, zumal die existierende vertragliche Verworrenheit sie solange begünstigt, wie sie sich des Privilegs erfreuen, eine Teildeckung benutzen zu dürfen, und von der Zentralbank im Falle einer Liquiditätskrise abgesichert werden. Zum Beispiel ist in Ziffer 6 der allgemeinen Geschäftsbedingung der Banco Bilbao-Vizcaya hinsichtlich der Wechselgeschäfte zu lesen: „Ohne Rücksicht auf die verschiedenen Konten und Operationen des Zedenten, sei es in bar, Wertpapieren, Sicherheiten, Garantien oder einer anderen Dokumentenart, die sie repräsentiert, und ungeachtet der Art, in der sie aufgegliedert sind ... ist die Bank dazu befugt, sie mit Darlehen zu verrechnen, die sie für irgendeinen Anspruch, einschließlich jeglicher Art von Depositen, abschließt ... diese Bedingung ist sogar auf Operationen und Darlehen anzuwenden, die der Zedent gegenüber der Bank im Vorfeld der gegenwärtigen Transaktion hält." Mehr noch: Während die Banco Bilbao-Vizcaya in Bezug auf Sichteinlagen, die durch das sogenannte „Sparbuch" repräsentiert werden, das Letztere als „den Beleg" klassifizierte, „der das Recht des Inhabers repräsentiert, die vollständige oder teilweise Rückzahlung des Saldos zu seinen Gunsten zu verlangen und zu erhalten", ging die Banco Hispano-Americano noch weiter, indem sie festlegte, dass das Sparbuch „das nominelle und nicht übertragbare Dokument konstituiert, das den Beweis des Eigentums des Inhabers liefert". Wie wir sehen, schreibt im letzteren Falle die Bank, ohne es zu realisieren, dem Depositenvertrag Eigentumsstatus zu; übrigens ist diese Klassifikation sehr viel näher an der wahren rechtlichen Natur der Institution (die ständige Verfügbarkeit zugunsten des Deponenten vorausgesetzt) als die Klassifikation eines reinen Darlehensanspruchs auf die deponierte Summe. Siehe zu diesem Thema Garrigues, Contratos bancarios, S. 368-79, Fußnote 31 und 36. Garrigues notiert, dass Privatbankiers sich nicht di-
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Gerichtsentscheide erklärt, die festsetzen, dass das spanische positive Recht von den Bankiers verlangt, den Deponenten ständig die ganze Summe ihrer Depositen (Tantundem) verfügbar zu halten, das heißt, eine hundertprozentige Reservedeckung aufrechtzuerhalten. Diese Urteile (wie die Entscheidung des Obersten Spanischen Gerichtshofs vom 21. Juni 1928 sowie andere im ersten Kapitel zitierte Entscheidungen) basieren auf Interpretationen der Rechtsprechung des spanischen positiven Rechts und sind bis in das zwanzigste Jahrhundert hinein in dieser Weise gefällt worden. Schließlich müssen wir die Artikel 7 und 8 der Statuten der spanischen Zentralbank (Banco de España) erwähnen, die sich auf Depositen beziehen. Die ersten beiden Paragrafen von Artikel 7 legen fest, dass „autorisierte Stellen Depositen der lokalen Währung oder von Noten der Bank selbst erhalten dürfen". Artikel 8 setzt fest, dass „es die Verantwortlichkeit der Bank als Depositar ist, die gleiche Menge an lokaler Währung zurückzugeben, wie in bar deponiert wurde." Artikel 10, der sich auf Bankkonten bezieht, besitzt mehr oder weniger denselben Inhalt: „die Bank darf Bargeld- und Wertpapierkonten für Individuen und rechtliche Pers o n e n s o w i e ordnungsgemäß vertretene Kapitalgesellschaften und Organisationen, deren Antrag durch die Institution vertraulich geprüft wird, eröffnen und fähren. Das Folgende darf in g e w ö h n l i c h e n Geldkonten deponiert werden: legale Banknoten u n d Münzen, Schecks u n d andere mit Banknoten in Verbindung stehende Dokumente ... für j e d e Art des Bankkontos wird die Bank die Scheckbücher erstellen, die der Kontoinhaber benötigt; u n d mittels ordnungsgemäß autorisierter Schecks wird sie die Beträge zahlen u n d die Wertpapiere zulasten der Passivseite der korrespondierenden Konten auszahlen. Gegen Geldkonten sind zudem die folgenden Operationen zulässig: Schecks zahlbar an den Überbringer, Schecks zahlbar an Order s o w i e Priv a t - u n d Verrechnungsschecks."
Wie man sieht, regulieren diese Artikel der Statuten der Banco de España und generell die Statuten aller anderen Banken lediglich die Funktion der Konten des monetären Depositum irreguläre aus der Sicht der Deponenten und halten immer die Verwirrung und Vieldeutigkeit in Bezug auf die Frage aufrecht, ob dieses Geld beständig von der Bank aufbewahrt und verfügbar gehalten wird oder ob die Bank explizit durch die Deponenten befugt ist, sich Gelder anzueignen und sie in private Geschäfte zu investieren. Wir müssen uns Artikel 180 des Handelsgesetzbuches rekt auf den Gelddepositenvertrag mit Namen beziehen, sondern Sichteinlagen gewöhnlich als Kontokorrentkonten bezeichnen, wie aus der Auswertung von Formularen von Einzahlungen, allgemeinen Geschäftsbedingungen bezüglich Bankkonten sowie aus Bankberichten, Saldenveröffentlichungen etc. hervorgeht. Darüber hinaus ist diese Zurückhaltung, von „Gelddepositen" zu sprechen, sogar aus den Bankbilanzen abzulesen, in denen niemals einer derartige Überschrift vorkommt und irreguläre Gelddepositen stattdessen in der den Passiva korrespondierenden Spalte unter dem Eintrag „Gläubiger" mit dem Untertitel „Kontokorrentkonten" gebucht werden (in Deutschland wird teilweise auch der weniger verschleiernde Begriff der „Einlagen" verwendet; Anmerkung des Übersetzers). Von einem rechtlichen und vertraglichen Standpunkt aus betrachtet, versuchen die Bankiers auf diese Art und Weise mit dem Einverständnis der Finanzbehörden, die wahre rechtliche Natur ihrer Aktivitäten vor allem vor Dritten und ihren Kunden zu verbergen. Die Effekte dieser von den Banken geschaffenen Verwirrung werden von Jörg Guido Hülsmann in seinem Artikel „Has Fractional-Reserve Banking Really Passed the Market Test?" The Independent Review 7, no. 3 (Winter, 2003): 3 9 9 - 4 2 2 , untersucht.
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zuwenden, um die wahre, originäre Bedeutung der spanischen Handelsgesetzgebung hinsichtlich dieses Punktes zu sehen. In der Tat spezifiziert Artikel 180, dass die „Banken in ihren Tresoren Bargeld in Höhe von mindestens einem Viertel der Summe der Depositen und Kontokorrentkonten und der im Umlauf befindlichen Noten vorhalten". Dieses Verhältnis, das traditionell von der spanischen Zentralbank als ein Instrument ihrer Geldpolitik genutzt wurde und bis auf gegenwärtig zwei Prozent reduziert worden ist, stellt den Höhepunkt der gesetzlichen Privilegien dar, der sich die Bankenindustrie erfreut. Das Bankwesen ist die einzige Institution, die durch das spanische positive Recht ausdrücklich dazu autorisiert ist, die Aufbewahrungspflicht beim Vertrag des monetären Depositum irreguläre zu verletzen, wodurch die Bankiers die Befugnis erhalten, sich das Geld der Deponenten für den eigenen Gebrauch für Investitionen und persönliche Geschäfte anzueignen. Obwohl nur diese Regulierung der Reservedeckung die Bankiers davon abhält, unter dem positiven Recht, das in Spanien in Kraft ist, Kriminelle zu sein, kompensiert sie nicht im geringsten die fehlende juristische Rechtfertigung für den Bankdepositenvertrag in seiner gegenwärtigen Form und - logischerweise - auch nicht für die schädlichen wirtschaftlichen Effekte auf die Gesellschaft durch die Verletzung der traditionellen Prinzipien der Eigentumsrechte in Bezug auf das monetäre Depositum irreguläre. In den folgenden Kapiteln werden wir diese Effekte untersuchen (die Verzerrung der Produktionsstruktur; die Erzeugung der sukzessiven, wiederkehrenden Phasen des wirtschaftlichen Aufschwungs und der Rezession; die Förderung von umfassenden Fehlinvestitionen; die Kreation einer massiven Arbeitslosigkeit und die Aufrechterhaltung eines privilegierten Finanzsystems, das unfähig ist, eine gleichmäßige wirtschaftliche Entwicklung zu garantieren). 3.2.4 Kritik des Versuchs, den Vertrag des monetären Depositum irreguläre mit dem Darlehens- oder Mutuumvertrag gleichzusetzen
Obwohl die doktrinäre Vereinigung von irregulären Depositen und Darlehensoder Mutuumverträgen das perfekte Werkzeug für die Rechtfertigung des Teildeckungsbankwesens ist, so ist diese Vereinigung doch derart misslungen, dass die angesehensten Experten des Handelsrechts sie nicht akzeptiert haben. Joaquín Garrigues, wenngleich es den Anschein hat, er wolle die Vereinigungslehre freimütig verteidigen, sieht letztlich ein, dass sie nicht zu rechtfertigen ist. Und er zieht den Schluss, dass es trotz möglicher Argumente des positiven Rechts, die man zur Rechfertigung der Vereinigung von Darlehens- oder Mutuumvertrag mit dem Vertrag des Depositum irreguläre benutzen könnte (Artikel 1768 des spanischen Zivilgesetzbuchs und Artikel 309 des spanischen Handelsgesetzbuches, die wir beide vorher zitiert haben), „weiterhin einige Faktoren gibt, die den Betrachter dazu veranlassen, den Vertrag als ein Depositum und nicht als ein Darlehen aufzufassen (zum Beispiel die freie Verfügbarkeit für den Deponenten; die Tatsache, dass der Deponent den Vertrag initiiert; die begrenzten Zinsen etc.)". 195
195 Garrigues, Contratos bancarios, S. 363; Hervorhebung hinzugefügt.
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Kurioserweise legt Joaquín Garrigues diese Faktoren nicht ausfuhrlich dar, sondern erwähnt sie nur im Vorübergehen. Stattdessen versucht er direkt eine Theorie zu konstruieren, die auf der Reinterpretation des Konzepts der Verfügbarkeit basiert und die wir im nächsten Abschnitt studieren werden. Angesichts dessen, was wir in Kapitel 1 behandelt haben, wäre es dennoch sehr interessant zu wissen, was Garrigues über die Argumente gegen das Gleichsetzen der beiden Verträge gesagt haben könnte und gesagt haben müsste - eine Frage, die wir nun eingehender betrachten werden. 196 3.2.5 Die unterschiedliche Ursache oder der verschiedene Zweck der beiden Verträge
Das bedeutendste und entschiedenste Argument für eine Unterscheidung zwischen dem Vertrag des Depositum irreguläre und dem Darlehens- oder Mutuumvertrag liegt in der grundlegenden Differenz zwischen der Ursache bzw. dem Zweck der beiden Verträge. Es handelt sich dabei um ein fundamentales rechtliches Motiv (ähnlich der sogenannten Ursache197 von Verträgen), die mit den verschiedenen subjektiven Gründen 198 der Parteien verbunden ist, aus denen sie sich dazu ent196 Seltsamerweise stürzt sich unser erstklassiger Handelsrechtsgelehrte in einen Rechtfertigungsversuch des Teildeckungsbankwesens, wobei er das Konzept des Depositum irreguläre durch den Kunstgriff einer Redefinition der Verfügbarkeit rettet, ohne sich damit aufzuhalten, die Faktoren zu analysieren, die es unmöglich machen, den Vertrag des Depositum irreguläre mit dem Darlehensvertrag gleichzusetzen. Es ist, als ob Garrigues sich letztlich darüber im Klaren war, dass seine Redefinition - zumindest aus der Perspektive der Bankiers (der Empfänger) - implizit eine Gleichsetzung von Depositen- und Darlehensverträgen enthält. Aus diesem Grund steht es ihm nicht an, ein detailliertes Argument gegen die Gleichsetzung von Depositen und Darlehen vorzutragen, weil ein solches Argument auf die Doktrin zurückfallen würde, die er später verteidigt. Diese Einstellung ist bei einem berühmten Gelehrten ganz verständlich, dessen Hauptkunden die Banken und Bankiers des Landes waren und der es sich deshalb zweimal überlegt hätte, bevor er sein Prestige und akademisches Ansehen dadurch aufs Spiel gesetzt hätte, dass er die Legitimation einer solch einflussreichen Institution wie das in der Praxis verwurzelte und von der Regierung gebilligte Teildeckungsbankwesen infrage stellte. Weiterhin konnte sich Garrigues während der Jahre, in denen er seine Theorien entwickelte, nur auf eine ökonomische Wissenschaft stützen, die - von den keynesianischen Theorien (vgl. ebenda, Fußnote 20) paralysiert ein System der Kreditausweitung rechtfertigte, wobei das Ausmaß der Kreditausweitung keine Rolle spielte, weil fälschlicherweise angenommen wurde, dass dies die „wirtschaftliche Aktivität" begünstigen würde. In diesen Jahren der theoretischen Armut in der Ökonomie wäre die einzige mögliche Verteidigung der Prozesse der sozialen Interaktion gegen die Bankpraktiken die strikte Befolgung der grundlegenden das Depositum irreguläre bestimmenden Prinzipien gewesen, die von den Mainstreamtheoretikem leider eine nur schwache Unterstützung erfuhren und rasch aufgegeben wurden. Trotz all dieser widrigen Umstände vermitteln die Schriften von Garrigues und anderer, die sich auf das gleiche Thema konzentrieren, einen unmissverständlichen Eindruck: Um zu rechtfertigen, was nicht zu rechtfertigen ist, haben Theoretiker extrem gekünstelte juristische Argumente und Manöver durchgeführt, um eine Aktivität als legitim darzustellen, die aus einem unziemlichen, unrechtmäßigen, von der Regierung gewährten Privileg resultiert. 197 Vgl. beispielsweise die juristische Untersuchung, die Jean Dabin der Ursache von Verträgen in La teoria de la causa angedeihen lässt. 198 Für Antonio Gullön ist „die Gleichsetzung des Depositum irreguläre mit dem Mutuum noch immer eine Kunstgriff, der mit dem wahren Willen der Parteien im Konflikte steht. Der Deponent des Geldes zum Beispiel intendiert nicht, dem Depositar ein Darlehen zu gewähren. Wie beim Depositum reguläre erwünscht er sich die sichere Aufbewahrung des Gutes und seine ständige Verfügbarkeit. Ihm gelingt die Erreichung dieser Ziele leichter mit dem Depositum irreguläre als mit dem Depositum reguläre, denn bei Letzterem riskiert er den Verlust seines Depositums im Falle eines unvermeid-
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scheiden, einen gewissen Vertrag zu schließen. Es besteht daher eine perfekte Symbiose zwischen der subjektivistischen Konzeption, auf der die moderne Wirtschaftswissenschaft basiert,199 und dem juristischen Standpunkt, der die unterschiedlichen subjektiven Ziele der Parteien beim Abschluss einer bestimmten Vertragsart berücksichtigt. Im ersten Kapitel haben wir die grundlegenden und unüberbrückbaren Unterschiede zwischen dem Vertrag des monetären Depositum irreguläre und dem Darlehens- oder Mutuumvertrag aufgezeigt. Alle diese Unterschiede können letztendlich auf die verschiedenen Ursachen bzw. den unterschiedlichen Zweck der beiden Verträge zurückgeführt werden. Einerseits impliziert der Darlehensvertrag immer einen Tausch von Gegenwartsgütem, deren Verfügbarkeit für den Darlehensgeber verloren ist, gegen Zukunftsgüter, die der Darlehensnehmer zusammen mit einer zusätzlichen Summe in Form von Zinsen als Zahlung für den unvermeidlichen Verlust der Verfügbarkeit der Gegenwartsgüter zurückgeben muss. Andererseits ist das Ziel oder die Ursache des Vertrages beim monetären Depositum irreguläre radikal verschieden. In diesem Falle gibt es weder einen Austausch von Gegenwartsgütem gegen Zukunftsgüter noch hat der Deponent das geringste Interesse daran, die direkte Verfügbarkeit des deponierten Guter zu verlieren. Daher ist das grundlegende Element beim Vertrag des Depositum irreguläre nicht wie beim Darlehensvertrag die Übertragung der Verfügbarkeit, sondern vielmehr die Bewachung und sichere Aufbewahrung des Tantundems, was die rechtliche Ursache oder den fundamentalen Zweck konstituiert, aus dem der Deponent den Vertrag abschließt. Aus diesem Grunde gibt es keine Laufzeit und die Gelder sind „auf Sicht" deponiert, das heißt, sie können jederzeit abgezogen werden. Wenn der Deponent darüber informiert wäre, dass der Vertrag, den er abzuschließen beabsichtigt, ein Darlehensvertrag ist, durch den er der Bank ein Darlehen gewährt, und dass daher das Geld für ihn nicht mehr länger verfügbar ist, würde er sicherlich nicht mit dem Vertrag verfahren, als wäre er ein Depositum, und er könnte sehr wohl entscheiden, das Geld zu behalten. Daher besteht gar kein Zweifel daran, dass die Ursache oder der rechtliche Zweck jedes der beiden Verträge sich radikal von dem des anderen unterscheidet und dass wegen dieser grundlegenden Differenz zwischen ihnen der Versuch, sie zu vermischen, dem Versuch gleichkommt, Öl mit Wasser zu vermengen. Die Theoretiker, die den Vertrag des Depositum irreguläre mit dem Darlehensvertrag gleichzusetzen versuchen, erkennen nicht, dass ihr theoretischer Standpunkt die wahre Ursache bzw. den wahren Zweck ignoriert, der die vertragschließenden
baren Unfalls und er müsste den Verlust anstelle des Depositars tragen. Derweil ist beim Depositum irreguläre der Depositar der Schuldner einer Art von Gut, das als solches niemals verloren ist." (Hervorhebung hinzugefügt) Zitiert von José Luis Lacruz Berdejo, Elementos de derecho civil, 3. Aufl. (Barcelona: José Maria Bosch, 1995), Bd. 2, S. 270. 199 Diese subjektivistische Konzeption ist die Basis der Logik der menschlichen Handlungen, auf der nach der von Carl Menger begründeten Österreichischen Schule der Nationalökonomie die ganze Wirtschaft konstruiert ist. Zu diesem Thema vgl. meinen Aufsatz „Génesis, esencia y evolución de la Escuela Austriaca de Economia", veröffentlicht in Huerta de Soto, Estudios de economia politica, S. 1 7 - 5 5 .
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Parteien dazu motiviert, den Vertrag einzugehen. Und ungeachtet der Frage, wie viele relativ leere Äußerungen sie über die Gleichwertigkeit der beiden Verträge vorbringen, stoßen sie unvermeidlich gegen die gleiche juristische Mauer: die radikale, grundlegende Differenz in der rechtlichen Ursache hinter den beiden Verträgen. Deshalb können sie nicht weiter voranschreiten, als festzustellen, dass jede der Parteien des Vertrages des monetären Bankdepositums denkt, dass sie „verschiedene" Verträge eingehen. In anderen Worten händigt der Deponent das Geld aus, als ob er ein Depositum vornehme, und der Bankier nimmt es entgegen, als sei es ein Darlehen. Indes: Welche Art von Verträgen hat zwei grundlegend verschiedene rechtliche Ursachen? Oder anders ausgedrückt: Wie ist es möglich, dass beide Parteien ein und desselben Vertrages gleichzeitig beabsichtigen, die Verfügbarkeit der gleichen Summe zu behalten? 200 In der Tat übergeben die Deponenten eindeutig ihr Geld mit dem Wunsch, die völlige Verfügbarkeit des transferierten Gutes zu behalten (das Gelddepositum „auf Sicht"),201 während die Banken die Depositen nicht mit den Ziel akzeptieren, hundert Prozent des Tantundems zu jeder Zeit in ihrem Besitz zu behalten, sondern vielmehr mit der Intention, den Großteil von dem, was sie als Depositum erhalten, dazu zu nutzen, persönliche Darlehen zu vergeben und Investitionen vorzunehmen. Diese „doppelte Verfügbarkeit" konnte Garrigues unmöglich ignorieren, der sie logischerweise als sehr beunruhigend und verwirrend in Bezug auf ihre Rechtmäßigkeit einstufte. 202 In der Tat ist für Garrigues die herausragendste Eigenschaft der monetären Bankdepositen in ihrer gegenwärtigen Form (die keine hundertprozentige Reserve erfordert) ihre doppelte Verfügbarkeit: Die deponierten Güter sind simultan sowohl für die Bank als auch für den Kunden verfügbar. Er fügt hinzu, dass 200 Francisco Belda glaubt, darin folgt er Luis de Molina und Juan de Lugo, diesen Widerspruch mit der leichten, oberflächlichen Behauptung zu lösen, dass jede der beiden das perfekte Recht hat, die Operation aus dem Blickwinkel zu betrachten, der ihr am genehmsten ist". Belda erkennt jedoch nicht, dass das Problem aufgrund der grundlegenden Differenz und des Widerspruchs zwischen den Gründen, welche die Parteien zum Vertragsschluss veranlassen, ein ganz anderes ist: Es ist nicht so, dass jede Partei den Vertrag so betrachtet, wie er ihr am genehmsten ist, sondern vielmehr so, dass die Erfüllung des Ziels oder der Ursache einer Partei (die Investition von Geldern durch den Bankier) die erfolgreiche Erfüllung des Ziels oder der Ursache der anderen Partei verhindert (die Bewachung, sichere Aufbewahrung und ständige Verfügbarkeit des Geldes). Vgl. Belda, SJ, „Ética de la creación de créditos según la doctrina de Molina, Lesio y Lugo", S. 64-87. Vgl. zudem Ozcáriz Marco, El contrato de depósito: estudio de la obligación de guarda, Fußnote 83, S. 48. 201 Die Tatsache, dass Deponenten manchmal Zinsen erhalten, lenkt in keiner Weise von dem grundlegenden Zweck des Depositums ab (die sichere Aufbewahrung des Geldes). Da Zinsen attraktiv sind, wird der ahnungslose Deponent das Zinsangebot hastig annehmen, wenn er dem Bankier noch vertraut. Aber im Falle eines wahren Depositums würde der Deponent den Vertrag selbst dann eingehen, wenn er keine Zinsen erhielte und eine Aufbewahrungsgebühr zahlen müsste. Die grundlegende Natur des Vertrages wird nicht durch die unnatürliche Zinszahlung an den Deponenten verändert, sondern zeigt nur an, dass die Bankiers einen unangemessenen Gebrauch des bei ihnen platzierten Geldes machen. 202 Bezeichnenderweise ist die einzige theoretische Referenz, die von Garrigues in seinem Buch Contratos bancarios zitiert wird, Keynes' Buch Treatise on Money, das er ausdrücklich mindestens zweimal im Haupttext (S. 357 und 358) und zweimal in den Fußnoten (S. 352 und 357, Fußnote 1 und 11) erwähnt. Mit einer solchen theoretischen Basis ist die Verwirrung, die in Garrigues gesamter Diskussion des Depositum irreguläre deutlich wird, kaum überraschend. Es scheint, als ob sein außergewöhnlicher juristischer Instinkt ihm die richtige Richtung wies, während ihn die ökonomischen Abhandlungen über das Bankwesen, die er las, in die Irre führten.
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Die Versuche der juristischen Rechtfertigung des Teildeckungsbankwesens „genau diese doppelte Verfügbarkeit der Grund für die Schwierigkeit ist, eine juristische Beschreibung des Vertrages zu formulieren, weil die Verfügbarkeit zugunsten des Deponenten, eine Haupteigenschaft von Depositen, schlecht mit der Verfügbarkeit zugunsten der Bank harmoniert.203
Anstatt zu sagen, dass es schwer ist, eine rechtliche Beschreibung des Vertrages zu formulieren, wäre es präziser zu sagen, dass eine solche Beschreibung rechtlich unmöglich ist, was auf die radikale Differenz zwischen der Ursache bzw. dem Zweck der beiden Arten von Rechtsakten zurückzuführen ist Deshalb ist es nicht so, dass die eine Verfügbarkeit mit der anderen „schlecht harmoniert", sondern beide schließen sich gegenseitig auf einer fundamentalen Ebene aus. 2 0 4 Joaquín Garrigues' Unsicherheit ist sogar noch offensichtlicher, wenn er in einer Fußnote 2 0 5 die im ersten Kapitel behandelten Entscheidungen des Pariser Gerichts zitiert. Diese Gerichtsentscheide unterstützen eine strikte Aufbewahrungspflicht und eine hundertprozentige Reservedeckung für Banken, was Garrigues „überraschende Aussagen" nennt. Wirklich überraschend ist, dass Garrigues nicht erkennt, dass seine eigene Analyse unvermeidbar zu der Schlussfolgerung führt, dass die beiden Verträge verschieden sind und es daher unmöglich ist, in irgendeiner Form den Vertrag des Depositum irreguläre mit dem Darlehensvertrag gleichzusetzen. Bei der Lektüre von Garrigues' Behandlung der monetären Bankdepositenverträge bekommt man unvermeidbar den Eindruck, dass Garrigues selbst an einem „schlechten Gewissen" leidet, weil er eine derart gekünstelte Rechtsanalyse mit dem Ziel vornimmt, das zu rechtfertigen, was nicht zu rechtfertigen ist: die angebliche Existenz eines Vertrages des monetären Depositum irreguläre, der es dem Bankier rechtlich und im Einklang mit Rechtsprinzipien und der juristischen Logik erlaubt, die deponierten Güter nach seinem Gusto zu gebrauchen - in anderen Worten: das Teildeckungsbankwesen. 3.2.6 Der Begriff der unausgesprochenen oder impliziten Abmachung Ebenfalls unzulässig ist das Argument, dass Artikel 1768 des spanischen Zivilgesetzbuches darauf hinweise, dass beim Vertrag des Depositum irreguläre eine Art „implizite oder unausgesprochene Abmachung" existiere, durch welche die
203 Garrigues, Contratos bancarios, S. 367; Hervorhebung hinzugefugt. Es überrascht, dass Garrigues nicht erkennt, dass aus ökonomischer Sicht eine doppelte Verfügbarkeit bedeutet, dass „it becomes possible to create a fictitious supply of a commodity, that is, to make people believe that a supply exists which does not exist." Vgl. William Stanley Jevons, Money and the Mechanism of Exchange (New York: D. Appleton, 1875, und London: Kegan Paul, 1905), S. 210. Die Überzeugung der Öffentlichkeit von der Existenz eines fiktiven Bestands fungibler Güter ist der definitive Beweis der Unrechtmäßigkeit aller irregulären Depositen (fungibler Güter), bei denen eine Teildeckung (eine Reservedeckung geringer als hundert Prozent) erlaubt ist. 204 Garrigues, sein charakteristisches Ausdrucksvermögen demonstrierend, kommt zu dem Schluss, dass in diesem Vertrag „der Bankier auf das Geld baut, als sei es das seinige, und der Kunde auf das Geld baut, obgleich es nicht das seinige ist". Die Lösung dieses offenkundigen Paradoxons ist sehr einfach, weil der Kunde, obwohl er das Geld nicht mehr besitzt, das Recht behält, vom Bankier die allzeitige Bewachung und sichere Aufbewahrung des Tantundems zu fordern, das heißt eine hundertprozentige Reservedeckung, die im Einklang mit der grundlegenden, ontologischen Rechtsnatur des Vertrages des monetären Depositum irreguläre steht, wie wir sie im ersten Kapitel behandelt haben. Vgl. Garrigues, Contratos bancarios, S. 368. 205 Ebenda, Fußnote 31 auf S. 3 6 7 - 6 8 .
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Deponenten die Bankiers dazu befugten, das deponierte Geld zu gebrauchen. Diese Argumentation ist in erster Linie deswegen inakzeptabel, weil Artikel 1768 von der Erlaubnis spricht, „das deponierte Gut zu nutzen", und wir wissen, dass es nicht die Befugnis zur Nutzung des Gutes ist, die einen monetären Depositenvertrag zu einem Vertrag des Depositum irreguläre macht. Diese Autorisation ist allen Depositen fungibler Güter inhärent, deren Natur selbst es verhindert, dass sie individuell behandelt werden können. In einem gewissen Sinne wird eine Übertragung des Eigentums vorgenommen, was seinerseits die Autorisierung des Depositars zur Benutzung der Güter impliziert. Dennoch haben wir bereits gesehen, dass diese Übertragung von Eigentum und der Befugnis zur Nutzung der deponierten Güter in einem allgemeinen Sinne verstanden werden muss. Wenn es nicht möglich ist, die individuellen deponierten Einheiten zu identifizieren, dann müssen wir sicherlich davon ausgehen, dass eine Übertragung des Eigentums und der Befugnis existiert, die spezifischen deponierten Gegenstände zu nutzen. Indes ist dies logischerweise vollkommen mit der Anforderung einer kontinuierlichen hundertprozentigen Reserve kompatibel, das heißt mit der Bewachung und sicheren Aufbewahrung des Tantundems und seiner Verfügbarkeit für den Deponenten. Dieses konstituiert die grundlegende Pflicht des Bankiers und ist die Basis des essenziellen Zwecks des Depositenvertrags. Um es anders auszudrücken: Die charakteristische, essenzielle Natur des irregulären Depositenvertrags wird nicht durch die Übertragung der Befugnis zur Nutzung der Güter bestimmt, sondern durch die fungible Natur der deponierten Gegenstände und den Zweck des Vertrages. Eine Übertragung der Befugnis, die deponierten Güter zu nutzen, kann unabhängig von einem Depositum irreguläre vorkommen, und in der Tat geschieht dies zum Beispiel beim Darlehens- oder Mutuumvertrag. Wie wir wissen, ist die rechtliche Ursache bzw. der rechtliche Zweck dieses Vertrages radikal verschieden (er enthält nicht nur die Übertragung des Eigentums und der Befugnis zur Nutzung der Güter, sondern auch die Übertragung der Verfügbarkeit der Güter, die simultan auf den Darlehensnehmer übergeht). Die Behauptung, dass eine angebliche Autorisierung (explizit oder implizit) den Vertrag des Depositum irreguläre in ein Darlehen oder Mutuum umwandle, ist Coppa-Zucarri folgend deshalb sowohl nicht zwingend als auch ungenau. Sie ist nicht zwingend, weil ja alle irregulären Depositenverträge wegen ihrer ihnen eigenen Natur eine Übertragung des Eigentums und der Befugnis zur Nutzung des Gutes bedingen (was logischerweise mit der grundlegenden Pflicht zur Aufrechterhaltung einer hundertprozentigen Reserve des Tantundems kompatibel ist). Und sie ist ungenau, denn selbst wenn die Befugnis zur Nutzung des Gutes übertragen wird, ändert dies in keiner Weise den ursprünglichen Zweck des Vertrages, der nichts anderes als die Bewachung und sichere Aufbewahrung des Tantundems ist.206 In der Tat bestehen drei logische Möglichkeiten hinsichtlich der angeblichen Befugnis (explizit oder implizit), das deponierte Gut zu benutzen. Wir werden jede Möglichkeit separat betrachten.
206 Coppa-Zuccari, II deposito irregolare, S. 132.
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Erstens können wir annehmen, dass die große Mehrheit der Deponenten sieh nicht darüber bewusst ist, dass sie durch die Deponierung ihres Geldes in einer Bank gleichzeitig den Bankier autorisiert, das Geld für seinen eigenen Profit in privaten Geschäften zu nutzen. Es ist gewiss, dass die überwältigende Mehrheit der Deponenten, wenn sie eine Sichteinlage vornimmt, unter dem ehrlichen Eindruck steht, dass sie in der Tat genau dies tut, nämlich einen Vertrag eines Depositum irreguläre abschließt, dessen grundlegender Zweck es ist, die Bewachung und sichere Aufbewahrung ihres Geldes auf den Bankier zu übertragen. Auf jeden Fall nimmt der Bankier gleichzeitig das Geld so entgegen, als wäre es ein Darlehen oder Mutuum, das heißt, er geht davon aus, dass die gesamte Verfügbarkeit des Gutes auf ihn übertragen wird und er daher dazu befugt ist, es fiir seine eigenen Geschäfte zu nutzen. Es ist offensichtlich, dass die Ursache bzw. der Zweck der Teilnahme am Vertrag bei beiden Parteien nicht mit dem Ziel der jeweils anderen Partei übereinstimmt: Die eine geht den Vertrag in dem Glauben ein, es handele sich um ein Depositum, und händigt auf der Grundlage dieser Annahme das Geld aus; die andere nimmt das Geld entgegen, als sei es ein Darlehen oder Mutuum, und investiert von dieser Idee ausgehend. Dies ist mithin ein klarer Fall eines „error in negotio", der ein Irrtum bezüglich der Natur der Transaktion ist und diese vollkommen ungültig macht.207 Für viele mag dieser Schluss extrem oder unausgewogen erscheinen, aber es ist schwierig, zu einem anderen zu kommen, wenn wir unsere Analyse auf den juristischen Argumenten und Prinzipien gründen, die den von uns studierten Verträgen inhärent sind.208 Zweitens werden wir jetzt annehmen, dass eine bestimmte Gruppe von Bankkunden (oder, um des Argumentes willen, alle Bankkunden) einen Depositenvertrag eingeht und sich dabei bewusst ist und vollkommen akzeptiert, dass die Banken einen Großteil des Geldes, das sie deponiert, investieren (oder verleihen etc.) werden. Selbst wenn dies so ist, beeinträchtigt dieses Wissen und die hypothetische Autorisierung in keiner Weise die essenzielle Ursache bzw. den grundlegenden Zweck des Vertrages für diese Kunden, deren Intention es immer noch ist, ihr Geld dem Bankier zur sicheren Aufbewahrung anzuvertrauen, das heißt, einen Vertrag eines monetären Depositum irreguläre durchzufuhren. In diesem Falle ist der Vertrag, den die Deponenten glauben abgeschlossen zu haben, aus technischer und rechtlicher Sicht unmöglich. Wenn sie es dem Bankier erlauben, das Geld zu benutzen, dann ist es für sie nicht länger verfugbar, was ja genau die grundlegende Ursache bzw. der essenzielle Zweck des Vertrages ist. Darüber hinaus werden wir im fünften Kapitel aus einer ökonomischen Perspektive sehen, dass in einem Teildeckungsbankensystem
207 Vgl. Hemández-Tejero Jorge, Lecciones de derecho romano, S. 107-08. Hernández-Tejero selbst liefert das folgende Beispiel, das ohne Probleme auf den Fall, den wir behandeln, angewendet werden kann: „Wenn eine Person einer anderen ein Gut als Depositum anvertraut und die das Gut entgegennehmende Person glaubt, dass die Transaktion ein Mutuum oder Darlehen sei, dann existiert weder ein Depositum noch ein Mutuum." 208 Außerdem ist es offensichtiich, dass die Erlaubnis oder Befugnis zur Nutzung der Güter nicht unterstellt werden kann, sondern in jedem Fall bewiesen werden muss. Es erscheint unwahrscheinlich, dass bei der Mehrheit der v o n Individuen eingegangenen Sichteinlagenverträge ein derartiger Beweis möglich wäre.
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Vertragsabschlüsse in großer Zahl und das „Gesetz der großen Zahl" niemals die Erfüllung aller Deponentenwünsche nach voller Rückzahlung gewährleisten können. Zu diesem Zeitpunkt werden wir unsere These noch nicht im Detail darstellen, sondern nur festhalten, dass sie auf der Erkenntnis beruht, dass das gegenwärtige Bankensystem Darlehen generiert, die nicht durch Ersparnisse gedeckt sind. Diese Darlehen wiederum fördern tollkühne Investitionen von Ressourcen und fuhren zu unklug investierten Geschäftsanlagen, die entweder wertlos oder von begrenztem Wert und deshalb außerstande sind, die korrespondierenden Depositenkonten in den Bankbilanzen auszugleichen. Infolgedessen treten wieder Bankzusammenbrüche auf, bei denen Banken wiederholt nicht dazu in der Lage sind, ihren Verpflichtungen (ohne die externe Hilfe einer Zentralbank) nachzukommen. Mehr noch: Wenn wir um des Argumentes willen annehmen, dass das Gesetz der großen Zahl auf das Bankwesen anwendbar ist, dann wird der Depositenvertrag bei Präsenz einer Teildeckung eindeutig zu einem G/ücfesvertrag.209 Bei einem solchen Vertrag ist die Serviceleistung durch die Bank in jedem Fall ein unsicheres Ereignis, das von den besonderen Umständen jedes Falles abhängt. Die Unsicherheit des Vertrages ergibt sich genau aus der bestimmten Wahrscheinlichkeit, dass ein Anteil an Deponenten, der den Reservekoeffizienten übersteigt, zur Bank geht und versucht, seine Depositen abzuziehen, und dies nicht tun kann. Die Ersten, die die Bank erreichen, werden ihr Geld erhalten können, jene jedoch, die nach einem gewissen Punkt ankommen, nicht. Gewiss intendieren noch nicht einmal die Deponenten dieser zweiten Hypothese dazu, einen Glücksvertrag einzugehen, der dem gerade beschriebenen Risiko unterliegt. Daher ist die logische Schlussfolgerung aus diesem zweiten Falle entweder, dass der Vertrag nicht existiert, weil der Zweck unmöglich ist (ohne eine hundertprozentige Reservedeckung ist es unmöglich sicherzustellen, dass der Bankier immer seinen Verpflichtungen nachkommen kann), oder dass die angebliche Autorisierung durch die Deponenten der rechtlichen Gültigkeit entbehrt, weil das grundlegende Ziel immer noch die sichere Aufbewahrung des Gutes ist, was unweigerlich und zwingend die Bewachung von hundert Prozent des Tantundems erfordert.210 Es besteht eine natürliche Inkompatibilität zwischen dem legitimen Vertrag des Depositum irreguläre, dessen Zweck die Bewachung und sichere Aufbewahrung der deponierten Güter ist, und der Befugnis der Depositare, das erhaltene Geld zu ihrem eigenen Gewinn zu nutzen. Diese Depositare (Bankiers) nehmen Gelder an, die sie sich verpflichten zurückzugeben, sobald es von den Bankkonteninhabem gewünscht wird; aber sobald die Bankiers das Geld erhalten haben, nehmen sie Investitionen 209 Zu Glücksverträgen siehe Albaladejo, Derecho civil II, Derecho de obligaciones, Bd. 1: La obligación y el contrato en general, S. 3 5 0 - 5 2 . Es ist wichtig zu betonen, dass die Tatsache, dass es beim Vertrag des monetären Depositum irreguläre mit einer Teildeckung Zufall ist, ob das Gesetz der großen Zahl erfüllt wird (eine Erfüllung, die in der Tat unmöglich ist), nur zweitrangig zu den anderen Punkten zu sehen ist, die wir gegen einen solchen Vertrag vorbringen. 210 Die bekannte Reaktion der argentinischen Bürger auf die Bankenkrise von 2001 und das Einfrieren aller ihrer Sichteinlagen in der Folge (bekannt als „corralito") ist eine perfekte empirische Illustration des wahren Aufbewahrungszwecks von Bankdepositenverträgen und der Unmöglichkeit eines Teildeckungsbankwesens (ohne einen Kreditgeber letzter Instanz).
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vor, gewähren Darlehen und gehen Geschäfte ein, die sie binden und unter verschiedenen Umständen tatsächlich die unverzügliche Rückgabe verhindern. Die angebliche Autorisierung der Bankiers - sei es explizit oder implizit -, das Geld der Depositen zu nutzen, ist von geringer Bedeutung, wenn der grundlegende Zweck des Vertrages, das Depositum von Geld zur sicheren Aufbewahrung, beständig intakt bleibt. In diesem Falle wäre die angebliche Autorisierung wegen ihrer Inkompatibilität mit dem Vertragszweck irrelevant und es wäre deshalb so, dass der Vertrag rechtlich null und nichtig wäre wie jeder Vertrag, in dem eine der beiden Parteien die andere dazu befiigt, sie zu täuschen, oder schriftlich eine Selbsttäuschung zum eigenen Nachteil akzeptiert. Wie der große spanische Privatrechtsgelehrte Felipe demente de Diego so passend sagt, ist ein irregulärer Depositenvertrag, bei dem es dem Depositar erlaubt ist, eine Teildeckung aufrechtzuerhalten und daher einen Teil der deponierten Gelder in seinem eigenen Interesse zu nutzen, einer rechtliche Verirrung, weil er auf einer fundamentalen Ebene mit universalen Rechtsprinzipien kollidiert. Für Felipe demente de Diego besteht kein Zweifel, dass dieser Vertrag „den Nachteil hat, uns zu der Entdeckung eines Ungeheuers zu führen, dem durch seine eigene Natur die Realisierbarkeit abgeht - wie Menschen mit verheerenden Missbildungen („monstrua prodigia") - und dem das römische Recht keinen Rechtsstatus gewährte. Artikel 30 des spanischen Zivilgesetzbuches drückt eine moderate Version des gleichen Konzepts aus: ,Für private Zwecke werden nur Föten mit einer menschlichen Figur als geboren gemeldet. ...' Denn jedes Wesen hat seine eigene Natur, und wenn diese nicht in dem Wesen selbst zu finden ist, sondern von anderen ihm mehr oder weniger ähnlichen abgeleitet wird, dann stellt es sich ein, dass die wahre Natur flieht und verschwindet und aufhört, sich zu entwickeln, wobei es auf einen monströsen Hybriden, an ein Unwesen grenzend, reduziert wird."211
Es wäre schwierig, die fundamentale Unvereinbarkeit und den unauflösbaren logischen Widerspruch zwischen dem monetären irregulären Depositenvertrag und dem Darlehensvertrag genauer und bündiger auszudrücken, demente de Diego schließt mit der Kritik von „Versuchen, den radikalen Gegensatz (zwischen dem Vertrag des Depositum irreguläre und dem Darlehensvertrag) in eine einzige Einheit zu konvertieren, die einen neuen Vertrag darstellen würde, der weder das eine noch das andere wäre, sondern beide zur gleichen Zeit; dies ist unmöglich, weil sich ihre Konditionen gegenseitig ausschließen."
