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German Pages 430 Year 2019
Philipp Degens Geld als Gabe
Sozialtheorie
Philipp Degens (Dr. rer. pol.), geb. 1980, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Sozialökonomie der Universität Hamburg. Er hat in Köln Soziologie, Geschichte und Ethnologie sowie Volkswirtschaftslehre sozialwissenschaftlicher Richtung studiert. Neben der Geldsoziologie sind seine Forschungsschwerpunkte alternative, insbesondere genossenschaftliche Wirtschaftsweisen, Zivilgesellschaft und Dritter Sektor sowie die Debatte um Möglichkeiten der gesellschaftlichen Transformation und Nachhaltigkeit.
Philipp Degens
Geld als Gabe Zur sozialen Bedeutung lokaler Geldformen
Bei diesem Buch handelt es sich um eine redigierte und leicht überarbeitete Fassung meiner 2016 an der Universität zu Köln eingereichten Dissertationsschrift. Das Verfassen einer solchen Arbeit ist ein langer Prozess, in dem Hilfe und Unterstützung von Freund*innen und Kolleg*innen unumgänglich sind. Ich schulde daher vielen Leuten Dank. Dies gilt ganz besonders für Lisa Ahles, Leander Bindewald, Johannes Blome-Drees, Sarah-Lena Böning, Sonja Breidbach, Simon Derpmann, Nigel Dodd, meine Familie, Martina Fuchs, Hayley James, Benjamin Haas, die Mitglieder des Maecenata Forschungscollegiums, Jens Martignoni, Amir Mohseni, Clemens Schimmele, Ingrid Schmale, Frank Schulz-Nieswandt, Tim Schröter, Susan Steed, Wolfgang Streeck, Nicole Vetter, Malte Wittmann und aus dem Feld nicht nur für Bernard, Gernot, Mehud, Sue, Rolf, Tom und die anderen Mitarbeiter*innen in Brixton, Stroud und Vorarlberg, sondern auch für alle Interviewpartner*innen, ohne deren Bereitschaft und Geduld nichts zustande gekommen wäre.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2018 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-3909-4 PDF-ISBN 978-3-8394-3909-8 https://doi.org/10.14361/9783839439098 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt
1
1.1 1.2 1.3
Einleitung | 9 Soziologische Untersuchung von Wirtschaft und (Regio-)Geld | 10 Methodischer Ansatz | 20 Aufbau des Buches | 23
DIE SOZIALE BEDEUTUNG DES GELDES 2
Drei Perspektiven auf Geld | 29
2.1 2.2
Geld als Schmiermittel des Markttausches | 31 »Money Shapes Values«: Wirkungen des Geldes auf die Gesellschaft | 42 »Values Shape Money«: Soziale und Kulturelle Zivilisierung des Geldes | 45
2.3
3
Viviana Zelizer und die Vielfalt spezieller Gelder | 49
3.1 3.2 3.3 3.4
Das Verhältnis von Wirtschaft und Kultur | 50 Homogenisierung und Differenzierung | 53 Formen des Markierens von Geld | 58 Kommerzielle Kreisläufe | 63
TAUSCH UND GELD JENSEITS DES MARKTES
4.1 4.2 4.3
Karl Polanyi und die Einbettung von Wirtschaft | 71 Substantive und formale Bedeutung des Wirtschaftlichen | 73 Reziprozität, Redistribution, Markt | 78 Einbettung der Wirtschaft als Paradigma der Wirtschaftssoziologie | 83
5
Marcel Mauss und die Gabe | 105
5.1 5.2 5.3 5.4
Die Gabe zwischen Freiwilligkeit und Verpflichtung | 108 Eindimensionale Gaben (Rezeption I) | 114 Drei Thesen zur Gabe in modernen Gesellschaften (Rezeption II) | 117 Kontinuum der Reziprozitäten nach Marshall Sahlins (Rezeption III) | 127 Geld in Beziehungen von Gabe und Reziprozität | 133
4
5.5
KOMPLEMENTÄRE WÄHRUNGEN 6
Ein Blick in die Komplementärwährungslandschaft | 139
6.1 6.2
Überblick und Vielfalt der Systeme | 140 Konzeptionen von Komplementärwährungen: historische und theoretische Bezugspunkte | 147
7
Zivilgesellschaftliche Komplementärwährungen | 159
7.1 7.2
Wirtschaft und Zivilgesellschaft im Wohlfahrtsmix | 160 Ansätze der Typologisierung zivilgesellschaftlicher Komplementärwährungen | 167 Tauschringe und Zeitbanken | 174 Regiogelder | 180
7.3 7.4
EMPIRIE: VERGLEICHENDE FALLSTUDIEN 8
Zur Methodik der vergleichenden Analyse dreier Regiogelder | 191
8.1 8.2
Datenerhebung: Fallauswahl und Methodik | 192 Datenauswertung: zur Analyse der Interviews und der Feldnotizen | 214
9
Einstieg in die drei Fallstudien: Brixton Pound, Stroud Pound und Vorarlbergstaler | 221
9.1 9.2 9.3
Brixton Pound | 222 Stroud Pound | 242 Vorarlbergstaler | 257
10
Unternehmensperspektiven auf Regiogeld | 279 Partizipationsmotive | 279 Erfahrungen mit und Einschätzungen von Regiogeld | 300 Verwendungen von Regiogeld | 326 Erfahrungen und Einschätzungen nichtteilnehmender Unternehmen | 340 Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den drei Fällen | 356
10.1 10.2 10.3 10.4 10.5 11
Regiogeld zwischen Markt, Gabe und Reziprozität: Zusammenführung und Interpretation der Ergebnisse | 359
11.1 11.2 11.3 11.4
Regiogeld als kommerzieller Kreislauf | 359 Regiogeld als Medium der Wiedereinbettung | 365 Regiogeld als Gabe und Institutionalisierung von Reziprozität | 368 Regiogeld als »ökonomisches Projekt«? | 373
12
Fazit | 377
Literatur | 385
Wissenschaftliche Publikationen | 385 Dokumente der Regiogeldorganisationen und Medienbeiträge | 422 Anhang | 425
Verzeichnisse | 425 Listen der Interviewpartner*innen | 427
1
Einleitung
»Amazing, isn’t it? It’s not as boring as normal money«, sagt mir die Kellnerin in der Kaff Bar, als sie den Brixton Pound Schein entgegennimmt, mit dem ich meine erste Tasse Tee in Brixton, London bezahle. Mit dieser Form einer lokalen Komplementärwährung lässt sich bei mehr als 200 Geschäften, kleinen Unternehmen und Selbstständigen in Brixton bezahlen, genau wie (und oft in Kombination) mit dem Pound Sterling. Statt der bunten Scheine, die Brixtoner Architektur, Kunst und Persönlichkeiten abbilden, kann man auch eine bargeldlose Übertragung von Guthaben über Mobiltelefone nutzen. Das Geld ist nicht nur weniger langweilig, weil die Scheine aufwändig gestaltet und mit lokalen Personen und Symbolen versehen sind. Sondern es ist vor allem deswegen weniger langweilig, weil die Transaktionen mit Brixton Pound als besonders wahrgenommen werden. Es hat in einem begrenzten Sozialraum Gültigkeit und die Nutzer*innen schreiben ihm eine besondere Bedeutung zu, verwenden es oftmals für außergewöhnliche Anlässe. Aber selbst eine herkömmliche Transaktion, beispielsweise der Einkauf in einem Geschäft oder die Begleichung der Rechnung in einem Café hat etwas für sich, zumal sie meist zumindest von einer kurzen Unterhaltung begleitet wird: über das lokale Geld oder das Geldsystem im Allgemeinen, über Brixton und seinen jüngsten Wandel oder über andere teilnehmende Unternehmen. Unabhängig davon, wie man zu der Frage steht, ob normales Geld nun langweilig ist oder nicht, zeigt bereits diese kurze Bemerkung bei einer schlichten Bezahlung mit Regiogeld, dass seine Nutzer*innen diesem eine spezifische Bedeutung in Abgrenzung zu herkömmlichem Geld beimessen. Lokales Geld bricht mit alltäglichen Ansichten, dass Geld etwa (national-)staatlich organisiert ist oder von Banken herausgegeben wird. Es ist gleichsam mit einer Reihe von Erwartungen und Zielsetzungen verbunden, eine Alternative zur herkömmlichen Geldwirtschaft zu bieten. In dieser Arbeit möchte ich diesen Sachverhalt erörtern. Einführend erläutere ich den thematischen und konzeptionellen Hintergrund meiner Studie (1.1), den methodischen Zugang zur Analyse ausgewählter Komplementärwährungen (1.2.) und kurz den Aufbau des Buches (1.3).
10 | Geld als Gabe
1.1 SOZIOLOGISCHE UNTERSUCHUNG VON WIRTSCHAFT UND (REGIO-)GELD Wir sind es gewohnt, Geld als nationalstaatlich strukturiert anzusehen. Auch die Einführung suprastaatlicher Währungsräume wie der Eurozone hat dies nicht fundamental geändert. Denn das Territorium des Euros besteht aus mehreren Nationalstaaten. Die Verbindung von Geld und Staat findet sich auch in der Geldtheorie, allen voran den sogenannten staatstheoretischen Ansätzen. Nach diesen spielen der Staat und seine Akzeptanz des gesetzlichen Zahlungsmittels für die Begleichung von Steuerschulden die zentrale Rolle für die Konstitution des Geldes (Ingham 2004). Aus konträrer Sicht des Geldpluralismus ist der Zusammenhang zwischen Staaten und Geld allerdings nicht notwendig, sondern ein spezifisch funktionaler, der sich erst historisch herausgebildet hat (Dodd 1994: 155). Es handelt sich demnach bei an nationalstaatlichen Territorien gebundene Geldformen historisch gesehen eher um die Ausnahme denn die Regel. Und diese Ausnahme, an die wir uns seit Ende des 19. Jahrhunderts gewöhnt haben, ist, so die zugrunde liegende Vermutung, von einem Bedeutungsverlust betroffen. Die Geldordnung diversifiziert sich (wieder), was man an neuen Zahlsystemen, Kryptowährungen oder eben lokalen und regionalen Geldformen der Zivilgesellschaft sehen kann. Diese Diversifizierung erhält in der Wissenschaft seit einiger Zeit vermehrt Aufmerksamkeit, wenn auch auf insgesamt noch niedrigem Niveau. Spätestens in den 1990er Jahren begann aber eine Hinwendung zu Geld- und Finanzsystemen aus wirtschaftsgeographischer Perspektive (Gilbert 2005, Tickell 2000, Leyshon 1997, Thrift 1990). Ein Ausgangspunkt war die Zurückweisung der Idee eines sich durch die Globalisierung vereinheitlichenden globalen Finanzsystems, das räumliche Eigenarten auflösen würde. Die Studien untersuchen stattdessen, wie die verschiedenen lokalen Finanzplätze (darunter dichte Agglomerationsräume) miteinander verbunden sind. Das Globale wird dabei nicht als dem Lokalen Äußeres gedacht. Stattdessen betonen die Studien die Verflechtung von global und lokal (Thrift 1990:81). Als Beispiele für die Relokalisierung der Geld- und Finanzwelt dienen bereits in frühen Studien lokale Zeittauschringe, die das Ziel haben, regionale wirtschaftliche Kreisläufe zu stärken (Pacione 1999, Lee 1999, Willliams 1996). Für die Wirtschaftsgeographie erweisen sich solche Projekte trotz ihrer eingeschränkten ökonomischen oder sozialen Wirkungen wegen der ihnen inhärenten Lokalisierung des Geldes als relevant, da Geld in ihnen also an einen bestimmten Sozialraum zurückgebunden wird (Lee 1999, 220-224). Auch der kultursoziologische Blick auf Geld wurde in dieser Zeit geschärft, welcher die diversifizierende Verwendung von Geld in sozialen Praktiken zum Gegenstand von Untersuchungen macht und zeigt, dass der Einheitlichkeit, der Fungibilität sowie vermarktlichenden Wirkungen von Geld soziale und kulturelle Grenzen gesetzt werden (Zelizer 1994).
1. Einleitung | 11
Das hier behandelte Regiogeld ist eine von verschiedenen Formen lokaler Komplementärwährungen, die in Ergänzung zum (national-)staatlichen Geld lokal oder regional zirkulieren und der Ziele wie die Stärkung der regionalen Wirtschaft zugeschrieben werden (einführend: North 2014a,b). Regiogeld soll zirkulieren, nicht aus der Region abfließen und dadurch regionale Unternehmen und die Region insgesamt stimulieren. Diese Arbeit hat zuvorderst das Ziel, Regiogeld und seine Funktionsund Verwendungsweisen besser zu verstehen. Dazu liefert sie eine qualitative, vergleichende Untersuchung dreier Fallbeispiele, des Brixton Pounds in London, des Stroud Pounds in der englischen Kleinstadt Stroud und des Vorarlbergstalers im österreichischen Vorarlberg. Betrachtet wird somit eine spezifische Ausprägung zivilgesellschaftlich gestalteter alternativökonomischer Projekte. Es sind mehrere Aspekte, die eine Beschäftigung mit Regiogeld lohnenswert machen. Dazu gehört zunächst die steigende gesellschaftliche Relevanz des Beobachtungsgegenstands. Erstens nimmt die Zahl komplementärer Währungen in letzter Zeit immer stärker zu. Hierzu zählen Phänomene wie Bitcoin, denen sicherlich mittlerweile die größte mediale Aufmerksamkeit zukommt, Tauschringe und Zeitbanken ebenso wie zwischenbetriebliche Clearingsysteme. Regiogelder des hier betrachteten Typus sind nur eine Form von Komplementärwährungen, die allerdings in den letzten zehn Jahren verstärkt an empirischer Bedeutung gewonnen hat. Sie sollen einige Funktionsschwächen von meist kleinen und kurzlebigen Tauschringen überwinden, indem sie stärker an die herkömmliche Wirtschaft gekoppelt sind und Unternehmen dadurch zur Beteiligung anregen. Die drei ausgewählten Fallbeispielen – Brixton Pound, Stroud Pound und Vorarlbergstaler – gehören gerade aufgrund ihrer Kopplung an die jeweilige Landeswährung zu einer besonderen Form regionaler Komplementärwährungen. Ihre schiere Verbreitung gepaart mit der noch immer anhaltenden relativen Vernachlässigung in der Wissenschaft macht diese Form alternativer Währungen zu einem für sich genommen relevanten Betrachtungsgegenstand. Zweitens ergibt sich der Fokus auf Komplementärwährungen aus der Faszination, die von der Utopie einer Reform des Geldsystems hin zu einer kooperativen Wirtschaft ausgeht. Damit greife ich einen Strang zivilgesellschaftlicher Transformationsbestrebungen unseres Wirtschaftssystems auf, der historisch tief verwurzelt ist und konkret in den letzten Jahrzehnten innerhalb der Komplementärwährungsszene wieder debattiert wird. Eine Besonderheit ist gerade, dass im Gegensatz zu anderen Ansätzen der Solidarischen Ökonomie, der Économie Sociale oder der Genossenschaftsbewegung ein Wandel der Wirtschaftsweise durch eine Neuformung des wirtschaftlichen Steuerungsmediums selbst erzielt werden soll. Damit zusammen hängt, drittens, die vor dem Hintergrund der andauernden Krisen wieder aufgenommene Debatte um grundlegende wirtschaftliche und monetäre Alternativen zum vorherrschenden, kapitalistischen System. Im Hintergrund schwingt demnach immer die Frage mit, ob und inwieweit eine Dekommodifizierung des Geldes durch zivilgesellschaftliche Organisationen denkbar und möglich ist, inwieweit also Regiogelder tragfähige alternativ-
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ökonomische Projekte darstellen. Mit Blick auf den letztgenannten Aspekt liegen Regiogelder in einem Spannungsfeld, da sie dezidiert das Ziel haben, regionale Wirtschaft zu stärken, gleichzeitig aber unter Verweis auf ökologische Zwänge häufig eine Abkehr vom Wirtschaftswachstum fordern. Die Utopie, Geld durch zivilgesellschaftliche, dezentralisierte Formen demokratisieren zu können, verweist auf die normative Anziehungskraft des Untersuchungsgegenstandes. Falls Regiogeld einen wie auch immer gearteten Beitrag zu leisten im Stande ist, eine bessere Art des Wirtschaftens herbeizuführen, lohnt sich seine Untersuchung. Die wenigen vorhandenen umfassenden Studien zum Thema weisen zumindest auf diese Bedeutungszuschreibung hin. Christian Thiel (2011) betitelt seine Studie zum Regiogeld im Chiemgau mit der Überschrift »Das bessere Geld«, da Konsument*innen seiner Untersuchung zufolge den Chiemgauer als moralisch überlegenes Geld empfinden. Gleichzeitig stellt er, stellvertretend für einen großen Teil der bisherigen Forschung zu Regiogeld heraus, dass Unternehmen sich aus »ökonomische[m] Kalkül« (ebd.: 118f) beteiligen. Hier offenbaren sich die Annahmen, dass erstens Regiogeld den Unternehmen konkrete Vorteile bietet und sich diese zweitens deswegen zur Partizipation entscheiden. Unternehmen als zentrale Akteur*innen in Regiogeldkreisläufen sind allerdings noch nicht (oder nur in Ansätzen) untersucht worden. Die vorliegende Untersuchung wendet sich daher schwerpunktmäßig denjenigen Unternehmen zu, die sich am Regiogeld beteiligen, sowie denjenigen, die zur Zielgruppe der Regiogeldorganisationen gehören, sich aber gegen die Teilnahme entschieden haben. Dadurch liefert diese Arbeit die erste ausführliche, vergleichende Untersuchung zu Unternehmen in Regiogeldkreisläufen. Es gilt, die Bedeutungszuschreibungen sowie Verwendungspraktiken der teilnehmenden und nichtteilnehmenden Unternehmen zu vergleichen und herauszuarbeiten, aus welchen Beweggründen, mit welchen Erwartungen und vor dem Hintergrund welcher Erfahrungen Unternehmen sich für oder gegen die Teilnahme an Regiogeld entscheiden und wie und wofür sie dieses nutzen. Ich möchte aufzeigen, dass sich der Blick einer Analyse von Geld, und insbesondere von Komplementärwährungen auf die sozialen Infrastrukturen und die sozialen Prozesse der Geldverwendung richten sollte. Ergänzt wird die Betrachtung der Verwendungsweisen von den mit ihr zusammenhängenden Produktionsbedingungen. Regiogeld liefert auch aus theoretischer Perspektive einen relevanten Fall der Geld- und Wirtschaftsorganisation. An ihm lässt sich das Verhältnis von Wirtschaft und Zivilgesellschaft sowie auch die Konstitution von Wirtschaft studieren. Dabei verbinde ich drei Stränge des Diskurses um eine soziologische Betrachtung der Wirtschaft: (i) das in der neuen Wirtschaftssoziologie vorherrschende Paradigma der Einbettung, das auf Karl Polanyi zurückgeht; (ii) die bereits angesprochene, zum Teil in Auseinandersetzung mit der Wirtschaftstheorie, aber auch der neuen Wirtschaftssoziologie entstandene kultursoziologische Perspektive relationaler Soziologie Viviana Zelizers; und (iii) die Wiederentdeckung der Gabe, welche im Anschluss an Marcel
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Mauss als wesentliches (und auch für wirtschaftliche Relationen relevantes), Sozialität stiftendes Beziehungsmuster konzipiert wird. Die Arbeit lässt sich in einer Reihe neo-polanyischer Forschungszugänge sehen, insofern sie die Grenzen zwischen dem typischerweise als »wirtschaftlich« und dem als »nichtwirtschaftlich« Bezeichneten hinterfragt (Randles 2003). Dabei möchte ich in kritischer Auseinandersetzung die konzeptionelle Nähe und Kompatibilität der drei genannten Stränge offenlegen. Demgegenüber gilt insbesondere Zelizers relationaler Ansatz oft als Gegensatz oder zumindest Alternative zum Einbettungsparadigma der neuen Wirtschaftssoziologie. Innerhalb der auf die Kritik der Neoklassik abzielenden Wirtschaftssoziologie lässt sich feststellen, dass eine genuin soziologische Behandlung wirtschaftlicher Tauschphänomene noch immer unzureichend ausgestaltet ist, da die ihr zugrunde liegende Vorstellung wirtschaftlichen Handelns und des Wirtschaftsbegriffs insgesamt nicht ausgearbeitet ist (Sparsam 2015). Vielmehr überwiegen Ansätze, die soziale Einflüsse auf wirtschaftliches Handeln betrachten, aber wirtschaftliches Handeln analog zur neoklassischen Theorie letztlich als im Kern zweckrational und eigennutzenorientiert verstehen (Deutschmann 2007, Beckert 2007).1 Die Vorstellung eines autonomen wirtschaftlichen Teilsystems der Gesellschaft ist Kern soziologischer Theorien der funktionalen Differenzierung (Baecker 2008). Wirtschaft wird meist als Sphäre des Marktes und der geldvermittelten Transaktionen gedacht, letztlich unabhängig von den nichtwirtschaftlichen Bereichen der Gesellschaft (Kultur, Politik, Religion usw.). Beckert wirft diesen Theorien einen »konzeptionellen Fehler« (den sie mit den Wirtschaftswissenschaften teilen) vor, insofern sie »wirtschaftliche Phänomene als getrennt von den normativen Kontexten der Gesellschaft« betrachten (Beckert 2012: 250), und somit erst die Wirtschaft getrennt von anderen gesellschaftlichen Sphären konzipieren können: »In der Differenzierungstheorie wird insinuiert, es gäbe die Ökonomie als eine Handlungssphäre, in der die Akteure allein an Effizienzkriterien orientiert handelten. Genau dies ist aber nicht der Fall. Es gibt kein ökonomisches Handeln unabhängig von normativen und kognitiven Prägungen – und es ist irreführend, von einer ›ökonomischen Logik‹ zu sprechen, weil diese Prägungen dann nicht mehr als konstitutiv für die Ordnung der Wirtschaft gesehen werden, sondern als ein ihr letztlich äußerlich bleibender Zierrat. Die Differenzierungstheorie übernimmt unkritisch die Prämissen der neoklassischen Ökonomie, in der ebenfalls beliebige Werte 1
Solchen individualistischen Theorien stehen grundlegend holistische Theorien sozialen Handelns diametral gegenüber, welche Handlungen als Funktionen von internalisierten Normen verstehen (zu theoretischen Optionen soziologischer Handlungstheorien etwa Joas/Beckert 2001). Vor allem in der französischen Soziologie gibt es Bestrebungen, diese Dualität mittels Rekurs auf die Gabe als leitendem Paradigma zu überwinden (Caillé 2008, Adloff 2016).
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nur als externe Restriktionen der nutzenmaximierenden Akteure (lies ›Eigenlogik‹) in den Modellen erscheinen.« (Ebd.: 260)
Die differenzierungstheoretische Perspektive mündet in das Sphärenmodell der Zivilgesellschafts- und Dritt-Sektor-Forschung, welches der Zivilgesellschaft einen eigenständigen öffentlichen Raum neben Wirtschaft und Staat mit spezifischen, nichtmarktlichen und nicht-profitorientierten Handlungslogiken zuweist (Bunyan 2014, Kocka 2003, Adloff 2005). Entsprechend ist das Verhältnis von Wirtschaft und Zivilgesellschaft in der Forschung chronisch unterrepräsentiert (Adloff/Kocka 2016). Die mit der Idee der getrennten Sphären einhergehende Vereinheitlichung und Reduzierung ist meines Erachtens problematisch. Denn sie kann die Diversität von Wirtschaft und wirtschaftlichen Praktiken schon theoretisch nicht oder nur unzureichend fassen – was wiederum performativen Einfluss auf das Wirtschaftliche selbst hat (Gibson-Graham 2008). Konkret auf die Analyse von Geld bezogen bemerkt Dodd bereits vor über 20 Jahren, dass theoretische Ansätze, die auf einem im Kern rationalökonomischen, nicht-sozialen Handeln ansetzen, in die Irre führen, da sie die Dichotomie wirtschaftlich/sozial selbst nicht hinterfragen: »There is no core rational domain of economic reasoning and action underlying the transaction of money. This is not because economic action is basically irrational rather than rational, but because the binary oppositions underpinning economic reasoning are unworkable.« (Dodd 1994: 130)
Diese Überlegungen stellen einen Hintergrund für die vorliegende Arbeit dar. Um die hier zu untersuchenden kollektiven wirtschaftlichen Handlungen in Form der Zirkulation und Verwendung von Regiogeldern empirisch zu fassen, scheinen auf Basis der Felderfahrungen die bereits erwähnten drei Ansätze von Viviana Zelizer, Karl Polanyi und Marcel Mauss bedeutsam. Geeignet sind diese drei Denker*innen für die Analyse der Komplementärwährungen in besonderem Maße, da sie die Idee einer eigenständigen ökonomischen Sphäre der Rationalität, des Marktes und des homogenen Geldes zurückweisen. Ihre Ansätze erforden ein empirisches Forschungsprogramm, das die gesellschaftlichen Grundlagen der Wirtschaft und des Geldes erfasst und, im vorliegenden Fall, für die Analyse spezifischer regionaler Geldformen fruchtbar angewendet werden kann. Eine Gemeinsamkeit ist, dass sie den Geldbegriff nicht auf modernes Geld eingeengt sehen wollen, sondern dass sie Geld selbst historisieren und kontextualisieren und dabei Verwendungsweisen jenseits des Markttausches einbeziehen. Damit eröffnen sie den Blick dafür, dass Geld nicht immer mit denselben, zeitlosen abstrakten Begriffen gefasst werden muss oder kann (etwa hinsichtlich der Geldfunktionen oder der Geldformen), sondern in unterschiedlichen
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gesellschaftlichen Bedingungen andere Bedeutungen haben kann.2 Eine solche Einsicht erleichtert das Nachdenken über alternative Geldkonzeptionen und Geldreform. Sie hilft, die in dieser Arbeit untersuchten Komplementärwährungen zu fassen. Dies gelingt, so meine Auffassung, gerade über die Kombination der Analyse verschiedener Tauschformen und Geldverwendungen sowie der Motivationen der Partizipation an alternativen Geldformen. Vorstellungen der Gabe und Reziprozitätserwartungen wirken sowohl bei der grundsätzlichen Entscheidung zur Akzeptanz und Nutzung von Regiogeld, als auch bei den spezifischen Verwendungen. Ich halte Regiogeld für überaus geeignet, der Frage nach der Konstitution von Wirtschaft nachzugehen, da sich hier die Vermengung von herkömmlicherweise als wirtschaftlich und außerwirtschaftlich bezeichneten Dimensionen offenbart. Konkret basiert Regiogeld auf der Idee eines lokalisierten Tauschmediums zwischen Unternehmen und Konsument*innen. Es soll wirtschaftliche Kreisläufe strukturieren, die qualitativ anders sind als solche des herkömmlichen Geldes. Das hier betrachtete Regiogeld stellt einen kleinen Ausschnitt komplementärer Währungen dar, von denen viele, aber nicht alle, auf lokalem oder regionalem Raum zirkulieren. Die untersuchten Fälle aus London, Stroud und Vorarlberg eint, dass sie Alternativen zur herkömmlichen Wirtschaft und zum Geldsystem aufzeigen wollen, dieses aber nicht ersetzen oder an seine Stelle treten. Im vergleichsweise gut gesicherten ökonomischen Umfeld Österreichs und Großbritanniens geht es den Aktivist*innen darum, Potenziale alternativen Wirtschaftens zu erkunden. Sie sind nicht darauf angewiesen, durch die Komplementärwährung existentiell notwendige Wirtschaftskreisläufe aufrechtzuerhalten. Darin unterscheiden sich die hier untersuchten Fallbeispiele etwa von komplementären, regionalen Währungen aus Notsituationen, wie sie etwa um die Weltwirtschaftskrise seit Ende der 1920er entstanden, oder den Tauschringsystemen in Argentinien um die Jahrtausendwende. Vorab scheint eine Anmerkung zur Art und Weise der Darstellung meiner Forschungsergebnisse im vorliegenden Werk angebracht: diese erinnert möglicherweise an ein hypothesentestendes, strikt theoriegeleitetes Verfahren, zumal ich in einem ersten Teil umfasssend theoretische Bezüge herstelle und diese in einem zweiten Teil bezogen auf Regiogeld zu diskutieren. Ziel dieser Aufteilung ist es, die theoretische Verortung und die empirischen Ergebnisse jeweils in gebührender Tiefe für sich genommen darzustellen. Der Prozess des Forschens verlief, wie bei qualitativen Unter2
Dies steht der ahistorischen Vorstellung von Geld als Tauschmittel auf dem Markt entgegen. Zu Anforderungen an eine »historische Theorie des Geldes«, welche die Verschiedenartigkeit von Geld in spezifischen wirtschaftshistorischen Kontexten betrachtet, vgl. Hesse (2014). Hesse kritisiert insbesondere, dass auch kritische Geldtheorien »Institutionenstrukturen« nicht berücksichtigen, in welche die verschiedenen Geldformen immer eingebettet sind (Hesse 2014: 92f). Daher verlieren Geldtheorien ihre Gebundenheit an spezifische Geldformen und institutionelle Kontexte vorschnell aus dem Blick.
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suchungen üblich, allerdings nicht linear. Im Gegenteil, Empirie und Theorie haben sich stets wechselseitig beeinflusst. Die vorliegende Darstellung, die eine Trennung der konzeptionellen Überlegungen von den empirischen Fallstudien suggeriert, unterscheidet sich also stark vom Forschungsprozess. So verdeutlichte sich erst im Feld die große Bedeutsamkeit etwa der reziprozitäts- und gabetheoretischen Ansätze für das Verständnis von Regiogeld. Ich bin durch die Feldforschung in Brixton auf die Fruchtbarkeit der vertieften Beschäftigung mit Gabemechanismen aufmerksam geworden. Die konkreten Untersuchungen im Feld haben also den Erkenntnisgewinn deutlich werden lassen, der sich aus dieser theoretischen Bezugnahme ergibt. Die für dieses Buch vorgenommene Einteilung in theoriebasierte Kapitel im ersten und (durch die Theorie zwar strukturierte, aber) deskriptiv ausgerichtete Kapitel zu den empirischen Fällen im zweiten Teil gibt also nicht die tatsächliche Herangehensweise im Forschungsprojekt wieder. Dieser Aufbau soll stattdessen dazu dienen, einerseits die Befunde empirienah und ausführlich wiederzugeben und andererseits die Verortung in den leitenden theoretischen Debatten herauszustellen. Im theoretischen Teil steige ich teilweise tief in die Debatten um Konzepte und Begriffe ein, während der empirische Teil mittels strukturierter Deskription die gebildeten Typen der Partizipation und Nicht-partizipation sowie der Verwendungsweisen vorstellt. Um den Gang der Argumentation vorzubereiten und den Lesefluss zu erleichtern, formuliere ich an dieser Stelle Arbeitshypothesen, die allerdings nicht am Anfang des Forschungsprozesses standen, sondern sich im Feld und in der vorherigen, zeitgleichen und folgenden Auseinandersetzung mit der Literatur herauskristallisierten. Sie sortiere ich entlang der drei erwähnten Stränge sowie der Forschung zu zivilgesellschaftlichen Komplementärwährungen. Damit ist zugleich der Aufbau des Buches geprägt. Viviana Zelizers Ansatz rekurriert auf die soziale und kulturelle Konstruktion von Bedeutungen, die jedem Geld zugrunde liegen. Zelizer steht für einen Strang der jüngeren kultursoziologischen Forschung zu Geld, die soziale und kulturelle Praktiken als konstitutiv für Geld und seine Ausdifferenzierung ansieht. Sie untersucht, wie sich lokale Gelder in Praktiken der Nutzung und geteilter Bedeutungszuschreibungen formen. Dabei weist sie die Vorstellung getrennter (ökonomischer und nichtökonomischer) Welten dezidiert zurück. Durch soziale Praktiken des Earmarkings, also des Markierens im Sinne einer Vormerkung, wird Geld gekennzeichnet und so differenziert, es bilden sich Circuits of Commerce (kommerzielle Kreisläufe). Für die Analyse von Regiogeld bedeutet diese Hinwendung zu den Verwendungsformen von Geld unter besonderer Berücksichtigung der sozialen Aushandlungsprozesse, die zu einer oder mehreren bestimmten Verwendungsweisen und dem Aufbau von Grenzen führen, dass die Betrachtung nicht primär bei den Zielen oder den Ansichten des Projektteams und der in der Regiogeldorganisation tätigen Personen oder der Satzungsgestaltung anzusetzen hat. Stattdessen ist nach der Ausgestaltung und Formung der Beziehungen nach innen und außen, sowie nach der Verwendung des Regiogeldes als spezifisches Medium und den geteilten Bedeutungszuschreibungen der Mitglieder
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zu fragen. Die Vermutung ist, dass Regiogeld nicht nur anders institutionalisiert, sondern dezidiert anders verwendet wird, insofern ihm von den Nutzer*innen andere Bedeutungen zugeschrieben werden als herkömmlichem Geld. In Anschluss an Zelizers Überlegungen lassen sich Regiogelder demnach als Circuits of Commerce fassen. Arbeitshypothese 1: Regiogelder lassen sich als Circuits of Commerce fassen, da sie a) Abgrenzungen zwischen Innen und Außen etablieren, b) spezifische Transaktionen im Innenverhältnis unter Verwendung von c) spezifischen Medien aufweisen, und d) die Mitglieder Bedeutungszuschreibungen bezüglich der Medien und Transaktionsformen teilen. Die Untersuchung kann gleichsam als Test verstanden werden, ob und inwieweit sich das Konzept der kommerziellen Kreisläufe zur Analyse von Regiogeld eignet. Hier gilt es, die folgenden Aspekte zu beachten: • • • •
Wie werden Grenzen (Boundaries) zwischen dem Innen und dem Außen geschaffen? Welche Arten von Gütern und Dienstleistungen werden im Regiogeldkreislauf gehandelt? Welche spezifischen Medien werden innerhalb des Kreislaufs verwendet?3 Welche Bedeutungen werden Regiogeld seitens der Unternehmen zugeschrieben? Welche Praktiken des Markierens werden genutzt?
Die Bedeutung der Zelizerschen Beobachtung wird aus ihrem Abgleich mit den theoretischen Positionen von Polanyi und Mauss erkennbar. Diese liefern mit den Konzepten von Reziprozität und Gabe Beschreibungen von Tauschmodi jenseits des marktlichen Tausches. Hier lässt sich prüfen, inwieweit Regiogeldkreisläufe auf der Gabe und der Reziprozität basieren. Auf Polanyi geht das wirtschaftssoziologische Paradigma der Einbettung zurück. Mit seiner fundamentalen Differenzierung zwischen einem substantiv-sachlichen und einem formallogischen Begriff des Wirtschaftlichen ist sein Ansatz besonders geeignet, Verflechtungen von Wirtschaft und Zivilgesellschaft empirisch zu fassen. Sein Augenmerk liegt dabei insbesondere auf nichtmarktlichen wirtschaftlichen Tauschformen der Reziprozität und der Redistribution. Gleichermaßen konzipiert er Geld, auf dem substantiven Begriff des Wirtschaftlichen fußend, ebenfalls plural, indem er auf die Möglichkeit separater Institutionalisierungen der verschiedenen Geldfunktionen achtet. Ich diskutiere die 3
Es ist offenkundig, dass Regiogelder ein spezifisches Medium der Vermittlung von Transaktionen beinhalten. Jedoch lässt sich die Frage in zunächst deskripiver Hinsicht auch darauf beziehen, ob Regiogeld als Papiergeld oder auch bargeldlos zirkuliert.
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Tauschmodi Markttausch, Reziprozität und Redistribution und reiße ein Verständnis von Regiogeld als Teil einer regional eingebetteten Wirtschaft an. Damit zusammen hängt die Frage, inwieweit Regiogelder als Teil einer Gegenbewegung gegen das sich ausbreitende Marktsystem anzusehen sind. Arbeitshypothese 2: Regiogeld als zivilgesellschaftliche Komplementärwährung fungiert a) als Medium einer spezifischen, regional eingebetteten Wirtschaft und kombiniert b) Integrationsformen von Markttausch, Reziprozität und Redistribution. Neben dem Paradigma der Einbettung liegt im Gabentausch, wie er von Marcel Mauss beschrieben und in jüngerer Zeit als komplexes Zusammenspiel aus Freiwilligkeit und Verpflichtung, Eigeninteresse und Altruismus wieder aufgegriffen wurde, eine zweite alternative Konzeption, welche nichtmarktliche Praktiken als Teil des Wirtschaftlichen anerkennt. Mauss legt mir seiner Arbeit zur Gabe deren Vielschichtigkeit dar. Er konzipiert den Gabentausch als Zyklus aus Geben, Nehmen und Erwidern und als zugleich freiwillig und obligatorisch. Auf der Gabe in ihren vielfältigen Ausprägungen basiert unsere Sozialität. Dies gilt auch in heutigen, modernen Gesellschaften. Die Gabe als Grundlage sozialer Beziehungen zu verstehen, stellt einen Gegenentwurf zum Homo Oeconomicus dar (Caillé 2008). Eine Auseinandersetzung mit Mauss-Rezeptionen nutze ich, um deutlich zu machen, dass Regiogeld (die Verwendung des Geldmediums sowie die Teilnahme am Geldkreislauf) im Rahmen eines Gabebeziehungsgeflechts zu verstehen ist. Für die vorliegende Arbeit besonders relevant ist schließlich die Beziehung zwischen Gabepraktiken und Geldzahlungen, welche in der Literatur (immer noch) oft als unvereinbar angesehen werden. Die hier verteidigte Vermutung ist, dass sie zum Teil auf der Logik der Gabe aufbauen. Dies gilt für die Regiogeldverwendung genau wie für die grundsätzliche Partizipation am Regiogeldkreislauf. Arbeitshypothese 3: Die Logik der Gabe und der auf ihr aufbauenden Reziprozität strukturiert den Regiogeldkreislauf und schafft oder vertieft soziale Beziehungen der Mitglieder. Der Themenkomplex Gabe und Reziprozität eröffnet weitere Fragefelder nach der spezifischen Einbettung wirtschaftlichen Handelns, als die sich bestimmte Verwendungen von Regiogeld charakterisieren lassen. Die Überlegungen zur Simultanität der Tauschpraktiken lassen danach fragen, welche Tauschformen sich in Regiogeldkreisläufen manifestieren: •
Fungiert Regiogeld als spezifisches Medium der partiellen, regionalen Einbettung der Wirtschaft?
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• •
Inwieweit basieren Regiogelder auf »Markttausch« als strukturgebendem Prinzip, inwieweit basieren sie auf »Reziprozität«? Inwieweit lassen sich Regiogelder stattdessen als Teil einer Gabeökonomie fassen?
Wie die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Formen komplementärer Währungen zeigt, ist Polanyis Ansatz, zwischen Reziprozität, Redistribution und Markttausch zu differenzieren, mit Gewinn auf eine Abgrenzung spezifischer Typen von zivilgesellschaftlichen Komplementärwährungen anwendbar. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Regiogeldverwendungen, als auch hinsichtlich der grundlegenden Zielsetzungen der Regiogeldorganisationen. Forschungen zu Tauschringen als einer spezifischen Form von Komplementärwährungen haben ergeben, dass Partizipationsbereitschaft zumindest für einen (gewichtigen) Mitgliedertypus mit der impliziten Anerkennung der Reziprozität zusammenhängt. In Bezug auf Regiogeld erkennt Blanc (2011) allerdings einen fundamentalen Unterschied zwischen solchen älteren Komplementärwährungen und der jüngeren Form der Regiogelder. Konstitutives Merkmal von Regiogeld ist gerade die Einbeziehung von Unternehmen und lokalen Händler*innen und das Ziel der Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe über den Marktmechanismus mithilfe eines eigenständigen Tauschmittels. In Abgrenzung zu den bisherigen Überlegungen, aber als zentrales Ergebnis der Literatursichtung lässt sich daher eine Hypothese formulieren, die den ökonomischen Charakter von Regiogeld betont. Arbeitshypothese 4: Innerhalb zivilgesellschaftlicher Komplementärwährungen lassen sich Regiogelder als »ökonomisches Projekt« fassen, da sie eine große Nähe zum Markt aufweisen und die teilnehmenden Unternehmen betrieblich fördern. Die (in Selbstbeschreibungen und Analysen getätigte) Charakterisierung von Regiogeld als Tauschmittel zur Stärkung der regionalen Wirtschaft wirft eigene Fragen auf. Konkret ist der mit ihrem speziellen Zweck als »ökonomischem Projekt« 4 einhergehende Anspruch der Regiogelder, lokale Wirtschaftskreisläufe und lokale Betriebe
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Der Begriff des »ökonomischen Projektes« ist problematisch, da er diejenige Trennung zwischen einer wirtschaftlichen und einer außerwirtschaftlichen Sphäre suggeriert, gegen die ich mich im Anschluss an Zelizer, Polanyi und Mauss wende. Ich verwende den Begriff des »ökonomischen« Projektes hier dennoch, da er auf Blancs Typologie zivilgesellschaftlicher Komplementärwährungen basiert. Gemeint ist, dass diese Komplementärwährungsformen stärker auf dem Markt, in der formellen Wirtschaft, zirkulieren als andere, und dass sie auf der Einbeziehung von Unternehmen fußen (siehe Kapitel 7).
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zu fördern, zu prüfen, indem dezidiert die Perspektive der beteiligten Unternehmen eingenommen wird:5 • •
Inwieweit fördern Regiogelder lokale Betriebe (in betriebswirtschaftlicher und sonstiger Hinsicht)? Inwiefern schaffen oder stärken sie lokale Wirtschaftskreisläufe?
Nach dieser thematischen Einführung in das Thema und den hier vorgenommenen Zugang, stelle ich im nächsten Schritt den verwendeten methodischen Ansatz vor.
1.2 METHODISCHER ANSATZ Für die Untersuchung habe ich einen qualitativ-vergleichenden Ansatz6 ausgewählt, mittels dessen ich die Perspektive der Beteiligten in ihrer Vielschichtigkeit ausführlich berücksichtigen kann. Dabei gilt es, sich der Konstruktion der erhobenen Daten bewusst zu sein und den Forschungsprozess selbst kritisch zu reflektieren. »Denn was sich dem Forscher als ›Datum‹ darbietet, ist etwas durch den Forschungsprozeß ›Gemachtes‹: Faktum und Fiktion werden einander deutlich angenähert« (Kalthoff 2008: 18). Qualitative Forschungsmethoden stellen mit ihren Produkten nicht Realität dar, »sondern [erzeugen] einen spezifischen Blick auf sie« (ebd.: 218). Sicherlich gilt auch für quantitative Methoden, dass diese einen spezifischen Blick erzeugen; hervorzuheben ist daher vielmehr, dass die Bewusstmachung der Perspektivität zentral für qualitative Forschung (und deutlich weniger für quantitative Forschung) ist.7 Das Verhältnis von Theorie und Empirie lässt sich mit Kalthoff als ein »Gespräch vorstellen, in dem sich Empirien und Theorien gegenseitig informieren« (ebd.: 10). 5
Im Rahmen meines qualitativen Forschungsansatzes geht es auch bei den folgenden zwei Fragen nicht darum, quantitative Analysen von Umsatz oder ähnlichen Kennziffern zu leisten, sondern darum, die Einschätzungen und Interpretationen der Unternehmer*innen offen zu legen und zu interpretieren.
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Zu Kennzeichen qualitativer Methoden Flick (2007: 26-30 sowie die verschiedenen Beiträge in Flick/Kardorff/Steinke 2010). Für die folgenden Überlegungen siehe auch Creswell (2007) und, hinsichtlich konkreter Methoden im Feld, Bernard (2006). Zum Verhältnis von (qualitativer soziologischer) Forschung und Empirie vgl. Kalthoff/Hirschauer/ Lindemann (2008).
7
Die Gegenüberstellung qualitativer und quantitativer Methoden ist zwar in der Literatur durchaus üblich, verleitet aber möglicherweise dazu, die Integration der unterschiedlichen Ansätze aus dem Blick zu verlieren. Della Porta (2008) unterscheidet aus diesem Grund lieber zwischen fallorientierter und variablenorientierter Forschung, welche jeweils (in unterschiedlichen Ausmaßen und Zusammensetzungen) qualitative und quantitative Elemente aufweisen.
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Qualitative Forschung kann aus einer solchen Perspektive auch dazu dienen, »hermeneutische Tiefenbohrungen« vorzunehmen, um etwa Zusammenhänge analysieren zu können, die quantitativ erfasst, aber nicht ausreichend erklärt werden können (Schulz-Nieswandt/Sauer 2010: 101). Die vorliegende Studie möchte eine solche Tiefenbohrung leisten, mit welcher das Phänomen kultureller Praktiken der Geldverwendung im Bereich der Regiogelder als Form komplementärer Währungen und ihre Nutzung und Nichtnutzung durch lokal verankerte Unternehmen leichter zu interpretieren ist. Es geht darum, zu verstehen, wie diese Regiogelder genutzt werden, welche Bedeutungen ihnen zugeschrieben werden, wie sie »markiert« werden, auf welchen Konzeptionen der Gemeinschaft sie basieren. Die Bohrung legt dabei emische Perspektiven8 ausgewählter Gruppen von Nutzer*innen frei. Einer rein quantitativen Überprüfung, die sich etwa auf Umsätze mit Regiogeld in Abhängigkeit von Faktoren wie Geschäftsfeld, Lokalität oder in Fragebögen geäußerten Überzeugungen beschränkt, ist es nicht möglich, solche Themen in hinreichender Tiefenschärfe zu bearbeiten (so wertvoll ihre Erkenntnisse auch sind). Ein entscheidendes Charakteristikum qualitativer Forschung besteht darin, dass der Forschungsprozess nicht strikt sequenziell, in einzelnen Phasen nacheinander abläuft. Im Gegenteil, solche Phasen fließen ineinander, die Forscher*in bewegt sich in ihnen hin und her (Dellwing/Prus 2012: 15f). Forschungsproblem und -fragestellungen gehen dem konkreten Forschungsdesign nicht notwendigerweise voraus, sondern werden in wechselseitiger Abhängigkeit entwickelt und im Prozess angepasst (Bernard 2006: 101). Zu diesem Prozess gehört oft – wie auch in der vorliegenden Studie – ein umfassender Zugang zum Feld. Das vorliegende Forschungsprojekt enthält viele explorative Elemente. Die Auswertung der Literatur zu Komplementärwährungen und insbesondere Regiogeldern (Kapitel 6 und 7) verdeutlicht, dass das Wissen um Regiogelder weiterhin nicht nur 8
Emische und etische Perspektiven bezeichnen in der Ethnologie allgemein Binnensicht und Außensicht, also die Sichtweise der Untersuchten und die Sichtweise der Forscher*innen, die von außen beobachten. Diese Differenzierung entstammt der Linguistik (nämlich dem Begriffspaar phonemisch und phonetisch) und geht auf den Linguisten Kenneth Pike zurück (Harris 2001: 34f). Interpretative Paradigmen rekonstruierender Theorien stehen emischen Perspektiven näher, während an Naturwissenschaften (Science) angelehnte Theorierichtungen (wie Harris Cultural Materialism) der etischen Perspektive näherstehen (wenn sie auch zur Analyse auf emische Operationen zurückgreifen müssen). Bei »etischen Operationen« werden Kategorien von Außen angwendet: »Rather than employ concepts that are necessary, real, meaningful, and appropriate from the native point of view, the observer is free to use alien categories and rules derived from the data language of science« (ebd.: 32). Demgegenüber bedeuten emische Forschungsmodi, dass »the observer attemps to acquire a knowledge of the categories and rules one must know in order to think and act as a native« (ebd.).
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grundlegend begrenzt ist, sondern dass insbesondere die Sichtweisen der Unternehmen (im Gegensatz zur Sichtweise der Nutzer*innen) nicht systematisch untersucht wurden. Diese Lücke mag überraschen, stellen doch gerade diese lokalen Unternehmen in Regiogeldern zentrale Akteure dar, welche vom Regiogeld in besonderem Maße profitieren sollen. Explorativ ist das Vorgehen demnach zunächst insofern, als die Unternehmen und ihre Perspektiven auf Regiogeld ins Zentrum der Analyse rücken. Es geht also um das Entdecken von etwas Neuem. Dazu werden in einem ersten Schritt die Sinnbezüge der Kleinunternehmer*innen und ihrer Beschäftigten sowie der Selbstständigen rekonstruiert, die zur Zielgruppe der Projekte gehören. Gleichermaßen theoretisch eingebettet ist die Forschung insbesondere in wirtschafts- und kultursoziologische Theorien zur Diversifizierung von Geld auf der Mikroebene sowie zur Einbettung der Wirtschaft und, damit verbunden, zu Formen der Reziprozität und der Gabe (vgl. Kapitel 4 und 5). Diese Theorien werden genutzt, probiert und adaptiert, um die konkrete Verwendung und ihre Bedeutung des Mediums Geld im Rahmen spezifischer lokal-alternativer Gelder zu verstehen. Theorien dienen dabei »nicht einer (quasi-)experimentellen Hypothesentestung; es sind vielmehr heuristische Werkzeuge, um sich Gegenstandsbereiche zu erschließen und um Beobachtungen in eine theoretische Sprache zu übersetzen« (Kelle 2008: 313). Das Vorgehen folgt der Forderung Kelles, der »Unhintergehbarkeit theoretischen Wissens« Rechnung zu tragen, aber gleichzeitig »eine Methodologie der Entdeckung zur Verfügung [zu] stellen, mit deren Hilfe Theorien begrenzter Reichweite anhand des empirischen Datenmaterials entwickelt werden können« (ebd.: 329). Im Anschluss an Denzin lässt sich die hier vorgenommene Kombination von Methoden als Triangulation bezeichnen (Denzin 2009). Denn ich nutze a) unterschiedliche theoretische Perspektiven zur Analyse der Regiogelder und wende b) mehrere Methoden der Datenerhebung und -analyse an, wobei ich sich einander ergänzende wechselseitig Datenquellen einbeziehe (zum methodischen Vorgehen bei der empirischen Untersuchung vgl. Kapitel 8). Ich biete reichhaltige Beschreibungen dreier Fälle. Mein Vorgehen ist daher als fallorientiert und nicht variablenorientiert zu bezeichnen (Della Porta 2008: 198.). Die beiden Vorgehensweisen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer grundlegenden Logiken sowie der Werkzeuge (Tools), derer sie sich bedienen. Das Konzept des Verstehens zielt entweder auf »dense knowledge of cases« oder auf »generalizable knowledge of relations among variables« (Della Porta 2008: 207) ab. Dementsprechend erlaubt fallorientiertes Vorgehen die Analyse weniger Fälle in deutlich stärkerer Tiefe als variablenorientiertes Vorgehen. Generalisierung und Theoriesierung kann anhand der Bildung von Idealtypen, nicht durch statistische Regelmäßigkeiten erreicht werden. Da diese Arbeit im Gegensatz zu anderen mit Regiogeldern befassten Analysen vor allem auf die beteiligten Unternehmen rekurriert, lassen sich leitende Fragestellungen für die Feldforschung formulieren. In einem nächsten Schritt gilt es, diese Überlegungen zu operationalisieren, d.h. die konkreten Fragen zu destillieren, die im
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Feld sowie in der anschließenden Datenauswertung gestellt werden. Die Untersuchung fokussiert sowohl auf die teilnehmenden als auch die nichtteilnehmenden Unternehmen, also Unternehmen, die sich für oder gegen die Verwendung von Regiogeld entschieden haben. Der Fokus auf Unternehmen ergibt sich aus der Funktionslogik von Regiogeld als Tauschmittel zur Stärkung der regionalen Wirtschaft und regionaler Unternehmen. Unternehmen sind zentrale Akteure in Regiogeldkreisläufen. Wenn Regiogeld als Mechanismus der Stärkung lokaler Unternehmen fungiert, ist zu erwarten, dass teilnehmende Unternehmen eine solche Förderung wahrnehmen und möglicherweise auch aus betrieblichen Kalkülen am Regiogeldkreislauf teilhaben. Alternative Erklärungen für Partizipation können am Gabemechanismus mit seiner Verknüpfung von Freiwilligkeit und Verpflichtung ansetzen. Um eine Auseinandersetzung mit diesem Katalog an miteinander verbundenen forschungsleitenden Fragestellungen in der empirischen Untersuchung zu ermöglichen, können diese in konkrete Fragen hinsichtlich der Untersuchung der einzelnen Fälle übersetzt werden. Diese Operationalisierung hat an den teilnehmenden und nichtteilnehmenden Unternehmen anzusetzen: • • • • • •
Warum akzeptieren lokale Betriebe Regiogeld? Welche Erwartungen haben sie an Regiogeld? Welche Bedeutungen schreiben sie ihm zu? Welche Erfahrungen haben sie mit Regiogeld gemacht? Wie bzw. wofür verwenden sie Regiogeld? Warum entscheiden sich andere Betriebe gegen die Verwendung von Regiogeld?
1.3 AUFBAU DES BUCHES Das bisher Gesagte schlägt sich im Aufbau des Buches nieder: Dem Feld der Regionalgelder nähere ich mich zunächst, indem ich mich kursorisch ausgewählten Perspektiven auf Geld widme und den Zusammenhang zwischen Geld und Tauschformen betrachte. Es geht nicht darum, ontologische Fragen des Geldes abschließend zu beantworten und damit ein mögliches Wesen des Geldes an sich zu identifizieren. Stattdessen möchte ich die Idee eines pluralen Geldbegriffes, der verschiedene Geldformen genau wie verschiedene Tauschformen berücksichtigt und an den konkreten Praktiken der Geldverwendung ansetzt, vorbereiten. Beginnen werde ich, indem ich drei Perspektiven auf Geld voneinander abgrenze (Kapitel 2). Hier geht es um den Zusammenhang zwischen Geld und Kultur oder Gesellschaft. Eine – die in der ökonomischen Theorie vorherrschende – Perspektive betrachtet Geld als vereinfachendes Mittel auf dem Markttausch; Gesellschaft ist dabei essentiell Marktgesellschaft.
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Die zweite Perspektive ist bereits in der klassischen Soziologie etwa Georg Simmels zu finden und rekurriert demgegenüber auf die Wirkungen des Geldes auf die Gesellschaft. Geld individualisiert und vermarktlicht. Die dritte Perspektive, auf der besonderes Augenmerk liegt, betrachtet demgegenüber, wie Geld selbst durch kulturelle Praktiken geformt wird. Diese Perspektive wird insbesondere im Anschluss an Viviana Zelizer vertreten. Zelizer erkennt viele Gelder, wo andere ein Geld sehen. Sie möchte zeigen, wie soziokulturelle Praktiken und Bedeutungszuschreibungen das scheinbar homogene, fungible Geld alltagspraktisch in verschiedene Gelder zerlegen, welche nicht oder nur mit Einschränkungen substituierbar sind (Kapitel 3). Zu dieser Vielfalt gehört auch die Herausbildung alternativer Geldformen wie lokale Komplementärwährungen, die sie als kommerzielle Kreisläufe fasst. Anschließend debattiere ich den Begriff der Einbettung, anhand dessen sich die Vorstellung der Trennung von Wirtschaft und sonstigen Bereichen hinterfragen lässt. Allerdings, so die hier vertretene Auffassung, nicht im Rahmen der Prägung des Begriffs durch Marc Granovetter, sondern durch eine Wiederaufnahme der Konzeption Karl Polanyis (Kapitel 4). Im Granovetterschen Einbettungsparadigma beeinflussen soziale Netzwerke ökonomisches Handeln und die zugrunde liegenden Rationalitäten. Gleichwohl bleibt damit, wie zu sehen sein wird, im Kern die Trennung der Sphären aufrecht erhalten. Demgegenüber, so argumentiere ich, lässt sich mit Polanyi die binäre Opposition von Wirtschaft und Gesellschaft hinterfragen. Außerdem verweist er auf die nichtmarktlichen Tauschmodi der Reziprozität und der Redistribution. Eng mit Polanyis Konzept der Reziprozität verbunden ist das Paradigma der Gabe nach Marcel Mauss. Ich diskutiere daher seine Theorie der Gabe als Zyklus aus Geben, Nehmen und Erwidern, welcher sich nur aus dem Zusammenspiel von Freiwilligkeit und Verpflichtung verstehen lässt (Kapitel 5). Zentral wird die Frage nach der Rolle der Gabe in der modernen Gesellschaft sein, zumal ein Strang der Literatur die Gabe (ausschließlich oder überwiegend) in sogenannten archaischen Gesellschaften verordnet. Ich folge hingegen der These der zentralen Bedeutung des Gabebegriffs, auch in der Analyse gegenwärtiger Wirtschaftsbeziehungen. Letztere wird oftmals durch ein Kontinuum der Reziprozitäten von generalisierter über ausgeglichene bis negative Reziprozität zu fassen versucht, wie es Marshall Sahlins vorlegt. Das Kapitel schließt mit Überlegungen zum Verhältnis von Geld und Gabe. Dann zeige ich in der Diskussion verschiedener komplementärer Währungsformen (Kapitel 6), insbesondere aus der Zivilgesellschaft, dass diese dezidiert Alternativen zum herkömmlichen, mit Markttausch verbundenen, Geldsystem konstituieren wollen. Auch diese Sichtweise verweist auf die Verwendungspraktiken von Regiogeld, ebenso wie auf die grundlegende Motivation, überhaupt Regiogeld anzunehmen, dem Kreislauf beizutreten. Sahlins Differenzierung des Reziprozitätsbegriffs kann dabei helfen, diese Partizipations- und Tauschmotive zu fassen. Ich führe in die Landschaft komplementärer Währungen ein, wobei ich die aktuelle Verbreitung ebenso erörtere wie theoretische und historische Bezugspunkte der Geldreform. Hier
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finden sich einander widersprechende Konzepte pluraler Geldvorstellungen, die unter anderem auf höchst unterschiedliche Einstellungen zu Wettbewerb und Märkten basieren. Auf dieser Darstellung aufbauend lassen sich Regiogelder als spezifische Ausprägungen zivilgesellschaftlicher (in Polanyis Terminologie spezifisch eingebetteter) Komplementärwährungen fassen (Kapitel 7). Hier setze ich mich dezidiert mit der vorhandenen Forschung zu Regiogeld auseinander und knüpfe in der Typologisierung von Komplementärwährungen an die vorherigen, theoretischen Überlegungen zu Geld, Markt, Gabe und Reziprozität an. Das Kapitel entfaltet bereits Grundzüge der Logik von Regiogeld. Im empirischen Teil lege ich zunächst das methodische Vorgehen der Fallstudien offen und begründe Methodik und Samplingverfahren (Kapitel 8), ehe ich erste Darstellungen der drei ausgewählten Fälle aus Brixton, Stroud und Vorarlberg liefere (Kapitel 9). Hier betrachte ich das jeweilige Setting, den Gründungszusammenhang und die Organisationsgestaltung. Auch diskutiere ich, innerhalb welchen Komplementärwährungsumfeld die Initiativen wirken. Schließlich fasse ich die Funktionsweise des Geldes und seiner Medien zusammen, ehe ich kurz die Reichweite und Begrenzungen der untersuchten Regiogeldkreisläufe erörtere. Diese Fallbeschreibungen liefern eine Vergleichsmöglichkeit und ordnen den folgenden Schwerpunkt auf Unternehmen ein. Dann erörtere ich die Ergebnisse der Interviews und Feldforschungserkenntnisse unter teilnehmenden und nichtteilnehmenden Unternehmen (Kapitel 10). Insbesondere analysiere ich Motive der Partizipation bei Regiogeldsystemen, Erfahrungen mit Regiogeld, Verwendungspraktiken sowie, im Vergleich dazu, Einstellungen der nichtteilnehmenden Unternehmen. Hier grenze ich jeweils verschiedene Typen der (Nicht-)Partizipation und der Verwendung voneinander ab. Der deskriptive Stil, der auf der Rekonstruktion emischer Perspektiven und Sinnbezügen basiert, bringt es mit sich, dass diese Abschnitte auch lesbar sind, wenn die vorherigen Überlegungen nur überfolgen oder übersprungen wurden. In Kapitel 11 diskutiere ich die Feldforschungsergebnisse zusammenfassend unter Rückgriff auf den theoretischen Bezugsrahmen und setze mich mit den bereits hier genannten Arbeitshypothesen auseinander. Die Arbeit schließt mit einem kurzen Fazit zur sozialen Bedeutung von Regiogeld, seinen spezifischen Errungenschaften und Problemen (Kapitel 12).
Die soziale Bedeutung des Geldes
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Drei Perspektiven auf Geld
In diesem ersten Abschnitt skizziere ich verschiedene grundlegende Perspektiven auf Geld, die sich in unterschiedlicher Weise mit der Frage befassen, was eigentlich unter Geld zu verstehen ist. Zunächst mag verwundern, dass es keine einheitliche und allgemein anerkannte Position dazu gibt, was unter dem Begriff ›Geld‹ zu subsumieren ist und was nicht (Dodd 2005a: 387). Die Standardtheorie bestimmt Geld anhand seiner Funktionen als Tauschmittel, Wertmaß und Wertaufbewahrungsmittel. Dann werden verschiedene Geldmengen voneinander abgegrenzt. Münzen, Scheine und Zentralbankgeldbestand der Banken machen ein erste, eng umfasste Geldmenge aus, zu der das Giralgeld (also Sichteinlagen bei Banken) kommt. Beides zusammen ergibt Geldmenge M1. Weitere Mengen enthalten Einlagen bei Banken mit bis zu zweijähriger Laufzeit sowie solche mit Kündigungsfristen von bis zu drei Monaten (M2) und, noch weiter umfassend – M3 – , etwa Anlagen wie Geldmarktpapiere oder Repoverbindlichkeiten, die ebenfalls recht kurzfristig in M1 wandelbar sind. Doch solche funktionalen und technischen Abgrenzungen vermögen den Geldbegriff nur unzureichend zu klären. Dies gilt vor allem, wenn keine theoretische Vorabfestlegung auf eine bestimmte Geldform getroffen werden soll. Dodd weiter: »It seems that the problem today is not that we cannot agree on a definition of money, but rather that no single definition of money will suffice.« (Dodd 2005a: 387) Er sieht insofern eine »de-territorialization« von Geld, als elektronisches Geld und alternative Geldformen in den letzten Jahrzehnten neben das staatliche Geld gerückt seien. Dodd etwa unterscheidet drei Formen heutzutage zirkulierenden Geldes: staatliche Währungen, private E-Gelder und Geldformen lokaler Gemeinschaften.1 Diese Dreiteilung weist Probleme auf, weil unser herkömmliches Geld nicht einfach staatlich, sondern in einem komplexen öffentlich-privaten Zusammenspiel entsteht. Von der Zentralbank herausgegebene Münzen und Scheine machen schließlich nur einen kleinen Teil der gesamten Geldmenge aus; sie fallen gegenüber dem von Privatbanken in der Kreditvergabe geschöpften Giralgeld quantitativ kaum ins Gewicht (Ryan-Collins et
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Ingham hingegen kritisiert die Vorstellung, eine solche »monetäre Fragmentierung« sei etwas historisch Neues (Ingham 2007).
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al. 2011).2 Mit Bezug auf Dodds Dreiteilung wäre also bereits Giralgeld als Hybridform zwischen staatlichen Währungen und privaten E-Geldern zu bezeichnen. Die dreiteilige stilisierte Abgrenzung scheint dennoch interessant, insofern sie Staat, Markt und (Zivil-)Gesellschaft als Geld ausgebende Instanzen berücksichtigt und damit die große Bandbreite an möglichen Produzent*innen verschiedener Geldformen aufzeigt. Denn die oftmals wie selbstverständlich erscheinende Vorstellung, dass Geld immer an einen oder mehrere (National-)Staat(en) gebunden ist, verfängt empirisch nicht. Dass all die in Dodds Geldbegriff fallenden, verschiedenen Phänomene als Geld zu begreifen sind, ist allerdings keineswegs unumstritten. Theoretische Geldbegriffe unterscheiden sich unter anderem darin, welche Funktionen sie als notwendig oder hinreichend für Geld verstehen und kommen deshalb zu unterschiedlichen Ansichten darüber, was sie als Geld anerkennen. So können Analysen von Geld differenziert werden anhand der jeweiligen Bedeutung, die sie den grundlegenden Funktionen von Geld zuschreiben, zu denen im Allgemeinen das des Wertmaßstabs und der Recheneinheit, der Wertaufbewahrung, des Zahlungs- und des Tauschmittels zählen (MiklHorke 2011: 190). Je nachdem wie diese Funktionen ausgedeutet werden, ergeben sich unterschiedliche Geldbegriffe. Dodds Auffassung einer Diversität von Geldern steht bereits für eine spezifische Position, die ich ausführlich in Kapitel 3 erörtere. Einführend möchte ich vorher auf das Verhältnis von Geld und Märkten eingehen. Ich beginne die Ausführungen also mit der Gegenüberstellung von drei grundlegenden Perspektiven auf Geld, in denen Geld als neutral, Gesellschaft formend oder gesellschaftlich geformt erscheint. In klassischen ökonomischen Theorien des Geldes – sowie auch in vielen vortheoretischen Annahmen über Geld – wird Geld zunächst als Schmiermittel des Markttausches begriffen. In dieser Perspektive vereinfacht Geld den Markttausch zwar, ist aber ansonsten neutral, d.h. es ist ein Instrument, das den Austausch von Waren ermöglicht, aber ansonsten keinen eigenständigen sozialen oder ökonomischen Einfluss ausübt (2.1). Entscheidend sind in dieser Vorstellung die Produktions- und Warentauschbeziehungen, nicht aber deren monetäre Vermittlung. Klassische soziologische Analysen (hier sind vor allem Simmel und auch
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Tatsächlich wurde Geld lange Zeit und wird teilweise noch immer als staatlich geschöpft angsehen, obwohl Privatbanken die überwiegende Menge der als Geld verwendeten Zahlungsmittel schöpfen (Werner 2014a). Geld entsteht in der Kreditvergabe durch Banken als Ausweitung der Bilanz, also Einträgen von Aktiva und Passiva. Die Kreditvergabe hängt dabei nicht von vorherigen Einlagen oder Zentralbankguthaben der Bank ab (Werner 2014b). Nach der Bank of England (McLeaey/Radia/Thomas 2014) hat auch die Bundesbank (2017: 15) hierauf explizit hingewiesen. Dass Geld wesentlich Kredit ist, ist im Mainstream der Wirtschaftswissenschaften untergegangen, aber keine neue Erkenntnis (Mitchell-Innes 1913).
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Weber zu nennen) zeigen demgegenüber, welche Auswirkungen Geld auf die Gesellschaft hat, welche Besonderheiten auf eine Gesellschaft, deren ökonomische Beziehungen über Geld vermittelt sind, zutreffen (2.2). Diese Auswirkungen können als positiv oder negativ aufgefasst werden. Oftmals kommt Geld in dieser Perspektive die Rolle eines korrumpierenden Mediums zu, das zur gesellschaftlichen Transformation beiträgt, indem es soziale und insbesondere persönliche Bindungen zerstört oder zumindest erschwert und an seine Stelle Sachlichkeit, Unpersönlichkeit und rationale Kalkulation setzt. Aber einige Beiträge betonen auch gleichzeitig die freiheitsfördernde Wirkung von Geld, insofern nachlassende soziale Bindungen auch nachlassende Abhängigkeiten bedeuten. In der jüngeren Geldsoziologie findet sich demgegenüber ein Fokus auf die Praktiken der Geldverwendungen und die Konstruktion von Bedeutungen von Geld. Hiermit geht die Beobachtung eines umgekehrten Zusammenhangs einher, nicht vom Geld ausgehend auf die Kultur, sondern von der Kultur auf das Geld (2.3). Diese Perspektive betrachtet »von unten«, wie Geld in verschiedenen sozialen Beziehungen verwendet wird und wie die Art dieser Beziehungen und die mit ihnen einhergehenden kulturellen Praktiken das Geld prägen. Stilisierend lassen sich die beiden ersten Perspektiven dahingehend zusammenführen, dass sie Geld und Markt oder Vermarktlichung verbinden, während die dritte Perspektive die soziale Formung von Geld durch verschiedene, marktliche wie nichtmarktliche Verwendungen betont. Sie öffnet sich damit besonders einer Pluralisierung von Geld und fordert die theoretische Offenheit für diversifizierte Geldformen. Die zweite und die dritte Perspektive wiederum haben gemeinsam, dass sie Geld nicht neutral konzipieren, sondern das Verhältnis von Geld und Kultur in den Blick nehmen. Da sie sich darin unterscheiden, in welcher Richtung sie diesen Zusammenhang primär deuten, lassen sie sich mit Michael Evans (2009) als »Money shapes values« sowie »Values shape money« bezeichnen. Bevor ich diese Konzeption detailliert diskutiere (Kapitel 3), möchte ich im Folgenden zunächst die standardökonomische Konzeption von Geld als neutralem Schmiermittel des Markttausches kurz darlegen. Diese Position findet sich einerseits als Beschreibung der grundlegenden Funktionsweise von Geld in ökonomischen Zusammenhängen, bezieht andererseits aber zum Teil auch Stellung zur Genese von Geld. Die Herausbildung von Geld wird dabei oftmals als Ergebnis individuell rational handelnder Marktakteure gedacht.
2.1 GELD ALS SCHMIERMITTEL DES MARKTTAUSCHES Die erste Position, die ich hier darstelle, sieht Geld im Wesentlichen als effizientes Tauschmittel auf dem Markt an. Diese Perspektive entspricht der Rolle des Geldes in der orthodoxen ökonomischen Theorie. Indem der Fokus auf sogenannte realwirtschaftliche Phänomene gelegt wird, ignoriert die wirtschaftswissenschaftliche Ana-
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lyse der Wirtschaft Geld zu einem großen Teil noch immer. Es wird in ökonomischen Modellen oftmals eine Tauschwirtschaft konstruiert, in der Waren und Dienstleistungen miteinander gehandelt werden, ohne dass Geld als ein eigenständiger ökonomischer Einflussfaktor begriffen wird. Dabei verhalten sich alle Beteiligten so, wie es die ökonomische Theorie in der Regel unterstellt: zweckrational und eigeninteressiert, dabei umfassend informiert.3 Ein großer Teil der Fragen, die in der ökonomischen Geldtheorie gestellt werden, befassen sich dementsprechend nicht mit seiner eigenständigen Bedeutung als Wirtschaftsfaktor, sondern mit den Eigenschaften, die es aufweisen muss, um realwirtschaftliche Tauschhandlungen zu ermöglichen. Dies gilt sowohl für die Warengeld oder Tauschtheorien, die Geld im Wesentlichen als besonders geeignete Ware halten (metallistische Theorien bei Schumpeter) als auch Kredittheorien, die im Geld Schuldbeziehungen sehen (chartalistische Theorien bei Schumpeter). Denn auch wenn Geld als Kredit aufgefasst wird, wird es marktlich gehandelt.4 Für die vorliegende Arbeit relevanter ist die mit vielen Ausprägungen der Kredittheorie einhergehenden Rolle politischer Autoritäten. Ich möchte daher einführend Tauschtheorien und Staatstheorien vergleichend skizzieren, ehe ich verschiedene Geldbegriffe anhand ihrer Funktionszuschreibungen abgrenze. Der Abschnitt schließt mit einer systemischen Betrachtung, welche aus ökonomischer Sicht auf Schwierigkeiten eines homogenen Geldbegriffs verweist. Zusammengenommen eröffnen sich theoretische Bezüge, mithilfe derer komplementäre Währungen gedacht werden können. 2.1.1 Tauschtheorien und Staatstheorien Die innerhalb der orthodoxen Ökonomie weit verbreitete Tauschtheorie des Geldes begreift Geld vorwiegend als Tauschmittel und leitet die weiteren Geldfunktionen aus der Tauschmittelfunktion ab (vgl. Ingham 2002: 124; Schmölders 1968: 29). Zugrunde liegt die Idee von Geld als Ware. Präzise formuliert Friedrich August von 3
Selbstverständlich verallgemeinert diese Skizze zu sehr. So besteht etwa ein Kernmerkmal der keynesianischen Geldtheorien genau darin, dass Geld nicht als neutral funktionierend figuriert wird, sondern aufgrund seiner Liquiditätsprämie, letztlich also aufgrund des Zusammenspiels aus Wertaufbewahrungsfunktion und den Erwartungen der Wirtschaftsteilnehmer*innen, einen eigenständigen Einfluss auf die Wirtschaft hat. Auch Schumpeter (1934) schreibt der Verfügbarkeit von Kaufkraft eine zentrale Funktion innerhalb der wirtschaftlichen Entwicklung zu.
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Aaron Sahr (2017) fordert mit gewissem Recht von der Geldsoziologie, von einer Metatheorie des Warengelds auf eine Metatheorie des Kreditgelds umzustellen und diskutiert wesentliche Implikationen für das Verständnis der Produktion von Geld als Schuldbeziehung. Damit sollte allerdings keine Vernachlässigung der Verwendung von Geld als Ware eingehen.
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Hayek, der in der Tauschmittelfunktion den entscheidenden Geldcharakter eines Objektes sieht: »To serve as a widely accepted medium of exchange is the only function which an object must perform to qualify as money, though a generally accepted medium of exchange will generally acquire also the further functions of unit of account, store of value, standard of deferred payment, etc.« (Hayek 1990: 55). Carl Menger hat diese Tauschtheorie erstmals konsistent ausformuliert, weshalb sie in der Regel auf ihn zurückgeführt wird (Ingham 2004: 22f; Peacock 2013: 17-29). Menger geht in seiner Herleitung des Geldes zunächst von einer geldlosen Naturalwirtschaft aus. Grundproblem einer geldlosen Tauschwirtschaft ist die doppelte Koinzidenz der Bedürfnisse. Hiermit ist die Notwendigkeit der wechselseitigen Übereinstimmung von Tauschpräferenzen zweier Akteur*innen gemeint. Etwa: Wer Brot hat und Bananen will, muss eine Tauschpartner*in finden, die Bananen hat und Brot will, und zwar zum selben Zeitpunkt und im selben Umfang. Dies dürfte selten der Fall sein.5 Menger entwickelt nun aus der unterschiedlichen »Marktgängigkeit« oder auch »Gangbarkeit« von Gütern (Menger 1900: 63), welche in einer geldlosen Tauschwirtschaft gehandelt werden, Vorteile eines Gutes im Hinblick auf seine Tauschbarkeit und damit den Grundstein seiner Verwendung als Geld. Marktgängige Güter besitzen einen »exceptionellen Charakter« (Menger 1900: 64), da die Nachfrage nach ihnen höher und konstanter ist als nach anderen Gütern. Die Gangbarkeit mag auf einem besonderen Ansehen, das das Gut der Besitzer*in verleiht oder auf einem konstanten Bedarf beruhen, es kann sich um Exportgegenstände oder Konsumgüter handeln – jedenfalls ist die Chance, Abnehmer*innen zu finden, höher als bei anderen Gütern. Und daher lohnt es sich wiederum, diese Güter nachzufragen, gerade weil sie besser eingetauscht werden können. Auf diese Art und Weise bilden sich nach Menger Tauschmittel für indirekten Tausch heraus. Auch aufgrund von Gewohnheiten (ebd.: 66) ergeben sich dann allgemein gebräuchliche Tauschmittel als Warengeld. Hierzu dienen insbesondere Gegenstände, die haltbar, unzerstörbar und selten genug sind, etwa Gold, Muscheln oder ähnliches. Aus der Tauschmittelfunktion lassen sich dann weitere Funktionen ableiten, schließlich behält eine Ware dann ihren Wert, wenn vernünftigerweise erwartet werden kann, dass sie auch künftig gegen andere Waren eingetauscht werden kann. Eine Essenz der Theorie ist also, dass Geld eine Ware ist und spontan entsteht, auf dem Markt, und nicht erst durch eine zentrale Instanz (wie etwa dem Staat) hervorgebracht werden muss. Diese Erklärung ist zirkulär, da Geld als ein sich auf dem Markt herausbildendes effizientes Tauschmittel eingeführt wird – obwohl es einen 5
In der ersten Formulierung des Problems heißt es bei William Stanley Jevons: »The first difficulty in barter is to find two persons whose disposable possessions mutually suit each other’s wants. There may be many people wanting, and many possessing those things wanted; but to allow of an act of barter, there must be a double coincidence, which will rarely happen.« (1875: 5)
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Markt doch erst mit Geld geben kann. Dass Geld selbst konstitutives Element des Marktes ist, liegt daran, dass nur der geldvermittelte Tausch einen allein preisvermittelten Wettbewerb herzustellen vermag (Derpmann 2016: 227).6 In logischer Hinsicht kann also kritisiert werden, dass die Mengersche Theorie einem funktionalistischen Fehlschluss unterliegt, da die Existenz von Geld letztlich mit der Notwendigkeit der Funktion, die es ausübt, erklärt wird. Der Tauschtheorie des Geldes steht insbesondere die Staatstheorie gegenüber, welche vor allem mit Georg Friedrich Knapp (1923) verbunden ist. Knapp sieht in Geld » ein Geschöpf der Rechtsordnung« (1923: 1). Diese bestimmt die Geltung der als Geld angesehenen Zeichen. Aus staatstheoretischer, chartalistischer Theorie, entsteht Geld nicht als Tauschmittel im Handel, sondern wird vom Staat, also einer zentralen Autorität, als Wertmaß eingeführt, in welchem Tributzahlungen und Steuerschulden zu begleichen sind.7 Weil aber Steuern in vom Staat anerkannten Geldeinheiten zu zahlen sind, haben Wirtschaftsteilnehmer*innen Anreize, gerade dieses Geld in Transaktionen untereinander zu akzeptieren. Aus dieser Sicht hat Geld keinen unabhängigen Marktwert, sondern der Wert, oder besser die Geltung, hängt von der Macht der herausgebenden Autorität ab (zur Staatstheorie des Geldes Peacock 2013: 30-46).8 Der Ursprung des Geldes mag dann in der Politik, im Recht oder im Religiösen liegen, im Opfermahl und der Mahlgemeinschaft (Laum 1924), jedenfalls sind in dieser Vorstellung Tributzahlungen, nicht Markttransfers Ausgangspunkt der Herausbildung eines Wertmaßes. Aus der Staatstheorie wird meist eine Vorrangstellung der Wertmaßstabsfunktion des Geldes abgeleitet, d.h. es wird nur dasjenige im vollen Sinne als Geld angesehen, das Träger abstrakten Wertes ist. Dabei ist die Beschaffenheit dieses Trägers irrelevant, solange er als Vertreter des allgemeinen und abstrakten Wertmaßes angesehen wird: »Money is fundamentally an abstraction to which myriad forms of money-stuff might correspond. The almost universal tendency to identify money exclusively with money-stuff is the 6
Zu Problemen und logischen Widersprüchen der Tausch- oder Warengeldtheorien vgl. Ingham (2004: 15-37) sowie Peacock (2013: 17-46).