Ein solcher Vertrag ist einfach ontologisch unmöglich.
2 1 1 „Dictamen del senor de Diego (Felipe Clemente)" in La cuenta coniente de efectos o valores de un sector de la banca catalana y el mercado libre de valores de Barcelona, S. 370 - 71. Es ist wahr, dass Felipe demente de Diego diesen Kommentar als Antwort auf das Argument von Bankiers abgibt, die versuchten, die Gültigkeit der irregulären Depositenverträge v o n Wertpapieren mit einer Teildeckung zu verteidigen, in denen es dem Depositar erlaubt sei, die deponierten Güter frei zu benutzen, wie es beim monetären irregulären Depositenvertrag geschieht. Jedoch sind, wie wir bereits gesehen haben, die Argumente für und gegen beide Institutionen identisch, weil beide Verträge eines Depositum irreguläre fungibler Güter sind, deren rechtliche Natur, Ursache, Zweck und Umstände die gleichen sind. Pasquale Coppa-Zuccari betont zudem die widersprüchliche Natur des monetären Bankdepositenvertrages, der in der Form, in der er von den Regierungen „legalisiert" worden ist, weder ein Depositum noch ein Darlehen ist. „La natura giuridica del deposito bancario", Archivo giuridico „Filippo Serafini", Modena n. s. 9 (1902); 441-72.
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Um unseren Kommentar zu dieser zweiten Möglichkeit abzuschließen, müssen wir hinzufügen, dass der Widerspruch dermaßen offensichtlich ist, dass sich Bankiers in ihren Verträgen, allgemeinen Geschäftsbedingungen und Formularen stets dagegen sträuben, die genaue Natur der Vereinbarung und der Aufbewahrungsverpflichtung, die sie erwerben, zu spezifizieren. Alles wird deshalb auf eine vage und verwirrende Art ausdrückt, und deshalb ist es nicht unbedacht zu behaupten, dass die vollständige und perfekte Zustimmung der Deponenten fehlt, weil die Zweideutigkeit, Komplexität und Verworrenheit des Vertrages unzweifelhaft die Kunden täuscht, die im guten Glauben vermeinen, einen wahren Depositenvertrag abzuschließen. Wenn der Wert und die Effektivität der Aushändigung des Gutes von der Prozedur oder dem Dokument abhängen, das die Handlung begleitet, dann ist es eindeutig wichtig, dass die Prozedur oder der Vertrag klar definiert und angemessen benannt wird, seine Konditionen klar reguliert werden und sich beide Parteien der rechtlichen Konsequenzen dieser Konditionen bewusst sind. Dass sie es unterlassen, diese Details klarzustellen oder vollständig anzugeben, zeigt eine bemerkenswerte Zweideutigkeit seitens der Bankiers, und im Falle nachteiliger rechtlicher Konsequenzen sollten sie die Lasten daraus tragen und nicht diejenige Vertragspartei, die im guten Glauben den Vertrag abschließt und darauf vertraut, dass der grundlegende Zweck bzw. die Ursache die simple Bewachung oder sichere Aufbewahrung des deponierten Geldes ist. Drittens und letztens können wir annehmen, dass die Deponenten, wenn es ihr wirklicher Wunsch ist, ihren ursprünglichen Plan, ein Depositum irreguläre des Geldes vorzunehmen, zu ändern, stattdessen einen Mutuum- oder Darlehensvertrag abschließen könnten, bei dem sie den Verlust der Verfügbarkeit des Gutes und seiner Übergabe an den Bankier für eine bestimmte Laufzeit im Tausch gegen Zinsen zustimmen. Dies bedeutete eine wahre Novation des Vertrages, der sich von einem Depositum irreguläre in ein Darlehen wandeln würde. Diese Novation würde den allgemeinen rechtlichen Regulierungen bezüglich dieser Art von vertraglichen Modifikationen unterliegen. Dies ist eine völlig legitime rechtliche Möglichkeit, die in der Praxis wenig genutzt wird. Überdies ist der Zweck von Novationen, wenn sie denn im Bankwesen stattfinden, paradoxerweise meist genau das Gegenteil. In anderen Worten: Was unzweifelhaft als ein Mutuum- oder Darlehensvertrag beginnt, obwohl es „Termineinlage" genannt wird, weil es eine reale Übergabe der Verfügbarkeit des Gutes an den Bankier für eine bestimmte Laufzeit oder Zeitperiode involviert, wird in vielen Fällen zu einem irregulären Depositenvertrag mittels der korrespondierenden Novation. Dies geschieht, wenn Bankiers, um ihre Ressourcen zu erhalten oder weitere anzuziehen, den Inhabern von „Termineinlagen" die Möglichkeit anbieten, ihr Geld jederzeit mit einer geringen oder gar keiner finanziellen Strafe abzuziehen. In dem Maße, wie Konteninhaber diese „Termineinlagen" (die eindeutig Darlehen sind) mit dem subjektiven und primären Ziel der Deponierung des Geldes zur sicheren Aufbewahrung vornehmen, findet eindeutig ein monetäres Depositum irreguläre statt, ungeachtet der äußeren Erscheinung. Und in dem Maße, in dem der fundamentale Grund oder Zweck des Vertrages der Austausch von Gegenwartsgütern gegen Zukunftsgüter plus Zinsen
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ist, findet eine wahre „Termineinlage" statt. Von einem rechtlichen Standpunkt aus ist dies unzweifelhaft ein Mutuum oder Darlehen, das später durch eine explizite Vereinbarung zwischen den Parteien in ein monetäres Depositum irreguläre umgewandelt oder durch dieses ersetzt werden kann. 212 Kurzum kann, aus welcher Sichtweise auch immer, der Vertrag des monetären Depositum irreguläre nicht mit dem Mutuum- oder Darlehensvertrag gleichgesetzt werden. Die beiden Verträge sind grundsätzlich unvereinbar; und dass Sichteinlagen im Teildeckungsbankwesen existieren, obwohl diese Existenz einem „Ungeheuer" oder einer .juristischen Verirrung" gleichkommt, kann nur insoweit erklärt werden, dass sie ursprünglich toleriert und später absichtlich von den politischen Machthabern legalisiert wurden. 213 Die Tatsache, dass eine solch „monströse" (demente de Diego) rechtliche Institution im Verlauf der menschlichen Interaktion eine Rolle spielt, hat unvermeidbar schädliche wirtschaftliche und soziale Konsequenzen. In den folgenden Kapiteln werden wir erklären, warum das Teildeckungsbankwesen für die Krisen und Rezessionen verantwortlich ist, welche die Volkswirtschaften immer wieder ergreifen; und dies wird ein zusätzliches Argument gegen die Rechtmäßigkeit des Bankdepositenvertrages bilden, und zwar selbst dann, wenn beide Parteien in vollständiger Übereinstimmung handeln. Ferner erklärt dies die Unmöglichkeit, die Rückzahlung dieser Depositen jederzeit zu garantieren, ohne einen ganzen staatlichen Überbau, genannt Zentralbank, zu schaffen. Sobald diese Organisation ein Monopol auf die Ausgabe von Papiergeld besitzt und dieses zum gesetzlichen Zahlungsmittel erklärt hat, ist es ihre Funktion, die Schaffung aller liquiden Werte zu versichern, die notwendig sind, um sämtliche dringenden Bedürfnisse zu befriedigen, die Privatbanken für Gelder haben. Im achten Kapitel werden wir das daraus resultierende Aufkommen einer zentralisierten Geldpolitik studieren, die letztlich wie alle Versuche, eine Gesellschaft durch Zwangsmaßnahmen zu koordinieren (Sozialismus und Interventionismus), und aus denselben Gründen zum Scheitern verurteilt ist. In der Tat sind Zentralbanken und die staatliche Geldpolitik die Hauptschuldigen für die chronische Inflation, die zu unterschiedlichem Grade die westlichen Volkswirtschaften erfasst, und für die sukzessiven und wiederkehrenden Phasen von künstlichem Aufschwung und wirtschaftlicher Rezession, die ihrerseits so viele soziale Umstürze verursachen. Aber zunächst werden wir mit unserer juristischen Analyse fortfahren.
212 Wir vertreten nicht die Theorie, dass „Termineinlagen" aus rechtlicher Sicht keine Darlehens- oder Mutuumverträge sind, weil sowohl ihr ökonomische als auch ihre rechtliche Natur die fundamentalen Erfordernisse eines Darlehens oder Mutuums, die wir im ersten Kapitel studiert haben, erfüllen. Unter den Gelehrten, die die Theorie zu rechtfertigen versuchen, dass „Termineinlagen" keine Darlehen sind, ragt José Luis García-Pita y Lastres heraus mit seinem Aufsatz „Los depósitos bancarios de dinero y su documentación", vor allem S. 991 ff. Die von García-Pita y Lastres zu diesem Thema vorgebrachten Argumente vermögen uns nicht zu überzeugen. 213 Das heißt, dass das Teildeckungsbankwesen mit den traditionellen Rechtsprinzipien im Widerspruch steht und lediglich überlebt, weil ein Akt von zwangsbasierter Intervention vorliegt, die in einer staatlichen Verfügung oder einem gesetzlichen Privileg besteht - ein Privileg, das andere ökonomischen Agenten nicht ausnutzen können und das explizit festlegt, dass es für Bankiers legal ist, eine Teildeckung aufrechtzuerhalten (Artikel 180 des spanischen Handelsgesetzbuches).
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3.3 Eine unangemessene Lösung: Die Neudefinierung des Konzepts der Verfügbarkeit Die qualifiziertesten Theoretiker vertreten die Meinung, dass es unmöglich ist, zwei derart unvereinbare Verträge wie den Vertrag des monetären Depositum irreguläre und den Darlehensvertrag in Einklang zu bringen. Diese Überzeugung und die Tatsache, dass die Mehrheit der das heutige Bankwesen stützenden Verträge Sichteinlagen (monetäre irreguläre Depositenverträge) sind, hat die Gelehrten zu dem Versuch veranlasst, alternative juristische Konstruktionen zu formulieren, um den irregulären Depositenvertrag mit dem „traditionellen" Bankwesen, d. h. dem Teildeckungsbankwesen, in Einklang zu bringen. Einige haben versucht, diesen Widerspruch durch eine „Neudefinierung" des Begriffs der Verfügbarkeit aufzulösen. Und zwar braucht für die Anhänger dieser Lehre Verfügbarkeit nicht in einem strikten Sinne (hundertprozentige Reservedeckung oder die Bereithaltung des Tantundems für den Deponenten zu jeder Zeit) verstanden zu werden, sondern könne in einem „laxen" Sinne interpretiert werden: zum Beispiel als „generelle" Solvenz der Bank, mit der sie ihren Verpflichtungen nachzukommen imstande ist; als „umsichtiges" Anlegen; als Aufrechterhaltung von angemessenen Liquiditäts- und Investitionskennziffern; und kurzum als die Erfüllung eines ganzen Gebäudes von rigorosen Bankgesetzen, die im Zusammenspiel mit der hypothetischen Operation des „Gesetzes der großen Zahl" bei der Eröffnung von Depositenkonten und dem Abzug von Sichteinlagen letztlich die Fähigkeit der Bank garantieren könnten, die Depositen zurückzugeben, wann immer es von einem Deponenten gefordert wird. So wird für Garrigues die Verpflichtung, die Depositen für die Deponenten verfügbar zu halten, „zu der Pflicht, sorgfältig zu arbeiten, einen umsichtigen und vernünftigen Gebrauch der Depositen zu machen, sodass die Bank immer in der Lage ist, sie auf Verlangen zurückzugeben". 214 Lalumias' Beispiel folgend setzt Garrigues hinzu, dass der Depositar nicht „verpflichtet ist, das Tantundem zu halten, sondern nur, es weitsichtig zu investieren und liquide zu halten, sodass er immer in der Lage ist, es falls notwendig zurückzugeben". 215 Die Bank würde in ihren Tresoren nur genügend Geld halten müssen, um den „wahrscheinlichen" Forderungen ihrer Klienten nachkommen zu können. Garrigues kommt mithin zu dem Schluss, dass „bei den Bankdepositen das Element der Bewachung durch das technische Element der Berechnung der Wahrscheinlichkeit von Depositenabzügen ersetzt wird. Diese Berechnung wiederum hängt von der Tatsache ab, dass Bankdepositen in großem Umfang vorgenommen werden."216
214 Garrigues, Contratos bancarios, S. 375. 215 Ebenda, S. 365. 216 Ebenda, S. 367. García-Pita y Lastres verteidigt die gleiche Theorie in seinem Aufsatz „Los depósitos bancarios de dinero y su documentación", in dem er folgert, dass „wir unter diesen Umständen, anstatt die .Verfügbarkeit' als ein einfaches Recht auf eine unverzügliche Auszahlung zu begreifen, diese als eine Kombination von Verhaltensmustem sowie ökonomischen und finanziellen Aktivitäten mit dem Ziel betrachten sollten, die Rückzahlung möglich zu machen." (S. 990)
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Recht bedeutsam ist, dass Garrigues selbst anerkennt, dass seine ganze Theorie „den unvermeidbaren Austausch des traditionellen Konzepts der Bewachung durch ein Ad-hoc-Konzept, dessen Plausibilität höchst zweifelhaft ist", impliziert.217 Garrigues hat recht, wenn er die Neuinterpretation des Konzepts der Verfügbarkeit durch Theoretiker für „gekünstelt" hält (obwohl er sie letztlich selbst anerkennt). Die Theorie, dass die Verpflichtung der sicheren Aufbewahrung beim irregulären Depositenvertrag lediglich darin besteht, die Ressourcen „umsichtig" zu nutzen, damit die Bank die notwendige Liquidität zur Zahlung ihrer Schulden behält, ist überhaupt unhaltbar. Die umsichtige Nutzung von Ressourcen ist bei allen menschlichen Handlungen ratsam; zum Beispiel bei allen Dar/e/zensverträgen (nicht Depositenverträgen), die spezifizieren, dass bestimmte Ressourcen genutzt werden und nach einer festgelegten Laufzeit dann zurückzugeben sind. Das heißt, dieses Verhalten ist ratsam, wenn der Wunsch besteht, diese Verpflichtung zu erfüllen (die wahre Bedeutung von Solvenz).218 Indes ist der Zweck des irregulären Depositenvertrages, wie wir wissen, von dem des Darlehensvertrages verschieden und erfordert etwas völlig anderes: die Bewachung oder sichere Aufbewahrung des Gutes zu jeder Zeit. Das bedeutet, dass die grundlegende Verpflichtung des Depositenvertrages eindeutig verletzt ist, wenn die Deponenten ihre Depositen abzuziehen versuchen und die Bank diese nicht auszahlen kann - unabhängig davon, ob sie insgesamt solvent ist und zahlen kann, sobald sie ihre Investitionen in Bargeld umgewandelt hat. Dies ist dadurch begründet, dass eine vertragschließende Partei (die Deponenten), die dem Vertrag in dem Glauben zugestimmt hat, sein fundamentaler Zweck sei die Bewachung und sichere Aufbewahrung des Gutes und dessen ständige Verfügbarkeit, dazu gezwungen wird, etwas radikal verschiedenes zu werden: Darlehensgeber wider Willen. Als solche verlieren die Deponenten die unmittelbare Verfügbarkeit ihrer Güter und sind gezwungen, eine längere Zeitperiode zu warten, bis die Bank in mehr oder weniger geordneter Art und Weise ihre Vermögenswerte in Bargeld umgewandelt hat und zahlen kann.
A u f die gleiche Art fährt er in seinem Aufsatz „Depósitos bancarios y protección del depositante", S. 119-226 fort. Ebenfalls diese Sicht unterstützend argumentiert Eduardo Maria Valpuesta Gastaminza, dass „die Bank in keiner Weise dazu verpflichtet ist, das deponierte Gut bereitzuhalten, sondern vielmehr wird die Bewachung zu der Verpflichtung, sowohl die Ressourcen der Kunden als auch die der Bank umsichtig zu handhaben und verfügbar zu halten, was auch durch legitime staatliche Regulierungen garantiert wird (welche die Reservepflicht festlegen, der Risikoübernahme Grenzen setzen etc.)." (S. 122-23) Vgl. „Depósitos bancarios de dinero: libretas de ahorro" in Contratos bancarios, hrsg. v o n Enrique de la Torre Saavedra, Rafael Garda Villaverde und Rafael Bonardell Lenzano (Madrid: Editorial Civitas, 1992). Dieselbe Theorie ist kürzlich in Italien von Angela Principe in ihrem Buch La responsabilità della banca nei contratti di custodia (Milan: Editorial Guiffrè, 1983) gutgeheißen worden. 217 Garrigues, Contratos bancarios, S. 365. 218 Ferner ist das Standardkriterium der „Umsicht" in diesem Falle nicht anwendbar: Eine nicht umsichtig handelnde Bank kann in ihrer Spekulation erfolgreich sein und ihre Solvenz bewahren. Ebenso kann ein wahrhaft „umsichtiger" Bankier emsthaft von den Vertrauenskrisen getroffen werden, die unvermeidbar auf die künstlichen Aufschwünge folgen, die durch das Teildeckungsbankwesen selbst erzeugt werden. Daher ist die Umsicht von geringem Nutzen, wenn die einzige Bedingung verletzt wird, die garantieren kann, dass die Verpflichtungen jederzeit erfüllt werden (eine hundertprozentige Reservedeckung).
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Obwohl die Konzepte der Solvenz und des umsichtigen Ressourcengebrauchs nicht ausreichend sind, um die grundlegende Bedeutung der Verfügbarkeit beim irregulären Depositenvertrag zu modifizieren, könnte man versucht sein zu denken, dass das Problem durch die Berechnung von Wahrscheinlichkeiten und das von Garrigues erwähnte „Gesetz der großen Zahl" gelöst werden kann. Selbst wenn es statistisch möglich wäre, Wahrscheinlichkeiten in diesem Gebiet zu berechnen (was gewiss nicht der Fall ist, wie wir in den folgenden Kapiteln zeigen werden), würde der Vertrag, wie wir zuvor argumentiert haben, zumindest aufhören, ein Depositenvertrag zu sein, und zu einem Glücksvertrag werden, bei dem die Möglichkeit, eine unverzügliche Rückzahlung des deponierten Gutes zu erreichen, von der höheren oder geringeren Wahrscheinlichkeit abhinge, dass eine gewisse Anzahl von Deponenten sich simultan dazu entschlösse, zu derselben Bank zu gehen, um ihre Depositen abzuziehen. In jedem Falle werden wir in Kapitel 5 darlegen, dass man eine objektive Berechnung von Wahrscheinlichkeiten nicht auf menschliche Handlungen im Allgemeinen anwenden kann und im Besonderen nicht auf solche Handlungen, die zum Depositum irreguläre in Beziehung stehen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass eben jene Institution des Depositum irreguläre ohne Verpflichtung zur sicheren Aufbewahrung (d. h. mit einer Teildeckung) - ein rechtlich widersinniger Vertrag einen wirtschaftlichen Prozess anstößt, der Banken dazu veranlasst, in großem Stil mit den Depositen, die sie sich aneignen oder schaffen, unkluge Darlehen und Investitionen vorzunehmen. Dies wird dadurch bedingt, dass diese Darlehen und Investitionen letztlich durch eine Kreditausweitung finanziert wurden, der kein Anstieg in den realen Ersparnissen vorangegangen ist. Daraus folgen unvermeidlich wirtschaftliche Krisen, einhergehend mit einer Verringerung der Solvenz der Banken und einem Vertrauensverlust der Deponenten in diese, was seinerseits zu einem massiven Abzug von Depositen führt. Jeder Versicherungsmathematiker weiß, dass die Folgen eines Ereignisses, wenn sie von der Existenz der Versicherungspolice selbst nicht völlig unabhängig sind, wegen des „Moral Hazards" technisch nicht zu versichern sind. In den folgenden Kapiteln werden wir zeigen, dass das Teildeckungsbankensystem (d.h. ein System, das auf einem monetären Depositum irreguläre basiert, bei dem nicht hundert Prozent des Tantundems als Reserve gehalten wird und den Deponenten verfügbar ist) endogen, unvermeidlich und wiederholt wirtschaftliche Rezessionen erzeugt, in denen es regelmäßig im großen Ausmaße notwendig wird, Investitionsprojekte zu liquidieren, Darlehen zurückzunehmen und Depositen abzuziehen. Deshalb führt ein auf dem Depositum irreguläre mit einer Teildeckung basierendes Bankensystem - eine Institution, die demente de Diego eine „Verirrung" oder ein juristisches Ungeheuer" genannt hat ausnahmslos und schlussendlich (und dies ist einer der Hauptbeiträge, welche die ökonomische Analyse zu diesem Rechtsgebiet gemacht hat) dazu, dass Bankiers insolvent und unfähig werden, ihrer Verpflichtung zur Rückgabe der Depositen auf Verlangen nachzukommen - und zwar selbst dann, wenn sie eine ausreichend erhöhte Reservedeckung aufrechterhalten. Genau aus diesem Grunde brach die überwältigende Mehrheit der Privatbanken, welche die Aufbewahrungspflicht
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nicht erfüllten, zusammen. Dies war der Stand der Dinge, bis die Bankiers die Erschaffung einer Zentralbank 219 forderten und ihren Forderungen nachgekommen wurde. Die Zentralbank sollte als ein Kreditgeber letzter Instanz fungieren und bereitstehen, den Bankiers all die Liquidität zu gewährleisten, die sie während der wiederkehrenden Phasen der durch die Instabilität des Teildeckungsbanksystems selbst verursachten Krise benötigten. Mithin ist die Neudefinierung des Konzepts der Verfügbarkeit ein Sprung ins Leere. Erstens akzeptieren die Banken weiterhin Depositen, als ob es Darlehen wären, und demgemäß investieren sie diese in privaten Geschäften; und die Deponenten hinterlegen immer noch die Depositen mit dem Hauptziel der Übertragung der Bewachung und sicheren Aufbewahrung ihres Geldes bei gleichzeitiger Beibehaltung der völligen Verfügbarkeit. Mit anderen Worten hat es der gekünstelte Versuch, das Konzept der Verfügbarkeit umzudefinieren, nicht geschafft, den Widerspruch in der rechtlichen Logik abzumildern. Zweitens sind die allgemeine Richtlinie eines „umsichtigen" Ressourcengebrauchs und die Anwendung einer „Wahrscheinlichkeitsrechnung" vom strikten Standpunkt des Privatrechts aus und im Einklang mit den Lehren der Ökonomie nicht nur unzureichend, um zu garantieren, dass die Bank bei Nutzung einer Teildeckung immer in der Lage ist, allen Rückzahlungsforderungen zu entsprechen, sondern sie stoßen auch unweigerlich einen Prozess an, der - zumindest alle paar Jahre - zu einem unvermeidbaren Vertrauensverlust in die Banken und zu einem massiven und unerwarteten Depositenabzug führt. Ein schlüssiger Beweis dieser obigen Behauptungen liegt in der Tatsache begründet, dass das Teildeckungsbankwesen (d. h. ein Bankwesen ohne eine strikte Aufbewahrungspflicht) nicht in der Lage gewesen ist, ohne eine staatlich gegründete Zentralbank zu überleben, die durch die Einführung eines gesetzlichen Zahlungsmittels und den Zwang, Papiergeld zu akzeptieren, die im Notfall notwendige Liquidität aus dem Nichts erzeugen kann. Auf dem freien Markt und ohne Bedarf an Privilegien und Regierungsunterstützung kann eine Institution im Einklang mit den allgemeinen Rechtsprinzipien einzig aufgrund des freiwilligen Gebrauchs ihrer Leistungen durch die Bürger im Einklang mit dem Rahmenwerk aus allgemeinen und abstrakten Privatrechtsregeln überleben. Verfügbarkeit ist auch definiert worden als die Zustimmung der Privatbanken zur gesamten Struktur der staatlichen Bankgesetzgebung im Austausch für die Absicherung durch die Zentralbank als Kreditgeber letzter Instanz. Indes ist diese Anforderung ebenfalls gekünstelt und transferiert das Problem der Unmöglichkeit einer rechtlichen Definition eines teilgedeckten Depositenvertrages aus der Sphäre des Privatrechts (in der die beiden nicht in Einklang gebracht werden können) in 219 Rothbard, The Case Against the Fed, S. 9 0 - 1 0 6 . Auf diese Art erklärt Rothbard die führende Rolle, die Privatbankiers, vor allem J. P. Morgan, bei der Gründung der American Federal Reserve spielten: „J. P. Morgan's fondness for a central bank was heightened by the memory of the fact that the bank of which his father Junius was junior partner - the London firm of George Peabody and Company - was saved from bankruptcy in the Panic of 1857 by an emergency credit from the Bank of England. The elder Morgan took over the firm upon Peabody's retirement and its name changed to J. S. Morgan and Company." (S. 93, Fußnote 22)
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das Gebiet des öffentlichen Rechts, d. h. Verwaltungsrecht und purer Voluntarismus, mit dem die Regierung jede Institution legalisieren kann, völlig unabhängig davon, wie rechtlieh monströs sie anmutet. Es ist ein seltsames Paradox, dass das ganze Finanzsystem von der Überwachung durch den Staat (der historisch gesehen der Erste war, der von den Gewinnen aus der Nichtbeachtung der Aufbewahrungspflicht beim monetären Depositenvertrag profitiert hat) abhängig gemacht wird. Wie F. A. Hayek weise zeigt: „Die Geschichte staatlichen Umganges mit Geld ist... eine Geschichte von unablässigem Lug und Trug. In dieser Hinsicht haben sich Regierungen als weit unmoralischer erwiesen, als es je eine privatrechtliche Körperschaft hätte sein können, die im Wettbewerb mit anderen eigene Arten von Geld auf den Markt bringt."220
Hayek meint damit, dass die heutige Bankenstruktur trotz ihrer juristischen Inkonsistenz aufgrund der Unterstützung tragfähig erscheinen kann, die sie gegenwärtig vom Staat und durch die Institution einer offiziellen Zentralbank erhält, welche die notwendige Liquidität generiert, um Banken in Schwierigkeiten aus der Klemme zu helfen (im Austausch für die Zustimmung zu einem verworrenen Netz aus Verwaltungsgesetzen, das aus endlosen, kiyptischen und ad hoc konzipierten Verfügungen und Memoranden besteht). Nichtsdestoweniger hat die Verletzung der traditionellen Rechtsprinzipien unausweichlich negative soziale Konsequenzen. Beispielsweise kann auf diese Weise die Rückgabe der Depositen zumindest theoretisch „garantiert" werden (selbst bei einer Teildeckung, solange die Zentralbank zur Hilfe eilt). Nicht garantiert werden kann jedoch, dass die Kaufkrafi der Geldeinheiten des ursprünglichen Depositums nicht stark schwankt. In der Tat sind wir seit der Errichtung der modernen Geldsysteme jedes Jahr in einem leicht verschiedenen Grade durch eine ernsthafte, chronische Inflation geplagt worden, welche die Kaufkraft der den Deponenten zurückgegeben Geldeinheiten beträchtlich verringert hat. Außerdem müssen wir die Effekte der intra- und intertemporalen Fehlkoordination berücksichtigen, die den modernen Volkswirtschaften durch das gegenwärtige Finanzsystem auferlegt werden, das auf einer Teildeckung für Privatbanken und der Geldpolitik der Zentralbank basiert. Diese Effekte bestehen in den wiederkehrenden, sukzessiven Phasen des künstlichen Aufschwungs und der wirtschaftlichen Rezession mit ihren hohen Arbeitslosenquoten, die der harmonischen, stabilen Entwicklung unserer Gesellschaften großen Schaden zufügen. Folglich finden wir wieder einmal, diesmal auf dem Gebiet des Geldes und des Bankwesens, die Gültigkeit von Hayeks bahnbrechender Idee bestätigt, dass sich früher oder später immer schädliche, unerwünschte Konsequenzen zum großen Nachteil des spontanen Prozesses der sozialen Kooperation einstellen, wenn eine traditionelle Verhaltensregel entweder durch einen direkten Regierungseingriff oder durch die Gewährung von besonderen staatlichen Privilegien für bestimmte Personen bzw. Organisationen oder durch eine Kombination von beidem gebrochen wird (wie es beim monetären Depositum irreguläre mit einer Teildeckung 220 F. A. von Hayek, Die verhängnisvolle Anmaßung: Die Irrtümer des Sozialismus J. C. B. Mohr [Paul Siebeck], 1996), S. 112. Englisch: The Fatal Conceit, S. 103-04.
(Tübingen:
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geschieht). Die im Bankwesen gebrochene traditionelle Verhaltensregel, wie wir sie im Detail in diesen ersten drei Kapiteln untersucht haben, ist das allgemeine Rechtsprinzip, dass beim Vertrag des monetären Depositum irreguläre die Bewachung und sichere Aufbewahrung (das essenzielle Element oder der Zweck der Depositen) immer in der Form einer kontinuierlichen hundertprozentigen Reservepflicht erfolgen muss. Folglich beinhaltet jeglicher Gebrauch dieses Geldes (vor allem auch zur Vergabe von Darlehen) eine Verletzung dieses Prinzips und einen Akt der Veruntreuung. In der ganzen Menschheitsgeschichte sind die Bankiers schnell darin gewesen, diese traditionelle Verhaltensregel zu verletzen, indem sie im eigenen Interesse Gebrauch vom Geld ihrer Deponenten gemacht haben, wie anhand verschiedener Beispiel im zweiten Kapitel gezeigt wurde. Zunächst taten die Bankiers dies schuldbewusst und heimlich, weil sie sich noch der unrechtmäßigen Natur ihrer Handlungen bewusst waren. Später dann, als sie vom Staat das Privileg bekamen, persönlichen Gebrauch vom Geld ihrer Deponenten zu machen (im Allgemeinen in der Form von Darlehen, die zunächst häufig dem Staat selbst gewährt wurden), erhielten sie die Erlaubnis, dieses Prinzip offen und legal zu verletzen. Die juristische Ausführung des Privilegs ist plump und hat in der Regel die Form einer einfachen Verwaltungsbestimmung, die ausschließlich Bankiers dazu autorisiert, einen reduzierten Reservekoeffizienten aufrechtzuerhalten. Dies markiert den Beginn einer heute schon traditionellen Beziehung, einer Komplizenschaft und Symbiose zwischen Staaten und Banken. Diese Beziehung erklärt das vertrauliche „Verständnis" und die enge „Kooperation", die bis zum heutigen Tag in allen westlichen Ländern zwischen diesen beiden Arten von Institutionen mit geringen Abweichungen existiert hat. Bankiers und Regierungen begriffen bald, dass sie durch Opferung der traditionellen Rechtsprinzipien beim Depositenvertrag an einer äußerst lukrativen Finanzaktivität teilhaben konnten, obschon dafür ein Kreditgeber letzter Instanz bzw. eine Zentralbank benötigt wurde, um die notwendige Liquidität in schwierigen Zeiten bereitzustellen, und obwohl die Erfahrung zeigte, dass diese Zeiten früher oder später wiederkehrten. Allerdings wurden die schädlichen sozialen Konsequenzen dieses Privilegs, das nur den Bankiers gewährt wurde, so lange nicht vollständig verstanden, bis die Geld- und Kapitaltheorie ausreichend fortgeschritten war und das wiederkehrende Aufkommen von Konjunkturzyklen erklären konnte. Die Österreichische Schule im Besonderen hat uns gelehrt: Das (aus rechtlich-vertraglicher wie auch aus technisch-ökonomischer Sicht) widersprüchliche Ziel, einen Vertrag anzubieten, der im Wesentlichen inkompatible Elemente enthält und darauf abzielt, die Vorteile des Darlehens (besonders die Möglichkeit des Zinsgewinns auf „Depositen") mit denen des traditionellen monetären Depositum irreguläre (bei dem per definitionem dem Deponenten erlaubt sein muss, seine Gelder jederzeit abzuziehen) zu verbinden, ist dazu vorherbestimmt, früher oder später unausweichliche spontane Anpassungen hervorzurufen. Zunächst manifestieren sich diese Anpassungen in Ausweitungen der Geldmenge (mit der Schaffung von Darlehen, die sich nicht mit dem tatsächlichen Anstieg der freiwilligen Ersparnisse decken), in Inflation, in einer allgemeinen mangelhaften Allokation der knappen produktiven Ressourcen der Gesellschaft auf einer mi-
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kroökonomischen Ebene und letztlich in Rezession, in der Berichtigung der durch die Kreditausweitung verursachten Fehler in der Produktionsstruktur und in einer weitverbreiteten Arbeitslosigkeit. Die nächsten Kapitel sind der ökonomischen Untersuchung all dieser Punkte gewidmet. Nichtsdestoweniger werden wir zunächst unsere rechtliche Studie mit der Analyse einiger weiterer juristischer und den Bankdepositen verwandter Institutionen abschließen. Um diesen Abschnitt zu beschließen, stellt die folgende Tabelle die sieben möglichen Arten dar, mit denen der Bankdepositenvertrag aus der Sicht der dieser Institution inhärenten Logik (und natürlich nicht aus der Sicht des positiven Rechts, das, wie wir wissen, allem Rechtsgültigkeit verschaffen kann) rechtlich klassifiziert werden kann. Tabelle 3.1: Sieben mögliche rechtliche Klassifikationen des Bankdepositenvertrags mit einer Teildeckung 1. Es liegt eine Täuschung oder Betrug vor: Es handelt sich um den Tatbestand der Veruntreuung und der Vertrag ist null und nichtig (historisch der unrühmliche Ursprung des Teildeckungsbankwesens). 2. Es liegt keine Täuschung vor, jedoch besteht ein „error in negotio": der Vertrag ist null und nichtig. 3. Es liegt kein „error in negotio" vor, jedoch verfolgt jede Partei ihren typischen Zweck bei dem Vertrag: aufgrund der notwendigerweise unvereinbaren Zwecke ist der Vertrag null und nichtig. 4. Selbst wenn man die unvereinbaren Zwecke als kompatibel ansieht, ist der Vertrag null und nichtig, weil er (ohne eine Zentralbank) unmöglich vollzogen werden kann. 5. Ein ergänzendes Argument: Selbst wenn das „Gesetz der großen Zahl" gültig wäre (was es in diesem Falle nicht ist), wäre der Vertrag immer noch ein Glücksvertrag (und weder ein Depositennoch ein Darlehensvertrag). 6. Die Anwendung des Vertrages hängt von einer Staatsvollmacht (Privileg) und der Unterstützung durch eine Zentralbank ab, die das Geld nationalisiert, gesetzliche Zahlungsmittelregulierungen einführt und Liquidität schafft. 7. In jedem Fall ist der Vertrag null und nichtig, weil er dritten Parteien schwerwiegende Schäden zufügt (wirtschaftliche, durch die Zentralbank verschärfte Krisen) - viel größere Schäden als jene, die von einem Geldfälscher verursacht werden.
3.4 Das monetäre Depositum irreguläre, Transaktionen mit Rückkaufvereinbarungen und Lebensversicherungsverträge In diesen ersten drei Kapiteln haben wir eine Analyse der rechtlichen Natur des irregulären Depositenvertrages vorgenommen. Diese Analyse könnte u. a. als ein verlässlicher Leitfaden dazu dienen, echte Darlehensverträge (in der reichen Vielfalt der Rechtsverträge in der sich schnell ändernden realen Welt), irreguläre Depositen, bei denen die Aufbewahrungspflicht eingehalten wird, und Verträge mit einer widersprüchlichen oder gar betrügerischen Natur zu identifizieren. Dieser Leitfaden ist von außerordentlicher Wichtigkeit, weil der menschliche Einfallsreichtum keine Grenzen kennt, wenn es darum geht zu versuchen, die traditionellen Rechtsprinzipien zum eigenen Nutzen und zum Schaden anderer zu umgehen. Diese Gefahr ist überdies besonders akut, wenn die Rechtsprinzipien vom Staat nicht adäquat definiert und verteidigt werden - besonders in einem Gebiet wie dem Finanzwesen, das sehr abstrakt und für die meisten Bürger schwer zu verstehen ist.
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3.4.1 Transaktionen mit einer Rückkaufvereinbarung Immer wenn wir wie bei den Gelddepositen beobachten, dass den Kunden die unmittelbare Verfügbarkeit des Gutes offeriert wird, um ihre Gelder 221 anzulocken, und diese Gelder dann investiert oder in privaten Geschäften genutzt werden oder Ähnliches, dann sollten wir ungeachtet des rechtlichen äußeren Scheins dieser Transaktion auf der Hut sein. Beispielsweise verpflichtet sich bei bestimmten Verträgen mit einer Rückkaujvereinbarung eine der Parteien dazu, ein Wertpapier, ein Recht oder eine Finanzanlage zu einem vorbestimmten Preis, der mindestens dem ursprünglich für das Gut gezahlten Preis gleich ist, von der zweiten Partei zurückzukaufen, wann immer diese es wünscht. Die Absicht in diesen Fällen ist es, entgegen den Rechtsprinzipien einen wahren monetären irregulären Depositenvertrag zu verschleiern, bei dem eine der vertragschließenden Parteien das grundlegende Ziel der Garantie der unmittelbaren Verfügbarkeit des Gutes verfolgt und die andere den bekannten, widersprüchlichen Zweck, monetäre Ressourcen anzusammeln, um sie in verschiedenen Geschäften zu investieren. Kurzum sind dies häufig betrügerische Transaktionen, in denen ein professioneller „Depositensammler" versucht, seine „Kunden" davon zu überzeugen, ihre verfügbaren Vermögenswerte ohne Umstände und ohne eine große Verpflichtung zu übergeben, im Austausch für das grundsätzliche Versprechen, dass ihr Geld ihnen verfügbar bleibt und ihnen (mittels der „Rückkaufvereinbarung") zurückgegeben wird, wann immer sie es wünschen. Einen ähnlichen Fall können wir beobachten, wenn - wie es häufig mehr oder weniger explizit in der Praxis vorkommt - eine Institution (zum Beispiel eine Bank) systematisch versucht, den Marktwert ihrer Aktien aufrechtzuerhalten oder zu „konservieren", indem sie eine Reihe von Finanzmarktoperationen durchführt, um dem Markt anzuzeigen, dass der Verkauf der Aktien zu einem bestimmten Preis „garantiert" ist. Falls dies wahr ist, sind wir in dem Maße, in dem die allgemeine Öffentlichkeit dies glaubt, Zeuge einer weiteren Transaktion, bei welcher der Vertrag des monetären Depositum irreguläre letztlich mittels Investitionen in Wertpapiere, Aktien oder Anleihen, deren Liquidität auf dem Markt implizit zu jeder Zeit durch eine vertrauenswürdige Institution „garantiert" wird, inszeniert wird. 222 Es ist deshalb nicht überraschend, dass viele Bankenkrisen stärker durch den massiven Verkauf von Bankaktien bedingt worden sind als durch ein weitverbreitetes Abziehen von Depositen. Diese Aktien waren dazu vorgesehen, einen
221 Viele „irreguläre" Transaktionen werden von der „Garantie" der ständigen Verfügbarkeit begleitet, um den Kunden zu überzeugen, dass weder das Erfordernis besteht, ihre Güter preiszugeben, noch das Opfer zu bringen, das eine Ausleihe erfordert. Diese Praxis macht es sehr viel einfacher, Gelder anzulocken, vor allem wenn der Kunde naiv ist und von der Möglichkeit, große Gewinne ohne Opfer oder Risiko zu erzielen (wie in jeder Täuschung und jedem Schwindel), verleitet werden kann. 222 Wenn wir diesem Gedankengang bis an sein Ende folgen, kann der ganze Aktienmarkt als Inszenator von wahrhaftigen Depositen angesehen werden, wenn der Staat garantiert, jederzeit die notwendige Liquidität zu schaffen, um die Aktienindizes zu stützen. Aus Gründen des öffentlichen Ansehens haben Regierungen und Zentralbanken darauf bestanden, dieses Ziel und diese Politik während vieler Aktienmarktkrisen zumindest gelegenüich zu verfolgen.
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sicheren Hafen für Gelder bei gleichzeitiger Beinahegarantie ihrer Verfügbarkeit darzustellen. Wenn die Solvenz einer Bank infrage gestellt wird, werden zunächst ihre Wertpapiere massiv verkauft, was es der Bank unmöglich macht, ihre implizite Verpflichtung einzuhalten, den Marktwert ihrer Aktien konstant zu halten. Zumindest in der Vergangenheit waren diese massiven Verkäufe durch die Tatsache bedingt, dass die unterschiedslose Unterstützung der in Not geratenen Privatbanken durch die Zentralbanken nicht den Punkt des ständigen Erhalts des gegenwärtigen Aktienkurses erreicht hat. Die jüngsten Bankenkrisen in Spanien und anderen Ländern haben gezeigt, dass letztlich die einzigen „Deponenten", die schlecht dabei wegkamen, die Aktienbesitzer selbst waren. Es gibt sehr viele „Grenzfalle". Beispielsweise „verpflichten" sich einige Finanzund Holdinggesellschaften dazu, ihre Aktien zum Emissionspreis zurückzukaufen, wann immer es von den Aktienbesitzern verlangt wird, um zur Zeichnung ihrer Aktien zu ermutigen. Im Allgemeinen sollte man bei jeder Transaktion mit einer RückkaufVereinbarung, bei der der Rückkaufpreis fixiert ist und nicht mit dem gegenwärtigen Preis des Gegenstandes auf dem korrespondierenden Sekundärmarkt übereinstimmt, argwöhnisch sein. 223 Deshalb kommt es dem Juristen und dem Ökonomen zu, ihr analytisches Urteilsvermögen beim Studium dieser Finanztransaktionen einzusetzen und genau zu entscheiden, was für eine Art von Operation vorliegt und was deren wahre Natur und Konsequenzen sind. Dies muss im Licht der von uns in den ersten drei Kapiteln untersuchten Rechtsprinzipien und
223 Ein weiteres Beispiel eines fingierten Depositums ist eine temporäre Überlassung mit einer Vereinbarung zum Rückkauf auf Verlangen. Diese Transaktion wird als ein Darlehen vom Kunden an die Bank durchgeführt: Sicherheiten für den Fall der Nichteinhaltung durch den Depositar werden in der Form von Wertpapieren, normalerweise Staatsanleihen, angeboten. Das Darlehen wirft bis zu einem spezifischen Zeitpunkt zu einem vereinbarten Satz Zinsen ab und ist durch ein simples Ersuchen des „Darlehensgebers" vor diesem Zeitpunkt rückzahlbar. Wenn er diese Option der frühen Aufhebung wahrnimmt, berechnet sich der Betrag, der ihm schließlich ausbezahlt wird, durch die Aufzinsung der Zinsen auf den ursprünglichen Betrag zum vereinbarten Zinssatz bis zu dem Zeitpunkt, zu dem er die Option ausübt. Für den Kunden ist die Operation identisch mit einem durch Wertpapiere gesicherten Darlehen mit einer amerikanischen Option. Eine Option ist eine Vereinbarung, die das Recht (nicht die Pflicht) überträgt, eine bestimmte Menge eines Vermögenswertes zu einem bestimmten Zeitpunkt oder bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu kaufen oder zu verkaufen. Eine Kaufoption wird Call und eine Verkaufsoption wird auch Put genannt. Wenn das zugestandene Recht bis zu einem spezifischen Zeitpunkt währt, wird die Option eine „amerikanische" Option genannt; wenn sie sich auf ein bestimmtes Datum bezieht, handelt es sich um eine „europäische" Option. Der Käufer des Rechts entschädigt die andere Partei mittels Zahlung eines Aufpreises zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Der Auftraggeber wird die Option nur ausüben, wenn der Zinssatz, der auf neue und zur gleichen Zeit fällige Termineinlagen gezahlt wird, den Zinssatz übersteigt, den er ursprünglich ausgehandelt hatte. Er wird die Option nicht ausüben, wenn die Zinssätze fallen, und auch nicht, wenn er die Liquidität benötigt, weil er normalerweise ein Darlehen für die Restlaufzeit zu einem geringeren Zinssatz nehmen und durch die Staatsanleihen Sicherheiten bieten kann. Einige Institutionen bieten derartige Verträge sogar im Verbund mit für Sichteinlagen typischen Kassenführungsdiensten an, sodass die Kunden Schecks ausstellen und Rechnungen durch eine direkte Abbuchung bezahlen können. Banken benutzen diesen Vertrag als eine Möglichkeit, mit Wertpapieren zu spekulieren, weil die Öffentlichkeit sie finanziert und die Banken die Gewinne behalten. Ich bin Professor Rüben Manso dafür dankbar, dass er mich mit einigen Details dieser Art von Operation vertraut gemacht hat.
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den wirtschaftlichen Implikationen geschehen, die wir nun betrachten werden.224 Zudem würde diese Analyse eine große Bedeutung erlangen, wenn irgendwann in der Zukunft das bestehende, auf dem Monopol einer öffentlichen Zentralbank basierende Finanzsystem einmal vollständig privatisiert und ein Bankfreiheitssystem eingerichtet werden sollte. In diesem Falle würde das gegenwärtige verworrene Netz von Verwaltungsregulierungen im Bankwesen durch ein paar klare, einfache Regeln ersetzt werden - aufgenommen in das Zivil-, Handels- und Strafgesetzbuch. Der Hauptzweck dieser Regeln wäre es, die strikte Befolgung des Aufbewahrungsprinzips nicht nur bei monetären Depositenverträgen zu gewährleisten (hundertprozentige Reservedeckung), sondern auch bei allen anderen Finanztransaktionen, bei denen es der Hauptzweck der Teilnehmer ist, die Bewachung und Aufbewahrung ihrer Depositen sicherzustellen. In dieser (aus heutiger Sicht) hypothetischen Situation wäre die von uns vorgeschlagene Analyse den Richtern und Juristen von großer Hilfe dabei, aus der reichen und extrem komplexen Vielfalt der Verträge und Transaktionen, wie sie sich in der Wirtschafts- und Finanzwelt fortwährend herausbilden, einen Sinn zu ziehen. Ferner würde die Analyse es ihnen erlauben, festzulegen, wann diese Transaktionen als null und nichtig bzw. nach den allgemeinen Zivilrechts- und Strafrechtsverordnungen als kriminell zu klassifizieren sind.225 Auf jeden Fall sollten wir die egoistische und defätistische Haltung vermeiden, die im Finanzsektor verbreitet ist. Sie basiert auf dem Glauben, dass der menschliche Einfallsreichtum immer ausgefeiltere Methoden zum betrügerischen Umgehen der universellen Rechtsprinzipien finden kann und diese Prinzipien daher in der Praxis niemals befolgt und verteidigt werden. Diese defätistische Einstellung sollten wir vermeiden, weil die Fruchtbarkeit ausgeklügelter Methoden zur Verletzung dieser Grundsätze gerade auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass die öffentlichen Behörden diese immer in einer äußerst verwirrenden, vieldeutigen und widersprüchlichen Art definiert und verteidigt haben, wodurch kein allgemeines Bewusstsein der Wichtigkeit ihrer Einhaltung besteht. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die vorherrschenden Werte und Ideen sind im Laufe der Zeit so korrupt geworden, dass die Leute heute den irregulären Depositenvertrag mit einer Teildeckung als legitim betrachten. Wenn die allgemeinen Rechtsprinzipien wieder verstanden und respektiert würden, dann würde die Zahl der regelwidrigen Handlungen signifi224 Eine weitere interessante Frage ist es, wie man in der Praxis bestimmt, wann „Termineinlagen" (Darlehen mit einer sehr kurzen Laufzeit) zu wahrhaftigen Depositen werden. Obzwar die allgemeine Regel eindeutig ist (die subjektive Intention muss letztlich entscheiden und bei Fälligkeit werden alle Darlehen zu Depositen, die eine hundertprozentige Reservedeckung erfordern, bis sie abgezogen werden), ist für praktische Zwecke häufig ein temporäres Limit notwendig (ein Monat, eine Woche, ein Tag), bei dessen Unterschreitung die der Bank gewährten Darlehen als effektive Depositen angesehen werden sollten. Zu den sogenannten sekundären Tauschmitteln, die zwar kein Geld sind, sich jedoch leicht in Bargeld konvertieren lassen, was einen Aufpreis bei ihrem Kauf im Markt rechtfertigt, vgl. Mises, Nationalökonomie - Theorie des Handelns und Wirtschaftens (Genf: Editions Union, 1940), S. 419-423. 225 In der Variante, die wir vorschlagen (und die im letzten Kapitel detaillierter vorgestellt werden wird), würde die von der Zentralbank und ihren Offiziellen in der Finanzwelt ausgeübte Kontrolle durch die von Richtern ersetzt werden, die ihre vollen Befugnisse und ihre zentrale Rolle in der Anwendung der allgemeinen Rechtsprinzipien auch in der Finanzwelt zurückerhielten.
Das monetäre Depositum irreguläre
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kant zurückgehen (vor allem wenn die öffentlichen Behörden sich wirklich der Bewahrung und Verteidigung der korrespondieren Eigentumsrechte annähmen). Gleichzeitig beeinträchtigt die bewiesene Tatsache, dass der menschliche Einfallsreichtum ständig nach neuen Wegen sucht, das Recht zu brechen und andere zu betrügen, nicht im geringsten die fundamentale Wichtigkeit einer Reihe von klaren Prinzipien, welche die Bürger leiten und die Regierungen in ihrer Pflicht lenken, Eigentumsrechte zu definieren und zu verteidigen. 3.4.2 Der Fall der Lebensversicherungsverträge Die Lebensversicherung ist eine typische altehrwürdige Rechtsinstitution, die hinsichtlich ihres Wesens und ihrer rechtlichen Inhalte detailliert beschrieben worden ist und durch versicherungsmathematische, wirtschaftliche und finanzielle Verfahren gründlich unterstützt wird. Dennoch wurde jüngst versucht, diese Institution zur Durchführung von Transaktionen zu nutzen, die dem monetären Depositum irreguläre mit einer Teildeckung sehr ähnlich sind. Diese Versuche sind der Entwicklung und der traditionellen Solvenz von Lebensversicherungen als Institution sehr abträglich und schließen die Täuschung von angeblichen „Versicherungsnehmer-Deponenten" ein. In der Tat ist es vor allem wichtig zu verstehen, dass ein Lebensversicherungsvertrag mit dem irregulären Gelddepositenvertrag in keiner Verbindung steht. Eine Lebensversicherung ist ein Glücksvertrag, bei dem eine der Parteien, die abschließende Partei oder der Versicherungsnehmer, sich dazu verpflichtet, eine Prämie oder einen Preis für die Operation zu zahlen, und im Gegenzug die andere Partei, die Versicherungsgesellschaft, einwilligt, bestimmte Leistungen für den Fall zu zahlen, dass der Versicherungsnehmer stirbt oder das Ende einer im Vertrag spezifizierten Laufzeit überlebt. Mithin sind die vom Versicherungsnehmer gezahlten Prämien diesem nicht mehr verfügbar und die Verfügbarkeit geht völlig auf den Versicherer über. 226 Folglich enthalten alle Lebensversicherungsverträge einen Tausch von gegenwärtigen, sicheren Gütern gegen zukünftige, unsichere Güter (weil ihrer Zahlung von einem unsicheren Ereignis wie dem Tod oder dem Überleben des Versicherungsnehmers abhängt). Der Lebensversicherungsvertrag ist deshalb einer Spartransaktion gleichwertig (bei der das Eigentum und die Verfügbarkeit von Gegenwartsgütern im Tausch für das Eigentum und die Verfügbarkeit von Zukunftsgütern überlassen wird). Jedoch stellt die Lebensversicherung eine Form des perfekten Sparens dar, weil sie es ermöglicht, von dem Moment an, in dem der Vertrag in Kraft tritt, eine beträchtliche Summe zu erhalten, falls das imaginäre, unsichere Ereignis eintritt (und beispielsweise der Versicherungsneh226 Da eine Lebensversicherung ein diszipliniertes Sparen über einen Zeitraum von vielen Jahren beinhaltet, ist sie schwieriger zu verkaufen als andere Finanzprodukte, die mit der Garantie verkauft werden, dass das Geld des Kunden diesem stets verfugbar bleibt (Depositen). Aus diesem Grunde werden Lebensversicherungen durch ein teures Netzwerk von Verkäufern vertrieben, während die Öffentlichkeit sich willig und bedenkenlos aufmacht, um Bankdepositen vorzunehmen. Lebensversicherungsgesellschaften fördern und ermutigen freiwilliges, langfristiges Sparen, wohingegen Banken Darlehen und Depositen aus dem Nichts schaffen und von niemandem das vorangehende Opfer des Sparens verlangen.
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mer stirbt). Jede andere traditionelle Sparmethode (traditionelle Mutuum- oder Darlehensoperation) würde eine mehrjährige Sparperiode erforderlich machen, um das Kapital zu akkumulieren, das von einer Versicherungsgesellschaft im Todesfall ausgezahlt wird. In anderen Worten: Lebensversicherungsverträge, die Berechnung von Wahrscheinlichkeiten auf Grundlage von Sterbe- und Überlebenstabellen, und das Prinzip der Gegenseitigkeit oder Verlustaufteilung unter allen die Institution tragenden Versicherungsnehmern machen es möglich, vom ersten Moment an, sollte das imaginäre Ereignis eintreten, eine signifikante Geldsumme zu erhalten, die mit anderen Methoden erst nach einer sehr langen Periode hätte akkumuliert werden können. Überdies sind Lebensversicherungen langfristige Verträge, die komplexe finanzielle und versicherungsmathematische Komponenten enthalten und ein umsichtiges Investieren von signifikanten Ressourcen erfordern. Die Verfügbarkeit dieser Ressourcen wird dem Gegenseitigkeitsverein oder der Lebensversicherungsgesellschaft übertragen. Diese müssen die mathematisch berechneten Reserven sammeln und investieren, die notwendig sind, um die künftigen Zahlungen vorzunehmen, zu denen sie verpflichtet sind. Diese Beträge werden als „mathematisch" bezeichnet, weil sie das Resultat von Wahrscheinlichkeitsberechnungen hinsichtlich des Sterbens und Überlebens nach den Sterblichkeitstabellen sind, die für die meisten westlichen Gesellschaften äußerst verlässlich und konstant sind. Es ist möglich, mit einer so geringen Ruinwahrscheinlichkeit wie gewünscht den Geldbetrag zu berechnen, der notwendig ist, um alle garantierten Leistungen zu bezahlen. Im Weiteren werden wir die radikalen Unterschiede untersuchen, die zwischen einer Lebensversicherung und dem irregulären Depositenvertrag mit einer Teildeckung bestehen. Im Gegensatz zu einer Lebensversicherung erlaubt der irreguläre Depositenvertrag es nicht, Wahrscheinlichkeiten zu berechnen, weil diese Institution (das Teildeckungsbankwesen) nicht völlig unabhängig von den wiederkehrenden massiven Depositenabzügen besteht. Eine weitere Komplexität entsteht, weil einige Lebensversicherungsarten das Recht auf Rückkauf einschließen. Dies bedeutet, dass der Versicherungsnehmer seinen Vertrag auflösen und den mathematischen Liquidationswert seiner Police in bar erhalten kann. Viele Theoretiker haben die Position verteidigt, dass Versicherungspolicen, die diesen „Rückkaufwert" einschließen den irregulären Gelddepositenverträgen mit Teildeckung sehr ähnlich seien.227 Gegen diese Sicht ist es wichtig herauszustellen, dass die Frage, ob ein verstecktes Depositum irreguläre besteht oder nicht, letztlich von dem wahren Motiv oder Zweck oder der subjektiven Ursache abhängt, aus welcher der Vertrag vorgenommen wird. Wenn, wie es bei traditionellen Lebensversicherungspolicen gewöhnlich der Fall ist, der Kunde beabsichtigt, die Police bis zum Ende ihrer Laufzeit zu halten, und sich nicht darüber bewusst 227 Murray N. Rothbard, .Austrian Definitions of the Supply of Money", in New Directions in Austrian Economics, Louis M. Spadaro, Hrsg. (Kansas City: Sheed Andrews and McMeel, 1978), S. 143-56, vor allem S. 150-51. Rothbards Position ist jedoch vollkommen gerechtfertigt in Hinblick auf alle neuen „Lebensversicherungsoperationen", die ersonnen worden sind, Depositenverträge zu simulieren.
Das monetäre Depositum irreguläre
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ist, dass er die Gelder jederzeit einlösen kann, dann ist die Transaktion eindeutig kein Depositum irreguläre, sondern ein traditioneller Lebensversicherungsvertrag. Diese Art von Versicherung wird mit der Intention verkauft, dass der Rückkauf ein „letzter Ausweg" ist, eine Lösung, die nur in Situationen von drängender Not zur Anwendung kommt, wenn eine Familie völlig unfähig ist, weiterhin die Zahlungen für eine Police vorzunehmen, die für die Seelenruhe aller ihrer Mitglieder so notwendig ist. 228 Wir müssen jedoch anerkennen, dass der Großteil der Banken und anderer Finanzinstitutionen in jüngster Zeit einen beständigen Druck ausgeübt hat, die fundamentalen, traditionellen Unterschiede auszulöschen und die Grenzen zwischen Lebensversicherungen und Bankdepositenverträgen zu verwischen. 229 Echte Gelddepositenoperationen sind getarnt als Lebensversicherungspolicen am Markt entstanden. Als Hauptverkaufsargument wird den Kunden präsentiert, dass sie sich mit diesen Transaktionen nicht langfristigen, regelmäßige Zahlungen beinhaltenden Sparoperationen unterwerfen müssen, weil die der Versicherungsgesellschaft übergebenen Gelder jederzeit ohne Strafe und ohne jegliche Ausgabe zurückgenommen werden können (und dabei sogar Zinsen enthalten können). Ein Grund, warum Unternehmen diese Operationen als Lebensversicherungspolicen tarnen, ist es, dass sie von den üblichen Steuervorteilen profitieren wollen, die fast jeder Staat der entwickelten Welt Versicherungsgesellschaften gewährt. Dieser Vorteil wird gewährt in Anerkennung des positiven Einflusses der Versicherungen auf allen Ebenen der Gesellschaft als Förderer von freiwilligem Sparen und Vorsorge und damit auf ein nachhaltiges, nicht inflationäres wirtschaftliches Wachstum und die Entwicklung der Nation. Und so sind betrügerische „Lebensversicherungsoperationen" en masse abgeschlossen worden. Dabei handelt es sich wirklich um
228 Außerdem enthält der Rückkauf einer Versicherungspolice für gewöhnlich eine signifikante finanzielle Strafe für den Versicherungsnehmer. Diese Strafe resultiert daraus, dass die Versicherungsgesellschaft die hohen Akquisitionskosten amortisieren muss, die im ersten Jahr des Vertrages entstehen. Die Tendenz, diese Strafen zu reduzieren, ist ein klares Anzeichen dafür, dass diese Operation keine traditionelle Lebensversicherungspolice mehr ist, sondern zu einem simulierten Bankdepositum geworden ist. 229 Wie wir am Ende des 7. Kapitels sehen werden, spielte John Maynard Keynes, als er von 1921 bis 1938 der National Mutual Life Assurance Society, einer führenden britischen Lebensversicherungsgesellschaft, vorstand, eine Hauptrolle in der Korruption der traditionellen Prinzipien, welche die Lebensversicherung bestimmen. Während seines Vorsitzes brachte er nicht nur eine „aktive" Investitionspolitik voran, die sich stark variabel verzinsten Wertpapieren zuwandte (und sich damit von der Tradition der Investition in Anleihen abwandte), sondern er verteidigte auch ein unorthodoxes Kriterium zur Bewertung der Vermögenswerte (zum Marktwert) und sogar die Verteilung von Gewinnen an Versicherungsnehmer durch Boni, die durch nicht realisierte „Aktienmarktgewinne" finanziert werden sollten. Alle diese typischen keynesianischen Angriffe auf die traditionellen Versicherungsprinzipien brachten seine Gesellschaft in verzweifelte Engpässe, als der Aktienmarkt 1929 zusammenbrach und die Große Depression zuschlug. Als eine Folge begannen Keynes' Vorstandskollegen, seine Strategie und Entscheidungen zu hinterfragen. So kamen Meinungsverschiedenheiten unter ihnen auf und führten 1938 zu Keynes' Rücktritt. Denn er glaubte nicht, wie er es ausdrückte, dass „it lies in my power to cure the faults of the management and I am reluctant to continue to take responsibility for them". Vgl. John Maynard Keynes, The Collected Writings (London: Macmillan, 1983), Bd. 12, S. 47 und 114-54. Vgl. zudem Nicholas Davenport, „Keynes in the City", in Essays on John Maynard Keynes, hrsg. von Milo Keynes (Cambridge: Cambridge University Press, 1975), S. 24-25. Vgl. zudem Fußnote 601 in Kapitel 7.
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Die Versuche der juristischen Rechtfertigung des Teildeckungsbankwesens
nichts anderes als getarnte Depositen, mühelos von einer Öffentlichkeit hinterlegt, die der Vorstellung anhangen hat, dass ihr Geld jederzeit straffrei wieder zu erlangen wäre, wenn sie es brauchte oder einfach in einer anderen Finanzinstitution platzieren wollte. Dies hat eine Menge Verwirrung verursacht. Zum Beispiel sind Zahlen, die zu den Bankdepositen gehören (d. h. zu Operationen, die ohne jeden Bezug zu Lebensversicherungen stehen), in die offiziellen Statistiken der Lebensversicherungsprämien einbezogen worden; und inmitten der großen Verwirrung am Markt sind die traditionellen Lebensversicherungspolicen diskreditiert worden und ihre Definition ist unscharf geworden. 230 Glücklicherweise stellt sich wieder Normalität ein und sowohl die traditionellen privaten Versicherer als auch die öffentlichen Behörden beginnen zu erkennen, dass nichts die Lebensversicherung mehr schädigt als ein Verwischen der Unterschiede zwischen ihr und den Bankdepositen. Diese Verwirrung ist jedermann abträglich: der traditionellen Lebensversicherung, die viele ihrer Steuervorteile verloren hat und sich mit ansteigenden Interventionen und Kontrolle durch Zentralbanken und Geldpolitiker konfrontiert sieht; den Kunden, die im Glauben, eine Lebensversicherung abgeschlossen zu haben, Bankdepositen vornahmen und vice versa; den Banken, die in vielen Fällen Gelder von wahrhaftigen Depositen (getarnt als Lebensversicherungen) angelockt und mit ihnen versucht haben, langfristige Investitionen zu tätigen, was ihre Solvenz gefährdet; und schließlich die überwachenden öffentlichen Behörden, die nach und nach die Kontrolle über die Institution der Lebensversicherung verloren haben, eine Institution, deren Definition unscharf geworden und zu einem Großteil von einer anderen Institution (der Zentralbank) übernommen worden ist. Die Banken sind eine vollkommen andere Art von Institution, deren finanzielle und rechtliche Grundlagen, wie wir sehen werden, viel zu wünschen übrig lassen.
230 Kurzum war der scheinbare Boom bei den Lebensversicherungsverkäufen eine Illusion, weil die Zahlen eigentlich mit radikal verschiedenen Operationen, nämlich teilgedeckten Bankdepositen, korrespondierten. Diese Zahlen verlieren ihren Glanz gänzlich, wenn wir sie, anstatt sie traditionellen Lebensversicherungsverkäufen gegenüberzustellen (die viel bescheidener sind, weil sie einen Verzicht und ein langfristiges Bekenntnis zum Sparen und zur Vorsorge erfordern), mit der Summe aller Bankdepositen eines Landes vergleichen, von denen sie nur einen schmalen Prozentsatz ausmachen. Wenn nur authentische Lebensversicherungsverkäufe in die Sektorstatistiken einbezogen werden, relativiert sich die Situation wieder und das Trugbild, das von jedermann (und vor allem von der Regierung) angespannt beobachtet wurde, verschwindet.
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Der Kreditausweitungsprozess
Dieses Kapitel umfasst zusammen mit den fünf folgenden die Analyse der wirtschaftlichen Konsequenzen der Verletzung der dem irregulären Depositenvertrag inhärenten Rechtsprinzipien. Wir haben die rechtlichen und historischen Konsequenzen derartiger Verletzungen bereits in den Kapiteln 1, 2 und 3 untersucht und werden uns jetzt auf den Prozess konzentrieren, mit dem Banken Darlehen und Depositen aus dem Nichts schaffen, sowie auf die verschiedenen Implikationen, die dieser Prozess für die Gesellschaft hat. Die ernsthafteste Konsequenz der Kreditausweitung durch die Banken ist die folgende: In dem Ausmaß, in dem Darlehen ohne korrespondierende Deckung durch Ersparnisse gewährt werden, wird die reale Produktionsstruktur unvermeidlich verzerrt und wiederkehrende wirtschaftliche Krisen und Rezessionen sind die Folge. Wir werden die Zirkulationskredittheorie des Konjunkturwechsels darlegen und in Kapitel 7 dann kritisch die makroökonomischen Theorien des Monetarismus und Keynesianismus analysieren. Das vorletzte Kapitel enthält eine theoretische Studie des Zentralbankwesens und des Bankfreiheitssystems, das neunte Kapitel schließlich untersucht den Vorschlag einer Verpflichtung zur hundertprozentigen Reservedeckung im Bankwesen. 4.1
Einleitung
Die Erarbeitung einer ökonomischen Theorie des Geldes, der Banken und der Konjunkturzyklen ist eine relativ junge Entwicklung in der Geschichte der Ökonomie. Dieser Teil des ökonomischen Wissens ist den relevanten Ereignissen (der Entwicklung des Teildeckungsbankwesens und den wiederkehrenden Zyklen von Aufschwung und Rezession) und den korrespondierenden juristischen Untersuchungen mit einer großen Verzögerung gefolgt. Wie wir bereits gesehen haben, fanden das Studium der Rechtsprinzipien, die Analyse ihrer Schlupflöcher und Widersprüche, die Suche und Berichtigung ihrer logischen Unzulänglichkeiten etc. viel früher statt und lassen sich sogar bis zur klassischen römischen Rechtslehre zurückverfolgen. In jedem Fall und im Einklang mit der evolutionären Theorie der Institutionen (der rechtlichen, linguistischen und ökonomischen), nach der Institutionen in einem langwierigen historischen Prozess entstehen und eine enorme Menge an Informationen, Wissen und Erfahrung beinhalten, sind die Schlussfolgerungen, zu denen wir mittels unserer Analyse des monetären Bankdepositenvertrages in seiner heutigen Form gelangen, wenig überraschend. Diese Folgerungen unterstützen und decken sich im Großen und Ganzen mit den Schlussfolgerungen, die der Leser vielleicht schon (aus einer rein rechtlichen Sicht) in den vorangegangen Kapiteln gezogen hat. Unsere Analyse des Bankwesens wird sich auf das Studium des Gelddepositenvertrages beschränken, der in der Praxis bei den sogenannten Sichteinlagen, Spareinlagen und Termineinlagen zu Anwendung kommt, wann immer die letzten beiden de facto dem Kunden erlauben, das Guthaben jederzeit abzuheben. Folglich sind
120 Der Kreditausweitungsprozess von unserer Studie zahlreiche gegenwärtig von den Banken unternommene Aktivitäten ausgenommen, die in keiner Art mit dem monetären irregulären Depositenvertrag in Bezug stehen. Beispielsweise bieten moderne Banken ihren Kunden Dienstleistungen bei der Buchhaltung und Kassenfuhrung an. Zudem kaufen und verkaufen sie ausländische Währungen und folgen darin einer Geldwechslertradition, die bis auf die Entstehung der ersten Geldeinheiten zurückdatiert. Außerdem akzeptieren Banken Wertpapierdepositen, ziehen für ihre Klienten Dividenden und Zinsen von Wertpapieremittenten ein und informieren sie über z.B. über Kapitalerhöhungen und Hauptversammlungen dieser Gesellschaften. Weiterhin kaufen und verkaufen Banken für ihre Klienten Wertpapiere über Broker und bieten Bankschließfächer in ihren Niederlassungen an. Ebenso agieren Banken in vielen Fällen als echte Finanzintermediäre, indem sie Darlehen von ihren Kunden anwerben (unter der Bedingung, dass die Kunden sich bewusst sind, dass sie der Bank als Eigentümer von Anleihen, Zertifikaten oder echten „Termineinlagen" Darlehen gewähren) und diese Gelder dann dritten Parteien leihen. Auf diese Weise ziehen die Banken einen Gewinn aus dem Zinssatzdijferenzial zwischen dem Satz, den sie auf die von ihnen gewährten Darlehen empfangen, und dem, den sie ihren Kunden zahlen, die ihnen das Darlehen ursprünglich gewährt haben. Keine dieser Operationen ist ein monetäres Bankdepositum, eine Transaktion, die wir in den folgenden Abschnitten untersuchen werden. Wie wir sehen werden, repräsentiert dieser Vertrag zweifellos die bedeutsamste und vom wirtschaftlichen und sozialen Standpunkt aus wichtigste Operation, die Banken heute ausführen. Wie wir bereits dargelegt haben, liefert uns eine ökonomische Analyse des monetären Bankdepositenvertrages eine weitere Illustration von Hayeks tiefgründiger Einsicht: Immer wenn ein universelles Rechtsprinzip verletzt wird - entweder durch systematischen staatlichen Zwang, staatliche Privilegien oder bestimmten Gruppen oder Individuen verliehene Vorteile -, dann wird der spontane Prozess der sozialen Interaktion unvermeidlich und ernsthaft gehemmt. Diese Idee, parallel durch die Theorie der Unmöglichkeit des Sozialismus verfeinert, hat eine verbreiterte Anwendung erfahren. Während sie zunächst nur auf das System des sogenannten realen Sozialismus angewendet wurde, wird sie nun auch mit Teilen und Sektoren einer sozialen Marktwirtschaft assoziiert, in der systematischer Staatszwang oder die „verhasste" Billigung von Privilegien vorherrscht. Obzwar die ökonomische Analyse des Interventionismus mehr die Zwangsmittel des Staates zu betreffen scheint, ist sie nicht weniger relevant und aufschlussreich in Bezug auf solche Bereiche, in denen die traditionellen Rechtsprinzipien durch die Gewährung von Vergünstigungen und Privilegien an bestimmte Interessengruppen verletzt worden sind. In modernen Volkswirtschaften gibt es zwei Hauptbereiche, in denen dies geschieht. Der erste ist die Arbeitsgesetzgebung, die Arbeitsverträge und -beziehungen durch und durch reguliert. Diese Gesetze sind nicht nur die Basis für Zwangsmittel (es wird verhindert, dass die Parteien die Konditionen eines Arbeitsvertrages so aushandeln, wie sie es für richtig halten), sondern sie verleihen auch gewichtige Privilegien an Interessengruppen und erlauben diesen in vielfältiger Art und Weise, am Rande der traditionellen Rechts-
Einleitung
121
prinzipien zu agieren (wie es beispielsweise die Gewerkschaften tun). Der zweite Bereich, in dem sowohl Privilegien als auch institutioneller Zwang überwiegen, ist das allgemeine Feld des Geldes, des Bankwesens und der Finanzwelt, das den Schwerpunkt dieses Buches bildet. Obwohl beide Gebiete sehr wichtig sind und es daher dringend ist, dass beide theoretisch untersucht werden, um die notwendigen Reformen ein- und durchzuführen, ist die theoretische Analyse des institutionellen Zwangs und der Gewährung von Privilegien auf dem Arbeitsmarkt eindeutig weniger komplex. Als eine Folge davon hat sich das von der theoretischen Analyse des Arbeitsmarktes hervorgerufene Bewusstsein sehr schnell verbreitet und alle Ebenen der Gesellschaft sehr tief durchdrungen. Die diesbezüglichen Theorien sind detailliert ausgearbeitet worden und es wurde sogar ein breiter gesellschaftlicher Konsens bezüglich der Notwendigkeit und Richtung der Reformen erreicht. Demgegenüber bleibt die Sphäre des Geldes, des Bankkredits und der Finanzmärkte eine anspruchsvolle Herausforderung für die Theoretiker und ein Mysterium für die meisten Bürger. Die sozialen Beziehungen, in denen Geld direkt oder indirekt involviert ist, sind die bei Weitem abstraktesten und am schwierigsten zu verstehenden, und demzufolge ist das darauf bezogene Wissen das umfassendste, komplexeste und am schwersten zu erfassende. Aus diesem Grund ist der durch den Staat und die Zentralbanken in diesem Bereich ausgeübte systematische Zwang der abträglichste und verderblichste.231 Außerdem hat die unzureichende Formulierung der Geldund Banktheorie die Entwicklung der Weltwirtschaft negativ beeinflusst. Dies wird durch die Tatsache offensichtlich, dass sich die modernen Volkswirtschaften trotz theoretischer Fortschritte und der Bemühungen der Regierungen immer noch nicht von den wiederkehrenden Aufschwüngen und Rezessionen befreien konnten. Trotz aller Opfer, die zur Stabilisierung der westlichen Volkswirtschaften im Gefolge der Krise der 1970er-Jahre erbracht wurden, wurde die Banken- und Finanzwelt erst vor ein paar Jahren erneut von den gleichen unbesonnenen Fehlern geplagt. Demzufolge markierte der Beginn der 1990er-Jahre das unvermeidbare Auftreten einer neuen weltweiten wirtschaftlichen Rezession von beachtlicher Härte; der westlichen Welt ist es erst vor Kurzem gelungen, sich von ihr zu erholen. 232 Und 231 „Das funktionierende Geld- und Kreditsystem ist jedoch zusammen mit Sprache und Moral eine jener spontanen Ordnungen, die allen Bemühungen um zureichende theoretische Erklärung am beharrlichsten widerstanden, und nach wie vor Thema tiefgreifender Meinungsverschiedenheiten unter Kennern der Materie. ... Vielmehr wird in die Selektionsprozesse hier mehr als irgendwo sonst eingegriffen: Selektion durch Evolution wird durch Staatsmonopole verhindert, die wettbewerbliches Experimentieren unmöglich machen ... Die Geschichte staatlichen Umganges mit Geld ist, mit Ausnahme einiger kurzer glücklicher Perioden, eine Geschichte von unablässigem Lug und Trug. In dieser Hinsicht haben sich Regierungen als weit unmoralischer erweisen, als es je eine privatrechtliche Körperschaft hätte sein können, die im Wettbewerb mit anderen eigene Arten von Geld auf den Markt bringt." (Hayek, Die verhängnisvolle Anmaßung: Die Irrtümer des Sozialismus, S. 110- 112 [Hayek, The Fatal Conceit, S. 102-04]). 232 Es ist auch interessant zu bemerken, dass die Geld- und Finanzexzesse, die diese Krise hervorriefen, hauptsächlich auf die Politik zurückzuführen ist, die in den späten 1980er-Jahren von den angeblich neoliberalen Regierungen der Vereinigten Staaten und des Vereinigten Königreiches angewandt wurde. So hat beispielsweise Margaret Thatcher jüngst zugegeben, dass das Hauptwirtschaftsproblem ihrer Regierungszeit „on the .demand side' as money and credit expanded too rapidly and sent the prices of assets soaring" ihren Ursprung hatte. Vgl. Margaret Thatcher, The
122 Der Kreditausweitungsprozess vor nicht allzu langer Zeit (im Sommer 1997) verwüstete einmal mehr eine akute Finanzkrise die Hauptmärkte Asiens und drohte, sich auf den Rest der Welt auszubreiten. Ein paar Jahre später (seit 2001) rutschten die drei wirtschaftlichen Hauptzonen der Welt (die Vereinigten Staaten, Europa und Japan) gleichzeitig in eine Rezession ab. Der Zweck der ökonomischen Analyse des Rechts und der Regulierungen ist es zu untersuchen, welche Rolle Letztere im spontanen Prozess der sozialen Interaktion spielen. Unsere ökonomische Analyse des monetären Bankdepositenvertrages wird die Ergebnisse enthüllen, welche die Anwendung der traditionellen Rechtsprinzipien (einschließlich einer hundertprozentigen Reservepflicht) auf den monetären irregulären Depositenvertrag hat. Gleichzeitig wird sie Licht auf die zerstörerischen, unvorhergesehenen Konsequenzen werfen, die aus der Verletzung dieser Prinzipien folgen, indem Bankiers erlaubt wurde, Sichteinlagen im eigenen Interesse zu nutzen. Bis heute sind diese Effekte im Großen und Ganzen nicht beachtet worden. Wir werden nun sehen, wie es der Gebrauch der Sichteinlagen den Bankiers möglich macht, Bankdepositen (d.h. Geld) und im Gegenzug Darlehen (Kaufkraft, die zu den Darlehensnehmern, seien es Geschäftsleute oder Konsumenten, transferiert wird) aus dem Nichts zu schaffen. Diese Depositen und Darlehen resultieren nicht aus einem realen Anstieg in den freiwilligen Ersparnissen der sozialen Agenten. In diesem Kapitel werden wir uns auf die Untermauerung dieser Behauptung sowie einige ihrer Implikationen konzentrieren und in folgenden Kapiteln die ökonomischen Effekte der Kreditausweitung studieren (die Analyse der wirtschaftlichen Krisen und Rezessionen). Um dem Vorgehen der ersten Kapitel zu folgen, werden wir zunächst die Effekte aus einer ökonomischen und buchhalterischen Sicht im Falle des Darlehens- oder Mutuumvertrages betrachten. Auf diese Weise werden wir durch Vergleich besser die ökonomischen Wirkungen des essenziell verschiedenen monetären Bankdepositenvertrages verstehen können. 4.2
Die Rolle der Bank als ein wahrhaftiger Intermediär beim Darlehensvertrag
Zunächst werden wir annehmen, dass ein Bankier von einem Kunden ein Darlehen in Höhe von 1.000.000 Geldeinheiten (GE) erhält. Es besteht ein echter rechtlicher Darlehensvertrag, der vorschreibt, dass der Kunde die Verfügbarkeit über Downing Street Years (New York: HarperCollins, 1993), S. 668. Ferner folgte das Vereinigte Königreich im Bereich des Geldes und des Kredits lediglich dem verantwortungslosen Prozess, der in den Vereinigten Staaten während Reagans zweiter Regierungszeit initiiert worden war. Falls dies überhaupt möglich ist, so verdeutlichen diese Ereignisse noch eindringlicher die Wichtigkeit der Weiterentwicklung der Theorie, um andere politisch Verantwortliche (sogar solche mit marktwirtschaftlichen Ansichten) von den gleichen Fehlern, wie sie Reagan und Thatcher begingen, abzuhalten und es ihnen zu erlauben, die Art von Geld- und Bankensystem klar zu identifizieren, die für eine freie Gesellschaft angemessen ist; ein Punkt, bei dem viele Vertreter eines Laissezfaire noch merklich unsicher sind.
Die Rolle der Bank als ein wahrhaftiger Intermediär beim Darlehensvertrag
123
1.000.000 GE in Form von Gegenwartsgütern (Geld), die er hätte ausgeben oder für sich behalten können, aufgibt und dass er dies für eine Zeitperiode oder eine Laufzeit (das essenzielle Element jedes Darlehensvertrages) von einem Jahr tut. Im Austausch für diese Gegenwartsgüter verpflichtet sich der Bankier, nach einem Jahr eine größere Quantität zurückzugeben, als er ursprünglich erhalten hat. Wenn der vereinbarte Zinssatz 10 Prozent beträgt, dann wird der Bankier nach Ablauf des Jahres 1.100.000 Geldeinheiten zurückgeben müssen. Der folgende Buchungseintrag wird bei Erhalt des Darlehens vorgenommen: (1)
BankA Soll
1.000.000 GE
Haben Bargeld
(Zugang beim Kassenguthaben der Bank)
Darlehen erhalten
1.000.000 GE
(Zuwachs bei den Verbindlichkeiten)
Aus ökonomischer Sicht beinhaltet dieser Vertrag eindeutig einen einfachen Austausch von Gegenwartsgütern (deren Verfügbarkeit vom Darlehensgeber auf die Bank übertragen wird) gegen Zukunftsgüter (die Bank A sich einverstanden erklärt hat, dem Darlehensgeber am Endes des einen Jahres zu übergeben). Daher gibt es aus monetärer Sieht keine Veränderung. Eine gewisse Anzahl an Geldeinheiten hört auf, für den Darlehensgeber verfügbar zu sein, und wird der Bank (für eine vorher bestimmte Zeitperiode) verfügbar. Der Transfer der 1.000.000 GE findet ohne eine Veränderung in der Gesamtsumme der zuvor vorhandenen Geldeinheiten statt. Wir könnten den Eintrag (1) als die Grundbuchung ansehen, die am Tag des Vertragsabschlusses und der Übergabe der 1.000.000 Geldeinheiten vom Darlehensgeber an die Bank vorgenommen wird. Wir könnten ihn auch als die Bilanz von Bank A ansehen, die unmittelbar nach der Transaktion abgeschlossen wird, wobei auf der linken Seite (der Vermögensseite) 1.000.000 GE im Kassenguthaben stehen und auf der rechten Seite (Verbindlichkeitsseite) die gegenüber dem Darlehensgeber eingegangene Schuld in Höhe von 1.000.000 GE. Wir werden nun auch noch annehmen, dass Bank A diese Operation durchführt, weil ihre Manager planen, im Gegenzug ein Darlehen von 1.000.000 GE an Unternehmen Z zu geben, das dringend Geld benötigt, um seine Geschäfte zu finanzieren, und bereit ist, 15 Prozent Zinsen pro Jahr auf das Darlehen von 1.000.000 von Bank A zu zahlen. 233 Wenn Bank A das Geld an Unternehmen Z leiht, wird im Grundbuch von Bank A ein Eintrag vorgenommen, um den Abfluss von 1.000.000 GE aus der Kasse und die Schulden von Unternehmen Z an die Bank zu reflektieren, wobei der originäre Barvermögenswert ersetzt wird. Der Eintrag ist wie folgt:
233 Wir hätten genauso gut annehmen können, dass Bank A das Geld benutzt hätte, um einen Konsumentendarlehen oder auch kurzfristige Handelskredite zu gewähren, wie es geschieht, wenn Wechsel drei, fünf, neun oder zwölf Monate vor Fälligkeit diskontiert werden. Die Betrachtung dieser Benutzung ist für unsere Analyse jedoch irrelevant.