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Aus Knapps Übersetzung von lateinisch Charta als Marke (womit Geld als Zahlmarke gemeint ist) und dem daraus gebildeten Adjektiv chartal (ebd.: 27) leitet sich der Begriff Chartalismus für die Staatstheorien des Geldes ab.
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Ähnlich wie die Warengeldtheorie ist auch der Staatstheorie ein Defizit in der Erklärung der Entstehung von Geld inhärent. Ganßmann argumentiert, dass Staatstheorien nicht logisch zu erklären im Stande sind, wieso sich Wirtschaftsteilnehmer*innen auf die Verwendung von Geld oder einer Währung einigen. Stattdessen wird in diesen theoretischen Ansätzen das Problem einfach umgangen, indem der Staat mit seiner Autorität als entscheidender Akteur eingeführt wird – ohne dass allerdings erklärt würde, weshalb eine solche Autorität des Staates überhaupt anerkannt wird (Ganßmann 2012: 142).
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source of much confusion. This elementary category error would appear to have been sustained by the persistent equation of ›money‹ and ›coin‹ in common sense and a closely related anachronistic and mistaken economic theory of commodity money.« (Ingham 2001: 311)
Aus dieser Perspektive werden komplementäre Währungsformen großenteils bereits deshalb nicht als »Geld« wahrgenommen, weil sie möglicherweise auf einen externen Wertmaßstab zurückgreifen. Einzelne Beträge einer Komplementärwährung wären dann nicht selbst Geld, sondern privatwirtschaftliche Platzhalter des eigentlichen staatlichen Geldes. Diese in chartalistischer Theorie herausgearbeitete Bedeutung des Staates als Akteur, welcher Geld durch seine Geltung bei der Begleichung von Steuerschulden legitimiert, lässt sich einerseits politisch, andererseits strikt ökonomisch fassen (Dodd 1994: 29). Neo-chartalistische Theorien setzen gerade an der politischen Bedeutung an und verweisen etwa darauf, dass der Staat als Ausüber legitimer Herrschaft die Geltung des Geldes garantiert. Die zweite Interpretation reduziert die Bedeutung auf eine ökonomische, d.h. dass der Staat für die Legitimität und somit die Zirkulation des Geldes aufgrund seines Wesens als außerordentlich großer ökonomischer Akteur wichtig ist (Mehrling 2010). An dieser Stelle braucht die Debatte um den Ursprung des Geldes9 genauso wenig befeuert zu werden wie die Diskussion um die theoretische Vorrangstellung einer 9
Gleichwohl sei eine Anmerkung zum Ursprung des Geldes gestattet: Die Debatte hierzu beinhaltet eine historische Dimension und eine logische. In historischer Hinsicht ist offensichtlich, dass der Ursprung des Geldes nicht in einer Tauschwirtschaft liegt, welche so konzipiert wird, als ob sich dort individuell rationale, tauschwillige Akteur*innen träfen, denen es nur eben an Geld mangelt (Ingham 2004: 89–106). David Graeber (2011) etwa setzt sich ausführlich mit historischen und anthropologischen Zeugnissen auseinander und weist den »myth of barter« zurück. Dies widerspricht John R. Hicks, der in Anlehnung an Menger nicht nur einen logisch zwingenden merkantilen Ursprung des Geldes behauptet, sondern weitergeht: »What Menger perceived theoretically has been abundantly verified by the archeologists« (Hicks 1969: 63). Allerdings liefert er keine Belege – weil es keine gibt: »No example of a barter economy, pure and simple, has ever been described, let alone the emergence from it of money; all available ethnography suggests that there has never been such a thing.« (Humphrey 1985: 48) Auch Grieson (1977:14f) weist die Idee einer ursprünglichen Tauschwirtschaft zurück. Für Grierson liegt der Ursprung des Geldes nicht in einem Tauschmittel, sondern im einheitlichen Wertmaß, welches historisch zunächst rechtliche Bedeutung hatte, indem Straf- und Tributzahlungen spezifiziert wurden. Grearson bezieht sich vor allem auf die germanische Rechtsinstitution des Wergelds (hierzu Peacock 2013: 105-123). Zum religiös-politischen Ursprung des Geldes auch Einzig (1948: 984), sowie die klassische Arbeit von Laum (1924), der den Ursprung des Geldes in religiösen Opfer(zahlunge)n erkennt. Eine instruktive Einführung in die Thematik des Ursprungs von Geld liefert Semenova (2011). Sie orientiert sich an Laum (1924) und nennt
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spezifischen Geldfunktion. Relevant ist vielmehr die Tatsache, dass eine strikte Rückführung von Geld auf den Markt zu kurz greift. Der Ursprung des Geldes liegt jedenfalls vermutlich genauso sehr im Politischen und Religiösen (Kulturellen) wie im Wirtschaftlichen. Dodd (2014: 48) folgend kann die Festlegung auf einen einzelnen Ursprung vielmehr zurückgestellt und stattdessen die Komplexität der Geldentstehung als Hinweis auf die Vielfalt des Geldes verstanden werden. Keith Hart (1986) argumentiert, dass die Debatte über Geld als dem Bereich des Marktes oder dem Bereich der Herrschaft (i.e. dem Staat) entstammend und zugehörig zu kurz greift. Geld in Form spezifischer Währungen enthält immer beide Elemente, die von den beiden Seiten einer Münze symbolisiert werden. Hart möchte mit diesem Bild der Münze zeigen, dass Geld sich nur durch das Zusammenspiel von Warenelementen sowie gleichzeitig Kreditelementen fassen lässt. Geld drückt immer gleichzeitig sowohl die politische Herrschaft aus und damit die chartalistische Auffassung, dass der Geldwert letztlich durch die politische Autorität gedeckt ist (Kopfseite), als auch den Warencharakter und damit horizontale, marktliche Beziehungen (Zahlseite). Dies lässt sich bereits an dem Geltungsbereich von Währungsräumen sehen. Die Universalität von Geld als Tauschmittel ist etwa geographisch begrenzt, da es lediglich innerhalb einer „community of money“ (Harvey 1985: 4) seinen Wert (durch die Zuschreibungen der Mitglieder) erhält, nicht aber außerhalb dieser soziogeographischen Grenzen (Lee 1999). Diese Grenzen können durch den nationalstaatlichen Raum bestimmt sein, innerhalb dessen eine Währung als gesetzliches Zahlungsmittel dient. Sie können, wie gerade der Fall des US-Dollars zeigt, aber auch deutlich weiter ausgedehnt, sogar global, sein. Im nächsten Schritt problematisiere ich die Vorstellung einheitlichen Geldes anhand der Charakterisierung von Geld anhand seiner ökonomischen Funktionen. 2.1.2 Geldfunktionen, Allzweckgeld und Spezialzweckgeld Als herkömmliche Geldfunktionen gelten die Funktionen als Tauschmittel, als Wertmaßstab und als Wertaufbewahrungsmittel zurückkommen. Diese Aufzählung der Geldfunktionen birgt verschiedene Probleme in sich. Alleine die Unklarheit darüber, inwieweit alle dieser Funktionen gleichermaßen erfüllt werden müssen, zeigt Grenzen der Nennung von Funktionen als entscheidende Spezifität von Geld auf (Ingham 2007: 308). Verschiedene Theorieansätze sehen jeweils andere Funktionen als primär an. Wie gesagt, lässt sich feststellen, dass Geld vorwiegend als Tauschmittel betrachtet wird und die weiteren Geldfunktionen aus der Tauschmittelfunktion abgeleitet vor allem die Herausbildung eines Wertmaßes (Ochsen/Rind) in homerischer Zeit als Grundlage für die Entwicklung von Geld und, später, Münzen. Daran, dass Münzen nicht mit Geld gleichzusetzen, sondern eine historisch vergleichsweise junge Ausprägung von Geld sind, erinnert auch Grierson (1977: 1).
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werden (vgl. Ingham 2002: 124; Schmölders 1968: 29). Wie gezeigt, begreift etwa Hayek (1990: 55) die Tauschmittelfunktion als hinreichende Bedingung von Geld, aus der sich die weiteren Funktionen ableiten lassen. Im Gegensatz dazu fasst Geoffrey Ingham in Keynes’scher Tradition Geld vor allem ein »measure and bearer of abstract value« (Ingham 2002: 124) und ordnet der Funktion als Wertmaßstab und Recheneinheit logischen Vorrang zu. Damit engt er den Geldbegriff vergleichsweise stark ein. Betrachtet man vornehmlich die Tauschmittelfunktion, lassen sich deutlich mehr Begriffe beziehungsweise Wertgegenstände unter dem Überbegriff Geld subsumieren, als wenn die Wertmaßstabsfunktion zur differentia specifica erklärt wird. Ingham spricht nur dann von »full money«, wenn es nicht nur als Tauschmittel oder zur Wertaufbewahrung verwendet wird, sondern als abstraktes Wertmaß genutzt, also alle Funktionen erfüllt werden (Ingham 2004: 185). Die Funktionen sind aber nicht unabhängig voneinander. Im Gegenteil: Die Funktion der Wertaufbewahrung mag die Funktionalität als Tauschmittel einschränken. Wird Geld gehortet, wird es dem Umlauf entzogen (hier setzt Silvio Gesells Konzeption von Freigeld ohne Zins an, vgl. Kapitel 6). Es genügt daher womöglich nicht, einfach eine Funktion als notwendige und hinreichende Bedingung des Geldes auszuweisen, sondern es sind genauere Bestimmungen erforderlich, wie die verschiedenen Funktionen verwirklicht werden. Das separate Auftreten der verschiedenen Geldfunktionen arbeitet Karl Polanyi (1968) heraus. Er zeigt anhand historischer und anthropologischer Beispiele, dass allpurpose money (im Folgenden Allzweckgeld), welches die Funktionen als Tauschmittel, als Zahlungsmittel, als Wertmaßstab und Recheneinheit sowie als Wertaufbewahrungsmittel gleichzeitig erfüllt, ein neues Phänomen ist. Polanyi betont, dass die herkömmlich genannten Funktionen von Geld separat voneinander institutionalisiert werden können. Daher stellt er diesem Allzweckgeld verschiedene special-purpose money (im Folgenden Spezialzweckgeld) gegenüber. Hierunter versteht er Geldformen, die nicht alle diese Verwendungsarten von Geld gleichermaßen institutionalisieren (Polanyi 1968), sondern etwa ausschließlich als Zahlungsmittel für spezifische Zwecke verwendet werden. Auch Philip Grierson (1977) betont in seiner mittlerweile klassischen Auseinandersetzung mit dem Ursprung des Geldes die Trennung der Geldfunktionen und erkundet historische Geldformen, welche jeweils lediglich einzelne Funktionen enthalten und teilweise dezidiert zu reziproken oder redistributiven Transaktionen genutzt werden (zu dieser auf Polanyi zurückgehenden Unterscheidung vgl. 4.2). Mit Blick auf die Funktionen nennt er verschiedene Beispiele von Geldformen, die lediglich einzelne Funktionen erfüllen. Getreide oder Stockfisch etwa eignen sich nicht als Wertaufbewahrungsmittel, stellen aber historisch weit verbreitete Geldformen dar (ebd:15f). In Polanyis Gegenüberstellung von Allzweckgeld und Spezialzweckgeld findet sich gleichsam eine strikte Gegenüberstellung moderner und vormoderner Geldformen. Vormoderne Formen werden in dieser Lesart als Spezialzweckgelder angese-
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hen, moderne als Allzweckgelder. Dieser Gegenüberstellung ist implizit, dass Spezialzweckgeld eine spezifische kulturelle Bedeutung aufweist, die dem Allzweckgeld abhanden gekommen ist. Denn nur diese spezifische Bedeutung beschränkt bestimmte Gelder auf abgegrenzte Tauschsphären. Das moderne universal einsetzbare und abstrakte Geld ist hingegen in seinen Verwendungsweisen nicht beschränkt. Es fungiert vor allem als ein Medium des indirekten Tausches und kann in allen wirtschaftlichen Kontexten verwendet werden. Somit kommt Allzweckgeld dem Geld als Tauschmittel der ökonomischen Lehrbücher ziemlich nahe (Holmes 2014: 592). Zwei Gegenpositionen können eingenommen werden: es ließe sich argumentieren, dass von echtem Geld lediglich gesprochen werden könne, wenn alle Funktionen erfüllt sind, es sich bei Spezialzweckgeld somit nicht um Geld handelt. Damit wird aber eine Historisierung von Geld, eine Anerkennung der verschiedenen Formen, die es historisch eingenommen hat, verunmöglicht (vgl. Hesse 2014). Eine zweite Position zweifelt den Allzweckcharakter heutigen Geldes und/oder seine Superiorität an (Dodd 2014: 287f). So argumentiert Melitz (1970: 1021), der Idee von Allzweckgeld liege eine Konfusion von Recheneinheit und Tauschmittel zugrunde. Geld mag zur allgemeinen Recheneinheit geworden sein, erfüllt aber nicht alle Zwecke (etwa Tausch und Wertaufbewahrung gleichermaßen). Zu einem monetären System mögen mehrere Geldformen gehören, die nicht alle unabhängige Wertmaße darstellen. Diese Überlegung greift bereits auf die dritte hier genannte Perspektive auf Geld vor (2.3). Es zeigt sich bereits ein Einblick in die Diversität von Geld. Ich komme zunächst aber zu einem weiteren Aspekt, der die Auffassung einer klaren Einteilung von Geld und Nichtgeld erschwert. 2.1.3 Geld, Kredit und die Hierarchie des monetären Systems Manche Theorien grenzen Geld strikt von Kredit ab, andere sehen alles Geld als Kredit. Das jeweils konzipierte Verhältnis von Geld und Kredit hängt mit gewählten Auffassungen von Warengeld oder Kreditgeld zusammen. Ich möchte mit Blick auf die Unterscheidung von Kredit und Geld zeigen, dass auch in der Ökonomik nicht von einem Geld die Rede sein kann, sondern dass es verschiedene Geldmengen und damit Geldformen gibt. »Geld ist, was Gelddienst tut. Von einer objektiv gegebenen Geldmenge, die als Datum verwendet werden könnte, kann grundsätzlich daher nicht die Rede sein« (Schumpeter 2008: 235). Geld und Kredit sind allein dadurch eng miteinander verbunden, dass der größte Teil der Geldmenge von Privatbanken geschöpftes Giralgeld ist, welche in der Kreditvergabe entsteht (Ryan-Collins et al. 2011, Ingham 2004). Ich möchte nicht die umfassende Debatte über den Vorrang einer Kredittheorie des Geldes oder einer Geldtheorie des Kredites nachzeichnen (hierzu Sahr 2017), sondern lediglich eine übliche Unterscheidung kurz diskutieren. Gemeint ist die Unterscheidung zwischen Geld als means of final settlement sowie
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Kredit als Versprechen auf eine Geldzahlung. Der Unterschied besteht gerade darin, dass eine Geldzahlung die Kreditbeziehung zwischen Verkäuferin und Käuferin beendet, während bei einer Zahlung durch Gewährung bzw. Nutzung eines Kredites eine Gläubiger-Schuldner-Beziehung bestehen bleibt, wie Heiner Ganßmann darlegt: »In einer soziologischen Perspektive ist der Unterschied zwischen Geld und Kreditinstrumenten sehr klar: Wenn mit Geld der vereinbarte Preis bezahlt wird, hört die direkte Beziehung zwischen Käufer und Verkäufer auf.« (Ganßmann 2015: 139) Ganßmann möchte zeigen, dass das Zentralbankgeld als Fiatgeld, also im heutigen Geldsystem ungedeckt durch Ressourcen wie etwa Gold, nicht als Form von Kreditgeld gesehen werden kann (wie es die Neochartalist*innen tun). Der Unterschied zwischen Zentralbankgeld und anderen Geldformen zeigt sich etwa besonders in Krisenzeiten, wenn die Nachfrage nach Zentralbankgeld steigt, da andere Formen nicht mehr als geeignete Substitute gelten. Ganßmann geht sogar weiter: gäbe es in einer Krise kein Zentralbankgeld, ginge damit das Geldsystem unter.10 Ganßmann kritisiert Kredittheorien des Geldes, nach denen alles Geld Kredit ist. Denn für ihn ignorieren Kredittheorien diesen Unterschied oder verfolgen die theoretische Strategie, eine Geldzahlung als versteckte, kurzweilige Gläubiger-Schuldner-Beziehung umzudeuten (Ganßmann 2014: 152). Mit der Ganßmannschen »sehr klaren« Trennung von Kredit und Geld sind allerdings Probleme verbunden. In vielen Situationen mag etwas als Geld zur finalen Begleichung einer Schuld angesehen werden, dasselbe Mittel in anderen Kontexten aber nicht. Ist etwa das Vertrauen ins Bankensystem hinreichend groß, wird Giralgeld als Zahlungsmittel akzeptiert. Besteht die Gefahr eine Bankpleite, mögen Marktteilnehmer*innen demgegenüber Bezahlung in Bargeld verlangen, da Giralgeld lediglich einen Anspruch auf Bargeld ausmacht. Ganßmann argumentiert daher letztlich genau so, dass ausschließlich Zentralbankgeld von Zweifeln seiner Gültigkeit befreit ist, »weil die Zentralbank ihre Noten und Münzen selbst produziert und deshalb nicht zahlungsunfähig werden kann. […] Modernes Zentralbankgeld hat keine Deckung. Es ist das im jeweiligen Währungsgebiet ultimative, rechtlich gestützte Zahlungsmittel, wohingegen jeder die Tauglichkeit privater Kreditinstrumente (Schuldscheine, Wechsel usw.) als Zahlungsmittel jederzeit anzweifeln kann.« (Ganßmann 2014: 151)
10 Allerdings zeigen Erfahrungen mit komplementären Währungen, dass dies nicht zwingend ist. Das partielle de facto Verschwinden von Zentralbankgeld in Argentinien der Jahrtausendwende zeigt etwa, dass dann in der Tat lokale und regionale Geldformen aufkommen, die zwar teilweise von Regionalregierungen, teilweise aber auch vollständig dem privaten Bereich entstammen (Gómez/Helmsing 2008).
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Diese Beschreibung ist grundsätzlich korrekt, zumindest, wenn Fälle vernachlässigt werden, in denen heimisches Zentralbankgeld nicht akzeptiert wird, sondern nur harte Währungen aus dem Ausland, bzw. wenn überhaupt die Außenorientierung der Währung außer Acht gelassen wird. Im engeren Sinne versteht Ganßmann unter Geld damit ausschließlichZentralbankgeld, also Bargeld und die von Banken gehaltenen Zentralbankgeldreserven (diese Position vertritt auch Creutz 2005). Doch scheint eine Verengung des Geldbegriffs auf Zentralbankgeld unbefriedigend, welches lediglich ungefähr 3% (je nachdem, wie weit der Geldbegriff gefasst wird) der im Umlauf befindlichen Geldmenge ausmacht (Ryan-Collins et al. 2011). Denn dann befassen wir uns erstens ausschließlich mit einem sehr kleinen Teil der monetären Beziehungen und wenden uns zweitens von der verbreiteten Vorstellung von Giralgeld als Geld ab. Das von Privatbanken geschöpfte Giralgeld, das wir bei Überweisungen oder Kartenzahlungen von einem Konto auf ein anderes transferieren, verstehen die meisten Menschen aber wie selbstverständlich als Geld. Grundlegend ist der enge Geldbegriff nur schlecht anknüpfungsfähig an jüngere Entwicklungen im Zahlungsverkehr (Maurer 2015). Perry Mehrling (2013) versucht in seiner Betrachtung des monetären Systems, die strikte Trennung von Geld und Kredit zu überwinden, indem er von einem inhärent hierarchischen System spricht, bei dem auf dem unterschiedlichen Hierarchieebenen Geld und Kredit wirken. Das monetäre System (vgl. Abbildung 1) ist für Mehrling an sich hierarchisch, eine Einteilung anhand der Dichotomie Geld versus Kredit versagt. Das System ist dynamisch, die einzige Konstante, dass immer Bewegungen zwischen Expansion und Kontraktion der Geldmengen vorherrschen (Mehrling 2013: 397). In diese Hierarchie lassen sich nicht nur staatliche/zentralbankliche Geldformen sowie privatbankliche einordnen, sondern eben grundsätzlich alle als Zahlungsmittel genutzten privaten Geldformen. Mehrling verweist mit der Pyramide nun gerade darauf, dass die Zuordnung zu Geld oder Kredit von der Ebene in der Hierarchie abhängt: »what counts as money and what counts as credit depends on your point of view, which is to say that it depends on where in the hierarchy you are standing« (Mehrling 2013: 395). Auch auf der obersten Hierarchieebene versagt die Zweiteilung letztlich. Demgegenüber lässt sich mit Mehrling argumentieren, dass in einem globalen Geldsystem auch Zentralbanken zur Werterhaltung immer auch andere Währungen, Gold oder ähnliche Assets aufwenden müssen. In Abbildung 1 ist diese Hierarchie nach Mehrling abgetragen. Auf den verschiedenen Hierarchieebenen finden sich von Zentralbanken, Geschäftsbanken oder dem Privatsektor geschöpfte Kreditgeldformen. Zentralbankgeld hat die höchste Qualität, während vom Privatsektor herausgegeben Formen geringere Qualität als Geld aufweisen. Die vertikale Achse bildet somit die Qualität der Geldform ab. Mehrling betont, dass auch Zentralbankgeld lediglich in Normalzeiten und lediglich bei einer ausschließlich aufs Inland bezogenen Perspektive an der Spitze der Pyramide steht.
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Abbildung 1: Die inhärente Hierarchie des Geldes
Quelle: in Anlehnung an Mehrling (2013: 397f)
Eine kategoriale Unterscheidung ist nicht einfach zu treffen. In Expansionsphasen vergrößert sich die Geldmenge auf allen Ebenen, in Phasen der »Disziplinierung« verkleinert sie sich, wobei die Nachfrage nach Geldformen höherer Qualität steigt. Komplementärwährungen lassen sich auf den unteren Ebenen der Pyramide einordnen, da sie nur in einem begrenzten Sozialraum als Zahlungsmittel anerkannt werden. Diese Überlegungen lassen eine Offenheit für einen Pluralismus von Geldformen zu. Offenheit in dieser Frage bedeutet zunächst die Zurückweisung einer naturalistischen Position, die in Geld stets allgemein akzeptiertes Tauschmittel sieht, das seine Akzeptanz von Staaten herleitet oder, in warengeldtheoretischer Fassung, von seinem inneren Wert. Die in Argentinien um die Jahrtausendwende aufgekommenen zahlreichen Geldformen verdeutlichen diesen Punkt in besonderem Maße (Gómez/ Helmsing 2008). Die de facto Nonexistenz einer funktionierenden nationalen Währung diente als Nährboden für die lokalen und regionalen Geldsysteme. Auf unterer Ebene der Hierarchie kam es zu einer Expansion, da nicht genügend »höhere« Geldformen verfügbar waren. Der Ausnahmefall besteht darin, dass die Expansion nötig war, um das absolute Fehlen höherer Geldformen zu kompensieren, während Expansion in Boomphasen die relative Knappheit höhere Geldformen auszugleichen sucht. Ein systemischer Blick sperrt sich jedenfalls gegen eine kategorische Trennung zwischen Geld und Kredit; zur hierarchischen Struktur gehören verschiedene Arten mit unterschiedlich großer sozialräumlicher Reichweite sowie, wenn man so will, verschiedenen Qualitäten von Geld. Aus dieser monetär-ökonomischen Sicht lässt sich den
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in dieser Arbeit behandelten Komplementärwährungen jedenfalls nicht die Geldartigkeit absprechen (Kapitel 6 und 7). Ich wende mich nun zwei gegensätzlichen grundlegenden Positionen der Geldsoziologie zu den gesellschaftlichen Auswirkungen von Geld als Vermittler ökonomischer Beziehungen zu.
2.2 »MONEY SHAPES VALUES«: WIRKUNGEN DES GELDES AUF DIE GESELLSCHAFT Klassische soziologische Zugänge zu Geld rekurrieren unter anderem auf die vielfältigen Wirkungen des Geldes auf die Gesellschaft. Geld als Interaktions- und Kommunikationsmittel steht für »sachliche und individuell zweckrationale Beziehungen zwischen den Menschen« (Mikl-Horke 2011: 190). Bereits die soziologischen Klassiker wie Georg Simmel und Max Weber, aber auch etwa Karl Marx, verweisen darauf, dass Geld soziale Beziehungen versachlicht und entpersonalisiert, dass Geld als Treiber der Individualisierung und Rationalisierung fungiert. Die Grundlage dieser Versachlichung wird meist in der spezifischen Funktion von Geld als allgemeines Äquivalent gesehen, das den ökonomischen Wert verschiedenster Gegenstände innerhalb der diversen Warenwelt in einem gemeinsamen Nenner quantitativ fassbar macht. Geld quantifiziert, indem es qualitativ Ungleiches vergleichbar macht und qualitative Unterschiede überhaupt in quantitativen (preislichen) Unterschieden ausdrückt. Für Weber ist Geld ein vollkommenes Rechnungsmittel für wirtschaftliche Transaktionen auf dem Markt, welcher »nur Ansehen der Sache, kein Ansehen der Person« (Weber 1985: 383) kennt. Simmel betont die Ambivalenz individueller Freiheit, die durch Geld zunächst vergrößert wird, weil vormoderne Herrschaftsverhältnisse und Abhängigkeiten in Vertragsverhältnisse überführt werden. Geld ist insofern einerseits Träger individueller Freiheit, stiftet aber gleichzeitig neue sachliche Abhängigkeiten. In einer Geldwirtschaft ist der einzelne Mensch nicht von bestimmten anderen Personen abhängig, daher freier, andererseits aber in viel stärkerem Ausmaß abhängig »von dem Ganzen der Gesellschaft« (Simmel 1989: 396). Diese Abhängigkeiten bilden nur einen Teil der Auswirkungen der Geldwirtschaft. Die Geldvermittlung der individuellen Auseinandersetzung mit Sachen und Personen bringt eine Rationalisierung sozialer Beziehungen weit über den Umgang mit Waren hinaus mit sich. Sie geht mit der Anonymität und einer Gleichgültigkeit gegenüber den beteiligten Personen einher. Was Simmel beklagt, ist, dass ein wichtiger Teil interpersonaler Beziehungen, etwa die Anerkennung besonderer individueller Leistungen, Dankbarkeit, freundschaftliche Bindungen in der bloßen Geldzahlung nicht erhalten bleiben kann. Die zunehmende Monetarisierung sozialer Beziehungen bedeutet für Simmel daher, dass ihr spezifischer normativer und persönlicher Gehalt
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nicht in der Geldzahlung übersetzt werden kann, und daher mit dem Beginn der Moderne – Simmel bezeichnet dieses Phänomen als › Tragödie‹ der Moderne – verloren geht. Hier findet sich die Vorstellung von Geld als korrumpierend und zersetzend, die einen weit verbreiteten Topos der Geldkritik bildet.11 Daher richtet sich grundlegende Kritik häufig darauf, dass es gesellschaftliche Bereiche geben müsse, die nicht durch Geld und Märkte koordiniert werden (eine Version dieser Kritik findet sich bei Sandel 2012), weil es etwa für die Geltung des Rechts, der Moral, der Freundschaft oder der Demokratie entscheidend ist, dass diese zumindest zum Teil nicht ökonomisch, sondern nach ihren eigenen Regeln und Ansprüchen von Achtung, Schuld, Anerkennung, oder Mitbestimmung strukturiert sind. Geld geht in den bisher geschilderten Überlegungen mit der Zweckrationalität von Märkten Hand in Hand. Häufig wird Geld implizit oder explizit mit Märkten in Verbindung gebracht, weil Geld dasjenige Instrument ist, mit dem ein rein auf quantitativen Kalkülen beruhender Wettbewerb erst möglich wird. So vermischt sich etwa Kritik am Geld mit Kritik an Märkten, wie etwa bei Sandel (2012), der mit Monetarisierung vor allem Vermarktlichung meint. Geld ist in dieser Sicht das Kommunikationsmedium der Wirtschaft (Luhmann 1994), wobei Wirtschaft eben explizit oder implizit mit Markt gleichgesetzt wird. Geld hängt aber als Steuerungsmedium nicht zwingend mit dem Markt zusammen. Es ist zwar womöglich notwendig für die Ausbildung von Märkten, aber nicht hinreichend für die Marktförmigkeit von sozialen Beziehungen. Schließlich können Geldwerte auch außerhalb des Marktes ermittelt und Geldeinheiten auch jenseits von Markttransaktionen verwendet werden. Dies geschieht regelmäßig, wenn etwa Strafzahlungen gerichtlich festgelegt oder Gebühren verlangt werden. Solange das Buß- oder Schmerzensgeld nicht als Preis der Übertretung einer Gesetzesnorm, oder als Preis der Zulässigkeit der Verletzung einer anderen Person angesehen wird, kann nicht von einer Marktbeziehung die Rede sein. Dies wird insbesondere deutlich, wenn die erfolgte Zahlung zwar eine Rechtsschuld begleicht, aber das Bestehen einer moralischen Schuld, und beispielsweise die Forderung einer Entschuldigung, davon unangetastet bleibt. Auch eine Kompensation in Geldform muss nicht zwingend marktliche Organisation voraussetzen oder mit sich ziehen. Wie die folgenden Kapitel zeigen, kann Geld auch als Gabe gegeben werden, womit es nicht als Mittel marktförmiger Transaktion fungiert. Die Debatte um gesellschaftliche Wirkung von Geld lässt sich anhand verschiedener historischer und ethnologischer Studien kurz nachzeichnen. Hier kann etwa untersucht werden, welche Auswirkungen die Einführung von fungiblem, die Geldfunktionen vereinenden Allzweckgeld hat. Hier ist eine Standardposition die, dass die 11 Gleichwohl wäre es verzerrend, die genannten Klassiker auf diese Sichtweise eines schädlichen Einflusses von Geld zu reduzieren. Hierzu Dodd (2014: 276f) und Deutschmann (2015).
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Monetarisierung zu einer Auflösung herkömmlicher Tausch- und Interaktionssphären führt, da (mit Simmel gesprochen) nun ein allgemeines Mittel die Transformation exklusiver qualitativer Differenzen in rein quantitative Unterschiede einsetzt. Die Einführung von modernem Geld zerstört in dieser Auffassung Systeme der Tauschsphären, wie sie klassisch Bohannan (1968) in seiner Untersuchung zu den Tiv im nördlichen Nigeria zeigt. Subsistenzgüter können nun für Geld verkauft werden, welches dann auch für solche Prestigegüter (oder Frauen) ausgegeben werden kann, die vormals nicht marktlich-monetär beziehbar waren (Bohannan 1968: 248). Damit ermöglicht Geld, zwischen den verschiedenen, vormals strikt getrennten Tauschsphären zu vermitteln. Entsprechend finden sich die Klagen der Tiv-Älteren, dass die traditionelle Ordnung zerstört wird (eine kurze Darstellung des Sphären-Modells findet sich bei Röschenthaler 2010).12 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Gebrauch von Geld unzweifelhaft, wie von Simmel, Weber und anderen beschrieben, mit kalkulativen Praktiken einhergeht. Geld transformiert qualitative, sachliche Unterschiede in quantitative Unterschiede. Gleichwohl ist Dodds Hinweis (2014: 295) wichtig, das Element der Kalkulation sei in der Geldtheorie wie eine Black Box behandelt worden. Das Problem besteht dann nämlich darin, dass Kalkulation als »technical feature« (ebd.) von Geld angesehen wird, anstatt sie zum Gegenstand eigenständiger begrifflicher und empirischer Untersuchungen zu machen. Nur dann können aber Wirkungszusammenhänge zwischen Geld und Kultur in den Blickpunkt rücken, die nicht oder zumindest nicht ausschließlich auf das kalkulative Element achten. In einem nächsten Schritt widme ich mich solchen Ansätzen.
12 Die Debatte um die Auswirkungen des Geldes auf Moral und Wertsysteme wird auch innerhalb der ethnologischen Forschung geführt. Mittlerweile liegen viele Studien vor, die untersuchen, ob beziehungsweise inwieweit Monetarisierungsprozesse zu einer Erosion traditionaler, moralökonomischer Wirtschaften führen. Dabei werden die Ergebnisse der klassischen Studie der Bohannans (1955) zumindest nuanciert. Inwieweit es durch Monetarisierung tatsächlich zu einer Konvergenz aller Wirtschaftsformen, hin zur Marktwirtschaft kommt, wird in einigen Studien von prinzipiell offenen gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen abhängig gemacht. Ähnlich wie Zelizer versuchen etwa Klute (2003) oder Schram (2010) – am Beispiel der kirchennahen, wohltätigkeitsbasierten Geld-Gabezyklen in Papua-Neuguinea – nachzuweisen, dass nicht dem Geld in sich eine Kraft zu tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen zu eigen ist, sondern dass weiterhin konkrete kulturelle Bedeutungszuschreibungen vorherrschen.
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2.3 »VALUES SHAPE MONEY«: SOZIALE UND KULTURELLE ZIVILISIERUNG DES GELDES Kultur- und wirtschaftssoziologische Untersuchungen zu Geld wenden sich gegen die im vorherigen Abschnitt vorgebrachte Vorstellung von Geld als alleinigem, homogenem, fungiblem Tauschmittel auf Märkten. Sie kritisieren insbesondere die Vorstellung, dass Geld notwendigerweise bedeutungsvolle soziale Bindungen unterminiert und zwischenmenschliche Beziehungen instrumenteller Kalkulation unterwirft (Zelizer 2007: 1061). Solche Analysen der Bedeutungszuschreibungen und Verwendungen von Geld haben seit den späten 1980er Jahren vor allem Viviana Zelizer (1989, 1994, 2011) mit ihren zahlreichen historischen und mikrosozialen Studien zu Kultur und Märkten, aber auch Bruce Carruthers (2010 als Überblick zum Social Meaning of Money, Carruthers/Espeland 1998) und Nigel Dodd (2005a, 2005b, 2014) vorangetrieben. Indem sie zeigen, wie soziale und kulturelle Bedeutungszuschreibungen Spielräume für die Verwendung von Geld öffnen und schließen, liefern sie eine Kritik an der Konzeption von Geld als ausschließlich zweckrational eingesetztem Tauschmittel auf Märkten. Stattdessen ist Geld immer eingebettet in soziale Beziehungen und auch die Geldverwendung abhängig von spezifischen Kontexten (Zelizer 2011a). Verwendungspraktiken machen in dieser Sicht einen Kern des Geldes aus. Geld ist kein – oder besser: nicht nur – neutrales, unpersönliches Tauschmittel der heutigen Marktgesellschaft, sondern wird durch die spezifischen Verwendungspraktiken der Nutzer*innen geformt. »In fact, social considerations shape the practical use of money. People attribute meaning and significance to money by undercutting (although not entirely undoing) modern money’s fungibility and generality. People, both in and outside of organizations, categorize and distinguish money. They create special monies with limited scope and earmark monies for particular purposes.« (Carruthers 2010: 73)
In diesem Sinne lässt sich sagen, dass das Geld nicht die Werte und Beziehungen einer Gesellschaft prägt, sondern, dass umgekehrt das vermeintlich eigenschaftslose Geld sehr wohl durch kulturelle Praktiken besondere Qualitäten verliehen bekommt. Nicht »money shapes values«, sondern »values shape money« (Evans 2009). Der Grundgedanke ist demnach, dass Geld nicht bloß auf eine Rolle als Quantifizierer von (vormals) qualitativ unterschiedlichen Dingen und sozialer Beziehungen reduzierbar ist, sondern die Qualität von Geld selbst kulturell und sozial geformt wird (Dodd 2014: 271, der eine Qualitätstheorie des Geldes fordert). Hier sind zwei prinzipiell miteinander vereinbare oder separat zurückweisbare Thesen - oder Richtungen
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eines Zusammenhangs - genannt, und zwar erstens die These, die einen unausweichlichen erodierenden Einfluss des Geldes auf normativ gehaltvollere gesellschaftliche Relationen und Güter negiert, sowie zweitens die These, die umgekehrt die Unabhängigkeit des Geldes als spezifischer ökonomischer Institution von gesellschaftlich reichhaltigen Beziehungen bestreitet. Geld ist demnach nicht bloß universell einsetzbare abstrakte Kaufkraft, sondern sehr wohl sozial geformt durch Bedeutungszuschreibungen und Verwendungspraktiken seiner Nutzer*innen.13 Erst die Verwendung macht Geld zu Geld einer bestimmten Qualität, d.h. die Besonderheit von Geld liegt daher nicht in einer intrinsischen Eigenschaft der Tauschmittelfunktion (oder einer anderen, als primär wahrgenommenen Geldfunktion), sondern in den Praktiken seiner Verwendung. Aus dieser Sicht ist Geld als offen zu konzipieren. »Money’s indeterminacy is its sole distinguishing feature.« (Dodd 1994: 152) Das Augenmerk richtet sich nun nicht lediglich auf die kulturellen und sozialen Kontexte, in denen Geld verwendet wird, sondern der Anspruch ist es, zu zeigen, dass Geld genuin »von innen« durch die Praktiken der Nutzer*innen geformt wird (Dodd 2014: 271). Von innen meint, dass es eben nicht dem Geld äußerliche Faktoren sind. Zurückgewiesen wird also die Vorstellung getrennter Sphären des Ökonomischen und des Sozialen. Aus diesen Überlegungen ergibt sich bereits, dass Monetarisierung und Vermarktlichung nicht zusammenhängen müssen. Geld kann also als Tauschmittel verwendet werden, ohne dass dies mit marktlichen Transaktionen im Sinne der ökonomischen Theorie verbunden sein muss. Somit wird die (implizite oder explizite) inhaltliche Reduktion des Tauschbegriffes auf marktliche Austauschprozesse hinterfragt. Eine solche Engführung des Tauschbegriffes in der Soziologie kritisiert etwa Frank Hillebrandt (2007, 2009). Er wendet sich gegen die verbreitete modernisierungstheoretische Vorstellung, »die moderne, auf dem Tauschmedium Geld beruhende, am Rationalitätsprinzip orientierte Wirtschaftspraxis habe den Tausch von symbolischen und kulturellen Bedeutungsinhalten entlastet.« (Hillebrandt 2007: 282). Tausch wird damit in der soziologischen Theorie oft ausschließlich als Markttausch und als stets rational begriffen. In einer solchen Vorstellung hat erstens geldvermittelter Warentausch den reziprozitätsbasierten Gabentausch14 verdrängt oder zumin13 In dieser Sichtweise wird Geld durch soziale Relationen konstituiert und ist damit selbst ein sozialer Prozess (Dodd 2014). Hiervon zu unterscheiden ist Inghams Begriff des Geldes als soziale Relation (Ingham 1996), da er spezifisch auf die Institutionalisierung von Beziehungen zwischen Gläubiger*innen und Schuldner*innen (durch einen Komplex aus Staat, Zentralbank und Privatbanken) innerhalb des kapitalisitischen Kreditgeldsystems abzielt. 14 Der Begriff der Reziprozität wird nicht einheitlich verwendet, weshalb ervon David Graeber gar als beliebig kritisiert wird :»As currently used, ›reciprocity‹ can mean almost anything. It is very close to meaningless.« (Graeber 2001: 217) Daher muss das spezifische Verständnis des Begriffes ausgekleidet werden. Vorab nur so viel: Grundlegend verstehe
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dest immer weiter an den Rand gedrängt. In einer zweiten Hinsicht bedeutet die Engführung des Tausches, dass er zu sehr generalisiert wird, und zwar stets als rationale15 Handlung, die sich letztlich über Kosten-Nutzen-Kalküle erfassen lässt.16 Dies ist allerdings womöglich nicht die beste – oder zumindest keine vollständige – Beschreibung der Motivation von Tauschenden. Damit ist nicht grundsätzlich bestritten, dass Geld und Vermarktlichung zusammenhängen oder dass geldvermittelte Quantifizierung fundamentale Auswirkungen auf Kultur und Gesellschaft haben kann. Es ist vielmehr die Notwendigkeit oder Unausweichlichkeit eines solchen einseitigen Einflusses in Zweifel gezogen. Die »values shape money«-Perspektive wird mittlerweile in der jüngeren Konsumsoziologie (z.B. Unterwegger 2013, Wherry 2012) sowie in der Ethnologie (etwa Guyer 2012) aufgegriffen. Auch für die vorliegende Untersuchung handelt es sich um einen zentralen Ansatz, da er Verwendung und Entstehung komplementärer Währungen begreifen lässt. Daher wird er im folgenden Kapitel ausgehender diskutiert. Es wird auch zu thematisieren sein, inwiefern in Konzeptionen des durch Kultur geformten Geldes gegenteilige, vermarktlichende Wirkungen des Geldes vernachlässigt werden (Leyshon 1997: 382f). Die Ausführungen beziehen sich weniger auf die Gesamtheit der umfassenden ethnologischen Literatur (vgl. Maurer 2006), als vielmehr spezifisch auf die Arbeiten Viviana Zelizers, die sich seit den späten 1980er Jahren stetig mit Geld und verschiedenen Geldformen auseinandersetzt und mit ihrer Konzeption von durch Werten und Kultur geformten Geldern auch explizit komplementäre Währungen analysiert.
ich Reziprozität im Sinne Polanyis als nichtmarktliche Form der Gegenseitigkeit, die außerdem durchaus nicht unmittelbar ausgeprägt sein muss, sondern auch verzögert oder gar im Extremfall in Einseitigkeit umschlagen kann (generalisiert bei Sahlins). Auf die spezifische Bedeutung des Begriffes der Reziprozität bei Karl Polanyi, Marcel Mauss und Marshall Sahlins gehe ich in Kapiteln 4 und 5 ausführlicher ein. 15 Ich verwende den Begriff rational, sofern nicht ausdrücklich anders vermerkt, im Sinne der Verhaltensannahmen der Rational Choice Theorien, also als zweckrational (Weber 1985: 12) und eigennutzorientiert oder »wirtschaftlich orientiert« (Weber 1985: 31). 16 An dieser Stelle greift Hillebrandt diejenigen Versuche an, in denen der Gabentausch rationalistisch rekonstruiert wird. Ein Beispiel stellt Coleman (1991: 400f) dar.
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Viviana Zelizer und die Vielfalt spezieller Gelder
Viviana Zelizer untersucht den Wandel der sozialen Praktiken, die mit der Expansion monetärer Transaktionen und dem Aufkommen einheitlicher nationaler Gelder einhergingen. Sie führt einen Fragenkatalog auf, den sie elementar für die soziologische Erforschung von Geld hält: »Is money indeed an abstract phenomenon with autonomous laws? Does social life provide context for monetary transactions? How does that context constrain money? How vulnerable are social relations to the allegedly corrupting impact of money? […] Is there a single money or multiple monies?« (Zelizer 2007: 1061). Die im vorherigen Abschnitt skizzierte Versachlichung und Entpersonalisierung, die Anonymisierung des gesellschaftlichen Lebens sowie die Korrosion von Werten durch Geld hängen eng mit seiner Homogenisierung zusammen. Dieser Punkt ist zunächst einleuchtend, da sich an der Wahrnehmung von Waren etwas ändert, wenn alle Waren dadurch kommensurabel werden, dass sie ihren Wert oder Preis in einer einzigen monetären Größe darstellen. Zum Teil ist diese Einheitlichkeit, die in Wirtschaftsräumen kapitalistischer Gesellschaften unterstellt wird, durch eine Reihe von Institutionen bewirkt, die sicherstellen, dass ein Euro, Yen, oder eine Rupie, immer als eine Rupie, Yen oder Euro gelten, egal ob es sich um Bargeld, Sichteinlagen, langfristige Kredite oder Zentralbankgeld handelt. Zelizer beschreibt nun Diversifizierungsprozesse, die ihrer Ansicht nach gleichzeitig mit dieser Homogenisierung einhergehen, um die soziale und kulturelle Formung von Geld zu belegen. Die Debatte um die soziale Unabhängigkeit des Geldes kreist gleichermaßen darum, wie homogen oder wie fungibel Geld tatsächlich ist. Zelizer zeigt, wie die prinzipielle Fungibilität des Geldes, also die universale Einsetzbarkeit als Tausch- und Zahlungsmittel, durch Nutzer*innen sozial und kulturell eingeschränkt wird. Für sie werden so »special monies« (Zelizer 1994) produziert. Zelizers Konzeption der speziellen Gelder lässt sich erst vor dem Hintergrund ihres Verständnisses des Verhältnisses von Wirtschaft und Kultur begreifen. Die Rekonstruktion der Position erfolgt in vier Schritten: Zunächst thematisiere ich ihre Zurückweisung der Idee getrennter Sphären, der sie die Verwobenheit von Wirtschaft und Kultur entgegenhält (3.1).
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Dann setzte ich mich mit Zelizers Kritik an der Annahme homogenen und homogenisierenden Geldes (3.2) sowie mit der von ihr vorgeschlagenen Konzeption der Markierung als Differenzierungsstrategie (3.3) auseinander. Hier sind schwache und starke Formen des Markierens voneinander abzugrenzen. Um die sozialen Dynamiken von Komplementärwährungen fassen zu können und theoretische innerhalb einer relationalen Soziologie zu fundieren, nutzt Zelizer die Begriffe der kommerziellen Kreisläufe und der relationalen Arbeit (3.4).
3.1 DAS VERHÄLTNIS VON WIRTSCHAFT UND KULTUR Das analytische Problem der Konzeptualisierung des Verhältnisses wirtschaftlicher und nicht-wirtschaftlicher Sphären habe ich in der Einleitung bereits angesprochen. In diesem Kapitel widme ich mich Viviana Zelizers Vorschlag zur Lösung dieses Problems. Zelizer bemängelt die Vorstellung der Einbettung von Wirtschaft, gerade weil ihrer Ansicht nach eine unzulässige Dichotomie von Wirtschaft und Nicht-Wirtschaft unterstellt wird. Daher kritisiert sie die Vorstellungen einer separaten ökonomischen Sphäre, die vom Sozialen trennbar wäre, und plädiert für einen Paradigmenwechsel (Zelizer 2012: 149). Ökonomische Beziehungen stellen keine von anderen Bereichen menschlichen Handelns (wie Religion, Kultur, Sitte, Anstandsnormen, Moral) vollständig unabhängige und eigengesetzliche Sphäre dar.1 Zelizer wendet sich in ihrem gesamten Werk gegen die mit dieser Dichotomisierung verbundene Vorstellung zweier feindlicher Welten, hostile worlds, zwischen denen klare Grenzen bestehen und deren Vermengung notwendigerweise problematisch wäre. In der von ihr kritisierten Sichtweise müssen diese Abgrenzungen aufrecht erhalten werden, um etwa die Sphäre des Intimen vor der Sphäre des Marktes und des Geldes zu schützen. Weiterhin gehen ihrer Auffassung nach mit dieser Vorstellung oftmals »nothing-but arguments« einher (Zelizer 2011: 314). Solche nichts als Erklärungen sehen meist in vereinfachender Weise ein einzelnes Prinzip als Grundlage für spezifische Handlungsformen und verabsolutieren dieses. Dies gilt selbst für solche Erklärungen, die nicht außerdem eine strikte Trennung von feindlichen Welten zugrunde legen. Zelizer wirft solchen nichts als Argumenten vor, getrennte und in 1
Metaphern wie »Values shape money« oder auch der Untertitel zu Zelizers Sammelband Economic Lives (2011a), How culture shapes the economy) fallen in gewisser Weise hinter den theoretischen Anspruchs Zelizers zurück. Denn im Kern will sie ja gerade zeigen, dass Kultur und Wirtschaft nicht zwei feindliche Welten sind, von der die eine die andere formt oder prägt, sondern dass »wirtschaftliche« Phänomene wie Geld oder Tausch genuin kulturell und sozial konstituiert sind, Geld also »von innen« geformt wird, nicht »von außen« (vgl. Bandelj 2012). Sprachlich lässt sich dies aber weniger gut fassen als das Bild einer Prägung oder Formung wirtschaftlicher durch kulturelle Sachverhalte.
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sich reine Prinzipien der wirtschaftlichen Rationalität, der Kultur oder der Politik zu imaginieren, obwohl diese Bereiche nicht voneinander trennbar sind (Zelizer 2005a: 29f). Es lassen sich ökonomistische und kulturalistische Versionen der nichts alsErklärungen finden, analog zu rationalistisch-individualistischen und holistischen Sozialtheorien. Aus ökonomistischer Sicht werden dann etwa Fürsorge, Freundschaft, Sexualität oder Kind-Eltern-Beziehungen schlicht als Spezialfälle des allgemeinen Handlungsmusters gesehen, das auf rationaler, vorteilsuchender individueller Wahl unter Knappheitsbedingungen aufgefasst wird. Aus kulturalistischer Sicht handelt es sich dabei um Ausprägungen spezifischer Normen und Wertvorstellungen jenseits der Wirtschaft (Zelizer 2011: 314). Zelizer stellt diesen feindlichen Welten und nichts als-Erklärungen einen Ansatz von connected lives entgegen, und begibt sich auf die Suche nach Verbindungen zwischen den Sphären. Die Welten sind für sie weder feindlich, noch strikt getrennt. So will sie etwa zeigen, dass Geld in intimen oder persönlichen Beziehungen zwar problematisch sein kann, aber Geld und Intimität sehr wohl vereinbar sind (Zelizer 2005a: 11f), es zu good matches kommen kann. Hier offenbart sich die geldsoziologische Perspektive, dass Geld eben nicht unausweichlicherweise gehaltvolle soziale Bindungen untergräbt und wischenmenschliche Beziehungen auf instrumentelle Kalkulation reduziert (Zelizer 2007: 1061). Zelizer möchte also zeigen, dass Geld erstens die Gesellschaft nicht zwingend korrumpiert, und dass zweitens monetäre Beziehungen umgekehrt offen sind, ja geprägt werden durch die ihnen zugrunde liegende soziale Infrastruktur. Diese Ausführungen lassen bereits einen Kritikpunkt an Zelizers Ansatz erahnen, nämlich dass dieser die strukturellen Zwänge und Anforderungen moderner Geldordnungen vernachlässige (vgl. Kraemer/Nessel 2015b: 20f). Zelizers Fokus auf die Herausbildung alternativer Geldformen auf der Mikroebene geht zunächst damit einher, dass sie das globale Geldsystem und die Problematik von Geld als »fiktiver Ware« (Polanyi 2001, vgl. Kapitel 4) sowie Verdinglichungs-, Entfremdungs- und Fetischisierungskritiken am Geld nicht oder kaum betrachtet (Steiner 2009a: 101). Auch scheint sie die Problematik der Kommodifizierung immer weiterer Lebensbereiche, mit Verweis auf partielle Mechanismen der kulturellen Einhegung, zu vernachlässigen. Es bleibt der Vorwurf, dass Zelizer die Möglichkeit der kulturellen Domestizierung der versachlichenden, rationalisierenden, vermarktlichenden Wirkung von Geld überschätzt. Monetarisierungs- und Finanzialisierungsprozesse und ihre Wirkungen, die mit ihnen hervorgebrachten neuerlichen Wertungen, was – und was nicht – mit Geld gekauft werden können sollte (Sandel 2012, Satz 2010), geraten kaum in den Blick.2
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Eine gewisse Verharmlosung von Geld und Märkten in Zelizers Ansatz mag als Folge der mit ihrem Fokus auf den Austausch einhergehenden Vernachlässigung der Produktionssphäre zusammenhängen, so Costas Lapavitsas (2003: 127). Für Lapavitsas ist es kein Zufall, dass Zelizer in ihren Arbeiten zu Märkten etwa Versicherungsmärkte betrachtet, da
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Zelizer wehrt sich gegen solche Kritik (2000, 2010, 2012) und insistiert auf den prinzipiell offenen Charakter der Beziehung zwischen Geld und Kultur. »[M]oney is neither culturally neutral nor socially anonymous. It may well ›corrupt‹ values and convert social ties into numbers, but values and social relations reciprocally transmute money by investing it with meaning and social patterns« (Zelizer 1994: 18). Diese These ist offenkundig weitaus schwächer als eine unterstellte Immunität der außerökonomischen sozialen Sphären vor dem Einfluss des Geldes. Denn Zelizer behauptet hier stattdessen, dass von einer Wechselwirkung (statt nur von einem einseitigen Einfluss des Geldes auf Werte und soziale Beziehungen) auszugehen ist. Geld bedeutet nicht immer und überall das Gleiche, und es wirkt auch nicht stets gleich auf geldvermittelte Beziehungen. Denn Geld wird nicht nur wörtlich etwa durch Zentralbanken geprägt, sondern es wird darüber hinaus - nun im übertragenen Sinne - durch soziale Kontexte geprägt. Dadurch lässt sich nicht von dem einen Geld, sondern von Geldern sprechen, in die es durch die jeweiligen Verwendungskontexte aufgespalten wird. Spezifische Gelder erfüllen für Zelizer, auch wenn sie identisch denominiert sind, spezielle Zwecke. Hier ist die Nähe zum Konzept des Spezialzweckgeldes nach Polanyi (1968) zu erkennen, auch wenn dieser es für vormoderne Geldformen geprägt hat. Ihr Forschungsprogramm zu Geld beschreibt Zelizer zu Beginn in der Tat wie folgt: »My general theoretical purpose, then, is to apply the concept of special money to the modern world and examine in what ways culture and social structure mark modern money by introducing controls, restrictions, and distinctions that are as influential as the rationing of primitive money.« (Zelizer 1989: 350) Sie greift demnach Polanyis Unterscheidung zwischen Allzweckgeld und Spezialzweckgeld auf, weist allerdings die damit einhergehende Zuordnung zu vormodernen und modernen Geldformen zurück (Zelizer 1994: 21-24). Dabei nimmt sie Bezug auf Simiand (2015), der die außerökonomische, soziale Basis von Geld auch in der Moderne betont (Zelizer 1989: 350). Geld ist für Simiand grundlegend eine »relative, da soziale Realität« (Simiand 2015: 118). Im Gegensatz zu vielen vormodernen Geldformen wie Muschelgeldern oder Steinen sind moderne Spezialzweckgelder für Zelizer nicht als gesonderte Objekte erkennbar. Eine solche sichtbare Vervielfachung des Geldes muss Zelizer zunächst außer Acht lassen, weil sie ja gerade die Heterogenität des vermeintlich homogenen herkömmlichen Geldes aufzeigen will. Die Boundaries der hierin enthaltenen zu unterscheidenden Gelder sind unsichtbar und basieren auf formellen auf diesen seiner Auffassung nach kein Wert produziert wird. Die Analyse solcher speziellen Märkte ermöglicht es Zelizer seiner Ansicht nach erst, den Einfluss kultureller Faktoren systematisch zu überschätzen und die Bedeutung ökonomischer Strukturen, insbesondere die Produktionsverhältnisse, auf die Preisbildung zu unterschätzen. Zu den grundlegend gegensätzlichen Auffassungen von Märkten und Geld siehe auch die Debatte zwischen Fine und Lapavitsas (2000), Zelizer (2000) und Ingham (2001).
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und informellen Regeln, welche ihre Verwendung, Allokation, Quellen und Mengen regulieren (Zelizer 1989: 350f).3 Solche Boundaries lassen uns Gehälter, Entschädigungen, Schmiergeldzahlungen, Tribute, Spenden, Trinkgelder, Bonuszahlungen usw. voneinander unterscheiden. Natürlich ließe sich hier einwenden, dass es sich nicht um unterschiedliche Gelder, sondern um Geld in unterschiedlichen Verwendungen handelt. Wir sind ja auch in der Lage, die Verwendung unseres monatlichen Einkommens in Mietzahlung, Sozialversicherungsbeitrag, Rundfunkgebühr etc. zu unterscheiden, ohne dabei die Existenz unterschiedlicher Gelder vorauszusetzen. Zelizer meint auch nicht lediglich die Unterscheidung von Verwendungsformen, sondern die Reservierung oder Prägung (verstanden als soziale Praxis) bestimmter Beträge durch die verwendende Person oder Andere, die diese Beträge nicht mehr universell einsetzbar erscheinen lassen. Auf diesen Sachverhalt komme ich im weiteren Verlauf zurück, zunächst erörtere ich aber die von Zelizer vorgeschlagene Betrachtung modernen Geldes als gleichzeitig von Prozessen der Homogenisierung und Differenzierung betroffen, welche dem Aufkommen moderner spezieller Gelder zugrunde liegt.
3.2 HOMOGENISIERUNG UND DIFFERENZIERUNG Eine Kernthese Zelizers ist, dass Homogenisierung und Differenzierung von Geld zusammenhängen, also zwei Seiten derselben Medaille sind. Hinsichtlich der Homogenisierung von Geld sind zwei Dimensionen zu unterscheiden (Dodd 2014: 287). Die erste Dimension bezieht sich auf die Unterstellung der (ausschließlichen) Homogenisierung des Geldes durch das Aufkommen nationalstaatlicher Währungen unter Kontrolle von Zentralbanken, im Falle des Euros sogar eines suprastaatlichen universellen Geldes. Hier meint Homogenisierung die Herausbildung einer einheitlichen Geldform. Die zweite Dimension rekurriert auf die Beobachtung der homogenisierenden Wirkung von Geld auf das soziale Leben (Simmel etwa spricht von Geld als Formzerstörer (1989: 360) oder als Nivellierer (Simmel 1995b: 121f). In der Regel (vgl. 2.2) wird dieser Einfluss als versachlichend, Rationalität und Kalkulation hervorbringend und echte persönliche Beziehungen unterminierend gesehen. Zelizer wendet sich gegen beide Annahmen. Sie zeigt erstens auf, dass die Homogenisierung von Geld in Form der Verstaatlichung der Währung nicht einfach zu 3
Dies kann allerdings genauso auf die klassischen Spezialzweckgelder zutreffen, die Polanyi beschreibt. Schließlich geht es auch Polanyi nicht um die Objekte an sich, zumal seiner Ansicht nach Geld in jeglichen Objekten Gestalt annehmen kann. Auch die Einschränkungen der Verwendungsweisen, die Polanyi (1968) nennt, basieren auf formellen und informellen Regeln. Vielmehr scheint ein Unterschied zu sein, dass Zelizer die Formung auf der Mikroebene betrachtet, ein und dasselbe Geld also ausdifferenziert wird.
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ihrer Einheitlichkeit geführt hat, sondern von Differenzierungstendenzen begleitet wurde und wird. Zweitens wird Geld in diesen Differenzierungsprozessen kulturell und sozial von innen geprägt. Wird diese soziale und kulturelle Prägung anerkannt, lässt sich das Postulat eines einseitigen, kontextunabhängigen Einflusses auf die Gesellschaft nicht mehr aufrechterhalten. Geld ist für sie daher als dual anzusehen, da es immer sowohl auf der Makroperspektive einheitlich erscheint als auch auf der Mikroebene ausdifferenziert wird: »All moneys are actually dual; they serve both general and local circuits. Indeed, this duality applies to all economic transactions. Seen from the top, economic transactions connect with broad national symbolic meanings and institutions. Seen from the bottom, however, economic transactions are highly differentiated, personalized, and local, meaningful to particular relations. No contradiction therefore exists between uniformity and diversity: They are simply two different aspects of the same transaction.« (Zelizer 2007: 1065)
Genau an dem Zusammenspiel von Homogenisierung auf der Makroebene und Differenzierung auf der Mikroebene setzt Zelizer an. Zunächst zeigt sie mit historischen Arbeiten, wie die Homogenisierung in Form nationalstaatlicher Gelder erreicht wurde – und dass gleichzeitig Differenzierungsprozesse auftraten (Zelizer 1989, 1994). Gegenwärtig wird Geld oft intuitiv mit nationalstaatlicher oder, im Falle des Euros, suprastaatlich instanziierter Währung gleichgesetzt. Wir sind es jedenfalls gewohnt, dass in einem Land eine Währung zirkuliert (von denjenigen Fällen abgesehen, in denen eine ausländische Währung zusätzlich oder an Stelle der nationalen Währung zirkuliert). Diese Situation ist aber, historisch gesehen, eine Ausnahme. Erst im 19. Jahrhundert kam es zur Herausbildung einheitlicher staatlicher Währungen (Helleiner 2003).4 Diese Vereinheitlichung des Geldes hängt in der Tat eng mit der Herausbildung von Nationalstaaten zusammen. Eine nationale Währung dient als wichtiges Symbol der Integration einer jeden nationalstaatlichen, imaginierten Gemeinschaft (Anderson 1991).5 Außerdem schafft diese Form des Geldes mitunter die Möglichkeit der Ausweitung der staatlichen Zahlungsfähigkeit. In den Vereinigten Staaten wurde das Geld insbesondere in der Periode zwischen dem Bürgerkrieg (von 1861 bis 1865) und dem Ersten Weltkrieg vereinheitlicht. Geprägt wurde die Debatte
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Eng zusammen mit nationalstaatlichem Geld hängt die Kontrollübergabe an Zentralbanken, welchen die Aufsicht über die Pyramide verschiedener Geldmittel zukommt (zur Herausbildung des dualen Bankensystems vgl. Ingham 2004: 127-131).
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Anderson, der den Begriff in der Nationalismusforschung geprägt hat, nennt eine Gemeinschaft imaginiert, wenn ihre Mitglieder »will never know most of their fellow-members, meet them or even hear of them, yet in the mind of each lives the image of their communion« (1991: 6).
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beispielsweise von der Frage, ob die Greenbacks, also von der Regierung herausgegebenes Papiergeld, als echtes Geld anzusehen sei oder ob dieser Begriff für auf Gold oder Silber basierende Metallwährungen zu reservieren sei. Staatliche Akteure mussten die neue, einheitliche Währung erst durchsetzen und das vorherrschende Nebeneinander von verschiedenen, von Privatbanken herausgegebenen Geldern ablösen. Dazu waren erhebliche Anstrengungen nötig. Dem Pluralismus wurde durch Verbote begegnet, um sicherzustellen, dass ausschließlich ein einheitliches gesetzliches Zahlungsmittel zirkulierte. Die Vereinheitlichung begann mit dem Gold Standard Act von 1900 (Zelizer 1994: 13-18). Zelizer betrachtet nun Formen des Widerstands gegen diese Art der Homogenisierung. Persönliche Nachrichten auf Geldscheinen sind ein Beispiel Zelizers für die Vielfalt an Techniken, mit denen der Einheitlichkeit des Dollar begegnet wurde. Dadurch wird Geld personalisiert und seine Fungibilität eingeschränkt, etwa durch die Zuweisung zu einer bestimmten Haushaltskasse (ebd.). Zelizer nennt verschiedene Konvertierungsformen des gesetzlichen Zahlungsmittels, mit denen dieses in unterschiedliche Kategorien fällt. Ich komme später auf die Frage zurück, ob diese Charakterisierung der Differenzierung als Herausbildung verschiedener Gelder gerechtfertigt ist. Zelizer wendet sich, wie gesagt, aber nicht nur gegen die Vorstellung der Homogenisierung des Geldes, sondern auch gegen die Vorstellung, Geld habe eine homogenisierende Wirkung, Geld führe automatisch zu Versachlichung und Quantifizierung der durch es vermittelten Beziehungen. »Money has not become the free, neutral, and dangerous destroyer of social relations. As the world becomes more complex, some things do, of course, standardize and globalize; but as long-distance connections proliferate, for individuals everywhere life and its choices become more, rather than less, intricate.« (Zelizer 1994: 215f)
An Stelle einer Vereinheitlichung sieht man mit Zelizer vielmehr eine Komplexitätszunahme, Verschachtelungen und Verworrenheit. Diese manifestieren sich in der angedeuteten kulturellen Praxis des Markierens, welches ich im nächsten Abschnitt beschreibe. Durch Markieren differenziert sich Geld in viele Spezialgelder (Special Monies). An das Zelizers Ansatz zugrundeliegende Verständnis von Geld richtet sich fundamentale Kritik. Dieses Verständnis bleibt, so die Kritik von Fine und Lapavitsas, ahistorisch und a-sozial, zumal sie keine Definition von Geld erarbeite, sondern schlicht ein breites Spektrum geldartiger Formen betrachte (Fine/Lapavitsas 2000: 375f). Für Ingham handelt es sich bei den von Zelizer identifizierten speziellen Geldern nicht um Gelder, da sie weder die Tauschmittelfunktion erfüllen, noch eigenständige Träger abstrakten Wertes sind. Denn die herausgebildeten speziellen Gelder sind zumindest immer noch auf den allgemeinen Wertmaßstab angewiesen, sie fungieren zumindest nicht vollkommen losgelöst davon. »Indeed, the social earmarking
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of money for specific purposes – that Zelizer so carefully documents – could not occur unless uniform money existed« (Ingham 2001: 313).6 Ingham wirft Zelizer eine kategoriale Verwechslung vor, da sie nicht systematisch zwischen »money« einerseits und »money-stuff« andererseits unterscheide, und erst dadurch hochdifferenzierte Tauschmedien, d.h. bestimmte Geldobjekte, als echtes Geld ansehen könne. Diese mögen allenfalls als »money-stuff« fungieren, nicht aber als Referenzen eines abstrakten Wertmaßstabs. Im Gegenteil sind sie angewiesen auf eine monetäre Maßeinheit, die eben im vom Staat als Steuerzahlungsmittel anerkannten Geld besteht.7 Aus dieser Perspektive sind die Zelizerschen Gelder »Parasiten« des echten Geldes (Peacock 2013: 172), da sie eben nicht eigenständig ein Wertmaß hervorzubringen in der Lage sind. Für die vorliegende Untersuchung ist es von nur geringer Bedeutung, inwieweit es sich bei der Herausbildung der Spezialgelder durch Differenzierung eines homogenen Geldes tatsächlich um eigenständige, vollständige Geldformen handelt. Es ist daher nicht notwendig, die Frage zu beantworten, ob es Zelizer tatsächlich gelingt, die Herausbildung verschiedener Gelder aus den heterogenen Verwendungsweisen herkömmlichen staatlichen Geldes abzuleiten. Allein die differenzierten Verwendungsweisen von Geld sind hinreichender Grund, genau diese Forumung »von unten« zu betrachten. Hinzu kommt, dass Regiogeld ohnehin eine stärker eigenständige Geldform darstellt, insofern seine Fungibilität objektiv durch die spezifische Organisationsform deutlich eingeschränkt ist. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass ein Voralbergstaler oder ein Brixton Pound nicht identisch mit einem Schweizer Franken oder einem Britischen Pfund sind. Man mag bezweifeln, dass es sich bei beiden »Währungen« um Geld im Vollsinne handelt, nicht aber, dass sie etwas anderes als das nationalstaatliche Geld darstellen – ebensowenig, dass sie innerhalb ihrer Reichweite als Geld verwendet werden. Grundsätzlich scheint Zelizer sich unzureichend für das Verhältnis der ausdifferenzierten, von ihr als eigenständige Geldformen bezeichneten Tauschmittel, zum 6
Es ist unklar, inwieweit dies als berechtigter Vorwurf zu verstehen ist. Denn die Gleichzeitigkeit von Homogenisierung und Differenzierung betont Zelizer ja ebenfalls. Dass es Differenzierung erst mit homogenem Geld gibt, sieht Zelizer ja genauso.
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Hier sind allerdings Einwände gegen Inghams neo-chartalistsichen Geldbegriff zu nennen. Denn Ingham begreift den monetären Maßstab als maßgebliche Geldform, so dass er letztlich aufgrund einer theoretischen Vorabfestlegung nicht auf spezielle Gelder eingehen kann, die sich innerhalb eines Geldsystem bewegen, in welchem sie nicht selbst als Wertmaßstab fungieren. Die Ingham-Dodd-Debatte (Ingham 2006, 2007, Dodd 2005, 2007) dreht sich zu einem großen Teil um genau die Frage, wie die verschiedenen jüngeren monetären Formen zu bewerten sind. Ingham spricht zurecht an, dass die unterschiedlichen theoretischen Positionen der beiden auch damit zusammenhängen, wie sie aktuelle, nichtstaatliche Gelder oder Geldsubstitute einschätzen (2007: 268f).
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gesetzlichen Zahlungsmittel und zum Geldsystem insgesamt zu interessieren. Bryan und Rafferty (2007: 150) formulieren daher eine weitere Kritik an Zelizers Ansatz. Sie betrachten die globale Ebene und dabei besonders Derivate als spezifische Formen der Vermittlung zwischen diversifizierten Geldern. Aus dieser Sicht zeigt sich, dass die Gegenüberstellung von Homogenisierung und Differenzierung verschleiert, dass bestimmte Geldformen eine Verbindung zu anderen herstellen. Zwar mögen verschiedene Gelder innerhalb verschiedener sozialer und kultureller Kontexte unterschiedliche Rollen spielen, aber einige Geldformen (konkret Derivate) setzen die unterschiedlichen Gelder ja gerade in Beziehung und betonen damit ihre gemeinsamen Eigenschaften. Während Zelizer also die Gleichzeitigkeit von Homogenisierung und Differenzierung ausruft, zeigen Bryan und Rafferty am Beispiel der Derivate, dass sich die Differenzierung innerhalb eines Rahmens vollzieht, in welchem die einzelnen Geldformen nicht nur in einem monetär bemessenen Verhältnis zueinander stehen, sondern in welchem erst einzelne spezielle Geldformen die Beziehungen untereinander herstellen. Gleichwohl kann es spezielle Gelder geben, die auch durch derivate Geldformen nicht integriert werden. Lokale Tauschringe etwa, sofern sie keine Konvertibilität oder Bindung an staatliches Geld aufweisen, sind Beispiele solcher Gelder außerhalb des Systems (ebd.: 156, Fn 23).8 Die Überlegungen von Bryan und Rafferty sind insofern für die Analyse von Komplementärwährungen wichtig, als sie das Verhältnis differenzierter Geldformen zueinander betrachten. Aus Zelizers Perspektive stellt sich die Frage nach den Verbindungen in Form der spezifischen Art und Weise, wie Boundaries innerhalb und außerhalb der Gruppen von Nutzer*innen der Spezialgelder aufgebaut, bestärkt und eingerissen werden. Denn auch sie erkennt an, dass die Differenzierung mit Homogenisierung zusammenhängt; aus ihrer Sicht sind sie spiegelbildlich miteinander verbunden. Ein zentraler Punkt, dies gilt es noch einmal festzuhalten, ist nicht, dass ein und dasselbe Geld einfach von Individuen unterschiedlich verwendet wird. Zelizer setzt, wie gezeigt, grundlegender an: die mit der Geldverwendung einhergehenden sozialen und kulturellen Praktiken sind selbst konstitutiv für jedes Geld, nicht unabhängig davon. Ein Verständnis von Geld, das dieses reduktionistisch als bloße zweckrationales Tauschmittel auf Märkten ansieht, greift zu kurz und verfehlt seine relationale Grundlage in unterschiedlichen sozialen Kontexten, die in allen Gesellschaften durch reichhaltige
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Auf dieses Verhältnis und die Frage der Boundaries zwischen Tauschringen und herkömmlichen Geld komme ich später (Kapitel 7) zurück. Die von mir untersuchten Regiogelder unterscheiden sich von den von Bryan und Rafferty genannten Tauschringen gerade dadurch, dass sie von den Nutzer*innen selbst ins Geldsystem integrieren, indem etwa Zahlungen teilweise in der Komplementärwährung sowie dem gesetzlichen Zahlungsmittel getätigt werden.
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und differenzierte Normen verwirklicht ist. Damit ist die Ausweitung der Geldwirtschaft nicht automatisch mit einer Ausweitung von Märkten gleichzusetzen, weil Geld nicht bloßes Marktinstrument ist.