124 Der Kreditausweitungsprozess (2)
Bank A Soll
1.000.000 GE
Haben Darlehen gewährt
Bargeld
(Konto der Schuldner)
1.000.000 GE
(Abfluss aus dem Kassenguthaben)
In diesem Fall agiert Bank A eindeutig als ein echter Finanzintermediär. Ihre Manager erkennen und nutzen eine Geschäftsmöglichkeit.234 In der Tat sehen sie eine Gewinnchance, weil sich an einer Stelle des Marktes ein Darlehensgeber befindet, der bereit ist, ihnen Geld zu einem Zinssatz von 10 Prozent zu leihen, und an einer anderen Stelle Unternehmen Z bereit ist, ein Darlehen zu 15 Prozent aufzunehmen, was zu einer Gewinndifferenz von 5 Prozent führt. Mithin agiert die Bank als ein Intermediär zwischen dem ursprünglichen Darlehensgeber und Unternehmen Z. Ihre soziale Funktion besteht genau in dem Erkennen des existierenden Missverhältnisses oder des Koordinationsmangels (der ursprüngliche Darlehensgeber wollte sein Geld verleihen, konnte aber keinen kreditwürdigen Darlehensnehmer finden, der bereit war, es entgegenzunehmen, während Unternehmen Z dringend ein Darlehen von 1.000.000 GE benötigte und seine Manager nicht wussten, wo ein geeigneter Darlehensgeber zu finden war). Indem die Bank von dem einen ein Darlehen erhält und dem anderen ein Darlehen gewährt, befriedigt sie die subjektiven Bedürfnisse von beiden und erzielt einen reinen unternehmerischen Gewinn in der Form des Zinsdifferenzials von 5 Prozent. Am Ende des Jahres wird Unternehmen Z die 1.000.000 GE an Bank A zusammen mit den vereinbarten 15 Prozent Zinsen zurückgeben. Die Einträge sind wie folgt: (3)
Bank A Soll
Haben
1.000.000
Bargeld
Darlehen gewährt (Tilgung)
150.000
Bargeld
Zinsen erhalten von Unternehmen Z (Jahreseinnahmen)
1.000.000
150.000
Gleich darauf muss Bank A im Gegenzug den Vertrag in Ehren halten, den sie mit dem ursprünglichen Darlehensgeber abgeschlossen hat, und ihm die 1.000.000 GE zurückgeben, welche die Manager zusammen mit den 10 Prozent Zinsen versprochen haben zu zahlen. Die Einträge sind wie folgt:
234 Zur Essenz der unternehmerischen Funktion, die in der Entdeckung und Nutzung v o n Gewinnmöglichkeiten besteht, und zu dem resultierenden reinen unternehmerischen Gewinn vgl. Kapitel 2 von Huerta de Soto, Socialismo, cálculo económico y función empresarial, S. 41 - 8 6 .
Die Rolle der Bank als ein wahrhaftiger Intermediär beim Darlehensvertrag (4)
125
Bank A Soll
1.000.000
Haben Darlehen erhalten
Bargeld
1.000.000
Bargeld
100.000
(Tilgung) 100.000
Zinszahlung (Jahresausgaben)
Mit anderen Worten tilgt die Bank das Darlehen, erfasst den Abfluss aus ihrem Kassenguthaben der 1.000.000 GE, die sie zuvor von Unternehmen Z erhalten hat, und addiert dazu die Summe von 100.000 GE an vereinbarten Zinsen, die sie dem ursprünglichen Darlehensgeber zahlt (und die sie ebenfalls dem Kassenguthaben anlastet). In der Gewinn- und Verlustrechnung der Bank sind diese Zinsen als Kosten in der Form von im Laufe des Jahres geleisteten Zinszahlungen erfasst. Nach diesen Einträgen würde die Gewinn- und Verlustrechnung der Bank wie folgt aussehen: (5)
Bank A Gewinn- und Verlustrechnung (für das Beispieljahr) Aufwand (Soll)
Ertrag (Haben)
Gezahlte Zinsen
100.000
Jahresüberschuss
50.000
Summe Soll
150.000
Erhaltene Zinsen
150.000
Summe Haben
150.000
Diese Gewinn- und Verlustrechnung reflektiert den unternehmerischen Jahresgewinn von 50.000 GE - ein Jahresüberschuss, der in der Differenz zwischen den Jahreserträgen (150.000 GE in erhaltenen Zinsen) und Jahresaufwendungen (100.000 GE in gezahlten Zinsen) seinen Ursprung hat. Am Jahresende würde die Bilanz von Bank A wie folgt aussehen: (6)
Bank A Bilanz (Jahresende) Aktiva
Bargeld
Passiva 50.000
Eigenkapital
50.000
(Jahresüberschuss) Summe Aktiva
50.000
Summe Passiva
50.000
Wenn wir auf die Bilanz am Jahresende schauen, sehen wir, dass die Aktiva der Bank als Kassenguthaben die 50.000 GE umfassen, die mit dem Jahresüberschuss korrespondieren und bei den Passiva unter Eigenkapital (Stammvermögen und Bilanzgewinne) gebucht sind.
126 Der Kreditausweitungsprozess Die folgenden Punkte rekapitulieren unsere Beschreibung der Bankaktivität basierend auf dem Aufnehmen und Gewähren eines Darlehens oder Mutuums in Buchhaltungsbegriffen: Erstens gab der ursprüngliche Darlehensgeber für ein Jahr die Verfügbarkeit über 1.000.000 GE Gegenwartsgüter auf; zweitens wurde die Verfügbarkeit des Geldes für genau den gleichen Zeitraum auf Bank A übertragen; drittens entdeckte Bank A eine Gewinnmöglichkeit, weil ihre Manager einen Darlehensnehmer, das Unternehmen Z, kannten, der bereit war, einen höheren Zinssatz zu zahlen als deqenige, den die Bank sich zu zahlen verpflichtet hatte; viertens gewährte die Bank ein Darlehen an das Unternehmen Z und übergab daraufhin die Verfügbarkeit von 1.000.000 GE für ein Jahr; fünftens erhielt das Unternehmen Z die Verfügbarkeit von 1.000.000 GE für ein Jahr, um seine Geschäfte expandieren zu können; sechstens veränderte sich daher für den Zeitraum des einen Jahres die Anzahl der GE nicht, weil sie einfach vom ursprünglichen Darlehensgeber durch den Intermediär Bank A an das Unternehmen Z transferiert wurden; siebtens erwirtschaftete Unternehmen Z durch seine Aktivitäten einen Gewinn, der es ihm ermöglichte, eine Zinszahlung von 150.000 GE zu leisten (diese 150.000 GE stellen keine Geldschaffung dar, sondern sind schlicht durch die Verkäufe und Käufe von Unternehmen Z bedingt); achtens gab Unternehmen Z am Ende des Jahres 1.000.000 GE an Bank A zurück und Bank A zahlte dieselbe Summe zusammen mit 100.000 GE Zinsen an den ursprünglichen Darlehensgeber zurück; neuntens erwirtschaftete als eine Folge Bank A einen unternehmerischen Gewinn von 50.000 GE (die Differenz zwischen den Zinsen, die der ursprüngliche Darlehensgeber zahlte, und denen, die sie von Unternehmen Z erhielt) - einen reinen unternehmerischen Gewinn, der aus ihrer legitimen Geschäftsaktivität als Intermediär resultierte. Logischerweise hätte sich Bank A in ihrer Wahl von Unternehmen Z auch irren können. Sie hätte das beinhaltete Risiko oder die Fähigkeit von Unternehmen Z, das Darlehen zu tilgen und Zinsen zu zahlen, falsch einschätzen können. Mithin hängt der Erfolg der Aktivität der Bank in diesem Falle nicht nur vom erfolgreichen Abschluss der Operation mit Unternehmen Z ab, sondern auch davon, dass ihre eigene Verpflichtung (dem ursprünglichen Darlehensgeber die 1.000.000 GE plus Zinsen zurückzugeben) erst fällig wird, nachdem Unternehmen Z der Bank das Darlehen zusammen mit den 15 Prozent Zinsen zurückgezahlt hat. Auf diese Weise kann die Bank ihre Solvenz aufrechterhalten und unglückliche Vorfalle vermeiden. Trotzdem können Banken wie jede andere Unternehmung auch unternehmerische Fehler begehen. Beispielsweise könnte es Unternehmen Z unmöglich sein, den der Bank geschuldeten Betrag zurückzuzahlen, oder das Unternehmen könnte sogar seine Zahlungen einstellen oder bankrottgehen, was dann Bank A insolvent machen würde, weil sie unfähig wäre, das Darlehen zurückzuzahlen, das sie vom ursprünglichen Darlehensgeber erhalten hat. Indes ist dieses Risiko in keiner Weise von dem allen Unternehmungen inhärenten Risiko verschieden und kann relativ einfach durch Umsicht und Bedächtigkeit in den Geschäftsaktivitäten der Bank verringert werden. Zudem bleibt die Bank für die Operationsdauer (während des Jahres) völlig solvent und hat keine Liquiditätsprobleme, weil sie keine
Die Rolle der Bank beim monetären Bankdepositenvertrag
127
Verpflichtung zu Bargeldzahlungen hat, solange der Darlehensvertrag mit dem ursprünglichen Darlehensgeber in Kraft bleibtPb
4.3
Die Rolle der Bank beim monetären Bankdepositenvertrag
Die ökonomischen Tatbestände und Bilanzierungspraktiken beim monetären Bankdepositenvertrag unterscheiden sich substanziell von denjenigen im vorangehenden Abschnitt, dem Darlehen oder Mutuum. (Wir haben uns zunächst den Darlehensvertrag vorgenommen, um die grundlegenden Unterschiede zwischen den beiden Verträgen durch den Vergleich besser illustrieren zu können.) Im Falle eines regulären (oder versiegelten) Depositums einer bestimmten Anzahl von eindeutig und individuell markierten Geldeinheiten braucht die das Depositum empfangende Person überhaupt nichts unter Aktiva oder Passiva zu erfassen, weil keine Übertragung von Eigentum stattgefunden hat. Wie unser Studium der rechtlichen Grundlage des irregulären (oder offenen) Depositenvertrages enthüllt hat, repräsentiert dieser zweite Vertrag jedoch ein Depositum von fungiblen Gütern, bei denen es unmöglich ist, zwischen den individuellen deponierten Einheiten zu unterscheiden und daher in einem gewissen Sinne eine Übertragung des „Eigentums" stattfindet. Es liegt eine Übertragung vor, da in einem strikten Sinne der Depositar nicht verpflichtet ist, genau dieselben Einheiten zurückzugeben, die er erhalten hat (was auch durch die Schwierigkeit der genauen Identifizierung der entgegengenommenen Einheiten des fungiblen Gutes unmöglich wäre), sondern andere der gleichen Quantität und Qualität (das Tantundem). Obwohl eine Eigentumsübertragung stattfinden könnte, wird die VerßXgbarkeit trotzdem nicht an den Depositar übertragen, weil dieser beim irregulären Depositenvertrag verpflichtet ist, beständig das Tantundem des Depositums sicher aufzubewahren und daher für den Deponenten immer Einheiten der gleichen Quantität und Qualität wie die ursprünglich deponierten verfügbar halten muss (obwohl sie nicht dieselben spezifischen Einheiten sein müssen). Daher liegt die einzige Rechtfertigung, die ein Depositar dafür hat, einen Depositenvertrag in seiner Buchhaltung aufzuführen, in der Eigentumsübertragung begründet, die das Depositum irreguläre mit sich bringt; indes ist es wichtig hervorzuheben, dass angesichts des extrem engen Sinnes, in dem eine Eigentumsübertragung vorliegt (so ist von einer Übertragung der Verfügbarkeit nicht zu reden), diese Informationen höchstens in reinen „Notizbüchern" zu bloßen 235 Murray N. Rothbard schreibt in Bezug auf die Rolle der Banken als echte Intermediäre zwischen originären Darlehensgebern und den endgültigen Darlehensnehmern: ,,[t]he bank is expert on where its loans should be made and to whom, and reaps the reward of this service. Note that there has still been no inflationaiy action by the loan bank. No matter how large it grows, it is still only tapping savings from the existing money stock and lending that money to others. If the bank makes unsound loans and goes bankrupt, then, as in any kind of insolvency, its shareholders and creditors will suffer losses. This sort of bankruptcy is little different from any other: unwise management or poor entrepreneurship will have caused harm to owners and creditors. Factors, investment banks, finance companies, and money-lenders are just some of the institutions that have engaged in loan banking." (Murray N. Rothbard, The Mystery of Banking [New York: Richardson and Snyder, 1983], S. 84-85).
128 Der Kreditausweitungsprozess Informationszwecken erfasst werden. Stellen wir uns vor, wir wären durch die Zeit bis in die Anfänge des Teildeckungsbankwesens zurückgereist und ein Deponent, Herr X, entschlösse sich, 1.000.000 GE in der Bank A zu deponieren (oder, wem das lieber ist, irgendeine Person heute entschließt sich, ein Bankkonto zu eröffnen und bei einer Bank 1.000.000 GE zu deponieren). Dieser zweite Fall beinhaltet einen echten Depositenvertrag, wenngleich einen irregulären angesichts der fungiblen Natur des Geldes. In anderen Worten: Die grundlegende Ursache oder der Zweck des Depositenvertrages ist der Wunsch des Deponenten X, dass Bank A die 1.000.000 GE für ihn sicher aufbewahrt. Herr X glaubt, dass er trotz der Eröffnung des Bankkontos die unmittelbare Verfügbarkeit der 1.000.000 GE behält und sie jederzeit für jeden Nutzen, der ihm vorschwebt, abziehen kann, weil er eine „Sichteinlage" vorgenommen hat. Aus ökonomischer Sicht sind die 1.000.000 GE dem Herrn X in Gänze jederzeit verfügbar und tragen mithin zu seinem Geldvorrat bei; das heißt: Obwohl die Geldeinheiten in der Bank A deponiert wurden, bleiben sie aus subjektiver Sicht Herrn X genauso verfügbar, als wenn er sie in seiner Geldbörse trüge. Die korrespondierenden Einträge zu diesem Depositum irreguläre lauten wie folgt: (7)
BankA Soll
1.000.000
Haben Bargeld
Sichteinlagen
1.000.000
(vorgenommen von Herrn X) (Dies sollte ein reiner Notizbueheintrag sein)
Wir sehen, dass die Referenzeinträge nur die Informations- oder Notizbücher beeinflussen sollten, obwohl Bank A das Recht hat, diesen Buchungseintrag vorzunehmen (zumal sie der Eigentümer der Geldeinheiten wird und diese in ihren Tresoren aufbewahrt, ohne sie von anderen zu trennen). Dies ist darauf zurückzuführen, dass das Eigentum der Geldeinheiten, obwohl es der Bank übertragen worden ist, nicht in Gänze transferiert wurde, sondern ganz und gar eingeschränkt bleibt in dem Sinne, dass Deponent X noch immer die volle Verfügbarkeit der Geldeinheiten innehat. Abgesehen von dieser letzten Beobachtung ist bis jetzt aus ökonomischer oder buchhalterischer Sicht nichts Ungewöhnliches vorgefallen. Ein Herr X hat ein Depositum irreguläre von Geld bei der Bank A vorgenommen. Bis jetzt hat dieser Vertrag nicht zu einer Änderung der existierenden Geldmenge geführt, die weiterhin 1.000.000 Geldeinheiten beträgt und Herrn X verfügbar bleibt, der sie zu seiner eigenen Annehmlichkeit in der Bank A deponiert hat. Vielleicht ist die Deponierung des Geldes bequem für Herrn X, weil er möchte, dass sein Geld besser aufbewahrt wird und die Gefahren vermieden werden, denen das Geld in seinem eigenen Haus ausgesetzt wäre (Diebstahl und Verlust), und weil er von der Bank Dienstleistungen bei der Kassenführung und dem Zahlungsverkehr erhält. Auf diese Weise vermeidet es Herr X, das Geld in seiner Geldbörse tragen zu müssen; er kann einfach Zahlungen vornehmen, indem er eine Summe auf einen Scheck
Die Rolle der Bank beim monetären Bankdepositenvertrag
129
schreibt; und er kann die Bank instruieren, ihm jeden Monat einen Auszug aller durchgeführten Operationen zu schicken. Diese Bankdienstleistungen sind alle sehr wertvoll und rechtfertigen die Entscheidung von Herrn X, sein Geld in der Bank A zu deponieren. Des Weiteren ist es vollkommen berechtigt, dem Deponenten diese Dienstleistungen zu berechnen. Wir werden nun annehmen, dass der vereinbarte Preis für die Dienstleistungen 3 Prozent der deponierten Menge pro Jahr ist (die Bank könnte auch einen Festpreis ohne Bezug zur deponierten Menge berechnen, aber zu Illustrationszwecken werden wir annehmen, dass die Dienstleistungskosten von dem ganzen deponierten Betrag abhängen); mit dieser Summe kann die Bank ihre Betriebskosten decken und auch eine kleine Gewinnmarge realisieren. Wir nehmen an, dass die Betriebskosten 2 Prozent der deponierten Geldmenge betragen und die Bank einen Gewinn von 1 Prozent pro Jahr oder 10.000 GE erzielen wird. Falls Herr X seine jährliche Gebühr (30.000) in bar bezahlt, würden die folgenden Buchungseinträge aus den oben erwähnten Leistungen resultieren: (8)
Bank A Soll
30.000
Haben Bargeld
Betriebskosten, die die Bank zahlt, um ihre Dienstleistungen anzubieten
20.000
Einnahmen von Kunde X als Zahlung für Dienstleistungen
30.000
Bargeld
20.000
Am Jahresende würden die Gewinn- und Verlustrechnung und die Bilanz von Bank A wie folgt aussehen: (9)
Bank A Gewinn- und Verlustrechnung (für das Beispieljahr) Aufwand (Soll)
Ertrag (Haben)
Betriebskosten
20.000
Jahresüberschuss
10.000
Summe Soll
30.000
Einkommen aus Dienstleistungen
30.000
Summe Haben
30.000
Bilanz (Jahresende) Aktiva Bargeld
Summa Aktiva
Passiva 1.010.000
1.010.000
Eigenkapital (Jahresüberschuss)
10.000
Sichteinlagen
1.000.000
Summe Passiva
1.010.000
Wie wir sehen können, enthalten die ökonomischen Vorgänge oder Bilanzierungspraktiken, die aus dem monetären irregulären Depositenvertrag resultieren, nichts Ungewöhnliches oder Überraschendes. Die Bank hat einen kleinen, legitimen Gewinn erwirtschaftet, der in ihrer Rolle als Anbieter von Dienstleistungen begründet
130 Der Kreditausweitungsprozess ist, die vom Kunden mit 30.000 GE bewertet wurden. Des Weiteren gab es keine Veränderung der Geldmenge und das Kassenguthaben der Bank ist nach allen Transaktionen nur um 10.000 GE angestiegen. Dieser Betrag korrespondiert mit dem reinen unternehmerischen Gewinn, den die Bank durch die Differenz zwischen den Preisen, die der Kunde für die Dienstleistungen bezahlt (30.000 GE), und den Betriebskosten ihrer Bereitstellung (20.000 GE) erzielt. Schließlich braucht der Deponent kein zusätzliches Entgelt nachzufragen, wie es beim radikal verschiedenen Darlehensvertrag der Fall ist, vertraut er doch darauf, dass ihm das in Bank A deponierte Geld ständig verfügbar ist - eine Situation, die gleich oder sogar besser ist, als wenn er das Geld in seiner eigenen Geldbörse oder zu Hause aufbewahren müsste. Der Darlehensvertrag fordert vom Darlehensgeber, die Verfügbarkeit über 1.000.000 GE von Gegenwartsgütern aufzugeben (in anderen Worten: zu leihen) und auf den Darlehensnehmer zu übertragen - im Austausch für die korrespondierenden Zinsen und die Tilgung der Schuld ein Jahr später. 236 4.4 Die durch die Nutzung der Sichteinlagen durch die Banken hervorgerufenen Effekte: der Fall einer einzelnen Bank Wie wir im zweiten Kapitel gesehen haben, wurden Bankiers dennoch bald dazu verleitet, die traditionellen Verhaltensregeln zu verletzen, die von ihnen verlangten, den Deponenten das Tantundem der irregulären Gelddepositen beständig verfügbar halten; und wir haben gesehen, dass sie schließlich zumindest einen Teil der Sichteinlagen für ihren eigenen Gewinn nutzten. Im dritten Kapitel berichteten wir von Saravia de la Calles Kommentaren zu dieser menschlichen Versuchung. An dieser Stelle müssen wir betonen, wie unermesslich und beinahe unwiderstehlich diese Versuchung angesichts der gewaltigen Gewinne ist, die aus ihrem Nachgeben resultieren. Als die ersten Bankiers das Geld ihrer Deponenten zu nutzen begannen, geschah dies so beschämt und im Geheimen, wie wir es im zweiten Kapitel bei der Analyse von verschiedenen historischen Fällen gezeigt haben. Zu dieser Zeit waren sich die Bankiers der unrechtmäßigen Natur ihres Handels noch sehr genau bewusst. Erst später, nach vielen Jahrhunderten und Wechselfällen, waren die Bankiers mit ihrem Ziel erfolgreich, ganz offen und legal die traditionellen Rechtsprinzipien verletzen zu können, weil sie zu ihrer Freude die Regierungsprivilegien erhielten, die zur Nutzung des Deponentengeldes erforderlich sind (die Nutzung erfolgte im Allgemeinen durch die Gewährung von Darlehen, die anfangs
236Mises, Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel, (1924, S. 272) bietet diese Erklärung an: „Darum schätzt er auch die Forderung, welche er im Austausch für die Geldsumme erhält, nicht anders ab, ob er sie früher, später oder überhaupt niemals einzieht, und nur darum kann er, ohne sein wirtschaftlichen Interessen zu schädigen, derartige Forderungen gegen die Hingabe von Geld erwerben, ohne eine Vergütung für eine aus einer - eben nicht vorhandenen - Zeitdifferenz zwischen Leistung und Gegenleistung herrührende Wertungleichheit zu fordern."
Die durch die Nutzung der Sichteinlagen durch die Banken hervorgerufenen Effekte
131
den Regierungen selbst zu kamen.)237 Wir werden nun die Art betrachten, mit der die Bankiers die Aneignung der Sichteinlagen in ihren Büchern buchhalterisch erfassen. Unsere Studie beginnt mit dem Fall einer einzelnen Bank und wird später auf das Bankensystem als Ganzes ausgedehnt. 4.4.1 Die kontinentale Bilanzierung
Zwei Bilanzierungssysteme, das kontinentale und das angelsächsische, sind traditionell dazu verwendet worden, die von uns studierten Phänomene zu dokumentieren. Das kontinentale System basiert auf der falschen Ansicht, dass der irreguläre Depositenvertrag für den Deponenten ein echter Depositenvertrag, jedoch für den Bankier ein Darlehens- oder Mutuumvertrag sei. In diesem Falle macht Herr X eine „Sichteinlage" von 1.000.000 GE in der Bank A und Bank A nimmt das Geld nicht als Depositum entgegen, sondern als Darlehen zum freien Gebrauch unter der Annahme, dass der Deponent sich weder dieses Gebrauchs bewusst ist noch durch ihn betroffen ist. Weiterhin geht die Bank, während sie nur einen Teil der Depositen als Sicherheitsreserve verfügbar hält, davon aus, dass sie den Wünschen der Deponenten auf Abhebung entsprechen kann. Diese Erwartungen sind besonders deshalb stark, weil es unter normalen Umständen äußerst unwahrscheinlich ist, dass Kunden versuchen werden, einen Betrag abzuziehen, der die Sicherheitsmarge oder die Reservedeckung übersteigt. Die Erfahrung scheint dies zu bestätigen und das Vertrauen, das die Bank über Jahre hinweg durch das ordnungsgemäße Verwahren der Kundendepositen erworben hat, trägt zu der Unwahrscheinlichkeit einer derartig misslichen Lage ebenso bei wie der Ausgleich vieler Rückforderungen durch die Eröffnung neuer Depositen. Wenn wir annehmen, dass der Bankier eine zehnprozentige Sicherheitsreserve (auch „Reservekoeffizient" genannt)
237 Stephen Horwitz behauptet, dass die Entwendung des Deponentengeldes durch die Bankiers begonnen habe als „an act of true entrepreneurship as the imaginative powers of individual bankers recognized the gains to be made through financial intermediation". Aus den im Haupttext genannten Gründen sehen wir diese Aussage als äußerst gefährlich an. Außerdem findet, wie wir sehen werden, bei der Aneignung der Sichteinlagen keine Finanzintermediation statt. Bei dem angeblich „lobenswerten" Akt „unternehmerischer Kreativität" sehen wir nicht, wie dieser überhaupt von dem „kreativen Unternehmertum" einer jeden kriminellen Handlung unterschieden werden könnte, bei der die Vorstellungskraft des Verbrechers diesen zu der „unternehmerischen Entdeckung" führt, dass er durch den Betrug anderer oder durch die gewaltsame Entwendung ihres Eigentums einen Nutzen hat. Vgl. Stephen Horwitz, Monetary Evolution, Free Banking, and Economic Order (Oxford und San Francisco: Westview Press, 1992), S. 117. Vgl. zudem Gerald P. O'Driscoll, „An Evolutionary Approach to Banking and Money", Kapitel 6 in Hayek, Co-ordination and Evolution: His Legacy in Philosophy, hrsg. von Jack Birner und Rudy van Zijp (London: Routledge, 1994), S. 126-37. Vielleicht war Murray N. Rothbard der heftigste und am besten verständliche Kritiker der Horwitz'schen These. Rothbard schreibt: „[a]ll men are subject to the temptation to commit theft or fraud. ... Short of this thievery, the warehouseman is subject to a more subtle form of the same temptation: to steal or „borrow" the valuables „temporarily" and to profit by speculation or whatever, returning the valuables before they are redeemed so that no one will be the wiser. This form of theft is known as embezzlement, which the dictionary defines as .appropriating fraudulently to one's own use, as money or property entrusted to one's care'." (Rothbard, The Mystery of Banking, S. 90) Für weitere Ausfuhrungen zur Begründung, warum obiges Verhalten rechtlich als ein krimineller Akt der Veruntreuung klassifiziert werden sollte, vgl. Kapitel 1.
132 Der Kreditausweitungsprozess als ausreichend erachtet, um mögliche Wünsche von Depositenabzügen zu befriedigen, dann hätte er die anderen 90 Prozent der Sichteinlagen oder 900.000 GE zur Verfügung, um sie zu seinem eigenen Gewinn zu nutzen. Unter Verwendung des europäischen Buchhaltungssystems würde dieses ökonomische Ereignis auf folgende Art repräsentiert werden: 238 Wenn Herr X die Sichteinlage deponiert, wird eine Buchung identisch mit der Nummer (7) vorgenommen. Jedoch kann diese dieses Mal nicht als ein Notizbucheintrag betrachtet werden. (10)
BankA Soll
1.000.000
Haben Bargeld
Sichteinlagen (vorgenommen von Herrn X)
1.000.000
Sobald die Bank der Versuchung nachgegeben hat, sich den Großteil des Tantundems anzueignen (das sie dem Deponenten in bar verfügbar halten sollte), wird die folgende Buchung vorgenommen: (11)
BankA Soll
900.000
Haben Darlehen an Z
Bargeld
900.000
In dem Augenblick, in dem sich der Bankier des Geldes bemächtigt und es an Z leiht, geschieht ein ökonomisches Ereignis von höchster Wichtigkeit: 900.000 GE werden ex nihilo bzw. aus dem Nichts geschaffen. In der Tat war das grundlegende Motiv von Herrn X bei der Deponierung der Sichteinlagen von 1.000.000 GE die Bewachung und sichere Aufbewahrung des Geldes und er glaubt aus gutem Grunde subjektiv, dass er die vollständige Verfügbarkeit des Geldes behält, genauso verfügbar, als wenn er es in seiner Geldbörse gehabt hätte, und in einem gewissen Sinne sogar besser. Eigentlich hat Herr X noch 1.000.000 GE in bar, gerade so, als ob das Geld physisch „in seinem Besitz" wäre, da es ihm nach dem von ihm abgeschlossenen Vertrag vollständig verfügbar ist. Aus ökonomischer Sicht besteht kein Zweifel, dass die 1.000.000 von Herrn X in Bank A deponierten Geldeinheiten weiterhin zu seinem Geldvorrat zählen. Wenn sich jedoch die Bank der 900.000 GE aus den Depositen bemächtigt und sie an Z leiht, dann wird simultan zusätzliche Kaufkraft aus dem Nichts geschaffen und an den Darlehensnehmer Z transferiert, der die 900.000 GE erhält. Es ist klar, dass sich Z sowohl subjektiv als auch objektiv der vollen Verfügbarkeit der 900.000 GE erfreut, und zwar von dem
238 Die Beschreibung der verschiedenen Bilanzierungssysteme (das englische und das kontinentale) und wie sie letztlich die identischen wirtschaftlichen Folgen hervorbringen, findet sich in F. A. Hayek, Geldtheorie und Konjunkturtheorie (Salzburg: Wolfgang Neugebauer, 2. erw. Aufl., 1976), S. 85 ff.
Die durch die Nutzung der Sichteinlagen durch die Banken hervorgerufenen Effekte 133 Zeitpunkt an, in dem diese Geldeinheiten an ihn transferiert werden. 239 Daher hat es einen Anstieg des im Umlauf befindlichen Geldes gegeben infolge der simultanen Überzeugung, die zwei unterschiedliche ökonomische Agenten aus gutem Grunde hatten: Der eine denkt, er hätte 1.000.000 GE zu seiner Verfügung, und der andere glaubt, er könnte über 900.000 GE verfügen. In anderen Worten führt die Aneignung der 900.000 GE aus den Sichteinlagen durch die Bank zu einem Anstieg in Höhe von 900.000 GE in den summierten am Markt existenten Geldbilanzen. Im Gegenteil dazu involviert der vorher behandelte Darlehens- oder Mutuumvertrag kein solches Vorkommnis. Wir sollten außerdem den Ort des im Markt existenten Geldes zum Zeitpunkt der Depositenaneignung durch den Bankier betrachten. Die Anzahl der Geldeinheiten im Markt ist eindeutig auf 1.900.000 angestiegen, wenngleich diese Einheiten in unterschiedlicher Form existieren. Wir sagen, dass es 1.900.000 GE gibt, weil die verschiedenen ökonomischen Agenten subjektiv glauben, dass sie 1.900.000 GE für Tauschgeschäfte im Markt zu ihrer Verfügung haben, und weil Geld aus allen allgemein akzeptierten Tauschmitteln besteht. Nichtsdestoweniger verändert sich die Form des Geldes: Der Darlehensnehmer Z besitzt es in einer anderen Form als Herr X, der das Depositum vorgenommen hat. In der Tat verfügt Z über 900.000 physische Geldeinheiten (die wir Sachgeld oder, heutzutage, Papiergeld oder Zeichengeld nennen würden), wohingegen Deponent X ein Bankkonto besitzt, das ein Depositum von 1.000.000 GE beinhaltet. In Anbetracht der Tatsache, dass die Bank 100.000 GE als eine Sicherheitsreserve oder Reservedeckung in ihrem Tresor behalten hat, ist die Differenz zwischen den 1.900.000 GE und den in physischer Form existenten 1.000.000 GE dem Geldbetrag gleich, den die Bank aus dem Nichts geschaffen hat. (Die gesamte Geldmenge von 1.900.000 GE minus den 900.000 GE im Besitz von Z und den 100.000 physischen Geldeinheiten im Tresor der Bank sind 900.000 GE, die nirgendwo physisch existieren.) Da diesem Geld die korrespondierende Deckung fehlt und es durch das Vertrauen von Deponent X in die Bank existiert, wird es „fiduciaiy money" (oder besser „fiduciary media" [Anmerkung des Übersetzers: „fiduciary media" ist eine Übersetzung des von Mises benutzten deutschen Begriffs „Umlaufsmittel", spiegelt aber besser als dieser die Notwendigkeit des Vertrauens für die Existenz dieser Art Geld wieder]). Es ist wichtig zu betonen, dass im Grunde Sichteinlagen wie physische Einheiten sind, d.h., dass sie vollkommene Geldsurrogate sind. Der Deponent kann sie benutzen, um jederzeit Zahlungen durch die Ausstellung eines Schecks vornehmen, auf den
239 Geld ist der einzige vollkommen liquide Vermögenswert. Das Versäumnis der Bank, eine hundertprozentige Reservedeckung zu erfüllen, führt zu einer emsthaften ökonomischen Situation, in der zwei Menschen (der originäre Deponent und der Darlehensnehmer) simultan glauben, dass sie nach Belieben dieselbe vollkommen liquide Summe von 900.000 GE benutzen können. Es ist logisch unmöglich, dass zwei Personen gleichzeitig dasselbe vollkommen liquide Gut (Geld) besitzen (oder vollständig zu ihrer Verfugung haben). Dies ist das grundlegende ökonomische Argument hinter der rechtlichen Undurchführbarkeit des irregulären Gelddepositenvertrages mit einer Teildeckung. Es erklärt auch, dass diese „rechtliche Verirrung" (in den Worten von demente de Diego), wenn sie durch den Staat (in der Form eines der Bank gewährten Privilegs, eines „ius Privilegium") eingeführt wird, die Schaffung von neuem Geld (900.000 GE) beinhaltet.
134
Der Kreditausweitungsprozess
er die Summe schreibt, die er zu zahlen wünscht, und damit die Bank zu dieser Zahlung anweist. Der Anteil dieser vollkommenen Geldsurrogate oder Sichteinlagen, der nicht gänzlich durch physische Geldeinheiten in den Tresoren der Bank gedeckt ist (die 900.000 GE, die in unserem Beispiel nicht durch Reserven gedeckt sind), werden Umlaufsmittel genannt. 240 Die Sichteinlagen, die durch die Barreserven bei der Bank gedeckt sind (100.000 GE in unserem Beispiel), werden auch primäre Depositen genannt, während der nicht durch die Bankreserven gedeckte Anteil der Sichteinlagen (Umlaufsmittel) auch sekundäre Depositen oder derivative Depositen genannt wird. 241 Sobald die Banken einmal das Rechtsprinzip verletzt hatten, dass sich niemand das bei ihm zur sicheren Aufbewahrung hinterlegte Depositum aneignen darf, und damit aufgehört hatten, hundert Prozent des Tantundems zu bewahren, war es für sie nur logisch zu versuchen, dieses Vorgehen zu rechtfertigen und mit dem Argument zu verteidigen, dass sie eigentlich das Geld empfangen hätten, als sei es ein Darlehen. In der Tat ist, wenn ein Bankier das erhaltene Geld als Darlehen betrachtet, nichts Verwerfliches an seinem Verhalten; und aus der im vorangehenden Abschnitt beschriebenen ökonomischen und buchhalterischen Sicht übernimmt er nur die legitime und notwendige Rolle des Intermediärs zwischen Darlehensgeber und Darlehensnehmer. Dennoch entsteht hier eine grundlegende Differenz: Das Geld wird der Bank nicht als Darlehen, sondern als Depositum übergeben. In anderen Worten: Als Herr X sein Depositum vornahm, hatte er nicht die geringste Absicht, die Verfügbarkeit der Gegenwartsgüter im Tausch gegen eine etwas größere Anzahl von Zukunftsgütern (unter Berücksichtigung der Zinsen) aufzugeben. Stattdessen war es sein einziger Wunsch, die Bewachung und sichere Aufbewahrung seines Geldes zu verbessern und andere periphere Dienstleistungen (der Kassenführung und der Buchhaltung) zu erhalten und dabei zu jeder Zeit die volle, unveränderte Verfügbarkeit des Tantundems zu behalten. Genau diese 240 „Bleibt die Deckung der Geldsurrogate in Geld hinter dem Betrag der ausgegebenen Geldsurrogate zurück, so nennen wir den Betrag der Geldsurrogate, der den Deckungsfonds übersteigt, Umlaufsmittel." Mises, Nationalökonomie, S. 393. Mises stellt klar, dass es im Allgemeinen nicht möglich ist zu bestimmen, ob ein bestimmtes Geldsurrogat ein Umlaufsmittel ist oder nicht. Wenn wir einen Scheck ausstellen, wissen wir nicht (da uns die Bank darüber nicht direkt informiert), welcher Anteil der Schecksumme durch physische Geldeinheiten gedeckt ist. Folglich wissen wir aus ökonomischer Sicht nicht, welcher Anteil des Geldes, das wir bezahlen, ein Umlaufsmittel ist und welcher Anteil mit physischen Geldeinheiten korrespondiert. 241 Diese Terminologie ist als Folge von Chester Arthur Phillips' mittlerweile klassischem Werk die verbreitetste. Phillips schreibt: „a primary deposit is one growing out of a lodgement of cash or its equivalent and not out of credit extended by the bank in question ... derivative deposits have their origins in loans extended to depositors ... they arise directly from a loan, or are accumulated by a borrower in anticipation of the repayment of a loan." (Bank Credit: A Study of the Principles
and Factors
Underlying
Advances Made by Banks to Borrowers [New York: Macmillan, [1920] 1931], S. 34 und 40) Dennoch müssen wir einen kleinen Einspruch gegen Phillips' Definition der „derivativen Depositen" als Darlehen entspringende Depositen erheben. Obgleich Darlehen die häufigste Ursache von derivativen Depositen sind, werden sie gerade in dem Augenblick geschaffen, in dem sie - entweder zur Darlehensvergabe oder aus irgendeinem anderen Grund - von der Bank benutzt werden, was sie ipso facto in Umlaufsmittel oder derivative Depositen verwandelt Zu diesem Thema vgl. Richard H. Timberlake, „A Reassessment of C. A. Phillips's Theory of Bank Credit", History of Political Economy 20 no. 2 (1988): 299-308.
Die durch die Nutzung der Sichteinlagen durch die Banken hervorgerufenen Effekte
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Abwesenheit eines Tausches von Gegenwartsgütern gegen Zukunftsgüter ist es, was uns anzeigt, dass wir mit einem völlig verschiedenen ökonomischen Vorgang konfrontiert sind, ein Vorgang, der die Schaffung von 900.000 GE Umlaufsmittel oder derivative Depositen er nihilo beinhaltet, sobald die Bank neunzig Prozent des Geldes in ihrem Tresor verleiht. Außerdem ist es wichtig, folgendes eindeutig zu verstehen: Wenn die Bank das Geld nutzt, um Z ein Darlehen zu gewähren, wie wir es in unserem Beispiel angenommen haben und es auch gewöhnlich geschieht, dann enthält dieses Darlehen einen Tausch von Gegenwartsgütern gegen Zukunftsgüter, obwohl es nirgendwo im Markt durch einen notwendigen, vorhergehenden Anstieg von 900.000 GE in den freiwilligen Ersparnissen gedeckt wird. In der Tat schafft die Bank aus dem Nichts Geld und leiht es Z in der Form von Gegenwartsgütern, wobei zuvor niemand gezwungen gewesen ist, seine Ersparnisse um die Höhe des Darlehens zu steigern. Herr X, der originäre Deponent, glaubt subjektiv weiterhin, dass er die volle Verfügung über die von ihm in der Bank deponierten 1.000.000 GE hat; das bedeutet, dass er denkt, er hätte 1.000.000 GE eines völlig liquiden Vermögenswertes (Geld) zu seiner Verfügung. Gleichzeitig nimmt Darlehensnehmer Z für seine Investitionen 900.000 GE an neuer Liquidität entgegen, die nicht aus den Ersparnissen von irgendjemandem stammen. Kurzum glauben zwei verschiedene Leute simultan, dass sie den gleichen liquiden Vermögenswert von 900.000 GE zu ihrer vollen Verfugung haben; ein Betrag, der mit dem Anteil des Depositums von 1.000.000 entspricht, den die Bank an Z geliehen hat (derivatives Depositum). An dieser Stelle ist es offensichtlich, dass die Bank Liquidität generiert, die ohne vorheriges Sparen investiert wird. Dieses Phänomen macht den Hauptgrund der wiederkehrenden ökonomischen Krisen und Rezessionen aus. In den folgenden Kapiteln werden wir die entscheidende ökonomische Wichtigkeit des Phänomens erklären. Sobald die Bank das Darlehen an Z gegeben hat, sieht die Bankbilanz wie folgt aus: (12)
Bank A Bilanz (Jahresende) Aktiva
Passiva
Bargeld
100.000
Darlehen gewährt
900.000
Summe Aktiva
1.000.000
Sichteinlagen
1.000.000
Summe Passiva
1.000.000
Offensichtlich wird der Bankiers geneigt sein, sich selbst zu täuschen und anzunehmen, er habe das Geld des Deponenten als ein Darlehen erhalten. Auch würde es ihm niemals in den Sinn kommen, dass er durch die Darlehensgewährung an Unternehmen Z 900.000 GE ex nihilo geschaffen hat. Noch weniger würde es ihm aufgehen, dass er ein Darlehen gewährt hat, ohne dass dieses zuvor durch eine Erhöhung der Ersparnisse von irgendjemandem gedeckt worden wäre. Weiterhin wird der Bankier die natürliche Gegenwirkung von Abhebungen und Einzahlungen
136 Der Kreditausweitungsprozess bedenken; und im Einklang mit seiner „Erfahrung" wird er seine Entscheidung zur Vorhaltung einer Bar- oder Sicherheitsreserve von 10 Prozent und die sich daraus ergebende Barreserve von 100.000 GE für mehr als angemessen halten, die Wünsche der Kunden nach normalen Depositenabzügen zu befriedigen. 242 Diese ganze Struktur wird erst möglich durch das Vertrauen der Kunden darauf, dass die Bank ihre zukünftigen Verpflichtungen einhalten wird. Die Bank muss sich dieses Vertrauen durch die tadellose Bewachung und sichere Aufbewahrung des Geldes während einer längeren Zeitperiode ohne irgendwelche Veruntreuungen erarbeiten. 243 Es ist verständlich, dass ein Bankier nicht mit der ökonomischen Theorie vertraut ist und daher nicht in der Lage ist, die von uns beschriebenen grundlegenden ökonomischen Vorgänge zu verstehen. Schwieriger zu entschuldigen ist die Tatsache, dass es sich bei seiner Entwendung der Depositen um eine Verletzung von traditionellen Rechtsprinzipien handelt, die bei Fehlen einer Theorie zur Erklärung der verbundenen sozialen Prozesse als der einzige sichere Leitfaden angesehen werden können, dessen Befolgung schwere soziale Schäden vermeidet. Indes wäre sicherlich jede intelligente Person, ob Bankier oder nicht, dazu in der Lage, einige Anzeichen davon zu beobachten, was wirklich geschieht. Warum ist es notwendig, dass ein Bankier irgendeinen Reservekoeffizienten aufrechterhält? Begreift er nicht, dass er gar keine Reservedeckung brauchte, wenn er legitim als echter Intermediär zwischen Darlehensgeber und Darlehensnehmer handeln würde? Versteht er nicht, wie Röpke sagt, dass eine „Bank ... daher eine Institution [ist], die regelmäßig weniger zu halten braucht, als sie verspricht, und daher davon lebt, daß sie regelmäßig mehr verspricht, als sie im Ernstfall halten kann?" 244 . In jedem Fall sind dies nur Anzeichen, die jede praktische Person verständlicherweise auf sehr unterschiedliche Weise interpretieren könnte. Genau aus diesem Grunde bestehen Rechtsprinzipien. Sie fungieren als ein „Autopilot" fiir das menschliche Verhalten und erleichtern die Kooperation, obgleich wir angesichts der abstrakten Natur dieser Prinzipien nicht dazu fähig sein können, ihre eindeutige Rolle in den Prozessen der sozialen Interaktion zu verstehen. Wie Mises korrekt aufzeigt, wird die Bank, solange das Vertrauen in sie bestehen bleibt, weiterhin den Großteil der deponierten Gelder nutzen können und die Kunden werden in Unkenntnis darüber bleiben, dass der Bank die notwendige Liquidität fehlt, um allen ihren Verpflichtungen nachzukommen. Es ist, als ob die Bank durch die Erzeugung neuen Geldes eine permanente Finanzierungsquelle entdeckt hätte, eine Quelle, die sie so lange weiter anzapfen wird, wie die Öffentlichkeit ihr Vertrauen in die Fähigkeit der Bank, ihre Verpflichtungen zu erfüllen, aufrechterhält. In der Tat wird die Bank, solange diese Umstände andauern, sogar in der Lage sein, die neu geschaffene Liquidität zur Deckung ihrer eigenen Ausgaben oder für jeden anderen 242 Nichtsdestoweniger werden wir zeigen, dass das Teildeckungsbankwesen selbst regelmäßig anormale (massive) Depositenabzüge verursacht und mit einer Teildeckung nicht jederzeit den Deponentenwünschen nach Abhebung nachkommen kann. 243 Wir beziehen uns natürlich auf die verschiedenen historischen Stufen der Entstehung des Teildeckungsbankwesens (bevor es Zentralbanken gab). Diese Stufen wurden in Kapitel 2 behandelt. 244 Wilhelm Röpke, Die Lehre von der Wirtschaft (Erlenbach-Zürich: Eugen Rentsch, 1954, 7. Aufl.), S. 130.
Die durch die Nutzung der Sichteinlagen durch die Banken hervorgerufenen Effekte
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Zweck neben der Darlehensgewährung zu nutzen. Kurzum generiert die Möglichkeit, ex nihilo Geld zu schaffen, einen Reichtum, den der Bankier sich leicht aneignen kann, solange die Kunden nicht an seinem korrekten Benehmen zweifeln. Diese Reichtumserzeugung ist vielen dritten Parteien abträglich, von denen jede einzelne einen Teil des von den Bankiersmachenschaften verursachten Schadens erleidet. Es ist unmöglich, diese Individuen zu identifizieren, und wahrscheinlich werden diese den erlittenen Schaden und auch die Identität des Täters gar nicht erkennen. 245 Die Privatbankiers mögen sich oft nicht bewusst sein, dass ihre Fähigkeit, Geld ex nihilo zu schaffen (indem sie Kundendepositen zur Darlehensgewährung verwenden), eine gewaltige Gewinnquelle darstellt, und sie denken naiverweise vielleicht, dass sie nur einen Teil dessen verleihen, was sie empfangen. Dennoch stammt ein Großteil ihrer Gewinne aus einem allgemeinen Prozess, in den sie involviert sind und dessen Implikationen sie nicht völlig verstehen. Wir werden diesen Punkt später bestätigt sehen, wenn wir die Effekte des Teildeckungsbankwesens im Hinblick auf das gesamte Bankensystem studieren. Eine Sache verstehen die Bankiers jedoch genau, dass sie nämlich durch die Verleihung der von ihren Klienten deponierten Gelder einen viel größeren Gewinn machen, als wenn sie nur als legitime Intermediäre zwischen Darlehensgebern und Darlehensnehmern agierten - Einträge (1) bis (6) - oder als reine Dienstleister von Buchhaltungs- oder Kassenführungsdiensten - Einträge (8) und (9). In der Tat wird Bank A auf das gesamte Z gewährte Darlehen von 900.000 GE einen Zinssatz von 15 Prozent erzielen; das bedeutet 135.000 GE. Die Buchung lautet wie folgt: (13)
BankA Soll
135.000
Haben Darlehen an Z.
Einnahmen durch Zinsen auf Darlehen
135.000
245 In unserer Analyse der Effekte des Teildeckungsbankwesens werden wir den Prozess der Darlehensschaffung und den resultierenden Reichtumstransfer an die Bankiers aus der Sicht des gesamten Bankensystems untersuchen. Abgesehen von der Tatsache, dass es nicht notwendig ist, dass die Umlaufsmittel verliehen werden (obgleich dies in der Praxis immer oder fast immer geschieht), schreibt Ludwig von Mises: „Es ist bekannt, daß manche Bank, die für ihre Kunden die Kassenfuhrung besorgt, mitunter nicht durch Geld gedeckte Kassenführungsguthaben nicht nur als Darlehen eröffnet, sondern solche unmittelbar auch zur Beschaffung von Produktivmitteln für eigene Produktion verwendet. Mehr als eine der modernen Kredit- und Handelsbanken hat auf diese Weise einen Teil ihrer Mittel festgelegt ... Der Emittent, der Umlaufsmittel in Verkehr setzt, kann aber auch den Wert eines jeden einzelnen ausgegebenen Umlaufsmittels als Vermögens- oder Einkommenzuwachs ansehen. Er unterläßt es dann, für die Bedeckung der ihm durch die Ausgabe erwachsenen Verpflichtungen durch Ausscheidung eines besonderen Aktivfonds aus seinem Vermögen Sorge zu tragen. Den Emissionsgewinn, der wenn es sich um Scheidemünzen handelt, Münzgewinn genannt wird, streicht er ruhig wie jede andere Einnahme ein." Ludwig von Mises, Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel, S. 282-83 (Hervorhebungen hinzugefügt). Im Lichte dieser Überlegungen ist es nicht überraschend, dass von allen wirtschaftlichen Institutionen die Banken der Öffentlichkeit im Allgemeinen die spektakulärsten und luxuriösesten Bauwerke zur Schau stellen und einen unverhältnismäßigen Teil für Geschäftsstellen, Gehaltskosten etc. ausgeben. Es ist nicht weniger überraschend, dass die Staaten die Ersten gewesen sind, die die große Macht der Banken, Geld zu schaffen, ausgenutzt haben.
138 Der Kreditausweitungsprozess Wenn wir annehmen, dass die Bank die vorher beschriebenen Kassenführungsund Buchhaltungsdienstleistungen anbietet, die für Bankkonten typisch sind und in unserem Beispiel zu Betriebskosten in Höhe von 20.000 GE führen, dann kann sie diese Kosten durch ihr Zinseinkommen decken und so ihre Dienstleistungen sogar gratis anbieten. Der folgende Buchungseintrag erfasst die Betriebskosten: (14)
BankA Soll
20.000
Haben Betriebskosten der Dienstleistungen
Bargeld
20.000
Obwohl die Bank eindeutig das Recht hätte, weiterhin 30.000 für ihre Leistungen in Rechnung zu stellen (3 Prozent des deponierten Betrages), und obwohl sie diese Leistungen ihren Deponenten gratis anbietet, um weitere Depositen anzulocken und das mehr oder weniger verborgene Ziel des Gebrauchs dieser Depositen zur Darlehensvergabe zu verfolgen, macht sie immer noch einen großen Gewinn, der den 135.000 GE, die sie als Zinsen erhält, minus den 20.000, die als Betriebskosten anfallen, entspricht. In der Tat ist der Bankgewinn von 115.000 mehr als doppelt so hoch wie der legitime Gewinn, den sie als reiner Finanzintermediär zwischen Darlehensgebern und Darlehensnehmern machte, und mehr als zehn mal so hoch wie das, was sie verdiente, wenn sie ihren Kunden die Kassenführungs- und Buchhaltungsdienstleistungen in Rechnung stellte.246 Die Gewinn- und Verlustrechnung würde damit wie folgt aussehen: (15)
BankA Gewinn- und Verlustreehnung (für das Beispieljahr) Aufwand (Soll)
Betriebskosten
Ertrag (Haben) 20.000
Jahresüberschuss
115.000
Summe Soll
135.000
Zinsen erhalten
135.000
Summe Haben
135.000
Nach der Durchführung aller Operation würde die Bankbilanz wie folgt aussehen: (16)
BankA Bilanz (Jahresende) Aktiva
Passiva
Bargeld
215.000
Eigenkapital
Darlehen gewährt
900.000
Sichteinlagen
1.000.000
Summe Passiva
1.115.000
(Jahresüberschuss)
Summe Aktiva
246 Vgl. Fußnote 255.
1.115.000
115.000
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4.4.2 Die Bilanzierungspraktiken der englischsprachigen W e l t
Die englischen Bankpraktiken zeigen geringere Vorbehalte gegen das einfache Erfassen der Schaffung von Umlaufsmitteln ex nihilo in den Konten. In der Tat, wie Hayek schreibt, pflegt die englische Bankpraxis „gewährte Kredite dem Kunden auf seinem Konto gutzuschreiben, noch bevor sie tatsächlich in Anspruch genommen werden." 247 Wenn ein Kunde eine Sichteinlage von 1.000.000 GE bei der Bank vornimmt, entspricht der erste Buchungseintrag in englischsprachigen Ländern genau dem des kontinentalen Systems: (17)
BankA Soll
1.000.000
Haben Bargeld
Sichteinlagen
1.000.000
Der Unterschied zwischen dem angelsächsischen und dem kontinentalen System liegt in dem Eintrag, den der englischsprachige Bankier bei der Darlehensgewährung an Z vornimmt, also dann, wenn er im eigenen Interesse Gebrauch von 900.000 GE in seinem Tresor macht und dabei seine Sicherheitsreserve überschreitet. Bei den angelsächsischen Bankpraktiken wird eine Buchung vorgenommen, um das Darlehen unter den Aktiva zu erfassen, und zur gleichen Zeit wird ein Bankkonto zugunsten des Darlehensnehmers unter Passiva in der Höhe des Darlehens eröffnet (900.000 GE). Der Buchungseintrag sieht wie folgt aus: (18)
BankA Soll
900.000
Haben Darlehen gewährt
Sichteinlagen
900.000
In dieser Hinsicht ist der englische Brauch also viel aufrichtiger und den tatsächlichen ökonomischen Vorgängen viel angemessener als die kontinentale Vorgehensweise. Die angelsächsischen Bilanzierungspraktiken reflektieren augenscheinlich die Erzeugung von 900.000 GE ex nihilo, die sich ergibt, wenn die Gelder der Sichtanlagen an Z verliehen werden. Nachdem das Darlehen gewährt wurde, erscheint die Bankbilanz wie folgt: (19)
BankA Bilanz Aktiva
Passiva
Bargeld Darlehen
1.000.000 900.000
Sichteinlagen
1.900.000
Summe Aktiva
1.900.000
Summe Passiva
1.900.000
247 Hayek, Geldtheorie und Konjunkturtheorie, S. 86. Hayek fährt fort: „Unter dieser Voraussetzung ist der Prozeß, der zur Vermehrung der Umlaufsmittel führt, verhältnismäßig leicht zu überblicken und darum auch am wenigsten bestritten."
140 Der Kreditausweitungsprozess Wenn wir bei den englischen Praktiken bleiben, so enthüllt diese Bilanz eindeutig, dass in dem Augenblick, in dem die Bank ein Darlehen von 900.000 GE gewährt, simultan Depositen in der Höhe von 900.000 GE ex nihilo erzeugt werden. In anderen Worten stellt die Bank dem Darlehensnehmer bis zu 900.000 GE zur Verfügung, was die Summe der Sichteinlagen auf 1.900.000 GE erhöht. Von diesem Betrag entsprechen 1.000.000 GE den physischen Geldeinheiten; das heißt den primären Depositen. Die anderen 900.000 GE reflektieren die aus dem Nichts geschaffenen Umlaufsmittel oder, in anderen Worten, derivative oder sekundäre Depositen. Wenn wir wieder um des Argumentes willen annehmen, dass der Bankier das bei ihm als Sichteinlage platzierte Geld als ein Darlehen ansieht, dann hat das fragliche „Darlehen" eindeutig keine Laufzeit, weil es aus einem irregulären Gelddepositenvertrag stammt, der per definitionem keine Frist für die Rückgabe des Geldes festlegt (da dieses „auf Sicht" liegt). Weiterhin wird der Bankier zu Recht annehmen, dass die Deponenten, falls sie der Bank vertrauen, unter normalen Bedingungen nur einen kleinen Anteil ihrer Depositen abheben werden. Obwohl das „Darlehen", das er angeblich erhalten hat, „auf Sicht" ist, kann es der Bankier folglich aus triftigen Gründen als ein „Darlehen" betrachten, das er niemals zurückzahlen muss, weil es letztlich keine Laufzeit hat. Wenn der Bankier ein Darlehen empfangt, von dem er ausgeht, dass er es niemals zurückzahlen muss (und auf das er in den meisten Fällen noch nicht einmal Zinsen zahlen muss, obwohl dies für unser Argument nicht von fundamentaler Bedeutung ist), so handelt es sich offensichtlich nicht um ein Darlehen, sondern um ein De-facto-Geschenk, das sich der Bankier selbst macht und den Geldern seiner Deponenten anlastet. Dies bedeutet: Obwohl die Bank aus Gründen der Bilanzierung eine Schuld (in der Höhe des gewährten Darlehens) in der Form von „Sichteinlagen" (derivative oder sekundäre Depositen in der Höhe von 900.000 GE) anerkennt, schafft sie unter normalen Umständen aus dem Nichts eine beständige Finanzierungsquelle, von welcher der Bankier annimmt, sie niemals zurückzahlen zu müssen. Trotz des Eindrucks, den die Geschäftsbücher vermitteln, eignet sich der Bankier somit letztlich dieses Geld an und betrachtet es als sein Eigentum. Kurzum: Die Banken häufen einen enormen Reichtum an, und zwar hauptsächlich, indem sie Zahlungsmittel zum Nachteil Dritter schaffen. Dieses Phänomen kommt andauernd vor und ist auf die Schaffung von Zahlungsmitteln ex nihilo durch das Bankensystem zurückzuführen. Dieser beständige Reichtumstransfer zugunsten der Bankiers geht so lange weiter, wie das Bankengeschäft keinen Störungen unterliegt und die Vermögenswerte die Bilanzen der Bankiers in Form von Darlehen und Investitionen, die durch die entsprechenden aus dem Nichts geschaffenen Depositen gedeckt werden, immer weiter ansteigen lassen. Die volle Erkenntnis dieser niemals endenden Finanzierungsquelle und des enormen Reichtums, den die Banken zum Nachteil von anderen Bürgern angesammelt haben (und der - als von „Depositen" gedeckte Investitionen bei den Aktiva verschleiert - immer noch die Bankbilanzen erhöht), wird noch im letzten Kapitel von großer Wichtigkeit sein, wenn wir einen Vorschlag zur Veränderung und Reform des gegenwärtigen Bankensystems unterbreiten. Obwohl diese Gelder in der Tat nur Banken und Regierungen nutzen und
Die durch die Nutzung der Sichteinlagen durch die Banken hervorgerufenen Effekte 141 obwohl sie aus ökonomischer und aus buchhalterischer Sicht den vermeintlichen Deponenten gehören, gehören sie in Wirklichkeit niemandem, da diese Deponenten ihre Depositen als perfekte Geldsurrogate ansehen. Daher könnten diese Ressourcen, wie wir beim Studium des Bankreformprozesses sehen werden, für wichtige Ziele im Interesse der Allgemeinheit benutzt werden. Derartige Ziele könnten die Beseitigung der verbleibenden Staatsverschuldung beinhalten oder sogar die Finanzierung eines Prozesses zur Reform der sozialen Sicherungssysteme, um einen Übergang von einem staatlichen Umlageverfahren zu einem privaten, auf Investitionen basierenden Kapitaldeckungsverfahren zu erreichen. Kehren wir nun zu unserem Beispiel zurück: Wenn Darlehensnehmer Z sein Geld nach und nach durch die Ausstellung von Schecks auf das für ihn bei der Bank eröffnete Konto nutzt, beginnen beide Bankensysteme, das angelsächsische und das kontinentale, die Kontenaufzeichnungen der Bank zunehmend ähnlich zu reflektieren. Wir werden nun annehmen, dass der Darlehensnehmer sein Darlehen in zwei Teilen zu zwei separaten, aufeinanderfolgenden Anlässen abhebt. Zum ersten Zeitpunkt (tx) hebt er 500.000 GE ab und zum zweiten (t2) 400.000 GE. Die Buchungen würden wie folgt aussehen: (20)
Bank A (t,) Soll
Haben Sichteinlagen
500.000 (Abhebung eines Teils des Darlehens von Z)
Bargeld
Bank A (t2)
(21) Soll 400.000
500.000
Haben
Sichteinlagen (der Rest des Darlehens)
Bargeld
400.000
Nachdem der Darlehensnehmer das ganze Darlehen abgehoben hat, erscheint die Bankbilanz wie folgt: (22)
Bank A Bilanz Aktiva
Passiva
Bargeld
100.000
Darlehen
900.000
Summe Aktiva
1.000.000
Sichteinlagen
1.000.000
Summe Passiva
1.000.000
Diese Bilanz entspricht genau der Bilanz (12), die wir unter Benutzung der kontinentalen Bilanzierungsmethode erhalten haben und die von Kunden hinterlegte Sichteinlagen von 1.000.000 GE, gedeckt durch 100.000 GE in bar (die Reservedeckung oder der Reservebedarf), sowie 900.000 Geldeinheiten umfasst, die an Z als Darlehen gewährte wurden. Sobald einmal der Darlehensnehmer sein ganzes Darlehen abhebt,
142
Der Kreditausweitungsprozess
sind die Bilanzierungseinträge für beide Systeme identisch: 1.900.000 GE existieren im Markt, von denen 900.000 GE Umlaufsmitteln (der Teil der Sichteinlagen, der nicht durch die Barreserven der Bank gedeckt ist, in diesem Fall 1.000.000 GE minus 100.000 GE) und 1.000.000 GE physische Geldeinheiten sind (die 100.000 in den Tresoren der Bank und die 900.000 GE, die an Darlehensnehmer Z übergeben wurden und die er bereits für seine eigenen Zwecke benutzt hat).248 Der Hauptvorteil des angelsächsischen Bilanzierungssystems ist, dass es zeigt, wie Herbert J. Davenport 1913 dargelegt hat, dass die Banken „do not lend their deposits, but rather, by their own extensions of credit, create the deposits"249. In anderen Worten fiingieren die Banken nicht als Finanzintermediäre, wenn sie das Geld der Sichteinlagen verleihen, weil diese Aktivität keine Vermittlung zwischen Darlehensgeber und Darlehensnehmer darstellt. Stattdessen gewähren Banken einfach Darlehen gegen Depositen, die sie aus dem Nichts schaffen (Umlaufsmittel) und die ihnen daher nicht von einer dritten Partei in Form von Depositen von physischen Geldeinheiten vorher anvertraut worden sind. Noch nicht einmal im kontinentalen Bilanzierungssystem sind die Banken Finanzintermediäre, weil die tatsächlichen, ursprünglichen Deponenten ihr Geld zur Bewachung und sicheren Aufbewahrung übergeben und nicht als Darlehen an die Bank. Weiterhin haben wir bereits gezeigt, dass die Banken im Verhältnis zur Gesamtsumme der nicht gedeckten Depositen Umlaufsmittel erzeugen, indem sie die Geldeinheiten, die sie vorrätig halten (Reservedeckung), auf einen Bruchteil der ursprünglich deponierten
248 Die Bankpraktiken der englischsprachigen Welt sind auch in Spanien angewendet worden, wie es u. a. Pedro Pedraja Garcia in seinem Buch Contabilidad y análisis de balances de la banca, Bd. 1: Principios generales y contabilizarían de operaciones (Madrid: Centro de Formación del Banco de España), bes. S. 116-209, belegt. 249 Herbert J. Davenport, The Economics of Enterprise (New York: Augustas M. Kelley, [1913] 1968), S. 263. Vierzehn Jahre später brachte W. F. Crick dieselbe Idee in seinem Artikel „The Genesis of Bank Deposits", Economica (Juni 1927): 191-202, zum Ausdruck. Der Großteil der Öffentlichkeit und sogar einige so ausgezeichnete Wissenschaftler wie Joaquín Garrigues versagten darin zu verstehen, dass Banken nicht als Vermittler zwischen Darlehensnehmern und Darlehensgebern, sondern hauptsächlich als Erzeuger von Darlehen und Depositen tätig sind. In seinem Buch Contratos bancarios (S. 31-32 und 355) insistiert Garrigues weiterhin darauf, dass Banken in erster Linie Kreditvermittler seien, die „Geld verleihen, das ihnen geliehen wurde" (S. 355), und dass daher Bankiers „verleihen, was ihnen geliehen wird. Sie sind Kreditvermittler, Geschäftsleute, die zwischen jenen, die Geld für Geschäftsaktivitäten brauchen, und jenen, die ihr Geld profitabel anlegen wollen, vermitteln. Banken können sich jedoch in zwei verschiedenen Geschäftstypen engagieren: Sie können als reine Vermittler agieren, welche die vertragsschließenden Parteien zusammenbringen (direkte Kreditvermittlung), oder eine Zweischrittoperation durchführen, wobei sie sich Geld leihen, um es später zu verleihen (indirekte Kreditvermittlung)." (S. 32) Garrigues erkennt eindeutig nicht, dass die Banken im Hinblick auf ihr wichtigstes Geschäft (die Annahme von Depositen bei Aufrechterhaltung einer Teildeckung) tatsächlich Darlehen aus dem Nichts schaffen und diese mit Depositen decken, die sie ebenfalls aus dem Nichts schaffen. Deshalb sind sie keine Kreditvermittler, sondern vielmehr Ex-nihilo-Erzeuger von Krediten. Garrigues unterschreibt zudem das populäre Missverständnis, dass „aus ökonomischer Sicht" der Bankgewinn in „der Differenz zwischen den Zinsen, die sie für die Depositenoperation zahlt, und den Zinsen, die sie bei der Darlehensoperation verdient", bestehe (S. 31). Obwohl die Banken ihren Gewinn hauptsächlich aus dem Zinssatzdifferenzial zu beziehen scheinen, wissen wir, dass in der Praxis die Hauptquelle ihres Gewinns in der Ex-nihilo-Schaffung von Geld (das die Banken unbegrenzt finanziert) zu suchen ist. Die Banken eignen sich diese Gelder zu ihrem eigenen Nutzen an und berechnen zusätzlich Zinsen auf sie. Kurzum schaffen Banken Geld aus dem Nichts, verleihen es und verlangen, dass es mit Zinsen zurückgezahlt wird.
Die durch die Nutzung der Sichteinlagen durch die Banken hervorgerufenen Effekte
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Zahl verringern. Mithin führt uns das kontinentale Bilanzierungssystem mit einer in gewissem Sinne abstrakteren Analyse zu derselben Schlussfolgerung wie das angelsächsische: Anstatt Kreditintermediäre zu sein, sind die Banken vielmehr Erzeuger von Darlehen und Depositen bzw. Umlaufsmitteln. Nichtsdestoweniger ist der Prozess viel offensichtlicher und einfacher zu verstehen, wenn man ihn nach den angelsächsischen Bilanzierungskriterien untersucht, weil diese Methode von Beginn an die Tatsache reflektiert, dass die Bank ex nihilo Depositen schafft und Darlehen gegen sie gewährt. Deshalb ist keine abstrakte intellektuelle Anstrengung zum Verständnis dieses Prozesses notwendig. Aus der Sicht der ökonomischen Theorie ist der Hauptnachteil beider Bilanzierungssysteme, dass sie ein viel geringeres Volumen der Depositenschaffung und Darlehenskonzession reflektieren als tatsächlich existiert. Das heißt, sie enthüllen nur einen Bruchteil des Gesamtvolumens an Depositen und Darlehen, die das Bankensystem als Ganzes zu erzeugen in der Lage ist. Nur wenn wir die Effekte des Teildeckungsbankwesens vom Standpunkt des gesamten Bankensystems aus betrachten, werden wir diesen wichtigen Punkt bestätigt finden. Jedenfalls ist es zunächst notwendig, die Grenzen der Depositenschaffung und Darlehenskonzession einer isolierten Bank zu identifizieren. 4.4.3 Die Fähigkeit zur Kreditexpansion und Depositenschaffung einer isolierten Bank
Wir werden nun die Grenzen betrachten, die einer isolierten Bank in ihrer Fähigkeit gesetzt sind, aus nichts Darlehen zu schaffen und Depositen auszuweiten. Die folgenden Variablen werden benutzt: d: das ursprünglich im Banktresor deponierte Geld d}: x : c:
k :
das Geld oder die Reserven, die als Folge der Darlehensgewährung die Bank verlassen die maximal mögliche Kreditausweitung der Bank, ausgehend von d die Bar- bzw. Reservedeckung, die die Bank im Einklang mit der Erfahrung des Bankiers und seinem vorsichtigen Urteil darüber aufrechterhält, wie viel Geld er benötigt, um seinen Verpflichtungen nachzukommen der Anteil der gewährten Darlehen, der im Durchschnitt zu jedem beliebigen Zeitpunkt von den Darlehensnehmern ungenutzt bleibt.
Aus den obigen Definitionen wird klar, dass die die Bank verlassenden Reserven d j den gewährten Darlehen multipliziert mit dem Prozentsatz dieser Darlehen, der von den Darlehensnehmern benutzt wird, entsprechen; das bedeutet: [1] dj = (1 - k)x Weiterhin ist dv wenn wir das die Bank verlassende Geld betrachten, gleich der ursprünglich deponierten Summe d minus dem Mindestbetrag cd, der als Reserve in Relation zum ursprünglich deponierten Geld vorgehalten wird, plus ckx als Reserve in Relation zum Prozentsatz der Darlehen, die im Durchschnitt ungenutzt bleiben. Daraus ergibt sich: [2] dj = d - [cd + ckx)
144 Der Kreditausweitungsprozess Wenn wir nun wir:
in Formel [2] mit dem Wert von d } in [1] ersetzten, dann erhalten
(1 - k) x = d - [cd + ckx) Jetzt lösen wir die Gleichung, indem wir die gemeinsamen Faktoren herausziehen und x isolieren: (1 - k) x = d - cd - ckx (1 - k) x + ckx = d - cd x{\ - k + ck) = d[ 1 - c) Mithin wäre das Maximum an Kreditausweitung x, das eine isolierte Bank ex nihilo erzeugen kann: 250 1 - fc(l - c) Oder, um es anders auszudrücken: l J
1 + k[c — 1)
Wie Formel [3] verdeutlicht, haben der Reservekoeffizient c und der durchschnittliche Prozentsatz der ungenutzten Darlehen k gegensätzliche Effekte auf die Kapazität der Darlehens- und Depositenschaffung einer isolierten Bank. Das bedeutet: Je niedriger c und je höher k ist, desto höher wird x sein. Die ökonomische Logik hinter Formel [3] ist deshalb sehr simpel: Je größer der Reservekoeffizient, den die Bank als notwendig ansieht, desto geringer wird das Ausmaß der Darlehen sein, die sie gewähren kann; im Gegensatz dazu wird der Bank bei gleichbleibendem Reservekoeffizienten oder gleichbleibender Mindestreserve desto mehr Geld zur Darlehensausweitung zur Verfügung stehen, je geringer die Darlehenssumme ist, 250 Bezeichnenderweise hat sich jedoch Ludwig von Mises in seinen bedeutenden theoretischen Abhandlungen über Geld, Kredit und Konjunkturwechsel immer dagegen verwehrt, seine Analyse auf das Studium des von uns gerade im Text erarbeiteten Kreditexpansionsmultiplikators zu basieren. Alle diese Schriften von Mises konzentrieren sich auf die zerstörerischen Effekte der Darlehensschaffung, die nicht durch einen Anstieg in den tatsächlichen Ersparnissen gedeckt sind, sowie auf das Teildeckungsbankwesen, das eine derartige Darlehensschaffung durch die Erzeugung von Depositen oder Umlaufsmittel bewerkstelligt. Mises Vorbehalte gegen den Multiplikator sind völlig verständlich, wenn man die Abneigung bedenkt, die der große österreichische Ökonom gegen den Gebrauch der Mathematik in der Ökonomie und noch spezifischer gegen die Anwendung von Konzepten hegte, die, wie der Bankmultiplikator, richtigerweise als „mechanistisch", oft ungenau und sogar irreführend bezeichnet werden können. Dies hauptsächlich deshalb, weil diese Konzepte nicht den Prozess der unternehmerischen Kreativität und der Evolution der subjektiven Zeit berücksichtigen. Zudem ist es aus strikt ökonomischer Sicht unnötig, den Multiplikator mathematisch zu erarbeiten, um das grundlegende Konzept der Kredit- und Depositenausweitung zu begreifen und zu verstehen, wie dieser Prozess unausweichlich ökonomischen Krisen und Rezessionen provoziert. (Ludwig von Mises' theoretisches Hauptziel war es, ein derartiges Verständnis zu erreichen.) Nichtsdestoweniger bietet der Bankmultiplikator den Vorteil, die Erklärung des kontinuierlichen Prozesses der Kredit- und Depositenausweitung zu vereinfachen und zu verdeutlichen. Deshalb verstärkt der Multiplikator zum Zwecke der Illustration unser theoretisches Argument. Der Erste, der den Bankmultiplikator in einer theoretischen Analyse von wirtschaftlichen Krisen anwandte, war Herbert J. Davenport in seinem Buch The Economics of Enterprise (vor allem Kapitel 17, S. 254-331), ein bereits zitiertes Werk. Nichtsdestoweniger verdient F. A. Hayek Anerkennung für die Einbettung der Theorie des Bankkreditausweitungsmultiplikators in die österreichische Konjunkturtheorie (Geldtheorie und Konjunkturtheorie, S. 81 ff.). Vgl. auch Fußnote 28, in der Marshall im Jahr 1887 eine detaillierte Beschreibung davon liefert, wie man zur einfachsten Version der Formel des Bankmultiplikators kommt.
Die durch die Nutzung der Sichteinlagen durch die Banken hervorgerufenen Effekte
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von der die Bank annimmt, dass sie im Durchschnitt von den Darlehensnehmern abgehoben wird. Bis jetzt haben wir angenommen, dass k der durchschnittliche Prozentsatz der von den Darlehensnehmern ungenutzten Darlehen ist. Indes kann k nach C. A. Phillips noch andere Phänomene beinhalten, die letztlich den gleichen Effekt haben. 251 Zum Beispiel kann k für die sehr hohe Wahrscheinlichkeit stehen, dass in einem Markt, in dem wenige Banken operieren, ein Darlehensnehmer Zahlungen an andere Kunden seiner eigenen Bank vornimmt. Es wird angenommen, dass diese Kunden in diesem Fall ihre Schecks in ihren Konten bei derselben Bank deponieren werden und damit verhindern, dass das Geld die Bank verlässt. Dieses Phänomen hat letztlich den gleichen Effekt wie ein Anstieg des durchschnittlichen Prozentsatzes der von den Darlehensnehmern ungenutzten Darlehen. Je weniger Banken in dem Markt operieren, desto höher wird k sein; je höher k ist, desto weniger Geld wird die Bank verlassen; und je weniger Geld die Bank verlässt, desto größer ist die Fähigkeit der Bank zur Darlehensausweitung. Eines der stärksten Motive hinter der Tendenz zu Bankfusionen und -übernahmen, die im Teildeckungsbankensystem immer offensichtlich gewesen ist, ist gerade der Wunsch nach einem Anstieg von fe.252 Je mehr Banken fusionieren und je höher in der Folge ihr Marktanteil ist, desto größer ist in der Tat die Möglichkeit, dass die Bürger, welche die Umlaufsmittel der Bank erhalten, deren eigene Kunden sind. Mithin erhöht sich sowohl k als auch die entsprechende Kapazität, Darlehen und Depositen aus dem Nichts zu schaffen. Der resultierende Gewinn steigt stark an. Der Wert von k steigt ebenfalls an, wenn Gelddepositen bei anderen Banken hinterlegt werden, die ihrerseits ihre Darlehen ausweiten und deren Darlehensnehmer letztlich einen signifikanten Anteil des neuen Geldes, das sie erhalten, in der ursprünglichen Bank deponieren.
251 Phillips, Bank Credit, S. 57-59. 252 Es gibt noch andere Kräfte, die den Prozess der Bankenfusionen erklären. Sie alle sind auf den Versuch der Banken zurückzuführen, die unerwünschten Konsequenzen zu minimieren, die sie als Folge ihrer Verletzung der grundlegenden Prinzipien des irregulären Gelddepositenvertrages mittels des korrespondierenden Staatsprivilegs erleiden. Ein Vorteil, den Banken durch Fusionen und Übernahmen gewinnen, ist die Möglichkeit, eine zentralisierte Barreserve einzurichten, die bereitgehalten wird, um überall dort Abhebungswünsche befriedigen zu können, wo eine den Durchschnitt übersteigende Zahl dieser Anträge gemacht wird. In einem Markt, in dem viele Banken operieren, gibt es diesen Nutzen nicht, weil jede Bank eine getrennte, relative hohe Barreserve vorhalten muss. Die Regierenden drängen ebenfalls auf schnelle Fusionen, weil sie hoffen, dass es für sie dadurch einfacher wird, Liquiditätskrisen zu vermeiden, ihre Geldpolitik zu implementieren und die Bankindustrie zu regulieren. Wir werden später das beharrliche Verlangen der Bankiers untersuchen, das Volumen ihrer Depositen zu vergrößern. Denn wie die Formel zeigt, bildet die Summe der Depositen die Basis für die vielfache Ausweitung der Darlehen und Depositen, die die Banken er nihilo erzeugen und die ihnen so viele Vorteile verschaffen. Zu Bankenfusionen vgl. Constantino Bresciani-Turroni, Curso de economia politica, Bd. 2: Problemas de economia politica (Mexico: Fondo de Cultura Econömica, 1961), S. 144-45. Es ist in jedem Falle wichtig zu erkennen, dass der unwiderstehliche Prozess der Bankenfusionen aus Staatsinterventionen in den Finanzmarkt und das Bankwesen resultiert und aus dem Privileg, das es den Banken erlaubt, entgegen den traditionellen Rechtsprinzipien mit einer Teildeckung auf ihre Sichteinlagen zu operieren. In einer freien Marktwirtschaft ohne Staatseingriffe, in der die ökonomischen Agenten den Rechtsprinzipien unterworfen sind, würde dieser beständige Trend zu Bankenfusionen verschwinden und die Bankgröße würde praktisch unerheblich. Es bestünde eine Tendenz zu einer großen Anzahl solventer Banken.
146 Der Kreditausweitungsprozess Dieses Phänomen verursacht zudem einen Anstieg in den Geldreserven der Bank und damit in ihrer Kapazität zur Kreditausweitung. Wenn wir beispielsweise annehmen, dass der Reservekoeffizient oder die Mindestreserve c 10 Prozent ist, der Anteil der ungenutzt bleibenden Darlehen k (der auch die Effekte einer größeren Anzahl Bankkunden sowie andere Faktoren einschließt) 20 Prozent ist und die Summe der ursprünglich bei der Bank hinterlegten Depositen d gleich 1.000.000 GE ist, dann erhalten wir, wenn wir diese Werte in Formel [3] einsetzen: l ooaooou -o,i) = 1 + 0,2(0,1 - 1} Wir sehen daher, dass eine Bank, die 1.000.000 GE in Sichteinlagen annimmt und eine Reservedeckung von 10 Prozent bei einem k von 20 Prozent aufrechterhält, in der Lage sein wird, nicht nur Darlehen in Höhe von 900.000 GE zu gewähren, wie wir zu Illustrationszwecken in den Buchungen (18) und folgende angenommen haben, sondern noch in einer beträchtlich höheren Summe, nämlich 1.097.560 GE. Mithin ist das Vermögen zur Kreditexpansion und Schaffung von Depositen ex nihilo selbst im Falle einer isolierten Bank um 22 Prozent größer, als wir in den Buchungen (18) und folgende ursprünglich angenommen haben. 253 Folglich sollten wir unsere früheren Buchungseinträge modifizieren. Bei Beibehaltung des angelsächsischen Buchungssystems und c = 0,1 sowie k = 0,2 ist die Bank in der Lage, ihre Kredite um 1.097.560 GE auszuweiten, und nicht um 900.000, wie wir zuvor angenommen hatten (damit ist das Vermögen der Bank zur Kreditexpansion um 22 Prozent größer). Die modifizierten Buchungseinträge und die korrespondierende Bilanz würden wie folgt aussehen (vergleiche mit den ursprünglichen Einträgen 18 und 19): (23)
BankA Soll
Haben
1.000.000
Bargeld
Sichteinlagen (Bankkonten)
1.000.000
1.097.560
Darlehen gewährt
Sichteinlagen
1.097.560
(neu geschaffene Depositen)
Diese Einträge korrespondieren mit der ursprünglichen Einlage von 1.000.000 GE und der Schaffung von Darlehen und Depositen ex nihilo durch eine isolierte Bank in Höhe von 1.097.560 GE. Der Wert von k (0,2) zeigt an, dass die Darlehensnehmer im Durchschnitt 80 Prozent der geliehenen Gelder abziehen. Wenn diese
253 Obwohl es v o m Standpunkt der isolierten Bank so aussieht, als ob die Bank einen Teil ihrer Depositen verleiht, ist es in Wirklichkeit so, dass eine isolierte Bank Darlehen ex nihilo in einer Summe schafft, die größer ist als die ursprünglichen Depositen. Das zeigt, dass die Hauptquelle der Depositen nicht die Deponenten sind, sondern vielmehr die Darlehen, welche die Banken aus dem Nichts schaffen. (Die Depositen sind Sekundäreffekte dieser Darlehen.) Dies wird noch klarer werden, wenn wir das gesamte Bankensystem betrachten. C. A. Phillips drückt diesen Sachverhalt wie folgt aus: „It follows that for the banking system, deposits are chiefly the offspring of loans." Vgl. Phillips, Bank Credit, S. 64, und das Zitat v o n Taussig, Fußnote 337, Kapital 5.