3.3 FORMEN DES MARKIERENS VON GELD Die geschilderten Differenzierungstendenzen und damit die Pluralisierung von Geld macht Zelizer anhand des vormerkenden Markierens (Earmarking) fest. Das Verständnis von Markieren als Mittel der Diversifizierung einer Währung zeigt, wie deren Fungibilität durch Praktiken eingeschränkt wird, durch welche die Währung mit spezifischen Bedeutungen aufgeladen wird. Markieren ist bei Zelizer ein Begriff, der deutlich machen soll, wie Währungen durch die Nutzer*innen eingeteilt werden, dass es also nicht einfach einen großen Geldkreislauf gibt, sondern dass die Funktionsweise von Geld als Zirkulationsmittel von Waren »von unten« geformt und in multiple Kreisläufe aufgespalten wird. Das Konzept des Markierens von Zelizer ist theoretisch nicht ganz leicht zu fassen, obwohl sie sich auf eine Reihe von vergleichsweise alltäglichen Phänomenen bezieht. Ihre übergeordnete Beobachtung ist dabei jeweils, dass die Art der sozialen Beziehung und der spezifischen Transaktion einen Unterschied etwa in Bezug auf den Umgang mit Geld ausmachen. So können beispielsweise regelmäßige Gehaltszahlungen und Trinkgelder, Geldgeschenke usw. auf bestimmte Verwendungen beschränkt sein. Durch diese Vorsehung von Geldbeträgen, die sich mitunter über deren jeweilige Herkunft nachvollziehen lässt, wird Geld sozial markiert. Obwohl jede Dollarnote womöglich austauschbar gegen jede andere ist, gilt damit gleichwohl nicht, dass jeder Dollar dasselbe unterschiedslose Vorkommnis von Geld darstellt. Die Bedeutung und der mögliche Verwendungsrahmen eines spezifischen Geldbetrags qua Vermögensmacht einer Person hängen von ihrer sozialen Umwelt ab, die Einfluss darauf nimmt, wofür ein Betrag ausgegeben werden kann. Markierung ähnelt der Bilanzierung oder Buchführung (Zelizer 1989: 350), und weist damit Bezüge zur in den Behavioral Economics behandelten Mentalen Buchführung auf. Zelizer setzt sich insbesondere mit Richard Thalers Überlegungen zur mentalen Buchführung (mental Accounting) auseinander. Dieser Begriff meint, dass Individuen nachhalten, wofür sie ihr Geld verwenden und damit ihre Ausgaben unter Kontrolle zu halten suchen (Thaler 1999: 184). Thaler geht es darum, nachzuvollziehen, wie Individuen ihr Geld einteilen und bestimmten Verwendungszwecken zuordnen, sowie um die kognitiven Operationen, mit denen sie ihre finanziellen Aktivitäten organisieren, bewerten und nachhalten (ebd.: 183). So können beispielswiese die für Mietzahlungen, Konsum, Freizeit, Urlaub sowie Güter des täglichen Bedarfs benötigten Summen in einer Art und Weise dergestalt mental separiert werden, dass
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Konsum- und Sparentscheidungen hierdurch beeinflusst sind (Zelizer 2012: 158f). Auch aus verhaltensökonomischer Sicht muss mentale Buchführung nicht rational im Sinne der ökonomischen Theorie verstanden werden. Thaler selbst weist einerseits auf die Effizienz mentaler Buchführung hin, welche »evolved to economize on time and thinking costs and also to deal with self-control problems« (Thaler 1999: 202). Andererseits sieht er »no useful purpose in worrying about whether or not mental accounting is ›rational‹« (ebd.).9 Thalers gewissermaßen vorhandene Skepsis der Rationalität des Mental Accountings übergehen Zelizer (2012: 159) und im Anschluss Dodd (2014: 290f), die seine Erklärung für die Existenz mentaler Buchführung als rationalistisch und effizienzbasiert ansehen, womit kulturelle Erklärungen missachtet bliebem. Markierung von Geld im Sinne Zelizers geschieht demgegenüber nicht allein auf individueller Ebene oder gemäß individueller Präferenzen. Von Mauss Konzeption von Geld als einer sozialen Tatsache ausgehend, beschreibt Zelizer Markierung als einen sozialen Prozess, durch welchen verschiedenartige soziale Bindungen an Geld geknüpft werden (Zelizer 1994: 25). Ihre Perspektive ist somit weniger auf das Individuum als vielmehr auf Relationen in Gruppen sowie die sozialen Beziehungen zwischen Personen und gerade die in diesen Beziehungen geübten Praktiken gerichtet. »[G]iving meaning to fungible money and reducing its generality both involve differentiation. And the most significant differentiations are applied and recognized socially, not individually.« (Carruthers 2010: 60) Relevant sind also soziale Praktiken, weniger individuelle Einstellungen. Wenn Zelizer diesen Unterschied nicht einbeziehen würde, ließe sich leicht einwenden, dass es ihr um die Verwendungsweise von Geld geht, nicht aber um seine Differenzierung durch soziale Prägung. In den bisherigen Ausführungen bleibt Zelizers Konzeption auf eine Analyse einer singulären Währung beschränkt, welche durch Markierung diversifiziert wird. Damit lässt sich zeigen, wie ein scheinbar homogenes Geld differenziert wird, nicht aber das Aufkommen pluraler Formen von Geld erklären, also eigenständige Geldformen, die nicht in offiziellen Währungen denominiert sind (dies bemängelt Dodd 2005: 401). In der Tat untersucht Zelizer gerade in ihren früheren Arbeiten in erster Linie, wie scheinbar homogenes Geld durch soziokulturelle Praktiken der Markierung dehomogenisiert wird. Später (2011, bereits Zelizer/Tilly 2006) legt sie ihren Fokus demgegenüber auf die Schaffung neuer Geldformen als spezifische Form oder 9
Levav und McGraw etwa erörtern Mentales Buchführen mit Blick auf affektive Aufladung und sprechen daher von Emotional Accounting, durch welches Geld auf der Basis der evozierten Gefühle kategorisiert wird (2009: 67). Die Zuordnung zu bestimmten Verwendungszwecken mag also rational oder affektiv bedingt sein. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dasss mentale Buchführung in den verschiedenen Konzeptionen eine kognitive Praxis auf individueller Ebene bleibt. Soziale Beziehungen treten, wenn überhaupt, als Kontextvariablen auf.
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Technik der Markierung von Geld.10 Es ist offensichtlich gerade diese letztere theoretische Stoßrichtung der Diversifizierung von Geld, die für die vorliegende Untersuchung von Bedeutung ist. Gleichwohl verwendet Zelizer in beiden Fällen das gleiche Vokabular. Zelizer differenziert zwischen drei Techniken des Markierens. Zu diesen Techniken zählt Zelizer erstens solche sozialen Praktiken, mit denen ansonsten gleiche Geldmedien anhand ihrer Herkunft und Verwendungen in unterschiedliche Kategorien eingeteilt werden. Zu klassischen Beispielen zählt die Zuweisung spezifischen Einkommens zum Haushaltsgeld. Grundsätzlich fällt aber jede sozial-kulturelle Einteilung von Geld in spezifische Kategorien, die etwa nach der Art der Verwendung, dem Zeitpunkt der Verwendung oder des Erhalts, vor allem aber nach der Art der sozialen Beziehung gebildet werden. Damit kann ein und dasselbe Geld differenziert werden in Geschenke, Spenden oder Lohnzahlungen: »Depending on how it is used, when, and most importantly for what type of social relation, the same physically indistinguishable medium (e.g., dollar or a euro) can serve as a wage, a bonus, a tip, a gift, an allowance, charity, or a remittance. Each calls for a different set of routines representing its character« (Zelizer 2007: 1062). Diese Differenzierung kann beispielsweise entlang religiöser, geschlechts- oder altersspezifischer Kriterien vorgenommen werden. Eine zweite Technik ist die Transformation ausgewählter Objekte zu monetären Medien. Zelizer nennt Zigaretten, Baseballkarten oder Poker Chips als solche Beispiele (ebd.). Neben diesen beiden Formen nennt Zelizer drittens auch die Herausbildung eigenständiger Formen, »tokens, coupons, scrip, chits, food stamps, affinity credit cards, local currencies, money orders, vouchers, or gift certificates« (ebd.), welche für eingeschränkte Zwecke in spezifischen Beziehungen verwendet werden können und häufig einen eingeschränkten Geltungsbereich aufweisen. Sie fasst also explizit etwa das Aufkommen von Gutschein- und Paybacksystemen genau wie lokale Währungen als Technik des Markierens (Zelizer 2007: 1062). Die Schaffung von Komplementärwährungen sieht Zelizer somit als Form der Markierung an, also als Form der sozialen und kulturellen Prägung von Geld. Die Verwendung desselben Begriffes für erstens die durch Verwendungspraktiken von Geld und zweitens durch Schaffung eines eigenständigen Mediums erfolgte Enthomogenisierung mag verwirren. Aus Zelizers Sicht handelt es sich aber um drei Formen des Markierens, welche Geld in viele, spezielle Gelder differenzieren. Zelizer vermutet eine sich stetig erweiternde Ausdifferenzierung durch neue Techniken des Markierens, gerade wenn Geld einen weiter zunehmenden Raum im sozialen Leben einnehmen wird: 10 Gleichwohl nimmt Zelizer diesen Fokus auch in den frühen Arbeiten vorweg, beispielsweise wenn sie gift certificates als eigenständige neue Währung nennt, welche es vereinfachten, Geldgeschenke zu machen bzw. Geld als Gabe zu geben (Zelizer 1994: 108f). Dennoch lässt sich ein Wandel oder eine Weiterentwicklung in Zelizers Schriften hin zu eigenständigen pluralen Geldformen erkennen.
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»Earmarking currencies is one of the ways in which people make sense of their complicated and sometimes chaotic social ties, bringing different meanings to their varied exchanges. That is why we can expect new forms of earmarking to multiply with social change. To the extent that money does become more prominent in social life, people will segregate, differentiate, label, decorate and personalize it to meet their complex social needs.« (Zelizer 1994: 215f)
Grundsätzlich lässt sich der Einwand erheben, dass Zelizer mit ihrem ersten Begriff von Markierung (der Differenzierung einer scheinbar homogenen Geldform) die Universalität und Fungibilität homogenen Geldes tatsächlich fundamental unterschätzt. Die Fungibilität des Geldes äußert sich schließlich nicht darin, dass Geld für jede Person in jeder Begebenheit vollkommen frei verwendbar ist, sondern darin, dass nach einer Übertragung die Markierung verwirkt sein kann. Haushaltsgeld mag für bestimmte Lebensmittel aufgewendet werden, aber die Verkäufer*in dieser Lebensmittel kann es, dank seiner Fungibilität, eben für alles Mögliche einsetzen. Sie ist nicht an das Markieren gebunden. Pecunia non olet, heißt es bekanntlich. Auch sieht man es Geld (meist) nicht an, ob es markiert und aufgeladen ist. Es ist immer offen, ob die Geldhalter*in es für die innerhalb eines Beziehungsgeflechts akzeptablen Dinge verwendet, oder ob sie etwas völlig anderes damit macht und seine Fungibilität nutzt und es als absolutes, nicht eingeschränktes Mittel verwendet. Mit Markierungen verbundene normative Erwartungen können eben enttäuscht werden, wenn soziale Normen kein Mittel der Durchsetzung finden. Und dieses Schwinden an Durchsetzbarkeit in modernen Wirtschaften ist gerade ein Punkt, in dem Simmel eine freiheitsfördernde Wirkung des eigenschaftslosen Geldes unterstellt. Markieren ist also umkehrbar. Wenn Markierungen zur Differenzierung von scheinbar homogenem Geld führt, dann besteht in einer Ent-Differenzierung, also dem Wiedergewinn an Homogenität, das Gegenstück des Entmarkierung11. Daher lässt sich danach fragen, unter welchen Bedingungen Markieren stabil ist, und unter welchen Umständen es zu dem gegenteiligen Prozess kommt, den man Entmarkierung nennen kann. Es geht dann darum, zu ergründen, unter welchen Bedingungen und wie innerhalb der Mitglieder eines Kreislaufes die kollektiven Bedeutungszuschreibungen erodieren oder zumindest nicht als konkrete Handlungsanleitung verstanden werden. Zelizer selbst sieht hier wichtige Ansätze: »Earmarking practices are obviously reversible. But are they erasable? We need to explore when and how established forms of monetary earmarking reverse or break down […]« (Zelizer 2012: 161). Zwar gibt sie an, dass sich Markierungsstrategien hinsichtlich ihrer Langwährigkeit oder der moralischen Aufladung unterscheiden, aber sie bearbeitet die Zurücknahme oder Begrenzung von Markierungen kaum. Entmarkieren kann besonders in kritischen Phasen relevant werden, 11 Ich übersetze Dis-Earmarking mit Entmarkierung, da demarkieren (abgrenzen) eine gänzlich andere Bedeutung hat; schließlich geht es beim Entmarkieren ja um die Zurücknahme von Abgrenzungen.
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wenn etwa ursprüngliche Verwendungszuschreibungen (beispielsweise für einen gemeinsamen Urlaub) durchbrochen werden müssen (um notwendige Haushaltsausgaben zu tätigen). Grundsätzlich wird das Entmarkieren von Zelizer nur unzureichend thematisiert, überhaupt ist es in der Forschung unterbelichtet (Steiner 2009a: 100).12 Dies gilt nicht nur für die erste, schwache Form des Markierens (der Beschränkung und kulturelle Aufladung einer bestimmten Währung), sondern auch für Markierungen im Sinne der Herausbildung eigenständiger Geldformen. Denn deren Akzeptanz ist ja nicht extern gegeben, sondern Ergebnis der Beziehungen und kollektiven Deutungszuschreibungen, welche immer auch nivellierbar sind. Zelizers Ansatz wird meist auf der Mikroebene angewendet, in historischen oder ethnographischen Studien zum Umgang von spezifischen Personengruppen mit Geld. Das Konzept im Sinne einer Einschränkung der Fungibilität von Geld lässt sich prinzipiell aber auch auf andere Felder ausdehnen. So lässt es sich etwa auf die Budgetierung in privaten oder öffentlichen Organisationen beziehen, bei denen Geld nach Einnahmen oder Verwendungszwecken markiert wird. So können neue Einnahmen für spezielle Ausgabenzwecke vorgesehen oder bestimmte Steuereinnahmen spezifischen Ausgaben zugeschrieben werden. Die Bildung von Kategorien, die ein Budget in verschiedene Bereiche einteilt, macht Geld weniger fungibel, da Geld in einer Kategorie nicht austauschbar mit Geld einer anderen Kategorie ist (Carruthers 2010: 63). Geldzuweisungen in Organisationen können formaler oder informeller Art sein und extern vorgegeben oder intern ausgehandelt werden. So geben viele Spender*innen bei Wohltätigkeitsorganisationen spezifische Verwendungszwecke an, was im Rahmen dieses Ansatzes Markierung von Geld darstellt. Wie geschildert, ist das Markieren nicht an einzelne Personen, Haushalte oder kleine soziale Gruppen gebunden (hierzu Carruthers 2010: 63). Zelizer verortet ihren Ansatz innerhalb einer relationalen Soziologie (worauf ich im nächsten Abschnitt zu sprechen komme). Sie spricht von kommerziellen Kreisläufen (2004, 2005), womit sie begrifflich fassen will, dass Markieren innerhalb spezifischer Gruppen stattfindet, deren Mitglieder eben durch besondere Relationen miteinander verbunden sind. Diese beiden Prozesse sind unterscheidbar, hängen aber zusammen. Relationales Markieren verweist darauf, dass die Differenzierung von Geld eben nicht einfach affektiv oder kognitiv auf individueller Ebene stattfindet, sondern dass sie durch Interaktionen mit Anderen und der Einteilung sozialer Beziehungen und ihrer Bedeutungen vorangetrieben wird (Zelizer 2012: 159). Für Zelizer sind soziale Beziehungen eben nicht nur Kontextbedingungen, sondern Konstituenten monetärer Differenzierung. Relationales Markieren betrifft auch Wertvorstellungen und Normen, wie bestimmte Gelder ausgegeben werden sollten. Für die Analyse der Regiogelder ist die Relationalität und die soziale Reproduktion von Geldmarkierungen in Zelizers Sinne ein 12 Callon (1998: 35-37) allerdings diskutiert ähnliche Fragen begrifflich unter dem Gegensatzpaar Entanglement und Disentanglement von Geld.
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wichtiger Aspekt. Denn entscheidende Ebene der Analyse ist nicht das Individuum, sondern die soziale Grupppe der Regiogeldnutzer*innen, innerhalb derer Relationen die jeweilige spezifische Markierung reproduziert wird. Im nächsten Schritt gehe ich genauer auf diese Relationalität in Zelizers Ansatz ein.
3.4 KOMMERZIELLE KREISLÄUFE Bisher habe ich, ausgehend von Zelizers Grundvorstellung vom Verhältnis zwischen Wirtschaft und Kultur, erläutert, wie sie eine Differenzierung eines scheinbar homogenen Geldes durch Markieren in multiple Gelder erkennt. Eine erste Weiterentwicklung des Erkenntnisinteresses Zelizers kam dabei bereits zur Sprache: zunächst betrachtet sie die Ausdifferenzierung von Geld durch Nutzungspraktiken, dann stärker die Herausbildung eigenständiger Währungen. Nun komme ich zu einem zweiten Aspekt, den Zelizer in jüngeren Schriften sehr stark betont, und der in den früheren Arbeiten zwar angelegt, nicht aber ausgearbeitet ist. Es handelt sich bei diesem Schritt um eine Systematisierung im Rahmen einer explizit relationalen Soziologie. Damit möchte Zelizer schärfer begrifflich fassen, dass Markierungen von Geld soziale Prozesse sind. Nicht Individuen oder Strukturen, sondern die Beziehungen von Individuen innerhalb von Strukturen stehen im Zentrum dieser Perspektive. Relationale Soziologie geht nach Häußling »weder von einzelnen Akteuren und deren Wünschen, Bedürfnissen und Entscheidungskalkülen aus, noch von normativ unterlegten Strukturen bzw. Erwartungen oder gegebenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, sondern vielmehr von relationalen Mustern, sprich: von Beziehungen, Beziehungsgefügen, Netzwerkstrukturen und Dynamiken« (Häußling 2010: 63).13
Das Relationale betont Zelizer mit dem Begriff der kommerziellen Kreisläufe (circuits of commerce). Kommerziell rekurriert dabei nicht auf ›profitwirtschaftlich‹, sondern auf klassische Konnotationen wie »conversation, interchange, intercourse, and mutual shaping« (Zelizer 2011a: 315). Zelizer geht nun nicht einfach von sozialen Beziehungen aus, sondern möchte spezifisch den auch ökonomischen Charakter der kommerziellen Kreisläufe fassen und begrifflich verdeutlichen, dass diese sozialen Relationen nicht einfach von den Individuen, sondern auch den Medien geprägt werden, derer sich die Individuen bedienen. Sie verwendet hierfür das Konzept von 13 Damit verweist er auf das Potenzial oder die Erwartung, dass relationale Soziologie eine Brücke zwischen holistischen und individualistischen Theorieansätzen zu schlagen in der Lage ist. Dies ist ein Kernproblem auch innerhalb der Wirtschaftssoziologie. Die anderen beiden in dieser Arbeit diskutierten Ansätze, von Polanyi (Kapitel 4) und Mauss (Kapitel 5) versuchen letztlich, ebenfalls Lösungen für dieses Problem zu bieten.
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Relational Work, welches sie in Purchase of Intimacy (2005: 28) einführt. Hier sind die Elemente des Relationalen sowie der Arbeit bedeutungstragend. Sozialen Relationen mit ihren spezifischen Medien sind stets durch Prozesse geformt: »[P]eople engage in the process of differentiating meaningful social relations.« (Zelizer 2012: 146) Damit verdeutlicht sie den Fokus ihrer Analyse, der weniger auf der Frage liegt, wie existierende soziale Bindungen wirtschaftliches Handeln beeinflussen, sondern mehr auf der Frage, wie diese Bindungen überhaupt erst konstituiert sind. Den Begriffsteil Arbeit nutzt sie, um zu betonen, dass solche bedeutungsvollen Relationen sowie Medien produziert und in konkreten Zusammenkünften von Akteur*innen in wirtschaftlichen Transaktionen manifestiert werden (Zelizer 2012: 164). Relational Work untersucht ökonomische Phänomene als Bildung und Aushandlung von Beziehungen/Relationen und der damit verbundenen Konstruktion von Bedeutung. Für die Wirtschaftssoziologie hält Zelizer den konsequenten Schritt hin zur Untersuchung der Relational Work für elementar: »To move forward, therefore, economic sociology must become even more transgressive by focusing on the meaningful and dynamic interpersonal transactions that make up all forms of economic activity. In this alternative view, negotiated interpersonal transactions, not the individual, become the starting point for social processes. […] A relational work approach […] posits that in all areas of economic life people are creating, maintaining, symbolizing, and transforming meaningful social relations. […] The goal, therefore, is to study variability and change in those social relations.« (Zelizer 2012: 149)
Der Begriff Arbeit macht in Bezug auf die Untersuchung der Differenzierung von Geld deutlich, dass die Herausbildung und Aufrechterhaltung von Zahlungsmitteln innerhalb spezifischer Relationen mit aufeinander bezogenen Tätigkeiten von Personen und organisationalen Akteuren verbunden ist. Zelizer möchte den analytischen Schritt hin zu einer Perspektive der Relationalen Arbeit nutzen, um zu zeigen, wie konkret die relationalen sozialen Praktiken Geld formen und umgekehrt, wie die Beziehungen durch die Verwendung einer spezifischen Geldform geprägt werden.14 Die Nuancierung betont den Aufwand, die Energie und die Erwartungen, welche Beteiligte in die sozialen Beziehungen stecken. Beispielsweise rückt dann in den Blickpunkt, wie in einer Paarbeziehung eine Entscheidung für ein gemeinsames Konto oder eine gemeinsame Kreditkarte wirkt und welche Veränderungen damit einhergehen. Konkret auf die Analyse von Geld und Währungen bezogen, geht Zelizers Ausformulierung der Relationalen Arbeit mit einer Präzisierung derjenigen Technik des 14 Dieser Begriff der Relational Work bleibt somit weit gefasst. Ob der Begriff einen Mehrwert gegenüber relationaler Soziologie darstellt, bleibt daher fraglich. Nina Bandelj (2015) versucht eine Verteidigung des Work Begriffes.
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Markierens einher, welche sich auf die Herausbildung eigenständiger, meist lokaler Währungen bezieht. Der Begriff des Markierens ist, wie gezeigt, schließlich sehr breit und schließt die Schaffung alternativer Geldformen ebenso ein wie die Differenzierung eines scheinbar einheitlichen Geldmediums. Zelizer versucht mit dem Konzept der kommerziellen Kreisläufe deutlicher zu machen, dass die Praktiken innerhalb der Gruppen der Nutzer*innen, die eben einen solchen Kreislauf bilden, im Zentrum der Analyse stehen. Solche Praktiken werden durch relationale Arbeit geschaffen, geformt und verändert, genau wie die den Kreisläufen zugrunde liegenden Normen und Wertvorstellungen. Diese bestimmen die Geldverwendung, werden ihrerseits aber auch kontinuierlich geformt, bestätigt und verändert durch Beziehungen zu anderen (Zelizer 2012:161). Auch moralische Erwartungen und die Konstruktion moralisch aufgeladener Beziehungsgeflechte durch Differenzierung anhand der kreierten Medien, lassen sich somit als Ergebnis von relationaler Arbeit in kommerziellen Kreisläufen sehen (Fourcade/Healy 2007: 301). Zelizer nennt vier Elemente, die ein solcher Kreislauf beinhaltet (2011b: 315). Hierzu gehören erstens eine klar definierte Begrenzung (»well-defined boundary«) (ebd.) und eine gewisse Kontrolle über Transaktionen, die diese Grenzen überbrücken. Mitglieder und Nichtmitglieder des Kreislaufes können also voneinander abgegrenzt werden. Die Grenzen können intendiert oder nicht intendiert sein. Mit den Grenzen verweist das Konzept darauf, dass Geldverwendung in konkreten sozioökonomischen Räumen stattfindet. Zweitens werden innerhalb der Kreisläufe spezifische Güter und Dienstleistungen transferiert (oder zumindest auf Güter und Dienstleistungen bezogene Forderungen). Drittens werden in einem Kreislauf eigene Medien für die Durchführung dieser Transfers genutzt. Viertens teilen die Mitglieder Bedeutungszuschreibungen in Bezug auf ihre Beziehungen und die getätigten Transaktionen. In der Kombination dieser vier Elemente sieht Zelizer eine institutionelle Struktur, die Vertrauen, Reziprozität und Kreditbeziehungen der Mitglieder untereinander genauso wie die Exklusion und Abgrenzungen nach Außen bestimmt. Sie wendet das Konzept konkret auf lokale Währungen an (Zelizer 2011b: 318-327, Zelizer/Tilly 2006: 3-7). Insbesondere lässt sich verdeutlichen, wie die Mitglieder interne und externe Transaktionen voneinander abgrenzen, ihnen besondere Bedeutungen zuschreiben, aber auch flexibel zwischen Innen- und Außenbeziehungen wechseln, je nach ihren spezifischen Erfordernissen. Ein eigenständiges Medium lässt sich als definierendes Charakteristikum einer jeden Komplementärwährung sehen. In der Auseinandersetzung mit Regiogeldern komme ich auf diese Darlegung eines Kreislaufes, insbesondere der Ziehung von Grenzen, zurück. Das Konzept der Kreisläufe nimmt primär eine emische Perspektive ein, d.h. die analytische Rekonstruktion basiert zunächst auf den empirisch vorfindbaren Zuschreibungen und Wahrnehmungen der Teilnehmer*innen. Es wendet also erstens konsequent die kultursoziologisch geprägte Perspektive der Markierungen von Geld an und führt diesen Ansatz zweitens weiter, indem systematisch der Blick auf das
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Netzwerk und die Relationen der Beteiligten gelenkt wird.15 An den Ausführungen lässt sich erkennen, dass Zelizer mit den Circuits of Commerce in erster Linie auf die face-to-face-Beziehungen zwischen Personen abzielt. Organisationen haben kaum einen Platz in diesen Kreisläufen, zumindest werden sie nicht selbstständig betrachtet. Dabei vertreten innerhalb der kommerziellen Kreisläufe viele Individuen Organisationen und handeln für sie oder als ihre Akteur*innen. Daher schlägt Steiner (2013) vor, Organisationen und ihre Rolle bei der Formung wirtschaftlicher Beziehungen in das Konzept der Circuits of Commerce einzubeziehen und es für unpersönliche Beziehungen zu öffnen. Davon abgesehen scheinen Organisationen die in den Kreisläufen stattfindenden Aushandlungsprozesse auch komplexer und schwieriger werden zu lassen (Steiner 2013: 330f). Schließlich sind Handlungsmöglichkeiten derjenigen, die eine Organisation repräsentieren, durch organisationale Regeln und spezifische Codes begrenzt.16 Auf die Bedeutung von Organisationen innerhalb der Kreisläufe komme ich in meiner Auseinandersetzung mit Regiogeld zurück. An dieser Stelle bleibt festzuhalten, dass aus Zelizers Sicht Komplementärwährungen, Regiogelder wie Tauschringe und andere Formen, aber etwa auch die aus der Mikrofinanzierung bekannten rotierende Spar- und Kreditrunden eigenständige kommerzielle Kreisläufe darstellen. Die Abgrenzungen solcher Kreisläufe verweisen auf die Frage der Reichweite von Geld oder der Finanzierungsinstrumente, also unter anderem danach, wer und welche Beziehungen zum Kreislauf gehören, und wer bzw. welche nicht. Kreisläufe sind weniger geschlossen, weniger homogen als dichte soziale Gruppen oder kleine Gemeinschaften.17 Auch können Fragen der Hierarchie und der 15 Insofern erscheint die Perspektive der Kreisläufe besser geeignet als andere netzwerktheoretische Konzeptionen von Geldsystemen. Dodd (1994: xxiv) etwa entwirft monetäre Netzwerke anhand von fünf Eigenschaften (Wertmesseung, Zukunftserwartungen, räumliche Reichweite, Regulierung sowie Wissen und Erwartungen bezüglich der anderen Nutzer*innen), die er aber stärker auf Basis einer Perspektive von außen entwirft. Gleichwohl gesteht er bereits in dieser frühen Arbeit der Teilnehmer*innenperspektive eine entscheidende Bedeutung zu, wenn er eben Erwartungen als Dimensionen der monetären Netzwerke fasst. Dodd wendet sich gegen materialistische Auffassungen von Geld, die auf die Geld repräsentierende Gegenstände fokussiert sind und in der Zurückweisung solcher Theorien des Geldes als Ding (auch Dodd 2014) ist sicherlich auch sein vergleichsweise schnelles Übergehen der Geldmedien zu sehen. Zelizers Kreislaufkonzept hingegen räumt den Medien einen eigenen Stellenwert ein. 16 Verschiedene Untersuchungen, die an Zelizers Arbeiten zu Relational Work und zu Circuits of Commerce ansetzen, betrachten hingegen die Rolle von Organisationen und/oder von unpersönlichen Beziehungen, so Lainer-Vos (2013) zu philanthropischen Gaben (vgl. Bandelj 2015). 17 Daher kann Vertrauen eine größere Bedeutung haben als bei herkömmlichen Geld. Denn wenn die Boundaries eines Circuits nicht strikt abgeriegelt sind, ist der Ausstieg, die Exit-
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Machtverhältnisse, grundlegend der wirtschaftlichen Strukturen, aufgeworfen werden, welche Zelizer selbst eher vernachlässigt (Steiner 2009a; Fine/Lapavitsas 2000), wenn sie dies selbst auch abstreitet und ihr Forschungsprogramm als dritten Weg zwischen kulturalistischen und sozialstrukturalistischen Ansätzen ansieht (Zelizer 2012). Aus den vorangegangenen Überlegungen in diesem Kapitel mit dem Vergleich grundsätzlicher Perspektiven auf Geld lassen sich verschiedene Ansätze der Konzeption eines Pluralismus von Geldformen herausstellen. Sie zeigen insbesondere, wie zwei verschiedene Konzeptionen der Vielfalt von Geld voneinander abgrenzbar sind. Die eine bezweifelt die Homogenität von Geld und wird von Zelizers Konzeption des Markierens im Sinne der auf soziokulturelle Praktiken zurückzuführenden Differenzierung scheinbar homogener Gelder treffend wiedergegeben. Wie gezeigt, ist Zelizers Beitrag wichtig, um den Blick auf die kulturellen Praktiken der Geldverwendung und die damit einhergehenden Differenzierungsprozesse innerhalb von (oft kleinen) spezifischen Gemeinschaften der Geldnutzer*innen zu richten. Diese Form des Markierens bezieht sich zwar auf das Ein- und Abgrenzen von Geld, aber bei jeder Transaktion kann prinzipiell eine Umwandlung erfolgen in dem Sinne, dass Markierungen ihre Bedeutung verlieren oder missachtet werden. Haushaltsgeld kann etwa nach dem Erwerb von Haushaltsgütern von der neuen Geldbesitzer*in völlig anders betrachtet, eingehegt und mental geformt werden. Die andere Vorstellung von geldlicher Vielfalt bezieht sich nicht auf die soziale und kulturelle Differenzierung einer Geldform, sondern auf die Produktion formal unabhängiger Geldformen. Diese Vorstellung ist stärker in dem Sinne, dass erst zu spezifizierende Äquivalenzsysteme die verschiedenen Geldformen in Beziehung setzen und möglicherweise Konvertibilität ermöglichen. Bei der Auswertung der Regiogelder werde ich auf diesen Aspekt zurückkommen, der das spezifische Verhältnis einer komplementären Währung zum sie umgebenen Geldsystem betrifft. Zelizer liefert mit den kommerziellen Kreisläufen und der relationalen Arbeit auch einen Beitrag zu dieser zweiten Vorstellung von Geldpluralismus, in welchem sie ebenfalls »von unten« auf die Verwendungspraktiken und die Formung der Verwendungspraktiken durch die Nutzer*innen genau wie den Einfluss der Medien selbst auf die Verwendungspraktiken achtet. In den innerhalb solcher Zirkel stattfindenden Austauschbeziehungen können spezifische Geldmedien geformt oder genutzt werden, und die Art dieser Medien macht einen Unterschied. Option, einfacher zu realisieren als bei der Verwendung eines gesetzlichen Zahlungsmittels. So hält Kraemer (2015) die Annahme, Geldgebrauch basiere grundlegend auf Vertrauen, für zu pauschal. Schließlich stehen oftmals keine Alternativen zur Geldverwendung zur Verfügung, und damit wird aus der Frage nach Vertrauen die Frage nach Zwang und Alternativlosigkeit. Denn um Vertrauen zu platzieren muss die Möglichkeit, kein Vertrauen zu platzieren, zumindest prinzipiell gegeben sein.
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Als grundlegende Schlussfolgerung dieses Kapitels kann festgehalten werden, dass Geld auch (nicht: nur) durch Verwendungsweisen geformt wird und dass Geld nicht immer eine versachlichende, entpersonalisierende, oder homogenisierende Wirkung auf soziale Verhältnisse hat. Das bedeutet auch, wie die kommenden Kapitel zeigen werden, dass Transaktionen innerhalb der Kreisläufe nicht auf Markttausch oder Gabentausch reduziert werden können. Die hier von Zelizer aufgenommene Einsicht, dass Geld immer auch sozial geformt ist, öffnet grundlegend Möglichkeiten seiner Re-Imagination und Neugestaltung mittels einer anderen, spezifischen Formung (Dodd 2014, Kap. 8). Nicht die Abschaffung von Geld, sondern die Schaffung sozial erwünschter Formen von Geld und seiner Steuerung werden dann zum Ziel monetärer Reformen durch zivilgesellschaftliche Akteure. Anderes, besseres Geld kann auf nationaler, supranationaler oder lokal-regionaler Ebene sowie in einer Kombination verschiedener Gelder auf den unterschiedlichen Ebenen zu einem pluralen System konzipiert werden (Degens 2013). Es gilt, darüber hinaus die spezifischere These auszuarbeiten, dass Geld nicht immer mit dem Markttausch verbunden sein muss. Bevor wir uns also den Konzeptionen und Typen von Komplementärwährungen, gilt es, verschiedene Tauschformen zu diskutieren. Im nächsten Schritt erörtere ich daher ausführlich Konzepte des Tausches jenseits des Marktes, damit in der empirischen Untersuchung gezeigt werden kann, welche Tauschformen mit Regiogeld verbunden sind.
Tausch und Geld jenseits des Marktes
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Karl Polanyi und die Einbettung von Wirtschaft
Nachdem die Homogenität des Geldes in der Marktgesellschaft unter Rückgriff auf Viviana Zelizers Konzepte des Markierens und der kommerziellen Kreisläufe kultursoziologisch hinterfragt wurde, greife ich in diesem und dem nächsten Kapitel mit Karl Polanyi und Marcel Mauss zwei Autoren auf, die sich dezidiert mit Tauschprozessen jenseits des Marktes befassen. Wesentlich sollen die Ideen der gesellschaftlichen Einbettung wirtschaftlichen Handelns und der Distributionsmechanismen der Reziprozität und Redistribution sowie die Gabe und der Gabentausch diskutiert werden, um sie für die Analyse komplementärer Währungen fruchtbar zu machen. Die von Mauss und Polanyi vorgelegten alternativen Beschreibungen wirtschaftlicher Beziehungen einerseits und der Rolle von Geld andererseits bieten eine theoretische Grundlage für die Einordnung der maßgeblichen, mit Komplementärwährungen verbundenen Ideale und Ziele, sowie für die spezifische Verwendung von Regiogeld. An dieser Stelle kann es selbstverständlich nicht um eine vollständige Rekonstruktion der Ansätze geschweige denn ihrer theoretischen Rezeption und Weiterentwicklungen gehen. Vielmehr sollen solche zentralen Aspekte identifiziert und diskutiert werden, die mit Blick auf die theoretische Einordnung von Regiogeldern herangezogen werden können. In diesem Abschnitt rekonstruiere und diskutiere ich daher Polanyis Konzeption der Einbettung von Wirtschaft (Kapitel 4), wozu ich zunächst seine grundlegende Unterscheidung zwischen einem formalen und einem substantiven (sachlichen) Begriff des Wirtschaftlichen darlege und dann die drei von ihm identifizierten wirtschaftlichen Integrationsmodi der Reziprozität, Redistribution und des Markttausches erörtere, ehe ich die Debatte um Einbettung und Entbettung von Wirtschaft sowie die Idee der Doppelbewegung diskutiere. Polanyi zeigt in diesen Überlegungen die Grenzen und Gefahren der Absonderung einer marktförmig organisierten wirtschaftlichen Sphäre von gesellschaftlichen Normen und Bindungen auf. Anschließend befasst sich Kapitel 5 mit dem Begriff der Gabe, insbesondere in der Arbeit von Marcel Mauss. Wie sich zeigen wird, sind beide Theorieentwürfe hilfreich in der begrifflichen Einordnung der Prinzipien und Ziele von Regiogeldern.
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Karl Polanyi legt in einer Reihe von verwandten Arbeiten einen wirkmächtigen Angriff auf die Universalität von Märkten und des »Economic Man« vor. Explizit kritisiert er die mit Adam Smith aufkommenden Versuche einer anthropologischen Fundierung der modernen Wirtschaft. In seinen historischen Studien zeigt Polanyi, dass es die angebliche »propensity in human nature […] to truck, barter and exchange«, die Smith (1976: 25) als Grundlage der arbeitsteiligen Marktgesellschaft angesehen hat, in der oftmals unterstellten Einfachheit nie gegeben hat.1 Wirtschaftliche Zusammenhänge können nicht über das Wechselspiel nutzenmaximierender Individuen adäquat beschrieben werden, sondern sind eingebettet in ökonomische und nichtökonomische handlungsleitende Institutionen. In gewisser Hinsicht weist Polanyis Ansatz Parallelen zu dem Viviana Zelizers auf, da er die Untrennbarkeit der verschiedenen gesellschaftlichen Sphären betont. Bei Polanyi findet sich jedoch eine umfassende und grundlegende Kritik am Markt, die Zelizer fremd ist. Während Zelizer gesellschaftliche Effekte der Vermarktlichung zu unterschätzen scheint (Leyshon 1997: 382f) und stets auf die kulturelle Formung von Märkten rekurriert, unterscheidet Polanyi grundlegend zwischen eingebetteten und entbetteten Märkten, wobei er in der Entbettung eine Gefahr für die Gesellschaft sieht. Polanyis Kritik lässt sich aufspalten in eine Kritik an der ökonomischen Markttheorie und eine Kritik am Markt als Mechanismus der Steuerung von Wirtschaft. Die neoklassische, liberale Modelltheorie generalisiert erstens unzulässigerweise den ihr zugrundeliegenden Begriff ökonomischer Motivation und Koordination und verkennt zweitens, dass Märkte sozialer Grundlagen bedürfen, die sie selbst zu zerstören tendieren. Märkte können, sich selbst überlassen, Gesellschaft zerstören. Daher fordert Polanyi nicht nur die theoretische Reflexion der substantiellen gesellschaftlichen Bedingtheit von Märkten, sondern auch die politische Einbettung und Steuerung von Märkten. Polanyi stellt der orthodoxen ökonomischen Theorie und ihrer Vorstellung des Wirtschaftlichen einen empirischen Wirtschaftsbegriff zur Seite, welchen er für eine fundierte Analyse wirtschaftlicher Prozesse für unumgänglich hält und auf der seine Konzepte der Einbettung und Doppelbewegung aufbauen. Im Folgenden erörtere ich zunächst diese Gegenüberstellung der formalen und der substantiven Bedeutung des Wirtschaftlichen (4.1) und, darauf aufbauend, drei wirtschaftliche Integrationsmodi
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Polanyi bezeichnet diese Neigung als apokryph (Polanyi 1947: 112). Einen jüngeren Beitrag zur Zurückweisung dieser Vorstellung einer natürlichen Neigung zum Tauschen und Feilschen liefert Graeber (2011: 95f), der einen »primitive communism« als anthropologische Grundannahme postuliert. Polanyi weist Vorstellungen einer »communist psychology of the savage« allerdings ebenso zurück wie die Vorstellung individueller Nutzenmaximierer*innen (Polanyi 1947: 112). Ob die Reduktion Adam Smiths auf den entscheidenden Stichwortgeber einer dem Markt zugehörigen Anthropologie in Anbetracht seiner Schriften zur Moralphilosophie berechtigt ist, kann an dieser Stelle nicht erörtert werden.
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der Reziprozität, der Redistribution und des Markttausches (4.2). Diese sind wesentlich für Polanyis Konzeption der Einbettung von Wirtschaft, welche ich in Abgrenzung zum herkömmlichen wirtschaftssoziologischen Einbettungsbegriff Granovetterscher Prägung im darauffolgenden Schritt diskutiere (4.3). Hier spanne ich mit Blick auf Polanyis Schriften auch die Debatte um Einbettung, Entbettung und Doppelbewegung eines sich ausbreitenden Marktsystems und der zum Selbstschutz der Gesellschaft notwendigen Gegenbewegung auf. Dabei arbeite ich eine spezifische Lesart heraus, die Ähnlichkeiten (und nicht divergierende Bewertungen von Märkten) in Zelizers und Polanyis Positionen betont. Abschließend diskutiere ich die Möglichkeit zivilgesellschaftlich getragener Gegenbewegungen auf lokaler Ebene (4.4).
4.1 SUBSTANTIVE UND FORMALE BEDEUTUNG DES WIRTSCHAFTLICHEN Karl Polanyi liefert eine fundamentale Unterscheidung hinsichtlich des Begriffs des Wirtschaftlichen (etwa in Polanyi 1957a: 243-250; 1977a), indem er zwei Bedeutungen voneinander abgrenzt: die substantive (sachlich-materielle)2 und die formale Bedeutung. Mit dieser Unterscheidung greift er den Universalitätsanspruch der Wirtschaftstheorie an, indem er dem formallogischen Begriff einen empirisch basierten gegenüberstellt. Diese substantive Bedeutung erfasst die Abhängigkeit des Menschen von Natur und Mitmenschen bei der Sicherstellung des Lebensunterhalts. Sie bezieht sich also auf die Wechselwirkung des Menschen mit seiner natürlichen und sozialen Umgebung hinsichtlich der Versorgung mit den zur materiellen Bedürfnisbefriedigung notwendigen Mitteln (1957a: 243). Ausgangslage der substantiven Bedeutung ist »the elemental fact that human beings, like all other living things, cannot exist for any length of time without a physical environment that sustains them« (1977a: 19). Die formale Bedeutung hingegen bezieht sich auf den in den Wirtschaftswissenschaften vorherrschenden Begriff und leitet sich vom logischen Charakter von ZweckMittel-Beziehungen ab. Sie bezieht sich auf Situationen, in denen Akteure unter Knappheitsbedingungen rationale Wahlentscheidungen treffen. Das Knappheitspostulat bedeutet sowohl, dass Mittel nicht unbeschränkt zur Verfügung stehen, als auch dass Entscheidungen der Akteur*innen von der beschränkten Verfügbarkeit von Mitteln zur Zielerreichung abhängen (Polanyi 1957a: 246). Der Unterschied beider Konzeptionen liegt also nicht darin, dass ausschließlich die substantive Bedeutung die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der Natur zur Kenntnis nimmt. Vielmehr 2
Ich nutze den Begriff »substantiv«, wie er in der ethnologischen Literatur überwiegend verwendet wird (Rössler 1999), und nicht »sachlich«, wie er beispielsweise in der deutschen Ausgabe des Aufsatzes »The Two Meanings of Economic« (Polanyi 1977a) im Sammelband »Ökonomie und Gesellschaft« zu finden ist (Polanyi 1979).
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liegt der unterschiedliche Ausgangspunkt darin, dass einerseits Empirie, andererseits Modelle für die Beschreibung wirtschaftlichen Handelns und wirtschaftlicher Relationen herangezogen werden. Polanyi (1957b) argumentiert, dass in der Ideengeschichte seit Aristoteles beide Bedeutungen bekannt waren und sich erst um 1900 eine Reduktion auf einen zweckrationalen Wirtschaftsbegriff vollzog, mit dem wirtschaftliches Handeln primär als zweckrational begriffen wird (Weber 1985: 31). Mit Carl Menger und der marginalistischen Revolution weitete sich in den (Wirtschafts-)Wissenschaften der formale Begriff zu der Bedeutung von Wirtschaft schlechthin aus, während die traditionelle, scheinbar veraltete Bedeutung der materiellen Aneignung nach und nach ins Vergessen geriet (Polanyi 1977a: 24).3 Eine Beschränkung des Konzeptes der Wirtschaft auf den formalen Begriff geht mit der Vorstellung universell gültiger ökonomischer Gesetze einher, welche in jeder Gesellschaft wirken. Die Generalisierung dieses spezifischen Wirtschaftsbegriffes als natürlich und spontan ist für Polanyi ein wirtschaftstheoretischer Fehlschluss, eine »economist fallacy« (1977b). Dieser Fehlschluss besteht darin, Wirtschaften nicht als kontextgebunden zu begreifen, sondern es als anthropologisch bestimmt zu imaginieren. Annahmen moderner ökonomischer Modelltheorie treffen aber nicht auf alle Gesellschaften und alle Wirtschaftssysteme zu. »The market mechanism moreover created the delusion of economic determinism as 3
Carl Mengers Grundsätze der Volkswirtschaftslehre von 1871 liefern eine frühe umfassende Formulierung der Vorstellung, dass Gegenstand der Ökonomik die effiziente Allokation knapper Ressourcen sei. Polanyi (1977a: 22-24, 1971: 18f) weist darauf hin, dass Menger in der zweiten, posthum erschienenen Auflage von 1923 diese Prinzipien als ausschließlich für moderne Verkehrswirtschaften geltend formuliert hat, nicht aber in Bezug auf von ihm als zurückgeblieben, unzivilisiert oder unentwickelt bezeichnete Wirtschaftsformen bzw. Gesellschaften (Cangiani 2006). Bei William Stanley Jevons, einem weiteren frühen Marginalisten, finden sich präzise Formulierungen der Naturalisierung rationaler Nutzenmaximierung sowie des formalen Begriffs des Ökonomischen, also dessen, was Polanyi kritisiert: »its [the science of Economics] ultimate laws are known to us immediately by intuition« (Jevons 1957 [1879]: 18); »the object of Economics is to maximise hapiness by purchasing pleasure, as it were, at the lowest cost of pain« (ebd.: 23); »to maximize pleasure, is the problem of Economics« (ebd.: 37, Herv. i. O.); »In the science of Economics we treat men not as they ought to be, but as they are« (ebd.: 38). In der Deutschen Historischen Schule finden sich beide Bedeutungen, wie etwa Werner Sombarts Überlegungen zur Wirtschaftsgesinnung zeigen. Er spezifiziert den Kapitalismus als erwerbswirtschaftlich (statt dem Bedarfsdeckungsbegriff folgend), rationalistisch (statt traditionalistisch) und individualistisch-konkurrenzbasiert (statt solidarisch). Diese Gegenüberstellung, die Verkehrswirtschaften von Bedarfsdeckungswirtschaften unterscheidet (Sombart 1927: 18), lässt sich als Folie zum Gegensatzpaar formal/substantiv nutzen (Sparsam 2015: 96, Fn 138, zu diesem Gegensatz bei Max Weber).
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a general law for all human society« (Polanyi 1947: 114).4 Eine vergleichende Analyse führt in die Irre, wenn sie von solchen Modellannahmen ausgeht, anstatt zunächst empirisch reale Wirtschaftssphären zu analysieren. Der herkömmliche, modelltheoretische Ansatz mit seinem formalen Begriff des Wirtschaftlichen basiert auf Logik und Deduktion und hat spezifisch für abgegrenzte Systeme preisbildender Märkte Geltung. Demgegenüber ist ein empirischer, auf Fakten basierender Begriff des Wirtschaftlichen für Polanyi notwendigerweise substantivistisch: »It is our proposition that only the substantive meaning of ›economic‹ is capable of yielding the concepts that are required by the social sciences for an investigation of all the empirical economies of the past and present.« (Polanyi 1957a: 244) Aus der Abgrenzung des substantiven Wirtschaftsbegriffes lassen sich also zwei Kritiken ablesen: einerseits ist ein formaler Begriff des Wirtschaftlichen kein geeigneter Ausgangspunkt der Beschreibung traditionalen Wirtschaftens, andererseits ist er auch nur bedingt als Grundlage einer Theorie der modernen kapitalistischen Marktwirtschaft geeignet. Schließlich, und das ist ein zentraler Punkt Polanyis, liegt historisch eine Vielzahl an Institutionalisierungen der Wirtschaft jenseits des Marktsystems vor, in welche Lebensweisen eingebettet sind (ebd.: 245). In seinem einflussreichen Aufsatz The Economy as Instituted Process (1957a) erläutert Polanyi den substantivistischen Wirtschaftsbegriff und wendet ihn auf Handel, Geld und Markt an. Ökonomie definiert er als »an instituted process of interaction between man and his environment, which results in a continuous supply of want satisfying material means« (ebd.: 248). In diesem Ansatz bildet also materielle Bedürfnisbefriedigung – ähnlich wie in der klassischen Ökonomik – den Ausgangspunkt, nicht aber die Unterstellung von eigeninteressierter Zweckrationalität oder der methodologische Individualismus. Stattdessen sind für Polanyi reichhaltige Beziehungen, konkret die Interaktionen zwischen Menschen und ihrer (sozialen und natürlichen) Umgebung zentral. Das bedeutet insbesondere, dass wirtschaftliche Zusammenhänge nicht ohne den Rekurs auf gesellschaftliche Normen und politische Ordnungsmuster jenseits der Sicherung persönlicher Freiheit und des Privateigentums begriffen werden können. Für Polanyi ist Wirtschaft ein von diesen Einflüssen bestimmter Prozess. Dieser dynamische Begriff verweist auch auf eine räumliche Komponente, da Wirtschaften aus Transferleistungen zwischen Menschen und Orten besteht. Schematisch lassen sich die substantive und die formale Bedeutung der Ökonomie wie folgt darstellen:
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Weiter schreibt Polanyi: »Under a market-economy, of course, this law holds good« (Polanyi 1947:114). Hier grenzt er also die moderne Marktwirtschaft von anderen Formen des Wirtschaftlichen ab. Auf Widersprüchlichkeiten in seiner Position und die Frage, inwieweit sich eine solche kategorische Abgrenzung aufrecht erhalten lässt, komme ich in 4.3 zu sprechen.
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Tab. 1: Formaler und substantiver Begriff des Wirtschaftlichen
Annahmen über die menschliche Natur Ebene der ökonomischen Analyse Motivation im Wirtschaftsleben Objekt der Analyse des Ökonomischen
Formaler Begriff Homo Oeconomicus
Substantiver Begriff Homo Socius
Individuum und rationale Wahl Nutzenmaximierung unter Knappheitsbedingungen Markttausch und Marktgesetze
Gemeinschaft/Gesellschaft (über-individuell) Beschaffung der materiellen Mittel zur Bedürfnisbefriedigung Lebensgrundlage (Livelihood), empirische Wirtschaftsformen
Quelle: Darstellung in Anlehnung an Gemici (2008: 22)
Polanyis Unterteilung der beiden Begriffe dient dem Ziel, Grundzüge einer vergleichenden Ökonomik zu entwerfen, die den ökonomistischen Fehlschluss vermeidet und den Wandel der Wirtschaft in menschlicher Gesellschaft (»changing of the economy in human society«) nachzuzeichnen in der Lage ist (Dale 2010: 114). Während die formalistische Perspektive mit dem methodologischen Individualismus und einem theoretischen Fokus auf Rational Choice vereinbar ist, lenkt die substantivistische Perspektive den Blick auf die Institutionen, innerhalb derer Individuen und Gruppen überhaupt Wahlmöglichkeiten wahrnehmen können.5 Der Wandel moderner Wirtschaftsformen und der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ökonomisch-
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Auf Polanyis Gegenüberstellung formaler und substantiver Bedeutungen der Ökonomie fußte innerhalb der Wirtschaftsethnologie die Debatte zwischen Formalist*innen und Substantivist*innen über die Frage, inwieweit die neoklassische Wirtschaftstheorie geeignet ist, jede Form wirtschaftlichen Verhaltens zu analysieren oder auch nur zu beschreiben (Isaac 2005, Rössler 1999: 27-32-92). Dieser in den späten 1950er und 1960er Jahren auf seinem Höhepunkt befindliche Streit hat selbst erst zur Herausbildung der ökonomischen Anthropologie als Subdisziplin der Ethnologie beigetragen (Seiser 2009: 160). Hann/Hart (2011: 55) sprechen hier vom goldenen Zeitalter der Wirtschaftsanthropologie, welche in den folgenden Jahrzehnten dann durch neomarxistische Ansätze sowie in den 1980ern durch die kulturwissenschaftliche Wende geprägt wurden (Rössler 1999). Formalist*innen fassen formale mikroökonomische Theorie als kulturungebunden und somit prinzipiell kulturübergreifend anwendbar auf. Schneider (1974: 9) sieht in dieser fundamentalen Einsicht die große Gemeinsamkeit der verschiedenen formalistischen Ansätze. Seiser (2009: 159)
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en Handelns lässt den formalen Begriff von Wirtschaft zunehmend adäquat erscheinen, dennoch ist er nicht zu universalisieren. Die Fragen der Adäquanz des formalen Wirtschaftsbegriffs für die Moderne und des substantiven für vormoderne und nichtwestliche Gesellschaften wird in der Literatur seit Jahrzehnten intensiv diskutiert (wie auch die Frage, welche Position diesbezüglich in Polanyi hineinzulesen sei; vgl. Block/Somers 2014). Die Substantivismus-Formalismus-Debatte in der Wirtschaftsethnologie lässt sich jedenfalls, wie skizziert, auch als Auseinandersetzung mit dem Gegenstandsbereich der Ethnologie fassen. Substantivistische Analysen bezogen sich lange Zeit fast ausschließlich auf nicht-westliche Gesellschaften. Dadurch beschnitten Substantivist*innen die Relevanz der Wirtschaftsanthropologie durch den Ausschluss von »most of the contemporary world from ist purview« (Hann/Hart 2011: 56). Der von Polanyi für vergleichende Analyse von Wirtschaftssystemen als notwendig erachtete substantive Wirtschaftsbegriff wurde in der Wirtschaftsethnologie damit lange Zeit nicht auf die moderne Marktgesellschaft angewendet. In dem in der Debatte wichtigen Artikel zu »Economic Theory and Primitive Society« postuliert George Dalton (1961: 20), dass sich moderne und »primitive« Ökonomien nicht graduell, sondern prinzipiell unterscheiden. Damit reduziert er den Anwendungsbereich substantivistischer Analysen auf vormoderne Gesellschaften oder vormoderner »subsets of peasantries in states« (Dalton 1990: 167) und schließt somit moderne Gesellschaften vom Gegenstandsbereich der Ethnologie aus (Hann/Hart 2011: 70). Dies entspricht, nicht zuletzt aufgrund Daltons Einfluss, zwar einer weit verbreiteten Lesart Polanyis, steht aber in Gegensatz zu dessen Anspruch, einen Analyserahmen zu entwickeln, der überhaupt erst den Vergleich von Wirtschaftsformen erlaubt (vgl. Isaac 2005: 20).Wenn es aber etwa bedeutet, die eigene Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt zu verkaufen, um für den Lebensunterhalt zu sorgen, löst sich die Schärfe der Trennung der beiden Bedeutungen auf (zu dieser Debatte 4.3.3 sowie Steiner 2015: 290). Für die Wirtschaftssoziologie folgt jedenfalls die auch der vorliegenden Studie zugrundeliegende Überlegung, wirtschaftliche Phänomene empirisch-sachlich und nicht formallogisch zu untersuchen. Nicht spezifische wirtschaftliche oder gar marktliche Logiken sind Ausgangspunkt, sondern die empirisch offene Frage, wie gewirtschaftet wird. Polanyi stellt hier dem Markttausch neben dem Prinzip der Haushaltung zwei weitere Modi entgegen, die nun zu diskutieren sind.
setzt den formalistischen Ansatz sogar mit Rational Choice Theorie, den substantivistischen demgegenüber mit Institutionalismus gleich. Damit lässt sie allerdings keinen Raum für Ansätze des Rational Choice Institutionalismus (etwa der Prägung Williamsons 1985 oder Katznelson/Weingast 2005).
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4.2 REZIPROZITÄT, REDISTRIBUTION, MARKT Polanyi identifiziert drei Modi des Tausches oder Formen der Integration in soziale Beziehungen, welche Wirtschaften institutionalisieren: Reziprozität, Redistribution und Markttausch.6 Diese drei Integrationsmodi sind für Polanyi geeignet, unterschiedliche Wirtschaftssysteme zu vergleichen. Sie kommen in jedem Wirtschaftssystem in unterschiedlichen Ausprägungen vor: »As a rule, it is impossible to classify economies according to a single basic pattern, since reciprocity, redistribution, and market exchange are not mutually exclusive, and dominance cannot, as a rule, be claimed for any of them (except again, in case of the market system).« (Polanyi 1971: 20) Dieses Zitat steht exemplarisch für Polanyis Denken der eingebetteten Wirtschaft (vgl. 4.3). Es zeigt einerseits die Notwendigkeit einer dem Gegenstand angemessenen begrifflichen Komplexität in der Erfassung der Formen ökonomischer Integration. Andererseits erfordert die spezielle Stellung des Marktes besondere theoretische Aufmerksamkeit. Im Folgenden erläutere ich diese drei Modi und diskutiere anschließend die Besonderheit des Marktsystems, auf die das Zitat bereits verweist. Die beiden nichtmarktlichen Formen der Reziprozität und Redistribution bezeichnen in langfristige soziale Beziehungen eingebettete Bewegungen horizontaler beziehungsweise vertikaler Art. Reziprozität kennzeichnet Güterbewegungen zwischen in Wechselbeziehungen stehenden Punkten symmetrischer Gruppierungen, Redistribution bezeichnet Bewegungen zu einem Zentrum und aus diesem zurück (Polanyi 1957a: 250). Demgegenüber bezeichnet Polanyi Markttausch als »vice-versa movements […] between hands under a market system« (ebd.). Diese drei Integrationsformen verbindet er unmittelbar mit horizontal-symmetrischen (reziproken), hierarchisch-zentralistischen (redistributiven) sowie marktlichen Institutionalisierungsformen. Sie entsprechen damit drei Typen des Handels (Trade)7 bzw. der Handelsprozesse: Gabenhandel (gift trade), verwalteter Handel (administered trade) und Markthandel (market trade) (Polanyi 1957a: 262f). Reziprozität definiert Polanyi als Bewegungen innerhalb symmetrischer sozialer Beziehungen und nennt Gabentausch als eine Form reziproken Handels (mehr zur Gabe in Kapitel 5). Stuart Plattner sieht Reziprozität dementsprechend als »pattern of exchange through gifts in the context 6
Zur Terminologie der Institutionalisierung sei angemerkt, dass Polanyi die Begriffe der
7
Für Polanyi ist Trade der Oberbegriff für Tauschmodi wie eben Markttausch, Reziprozität
Institution und der sozialen Relation austauschbar verwendet (Dale 2010: 115). oder Redistribution. Unter Trade im substantivistischen Sinn versteht er »relatively peaceful method of acquiring goods which are not available on the spot. It is external to the group […]« (Polanyi 1957a: 257f). Nur aus katallaktischer Sicht kann Handel eingeengt werden auf »the movement of goods on their way through the market« (ebd.: 258). Da sich Polanyis Verwendung von »Trade« als Oberbegriff der Tauschmodi nicht durchgesetzt hat (Rössler 1999: 87f), kann diese Terminologie verwirren.
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of long-term relationships« (Plattner 1989a: 14). Reziprozität wird für Polanyi durch symmetrische Strukturen, bei denen soziale Beziehungen überwiegend auf Verwandtschaft basieren, erleichtert (Polanyi 2001: 51; zur Ausdifferenzierung des Reziprozitätsbegriffs nach Sahlins vgl. 5.4). Unter Redistribution versteht Polanyi Bewegungen zu einem Zentrum und zurück, d.h. Sammeln, Verwahren und Rückverteilen von Gütern und Leistungen. Redistribution findet sich zwar auch bei Jäger- und Sammlergesellschaften, nimmt aber tendenziell mit zunehmender Arbeitsteilung zu. Denn über Redistribution vermögen geographisch getrennte Gruppen von Produzent*innen miteinander verbunden zu bleiben (ebd.). Der asymmetrische, auf Zentralität fußende Charakter der Redistribution zeigt, dass sie als Mechanismus in nicht egalitär strukturierten Gesellschaften bedeutend ist. Voraussetzung für Redistribution ist ein administratives Zentrum, wie es sie auf allen »zivilisatorischen Ebenen« gegeben hat. Polanyi nennt Ägypten, Sumer, Babylon und Peru (1957a: 254). Weil Redistribution auf der Verteilung durch eine zentrale Instanz beruht, ist sie »gleichzeitig auch Befehlswirtschaft« und findet sich etwa in realsozialistischen Systemen als primäre Institutionalisierungsform der Wirtschaft (Mikl-Horke 2008: 71). Allgemein basieren moderne Staaten mit ihren Steuer- und Umverteilungssystemen auf Redistribution. Sozialstaatliche Leistungen lassen sich in dieser Terminologie als redistributive Form der Ressourcenallokation fassen. Mit den Verbindungen Reziprozität-Symmetrie und Redistribution-Zentrizität offenbart sich Polanyis Vorstellung der Verknüpfung von Wirtschaft und Sozialstruktur: Die grundlegenden wirtschaftlichen Mechanismen sind in soziale Strukturen eingebettet.8 Diesen beiden Mechanismen steht der Markttausch gegenüber. Zwar gab
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In The Great Transformation grenzt Polanyi mit der Haushaltung einen weiteren Mechanismus der wirtschaftlichen Integration ab. Haushaltung, verstanden als Produktion zum eigenen Gebrauch, verknüpft er mit dem Muster der Autarkie (Polanyi 2001: 55f). In späteren Arbeiten belässt er es bei der Dreiteilung und nennt Haushaltung nicht mehr als eigenständige Form. Haushaltung lässt sich nämlich in der Triade als spezifische Form der Redistribution sehen (Polanyi 1957a: 254). Chris Gregory verweist darauf, dass das mit autarkem Wirtschaften verbundene Prinzip der Haushaltung für Polanyi im Gegensatz zu Reziprozität, Redistribution und Markttausch kein hochgradig generalisierbares Konzept darstellt, sondern außerordentlich spezifisch in der späten vorkapitalistischen Landwirtschaft vorzufinden ist (Gregory 2009: 157, Polanyi 1979: 256-283 analysiert etwa das Dahomé des 18. Jahrhunderts in der Gegend des heutigen Benin). Die Literatur folgt überwiegend Polanyis späterer Dreiteilung. Mit Blick auf Formen der Informalisierung der Wirtschaft hält Gregory allerdings ein Wiederaufgreifen des Konzepts haushaltlicher Eigenproduktion für gerechtfertigt. Tatsächlich erinnert das Prinzip Haushaltung daran, dass nicht alles getauscht wird, dass also auch die Theorie nicht vorschnell von der stetigen Übertragung von Dingen oder Ansprüchen ausgehen sollte. Was Modi der Übertragung betrifft, ließe sich
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es historisch Markttausch in nahezu allen Gesellschaften, allerdings nicht als primäre Form der Institutionalisierung von Wirtschaft, sondern immer den Prinzipien der Reziprozität und Redistribution untergeordnet (ebd.: 57-70). Der modernen kapitalistischen Gesellschaft ist eigen, dass Märkte nicht mehr untergeordnet sind und dass das Gewinnstreben, nicht Prestige oder Anerkennung, Hauptmotiv des Handelns ist.9 Markttausch als primäre Integrationsform bezieht sich bei Polanyi auf preissetzende Märkte, also das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage als bestimmendes Element von Preisen (1957a: 254). Polanyi grenzt diese Tauschform klar vom regulierten Markttausch »at set rates« ab, welcher in reziproken und redistributiven Integrationsformen vorherrscht (ebd.: 267). In der logischen Gegenüberstellung von Reziprozität, Redistribution und Markttausch als zentrale Integrationsmuster der Wirtschaft geht es also stets um preissetzende Märkte, die den Idealmärkten aus ökonomischen Modellen stark ähneln. Hier findet Handel anonym und unabhängig von bestimmten persönlichen Beziehungen statt und ist nicht innerhalb langfristiger sozialer Beziehungen eingebettet.10 Während es Märkte also in vielen Gesellschaften gab, ist Kennzeichen der modernen, westlichen Industriegesellschaften für Polanyi, dass Märkte hier die anderen Prinzipien sozialer Organisation – Reziprozität und Redistribution – beherrschen. Als Marktwirtschaft bezeichnet Polanyi ein »ökonomisches System, das ausschließlich von Märkten kontrolliert, geregelt und gesteuert wird; die Ordnung der Warenproduktion und -distribution wird diesem selbstregulierenden Mechanismus überlassen.« (1978: 102) Die Übereinstimmung zur formal-ökonomischen Theorie macht Polanyi explizit: »Eine Wirtschaftsform solcher Art beruht auf neben Haushaltung, Reziprozität, Redistribution und Markttausch für Layton noch Vererbung (1997: 101). 9
An dieser Stelle ist in Erinnerung zu rufen, dass Polanyis radikale Kritik sich gegen die liberale Gesellschaft des 19. Jahrhunderts richtet, deren zwangsläufige Selbstzerstörung er anhand des utopischen Versuchs der Ausdehnung und Aufrechterhaltung des Marktmechanismus aufzeigen möchte (Polanyi 2001). Gerade im 20. Jahrhunderts kam es in Form sozialstaatlicher Interventionen und keynesianischer Wirtschaftspolitik zu Formen der Wiedereinbettung (vgl. 4.3.4).
10 Ähnlich beschreiben dies auch Max Weber und Georg Simmel. Weber nennt die Marktgemeinschaft die »unpersönlichste praktische Lebensbeziehung, in welche Menschen miteinander treten können« (Weber 1985 [1922]: 382). In der Moderne, das findet sich auch bei Weber, beherrschen Marktstrukturen die Wirtschaft und wirken darüber hinaus auf die Gesellschaft. Auch bei Weber kommt dem Warentausch daher eine besondere Bedeutung zu, da er die kapitalistische Wirtschaft dominiert. Geld als Tauschmittel stellt hier die Vergleichbarkeit verschiedenartiger Waren erst her. Simmel beschreibt in seinem Kapitel über die individuelle Freiheit in der Philosophie des Geldes, wie persönliche Abhängigkeiten in einer Geldwirtschaft abgelöst werden von einer (im Ausmaß größeren) anonymen Abhängigkeit gegenüber der Gesellschaft im Gesamten (Simmel 1989: 395f).
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der Erwartung, der Mensch werde sich so verhalten, daß er einen maximalen Geldgewinn erzielt« (ebd.). Die Unterscheidung zwischen Märkten und Marktwirtschaften ist wichtig, da sein Schema sonst nicht für einen Vergleich aller historischen Wirtschaftsformen geeignet wäre. Eine Marktwirtschaft ist für Polanyi ein ökonomisches System, das durch Marktpreise kontrolliert, reguliert und gesteuert wird. Durch diese Selbstregulierung wird eine bestimmte Ordnung von Produktion und Distribution hergestellt (Polanyi 2001: 71). Nicht die Existenz von Märkten, sondern die Dominanz des Marktes über alle gesellschaftlichen Teilbereiche – wenn auch nicht vollkommen, so zumindest annäherungsweise in konkreten Episoden, in denen die expansive Tendenz des Marktes wirksam wird – ist das historisch Besondere an der modernen Marktwirtschaft. In der Ethnologie ist es üblich, zwischen Märkten und Marktplätzen zu unterscheiden (Plattner 1989b), was auch innerhalb der wirtschaftssoziologischen Untersuchungen konkreter marktlicher Praktiken fruchtbar ist (Aspers/Darr/Kohl 2007: 7). Diese Differenzierung bezieht sich einerseits auf die abstrakte Institution des Austauschs auf Basis von Preisen, welche über das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage gebildet werden, und andererseits auf konkrete, zeit- und ortsspezifisch kontextualisierte Interaktionen zwischen Akteuren.11 Mit der Unterscheidung zwischen Märkten und Marktwirtschaften macht auch Polanyi nun deutlich, dass nicht jeder Marktplatz tatsächlich – zumindest nicht allein – über den reinen Marktmechanismus gesteuert wird, da Preise eben nicht zwingend über Angebot und Nachfrage bestimmt werden, sondern vielfältigen Gewohnheiten, Normen und politischen Eingriffen unterliegen.12 Für die spätere empirische Untersuchung ist diese Unterscheidung wichtig, da innerhalb dieser Untersuchung Regiogeld gewissermaßen als Zirkulationsmittel auf 11 Michel Callon beschreibt die beiden Begriffe wie folgt: »While the market denotes the abstract mechanisms whereby supply and demand confront each other and adjust themselves in search of a compromise, the marketplace is far closer to ordinary experience and refers to the place in which exchange occurs.« (Callon 1998: 1) Diese Unterscheidung entspricht allgemeineren Gegenüberstellungen, etwa der zwischen theoretischen und praktischen Aktivitäten, »between economics as a discipline and economy as a thing. If economic theory knows so little about the marketplace, is it not simply because in striving to abstract and generalize it has ended up becoming detached from its object? Thus, the weakness of market theory may well be explained by its lack of interest in the marketplace.« (Ebd.) 12 Plattner fällt mit seiner Konzeption der Unterscheidung zwischen Marktplatz und Markt meines Erachtens hinter Polanyi zurück, da für ihn kein Marktplatz ohne Markt existieren kann (1989b: 171). Damit ist bei Plattner jeder Marktplatz eine spezifische Manifestation neoklassischer Märkte. Polanyi hingegen differenziert den Marktbegriff weiter und ist damit theoretisch offen für nicht-selbstrugeluierende Märkte »at set rates«, die also nicht selbstregulierend sind.
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Marktplätzen, nicht auf Märkten begriffen wird. Aus der Polanyischen Theorie und verwandten Traditionen wird deutlich, dass Märkte nicht die einzige Form der Institutionalisierung von Tausch bzw. wirtschaftlichen Handelns überhaupt, sind, sondern neben Reziprozität und Redistribution stehen. Das dreiteilige Schema von Reziprozität, Redistribution und Markttausch hat in der neuen Wirtschaftssoziologie mittlerweile breiten Anklang gefunden und stellt eines ihrer wertvollsten begrifflichen Werkzeuge dar.13 Polanyis Klassifizierung ökonomischer Institutionen mag eine starke Verallgemeinerung enthalten (Callon 1998: 48), bietet aber eine nützliche Heuristik für die spezifische Analyse konkreter Wirtschaftsformen. Auf dieses Schema komme ich daher in der Klassifizierung verschiedener alternativer Geldformen und ihrer Ziele und Prinzipien zurück (7.2). Dazu wird nicht eine der Markttauschlogik entsprechende Verwendung von Geld axiomatisiert, sondern in einer substantiven Analyse geschaut, inwieweit alternative Muster etwa der Reziprozität oder der Redistribution verwirklicht werden. Dabei wird sich zeigen, dass Komplementärwährungen auf Marktplätzen unter anderem auch innerhalb reziproker oder redistributiver Relationen institutionalisiert werden. In diesem Zusammenhang ist es unerlässlich, den Begriff der Einbettung näher zu erläutern. Im Folgenden diskutiere ich daher zunächst den Einbettungsbegriff als Paradigma der Wirtschaftssoziologie, der anhand der Herausstellung von Differenzen zwischen Polanyis klassischer Konzeption und der neueren Aneignung durch Granovetter zu präzisieren ist.
13 Ein frühes Beispiel der Auseinandersetzung mit Polanyis Triade innerhalb der Soziologie liefert Neil Smelser, der die verschiedenen Integrationsmodi mit Talcott Parsons Schema gesellschaftlicher Subsysteme zusammenführt (Smelser 1959, 1976: 119-123). Latente Strukturerhaltung entspricht Reziprozität, Integration der Redistribution, Anpassung dem Marktausch und, im Bemühen die Integrationsmodi in das vierteilige Schema zu integrieren, fügt er in Bezug auf Zielverwirklichung Mobilisierung als weitere Variante der Redistribution an, »which subordinates economic arrangements to an interest in pursuing collective goals, particularly in maintaining the political status of the society in question. Mobilization differs from redistribution insofar as it does not solidify and maintain a system of stratification (as the redistributive system does), but collects goods and services into the hands of those responsible for pursuing the broad political aims of the society.« (1959: 179)
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4.3 EINBETTUNG DER WIRTSCHAFT ALS PARADIGMA DER WIRTSCHAFTSSOZIOLOGIE Im Anschluss an die bisherigen Darlegungen ist festzuhalten, dass Wirtschaft (darunter Märkte als konkrete Institutionen des Austauschs von Waren) nicht aus einer spontanen oder natürlichen Ordnung entsteht, sondern selbst das Ergebnis spezifischer Institutionalisierungen und damit auch Ergebnis von Politik, Kultur, Tradition und Ideologie ist. »The human economy, then, is embedded and enmeshed in institutions, economic and non-economic. The inclusion of the noneconomic is vital.« (Polanyi 1957a: 250). Der auf Polanyi zurückgehende Begriff der Einbettung steht für das zentrale Paradigma oder die »Zentralmetapher« (Sparsam 2015: 134) der neuen Wirtschaftssoziologie und zeigt damit die Bedeutung Polanyis für diese jüngere Subdisziplin der Soziologie auf (Beckert 2007). Grundlegend meint Einbettung, ganz im Sinne Polanyis, dass wirtschaftliches Handeln keine separate und eigenständige Sphäre menschlichen Handelns ist, sondern stets von außerökonomischen, sozialen, politischen, kulturellen und religiösen Bedingungen abhängig und durch diese beeinflusst wird. Mark Granovetter nennt Einbettung in soziale Netzwerke, Kultur, Politik und Religion als diejenigen Typen der Einbettung, auf deren Analyse die Herausbildung der Wirtschaftssoziologie als soziologische Subdisziplin fußt (Granovetter 2005: 35). Die zentrale Bedeutung des Polanyischen Einbettungsbegriffes für die Neue Wirtschaftssoziologie basiert allerdings auf einer Reihe von Fehlinterpretationen (Beckert 2009: 41-43). Insbesondere meint Einbettung meist etwas Anderes, als Polanyi im Sinne hatte. Im Folgenden erörtere ich umgekehrt chronologisch den Begriff, wie Mark Granovetter ihn prägte, um dann in Abgrenzung dazu meine Lesart Polanyis zu erarbeiten. 4.3.1 Granovetters schwacher Begriff der Einbettung Dass der Begriff der Einbettung nicht einheitlich verwendet wird, zum großen Teil sogar ohne Nähe zu Polanyis Verständnis, hängt mit der fundamentalen Bedeutung von Granovetters Aufsatz Economic Action and Social Structure: The Problem of Embeddedness (1985) zusammen, der den Begriff für die Wirtschaftssoziologie stark prägt, ihm dabei aber eine andere Bedeutung beigibt als Polanyi (Sparsam 2015: 140142).14 Polanyis Begriff der Einbettung bezieht sich zunächst auf die Untrennbarkeit
14 Granovetter (1985) stellt eben nicht »das Polanyi’sche Konzept der Einbettung ins Zentrum eines wirtschaftssoziologischen Ansatzes«, wie etwa Münnich (2011: 381, meine Herv.) schreibt. Schließlich verwendet Granovetter zwar die Begrifflichkeit, aber eben nicht das Polanyische Konzept. Die unterschiedliche Verwendung des Einbettungsbegriffes, konkret
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von wirtschaftlichen und außerwirtschaftlichen Institutionen, wie er anhand der oben diskutierten Distributionsmechanismen der Reziprozität, Redistribution und des Markttausches zeigt. Granovetter (1985) nutzt zwar den Begriff Einbettung, zielt aber primär auf die Bedeutung sozialer Netzwerke ab, auf das Eingebundensein konkreter wirtschaftlicher Akteur*innen in soziale Beziehungen, weniger auf die Institutionalisierung von Wirtschaft (Krippner 2001). Granovetters und Polanyis Ansätze zur Einbettung lassen sich daher als zwei separate »intellectual projects« bezeichnen (Krippner/Alvarez 2007: 234). Granovetter (1985, 2005) stellt seine netzwerktheoretische Konzeption von in die Sozialstruktur eingebettetem wirtschaftlichen Handeln individualistischen, atomistischen Ansätzen ebenso entgegen wie holistischen, die Handeln als bestimmt von geteilten Werten und Normen ansehen (1985: 483-487).15 Er befasst sich demnach mit dem altbekannten Problem der Konzeptualisierung von individuellem Handeln und Agency gegenüber sozialen Strukturen und Normen. Hier unterscheidet er zwischen untersozialisierten und übersozialisierten Perspektiven auf wirtschaftliches Handeln, womit er individualistische und holistische Ansätze meint.16 Individualistische Ansätze gehen von rationalen Individuen aus, welche von sozialen Bindungen letztlich gelöst sind, holistische von einer Determiniertheit der Handelnden durch Normen und Strukturen. Beide sind seines Erachtens einseitig. Stattdessen fordert er die Besinnung auf die Einbettung von Handelnden in Sozialstrukturen, womit er den Einfluss sozialer Netzwerke auf die Handlungsentscheidungen Einzelner meint. Granovetter wendet sich somit gegen den Atomismus der ökonomischen Theorie, welche isolierte, eigeninteressierte Akteure konzipiert, die die berühmte Smithsche Neigung zum Tausch besitzen. Granovetter kritisiert Polanyi aber dafür, zu stark auf soziale Normen abzustellen, ohne die Bedeutung der Handlungsrationalität von Individuen hinreichend zu berücksichtigen. In seinem Schema ist Polanyis Konzeption in diesem Sinne als »übersozialisiert« anzusehen (hierzu Krippner/Alvarez 2007: 232).
seine Distanz zu Polanyis Konzeption, begründet Granovetter knapp zwei Jahrzehnte später damit, dass er sich beim Verfassen seines Aufsatzes überhaupt nicht auf Polanyi bezogen, ja dessen Werk zu jener Zeit gar nicht präsent hatte. Verweise auf Polanyi habe er erst eingefügt, nachdem er durch Dritte auf Polanyis Verwendung des Einbettungsbegriffes aufmerksam gemacht worden sei (Granovetter in Krippner u. a. 2004: 114f). 15 Bereits in Granovetters früherem, ebenfalls kanonischem Aufsatz zur Strength of Weak Ties (1973) stellt er den Einfluss von Netzwerken auf die Jobsuche, also ein Feld ökonomischer Entscheidungsprozesse, heraus, konzeptiualisiert allerdings noch nicht den Begriff der Einbettung. 16 Ein Ausgangspunkt für Granovetter ist die genannte Substantivismus-Formalismus-Debatte um den Begriff der Wirtschaft selbst. Er will mit der Einbettung letztlich eine Überwindung der Kluft zwischen den beiden Positionen erreichen.