Die durch die Nutzung der Sichteinlagen durch die Banken hervorgerufenen Effekte
147
Abzüge vorgenommen werden (oder, was auf das Gleiche hinausläuft, wenn sogar einer größere Summe abgehoben wird und einige der Endempfänger des Geldes auch Kunden der ursprünglichen Bank sind und dort ihr Geld deponieren), dann wird der folgende Eintrag erfasst:254 254 Die alten kontinentaleuropäischen Buchungsmethoden sind komplexer. Es ist jedoch möglich, zu der Bilanz (25) zu gelangen unter der Annahme, dass sich k = 0,2 nicht auf den Prozentsatz der ungenutzten Darlehensgelder bezieht (die, wie wir wissen, von diesem System nicht reflektiert werden), sondern die Proportion repräsentiert, in der die Öffentlichkeit regelmäßig Geschäfte mit der Bank erledigt und daher Gelder wieder in der Bank deponiert. In diesem Falle würden die Einträge wie folgt aussehen: (26)
Bank A Soll
1.000.000
Haben Bargeld
Sichteinlagen
1.000.000
Nach der Verleihung der 900.000 GE würde die Bank folgenden Eintrag vornehmen: BankA Soll
Haben
900.000
Darlehen
Bargeld
900.000
Und wenn wir annehmen, dass 20 Prozent der 900.000 GE, die die Tresore der Bank verlassen, erneut in derselben Bank deponiert und 90 Prozent dieser Summe dann als Darlehen vergeben werden etc., dann folgen diese Einträge: Bank A
(27) Soll 180.000
Haben Bargeld
Sichteinlagen
180.000
Wenn 90 Prozent dieser Summe verliehen werden: (28)
Bank A Soll
162.000
Haben Darlehen
32.400
Bargeld
29.160
Darlehen
5.832
Bargeld
5.248
Darlehen
Bargeld
162.000
Sichteinlagen
32.400
Bargeld
29.160
Sichteinlagen
5.832
Bargeld
5.248
Wir haben angenommen, dass 20 Prozent jedes gewährten Darlehens in die Tresore der Bank zurückgeflossen sind, da die Endempfänger dieses Anteils der geliehenen Gelder selbst Kunden der Bank sind. Mithin würde eine Bilanz nach dem kontinentaleuropäischen System wie folgt aussehen: (29)
Bank A Bilanz (nach dem kontinentaleuropäischen System) c = 0,1 und k = 0,2 Aktiva
Passiva
Bargeld Darlehen
121.824 1.096.408
Sichteinlagen
1.218.232
Summe Aktiva
1.218.232
Summe Passiva
1.218.232
148
Der Kreditausweitungsprozess
(24)
Bank A Soll
878.048
Haben
Sichteinlagen (80 % von 1.097.560)
Bargeld
878.048
Die Bankbilanz würde wie folgt aussehen: (25)
Bank A Bilanz c = 0,1 und k
= 0,2
Aktiva
Passiva
Bargeld Darlehen
121.952 1.097.560
Sichteinlagen
1.219.512
Summe Aktiva
1.219.512
Summe Passiva
1.219.512
4.4.4 Der Fall einer sehr kleinen Bank
Wir werden nun einen besonderen Fall einer isolierten Bank betrachten: eine sehr kleine oder „liliputanische" Bank, das heißt eine Bank mit k = 0. Das bedeutet, dass die Darlehensnehmer unverzüglich ihr gesamtes Darlehen abheben und jene, an die sie Zahlungen richten, nicht Kunden derselben Bank wie die Darlehensnehmer sind. Wenn k = 0 ist und wir diesen Wert in die Formel [3] einsetzen, erhalten wir Formel [5]: [5]
x = d{\ - c)
Und da in unserem Beispiel d = 1.000.000 GE und c = 0,1 ist, folgt dann: jr= 1.000.000(1 - 0.1) = 1.000.000 • 0,9 = 900.000 GE Dies ist genau die Summe der ex nihilo geschaffenen Depositen oder der Umlaufsmittel, die in den Einträgen (11) und (18) erscheint. Dennoch sahen wir im letzten Abschnitt, dass die Bank eine beträchtlich größere Summe an Umlaufsmitteln schaffen kann, wenn k auch nur ein wenig größer als null ist. (Wenn k = 0,2 ist, kann sie 22 Prozent mehr Umlaufsmittel schaffen oder 1.097.560 GE anstatt der 900.000 GE im ersten Beispiel.) Dies trifft zu, egal ob die Bank das kontinentaleuropäische Buchungssystem oder das angelsächsische System verwendet. Die geschaffene Summe kann sogar den Betrag der ursprünglichen Depositen in der isolierten Bank übertreffen. In Anbetracht dessen ist es einfach zu verstehen, warum Banken derart heftig darum konkurrieren, die größtmögliche Zahl von Deponenten und Kunden anzuziehen. Bankiers versuchen, so viel Geld wie möglich in der Form von Depositen zu erlangen, weil sie in der Lage sind, Kredite in einer noch größeren Summe als das Volumen ihrer Depositen auszuweiten. Daher gilt: je größer das Volumen, Diese Zahlen sind praktisch mit denen der Bilanz (25) identisch. Sie entsprechen sich nicht genau, weil unser Beispiel nach der dritten Wiederholung des Darlehen-Depositen-Prozesses endet. Wenn wir den Prozess fortsetzten, würden sich die Zahlen der Bilanz (29) nach und nach denen in (25) annähern und letztlich genau entsprechen.
Die durch die Nutzung der Sichteinlagen durch die Banken hervorgerufenen Effekte 149 desto größer die korrespondierende Kreditausweitung, zu der die Bank in der Lage ist. Bankiers versuchen, so viele Kunden zu gewinnen, wie sie eben können, weil k desto größer ist, je mehr Kunden sie haben; und je größer k ist, desto größer ist ihre Fähigkeit, Darlehen zu expandieren und Depositen zu generieren. Am wichtigsten ist, dass Bankiers technisch nicht in der Lage sind zu unterscheiden, ob ihre Wachstumspolitik zu einer Erweiterung ihrer individuellen Aktivitätsbereiche auf Kosten anderer Banken oder letztlich zu einem allgemeinen Anstieg der Kreditausweitung führt, der das ganze Bankensystem erfasst, oder ob beides gleichzeitig geschieht. Banken weiten Kredit und Depositen selbstständig aus und nehmen auch an Prozessen teil, die eine noch größere Kredit- und Depositenexpansion im Bankensystem als Ganzes bewirken. Ferner sind die Banken bestrebt, in diesem Prozess eine zunehmend wichtigere Rolle im Verhältnis zu anderen Banken einzunehmen, und treiben infolgedessen die Kreditausweitung sowohl auf der Ebene individueller Banken als auch auf der des Bankensystems als Ganzes kontinuierlich neu an. In jedem Fall ist k der entscheidende Faktor bei der Bestimmung der Ertragskraft einer Bank. Der Wettbewerb zwischen Banken hält k signifikant unter eins. Jedoch versucht jede Bank, den Wert ihres fe-Faktors kontinuierlich zu steigern. Um dies zu erreichen, nutzen die Banken ihrer Möglichkeiten bezüglich der geografischen Expansion, der Fähigkeit zum Ausschluss und zur Übernahme von Wettbewerbern und der Entwicklung von Wettbewerbsvorteilen aus. 255 Obgleich ein Faktor k gleich eins für eine isolierte Bank unmöglich ist (außer im Fall einer monopolistischen Bank), sind Werte für k, die signifikant höher als null sind, recht häufig. Und unter fast allen Umstände unternehmen Banken extreme Anstrengungen, um k zu vergrößern. Neben anderen Phänomenen erklärt dies den ständigen Druck, dem sie ausgesetzt sind, mit anderen Banken zu fusionieren. Zu illustrativen Zwecken haben wir die folgende Tabelle mit verschiedenen Kombinationen von Reservekoeffizient c und Prozentsatz ungenutzter Krediten oder Kunden, die ihr Bankgeschäft mit derselben Institution betreiben, k, zusammengestellt, die es einer isolierten Bank alleine erlauben, ihre Geldmenge zu verdoppeln (durch das Einsetzen dieser Werte in die Formel [3] erhalten wir x = d). Reservekoeffizient c
Prozentsatz ungenutzter Kredite k k= (x=d= 1)
2 Prozent 5 Prozent 7 Prozent 13 Prozent 15 Prozent 17 Prozent 20 Prozent
2,04 Prozent 5,26 Prozent 7,52 Prozent 14,94 Prozent 17,64 Prozent 20,48 Prozent 25,00 Prozent
255 In einigen Fällen zahlen Banken sogar Zinsen an ihre Bankkonteninhaber, um neue Depositen anzuziehen und zu halten. Infolgedessen reduzieren sie letztlich die großen Gewinnmargen aus Buchung (15). Dies berührt weder unser grundlegendes Argument noch die Fähigkeit zur Schaffung v o n Depositen - ihre Hauptgewinnquelle. In Mises' Worten zu diesem kompetitiven Prozess: „Durch übermäßiges Entgegenkommen in der Behandlung solcher Einlagen sind schon manche Banken illiquid und selbst insolvent geworden." Mises, Nationalökonomie, S. 422.
150 Der Kreditausweitungsprozess 4 . 4 . 5 Kreditausweitung und Depositenschaffung ex nihilo durch eine einzelne, monopolistische Bank
Nehmen wir nun an, dass k = 1 ist. Wir behandeln entweder eine einzelne, monopolistische Bank, bei der die Kreditnehmer zwangsläufig alle ihre geliehenen Gelder als Depositen halten müssen, weil es keine andere Bank gibt, oder eine Situation, in der alle Letztempfanger von Zahlungen, die durch Kreditnehmer der Bank vorgenommen werden, zugleich Kunden der Bank sind. (Dieses „ideale" Ziel könnte durch eine Fusion aller verbleibenden Großbanken erreicht werden.) Wenn wir den Wert k = 1 in die Formel [3] einsetzen, erhalten wir: [6] x = ^ Wenn wir auf unser Beispiel zurückkommen, in dem d = 1.000.000 GE und c = 0,1 ist, und diese Werte in die Formel einsetzen, dann erhalten wir: [7] x = 1.000.000(1 - 0,1) = 1.000.000 0,9 = 9 0 0 . 0 0 0 = 9.0Q0.00Q QE v^ 1
U ^ JL
U) X
In diesem Fall könnte die Bank alleine Kredite und Depositen oder Umlaufsmittel in der Summe von 9.000.000 GE ex nihilo schaffen, was bedeutet, dass sie ihre gesamte Geldmenge verzehnfachen könnte (1.000.000 ursprünglich deponierte GE plus 9.000.000 GE in der Form von Umlaufsmitteln oder Depositen, die aus dem Nichts geschaffen wurden und Kredit decken, welche die Bank gewährt hat). Dem Beispiel von Bresciani-Turroni256 folgend und unter der Annahme, dass alle Zahlungstransaktionen zwischen der Bank und Kunden derselben Bank ausgeführt werden (vorausgesetzt die Bank ist monopolistisch oder es existieren bestimmte Umstände, die eine derartige Situation herbeiführen), werden wir nun jeden Bilanzierungseintrag nutzen, um den Prozess darzulegen, der zu diesem Ergebnis führt. Wir werden jetzt dem traditionellen kontinentalen System (und nicht dem angelsächsischen) folgen, in dem alle Zahlungen im Kassenposten festgehalten werden. Die folgenden Einträge repräsentieren das Buch in den Zeitpunkten t r t 2 , t 3 , ... tg etc. und reflektieren die Praxis der Bank, wiederholt den eigenen Kunden Darlehen in der Höhe von 90 Prozent der in Bargeld erhaltenen Gelder zu gewähren. Die Kunden heben die volle Summe des Darlehens ab. Weil sie jedoch kein Konto bei einer anderen Bank haben (es gibt keine andere Bank in dieser Gesellschaft), deponieren sie das erhaltene Geld letztlich in derselben Bank. Dies erlaubt es der Bank wiederum, neue Darlehen zu gewähren und neue Depositen zu generieren, und dieser Prozess wird immer wieder wiederholt. (30)
BankA (Buch der jährlichen Operationen) Soll
t, t2
Haben
1.000.000 Bargeld 900.000 Kredite an U
Sichteinlagen deponiert durch Herrn X Bargeld
256 Bresciani-Turroni, Curso de economía, Bd. 2: Problemas
de economía política,
1.000.000 900.000
S. 1 3 3 - 3 8 .
Die durch die Nutzung der Sichteinlagen durch die Banken hervorgerufenen Effekte
151
Wir setzen als Annahme voraus, dass U den gesamten Betrag seines Kredits abhebt und an seinen Gläubiger A zahlt. A ist ebenfalls Kunde der Bank von U und deponiert dort die 900.000 GE, die er erhält. Es resultieren die folgenden Einträge: t3
900.000 Bargeld
Sichteinlagen deponiert durch Herrn A
900.000
t4
810.000 Kredite an V
Bargeld
810.000
Wir unterstellen, dass Kreditnehmer V sein Geld abhebt und an Kreditgeber B zahlt, der ebenfalls Kunde der Bank ist und sein Geld in dieser deponiert. Dieser repetitive Prozess setzt sich fort und führt zu den folgenden Buchungseinträgen: 810.000 Bargeld
Sichteinlagen durch Herrn B
810.000
t6
729.000 Kredite an Y
Bargeld
729.000
t7
729.000 Bargeld
Sichteinlagen deponiert durch Herrn C
729.000
t8
656.000 Kredite an Z
Bargeld
656.000
t9
656.000 Bargeld
Sichteinlagen deponiert durch Herrn D
656.000
Dies geschieht wieder und wieder, bis am Ende des Jahres die gesamten Depositen der Bank der folgenden Formel entsprechen: [8]
1.000.000 + 1.000.000 • 0,9 + 1.000.000 • 0,92 + 1.000.000 • 0,93 + 1.000.000 • 0,94 + ... = 1.000.000 (1 + 0,9 + 0,92 + 0,93 + 0,94 + ...)
Der obige Ausdruck repräsentiert die Summe einer geometrischen Reihe. Die Glieder steigen an und stehen in einem gemeinsamen Verhältnis von 0,9.257
257 Die Summe der Folge ist: [9] Sn = a + ar + ar2 ... + ar"'1; bei Multiplikation mit dem gemeinsamen Verhältnis von r ergibt sich: [10] rSn = ar + ar2 + ar3 ... + ar"'1 + ar"; wenn wir [10] von [9] subtrahieren, erhalten wir: Sn - rSn = a - ardurch Ausklammem des gemeinsamen Faktors auf beiden Seiten: Sn (1 - r) = a ( l - r"); sodann isolieren wir Sn: [11]
Sn =
_ ^
und wenn r < 1, dann geht r* gegen 0
Lim Sn = Lim n —> oo n —> 0 (in unserem vorigen Beispiel k = 0,2) reproduzieren. Mit c = 0,1 ist eine Bank dann in der Lage, für jede 1.000.000 GE, die sie erhält, aus dem Nichts neue Banknoten in folgender Höhe zu schaffen: [43]
d(1
~c)
1 + k(c-
1)
Das heißt, dass die Bank die Möglichkeit hat, 1.097.560 GE in der Form von ungedeckten Noten zu schaffen. Ein Resultat nach dem anderen, das wir für die Bankdepositen erhalten haben, könnten wir für die Banknoten duplizieren, was zeigt, dass aus ökonomischer Sicht kein Unterschied besteht zwischen der Ausgabe von ungedeckten Noten und der Ausweitung des Bankkredits, der durch ex nihilo geschaffene Depositen gedeckt wird. Die einzige bedeutende Differenz liegt in der rechtlichen Natur, da nach allgemeinen Rechtsprinzipien die Ausgabe von ungedeckten Noten ein Fälschungs- und Betrugsdelikt bedeutet, während der monetäre Bankdepositenvertrag einzig eine Veruntreuung beinhaltet. Dennoch bestehen einige Unterschiede in der Art, in der die Operation durchgeführt wird. Banknoten haben die Form einer Inhaberschuldverschreibung und jede hat ihren eigenen Nennwert, was den Transfer der Noten zwischen Privatpersonen ermöglicht, ohne dass es für die Bank notwendig wird, einen Eintrag in ihren Büchern vorzunehmen (als ein Ergebnis vermindern sich die Kosten von Banktransaktionen). Im Gegensatz dazu haben Depositen für die Kunden den Vorteil, dass sie eine exakte Summe auf einen Scheck schreiben können, ohne eine spezifische Anzahl von Noten eines festgesetzten Wertes übergeben zu müssen. Jedoch ist es ein Nachteil, dass der Bankier den durchgeführten Transaktionen folgen und sie in seinen Büchern aufzeichnen muss. Trotz dieser rechtlichen und formellen Unterschiede sind beide Operationen aus ökonomischer Sicht im Wesentlichen identisch und produzieren die gleichen Effekte. Wie wir später sehen werden, erkannten die Theoretiker in den geldtheoretischen Anfängen aber lediglich den unmoralischen Charakter der Schaffung ungedeckter Banknoten und den schweren Schaden, den sie verursacht. Dass die
176
Der Kreditausweitungsprozess
expansive Schaffung von Darlehen, die durch aus dem Nichts hervorgebrachte Depositen gedeckt sind, die gleichen Effekte zeitigt, erkannten sie zunächst aber nicht, geschweige denn, dass sie darauf reagierten. Dies erklärt, warum die Peel'sche Bankakte vom 19. Juli 1844, die Grundlage aller modernen Bankensysteme, die Emission von ungedeckten Banknoten verbot, jedoch kläglich daran scheiterte, ihre Ziele der monetären Stabilität und einer angemessenen Definition und Verteidigung der Eigentumsrechte der Bürger in Bezug auf das Bankwesen zu erreichen. Das Scheitern war in der Unfähigkeit der Gesetzgeber begründet zu verstehen, dass Bankdepositen mit einer Teildeckung genau die gleiche Natur und dieselben wirtschaftlichen Effekte wie ungedeckte Banknoten haben. Folglich verbot der Gesetzesakt das Teildeckungsbankwesen nicht und gestattete die Fortsetzung der jahrhundertealten Praxis der „Emission" von ungedeckten (sekundären) Depositen. In der Realität gingen die sekundären Depositen der Emission von ungedeckten Banknoten voraus. Weil Erstere sich jedoch als viel komplexer erwiesen, wurden nur Letztere (und das sehr verspätet) verboten. Der monetäre Bankdepositenvertrag mit Teildeckung ist noch heute legal, obwohl er genau die gleiche ökonomische Natur besitzt und die gleichen schädlichen Effekte wie die Emission von ungedeckten Banknoten hat, die 1844 durch die Peel'sche Bankakte verboten wurde.271
271 Wie Kapital 8 später detaillierter enthüllen wird, war der erste Theoretiker, der realisierte, dass Bankdepositen Geld sind und das Teildeckungsbankwesen die Geldmenge erhöht, der spanische Scholastiker Luis de Molina, Tratado sobre los cambios, herausgeben und mit Vorwort von Francisco Gömez Camacho (Madrid: Instituto de Estudios Fiscales, 1991; Die erste Auflage wurde 1597 in Cuenca veröffentlicht). Vgl. beispielsweise Disputation 409, S. 145-56, bes. S. 147. Dennoch erkannte Luis de Molina die Parallelen zwischen sekundären Depositen und ungedeckten Noten nicht, da die Banken zu seiner Zeit noch nicht damit begonnen hatten, sich der Banknotenemission zu bedienen. Es sollte bis 1797 dauern, bis Heniy Thornton zum ersten Mal die Gleichwertigkeit von Noten und Depositen erwähnen würde (vgl. seine Erwiderung vom 30. März 1797 in „Evidence given before the Lords' Committee of Secrecy appointed to inquire into the courses which produced the Order of Council of the 27 th February 1797", reproduziert in An Inquiry into the Nature and Effects of the Paper Credit of Great Britain, F. A. Hayek, Hrsg. [Fairfiled, N. J.: Augustus M. Kelley, 1978], S. 303). Einige Jahre später kamen Walter Boyd, James Pennington und der pennsylvanische Senator Condy Raguet zu der gleichen Schlussfolgerung. Diese Persönlichkeiten glaubten, dass sowohl Depositen als auch Banknoten Teil der Geldmenge waren und jede Bank ihre Betriebslizenz verlieren sollte, die darin fehlte, nicht unverzüglich und auf Verlangen den Wert der von ihr ausgegebenen Banknoten zu zahlen, oder der es nicht gelang, sofort und in bar Abhebungswünschen der von der Bank emittierten Depositen zu entsprechen (vgl. „Report on Bank Charters" von Condy Ragued, enthalten in Journal of the Senate, 1820-1921, Pennsylvania Legislature, S. 252 - 68 und die diesbezüglichen Kommentare von Murray N. Rothbard in seinem Buch The Panic of 1819: Reactions and Policies [New York und London: Columbia University Press, 1962], S. 148). Es ist sehr bedeutend, dass es die Banking-School-Theoretiker selbst waren, die als Erste mit Recht darauf insistierten, dass es angesichts der gleichen ökonomischen Natur von Noten und Depositen ein sehr paradoxes Unterfangen war, die Emission von ungedeckten Noten zu limitieren, ohne zugleich dieselbe Maßnahme hinsichtlich der Depositen zu befürworten. Vgl. beispielsweise James Wilsons Werk Capital, Currency and Banking (London: The Economics, 1847), S. 282; vgl. zudem Vera C. Smiths Kommentare in ihrem Buch The Rationale of Central Banking and the Free Banking Alternative, S. 89. Smith macht die folgende scharfsinnige Beobachtung, wenn sie im Hinblick auf Wilson und den schweren Fehler der Currency School, die nicht in der Lage war, die ökonomischen Parallelen zwischen Noten und Depositen zu erkennen, ausfuhrt: „The reason the currency school usually gave for this distinction was that bank notes increased the circulation and deposits did not. Such an argument was not, of course, acceptable to Wilson as a member of the banking school of thought which both denied that the issue of notes could be increased to any undesirable extent so long as convertibility was strictly maintained, and pointed
Der Kreditrestriktionsprozess
177
4.8 Der Kreditrestriktionsprozess Eines der zentralen Probleme des Prozesses der Kreditausweitung und der Depositenschaffung ex nihilo und damit des Bankdepositenvertrages mit einer Teildeckung ist es, dass dieser Prozess genau so, wie er Kräfte freisetzt, die die Effekte der Kreditausweitung auf die reale Wirtschaftstätigkeit umkehren, auch Kräfte entfesselt, die zu einem parallelen Prozess der Kreditrestriktion oder Kreditkontraktion führen. Ceteris paribus kann jedes der folgenden Ereignisse dazu führen, dass ein derartiger Prozess angestoßen wird: (a) eine Verringerung der ursprünglichen Depositen; (b) ein Anstieg in der Neigung der Öffentlichkeit, Geldeinheiten außerhalb des Bankensystems zu halten (d.h./steigt an); (c) Banken werden „vorsichtiger", was sie dazu veranlasst, ihren Reservekoeffizienten c zu steigern, um in der Lage zu sein, einer höheren Anzahl von durchschnittlich möglichen Abhebungswünschen nachzukommen; (d) ein plötzlicher Anstieg in der Rückzahlung von Darlehen, der nicht durch einen Anstieg bei den gewährten Darlehen kompensiert wird; und (e) eine Steigerung der Anzahl der Darlehensnehmer, denen es unmöglich ist, ihre Darlehen zurückzuzahlen, d.h. mehr säumige Zahler. Erstens ist es klar, dass alle geschaffenen Darlehen und Depositen, auf die wir uns in vorhergehenden Beispielen bezogen haben, in einer Kettenreaktion verschwinden würden, wenn eine bestimmte Menge an ursprünglichen Depositen von einer Bank abgehoben würde (zum Beispiel die 1.000.000 in vorherigen Illustrationen deponierten GE), was zu einem Rückgang der Darlehen und Depositen führen würde. Wenn wir annehmen, dass c = 0,1 und k = / = 0, dann entspricht der Rückgang der Darlehen und Depositen 9.000.000 GE, was einer signifikanten Abnahme der Geldmenge gleichkommt. Die Geldmenge würde auf ein Zehntel der früheren Menge fallen. Die Folge ist eine starke Deflation bzw. ein Rückgang in der Geldmenge in Zirkulation, was zu einer Verringerung der Waren- und Dienstleistungspreise führt. Dies verstärkt kurz- und mittelfristig die Rezession, die letztlich im Markt durch die Prozesse der Kreditausweitung entsteht. Zweitens hat der Wunsch der Öffentlichkeit, mehr Geld außerhalb des Bankensystems zu halten, die gleichen Effekte. Dieser Wunsch bewirkt einen Anstieg von f und eine Verringerung der Fähigkeit der Banken zur Kreditausweitung, was wiederum zu einer Rezession und Verringerung der Geldmenge führt. out that the difference claimed between notes and deposit liabilities was invalid. But it was still denied in many quarters that demand deposits formed part of the circulation, and it was probably by no means generally admitted right up to the time of MacLeod." (S. 89) Wilson hatte sicher völlig recht, diesen Widerspruch anzusprechen. Angesichts der ökonomischen Äquivalenz von Banknoten und Depositen sind die Argumente für die Regulierung von einer ungedeckten Emissionsform direkt, mutatis mutandis, auf die andere anwendbar. Darüber hinaus ist dieses Verhalten von der gleichen Inkonsistenz, die fast ein Jahrhundert später die Verteidiger des irregulären Wertpapierdepositenvertrages zeigen. Diese Kontroverse kam zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Zusammenhang mit Bankpraktiken in Barcelona auf; zu dieser Zeit wurde die Teildeckung bei irregulären Wertpapierdepositen infrage gestellt und scharf kritisiert. Wie die Verteidiger dieses Vertrages damals ganz richtig feststellten, sollten die Gründe, die gegen diese Praxis vorgebracht werden, auch auf monetäre Bankdepositen mit Teildeckung angewendet werden (vgl. die diesbezüglichen Betrachtungen in Kapitel 3).
178 Der Kreditausweitungsprozess Drittens führt die Entscheidung von Banken, „vorsichtiger" zu sein und ihre Reservekoeffizienten zu erhöhen, ebenfalls zu einer Kontraktion. Viertens bewirkt die Rückzahlung von Darlehen gleichfalls deflationäre Effekte (wenn nicht genug neue Darlehen gewährt werden, um zumindest die zurückgezahlten zu ersetzen). Wir werden diese Möglichkeit detaillierter untersuchen und stellen uns zunächst eine Bank vor mit c = 0,1 und k = 0 sowie/= 0, deren Kreditnehmer ihre Darlehen zurückzahlen. Die Buchungseinträge und die sich ergebende Bilanz, wenn die Darlehen gewährt werden, sehen folgendermaßen aus: (64)
Bank A Haben
Soll 1.000.000
Bargeld
Sichteinlagen
1.000.000
900.000
Darlehen
Sichteinlagen
900.000
900.000
Sichteinlagen
Bargeld
900.000
(65)
Bank A Bilanz c = 0,1, k = 0 und
f=
0 Passiva
Aktiva Bargeld
100.000
Darlehen
900.000
Summe Aktiva
1.000.000
Banknoten
1.000.000
Summe Passiva
1.000.000
In vorherigen Beispielen betrachteten wir die Schaffung von neuen Darlehen und Depositen durch das Bankensystem in Höhe von 9.000.000 GE. In dem Moment, in dem die Darlehensnehmer die Darlehen zurückzahlen, werden die letzten beiden Buchungseinträge in der folgenden Weise rückgängig gemacht: (66)
Bank A Soll
Haben
900.000
Bargeld
900.000
Sichteinlagen
Sichteinlagen
900.000
Darlehen
900.000
Die Bilanz von Bank A sieht nun folgendermaßen aus: (67)
Bank A Bilanz c = 0,1, Ar = 0 und
f=
0
Aktiva
Passiva
Bargeld
1.000.000
Sichteinlagen
1.000.000
Summe Aktiva
1.000.000
Summe Passiva
1.000.000
Der Kreditrestriktionsprozess
179
Aus ökonomischer Sicht bedeutet dies, dass vom Standpunkt einer einzelnen Bank betrachtet die Geldmenge um 900.000 GE gesunken ist. Die Geldmenge ist von 1.900.000 GE zum Zeitpunkt der Kreditvergabe (1.000.000 in Depositen und 900.000 in den Händen der Darlehensnehmer) auf 1.000.000 GE gefallen, das einzige Geld, das nach Rückzahlung der Darlehen noch übrig ist. Deshalb geht die Geldmenge aus Sicht einer isolierten Bank eindeutig zurück. Für den Fall, dass alle Banken simultan Kredit ausweiten und ursprüngliche Depositen empfangen, wissen wir bereits, dass jede Bank in der Lage ist, ihre Bargeldreserven konstant zu halten und Darlehen in Höhe eines Vielfachen ihrer Reserven zu gewähren. Daher erscheint die Bilanz einer beliebigen Bank, z.B. Bank A, wie folgt: (68)
Bank A Bilanz c = 0,1, /c = 0 und f = 0 Passiva
Aktiva Bargeld
1.000.000
Darlehen
9.000.000
Summe Aktiva
10.000.000
Sichteinlagen
10.000.000
Summe Passiva
10.000.000
Wenn nun alle Darlehensnehmer der Bank ihre Darlehen zurückzahlen und mit Schecks bezahlten, sieht die Bankbilanz folgendermaßen aus: (69)
Bank A Bilanz c = 0,1, /r = 0 und f = 0 Aktiva
Passiva
Bargeld
1.000.000
Banknoten
1.000.000
Summe Aktiva
1.000.000
Summe Passiva
1.000.000
Diese Bilanz bildet klar die Verringerung der Geldmenge bzw. die Kreditkontraktion in Höhe von 9.000.000 GE ab. Ein identischer Fall würde aus einer simultanen Rückzahlung an isolierte Banken, wie in den Einträgen (66) und (67) dargestellt, resultieren, wobei ein Prozess durchlaufen wird, der identisch mit der Umkehrung, des in Tabelle 4.2 dargestellten Prozesses ist. Fünftens: Wenn Darlehen durch die Erfolgslosigkeit der ökonomischen Aktivitäten, die sie finanzierten, an Wert verlieren, muss die entsprechende Bank diese Tatsache als einen Verlust verbuchen, wie es hier gezeigt wird: (70)
Bank A Soll
Verluste durch säumige Zahler (Ausgaben)
Haben 9.000.000
Darlehen
9.000.000
180 Der Kreditausweitungsprozess Die Bankbilanz würde wie folgt aussehen: Bank A Bilanz c = 0,1, ir = 0 und
(71)
f=
0
Aktiva Bargeld Jahresverlust Summe Aktiva
Passiva 1.000.000 9.000.000 10.000.000
Sichteinlagen
10.000.000
Summe Passiva
10.000.000
Wenn wir dies mit der Bilanz (69) vergleichen, sehen wir, dass die Bank in beiden Fällen die gleichen Bargeldreserven hält, jedoch mit einem sehr bedeutenden Unterschied: In der Bilanz (71) sind unter Passiva 10.000.000 GE in Depositen verzeichnet im Vergleich zu 1.000.000 GE in Bilanz (69). In anderen Worten: Die Bank ist technisch bankrott. Trotzdem wird sich die Geldmenge nicht verringern, solange die Deponenten der Bank weiterhin ihr Vertrauen schenken. Tatsächlich könnte die Bank sogar, da niemand die sekundären, von den Bankiers geschaffenen Depositen von 9.000.000 abheben wird, diesen Betrag als Jahresgewinn auffassen, was eine Summe ist, die die an säumige Zahler verlorenen 9.000.000 GE kompensiert und die Bilanz wie in (69) erscheinen lassen würde. 272 Indes ist diese Situation im Hinblick auf eine Deflation sogar noch gefahrlicher als jene, die einer Darlehensrückzahlung folgt: Bevor es zu einer solchen Situation kommt, werden Banken nämlich neue Darlehen massiv einschränken (sie werden sehr viel strenger bei den Kriterien der Kreditvergabe sein) und damit den deflationären Prozess beschleunigen; und wenn die von ihnen getroffenen Maßnahmen sich als unzureichend erweisen, um säumige Zahler und die Gefahr eines Zusammenbruchs zu vermeiden, werden sie nur einen Schritt davon entfernt sein, das Vertrauen ihrer Deponenten zu verlieren. Diese Deponenten können die Banken dazu bringen, ihre Zahlungen einzustellen oder den Bankrott zu erklären. Im letzteren Falle werden sogar die ursprünglich in bar deponierten 1.000.000 GE abgehoben, was die Existenz des gesamten Bankensystems bedrohen würde. Unter normalen Umständen kommt es nicht zu einer Kontraktion oder Deflation, wie wir sie beschreiben, denn zahlt ein Kunde einer Bank ein Darlehen zurück, wird diese Summe durch ein anderes Darlehen kompensiert, das von einer anderen Bank gewährt wird. Tatsächlich wird sogar innerhalb derselben Bank immer der Versuch unternommen, das zurückgezahlte Darlehen durch ein neues zu ersetzen. Darüber hinaus kann eine Bank unter normalen Umständen Zahlungsrückstände einfach als weitere Betriebskosten betrachten. Das Kernproblem, das durch eine Kreditklemme aufgeworfen wird, besteht (wie wir in den folgenden Kapiteln genauer untersuchen werden) in der Tatsache, dass es gerade der Prozess der auf einer Teildeckung basierenden Kreditausweitung ist, der unvermeidlich die nicht auf 272 Es ist interessant zu beobachten, wie sich Bankiers in Krisensituationen ausnahmslos darüber beklagen, dass sie mit nur ein wenig Unterstützung von jemandem (dem Staat oder der Zentralbank) bei der Wiederherstellung des Vertrauens ihrer Kunden ohne Probleme weiter funktionieren und ihre „Solvenz" schnell wiederherstellen könnten.
Der Kreditrestriktionsprozess
181
freiwilliges Sparen gestützte Darlehensgewährung anstößt. Diese Darlehensgewährung führt zu einem Prozess der intertemporalen Fehlkoordination, der wiederum auf die verzerrte Information zurückzuführen ist, die das Bankensystem den Unternehmern, die vom System ex nihilo geschaffene Darlehen erhalten, übermittelt. So drängen die Unternehmer dazu, neue Investitionsprojekte zu lancieren, als ob die realen Ersparnisse der Gesellschaft angestiegen wären, obwohl dies in Wirklichkeit nicht geschehen ist. Das Ergebnis ist ein künstlicher wirtschaftlicher Aufschwung oder „Boom", der durch Prozesse, die wir später noch en détail untersuchen werden, zwangsläufig eine Anpassung in Form einer Krise und wirtschaftlichen Rezession hervorruft. Dies fasst die negativen Effekte zusammen, die durch die Finanzpraxis der Kreditausweitung durch die Emission von Umlaufsmitteln (Depositen) auf die reale Wirtschaft ausgeübt werden. Die Krise und die wirtschaftliche Rezession machen offenbar, dass eine signifikant hohe Zahl von Investitionsprojekten, die durch neue, von den Banken geschaffene Darlehen finanziert wurden, nicht profitabel sind, weil sie nicht den wahren Wünschen der Konsumenten entsprechen. Deshalb gehen viele Investitionsprojekte bankrott, was letztlich schwerwiegende Effekte auf das Bankensystem hat. Die schädlichen Konsequenzen zeigen sich in einer weitverbreiteten Darlehensrückzahlung durch viele demoralisierte Geschäftsleute, die ihre Verluste abschätzen und unsolide Investitionsprojekte liquidieren (wodurch sie eine Deflation und Kreditkontraktion provozieren). Diese Konsequenzen spiegeln sich auch in einem alarmierenden und atypischen Anstieg von Zahlungsrückständen wieder, was die Solvenz der Banken negativ beeinflusst. Genau so, wie die Geldmenge gemäß dem Geldschöpfungsmultiplikator wuchs, stößt auch der künstliche wirtschaftliche Aufschwung, der durch die Schaffung von Darlehen ex nihilo angeregt wurde, letztlich eine endogene Rezession an, die in Form einer ausgedehnten Darlehensrückzahlung und eines Anstiegs der Zahlungsrückstände die Geldmenge wesentlich verringert. Deshalb erzeugt das Teildeckungsbankwesen eine extrem elastische Geldmenge, die sich mit Leichtigkeit ausdehnt, sich dann aber mit der gleichen Mühelosigkeit wieder zusammenziehen muss - mit den entsprechenden Auswirkungen auf die wirtschaftliche Aktivität, die wiederholt zwischen den sukzessiven Phasen des Booms und der Rezession hin- und hergeworfen wird. Eine „manisch-depressive" wirtschaftliche Aktivität mit all ihren schweren schmerzhaften sozialen Kosten ist unzweifelhaft der schwerwiegendste, schädlichste Effekt, den das gegenwärtige (auf einer Teildeckung basierende und gegen allgemeine Rechtsprinzipien verstoßende) Bankensystem auf die Gesellschaft ausübt. Kurzum machen die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Bankkunden, eine der unvermeidlichen Folgen jeder Kreditausweitung, viele Darlehen uneinbringlich, was den Kreditkontraktionsprozess (die Inverse des Expansionsprozesses) noch beschleunigt. Dadurch kann die Bank, wie in unserem Bilanzierungsbeispiel, tatsächlich komplett bankrottgehen. In diesem Falle verlieren die von ihr ausgegebenen Noten und Depositen (die, wie wir wissen, aus ökonomischer Sicht äquivalent sind) ihren ganzen Wert, was den Geldschrumpfungsprozess noch steigert (anstelle der Verringerung der Geldmenge um 9.000.000 GE durch die Darlehensrückzahlung
182
Der Kreditausweitungsprozess
fällt die Geldmenge dann um 10.000.000 GE; d.h., die Geldmenge fällt auch um die 1.000.000 GE primärer Depositen, die von der Bank gehalten werden). Des Weiteren reichen Solvenzprobleme einer einzigen Bank aus, unter den Kunden aller anderen Banken Panik zu säen, was dazu fuhrt, dass eine nach der anderen ihre Zahlungen einstellt - mit tragischen wirtschaftlichen und finanziellen Konsequenzen. Darüber hinaus müssen wir darauf hinweisen, dass die Unfähigkeit, Darlehen zurückzubekommen, einen Kreditkontraktionsprozess initiiert, der spontan ausgelöst wird, wenn Darlehen zurückgezahlt werden und nicht in dem gleichen Maße durch neue ersetzt werden können. Dieser Prozess wird selbst dann ausgelöst, wenn die Öffentlichkeit den Banken (trotz ihrer Insolvenz) weiterhin vertraut und eine Zentralbank, die für solche Situationen ad hoc gegründet wird, jegliche notwendige Liquidität bereitstellt, um den Deponenten zu versichern, dass ihre Depositen vollständig geschützt sind. Dieses Phänomen ist typische für Rezessionsphasen. Wenn die Kunden ihre Darlehen nicht bezahlen, werden die Banken bei der erneuten Kreditgewährung vorsichtiger. Daher wird der natürliche Widerwille der demoralisierten Öffentlichkeit bei der Darlehensnachfrage durch die größere Umsicht und Strenge der Banken bei der Darlehensgewährung verstärkt. Außerdem werden die Bankiers, wenn sie ihre Profitabilität wegen uneinbringlicher Darlehen zusammen mit dem Wert ihrer Aktiva fallen sehen, versuchen, noch vorsichtiger zu sein und unter sonst gleichen Umständen ihren Bargeldbestand durch die Erhöhung ihres Reservekoeffizienten zu steigern, was einen noch größeren Kontraktionsprozess nach sich ziehen wird. Schließlich werden Firmenzusammenbrüche und die Frustration, die aus der Unfähigkeit resultiert, den Verpflichtungen gegenüber den Banken nachzukommen, noch mehr zur Demoralisierung der ökonomischen Agenten und ihrer Entschlossenheit beitragen, neue durch Bankdarlehen finanzierte Investitionsprojekte zu vermeiden. In der Tat erkennen viele Unternehmer letztendlich, dass sie sich in den Expansionsphasen von einem ungerechtfertigten Optimismus haben mitreißen lassen, was größtenteils auf die maßlos generösen Kreditbedingungen zurückzußihren ist, die die Bankiers zunächst anboten. So werden die Unternehmer ihre Fehleinschätzungen richtigerweise diesen lockeren Bedingungen zuschreiben. 273 Als eine Folge nehmen Sie sich vor, die gleichen Fehler nicht noch einmal zu machen. (Ob sie freilich bei ihrem Versuch der Fehlerbehebung erfolgreich sind und sich auch in Zukunft an ihre unerfreulichen Erfahrungen während der Rezessionsphasen erinnern werden, ist ein anderes Thema, dem wir später begegnen werden.) 273 Vgl. zudem Kapitel 5, Abschnitt 4. Das schwere Leid, das Bankiers denjenigen Kunden zufügen, die sie zum „Genuss" neuer Darlehen und zum Engagement in Geschäften drängen, die eine Bankfinanzierung benötigen, sollte theoretisch in Rechtsfällen zugelassen werden, in denen Banken auf die Schäden verklagt werden, die sie den Darlehensnehmern auf diese Weise zufügen. Wenn derartige Klagen bis jetzt noch nicht vor die Gerichte gebracht worden sind, dann ist das darauf zurückzuführen, dass die ökonomische Theorie noch nicht weit genug vorangeschritten ist, um die Ursache und Natur der Schäden klar zu identifizieren. Die theoretischen Entwicklungen machen es heute jedoch möglich, die Theorie vor Gericht anzuwenden. Ein sehr ähnlicher, analoger Fall wäre die Nutzung von Durchbrüchen in der Biologie zur Erleichterung von rechtlichen Vaterschaftserklärungen, die noch vor ein paar Jahren unmöglich waren.
Der Kreditrestriktionsprozess
183
Als Schlussfolgerung lässt sich festhalten, dass ein Teildeckungsbankensystem die Geldmenge genauso einfach zusammenzieht und drastisch reduziert, wie es den Kredit ausweitet und die Geldmenge vergrößert. In anderen Worten generiert das System eine elastische und extrem fragile Geldmenge, die großen Konvulsionen unterworfen ist, die wenn überhaupt nur sehr schwer zu entschärfen oder zu unterbinden sind. Dieses Geld- und Bankensystem steht unelastischen Systemen gegenüber (wie etwa dem, das einen klassischen Goldstandard mit einer hundertprozentigen Deckung verbindet), die keine überproportionale Ausdehnung der Geldmenge erlauben (die weltweite Goldproduktion ist in vergangenen Jahrhunderten mit einer Rate von ein bis zwei Prozent pro Jahr angestiegen). Diese Systeme haben außerdem den Vorteil, durch ihre Inelastizität (Gold ist unzerstörbar und durch die Geschichte hindurch hat die Welt eine sehr inflexible Menge von Gold angehäuft) weder einen abrupten Fall der Geldmenge zu erlauben noch (logischerweise) irgendwelche Kreditklemmen oder Geldengpässe, die einen schwächenden Effekt auf die Wirtschaft ausüben - ganz im Gegensatz zur gegenwärtigen Situation, für die das existierende Bankensystem verantwortlich ist. 274
274 Im letzten Kapitel werden wir die komparativen Vorteile eines klassischen Goldstandards untersuchen, der auf einem den Rechtsprinzipien unterworfenen Bankensystem basiert, das heißt auf einem System, das eine hundertprozentige Deckung einhält.