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Granovetters Konzeption der Einbettung richtet den Blick also auf externe Variablen, die den Handlungsprozess und das Handlungsergebnis beeinflussen (Beckert 2003: 769). Der Titel eines späteren Aufsatz Granovetters, The impact of social structure on economic outcomes (2005), fasst seine Auffassung von Einbettung wirtschaftlichen Handelns in soziale Strukturen prägnant zusammen. Er geht im Kern weiterhin von einem eigenständigen ökonomischen Bereich aus, offen für rationale Akteure, deren Präferenzen aber (auch) durch die sie umgebene Sozialstruktur geprägt werden (Dodd 1994: 130). Handeln entsteht in Netzwerken und hängt vom Vertrauen innerhalb dieser Netzwerke ab. Es liegt aber kein der Ökonomik alternatives, konzeptionell eigenständiges Handlungsmodell vor. Denn die Annahme rationalen Verhaltens sollte Granovetters Ansicht nach nicht vorschnell aufgegeben werden. Auch Verhalten, welches zunächst nicht rational erscheinen mag, »may be quite sensible when situational constraints, especially those of embeddedness, are fully appreciated« (1985: 506). In seiner Kritik der neuen Wirtschaftssoziologie schlägt David Calnitsky sogar vor, diese schlicht als Disequilibrium Economics aufzufassen. Er bemängelt, dass das Einbettungsparadigma Granovetterscher Prägung zu einem großen Teil lediglich aufzeige, wie Marktgleichgewichte durch den Einfluss des Sozialen verzerrt werden: »Embeddedness becomes not a way to comprehend human economic activity, but rather an independent variable that causes disequilibrium: the greater the embeddedness, the greater the disequilibrium.« (Calnitsky 2014: 566) Einbettung ist seiner Ansicht nach letztlich als Störvariable konzipiert, die die Rationalität der Handelnden einschränkt.17 Es lässt sich somit festhalten, dass Granovetter mit seiner Variante des Einbettungsbegriffes zwar hervorhebt, dass wirtschaftliches Handeln von sozialen Strukturen erheblich beeinflusst wird. Es bleibt aber ein »exterior relationship between the economic and the social« (Krippner/Alvarez 2007: 222), und die Annahme rationalen wirtschaftlichen Handelns wird letztlich aufrecht erhalten. Greta Krippner und Anthony S. Alvarez konstatieren daher, dass diese Sichtweise der Einbettung für Rational Choice Ansätze der Sozialkapitalforschung fruchtbar gemacht werden kann (2007: 227), sofern diese die Verschiedenartigkeit von Motivationen und den Einfluss sozialer Relationen auf Motivationen anerkennen wollen. Granovetters Ansatz vernachlässigt aber die verschiedenartige Qualität der sozialen Beziehungen und kann daher reziproke oder redistributive Tauschformen nicht als genuin eigenständig von einer im Kern letztlich eigeninteresseorientierten marktlichen Beziehungsform
17 Unklar bleibt, wieso Calnitsky von Ungleichgewichten spricht, wo doch es doch ein Leichtes wäre, den sozialen Einfluss auf Märkte mit der Bildung neuer, suboptimaler Gleichgewichte zu modellieren. Calnitsky bezieht sich auf Granovetter (1981: 84), der von ungleichgewichtigen Arbeitsmärkten spricht, da die zum Gleichgewicht tendierenden Kräfte nur sehr langsam wirksam sind.
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abgrenzen. Daher bleibt er eher im Markttausch verhangen (Barber 1995: 406). Granovetters Ansatz ist entsprechend primär als »Ergänzung des neoklassischen Marktmodells« anzusehen, der nicht auf eine Kritik des Rationalitätsmodells, sondern auf eine »wirklichkeitsnähere Ausformulierung« (Deutschmann 2007: 83) abzielt.18 Krippner sieht hier die große Schwäche in Granovetters Versuch, den über- und untersozialisierten Ansätzen einen eigenständigen entgegenzustellen: »Granovetter has run the ship aground on a conception – common to both [under- and oversocialized views of action] – that insists on the separate nature of economy and society. This problem manifests itself in the perverse symmetry that exists in the discipline: researchers either study economic processes in social terms, in which case they abandon the sphere of the market; or, they study the market as a theoretical entity in its own right, in which case they purge all social content.« (Krippner 2001: 801)
Granovetters Ansatz und das Einbettungsparadigma, wie es in seiner Tradition vorherrscht, enthalten also letztlich die Idee einer genuin ökonomischen Sphäre, die lediglich von außen durch nichtökonomische Einflüsse geformt wird. Daher bezeichne ich den Einbettungsbegriff als schwach. Zelizer wirft der auf Granovetters Einbettungskonzeption aufbauenden Richtung der Neuen Wirtschaftssoziologie daher bereits früh vor, durch diese Verabsolutierung der Sozialstruktur den Bereich des Kulturellen zu vernachlässigen (Zelizer 1988: 629).19 Sie zählt diesen Ansatz zu »subordinate market«-Modellen, die zwar zeigen, dass Märkte letztlich von einer Menge sozialen Relationen geformt werden. Allerdings vermögen sie es ihrer Ansicht nach nicht, Märkte als konstituiert durch Interaktionen gleichermaßen kultureller, struktureller und ökonomischer Faktoren anzuerkennen. Mit dem Begriff der »multiple markets« möchte sie einen Mittelweg zwischen kulturellem und sozialstrukturellem Absolutismus bieten, der dieses Zusammenspiel theoretisch besser zu fassen in der Lage ist (auf Basis dieses Ansatzes entwickelt sie auch die Idee der »multiple monies«, vgl. Kapitel 3). 18 Christoph Deutschmann (2007) diskutiert die (im Falle Parsons impliziten) Ansätze der Einbettung in den theoretischen Konzeptionen von Parsons, Granovetter, Polanyi und Beckert hinsichtlich des Verhältnisses zur Neoklassik. Während wirtschaftssoziologische Ansätze im Sinne Parsons und Granovetters den »ökonomischen Kompetenzanspruch des neoklassischen Marktmodells vorschnell akzeptieren«, formulieren erst Polanyi und Beckert weitergehende Kritik, die Deutschmann vor allem wegen der Beachtung des Problems der Unsicherheit für ausgereifter hält (Deutschmann 2007: 93, auch 2008: 74f). 19 Dies gilt auch über die neue Wirtschaftssoziologie hinaus. Auch in der formalistischen Wirtschaftsethnologie, etwa bei Plattner (1989c: 210f) wird der Einbettungsbegriff netzwerktheoretisch im Anschluss an Granovetter (1985) ohne Rekurs auf Polanyi genutzt wird.
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4.3.2 Polanyis starker Begriff der Einbettung Ich möchte nun erstens zeigen, dass Polanyis Einbettungsbegriff weiter weg von Granovetter und dem Paradigma der neuen Wirtschaftssoziologie ist, als gemeinhin angenommen, und zweitens, dass er sich mit Zelizers Arbeiten deutlich besser verträgt, als eine skizzenhafte Gegenüberstellung vermuten lässt (vgl. Steiner 2009a, Bandelj 2012; 2015). Während Granovetter sich gegen den Atomismus der Neoklassik und verwandter theoretischer Ansätze wendet und Netzwerkeffekte abbilden möchte, geht Polanyi in seiner starken Konzeption von Einbettung weiter. Für ihn sind das Wirtschaftliche und das Soziale (damit auch das Kulturelle, Politische, Religiöse usw.) untrennbar miteinander verbunden. Sie stehen nicht nur in Wechselwirkung, sondern überschneiden sich, insofern Aspekte des einen gleichzeitig Aspekte des anderen sind. Aber auch bei Polanyi, der den Begriff der Einbettung sehr selten nutzt (Barber 1995: 401; Krippner 2001: 779), scheinen unterschiedliche Positionen durch; zumindest erlaubt er verschiedene Interpretationen (Beckert 2009: 41). Kurtulus Gemici (2008) schlägt vor, in Polanyis Arbeiten zwischen Einbettung als Variable und Einbettung als methodologischem Prinzip zu unterscheiden. Beide Konzeptionen finden sich seiner Ansicht nach bei Polanyi, wenn sie auch in einem widersprüchlichen Verhältnis zueinander stehen. Einbettung als Variable bezieht sich auf die Gegenüberstellung von eingebetteten und entbetteten Wirtschaften. Einbettung als methodisches Prinzip meint demgegenüber zunächst die Anerkennung, dass jede Ökonomie eingebettet ist. Wirtschaftliches Handeln ist, wie alle anderen menschlichen Aktivitäten auch, immer sozial strukturiert (Gemici 2008: 28). Einbettung als methodisches Prin-zip verlangt eine holistische Sichtweise auf Wirtschaft und Gesellschaft und kann, so Gemici, die Erforschung wirtschaftlichen Lebens erleichtern. Hier wird deutlich, dass Gemici unter Einbettung als methodischem Prinzip die Verwendung der substantiven Bedeutung des Wirtschaftlichen versteht. Einbettung als Variable hingegen kann vorschnell in einer strikten Trennung eingebetteter, vormoderner und entbetteter, moderner Wirtschaften münden (vgl. 4.3.3). Anna Echterhölter (2014) erfasst das Konzept der Einbettung in drei Hinsichten: historisch, domestizierend (politisch) und methodisch (sozialwissenschaftlich). Historische Analysen zeigen, dass die Marktwirtschaft keine natürliche Wirtschaftsweise ist, sondern dass Wirtschaften oftmals Modi der redistributiven Zirkulation oder reziproker Beziehungen folgen. Diese Dimension entspricht letztlich der Einbettung als Variable, wie Gemici (2008) sie beschreibt. In der zweiten Hinsicht verbindet sich das Einbettungskonzept mit einer normativen, politischen Forderung der kulturellen Domestizierung von Märkten, womit Echterhölter implizit auf Polanyis Konzeption der Doppelbewegung anspielt, also der notwendigen gesellschaftlichen Gegenbewegung gegen den sich expandierenden Markt, welcher die Gesellschaft zu
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zerstören droht (vgl. 4.3.4). Dies kann gleichfalls als rein wirtschaftshistorische oder -soziologische These aufgefasst werden, nach welcher Gesellschaften notwendigerweise abwehrend auf die Ausdehnung des Marktes als alleinigem Steuerungsmechanismus wirtschaftlicher Beziehungen reagieren. Meist wird diese These aber darüber hinaus als normative These vertreten, welche normative Gründe formuliert, dieser Ausdehnung entgegenzuwirken. Ein so verstandener Einbettungsbegriff negiert die »durch methodische Filter installierte Unabhängigkeit der Sphären von Kultur und Ökonomie [und setzt] die Gesellschaft vielmehr als Opfer der Ökonomie« (Echterhölter 2014: 46). In dritter Hinsicht schreibt Echterhölter dem Einbettungsbegriff einen methodischen Perspektivwechsel zu (analog zu Gemicis Begriff der Einbettung als methodisches Prinzip), indem eben nicht von universellen ökonomischen Handlungsmustern ausgegangen, sondern der Blick auf konkrete Institutionalisierungen gerichtet wird. Dies lässt letztlich Raum für historische Kontingenzen und wirft Fragen der jeweils spezifischen Einbettung von Wirtschaft auf. Im Vergleich zu Gemicis (2008) Gegenüberstellung des Einbettungsbegriffs als Methode und als Variable zeigen sich Gemeinsamkeiten, aber auch eine Erweiterung: Beide nennen Einbettung als methodisches Prinzip und als Variable.20 Echterhölter beachtet darüber hinaus die normative Forderung nach Einbettung. Diese ist vor dem Hintergrund der Doppelbewegung eines sich ausbreitenden Marktsystems bzw. als Maßnahmen der Gegenbewegung zum Selbstschutz der Gesellschaft zu sehen. Die normative Bedeutung des Einbettungsbegriffes ist wichtig, denn »a merely methodological use of the concept of embeddedness has serious consequences for a normative critique of modern society« (DeMoor 2013: 149). Michael DeMoor wendet sich daher vor allem gegen eine ausschließliche Verwendung des Begriffs in methodischer Hinsicht, welche auf eine immer und überall eingebettete Wirtschaft verweist. Denn ein Verständnis von Einbettung als methodologisches Prinzip im Sinne Gemicis, also die Idee, dass wirtschaftliches Handeln immer eingebettet ist, wirft aufgrund ihres starken (kultur-)relativistischen Charakters eigene Probleme auf. Dies gilt, falls nicht eine systematische Unterscheidung zwischen spezifischen Formen der Einbettung herausgearbeitet wird (hierzu Beckert 2007: 19). In empirisch-analytischer Sicht stellt der mit dem substantiven Begriff des Wirtschaftlichen verbundene Ansatz der Einbettung als methodisches Prinzip allerdings ein wichtiges Werkzeug dar, gerade wenn auf unter20 Gemicis und Echterhölters Vorstellungen des methodischen Prinzips unterscheiden sich aber. Echterhölter bezieht sich gerade hier auf Granovetters (1985) Ansatz. Damit engt sie den Begriff als methodisches Prinzip netzwerktheoretisch ein und bleibt letztlich in der hier skizzierten Vorstellung einer unabhängigen wirtschaftlichen Sphäre verhaftet. Gemici wendet sich hingegen gegen diese Vorstellung und kritisiert, dass ein solcher Einbettungsbegriff letztlich die Trennung zwischen wirtschaftlicher und sozialer Sphäre aufrechterhält und damit paradoxerweise Gefahr läuft, jenen eigenständigen wirtschaftlichen Kern zu konstruieren, gegen den sich das Konzept in erster Linie wendet (Gemici 2008: 27f).
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schiedliche Formen und Grade der Einbettung geachtet wird. Für die Analyse lokaler Einbettung verlangt dieses methodische Prinzip zunächst eine nahe empirische Beobachtung der konkreten Formen und Praktiken der Einbettung. Dabei lassen sich verschiedene Arten der Einbettung voneinander abgrenzen. So unterscheiden Sharon Zukin und Paul DiMaggio (1990: 14-23) in ihrem einflussreichen Beitrag zwischen sozialstruktureller, kultureller, politischer und kognitiver Einbettung. Fred Block und Margaret Somers (2005) nutzen den Begriff der »ideellen Einbettung«, um auf wirkungsmächtige Ideen und Ideologien der Formung und Strukturierung von Marktregimen zu verweisen (Somers/Block 2005). Für die später zu behandelnden geldreformerischen Konzepte mag es dann unterschiedliche ideelle Einbettungen geben.21 4.3.3 Einbettung und Entbettung Die hier bereits skizzierte Lesart der Einbettung als methodisches Prinzip, welche danach fragen lässt, wie Einbettung, abhängig von Kontexten, ausgestaltet ist, fußt auf der Vorstellung einer immer eingebetteten Wirtschaft. Demgegenüber wird die moderne Wirtschaft aufgrund der Tatsache, dass marktförmige Beziehungen zunehmend als unpersönlich und dereguliert zu begreifen sind, oft als entbettet angesehen. Polanyis Äußerungen zu dieser Frage sind teils widersprüchlich, werden aber meistens dergestalt gedeutet, dass er tatsächlich von einer strikten Trennung zwischen vormoderner (eingebetteter) und moderner (entbetteter) Wirtschaft ausgeht (vgl. Block/Somers 2013; Krippner/Alvarez 2007; Bandelj 2012). Dann wird Einbettung 21 Die ideelle Einbettung marktfundamentalistischer Ideen basiert Block und Somers auf einem spezifischen Zusammenspiel dreier Elemente. Hierzu gehört in der Tradition von Thomas Robert Malthus erstens ein »Sozialnaturalismus«, also die Vorstellung, dass naturgleiche Gesetze Gesellschaften (oder zumindest die Wirtschaft) steuern. Die Selbstwahrnehmung herkömmlicher Wirtschaftswissenschaften verweist auf die vorgestellte Nähe zur Physik. Ein weiteres Element ist die von Block und Somers als »theoretischer Realismus« bezeichnete Maxime, dass – letztlich unabhängig von beobachtbaren Tatsachen – durch Deduktion verborgene Kräfte und Eigenschaften hergeleitet werden können, welche zugrunde liegende kausale Erklärungsmuster für soziale Prozesse bieten. Schließlich identifizieren sie mit Verweis auf Albert O. Hirschman drittens das »Narrativ der Perversion« – konkret etwa die Behauptung, dass Politik zur Unterstützung von Armen bzw. allgemeiner zum Selbstschutz der Gesellschaft vor Märkten unter Umständen gegenteilige Wirkungen hat und Armut fördert. Aus diesem Zusammenspiel ergibt sich ein »epistemisches Privileg« (Block/Somers 2013: 156) marktfundamentalistischer Ideen, welche sich als robust gegenüber jeglicher Art von Falsifizierungsversuchen zeigen. Übertragen auf die Diskurse zu Geld ließe sich möglicherweise etwa die Vorherrschaft der Vorstellung der Notwendigkeit unabhängiger Zentralbanken als Ergebnis ideeller Einbettung fassen.
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als Charakteristikum konkreter Marktausgestaltungen verstanden, die sich mit gesellschaftlichen Veränderungen wandeln kann (also in Gemicis Terminologie als Variable verstanden). Es gibt dann mehr, weniger oder gar keine Einbettung. Ich möchte im Folgenden auf zwei Dimensionen der Frage nach dem Verhältnis von Einbettung und Entbettung der Wirtschaft in der Moderne und der Vormoderne eingehen. Einerseits gilt es eine eher dogmenhistorische Antwort auf die Frage nach den möglichen Deutungen des Einbettungsbegriffs zu geben, also Polanyis Ansicht zu rekonstruieren.22 Hier bin ich überzeugt, dass beide Lesarten – die der immer eingebetteten Wirtschaft wie die der entbetteten modernen Wirtschaft – durch Polanyis teils widersprüchliche Schriften plausibilisiert werden können. Unabhängig von Polanyis Position lassen sich theoretische und methodische Probleme der beiden möglichen Standpunkte, und insbesondere hinsichtlich ihres Verhältnisses, identifizieren. Für die Auffassung, Polanyi stelle der vormodernen Einbettung der Wirtschaft die Konzeption einer entbetteten modernen Wirtschaft entgegen, lassen sich viele Hinweise in seinem Schreiben finden. So bezieht er sich unmittelbar auf Ferdinand Tönnies (2005) Gegenüberstellung von Gemeinschaft und Gesellschaft (Polanyi 1968: 84; vgl. Dale 2008: 506) und weist diesen Einbettung und Entbettung zu: »It is now possible to say that status or gemeinschaft dominate where the economoy is embedded in noneconomic institutions; contractus or gesellschaft is characteristic of the existence of a motivationally distinct economy in society.« (Polanyi 1957b: 70) Auch schreibt er in der Great Transformation, dass sich die Wirtschaft im 19. Jahrhundert entbettet hat: »Instead of economy being embedded in social relations, social relations are embedded in the economic system.« (Polanyi 2001: 60) Hier sind zwei Schritte zu unterscheiden. Erstens beobachtet Polanyi, dass Wirtschaft unter kapitalistischen Verhältnissen zunehmend durch den Markt gesteuert wird. Dies zeigt sich etwa darin, dass Arbeit, Boden und Geld, die nach Polanyi nicht als genuine Waren zu begreifen sind, nach den Regeln des Zusammenspiels von Angebot und Nachfrage bereitgestellt werden (Polanyi 2001, 78ff). Zweitens werden zunehmend Bereiche des gesellschaftlichen Lebens dem Marktprinzip unterworfen. In diesem Sinne kann eine Marktwirtschaft ausschließlich innerhalb einer Marktgesellschaft existieren (Polanyi 2001: 74). Der Selbstregulierung des Marktes inhärent ist die Kommodifizierung aller für die Produktion relevanter Faktoren. Daher werden auch Arbeit, Boden und Geld behandelt, als ob sie Waren wären, als ob sie für den Verkauf auf dem Markt produziert werden. Polanyi nennt Arbeit, Boden und Geld nicht deshalb fiktive Waren (Polanyi 2001: 71-80), weil sie nicht über einen Markt gehandelt werden könnten, sondern weil ihre Beschaffenheit sie zu Gegenständen macht, deren Bereitstellung über einen Markt, bzw. deren warenförmige Behandlung, mit Problemen verbunden ist. Seine 22 Unter Bezug auf Gemici (2008) lässt sich die Frage formulieren, ob Polanyi tatsächlich von Einbettung als Variable ausgeht oder von Einbettung als methodisches Konzept.
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Bezeichnung der Warenfiktion setzt an seinem »empirischen« Warenbegriff an: »Commodities are here empirically defined as objects produced for sale on the market; markets, again, are empirically defined as actual contacts between buyers and sellers.« (Polanyi 2001: 75) Arbeit ist für Polanyi aber lediglich eine andere Bezeichnung für menschliche Aktivitäten, die mit dem Leben an sich einhergehen; Arbeit kann also weder entkoppelt werden vom Rest des Lebens noch wie eine Ware gehalten oder bewegt werden. Land ist ein anderer Name für Natur, also nicht einmal von Menschen produziert. Und Geld ist für Polanyi »merely a token of purchasing power which, as a rule, is not produced at all, but comes into being through the mechanism of banking or state finance. None of them is produced for sale. The commodity description of labor, land, and money is entirely fictitious.« (Ebd: 75f) Für alle drei gilt also, dass sie nach Polanyi keine genuinen Waren sind, weil sie entweder überhaupt nicht im herkömmlichen Sinne hergestellt werden, oder nicht für den Austausch auf Märkten hergestellt werden. Die Ausweitung des Marktsystems auf diese drei Faktoren macht den Kern der Großen Transformation aus, die mit der »Universalisierung des Geldnexus« einhergeht (Deutschmann 2007: 84). Für eine Marktwirtschaft ist die Behandlung dieser Faktoren als Waren notwendig – und gleichzeitig in letzter Konsequenz unmöglich, weshalb Polanyi den Zusammenbruch der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, den er zum Ende des zweiten Weltkrieges retrospektiv analysiert, für unausweichlich hält (Polanyi 2001: 3f).23 In einer Marktwirtschaft, d.h. im Falle der Subordination allen Wirtschaftens unter den Marktmechanismus, gilt daher tatsächlich der formale Begriff des Wirtschaftlichen, Wirtschaft ist dem Markt subordiniert: »The market mechanism thereby created the delusion of economic determinism as a general law for all human society. Under a market economy, of course, this law holds good. Indeed, the working of the economic system here not only ›influences‹ the rest of society but actually determines it – as in a triangle the sides not merely influence but determine the angles.« (Polanyi 1977b: 12)24
23 Als moralisches Argument verstanden, finden sich in der Zurückweisung der Behandlung von Arbeit und Land als Waren große Anknüpfungspunkte zur Umweltbewegung oder auch zur Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen. Neben dem moralischen Argument verweist das Konzept der fiktiven Waren in polit-ökonomischer Hinsicht auf die Notwendigkeit von Eingriffen in den Markt. Real existierende Marktwirtschaften sind auf eine aktive Rolle des Staates in der Gestaltung von Märkten angewiesen, um den Anschein des Warencharakters immer wieder herzustellen (Stiglitz 2001: xxvi). 24 Insofern Polanyi auch der Tatsache Rechnung trägt, dass die Wirtschaftswissenschaften selbst erst an der Konstruktion einer solchen (Utopie der) entbetteten Wirtschaft maßgeblich beteiligt waren, nimmt er das Performativitätskonzept Callons (1998) vorweg.
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Polanyi betont die starke Gegensätzlichkeit von eingebetteten und entbetteten Ökonomien nicht nur mit Blick auf die Moderne, sondern auch mit Blick auf historische Wirtschaftssysteme, insofern er vormoderne Wirtschaftssysteme als stets eingebettet begreift. So schwierig es für uns in der Moderne ist, die Vorstellung einer separaten Wirtschaftssphäre aufzugeben, so wenig können sich Menschen in »primitiven Gesellschaften« bestimmte Tätigkeiten als genuin ökonomisch vorstellen. Denn in einer eingebetteten Wirtschaft gibt es keine strikte Trennung zwischen ökonomischer und nichtökonomischer Sphäre; wirtschaftliche Motive »spring as a rule from situations set by facts of a noneconomic –familial, political or religious - order« (Polanyi 1957b: 71). Bei Polanyi findet sich an einigen Stellen eine idealisierende, romantisierende Vorstellung vormoderner Gesellschaften. Er unterstellt eine vollkommene Abwesenheit individualistischer materieller Motive und eine vollständige Unterwerfung wirtschaftlich Handelnder unter gesellschaftliche Normen, die letztlich keine Eigennutzorientierung zulassen.25 »As long as social organization runs in its ruts, no individual economic motives need come into play; no shirking of personal effort need be feared […]. In such a community the idea of profit is barred; higgling and haggling is decried; giving freely is acclaimed as a virtue; the supposed propensity to barter, truck, and exchange does not appear. The economic system is, in effect, a mere function of social organization.« (Polanyi 2001: 51f)
Solche Textpassagen machen Granovetters (1985) Einordnung von Polanyis theoretischen Ansichten als »übersozialisiert« verständlich. Die Polanyi in seiner Konzeption der Einbettung zugeschriebene scharfe Trennung vormoderner und moderner Ökonomien und Gesellschaften ist jedoch insbesondere Gegenstand hiervon zu unterscheidender Kritiken verschiedener Art geworden. Eine Stoßrichtung der Kritik an Polanyi setzt bereits an der Dichotomie von modern/vormodern selbst an. So zeigen viele sozialwissenschaftliche Studien, dass auch in der Moderne Wirtschaft eingebettet ist (Barber 1995; Krippner u. a. 2004), und zahlreiche Ethnolog*innen und Historiker*innen weisen nach, dass auch in der »Vormoderne« Raum für zweckrationales, ökonomisches, eigennütziges Handeln ist (Rössler 1999: 103f; Parry/Bloch 1989).26 Georg Elwert etwa greift das Klischee der »breiten lebensweltlichen Einbettung« des »vormodernen« Arbeitens an. Beispielsweise versteht er die Ehe bei den
25 Diese Romantisierung hängt vermutlich mit den von Polanyi wesentlich verwendeten Primärquellen zusammen. Polanyi bezieht sich neben Richard Thurnwald sehr stark auf Bronislaw Malinowski, dessen Beschreibung des Gabentausches reine, uneigennützige Gaben kennt, und weniger auf die Kritik von Marcel Mauss an Malinowski (vgl. Kapitel 5). 26 So kritisieren Chris Hann und Chris Hart implizite Annahmen einer Evolution von Reziprozität zu Redistribution und Marktausch. Sie verweisen auf Schwächen in der Darstellung
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Ayizo in Westafrika als »wechselseitige[n] Arbeitsvertrag«, also ein auf ökonomischen Erwägungen basierendes Arrangement, welches auch interne marktliche Regulierung zwischen den Ehepartnern (etwa den Verkauf von Produkten an den Ehepartner) beinhaltet (Elwert 2004: 119-121). Innerhalb der Geschichtswissenschaft richtet sich Kritik vorrangig gegen die schematische Gegenüberstellung und insbesondere der Auffassung von rein durch Reziprozität oder Redistribution institutionalisierten Wirtschaften (Seaford 2004). Beispielsweise stellt Frances Berdan fest, dass in Mesoamerika entgegen Polanyi Handel weitreichend durch Märkte vermittelt wurde (Berdan 1989: 106f; zu ihrer Auseinandersetzung mit Polanyi siehe 82-85). Polanyis Kategorien werden dann als »zu starr«, aufgefasst, da viele vormoderne Gesellschaften nicht nur vereinzelte Märkte aufweisen, sondern »sogar ganze Gesellschaften […] ihre Existenz durch Markttransaktionen bestritten, wie etwa die Phönizier« (Sommer 2013: 18).27 Demgegenüber gibt Jacques Le Goff in seiner Beschreibung der mittelalterlichen Wirtschaft und ihres Geldes explizit Polanyi (und Mauss) recht (Le Goff 1988: 16-18, 2011: 234-239) und betont die Andersartigkeit des Mittelalters, die auf die soziale Einbettung der mittelalterlichen Wirtschaft zurückzuführen ist. Religion und Religiosität spielten dabei eine entscheidende Rolle (ebd.: 217). Die mittelalterliche Wirtschaft beruht auf reziprozitätsbasierten »christlichen und feudalen Beziehungsgeflechten«, und kennt keine vollkommen isolierte Kategorie des Ökonomischen (1988: 17). Daher ist auch Geld im Mittelalter für Le Goff nicht mit Geld in der Moderne gleichzusetzen.
etwa von Jäger- und Sammlergesellschaften, die eben nicht auf (ausgeglichener) Reziprozität basieren, sondern auf generalisiertem Teilen: »His notion of reciprocity does not fit hunter-gatherer societies well: egalitarian societies lacking storage facilities seem to depend more on redistribution and sharing than on reciprocal exchange, though this is inconsistent with the implicit evolution of Polanyi’s typology.« (Hann/Hart 2011: 71) Eine Beachtung der Ausdifferenzierung von Reziprozitätsformen nach Marshall Sahlins (vgl. 5.4) relativiert diese Kritik an der Einordnung von Jäger-Sammler-Gesellschaften allerdings. Sie zeigt, dass generalisierte Reziprozität statt ausgeglichener vorherrscht. David Graeber hingegen nutzt hierfür nicht den Begriff der Reziprozität, sondern des Kommunismus (Graeber 2001: 95f). Polanyi behauptet, sein Schema sei nicht evolutionär gemeint, obwohl er die Integrationsformen mit Gesellschaftsstrukturen in Verbindung bringt: »In any case, forms of integration do not represent ›stages‹ of development. No sequence in time is implied. Several subordinate forms may be present alongside of the dominant one, which may itself recur after a temporary eclipse.« (Polanyi 1957a: 256) 27 Hier lässt sich allerdings entgegnen, dass Polanyi ja gerade nicht die Existenz von Märkten leugnet, sondern deren Bedeutung und den Entstehungszusammenhang im Fernhandel stets betont. Jedoch sieht er in ihnen historisch keine pirmäre Institutionalisierungsform der Wirtschaft.
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Zur Debatte über die Präsenz des Marktes in der Vormoderne gesellt sich diejenige über nichtmarktliche Institutionalisierungsformen in der Moderne. Kritik an Polanyi kann demnach sowohl auf der Vorstellung eingebetteter vormoderne, als auch auf der Vorstellung entbetteter moderner Wirtschaften ansetzen. Bernard Barber kritisiert konkret Polanyis strikte Trennung zwischen Moderne und Vormoderne, zwischen entbetteten und eingebetteten Ökonomien und nennt alle Ökonomien eingebettet: »our strong position, contrary to Polanyi’s, is that all economies are inescapably embedded« (Barber 1995: 400). Ähnlich bemängelt Nigel Dodd in seiner Auseinandersetzung mit Polanyis Arbeiten zu Geld, dass Polanyi seine umfassende Kritik an Geld in den Wirtschaftswissenschaften ausschließlich mit empirischer Evidenz aus nichtmarktlichen Gesellschaften stärkt. Damit werde impliziert, dass die orthodoxen Zugänge im Kontext von Marktgesellschaften gültig seien (Dodd 2014: 284f). Denn auch in der modernen Marktwirtschaft werden ökonomische Güter bei weitem nicht ausschließlich über den Markt distribuiert. Typische (und in der Literatur meistgenannte) Beispiele sind reziprozitätsbasierte Verteilungen innerhalb von Haushalten (auch Erbschaften und Schenkungen) und Redistribution durch den Staat, ermöglicht über Steuern und getätigt in Form von öffentlicher Leistungen auf Basis politischer Präferenzen (diese beiden Beispiele nennen auch Aspers/Beckert 2008: 223). Wie bereits angeklungen herrscht allerdings Uneinigkeit hinsichtlich Polanyis Position in dieser Frage, so dass auch nicht alle Kritiken zwingend berechtigte Kritiken an Polanyis Position sind. Es existiert eine zweite Lesart, welche Polanyi die Idee der Ubiquität von Einbettung zuordnet. So argumentieren Block und Somers, dass Polanyi bereits in der Great Transformation auf die Idee der »always-embedded market economy« (Block/Somers 2014: 74) abzielt, wenn er diese auch nicht konkret ausformuliert. Aus dieser Perspektive ist eindeutig, dass Polanyi eine vollständige Entbettung als unmöglich ansieht. In seiner Einleitung zur Neuauflage der Great Transformation schreibt Block: »Polanyi does say that the classical economists wanted to create a society in which the economy had been effectively disembedded, and they encouraged politicians to pursue this objective. Yet he also insists that they did not and could not achieve this goal. In fact, Polanyi repeatedly says that the goal of a disembedded, fully self-regulating market economy is a utopian project; it is something that cannot exist.« (Block 2001: xxiv, Herv. i.O.)
Block und Somers konstatieren, dass Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten in Polanyis Schaffen eine spezifische Lesart – nämlich die der modernen Marktwirtschaft als entbettet – begünstigen, insistieren aber darauf, dass Polanyis Konzeption
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im Kern auf die Unmöglichkeit, Wirtschaften völlig zu entbetten, abzielt (Block/Somers 2014: 91-97).28 Schon ihr Verweis auf die erste Seite der Great Transformation scheint geeignet, ihre Lesart zu untermauern oder zumindest nicht vorschnell auszuschließen: »Our thesis is that the idea of a self-adjusting market implied a stark utopia. Such an institution could not exist for any length oftime without annihilating the human and natural substance of society; it would have physically destroyed man and transformed his surroundings into a wilderness.« (Polanyi 2001: 3) Die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts musste zusammenbrechen, da eine entbettete Wirtschaft, ein sich selbst regulierender Markt als alleiniges Instrument wirtschaftlicher Koordination, nicht real exisitieren kann, sondern eine Utopie ist. Polanyis Darlegung der Notwendigkeit des Entstehens gesellschaftlicher Gegenbewegungen gründet sich auf die Unterstellung, dass die Verwirklichung der Marktutopie mit der Zerstörung der Gesellschaft einhergehen muss. Polanyi stellt in einem Aufsatz, der unter anderem vom Wirtschaftsbegriff bei Aristoteles handelt, klar, dass das Gegensatzpaar Einbettung-Entbettung analytischen Wert hat, aber keinesfalls als kategoriale Variable anzusehen ist: »In the nature of things the development from embedded to disembedded economies is a matter of degree. Nevertheless the distinction is fundamental to the understanding of modern society.« (Polanyi 1957b: 68)29 Bisher habe ich gezeigt, dass Polanyi für eine strikte Dichotomie entbetteter und eingebetteter Ökonomien kritisiert wird, und dass sich Belege für diese Position bei Polanyi, insbesondere in der Gegenüberstellung moderner und traditioneller Gesellschaften, finden lassen. Dann habe ich die gegenteilige Position (die sich auch bei Stiglitz 2001 findet), ebenfalls mit einigen Textpassagen belegbar (ausführlich in Block/Somers 2013), skizziert. Allerdings findet sich auch Kritik an letzterer Position, und zwar sowohl im Hinblick auf den dogmengeschichtlichen Aspekt ihrer Zuschreibung zu Polanyi, als auch fundamental an der zugrunde liegenden Vorstellung 28 Die Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die Einbettung/Entbettung führen Block und Somers insofern auf einen epistemologischen Bruch in Polanyis Denken zurück, als er in den 1930er Jahren noch einer Karl Marx nahen Position des deterministisch zu begreifenden Prozess von Ausweitung, Krise und Zusammenbruch der Marktwirtschaft anhing, später aber der Idee der immer eingebetteten Marktwirtschaft nachging. Da Polanyi die Great Transformation aber zeitig (mit Kriegsende) veröffentlichen wollte, so die Vermutung, konnte er das Manuskript hinsichtlich dieser Frage nicht mehr ausreichend überarbeiten (Block 2003, Krippner u. a. 2004: 117). Joachim Görlich (1992: 218) sieht hingegen insbesondere Differenzen zwischen dem »frühen« und dem »späten« Polanyi. In späteren Schriften habe Polanyi auch die integrierende Wirkung von Märkten stärker anerkannt. 29 Wie gezeigt, stellt Polanyi mehrmals fest, dass sowohl Reziprozität, Redistribution als auch Markttausch in jeder Gesellschaft vorkommen (können). Gleichwohl wird seine Position oft so dargestellt, als ob Märkte in bestimmten Gesellschaften nicht existierten. Diese – gewissermaßen verzerrte Position Polanyis – ist Gegenstand weitreichender Kritik.
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einer immer eingebetteten Wirtschaft. Den Ansätzen, die auf die stete Einbettung von Wirtschaft abzielen, stehen nämlich Auffassungen entgegen, die genau diese Dichotomie als ein fundamentales Element in Polanyis historisch-vergleichenden Untersuchungen zu Märkten ansehen. Michele Cangiani (2011: 194) wirft den Konzeptionen der ubiquitären Einbettung von Wirtschaft vor (konkret Gemici 2008; Barber 1995; Block 2001, 2003), einen soziologischen Fehlschluss zu begehen. Dieser steht analog zum ökonomischen Fehlschluss, den Polanyi (1977b) der Wirtschaftswissenschaft vorwirft, wenn sie spezifische Modelle generalisierend auf alle Wirtschafts- und Gesellschaftsformen überträgt. Wirtschaften sind für Cangiani immer institutionalisiert, aber nicht immer eingebettet. Erste die Gleichsetzung von Institutionalisierung und Einbettung (etwa bei Gemici 2008: 9) lässt laut Cangiani die Wirtschaft immer eingebettet erscheinen. Die Auffassung einer stets eingebetteten Wirtschaft verstellt für ihn aber den Blick auf die differentia specifica der modernen Marktgesellschaft.30 Aus einer solchen Sichtweise erschwert das Einbettungsparadigma, insbesondere die Idee, dass alle Ökonomien eingebettet sind, eine systematische Unterscheidung zwischen »traditionellen« Ökonomien und Marktwirtschaften, aber auch zwischen verschiedenen Typen von Marktwirtschaften. So ergibt sich aus dem Rekurs auf die stete Einbettung von Wirtschaft als dominantes Narrativ der Wirtschaftssoziologie eines der Kontinuität (Beckert 2007: 18). Dann sagt das Einbettungs-Konzept aber nichts über die jeweilige spezifische Charakteristik von Einbettung aus (ebd.: 19) und daher mangelt es an Schärfe. Mir scheint es doch zumindest heuristisch nicht problematisch, die Unterscheidung zwischen eingebettet und entbettet idealtypisch zu fassen. Eine Differenzierung zwischen Graden an Einbettung scheint hinreichend dafür, dass der Begriff auf konkrete gesellschaftliche Verhältnisse anwendbar ist und aussagekräftig in der Unterscheidung dieser Verhältnisse bleibt. Wohlgemerkt gilt dies nur für einen Einbettungsbegriff, der graduelle Ausprägungen zulässt. So wichtig es ist, die Besonderheiten der modernen, hochgradig ausdifferenzierten Gesellschaft nicht aus den Augen zu verlieren, scheint dennoch ein Insistieren auf der absoluten, kategorischen Trennung der Wirtschaftsformen der Moderne und der Vormoderne wenig hilfreich, tatsächliche Praktiken im Wirtschaftsleben einzufangen. Verhalten auf konkreten Marktplätzen kann nur dann verstanden werden, wenn Handlungsweisen jenseits der mit »Markt« verbundenen rationalen Akteure ernst genommen werden.
30 Darüber hinaus kritisiert er an der Granovetterschen Auffassung von Einbettung, dass diese auf mikrosoziologischer Ebene verbleibe und somit lediglich die Einbettung individuellen Verhaltens, nicht aber die Institutionalisierung der Wirtschaft auf Makroebene zeige (Cangiani 2011: 193). Demgegenüber kritisieren Krippner und Alvarez (Krippner/Alvarez 2007: 221) zurecht, dass die Gegenüberstellung Granovetters und Polanyis anhand der Mikro-Makro-Unterscheidung irreführend ist, unter anderem, weil sie eine Komplementarität der Konzepte suggeriert.
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Märkte und Marktplätze müssen also voneinander unterschieden werden (Plattner 1989b, Callon 1998). Diese hier vorgeschlagene Lesart deckt sich mit dem Vorschlag Zelizers, Wirtschaft und Kultur nicht als feindliche Welten anzusehen. Die bisherigen Ausführungen blieben aber insofern statisch, als sie sich mit dem Gegensatzpaar Einbettung und Entbettung als Zustandsbeschreibungen auseinandergesetzt haben. Jedoch zielt Polanyi vor allem auf die Dynamik im Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft ab. Seine Vorstellung der Einbettung läuft nicht auf die bloße These hinaus, dass Wirtschaft immer und überall eingebettet ist, sondern hängt eng mit der Konzeption der Doppelbewegung in Marktgesellschaften zusammen. Selbstregulierende Märkte haben eine Tendenz zur Expansion, sie weiten sich in alle Bereiche der Gesellschaft aus bzw. entbetten spezifische Teilbereiche ökonomischen Handelns. Auch die Kommodifizierung von Land, Arbeit und Geld ist nicht abgeschlossen. Es werden immer weitere vormals dem Markt vorenthaltene Subsysteme der Gesellschaft einbezogen. Diese Tendenz der »Vermarktlichung« (Ebner 2014), der zunehmenden Durchsetzung marktförmiger Koordinationsmechanismen, bleibt aber nicht unbeantwortet, sondern es entstehen spontane gesellschaftliche Gegenbewegungen, die sich als Prozesse des gesellschaftlichen Selbstschutzes interpretieren lassen. Sie finden sich zunächst in politischen Großinstitutionen des Sozialstaates, etwa in Arbeitsgesetzen, aber auch in Sozialhilfe oder Sozialversicherungen. Die Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts basiert auf einem Ringen des ökonomischen Liberalismus mit einem sozialen Protektionismus, der insbesondere die Dekommodifizierung der fiktiven Waren erreichen wollte (Polanyi 2001: 79, 138f). Die entscheidende Frage ist für Polanyi in diesem Zusammenhang nicht, ob und wie es zu einer vollständigen Entbettung oder Wiedereinbettung kommen kann, sondern vielmehr welche gesellschaftlichen Folgen die widerstreitenden Bewegungen nach sich ziehen. 4.3.4 Gegenbewegung auf der Mikroebene? Zur Doppelbewegung aus Marktexpansion und Selbstschutz der Gesellschaft Polanyi beschreibt die Doppelbewegung als Ringen der Versuche des spontanen Selbstschutzes der Gesellschaft mit dem sich ausbreitenden Markt. Denn der Markt, insbesondere die Kommodifizierung von Land, Arbeit und Geld, würde die Gesellschaft zerstören. Der sich ausbreitende Markt wiederum ist selbst erst Ergebnis politischer Handlungen, nicht der natürlichen Entwicklung. Zur Spontaneität bringt Polanyi auf den Punkt: »Laissez-faire was planned; planning was not« (Polanyi 2001: 147). Die Einrichtung freier Märkte ist Produkt politischer Steuerung und ohne diese nicht vorstellbar. Aufgrund ihrer selbstzerstörerischen Tendenz entsteht allerdings eine zum Teil nicht geplante oder organisierte Antwort des Selbstschutzes der Gesellschaft (ausführlich Block/Somers 2013). In der Great Transformation zeichnet
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Polanyi detailliert verschiedene gesellschaftliche Versuche der Kontrolle des Systems sich selbst regulierender Märkte nach, die aber mit weiteren Problemen einhergehen. »Inevitably, society took measures to protect itself, but whatever measures it took impaired the self-regulation of the market, disorganized industrial life, and thus endangered society in yet another way. It was this dilemma which forced the development of the market system into a definite groove and finally disrupted the social organization based upon it.« (Polanyi 2001: 3f)
Die Gegenbewegung oder Gegenbewegungen sind nicht ausschließlich durch die Arbeiterklasse mit ihren Parteien, Gewerkschaften und Genossenschaften bestimmt, sondern durch verschiedenartige Gruppen der Gesellschaft (Block 2001: xxviii). Auch Herausbildung und Stärkung von Zentralbanken als Antwort auf hohe Geldmengenfluktuationen und auf die damit verbundene Krisenanfälligkeit des Kreditsystems etwa ist Teil der Gegenbewegung: »Modern central banking, in effect, was essentially a device developed for the purpose of offering protection without which the market would have destroyed its own children, the business enterprises of all kinds.« (Polanyi 2001: 201) Ohne Schutzmechanismen funktioniert das marktliche Banksystem nicht.31 Polanyis Beschreibung von Marktausdehnung und Gegenbewegung kann als Ansatzpunkt der Deutung moderner gesellschaftlicher Bewegungen dienen, welche Alternativen zur Marktwirtschaft aufzeigen wollen. Selbstverständlich lässt sich seine Analyse dabei nicht ohne Einschränkungen übertragen. Um »Freedom in a Complex Society« (Polanyi 2001, Kapitel 21) zu ermöglichen, schwebte ihm wirtschaftliche Planung mit starker Regulierung und staatlicher Kontrolle des Marktes vor, welche auf moralischen Werten und Pflichten basiert. Grundlegend problematisch an Polanyis Konzeption der Doppelbewegung ist ein ihr zugrundeliegender Funktionalismus. Denn Polanyi sieht die gesellschaftliche Gegenbewegung als notwendig und unausweichlich an, die sich spontan als Antwort auf die Marktausweitung bilden muss. Unterbestimmt bleiben dabei heterogene Interessen in der Gesellschaft und die Frage, welche Gruppen aus welchen Gründen zur Gegenbewegung ansetzen. Doch nicht nur die Entstehung der Gegenbewegung, sondern auch die Erwartung ihres Erfolges (bedingt schon durch den utopischen Charakter der Marktgesellschaft) scheint funktionalistisch erklärt zu werden. Allerdings hat 31 Das Beispiel der Herausbildung von Zentralbanken soll verdeutlichen, wie das Finanzsystem ohne Schutzmechanismen durch eine Zentralbank als »lender of last resort« nicht funktionierte. Zentralbanken müssen »most freely […] to merchants, to minor bankers, to ›this and that man‹« Geld verleihen, wie Walter Bagehot in seiner berühmten Studie Lombart Street zur Reaktion der Bank of England auf die Krise infolge des Zusammenbruchs von Overend, Gurny and Company von 1866 schreibt (Bagehot 2008 [1871]: 30).
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die Geschichte seit Veröffentlichung der Great Transformation gezeigt, dass das liberale Credo wirkmächtig geblieben ist (hierzu Block/Somers 2013) und wieder eine Phase der Entbettung selbstregulierender Märkte hervorgebracht hat. Die Doppelbewegung kann dabei nicht einfach ein schematisches Oszillieren zwischen mehr und weniger eingebetteten Wirtschaften bezeichnen (Cangiani 2011: 192 kritisiert gerade diese Vorstellung bei Block 2003). Eine wesentliche Einsicht liegt in der offenen Zukunft; es ist also nicht sicher, ob gesellschaftliche Schutzmaßnahmen die Marktentfaltung zähmen werden. Wolfgang Streeck plädiert daher für eine weniger deterministische Lesart des Zusammenhangs von Marktausweitung und Gegenbewegung. »No general predictions are possible, and none is proposed, as to the eventual success of political countermovements against the marketization of social life. This holds true even where functionalist arguments can be made that without re-embedding in regulatory social institutions, a market economy will eventually be unable to function. Catastrophes cannot be precluded a priori.« (Streeck 2011a: 158)
Auch Polanyi behauptet nicht, dass Gegenbewegungen erfolgreich sein müssen, sondern lediglich, dass sie notwendige Antworten auf die Marktausweitung sind. Er zeigt gerade, wie das Ringen von Marktexpansion und gesellschaftlichem Selbstschutz in die Katastrophe der 20. Jahrhunderts führte. Allgemein verstellt eine Interpretation der Doppelbewegung als ein stetes Hin und Her zwischen Entbettung und Einbettung den Blick auf völlig gegensätzliche Formen des gesellschaftlichen Selbstschutzes gegenüber dem Markt, etwa den Faschismus und den Sozialstaat. Allerdings sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass Polanyis Beschreibung der Selbstzerstörung der Zivilisation des 19. Jahrhunderts diese gesellschaftlichen Phänomene nicht ignoriert. Die Einschränkung oder Aufhebung zentraler Institutionen wie etwa des Goldstandards, der Grundsätze des liberalen Staats und des internationalen Gleichgewichts der Mächte werden von Polanyi ja gerade als Folgen der Antwort auf die Ausdehnung des selbstregulierenden Marktes gedeutet. Die Schicksale der demokratischen, liberalen und linken Bewegungen in Europa zwischen den Weltkriegen sind Polanyi nicht fremd.32 In dieser Arbeit geht es, wie bereits zu Beginn dieses Kapitels angedeutet, nicht um eine historische Rekonstruktion der Doppelbewegung oder um eine 32 Cangiani macht auf die Möglichkeit dynamischer Veränderungen in diesem Ringen um Marktentfaltung und -einhegung aufmerksam. Zu diesen Veränderungen zählt er (2011: 192) technischen Fortschritt, aber auch die Marktstruktur, die Rolle des Staates, Repräsentation von Interessengruppen und die Perspektiven der Demokratie. Aufgrund dieser Unterschiede kann auch eine neue gesellschaftliche Gegenbewegung nicht auf die Rezepte der Einhegung des Marktes im 20. Jahrhundert zurückgreifen. Bob Jessop (2007) identifiziert mit Wissen (knowledge) eine weitere fiktive Ware, deren Kommodifizierung weit fortgeschritten ist. Neue Gegenbewegungen können hier ansetzen und versuchen, solche fiktiven
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erschöpfende dogmenhistorische Auseinandersetzung mit Polanyis Position und ihren Problemen (hierzu vgl. Dale 2010: 226f, Cangiani 2011). Stattdessen liegt das Hauptaugenmerk auf Überlegungen zu neuen Formen der Gegenbewegung und ihren Möglichkeiten auf der Mikroebene. Es geht also weder um sozialstaatliche Errungenschaften, Regulierungen und Deregulierungen der Arbeits- oder Finanzmärkte, noch um Versuche makroökonomischer Steuerungen, sondern ich beschränke meine Aufmerksamkeit auf spezifische lokale, zivilgesellschaftliche Ausprägungen der Einbettung wirtschaftlichen Handelns. Die lokale Mikroebene wird dabei als eigenständiger Bestandteil des lokal/global-Nexus gesehen (Tickell 2000: 235). Zunächst lassen sich hinsichtlich der reziprozitätsbasierten Einbettung auf der Mikroebene zwei Positionen voneinander abgrenzen. Die erste Position sieht letztlich eine Wiederkehr reziprozitätsbasierter sozialer Sicherungsmechanismen als Konsequenz der weiteren Vermarktlichung und des damit verbundenen Rückzugs des Staates als Versorger (so Alexander 2009 zum Dritten Sektor, Lee 1999: 224 als Befürchtung für Tauschringe). Hier zeigt sich die Wieder-Einbettung als Rückkehr zur informellen Ökonomie, deren Bedeutung wieder wächst (Hettne 1990: 216). Damit ist die lokale (Wieder-)Einbettung nicht nur Folge der Marktentfaltung, sondern gleichzeitig ihr Ausdruck: eingebettete lokale Sphären sind die Kehrseite der Entbettung auf der Makroebene. Eine zweite Position erkennt nicht so sehr eine Wieder-Hinwendung zu Residuen informeller, familiärer Mechanismen und zu sich selbst überlassenen Gemeinschaften, also letztlich eine Rückkehr zu vergangenen Einbettungsformen, sondern progressive Ansätze der Zivilgesellschaft. Laville (2010) konzipiert eine solidarische Ökonomie, bestehend aus Vereinigungen, Genossenschaften und anderen Assoziationen kollektiven mutualistischen Handelns, die er neben Wettbewerb, aber auch Sozialökonomie und den Dritten Sektor stellt (vgl. 7.1). Die historische Bewegung der Marktexpansion ist seiner Ansicht nach immer flankiert von demokratischen Solidaritätsformen, die aus egalitärer Reziprozität und öffentlicher Redistribution bestehen. Dieser Ansatz steht typisch für Konzeptionen der solidarischen oder sozialen Ökonomie, die auf die parallelen Ausweitungen verschiedenartiger Wirtschaftsweisen in einer jeden Gesellschaftsform rekurrieren. Die Solidarische Ökonomie basiert auf dem Zusammenspiel der drei Prinzipien Markt, Reziprozität und Waren zu dekommodifizieren. Auch Nancy Fraser (2013, 2014) kritisiert in ihrer Auseinandersetzung mit Polanyi, dass die Figur der Doppelbewegung unzureichend ist. Sie bemängelt insbesondere, dass emanzipatorische Bewegungen seit den 1960er Jahren keinen Platz in der schematischen Doppelbewegung haben, wenn diese als Aufeinanderprallen zweier in sich vergleichsweise homogener Interessengruppen begriffen wird. Fraser will zeigen, wie die gesellschaftlich-politische Gegenbewegung der Nachkriegszeit selbst Unterdrückungstendenzen hervorgebracht hat. Sie rückt neue Emanzipationsbewegungen, etwa Antikriegsbewegungen, feministische Bewegungen, LGBT-Emanzipation usw. ins Zentrum und spricht von einem »triple movement« (Fraser 2013).
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Redistribution; und in ihr schlicht eine Rückkehr in die Informalität zu sehen, heißt sie missverstehen. Für die vorliegende Arbeit relevant ist insbesondere die mögliche Bedeutung der Zivilgesellschaft und von lokalen und regionalen Organisationen für eine aktive Selbststeuerung wider den Marktmechanismus.33 Es wird argumentiert, dass nicht nur (national)staatliche Politik, sondern auch Nichtregierungsorganisationen Teil dessen sind, was sich als Gegenbewegung beschreiben ließe (Sandbrook 2011; hierzu Dale 2012: 13). Hier werden im Anschluss an Polanyi Hoffnungen auf eine neue große Transformation gesehen, denn »decentralised economic democracy or participatory planning would constitute, in effect, a second grand transformation« (Sandbrook 2011: 425). Dabei müssen die zu untersuchenden Bewegungen und Ideen nicht in ihrer gesellschaftlichen Wirkung mit der von Polanyi beschriebenen Gegenbewegung vergleichbar sein. Vielmehr geht es mir im Folgenden um Parallelen hinsichtlich der Anlässe und Ziele, die in solchen Bewegungen erkennbar werden. In der Literatur finden sich verschiedene Überlegungen, die Gegenbewegung auf der Mikroebene zu suchen. So macht Gregory Baum als Kandidat*innen neue Formen wirtschaftlicher Kooperation auf Community-Ebene aus und schließt damit explizit kleine lokale Bewegungen wie Gemeinschaftsküchen und -gärten, Reparaturläden oder kooperative Läden mit ein (Baum 1996: 57f). Die gesellschaftliche Gegenbewegung stellt sich der Ausbreitung des Marktes also auf verschiedenen Ebenen gegenüber. Nicht nur staatliche Interventionen auf der nationalen Ebene, sondern auch regionale und lokale Gemeinschaften und Akteure gehören ihr an (Helleiner 1995). »[T]he ›society‹ in which the market is to be re-embedded is not just the national community but also local, regional and global communities. Consequently, the structure of the global financial order that might emerge from the success of these countermovements is likely to look quite different from that which had emerged by the 1930s. Forms of ›regulation‹ would be in place in a kind of multitiered fashion at the local, national, regional and global levels.« (Helleiner 1995: 162)
Die unmittelbaren Fähigkeiten solcher Bewegungen zum Wiedereinbetten ökonomischer Zusammenhänge sind sicherlich in vielen Hinsichten deutlich begrenzter als 33 Der Fokus in dieser Arbeit bedeutet nicht, dass Gegenbewegungen auf zivilgesellschaftlicher Ebene (ob lokal oder transnational) alleine in der Lage wären, für eine neue Form der Einbettung zu sorgen, welche die Einhegung der Märkte in erforderlicher Weise gestalten würde. Im Gegenteil, die globale Marktentfaltung macht globale Gegenbewegungen erforderlich, so schwierig deren Konstituierung auch ist. Für die fiktive Ware Geld bedeutet dies etwa eine Regulierung der (globalen) Finanzmärkte (Altvater 2009: 222) und vermutlich auch eine Stärkung der Kontrolle über die Geldschöpfung, etwa in Form einer globalen Referenzwährung in Anlehnung an Keynes Bancor-Vorschlag.
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(national-)staatliche Politik (wenn auch diese in der stets fortschreitenden Globalisierung schwieriger wird), aber dennoch nicht zu verachten. So schwierig die Kombination lokaler und globaler Bewegungen auch ist, so notwendig ist sie letztlich für die Kräfte der Gegenbewegung. Die Kombination globalen Denkens und lokalen Handelns ist zwar eher zu einem Klischee mutiert, als dass sie verwirklicht worden wäre, bleibt aber notwendiger Bestandteil von Gegenbewegungen (Evans 2008: 287). Als Begründung für die Bedeutung lokalen Handelns nennt Peter Evans das Subsidiaritätsprinzip (2008: 50) und ruft damit in Erinnerung, dass Auswirkungen der Entbettung lokal direkt spürbar sind und ihnen auch vor Ort begegnet werden muss. Ein Problem für Versuche der Einbettung durch Regionalisierung und Relokalisierung von Wirtschaft und Geld ergibt sich daraus, dass hiermit ja gerade die Abkopplung von der globalen Ebene erreicht werden soll, gleichzeitig aber die lokale Ebene alleine nicht ausreicht, um systemische Änderungen zu bewirken. Die globale Koordination solcher lokalen Mikro-Gegenbewegungen steht vor großen Hindernissen, und inwiefern sie überhaupt möglich ist, bleibt umstritten (DeMoor 2013: 156). Die Forderung nach Gegenbewegungen auf lokaler Ebene muss dabei nicht mit der besonderen Stärke lokaler Institutionen, sondern kann auch mit der exorbitanten Schwäche staatlicher Institutionen begründet werden. Es handelt sich also um eine relative Stärke: »Conversely, where ineffective national states and fragmented civil societies obtain, localised communitarian experiments may be the best (and only) option.« (Sandbrook 2011: 424) Bei lokalen Formen der Gegenbewegung handelt es sich zunächst um Experimente, die Alternativen im Kleinen aufzeigen, nicht um die unmittelbare Regulierung auf der Makroebene.34 In diesem Sinne nennt Erik Ohlin Wright lokale sozialökonomische Projekte als wesentlich für die Transformation des Kapitalismus durch »real utopias« (Wright 2012: 22). Solche kleinen Projekte gesellen sich seiner Ansicht nach neben Produktivgenossenschaften, öffentlichen Banken und Unternehmen und anderen wirtschaftsdemokratischen Projekten.35 Aus diesen
34 Frank Schulz-Nieswandt vermutet entsprechend, dass es zwar zu keiner umfassenden Rücknahme der Entbettung kommen werde, dass sich aber »Sphären neuen Arbeitens, Wohnens und insgesamt des sozialen Austausches abzeichnen, die einer anderen dispositiven Grammatik folgen als es in der Wirtschaftsgesellschaft heute – mit habitualisierenden Neigung zur imperialen Hegemonie des mental-charakterlichen Kapitalismus – der Fall ist« (Schulz-Nieswandt 2015a: 47, Herv. i.O.). Er betont die Unumkehrbarkeit der Großen Transformation und der Entbettung der Wirtschaft im Ganzen, sieht aber in gemeinwirtschaftlich-genossenschaftlichen Sphären Orte der partiellen Einbettung (ders. 2014). 35 Aus meiner Sicht hervorzuheben innerhalb der realen Utopien sind Produktivgenossenschaften, da diese den Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital partiell aufheben, indem Arbeiter*innen bzw. Angestellte ihre Unternehmen gemeinschaftlich besitzen und demokratisch kontrollieren. Auch genossenschaftliche Verfügung über Land würde einen Schritt
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kleinen lokalen Bereichen mögen sich langfristig größere soziale Bewegungen entwickeln, wie es in der Vergangenheit auch geschehen ist (man denke etwa an die Genossenschaftsbewegung). Polanyis Kritik an der Konzeption von Wirtschaft als eigenständiger Sphäre menschlichen Handelns (Servet 2009) und die Idee der Doppelbewegung erlaubt es, neue ökonomische Institutionen zu erfassen und zu entwickeln. Ein Rückgriff auf Polanyi im Sinne einer romantisierenden Kritik der Marktausbreitung oder Kommodifizierung, welche auf eine Wiederherstellung vormoderner Institutionalisierungen abzielt, führt allerdings ins Leere. Zu den neuen, zivilgesellschaftlich eingebetteten Institutionen zählt Jean-Michel Servet explizit alternative Währungen und andere lokale Gemeinschaftsformen. Auf diese komme ich in Kapiteln 6 und 7 zurück, ehe ich die empirischen Fallstudien erörtere. Zunächst wende ich mich aber Mauss und der Gabe zu. Obwohl die Überschneidungen in ihren Ansätzen und Strategien so groß sind, dass sie als zusammengehörig angesehen werden können, findet sich nur ein sehr geringer unmittelbarer Einfluss der französischen Soziologie auf Polanyi (Steiner 2009b: 71).36 Polanyis Vorstellung der Einbettung der Wirtschaft in traditionellen Gesellschaften ähnelt aber der fait social total bei Mauss und Durkheim (Cangiani 2003: 328).Gleichwohl gibt es, wie im Folgenden gezeigt wird, Unterschiede und verschiedene Schwerpunktsetzungen der beiden Ansätze, die sich wechselseitig fruchtbar ergänzen.
der Dekommodifizierung bedeuten. Die Arbeiten Elinor Ostroms (Ostrom 1999) haben gezeigt, dass die Allmende sehr wohl effizient bewirtschaftet werden kann und nicht automatisch einer »Tragödie« (Hardin 1968) geweiht ist. 36 Dieser geringe unmittelbare Einfluss überrascht vor allem mit Blick auf Polanyis Vernachlässigung von Mauss Essay über die Gabe, zumal Polanyi des Französischen mächtig war (Steiner 2009b: 56). Polanyi bezieht sich unmittelbar auf Malinowksi und Thurnwald, nicht aber auf Mauss. Steiner verweist auf eine weitere wichtige Verwandtschaft zwischen Polanyi und der französischen Soziologietradition von Comte über Durkheim bis Bourdieu indem er betont, dass sowohl Polanyi als auch die Durkheim-Schule die Rolle ökonomischen Wissens für die Herausbildung der modernen Wirtschaft herausarbeiten. Er skizziert den Ansatz einer »Cognitive Embeddedness« (2009: 68) als Anknüpfungspunkt einer stärkeren Integration Polanyis mit der institutionalistisch angelegten französischen Soziologie. Steiners Herausarbeitung der Rolle des Wissens wiederum spiegelt sich in Block und Somers Vorschlag einer Konzeption der »ideellen Einbettung« (Somers/Block 2005), mit welcher die Herausbildung und Vorherrschaft marktliberalen Denkens und ihr Einfluss auf polit-ökonomische Entwicklungen begriffen werden kann.
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Marcel Mauss und die Gabe
Nach dieser Erörterung der Historisierung der modernen Marktwirtschaft, des Gegenentwurfes einer Analyse des Wirtschaftlichen zur ökonomischen Theorie, sowie der Debatte um die Einbettung der Wirtschaft mit Institutionalisierungsformen jenseits des Marktes, komme ich zu einem verwandten Ansatz: dem der Gabe und des Gabentausches. Die intellektuelle Leitfigur ist hier Marcel Mauss. Mauss ist im Gegensatz zu Karl Polanyi in der Wirtschaftssoziologie weitaus weniger präsent, obwohl sein Hauptwerk zur Gabe in vielerlei Hinsicht Ähnlichkeiten mit Polanyis Werk aufweist, dabei aber in Form des Gabentausches eine vielschichtigere Konzeption von Reziprozität und auch von Redistribution liefert (vgl. Hann/Hart 2011). Mauss steht deutlich der teils naiven, romantisierenden Sicht auf die Vormoderne entgegen, welche sich in einigen Schriften Polanyis findet. Doch es gibt wesentliche Gemeinsamkeiten (vgl. Hann/Hart 2011, Kapitel 2 und 3). Dies gilt in methodischer Hinsicht zunächst für die grundlegenden Ansätze einer von historischen und anthropologischen Quellen getragenen Kontextualisierung der modernen Wirtschaft. In konzeptueller Hinsicht ist die Kritik an der Vorstellung einer gänzlich separaten ökonomischen Sphäre, losgelöst von Politik, Religion, Recht und Kultur zu nennen, ebenso wie die konkrete Eingrenzung des Markttausches als eine spezifische Form des Tausches. Genau wie Polanyi wendet sich Mauss gegen die vorherrschende politische Ökonomie mit ihren Annahmen über die Natur des Menschen und die friedliche, zivilisierende Wirkung des Marktes (zu dieser Kritik Hirschman 1992). Mit dem Essay zur Gabe zeigt Mauss, genau wie Polanyi, dass es so etwas wie eine natürliche, auf Subsistenz Einzelner basierende Wirtschaftsform, die keine Tauschsphäre aufweist, nie gegeben hat (vgl. Gregory 1982: 18). Auch zeigt Mauss (1990: 21f), dass der Ursprung des Tausches nicht zwischen Individuen, sondern zwischen Gruppen zu suchen (und zu finden) ist. Mauss steht insofern der Einbettungskonzeption Polanyis nahe, da er ebenso die strikte, auch analytische, Trennung einer wirtschaftlichen von nichtwirtschaftlichen Sphären hinterfragt. Beide Autoren greifen damit sowohl die herkömmliche Wirtschaftstheorie als auch die moderne Wirtschaftsweise an. Sie betonen, dass Wirtschaften nicht deckungsgleich mit Marktwirtschaften ist. Es gibt wirtschaftliche Prinzipien jenseits des Kaufs/Verkaufs
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auf Märkten, nicht gesteuert durch die Marktlogik, und nicht getrieben vom Ziel der individuellen Nutzen- oder Erwerbsmaximierung. Dies wird heute oft vergessen. Neben diesen Gemeinsamkeiten findet sich im Begriff der Gabe bei Mauss darüber hinaus eine phänomenologisch reichhaltige Beschreibung einer Alternative zu marktförmigem Handel und Austausch. Der auf der Gabe beruhende Gabentausch1 ist eine spezifische Tauschform, die sich vom Markttausch abgrenzen lässt, da sie weder preisvermittelt ist, noch auf individuelle Nutzenkalküle reduziert werden kann. Der Gabenzyklus kann somit, so Mary Douglas in ihrer Einleitung zur englischen Neuausgabe der Gabe von 1990, als theoretischer Gegenentwurf zur »unsichtbaren Hand« des Marktes gesehen werden. Gabentausch findet für Douglas dort statt, wo kein Markttausch stattfindet. Gleichwohl liefert auch der Gabentausch Individuen Anreize, innerhalb von Tauschbeziehungen zu kollaborieren (Douglas 1990: xviii). Vor allem aus dieser Gegenüberstellung von Gabentausch und Warentausch speist sich die andauernde Debatte um die Gabe. Schließlich fungierte, so Elfie Miklautz, der Gabentausch lange Zeit als »die Kontrastfolie zu den Warentransaktionen der kapitalistischen Ökonomie« (Miklautz 2010: 19, Herv. i.O.). Eine wichtige begriffliche Bestimmung liegt darin, dass die Gabe entgegen dem, was ein vortheoretisches Verständnis vermuten lassen könnte, nicht mit einem altruistischen Geschenk zu gleichzusetzen ist. Mit seinem Essay über die Gabe (1990) liefert Mauss die wichtigste Grundlage für verschiedene Richtungen und Strömungen gabe- und reziprozitätsorientierter Sozialtheorien. Mauss baut auf den ihm zur Verfügung stehenden ethnologischen Feldstudien zu »archaischen« Gesellschaften auf und legt eine systematische Analyse und Interpretation des Gabentauschs in diesen Gesellschaften vor. Ihm geht es allerdings nicht (ausschließlich) um archaische Gesellschaften, sondern um die europäische Moderne. Mauss möchte die Gabe als universelles gesellschaftliches Prinzip herausarbeiten, das erst durch die moderne Marktgesellschaft an den Rand gedrängt wurde. In Zukunft, so seine Forderung, muss die Gesellschaft sich auf die Gabe zurückbesinnen. Deutlich wird das, wenn er am Ende die Wiederentdeckung des Rechts und der Moral in Formen der Sozialversicherung erkennt. Im Folgenden skizziere ich knapp wesentliche Aussagen von Mauss, ehe ich auf einige Hauptströmungen der Rezeption eingehe.2 Dabei betone ich in Anlehnung an 1
Vorab bereits eine Anmerkung zur Terminologie: Die einzelne Gabe wird, wie sich zeigen wird, meist von einer Gegengabe begleitet; daher der Begriff des Gabentausches. Damit ist nicht ein Tausch von Äquivalenten gemeint (Adloff 2016). Auch ist damit nicht gemeint, dass jede Gabe zwingend Teil eines Tausches wäre.
2
Gabetheorien können an dieser Stelle weder rezeptionsgeschichtlich noch überhaupt in ihrer Gesamtheit analysiert oder auch nur klassiert werden. Der Essay sur le Don wurde außerhalb Frankreichs jahrzehntelang stiefmütterlich behandelt, erfährt aber eine sich weiterhin ausbauende Renaissance. Dabei kommt es zu durchaus konfligierenden Positionen
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die jüngere Gaberezeption, insbesondere die der M.A.U.S.S.-Schule (Caillé 2008, kritisch Moebius 2010, wohlwollender Miklautz 2010, Schulz-Nieswandt 2015a), die Vielschichtigkeit der Gabe und weise ihre Reduzierbarkeit auf ein altruistisches Geschenk oder einen rationalen Tauschakt zurück. Ich skizziere zunächst die Gabe mit ihrer Gleichzeitigkeit von Freiwilligkeit und Verpflichtung als Grundlage sozialer Beziehungen (5.1). Dann stelle ich ausgewählte Rezeptionen der Gabe vor, welche in unterschiedlichen Hinsichten der Komplexität der Gabe nicht gerecht werden (5.2). An diese Überlegungen anknüpfend diskutiere ich die Frage nach der Gabe in der Moderne und unterscheide zwischen verschiedenen grundlegenden Positionen, der Non-Existenz, der Transformation und der Kontinuität des von Mauss als archaisch beschriebenen Gabentausches (5.3). Im Anschluss wende ich mich dem Kontinuum von Reziprozitäten zu, das Marshall Sahlins im Anschluss an Mauss und Polanyi vorgeschlagen hat und welches es erlaubt, generalisiert-positive von ausgeglichenen und negativen Formen der Reziprozität zu differenzieren (5.4). Das Kapitel schließt mit kurzen Überlegungen zum Verhältnis von Gabe und Reziprozität zum Geld, wobei Anschluss an die vorherigen Überlegungen zu Polanyi und Zelizer gesucht wird (5.5).
hinsichtlich der Bedeutungen der Gabe in sogenannten vormodernen und modernen Gesellschaften sowie grundlegend hinsichtlich der theoretischen Verortung in holistischen oder individualistischen Theorien. Ich stütze mich hierbei besonders auf die Überblicke bei Caillé (2008), Adloff/Mau (2005), Adloff (2010), Miklautz (2010: 38-77), Moebius (2010), sowie auf die Ausführungen zur Gabe in Hillebrandt (2009: 126-156) und Paul (2012: insbesondere 84-92). Auch Iris Därman (2010) bietet einen Überblick über wesentliche Mauss-Rezeptionen, bewertet diese aber vor allem danach, wie adäquat sie Mauss wiedergeben, und verabsolutiert somit seinen Essay. Jonathan Parry spricht von der Gabe als heiligem Text der Anthropologie (Parry 1986: 455), womit die Tendenz einer solchen Verabsolutierung gemeint ist. In den genannten Überblickswerken finden sich Verweise auf die wichtigsten Gabe-Rezeptionen und Konzepte von Alvin Gouldner, Claude LéviStrauss, Georges Bataille, Godelier, Marcel Hénaff, Marshall Sahlins, Pierre Bourdieu, Jacques Derrida, Alain Caillé, Paul Ricœur und vielen mehr, auf die ich in den folgenden Ausführungen zu großen Teilen allenfalls punktuell zu sprechen komme. In dieser Aufzählung klingt bereits an, dass Mauss und die Gabe vor allem in Frankreich stets rezipiert wurden; erst in den letzten Jahr(zehnt)en findet sich eine Wiederentdeckung auch außerhalb der Ethnologie und französischen Soziologie (vgl. Hart/James 2014).
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5.1 DIE GABE ZWISCHEN FREIWILLIGKEIT UND VERPFLICHTUNG Mauss wertet ethnologische Studien seiner Zeit aus und findet den Gabentausch als universelles Muster in archaischen Gesellschaften. Dezidiert setzt er sich vor allem mit Bronislaw Malinowski auseinander, dessen (erzwungener) Aufenthalt auf den Trobriand-Inseln dazu führte, dass Feldforschung und teilnehmende Beobachtung die Ethnologie als Wissenschaft prägen sollten.3 In den Argonauten des westlichen Pazifiks (1999 [1922]) liefert Malinowski eine detaillierte Beschreibung Kula-Rings. Malinwoski entwirft darin unter anderem eine Klassifikation verschiedener Tauschformen, die für ihn von reinen Gaben, frei von jeglichem Kalkül, bis hin zu reinem Handel reichen, bei dem Tauschpartner*innen ihren jeweiligen Vorteil verfolgen (ebd.: 135). Mauss weist hingegen das Ideal reiner Gaben als frei und interessenlos als irreführend zurück (1990: 168). Seiner Ansicht nach beruht diese Deutung Malinowskis auf modernen, westlichen Kategorien und geht an der Wirklichkeit der Tauschform aus emischer Perspektive vorbei. Mauss zeigt (vordergründig zunächst für sog. archaische Gesellschaften), wie soziale Beziehungen durch den Zyklus des Gebens, Annehmens und Erwiderns entstehen und verfestigt werden.4 Der Gabentausch befriedet, indem kriegerische Akte durch symbolische Auseinandersetzungen ersetzt werden, die das friedliche Zusammenleben erst ermöglichen (vgl. Miklautz 2010: 48). Der Austausch besteht nicht auf individuellem Feilschen oder Vertragsabschlüssen, sondern zunächst aus Geschenken und Gegengeschenken. Das Geben und das Annehmen solcher Geschenke mögen
3
Malinwoski nahm für sich in Anspruch, eine an Tatsachen orientierte, nicht durch Theorien deduzierende Darstellung und Vorgehensweise zu liefern. Zu dieser Problematik vgl. Miklautz (2010: 30f).
4
Hier sind große Parallelen zu Georg Simmels berühmtem »Exkurs über Treue und Dankbarkeit« zu erkennen, der im Geben Wechselwirkung und Grundlage von Gesellschaft sieht: »Ohne dass in der Gesellschaft dauernd gegeben und genommen wird […] würde überhaupt keine Gesellschaft zustande kommen. Denn das Geben ist keineswegs nur eine einfache Wirkung des Einen auf den Anderen, sondern ist eben das, was von der soziologischen Funktion gefordert wird: es ist Wechselwirkung. Indem der Andere entweder annimmt oder zurückweist, übt er eine ganz bestimmte Rückwirkung auf den ersteren. Die Art, wie er annimmt, dankbar oder undankbar, so, dass er schon erwartet hat oder dass er überrascht wird, so, dass er von der Gabe befriedigt oder unbefriedigt bleibt, so, dass er sich durch die Gabe erhoben oder gedemütigt fühlt – alles dies übt eine sehr entschiedene, wenn auch natürlich nicht in bestimmten Begriffen und Maßen ausdrückbare Rückwirkung auf den Gebenden, und so ist jedes Geben eine Wechselwirkung zwischen dem Gebenden und dem Empfangenden.« (Simmel 1992: 663, Fn 1)
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zunächst freiwillig erscheinen, entspringen nach Mauss aber sozialen Verpflichtungen. Ökonomischer Tausch ist in diesem Sinne untrennbar mit dem Außerökonomischem verbunden. Der Gabentausch ist für Mauss ein »System totaler Leistungen« (1990: 22) oder ein totaler sozialer Tatbestand, fait social total. Dies ist er erstens, da er alle Dimensionen des Sozialen beinhaltet, zugleich ökonomisch, rechtlich, religiös, politisch, moralisch, kulturell ist und somit, zweitens, alle gesellschaftlichen Teilbereiche, die gesamte Gesellschaft miteinbezieht. Die Gabe ist für Mauss der »Felsen […], auf dem unsere Gesellschaften ruhen« (Mauss 1990: 19). Sie organisiert die Reproduktion der Gesellschaft, indem sie friedliche Beziehungen schafft und aufrechterhält. »If friends make gifts, gifts make friends.« (Sahlins 1972: 186) Die am Gabentausch Beteiligten vergewissern sich gegenseitig ihrer friedlichen Absichten. Insofern geht es bei der Gabenbeziehung auch nicht um die exakte Begleichung von Schulden, »denn die Unterbrechung oder gar Ablösung einer Beziehung ist gerade nicht intendiert –, sie wird erwidert, um sich einander der guten Absichten sowie des Beistands in schwierigen Zeiten zu versichern« (Paul 2005: 251f). Riskant ist die Gabe, da das Gegenüber die Verpflichtung, die Gabe anzunehmen und zu erwidern, missachten kann. Es obliegt der Empfänger*in, eine Sache als Gabe anzuerkennen und über eine mögliche Gegengabe zu entscheiden. Ein wesentlicher Aspekt ist noch einmal hervorzuheben: Die Gabe ist zwar »theoretisch freiwillig«, jedoch verpflichtend, da immer gegeben und erwidert werden muss (Mauss 1990: 17). Hier zeigt sich die Ambivalenz der Gabe, die nicht erzwungen, aber deren Verweigerung sanktioniert werden kann. Mauss betont »den sozusagen freiwilligen, anscheinend selbstlosen und spontanen, aber dennoch zwanghaften und eigennützigen Charakter dieser Leistungen« (Mauss 1990: 18). Schließlich besteht eine Pflicht zu Geben, zu Nehmen und zu Erwidern (Mauss 1990: 36-39). Dies ist zentral für Mauss, der zu Beginn eine Kernfrage formuliert, nämlich die nach »dem Grundsatz des Rechts und Interesses, der bewirkt, daß in den rückständigen und archaischen Gesellschaften das empfangene Geschenk zwangsläufig erwidert wird? Was liegt in der gegebenen Sache für eine Kraft, die bewirkt, daß der Empfänger sie erwidert?« (Mauss 1990: 18).5 Seine Antwort liegt in der Sache selbst, welche die Pflicht zur Erwiderung der Gabe beinhaltet.
5
Für Mauss ist also zentral, dass eine Gabe erwidert wird. Diese strikte Position wird in der Literatur debattiert und kritisiert, etwa von Graeber, der nicht fragt, warum alle Gaben erwidert werden müssen, sondern wann, unter welchen Bedingungen Gaben erwidert werden müssen (2001: 217). Zu unveräußerbaren Dingen, die nicht dem Gabezyklus angehören, vgl. Maurice Godelier (1999, Kapitel 2), sowie Annette Weiner (1992). Weiner erörtert in ihren Untersuchungen zu ozeanischen Gesellschaften, insbesondere zu Gaben und Heirat, das Paradox des »Keeping-While-Giving« und »inalienable posessions« – außerordentlich wertvolle, einzigartige Dinge, die eben nicht als Gabe gegeben werden.
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Diese Darstellung ist gewissermaßen sehr verkürzt, zumal sie nicht auf wesentliche Teile von Mauss’ Argumentation eingehen kann. Mauss erklärt, dass die Trennung von Personen- und Sachrecht, die wir durch die römische Rechtstradition kennen, eine Besonderheit ist, die bei den untersuchten Gesellschaften keine Geltung hat. Die gebende Person kann somit vom Gegebenen nicht vollständig losgelöst sein (hierzu etwa Graeber 2001: 163ff). Das hau ist für Mauss die in den Dingen liegende Kraft, die ihre Rückkehr verlangt und bewirkt. Hau bezieht sich auf den Geist der Geber*in, der als geistige Macht in den Dingen liegt.6 Eine Gabe lässt sich nicht einfach als Übertragung eines Anspruchs an dem übertragenen Gegenstand begreifen, sondern ist als komplexeres Geltungsverhältnis aufzufassen. Das Unverständnis derjenigen, die nicht begreift, warum eine Gabe mit einer Gegengabe zu erwidern ist, lässt sich dann womöglich auf ein spezifisches individualistisches Verständnis von Eigentum und der Übertragung von Eigentum zurückführen. Es kommt bei der Konzeption des Gabentausches weder darauf an, Materielles zu tauschen, noch darauf, dass Gleiches gegen Gleiches getauscht wird. Auf Reziprozität basierender Gabentausch kann vielmehr heteromorph oder homöomorph sein, d.h. die erwartete Gegengabe kann anderer Art sein und andere Eigenschaften besitzen als die erste Gabe (heteromorph), sie kann aber auch identische Form aufweisen (hinsichtlich der getauschten Dinge oder der Umstände des Tauschs), also homöomorph sein (Gouldner 1960: 172). Gaben sind also nicht mit Sachen zu verwechseln. Getauscht werden »nicht ausschließlich Güter und Reichtümer, bewegliche und unbewegliche Habe, wirtschaftlich nützliche Dinge. Es sind vor allem Höflichkeiten, Festessen, Rituale, Militärdienste, Frauen, Kinder, Tänze, Feste, Märkte, bei denen der Handel nur ein Moment und der Umlauf der Reichtümer nur eine Seite eines weit allgemeineren und weit beständigeren Vertrages ist.« (Mauss 1990: 22)
Die Gabe und der Gabentausch können verschiedene Formen annehmen. Mauss unterscheidet grundlegend agonale und nicht-agonale oder kooperative Formen. Potlatsch und Kula-Ring7 werden diesen beiden Formen als berühmteste Beispiele zugeordnet. Während der Kula-Tausch ein kooperativer Austausch von Gaben darstellt, der der Aufrechterhaltung friedlicher Beziehungen dient, handelt es sich beim Potlatsch um eine Gabe der Verausgabung, einen exzessiven Wettbewerb der Verschwendung. Clans machen sich wechselseitig Geschenke, bis eine Partei die Gabe 6
An dieser Stelle befasse ich mich nicht mit den unterschiedlichen Interpretationen des hau und der Frage, welche Bedeutung das hau für die Theorie der Gabe hat. Zu Lévi-Strauss’ Kritik an der Bedeutung, die Mauss dem hau zuschreibt vgl. Miklautz (2010: 54f).
7
Mauss bezieht sich in seiner Analyse zum Kula-Ring vor allem auf Malinowskis Argonauten des Pazifiks, in der zum Potlatsch insbesondere auf Franz Boas Schriften.
5. Die Gabe: Geben, Nehmen und Erwidern | 111
nicht mehr erwidern kann. Eine Gabe, die vom anderen Clan aufgrund ihrer Exorbitanz nicht mehr erwidert werden kann, stiftet besondere Ehre und Status. Es handelt sich also nicht um direkten Austausch der beteiligten Gruppen, gleichwohl aber um einen Mechanismus der Aufrechterhaltung friedlicher sozialer Beziehungen. Gabe und Gegen-Gabe folgen nicht unmittelbar aufeinander; ein sofortiges Erwidern bedeutet nicht die Annahme, sondern die Rückweisung der Gabe. Gabentausch basiert somit auf der Zeit zwischen den Gaben, womit auch Unsicherheit verbunden ist (Hillebrandt 2007: 289). Durch den jeweiligen Überschuss entstehen Verpflichtungen und somit die soziale Bindung zwischen den Parteien. Gerade hierdurch ist der Gabentausch kategorisch vom Markttausch unterscheidbar. Bei jenem ist im Moment des Tausches alles abgegolten, die Bezahlung und Übergabe der Ware beendet gewissermaßen die Beziehung zwischen den Tauschenden (vgl. Gregory 1982). Die Gabe beruht demgegenüber darauf, dass in einer Situation der Ungewissheit (ob sie erwidert wird) eine Vorleistung getätigt wird. Der Gabentausch ist dabei weder als rein zeitverzögerter, ansonsten äquivalenter Tauschakt zu sehen, noch ist er ausschließlich aus interessenloser Verfolgung von Normen hervorgebracht. Es ist die Verbindung, die Gleichzeitigkeit von beidem, die im Gabeakt zwar möglicherweise zu unterscheiden, nicht aber zu trennen sind: »Reziprozität in sozialen Beziehungen entsteht gerade aus der unaufhebbaren Verbindung von Eigeninteressen und sozialen Motivationen.« (Adloff/Mau 2005: 47)8 Die Soziabilität durch die Gabe ist in verschiedenen Arbeiten tiefgreifender erörtert worden. Marshall Sahlins sieht in der Gabe den Gesellschaftsvertrag, sie ist für ihn also Lösung des Hobbesschen Problems, das nicht mit der Unterwerfung unter einen Souverän gelöst wird, sondern durch die Norm der Gabe (Sahlins 1972: 149183). Die Gabe steht in dieser Lesart für Vernunft oder Verstand, da sie als vernunftbedingte Lösung des Kampfes aller gegen aller gesehen wird (Miklautz 2010: 6163). Auch Axel Paul nennt die Gabe die »empirische Form des Sozialvertrags« (Paul 2005: 251). Die Analogie Gabe - Gesellschaftsvertrag ist aber problematisch, weil eine Hobbessche Erklärung beim Individuum ansetzt, Mauss aber bei der Gruppe: »Hobbes, who starts with the individual, was concerned with the creation of a wider unity out of an ›originally‹ atomised state of humanity; but Mauss, who starts with the group, has reversed the sequence- from original holism, humanity and human
8
Alain Caillé sieht in der Schaffung von sozialen Beziehungen einen großen Anknüpfungspunkt der Gabetheorien an Mark Granovetters netzwerktheoretischen Einbettungsbegriff. Handeln entsteht in Netzwerken und hängt vom Vertrauen innerhalb des Netzwerkes ab. Caillé sieht hier den deutlichsten Anknüpfungspunkt der Neuen Wirtschaftssoziologie an Gabetheorien. Die Gabe ist Grundlage sozialer Netzwerke, somit Ausgangspunkt der Einbettung von Wirtschaft: »it is the gift that creates networks.[…] Network relationships are gift relationships.« (Caillé 2010: 183)
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institutions have become atomized.« (Parry 1986: 457, Herv. i.O.)9 Ähnlich verweist David Graeber (2001: 152-155) in seinen Überlegungen zur Gabe als Sozialvertrag darauf, dass Mauss sich gegen die in der Ökonomik spätestens seit Adam Smith vorhandene individualistische Vorstellung des gesellschaftlichen und ökonomischen Fortschritts durch auf Eigennutz basierender und von natürlichen menschlichen Eigenschaften hervorgerufener Arbeitsteilung stellt – eine Vorstellung, die sich besonders deutlich in Herbert Spencers Konzeption der Vertragsgesellschaft findet.10 Basis der Vertragsgesellschaft Spencers ist das freie Individuum. Mauss macht aber deutlich, dass die ersten Verträge nicht zwischen Individuen, sondern zwischen sozialen Gruppen abgeschlossen wurden und wehrt sich gegen die Vorstellung einer restlos individualisierten Gesellschaft. Grundlegend kann die Gabe nicht als ein Werk der Analyse oder Beschreibung sogenannter archaischer Gesellschaften verstanden werden. Die Gabe ist vielmehr eine Kritik, die sich sowohl auf die Marktgesellschaft als auch auf den Bolschewismus richtet. Sie ist ein hochgradig politisches Werk, wenn ihre politische Kritik auch weitgehend im Verborgenen bleibt (Chiozzi 1983, Graeber 2001: 155-163). Das wissenschaftliche Programm von Mauss lässt sich nicht von diesem politischen Programm trennen (Hart 2007). Die Suche nach der Solidarität, die die Gesellschaft zusammenhält, ist beiden gemeinsam. Es geht Mauss um eine Alternative zur kapitalistischen Ökonomie, die nicht im Sozialismus liegen kann. Mauss befürwortete einen genossenschaftlichen Sozialismus und war selbst in der französischen Genossenschaftsbewegung aktiv (Fournier 2006: 100-112, 205f). In Genossenschaften sieht Mauss eine Form der organisierten Gabe-Ökonomik (wie auch Schulz-Nieswandt 2014, 2015b). Auch Friendly Societies (im englischen Recht) und mutualistische Fürsorge von Berufsgruppen folgen den Prinzipien der Gabe. Gabemechanismen finden
9
Parry wirft den Sozialvertragsvorstellungen der Gabe vor, letztlich selbst eine Variante einer natürlichen Wirtschaft zu imaginieren, in welcher für den Gebrauch produziert wird und Tausch Nutzen steigern soll. Damit wird der Ursprung des Tauschs wieder in »utilitarian needs of the proportion of households which inevitably face subsistence failure« (ebd.) gesehen. Mit anderen Worten: Tausch besteht dann bereits ursprünglich in wirtschaftlichen Handlungen von Individuen, soziale Gruppen und Relationalität werden vernachlässigt. Der Vergleich von Gabe und Sozialvertrag hinkt in einer weiteren Hinsicht, da Hobbes den Gesellschaftsvertrag und den vorausgehenden Naturzustand nicht als faktische Ereignisse oder Gesellschaftsverhältnisse annimmt, sondern als hypothetische Konstrukte, die in einem Argument zur normativen Rechtfertigung des Gewaltmonopols des Staates angeführt werden.
10 Für Spencer (2003) ist die Entwicklung eine Evolution hin zur friedlichen Vertragsgesellschaft. Staatlicher Zwang nimmt demzufolge ab in einer auf wirtschaftlichem, nicht mehr auf militärischem Wettbewerb fußenden Gesellschaft.
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sich aber nicht nur in freiwilligen Institutionen und Handlungen, etwa dem freiwilligen produktivgenossenschaftlichen Zusammenschluss von Arbeitern, sondern auch in staatlich erzwungenen Institutionen (Mauss 1990: 162) wie der Sozialversicherung. Mauss schwebt eine Transformation der Marktwirtschaft zur Gabeökonomik, eine Rückkehr »zum Prinzip des normalen gesellschaftlichen Lebens« (Mauss 1990: 163) vor. Für Mauss existiert die Gabe also auch in der modernen Gesellschaft bzw. kann für sie aus den noch bestehenden Rudimenten wiederentdeckt werden. Sein Essay kann in diesem Sinne als Aufforderung gelesen werden, die Logik des Marktes (wieder) zugunsten der Logik der Gabe einzudämmen.11 Mauss sieht voraus, dass wir »feststellen werden, daß diese Moral und diese Ökonomie sozusagen unterschwellig auch noch in unseren eigenen Gesellschaften wirken, und da wir glauben, hier einen der Felsen gefunden zu haben, auf denen unsere Gesellschaften ruhen, können wir daraus einige moralische Schlussfolgerungen bezüglich einiger der Probleme ziehen, vor die uns die Krise unseres Rechts und unserer Wirtschaft stellt« (Mauss 1990: 19).
Hier liegt womöglich ein Unterschied zur Position Polanyis. Mauss sieht in der Gabe prinzipiell eine anthropologische Konstante, die allerdings in verschiedenen Gesellschaften in verschiedenen Formen und unterschiedlich stark zum Ausdruck kommt, und die erst durch die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts an den Rand gedrängt wurde. Da er aber explizit die Gabe auch als Basis moderner Institutionen wie die Sozialversicherung sieht, betont er nicht so sehr den Bruch, sondern die historische Kontinuität. Polanyi liefert demgegenüber in seinem Schrifttum viele Stellen, in denen er die fundamentale Besonderheit der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts betont.12 Eine unmittelbare Zuordnung der Gabe als Kontrastbegriff zum Marktprinzip in das Schema Polanyis erweist sich trotz der Nähe als schwierig. Polanyi selbst bezieht zwar Reziprozität auf Gabentausch (vgl. 4.2) und für Gregory (1994: 922) stellt die Identifikation der Gabe mit Reziprozität ein wichtiges Erbe Polanyis dar. Gleichwohl meint Polanyi stets eine horizontale, nicht-negative Form der Reziprozität, welche auf eine Gabeüberschussbereitschaft oder zumindest ausgeglichene reziproke Beziehungen verweist (auf die Differenzierung positiver, ausgeglichener und negativer Reziprozitätsformen komme ich in Abschnitt 5.4 zurück). Eine eineindeutige Relation zwischen den Konzeptionen gibt es daher nicht. Ihre Gleichsetzung beachtet 11 Gerade an diesen moralischen, normativen, politischen Forderungen tritt die Nähe von Mauss’ und Polanyis Konzeptionen deutlich hervor. Die Ausweitung des Marktprinzips bedroht den Zusammenhalt der Gesellschaft und muss daher eingedämmt werden. 12 Wie beschrieben, lassen sich meines Erachtens nach sowohl eine Position der scharfen Trennung, als auch eine an der Ubiquität sozialer Einbettung ansetzende Position der Kontinuität in Polanyis teilweise widersprüchliches Werk hineinlesen (vgl. 4.3).
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nicht, dass Polanyi die Horizontalität der reziproken sozialen Beziehungen viel stärker betont, während Mauss auch vertikal strukturierte Tauschformen diskutiert. Die von Mauss als moderne Form der Gabe bezeichnete Sozialversicherung (Mauss 1990: 160) ließe sich in Polanyis Schema als Form der Redistribution verstehen, schließlich werden Ressourcen zentral gebündelt und von dort wieder zurückverteilt.
5.2 EINDIMENSIONALE GABEN (REZEPTION I) Auf die Komplexität der Gabe zwischen Freiwilligkeit und Pflicht sowie zwischen Altruismus und Eigeninteresse habe ich bereits verwiesen. Jüngere Arbeiten betonen gerade diese Vielschichtigkeit und Irreduzibilität auf einzelne der genannten Faktoren (konzeptionell Miklautz 2010, Adloff 2010, Schulz-Nieswandt 2014b, Hillebrandt 2009), welche sich besonders auf Alain Caillé (2008) und die M.A.U.S.S.Schule (Mouvement anti-utilitariste dans les sciences sociales) beziehen. Gleichwohl werden diese anti-, non- oder transutilitaristischen13 Theorietraditionen oft »vorschnell übergangen« (Schulz-Nieswandt 2014: 40).14 Doch in der Mauss-Rezeption 13 Die Auseinandersetzung mit der anti-utilitaristischen Konzeption der Gabe, welche auf die Gleichzeitigkeit von Freiwilligkeit und Verpflichtung, von Eigeninteresse und Altruismus abzielt, erfordert eine kurze Bemerkung zum verwendeten Utilitarismus-Begriff. Dieser wird oftmals als ein Dogma des Egoismus angesehen, wenn er mit der Verfolgung des Eigennutzes gleichgesetzt wird (Caillé 2013: 45f). In dieser Sicht lässt sich Utilitarismus als allgemeine Theorie des Homo Oeconomicus auffassen. Allerdings verengt eine solche Interpretation den Begriff des Utilitarismus meiner Ansicht nach unzulässig, da er ihn bedingungslos an den Eigennutzen knüpft. Dabei haben gerade die Moralphilosophen des 19. Jahrhunderts weniger rationalen Egoismus, als vielmehr das Allgemeinwohl, in dem das Wohl jeder einzelnen Person gleiche Berücksichtigung findet, im Sinn gehabt. Das berühmte Postulat Jeremy Benthams fordert ja eben das größte Glück der größten Zahl. In dieser Tradition begründet der Utilitarismus – sogar stärker als konkurrierende Positionen innerhalb der Moralphilosophie – eine konsequentialistische Forderung streng altruistischen Handelns, sofern diese das Gesamtwohl erhöht. Dies geht in der Verwendung des Begriffs durch Caillé und innerhalb der Soziologie insgesamt unter. 14 Die M.A.U.S.S.-Bewegung, aus der in den 1980er Jahren auch die Revue du MAUSS hervorging, wird in den meisten Arbeiten noch immer als eine Art neue Außenseiterposition dargestellt. So heißt es etwa, diese Schule habe sich »[a]bweichend vom main-stream« etabliert (Miklautz 2010: 76, Fn). Die Tatsache, dass sich nahezu alle jüngeren Arbeiten zur Gabe (mit Ausnahme vielleicht rationalistischer Ansätze) allerdings inhaltlich mit dieser anti-utilitaristischen Gabe-Interpretation auseinandersetzen, zeigt, wie weit es diese mittlerweile selbst in den Mainstream gebracht hat (vgl. etwa die Ausgabe des Journal of Classical Sociology mit Beiträgen von Hart/James 2014, Graeber 2014 und anderen).
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überwiegen (noch) Ansätze, die diese Komplexität der Gabe vernachlässigen und stattdessen einzelne Dimensionen überbetonen, etwa die der Freiwilligkeit oder die der Verpflichtung. Besonders deutlich wird dies in den methodologischen Gegensätzen individualistischer und holistischer Zugänge zur Gabe. Denn grundlegend lässt sich die Gaberezeption überwiegend in holistische, normativistische Traditionen und individualistische Ansätze einteilen (Adloff/Mau 2005: 11, Caillé 2008: 56-62), zu denen sich mittlerweile die genannte anti-utilitaristische Rezeption der M.A.U.S.S.Gruppe gesellt (s.u.). Während individualistische Ansätze die Gabe ökonomisieren (im Sinne neoklassischer Theorie) und in den Begriffen rationaler Entscheidungen, die auf Zweck-Mittel-Kalkulationen beruhen, konzipieren, stellen holistische Positionen nicht die Handelnden, sondern Strukturen und Normen in den Mittelpunkt, mit denen Gabentausch erklärt wird. Elfie Miklautz nennt solche Konzeptionen eindimensional, die jeweils bestimmte Aspekte der vielschichtigen Gabe generalisieren oder überhöhen (vgl. Miklautz 2010: 60-70). Sie vermögen zwar wesentliches zu leisten, indem sie den Blick für die jeweils ausgewählten Aspekte schärfen, bringen dabei aber eine Vernachlässigung des Komplexes aus Geben, Nehmen und Erwidern sowie der Gleichzeitigkeit von Interesse und Altruismus mit sich. Beispielsweise kritisiert sie Sahlins Auffassung der Gabe als Gesellschaftsvertrag als eindimensional, da er der Gabe letztlich »Vernunft, Rationalität und Fortschritt« zuschreibt und somit »das Exzessive, Unvernünftige, Maßlose, Unmoralische und Gewalttätige« außer Acht lässt (Miklautz 2010: 63). Neoklassisch orientierte Theorien nehmen die Gabe auf drei Arten und Weisen in den herkömmlichen Diskurs auf (Cheal 1988:4-8). Erstens kann die Gabe als historische Reminiszenz vorkapitalistischer Wirtschaften gesehen werden, zweitens kann der Geltungsbereich der Gabe auf den privaten Bereich von Familie und Haushalt reduziert werden, und drittens kann die Gabe rationalistisch umgedeutet werden. Dies bedeutet letztlich, in der Gabe nicht mehr als einen verschleierten Markttausch zu sehen. Beispiele für letztere Lesart finden sich auch in empirischen Studien. So beschreibt etwa Joachim Görlich (1992) anhand des zeremoniellen Gabentausches im Hochland Papua-Neuguineas die Gabe als Teil eines rationalen Tauschhandels. Auch Miriam Ströing (2015) konzipiert in ihrer Studie zu ehrenamtlichem Verhalten Vermögender in Deutschland die Gabe rationalistisch, indem sie das Gabetheorem in die Rational Choice Theorie inkorporiert und das Einhalten einer Reziprozitätsnorm als rational, da nutzenstiftend, begreift (Ströing 2015: 55-58). Allgemein gilt für die Organisationsforschung, dass die Konzeption von Reziprozität stark innerhalb eines Rational Choice Frameworks verhaftet bleibt. Die meisten Studien betrachten Reziprozität rein instrumentell als nutzenstiftend, betonen daher individuelle Nutzenkalküle und vernachlässigen die Dimension der Pflicht ebenso wie die Relationalität (Göbel/Vogel/Weber 2013: 38, 46), und verfehlen damit die Motivationen und Absichten, die mit der Perspektive der durch die Gabe verbundenen Personen zwingend
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verknüpft sind. In der Reduktion auf (von außen betrachtete) ökonomische Rationalität verfehlt dieser Strang der Forschung also die Binnenlogik der Gabe und die Reziprozitätsmoral, auf welche wirtschaftliches Handeln angewiesen ist, welche es aber nicht selbst generieren kann (Göbel/Ortmann/Weber 2007). Solchen rationalistischen Ansätzen stehen Vorstellungen der reinen Gabe als altruistisches Geschenk gegenüber. Sie verweisen auf Reziprozität als universelle Norm (Gouldner 1960), welche von den Interaktionspartnern internalisiert wird (vgl. Adloff/Mau 2005: 23). Nach Gouldner enthält die Reziprozitätsnorm zwei Ausprägungen: denjenigen Personen zu helfen, die einem geholfen haben, und jene nicht zu kränken, die einem geholfen haben (Gouldner 1984: 98). Die internalisierte Reziprozitätsnorm stiftet Vertrauen – welches das riskante Unterfangen, eine Gabe zu geben, ermöglicht oder zumindest erleichtert. Damit wird die Gabe zur Norm erklärt (Gouldner 1984) und die Reziprozität als Wirkung vom altruistischen Motiv getrennt. Ein berühmtes Beispiel für eine altruistische Gabe findet sich in Richard Titmuss (1997) Untersuchung von Blutspenden, welche er als reinen, altruistischen Akt ansieht. Wie bereits gezeigt, ist diese allein auf Altruismus abstellende Deutung der Gabe insofern einseitig, als sie die Gesamtstruktur der wechselseitigen normativen Bindungen und die Gleichzeitigkeit von Freiwilligkeit und Verpflichtung nicht vollständig erfasst. Eine eindimensionale Gabeinterpretation findet sich schon bei Malinowski, den Mauss unter anderem genau dafür kritisiert. Malinowski (1999) vertritt in den Argonauten des Westlichen Pazifiks noch die Vorstellung, dass »Commerce« (also rationale Ökonomie) und Gabe zwei separate Handlungsbereiche ergeben, von denen der erste im Wesentlichen auf Berechnung, der zweite auf spontanen altruistischen Motiven beruht. In seinen feinen Abstufungen verschiedener Gaben nennt Malinowski die Gabe des Mannes an seine Frau als reine Gabe. Malinowski versteht unter einer reinen Gabe den Akt, in dem ein Individuum gibt, ohne im Gegenzug etwas zu erhalten oder auch nur zu erwarten. Diese Form der Gabe kommt vor, ist aber seiner Einschätzung nach insgesamt selten (Malinowski 1999: 136). Auf Mauss geht jedoch die Vorstellung der Unmöglichkeit einer solchen reinen Gabe zurück (Derrida 1983: 88f). Schließlich betont er, dass eine Gabe per definitionem gegeben, angenommen und erwidert werden muss. Mary Douglas schreibt in ihrem Vorwort zur englischen Ausgabe der Gabe treffend: »It is not merely that there are no free gifts in a particular place, Melanesia or Chicago for instance; it is that the whole idea of a free gift is based on a misunderstanding. There should not be any free gifts. […] Even the idea of a pure gift is a contradiction.« (Douglas 1990: ixf) Demgegenüber stehen allerdings Konzeptionen, die eine reine Gabe – wenn sie diese auch nicht als paradigmatischen Fall ausweisen – nicht einfach zurückweisen wollen (Laidlaw 2002). Allerdings existiert die reine Gabe dann auf einer abstrakten Ebene, weniger als konkrete soziale Praxis (Osteen 2002a: 231). Schulz-Nieswandt sieht etwa die Unbedingtheit der Gabe als eine transzendentale Notwendigkeit oder »Voraussetzung für nur unvollständig spezifizierbare Systeme der Gabe und Gegen-
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Gabe« (Schulz-Nieswandt 2007: 83, vgl. 2014). Parry verweist auf den freiwilligen und spontanen Charakter einer ersten Gabe bei der Anbahnung oder Vertiefung sozialer Beziehungen, die in der Regel nicht vollständig zurückgegeben wird (Parry 1986: 466). Aber auch er bezieht sich mehr auf die Ideologie der freien oder reinen Gabe, weniger auf das tatsächliche Vorkommen. Diese Ideologie konzipiert Parry als Teil einer sich immer stärker differenzierenden Gesellschaft, in der die Wirtschaft zur Entbettung tendiert. Dementsprechend stellt er überzeugend einen Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Vorstellung einer reinen Gabe und dem Niveau der Arbeitsteilung her: »I am suggesting, then, that an elaborated ideology of the ›pure‹ gift is most likely to develop in state societies with an advanced division of labour and a significant commercial sector.« (ebd.: 467) Mit steigender gesellschaftlicher Differenzierung lässt sich auch die Gabe differenzieren bis hin zu einer rein eigennützigen Aneignung. Auf diese Vorstellung der Transformation der Gabe komme ich im folgenden Abschnitt zurück. Insgesamt gilt, dass die Soziologie Gabe und Reziprozität außer Acht gelassen hat. Frank Adloff (2010: 37) identifiziert drei typische Reaktionen auf das Thema Reziprozität: (i) aus mikrosoziologischer Perspektive werde Reziprozität als so basal angesehen, dass eine nähere Beschäftigung mit diesem »Hintergrundphänomen« nicht lohnt; (ii) aus makrosoziologischer Perspektive werden Gabe und Reziprozität häufig in den Bereich der Vormoderne und der Ethnologie verbannt, da sie in der modernen Gesellschaft nicht mehr strukturbildend seien; (iii) aus am Thema interessierten Forschungsrichtungen wird eine Ausdifferenzierung der Gabe in modernen Gesellschaften, in die beiden differenten Sphären des vertragsbasierten wirtschaftlichen Tauschs und des privaten Schenkens konstatiert (hierfür exemplarisch: Berking 1996). Hinzuzufügen ist, wie gezeigt, die rationalistische Umdeutung der Gabe, welche Cheal (1988) in der herkömmlichen Gabetheorie identifiziert. Wie ein Blick auf die Rezeption der Gabe verdeutlicht, finden sich einige Dissense, die an dieser Stelle nicht aufzulösen sind. Ich werde im folgenden Abschnitt verschiedene Thesen mit Blick auf die weitere Verwendung der Gabeterminologie für den Gegenstandsbereich der vorliegenden Arbeit diskutieren, also Regiogelder, diskutieren.
5.3 DREI THESEN ZUR GABE IN MODERNEN GESELLSCHAFTEN (REZEPTION II) Im Anschluss an die bisherigen Überlegungen zur Gabe und die kursorische Rekonstruktion verschiedener Rezeptionen und Weiterentwicklungen diskutiere ich im Fol-
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genden Positionen zur Frage, ob und inwieweit Reziprozität und Gabe in der Moderne auftreten.15 Wie bereits die Diskussion der Debatte über den Begriff der Einbettung deutlich machte (4.3), lassen sich verschiedene, teils konfligierende Auffassungen finden. Im Folgenden möchte ich drei grundlegende Thesen zur Gabe in der Moderne unterscheiden. Eine These (i) besagt, dass die Gabe in der Moderne keine Rolle mehr spielt. Ich möchte diese These als Non-Existenzthese bezeichnen. Der bereits angeklungenen zweiten These (ii) zufolge hat sich die »archaische« Gabe transformiert (Transformationsthese). Hier lassen sich im Wesentlichen drei Interpretationen dieser Transformation unterscheiden. Der Gabentausch wird in dieser Sichtweise (a) als Vorläufer der Markttausches, des wirtschaftlichen Tausches angesehen, oder (b) als Vorläufer des altruistischen Geschenks, einer reinen Gabe. Eine weitere, elaboriertere Spielart dieser Transformationsthese besagt, dass sich (c) die Mausssche Gabe ausdifferenziert habe in den ökonomischen, auf Eigeninteresse beruhenden Tausch auf der einen Seite und das Geschenk – in Form einer reinen Gabe – als altruistisches Gegenstück auf der anderen. Diese beiden Thesen finden eine zum Teil gemeinsame Begründung darin, dass Tauschprozesse nunmehr über andere Koordinationsmechanismen (vornehmlich marktliche) gesteuert und dabei vor allem über Geld vermittelt werden. Die dritte These zur Gabe in der Moderne (iii) schließlich sieht eine im Kern fortdauernde Existenz der Logik der Gabe und kritisiert die strikte Dichotomie zwischen Eigeninteresse und Altruismus. Diese Kontinuitätsthese fokussiert vielmehr auf die der Gabe inhärente Gleichzeitigkeit von Eigeninteresse und Altruismus, von Freiwilligkeit und Zwang. Sie steht der »anti-utilitaristischen« Rezeption (Caillé 2013) daher besonders nahe. Diese Gruppierung steht gewissermaßen quer zu den genannten Rezeptionsansätzen holistischer und individualistischer Reduktionen der Gabe. Es finden sich in unterschiedlichem Ausmaß auch die von Miklautz (2010) kritisierten konzeptionellen Verengungen auf einzelne Aspekte der Gabe wie Rationalismus oder Moral. Gleichwohl dürfte gerade die dritte These eine paradigmatische Nähe zur Gabe-Lesart der M.A.U.S.S.-Schule aufweisen, da die unterstellte Kontinuität der Gabe-Logik gerade an der Gleichzeitigkeit scheinbar widersprüchlicher Dimensionen ansetzt. 5.3.1 Non-Existenz der Gabe Die erste These der Non-Existenz besagt, dass die Gabe als vormoderner, archaischer Tauschmechanismus existierte, sie aber gegenwärtig zumindest in sogenannten industrialisierten (oder: ausdifferenzierten) Gesellschaften nicht mehr vorkomme. Kai-
15 Ich übernehme die Begriffe der Moderne und der modernen Gesellschaft aus der Debatte, möchte aber, wie im Folgenden ersichtlich wird, gerade die Dichotomie zwischen »modern« und »vormodern« hinterfragen.
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Uwe Hellmann etwa behauptet in seinen an Niklas Luhmann orientierten Ausführungen, dass in der modernen Gesellschaft das Marktprinzip vorherrscht, »während andere Aspekte, die im Falle von Reziprozität und Redistribution ausschlaggebend sind, überhaupt nicht mehr ins Gewicht fallen« (Hellmann 2003: 194).16 Auch Luhmann (1997: 650) sieht in Reziprozitätsformen ein »in segmentären Gesellschaften weit verbreitet[es]« Regulativ, nicht aber in modernen Gesellschaften (Adloff/Mau 2005: 9). Die Wirtschaft ist durch die Ausdifferenzierung der »normal erwarteten Reziprozität« autonom, zur Selbstregulierung fähig (Luhmann 1994: 57, vgl. 190). Mit der Vorstellung der Non-Existenz der Gabe eng verwandt ist eine strikte Dichotomisierung von Gaben- und Warentausch. So kritisiert Keith Hart (2007) insbesondere an der englischsprachigen Gabeforschung, dass diese sehr stark auf den Gegensatz von (reiner) Gabe und Ware verweist, diese Dichotomie ins Zentrum stellt und auf den Unterschied westlicher Warenökonomien und nichtwestlicher Gabeökonomien verallgemeinert. Genau dadurch bleibt die von Mauss hervorgehobene Gleichzeitigkeit von Freiwilligkeit und Verpflichtung, von Eigeninteresse und Altruismus verborgen. Tatsächlich stehen in vielen Konzeptionen Gabentausch und (kapitalistischer) Warentausch sich diametral gegenüber. Oftmals geht die Suche nach nichtmarktlichen Institutionalisierungen des Tausches mit einer »romantisierenden Idealisierung des Gabentauschs« (Miklautz 2010: 19) einher; die Gabe wird als altruistisch, freiwillig, großzügig – im Gegensatz zum auf Kalkulation basierenden Eigennutzstreben – gesehen. Der Unterschied ist etwa bei Gregory in seiner Analyse des kolonialen Papua-Neuguinea angelegt. Gregory differenziert Gaben- und Warentausch, indem er den Gabentausch mit Verweis auf »the social conditions of the reproduction of people«, den Warentausch »with reference to the social conditions of the reproduction of things« erklärt (Gregory 1980: 641; vgl. Carrier 2012: 19-21).17 Eine strikte Unterscheidung zwischen der Reproduktion von Dingen und Personen, so Gregory (1982: 43) im Anschluss an Mauss (1990: 120ff), findet sich in WarenÖkonomien, nicht aber in Gabe-Ökonomien.18 Allerdings erkennt auch er keine evolutionäre Abfolge von Gaben- und Warenökonomien und weist daher die Idee der Non-Existenz zurück. 16 Auf diese Ausführungen bin ich durch Hillebrandt (2009: 108) aufmerksam geworden, der diese modernisierungstheoretische Sichtweise zurecht als »unzulässige Vereinfachung« kritisiert. 17 Diese Einteilung entspricht im Wesentlichem dem, was Heiner Ganßman als Oppenheimers Fluch bezeichnet, nämlich die Aufteilung der Arbeitsgebiete von Wirtschaftswissenschaft, zuständig für Mensch-Ding-Beziehungen, und Soziologie, die Mensch-Mensch-Beziehungen zum Gegenstand hat (Ganßmann 1996: 21f). 18 Hart verteidigt die viel kritisierte strikte Gegenüberstellung Gregorys damit, dass sie in analytischer Sicht hilft, einen logischen Gegensatz zu erörtern, nicht aber als Zustandsbeschreibung von Ökonomien oder Dingen genutzt werden kann. Schließlich können Dinge
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5.3.2 Transformation der Gabe Diese Unterscheidung zwischen Ware und Gabe existiert in anderer Form auch in den Transformationsthesen, in welchen die Kategorien der altruistischen Gabe und des egoistischen Markttausches als Ausdifferenzierung der »archaischen« Gabe gesehen werden. Während Mauss den Fortbestand der Gabelogik bis hin in die moderne Sozialversicherung betont, sehen andere in der Gabe lediglich eine Vorform des modernen Tausches, also letztlich des Tausches auf dem Markt. In der Moderne, so die These, ist die Gabe eben nicht mehr der Fels, auf dem die Gesellschaft ruht. Hierbei sind drei Lesarten zu unterscheiden. Es gibt zunächst eine Lesart, die im Gabentausch schlicht den Vorläufer des Warentausches sieht. In der zweiten Lesart ist die Gabe in der Moderne in den Bereich des Privaten, insbesondere des Schenkens verbannt (etwa Berking 1996). Die dritte Lesart entspricht einer Verknüpfung der beiden ersten Lesarten. In dieser dritten Lesart hat sich der Gabentausch transformiert in die Dichotomie von eigeninteressiertem wirtschaftlichem Tausch auf der einen und dem altruistischen Geschenk auf der anderen Seite. In der ersten Lesart, also aus Sicht des Gabentausches als Vorform modernen wirtschaftlichen Warentausches wird demnach die ökonomische Funktion der Gabe betont, in der Gabe letztlich vormarktlicher Tausch verstanden. Annahme ist somit ein Rationalisierungsprozess, in dem der Gabentausch im Warentausch ausgeht. Die Gabe wird als wirtschaftliches Phänomen gesehen (kritisch hierzu Hénaff 2009, 2014). Bei Marshall Sahlins (1972: 199) und Alvin W. Gouldner (1984: insb. 108f) finden sich solche Konzeptionen, nach denen sich moderne Formen des Tausches aus der Gabe entwickelten und die Gabe heutzutage nur noch Rudiment sei (Hillebrandt 2009: 156). Im Gegensatz dazu gilt die Gabe in der zweiten Lesart, also aus Sicht des Gabentausches als Vorform reiner Geschenke, als soziales Phänomen. Altruistisches Schenken wird demnach als Residuum der Gabe aufgefasst. »The modern ideal of the gift, then, becomes an impossible mirror of market behavior: an act of pure generosity untrammeled by any thought of personal gain.« (Graeber 2001: 161) Diese Zurückweisung der Gabe ins rein Private, Nichtwirtschaftliche hängt mit dem Aufkommen der Geldwirtschaft zusammen. Es war ja gerade das Geld, welches »den ewigen Zyklus des Gebens und Nehmens sprengte und die Gabe zum Geschenk zivilisierte« (Paul 2012: 229).
je nach sozialem Kontext mal Waren und mal Gaben sein (Hart 2007: 11). Gregory selbst betont, dass er keine Opposition aufmachen möchte: »The gift is not opposed to the commodity, nor does their opposition provide a typology of all economies, such as ›the gift economy‹ and ›the commodity economy‹.« (Gregory 1982: 19) Entsprechend schreibt Stephen Gudeman (auf Basis der Begriffspaare Gabentausch-Einbettung, Warentausch-Entbettung), alle Ökonomien seien »both embedded and disembedded« (Gudeman 2009: 18).
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Ein mittlerweile klassisches Beispiel für eine solche Gabe ist nach Titmuss (1997) die Blutspende. Titmuss sieht die Blutspende als freiwilligen, altruistischen Akt. Eine Besonderheit liegt nun darin, dass diese Gabe unpersönlich ist: Die Spender*in kennt die Empfänger*in nicht, und umgekehrt. Es kann damit keinen persönlichen Ausdruck des Dankes geben, und überhaupt keine persönliche Beziehung. Für Titmuss macht die Tatsache, dass die Spender*in in der Regel keine Gegenleistung erwarten kann, vor allem keine äquivalente Gegenleistung erwarten möchte (schließlich impliziert dies die Notwendigkeit einer Bluttransfusion), eine weitere Besonderheit der Blutspende als Gabe aus, die sie von archaischen Gaben und auch von anderen Formen der Gabe in der modernen Gesellschaft unterscheidet (ebd.: 127f). Die Gabe ist anonym.19 Auch Maurice Godelier konzipiert die Gabe als generalisierte Reziprozität, als Geben ohne direkte Erwartung von Gegengaben (Godelier 1999: 291). Er geht von der Feststellung aus, dass die Gabe in unseren Gesellschaften nicht mehr notwendig sei, um die »Grundstrukturen der Gesellschaft zu produzieren« und sie vielmehr zu einer subjektiven, persönlichen und individuellen Angelegenheit geworden sei. Praktiziert werde sie insbesondere innerhalb verwandtschaftlicher und freundschaftlicher Beziehungen. Dabei konstatiert Godelier, dass der Rückzug des Staates nicht nur aus der Wirtschaft, sondern auch etwa aus der Bildung und dem Gesundheitswesen dazu führt, dass die »großzügige Gabe, die Gabe ›ohne Gegenleistung‹ von neuem erbeten« werde, um gesellschaftliche Probleme zu lösen (ebd.: 293). Somit erkennt er eine Rückbesinnung auf die Gabe, die aufgrund der Unfähigkeit von Markt und Staat im Begriff sei, »wieder zu einer objektiven, gesellschaftlich notwendigen Bedingung für die Reproduktion der Gesellschaft zu werden« (ebd.: 294). Godelier sieht also wieder Raum und Bedeutung, ja Notwendigkeit für die Gabe. Die Gabe kehrt in dieser Lesart in Gestalt des Dritten Sektors, der Zivilgesellschaft zurück (vgl. 7.2). Godelier selbst fokussiert vor allem auf eine karitative Form der Gabe, also die generalisierte Reziprozität, die dem Individualismus entgegensteht und die er als Grundlage einer Gesellschaft jenseits rein kontraktueller Beziehungen dienen kann (Godelier 1999: 294f). In der dritten Variante der Transformationsthese wird nicht entweder der eigeninteressierte wirtschaftliche Tausch oder das Schenken und die Idee einer reinen, altruistischen Gabe als Abwandlung der von Mauss beschriebenen Gabe gesehen. Stattdessen wird auch das jeweilige Gegenstück als eine Abwandlung der archaischen Gabe erkannt. Nicht nur das reine Geschenk, sondern auch das logische Gegen19 Titmuss fordert, dass die Blutspende eine freiwillige Gabe bleiben müsse (er spricht vom Monopol des Altruismus, 1997: 220) und spricht sich dezidiert gegen Märkte für Blut aus. Zu dieser Debatte, insbesondere inwieweit monetäre Kompensationen für Blut (nicht aber eine marktliche Regulierung) normativ zu bewerten sind, vgl. Derpmann und Quante (2014). Zu marktlicher und gabeökonomischer Organisation von Organspenden vgl. Steiner (2010), der die Performativität des Gebens von Gaben herausarbeitet.
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stück, die Verfolgung egoistischer Interessen, entstammt der archaischen Gabe. In dieser Sichtweise spaltet sich die von Mauss beschriebene Gabe auf in den Markttausch auf der einen und das Geschenk auf der anderen Seite (Paul 2012: 88). Paul kritisiert Vorstellungen, der Markttausch würde den Gabentausch schlicht in der Moderne ablösen, denn das Geschenk tritt an seine Seite – daher behauptet er »mit und gegen Habermas«, dass der Markttausch die Lebenswelt nicht vollends kolonialisiere, da schließlich das Geschenk als reine Gabe mit ihm aufkomme und an seine Seite trete. Der Gabentausch hat sich demnach aufgespalten mit Warentausch (Äquivalententausch) und Geschenk als Extremformen. Die reine Gabe (als bedingungsloses Geschenk) wird als der logische Gegenpart zum Markttausch gesehen, welcher auf der Verfolgung des Eigeninteresses basiert. Die Gabe ist also überhaupt erst möglich, wenn sie in einem Kontrast zu Waren steht, also zu auf reiner Kalkulation basierenden Tauschbeziehungen. Schenken sowie Kaufen und Verkaufen entstehen als Praktiken simultan (Hillebrandt 2009: 157). Frank Hillebrandt verweist auf die »praktische Simultanität von Tauschlogiken« (2009: 156). Er will zeigen, dass Gabentausch konstitutiv auch für die gegenwärtige wirtschaftliche Praxis ist, und eben keine Residue der Vormoderne. »Die Praktiken des Schenkens von Gaben entstehen vielmehr simultan mit den Praktiken des Kaufens und Verkaufens von Waren.« (Hillebrandt 2007: 290) Erst die Geldwirtschaft und der Warentausch machen es möglich, Gaben zu geben, welche von Waren unterschieden werden können. »Gibt es geldbasierten Warentausch, wird es umso wichtiger, jene Gegenstände auszuweisen, die nicht als Waren symbolisiert werden können, weil sie nicht mit einem Preis versehen sind.« (Ebd.: 291) Andersherum lässt sich auch die archaische Gabe als Hybrid zwischen dem rein altruistischen Geschenk und dem reinen Eigeninteresse auffassen. »The ideology of a disinterested gift emerges in parallel with an ideology of a purely interested exchange.« (Parry 1986: 458) In ihrer Auseinandersetzung mit Geld in Gesellschaften vertreten Jonathan Parry und Maurice Bloch (1989) die These, dass solche Dichotomien selbst Produkte der westlichen Moderne sind. Es ist also das westliche Denken, das die Gabe dem Markttausch strikt gegenüberstellt. Dies gilt insbesondere für diejenigen Gabekonzeptionen der nicht-individualistischen Strömung, welche die Gabe eher als generalisierte Reziprozität auffassen. Ohne eine gabeorientierte Fundierung weist bereits Albert O. Hirschman (1984) eine solche strikte Trennung von Interesse und Wohlwollen zurück. Er spricht von einer grundlegenden Spannung zwischen Interesse und Wohlwollen (Interest und Benevolence), die schlicht daher kommt, dass Menschen in Gesellschaften eingebunden sind. Er kritisiert die Wirtschaftswissenschaften dafür, in ihrem Streben nach eleganten sparsamen Modellen (parsimony) das Eigeninteresse überzubetonen und letztlich keinen Blick dafür zu haben, dass soziale Ressourcen wie Liebe, Vertrauen, Freundschaft durch ihren Einsatz vermehrt, nicht verbraucht werden. Diese Gegenüberstellung wird auch in neueren Arbeiten zur Gabe problematisiert. Konkret zeigt sich
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laut Adloff, »dass die moderne Sozialwissenschaft die Dinge begrifflich und konzeptionell auseinanderriss – Moral versus Interesse –, die vielleicht auf der praktischen Handlungsebene nicht so sehr auseinanderfallen wie suggeriert wird« (2010: 36). Die starke Dichotomisierung Moderne (Markttausch und Geschenk) versus Vormoderne (Gabe) beinhaltet auch die Vorstellung, dass vormoderne Gesellschaften eben durch den Gabentausch konstituiert werden und es – so die stark verallgemeinernde Sicht – dort ausschließlich die Gabe gebe. Damit geht, so Godelier (1999, insbesondere Kapitel 2) der Blick darauf verloren, dass diese Gesellschaften auch heilige Dinge kennen, die eben nicht getauscht werden. Diese heiligen Objekte bedingen erst die Möglichkeit, dass andere als Gabe zirkulieren können (bei Weiner 1992 findet sich ein ähnlicher Punkt). Godelier behandelt gerade die Gabe der Götter an die Menschen, welche nicht erwidert werden kann und nicht zirkuliert. Es gibt also Dinge, die nicht nur nicht dem Gabenzyklus zuzuordnen sind, sondern die gar nicht zirkulieren: »Mauss’ Konzentration auf die Logik der Gabe, die er strikt vom Vertrag und Tausch unterschied, ließ ihn übersehen, dass Gesellschaften immer auch Fixpunkte ihrer Identität dem Austausch entziehen (müssen).« (Adloff 2010: 41) Ein anderer Aspekt verdient größere Betrachtung, wenn die Bedeutung der Gabe für vormoderne Gesellschaften diskutiert wird: Denn diese kennen nicht nur den Gabentausch. Im Gegenteil, auch Mauss zeigt in seiner Untersuchung des Kula-Ringes, dass der zeremonielle Gabentausch dem gimwali vorangeht, welcher in Feilschen und Handeln besteht. Es sind also, genau wie bei der verwandten Diskussion der Reziprozität im Sinne Polanyis, zwei Dinge festzuhalten: (a) vormoderne/archaische Gesellschaften kennen nicht nur den Gabentausch und vor allem (b) auch in der Moderne gibt es die Gabe, und zwar nicht lediglich in der rudimentären Form des Geschenks.20 Vielmehr lässt sich die Trennung Moderne/Vormoderne hinterfragen. Unter Rückgriff auf Bruno Latours (2008) Worte lässt sich mit Frank Schulz-Nieswandt und Ursula Köstler daher festhalten, der moderne Mensch sei »nie völlig modern gewesen« und der vormoderne Mensch »war nie völlig un- oder vormodern« (Schulz-Nieswandt/Köstler 2011:84). Begreift man die Gabe logisch dadurch, dass sie in Kontrast zum Warentausch (über den Markt, gegen Geld) steht, offenbart sich (Hillebrandt zufolge), wie sehr Mauss Begrifflichkeiten moderner und traditionaler Gesellschaften auf archaische Gesellschaften angewendet hat. Insofern nimmt Mauss »das moderne Schenken vielmehr als Vorbild für die Beschreibung der Praxis in Stammesgesellschaften« (ebd.: 20 Auch die Alternativposition sei genannt. So behauptet Jacques Godbout: »Archaic and traditional societies thought of themselves in the language of the gift, a language that defined their being-in-the-world and their distinctiveness, particularly in terms of primary social bonds (bonds desired for themselves) and refusal to lapse into historicity.« (Godbout 1998: 17)
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158), als dass er zeigen würde, dass heutige Schenkpraktiken Residuen der archaischen Gabe wären. Auch Georg Elwert betont in seinen Überlegungen zu den Begriffen Gabe, Reziprozität und Warentausch, dass die Gabe als Konzept nicht auf emischen Kategorien beruht: »Ich vermute, dieser weite Begriff Gabe sagt uns mehr über unsere eigene europäische Gesellschaft, als wir vermuten.« (1991: 160) Dass eine Trennung zwischen (reinem) Markt- und Gabentausch konstruiert und empirisch nicht fruchtbar ist, möchte auch Arjun Appadurai zeigen. Er bemängelt grundsätzlich, dass solche Dichotomien menschliche Verschiedenheiten künstlich reduzieren und zeigt, dass »Dinge« sich von einer Warensituation in eine Gabensituation wandeln können, sie also verschiedene Phasen durchlaufen (Appadurai 1988: 13f).21 Unabhängig von der Frage, welchen gesellschaftlichen Kontexten die logischen Kategorien der Gabe und ihrer möglichen Gegenüberstellung zur Ware entspringen, lässt sich die Position der Existenz der vielschichtigen Gabe in der Moderne vertreten. Zu dieser Position komme ich als nächstes. 5.3.3 Kontinuität der Gabe in ihrer Vielschichtigkeit Diesen beiden Thesen der Non-Existenz sowie der Transformation (in ihren verschiedenen Ausformungen) steht eine dritte gegenüber, die These der Kontinuität. Eine starke Gegenposition vertritt die Ansicht, dass die Logik der Gabe tatsächlich auch in modernen Gesellschaften ein Fundament der Gesellschaft ist. Frank Adloff zufolge etwa begleitet und strukturiert »die Logik der Gabe und der damit evozierten Reziprozität […] alle Interaktionsformen – von der sozialen Mikro- bis zur Makroebene« (Adloff 2010: 36f). Dies bedeutet, den Gabemechanismus auch außerhalb des Privaten, des Schenkens, als fundamentalen Mechanismus ernst zu nehmen. Die These der Kontinuität wird in besonderer Weise von Alain Caillé und den anderen Vertreter*innen der M.A.U.S.S.-Bewegung angeführt. Denn die Reduktionen auf reine Gabe als Geschenk auf der einen sowie eigeninteressiertes Tauschhandeln auf der anderen Seite lässt sich in den von Caillé kritisierten Großtheorien des Holismus und des Individualismus erkennen.22 Caillé kritisiert, dass der methodologische Individualis21 Appadurai behandelt das soziale Leben der Dinge und erörtert die Problematik der strikten Trennung von Dingen und Personen. Mauss selbst verweist darauf, dass unsere Gesellschaft streng zwischen dinglichen und persönlichen Rechten unterscheidet; und auch »streng zwischen der Verpflichtung und der nicht unentgeldlichen Leistung [prestation, PD] einerseits und dem Geschenk andererseits« (Mauss 1990: 121). Diese Unterscheidung ist »relativ jungen Datums in den Rechtssystemen der großen Kulturen« (ebd.). 22 In Frankreich entwickelten sich in den 1980er Jahren verschiedene sozialwissenschaftliche Theorieansätze, die sich dezidiert kritisch mit den bis dahin vorherrschenden Großtheorien (Moebius 2006: 355), ganz besonders mit dem methodologischen Individualismus und damit verbunden den Rational Choice Theorien auseinandersetzen. Caillé nennt insbesondere
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mus Handeln stets durch individuelles Interesse und Rationalität erklärt, holistische Ansätze hingegen »through an existing social totality« (Caillé 2000: x). Als eigenständiges Paradigma setzt er die Logik der Gabe dazwischen, welche er als anthropologische Konstante ansieht (Caillé 2006). Mit der These der Kontinuität ist allerdings nicht gesagt, dass konkrete Formen der Gabe und der Reziprozität kontextungebunden wären. Die Ubiquität der Gabe bedeutet nicht ihre Gleichförmigkeit. Es gibt schließlich unterschiedliche Formen der Gabe (Elder-Vass 2015). Hier liegt eine Schwierigkeit der Kontinuitätsthese, die darin besteht, die Ubiquität der Gabe mit ihrer Kontextgebundenheit angemessen zusammenzuführen. Schließlich tritt die Gabe nicht in allen Kontexten in derselben Form auf. Ein wichtiges Beispiel, mit dem ich kursorisch auf die Bedeutung der Gabe hinweisen möchte, findet sich konkret schon bei Mauss. Die Sozialversicherung ist ihm zufolge Ausdruck eines solidarischen Gebens und Nehmens. Die Akzeptanz der Sozialversicherung hängt mit konkreten (ausgeglichenen) Reziprozitätserwartungen zusammen, wenn die Versicherungen auch starke redistributive Elemente erhalten, die einer solchen erwarteten, direkten Reziprozität entgegenstehen (Ullrich 1999). Die »Figur des Gabentauschs« ist also geeignet für die Analyse aktueller, zeitgenössischer politischer und wirtschaftlicher Probleme: »Dem unstrittigen Bedeutungsschwund von Gegenseitigkeitspflichten in funktional differenzierten Gesellschaften zum Trotz begreife ich die sozialstaatliche Systemmoral als Reziprozitätsarrangement.« (Paul 2008: 9). Allerdings verweist die Sozialversicherung, genau wie die Blutspende, auf einen Unterschied zur »archaischen« Gabe, da die Gabe hier viel stärker in anonymer Form auftritt und nicht auf konkreten persönlichen (oder gruppenbasierten) Beziehungen fußt (hierzu vgl. Paul 2008: 10). Andererseits weisen Gabemechanismen in der Sozialversicherung auch stärkere Ähnlichkeit zur archaischen Form der Gabe auf, insofern es sich um Austausch zwischen Gruppen handelt.23
den Imperialismus des ökonomischen Models in den Sozialwissenschaften, als dessen Antwort La Revue du MAUSS gegründet wurde (Caillé 2013: 44). Diesen Imperialismus beschreibt Hirshleifer (1985) wohlwollend als »Expanding Domain of Economics«: »What gives economics its imperialist invasive power is that our analytical categories – scarcity, cost, preferences, opportunities etc. – are truly universal in applicability.« (ebd.: 53) Gary Becker und die Anwendung rationaler Entscheidungstheorien auf intimste Sphären der Familie gelten meist als Inbegriff für diese Expansion des Anwendungsbereiches ökonomischer Theorie in Gestalt eigennutzorientierter rational Handelnder. 23 Die Identifikation der Gabe in der Sozialversicherung bleibt allerdings nicht unwidersprochen (Douglas 1990: xviii). Für Douglas ist Mauss’ Versuch, die Existenz der Gabe in modernen Gesellschaften aufzuzeigen, ungeeignet. So fehlt der Sozialversicherung die Macht, Personen wechselseitig in einem Wettbewerb um Ehre zu verpflichten. Wörtlich
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Schulz-Nieswandt sieht in der Gabe ebenfalls den Gestaltkern einer Sozialpolitik, welche raum-zeit-unbedingt als »Mechanismen der Risikovergemeinschaftung angesichts sozialer Gefährdungen und Mechanismen der Hilfe für sozial schwache Personenkreise« (Schulz-Nieswandt 2001: 75) verstanden werden kann. In der Gabe liegt der Ursprung für die beiden – sakralen – »Archetypen der Gesellung des Menschen« (ebd.: 77): Herrschaft und Genossenschaft.24 Die Kontinuitätsthese wird, wie angedeutet, vor allem von der anti-utilitaristischen Gaberezeption aufgegriffen, welche die Irreduzibilität von Freiwilligkeit und Spontaneität sowie der Verpflichtung ernst nimmt und gleichermaßen die strikte Dichotomie zwischen Eigeninteresse und Altruismus hinterfragt. Hier liegen ihre theoretischen Vorzüge. Der mit der Kontinuitätsthese einhergehende Verweis auf die gabe-immanente Stiftung friedlicher, sozialer Beziehungen wirft allerdings Probleme auf. Vor allem scheint mir problematisch, letztlich jegliche Form der Soziabilität auf die Gabe zurückzuführen. So wirft auch Moebius der M.A.U.S.S. vor, mit ihrer Verabsolutierung der Gabe andere kollektive Gewohnheiten, die eben nicht auf der Gabe basieren, zu vernachlässigen. »Die von der M.A.U.S.S.-Gruppe forcierte Hypostasierung der Gabe zum absolut bestimmenden und jeglicher Geschichte entzogenen Prinzip des gesellschaftlichen Lebens überhaupt verstellt hierauf den Blick.« (Moebius 2006: 366) An die Stelle utilitaristisch-individualistischer anthropologischer Grundannahmen (in der Tradition von Smiths »propensity to truck, barter, and exchange«) tritt eine andere: »Die Überwindung des methodologischen Individualismus und Kollektivismus vollzieht sich also in der anthropologischen Annahme einer phänomenalen Vielfalt des Handelns, einer Gleichzeitigkeit von individueller Freiheit und kollektivem Zwang.« (ebd.: 364). Wenn die Gabe überall gesehen und als die anthropologische Konstante konzipiert wird, läuft sie Gefahr, in die theoretische Falle der Tautologisierung zu tappen, und sich dort zur Figur des Homo Oeconomicus zu gesellen. Dieser Einwand bleibt bestehen, auch wenn Caillé und die M.A.U.S.S.-Gruppe deutlich machen, dass die Gabe nicht mit einem altruistischen Geschenk zu verwechseln ist. Es handelt sich demnach nicht um den Ersatz der Annahme eines natürlichen Egoismus durch die eines natürlichen Altruismus, sondern die eines relational gebundenen Gesellschaftsmitglieds. heißt es bei Douglas: »They utterly lack any power mutually to obligate persons in a contest of honour.« (ebd.: xix) 24 Auf diese beiden Urformen des sakralen Königtums und der Genossenschaftlichkeit geht somit auch soziale Politik zurück, welche als »ubiquitäre und konstitutive Praxis der menschlichen Existenz und Daseinsbewältigung« aufzufassen ist (Schulz-Nieswandt 2003: 28). Sozialpolitik wird nicht nur »von oben«, sondern auch »von unten« gemacht, als Ausdruck der Gesellung. In der vorliegenden Arbeit geht es nicht um die Gabe in der Sozialpolitik, sondern um die Gabe als Gesellungsform. Hierauf komme ich in den Fallstudien zum Regiogeld zurück.
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Die Generalisierung des Gabentausches zum alleinigen Integrationsmuster von Gesellschaft und als Form des wirtschaftlichen Tausches kann auch vor dem Hintergrund ethnologischer Erkenntnisse abgeschwächt werden: Malinowski und Mauss überbetonen den Gabentausch vermutlich und behandeln andere Formen des Tausches zumindest stiefmütterlich. Denn während der zeremonielle Gabentauch als wechselseitige Versicherung friedvoller Absichten notwendig für dauerhafte nichtkriegerische Beziehungen ist, wird, wie bereits angesprochen, ja nach diesen Zeremonien gefeilscht und geschachert (Görlich 1992 unter Verweis auf Malinowski 1999). Marcel Hénaff (2014) argumentiert, dass gar nicht von einer »gift economy« gesprochen werden könne, zumal der Gabentausch seiner Ansicht nach kein wirtschaftliches, sondern eben ein soziales System beschreibt. Der Gabentausch ermöglicht schließlich als Zeichen der Befriedung erst den im Anschluss stattfindenden wirtschaftlichen Tausch. Abschließend möchte ich daher noch einmal den von Parry (1986), Elwert (1991) und zuletzt Hillebrandt (2009) vorgebrachten Einwand wiederholen, dass die Konzeption des Gabentausches erst mit Begriffen möglich wird, welche eben nicht der archaischen, sondern der kapitalistischen Gesellschaft entstammen. Der Gabentausch setzt zur Abgrenzung Dinge etwa Waren oder reine Geschenke voraus. Die Kontinuitätsthese erweitert und ergänzt die Transformationsthese, indem sie die verschiedenen Formen der Gabe phänomenologisch fassbar macht und sowohl die vielschichtige Gabe, als auch altruistische Geschenke oder eigeninteressierten Warentausch anerkennt. Die Gabe stiftet auch weiterhin als komplexes Spiel zwischen Freiwilligkeit und Verpflichtung soziale Beziehungen.
5.4 KONTINUUM DER REZIPROZITÄTEN NACH MARSHALL SAHLINS (REZEPTION III) In den bisherigen Erörterungen der Gabekonzeptionen habe ich auf die Unterscheidung einer reinen Gabe, eines altruistischen Geschenks, von dem vielschichtigen Gabentausch bei Mauss hingewiesen. Polanyis Begriff der Reziprozität ist dahingegen vergleichsweise unspezifisch und eindimensional. In diesem Abschnitt diskutiere ich die einflussreiche Auseinandersetzung Marshall Sahlins mit der Gabe und Reziprozität. Denn Sahlins entwickelt ein einflussreiches Schema der Reziprozitäten, in welches reines Geben und reines Nehmen als Endpunkte konstruiert werden. Damit versucht er die vielfältigen Möglichkeiten der Ausprägungen von Tauschbeziehungen einzufangen. Gelingt sein Vorhaben, lassen sich Tauschbeziehungen in Komplementärwährungen einordnen. Zwei Aspekte sind hervorzuheben. Wie gezeigt, liefert Sahlins zum einen eine eher rationalistische Interpretation der Gabe nach Mauss, welche sie als einen Gesellschaftsvertrag konstruiert (Sahlins 1972: 149-184). Zum anderen legt er ein
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Schema eines Kontinuums von Reziprozitäten vor, welches den Begriff der Gegenseitigkeit nuanciert und gleichzeitig in Beziehung zu sozialen Relationen, allen voran Verwandtschaft, setzt. Mit der Verknüpfung von wirtschaftlichem Tausch und sozialen Beziehungen knüpft er an die Idee der Einbettung der Wirtschaft an. Dieses Kontinuum skizziere ich im Folgenden unter Bezugnahme auf Kapitel 5 »On the sociology of primitive exchange«, in Sahlins Werk Stone Age Economics von 1972 (für eine instruktive Kritik siehe Miklautz 2010: 72-76). Sahlins betont den Einfluss Polanyis auf die Konzeption des Kontinuums genauso wie die Tatsache, dass er von dessen dreiteiligen Schema von Reziprozität, Redistribution und Markttausch abweicht (Sahlins 1972: 188). Es löst den Reziprozitätsbegriff von einer Vorstellung des gleichgewichtigen reziproken Austauschs und zeigt, dass Reziprozität auch mit materiellen Ungleichheiten verbunden sein kann (Adloff/Mau 2005: 15). Auch Malinowskis Einfluss ist eminent. Denn Sahlins Schema kann als Generalisierung von Malinowskis Klassifikation von Tauschformen (Malinowski 1999: 135) verstanden werden, da er dessen wenig systematische und auch widersprüchliche Klassifikation mithilfe von Polanyis Arbeiten weiterentwickelt (Miklautz 2010: 73). Zunächst grenzt Sahlins Reziprozität und Redistribution (in seiner Terminologie Pooling) voneinander ab. Redistribution bezieht sich auf eine Innenbeziehung, also kollektives Handeln einer Gruppe. Reziprozität stellt demgegenüber eine Zwischen-Handlung, also eine Außenbeziehung zwischen zwei Parteien dar (Sahlins 1972: 188).25 Pooling entspricht der Zentralität, Reziprozität der Symmetrie. Diese beiden Typen ökonomischer Transaktionen gehen ineinander über, da sich Pooling als eine Organisation oder ein System von Reziprozitäten zwischen den einzelnen Mitgliedern der poolenden Gruppe auffassen lässt. Innerhalb des Spektrums von Reziprozitäten, dieser Zwischen-Beziehung, können drei Formen unterschieden werden, die Sahlins generalisierte, ausgeglichene und negative Reziprozität nennt. Eine grundlegende Einsicht liegt darin, dass Reziprozität nicht zwingend mit einer Ausgeglichenheit wechselseitiger Leistungen zusammenhängen muss. Stattdessen bietet Sahlins Schema ein Kontinuum, das von freiwilliger, scheinbar altruistischer Hilfe – einer reinen Gabe –
25 Sahlins Ansatz spezifiziert Reziprozität somit auf die Beziehung einer Gruppe nach Außen und grenzt Tausch in Innenbeziehungen einer Gemeinschaft als Pooling davon ab. In dieser Tradition werden in ethnographischen Studien die Begriffe Reziprozität und Gabe häufig auf Inter-Gruppen-Beziehungen angewandt und nicht auf Tauschprozesse zwischen Individuen innerhalb einer sozialen Gruppe. »Reciprocity involves the exchange of base – or things, people, and their parts – between persons of different communities. Falling in the sphere of communal transactions, it is never about objects alone but relationships forged through them.« (Gudeman 2001: 81) Dieser Engführung folge ich nicht, sondern spreche von Reziprozität auch bei Beziehungen zwischen Akteur*innen innerhalb einer sozialen Gruppe.
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bis zur eigennützigen Aneignung, auch durch Schikane oder Zwang, reicht. Die Extrema beschreibt er gleichermaßen so, dass auf der einen Seite das soziale Element überwiegt, auf der anderen das Materielle. Seine Typologie, so betont er, ist eine »conventional metaphor of exposition, not a true history of experiment« (ebd.: 192). Denn empirische Tauschvorgänge stellen meist Mischformen dar und fallen in der Regel nicht auf die Extrema oder den Mittelpunkt des Kontinuums (ebd.: 196). Sahlins nennt als Kriterien für die Unterscheidung den Grad an Materialität oder Sozialität der Tauschbeziehung sowie die Unmittelbarkeit und Bestimmtheit der Erwartung einer Gegengabe. Darüber hinaus stellt er den Bezug zum Grad verwandtschaftlicher – allgemeiner formuliert: sozialer – Nähe her und argumentiert, dass positive Formen der Reziprozität unter engen Verwandten, negative gegenüber Fremden herrscht. Als Extrem der Solidarbeziehung benennt er generalisierte Reziprozität. Diese ist idealtypisch als das darstellbar, was Malinowski »reine Gabe« nennt, nämlich vermeintlich altruistische Gaben. Sahlins fasst Gastfreundschaft, Teilen, freie Geschenk, Hilfe und Großzügigkeit unter dieses Extrem, das besonders im Teilen von Nahrung unter nahen Verwandten hervortritt. Generalisierte Reziprozität bedeutet dabei nicht, dass keine Pflicht zur Gegen-Gabe bestünde (Sahlins 1972: 194), sondern dass das Erwidern hinsichtlich Zeit, Quantität und Qualität unbestimmt ist. Die soziale Seite der Transaktion unterdrückt hier die materielle; Reziprozitätserwartungen sind unbestimmt, nicht nach Menge, Art oder Zeit fixiert. Ein Einfordern einer Gegengabe kann sogar als a-sozial aufgefasst werden. Die Pflicht zur Rückgabe mag nicht bedingungslos sein, sondern sich auf Situationen beschränken, in denen die Geber*in auf eine Gegengabe angewiesen ist – daher kann die Gegengabe zeitnah oder auch niemals gegeben werden. Als Mittelpunkt der Skala bezeichnet Sahlins ausgeglichene Reziprozität. Diese bezieht sich auf direkten Tausch. Darunter fallen etwa freundschaftliche Übereinkünfte (friendship compacts) und Friedensvertragsschlüsse. Sahlins ordnet aus der ethnologischen Literatur einen großen Teil des Gabentausches, des Handels sowie Kaufen und Verkaufen mit »primitiven Geld« dieser ausgeglichenen Reziprozitätsform zu (Sahlins 1972: 195). Ausgeglichene Reziprozität ist in der Regel weniger persönlich als generalisierte Reziprozität, dagegen ökonomischer: »The parties confront each other as distinct economic and social interests.« (ebd.: 195) Entscheidend für die Transaktion sind sowohl ihre materiellen als auch die sozialen Seiten; die Verrechnung ist relativ präzise und Gaben müssen innerhalb einer bestimmten Zeit erwidert werden. Einseitige Ströme, bei generalisierter Reziprozität akzeptiert, würden auf Dauer das soziale Band zerstören: »[T]he pragmatic test of balanced reciprocity becomes an inability to tolerate one-way flows.« (ebd.) Sahlins weist darauf hin, dass die sozialen Beziehungen bei ausgeglichener Reziprozität von der Bewegung materieller Güter abhängen, während bei generalisierter Reziprozität umgekehrt vorherrschende soziale Beziehungen die Bewegung der Güter bestimmen.
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Negative Reziprozität ist die unpersönlichste und am stärksten ökonomische Art des Tausches. Sie ist »the attempt to get something for nothing with impunity, the several forms of appropriation, transactions opened and conducted toward net utilitarian advantage. Indicative ethnographic terms include ›haggling‹ or ›barter‹, ›gambling‹, ›chicancery‹, ›theft‹, and other variables of seizure.« (ebd.) Es stehen sich die Transaktionsteilnehmer*innen mit gegenteiligen Interessen gegenüber, jede versucht den eigenen Nutzen auf Kosten des anderen zu maximieren. Eine der umgänglichsten Formen negativer Reziprozität, nahe an ausgeglichener Reziprozität, manifestiert sich im Feilschen im Geist »what the traffic will bear« (ebd.). Weitere, extremere Formen sind für Sahlins unter anderem die Anwendung von List, Betrug, Diebstahl und Anwendung von Gewalt. Auch Teile dessen, was in der ökonomischen Theorie moral hazard genannt wird, lässt sich somit unter negative Reziprozität subsumieren (Schulz-Nieswandt 2008: 327). Die vorausgehenden Überlegungen zeigen, dass der Reziprozitätsbegriff keineswegs einheitlich Anwendung finden muss, sondern eine Binnendifferenzierung erlaubt. Dies wird an späterer Stelle in der Anwendung der soziologischen Begriffssprache auf den hier untersuchten Gegenstand relevant werden. Denn der Verweis auf Reziprozität ist dann nicht einfach mit der Beobachtung einer nicht unmittelbar erfolgenden Gegengabe zurückzuweisen, sondern erlaubt vielfältige komplexere Situationen. Über die Differenzierung in drei Typen der Reziprozität hinaus besteht Sahlins Beitrag darin, Reziprozität mit Verwandtschaft (oder, allgemeiner: sozialen Beziehungen) systematisch in Relation zu setzen. Auf dieser Einsicht basieren letztlich auch Begriffe des sozioökonomischen Sozialraums. Je enger die soziale Nähe, desto eher treten Formen generalisierter Reziprozität auf. Insofern er damit auf die Einbettungen von Tauschhandlungen in soziale Beziehungen verweist, zeigt sich die Nähe zu Granovetters Konzeption der soziostrukturellen Einbettung wirtschaftlichen Handelns (vgl. Abschnitt 4.3.1). Für Christian Stegbauer (2002: 33f) ist diese Integration von Reziprozität und Beziehungsstruktur eine entscheidende Leistung von Sahlins, auch wenn ihm seine Typisierung »nicht ganz korrekt« erscheint (ebd.: 34), eben weil sie generalisierte Reziprozität eindeutig an enge soziale Beziehungen bindet. Doch die Beispiele der Wegauskunft und einer überlassenen Zigarette unter Unbekannten zeigen die Zweifelhaftigkeit dieser schematischen Bindung auf.26 Daher entwirft Tim Ingold (1987: 231-234) ein Schema, in dem die Reziprozitätsform unabhängig vom Verwandtschaftsgrad ist. Er modifiziert das Schema der Reziprozität daher so, dass er Formen generalisierter, positiver Reziprozität sowie Formen negativer Reziprozität sowohl innerhalb naher Verwandtschaftsbeziehungen als auch un26 Stegbauer sieht die Stärke von Sahlins Ansatz darin, dass er den Austausch als in die Sozialstruktur eingebettet konzipiert. Damit beruht der Modus des Tauschs nicht (zumindest nicht ausschließlich) auf individueller rationaler Kalkulation, sondern auf sozialen Beziehungen (2002: 34).