5
Die Kreditausweitung der Banken und ihre wirtschaftlichen Folgen
In den vorangehenden Kapiteln haben wir erklärt, wie der monetäre Bankdepositenvertrag mit einer Teildeckung zur Schaffung neuen Geldes (Depositen) und zur Injektion dieses Geldes in das Wirtschaftssystem in Form von neuen, nicht durch einen natürlichen Anstieg der Ersparnisse gedeckten Darlehen führt (Kreditausweitung). In diesem Kapitel werden wir uns auf die Effekte der Kreditausweitung auf das Wirtschaftssystem konzentrieren. Wir werden die Verzerrungen analysieren, die der Expansionsprozess verursacht: Investitionsfehler, Kreditklemmen, Bankkrisen und schließlich Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Abschwünge. Zunächst müssen wir jedoch sowohl die Kapitaltheorie als auch die Produktionsstruktur einer realen Volkswirtschaft im Detail untersuchen, zumal ein klares Verständnis beider wesentlich für das Verstehen der Prozesse ist, die im Markt durch die Gewährung von Bankdarlehen ausgelöst werden, die sich nicht aus einem vorhergehenden Sparanstieg ableiten. Unsere Analyse wird zum Vorschein bringen, dass das uns betreffende Rechtskonzept (der monetäre Bankdepositenvertrag mit einer Teildeckung) vielen ökonomischen Agenten (und der Gesellschaft als Ganzem) großen Schaden zufügt, da es die Hauptursache der wiederkehrenden wirtschaftlichen Rezessionen ist. Des Weiteren werden wir zeigen, dass die Kreditausweitung, weil sie Wirtschafts- und Bankenkrisen auslöst, das „Gesetz der großen Zahl" für das Bankwesen ungeeignet macht und es dadurch technisch unmöglich wird, den Abschluss der Operationen der Teildeckungsbanken zu garantieren. Diese Tatsache ist von größter Wichtigkeit in Anbetracht des unvermeidbaren Entstehens einer Zentralbank als Kreditgeber letzter Instanz, was wir in einem späteren Kapitel gründlich untersuchen werden. Wir werden damit beginnen, die Prozesse zu erklären, die in einem Wirtschaftssystem spontan ausgelöst werden, wenn neue Darlehen aus einem freiwilligen Anstieg der realen Ersparnisse in der Gesellschaft resultieren; dann wird es im Kontrast und Vergleich leichter zu verstehen sein, was passiert, wenn Banken ex nihilo Darlehen in einem Kreditausweitungsprozess schaffen.
5.1 Die Grundlagen der Kapitaltheorie In diesem Abschnitt werden wir die Grundsätze der Kapitaltheorie untersuchen, die zum Verständnis der Effekte der Kreditausweitung auf das Wirtschaftssystem notwendig sind.275 Wir werden mit der Betrachtung der subjektiven Konzeption 275 Die von uns dargelegte Kapitaltheorie ist grundlegend für das Verständnis des Prozesses, mit dem die Bankkreditausweitung die reale Produktionsstruktur einer Volkswirtschaft verzerrt. In der Tat besteht der Fehler der Kritiker der österreichischen Konjunkturtheorie (auch Zirkulationskredittheorie genannt), die wir hier vorstellen, darin, dass sie die Kapitaltheorie einfach nicht berücksichtigen. Dies trifft zum Beispiel auf Hans-Michael Trautwein und seine beiden Artikel zu: „Money, Equilibrium, and the Business Cycle: Hayek's Wicksellian Dichotomy", History of Political Economy 28, Nr. 1 (Frühling 1996): 27-55, und „Hayek's Double Failure in Business Cycle Theory: A Note", Kapitel 4 in Money and Business Cycles: The Economics of F. A. Hayek, hrsg. von M. Colonna und H. Hagemann (Aldershot, U. K.: Edward Elgar, 1994), Bd. 1, S. 74-81.
186 Die Kreditausweitung der Banken und ihre wirtschaftlichen Folgen menschlichen Handelns als einer Reihe von produktiven Etappen mit Zielerreichungsabsicht beginnen. 5.1.1 Menschliches Handeln als eine Reihe subjektiver Etappen
Wir können damit beginnen, menschliches Handeln als bewusstes Verhalten zu definieren. 276 Eine Person handelt, um bestimmte Ziele zu erreichen, die sie als wichtig erachtet. Man nennt Wert die subjektive und psychisch mehr oder weniger starke Wertschätzung, die der Handelnde seinem Ziel zuweist. Mittel ist alles, was der Handelnde subjektiv als geeignet zum Erreichen seines Zieles erachtet. Der Nutzen bezieht sich auf die subjektive Wertschätzung, die der Handelnde dem Mittel im Hinblick auf den Wert des Zieles zuweist, das er mit Hilfe dieses Mittels zu erreichen hofft. Die Mittel müssen per definitionem knapp sein: Würde der Handelnde die Mittel im Hinblick auf seine Ziele nicht als knapp betrachten, zöge er sie für sein Handeln nicht einmal in Betracht. Ziele und Mittel sind nicht „gegeben" (d.h., sie sind keine Daten), sondern resultieren vielmehr aus der fundamentalen unternehmerischen Aktivität des Menschen - eine Aktivität, die in der Schaffung, Entdeckung oder einfach im Erkennen der Ziele und Mittel besteht, die für den Handelnden in den spezifischen Umständen von Zeit und Ort, in denen er sich befindet, wichtig sind. Sobald der Handelnde glaubt, er habe die erreichenswerten Ziele entdeckt, überlegt er, welche Mittel ihm für diese Ziele zur Verfügung stehen. Diese lässt er dann, fast immer stillschweigend, in einen Handlungsplan einfließen, den er dann durch einen Willensakt in Angriff nimmt. Folglich ist der Plan ein mentales, durch den Handelnden erzeugtes Bild der verschiedenen zukünftigen Etappen, Elemente und Umstände, die seine Handlung mit sich bringen könnte. Der Plan ist die persönliche Einschätzung des Handelnden der praktischen Informationen, die er besitzt und allmählich im Kontext jeder Handlung entdeckt. Des Weiteren beinhaltet jede Handlung einen kontinuierlichen Prozess von individueller oder persönlicher Planung, durch den der Handelnde seine Pläne kontinuierlich konzipiert, korrigiert und modifiziert - zumal er ständig neue subjektive Informationen über die von ihm gesteckten Ziele und die Mittel, von denen er glaubt, sie seien ihm zur Erreichung dieser Ziele verfügbar und nützlich, entdeckt und schafft. 277
276 Zu den Konzepten Handeln, Handlungspläne, subjektive Zeiterfassung und Handeln, verstanden als eine Reihe sukzessiver Etappen, vgl. Huerta de Soto, Socialismo, cálculo económico y fiinción empresarial, S. 43 ff. 277 Die Entwicklung der Ökonomie als Wissenschaft, die immer auf dem Menschen als kreativ Handelndem und Protagonisten aller sozialen Prozesse und Phänomene basiert (die subjektivistische Konzeption), ist zweifelsohne der bedeutendste und charakteristischste Beitrag der von Carl Menger gegründeten Österreichischen Schule der Nationalökonomie. In der Tat sah es Menger als unerlässlich an, sich vom sterilen Objektivismus der klassischen (angelsächsischen) Schule abzukehren, deren Vertreter von der angeblichen Existenz von externen und objektiven Gebilden (soziale Klassen, Aggregate, materielle Produktionsfaktoren etc.) besessen waren. Menger vertrat die Ansicht, dass die Ökonomen stattdessen immer eine subjektivistische Sicht des handelnden Menschen annehmen sollten. Diese Perspektive sollte den ausschließlichen und entscheidenden Einfluss auf die Art nehmen, wie ökonomische Theorien im Hinblick auf ihren wissenschaftlichen
Die Grundlagen der Kapitaltheorie
187
Jede menschliche Handlung zielt auf die Erreichung eines Zieles bzw. Konsumgutes ab; ein Konsumgut kann als ein Gut definiert werden, das direkt und auf subjektive Weise die Bedürfnisse des Handelnden befriedigt. Der Ausdruck Güter erster Ordnung bezeichnet traditionell jene Konsumgüter, die im spezifischen, subjektiven Kontext einer jeden Handlung das vom Handelnden verfolgte Ziel darstellen.278 Der Erreichung dieser Ziele, Konsumgüter oder ökonomischen Güter erster Ordnung geht notwendigerweise eine Reihe von Zwischenetappen voraus, die „Güter höherer Ordnung" (zweiter, dritter, vierter etc.) repräsentieren. Je höher die Ordnung jeder Etappe, desto weiter befindet sich das Gut vom letztendlichen Konsumgut entfernt. Des Weiteren dehnt sich jede menschliche Handlung in der Zeit aus. Mit dem Begriff Zeit beziehen wir uns hier nicht auf den deterministischen oder newtonianischen Sinn des Wortes (d.h. rein physisch und analog), sondern auf den subjektiven Sinn; das heißt auf die subjektive Wahrnehmung der Zeit durch den Handelnden im Kontext seiner Handlung. Nach dieser subjektiven Konzeption erfährt der Handelnde das Verfließen der Zeit, indem er handelt, mit anderen Worten: indem er neue Ziele und Mittel erfasst, Handlungspläne entwirft und die verschiedenen Etappen vollendet, die jede Handlung ausmachen. Wenn Menschen handeln, kommt es in ihrem Geiste unvermeidlich zu einer Art Verschmelzung der Erinnerungen der Vergangenheit, die sich in ihrem Gedächtnis befinden, mit neuen Erwartungen und geistigen Bildern der Zukunft, und zwar unter Beachtung der verschiedenen Etappen des Handlungsprozesses, dem sie folgen werden. Die Zukunft ist niemals a priori vorbestimmt. Vielmehr malt der Handelnde sie sich aus, schafft sie und entwickelt sie Schritt für Schritt. Daher ist die Zukunft immer unsicher. Denn sie muss erst noch entwickelt werden und der Handelnde besitzt mit Blick auf die Zukunft nur bestimmte Ideen, Vorstellungen oder Erwartungen, die er durch die Vollendung deijenigen Etappen zu realisieren hofft, von denen er sich vorstellt, dass sie seinen persönlichen Handlungsprozess ausmachen. Außerdem ist die Zukunft für alle kreativen Eigenschaften des Menschen offen; und zu jeder Zeit vermag der Handelnde seine Ziele zu modifizieren oder die Etappen des Handlungsprozesses, in den er involviert ist, abzuwandeln, umzudisponieren oder umzudenken. Mithin ist in der Ökonomie die Zeit untrennbar mit dem Handeln verbunden. Es ist unmöglich, eine Handlung zu denken, die sich nicht in der Zeit ausdehnt, die nicht eine Zeit lang dauert. Des Weiteren nimmt der Handelnde das Vergehen der Zeit wahr, wenn er handelt und die verschiedenen Etappen seines Handlungsprozesses durchläuft. Handeln, das immer auf das Erreichen eines Zieles oder das Mildem Inhalt und ihre praktischen Schlüsse und Ergebnisse zu formulieren seien. Vgl. zu diesem Thema Huerta de Soto, „Génesis, esencia y evolución de la Escuela Austriaca de Economía", in Estudios de economía política, Kapital 1, S. 17-55. 278 Diese Klassifikation und Terminologie geht auf Carl Menger zurück, dessen Theorie der wirtschaftlichen Güter verschiedener Ordnungen eine der wichtigsten logischen Konsequenzen seiner subjektivistischen Konzeption der Ökonomie ist. Carl Menger, Grundsätze der Volkswirthschaftlehre (Wien: Wilhelm Braumüller, 1871). Menger benutzt den Ausdruck „Güter der ersten Ordnung" (S. 8), um sich auf Konsumgüter zu beziehen.
188
Die Kreditausweitung der Banken und ihre wirtschaftlichen Folgen
eines Unbefriedigtseins ausgerichtet ist, braucht unvermeidlich Zeit; in dem Sinne, dass es die Realisierung und Vollendung einer Reihe sukzessiver Etappen erfordert. Was den Handelnden von der Erreichung seines Ziels daher trennt, ist die Zeitperiode, die für die Abfolge der sukzessiven Etappen, die den Handlungsprozess ausmachen, erforderlich ist.279 Die folgende Tendenz bezüglich der subjektiven Sicht der Zukunft durch den Handelnden existiert immer: Je länger die Zeitperiode ist, die eine Handlung braucht (d.h. je komplexer und zahlreicher die sukzessiven Stufen sind, die die Handlung ausmachen), desto wertvoller wird das Ergebnis oder Ziel der Handlung. Eine Handlung kann einen größeren subjektiven Wert - ausgedrückt in Anzahl, Dauer und Komplexität der involvierten Etappen - auf zwei Arten erlangen: dadurch, dass der Handelnde in die Lage versetzt wird, Ergebnisse zu erzielen, die er subjektiv höher einschätzt und mit kürzeren Handlungen nicht erreichen könnte; oder dadurch, dass es ihm ermöglicht wird, das Ergebnis zahlenmäßig größer zu gestalten, als es mit kürzeren Handlungsprozessen möglich gewesen wäre.280 Das ökonomische Prinzip, dass Handlungsprozesse dazu tendieren, Ziele von desto größerem Wert zu erreichen, je länger sie dauern, ist einfach zu verstehen. Tatsächlich würde der Handelnde, wenn dies nicht der Fall wäre, d.h., wenn er den Ergebnissen längerer Handlungen keinen größeren Wert beimessen würde, niemals diese Handlungen unternehmen und stattdessen kürzere Handlungen wählen. Mit anderen Worten wird der Handelnde von seinem Ziel gerade durch eine bestimmte Zeitlänge getrennt (d.h. durch die Zeit, die notwendig ist, um die Reihe von Etappen seines Handlungsprozesses zu vollenden). Damit ist es ceteris paribus evident, dass Menschen immer ihre Ziele so schnell wie möglich erreichen wollen und nur bereit sein werden, das Erreichen ihrer Ziele aufzuschieben, wenn sie subjektiv davon ausgehen, dass sie damit Ziele von höherem Wert verwirklichen können.281 Wir können nun die logische Kategorie der Zeitpräferenz diskutieren, die festlegt, dass ceteris paribus ein Handelnder es vorzieht, seine Bedürfnisse so schnell wie möglich zu befriedigen bzw. seine Ziele so schnell wie möglich zu erreichen. Anders gesagt wird der Handelnde, der mit zwei Zielen mit für ihn gleichem Wert 279 Zur subjektiven, experimentellen und dynamischen Konzeption der Zeit als der einzigen Konzeption, die auf das menschlichen Handeln in der Ökonomie anwendbar ist, vgl. Kapitel 4 des Buches von Gerald P. O'Driscoll und Mario J. Rizzo, The Economics ofTime and Ignorance (Oxford: Basil Blackwell, 1985), S. 52-70. 280 Wie Ludwig M. Lachmann richtigerweise feststellt, beinhaltet der wirtschaftliche Fortschritt nicht nur einen Anstieg in der Zahl der produktiven Stufen, sondern auch einen Anstieg in ihrer Komplexität und damit eine Änderung ihrer Zusammensetzung. Ludwig M. Lachmann, Capital and its Structure (Kansas City: Shees Andrews and McMeel, 1978), S. 83.Vgl. zudem Peter Lewin, „Capital in Disequilibrium: A Reexamination of the Capital Theoiy of Ludwig M. Lachmann", History ofPolitical Economy 29, Nr. 3, (Herbst 1997): 523-48; und Roger W. Garrison, Time and Money: The Macroeconomics of Capital Structure (London und New York: Routledge, 2001), S. 25-26. 281 José Castañeda formuliert beredt: „Je mehr Hilfsmittel in den Produktionsprozess eingeführt werden, desto länger und für gewöhnlich desto produktiver wird der Prozess. Natürlich können mehrere indirekte Prozesse existieren; das heißt Prozesse, die länger sind oder größere Umwege enthalten, jedoch nicht ergiebiger sind. Nichtsdestoweniger werden diese nicht berücksichtigt, da sie nicht angewendet werden. Ein längerer Prozess wird nur eingeführt, wenn er ergiebiger ist." José Castañeda Chomet, Lecciones de teoría económica (Madrid: Editorial Aguilar, 1972), S. 385.
Die Grundlagen der Kapitaltheorie
189
konfrontiert wird, immer das Ziel vorziehen, das er in kürzerer Zeit erreichen kann. Oder um es noch kürzer auszudrücken: Ceteris paribus werden „Gegenwartsgüter" den „Zukunftsgütern" vorgezogen. Das Gesetz der Zeitpräferenz ist nur eine andere Weise, um das folgende grundlegende Prinzip auszudrücken: Jeder Handelnde versucht, während seines Handlungsprozesses die Ergebnisse seiner Handlung so schnell wie möglich zu erreichen, und was ihn von seinen Zielen trennt, ist eine Abfolge von Zwischenstufen, deren Durchschreiten eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt. Mithin ist die Zeitpräferenz kein psychologisches oder physiologisches Konzept. Vielmehr folgt die Kategorie der Zeitpräferenz aus der logischen Struktur der Handlung, wie sie im Geiste jedes menschlichen Wesens präsent ist. Kurzum zielt das Handeln auf bestimmte Ziele ab und der Handelnde wählt Mittel, um diese zu erreichen. Das Ziel ist die Motivation jeder Handlung und in jeder Handlung ist es die Zeit, die den Handelnden von seinem Ziel trennt. Je näher sich der Handelnde daher seinem Ziel in der Zeit befindet, desto näher ist er auch den von ihm geschätzten Zielsetzungen. Die oben beschriebene Tendenz und die von uns gerade erklärte Zeitpräferenz sind nur zwei Arten, um den gleichen Sachverhalt auszudrücken. Nach ersterer Art unternimmt der Handelnde zeitverbrauchende Handlungen, weil er erwartet, auf diese Weise wertvollere Ziele zu verwirklichen; nach letzterer zieht der Handelnde ceteris paribus immer Güter vor, die sich ihm zeitlich gesehen näher befinden. 282 Mithin ist es unmöglich, sich eine Handlung vorzustellen, auf welche die Kategorie der Zeitpräferenz nicht anwendbar ist. Eine Welt ohne Zeitpräferenz ist unvorstellbar und wäre absurd: Die Abwesenheit von Zeitpräferenz würde bedeuten, dass die Menschen immer die Zukunft der Gegenwart vorziehen, dass die Zielsetzungen, eine nach der anderen, immer kurz vor ihrem Erreichen verschoben und mithin niemals verwirklicht würden und das die Handlung sinnlos wäre. 283 282 Das Gesetz der Zeitpräferenz kann sogar bis zum heiligen Thomas von Aquin zurückdatiert werden und wurde im Jahre 1285 von einem seiner brillantesten Schüler ausdrücklich erwähnt, der schreibt, dass „res futurae per témpora non sunt tantae existimationis, sicut eadem collectae in instanti nec tantam utilitatem inferunt possidentibus, propter quod oportet quod sint minors existimationis secundum iustitiam." Mit anderen Worten: „Weder werden Zukunftsgüter so hoch bewertet wie unmittelbar verfugbare Güter, noch sind sie ihren Besitzern so nützlich, und daher erfordert die Gerechtigkeit, dass sie als weniger wertvoll betrachtet werden müssen." Aegidius Lessines, De usuris in communi et de usurarum contractibus, opuscule 66, 1285, S. 426 ; zitiert nach Dempsey, Interest and Usury, Anmerkung 31 auf S. 214. Diese Idee findet sich später, im Jahre 1431, beim heiligen Bernhard von Sienna, 1499 bei Conrad Summenhart und 1556 bei Martin de Azpilcueta (vgl. Rothbard, Economic Thought Before Adam Smith, S. 85, 92, 106- 107 und 399-400). Die Implikationen dieses Konzepts für die ökonomische Theorie wurden später von Turgot, Rae, Böhm-Bawerk, Jevons, Wicksell, Fisher und besonders Frank Albert Fetter und Ludwig von Mises erarbeitet. 283 In einer Welt ohne Zeitpräferenz würden die Menschen nichts konsumieren und alles sparen. Schließlich würden die Menschen verhungern und die Zivilisation untergehen. „Ausnahmen" vom Gesetz der Zeitpräferenz gibt es nur scheinbar und ergeben sich unweigerlich aus der Vernachlässigung der Ceteris-paribus-Bedingung, die diesem Gesetz zugrunde liegt. Mithin genügt eine vorsichtige Untersuchung dieser „Gegenbeispiele", um zu enthüllen, dass die scheinbare Widerlegung der Zeitpräferenz nicht identische Umstände mit sich bringt. Dies ist der Fall bei Gütern, die nicht simultan konsumiert werden können, oder solchen, die aus der subjektiven
190
Die Kreditausweitung der Banken und ihre wirtschaftlichen Folgen
5.1.2 Kapital und Kapitalgiiter
Wir können den Ausdruck Kapitalgüter benutzen, um die Zwischenstufen eines jeden Handlungsprozesses, die vom Handelnden subjektiv als solche betrachtet werden, zu bezeichnen. Anders ausgedrückt: Jede Zwischenstufe im Produktionsprozess des Handelnden ist ein Kapitalgut. Daher fügt sich diese Kapitalgüterdefinition perfekt in die subjektivistische Konzeption der Ökonomie ein, die wir bis jetzt präsentiert haben. Die ökonomische Natur eines Kapitalgutes hängt nicht von seinen physischen Eigenschaften ab, sondern von der Einschätzung eines Handelnden, der glaubt, dass das Gut es ihm ermöglicht, eine Etappe in seinem Handlungsprozess zu erreichen oder zu vollenden. Mithin stellen Kapitalgüter nach unserer Definition die Zwischenetappen dar, von denen der Handelnde glaubt, dass er sie durchlaufen muss, bevor er das Ziel seiner Handlung erreicht. Kapitalgüter sollten immer in einen teleologischen Zusammenhang gestellt werden, in dem die grundlegenden und definierenden Elemente das verfolgte Ziel und die subjektive Meinung des Handelnden hinsichtlich der zu durchlaufenden Stufen sind. 284 Mithin sind Kapitalgüter „wirtschaftliche Güter höherer Ordnung" bzw. Produktionsfaktoren, die sich als die subjektiv als solche betrachteten Zwischenstufen eines bestimmten Handlungsprozess materialisieren. Des Weiteren entstehen Kapitalgüter aus der Vereinigung dreier wesentlicher Elemente: natürliche Ressourcen, Arbeit und Zeit, die allesamt in einer unternehmerischen Handlung kombiniert werden, die von Menschen konzipiert und ausgeführt wird. 285 Sicht des Handelnden nicht identisch sind, obwohl sie physisch gleich erscheinen (z. B. Speiseeis, das wir im Sommer vorziehen, selbst wenn wir uns dem Winter näher befinden). Zur Theorie der Zeitpräferenz vgl. Mises, Nationalökonomie, S. 434-448. 284 „The principal point to be emphasized is that capital goods, thus defined, are distinguished in that they fall neatly into place in a teleological framework. They are the interim goals aimed at in earlier plans; they are the means toward the attainment of still further ends envisaged by the earlier plans. It is here maintained that the perception of this aspect of tangible things now available provides the key to the unravelling of the problems generally attempted to be elucidated by capital theory." Israel M. Kirzner, An Essay on Capital (New York: Augustus M. Kelley, 1966), S. 38; wiederabgedruckt in Israel M. Kirzners Werk Essays on Capital and Interest: An Austrian Perspective (Aldershot, U. K.: Edward Elgar, 1996), S. 13-122. 285 Dies erklärt die traditionelle Einteilung in drei Produktionsfaktoren: Land oder natürliche Ressourcen, Arbeit sowie Kapitalgüter bzw. wirtschaftliche Güter höherer Ordnung. In jedem Handlungs- oder Produktionsprozess schafft und kombiniert der Handelnde diese Faktoren oder Ressourcen, indem er seinen unternehmerischen Sinn gebraucht. Der Prozess kulminiert im Markt in vier verschiedene Einkommensarten: reiner unternehmerischer Gewinn, der aus Wachsamkeit und Kreativität des Handelnden herrührt; Pacht aus Land oder natürlichen Ressourcen in Funktion ihrer Produktivität; Arbeitseinkommen oder Löhne; und Mietzinsen, abgeleitet aus dem Gebrauch von Kapitalgütera. Obgleich alle Kapitalgüter letztlich aus einer Kombination von natürlichen Ressourcen und Arbeit bestehen, fließt auch die zur Produktion notwendige Zeit ein (abgesehen noch von der unternehmerischen Wachsamkeit und Kreativität, die notwendig sind, um sie zu konzipieren und schaffen). Des Weiteren können Kapitalgüter aus ökonomischer Sicht von natürlichen Gütern nicht allein durch ihre unterschiedliche physikalische Form unterschieden werden. Nur rein ökonomische Kriterien - wie das unveränderte Vorhandensein eines Gutes im Hinblick auf das Erreichen der Ziele und die Tatsache, dass keine nachträgliche Handlung durch den Handelnden zur Erhaltung notwendig ist - erlauben es uns aus ökonomischer Sicht, klar zwischen Land (oder einer natürlichen Ressource), das immer vorhanden ist, und Kapitalgütern zu unterscheiden, die streng genommen nicht bleibend sind, sondern im Produktionsprozess aufgebraucht oder konsumiert werden, was es notwendig macht, ihre Abschreibung zu berück-
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Die Conditio sine qua non für die Produktion von Kapitalgütern ist Sparen bzw. der Verzicht oder das Zurückstellen des umgehenden Konsums. In der Tat wird ein Handelnder in einem Handlungsprozess nur in der Lage sein, sukzessive und zunehmend zeitverbrauchende Produktionsumwege zu vollenden, wenn er zunächst die Chance opfert, Handlungen zu unternehmen, die ihm ein schnelleres Ergebnis bringen würden. Mit anderen Worten muss er auf das Erreichen von unmittelbaren Zielen verzichten, die augenblickliche menschliche Bedürfnisse befriedigen (Konsum). Um dieses wichtige Konzept zu veranschaulichen, werden wir das Beispiel benutzen, das Böhm-Bawerk anführt, um den Prozess des Sparens und Investierens in Kapitalgüter durch einen individuellen Handelnden in einer isolierten Situation - so wie Robinson Crusoe auf seiner Insel - zu erklären.286 Wir stellen uns vor, dass Robinson Crusoe gerade auf seiner Insel angekommen ist und seine Zeit damit verbringt, Beeren, sein einziges Verpflegungsmittel, zu pflücken. Jeden Tag verwendet er seine ganze Anstrengung auf das Sammeln der Beeren. Er pflückt genug zum Überleben, ja kann jeden Tag sogar ein paar Extrabeeren verzehren. Nach mehreren Wochen mit dieser Kost macht Robinson Crusoe die unternehmerische Entdeckung, dass er mit einem hölzernen, einige Meter langen Stock höher und weiter reichen, die Büsche kraftvoll schlagen und die notwendigen Beeren schneller sammeln könnte. Das einzige Problem liegt darin, dass es ihn schätzungsweise fünf ganze Tage kosten könnte, um einen geeigneten Baum mit einem passenden Zweig zu finden, den er abschlagen und durch das Entfernen der Äste, Blätter und Unvollkommenheiten zu einem Stock formen könnte. Während dieser Zeit wird er gezwungen sein, das Beerenpflücken zu unterbrechen. Wenn er den Stock herstellen will, muss er zunächst seinen Beerenkonsum eine Zeit lang einschränken und den nicht konsumierten Rest in einem Korb aufbewahren, bis er genug Beeren angesammelt hat, um für fünf Tage, die erwartete Länge des Produktionsprozesses des Holzstocks, zu überleben. Nach dem Planen seiner Handlung beschließt Robinson Crusoe, diese auch auszuführen. Daher muss er zunächst einen Teil der Beeren, die er jeden Tag mit der Hand pflückt, sparen und seinen Konsum um diesen Betrag reduzieren. Dies bedeutet eindeutig, dass er ein unvermeidliches Opfer machen muss, das ihm jedoch den Aufwand in Relation mit dem Ziel, das er erreichen möchte, Wert erscheint. So entscheidet er sich, seinen Konsum für mehrere Wochen zu reduzieren (mit anderen Worten: zu sparen), in denen er die übrig bleibenden Beeren in einem Korb aufbewahrt. Dies geschieht so lange, bis er einen Betrag angehäuft hat, den er für ausreichend hält, ihn während der Produktion des Stockes zu ernähren.
sichtigen. Aus diesem Grunde hat Hayek versichert, dass allem Anschein zum Trotz „Naturschätze, soweit es sich um .sich erschöpfende Werte' handelt", zum Konzept des Kapitals gezählt werden. F. A. Hayek, Die reine Theorie des Kapitals (Friedrich A . von Hayek, Gesammelte Schriften in deutscher Sprache, hrsg. von Alfred Bosch, Manfred E. Streit, Viktor Vanberg und Reinholt Veit mit Unterstützung der Friedrich-A.-von-Hayek-Gesellschaft und des Walter-Eucken-Instituts, Abteilung B: Bücher, Band 6; Tübingen: Mohr Siebeck, [1941] 2008, hrsg. von Erich W. Streissler und übersetzt von Monika Streissler), S. 49. Vgl. auch Fußnote 305 in diesem Kapitel. 286 Dies ist das klassische Beispiel von Eugen v o n Böhm-Bawerk, Kapital und Kapitalzins: Positive Theorie des Kapitals (Innsbruck: Verlag der Wagner'schen Universitäts-Buchhandlung, 1889), S. 107 - 35.
192 Die Kreditausweitung der Banken und ihre wirtschaftlichen Folgen Dieses Beispiel zeigt, dass jeder Investitionsprozess in Kapitalgüter zunächst Sparen erfordert, das heißt einen Rückgang des Konsums unter sein potenzielles Niveau.287 Sobald Robinson Crusoe genug Beeren angespart hat, nutzt er fünf Tage dafür, einen Zweig zur Fertigung des Holzstockes zu suchen, ihn vom Baum zu trennen und zu vervollkommnen. Was isst er während der fünf Tage, die er für die Fertigung des Stockes braucht, in einem Produktionsprozess, der in dazu zwingt, seine tägliche Beerenernte zu unterbrechen? Er verzehrt einfach die Beeren, die er in dem Korb in den vorangegangenen Wochen angesammelt hat, indem er den notwendigen Anteil seiner handgepflückten Beeren gespart und ein wenig Hunger gelitten hat. Auf diese Weise wird Robinson Crusoe, wenn seine Berechnungen korrekt gewesen sind, am Ende der fünf Tage einen Stock haben (ein Kapitalgut), der einen Produktionsumweg darstellt und eine Stufe repräsentiert, die von den unmittelbaren Beerenproduktionsprozessen mit der Hand, die ihn bis zu diesem Zeitpunkt beansprucht haben, zeitlich entfernt liegt. Mit dem fertigen Stock kann Robinson Crusoe Stellen erreichen, die ihm mit der Hand unzugänglich waren, und die Büsche kraftvoll schlagen, was seine Beerenproduktion verzehnfacht. Folglich erlaubt ihm der Stock von nun an, die zum Überleben nötigen Beeren in einem Zehntel des Tages zu sammeln, und er kann im Rest seiner Zeit ausruhen oder sich anschließende Ziele verfolgen, die für ihn wichtiger sind (wie das Bauen eines Unterschlupfs, das Jagen von Tieren zur Ernährungsanreicherung oder das Fertigen von Kleidung). Robinson Crusoes Produktionsprozess entsteht wie jeder andere in einem Akt unternehmerischer Kreativität und in der Erkenntnis des Handelnden, dass der Prozess für ihn einen Gewinn bedeutet, d.h., dass er durch Handlungsprozesse, die eine längere Zeit dauern (weil sie mehr Stufen beinhalten), Ziele verwirklichen kann, die für ihn wertvoller sind. Daher erzeugen Handlungs- oder Produktionsprozesse Kapitalgüter, die lediglich wirtschaftliche Zwischengüter in einem Handlungsprozess sind, dessen Ziel noch nicht erreicht worden ist. Der Handelnde ist nur bereit, seinen unmittelbaren Konsum zu opfern (d.h. zu sparen), wenn er davon ausgeht, dass er dadurch Ziele erreicht, die er höher bewertet (in unserem Falle die Produktion der zehnfachen Menge Beeren, die er mit der Hand sammeln könnte). Des Weiteren muss Robinson Crusoe versuchen, sein gegenwärtiges Verhalten so gut wie möglich mit seinem voraussichtlichen zukünftigen Verhalten abzustimmen. Genauer gesagt muss er vermeiden, Handlungsprozesse zu beginnen, die im Hinblick auf seine Ersparnisse exzessiv lang sind: Es wäre tragisch für ihn, wenn ihm zur Hälfte des Produktionsprozesses des Kapitalguts, bevor er sein Ziel erreicht hätte, die 287 Sparen resultiert immer in Kapitalgütem, sogar dann, wenn diese zunächst nur in den Konsumgütern bestehen (in unserem Beispiel den „Beeren"), die unverkauft bleiben (oder nicht konsumiert werden). Dann werden diese Kapitalgüter (die Beeren) nach und nach durch andere Kapitalgüter ersetzt (der Holzstock), in dem die Arbeiter (Robinson Crusoe) ihre Arbeit mit natürlichen Ressourcen in einem zeitkonsumierenden Prozess verbinden. Diesen Prozess zu durchschreiten, sind die Menschen nur dank der unverkauften Kapitalgüter (den gesparten Beeren) in der Lage. Mithin erzeugt das Sparen zunächst Kapitalgüter (die unverkauften im Lager verbleibenden Konsumgüter), die allmählich aufgebraucht und durch andere Kapitalgüter (den Holzstock) ersetzt werden. Siehe zu diesem wichtigen Punkt Richard von Strigl, Kapital und Produktion, Beiträge zur Konjunkturforschung, hrsg. 1934 vom Österreichischen Institut für Konjunkturforschung, Nr. 7 (Wien: Verlag von Julius Springer), S. 39 f. und 91 f.
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Beeren ausgingen (wenn er also alle gesparten Beeren zu diesem Zeitpunkt bereits konsumiert hätte). Er muss auch davon Abstand nehmen, aus Rücksicht auf seine zukünftigen Investitionsbedürfnisse zu viel zu sparen, denn dadurch würde er nur unnötig seinen unmittelbaren Konsum opfern. Es ist gerade die subjektive Einschätzung seiner Zeitpräferenz, die es ihm ermöglicht, sein gegenwärtiges Verhalten mit seinen zukünftigen Bedürfnissen oder seinem Verhalten in der Zukunft angemessen abzustimmen bzw. daran anzupassen. Einerseits macht es der Umstand, dass seine Zeitpräferenz nicht absolut ist, ihm möglich, einen Teil seines gegenwärtigen Konsums über einen Zeitraum von mehreren Wochen in der Hoffnung aufzugeben, dadurch zur Herstellung des Stockes in der Lage zu sein. Andererseits erklärt die Tatsache, dass er eine Zeitpräferenz hat, warum er seine Anstrengungen nur auf die Erstellung eines Kapitalguts konzentriert, das er in einer begrenzten Zeitperiode produzieren kann und das Opfern und Sparen für eine begrenzte Anzahl von Tagen erfordert. Wenn Robinson Crusoe keine Zeitpräferenz hätte, würde ihn nichts davon abhalten, alle seine Anstrengungen gleich auf den Bau eines Unterschlupfs zu verwenden (was zum Beispiel mindestens einen Monat dauern könnte) - ein Plan, den er nicht ausführen könnte, ohne vorher eine große Anzahl von Beeren zu sparen. Daher würde er entweder verhungern oder das Projekt, das in keinem Verhältnis zu seinen potenziellen Ersparnissen stünde, würde bald unterbrochen und aufgegeben werden. Aufjeden Fall ist es wichtig zu verstehen, dass es gerade die tatsächlich angesparten Ressourcen (die Beeren im Korb) sind, die Robinson Crusoe das Überleben während der Zeit ermöglichen, die er für die Produktion des Kapitalguts aufwendet und in der er das direkte Sammeln von Beeren einstellt. Obwohl Robinson Crusoe Beeren zweifellos viel produktiver mit seinem Holzstock als mit seinen bloßen Händen sammelt, besteht ebenfalls kein Zweifel daran, dass der Prozess der Beerenproduktion mit dem Stock zeitlich gesehen länger dauert (mehr Etappen enthält) als die Beerenproduktion durch das Pflücken mit der Hand. Produktionsprozesse tendieren dazu, sich als Folge des Sparens und der unternehmerischen Aktivität der Menschen in ihrer Länge und Zeitdauer auszudehnen (d.h., sie werden komplexer und beinhalten mehr Etappen); und je länger und zeitkonsumierender diese Prozesse werden, desto produktiver sind sie tendenziell. In einer modernen Volkswirtschaft, in der viele ökonomische Agenten simultan verschiedene Funktionen übernehmen, werden wir den Ausdruck „Kapitalist" verwenden, um die Wirtschaftssubjekte zu bezeichnen, deren Funktion das Sparen ist; oder, mit anderen Worten, deren Funktion es ist, weniger zu konsumieren als erzeugt oder produziert wurde und dadurch den Arbeitern die Ressourcen verfügbar zu machen, die sie brauchen, um während der Dauer der Produktionsprozesse, in denen sie involviert sind, zu leben. (Robinson Crusoe benahm sich also wie ein Kapitalist, als er die Beeren sparte, die es ihm später ermöglichten zu überleben, während er seinen Holzstock produzierte.) Mithin setzt der Kapitalist, wenn er spart, Ressourcen frei (Konsumgüter), die dazu benutzt werden können, Arbeiter zu unterhalten, die ihre Energien in weiter vom letztendlichen Konsum entfernt liegende Produktionsstufen lenken, d.h. ihre Energien der Kapitalgüterproduktion widmen.
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Im Gegensatz zu unserem Beispiel mit Robinson Crusoe sind Produktionsprozesse in einer modernen Volkswirtschaft hochgradig komplex und in Hinblick auf die Zeit sehr lang. Sie beinhalten eine Vielzahl von Etappen, die alle miteinander in Beziehung stehen und sich in zahlreiche sekundäre Prozesse teilen, welche die Menschen in den unzähligen Handlungsprojekten anwenden, die sie ständig neu beginnen. Zum Beispiel besteht der Prozess der Produktion eines Autos aus Hunderten oder Tausenden von produktiven Etappen, die eine sehr lange Zeit brauchen: angefangen bei der Konstruktion des Fahrzeugs beim Automobilhersteller (die am weitesten vom Konsum entfernte Etappe) über das Bestellen der entsprechenden Materialien von den Zulieferern und die Montage dieser Materialien bis zur Bestellung von verschiedenen Teilen für den Motor und allen Zubehörs etc. Bis das Auto in den Stufen ankommt, die dem Konsum am nächsten sind - der Transport und Vertrieb an die Händler, die Entwicklung von Marketingkampagnen, die öffentliche Präsentation und der Verkauf des Autos an das Publikum - , können sogar mehrere Jahre vergehen. Wenn wir eine Fabrik besuchen und beobachten, wie jede Minute ein fertiges Fahrzeug vom Band läuft, dürfen wir uns deshalb nicht dazu verleiten lassen zu glauben, dass die Produktion jedes Autos eine Minute dauert. Stattdessen sollten wir uns dessen bewusst sein, dass jedes Auto einen mehrjährigen Produktionsprozess erfordert - einen Prozess, der zahlreiche Etappen umfasst und beginnt, wenn das Modell konzipiert und entworfen wird, und endet, wenn das Auto seinem stolzen Besitzer als Konsumgut präsentiert wird. Darüber hinaus haben die Menschen in modernen Gesellschaften die Tendenz, sich in verschiedenen Stufen des Produktionsprozesses zu spezialisieren. Eine zunehmende sowohl horizontale als auch vertikale Arbeitsteilung (oder Wissensteilung, um genauer zu sein) führt dazu, dass sich die Etappen des Produktionsprozesses mit der Verbreitung und Vertiefung der Wissensteilung ständig in andere Etappen teilen. Spezifische Unternehmen und Wirtschaftssubjekte tendieren dazu, sich in einer dieser Etappen zu spezialisieren. Abgesehen von dieser stufenweisen Analyse können wir den Prozess auch untersuchen, indem wir mehrere Etappen berücksichtigen, die gleichzeitig stattfinden. Zu jedem Zeitpunkt koexistieren diese Stufen mit anderen und deshalb verwenden einige Menschen ihre Zeit für den Entwurf von Fahrzeugen (Autos, die dem Publikum in zehn Jahren zur Verfügung stehen werden), während andere simultan Materialien von Zulieferern bestellen oder an Montagelinien arbeiten und wieder andere ihre Anstrengung auf den (sehr konsumnahen) kommerziellen Bereich richten und den Verkauf schon produzierter Fahrzeuge fördern.288
288 Mark Skousen bildet in seinem Buch The Structure of Production (London and New York: New York University Press, 1990) ein vereinfachtes Schema der Stufen des Produktionsprozesses in derTextil- und Ölindustrie der Vereinigten Staaten ab (S. 168-69). Er veranschaulicht detailliert die Komplexität beider Prozesse wie auch die signifikante Anzahl von Etappen, die sie umfassen, und die sehr ausgedehnte Zeitperiode, die sie andauern. Diese Art von Flussdiagramm kann benutzt werden, um eine vereinfachte Beschreibung der Aktivität in jedem anderen Sektor oder jeder anderen Industrie zu liefern. Skousen übernimmt die Diagramme der oben erwähnten Industrien aus dem Buch von E. B. Alderfer und H. E. Michel, Economics of American Industry, dritte Aufl. (New York: McGraw-Hill, 1957).