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ter Fremden fassen kann. Dann finden sich unabhängig vom Verwandtschaftsgrad positive und negative Reziprozitätsformen, etwa im Teilen und Einfordern unter Verwandten und im Verhandeln und Diebstahl unter Fremden. Aber nicht nur Sahlins zurückzuweisende Annahme der Identifikation von Generosität, Soziabilität und sozialer Nähe wirft Probleme auf. Schließlich vernachlässigt er »weitere Faktoren« (Gregory 1994: 924), welche das Schema verkomplizieren, da sie die Präsenz bestimmter Reziprozitätsformen beeinflussen. Sahlins nennt zwar solche weiteren Faktoren, darunter Rang oder Bedürftigkeit, als bedeutend für die Präsenz spezifischer Reziprozitätsformen, kann diese aber nicht in sein Modell einfügen. Für Miklautz (2010: 75) scheitert Sahlins letztlich bei dem Versuch, gegen Mauss reine und eigennützige Gaben auseinanderzureißen. Sie bezeichnet das Modell als zu statisch, unfähig, qualitative Unterschiede in den Blick zu nehmen und sich »in der Quantifizierung einzelner Aspekte in Form eines ›je mehr…desto‹-Schemas« erschöpft (ebd.). Dadurch erschwert es die Betrachtung der Gabe in ihrer Totalität. Gleichwohl erscheint mir die Ausdifferenzierung, wenn sie nicht unmittelbar an soziale Nähe gekoppelt wird, produktiv, da sie den Blick für Extrempunkte öffnet und sich konkrete Gabentauschprozesse möglicherweise innerhalb eines solchen vielschichtigen Raumes besser greifen lassen. Allerdings bleibt oft unklar, wie genau das Kontinuum der Reziprozitäten jeweils konzipiert wird. Dies wird besonders deutlich, wenn Markttausch nicht als separate Tauschform konzipiert, sondern in das Schema der Reziprozitäten eingeordnet werden soll. Bei einer Markttransaktion sind beide Akteur*innen gerade bereit, zu tauschen, also beispielsweise einen Euro für eine Flasche Limonade zu geben bzw. die Flasche Limonade für einen Euro zu verkaufen. Auch haben beide Seiten konkrete, in Menge und Sache spezifizierte Erwartungen an die Gegenseite (eine Flasche Limonade bzw. einen Euro). Die gegenseitigen Forderungen werden in der Regel ohne zeitliche Verzögerung getilgt. Konkrete, unmittelbare Gegenseitigkeitserwartungen werden also erfüllt. Daher wird der Markttausch oft als ausgeglichene Reziprozitätsform angesehen. Gleichzeitig verweist bereits Sahlins darauf, dass sich marktlicher Tausch an der Schnittstelle zu negativer Reziprozität befindet, da oftmals ja der einseitige, eigene Interessenvorteil im Mittelpunkt steht, wie sich beim harten Feilschen zeigt. Auch Marktmacht, somit die Entfernung von Äquivalententausch, beeinflusst die Form der Reziprozität. Sie erleichtert das Durchsetzen der negativen Form. Konkrete Kauf/Verkauf-Situationen können sich demnach hinsichtlich ihrer Verortung in dem Kontinuum unterscheiden. Chris Hann (2006: 214) hingegen klassiert den herkömmlichen Markttausch eindeutig als Form negativer Reziprozität, da jede Akteur*in versucht, den besten Deal für sich selbst herauszuschlagen. Es lässt sich aber ein weiterer Einwand hinsichtlich der Gleichsetzung von Markt und (einer Form der) Reziprozität anführen. Eine unmittelbare Subsumtion des der Marktlogik unterworfenen Tausches als Form der Reziprozität erscheint nämlich aufgrund der Vernachlässigung der Dimension der Soziabilität problematisch. So will
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Sahlins ja gerade die Gleichzeitigkeit sozialer und materieller Beziehungen in seinem Reziprozitätsschema aufzeigen. Anonymer Tausch am Markt, losgelöst von sozialen Bindungen, fällt in dieser Perspektive nur schwerlich unter den Begriff ausgeglichener Reziprozität.27 Diesem Einwand wiederum ließe sich durch eine Differenzierung marktlicher Tauschformen anhand der Qualität der sozialen Beziehungen zwischen den Tauschpartner*innen begegnen, wenn sie im Sahlinschen Reziprozitätsschema gedacht werden sollen (ohne allerdings dessen Determinismus der Beziehung Reziprozitätsform-Sozialstruktur zu übernehmen). Nicht nur die Basar-Ökonomie (Geertz 1978), sondern etwa auch der regelmäßige Einkauf beim selben Bauer auf einem Wochenmarkt, flankiert von Unterhaltungen zumindest über das Wetter, kommt den Sahlinschen Beispielen vermutlich näher als der flüchtige Kauf beim Discounter oder der Bestellung beim Onlinehändler. Zusätzlich zu Polanyis Differenzierung zwischen preissetzenden Märkten in Marktsystemen auf der einen und administrierten Märkten auf der anderen Seite kann hier auf den Unterschied zwischen Marktplätzen und abstrakten Märkten verwiesen werden. Denn auch in einem System der Preisbildung auf Märkten ist, wie viele mikrosoziologische Studien zeigen, auf einem konkreten Marktplatz der Austausch eben sehr wohl durch soziale Beziehungen mitbestimmt.28 Schließlich, und dies hervorzuheben ist ja ein Anliegen von Mauss und Polanyi, lässt sich eine strikte Trennung 27 Ein breiteres Verständnis des Reziprozitätsbegriffes erscheint hier beachtenswert, wenn es sich auch von Polanyis Auffassung entfernt. Stegbauer (2002) etwa unterscheidet zunächst zwischen »direkter« Reziprozität und »generalisierter« Reziprozität. Direkte Reziprozität basiert »auf direkten Beziehungen, die sich, egal wie viele Personen letztlich daran beteiligt sind, analytisch in Dyaden auflösen lassen« (ebd.: 35). Bei generalisierter Reziprozität lässt sich der Gabezyklus hingegen nicht auf zwei Akteure zurückführen. Direkte Reziprozität ist somit nicht mit Sahlins ausgeglichener Reziprozität gleichzusetzen. Stegbauer vermag nun auf Basis des breiten Gegenseitigkeitsbegriffes den Warentausch (bereits mit Kauf gleichgesetzt) als eine Form direkter Reziprozität zu identifizieren, schränkt zugleich allerdings ein, dass die Bewertung der Äquivalenz an den Markt als externe Institution delegiert wird (ebd.: 35). Die Rückführung des Warentausches auf eine reziproke Dyade scheint somit zumindest zweifelhaft, da Märkte – und somit Warentausch – auf die Existenz zumindest dreier Akteure angewiesen sind: »Mindestens ein Akteur auf der einen Seite des Marktes, der sich mindestens zwei Akteuren auf der anderen Seite des Marktes gegenübersieht, deren Angebote er im Vergleich miteinander bewerten kann.« (Aspers/Beckert 2008: 225) Jedenfalls erlaubt der breite Reziprozitätsbegriff, Waren- und Gabentausch beide als verschiedene Formen der Reziprozität zu fassen. Dies geht allerdings meines Erachtens damit einher, dem Reziprozitätsbegriff den Charakter der sozialen Verpflichtung zu nehmen, den Polanyi, Sahlins und andere betonen. 28 Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass selbst diese Terminologie problematisch ist, insofern sie eine genuin ökonomische Sphäre neben dem Sozialen konstruiert. Dabei
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zwischen dem Ökonomischen und anderen gesellschaftlichen Teilbereichen nicht aufrechterhalten. Somit lassen sich aber auch spezifische Transaktionen auf dem Markt durch die Brille des Kontinuums an Reziprozitäten spiegeln. Diese dreiteilige Konzeption verlässt Polanyis Vorstellung von Reziprozität in der Hinsicht, dass horizontale soziale Beziehungen nicht mehr notwendiger Bestandteil reziproker Beziehungen sind. Es öffnet sich somit für Gegenseitigkeitsbeziehungen vertikaler Art, dem »Gabemechanismus im morphologischen Rahmen der Herrschaft« (Schulz-Nieswandt 2003: 131). Hierunter ließen sich etwa die wechselseitigen Verpflichtungen zwischen Lehnsherr und Lehnsnehmer subsumieren, oder auch die Fürsorgepflicht der Kommune gegenüber ihren Bürger*innen. Ebenso finden sich innerhalb von Regiogeldkreisläufen neben den horizontalen auch vertikale Gabebeziehungen, die sich in spezifischen Verwendungsweisen ausprägen (Kapitel 10.3).
5.5 GELD IN BEZIEHUNGEN VON GABE UND REZIPROZITÄT Aus den bisherigen Überlegungen im Anschluss an Zelizer, Polanyi und Mauss lässt sich bereits entnehmen, dass wirtschaftlicher Tausch nicht mit marktlichem Tausch gleichzusetzten ist und auch das Geld nicht zwingend mit marktlicher Verwendung verbunden ist. Bevor ich auf reziprozitäts- und gabevermittelten Tausch in Komplementärwährungssystemen zu sprechen kommen, möchte ich hier noch einmal auf ein meines Erachtens problematisches Verständnis zu sprechen kommen, welches Geld und Gabe als unvereinbar ansieht. Reziprozität und Gabentausch werden dann als geldlos bezeichnet und geldvermittelter Warentausch der Gabe gegenübergestellt. Die Idee, dass Reziprozität als Tauschform ohne Geld auskommt, findet sich etwa im ethnologischen Einführungslehrbuch von Peoples und Bailey: »Reciprocity refers to the transaction of objects without the use of money or other media of exchange« (Peoples/Bailey 2000: 108) heißt es dort im Kapitel zu Tausch in ökonomischen Systemen, bevor die verschiedenen von Sahlins identifizierten Reziprozitätsformen vorgestellt werden.29 Auch Gudeman verwendet den Begriff der Reziprozität für nicht-
ist jede konkrete ökonomische Tauschbeziehung eine soziale Beziehung. Auch die von Polanyi als im Wesentlichen konform mit neoklassischen Theoriemodellen gehende Marktwirtschaft institutionalisiert soziale Beziehungen. Bereits Marx macht darauf aufmerksam, dass auch Waren, auf Märkten gehandelt, durch die grundlegenden sozialen Relationen bestimmt werden. 29 Diese Ausführungen sprechen mehrere problematische Aspekte an: Geld wird mit Tauschmittel gleichgesetzt, und letztlich auch die Verwendung von Geld beim Tausch mit Markt-
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marktlichen Tausch ohne Geldfluss und verweist auf Unterschiede zum Reziprozitätsbegriff der Spieltheorie und der experimentellen Wirtschaftsforschung: »The word ›reciprocity‹ is used differently by economists and anthropologists. For economists, reciprocity refers to two-directional exchanges, monetized or not. Anthropologists use reciprocity for a more restricted set of practices - specifically, non-cash, non-market exchanges and set it in opposition to commercial trade.« (Gudeman 2001: 80)30
Auch Elwert sieht keinen Raum für Geld in Gabenökonomien: »Zu jeder Gabenökonomie gehört auch ein System von ›Währungen‹, nach denen im übertragenen Sinne entlohnt wird.« (Elwert 2004: 139) Als Beispiel nennt er die Gratisbewirtung anlässlich einer Weihnachtsfeier innerhalb einer Firma. Solche ›Währungen‹ sind in der Regel »nichtmonetärer Natur. Viel wichtiger ist die Zuweisung von Prestige, die erst eine generalisierte Reziprozität gewährleistet.« (ebd.: 140) Gemeinsam ist diesen Perspektiven, dass sie Geldverwendung unzulässigerweise mit Waren- oder Markttausch gleichsetzen. Doch Geld kann auch Medium in Gabebeziehungen sein, gerade weil es sozial differenziert wird.31 Zwar kann die Generalität des Geldes seinen Einsatz in Gabebeziehungen erschweren. Weil es unpersönlich ist, anonym und durch Tausch in (fast) alles Mögliche verwandelt werden kann, mag es selbst als Gabe ungeeignet sein (Carruthers 2010: 63).32 Allerdings kann, wie die Diskussion von Zelizers Ansatz gezeigt hat, Geld durch Markierung spezifiziert und an die Person der Geber*in oder der Empfänger*in oder die persönliche Beziehung zwischen Geber*in und Empfänger*in geknüpft werden. Geld als Geschenk
tausch. Dagegen wendet sich Polanyi mit der separaten Institutionalisierung von Geldfunktionen und auch Mauss, der betont, dass auch Kaurimuscheln und ähnliche Gegenstände als Geld eingeordnet werden können. 30 Gudeman differenziert darüber hinaus zwischen Gabe und Reziprozität wie folgt: »I use reciprocity for non-market, lasting, two-way exchanges, and gift for an initial present. An unrequited offering remains a gift.« (Gudeman 2001: 80) Für Gudeman ist die Gabe der erste Schritt des Versuches, Gemeinschaft auszuweiten. Reziprozität entspringt den Praktiken, durch regelmäßigen Austausch die Gemeinschaft auszudehnen (Hann 2006: 216). 31 Auf diesen Punkt komme ich in der Diskussion der Fallbeispiele von Regiogeldern zurück. Komplementärwährungen sind weniger generalisierbar, fungibel, homogen, so dass sie sich im Umkehrschluss unter Umständen besser innerhalb von Gabebeziehungen verwenden lassen. 32 Die Tauglichkeit von Geld als Gabe hängt unter anderem auch von Geschlechterrollen ab: »[I]n the wider culture, it is often appropriate for men to use money in gift relations, whereas women’s gifts are more appropriately gifts of labour or gifts in kind.« (Raddon 2003: 69)
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kann beispielsweise mit dem Auftrag, es für eine spezielle Sache, ein Buch, Fußballschuhe oder ein gemeinsames Abendessen zu verwenden, versehen werden. »Differentiating money gives it enough personal meaning to make it suitable as a gift, without completely undermining money’s value as purchasing power. The gift giver uses an earmark to loosely tie the hands of the gift recipient«, wenn etwa das Geldgeschenk explizit für den Kauf eines Buches bestimmt ist (Carruthers 2010:63). Ein grundlegendes Problem bei der Vorstellung von Geld als Gegenstand, der Ausgangspunkt einer Gabebeziehung ist, mag darin liegen, dass Geld exakt quantifizierbar und zumindest überindividuell kaum qualitativ zu unterscheiden ist. Somit ist ein Äquivalent berechenbar, während eine Gabe oft eben keinen exakt spezifizierbaren Wert enthält.33 Auch greift die Perspektive der Gabe die Trennung von Person und Objekt an, womit qualitative Besonderheiten von Geld etwa je nach Herkunftsart an Bedeutung gewinnen. Das Geldgeschenk der Großmutter kann dann etwas Anderes sein als eine Bezahlung für geleistete Arbeit. Gabentausch ist nicht auf den Tausch zweier Dinge, zweier Gegenstände reduzierbar, sondern schließt die mit ihm einhergehende soziale Bindung mit ein. Dass sich Geld und Gabe nicht kategorisch ausschließen, lässt sich auch am Beispiel der Philanthropie sehen. Im Sinne der oben skizzierten Thesen der Kontinuität der Gabe und der Simultanität von Tauschpraktiken, zeigen verschiedene Studien in jüngerer Zeit Verschränkungen zwischen Gaben- und Warentausch auf und weisen die strikte Dichotomie zwischen den beiden Logiken zurück. Auf die Verwobenheit von Markttausch und Gabentausch machen etwa die Arbeiten von Dave Lainer-Vos aufmerksam, der »moralische Transaktionen« wie Diaspora-Bonds untersucht, d.h. spezielle, auf Menschen in der Diaspora zugeschnittene Anleihen, bei denen Investitionsentscheidungen der Anleger*innen nicht nur auf pekuniärem Kalkül, sondern auch auf ethischen Überlegungen basieren. Lainer-Vos zeigt anhand von israelischen und irischen Bonds der 1920er bis 1950er, wie beteiligte Akteure entweder »clarification practices« oder »blurring practices« nutzen, um den jeweiligen Status als Markttausch oder Gabentausch entweder zu verdeutlichen oder zu verschleiern (Lainer-Vos 2013: 146). Eine eindeutige Zuordnung ist dann nicht möglich. Die Praktiken des Gaben- und des Warentauschs manifestieren sich simultan (Hillebrandt 2009). Auch in der jüngeren Konsumforschung zeigt sich die Verschränkung von Ware und Gabe. Bird-David und Darr fassen die weit verbreitete Marketing-Praxis größerer Unternehmen, Geschenke in Form von Waren oder Gutscheinen bei Käufen ab einer bestimmten Höhe zu machen, als Hybridform zwischen Ware und Gabe auf,
33 Diese reine Quantifizierbarkeit lässt sich beispielsweise im Fall von Krediten und den besonderen Bedingungen spezifischer monetärer Schuldverhältnisse verdeutlichen. Geldschulden sind im Gegensatz zum Schulden eines Gefallens eindeutig messbar.
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die sie »mass-gifts« nennen. In ihrer ethnographischen Studie beleuchten sie die Interaktionen zwischen Verkäufern und Käufern in Israel und zeigen, dass solche »mass-gifts« weder rein kalkulierend als Preisreduktionen von Waren noch als echte Gaben gesehen werden (Bird-David/Darr 2009). Garagen-Verkäufe und Flohmarkttransaktionen weisen ebenfalls häufig gleichzeitig Charakteristika des Gaben- und des Warentausches auf und beinhalten verschiedene soziale Transaktionsmuster, welche das gesamte Sahlinsche Spektrum von generalisierter bis negativer Reziprozität umfassen können (Herrmann 1997). Situativ bedingt und möglicherweise abhängig von den Personen mag eine Gabeüberschussbereitschaft bestehen, oder aber auch der Wille, möglichst große eigene materielle Vorteile zu erzielen. Die Dimensionen des Gabentausches liegt dann vor allem darin, dass solche Transaktionen nicht nur rein wirtschaftlich sind, sondern gleichzeitig auch Menschen verbinden, unpersönliche Kaufhandlungen personalisieren (ebd.: 925) Die Überlegungen zeigen, dass sich reziprozitätsbasierte Beziehungen und Gabentausch nicht kategorisch mit der Verwendung von Geld ausschließen. Vielmehr kann es soziale Praktiken der Geldverwendung geben, die dezidiert auf der Logik der Gabe und der zugrunde liegenden Reziprozität basieren oder sich als Hybridformen der Pole Markt auf der einen und Gabe (bei Polanyi: Reziprozität) auf der anderen Seite manifestieren. Dies ist analytisch bereits aus dem Modus der Gabe herleitbar und zeigt sich zudem in der Differenz verschiedener Geldformen, welche nicht immer als effiziente Tauschmittel auf dem Markt dienen. Tausch bedeutet nicht ausschließlich Markttausch und Geld ist nicht ausschließlich Steuerungsmittel auf dem Markt. Diese Feststellung ist von enormer Bedeutung für das vorliegende Projekt, da nur unter dieser Vorbedingung die Terminologie der Gabe – neben anderen – auf die hier untersuchten Spezialformen komplementärer Währungen angewendet werden kann. Die Logik der Gabe, so die Überlegung, strukturiert spezifische Praktiken der Geldmarkierung. Mit dieser Möglichkeit bietet sich ein begriffliches Werkzeug der Analyse von Regiogeldern, das – wie zeigen werde – zentrale Aspekte der Besonderheit bestimmter Währungen herauszustellen in der Lage ist (vgl. 7.2 sowie 11). Im Folgenden erörtere ich das Feld der komplementären Währungen, zu denen Regiogeld als eine spezifische Form gehört.
Komplementäre Währungen
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Ein Blick in die Komplementärwährungslandschaft
Die bisherigen Kapitel haben sich mit verschiedenen Perspektiven auf Geld sowie auf Tausch, Gabe und Reziprozität befasst. Dabei habe ich die Multidimensionalität des Geldes hervorgehoben und unterschiedliche Ansätze der Diversifizierung von Geld diskutiert. Auch habe ich auf den Pluralismus von Tauschformen hingewiesen. Vor diesem Hintergrund diskutiere ich nun spezifische Konzepte alternativer Geldprojekte. Dieses und das folgende Kapitel erfüllen insofern eine Brückenfunktion, als sie einerseits die Landschaft komplementärer Währungen mit ihrer Vielfalt der Organisationsformen und Konzeptionen aufzeigen, sowie andererseits Bezüge zu den vorherigen Überlegungen herstellen und damit einen wesentlichen Hintergrund für die anschließende empirische Untersuchung spezifischer Fälle zeichnen. Zunächst biete ich einführend einen Überblick über die Vielfalt der Systeme und Ansätze von Komplementärwährungen, wobei ich jüngere Tendenzen der Pluralisierung von Geldformen sowie ideologische und historische Bezugspunkte skizziere. Damit soll einerseits das empirische Feld umrissen, andererseits auch übergeordnete Zielsetzungen und spezielle Zwecke der Geldformen aufgezeigt werden. Im anschließenden Kapitel 7 erörtere ich detailliert zivilgesellschaftliche Komplementärwährungen, und grenze mithilfe Polanyis Systematisierung von Tauschformen Typen voneinander ab, um Charakteristika der später analysierten Regiogelder herauszuarbeiten. In einem weiten Verständnis umfasst der Begriff Komplementärwährung alle Geldformen jenseits des als gesetzliches Zahlungsmittel verwendeten herkömmlichen Bar- und Buchgeldes. Solche Währungen vermögen für Roger Lee dieselben Funktionen zu erfüllen wie »normal, official money«, wobei sich die sozialen Relationen, innerhalb derer das Geld gilt, deutlich unterscheiden (Lee 1999: 224). Demgegenüber begreife ich Komplementärwährungen als Spezialzweckgelder, die einer Bandbreite verschiedener Zielsetzungen folgen können und somit auch funktional nicht lediglich »normalem Geld« auf kleinerer Ebene entsprechen müssen. Es gilt, dann zunächst, die Bandbreite spezifischer Zwecke und Funktionen zu erörtern. Denn die Komplementärwährungslandschaft ist ein heterogenes Feld, das sehr unterschiedliche Phänomene beherbergt. Eine häufig verwendete Definition, die dieser Band-
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breite gerecht werden möchte, lehnt sich an Lietaer (2001) an: »A complementary currency is an agreement to use something other than legal tender (i.e., national, or bank debt money) as a medium of exchange, with the purpose to link unmet needs with otherwise unused resources« (Hallsmith/Lietaer 2011: 51). Hier findet sich die Vorstellung von Geld als Tauschmittel, welches innerhalb spezifischer Gruppen zirkuliert und den herkömmlichen Geldkreislauf ergänzt. Die Idee der Ergänzung herkömmlichen Geldes, also dezidiert nicht des Wettbewerbs mit ihm, ist zentrales Element solcher Konzeptionen. So betont auch Greco, dass komplementäre Währungen nicht als Ersatz zirkulieren zu »the dominant national money systems. They are intended to serve purely as a medium of exchange that circulates among a limited group of associated traders who may be geographically proximate or widely dispersed« (Greco 2001: 13). Die Gruppe an Nutzer*innen ist dabei nicht grundsätzlich auf einen äußerlich vorgegebenen geographischen Raum begrenzt. Komplementärwährungen können im Gegenteil, wie etwa das bekannte Beispiel Bitcoin zeigt, auch auf globaler Ebene zirkulieren. Im Folgenden führe ich in die Vielfalt der Systeme ein (6.1) und stelle historische und ideelle Bezugspunkte (6.2) heraus.
6.1 ÜBERBLICK UND VIELFALT DER SYSTEME Komplementärwährungen sind also Geldformen einer besonderen Gestalt, die innerhalb spezifischer monetärer Netzwerke in Ergänzung zum herkömmlichen Geld genutzt werden.1 Unter den Begriff fallen beispielsweise Tauschringe, Local Exchange Trading Systems (LETS), Zeitbanken und Seniorengenossenschaften sowie Regionalgelder und Barter Club-Verrechnungssysteme zwischen Unternehmen, Gutschein- und Punktesysteme von Unternehmen für Kund*innen oder Kryptowährungen wie Bitcoin oder Freicoin. Während Anfang des Jahrtausends etwa eine Million Menschen die damals existierenden mehreren Hundert lokalen Währungen nutzten (Helleiner 2003: 159), existieren mittlerweile geschätzt mehrere Tausend Komplementärgeldsysteme, zu denen neben kleinen, lokal begrenzten Tauschsystemen auch 1
Die folgenden Erörterungen gehen zum Teil auf Degens (2013: 15f) zurück. Der Begriff der Komplementärwährung als übergreifende Klammer für diese verschiedenartigen Systeme hat sich in den letzten Jahrzehnten in der zum großen Teil populär- oder nichtwissenschaftlichen Literatur durchgesetzt. Hierzu haben vor allem die Arbeiten Bernard Lietaers (2001, 2003, 2011; Lietaer et al. 2013) und Margit Kennedys (2006) beigetragen, die in der Szene großen Einfluss haben (auch Kennedy/Lietaer 2004; Kennedy/Lietaer/Rogers 2012). Demgegenüber findet sich gerade in den 1980er und 1990er Jahren die Vorstellung von Phänomenen wie Tauschringen oder Zeitbanken (vgl. 7.2) als dezidiert non-monetäre Tauschsysteme. Zur Verschiebung des Diskurses hin zu Begriffen wie Geld und Währung vgl. Schroeder (2015: 9).
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größere Formen wie der schweizerische genossenschaftliche Wirtschaftsring WIR gehören. Weite Verbreitung finden komplementäre Regionalgelder insbesondere in Großbritannien, den USA, Japan und, vor allem während der dortigen Wirtschaftskrise um die Jahrtausendwende, in Argentinien.2 Aber auch in Deutschland gibt es eine dreistellige Zahl komplementärer Währungen (Schroeder et al. 2011: 35).3 Debattiert werden solche Gelder auch für die Eurozone (North 2016). Das praktische und auch das theoretische Interesse an alternativem Geld steigen stetig. Dies zeigt sich medial, aber auch in der Wissenschaft und bei maßgeblichen Akteur*innen des Geld- und Finanzsystems. So wird das Verhältnis von Komplementärwährungen und herkömmlichem Geld auch von den Zentralbanken und anderen Akteur*innen des globalen Finanzsystems thematisiert (Rösl 2005, 2008 für die Bundesbank, Naqvi/ Southgate 2013 für die Bank of England, Primorac 2016 für den IMF). In diesen Publikationen wird insbesondere die Konkurrenzstellung von herkömmlichem und alternativem Geld thematisiert. Der grundlegende Tenor ist dabei, dass diese überwiegend lokalen Geldprojekte aufgrund ihrer geringen Größe und damit zu vernachlässigender gesamtwirtschaftlichen Bedeutung »keine Gefahr« für das Geldsystem darstellen. Rösl sieht das Aufkommen von Komplementärwährungen als eine Form der Währungssubstitution, die sich dann verbreiten mag, wenn »das heimische Geld seine Funktion als Tauschmittel, als Recheneinheit oder als Wertaufbewahrungsmittel nur noch sehr eingeschränkt erfüllt« (Rösl 2008: 244). Er geht von einer umfassenden Kategorisierung der Geldbestände von Inländern aus und unterscheidet zwischen nationaler Währung, ausländischen Währungen sowie offiziellen und inoffiziellen Geldern. In dieser Sichtweise stehen die Geldformen in einem Wettbewerb zueinander; da komplementäre Währungen eine extrem begrenzte Reichweite aufweisen, gefährden sie die Stellung herkömmlichen Geldes allerdings nicht und können geduldet werden. Auch Naqvi und Southgate kommen in ihren 2
Zu Komplementärwährungen in Großbritannien vgl. Seyfang (2001, 2004), North (2005, 2007) und Adams/Mouatt (2012). Zu den USA vgl. Collom (2005, 2008); Krohn/Snyder (2008). Japan nimmt, was Komplementärwährungen betrifft, eine Art Vorreiterrolle ein. Hintergrund ist die lange Rezession seit Beginn der 1990er-Jahre, in deren Folge viele dezentrale Systeme erprobt wurden. Zu Komplementärwährungen in Japan vgl. Hirota (2011). Zu Argentiniens Komplementärwährungen und ihrem Scheitern vgl. Preissing (2009: 123-164), Ould-Ahmed (2010), Gómez (2010, 2012) sowie Gómez/Helmsing (2008). In Bezug auf die durch komplementäre Währungen möglich gewordenen Microfinance-Dienstleistungen, somit als Bestandteil der Komplementärwährungen als Institutionenbildung im Finanzsektor vgl. Fuchs (2006). Einen Vorschlag, Komplementärwährungen als Tauschmittel in Flüchtlingscamps einzusetzen, um ökonomische Aktivitäten zu ermöglichen und auch soziale Tätigkeiten zu belohnen, liefert Ranalli (2013).
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Ausführlich zu Komplementärwährungen in Deutschland vgl. Thiel (2011), Volkmann (2009), Wagner (2009) sowie Sademach (2012).
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Überlegungen zu der Frage, ob lokale Währungen über den lokalen Multiplikator die Stabilität von »proper banknotes« beeinträchtigen, zu dem Schluss, dass »they are unlikely to present a risk to the Bank’s monetary or financial stability objectives« (Naqvi/Southgate 2013: 1). Sie begründen dies vor allem mit der Tatsache, dass die englischen Regiogelder 1:1 durch Sterling gedeckt, und damit gleichzeitig gesichert und begrenzt, sind (ebd.). Regionale Komplementärwährungen werden also von Zentralbanken mittlerweile einerseits ernst genommen, andererseits bleibt die Auseinandersetzung auf eine herkömmliche geldtheoretische Betrachtung verengt.4 Die vorherrschende Perspektive seitens der Zentralbanken ist durch eine gewisse Furcht (Dodd 2014: 373) oder zumindest die Sorge bestimmt, dass durch das Aufkommen neuer Geldformen die Steuerungsfähigkeit der Zentralbank abnimmt. Auch innerhalb der Wissenschaft steigt das Interesse an der »Diversifizierung von Geld« (Dodd 2005b: 560f.) durch lokale Ergänzungswährungen zunehmend. Innerhalb der Geldsoziologie sind es vor allem Viviana Zelizer (1994, 2005, 2006, 2012) und Nigel Dodd (2005a, 2005b, 2014, 2015), die sich Geld aus einer pluralistischen Sichtweise nähern und Geldformen jenseits des Mainstreams betrachten. Darüber hinaus lässt sich in den letzten Jahren ein beträchtlicher Zuwachs an Studien zum Thema feststellen, die unterschiedliche disziplinäre Zugänge verfolgen (Überblicke bei Schroeder et al. 2011, Hallsmith/Lietaer 2011, Slay 2011, Degens 2013).5 Die britischen Regiogelder sind unter dem Stichwort Local Currencies sogar im volkswirtschaftlichen Lehrbuch Mankiws und Taylors (Mankiw/Taylor 2011: 620) im Kapitel zu Geld erwähnt. Konkret diskutieren sie am Beispiel von Stroud Pound, Lewes Pound und Totnes Pound Schwierigkeiten lokaler Gelder, sich dauerhaft als Tauschmedium durchzusetzen.6 Insgesamt wird in den Wirtschaftswissenschaften aber weniger Regiogeldern, sondern mit Bitcoin vor allem einer auch in den Medien breit diskutierten, spezifischen Form der Komplementärwährungen Aufmerksamkeit geschenkt (Böhme et al. 2015, Lo/Wang 2014, Weber 2016, Ausnahmen sind etwa Amato/Fantacci 2014: 118-144 und Weber 2014). Die Anziehungskraft von Bitcoin liegt in dem Versprechen auf ein Geld ohne Banken und ohne Staaten begründet. Anhänger*innen argumentieren, es handele sich um Geld, das nicht auf Vertrauen 4
So werden alternative Gelder betrachtet, als ob sie als herkömmliche Gelformen auf lediglich kleinerer Ebene fungieren sollen. Damit geht der Blick auf mögliche andere Qualitäten verloren, welche ich in den Fallstudien aufzeige.
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Auf die in der Literatur diskutierte rechtliche Stellung und die Zulässigkeit von Komplementärwährungen gehe ich nicht näher ein. Zu juristischen Fragen in Deutschland vgl. Sademach (2012), Godschalk (2004) und Rösl (2006); zu Frankreich und allgemein vgl. Blanc (2009) und Fare (2012); zu den USA vgl. Zarlenga (2002) und Solomon (1996, Kapitel 7). Zur rechtlichen Stellung von Bitcoin etwa Stokes (2012) und Vandezande (2014).
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In der Auflage von 2014 ist der Beitrag über Local Currencies allerdings nicht mehr erhalten (Mankiw/Taylor 2014).
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seiner Nutzer*innen angewiesen sei, da die Technik, insbesondere die Blockchain an die Stelle sozialer Institutionen rückt (kritisch hierzu: Dodd 2014: 517-531). Bei Bitcoin handelt es sich um eine digitale Währung, die durch ein Netzwerk miteinander verknüpfter Rechner und einem codierten Zahlungsjournal, der sogenannten Blockchain, entsteht.7 Grundlage hierfür ist ein gemeinsam verwendetes und mit starken Verschlüsselungen arbeitendes Programm, das einerseits definiert, was ein Bitcoin ist, und andererseits durch seine Implementierung die Echtheit einer Bitcoineinheit sicherstellt, ihn einer Partei zuordnet sowie seine Verwendung reguliert. Zwei Dinge sind hierbei besonders hervorzuheben: einerseits die – zumindest unterstellte – Transparenz von Bitcoin, da der zugrundeliegende Code für alle Parteien offen einsehbar und die Verwendung und Zuordnung von Bitcoin dank der Verschlüsselung nicht manipulierbar ist, da Verbuchung und Verwendung von Beträgen durch das gesamte Netzwerk überwacht und bestätigt werden. In diesem Sinne ähnelt Bitcoin einer für alle Beteiligten – wenn auch anonymisierten – offenen Bilanz, in der die Verbuchung von Geldbeträgen nur durch die allgemeine Anerkennung festgehalten und nachvollziehbar wird. Andererseits ist der Bitcoin zugrunde liegende Code so beschaffen, dass die Menge der Zahlenfolgen, aus denen jeweils eine Einheit Bitcoin besteht, im Voraus auf ca. 21 Millionen begrenzt ist. Bitcoin lassen sich nur durch Rechenprozesse auffinden, die immer aufwändiger werden, je näher man dieser Grenze kommt; in diesem Sinne ähnelt Bitcoin Warengeldsystemen wie etwa dem Goldstandard, insofern nur eine bestimmte Menge Gold gegeben ist, das durch private Gewinnungsprozesse gewonnen, nicht aber durch eine zentrale Institution erzeugt oder manipuliert werden kann. Daher bezeichnet Selgin (2015) Bitcoin als »synthetisches Warengeld«. In dieser Hinsicht übertrifft der Bitcoin vermeintlich das Gold, insofern seine ›Reinheit‹ durch die Gemeinschaft bezeugt und gewährleistet wird, und ein Bitcoin nicht einfach ›gekippt und gewippt‹ werden kann. Diese dezentrale, gemeinschaftliche Kontrolle gerät durch die hohe Konzentration von Bitcoinvermögen allerdings unter Druck (Dodd 2017). Aus der Hervorhebung dieser beiden Merkmale durch die Bitcoinanhänger*innen lässt sich die hier weit verbreitete Ablehnung der herkömmlichen staatlichen Geldorganisation und des privaten Bankwesens ablesen. Bitcoin wird mittlerweile auch von Akteur*innen im Finanzsystem mehr als Zahlungsmechanismus, weniger als eigenständige Geldform gesehen. Denn die Blockchain-Technologie verspricht effiziente Regelung der Transaktion von Geldbeträgen über dezentrale und sichere Verfahren (Lo/Wang 2014). Alternativen sind denkbar: Auf der Blockchain basiert etwa auch Freicoin, welches im Gegensatz zu Bitcoin aber negative Zinsen beinhaltet, um Anreize zum spekulativen Horten zu unterbinden. 7
Die Literatur zu Bitcoin wächst enorm an. Sehr nützliche und verständliche Auseinandersetzungen liefern Weber (2016), Maurer et al. (2013) sowie Scott (2016) gerade mit Blick auf Potenziale einer zivilgesellschaftlichen Aneignung von Bitcoin.
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Die mediale Präsenz von Bitcoin hat Auswirkungen auf die Bekanntheit des Feldes der Komplementärwährungen insgesamt. Vertreter*innen aus Praxis und Wissenschaft versuchen dabei, nicht nur die Sichtbarkeit des Themas, sondern auch die Vernetzung und Zusammenarbeit der Akteur*innen zu fördern. Dazu bilden sich Netzwerke auf regionaler und globaler Ebene.8 Auch konkrete Handlungsanweisungen und Leitfäden für die Implementation von komplementären Währungen liegen vor (North 2010, Kennedy et al. 2012, Hallsmith/Lietaer 2011, Community Currencies in Action 2015). Zu den Akteur*innen und Herausgeber*innen von Komplementärwährungen gehören informelle Netzwerke, Vereine und Non-Profit-Organisationen, aber auch profitorientierte Unternehmen. Bei einigen Modellen sind darüber hinaus öffentliche, meist kommunale Organisationen beteiligt. Grundlegend lassen sich zivilgesellschaftlich hervorgebrachte Komplementärwährungen und solche, die von Unternehmen zu kommerziellen Zwecken herausgegeben werden, unterscheiden. Zu kommerziellen Komplementärwährungsformen gehören verschiedene Ausprägungen, insbesondere Geldformen, die Unternehmen zum Tausch untereinander nutzen, sowie solche, die von Unternehmen herausgegeben und innerhalb der Kundschaft verwendet werden.9 Zu ersteren zählen Clearingsysteme, die Wertschöpfungsketten zwischen miteinander in langfristigen geschäftlichen Beziehungen stehenden Unternehmen über wechselseitige Kreditgewährung ermöglichen können (Greco 2009: 165-168). Zu letzterer Geldform gehören etwa Mechanismen der Kund*innenbindung durch Rabattsysteme wie Paybackpunkte oder Bonusmeilen. Diese lassen sich als Gelder beziehungsweise als Geldsurrogate auffassen, wenn sie nicht lediglich Rabatte bei einem Unternehmen gewähren, sondern die gesammelten Punkte über mehrere Unternehmen hinweg eintauschbar, zum Teil auch zwischen Kund*innen übertragbar sind. Sie stellen einen Typus kommerziell genutzter Komplementärwährungen dar, der langfristig möglicherweise zur Steigerung des Wettbewerbs im Finanzsektor beiträgt (Adams 2011). Da Bonusmeilen nicht nur zur Bezahlung von Dienstleistungen oder Gütern des sie ausgebenden Unternehmens genutzt, sondern auch bei Dritten eingelöst werden können, weisen sie mehr und mehr »echten Geldcharakter« (Rösl 2005: 189) auf. Eine Betrachtung solcher Systeme unter Rückgriff auf die klassischen Geldfunktionen zeigt allerdings einige Besonderheiten auf. Als 8
Exemplarisch seien etwa das Regionetzwerk in Deutschland und das EU-geförderte Projekt »Community Currencies in Action« genannt. Im Jahr 2015 hat sich auf der Dritten Internationalen Konferenz zu Sozial- und Komplementärwährungen auch die »Research Association on Monetary Innovation and Complementary and Community Currency Systems« gegründet, die ihren Sitz in Frankreich hat.
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Zu den folgenden Absätzen Degens (2013: 26-28); auch liegen Klassifikationen verschiedener »commercial purpose currencies« vor (Hallsmith/Lietaer 2011: 219, Kennedy/Lietaer 2004: 240). Diese grenzen Business to Business (B2B), Consumer to Consumer (C2C), Business to Consumer (B2C) und Consumer to Business (C2B) voneinander ab.
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Tauschmittel dienen die Kundenbindungswährungen weiterhin nur eingeschränkt, weil sie meist nicht übertragbar oder gar handelbar sind. Als Zahlungsmittel gelten sie lediglich bei den beteiligten Unternehmen. Als Wertaufbewahrungsmittel eignen sie sich nicht. Dies liegt nicht nur an ihrer eingeschränkten Fungibilität und der Zinslosigkeit, sondern auch darin, dass sie meist ein Verfallsdatum besitzen. Bonusmeilen- und Paybacksysteme nutzen zur Verrechnung konkrete Einheiten (zum Beispiel Flugmeilen), die in der Regel nicht in einem festen Verhältnis zum gesetzlichen Zahlungsmittel stehen. Dennoch greift es zu kurz, ihnen die volle Funktionsfähigkeit als Recheneinheit zuzuschreiben. Schließlich handelt es sich bei diesen Einheiten nicht um diejenige abstrakte Maßeinheit, in der Kunden Preise vergleichen. Daher weist Ingham diesen Formen keine eigenständige moneyness zu »in the sense of abstract purchasing power measured by its own scale […] Rather, the ›points‹ exist merely as discounts that can be exchanged, within the limits set by the companies that issue them, for cash, or other commodities« (Ingham 2007: 270).10 Zu den von Unternehmen herausgegebenen Komplementärwährungen gehören auch zwischenbetrieblich oder in betrieblichen Netzwerken verwendete Geldformen. Der 1934 gegründete WIR nimmt aufgrund seines wirtschaftlichen Erfolgs und seiner Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte innerhalb der Komplementärwährungsszene eine prominente Stellung ein. Der Jahresumsatz betrug 2015 WIR im Wert von gut 1,4 Milliarden Schweizer Franken. WIR Franken zirkulieren innerhalb eines Netzwerkes kleiner und mittelständiger Unternehmen. Sie werden von der WIR Genossenschaftsbank herausgegeben.11 WIR Franken sind nicht konvertibel, aber im
10 Dies trifft auch auf die in der vorliegenden Studie behandelten Regiogelder zu. Durch seine Gleichsetzung von Geld mit dem Wertmaß negiert Ingham Geldformen, die auf einem externen Unit of Account basieren, per definitionem. Inghams Kritik ist somit nur vor dem Hintergrund seiner eng gefassten ontologischen Position zu Geld zu verstehen. Alternative Positionen, in denen die Funktion des Wertmaßes nicht zur notwendigen oder gar konstitutiven Bedingung von Geld gemacht wird, sondern in denen die Tauschmittel- oder Zahlungsfunktion hervorgehoben werden, müssen diesen Schritt nicht mitgehen. Zur Unabhängigkeit der verschiedenen Funktionen von Geld in historischen Erscheinungsformen siehe etwa Polanyi (1968). Zur Kritik an der Konstruktion einer primären Geldfunktion Ganssmann (2012). Sgambati (2015: 312f) wirft Ingham eine verkürzte, zumindest einseitige Rezeption von Keynes Überlegungen zum Money-of-Account vor, welche die gleichzeitige Institutierung von Wertmaß und Forderung in einem Geldzeichen (token) übersehe. 11 Diese zentrale Schöpfung von WIR durch die WIR Bank wird in der Literatur oft missverstanden. So ordnen Stodder (2009), Kennedy/Lietaer (2004: 111) und Hubert (2004: 125f) den WIR als Mutual Credit System oder Barter-Club-Verrechnungssystem ein. Damit suggerieren sie, WIR Guthaben würde dezentral, im Moment der Transaktion, von den zwei
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Wert 1:1 an den Schweizer Franken gekoppelt.12 Bei Zahlungen innerhalb des Netzwerkes können somit CHF und WIR einfach kombiniert werden. Mittlerweile sind im WIR-Netzwerk 45.000 Schweizer KMU zusammengeschlossen, die sich je nach Mitgliederkategorie dazu verpflichten, bei fälligen Zahlungen bis zu einem Auftragswert von 3.000 CHF 30-100% der Summe in WIR zu akzeptieren (WIR o. J). James Stodder schreibt dem WIR über die Jahrzehnte seines Bestehens eine starke antizyklische Leistungsfähigkeit zu, welche sich an dessen Umsatz ablesen lässt. Der WIR substituiert den Franken, wenn dieser knapp ist, und stärkt so das wirtschaftliche Potenzial der teilnehmenden Unternehmen. Seine Stärke führt Stodder gerade darauf zurück, dass die Geldmengensteuerung unabhängiger ist als beim Buchgeld der herkömmlichen, regulierten Geschäftsbanken und die Geldknappheit in Krisenzeiten somit umgangen werden kann (Stodder 2009: 85). Ein jüngeres Beispiel für Unternehmens-Kreditgeldkreisläufe, die wirtschaftliche und soziale Zielsetzungen verbinden, findet sich in Sardinien. Sardex wurde 2009, vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise, initiiert (Littera et al. 2014). Das Transaktionsvolumen in Sardex ist von gut 300.000 Euro im Jahr 2010 auf knapp 15 Millionen Euro im Jahr 2013 und geschätzte 35 Millionen 2014 gestiegen (ebd.: 10). Ein Erfolg dieses Unternehmens zeigt sich in verschiedenen Nachahmungen in Italien. Beobachter*innen und Beteiligte führen ihn auf die starke zentrale Steuerung durch die Initiator*innen zurück, welche anderen Komplementärwährungen wie Tauschringen oftmals fehle (ebd.: 19). Trotz der hier angedeuteten Vielfalt von Komplementärwährungen und den teilweise erfolgreichen und bekannten Fallbeispielen bleiben sie insgesamt – im Vergleich mit herkömmlichen Geldformen – eine Randerscheinung. Die insgesamt marginale Rolle von Komplementärwährungen wird von einigen Befürwortern auf eine aktive Behinderung durch den Staat zurückgeführt. Auch heutzutage könnte, so die Argumentation, die Reichweite oder der Nutzer*innenkreis komplementärer Währungen deutlich gesteigert werden, wenn sie zur Begleichung von Steuerschulden heTransaktionspartner*innen geschöpft. Tatsächlich entsteht der WIR Franken als Kreditgeld, indem die WIR Bank gegen Sicherheiten Guthaben auf dem Nutzer*innenkonto der Kreditnehmer*in einräumt. Es handelt sich somit nicht um ein multilaterales Kreditsystem, sondern um Kreditgeldschöpfung durch die Bank. 12 Ryan-Collins wirft aufgrund der Nicht-Konvertibilität des WIRs die Frage auf, ob dieser als eigenständiger Wertmaßstab fungiert: »Given that WIR is not convertible in to the sovereign currency of the state, how do we conceptualise its function as a ›unit of account‹?« (Ryan-Collins 2010: 64). Tatsächlich wird als abstraktes Wertmaß jedoch weiterhin der Schweizer Franken verwendet, an den der WIR im Verhältnis 1:1 gekoppelt ist. Damit greift er auf den Schweizer Franken als Wertmaßstab zurück. Aus Inghams neo-chartalistischer Perspektive stellt auch der WIR also kein Geld »in the sense of abstract purchasing power measured by its own scale« (Ingham 2007: 270) dar.
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rangezogen werden könnten (Zarlenga 2002: 660). Wenn beispielsweise der Staat oder konkret die Kommune etwa Tauschringguthaben oder Regiogeld als Zahlungsmittel akzeptieren würde, stiege die allgemeine Akzeptanz dieser Geldformen unter allen Steuerpflichtigen an (Peacock 2013: 173-175). Neben der Anzahl existierender Komplementärgeldformen ist auch ihre jeweilige Reichweite meist begrenzt (Michel/ Hudon 2013). Sie stellen »kleine Inseln im großen Meer der kapitalistischen Geldwirtschaft« dar, die zwar »vielfältige Möglichkeiten des Lernens und des Sammelns eigener Erfahrungen bieten«, aber nicht mit staatlichen Währungen konkurrieren können (Creutz 2005: 31f). Ähnlich argumentiert Dirk Baecker (unter Bezugnahme auf Peacock 2003): »Die Bedeutung einer alternativen Währung liegt nicht in den Umsätzen, die sie erreicht, sondern darin, dass es sie gibt« (2003a: 10).
6.2 KONZEPTIONEN VON KOMPLEMENTÄRWÄHRUNGEN: HISTORISCHE UND THEORETISCHE BEZUGSPUNKTE Die hier lediglich skizzierte Vielfalt komplementärer Währungen baut auf einem reichen Fundus an historischen Vorläufern sowie unterschiedlichen, teils divergierenden, Ideen der Reformierung von Geld auf. Diese über lange Zeit geführte Debatte zu Komplementärwährungen und pluralen Geldsystemen fußt auf einigen zentralen und einflussreichen Überlegungen zur Geldreform, die sich teilweise widersprechen, teilweise aber auch ergänzen. Auch Akteure der Komplementärwährungsszene verweisen oftmals unmittelbar auf diese theoretischen und ideengeschichtlichen Bezugspunkte.13 An dieser Stelle möchte ich weder umfassend über historische Vorläufer der aktuellen Komplementärwährungen informieren noch eine systematische Aufarbeitung ideengeschichtlicher und geldtheoretischer Bezüge liefern. Vielmehr möchte ich wesentliche Bezugspunkte, welche auch innerhalb der Komplementärwährungsszene wiederholt aufgegriffen werden, skizzieren. Die Ausführungen konzentrieren sich dabei auf diejenigen Ansätze, die für die hier untersuchten Regiogelder besonders relevant sind. Auf das Freigeldkonzept Gesells gehe ich aus diesem Grund vergleichsweise ausführlich ein, auf andere ideengeschichtliche Einflüsse knapper. Der Erörterung dieser Geldvorstellungen gehen zunächst einige kurze historische Bemerkungen voraus. Komplementärwährungen werden als Teil einer stärker diversifizierten Geldordnung gesehen, in der verschiedene Geldformen auf lokaler bis globaler Ebene koexistieren (Douthwaite 1999, Lietaer et al. 2013). Diese Entwicklung wird als neuartig angesehen, obwohl oftmals auch auf historische Beispiele verwiesen wird. Als solche 13 Zu ideengeschichtlichen Einflüssen auf Regiogeld siehe Thiel (2011: 135-157). Zu pluralistischen Geldtheorien innerhalb der Wirtschaftswissenschaften siehe Blanc et al. (2013). Zu verschiedenen Utopien der Geldreform Dodd (2015).
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Bezugspunkte werden insbesondere Währungen aus Krisenzeiten genannt, die das nicht mehr vollständig intakte herkömmliche Geldsystem ergänzen oder in besonderen Bereichen ersetzen sollten (Peacock 2014). Berühmte Vorläufer sind insbesondere Notgelder aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise nach 1929. Gerade die in verschiedenen Orten Deutschlands eingeführte Wära und das Wörgler Schwundgeld werden häufig genannt (hierzu und zu anderen historischen Vorläufern der heutigen Systeme Onken 1986 sowie 1997). Ende 1929 wurde die Wära-Tauschgesellschaft gegründet, die Wära-Scheine für den Tausch von Gütern und Dienstleistungen innerhalb der Mitglieder ausstellte. Eine Wära entsprach im Wert einer Reichsmark (Onken 1997: 30ff). Nach Stilllegung des Braunkohlekraftwerks in Schwanenkirchen half ein Wära-Kredit der Tauschgesellschaft die erneute Inbetriebnahme zu verwirklichen. Nun wurden Teile der Löhne in Wära ausgezahlt. Weil das Wära-Geld auch im Umlauf von Geschäften akzeptiert wurde, weitete sich der Nutzer*innenkreis aus. Die Arbeitslosigkeit sank (das Kraftwerk war der größte Arbeitgeber), aber im Zuge der Notverordnungen wurde jegliches Notgeld verboten (Onken 1997: 30-33). Als »Wunder von Wörgl« wird das lokale Freigeld in Wörgl bezeichnet, das 1932-33 zirkulierte. In Wörgl wurde dieses Notgeld von Bürgermeister Unterguggenberger eingeführt, welches (wie die Wära) monatlich 1% seines Nennwertes verlor. Öffentliche Angestellte erhielten Löhne und Gehälter in diesem Notgeld, gleichzeitig akzeptierte die Gemeinde das Notgeld als Steuerzahlungsmittel. Die Geldzirkulation erhöhte sich stark, durch die Begleichung rückständiger Steuern konnte die Gemeinde wiederum in ein öffentliches Arbeitsprogramm investieren. Die Arbeitslosigkeit sank um ein Viertel, während sie im übrigen Österreich stieg. Das Freigeldexperiment wurde schließlich von der Nationalbank verboten (Onken 1997: 36-38). Die internationale Ausstrahlung gerade des Wörgler Freigelds sorgt bis heute für eine nahezu mythische Berühmtheit. Auch in den USA der 1930er-Jahre gab es viele vergleichbare, von Wörgl inspirierte, lokale Geldprojekte, die seitens der Geldtheorie teilweise positiv bewertet wurden. Irving Fisher sah die Einführung solchen gestempelten Geldes (stamp scrip) als Mechanismus zur Erhöhung der Umlaufgeschwindigkeit vor (Fisher 1933). Stamp Scrip erfordert, dass in regelmäßigen Abständen eine Abgabe auf das Geld erhoben wird, so dass der Geldwert bei Hortung effektiv sinkt. Während die meisten dieser Geldexperimente auch aufgrund ihres Verbotes lediglich kurze Zeit anhielten, existiert der bereits erwähnte, 1934 im Zuge der Weltwirtschaftskrise gegründete Schweizer WIR noch heute. Die Funktionsfähigkeit von Komplementärwährungen lässt sich auch anhand ihres Aufkommens in anderen Krisen und Notsituationen aufzeigen. So haben in Russland nach der Wende lokale und regionale Zahlungsmittel, oft als Bartersystem, Schwächen souveränen Geldes auszugleichen versucht (Carruthers 2010: 67). In einigen Fällen fungierte sogar selbst gebrannter Wodka als lokale Währungsform (Rogers 2005). Für eine Einordnung solcher Waren als Geld ist es notwendig, dass diese nicht nur in Einzelfällen als Tauschwaren in direktem Warenhandel fungieren,
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sondern dass auf diese regelmäßig zurückgegriffen wird, so dass sie allgemein akzeptiert werden. Eine historische Einordnung der Gelddiversifzierung hilft, sich von der vermeintlichen Neuartigkeit dieser Entwicklung nicht überraschen zu lassen. Vielmehr erscheint aus vergleichender historischer Perspektive im Wesentlichen das nationalstaatliche Geldsystem, wie es sich spätestens an der Schwelle zum 20. Jahrhundert entwickelt hat, als eine Besonderheit (Helleiner 1999, 2003, Kuroda 2008, 2013, Fantacci 2005; zur Herausbildung des kapitalistischen Kreditgeldsystems Ingham 2004: 107-133).14 Diese ›Neuartigkeit‹ lässt sich somit als Rückkehr zum historischen Normalzustand betrachten. In historischer Perspektive zeigt sich, dass staatsbasierte singuläre Geldsysteme die Ausnahme sind und nicht die Regel (Kuroda 2008). Dies lässt sich anhand eines Blicks auf das mittelalterliche Europa verdeutlichen (Ingham 2007: 266, auch 2004: 107-112), in dem weitgehend der monetäre Wertmaßstab strikt von verschiedenen lokal und regional zirkulierenden Tauschmitteln getrennt ist (Fantacci 2005; zu diesen Standards Spufford 1988). Auf eine solche Vielfalt der Geldformen nehmen Befürworter*innen neuer Komplementärwährungen Bezug. Hier lässt sich auch die bereits angesprochene Vorrangstellung des Tausches und damit einer Präfigurierung von Geld als Tauschmittel erkennen. So ist etwa Luca Fantacci insbesondere daran gelegen, die separate Institutionalisierung verschiedener Geldfunktionen aufzuzeigen (ausführlich Amato/Fantacci 2012: 35-42). In gewisser Weise argumentiert er, dass die Tauschmittelfunktion dem Geld wesentlicher ist als die Wertaufbewahrung. Er bezieht sich dabei zunächst auf Adam Smith. Dieser charakterisiert Geld als »the great wheel of circulation« welches zwar Güter zu zirkulieren vermag, nicht aber echten Wert darstellt (Smith 1976: 289). Fantacci leitet daraus nicht nur den für Geld wesentlichen funktionalen Vorrang Tausch vor Wertaufbewahrung ab, sondern auch, dass Geld als ein solches Tauschmittel fungieren sollte (Fantacci 2005: 58). Dann grenzt Fantacci (im Anschluss an etwa Smith (1976) und Polanyi (1957a)) lokale Zirkulationsmittel und externe Tauschmittel zwischen Fernhändlern voneinander ab. Diese beiden Gelder folgen unterschiedlichen Bedürfnissen und werden historisch unterschiedlich gesteuert: Nach Innen sind Ab- oder Aufwertungen unabhängig vom Metallgehalt möglich; für den Außenhandel ist jedoch eine Kopplung des Nominalwertes an den sachlichen Wert (letztlich der Preis des Metalls) notwendig (Fantacci 2005: 59). Auf Basis dieser Einsichten formuliert Fantacci später Anforderungen an nicht-kapitalistische Gelder (Fantacci 2013:142145). Hier argumentiert er für eine Einschränkung der Wertaufbewahrungsfunktion 14 Zu den USA zu Zeiten des Bürgerkriegs liegen verschiedene Studien vor, die sich nicht nur mit den »Greenbacks« befassen, dem (kritisch beäugten), nicht durch Gold oder Silber gedeckten Papiergeld zur Kriegsfinanzierung, sondern auch mit den Entwicklungen und der Vereinheitlichung des Geldsystems in der Nachkriegszeit (bis zum Ersten Weltkrieg) befassen (vgl. Zarlenga 2002; Helleiner 2003; Polillo 2011).
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des Geldes, damit es als Tauschmittel fungieren kann. Auch schlägt er lokale oder regionale komplementäre Gelder vor, damit (wieder) unterschiedliche Gelder auf die unterschiedlichen Anforderungen der globalen und jeweiligen lokalen Ebene eingehen können (ausführlich zu ökonomischen Potenzialen lokaler Währungen auch Amato/Fantacci 2014: 123-133). 6.2.1 Geld ohne Zinsen Fantacci befindet sich damit in einer Linie geldreformerischer Vorschläge, die insbesondere mit dem Namen Silivio Gesells verbunden sind aus (Überblicke über Gesells Konzeption bieten Onken 2000 und Blanc 1998, welcher für eine Umsetzung auf lokaler Ebene plädiert). Gesell kritisiert die Dominanz der Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes. Zwar muss Geld seinen Wert zu einem gewissen Grad erhalten, wenn Tauschakte nicht gleichzeitig erfolgen. Denn wenn der Geldwert zu schnell verfällt, dann kann Geld letztlich seine Funktion als Tauschmittel und Wertmaß nicht erfüllen. Kritisch ist aber womöglich die starke Konzentration auf die langfristige Stabilität des nicht genutzten Geldes zu sehen, wenn diese andere Geldfunktionen unterminiert (Degens 2013: 50-52). Ausgangspunkt ist Gesells Charakterisierung des Geldes als besonderes Gut, welches aufgrund seiner Unverderblichkeit gehortet werden kann (vgl. die Robinsonade in Gesell 1916, Kapitel 5.1). Während alle anderen wirtschaftlichen Güter gewartet oder gelagert werden müssen oder einfach verfallen, wenn sie nicht konsumiert werden, lässt sich Geld in Form von Bankguthaben oder Edelmetallen ohne Wertverlust aufbewahren, zumindest wenn die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen auf seine Wertstabilität ausgerichtet sind.15 Aus dieser Überlegenheit des Geldes in modernen Wirtschaften erklärt Gesell den Zins: Denn der Geldbesitzer*in muss das leihweise Überlassen von Geld abgekauft werden. Der Zins stellt somit den Preis für die zeitweise Überlassung von Geld dar. Eine Bedingung dafür, dass die Geldhalter*in in der Lage ist, positive Zinsen zu fordern, besteht darin, dass sie sich der Stabilität des Geldwerts vergleichsweise gewiss sein kann. Müsste 15 Gesell leitet den Zins also aus der physischen Beschaffenheit des Geldes ab, nicht aus den Geldfunktionen. Paul bezeichnet dies als Gesells »wesentlichen Trugschluß« (Paul 2012: 155, Fn. 65, ausführlich Paul 2003). Der Gesellschen Zinskritik liegen die Vorstellungen eines Warengeldes sowie der rein intermediären Finanzierungsfunktion von Banken zugrunde. Eine normative Zinskritik kann demgegenüber an der nahezu kostenlosen Schöpfung von Kreditgeld ansetzen, denn der Zins entspring dann nicht einer Entschädigung für alternative Anlagemöglichkeiten (Betz 2005a: 8f.). Guptara etwa kritisiert die relative Risikolosigkeit vieler Kapitalanlagen, da unabhängig vom unternehmerischen Erfolg Kredite inklusive Zinsen zurückgezahlt werden müssen (Guptara 2008: 80). Dies ist ein klassischer Topos religiöser Zinskritik (für das Mittelalter in Europa Le Goff 1988; für islamische Finanzsysteme vgl. Maurer 2005).
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sie mit einer Reduktion des Geldwerts bei Hortung rechnen, wäre es weniger klar, dass sie einen positiven Betrag für die zeitweise Verfügung über ihre Kaufkraft verlangen könnte.16 Gesell will zeigen, dass die Tauschmittelfunktion des Geldes durch seine Werthaltungsfunktion eingeschränkt wird. Um dies zu verhindern, schlägt er vor, Geldhaltung zu verteuern. Die Überlegenheit des Geldes hinsichtlich der Wertstabilität ist für Gesell Ursache von Krisen: Denn bei einer gesamtwirtschaftlich angestrebten niedrigen Inflationsrate lohnt sich für die Geldhalter das Horten von Geld, solange der Zins einen bestimmten Betrag (etwa 2 bis 3 Prozent) unterschreitet. So wird das Geld dem Geldkreislauf entzogen und vorenthalten. Als Lösung dieses Problems schlägt Gesell nun eine Demurrage vor, durch welche Geld den anderen Waren angeglichen wird, indem die Haltung Kosten verursacht. Es handelt sich um eine Umlaufsicherung des Geldes, die einem Negativzins oder Strafzins (Paul 2009: 245) gleicht: Regelmäßig soll Geld an Wert verlieren, beispielsweise 0,1 Prozent pro Woche.17 Dies lässt sich bei Papiergeld, wie auch von Fisher (1933) gefordert, durch spezielle Wertmarken erreichen, mit denen die Geldscheine regelmäßig zu versehen sind. Ohne regelmäßige Erneuerung der Wertmarke verliert der Geldschein an Wert. Für Geldbesitzer liefert dieser Negativzins einen Anreiz, Geld zinsfrei zu verleihen, denn so können sie der Entwertung entgehen. Alternativ können Geldbesitzer selber investieren oder konsumieren. Folge des Negativzinses wird somit eine Erhöhung der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes sein und ein Zinsniveau um null. Dies bedeutet, dass auch ein hohes Maß an Geldwertstabilität erreicht werden kann.18 Im Wesentlichen 16 In Gesells Konzeption lassen sich Zinsen auf verschiedene Bestandteile zurückführen. Hierzu zählen neben Inflationsausgleich, Risikoanteil, Vermittlerentgelt und dem Darlehenszins vor allem der Urzins. Dieser Urzins ist im Wesentlichen das, was Keyens als Liquiditätsprämie bezeichnet. Insofern sind Ähnlichkeiten zur Theorie der Liquiditätsprämie von Keynes offenkundig. Keynes selbst allerdings schreibt, Gesell habe das Konzept der Liquiditätspräferenz nicht erkannt, weshalb er seine Theorie für halbfertig hält (Keynes 1997: 356; zu Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen Gesell und Keynes vgl. Dillard 1942 sowie Betz 2005b). 17 Gesell schlug in verschiedenen Werken und Auflagen unterschiedliche Höhen für diesen Negativzins vor (Paul 2009: 245). Die konkrete Ausgestaltung und Höhe des Negativzinses ist an dieser Stelle allerdings nicht relevant. 18 Nach Creutz muss solche eine Umlaufsicherung den Kern einer jeden Geldreform ausmachen, da sie eine stabilere Geldmenge ermöglicht. Preisstabilität erfordert eine Übereinstimmung der ausgegebenen Geldmenge mit der nachgefragten Geldmenge und ist daher nur dann erreichbar, wenn »alles Geld, das über die selbst genutzten Bestände hinausgeht, über Banken und andere Finanzinstitute leihweise an Dritte weitergegeben und damit in den Kreislauf zurückgeführt wird – was sich nur mit Hilfe einer Geldumlaufsicherung erreichen lässt und dann indirekt einen Prozess eines allmählichen Absinkens des Zins-
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wird Geld bei Gesell somit zu einer öffentlichen Dienstleistung, deren private Nutzung als Hortung Gebühren einfordert: »Gesell will die Verstaatlichung des Geldwesens beziehungsweise die Entprivatisierung des Geldes als öffentliches Gut« (Paul 2009: 246).19 Gesells Vorschlag eines Geldes mit Negativzins hat in der Komplementärwährungsszene einen großen Einfluss. Neben Gesell hat auch der Anthroposoph Rudolf Steiner eine Konzeption von »alterndem Geld« vorgelegt (vgl. Suhr 1988). Viele heute existierende Komplementärwährungen bauen auf einer Umlaufsicherung auf und beziehen sich dabei auf Steiner und die Anthroposophie (Thiel 2011: 143-157; siehe auch Kapitel 10 zum Stroud Pound). Das Gesellsche Freigeld und andere Vorschläge von Geldern mit Umlaufsicherung sehen die Freiheit vom Zinsmechanismus als Kernmerkmal einer Geldreform an. Bei der Befürwortung von Geld ohne Zinsen können zwei Positionen voneinander abgegrenzt werden, die auf unterschiedliche Bewertungen von Wachstum zurückgehen. Die erste Position bezieht sich auf das Freigeld von Gesell und sieht in umlaufgesicherten Geldern einen Mechanismus, Dysfunktionalitäten des Kapitalismus auszugleichen. Steigende Geldzirkulation, Konsequenz des Negativzinses, hilft der Wirtschaft zu wachsen, weil sie einen Anreiz für seine Verwendung für Konsum und Investitionen setzt. Die zweite Position kritisiert den Zins und insbesondere den Zinseszinssmechanismus, gerade weil sie in ihm einen Wachstumszwang sieht. Der dem Kapitalismus inhärente Zwang zu Wachstum wird in dieser Sichtweise dem Zins und damit letztlich einem technischen Element der Geldordnung zugeordnet (Degens 2013: 11-13). Zinsen verursachen aus dieser Perspektive zumindest dann einen Wachstumszwang, wenn sie angespart werden und der Zinseszinsmechanismus zum Tragen kommt (Kennedy 2006: 24–26). Eine Form der Herleitung dieser Wachstumsnotwendigkeit niveaus gegen Null in Gang setzt« (Creutz 2011: 39). Für die technische Umsetzung einer solchen Umlaufsicherung schlägt Creutz (1993: 560) eine Art Lotterie vor, durch welche bestimmte Serien von (großen) Geldscheinen gezogen werden, die gegen Gebühr umgetauscht werden müssen. 19 Die Geldreform hängt bei Gesell mit einer umfassenden Bodenreform zusammen, welche eine Verstaatlichung des Bodenbesitzes betrifft. Schließlich kann die Knappheit des Bodens nicht aufgehoben werden und somit kann die Bodenrente nicht auf null sinken (vgl. dazu Löhr 2011). Obwohl Gesell im Mainstream der ökonomischen Theorie weiterhin ignoriert wird, wurden seine Überlegungen zu Geld in den 1930er-Jahren von bedeutenden Ökonomen wie Irving Fisher (1933) und John Maynard Keynes ausdrücklich gewürdigt: »Those reformers who look for a remedy by creating artificial carrying cost for money through the device of requiring legal-tender currency to be periodically stamped at a prescribed cost in order to retain its quality as money, have been on the right track« (Keynes 1997: 234). Zu den Problemen des Freigelds gehört die Notwendigkeit einer strikten Kontrolle der Geldschöpfung und des Geldumlaufs (Blanc 1998: 479).
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findet sich bei Binswanger (Binswanger 1994, 2012). Das für das Funktionieren des Wirtschaftskreislaufes notwendige Geld wird nur geschöpft, wenn Schulden aufgenommen werden, denn Geld ist zum größten Teil Kreditgeld, das von Geschäftsbanken ausgegeben wird. Die Zinszahlungen auf die Schulden erfordern eine weitere Erhöhung der Geldmenge, da mehr Geld als der ursprüngliche Kredit zur Begleichung der Schulden benötigt wird. Damit ist die Schuldbeziehung der Kreditgeldschöpfung asymmetrisch (Binswanger 2012: 16). Dadurch entsteht Druck auf die Realwirtschaft, die Güterproduktion auszuweiten, um das zu erwirtschaften, was durch den Kredit und die Zinszahlungen eingefordert wird (vgl. die Beiträge in Verein Monetäre Modernisierung 2012).20 Zinslose, regionalisierte Währungen stellen aus dieser Sicht einen wesentlichen Bestandteil einer Postwachstumsökonomie dar. Denn sie leisten aufgrund ihrer Regionalität eine »räumliche Entflechtung« und verkürzen Wertschöpfungsketten; ihre Zinslosigkeit oder sogar ein Negativzins wird aus dieser Sicht damit begründet, dass »jeder Anreiz zur Hortung und Spekulation« entfallen würde (Paech 2013: 117). Die beiden hier skizzierten Positionen scheinen in gewisser Hinsicht unvereinbar. Der Widerspruch besteht darin, dass die erste Position in Negativzinsen die Ermöglichung von Wachstum und Stabilisierung des Kapitalismus sieht, während zinsloses Geld in der zweiten Position als notwendige Bedingung einer vom Wachstumszwang befreiten Wirtschaft gilt. Obwohl sich diese beiden Positionen einer Zusammenführung also sperren, werden sie in der Literatur jedoch beide gleichermaßen bemüht (etwa bei Lietaer et al. 2013).
20 Im Wirtschaftskreislauf leiht sich also eine Unternehmer*in Geld, welches sie zur Investition und Produktion und zur Erzielung von Gewinnen nutzen möchte. Nach Binswanger ist es aber gesamtwirtschaftlich unmöglich, dass Unternehmen im Saldo Gewinne erzielen, also »alle zusammen mehr Geld einnehmen als ausgeben« (Binswanger 2012: 19). Gesamtwirtschaftlich sind Gewinne – welche zur Deckung des Risikos notwendig sind – nur möglich, wenn stets neues Geld in den Kreislauf fließt. Dieses Geld entsteht durch Kredite der Unternehmen bei Banken, das sie wiederum investieren und somit für zusätzliche Produktionsleistungen einsetzen. In ihrer Kritik an dieser These bezeichnen Wenzlaff, Kimmich und Richters die Vorstellung des Wachstumszwanges aufgrund der Notwendigkeit, bei einer Kreditgeldschöpfung zusätzlich zum Kredit die Zinsen erwirtschaften zu müssen, als »Denkfalle«, da die Geldzirkulation aus der Analyse ausgeschlossen wird. Auf Basis der Saldenmechanik zeigen sie, wie auch die über die Kreditsumme hinausgehenden Kreditkosten ohne weitere Verschuldung des Kreditnehmers zur Verfügung stehen (Wenzlaff/ Kimmich/Richters 2014: 26.). Mir geht es hier nicht um eine Bewertung der Theorien des auf Geld und Zins basierenden Wachstumszwangs; ich stelle sie vielmehr aufgrund ihres Einflusses auf Konzeptionen von Komplementärwährungen vor.
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6.2.2 Wettbewerb der Gelder Neben der geldreformerischen Idee der Freiheit von Zinsen lassen sich weitere wesentliche Reformstränge identifizieren, auf unterschiedlichen Analysen des momentanen Geldsystems basieren und jeweils andere Freiheiten erreichen wollen. Hierzu gehört Free Banking, welches die Freiheit von Zentralbanken und Staaten im Bereich der Geldschöpfung und Kontrolle einfordert. Free Banking basiert auf der Vorstellung der Überlegenheit des Marktes als effizientestem Steuerungsmechanismus (Arestis 2006: 355f) nicht nur in der Bereitstellung herkömmlicher Waren, sondern auch in der Bereitstellung des Geldangebots. Paradigmatisch ist Hayeks Vorschlag der »Denationalisierung des Geldes« (Hayek 1977, 1990), durch die erst wertstabiles Geld, das dem politischen Einfluss entzogen ist, hergestellt werden kann: »If we ever again are going to have a decent money, it will not come from government: it will be issued by private enterprise, because providing the public with good money which it can trust and use can not only be an extremely profitable business; it imposes on the issuer a discipline to which the government has never been and cannot be subject« (Hayek 1977: 1).
Der Wettbewerb zwischen verschiedenen Währungen diszipliniert dieser Vorstellung gemäß jede Geldschöpfungsinstanz: Wettbewerber*innen, also Geld herausgebende Privatbanken, wären gezwungen, wertstabiles Geld anzubieten. Denn Inflation oder Deflation würden schließlich zu einer Abkehr der Nutzer*innen – Individuen, Unternehmen, Banken – führen. »We need free banking, where interbank competition constraints credit creation and no central bank exists to loosen the constraints« (White 2011: 500). Einzige Voraussetzung eines solchen libertären Systems sei der grundlegende verfassungsmäßige Schutz von Privateigentum, Verträgen und Vertragsfreiheit (Horwitz 2011, Degens 2013: 40-42). Innerhalb der Free-Banking-Konzepte gibt es trotz der Übereinstimmung in grundlegenden Fragen Unterschiede, etwa bei der Frage nach dem geeigneten Standard von Geld. Einige Free Banking Konzeptionen gehen von einem Goldstandard aus, da sie befürchten, Banken könnten bei selbstständiger Wahl des wertdeckenden Warenkorbes ihre eigenen Profitmotive über das Ziel der Preisstabilität stellen (White 2011; zu diesem Aspekt Ferris/Galbraith 2006: 216f). Hayek sieht demgegenüber zwei verschiedene Wettbewerbe: einerseits den Wettbewerb um den Standard, welcher als Geld oder Recheneinheit gilt, und andererseits den Wettbewerb der Auswahl der spezifischen Institutionen, denen zugetraut wird, Geld dieses Standards auszugeben (Hayek 1977: 4).21 Gold ist nach Hayek nicht notwendigerweise der
21 Zu den einzelnen Währungswettbewerben, die sich aus den verschiedenen Geldfunktionen ergeben könnten vgl. Bofinger (1985). Bofinger hielt bereits Mitte der 1980er-Jahre die
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Standard, der sich durchsetzen würde, wenn es einen solchen fairen Wettbewerb um Geld gäbe. Denn wenn der Goldpreis nach Ende des Zentralbankmonopols durch die zunächst steigende Nachfrage nach Gold deutlich stiege, böte er keinen verlässlichen, kalkulierbaren und stabilen Standard. Ein solcher Standard würde sich erst durch den Wettbewerb ergeben.22 Innerhalb der Komplementärwährungsbewegung wird weniger auf die Free Banking Debatte, sondern auf die Forderung nach Freiheit in der Geldschöpfung verwiesen. Dabei wird manchmal auf Hayek selbst, häufiger aber etwa auf Edwin Riegel (2003) Bezug genommen. In Riegels Augen kann jede*r Geld schöpfen (und sollte nicht durch staatliches oder bankliches Monopol behindert werden), solange dieses durch Güter oder Dienstleistungen gedeckt ist, welche die Emittent*in auf den Markt bringt oder bringen wird (Riegel 2003: 95). 6.2.3 Zentrale Steuerung des Geldes Einen völligen Gegenpunkt zu Free Banking stellen jüngere Initiativen des Vollgeldes dar (Verein Monetäre Modernisierung 2012, Paul 2017). Diese wollen Geld nicht von Zentralbanken und Staaten, sondern von der als ineffizient und prozyklisch wahrgenommenen Geldschöpfung durch Privatbanken befreien. Vollgeld und 100% Geld werden mit dem Ziel vertreten, die Kontrolle über die Geldschöpfung zu zentralisieren und somit die Steuerungskapazitäten der Zentralbanken oder der Staaten zu erhöhen. Vollgeld bedeutet, dass Geldschöpfungskapazitäten ausschließlich bei der Zentralbank (oder vergleichbaren öffentlich-rechtlichen Organen) liegen (Huber 2012: 39). Geld ist dann immer Zentralbankgeld, Privatbanken treten als reine Intermediäre auf, welche Einlagen einiger Kund*innen als Kredite an andere verleihen. Dies scheint auf den ersten Blick im Widerspruch zu den Zielen, die mit Komplementärwährungen verbunden sind, zu stehen.23 Inwiefern kann Vollgeld dennoch als ideologischer Bezugspunkt für Komplementärwährungen gelten? In der Tat sprechen
Forderung der freien privaten Banknotenemission für einen Anachronismus, da die technischen computergestützten Möglichkeiten nahezu freie Buchgeldemission bereits ermöglichten (Bofinger 1985: 210). 22 Hayek hierzu in geschliffener Klarheit: »The monopoly of government of issuing money has not only deprived us of good money but has also deprived us of the only process by which we can find out what would be good money. We do not even quite know what exact qualities we want because in the two thousand years in which we have used coins and other money, we have never been allowed to experiment with it, we have never been given a chance to find out what the best kind of money would be.« (Hayek 1977: 5) 23 Aus diesem Grund, weil der Vorschlag des Vollgeldes ein zentral gesteuertes Monogeldsystem fordert und damit quer steht zu geldpluralistischen Ansätzen, befasse ich mich an dieser Stelle nicht ausführlicher damit.
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sich viele Akteur*innen der Szene für eine Kombination von Vollgeld und komplementären Währungen aus, da sie in Vollgeld vor allem die von ihnen als dysfunktional angesehene geschäftsbankliche Geldschöpfung beschnitten sehen (Monneta o.J., Paech 2013: 135). Innerhalb der Vollgeldinitiativen ist die Sympathie für komplementäre Währungen seitens ihrer Unterstützer*innen bekannt. Daher werden Komplementärwährungen explizit geduldet, obwohl die Vollgeldkonzeption dezentrale Geldschöpfung gerade vermeiden will. Als Argument für die Duldung komplementärer Währungen wird daher deren geringe ökonomische Kraft angeführt – sie können also keinen Schaden anrichten (Vollgeld o.J.)24 6.2.4 Ecology of Money Die innerhalb der Komplementärwährungszene beobachtbare Anziehungskraft von Vollgeld, welches de facto eine stärkere Zentralisierung der Geldmengensteuerung vorsieht, stellt allerdings eine Ausnahme dar. Die anderen geldreformerischen Bezugspunkte fordern dezidiert ein plurales Geldsystem, wenn auch nicht in der kompetitiven Form, die Hayek und Free Banking Anhänger*innen vorsehen. Ein zweiter Strang der Argumentation für Währungspluralismus ist diesen zwar verwandt, aber deutlich weniger von der libertären Vorstellung schädlichen Staats- oder Politikeinflusses geprägt. Hier geht es aus ökonomischer Sicht um die Problematik optimaler Währungsräume, die eben nicht identisch sein müssen mit dem Territorium von Staaten, oder – mit Blick auf den Euro – Staatenverbünden, welche ein von einer Zentralbank geldpolitisch (mehr oder weniger) kontrolliertes Territorium aufweisen. So kann sich der Finanzierungs- und Geldbedarf in strukturschwachen Regionen deutlich von dem in den Zentren eines Währungsgebietes unterscheiden. Aus dieser Perspektive kann argumentiert werden, dass eine stärker regionalisierte Kontrolle über Geldschöpfung gesamtwirtschaftliche Vorteile aufweisen mag. Diese Position fordert letztlich die strikte Anwendung des Subsidiaritätsprinzips für die Geldmengensteuerung. Zentralbanken würden dann die Aufgabe der Geldschöpfung an regionale Institutionen delegieren, da diese die Aufgabe besser (wenn auch nicht optimal) bewältigen können.25 Leitbild ist meist ein plurales System verschiedener Gelder, deren
24 Joseph Huber, bekannter Kopf der deutschsprachigen Vollgeld-Initiative (Huber 1998, 2012) nennt dies die »pragmatische« Antwort, die er gegen die »puristische« abgrenzt, nach welcher Komplementärwährungen keinen Platz in einem Vollgeldsystem haben (Vollgeld o.J.). Diese pragmatische Überlegung wird, wie gezeigt, auch heutzutage von Zentralbanken in ihren Bewertungen von Regiogeld angewendet (Rösl 2006, Naqvi/Southgate 2013). 25 In einer solchen Perspektive wird Geld als öffentliches Gut aufgefasst (hierzu: Mellor 2010), dessen Feinsteuerung dezentral effizienter erbracht werden kann als zentralisiert
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Zusammenspiel auf lokaler, regionaler, staatlicher, suprastaatlicher und globaler Ebene ein resilientes System erzeugen soll, das Schocks auf den verschiedenen Ebenen besser verkraftet, als ein mono-monetäres System.26 Ein einflussreicher Entwurf ist Douthwaites Ecology of Money (1999, auch Douthwaite 2011), welche zeigt, dass die Grenze zwischen Systemerweiterung durch komplementäre Währungen und Systemreform (hierzu Degens 2013) fließend ist, wenn die Systemreform in einer grundsätzlichen Überwindung des nationalstaatlichen Geldes durch Vielfalt von Geldern besteht. 6.2.5 Zeit ist Geld An den hier aufgezeigten unterschiedlichen Sichtweisen zeigt sich, welche Anziehungskraft verschiedene ideengeschichtliche Einflüsse der Geldreform haben. Neben den bisher skizzierten utopischen Forderungen nach Freiheit von wahlweise Zentraloder Geschäftsbanken, also von zentraler oder dezentraler Steuerung der Geldschöpfung sowie der Freiheit von Zinsmechanismus und Wachstumszwang lässt sich eine weitere, ungleich radikalere Forderung ausmachen. Meist wird auf diesen Reformstrang mit Blick auf die Abschaffung von Geld verwiesen; ich möchte die grundlegende Idee der Freiheit vom Marktmechanismus als Freiheit von Machtungleichheiten in der Geldschöpfung herausstellen. Diese Ansätze befinden sich in mutualistischer Tradition der Utopien kooperativer Wirtschaftssysteme. Es handelt sich um Experimente der Verrechnung aufgewandter Arbeitszeit, bei denen also Zeit an die Stelle eines monetären Wertmaßes tritt. Zu den historischen Vorläufern im 19. Jahrhundert werden die von Robert Owen eingeführten Arbeitszeitbörsen und PierreJoseph Proudhons Tauschbanken ebenso wie Silvio Gesells Freigeld gezählt (Wagner 2009). Darüber hinaus zählt das Social-Credit-Konzept von Clifford Hugh Douglas als Bezugspunkt (North 2007: 66-76), sowie John Ruskins Arbeitsgeld. Ruskin sieht Geld als Recht, als entitlement an, nicht schlicht als Tauschmedium. Lediglich ein Tausch von Zeit gegen Zeit sei eine gerechte Form des Tausches (Ruskin 1997: 195). Das Aufkommen von Komplementärwährungen seit den 1980er Jahren (wie das etwa Vollgeldreformen fordern). Dezentrale Geldmengensteuerung kann dementsprechend aus Effizienzerwägungen gefordert werden. Hier offenbaren sich interessante Parallelen zur Argumentation der Bereitstellung öffentlicher Aufgaben durch freie Träger (hierzu Schulz-Nieswandt 2015b: 470). 26 Lietaer et al. (2013) suchen die Anbindung an die Erforschung komplexer ökologischer Systeme, um die höhere Nachhaltigkeit pluraler Geldsysteme zu begründen. Bisher ist es ihnen aber nicht gelungen, mit Analogien aus komplexen Flusssystemen mehr als Vermutungen über die Überlegenheit solcher diverser monetären Ökosysteme aufzustellen, geschweige denn, diese Überlegenheit zu beweisen. Dazu müsste ihre Argumentation weniger zirkulär erfolgen.
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fußt zu einem großen Teil auf diesen Ideen des Zeittausches (vgl. 7.3). Das Ziel ist es, kooperative, mutualistische menschliche Beziehungen wiederaufzubauen, die auf der Idee reziprozitätsgeleiteten Tausches basieren (Nishibe 2006: 102). Zelizer erkennt in diesen Ansätzen, wie überhaupt in der Komplementärwährungsbewegung, einerseits eine Überwindung der Vorstellungen feindlicher Welten, die die Unvereinbarkeit der wirtschaftlichen und den sozialen, kulturellen Sphären vermuten. Sie warnt andererseits vor einer Reproduktion genau dieser Ideen, wenn eine erneute Dichotomie zwischen schlechtem herkömmlichen Geld und guten lokalen Geldern konstruiert wird: »Such ideological and moral resolutions result in a paradox: while local money practices directly challenge hostile-worlds ideas, their ideologies often reinforce those very same ideas by postulating a frontier between the impure external world of legal tender and the purity of local money« (Zelizer 2011b: 326).
Zusammenfassend verdeutlichen die hier vorgestellten Überlegungen, wie reichhaltig und teilweise widersprüchlich die Bezugspunkte der Komplementärwährungsbewegung sind. Es zeigt sich, dass es sowohl ökonomische (meist heterodoxe) Theorieansätze gibt, welche plurale Geldsysteme vorsehen oder Komplementärwährungen zumindest einen Platz einräumen, als auch radikal alternative Ansätze, die weniger im Rahmen ökonomischer Theorie als vielmehr für deren Überwindung argumentieren. Zu ersteren gehören libertäre Konzeptionen des Währungswettbewerbs, zu letzteren kommunitaristische Ansätze (Ingham 2002: 134) gemeindebasierter Gelder, die unabhängig vom Bankensystem und staatlichen Autoritäten sind. Solche Konzeptionen erkennen die soziale Einbettung ökonomischen Handelns nicht nur analytisch an, sondern leiten aus ihr auch eine normative Forderung der gesellschaftlichen Kontrolle von Geld ab. Diese Kontrolle soll auf auf lokaler oder regionaler Ebene möglich sein, um der Heterogenität der Gesellschaft gerecht zu werden (Seyfang 2000: 238). Solche Forderungen versuchen die hier analysierten Regiogelder und weitere zivilgesellschaftlichen Komplementärwährungen zu erfüllen. Sie beziehen sich dabei in unterschiedlichem Ausmaß auf die in diesem Kapitel vorgestellten geldreformerischen Konzepte. .
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Zivilgesellschaftliche Komplementärwährungen
Der vorherige Abschnitt hat einen Überblick über die Pluralisierung von Geldformen geboten und dabei unterschiedliche ideologische und historische Bezugspunkte sowie unterschiedliche Akteur*innen der Schaffung und Steuerung komplementärer Gelder aufgezeigt. In diesem Abschnitt erörtere ich nun einen Teilbereich dieser Komplementärwährungslandschaft ausführlicher – den der zivilgesellschaftlichen Initiativen – und schließe an die Überlegungen zu redistributiven und reziproken, auf der Gabe basierenden Tauschbeziehungen (Kapitel 4 und 5) an. Bei zivilgesellschaftlichen Komplementärwährungen handelt es sich um solche Gelder, die weder von staatlichen noch von kommerziellen Akteur*innen herausgegeben werden, sondern aus der Zivilgesellschaft heraus entstehen und somit verschiedene Ausprägungen innerhalb der betrieblichen Gebildevielfalt des Dritten Sektors (Schulz-Nieswandt 2008: 328) annehmen. Ein Antrieb für solche Initiativen ist die Überzeugung, dass der Markt, der Leistungen belohnt und nicht auf Bedürfnisse schaut, korrigiert werden muss. Damit bilden komplementäre Währungen kleine Inseln der Moralökonomie (Thompson 1971, Götz 2015). Die Initiator*innen und Befürworter*innen solcher zivilgesellschaftlicher Komplementärwährungen nehmen an, dass der Handel von Waren und Dienstleistungen, sobald er über herkömmliches Geld vermittelt ist, insofern defizitär ist, als er sich nicht als durch moralische Normen gebunden beziehungsweise in sie eingebettet, sondern allein durch Marktgesetze bestimmt, begreifen lässt.1 Einbindung in eine Moralökonomie bezieht sich auf die Legitimität wirtschaftlichen Handelns über ihre Einbettung in soziale Normen und Wertvorstellungen. Jüngere Anknüpfungspunkte für eine solche Debatte über die Wirtschaft liefern etwa die Konzeptionen von Gemeinwohlökonomie (Felber 2010), Postwachstumsökonomie (Paech 2013) und Konvivialismus (Les Convivialistes 2014).
1
Sie gehören mit anderen Worten zu denjenigen, über die Wolfgang Streeck anerkennend schreibt: »Apparently people stubbornly refuse to give up on the idea of a moral economy« (Streeck 2011b: 4).
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Mit Blick auf den Diskurs über die (Wieder-)Einbettung der Wirtschaft (vgl. 4.3.4) durch die Zivilgesellschaft handelt es sich bei diesen Komplementärwährungen um einen besonders interessanten Fall. Schließlich geht es nicht um die Bereitstellung von Dienstleistungen oder Produkten, sondern um die Schöpfung und Kontrolle des wirtschaftlichen Steuerungsmediums selbst, somit um eine Form der Demokratisierung von Geld. Dies ist mit dem Versuch verbunden, durch eine zusätzliche Geldform eine andere Form der Einbettung zu erzielen. David Boyle begründet bereits im Jahr 2000 seinen Vorschlag einer lokalen Londoner Währung damit, dass innerhalb der aus seiner Sicht unweigerlich voranschreitenden Ausdifferenzierung der Geldformen den profitwirtschaftlichen Ansätzen Alternativen entgegengestellt werden sollten: »The multi-currency world is already with us […]. What I’m suggesting is that we don’t let big business have a monopoly of the future of money – but to use these ideas to provide a better life« (Boyle 2000: 18). Zivilgesellschaftliche Komplementärwährungen sind zwar gemessen am Handelsvolumen in Relation zur gesamtwirtschaftlichen Leistung marginal, erfahren aber gleichwohl starke Verbreitung. Aufgrund der Verschränkungen und der Diffusion solcher Ansätze seit den 1980er und 1990er Jahren spricht Zelizer von einem »local money movement« (Zelizer 2004: 129). Um mich dieser Bewegung zu nähern, erscheinen einige Vorbemerkungen angebracht: Im Folgenden erörtere ich zunächst kurz das Verhältnis von Zivilgesellschaft und Wirtschaft, wobei ich auf Abgrenzungsschwierigkeiten zu Konzepten wie dem des Dritten Sektors eingehe und dann zivilgesellschaftliche Organisationsformen aus einer polanyischen Perspektive erörtere 7.1). Darauf aufbauend diskutiere ich Ansätze der Typologisierung zivilgesellschaftlicher Komplementärwährungen und nutze eine von Jérôme Blanc vorgeschlagene Systematik, die an Polanyis Differenzierung der Tauschmodi Markt, Reziprozität und Redistribution anschließt (7.2). Dann stelle ich zwei Formen komplementärer Währungen gegenüber, welche erstens empirisch weit verbreitet und zweitens für die folgenden Fallstudien relevant sind. Hierbei handelt es sich um Tauschringe (7.3) sowie Regiogelder (7.4).
7.1 WIRTSCHAFT UND ZIVILGESELLSCHAFT IM WOHLFAHRTSMIX Empirisch zeigt sich in der gesellschaftlichen Wohlfahrtsproduktion eine betriebsmorphologische Vielfalt, die in einer bloßen Gegenüberstellung von Markt und Staat nicht abgedeckt wird. Dieser Abschnitt befasst sich daher mit konzeptionellen Bezügen, die dieser Vielfalt der Wohlfahrtsproduktion gerecht zu werden versuchen. Sie sind ganz im Sinne des sachlich-substantiven Begriffs des Wirtschaftlichen nach Karl Polanyi, der empirische Fakten und nicht eine modellhaft-logische Deduktion an den Anfang der ökonomischen Analyse stellt (vgl. 4.1). Polanyis Perspektive bietet »die
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Möglichkeit, Formen zu erfassen, die heute gemeinhin als ›informell‹, nicht-offiziell oder als Dritter Sektor angesprochen werden« (Maurer/Mikl-Horke 2015: 103). Ausgangspunkt bildet also die Tatsache, dass Wohlfahrtsproduktion innerhalb einer Vielzahl von Organisationsformen, die nur zum Teil dem Markt oder dem Staat angehören, vonstattengeht. Schließlich greift eine implizite Gleichsetzung von Wirtschaft, Unternehmen, Profitorientierung und Marktwirtschaft zu kurz. Zunächst fällt mit Blick in die Literatur auf, dass Begriffe wie Dritter Sektor, Nonprofit-Sektor, aber auch Solidarwirtschaft oder Solidarische Ökonomie (Altvater/Sekler 2006, Elsen 2011), Économie Sociale und Zivilgesellschaft oft nicht trennscharf verwendet werden (Evers/Laville 2004b: 11-45, Zimmer/Hallmann 2005: 105-116, Adloff 2005: 108f).2 Das Konzept der Zivilgesellschaft3 entstammt der politischen Theorie (Klein 2001), während Sozialwirtschaft oder Dritter Sektor stärker sozialwissenschaftlich, polit-ökonomisch gefärbt sind. Der Begriff des Dritten Sektors geht auf Amitai Etzioni (1972) zurück, der hiermit einen von Staat und Markt unabhängigen Bereich der Gesellschaft kennzeichnet, welcher als Hybridform Vorteile sowohl von staatlicher Koordination als auch von im Wettbewerb stehenden Unternehmen nutzen kann. Auch für den Zweck dieser Arbeit ist es nicht notwendig, die Debatte über Gemeinsamkeiten, Unterschiede und divergierende Schwerpunktsetzungen dieser Konzepte nachzuzeichnen oder gar zu lösen. Denn sie bezeichnen insofern ähnliche Phänomene, als sie ein Grundmodell pluralistischer Wohlfahrtsproduktion bieten, das über die Dichotomisierung öffentlich/staatlicher und privater/ marktwirtschaftlicher Sektoren hinausgeht. Der erste Schritt der Systematisierung fußt auf der grundlegenden Einsicht, dass das Wirtschaftliche auch in der modernen Gesellschaft nicht mit seinem formalen Begriff gleichgesetzt werden darf (vgl. 4.1). Einen einflussreichen Ansatz der Typisierung und Modellbildung legt Victor Pestoff (1992) vor. Unmittelbarer empirischer Hintergrund für seinen Beitrag ist die Privatisierungsdebatte, in welcher er den Dritten Sektor sowohl als Alternative zu staatlich-öffentlicher als auch zur profitwirtschaftlichen Erbringung sozialer Dienstleistungen diskutiert. In dieser Debatte sieht Pestoff den Dritten Sektor als besser
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Zum Teil hängt dies mit unterschiedlichen disziplinären, aber auch mit unterschiedlichen nationalen Wissenschaftstraditionen zusammen. Zu terminologischen Debatten um den Dritten Sektor, Nonprofit-Organisationen, Sozialwirtschaft (Économie Sociale) vgl. Vidal (2011), die auf die lange französische Tradition der Économie Sociale und ihre Begriffsprägung durch Charles Gide auf der einen sowie die angelsächsische Tradition mit dem Fokus auf NPOs auf der anderen Seite verweist.
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Aus der umfassenden Literatur besispielhaft zu nennen: Kocka (2000), der auf Verständnisse von Zivilgesellschaft als Form sozialen Handelns, als normative Kategorie und als empirisch-analytischer Ansatz verweist. Umfassend Adloff (2005), Priller/Zimmer (2001) sowie Evers/Laville (2004a).
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geeignete, aber vernachlässigte Alternative zur Privatisierung an. Organisationsformen des Dritten Sektors können unter Umständen als gemeinwirtschaftlich angesehen werden. Der Dritte Sektor besteht, so Pestoff, aus Genossenschaften, freiwilligen Vereinigungen, Nichtregierungsorganisationen, »popular movements« und Nonprofit-Organisationen (ebd.: 22). Pestoff diskutiert insbesondere Möglichkeiten genossenschaftlicher Wohlfahrtsproduktion in den Bereichen Konsum und Arbeit, schließt aber ebenso weitere Nonprofit-Organisationen (darunter Verbände) in seine Analyse ein. In seiner Erörterung des Welfaremixes geht er zunächst vom Vorschlag Streecks und Schmitters aus, welche Verbände als vierte soziale (gesellschaftliche) Ordnungsinstanz neben (oder zwischen) Staat, Markt und Gemeinschaft verstehen (Streeck/ Schmitter 1985). Pestoff spannt dann den Welfaremix als Dreieck mit den Polen Staat, Markt und Gemeinschaft mit ihren jeweiligen Entsprechungen öffentlicher Bedarfsträger, privater Firmen sowie Haushalte und Familien auf. Damit lässt sich der Wohlfahrtsmix wie in Abbildung 2 skizzieren. Der Dritte Sektor mit Nonprofit-Organisationen, freiwilligen Verbindungen und Genossenschaften liegt zwischen den Polen. Das Schema erlaubt intermediäre Organisationsformen an den jeweiligen Grenzüberschneidungen. Diese bestimmt er vor allem durch die Gegenüberstellungen formell versus informell (Staat sowie Markt versus Gemeinschaft), non-profit versus for-profit4 (Gemeinschaft und Staat versus Markt) und öffentlich versus privat (Staat versus Gemeinschaft und Markt). Als heuristisches Mittel ermöglicht dieser Bezugsrahmen einen systematischen Vergleich verschiedener Organisationsformen. Dabei sollte allerdings nicht eine simplifizierende statische Einordnung von Organisationstypen in Sektoren vorgenommen, sondern Hybridität beachtet werden (Salamon/Sokolowski 2016, Evers 2005). Einen ähnlichen Ansatz unter Rekurs auf divergierende Begrifflichkeiten nutzt Schulz-Nieswandt (2008), der den Sektoren Markt, Staat und Familie drei Formen der Reziprozität zuordnet, die sich teilweise mit den von Sahlins identifizierten (vgl. 5.4) überschneiden: dominantes Steuerungsprinzip der Familie/Verwandtschaft ist die »solidarfähige generalisierte Reziprozität«, des Marktes die »tauschorientierte balancierte Reziprozität« und des Staates die »herrschaftlich organisierte (sowohl regulativ als auch redistributiv orientierte) Reziprozität« (Schulz-Nieswandt 2008: 326). Auch hier lassen sich die Steuerungsprinzipien unschwer als Reziprozität, Markttausch und Redistribution erkennen, wenn man Polanyis Terminologie nutzen möchte.
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Es lässt sich auch von Sachzieldominanz versus Formalzieldominanz sprechen, um diesen Gegensatz zwischen gemeinwirtschaftlicher und erwerbswirtschaftlicher Orientierung zu verdeutlichen (Schulz-Nieswandt 2006: 142).
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Abbildung 2: Schematische Darstellung des Dritten Sektors im Welfaremix
Quelle: Entnommen aus Evers/Laville (2004b: 30), dort nach Pestoff (1992: 25).5
Der Dritte Sektor ist polymorph, da er Raum für eine betriebliche Gebildevielfalt bietet, welche über die allen gemeinsame Hybridität zwischen Markt, Staat und Gemeinschaft hinaus eben bedeutsame Unterschiede aufweist (ebd.: 328). Innerhalb dieses Geflechts machen Genossenschaften betriebsmorphologisch eine besonders relevante Form aus (Zimmer 2009, bereits Pestoff 1992), da sie geradezu idealtypisch
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Viele Darstellungen des Dritten Sektors oder des Mehrsektorenmodells der Wohlfahrtsproduktion nutzen in ihren Grundzügen dieses Schema (etwa Schulz-Nieswandt 2006, 2008; Pestoff 1992, Evers/ Laville 2004b). Sie unterscheiden sich hinsichtlich der spezifischen Ausprägungen, die sie in den unterschiedlichen Sektoren und an den Grenzen sehen (so konzipiert Schulz-Nieswandt das Dreieck als Raum des Dritten Sektors, während Evers und Laville den Dritten Sektor als Kreisfläche innerhalb dieses Dreiecks ansiedeln), und auch hinsichtlich des Bezugsrahmens (so nutzt Schulz-Nieswandt 2008 ein Schema der Reziprozitäten). Die vergleichsweise geringen Unterschiede hängen letztlich nicht nur mit konzeptionellen, sondern auch mit terminologischen Bestimmungen zusammen. SchulzNieswandt spricht in diesem Zusammenhang gar von einer »gewisse[n] theoretische[n] Kontingenz: Vieles könnte man auch ganz anders sehen« (Schulz-Nieswandt 2008: 328).
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wirtschaftliche Unternehmensformen sind, welche mit der demokratischen Entscheidungsfindung ein politisches Kernmerkmal (Novkovic/Golja 2015) institutionalisieren. Genossenschaften können gemeinwirtschaftlichen Charakter aufweisen.6 Diese Form ist daher auch mit Blick auf zivilgesellschaftliche Versuche der Demokratisierung von Geld zu thematisieren. Die spezifische Organisationsform der Genossenschaft wird auch innerhalb der Forschung zu Zivilgesellschaft und der Engagementpolitik (wieder) stärker betrachtet (Zimmer 2009, Klein/Walk 2015).7 Dabei ist eine Transformation politischer Forderungen in organisiertes, wirtschaftliches Handeln zentral. Genossenschaften – sozialwissenschaftlich-betriebsmorphologisch verstanden, nicht eingeschränkt auf eine spezifische juristische Form8 – übertragen also eine spezifische Logik der Politik (Demokratie) in die wirtschaftliche Organisation selbst, dezidiert als Gegenpol zur Logik der Märkte.9 Dazu bedarf es aber einer sich stetig reproduzierenden Besinnung auf die genossenschaftlichen Prinzipien, und
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Das gilt selbst für wirtschaftliche Clubs mit primär interner Stakeholderorientierung wie etwa Genossenschaften, die unmittelbar auf die Förderung der Mitglieder abzielen. Sie lassen sich nach Schulz-Nieswandt unternehmensmorphologisch dann als gemeinwirtschaftlich erkennen, wenn sie »im Lichte einer Theorie funktionaler Äquivalente als ›alsob‹-Daseinsversorger zu verstehen sind: Sie decken Aufgaben ab, die gesellschaftlich als öffentliche/öffentlich relevante Aufgaben definiert/anerkannt werden, die, wenn sie nicht im Formprinzip der Genossenschaftlichkeit erledigt werden würden, quasi als öffentliche Aufgabe eben andersartig zu erledigen wären« (2015b: 468). Zu verschiedenen, darunter gemeinnützigen, Widmungstypen von Genossenschaften Engelhardt (1983: 40-42; 1987).
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Diese Überlegungen bilden eine Antwort auf Forderungen Schütts (2013) und Münkners (2014), welche die Vernachlässigung der Wirtschaft durch die Zivilgesellschaft kritisieren. In Anlehnung und Erweiterung der Denkschrift Hessels (2010), fordern sie wirtschaftliches Engagement der Zivilgesellschaft ein. Sie finden damit Anschluss an die Diskussion zu Genossenschaften aus kommunitaristischer Perspektive (Schmale 2000).
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Denn sowohl inner- als auch außerhalb des genossenschaftlichen Rechtskleides lässt sich genossenschaftlich Wirtschaften. Ein rechtlicher Genossenschaftsbegriff weist im Ländervergleich darüber hinaus eigene Probleme auf, da es deutliche Unterschiede im Genossenschaftsrecht gibt. Allgemein lässt sich sagen, dass das deutsche Genossenschaftsrecht mit dem System von Pflichtmitgliedschaft und Pflichtprüfung bei genossenschaftlichen Prüfungsverbänden eine Besonderheit darstellt. Dass die Begriffe nicht deckungsgleich sind, zeigt sich darüber hinaus daran, dass es Betriebe in genossenschaftlicher Rechtsform geben kann, die allerdings im Kern nicht genossenschaftlich wirtschaften.
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Genossenschaften verbinden somit diese beiden Logiken. Zu Konzeptionen der Wirtschaftsdemokratie vgl. Wright (2012) sowie Albert (2003), welcher Genossenschaften als eine Organisationsform unter anderen im Rahmen seiner partizipativen Ökonomie einfordert (kritisch zu Albert Altvater (2006: 9f).
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zudem muss die Genossenschaft authentisch geführt werden (Blome-Drees 2008, Zamagni 2013). Eng damit verknüpft ist eine gelebte Genossenschaftsdemokratie, die die kontinuierliche Herausbildung des Mitgliederwillens ermöglicht und damit die Ziele der Genossenschaft formuliert und Strategien prägt oder zumindest akzeptiert. Sonst besteht die Gefahr (wie die Geschichte der Genossenschaftsbewegung zeigt), dass sich Genossenschaften immer stärker anderen, nicht-genossenschaftlichen Unternehmen anpassen (und insbesondere ihre Sachzieldominanz verlieren). Hiermit ist die Gefahr des institutionellen Isomorphismus (DiMaggio/Powell 1983) der genossenschaftlichen Organisation angesprochen. Dieser Isomorphismus drückt sich dadurch aus, dass unter Wettbewerbsbedingungen eine immer stärkere Anpassung an kapitalistische Unternehmen erfolgt, sei es durch vom Umfeld ausgeübten Zwang oder Druck, Bestrebungen der Nachahmung (mimesis) oder durch eine mit Professionalisierung einhergehende Verschiebung der Normen.10 Diese Überlegungen lassen sich grundsätzlich auf weitere, nichtgenossenschaftliche Organisationsformen des Dritten Sektors und der Zivilgesellschaft ausdehnen, wie Zimmers Arbeit zur Monetarisierungsdebatte zeigt (vgl. Zimmer 2014). Die Monetarisierung des Dritten Sektors lässt sich aus polanyischer Perspektive mit dem Konzept der Doppelbewegung fassen. In dieser Sichtweise evoziert Monetarisierung als Vermarktlichung eine Gegenbewegung, die sich etwa in der Forderung und Förderung wirtschaftsdemokratischer Formen ausdrückt. Der analytische Blick wird mit Polanyi damit auf die spezifische Verschränkung von Zivilgesellschaft und Wirtschaft gerichtet, welche in der Forschung stärker Beachtung finden sollte (etwa Birsl/ Adloff/Schwertmann 2005, Adloff/Kocka 2016). Unter Rückgriff auf Zelizers Arbeiten lässt sich die spezifische Verschränkung von Wirtschaft und Zivilgesellschaft als Beispiel für die Gleichzeitigkeit ökonomischer und sozialer sowie kultureller Dimensionen heranziehen. Ihre Zurückweisung feindlicher Welten lässt sich als Forderung der Anerkennung der Einbettung wirtschaftlichen Handelns übersetzen. Zivilgesellschaftliche Organisationen allgemein und Komplementärwährungen im Besonderen sind Beispiele für die Verschränkung der Welten rational-egoistischen ökonomischen Handelns und kultureller Normen, somit der Formung des Geldes als Steuerungsmittel der Wirtschaft. Wie skizziert, werden der Dritte Sektor und/oder die Zivilgesellschaft innerhalb des Geflechts aus Staat, Markt und Gemeinschaft konzipiert und lassen sich als Form oder Möglichkeit der (Wieder-)Einbettung der Wirtschaft ansehen. Indem sie nämlich reziprozitätsbasierte Formen des Mutualismus an die Stelle oder an die Seite marktlicher Koordination und öffentlicher Vorsorge setzen, treten sie der wirtschaftlichen Entbettung entgegen. Ob eine solche Form der Einbettung aber als Gegenbewegung im Sinne Polanyis anzusehen ist, bleibt fraglich. Zumindest erscheint die 10 DiMaggio und Powell (1983: 150) unterscheiden diese drei Mechanismen des institutionellen isomorphistischen Wandels, um die Angleichung von Organisationen theoretisch zu fassen.
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These naiv, dass diese Neujustierung im Wohlfahrtsmix automatisch als Gegenbewegung zum Selbstschutz der Gesellschaft gegen das sich ausweitende Marktsystem anzusehen ist. Schließlich bedeutet diese Form der Re-Einbettung empirisch oft zunächst eine Verschiebung weg von öffentlicher Versorgung hin zur Zivilgesellschaft. Daher lässt sich diese Verantwortungsverschiebung hin zur Zivilgesellschaft auch als Schritt der Entbettung ansehen, insofern damit eine Kommodifizierung der Wohltätigkeit einhergeht, wie sich etwa am Beispiel der britischen Dritt-Sektor-Politik zeigen lässt. Catherine Alexander spricht hier von der Illusion von Freiheit (Alexander 2009).11 Diese Form der gemeinschaftsbasierten Einbettung birgt demnach eine Ambivalenz in sich, da sie mit einer Ausweitung des Marktsystems und teilweise einer direkten Rücknahme sozialstaatlicher Errungenschaften einhergehen mag. Eine Analyse der Verschränkung von Wirtschaft und Zivilgesellschaft gerade mit Blick auf Prozesse der Ein- und Entbettung muss somit auch staatliche Akteure bzw. umfassend Akteurskonstellationen auf der Mikro- bis zur Makroebene einbeziehen. Der spontane Selbstschutz der Gesellschaft bedarf nach Helleiner (1995: 162) einer Kombination auf den verschiedenen Ebenen der Gesellschaft, nicht nur der nationalen Gemeinschaft, sondern ebenso lokaler, regionaler und globaler Gemeinschaften (DeMoor 2013: 156). Die Gegenbewegung besteht dann nicht ausschließlich aus nationalstaatlichen Errungenschaften wie dem Sozialstaat, sondern prägt sich eben auch in zivilgesellschaftlichen Formen aus. Aus einer solchen Perspektive könnten Komplementärwährungen einen Baustein der Gegenbewegung und Einbettung ausmachen. Möglicherweise sind sie deswegen tatsächlich von besonderer Bedeutung, da die in ihren Handlungsspielräumen eingeschränkte nationale Politik nicht in der Lage scheint, ein dezidiert anders ausgestaltetes Geldsystem zu verwirklichen.12
11 Zeitbanken stellen ein Beispiel einer solchen mutualistischen Erbringung sozialer Sicherungsleistungen dar, die teilweise die Lücke füllen, welche der Rückzug öffentlicher Versorgung hinterlässt. Lee Gregory (2014) zeigt am britischen Beispiel der vergangenen Jahre, wie Time Banking in Folge oder als Bestandteil der Austeritätspolitik einen neuen Aufschwung erlebt und als Ventil der Verschiebung der Verantwortung für soziale Sicherung und Fürsorge weg vom Staat und des öffentlichen Sektors hin zu Individuen und Gemeinschaften fungiert. 12 Auf diese Debatte kann ich in der vorliegenden Arbeit nicht eingehen. Es soll lediglich aufgezeigt werden, dass auch lokale und regionale Projekte von Bedeutung sind (ebenso wie diejenigen zivilgesellschaftlichen Projekte, die dank der Informationstechnologien und Vernetzungen nicht auf Lokalität beruhen, sondern überregional, transnational agieren). Damit ist ausdrücklich nicht gesagt, dass kleine, oft lokale Inseln zivilgesellschaftlichen Widerstandes ausreichend wären, um eine Transformation des Systems zu erwirken. Es geht vielmehr um Beiträge auf der Suche nach Alternativen (Wright 2012). Diese Suche wird dann besonders wichtig, wenn der Kapitalismus sich tatsächlich in einer Phase des
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Daher sieht Erik O. Wright Möglichkeiten einer Transformation des Kapitalismus in zivilgesellschaftlichen Verwirklichungen von realen Utopien (Wright 2012). Solche realen Utopien findet er beispielsweise im Grundeinkommen, aber auch in Produktivgenossenschaften als demokratischer Wirtschaftsform. Es geht ihm darum, dass aus kleinen gesellschaftlichen Nischen transformatorische Kräfte entstehen können.13 In dieser Linie sehen sich zumindest ein großer Teil der Komplementärgeldaktivist*innen dezidiert als Erbringer*innen von »micropolitical alternatives« (North 2007). Komplementärwährungen werden als Gegengewicht zur Globalisierung, konkret des globalisierten Kapitals, gesehen (Pacione 2011). Den unterschiedlichen Formen zivilgesellschaftlicher Komplementärwährungen widme ich mich im nächsten Schritt.
7.2 ANSÄTZE DER TYPOLOGISIERUNG ZIVILGESELLSCHAFTLICHER KOMPLEMENTÄRWÄHRUNGEN Wie bereits deutlich wurde, existieren unterschiedliche Formen zivilgesellschaftlicher Komplementärwährungen. Mittlerweile liegen verschiedene Vorschläge zur Typologisierung vor (etwa Boyle 2011, Blanc 2011, Martignoni 2012, Kennedy/ Lietaer 2004, Zelizer 2005, Seyfang/Longhurst 2013). Solche Typenbildungen sind ein wichtiger Schritt zur theoretischen Durchdringung des Feldes (vgl. Swedberg 2012). Alle Vorschläge eint, dass sie die Verschiedenartigkeit des Feldes gerade mit Blick auf spezifische Zielsetzungen der jeweiligen Projekte als wichtiges Kriterium der Differenz nutzen. Die konkreten Kriterien zur Klassierung unterscheiden sich teilweise grundlegend, teilweise lediglich in Details. Kennedy und Lietaer (2004) sowie Martignoni (2012) fangen mehrere Aspekte der organisatorischen Ausgestaltung der Währungen ein, wie etwa Deckung und Finanzierungsmechanismen. Kennedy und Lietaer (2004: 37) benennen konkret fünf Unterscheidungskriterien, nämlich Zweck, Medium sowie Funktion der Währung, Geldschöpfungsprozess und schließlich Mechanismen der Kostendeckung. Dieser Vorschlag rekurriert überwiegend auf ökonomische Dimensionen wie die klassischen Geldfunktionen, während soziale Funktionen oder Verwendungsweisen kaum berücksichtigt werden. Martignoni (2012) baut auf Grecos Überlegungen zur »Architektur« einer Währung auf. Greco nennt drei Variablen, anhand deren Ausprägungen Geldformen konstruiert werden Niedergangs befindet und vor seiner Auflösung steht (Streeck 2013, 2014), ohne dass Konturen eines künftigen Regimes bereits fixiert wären. 13 Zum Beispiel der Umweltbewegung als Zeichen einer langsam aufkommenden zivilgesellschaftlichen Gegenbewegung gegen die Kommodifizierung von Land siehe Wanner (2015). Wie wir später (7.4) sehen werden, können Komplementärwährungen als solche Nischen aufgefasst werden (Longhurst 2012, auch Wagner 2009).
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können: »Who is qualified to issue currency?«, »On what basis should currency be issued?«, »How much currency may be spent into circulation by each issuer?« (Greco 2009: 146). Martignoni entwirft nun einen zweidimensionalen Typologieansatz, den er am Vertrauen der Teilnehmer*innen untereinander sowie den Adressat*innen der Währungsorganisation (Einzelne – Gruppen – Allgemeinheit) aufspannt. Seine Perspektive zielt letztlich auf eine Erfolgsmessung von zivilgesellschaftlichen Komplementärgeldorganisationen ab (vgl. Martignoni/Gmür 2012). Diese beiden Vorschläge (Kennedy/Lietaer 2004, Martignoni 2012) möchten eine breite Typologie prinzipiell aller Währungsformen liefern und bieten dabei stark ausdifferenzierte Klassierungen, bei denen allerdings einige Ausprägungen wenig trennscharf sind. Thiel vermisst bei solchen Klassifikationen zudem die »konkrete alltagspraktische Relevanz« (2011: 89). Gleichwohl verweisen sie mit der »Deckung« einer Währung als wesentliches Kriterium auf einen wichtigen technischen Aspekt, der sich auch auf die Verwendungspraktiken auswirkt. Die »Deckung« der Währung ist wesentliches Kriterium der Klassierung einer Währung, wobei grundlegend »leistungsgedeckte« und »währungsgedeckte« Währungen unterschieden werden. Ersteres bezieht sich auf Systeme wie Tauschringe, deren Geldeinheiten das Versprechen der Mitglieder zugrunde liegt, bestimmte Leistungen zu erbringen. Andere Systeme sind »währungsgedeckt« in dem Sinne, dass die Geldeinheiten an ein gesetzliches Zahlungsmittel nicht nur rechnerisch gekoppelt werden, sondern auch ein- und umtauschbar in dieses sind. »Deckung« bezieht sich darauf, welche Umtauschmöglichkeiten in andere Währungen oder Waren zugesichert werden. So können auch Komplementärwährungen prinzipiell als Gold- oder Silberstandard konstruiert werden. Mit der Deckung verbunden ist demnach das Verhältnis zum jewieligen gesetzlichen Zahlungsmittel. Manche Währungen, darunter Regiogelder, werden »gekauft«, also eingetauscht gegen gesetzliches Zahlungsmittel. Die Organisation verpflichtet sich, das Komplementärwährungsguthaben auf Wunsch wieder in das gesetzliche Zahlungsmittel umzutauschen, wobei häufig Gebühren fällig werden. Damit reduziert sich das Ausmaß an erforderlichem spezifischen Vertrauen in die komplementäre Währung, da ein Ausstieg unkompliziert möglich ist und ein gewisses Maß an Werterhaltung durch die Möglichkeit des Rücktauschs garantiert wird. Andere Typologie-Ansätze (etwa Boyle 2011, Zelizer 2005, 2007, 2011c, Blanc 2011) sind sparsamer in dem Sinne, dass sie schlichter anhand einiger Kernmerkmale differenzieren. Zelizer legt in ihren Arbeiten zu lokalen Geldformen zwar keine systematische Typologie, doch aber eine Abgrenzung verschiedener Formen vor, die sich an der »Deckung« orientiert. Sie grenzt vier Typen lokaler Gelder voneinander ab. Als Kriterium verwendet sie letztlich die Art und Weise der Wertzuschreibung. Sie nennt erstens »pegged currencies«, wozu sie Tauschringe zählt, deren monetäre Medien an das jeweilige gesetzliche Zahlungsmittel gekoppelt sind, zweitens Zeitbanken, bei denen der Wert des Geldmediums auf der eingesetzten Zeit basiert,
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drittens warengedeckte Systeme wie Coupons oder Paybacksysteme, die ausschließlich durch spezifische eintauschbare Güter oder Dienstleistungen gedeckt sind, sowie viertens Barter als Form des direkten Güteraustausches ohne Intervention einer Währung (Zelizer 2004:130f, 2011: 319f, auch Zelizer und Tilly 2006: 3). Dieser Ansatz vernachlässigt die Zielsetzungen, die sich zwischen lokalen Geldformen stark unterscheiden können. Zelizer betrachtet ausschließlich formal stark vom herkömmlichen Geldsystem abgetrennte lokale Gelder; Währungen, die konvertibel in gesetzliches Zahlungsmittel sind, schließt sie dadurch aus (Zelizer 2011b: 320). Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass gerade viele jüngere Systeme auf konvertiblen Währungen basieren, scheint diese Abgrenzung nicht geeignet. Auch scheint grundsätzlich fragwürdig, komplementäre Währungen als geschlossene Systeme zu begreifen, ohne auf die Einbindung ins umfassende Finanzsystem zu achten (Bryan/Rafferty 2007). In dieser Hinsicht umfassender ist der Ansatz von Boyle (2011), da er für konvertible Währungen offen ist. Er bezieht sich mit der grundlegenden Zielsetzung sowie der Ebene, auf der die Währung zirkuliert, auf zwei Dimensionen, die er jeweils in zwei Ausprägungen einteilt. So entsteht eine Vierfeldertafel, die ökonomische von sozialen Zielsetzungen und quer dazu lokale von nationalen oder internationalen Projekten unterscheidet (Boyle 2011: 5). Tab. 2: Boyles vier Typen komplementärer Währungen
Lokal National oder international
Sozial zeitbasierte Tauschsysteme Bonuspunktesysteme
Ökonomisch lokale Währungen gedeckte Währungen
Quelle: Boyle (2011: 5)
Zu sozialen lokalen Projekten zählt er zeitbasierte Systeme, also Tauschsysteme, bei denen geleistete Arbeitszeit relevanter Maßstab für die Bewertung von Leistungen oder Gütern ist (vgl. 7.3). Als ökonomische, lokale Projekte nennt er Tauschringe, Regiogelder und verwandte Geldformen (vgl. 7.4). Auf nationaler und internationaler Ebene sieht er als soziale Währungen Bonuspunktesysteme an, welche bestimmtes Verhalten belohnen sollen.14 Als ökonomische nationale oder internationale Projekte bezeichnet er »backed currencies«, also Währungen, die durch Geld oder Ressourcen
14 Den NU-Sparpaas in Rotterdam nennt er als Beispiel für solche nationalen (sic!) Systeme. In diesem Programm wurde nachhaltiger Konsum mittels Punktegutschriften von der Kommune belohnt (Seyfang 2006: 787).
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gedeckt sind. Dies trifft allerdings auch auf manche der von ihm genannten lokalen ökonomischen Projekte zu. Somit finden sich erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen den einzelnen Typen. Blancs Ansatz (2011) ist differenzierter und stärker einer einheitlichen Systematik folgend, wenn auch in anderer Hinsicht eingeschränkter. Diese besteht vor allem darin, dass er die Ebene des Geltungsbereiches, bei der Boyle zwischen lokalen und supralokalen Projekten unterscheidet, nicht als eigenständiges Kriterium aufnimmt. Gleichzeitig grenzt er profitorientierte Systeme aus seiner Typologie aus. Die Stärke seines Ansatzes liegt darin, Einteilungen zunächst auf Basis grundlegender Zielsetzungen und Systemlogiken vorzunehmen, nicht anhand der Vielzahl technischer Design-Entscheidungen (Blanc 2011: 4f).15 Hinsichtlich der Zielsetzungen beginnt Blanc allerdings nicht mit einer dualen Gegenüberstellung sozialer und ökonomischer Ziele, sondern rekurriert auf Polanyis Differenzierung der Tauschmodi Reziprozität, Redistribution und Markttausch (vgl.4.2), die er den Systemen Gemeinschaft, Staat und Markt zuordnet. Staat bezieht er dabei ausdrücklich auf jegliche politisch-territoriale Ebene, also auch auf die Kommune. Er wendet letztlich Überlegungen zum Welfaremix, dem Dritten Sektor und der Zivilgesellschaft (7.1) auf das Feld zivilgesellschaftlicher Komplementärwährungen selbst an. Zu betonen ist, dass Blanc in der sich hieraus entwickelten Typologie aus einer Perspektive der Économie Sociale ausschließlich zivilgesellschaftlich begründete Komplementärwährungen betrachtet und somit nationale oder staatliche Währungen ebenso ausschließt wie von Unternehmen zu profitwirtschaftlichen Zwecken herausgegebene komplementäre Gelder (Blanc 2011: 6). Den von Polanyi (1957a) identifizierten Tauschmodi Reziprozität, Redistribution und Markttausch sowie den damit verbundenen Steuerungssystemen Gemeinschaft, Staat und Markt entsprechend gruppiert Blanc (2011) Komplementärwährungen zunächst anhand dreier Idealtypen von Projekten, deren Natur er als gemeinschaftlich, territorial sowie ökonomisch bezeichnet (Tab. 3).
15 In einer früheren Arbeit versucht Blanc (2009) eine Typologisierung, die von der konkreten organisatorischen Gestaltung der betrachteten Währungen ausgeht. Hier unterscheidet er zivilgesellschaftliche Währungen unter anderem anhand der Hauptziele der Währung, des Modus der Solidaritätskonstruktion (der Nutzer*innen), der Nutzer*innenkreise (Privatpersonen, Gruppen, Unternehmen), der Vielfalt der Aktivitäten, der Größe (Anzahl der Mitglieder), der Möglichkeit der Bezahlung in der Landeswährung, der Schöpfung, der Deckungsart (Blanc 2009: 570ff). Er selbst konstatiert, dass eine solche Vorgehensweise sich letztlich als ungeeignet dafür erweist, trennscharfe Abgrenzungen als Grundlage einer Typologie zu identifizieren (Blanc 2011:5).
7. Zivilgesellschaftliche Komplementärwährungen | 171
Tab. 3: Typen zivilgesellschaftlicher Komplementärwährungen nach Blanc Grundprinzip der Tauschform
Reziprozität (Gabe)
Natur des Projektes Zweck und Gestaltungsprinzipien Soziales Projekt Stärkung von Gemeinschaft, Inklusion, Distanz zum Markt durch Inkonvertibilität Ökonomisches Projekt
Markttausch
Redistribution (politische Kontrolle)
Stärkung eines Wirtschaftsraums, Einbeziehung von Unternehmen; Marktnähe durch Konvertibilität Territoriales Projekt Stärkung des kommunalen Sozialraums; Starke kommunale Beteiligung in der Steuerung
Realtypische Beispiele Tauschringe, LETS, Time Banks
Transition Currencies, Regiogelder
Argentinische Provinzwährungen
Quelle: In Anlehnung an Blanc (2011). In dieser idealtypischen Konstruktion zivilgesellschaftlicher Komplementärwährungstypen anhand der Tauschmodi Reziprozität, Markttausch und Redistribution ordnet Blanc Regiogelder dezidiert marktbasierten Projekten zu.
In einem nächsten Schritt analysiert Blanc, wie die Dominanz eines dieser Prinzipien und/oder ihre spezifischen, hierarchischen Beziehungen oder Kombinationen die jeweiligen Komplementärwährungssysteme formen (Blanc 2011: 6). Territoriale Projekte erkennt er etwa in den von regionalen Regierungen herausgegebenen argentinischen Komplementärwährungen insbesondere der Jahrtausendwende (hierzu Gomez 2010, 2012). Der Zweck solcher Projekte liegt primär in der Stärkung eines spezifischen territorialen, politischen Raums. Soziale Projekte sieht er demgegenüber in solchen gemeinschaftsgetragenen Komplementärwährungen, deren Geltungsraum in sozialen Beziehungen definiert wird. Grundprinzip der Tauschform ist hier die Reziprozität im Sinne der Gabelogik. Zu den dezidierten Zwecken gehören Vergemeinschaftung, Inklusion Ausgegrenzter und Empowerment sowie die Hebung der Lebenslagen. Die Gemeinschaft der Nutzer*innen mag bereits existieren oder mithilfe der Geldform spontan entstehen. Zeitbanken sieht Blanc diesem Idealtypus besonders nahe kommen, da sie mit dem Zeittauschsystem eine vergleichsweise starke Abkoppelung vom Markt erreichen. Der dritte Idealtypus bezieht sich auf ökonomische Projekte. Das Leitprinzip identifiziert Blanc im Markttausch, da diese Geldformen primär wirtschaftlichen Tausch bezwecken und konkret auf dem Markt befindliche
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Unternehmen einbeziehen. Diese Geldformen lassen sich als regionale protektionistische Steuerungsinstrumente sehen, da sie systemimmanent regionale Wertschöpfungsketten und regionale Unternehmen gegenüber außenstehenden bevorzugen und den internen Austausch attraktiver machen. Regiogelder nennt Blanc als Beispiele, die diesem Typus entsprechen (2011: 7). In einem weiteren Schritt integriert Blanc eine zeitliche Dimension in seine Überlegungen und rückt damit den Wandel innerhalb der Komplementärwährungslandschaft in den Blick. Er zeigt in seiner empirischen Gruppierung, dass es mittlerweile vier Generationen von Komplementärwährungen gibt, welche seit den 1980er Jahren entstanden und die sich zunächst entlang seiner dreigliedrigen Typologie herausstellen lassen. Darüber hinaus unterscheiden sie sich jeweils hinsichtlich spezifischer Ausgestaltungen und ihrer konkreten Zwecke. Damit verbunden ist insbesondere der Wandel hinsichtlich der Distanz bzw. der Einbeziehung von Markt und Staat (auf kommunaler Ebene). Auf diese Art ermittelt Blanc vier verschiedenen Generationen beziehungsweise Typen. Tauschringen (Typ I) und Zeitbanken (Typ II) liegt in diesem Sinne eine gemeinschaftliche Natur zugrunde. Das primäre Gestaltungsprinzip ist Reziprozität; in geringerem Ausmaß folgen Tauschringe dem Markttausch (insofern Preissetzung durch die Tauschpartner erfolgt), respektive Redistribution bei Zeitbanken, welche oftmals aufgrund ihrer sozialpolitischen Funktion von Kommunen gefördert werden. Regionalgelder (Typ III) basieren demgegenüber auf dem Markttausch, zumal sie als Tauschmittel regionalisierter Märkte fungieren sollen. Der jüngste Typ bezieht sich auf komplexe, kommunal (mit-)getragene Gelder (Typ IV), die zwar ebenfalls primär der Logik des Marktes folgen, aber enge Verbindungen zu Redistribution und politischer Steuerung aufweisen.16 Blancs Typen lassen sich innerhalb des Dritten Sektors einordnen, zumal sie auf denselben grundlegenden Kategorien basieren. Abbildung 3 veranschaulicht, wie sich die vier Typen in dieses Schema integrieren lassen. In der folgenden Grafik bildet der zivilgesellschaftliche Komplementärwährungssektor selbst den durch das Dreieck aufgespannten Möglichkeitsraum. Dieses Dreieck symbolisiert also die Verortung des Dritten Sektors selbst, welcher in Abbildung 2 noch als Teilbereich aller Formen der Wohlfahrtsproduktion konzipiert und daher als Kreis in der Mitte des Dreiecks eingetragen ist.17
16 Auf diesem Ansatz aufbauend schlägt Fare vor, Versuche von Karbonwährungen als fünfte Generation von Komplementärwährungen aufzufassen (Fare 2012). 17 Diese Abbildung 3 ähnelt demgegenüber der Darstellung des Wohlfahrtspluralismus bei Schulz-Nieswandt (2008: 328), belässt es aber bei Polanyis Terminologie.
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Abbildung 3: Typen von Komplementärwährungen nach Blanc im Dritten Sektor
Quelle: Eigene Darstellung
Typen I und II werden primär über Reziprozität institutionalisiert, unterscheiden sich hinsichtlich der sekundären Logiken und damit der Nähe zu Markt oder Kommune. Nutzer*innen sind zu einem großen Teil Privatpersonen. Typ III basiert auf Markttausch und bezieht vor allem Unternehmen ein. Typ IV erhält seine Besonderheit aus der hervorgehobenen Stellung der Kommunen, die die Komplementärwährung zu politischen Zwecken nutzen, welche auf der Stärkung von Gemeinschaft (Reziprozität) oder der regionalen Wirtschaft (Markttausch) basieren. Dass Blanc diese Typen auch als Generationen bezeichnet, ist der Tatsache geschuldet, dass sich seit den 1980er Jahren innerhalb der Komplementärwährungsbewegung in gewisser Weise eine Abfolge dieser Typen ergeben hat. Jede Generation sucht nach Lösungsmöglichkeiten für spezifische Hemmnisse und Probleme, die sich in verschiedenen Projekten der vorhergehenden Generation herauskristallisiert haben (hierzu: North 2014b). Aufgrund der stärkeren Einbeziehung nichtformaler Kriterien der Unterscheidung von Komplementärwährungen scheint Blancs Schema ein geeigneter Ausgangspunkt für die weitere Untersuchung von Regiogeldern zu sein, da es die Zwecksetzungen bestimmter Komplementärwährungen berücksichtigt, die für deren Selbstverständnis maßgeblich sind. Eine ausführlichere Betrachtung der Typen dient als geeignete Vorbereitung auf die empirische Untersuchung der Regiogelder als spezifischer Form von Komplementärwährungen. In den folgenden beiden Abschnitten erörtere ich daher zunächst die Typen I und II, welche nach Blanc »soziale Projekte« sind und primär der Reziprozität folgen – also Tauschringe und Zeitbanken – und
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dann Typus III, bei welchem der Markttausch wesentlich ist sowie Typus IV, welcher empirisch überwiegend auf einer Kombination aus Markttausch und Redistribution basiert (zu diesen Typen Degens 2013: 18-26). Schließlich erfahren Tauschringe und Regiogelder eine größere Verbreitung und sind Gegenstand der folgenden empirischen Untersuchung.
7.3 TAUSCHRINGE UND ZEITBANKEN Zu den beiden reziprozitätsbasierten Typen zählen sogenannte LETS oder Local Exchange Trading Systems (Typ I) sowie Zeitbanken (Typ II) und verwandte Formen wie Seniorengenossenschaften. Diese Typen entstanden in den 1980er Jahren und verbreiteten sich weltweit.18 Ich erörtere im Folgenden einige grundlegende Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede verschiedener Formen dieser reziprozitätsbasierten Komplementärwährungsformen. Zunächst erscheinen einige Bemerkungen zur Terminologie notwendig: Diese wird sowohl in der Literatur als auch von den Initiativen nicht einheitlich verwendet, weshalb sich eine trennscharfe Abgrenzung von Zeitbanken und LETS als schwierig erweist. Zeitbanken wird zumeist das egalitäre Zeittauschprinzip zugeschrieben. Der Begründer der Zeitbanken, Edgar Cahn,19 sah ein definitorisches Prinzip in der Gleichsetzung einer geleisteten Arbeitsstunde mit einem Time Dollar (Cahn 2001). Die menschliche Arbeitszeit fungiert somit als Wertmaß (Hallsmith/Lietaer 2011: 137ff.) und Zeit als Namensgeber für diese Form von Tauschringen. Dieses Prinzip besagt also, dass die Mitglieder in diesen auf Gegenseitigkeit beruhenden Tauschsystemen untereinander Güter und Dienstleistungen auf Basis der zu ihrer Herstellung benötigten Zeit eintauschen. In LETS wird hingegen nicht notwendigerweise zeitbasiert getauscht, sondern werden Preise zwischen den Tauschpartner*innen ausgehandelt. Allerdings findet das Zeittauschprinzip auch in einigen LETS Anwendung.20 Der Name »LETSystem« entstammt ursprünglich
18 Die Diffusion von Tauschringen wird von Wagner (2009) mit Blick auf Deutschland unter Rückgriff auf die Nischentheorie erörtert (auch Longhurst 2012). Bezogen auf Deutschland zeigt sich die Bedeutung der räumlichen Nähe für die Diffusion von Tauschringen. Hinz und Wagner (2010:75) führen dies auf die einfache Informationsübergabe bei geringer räumlicher Distanz zurück. 19 Cahn wird meist als Begründer genannt, auch wenn unabhängig von seinem Projekt beispielsweise in Italien die Banche del Tempo entstand (Blanc 2011: 8). Ein weiteres wegweisendes System ist der Fureai Kippu (Fürsorge-Tickets) in Japan (Lietaer 2008: 212f.). 20 Auch innerhalb von Zeitbanken existieren verschiedene Systeme. Einige wenden nicht das egalitäre, sondern ein modifiziertes Zeittauschsystem an, bei der verrechnete Stunden nach Qualifikation gewichtet und nicht egalitär gleichgesetzt werden (Hubert 2004: 176f).
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dem von Michael Linton in wirtschaftlicher Krisenzeit Anfang der 1980er gegründeten System in Comox Valley, Kanada (North 2007: 85) und verbreitete sich gerade bis zur Jahrtausendwende stark. In LETS wird (Arbeits-)Zeit zwar oft als eine (normative) Richtlinie für den Tauschwert eines Gutes angesehen, sie determiniert diesen aber nicht (Blanc 2011: 8). Ich verwende den Begriff Tauschring als übergeordnete Kategorie, innerhalb derer sich zeitbasierte und nicht-zeitbasierte Systeme finden. Tendenziell (aber eben nicht trennscharf) gehören Zeitbanken der ersten, LETS der zweiten Form an. Tauschring-Währungen sind grundsätzlich nicht konvertibel in die jeweilige Landeswährung (Blanc 2011, Peacock 2006, Zelizer 2005), wenn auch Zahlungen in einer Kombination von beiden Währungen erfolgen mögen, sodass prinzipiell eine Verrechnung möglich ist.21 Der Geltungsbereich ist auf Mitglieder des Tauschrings begrenzt. Tausch innerhalb der Teilnehmer*innenkreise ist durch ein eigenständiges Medium vermittelt. Dieses existiert meist nicht in einer physischen Form, sondern als Verrechnungseinheit, deren Zirkulation in einer zentralisierten Buchführung registriert wird. Mitglieder von Tauschringen geben ihre Angebote und Nachfragen in einem Verzeichnis an und tauschen sie auf Basis ihrer lokalen Währung.22 In Tauschringen entsteht die Geldeinheit im Moment der Transaktion, es handelt sich um Kredit- oder Kreditgeldschöpfung. Wenn also z.B. Liam eine Leistung von Sophie nachfragt, er sich etwa frisieren, den Rasen mähen oder den Computer einrichten lässt, folgt eine Übertragung der Verrechnungseinheiten von Liam zu Sophie. Liam kann dabei auch ins Minus gehen. Im Gesamtsystem ist die Summe der Geldeinheiten somit stets null, da sich die negativen und positiven Guthaben der Teilnehmer*innen stets ausgleichen. Tauschringwährungen sind nicht knapp: Alle Mitglieder können Kreditgeld schöpfen, wenn auch der Schöpfungsrahmen für das einzelne Mitglied gedeckelt sein kann, um zu große Ungleichheiten zu vermeiden.
21 Servet sieht hierbei einen Unterschied zwischen französischen und anglophonen Komplementärwährungssystemen. Während bei französischen Systemen wie dem SEL (système d’échange local) die nationale Währung überwiegend vollständig abwesend sei, würden bei Tauschvorgängen in anglophonen LETS oftmals lokale und nationale Währungen kombiniert (Servet 2009: 86). 22 Einige Tauschringe nutzen ausschließlich ein zentrales Buchhaltungssystem, andere lassen Scheine zirkulieren. Diese müssen allerdings in das Kontensystem nachgetragen werden und fungieren als Schecks, also als Schuldscheine. Hierdurch vereinfacht sich der Austausch im Moment der Transaktion, da das Buchhaltungssystem nicht unmittelbar genutzt werden muss. Gleichzeitig ist der Aufwand der Buchführung größer. Der technologische Fortschritt lässt vermuten, dass solche analogen Instrumente weiter an Bedeutung verlieren, da sich Buchungssysteme mittlerweile einfach gestalten lassen, nutzerfreundlich sind und etwa über Telefone und Smartphones jederzeit Einträge generiert werden können.
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Tauschringe werden in der Literatur teilweise sogar als parallele Wirtschaftskreisläufe auf nichtmonetärer Basis bezeichnet (Köstler 2007, Wagner 2009: 32f). Dies ist aber irreführend, da Tauschringe, selbst wenn man sie nicht als selbstständiges monetäres Medium ansieht, nicht losgelöst vom Wertmaß sind. Preise in der Landeswährung dienen meist als Referenz, bei vielen Tauschringen, die nicht das strikte Zeittauschprinzip anwenden, ist auch die jeweilige Recheneinheit an die des gesetzlichen Zahlungsmittels gekoppelt. Es lässt sich also festhalten, dass »[t]heir function as money-of-account is entirely parasitic on the national currency […]; a fullyfledged monetary economy is a precondition of LETS insofar as LETS’ currencies are related to the national money-of-account.« (Peacock 2006: 1070) In Tauschringen werden Güter und Dienstleistungen gehandelt, ohne dass die Tauschenden dabei auf Liquidität innerhalb der herkömmlichen Währung angewiesen sind. Bei diesen Tauschringen werden zudem im besonderen Maße Dienstleistungen und Güter getauscht, die nicht über den Markt koordiniert werden können, zumindest für bestimmte Personen nicht über einen Markt zu erwerben oder zu veräußern sind (Überblicke zu LETS bieten Williams 1996; Seyfang 2001, 2004; Peacock 2006, 2014). Gerade in zeitbasierten Tauschringen unterliegt der Tausch nicht oder zumindest deutlich weniger einer ökonomischen Logik als in Tauschringen ohne Zeitwährung, bei denen sich Preise aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage bilden. Zeitbanken stellen demgegenüber eher formalisierte Systeme generalisierter Reziprozität (im Sinne der Sahlinsschen Typologie) dar, welche Sozialkapital bilden und zur Ermächtigung beitragen (Whitham/Clarke 2016). Reziproke Tauschbeziehungen zielen darauf ab, ausgegrenzte oder ökonomisch benachteiligte Gruppen, beispielsweise Ältere, Kranke, Frauen, Arbeitslose oder Kinder, zu unterstützen.23 Daher werden Zeitbanken auch als sozialpolitisches Instrument gesehen und arbeiten mit lokalen Regierungen und Behörden zusammen oder werden von der öffentlichen Seite mitinitiiert. Sie erfahren unter bestimmten Umständen auch Steuerbefreiungen, weil sie als gemeinnützig anerkannt werden (so die Zeitbanken im Vereinigten Königreich (Hart 2001: 279-283). Allgemein formuliert Hart, dass sie solange wie »mice in the basement« geduldet (Hart 2001: 281) werden, solange sie klein und für die Gesamtwirtschaft nicht sichtbar bleiben. Anwendung findet das Prinzip der Zeitbanken etwa auch in Seniorengenossenschaften und ähnlichen Pflegeassistenzprojekten, bei denen jedoch der Tausch in die Zukunft verschoben wird 23 Time Banks unterhalten in der Regel ein lokales Büro oder einen Laden vor Ort, also einen zentralen Ort der Zusammenkunft. Bezahlte Mitarbeiter pflegen die Datenbanken und übernehmen weitere Aufgaben wie die Rekrutierung neuer Mitglieder, Organisation von Veranstaltungen, Bereitstellung von Informationen etc. Die meisten Zeitbanken werden in Zusammenarbeit mit bereits existierenden Institutionen wie Krankenhäusern, Kirchen, (Senioren-)Wohnheimen oder Schulen errichtet (Collom 2011: 148). Der hohe Organisationsgrad zeigt sich ebenfalls in nationalen Dachorganisationen (Adams/Mouatt 2012).
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(Elsen 2014: 43). Hier erwerben Mitglieder durch Pflege- und andere Dienstleistungen Ansprüche auf Versorgungsleistungen, die sie zu einem späteren Zeitpunkt einlösen können (zu Seniorengenossenschaften ausführlich Köstler 2006, 2007; Köstler/Schulz-Nieswandt 2010). Somit wird die Tauschfunktion durch eine Wertaufbewahrungsfunktion ergänzt, welche sich allerdings auf spezifische Leistungen innerhalb des Mitgliederkreises bezieht und nicht extern konvertibel ist. In einer umfassenden Studie unter Mitgliedern einer etablierten Zeitbank identifiziert Collom vier unterschiedliche Motivationen zur Partizipation: ökonomischinstrumentelle, ideologisch-wertbasierte, soziale sowie altruistische Motivationen (Collom 2011; auch Collom et al. 2012: 111-142). Dabei stellt er fest, dass die meisten Mitglieder aus einer ökonomischen Motivation heraus an Tauschringen teilnehmen, wenn diese auch mit sozialen Zielen verbunden sind (Collom 2011: 163). Genutzt werden Tauschringe besonders von denjenigen, die aufgrund ihrer schwachen ökonomischen Position verstärkt auf sie angewiesen sind, wie zum Beispiel Arbeitslose oder Rentner*innen. Neben solchen wirtschaftlichen Anreizen lässt sich für einen weiten Teil der Nutzer*innen Partizipation mit ideellen Motiven erklären. Als überwiegendes Motiv zur Partizipation in Tauschringen wird die Stärkung gemeinschaftlicher Beziehungen genannt, daneben gibt es »ideologisch« motivierte Mitglieder, die beispielsweise eine nachhaltige Lebensweise auf Grundlage eines Lokalitätsprinzips anstreben. So teilt North Mitglieder grundlegend in »humanizers« (North 2007:87-89) und »greeners« (North 2007:90f) ein, also Mitgliedertypen, die entweder menschlich-soziale oder ökologisch nachhaltige Wirtschaftsweisen mit LETS erreichen möchten. Erstere wollen die Wirtschaft humanisieren, indem sie ökonomische Werte an außerökonomische, teilweise spirituelle24, knüpfen. Gerade Arbeit soll jenseits ihrer kapitalistischen Verwertbarkeit wertgeschätzt werden, womit auch die als feminin eingestuften Tätigkeiten der (Für-)Sorge aufgewertet werden (hierzu ausführlich Raddon 2003, die Tauschringe und Ithaca HOURS mit Blick auf gender-Konstruktionen analysiert). Dieses Ziel der Humanisierung von Wirtschaft entspricht in Polanyis Terminologie dem Versuch der (Wieder-)Einbettung in Reziprozitätsbeziehungen. Unter Rückgriff auf Zelizers Terminologie findet sich ein Markieren, welches Geld von innen formt, nämlich als Vehikel nicht der rationalen Kalkulation, sondern als affektives, emotionales Regulatorium der Tauschbeziehungen (hierzu North 2007: 89f). Die Ausführungen zeigen bereits, dass sich Partizipation in Tauschringen nicht (oder zumindest nicht allein) durch das innerhalb der Systeme erzielbare Tauschergebnis erklären lässt (wie es eine rationalistische Theorie postulieren würde). In Anlehnung an Offe und Heinze kann zwischen dem Produktnutzen und dem Prozessnutzen unterschieden werden (1990: 343f). Ersterer bezieht sich auf 24 North (2007:87) sieht gerade in der Bewertung von Arbeit jenseits ihrer Verwertbarkeit in der kapitalistischen Ökonomie einen großen spirituellen Bezugspunkt und verweist auf Schumachers (1973) Idee der buddhistischen Ökonomik.
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das Tauschergebnis, letzterer auf den Prozess der Ergebniserzielung, also etwa die Freude und das Wohlbefinden, welches die Partizipation im Tauschring und die persönlichen Tauschbeziehungen schaffen (für Seniorengenossenschaften zeigt dies Köstler 2006: 227f). In der Literatur werden mögliche Wirkungen von Tauschringen hinsichtlich ihrer ökonomischen, sozialen und gemeinschaftsbildenden Zielsetzungen untersucht. Dabei werden insbesondere die begrenzte Reichweite (North 2005) sowie die Problematik langfristiger Stabilität thematisiert (Williams 1996, van Ouytsel/Vanderweyden 2004).25 Unabhängig von der insgesamt geringen ökonomischen Bedeutung und der Kurzlebigkeit vieler Initiativen, vermögen es Tauschringe (wie andere Komplementärwährungen) jedoch, festgefahrene Alltagsvorstellungen von Geld und Arbeit zu hinterfragen. Auch Aktivist*innen nennen dies explizit: »LETS’ major achievement in the UK context is to educate people in the nature of money and work« (Scott Cato 2009: 81). Viele Tauschringe scheitern nach einer kurzen Phase der Expansion oder unterliegen zumindest einem starken Rückgang im Tauschvolumen (Blanc 2011: 8). Als eine Ursache des Niedergangs wird oftmals eine mangelnde zentrale Steuerungskapazität gesehen, weshalb hohe Ungleichgewichte nicht verhindert werden. So mögen Sanktionsmechanismen gegenüber Mitgliedern fehlen, die sich nach
25 Hinsichtlich sozialer, Ungleichheit reduzierender Wirkungen von LETS wird unter anderem die Eingliederung von Ausgegrenzten ins Arbeitsleben thematisiert. LETS fördern überwiegend Austausch jenseits formaler Beschäftigung, ihre Möglichkeiten zur Schaffung regulärer Beschäftigung sind daher gering (Williams et al. 2001; van Ouytsel/Vanderweyden 2004). Sie können jedoch informelle Beschäftigung erleichtern und zu sozialer Inklusion beitragen (Seyfang 2001, 2004). Allerdings bleibt dieses Potenzial umstritten. Schließlich sind gerade arme, vom Arbeitsmarkt ausgegrenzte Personen von den Tauschsystemen in weit höherem Maße abhängig als solche, die einer formellen Beschäftigung nachgehen. Letztere können das Tauschsystem so lange nutzen, wie sie wollen, haben aber immer eine Exit-Option, die sie gerade dann nutzen können, wenn auf dem Markt ein (deutlich) höherer Preis für ihre Leistungen oder Güter zu erzielen ist als innerhalb des Tauschsystems (Paul 2009; Lee 1996; Boulianne 2006). Die höhere Abhängigkeit und Beteiligung der Arbeitslosen und gering Qualifizierten mag demnach ein nicht intendiertes Hindernis für die Reduzierung von Ungleichheit darstellen. Denn ihre Angebote basieren in größerem Maße auf arbeits- und zeitintensiven Tätigkeiten, während Angehörige der Mittelschicht eher wertvollere Gegenstände oder auf qualifizierteren Fähigkeiten basierende Dienstleistungen anbieten, die zu einem geringeren Anteil den Einsatz von Zeit erfordern (Ingham 2004: 185). Ungleichheiten zwischen höher und geringer qualifizierten (potenziellen) Arbeitnehmern können daher durch LETS reproduziert werden (Bowring 1998: 104; vgl. auch Peacock 2006). Dies gilt insbesondere dann, wenn Preise zwischen den Tauschpartnern frei ausgehandelt werden können.
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einer Verschuldung aus den Tauschaktivitäten zurückziehen (Kent 2005: 132, Douthwaite 1999). Es handelt sich somit um ein klassisches Trittbrettfahrerproblem. Ein größeres Hemmnis für Tauschringe und ihre langfristige Funktionsfähigkeit sind allerdings Mitglieder, die ein zu hohes Guthaben ansammeln und es nicht verwenden können oder es zumindest nicht zu verwenden wissen. Dies trifft oftmals gerade auf Geschäfte und Unternehmen zu, da diese vergleichsweise attraktive Angebote für die privaten Mitglieder bieten und stark nachgefragt werden (vgl. die Fallstudien in 9.2 und 9.3). Raddon (2003: 151-153) führt am Beispiel eines Tauschringes und auch der Ithaca HOURS an, dass das Potenzial solcher Projekte, Betriebe zu fördern, eher gering ist. Betriebe partizipieren ihrer Ansicht nach eher, um die Tauschringe zu unterstützen, als dass sie eigene Vorteile erwarten würden. Es besteht ein Konflikt zwischen ökonomischem Wachstum, also der Ausweitung lokaler Gelder auf größere Personenkreise sowie der Ausweitung von Transaktionen unter den Mitgliedern, und den Motiven der meisten Mitglieder, Tauschringe zu nutzen (Peacock 2006, 2014). Sollen Tauschringe zu einer breiten Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der ökonomisch schwächeren Mitglieder beitragen, müssen sie expandieren und der herkömmlichen Wirtschaft näherkommen. Es gilt vor allem, Unternehmen, Geschäfte und Betriebe zu integrieren, da diese die Attraktivität des Tauschringes deutlich erhöhen können. Viele Teilnehmer*innen mögen aber einer Expansion kritisch gegenüber stehen, da sie die vergleichsweise hohe Intimität einer engen Gemeinschaft wertschätzen26 (Peacock 2006: 1076) oder eine nachhaltige, auf Lokalität basierende Lebensweise anstreben. Keith Hart (2001: 279-283) beschreibt diesen Konflikt am Beispiel der Tauschringe in Manchester als Gegensatz libertärer und kommunitaristischer Einstellungen der Mitgliedergruppen (auch North 2007: 79-102). Da die Mehrheit der Mitglieder ökonomisch nicht auf den Tauschring angewiesen ist, steht dieser Wunsch einer Expansion entgegen: »LETS are thus in a dilemma: becoming economically significant may dilute the values that members pursue, which, for many, represent the raison d’être of LETS, but remaining economically insignificant implies remaining somewhat ›elitist‹ in their membership and relinquishing the fulfillment of their potential to help the less fortune« (Peacock 2006: 1078).
26 Diese Schaffung von Gemeinschaft wird meist als eine große Stärke von Tauschringen genannt. Es sei allerdings daran erinnert, dass enge Gemeinschaften auch soziale Kontrolle ausüben (Plessner 2002). Paul versteht daher nicht die »Hoffnungen«, Tauschringe könnten eine neue Gemeinschaftlichkeit erzeugen. Schließlich kann die Identifizierbarkeit von Personen und Zahlungen zum »Gängelband […werden], mittels dessen Freiheit zum Konformitätszwang gerät« und Gemeinschaft droht »sich aus einem Refugium in ein Gefängnis« zu verwandeln (Paul 2012: 228f).
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Es lässt sich eine typische Entwicklung festmachen: Auf eine sehr erfolgreiche Gründungsphase folgt eine Art Ernüchterung, die mit enttäuschten wirtschaftlichen Hoffnungen in Bezug auf das Wachstum des Tauschringes einhergeht. Möglicherweise verstärkt sich der Stagnationsprozess dadurch, dass diejenigen Mitglieder, die relativ hohe ökonomische Erwartungen hatten, aussteigen. Die Zusammensetzung des Tauschringes wird homogener, da vor allem ideologisch motivierte Mitglieder verbleiben, die den Tauschring als »reale Utopie« (vgl. Wright 2012) einer anderen Wirtschaftsweise (und weniger als pragmatische Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten) sehen. Dadurch schwindet die Attraktivität des Tauschringes für andere Personenkreise, die sich nicht in demselben Maße mit der ideologischen Zielsetzung identifizieren, wodurch weiteres Wachstum stärker erschwert wird (ähnlich argumentiert Wagner 2009: 220-223). Das Verhältnis zur herkömmlichen, formalen Wirtschaft ist ein entscheidendes Merkmal auch für die Einordnung von Tauschringen mit Blick auf ihre Klassifizierung als reziprozitätsbasierte Komplementärwährungsform. Denn auch innerhalb der Tauschringe lassen sich verschiedene Formen erkennen, welche eine unterschiedliche Nähe zum Markttausch sowie zur formalen Wirtschaft aufweisen und daher im Dreieck zwischen Reziprozität, Redistribution und Markt unterschiedlich positioniert werden können. Auch innerhalb vieler Initiativen wird die Debatte um die Nähe zum Markttausch und zur herkömmlichen Wirtschaft geführt (etwa Hart 2001: 279-283, North 2014b). Eine solche Nähe zum Markttausch kann sich einmal in den Tauschpraktiken selbst ausdrücken, wenn etwa statt des Zeittauschprinzips Preise innerhalb des Tauschrings durch Angebot und Nachfrage ermittelt werden. Formal zeigt sich Nähe zum Markttausch aber auch in einer stärkeren Einbindung in die herkömmliche, formelle Wirtschaft. Mit einer stärkeren Hinwendung zum Markttausch und der Einbeziehung von Unternehmen kann die Frage einhergehen, ob eine Besteuerung notwendig ist oder Tausch im Tauschring von der Steuer befreit bleiben kann (Hart 2011: 279-281).