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Es ist daher klar, dass der Unterschied zwischen dem „reichen" Robinson Crusoe mit seinem Holzstock und dem „armen" Robinson Crusoe ohne Stock in dem Kapitalgut besteht, das Ersterer durch vorhergehendes Sparen erworben hat. Und genau so resultiert der grundlegende Unterschied zwischen reichen und armen Gesellschaften weder aus einer größeren Arbeitsanstrengung Ersterer noch einem größeren technologischen Wissen, sondern hauptsächlich aus der Tatsache, dass reiche Nationen ein viel umfangreicheres Netzwerk von - aus unternehmerischer Sicht - umsichtig investierten Kapitalgütern besitzen. Diese Güter bestehen in Maschinen, Werkzeugen, Computern, Gebäuden, halbfertigen Gütern, Software etc. und existieren dank dem vorhergehenden Sparen der Bürger dieser Nation. Mit anderen Worten verfügen verhältnismäßig reiche Gesellschaften über mehr Reichtum, weil sie mehr Zeit in Form von Kapitalgütern akkumuliert haben, was sie der Erreichung von wertvolleren Zielen zeitlich gesehen näher bringt. Es besteht kein Zweifel daran, dass ein amerikanischer Arbeiter einen viel höheren Lohn verdient als ein indischer. Dies ist jedoch hauptsächlich darin begründet, dass ersterer viel mehr Kapitalgüter (Traktoren, Computer, Maschinen etc.) zur Verfügung hat und benutzt als der indische Arbeiter und die von ihm genutzten Kapitalgüter von einer viel höheren Qualität sind. Oder anders ausgedrückt: Je länger der Produktionsprozess ist, desto produktiver tendiert er zu sein, wie wir gesehen haben. Der moderne Traktor pflügt die Erde viel produktiver als der römische Pflug. Dennoch ist der Traktor ein Kapitalgut, dessen Produktion eine viel zahlreichere, komplexere und längere Reihe von Etappen erfordert als notwendig ist, um einen römischen Pflug zu erstellen. Die Kapitalgüter des extrem komplexen Netzwerks, das die reale Produktionsstruktur einer modernen Volkswirtschaft ausmacht, währen nicht ewig, sondern sind immer vergänglich in dem Sinne, dass sie während des Produktionsprozesses physisch aufgebraucht oder konsumiert werden oder dass sie veralten. Mit anderen Worten ist die Abnutzung der Kapitalgüterausstattung nicht nur physisch, sondern auch technologisch und wirtschaftlich (Veralterung). Deshalb müssen Kapitalgüter gepflegt und erhalten werden (in Robinson Crusoes Fall muss er sich um seinen Stock kümmern und ihn vor Abnutzung schützen.) Dies bedeutet, dass die Unternehmer die bestehenden Kapitalgüter reparieren und zudem, was noch wichtiger ist, beständig neue Kapitalgüter produzieren müssen, um die alten zu ersetzen, die gerade im Gebrauch sind. Wertminderung bezieht sich auf die Abnutzung der Kapitalgüter während des Produktionsprozesses. Ein gewisses Mindestmaß an Ersparnissen ist essenziell, um Wertminderungen zu kompensieren und die Kapitalgüter zu produzieren, die notwendig sind, um die abgenutzten oder wertgeminderten Kapitalgüter zu ersetzen. Dies ist der einzige Weg, den der Handelnde hat, um seine Produktionskapazität intakt zu halten. Falls er darüber hinaus die Zahl der Etappen weiter steigern und die Prozesse verlängern und produktiver machen möchte, muss er noch mehr Ersparnisse akkumulieren als das Mindestmaß, das zur Neutralisierung der Abschreibungsrate, der Bilanzierungsfachbegriff für die Wertminderung der Kapitalgüter, notwendig ist. Um zu sparen, muss der Handelnde seinen Verbrauch im Verhältnis zur Produktion reduzieren. Wenn sein Produktionsergebnis konstant ist, muss er seinen gegenwärtigen
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Konsum verringern; ist jedoch das Produktionsergebnis im Wachsen begriffen, kann er dadurch sparen (Kapitalgüter zu akkumulieren), dass er sein Konsumvolumen relativ konstant hält. Doch selbst im letzten Falle bedeutet Sparen wie immer einen Verzicht, hier auf die wachsenden Möglichkeiten des Konsums, die ein ansteigendes Produktionsvolumen erlauben würde. In jedem Produktionsprozess (d. h. in jeder Reihe von sukzessiven Etappen oder Kapitalgütern) ist es möglich, die Etappen, die den letztendlichen Konsumgütern zeitlich gesehen relativ näher sind, von den Etappen zu unterscheiden, die von diesen relativ weit entfernt sind. Als eine allgemeine Regel gilt, dass Kapitalgüter nur schwer konvertierbar sind; und sie sind es umso schwerer, je näher sie der letzten Konsumstufe sind. Trotzdem bedeutet die Tatsache, dass Kapitalgüter nur schwer anpassbar sind, nicht, dass der Handelnde nicht des Öfteren gezwungen wäre, die Ziele seiner Handlung zu modifizieren und infolgedessen die bereits vollendeten Stufen zu prüfen und zu konvertieren (d.h. seine Kapitalgüter zu konvertieren, so weit es praktikabel ist). In jedem Fall können die Kapitalgüter, die er bis zu diesem Punkt produziert hat, völlig nutzlos werden oder erst nach einer aufwendigen Umwandlung nutzbar sein, wenn der Handelnde seine Absichten ändert und sein Handlungsziel modifiziert. Der Handelnde könnte auch eine andere Nutzungsmöglichkeit für die Kapitalgüter finden, hätte jedoch immer noch das Gefühl, sie auf eine ganz andere Weise gefertigt zu haben, wenn er von Anfang an gewusst hätte, dass die Güter letztlich in einem anderen Produktionsprozess benötigt werden. Schließlich ist es sehr selten, dass ein Kapitalgut derart weit vom Konsum entfernt ist oder die Umstände so sind, dass das Gut in jedem alternativen Projekt perfekt nutzbar ist. Somit sehen wir den Einfluss der Vergangenheit auf heute vollzogene Handlungen. Die Handlung, wie wir sie definiert haben, ist immer vorausschauend niemals rückblickend; und ein Handelnder betrachtet ein Gut als Kapitalgut auf der Grundlage einer geplanten zukünftigen Handlung und nicht wegen der materiellen Eigenschaften des Gutes oder früherer Handlungsprojekte.289 Dennoch beeinflusst die Vergangenheit zweifelsohne zukünftige Handlungen in dem Maße, wie sie den gegenwärtigen Startpunkt festlegt. Die Menschen begehen unzählige unternehmerische Fehler, wenn sie ihre Handlungen ersinnen, unternehmen und vollenden; und so beginnen sie nachfolgende Handlungen oft von einer gegenwärtigen Position aus, die sie anders zu gestalten versucht hätten, hätten sie von ihr im Voraus gewusst. Wenn sich die Ereignisse jedoch einmal in einer gewissen Weise
289 Aus diesem Grunde ist Hayek mit der traditionellen Definition eines Kapitalguts als eines durch Menschen produzierten Zwischengutes besonders kritisch. Er betrachtet diese Definition als „ein Überbleibsel der Produktionskostentheorien des Wertes [...], der alten Sichtweise, welche die ökonomischen Merkmale eines Dinges anhand der in ihm verkörperten Kräfte zu erklären suchte ... Vorbei ist vorbei, gilt in der Kapitaltheorie nicht weniger als sonst in der Ökonomie. Und der Gebrauch von Begriffen, die die Bedeutung eines Gutes in vergangenen Ausgaben für dieses sehen, kann nur irreführen." Hayek, Die reine Theorie des Kapitals, S. 77. Hayek schließt: „Für alle mit der Nachfrage nach Kapital verbundenen Probleme ist die Möglichkeit der Produktion neuer Ausrüstung grundlegend wichtig. Und alle in der Kapitaltheorie gebrauchten Zeitbegriffe, insbesondere jene der verschiedenen Investitionsperioden, beziehen sich auf zukünftige Perioden und sind immer .vorwärtsgerichtet' und nie .rückwärtsgerichtet'." (Ebenda, S. 77)
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entwickelt haben, versuchen die Menschen mit Blick auf das Erreichen ihrer Ziele in der Zukunft, immer das Beste aus ihren gegenwärtigen Umständen zu machen. Während Kapitalgüter schwer umwandelbar sind, behelfen sich die Investoren dadurch, dass sie diese mit beachtlicher „Mobilität" versorgen, was ihnen durch die juristischen Institutionen des Eigentums und des Vertragsrechts gelingt, die die verschiedenen Formen der Übergabe dieser Güter regeln. Daher erlaubt die (extrem komplexe und verlängerte) Produktionsstruktur durch den Tausch und Verkauf von Kapitalgütern im Markt die beständige Mobilität der Investoren.290 Wir sind nun in der Lage, das Konzept des Kapitals zu betrachten, das sich aus ökonomischer Sicht vom Konzept der „Kapitalgüter" unterscheidet. In der Tat werden wir „Kapital" als den Marktwert der Kapitalgüter definieren, der von den einzelnen Handelnden geschätzt wird, die Kapitalgüter im freien Markt kaufen und verkaufen.291 Auf diese Weise ist erkennbar, dass Kapital einfach ein abstraktes Konzept bzw. Instrument der Wirtschaftsrechnung ist; mit anderen Worten ist Kapital die subjektive Bewertung oder Schätzung des Marktwertes, den Unternehmer Kapitalgütem zuweisen und auf Grundlage dessen sie ständig Kapitalgüter kaufen und verkaufen, um mit jeder Transaktion einen reinen unternehmerischen Gewinn zu erzielen. In einer sozialistischen Wirtschaft, in der es weder freie Märkte noch Marktpreise gibt, ist es deshalb vielleicht möglich, von Kapitalgütem zu sprechen, nicht aber von Kapital: Letzteres erfordert immer einen Markt und Preise, die von den teilnehmenden Wirtschaftssubjekten frei bestimmt werden. Ohne Marktpreise und die subjektive Schätzung des Kapitalwerts der Güter, welche die Zwischenstufen des Produktionsprozesses ausmachen, wäre es in einer modernen Gesellschaft unmöglich zu schätzen oder zu berechnen, ob der letztendliche Wert der Güter, die mit den Kapitalgütern produziert werden, die Kosten des Produktionsprozesses rechtfertigt oder nicht. Außerdem wäre es nicht möglich, auf eine koordinierte Art die Anstrengungen der Personen zu lenken, die zu den verschiedenen Handlungsprozessen beitragen.292 Wir haben an anderer Stelle zu zeigen versucht, dass jeder systematische Zwang, der die freie Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit beeinträchtigt, die Menschen von der Entdeckung der Information abhält, die sie zur Durchfuhrung ihrer Handlungen benötigen.293 Darüber hinaus hält der Zwang die Menschen von der spon-
290 Ein demoralisierter Unternehmer, der sein Geschäft aufgeben und sich woanders niederlassen möchte, kann eine sichere, beständige Mobilität im Markt finden: Rechtliche Verträge erlauben es ihm, sein Geschäft zum Verkauf anzubieten und seine neue Liquidität zum Erwerb einer anderen Gesellschaft zu verwenden. Auf diese Weise erreicht er eine reale effektive Mobilität, die sehr viel größer als die reine physische oder technische Mobilität des Kapitalguts ist (die, wie wir gesehen haben, für gewöhnlich eher begrenzt ist). 291 Dennoch werden wir bei verschiedenen Gelegenheiten gezwungen sein, den Begriff des Kapitals weniger strikt zu benutzen, und uns auf die Reihe der Kapitalgüter beziehen, welche die Produktionsstruktur ausmachen. Dieser weite Sinn von „Kapital" ist deijenige, der unter anderem von Hayek in Die reine Theorie des Kapitals, S. 47, gemeint ist; der gleiche Sinn wird von Lachmann in Capital and its Structure intendiert, wo er auf Seite 11 „capital" als „the heterogenous stock of material resources" definiert. 292 Dies ist gerade das grundlegende Argument, das Mises im Hinblick auf die Unmöglichkeit der Wirtschaftsrechnung in einer sozialistischen Wirtschaft vorbrachte. Vgl. Huerta de Soto, Socialismo, cálculo económico y fiinción empresarial, Kapitel 3 - 7 . 293 Ebenda, Kapital 2 und 3, S. 41 - 155.
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tanen Übertragung dieser Information und der Anpassung ihres Verhaltens auf die Bedürfnisse anderer ab. Dies bedeutet, dass die Intervention mittels Zwang, die für den Sozialismus, den Staatsinterventionismus in die Wirtschaft und die Gewährung von Privilegien an bestimmte Gruppen entgegen traditionellen Rechtsprinzipien charakteristisch ist, in mehr oder weniger großem Ausmaße die Ausübung des Unternehmertums und damit koordinierte Handlungen der Menschen verhindert. Der Zwang tendiert auch dazu, Fehlabstimmungen im Gefüge der Gesellschaft zu erzeugen. Die systematische Fehlabstimmung kann intratemporal sein oder, wie im Falle menschlicher Handlungen, die sich auf verschiede Etappen des Produktionsprozesses bzw. der Kapitalgüter beziehen, auch intertemporal, indem Mensehen, die nicht frei
handeln können, dazu tendieren, ihr gegenwärtiges Verhalten schlecht mit ihrem zukünfiigen Verhalten und ihren Bedürftiissen in der Zukunft zu koordinieren. Wie wir bei Robinson Crusoes isoliertem Produktionsprozess gesehen haben, ist die intertemporale Koordination fundamental für jegliches menschliche Handeln, das Zeit braucht, und besonders für solche Handlungen, die mit Kapitalgütern in Verbindung stehen. Daher ist es besonders wichtig, die freie Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit in diesem Feld zu erlauben. Auf diese Weise entdecken Unternehmer ständig neue Gewinnmöglichkeiten im Markt, indem sie neue mögliche Kombinationen von Kapitalgütern zu sehen glauben und diese Kombinationen für unterbewertet halten im Verhältnis zu den Marktpreisen, die sie hoffen in der Zukunft mit den produzierten Konsumgütern erzielen zu können. Kurzum beziehen wir uns auf einen Prozess des kontinuierlichen Kaufens und Verkaufens, auf eine „Rekombination" und Produktion neuer Arten von Kapitalgütern - ein Prozess, der eine dynamische und sehr komplexe Produktionsstruktur hervorbringt, die immer dazu tendiert, sich horizontal und vertikal auszudehnen.294 Ohne freies Unternehmertum und freie Märkte für Kapitalgüter und Geld ist es unmöglich, die notwendigen ökonomischen Berechnungen hinsichtlich der horizontalen und vertikalen Ausdehnung der verschiedenen Stufen des Produktionsprozesses zu machen, was zu einem verbreiteten fehlabgestimmten Verhalten führt, das die Gesellschaft aus dem Gleichgewicht bringt und eine harmonische Entwicklung verhindert. Im unternehmerischen Prozess der intertemporalen Koordination spielt ein wichtiger Marktpreis eine herausragende Rolle: der Preis der Gegenwartsgüter im Verhältnis zu den Zukunftsgütern, gemeinhin auch als Zinssatz bekannt, der das Verhältnis von Konsum, Sparen und Investition in modernen Volkswirtschaften reguliert und den wir im nächsten Abschnitt detailliert untersuchen werden. 5.1.3 Der Zinssatz Wie wir gesehen haben, nehmen ceteris paribus Gegenwartsgüter auf der Werteskala der Menschen immer einen höheren Rang als Zukunftsgüter ein. Nichtsdestoweniger variiert die relative Intensität dieses Unterschieds in der subjektiven Bewer-
294 Dies ist die Terminologie, die beispielsweise Knut Wickseil in seinen Vorlesungen über Nationalökonomie, Neudruck der Ausgabe Jena 1913 (Aalen: Scientia Verlag, 1969), Bd. 1, S. 229 f., benutzt, in denen er ausdrücklich eine „Breitendimension" und eine „Höhendimension" der Struktur der Kapitalgüter erwähnt.
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tung beträchtlich von einer Person zur nächsten; und sie kann sogar im Leben einer einzelnen Person aufgrund ihrer Lebensumstände stark variieren. Einige Personen haben eine hohe Zeitpräferenz und bewerten die Gegenwart sehr hoch im Vergleich zur Zukunft; auf diese Weise sind sie nur dann bereit, das unmittelbare Erreichen ihrer Ziele zurückzustellen, wenn sie erwarten oder glauben, dass sie dadurch in der Zukunft Ziele verwirklichen werden, die sie außerordentlich hoch bewerten. Andere Menschen haben eine weniger stark ausgeprägte Zeitpräferenz. Obwohl sie auch Gegenwartsgüter höher bewerten als Zukunftsgüter, sind sie eher dazu bereit, auf das unmittelbare Erreichen ihrer Ziele im Tausch gegen Ziele zu verzichten, die sie nur ein wenig höher schätzen und die in der Zukunft erreicht werden. Dieser Unterschied in der psychischen Intensität der subjektiven Bewertung der Gegenwartsgüter im Vergleich mit den Zukunftsgütern zeigt sich in der Werteskala jedes Menschen und bedeutet, dass in einem Markt, der aus vielen Wirtschaftssubjekten mit einer jeweils eigenen und veränderbaren Zeitpräferenz besteht, zahlreiche Möglichkeiten zum gegenseitig begünstigenden Tausch entstehen. Daher sind Menschen mit einer niedrigen Zeitpräferenz bereit, Gegenwartsgüter im Tausch für nur ein wenig höher bewertete Zukunftsgüter aufzugeben. Und sie werden Tauschakte vornehmen, in denen sie ihre Gegenwartsgüter Menschen mit einer höheren Zeitpräferenz übergeben, d.h. Menschen, die Gegenwartsgüter intensiver bewerten, als sie selbst es tun. Die dem Unternehmertum inhärente Kreativität und Aufmerksamkeit führt zu einem Marktprozess, der dazu tendiert, einen Marktpreis für Gegenwartsgüter in Bezug auf Zukunftsgüter zu etablieren. Wir werden den Begriff „Zinssatz" verwenden, um den Marktpreis der Gegenwartsgüter, ausgedrückt in Zukunftsgütern, zu bezeichnen. Vorausgesetzt, dass im Markt viele Handlungen ausgeführt werden, in denen Geld als allgemein akzeptiertes Zahlungsmittel verwendet wird, ist der Zinssatz der Preis, den man zahlen muss, um eine bestimmte Menge GE unmittelbar zu erhalten; dieser Preis reflektiert die Anzahl der Einheiten, die man am Ende der gesetzten Frist oder Periode im Tausch zurückgeben muss. Im Allgemeinen wird dieser Preis aus Gewohnheitsgründen als ein bestimmter jährlicher Prozentsatz ausgedrückt. Zum Beispiel zeigt ein Zinssatz von 9 Prozent an, dass Markttransaktionen derart durchgeführt werden, dass es möglich ist, 100 GE unmittelbar (Gegenwartsgut) im Tausch für das Versprechen zu erhalten, 109 GE am Ende des Jahres (Zukunftsgut) zu übergeben. 295 295 Der Zinssatz kann tatsächlich auf zwei verschiedene Arten interpretiert werden. Er kann als das Verhältnis von heutigen Preisen angesehen werden (von denen einer mit dem heute verfügbaren Gut und der andere mit dem gleichen, jedoch erst morgen verfugbaren Gut korrespondiert); oder er kann als der Preis der Gegenwartsgüter betrachtet werden, der in Zukunftsgütem ausgedrückt wird. Beide Ideen führen zum selben Ergebnis. Die erste Interpretation wird von Ludwig von Mises vertreten, für den der Zinssatz „a ratio of commodity prices, not a price in itself ist [Human Action, S. 526). Wir ziehen jedoch letztere Interpretation vor, dabei Murray N. Rothbard folgend. Eine detaillierte Analyse, wie der Zinssatz als der Marktpreis von Gegenwartsgütern in Zukunftsgütem ausgedrückt interpretiert werden kann, sowie weitere Untersuchungen finden sich in Murray N. Rothbards Buch Man, Economy, and State: A Treatise on Economic Principles, 3. Aufl. (Aubum, Ala.: Ludwig von Mises Institute, 1993), Kapitel 5 - 6 , S. 2 7 3 - 3 8 7 . In jedem Fall wird der Zinssatz auf die gleiche Weise bestimmt wie jeder andere Marktpreis. Der einzige Unterschied liegt in der Tatsache, dass der Zinssatz, statt einen etablierten Preis für jedes Gut bzw. jede Nutzleistung in Geldeinheiten ausgedrückt zu reflektieren, auf dem Verkauf von Gegenwarts-
200 Die Kreditausweitung der Banken und ihre wirtschaftlichen Folgen Deshalb ist der Zinssatz der Preis, der in einem Markt etabliert wird, in dem die Anbieter bzw. Verkäufer von Gegenwartsgütern gerade die Sparer sind, das heißt all jene, die relativ gesehen eher dazu bereit sind, auf den Konsum im Austausch für Güter höheren Werts in der Zukunft zu verzichten. Die Käufer von Gegenwartsgütern sind all jene, die unmittelbar Güter und Nutzleistungen konsumieren (seien es Arbeiter, Besitzer natürlicher Ressourcen oder Kapitalgüter oder Kombinationen aus diesen). In der Tat besteht der Markt von Gegenwarts- und Zukunftsgütem, in dem der Zinssatz bestimmt wird, aus der gesamten Produktionsstruktur der Gesellschaft. In der gesamten Produktionsstruktur geben Sparer bzw. Kapitalisten den unmittelbaren Konsum auf und bieten Besitzern der primären bzw. ursprünglichen Produktionsfaktoren (Arbeiter und Besitzer natürlicher Ressourcen) sowie Kapitalgüterbesitzern Gegenwartsgüter an, und zwar im Tausch gegen den vollen Besitz der Konsum- und Kapitalgüter, die - wie sie annehmen - einen höheren Wert haben werden, sobald einmal die Produktion dieser Güter in der Zukunft vollendet sein wird. Wenn wir vom positiven (bzw. negativen) Effekt des reinen Unternehmergewinns (bzw. -verlusts) absehen, tendiert die Wertdifferenz zwischen dem Wert der Produktionsfaktoren und den in der Zukunft fertiggestellten Gütern dazu, mit dem Zinssatz übereinzustimmen. Aus juristischer Sicht kann der Tausch von Gegenwartsgütern für Zukunftsgüter viele Formen annehmen. Zum Beispiel handeln in einer Kooperative die Arbeiter selbst zugleich als Kapitalisten und warten bis zum Ende des gesamten Produktionsprozesses, um den Besitz des Endprodukts und seines gesamten Werts zu erlangen. In den meisten Fällen sind die Arbeiter jedoch weder bereit zu warten, bis der Produktionsprozess endet, noch die Risiken und Unsicherheiten auf sich zu nehmen, die dieser mit sich bringt. Anstatt Kooperativen zu formen, ziehen sie es daher vor, die Ergebnisse ihrer produktiven Anstrengungen im Tausch für unmittelbare Gegenwartsgüter zu verkaufen. Sie gehen einen Arbeitsvertrag ein, der festlegt, dass die Person, die ihnen die Gegenwartsgüter vorschießt (der Kapitalist, Sparer oder Anbieter von Gegenwartsgütern), den vollen Besitz des Endproduktes erhält, sobald es produziert worden ist. Auch Kombinationen dieser beiden Vertragsarten sind möglich. Hier ist nicht die geeignete Stelle, um die verschiedenen rechtlichen Formen zu erörtern, die der Tausch der Gegenwartsgüter gegen Zukunftsgüter in einer modernen Gesellschaft annimmt. Außerdem beeinflussen diese Formen das gütern im Tausch für Zukunftsgüter, beide in der Form von Geldeinheiten, basiert. Obwohl wir die Idee verteidigen, dass der Zinssatz ausschließlich durch die Zeitpräferenz bestimmt ist (d. h. durch die subjektiven Nutzeneinschätzungen, welche die Zeitpräferenz enthält), beeinträchtigt die Akzeptanz einer anderen Zinstheorie (beispielsweise der Theorie, dass der Zinssatz in einem mehr oder weniger starken Ausmaß durch die Grenzproduktivität des Kapitals bestimmt wird) das grundlegende Argument dieses Buches hinsichtlich der verzerrenden Effekte, welche die Kreditausweitung der Banken auf die Produktionsstruktur ausübt, nicht. In dieser Hinsicht bemerkt Charles E. Wainhouse: „Hayek establishes that his monetary theory of economic fluctuations is consistent with any of the "modern interest theories" and need not be based on any particular one. The key is the monetary causes of deviations of the current from the equilibrium rate of interest." „Empirical Evidence for Hayek's Theory of Economic Fluctuations", 2. Kapitel in Money in Crisis: The Federal Reserve, the Economy and Monetary Reform, hrsg. von Bany N. Siegel (San Francisco: Pacific Institute for Public Policy Research, 1984), S. 40.
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grundlegende Argument, das wir in diesem Buch vorbringen, nicht, obwohl sie aus theoretischer und praktischer Sicht unzweifelhaft von größtem Interesse sind. Es sollte festgehalten werden, dass der „Kreditmarkt", auf dem man ein Darlehen durch das Versprechen zur Zahlung des korrespondierenden Zinssatzes erhalten kann, nur einen relativ kleinen Teil des Gesamtmarktes ausmacht, auf dem Gegenwartsgüter gegen Zukunftsgüter getauscht werden und der die gesamte Produktionsstruktur der Gesellschaft umfasst. Auf dem Gesamtmarkt treten die Besitzer der ursprünglichen Produktionsmittel (Arbeit und natürliche Ressourcen) und Kapitalgüter als Nachfrager der Gegenwartsgüter auf, während die Sparer als deren Anbieter auftreten. Mithin stellen der kurzfristige, der mittelfristige und der langfristige Darlehensmarkt lediglich Teilbereiche des viel breiteren Marktes dar, auf dem Gegenwartsgüter gegen Zukunftsgüter getauscht werden. Im Hinblick auf diesen breiteren Gesamtmarkt spielt der Darlehensmarkt, obwohl er der sichtbarste und dem allgemeinen Publikum offenbarste Teilbereich ist, nur eine sekundäre und abhängige Rolle.296 In der Tat ist es ohne Problem möglich, sich eine Gesellschaft vorzustellen, in der kein Darlehensmarkt existiert und in der alle ökonomischen Agenten ihre Ersparnisse direkt in die Produktion investieren (mittels interner Finanzierung und Rückstellungen durch Partnerschaften, Unternehmen oder Kooperativen). Obwohl in diesem Falle in dem (ja gar nicht existierenden) Kreditmarkt kein Zinssatz etabliert werden würde, würde der Zinssatz immer noch durch das Verhältnis bestimmt, in dem Gegenwartsgüter in den verschiedenen Zwischenstufen des Produktionsprozesses gegen Zukunftsgüter getauscht werden. Unter diesen Umständen würde der Zinssatz durch die „Profitrate" determiniert, die dazu tendierte, gleich dem Nettoeinkommen pro Werteinheit und Zeitperiode in jeder Produktionsstufe zu sein. Obwohl dieser Zinssatz nicht direkt im Markt beobachtbar ist und in jeder Unternehmung und jedem spezifischen Produktionsprozess dieser Satz wichtige externe Faktoren umfassen würde (wie die Komponenten des reinen Untemehmergewinns oder -Verlustes und die Risikoprämie), würde der in jeder Stufe des gesamten wirtschaftlichen Systems generierte Gewinn dazu tendieren, mit dem Zinssatz zu korrespondieren. Dies ist der Fall, weil der typische unternehmerische Prozess die Buchgewinne über die verschiedenen Stufen der Produktionsstruktur hinweg ausgleicht, wenn wir annehmen, dass keine weiteren Veränderungen geschehen und alle kreativen Möglichkeiten und unternehmerischen Gewinnchancen bereits entdeckt und ausgeschöpft wurden.297
296 Was wir umgangssprachlich als „Geldmarkt" bezeichnen, ist tatsächlich nur der kurzfristige Darlehensmarkt. Der wahre Geldmarkt umfasst den gesamten Markt, auf dem Güter und Nutzleistungen für Geldeinheiten getauscht werden und auf dem der Preis bzw. die Kaufkraft des Geldes sowie der Geldpreis jedes Gutes und jeder Nutzleistung simultan bestimmt werden. Aus diesem Grunde ist die folgende Behauptung von Marshall gänzlich irreführend: „The .money market' is the market for command over money: ,the value of money' in it at any time is the rate of discount, or of interest for short period loans charged in it." Alfred Marshall, Money Credit and Commerce (Londong: Macmillan, 1924), S. 14. Mises klärt Marshalls Begriffsverwirrung in Nationalökonomie, S. 362, vollständig auf. 297 Jedoch macht das Konzept der „Profitrate" im realen Leben genau genommen keinen Sinn und wir haben es lediglich eingeführt, um zu illustrieren und dem Lesen beim Verständnis der Konjunkturtheorie zu helfen. Wie es Mises ausdrückt:
202 Die Kreditausweitung der Banken und ihre wirtschaftlichen Folgen In der realen Welt sind die einzigen direkt beobachtbaren Zahlen jene, die wir den Bruttozinssatz oder den Marktzins nennen könnten, sowie die Bruttobuchgewinne, die von jeder Produktionsaktivität erwirtschaftet werden (d.h. das Nettoeinkommen). Der Bruttozinssatz besteht in dem Zinssatz, wie wir ihn definiert haben (auch manchmal ursprünglicher oder natürlicher Zinssatz genannt), plus der Risikoprämie der korrespondierenden Operation plus oder minus der Prämie fiir die erwartete Inflation oder Deflation; das heißt der erwartete Rückgang oder Anstieg der Kaufkraft der Geldeinheit, der beim Tausch der Gegenwartsgüter gegen Zukunftsgüter und in den Berechnungen bei solchen Transaktionen benutzt wird. Die zweite Zahl, die ebenfalls direkt im Markt beobachtbar ist, repräsentiert die Bruttobuchgewinne (d. h. das Nettoeinkommen) aus der spezifischen Produktionsaktivität, die in jeder Stufe des Produktionsprozesses durchgeführt wird. Diese Gewinne tendieren dazu, sich dem Bruttozinssatz (bzw. dem Marktzinssatz), wie wir ihn im voranstehenden Abschnitt definiert haben, plus/minus des reinen Unternehmergewinns bzw. -verlusts anzupassen. 298 Wie in allen Märkten tendieren die unternehmerischen Gewinne und Verluste infolge des Wettbewerbs der Unternehmer dazu, zu verschwinden, und die Buchgewinne jeder produktiven Aktivität pro Zeitperiode passen sich tendenziell dem Bruttomarktzins an. In der Tat können die Buchgewinne, die jedes Unternehmen für ein Finanzjahr berichtet, dahin gehend interpretiert werden, dass sie implizit eine Zinskomponente mit Hinblick auf die von den Kapitalisten, die das Unternehmen besitzen, gesparten und investierten Ressourcen enthält. Diese implizite Komponente resultiert zusammen mit dem Risikofaktor und den unternehmerischen Gewinnen bzw. Verlusten, die sich aus der reinen unternehmerischen Aktivität des Geschäfts ergeben, in den Buchgewinnen. Aus dieser Perspektive ist es möglich, dass eine Unternehmung Buchgewinne meldet (d. h. Nettoeinkommen), obwohl sie tatsächlich unternehmerische Verluste erlitten hat. Dies ist der Fall, wenn die Buchgewinne nicht ausreichend sind, um den impliziten Bruttomarktzins zu übertreffen, der sich auf die von den Kapitalisten in ihren Geschäften im Finanzjahr investierten Ressourcen bezieht. Jedenfalls ist es ungeachtet der äußeren Form, welche die Zinsen annehmen, fundamental, sich daran zu erinnern, dass der Zins als Marktpreis bzw. als soziale Rate der Zeitpräferenz eine vitale Rolle in der Koordination des Verhaltens von Konsumenten, Sparern, Investoren und Produzenten in einer modernen Gesellschaft spielt. Wie es fiir Robinson Crusoe entscheidend war, seine Handlungen zu koordinieren und ,,[I]t becomes evident that it is absurd to speak of a ,rate of profit' or a .normal rate of profit' or an .average rate of profit'. ... There is nothing .normal' in profits and there can never be an .equilibrium' with regard to them." (Mises, Human Action, S. 297). 298 In der Tat beinhaltet auch der Zinssatz, zu dem die Darlehen im Darlehensmarkt ausgehandelt werden, eine unternehmerische Komponente, die wir nicht im Text erwähnt haben. Diese entsteht aus der unausweichlichen Unsicherheit (nicht „Risiko") beispielsweise hinsichtlich der Möglichkeit, dass systematische Veränderungen in der sozialen Zeitpräferenzrate oder andere Störungen vorkommen, gegen die es unmöglich ist, sich zu versichern: „Wir wissen schon, dass mit jeder Darlehensgewährung, auch ganz abgesehen vom Risiko der Veränderungen der Kaufkraft des Geldes, ein Untemehmerrisiko verbunden ist. Jede Darlehensgewährung ist ein Unternehmen, das auch fehlschlagen kann. Jeder Darlehensgeber bezieht im Bruttozins auch Unternehmergewinn." (Mises, Nationalökonomie, S. 486).
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davon Abstand zu nehmen, sich künftigen Zielen in einem Maße zu widmen, das seinen Vorrat an gesparten Gegenwartsgütem überstiegen hätte, so besteht das Problem der intertemporalen Koordination auch beständig für die gesamte Gesellschaft. In einer modernen Gesellschaft werden gegenwärtiges und künftiges Verhalten durch die unternehmerische Aktivität in dem Markt koordiniert, in dem Gegenwartsgüter gegen Zukunftsgüter getauscht werden und der Zinssatz, der Marktpreis einer Art dieser Güter ausgedrückt in der anderen, bestimmt wird. Je reichlicher die Ersparnisse sind, d.h., je größer die Menge unverkaufter und angebotener Gegenwartsgüter ist, desto geringer ist daher ceteris paribus ihr Preis ausgedrückt in Zukunftsgütern und desto niedriger ist folglich der Marktzinssatz. Dieser zeigt Unternehmern an, dass mehr Gegenwartsgüter verfügbar sind. Dies ermöglicht es ihnen, die Länge und Komplexität der Stufen in ihren Produktionsprozessen zu steigern und diese Stufen produktiver zu machen. Je geringer hingegen die Ersparnisse sind, d.h. je weniger die Wirtschaftssubjekte ceteris paribus bereit sind, den unmittelbaren Konsum von Gegenwartsgütem aufzugeben, desto höher ist der Marktzinssatz. Mithin zeigt ein hoher Marktzins, dass die Ersparnisse relativ knapp sind, was für die Unternehmer ein unmissverständlicher Hinweis dafür ist, dass sie eine übermäßige Verlängerung der verschiedenen Stufen des Produktionsprozesses und die daraus resultierende Fehlkoordination oder Fehlanpassung, die eine große Gefahr für eine nachhaltige, gesunde und harmonische Entwicklung der Gesellschaft bedeutet, möglichst vermeiden sollten.299 Kurzum vermittelt der Zinssatz den Unternehmern, welche neuen produktiven Etappen oder Investitionsprojekte sie unternehmen können und sollten und welche nicht, damit das Verhalten von Sparern, Konsumenten und Investoren so koordiniert bleibt, wie es eben menschlich möglich ist, und vermieden wird, dass die verschiedenen Produktionsstufen unnötig kurz bleiben oder zu lang werden. Zum Schluss müssen wir noch daraufhinweisen, dass eine Tendenz zum Ausgleich des Marktzinses über den gesamten Zeitmarkt bzw. die ganze gesellschaftliche Produktionsstruktur hinweg besteht und dass die Ausgleichstendenz nicht nur intratemporal gilt, d. h. in verschiedenen Marktteilen, sondern auch intertemporal, d. h. sowohl in den Produktionsstufen, die relativ nahe am Konsum liegen, als auch in weiter entfernten Produktionsstufen. Wenn der Zinssatz, den man durch den Vorschuss von Gegenwartsgütern in einigen Stufen (beispielsweise in den dem Konsum am nächsten liegenden) erzielen kann, höher ist als in anderen (beispielsweise in den dem Konsum entferntesten Stufen), dann wird in der Tat der unternehmerische Geist, angetrieben durch den Gewinnerzielungswunsch, dazu führen, dass Individuen in den Stufen, in denen der Zinssatz bzw. die „Profitrate" relativ gering ist, deinvestieren werden und in den Stufen investieren, in denen der erwartete Zinssatz bzw. die „Profitrate" höher ist.
299 Die gleiche Idee steht im Zentrum von Roger Garrisons letztem Buch, das wir nach der ersten spanischen Auflage unseres Buches gelesen haben. Garrison schreibt: ,,[T]he intertemporal allocation may be internally consistent and hence sustainable, or it may involve some systematic internal inconsistency, in which case its sustainability is threatened. The distinction between sustainable and unsustainable patterns of resource allocation is, or should be, a major focus of macroeconomic theorizing." (Garrison, Time and Money, S. 33-34)
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5.1.4 Die Produktionsstruktur
Obwohl es nahezu unmöglich ist, die überaus komplexe Struktur der Produktionsstufen, welche die moderne Volkswirtschaft charakterisieren, grafisch zu illustrieren, stellt Abbildung 5.1 eine vereinfachte Version dieser Struktur dar, und wir bilden sie ab, um die theoretischen Argumente zu verdeutlichen, die wir im Weiteren entwickeln werden. Diese Grafik ist streng genommen nicht notwendig, um die grundlegenden theoretischen Argumente zu erklären, und Autoren vom Format eines Ludwig von Mises haben sie niemals in ihrer Darstellung der Kapital- und Konjunkturtheorie benutzt. 300 Dennoch haben es traditionell viele Theoretiker als hilfreich angesehen, vereinfachte Abbildungen der Stufen von realen Produktionsprozessen zu benutzen, um ihre Argumente zu verdeutlichen.301
300 Mises, Die Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel und auch Nationalökonomie. 301 Der erste Theoretiker, der eine im Grunde mit Abbildung 5.1 identische Darstellung vorgetragen hat, war William Stanly Jevons in seinem Buch The Theory ofPolitical Economy, deren erste Ausgabe 1871 veröffentlicht wurde. Wir haben einen Wiederabdruck der fünften Auflage (Kelley and Millman, Hrsg.), veröffentlicht 1957 in New York, benutzt. Seite 230 beinhaltet ein Diagramm, das nach Jevons „line ox indicates the duration of investment and the height attained at any point, i, is the amount of capital invested". Ein paar Jahre später, im Jahre 1889, lieferte BöhmBawerk eine grundlegendere Betrachtung der theoretischen Aspekte der Struktur der sukzessiven Kapitalgüterstufen und benutzte Grafiken, um ihre Struktur zu illustrieren. Er schlug vor, diese durch sukzessive, konzentrische Jahresringe, von denen ein jeder eine Produktionsstufe darstellte, zu repräsentieren. Diese Art der Darstellung befindet sich zusammen mit Böhm-Bawerks Erläuterungen auf den Seiten 142 bis 143 seines Buches Kapital und Kapitalzins, Band 2: Positive Theorie des Kapitales (Jena: Gustav Fischer, 1921). Das Hauptproblem von Böhm-Bawerks Darstellung ist, dass sie das Vergehen der Zeit in einer sehr schwerfalligen Art porträtiert und so die Notwendigkeit einer zweiten (vertikalen) Dimension offenkundig werden lässt. Böhm-Bawerk hätte diese Schwierigkeiten einfach umgehen können, indem er die konzentrischen Jahresringe durch eine Anzahl von übereinander platzierten Zylindern ersetzt hätte, von denen jeder Zylinder eine kleinere Basis als der darunterliegende hat (wie ein runder Hochzeitskuchen, dessen Schichten einen desto kleineren Durchmesser besitzen, je höher sie sich befinden). Hayek löste diese Schwierigkeit dann später im Jahre 1931 in der ersten Auflage seinen Klassikers Prices and Production, mit einem Vorwort von Lionel Robbins (London: Routledge, 1931; zweite und Überarb. Aufl. 1935), S. 36 der ersten und S. 39 der zweiten Aufl. und S. 42 der deutschen Auflage, Preise und Produktion (Wien: Springer, 1976). Von jetzt an beziehen sich alle Zitate dieses Buches auf die zweite Auflage. Das Buch enthält eine Grafik, die der Abbildung 5.1 sehr ähnlich ist. Hayek benutzte diese Art der Darstellung erneut 1941 (aber nun in stetiger Form) in seinem Buch The Pure Theory of Capital (vgl. beispielsweise S. 109 der englischen und S. 96 der deutschen Ausgabe Die reine Theorie des Kapitals). Zudem entwickelte Hayek einen zukunftsgerichteten dreidimensionalen Graphen der verschiedenen Stufen des Produktionsprozesses. Was diese Grafik an Genauigkeit, Präzision und Eleganz gewinnt, verliert sie jedoch an Verständlichkeit (S. 117). Im Jahr 1962 schlug Murray Rothbard (Man, Economy, and State, Kapital 6-7) eine Abbildung vor, die in vielerlei Hinsicht der Hayek'schen überlegen ist. Mark Skousen folgt Rothbards Illustration in seinem Buch The Structure of Production sehr eng. Im Spanischen haben wir den Graphen der Stufen der Produktionsstruktur zum ersten Mal vor mehr als 20 Jahren in dem Artikel „La teoria austriaca del ciclo econömico" vorgestellt, der ursprünglich in Moneda y credito, Nr. 152 (März 1980): 37-55, erschien und in unserem Buch Estudios de economia politica, Kapitel 13, S. 160-76 wieder abgedruckt ist. Obwohl die Dreiecksgraphen, die Knut Wickseil in Vorlesungen über Nationalökonomie (Bd. 1, S. 224) vorschlägt, auch als eine Illustration der Produktionsstruktur interpretiert werden können, haben wir sie in dieser kurzen Übersicht zur Geschichte der Grafiken, die die Stufen des Produktionsprozesses abbilden, absichtlich nicht erwähnt. Vgl. zudem Alonso Neira, M. A, „Hayek's Triangle", An Eponymeus Dictionary ofEconomics: A Guide to Latus and Theorems Named afier Economists, hrsg. von Julio Segura und Carlos Rodriguez
Die Grundlagen der Kapitaltheorie
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