7.4 REGIOGELDER Zu den von Blanc als »ökonomische Projekte« bezeichneten Formen der markttauschbasierten Komplementärwährungen gehören Regiogelder (Typ III). In diesem Abschnitt biete ich einen kurzen Blick in die Literatur zu solchen Komplementärwährungen. Dieser dient dazu, den Hintergrund für die folgenden Fallstudien aufzuzeigen. Regiogelder stellen einen Versuch dar, bestimmte Problemfelder von Tauschringen und Zeitbanken zu lösen, indem sie eine stärkere Nähe zur jeweiligen natio-
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nalen Währung suchen. Denn darüber soll die Attraktivität insbesondere für Unternehmen erhöht werden.27 Lassen sich Tauschringe und Zeitbanken zu großen Teilen dem informellen Sektor zuordnen, werden Regiogelder grundsätzlich im formellen Sektor verwendet (Schussmann 2005: 4). Solche Typen von Komplementärwährungen, zu denen neben den deutschen Regiogeldern und den britischen Transition Currencies die in der Szene bekannten Ithaca HOURS und BerkShares in den USA (Maurer 2003, 2005), aber auch die brasilianischen Gemeinschaftsbanken gehören, verfolgen primär ökonomische Zwecke (Blanc 2011: 8f.). Meist werden sie von NonProfit-Organisationen, manchmal von genossenschaftlichen Banken eingeführt oder verwaltet. Regiogelder sind meist im Verhältnis 1:1 an die jeweilige staatliche Währung gekoppelt und konvertibel. Dies ist ein wesentliches Abgrenzungskriterium zu Tauschringen. Denn Regiogelder werden im Tausch gegen die nationale Währung ausgegeben und nicht im Zuge der Transaktion als Kreditgeldform geschöpft. Regiogelder unterscheiden sich damit von Tauschringen insofern, als sie weniger ein Instrument dezentraler Schaffung zusätzlicher Liquidität darstellen (Ryan-Collins 2011: 64). Daher beziehen Regionalgelder nicht im selben Maße ausgegrenzte oder wirtschaftlich benachteiligte Bevölkerungsgruppen ein. Im Vergleich zu Zeitbanken und LETS werden insgesamt verstärkt Güter der herkömmlichen ökonomischen Sphäre gehandelt. Die Konvertibilität von Regiogeld bedeutet eine strikte Abkehr vom Zeittauschprinzip. Von vielen Tauschringen unterscheiden sich viele Regiogeldsysteme des Weiteren dadurch, dass sie in der Regel Papiergeld herausgeben (North 2014b). Die optische Gestaltung der Geldscheine dient bei den meisten Regiogeldern dazu, die Verankerung in der Region zu dokumentieren und durch möglichst integrierende Motive zu symbolisieren. Sie unterscheiden sich insofern nicht von anderen Geldern, als die Gestaltung von Münzen und Scheinen immer auch dazu dient, den Geltungsbereich des Geldes auszudrücken.28 Bei Regiogeldern üblich sind Motive
27 In dieser Argumentationslinie skizziert Wagner im Anschluss an ihre Analyse von Tauschringen, dass möglicherweise ein Zusammenspiel von Tauschringen und Regiogelder – wie auch immer dies aussehen mag – helfen könnte, heutige gesellschaftspolitische Probleme zu lösen (Wagner 2009: 266). Diese Überlegung fußt auf der Feststellung, dass Tauschringe lediglich begrenztes ökonomisches Potenzial aufweisen. Tatsächlich werden solche Überlegungen aufgegriffen. Der Vorarlbergstaler etwa soll als Regiogeld einen Tauschring ergänzen (9.3). Das Kingston Pound in London regt explizit zur Teilnahme im örtlichen LETS an und soll durch die Kombination eines »asset-based« (Regiogeld) mit eines »commitment-based« System (Tauschring) eine größere Bandbreite an Personen erreichen (Kingston Pound o.J.) 28 Nationalstaatliche Papiergelder im späten 19. Jahrhundert wurden demgegenüber gerade mit nationalistischen Motiven versehen (Helleiner 2003: 101). Zur Annäherung an die Gestaltung von Geldnoten als Gegenstand einer visuellen Soziologie vgl. Thiel (2013).
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aus der Region, etwa besondere oder typische Landschaftsbilder, architektonisch bedeutende Werke oder berühmte Persönlichkeiten. Sie symbolisieren die Gemeinschaft der Geldnutzer*innen. Für die Verbreitung von Regiogeldern ist das Transition Movement von großer Bedeutung. Hierbei handelt es sich um eine Nachhaltigkeitsbewegung mit dem Ziel, lokale Resilienz zu fördern. Transition Towns wollen einen Übergang hin zu postfossilen, autarken lokalen Ökonomien herbeiführen (Hopkins 2008). Resilienz lässt sich als systemische Kapazität verstehen, externe Schocks und Wandel zu verkraften (Walker et al. 2004: o.S.) Resiliente Gemeinschaften müssen in der Lage sein, ihren Bedarf in hohem Maße durch Eigenproduktion abzudecken. Komplementäre Währungen können aus Sicht der Transition Bewegung ein Mittel hierfür sein, indem sie lokale Produktion und lokalen Tausch stärken (Paech 2013: 117). Das 2007 in Umlauf gegangene Totnes Pound ist die erste der sogenannten Transition Currencies (Ryan-Collins 2011, Longhurst 2012). Es folgten zunächst Lewes, dann Stroud sowie Brixton und Bristol. Diese Transition Currencies stehen vor spezifischen Problemen und Hindernissen für ihr Wachstum und das Erreichen einer Mindestgröße an Nutzer*innen. Aus Sicht der Unternehmen stellen eingeschränkte Verwendungsmöglichkeiten des Regiogeldes ein Kernproblem dar, das die Praktikabilität der Regiogeldverwendung einschränkt. Aus Sicht der Organisation ist die Knappheit an für die Verwaltung und Vermarktung notwendigen Ressourcen zu nennen. Da selbst das hohe Maß an ehrenamtlichem Engagement der Aktivist*innen nicht ausreicht, um den dauerhaften Umlauf sicherzustellen, müssen Unterstützer*innen gefunden werden (Longhurst 2012: 182). Um viele Nutzer*innen zu erreichen, erscheint ein spezifisches Framing des Projektes notwendig, mit welchem eine Neuakzentuierung der Ziele einhergehen kann. So teilt nicht die gesamte Zielgruppe die ökologisch-politischen Vorstellungen der Aktivist*innen. Die Schaffung von Gemeinschaft oder die Stärkung regionaler Wirtschaft (gegenüber der ökologisch strikteren Forderung autarker Transition Towns) sind typische Zielsetzungen, die in diesem Sinne über den öko-politischen Kern der Transition Currencies hinausgehen. 29 Ein wesentliches Ziel von Regiogeldinitiativen ist demnach die Stärkung oder Dynamisierung der regionalen Wirtschaft, indem insbesondere Konsumgüter des täglichen Bedarfs auf regionaler Ebene produziert und gehandelt werden sollen. Hierzu soll der Konsum auf regional verankerte KKMUs gelenkt werden. Denn diese reinvestieren (im Vergleich zu nationalen oder internationalen Unternehmen oder Unternehmenskonglomeraten ohne starke regionale Verwurzelung) einen deutlich größeren Teil ihrer Einnahmen auch wieder lokal und fragen lokal angebotene Produkte oder Dienstleistungen nach. Es ergibt sich eine deutlich höhere Multiplikatorwirkung lokal verwendeten Geldes 29 Gemeinnützige Zwecke werden von Regionalgeldern oftmals durch Gebühren und Abgaben zugunsten spezifischer Projekte, Stiftungen oder Vereine erreicht. Auch hierfür ist der Chiemgauer ein Beispiel (Gelleri 2008).
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für die lokale Wirtschaft. Auf Basis einer Kalkulation über drei Runden schätzt die New Economics Foundation, dass der lokale Multiplikator tatsächlich einen Faktor von bis zu 2,2 aufweist, d.h. für jeden lokal verwendeten Euro folgen weitere lokale Investitions- oder Konsumausgaben (Sacks 2002). Viele Regiogelder implementieren einen Negativzins (6.2.1) als weitere Umlaufbeschleunigung. Die Idee ist, dass der regelmäßige Wertverlust des Geldes Hortung verteuert, die Verwendung für den Kauf im Vergleich vergünstigt und somit die Zirkulation erhöht. In der Tat scheint die Umlaufgeschwindigkeit von Regiogeld höher als die staatlicher Währungen (Godschalk 2012). Problematisch an diesen Vergleichen ist allerdings die zugrundeliegende Verzerrung der Samples: Die durchschnittliche Umlaufgeschwindigkeit des Pfundes bzw. des Euros wird in Beziehung gesetzt zu der eines lokal oder regional für den Konsum verwendeten (Zelizer würde sagen: markierten) Geldes. Schließlich liegt die höhere Umlaufgeschwindigkeit vermutlich nicht (zumindest nicht nur) am Negativzins und der damit begründeten Umlaufsicherung, sondern vielmehr an der Verwendungszuschreibung der Nutzer*innen. D.h. nicht ein technisches Merkmal des Geldes, sondern sein »soziales Leben« (Dodd 2014), seine soziale Infrastruktur beeinflussen die Verwendung.30 In Regiogeldsystemen werden Beteiligungen kleinster, kleiner und mittlerer Unternehmen sowie insbesondere lokaler Geschäfte angestrebt, die die Komplementärwährung auch untereinander akzeptieren (Fare 2012: 3). Die Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe als Ziel von Regiogeldern bedeutet nicht nur die Einbeziehung von Geschäften in den Kreislauf der Komplementärwährung, sondern erfordert vor allem auch, dass diese Unternehmen ihrerseits Vorprodukte und Dienstleistungen auch aus der Region beziehen. Viele Regiogeldinitiativen bauen auf der Annahme auf, dass das nur regional akzeptierte komplementäre Geld den intraregionalen Handel stärkt, schließlich »verhindern [sie] einen Abfluss der darin gebundenen Kaufkraft außerhalb der Region.« (Glauch 2012: 272). Allerdings würde ein kausaler Mechanismus, dass Regiogeld die Bindung von Kaufkraft und Nachfrage nach regionalen (Vor-)Produkten und Dienstleistungen zur Folge hat, bedingen dass tatsächlich keine Exit-Möglichkeiten seitens der Nutzer*innen bestehen. Wenn aber das Regiogeld zurückgetauscht werden kann, dann verliert auch das regional-bindende Element des Geldes seine Kraft (Rücktauschgebühren würden dann einen Mechanismus darstellen, zumindest einen Teil des Umsatzes in der Region zu investieren). Doch in 30 Godschalk (2012) liefert einen weiteren, ökonomischen Erklärungsansatz, indem er sich auf Greshams Gesetz bezieht: Schlechtes Geld verdrängt gutes Geld. Euro und Pfund kann jede Konsument*in jederzeit und überall einsetzen; Verwendungsmöglichkeiten von Regiogeld sind nicht nur an die Lokalität, sondern an die Bereitschaft jedes einzelnen Unternehmens, das Geld zu akzeptieren, und allgemein an der Überlebensfähigkeit der Regiogeldorganisation gebunden. Die ökonomische Inferiorität als allgemeines Tauschmittel ist für Godschalk entscheidend für die höhere Umlaufgeschwindigkeit.
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der Regel ist ein Rücktausch möglich. In vielen Fällen sind Rücktauschgebühren implementiert, um den Abfluss aus dem Regiogeldsystem zu verteuern.31 Aus unternehmerischer Sicht scheint es sogar geboten, solche Exit-Optionen zur Verfügung zu haben. Denn wenn keine geeigneten (Vor-)Produkte in der Region bezogen werden können, ist der Rücktausch die einzige unternehmerische Verwendungsmöglichkeit. Ohne Rücktauschoption hätten Unternehmen kaum Anreize, Regiogeld zu akzeptieren. Exemplarisch zeigt eine Studie zum Lewes Pound, dass die Hälfte der Unternehmen tatsächlich Regiogeld zurücktauschen, da sie keine Verwendungsmöglichkeiten sehen (Graugaard 2012: 253). In der Literatur werden einerseits Erfolge hinsichtlich der regionalen oder lokalen Wirtschaftsentwicklung festgestellt, auch weil Transaktionskosten für zwischenbetriebliche Kredite sinken (Grover 2006). Andererseits zeigt sich in jüngerer Zeit eine gewisse Ernüchterung, da es trotz einiger Ausnahmen wie dem Chiemgauer (Gelleri 2008) nur in geringem Maße gelungen ist, Kreisläufe auf- oder auszubauen (North 2014a, Degens 2016a). Die Auswirkungen bleiben gering, wenn nicht genügend Anreize bestehen, die parallele Währung zu nutzen. Vor diesem Hintergrund rückt eine aktive Rolle kommunaler Akteur*innen in das Blickfeld, wie sie sich gerade in jüngeren Projekten findet (ausführlich: Blanc/ Fare 2013). Kommunen können etwa durch die Akzeptanz von Regiogeld als Zahlungsmittel für kommunale Steuern die Legitimität der Projekte erhöhen und eine attraktive Verwendungsmöglichkeit bieten. Hiermit ist die Rolle der Kommune als wirtschaftliche Akteur*in angesprochen. In den Fallstudien (Kapitel 9-11) komme ich auf die Bedeutung dieses Aspektes ausführlicher zurück. In vielen Komplementärwährungssystemen nimmt die Kommune aber auch eine sehr starke Rolle in der Planung und Steuerung der Komplementärwährungsorganisationen selbst ein. Daher ordnet sie Blanc (2011) als vierten Typus neben Regiogelder, LETS und Zeitbanken ein.32 Abgesehen von der Einbindung von Kommunen hängt das Potenzial von Regiogeldern, regionale Wirtschaft zu stärken, davon ab, wie viele Bürger*innen und Unternehmen das Regiogeld nutzen. Mit Blick auf den Konsum ist zu bedenken, dass 31 Hier unterscheiden sich verschiedene Formen dieses Typus. Im Falle der Ithaca HOURS ist der Abfluss in den Dollar gar nicht möglich, während die Regiogelder in Deutschland den Abfluss über Gebühren nicht unmöglich machen, aber eindämmen (Blanc 2011: 9). 32 Gerade in jüngster Zeit entstanden verschiedene Pilot- und Versuchsprojekte, bei denen unter Beteiligung des öffentlichen Sektors (meist auf kommunaler Ebene) eine komplementäre Währung eingeführt und genutzt wird, welche Anreize zu speziellem ökologischen oder sozialen (Konsum-)verhalten bietet. Beim Kauf bestimmter biologischer, fair gehandelter oder regionaler Produkte erhalten Kunden Rabattpunkte, die sie für bestimmte Waren oder Leistungen einsetzen können (vgl. Joachain/Klopfert 2011). Systeme dieser vierten Generation entfernen sich insofern von Regiogeld, als sie nicht immer durch Landeswährung gedeckt und konvertibel sind.
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Regiogeld vermutlich gerade von denjenigen Verbraucher*innen verwendet wird, die grundsätzlich eher regional konsumieren. Regiogeld schafft daher nicht zwingend zusätzlichen regionalen Konsum, sondern substituiert zu einem großen Teil als Zahlungsmittel die jeweiligen Landeswährung. Befürworter*innen nennen über die tatsächliche, momentane Stärkung regionaler Ökonomien hinaus einen weiteren Grundgedanken komplementärer Währungen als wesentlich: Sie sollen auf einen möglichen Kollaps des herkömmlichen Geldsystems vorbereiten. Der Grundgedanke ist, dass Regionalwährungen jetzt schon eine mentale Abkopplung von (national-)staatlichen Währungen ermöglichen, auch wenn ihre ökonomische Bedeutung erst dann signifikant zunimmt, wenn letztere ihre vorgehobene Stellung und ihre Stärke einbüßen (vgl. North 2010). 33 Unabhängig von der jeweiligen Zielsetzung und den konkreten Ansprüchen der Organisationen machen Unternehmen für Regiogeld eine Kernzielgruppe in zweierlei Hinsicht aus. Erstens ist die Förderung lokal verankerter Unternehmen Ziel von Regiogeldinitiativen. Die Partizipation dient aus dieser Sicht den Unternehmen selbst. Die Stärkung regionaler Wirtschaft und die Lenkung von Konsummustern hin zu örtlichen Unternehmen strebt eine Steigerung der Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen solcher Unternehmen und Geschäfte an. Zweitens ist die Funktionsfähigkeit der Regiogeldprojekte auf die Partizipation von Unternehmen angewiesen. Nur wenn ausreichend Unternehmen Regiogeld akzeptieren, kann sich ein Kreislauf bilden. Die Partizipation von Unternehmen als Hauptabnehmer von Regiogeld ist also zugleich auch Mittel zum Zweck. Unabhängig von möglichen individuellen Vorteilen für das Unternehmen ist Regiogeld auf die Partizipation vieler Unternehmen angewiesen. Hinsichtlich der Verwendungsoptionen von Regiogeld unterscheiden sich Unternehmen deutlich von Konsument*innen. Letztere tragen private Ausgaben und halten in der Regel in etwa genau den Betrag an Regiogeld, den sie zu verwenden planen. Sie können selbst entscheiden, welche Menge an Regiogeld sie eintauschen, um es bei den teilnehmenden Unternehmen zu verwenden. Unternehmen hingegen entscheiden nicht selbst über ihren Umsatz in Regiogeld, da dieser vor allem von den Konsument*innen abhängt. Für die Unternehmen ist es nicht nur wegen der geringeren Planbarkeit, sondern grundsätzlich schwieriger, betriebliche Ausgaben in Regiogeld zu tätigen. Sie sind auf Lieferant*innen angewiesen, die ebenfalls Regiogeld 33 Hinsichtlich des ökonomischen Potenzials ist der Kontext zu beachten. Longhurst (2012) vermutet auf Basis seiner Studie, dass Regiogelder Schwierigkeiten haben, außerhalb von Krisenzeiten und Krisenwahrnehmungen zu wachsen und erfolgreich zu sein. Um als ernsthafte und dauerhafte alternative Geldformen wahrgenommen werden zu können, muss zunächst ihre Funktionsfähigkeit bewiesen werden. Die Funktionsfähigkeit und der Nutzen wiederum können während einer Krise stärker sichtbar gemacht werden, wie die historischen Beispiele aus der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre sowie die argentinischen Gelder um die Jahrtausendwende zeigen.
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akzeptieren und es weiterverwenden können. Für die meisten Unternehmen gilt aber, dass ein großer Teil der Betriebsausgaben nicht innerhalb des lokalen Wirtschaftskreislaufes verbleibt, sondern nach außen fließt. Trotz der zentralen Rolle betrieblicher und unternehmerischer Mitglieder in Regiogeldsystemen setzen sich die wenigen vorhandenen Studien zu Regiogeld überwiegend mit der Bedeutung von Regiogeld für den Konsum auseinander, nehmen jedoch nicht die Unternehmen selbst in Augenschein. Dementsprechend werden meist Verbraucher*innen und private Nutzer*innen des Geldes betrachtet. Unternehmen selbst und ihre Verwendung des Regiogeldes sind hingegen selten systematisch untersucht worden (Graugaard 2012 stellt eine Ausnahme dar; North 2014a hingegen gibt lediglich selektiv einzelne Unternehmensperspektiven wieder). Die Studie von Graugaard (2012) zum Lewes Pound, einer Transition Currency, die große Ähnlichkeiten zum Stroud Pound und zum Brixton Pound aufweist, steht in ihrer naiv anmutenden, überaus positiven Einschätzung exemplarisch für die wenigen Untersuchungen, die sich nicht nur mit Konsument*innen, sondern dezidiert auch mit den teilnehmenden Unternehmen befassen. Graugaard nutzt einen Mixed Methods Approach, um acht Monate nach Start des Lewes Pound den Impact des Regiogeldes in wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Hinsicht zu ermitteln. Konsument*innen und beteiligte Unternehmen wurden mithilfe eines Surveys befragt, zudem nutzt Graugaard semistrukturierte Interviews. Trotz der Darstellung verschiedener Probleme, insbesondere hinsichtlich der Verwendungsmöglichkeiten von Regiogeld, ermittelt Graugaard als Ergebnis eine Matrix, auf welcher zwölf verschiedene Dimensionen überwiegend mit »large impact« oder »considerable impact« aufgetragen sind (Graugaard 2012:256). Dabei handelt es sich um vermutete Potenziale, die weniger auf der tatsächlichen Geldverwendung, sondern eher auf Überlegungen und hypothetischen Aussagen beruht. So wird das Fazit zu geringen Verwendungsmöglichkeiten sprachlich positiv gedreht: »However, the Lewes Pound does seem to have some effect on the attitudes of shop owners as 14.8% say that they have considered substituting some of their imported products with local ones since they started accepting Lewes Pounds« (Graugaard 2012: 253). Dass jedes siebte Unternehmen angibt, überlegt zu haben, stärker lokal einzukaufen, scheint allerdings im Gegensatz zur Einschätzung Graugaards kein hinreichender Beleg für einen hohen Impact. Die Schlussfolgerungen Graugaards überzeichnen die Potenziale stark. Hinsichtlich der Unternehmensperspektive verbleibt die Studie zudem notgedrungen recht oberflächlich, da mit einer quantitativen Befragung kaum Details über Ansichten, Einstellungen und Verwendungsweisen ermittelbar sind. Christian Thiel legt den Fokus seiner Studie zum Chiemgauer hingegen auf das »alltägliche Verständnis« sowie den »Umgang mit« dem Chiemgauer und betrachtet ausschließlich Verbraucher*innen, also private Regiogeldnutzer*innen. Er zeigt anhand, wie Nutzer*innen Regiogeld oftmals eine höhere moralische Qualität zuschrei-
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ben. Mit ihrem Einkauf in Chiemgauer unterstützen sie nicht nur den jeweiligen Laden unmittelbar, indem sie dort einkaufen. Sie fördern durch die im ChiemgauerSystem anfallenden Gebühren auch lokale Projekte und Vereine. Aus der Untersuchung »Ausgeschlossen wurden Vereins-Aktivisten und teilnehmende Geschäftsleute, da diese – so das Ergebnis vieler Beobachtungen – ideologisch vorbelastet sind: Die Aktivisten verwenden das Regiogeld vor dem Hintergrund ihrer Geldkonzeption, die Geschäftsleute meist aus ökonomischem Kalkül« (Thiel 2011: 118f). Hier findet sich nicht nur die implizite Annahme wieder, dass Regiogeldsysteme qua Design prinzipiell als Förderinstrumente lokaler Unternehmen anzusehen sind. Vielmehr ist die Vermutung erkennbar, dass erwartete betriebliche Vorteile für Unternehmen auch deren Partizipationsmotivation prägen. Dies gilt es, wie allgemein Blancs Klassierung von Regiogeld als ökonomisches Projekt, zu prüfen.
Empirie: Vergleichende Fallstudien
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Zur Methodik der vergleichenden Analyse dreier Regiogelder
Dieses Kapitel erläutert das Forschungsdesign und den Forschungsprozess mit seinen Kernentscheidungen, um die Darstellung der Forschungsergebnisse in den folgenden Kapiteln verständlich und nachvollziehbar zu machen. Denn qualitative Forschung unterliegt in verschiedenen Hinsichten anderen Güte- und Transparenzkriterien als quantitative Forschung. Schließlich gehen die klassischen Kriterien quantitativer Forschung (Reliabilität, Validität, Objektivität) an den Besonderheiten fallorientierter qualitativer Forschung vorbei (Flick 2007: 509).1 Schon die bei der Anwendung quantitativ-statistischer Methoden vorausgesetzte Vorstellung der Beobachterunabhängigkeit von Datenerhebung und Auswertung passt nicht zum prozessualen, reflexiven Charakter qualitativer Forschung konstruktivistischer Prägung. Während Gütekriterien standardisierter Forschung einen »starken Methodenbegriff« erfordern, der sie als »neutrale Verfahren« versteht (Kalthoff 2008: 17), folgt die vorliegende Arbeit einem qualitativen Forschungsansatz, der das Verhältnis von Forschungsgegenstand und Methode »rekontextualisiert« und »die Kontrolle über den Forschungsprozeß tendenziell ab[tritt]« (ebd.). Somit wird auch nicht einfach eine Methode angewendet, sondern eine »sensible Methodologie« genutzt, die erst durch den Forschungsgegenstand definiert und geformt wird. Sie hilft, »den Individuen, Gruppen oder Dingen eine Mitsprache- und auch Entscheidungsrecht ein[zuräumen], ohne dabei eine starke Autorschaft des forschenden Soziologen aufzugeben« (ebd.: 18). Die hier vorliegenden drei Fallstudien sollen zu einem besseren Verständnis von Regiogeldern beitragen und somit Wissen explizieren. Gleichwohl stellen die Studien nicht etwa die Realität an sich dar, sondern erlauben einen spezifischen Blick auf
1
Diese auch hier vertretene Auffassung wird allerdings nicht von allen geteilt. Ines Steinke (2010) etwa liefert einen knappen Überblick über drei Grundpositionen zur Bewertung qualitativer Forschung, welche von der Anwendung derselben Kriterien für qualitative wie quantitative Forschung über die Forderung eigener Kriterien bis hin zur »postmodernen Ablehnung von Kriterien« (Steinke 2010: 321) reichen.
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diese. Sie konstituieren somit erst jene Realität, die sie beschreiben (ebd.).2 Dem großen Einfluss der Methoden auf die Konstitution der durch sie erzeugten Realität soll im Folgenden Rechnung getragen werden, indem sie ausführlich und transparent dargelegt werden. Schwerpunkte bilden dabei die Erörterung des gewählten ethnographischen Zugangs mit den verwendeten Techniken wie teilnehmende Beobachtung und Interviewführung sowie die Diskussion der Samplingstrategien. Die Fallauswahl der drei Regiogelder und insbesondere die Selektion der Interviewpartner*innen fußt auf mehrstufigen Samplingverfahren. Die Auswahl der Interviewten basierte auf Kriterien, die zunächst vorab konstruiert, im Forschungsprozess aber angepasst und geändert wurden. Die hier gewählte Vorgehensweise steht damit zwischen einer auf vorab fixierten Kriterien basierten Stichprobenziehung und einem strikt iterativ von Fall zu Fall erweiterten und definierten theoretischen Sampling im Sinne der Grounded Theory nach Glaser und Strauss (2006). Ausgangspunkte für die Selektion waren Vorüberlegungen und abgeleitete Kriterien. Diese dienten aber nicht als unveränderliches Schema, sondern als Leitlinie für die Einbeziehung aussagekräftiger Fälle. In Anlehnung an das Theoretical Sampling wurden dann Kriterien angepasst und insbesondere weitere Fälle schrittweise herangezogen. Im Folgenden gehe ich zunächst auf die Datengrundlage, also auf Sampling und Methoden der Datenerhebung sowie ihre Kombination und Triangulation, ein (8.1). Daran anschließend diskutiere ich die vorgenommene Datenauswertung unter besonderer Berücksichtigung der Interviews und des inhaltsanalytischen Ansatzes (8.2). Die Ausführungen zur Methodik schließen mit einer kurzen Reflexion über den Forschungsprozess (8.3).
8.1 DATENERHEBUNG: FALLAUSWAHL UND METHODIK Die Qualität der Datengrundlage ist ein entscheidendes Kriterium empirischer Forschung. Daher beschreibt dieser Abschnitt die wesentlichen Entscheidungen hinsichtlich der Datenerhebung vergleichsweise ausführlich und transparent. Ich erörtere zunächst die Fallauswahl und Implikationen für den vorgenommenen Vergleich 2
Kalthoff (2008: 17-19) identifiziert drei wesentliche wissenstheoretische Positionen hinsichtlich qualitativer Forschung auf Basis ihres Methodenbegriffes. Die erste stellt an qualitative Forschung dieselben Gütekriterien quantitativer Forschung; die zweite sieht qualitative Forschung explizit als Mittel, neues, ggf. überraschendes, Wissen zu produzieren, während die dritte eben diesem »realitätskonstituierende[n] Charakter soziologischer Methoden« und damit einem reflexiven Moment Rechnung trägt (ebd.: 17). Die vorliegende Arbeit ist von der zweiten und dritten, nicht aber der ersten dieser Positionen inspiriert. Es soll tatsächlich neues Wissen über Regiogelder generiert werden – damit wird aber eine Wirklichkeit erzeugt, die von den gewählten Methoden selbst abhängt.
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(8.1.1). Dann stelle ich die konkrete, einen Mix von Methoden anwendende, ethnographisch orientierte Datenerhebung und ihre Instrumente vor (8.1.2). In einem nächsten Schritt lege ich die Samplingstrategien für die Interviews dar (8.1.3). 8.1.1 Fallauswahl: vom Feld der Regiogelder zu drei Fallstudien Die vorliegende Untersuchung liefert einen Vergleich dreier ausgewählter Regiogelder. Della Porta (2008) unterscheidet bei vergleichenden Analysen grundlegend zwischen zwei Forschungslogiken, nämlich zwischen variablenorientiertem und fallorientiertem Vergleich. Während ersterer darauf abzielt, generalisierte Beziehungen zwischen Variablen zu erfassen, dient letzterer dem Verstehen komplexer Einheiten durch »rich descriptions of a few instances« (ebd.: 198). Das fallorientierte Vorgehen erlaubt die Analyse weniger Fälle in deutlich größerer Tiefe als variablenorientiertes Vorgehen. Generalisierung und Theoriesierung werden nicht über die Auswertung statistischer Regelmäßigkeiten ermöglicht, sondern anhand der Bildung von Idealtypen (ebd.: 206).3 Die dem vorliegenden Vergleich zugrunde liegende Logik lässt sich als fallorientiert beschreiben. Ich nutze für die Auseinandersetzung mit den drei Fällen, in Anlehnung an Geertz (1983: 15), möglichst »dichte Beschreibungen« und ziele darauf ab, sie in ihrer gesamten Komplexität zu verstehen. Der Vielfalt des Ökonomischen soll so bereits konzeptionell Platz eingeräumt werden, indem ökonomische Praktiken beobachtet und dicht beschrieben, nicht theoretisch deduziert werden (Gibson-Graham 2014). Die Auswahl der zu untersuchenden Fälle hängt bei dieser Vorgehensweise von Entscheidungen auf unterschiedlichen Ebenen ab und erfolgt im Forschungsprozess, wird also nicht vorab fixiert, wie es beim variablenorientierten Vorgehen üblich ist (Della Porta 2008: 209). Das Sampling basiert zwar auf theoriegeleiteten Strategien, nicht aber auf einer Vorabfestlegung, welche die Offenheit des Forschungsprozesses beschneiden würde. Der hier angewandte Prozess kombiniert somit Elemente theoretischer Vorabfestlegung mit theoretischem Sampling im Sinne der von Glaser und Strauss (2006 [1967]) vorgeschlagenen Grounded Theory.4 Glaser und Strauss
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Die beiden Logiken lassen sich auch als Gegenüberstellung von Durkheims und Webers Forschungsansätzen verstehen (Della Porta 2008: 203). Während Durkheim nach transhistorischen, permanenten Kausalitäten sucht und nach umfassender Generalisierung strebt, zielt Weber auf eingeschränkte Generalisierungen historischer Unterschiede und konkretes Wissen über spezifische (historische) Prozesse ab und bildet Idealtypen.
4
Es sei angemerkt, dass es aber nicht ein typisches Vorgehen gibt, der Grounded Theory zu folgen. Einerseits entwickeln Glaser und Strauss im Laufe der Zeit unterschiedliche Ansätze, zum anderen ist die Grounded Theory zwar das »nominell« meist verbreitete Verfahren jenseits quantitativer Analysen, jedoch schreibt Strübing treffend, dass viele Studien
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begreifen theoretisches Sampling als »the process of data collection for generating theory whereby the analyst jointly collects, codes, and analyzes his data and decides what data to collect next and where to find them, in order to develop his theory as it emerges« (ebd.: 45). Es handelt sich also nicht um das vorherige nicht-zufällige Ziehen einer Stichprobe, sondern das Sampling selbst wird konsequent als Teil des Forschungsprozesses begriffen – und neue Erkenntnisse können zur Erweiterung und Änderung des Samples führen. Die konkrete Selektion einzubeziehender Fälle basiert auf einem iterativen Prozess des theoretischen Samplings, welches auf unterschiedlichen Analyseebenen angewendet wird. Die Ebenen der Fallauswahl betreffen zunächst (a) die Identifikation von Regiogeldern innerhalb der Komplementärwährungslandschaft und (b) die Selektion konkreter Regiogelder als zu untersuchende Fälle, dann (c) innerhalb einer jeden Fallstudie die Auswahl der Informant*innen, welche ich später erläutere (vgl. 8.1.3). Dieser Abschnitt hingegen schließt mit Bemerkungen zur Asymmetrie des vorliegenden Vergleiches, welcher sich aus einem Zusammenspiel der Fallauswahl und der jeweils gewählten Methodik ergibt. Das Feld der Regiogelder Regiogelder zeichnen sich innerhalb der Vielzahl von Komplementärwährungen durch besondere Merkmale aus, wozu insbesondere die Bindung an sowie Deckung durch die jeweilige Landeswährung gehört (vgl. Kapitel 7). Diese sollen unter anderem die Partizipation von Unternehmen erleichtern. Regiogelder sind ein besonders junger Typus von Komplementärwährungen, denen aufgrund ihres Designs eine wiete Verbreitung sowie eine vergleichsweise große ökonomische Wirkung zugetraut wird. Aus diesen Gründen weist Blanc (2011) ihnen die Rolle »ökonomischer«, marktbasierter Projekte innerhalb seiner Typologie zivilgesellschaftlicher Komplementärwährungen zu (vgl. Kapitel 7.2). Sie sind demnach besonders geeignet, das angesprochene Verhältnis und die Verflechtung von Wirtschaft und Zivilgesellschaft (Kapitel 7.1) zu untersuchen. Es handelt sich zum einen um zivilgesellschaftliche Organisationen der Produktion, Kontrolle und Verwendung einer eigenen Geldform, zum anderen um zivilgesellschaftliche Organisationen, deren enge Verflechtung mit Unternehmen konstitutives Merkmal ist. Gerade letzteres hebt sie etwa von Zeitbanken und Tauschringen ab. Neben einigen Fällen im deutschsprachigen Raum gehören vor allem die britischen Transition Currencies sowie Projekte in den USA zu diesem Typus komplementärer Währungen. Global gesehen treten Regiogelder damit überwiegend in strukturstarken Regionen auf (Kapitel 7.4). Bei dieser Form der Komplementärwährung nimmt die Region als Wirtschaftsraum einen hohen Stellenwert ein: Die Stärkung einer spezifischen Form des Wirtihr Vorgehen als Grounded Theory bezeichnen, obwohl sie das Verfahren letztlich nicht anwenden (Strübing 2008: 280f).
8. Zur Methodik der vergleichenden Analyse | 195
schaftens innerhalb eines recht klar umrissenen Wirtschaftsraums ist ein wesentliches Anliegen der Regiogelder. Regional verankerte Produzent*innen sollen gefördert werden, indem sie ihre Produkte innerhalb der Region besser absetzen können; Händler*innen sollen vermehrt auf regionale Produkte zurückgreifen (können) und Kund*innen diese konsumieren. Wie gezeigt, geht es dabei nicht um die Förderung jeglicher Produktion in einer Region – im Gegenteil, große Konzerne und Ketten sind in der Regel von der Teilnahme ausgeschlossen. Kern ist die Stärkung regional verankerter Unternehmen sowie die Schaffung und der Ausbau regionaler Wirtschaftskreisläufe. Damit einher geht die Aufforderung zu nachhaltigem Konsum. Trotz dieser gemeinsamen Merkmale weisen Regiogelder allerdings Unterschiede hinsichtlich ihres jeweiligen Designs sowie hinsichtlich ihres Umfeldes auf. Mit Blick auf das Design rückt vor allem die Frage nach der Implementierung eines Negativzinses sowie anderer an die Geldnutzung gekoppelter Gebühren in den Mittelpunkt. Schließlich zählen Gesells und Steiners Konzeptionen eines an Wert verlierenden Geldes zu wesentlichen Bezugspunkten vieler Regiogeldbefürworter*innen (vgl. Kapitel 4 und 5). Zum Design gehört in der hier vertretenen Ansicht auch die Governance-Struktur der Organisation, womit die Frage nach der Berücksichtigung der verschiedenen Stakeholder zusammenhängt. Gerade wenn Regiogeld als Teil einer sozialen oder solidarischen Ökonomie gesehen wird, welche gemeinwirtschaftliche oder kooperative Wirtschaftsweisen hervorbringen und fördern soll, rücken Themen der Repräsentation, der Willensbildung und der Entscheidungsfindung ins Zentrum. Hier lassen sich grob genossenschaftlich verfasste (d.h. demokratisch organisierte, dem Identitätsprinzip folgende, förderwirtschaftliche Unternehmen kooperativer Selbsthilfe) von nichtgenossenschaftlichen Organisationen unterscheiden. Hinsichtlich des Umfeldes sind wiederum zwei Dimensionen gemeint: zum einen der soziogeographische Währungsraum, zum anderen das spezifische komplementärwährungsbezogene Umfeld. So existieren Regiogelder im ländlichen, aber auch im städtischen Raum. Damit gehen sowohl unterschiedliche Verbreitungsmöglichkeiten und Teilnehmer*innenzahlen, als auch Potenziale hinsichtlich der Generierung genuiner lokaler oder regionaler Wirtschaftskreisläufe einher. Die Verbindung zu anderen Komplementärwährungen ist schließlich ein weiterer wichtiger Bestandteil des Regiogeld-Umfeldes, weil einige Regiogelder explizit als Ersatz oder als Ergänzung zu Tauschringen gedacht sind. Für die Selektion der in der Untersuchung herangezogenen Fälle sind Ausprägungen hinsichtlich dieser Merkmale des Umfeldes, des Designs und der Organisationsstruktur sowie der Beziehungen zu anderen Komplementärwährungen (vgl. Tab. 5 im nächsten Abschnitt) bedeutsam. Der folgende Abschnitt legt die Auswahl der Fallstudien anhand der Merkmalsausprägungen dar.
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Kriterien der Selektion der drei Fälle Innerhalb des Bereiches der Regiogelder wurden drei Fälle ausgewählt, die sich in verschiedenen Hinsichten voneinander unterscheiden (Tab. 5), so dass eine für die Untersuchung von Regiogeldern relevante Bandbreite abgedeckt ist. Es handelt sich somit um einen auf Differenz basierenden Vergleich, der auf der kriteriengeleiteten Identifikation spezifischer Fälle fußt, welche jeweils einige Besonderheiten aufweisen.5 Relevant für die Auswahl war dabei zunächst, dass sowohl der ländliche als auch der städtische Raum abgedeckt werden sollte. So scheint das Potenzial zur Bildung innerstädtischer Wirtschaftskreisläufe, die zumindest teilweise auf örtlicher Produktion basieren, begrenzter als im kleinstädtisch-ländlichen Raum, bei denen das Einzugsgebiet größer ist. Als weiteres wesentliches Kriterium diente die organisationale Struktur und das Design des Regiogeldes. Hier waren insbesondere zwei Merkmale bei der Fallauswahl relevant. Zum einen sollten, da Regiogelder als Mittel der Demokratisierung von Geld oder, allgemeiner, als Bestandteil einer solidarischen Ökonomie gesehen werden, formal demokratisch organisierte genau wie andere Fälle einbezogen werden. Die Frage demokratischer oder nicht-demokratischer Entscheidungsprozesse wird nämlich gerade dann relevant, wenn Regiogelder an ökonomischer Bedeutung gewinnen sollten. Hinsichtlich des Designs schien darüber hinaus die Frage der Anwendung einer Umlauferhöhung durch Negativzinsen interessant. Es wurde daher darauf geachtet, zumindest einen Fall mit einer Gesellschen Demurrage einzubeziehen. Zum für die vorliegende Forschungsarbeit als relevant wahrgenommenen Umfeld gehört darüber hinaus die Verortung innerhalb der Komplementärwährungsszene. Hiermit ist gemeint, ob und wie das jeweilige Regiogeld als Bestandteil eines Systems von Komplementärwährungen konzipiert ist, also welche Schnittstellen es zu anderen Komplementärwährungen gibt. Ausführlich stelle ich die Fälle in Kapitel 10 vor. An dieser Stelle möchte ich lediglich die zur Auswahl herangezogenen Kriterien und ihre Ausprägungen in den drei Fällen skizzieren. Das Brixton Pound zirkuliert in einem Londoner Stadtteil im Council Lambeth. Es ist also in einem großstädtischen Umfeld angesiedelt, was gerade hinsichtlich der Möglichkeiten zur Schaffung oder des Ausbaus regionaler Wirtschaftskreisläufe von besonderer Bedeutung sein kann. So ist die Grundgesamtheit
5
In Anlehnung an John Stuart Mills Method of Agreement und die Method of Difference kann zwischen differenzbasierten Vergleichen und auf Ähnlichkeit basierenden Vergleichen unterschieden werden (della Porta 2008: 204f; Ragin 1987: 36-42). Der vorliegende Vergleich ist differenzbasiert, insofern er unterschiedliche Regiogeldformen analysiert. Diese weisen untereinander wiederum viele Ähnlichkeiten auf, wenn sie mit anderen Komplementärwährungen verglichen werden.
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möglicher Nutzer*innen vergleichsweise groß, die produzierender Gewerbetreibender hingegen vergleichsweise gering. Demgegenüber gleichen sich Vorarlbergstaler und Stroud Pound, da sie im kleinstädtisch-ländlichen Raum zirkulieren. Das Stroud Pound ist dabei räumlich stärker begrenzt, sein Gebiet liegt in der Kleinstadt Stroud und dem umliegenden Raum. Der Vorarlbergstaler wiederum basiert auf einer weiterreichenden Idee von Region bzw. Raum und bezieht prinzipiell alle Gemeinden in Vorarlberg mit ein. Tab. 4: Kriterien der Selektion der drei Fälle Kriterium Setting
Brixton Urban
Demokratieprinzip Demurrage Komplementärwährungsumfeld
Schwach Nein Keines
Stroud Kleinstädtisch Stark Ja Keines
Vorarlberg semi-urban/ ländlicher Raum schwach-stark* Nein Tauschring
* Die herausgebende Organisation ist eine Genossenschaft, aber nicht alle Nutzer*innen sind Mitglied dieser demokratischen Organisation. Die Tabelle zeigt die zur Selektion herangezogenen Kriterien sowie die jeweiligen Ausprägungen dieser Merkmale in den drei Fällen.
Hinsichtlich des Kriteriums der Organisationsform verfügt das Sample mit dem Brixton Pound über eine sogenannte Community Interest Company, mit dem Stroud Pound über eine Genossenschaft und mit dem Vorarlbergstaler über eine Hybridform, in der eine Genossenschaft eine besondere Stellung einnimmt. Damit sind verschiedene Formen der Partizipationsmöglichkeiten, Willensbildung und Repräsentativität gegeben. Das andere designbezogene Kriterium unterscheidet wiederum zwischen dem Stroud Pound, welches eine Umlaufsicherung in Form eines Negativzinses beinhaltet, und den anderen beiden Fällen, die sich gegen eine solche Demurrage entschieden haben. Mit Bezug auf das Komplementärwährungsumfeld nimmt der Vorarlbergstaler eine besondere Stellung ein, da er sehr eng an einen Tauschring angelehnt ist und dezidiert als Ergänzung des Tauschringes fungieren soll. Der Initiator*innenkreis des Vorarlbergstalers nimmt auch beim Tauschring Führungsaufgaben wahr. Diese wechselseitige Ergänzung der beiden Komplementärwährungen soll dazu dienen, unterschiedliche soziale und wirtschaftliche Potenziale zu vereinbaren (vgl. Kapitel 7). In Brixton und Stroud findet sich keine unmittelbare Zusammenarbeit; es hat sich aber im Verlauf der Untersuchung gezeigt, dass auch diese Projekte aus dem weiteren Komplementärwährungsumfeld heraus entstanden sind (vgl. 9.1 und 9.2).
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Zur Asymmetrie des Vergleichs Abschließend sind einige Bemerkungen zur Art des gewählten Vergleiches nötig: Der hier vorgenommene Vergleich fällt insofern asymmetrisch aus, als sich die Detailtiefen der Fallstudien voneinander unterscheiden. Für die Fallstudie zum Brixton Pound konnte ich ethnographische Methoden umfassender nutzen, da sie auf einem viermonatigen Forschungsaufenthalt vor Ort basiert. Die teilnehmende Beobachtung als Nutzer und Anwohner ermöglichte mir eine recht ausführliche Zeit des Kennenlernens und Ausprobierens von Regiogeld. Während dieses Prozesses habe ich Interviews geführt. Die beiden anderen Fälle habe ich demgegenüber kürzer und deutlich weniger intensiv im Feld erforschen können. Hier kam es zu Aufenthalten von lediglich gut einer Woche und somit zur stark komprimierten Interviewphasen. Das bedeutet, dass wesentliche Felderkenntnisse, die zu einer Präzisierung der Forschungsfragen und zur Anpassung der Interviewleitfäden führten, auf Erfahrungen aus Brixton beruhten. So weckten auch dortige Ergebnisse mein Interesse an einer vertieften Auseinandersetzung mit Theorien der Gabe und die Erkenntnis, dass Regiogelder weniger »marktbasiert« funktionieren als in der schematischen Gegenüberstellung Blancs (2011, vgl. 7.2). Vorstellungen der Reziprozität sind fundamental für das Verständnis von Regiogeld. Mit Blick auf die Fälle in Stroud und in Vorarlberg bedeutete diese Erkenntnis zunächst eine weitere Fokussierung des dortigen Erkenntnisinteresses – eine zunehmend zentrale Frage lautete nun, ob sich alle drei Fälle in dieser Hinsicht gleichen oder ob Brixton eine Ausnahme darstellte. Insofern dienten diese beiden Fälle auch als eine Spiegelung der im Lichte der Felderfahrungen in Brixton gewonnenen Erkenntnisse. Gleichzeitig komplettierten sie das Forschungsvorhaben bezüglich der erwähnten Kategorien des Umfeldes und der Organisationsform. Erst der Vergleich erlaubte es, der Frage nach dem umfeldbezogenen Kontext und nach der Bedeutung der organisatorischen Ausgestaltung zu folgen. Die in Stroud und im Vorarlberg gewählte Forschungsstrategie kommt der von Russell Bernard als »Rapid Assessment« bezeichneten angewandten ethnographischen Forschung nahe, welche unter stark limitierenden zeitlichen Bedingungen stattfindet (Bernard 2006: 353f). Hier expliziert sich auch eine Nähe zum »pragmatischen Paradigma«, das Creswell anspricht, wenn er problemlösungszentrierte Forschungsansätze beschreibt (Creswell 2007: 22f). Asymmetrisch ist der Vergleich noch in einer weiteren Hinsicht: Die drei Fälle befinden sich in unterschiedlichen Stadien. Besonders offensichtlich ist, dass der Umlauf des Stroud Pounds spätestens 2013 zum Erliegen kam, während Brixton Pound und (in geringerem Umfang) der (jüngere) Vorarlbergstaler weiterhin zirkulieren. Die Interviews in Stroud haben daher überwiegend retrospektiven Charakter und das Bild ist geprägt vom Erliegen der Zirkulation und den Aspekten, die bei einem möglichen (und von den Organisator*innen diskutierten) Relaunch eventuell anders gestaltet werden.
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Die Einbeziehung dieses weniger erfolgreichen Falles hilft, eine Vererrung der Selektion und damit der der Analyse zu vermindern. Denn eine Untersuchung von Funktionsweise, Bedeutungszuschreibungen und Praktiken der Verwendung von Regiogeld unterliegt der Gefahr der Einseitigkeit, wenn sie ausschließlich auf die »Survivor« rekurriert und diejenigen Fälle unberücksichtigt lässt, in denen die Zirkulation stoppte. Gerade vor dem Hintergrund, dass viele Initiativen nicht langfristig währen, scheint mir der Blick auf ein »schlafendes« Projekt hilfreich. Aus analogen Überlegungen betrachte ich innerhalb der Fallstudien nicht ausschließlich diejenigen Unternehmen, die Regiogeld verwenden, sondern auch diejenigen, die sich gegen die Partizipation entschieden haben. So lassen sich Besonderheiten der Regiogeldverwendung und letztlich auch die Frage nach den Begründungszusammenhängen ihrer Existenz identifizieren. In meiner Forschung habe ich daher den Blick immer auch auf dieses Gegenstück, dieses Andere gerichtet: Hin zu einem Fall der Nichtzirkulation, sowie in allen Fallstudien auch hin zu denjenigen Unternehmen, die nicht teilnehmen. 8.1.2 Ethnographischer Zugang und Methodenmix in der Datenerhebung Die empirischen Untersuchungen der drei Regiogelder integrieren verschiedene Verfahren qualitativer Sozialforschung. Die konkrete Methodik der vorliegenden empirischen Untersuchungen basiert insbesondere auf teilnehmender Beobachtung, Dokumentenanalysen, offenen Gesprächen und semi-strukturierten Interviews. Diese Kombination unterschiedlicher Methoden lässt sich als Triangulation (Flick 2011) bezeichnen. Im Sinne Denzins handelt es sich nicht nur um Methodentriangulation, sondern auch um »Datentriangulation« (Denzin 2009: 301), da verschiedene Daten und Datenquellen genutzt werden. Hierzu zählt bereits das Nebeneinander einer Mehrzahl von Interviews, da diese jeweils eigene, möglicherweise neue, Sichtweisen offenlegen können (Hammersly/Atkinson 2007: 183f). Die Studie enthält, gerade beim Brixton Pound, viele ethnographische Elemente, stellt aber keine umfassende Ethnographie im Sinne der Beschreibung und des holistischen Verstehens der untersuchten Gemeinschaften dar. Ethnographische Forschung (Breidenstein et al. 2013) ist durch einen pragmatischen, offenen Einsatz verschiedener Technologien der Datenerhebung gekennzeichnet, auch wenn oftmals keine explizite Ausformulierung verschiedener Methoden erfolgt (Flick 2011: 53; Bernard 2006 liefert ein gutes Beispiel für die offene, pragmatische Kombination der gesamten Bandbreite von Forschungsmethoden). Aufgrund ihrer Offenheit und der Sensitivität hinsichtlich der Komplexität menschlichen (sozialen) Lebens steht sie für manche grundlegend im Zentrum qualitativer Methoden der Sozialwissenschaften (Bray 2008: 299). Im Folgenden diskutiere ich (a) zunächst mein Verständnis eines ethnographischen Zugangs
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bevor ich (b) den Feldzugang mittels teilnehmender Beobachtung darlege. Dann skizziere ich (c) abschließend kurz die Methodik der Dokumentenanalyse und stelle (d) die gewählte Form der Interviews vor. Zum Begriff der Ethnographie und der Anwendung ethnographischer Methoden in der Soziologie Ethnographie lässt sich als Kernmethode der Ethnologie verstehen, welche mittlerweile in allen Sozialwissenschaften Anwendung findet (vgl. Breidenstein et al. 2013, Bray 2008, Honer 2010). Dabei wurde (und wird teilweise weiterhin) Ethnologie als die Erforschung des »kulturell Fremden« oder »fremder Kulturen« konzipiert (Kohl 2000 insb. 26-28)6 – aus einem solchen Blickwinkel lässt sich die Ethnographie als qualitative Studie eben fremder kultureller Gruppen beschreiben. Dann wird verständlich, weshalb eine Ethnographie innerhalb der eigenen Gesellschaft zunächst die Konstruktion von Distanz voraussetzt: kulturelle und soziale, auch dezidiert wirtschaftliche Praktiken werden betrachtet, als ob sie fremd, unbekannt, gar exotisch wären. So verortet auch Christian Thiel (2011: 96) seine Studie zum Chiemgauer: »Es geht darum, das Fremde wieder zu entdecken, das ›Abenteuer gleich um die Ecke‹ zu suchen.« Der ethnographische Blick auf die eigene Gesellschaft setzt also eine methodische Distanzierung der zur erforschenden Welt voraus, was eine »Erfahrung kultureller Fremdheit« (Schulz-Nieswandt/Sauer 2010: 96) impliziert. Alfred Schütz diskutiert in seinem klassischen Text zum Fremden Fremdheit und Vertrautheit als »allgemeine Kategorien unserer Auslegung der Welt« (Schütz 2011: 73). Hitzler verweist hierauf und unterscheidet die soziologische von der ethnologischen Ethnograph*in dadurch, dass die soziologische Ethnograph*in erst lernen muss, nicht zu denken wie üblich, den eigenen Alltagsverstand zu hinterfragen und überhaupt von einer Nicht-Übereinstimmung zwischen den eigenen Kultur- und Zivilisationsmustern und denjenigen der Erforschten auszugehen (Hitzler 1999: 476). Eine solche Konzeption eines strikten Gegensatzes zwischen ethnologischer und soziologischer Ethnographie verdeckt in meinen Augen die Tatsache, dass ja auch Ethnolog*innen erst lernen müssen, die ihnen vertrauten kulturellen Grammatiken nicht zu beachten und im Rahmen ihrer »zweiten Sozialisation« durch teilnehmende
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Der Begriff der Ethnologie verweist bereits auf das »Fremde«, insofern mit der Bezeichnung ethnos nichtgriechische Menschengurppen gemeint waren (Rudolph 1998: 55f). Allerdings ist der Ethnologiebegriff mittlerweile »seines ursprünglichen Bewertungsakzents sowie des Blickwinkels vom eigenen Standpunkt aus entkleidet« (ebd.: 56). Als Gegenstandsbereich der Ethnologie macht er vielmehr »Menschengruppen und Kultur in ihren spezifischen Zusammenhängen« aus (ebd.: 70) – und eben nicht das Fremde.
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Beobachtung Nähe herzustellen.7 Die hinter dieser Gegenüberstellung liegende strikte Opposition fremder Gesellschaften als Gegenstandsbereich der Ethnologie und »eigener« Gesellschaften (womit i.d.R. Attribute wie »westlich« oder »modern« gemeint sind) als Gegenstand der Soziologie lässt sich auch aus anderen Gründen hinterfragen. Zunächst sind Gesellschaften offensichtlich nicht derartig homogen, dass eine Forscher*in, die etwa im ländlichen Allgäu und an der Universität Regensburg sozialisiert wurde, »kulturellen Codes« und »Tiefengrammatiken« mit der Berliner Straight-Edge-Szene teilt, die sie möglicherweise untersuchen möchte. Daher schreiben bereits Mayntz et al. hinsichtlich der Relativierung kultureller Selbstverständlichkeiten, dass »[s]chon bei der Untersuchung sozialer Gruppen des eigenen gesellschaftlichen Gesamtsystems, deren Mitglieder nur einer anderen sozialen Schicht angehören als der Beobachter […] die Problematisierung des eigenen und die Aneignung des dieser Gruppe spezifischen Sinnverständnisses notwendig [ist]« (Mayntz/Holm/Hübner 1978: 88). Dies gilt für »andere soziale Schichten« wie generell für die Untersuchung spezifischer sozialer Gruppen, denen die Beobachter*in nicht angehört. Mit anderen Worten: Auch innerhalb der »eigenen« Gesellschaft existieren verschiedene Sinnwelten, soziale und kulturelle Praktiken. Diese machen die Vielzahl der empirisch fassbaren Normalitäten heutiger Gesellschaften aus, die »thematisch begrenzte, zweckgerichtete, subkultur-, milieu- und gruppenspezifische, also sozusagen relative Normalitäten« sind (Honer 2010: 198). In der hier eingenommenen Sichtweise geht es bei der Anwendung ethnographischer Methoden in der Soziologie somit nicht so sehr um eine Entfremdung, die – in striktem Gegensatz zu ethnologischen Arbeiten – in einem ersten Schritt notwendig wäre, um in einem zweiten Schritt als außenstehender Ethnologe (wieder) einzutauchen in das Fremde (wie es Honer (2010) in ihrer Darstellung ethnographischer Lebensweltforschung beschreibt). Es geht eher um das reflexive Hinterfragen eigener Vorstellungen als Voraussetzung für das Verstehen der Lebenswelten, die sich durch die Forschung im Feld erst eröffnen. In diesem Sinne lässt sich die ethnographische Methode grundlegend als »a commitment to joining the people where they live in order to discover what they do and think« (Hart/Ortiz 2014: 466) kennzeichnen. Sie
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Ob es überhaupt möglich ist, tatsächlich aus dieser sogenannten zweiten Sozialisation heraus ethnologische Beschreibungen mit emischen Kategorien zu leisten, ist eine andere Frage, die hier nicht diskutiert werden kann. Viele ethnologische Arbeiten sind durchdrungen von Denkvorstellungen, Kategorien und Begriffen, die nicht der »untersuchten« Gesellschaft entstammen. Damit geht die Gefahr einher, durch die Anwendung etischer Kategorien diese in die untersuchte Gruppe zu projizieren. Für Hillebrandt (2009: 158) trifft eine solche »Prädisposition« ethnologischer Forschungsergebnisse durch das Suchen von Ursprüngen moderner Institutionen in archaischen Gesellschaften auch auf Mauss und die Gabe zu (vgl. Kapitel 5).
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erlaubt es, Kontextwissen zu generieren, welches für das Verständnis des Forschungsgegenstandes bedeutend ist. »[B]y studying a phenomenon in its own dynamic context, more can be intrinsically understood about it than by simply examining it in isolation […] and reducing it systematically to a list of abstract formulae.« (Bray 2008: 302) Dabei spielt es für das Wesen der Ethnographie nur eine untergeordnete Rolle, ob die Lebenswelten der Menschen sich derjenigen der Forscher*in ähneln oder nicht. Der ethnographische Blick, nicht (oder nicht zwingend) die untersuchte Gruppe, ist »kurios« (Breidenstein et al. 2013: 25f). Es geht um »die Verknüpfung von praktischen Teilnehmer-Erfahrungen mit feldrelevanten Daten aller Art« (Hitzler 1999: 476, in seinem Ansatz der Ethnographie als soziologische Lebensweltanalyse). Schließlich geht es bei qualitativer, rekonstruktiver Forschung selbstverständlich immer darum, eine Distanz, also Fremdheit, aufzubauen und eigene Deutungen zurückzustellen (Helfferich 2011: 12). Eine solche »Fremdheitsannahme« meint, Differenz (etwa zwischen Interviewer*in und Interviewter) anzuerkennen, und »alles das, was im eigenen Denken als selbstverständlich geltende Normalität abgelagert ist, nicht als für die Erzählperson ebenfalls gültig zu übertragen« (ebd.: 24). Dies meint aber eben nicht, eine exotisierende Vorstellung des Fremden als Gegenstandsbereich der Ethnographie zu imaginieren, um diese dann auf die eigene Kultur oder einige Teilbereiche zu übertragen. Teilnehmende Beobachtung Ethnographische Arbeiten basieren in besonderem Maße auf teilnehmender Beobachtung (Bernard 2006: 347).8 Schließlich nehmen Ethnograph*innen die Rolle einer teilnehmenden Beobachter*in oder einer beobachtenden Teilnehmer*in ein. Letzteres meint die Situation, in der die Forscher*in als Insider*in teilnimmt, dabei beobachtet und »aspects of life around them« aufnimmt, während ersteres die Situation beschreibt, in der Forscher*innen als Außenstehende an »aspects of life« teilnehmen und hierbei so viel aufnehmen und erheben, wie ihnen möglich ist (ebd.). Ich selbst habe teilnehmend beobachtet, indem ich etwa das jeweilige Regiogeld genutzt und an Treffen und Veranstaltungen der Organisation teilgenommen habe. Dazu gehörten beispielsweise nicht nur öffentliche Treffen und Informationsveranstaltungen des Brixton Pounds, sondern auch das Brixton Co-Working, also die Gelegenheit,
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Ethnographisches Arbeiten sowie teilnehmende Beobachtung sind für das Selbstverständnis der Disziplin in methodischer Hinsicht zentral. In jüngerer Zeit wird auch in deutschsprachigen Lehrbüchern vermehrt die Ethnographie als wesentliches Charakteristikum präsentiert, während früher der Schwerpunkt auf teilnehmender Beobachtung lag. Zu dieser, unter dem Einfluss der englischen und amerikanischen Literatur stehenden, sich verändernden konzeptionellen Schwerpunktsetzung vgl. Lüders (2010).
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regelmäßig in einem großen Arbeitsraum in der Lambeth Council Hall mit Selbstständigen zusammen (nebeneinander) zu arbeiten. Mit Regiogeld zu bezahlen ist dabei nicht einfach als anonymer Bezahlvorgang zu verstehen, sondern führt oft in ein kurzes Gespräch über das Geld. Zur teilnehmenden Beobachtung gehörte auch, die sozialen Netzwerke des Brixton Pounds und ihre modernen Technologien zu nutzen. So habe ich mich für das elektronische Zahlverfahren (sms-basiert) registriert. Auch habe Twitter und Facebook genutzt, um an den über diese Plattformen kanalisierten Informationswegen teilzuhaben. Das Brixton Pound informiert über Twitter beispielsweise zu Angeboten der teilnehmenden Unternehmen, verweist auf Veranstaltungen und Neuigkeiten. Allein die Breite der konkreten Praktiken teilnehmender Beobachtung geht damit einher, dass ich situationsabhängig offen oder verdeckt beobachtet habe. Offene Beobachtung bedeutet, explizit als Forscher aufzutreten, während verdeckte Beobachtung sich auf Situationen bezieht, in denen die Identität als Forscherin für die Beobachteten nicht erkennbar wird (Lamnek 2010: 510f, 555-557). Überwiegend bin ich in diesem offenen Sinn als Forscher aufgetreten, aber in einigen Situationen – in einem Café oder auch in manchen Gesprächen – mag verborgen geblieben sein, dass ich das jeweilige Regiogeld systematisch erforschte. Da es sich allerdings nicht um lange Beobachtungssituationen handelte und ich lediglich sehr kleine Ausschnitte des Alltagslebens erfasst habe, kann ich in dieser (eher zufälligen) Verborgenheit keine forschungsethische Problematik erkennen. Feldnotizen dienten dem »Festhalten« neuer Informationen und Erlebnisse im Rahmen der teilnehmenden Beobachtung. Gleichzeitig sind sie ein erster analytischer Schritt, da sie auf einer ersten Selektion, Schwerpunktsetzung und Formulierung der Informationen beruhen (Breidenstein et al. 2013: 86-89). Ich habe (vor allem in Abhängigkeit der tagesspezifischen Gegebenheiten) möglichst umfassend meine Erlebnisse und Einschätzungen sowie auch Fragen und Überlegungen festgehalten. Als nützlich erwies sich zum Beispiel, an einigen Nachmittagen in einem bestimmten Café oder an einem öffentlichen Platz zu arbeiten oder zu lesen, und dabei gezielt die Umgebung zu beobachten. Dokumentenanalyse Neben den in Form von Beobachtung und Teilnahme sowie Interviews erstellten Daten habe ich weitere Informationsquellen und Dokumente ausgewertet. Dazu gehören zunächst Veröffentlichungen der Organisationen, Informationsmaterialien wie Flyer sowie ihre Internetauftritte, also Textarten, die sich gezielt an die Öffentlichkeit und/oder den Kreis der (möglichen) Nutzer*innen wenden. Daneben fallen auch Äußerungen aus dem Umfeld unter diese Kategorie, beispielsweise der Austausch über soziale Netzwerke oder Artikel in lokalen Zeitschriften. Es existieren einige wissenschaftliche Texte und Qualifikationsarbeiten, teilweise aus dem Umfeld der Organisationen selbst, die ebenfalls als konkrete auszuwertende Informationsquellen dienten. So entstammen Aufsätze von Scott-Cato und Suárez (2012), Ryan-Collins (2011,
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2012) sowie Steed und Bindewald (2013) sogar dem erweiterten Gründer*innenkreis des Stroud Pounds bzw. des Brixton Pounds. Für Vorarlberg (Amann 2009, Salas Castillo 2014) und Brixton (James 2014, Hanbury 2016) liegen darüber hinaus Qualifikationsarbeiten von Studierenden vor, die ich partiell als Quelle nutzen konnte. Schließlich habe ich Zugriff auf grundlegende, wenn auch rudimentäre, quantitative Daten hinsichtlich der Nutzung der elektronischen Zahlungsmechanismen in Brixton und Vorarlberg erhalten – ohne dass die Qualität dieser Daten allerdings eine elaborierte statistische Auswertung ermöglichen würde. Interviewformen Einen wesentlichen, Teilnahme und Beobachtung komplementierenden, Bestandteil der Datensammlung und -generierung machten Interviews aus. Während der Untersuchung nutzte ich verschiedene Interviewformen. Hierzu zählen Gespräche und informelle, unstrukturierte Interviews, oft auch als ethnographische Interviews bezeichnet (Bernard 2006: 211), sowie leitfadengestützte semi-strukturierte Interviews. Gespräche und kurze informelle Interviews führte ich insbesondere mit Unternehmen und Nutzer*innen, aber auch weiteren Anwohner*innen, welche das jeweilige Regiogeld nicht nutzten. Solche Gespräche sind »in die ›natürlichen‹ Alltagskommunikationen der Forschenden mit den Untersuchungssubjekten eingebettet« (Kruse 2015: 158). Diese Gesprächssituationen habe ich im Rahmen umfassender Feldnotizen festgehalten. Solche, vom Alltag handelnden Gespräche dienen in einer möglichst natürlichen Gesprächssituation der Gewinnung von Information. Bestenfalls bin ich nicht als vermeintlich objektiver Wissenschaftler, der von außen betrachtet, aufgetreten, sondern als Teilnehmer (etwa: Nutzer des Regiogeldes). Allerdings habe ich selbstverständlich nicht jede soziale Situation notiert, nicht jedes Gespräch oder Geplauder als Bestandteil der Forschung festgehalten (dies gilt vor allem, wenn keine neuen Informationen auftraten). Zu den Gesprächen und Kurzinterviews zähle ich alle freien Gesprächssituationen sowie jene offenen Interviews, die ich im Gespräch auch als solche gekennzeichnet habe. Typischerweise dauerten solche offenen Interviews zwischen 5 und 15 Minuten. Wenn es sich anbot, habe ich diese Gespräche aufgezeichnet und später ausgewertet; in anderen Situationen habe ich möglichst zeitnah Notizen angelegt. Gespräche dienten manchmal der Anbahnung der semi-strukturierten Interviews. Als Grundlage dieser diente ein Leitfaden, welcher einige wesentliche Fragen und möglicherweise relevante Aspekte zum Nachfragen enthielt. Der Leitfaden wurde an die jeweiligen Interviewpartner angepasst, wobei auch Erkenntnisse vorheriger Interviews (und anderer Informationsquellen) in die Überarbeitung einflossen. Diese Interviews dauerten in der Regel 30-60 Minuten, in wenigen Fällen circa 20 Minuten, und in einigen Fällen auch deutlich mehr als 90 Minuten. Die Länge wurde nicht nur durch mein Erkenntnisinteresse, sondern auch durch das von den Gesprächspartnern
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zur Verfügung gestellte Zeitfenster bestimmt (vgl. Listen der Interviewpartner*innen im Anhang 1). In der Literatur zu Methoden qualitativer Forschung lassen sich verschiedene Ausdifferenzierungen von Interviewformen finden, die sich jeweils nach dem Grad der Formalisierung (unstrukturiert, semi-strukturiert, strukturiert), aber auch nach der Problemorientierung und, damit verbunden, der Rolle und Funktion der Interviewten unterscheiden. So können narrative Interviews, episodische Interviews, Experteninterviews, fokussierte Interviews, problemzentrierte Interviews, ethnographische Interviews (Lamnek 2010: 326, Kruse 2015, Kapitel II) und viele mehr unterschieden werden. Die hier durchgeführten Interviews enthalten verschiedene solcher Elemente. Sie stehen der Form problemzentrierter Interviews sehr nahe, wie Witzel (2000) sie darstellt (vgl. auch Kruse 2015: 153-155). Schließlich diente der jeweilige Leitfaden dazu, das theoretische, oder, allgemeiner formuliert, das problemorientierte Vorwissen zu nutzen, um auf seiner Basis weiteren Erkenntnisgewinn hinsichtlich der konkreten Problemstellung (etwa: Nutzung und Verwendung des Regiogeldes, damit einhergehende Vor- und Nachteile usw.) zu erzielen. Somit folgen die Interviews verstärkt einem »problembezogene[n] Sinnverstehen« (Helfferich 2011: 38f), bei dem informativer Inhalt von größerer Bedeutung ist als bei »textbezogene[m] Sinnverstehen«, welches »eine sukzessive Konstruktion von Sinn in einer fortlaufenden Erzählung« erfordert (ebd.: 38). Die Problembezogenheit äußert sich in der konkreten Vorbereitung und Durchführung der Interviews in einer semi-strukturierten Vorgehensweise und dem vergleichsweise starken Dialogcharakter. Witzel möchte mit dem problemzentrierten Interview sowohl den Anforderungen der Offenheit als auch der Theoriegeleitetheit gerecht werden und konzipiert den Erkenntnisgewinn problemzentrierter Interviews in den Prozessen der Erhebung und der Auswertung als »induktiv-deduktives Wechselverhältnis« (Witzel 2000, Abs. 3). Die Befragten begreift er dabei als »Experten ihrer Orientierungen und Handlungen« (ebd. Abs. 12), welche im Gespräch selbst Möglichkeiten des Eingreifens auf die Gesprächssituation haben. Dies verdeutlicht die Nähe zu sogenannten Experteninterviews, wenn diese auf einem breiten Expertenbegriff fußen, unter den jede Person mit (für die Forschung relevantem) Sonderwissen fällt.9 Jedoch enthalten die Interviews neben stark problemorientierten, vergleichsweise geschlossenen Themenbereichen (z.B. der betriebliche Umsatz in Regiogeld und seine Verwendung) auch viele Elemente offeneren und narrativen Charakters. Besonders in den Interviews mit Personen aus dem Gründer*innenkreis der Regiogeldorganisationen machen die erzählten Geschichten einen bedeutenden Teil aus. Aber auch in den Interviews mit Unternehmer*innen dienten Erzählaufforderungen dazu, 9
Dies gilt zumindest, wenn Experteninterviews nicht als Informationsgespräche ohne theoretische Fundierung oder methodischer Reflexion geführt werden, einfach um spezifisches Wissen (quasi unhinterfragt) zu generieren. Zu dieser Thematik Kruse (2015: 174–179).
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Beweggründe für den Beitritt (oder Nicht-Beitritt) zum Regiogeld aus dem jeweiligen Lebenslauf heraus zu begreifen. Unabhängig von der Kategorisierung der Interviews in bestimmte Formen (problemorientiert/narrativ) verdient die Durchführung des Interviews sowohl in der Vorals auch in der Nachbereitung Aufmerksamkeit. »Jedes Interview ist Kommunikation, und zwar wechselseitige, und daher auch ein Prozess. Jedes Interview ist Interaktion und Kooperation. Das ›Interview‹ als fertiger Text ist gerade das Produkt des ›Interviews‹ als gemeinsamem Interaktionsprozess, von Erzählperson und interviewender Person gemeinsam erzeugt – das gilt für jeden Interviewtypus.« (Helfferich 2011: 12) Zu diesem Prozess gehört zu Beginn der Interviews (oder bereits in der Anbahnung) etwa, dass den Interviewpartner*innen klar gemacht wird, worum es geht, in welcher Rolle die Interviewer*in auftritt, kurz: wie das »Interview-Drama« (Hermanns 2010) ablaufen soll. Im Verlauf der Interviews wechselten sich offennarrative und problemorientierte Interviewsituationen ab. Die Logik eines »problemorientierten Sinnverstehens« impliziert, dass die Interviews in dialogischer Form stattfinden. Demgegenüber erfordert »textbezogenes Sinnverstehen« narrativer Interviews eine deutlich größere Zurückhaltung in der Interviewsituation, um eine »sukzessive Konstruktion von Sinn in einer fortlaufenden Erzählung« (Helfferich 2011: 38) zu ermöglichen. 8.1.3 Interviews: Samplingstrategien Bisher habe ich grundlegend die Verfahren der Datenerhebung, darunter die Interviewführung, erläutert gezeigt, dass semi-strukturierte Interviews eine wesentliche Datenquelle der vorliegenden Untersuchung ausmachen. Entscheidend für die Qualität der durch Interviews erhobenen Daten ist die Auswahl der Interviewpartner*innen. Ähnlich wie bei der Auswahl der drei Fälle Brixton Pound, Stroud Pound und Vorarlbergstaler (vgl. 10) folgte auch das Sampling auf der Mikroebene der Fallausleuchtung einer theoretiebasierten, nicht-zufälligen Logik. Grundsätzlich gilt für ethnographische Forschung, dass die Auswahl der zur Informationsgewinnung relevanten Analyseeinheiten – hierzu zählen auch Gesprächs- und Interviewpartner*innen – nicht vorab festgelegt werden kann, sondern sich erst im Feld ergibt (Bernard 2006: 195, zur Identifikation von Informant*innen siehe 196-202). Dementsprechend erfolgt auch das Sampling prozesshaft. Für die vorliegende Studie lassen sich die durchgeführten Interviews in vier Gruppen einteilen, die sich überwiegend durch die Rolle der Informant*innen definieren: Interviews mit Vertreter*innen der Organisationen, mit teilnehmenden Unternehmer*innen und mit nichtteilnehmenden Unternehmer*innen, sowie, viertens, kürzere Gespräche und informelle Interviews mit Personen, die entweder einer dieser Gruppen angehören oder aber das Regiogeld privat nutzen. Im Folgenden beschreibe ich Samplingstrategien und -prozess mit den
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ihm zu Grunde liegenden Kriterien näher, indem ich zunächst (a) den Prozess als Iteration nachzeichne. Dann expliziere ich (b) die identifizierten Kriterien der Selektion auf der Ebene der einzelnen Fälle. Abschließend gehe (c) ich auf die Besonderheit des Samplings in Vorarlberg ein, da ich dort neben dem Regiogeld auch den verwandten Talente Tauschkreis in die Untersuchung einbeziehe. Prozess des Samplings: Kriterien und Iteration Zunächst habe ich Schlüsselinformant*innen der Komplementärwährungsorganisationen kontaktiert und interviewt. Dabei ging es einerseits darum, Prozesse in den Organisationen und die Sichtweisen der dort (ehrenamtlich oder angestellt) Tätigen kennenzulernen und zu verstehen. Auch habe ich mit jeweils mindestens einem Mitglied des Gründungsteams gesprochen, um Ziele und Ideen bei der Initiierung sowie den Gründungsprozess zu rekonstruieren. Einige Personen habe ich zu einem späteren Zeitpunkt erneut interviewt, was es erlaubte, Unklarheiten zu beseitigen und ihnen eine Gelegenheit bot, sich mit den Erkenntnissen meiner Forschung auseinanderzusetzen. Tab. 5: Interviews und Gespräche in den drei Fällen Interviews mit in der Organisation Arbeitenden mit teilnehmenden Unternehmer*innen mit nicht teilnehmenden Unternehmer*innen Gespräche und informelle Interviews
Brixton 6 (40-75 Min) mit 5 Personen 7 (25-70 Min)
Stroud 2 (30-80 Min)
5 (20-45 Min)
4 (15-35 Min)
7 ** (35-60 Min)
13 (10-20 Min)
11 (5-15 Min)
9 (10-20 Min)
4 (20-80 Min)
Vorarlberg 5 (40-120 Min) mit 3 Personen 6* (45-70 Min)
Quelle: Eigene Darstellung. * Diese Zahl bezieht sich auf das Regiogeld namens V-Taler. Von diesen gehören 3 auch dem Talente Tauschkreis an. ** Diese Zahl bezieht sich auf den V-Taler. Aus diesem Sample gehören 4 dem Talente Tauschkreis an.
Den größten Anteil der Interviews machten solche mit Vertreter*innen – meist Eigentümer*innen – der teilnehmenden und nicht-teilnehmenden Unternehmen aus. In den meisten Fällen handelt es sich, der Grundgesamtheit der beteiligten in den Regiogeldkreisläufen entsprechend, um kleine Unternehmen bzw. kleine inhabergeführte Geschäfte. Dieser stark erkennbare Fokus auf Betriebe, Unternehmen und Händler*innen ergibt sich aus der Forschungsfrage und der ihr zugrundeliegenden Forschungslücke hinsichtlich der regiogeldbezogenen Einschätzungen, Erfahrungen und
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Erwartungen dieser teilnehmenden Wirtschaftsorganisationen (vgl. 7). Aufbauend auf den Erkenntnissen anderer empirischer Studien zu Komplementärwährungen und Regiogeldern sowie vor dem Hintergrund des Erkenntnisinteresses und meiner Leitfragen (Wie schätzen Unternehmen das Regiogeld ein? Warum nehmen sie teil bzw. nicht teil? Welche Erfahrungen haben sie gemacht?) galt es, eine möglichst große Bandbreite an teilnehmenden und nicht-teilnehmenden Unternehmen zu befragen. Die nach Ansicht der Beteiligten »typischen« Fälle sollten ebenso wie »kritische« Fälle einbezogen werden. Ein Vergleich der beiden Gruppen der teilnehmenden und nichtteilnehmenden Unternehmen kann Unterschiede aufzeigen und helfen, besondere Charakteristika der teilnehmenden Unternehmen herauszuarbeiten. Im Hinblick auf Partizipationsmotivationen in Regiogeldern lässt sich etwa durch eine solche Gegenüberstellung herausfinden, ob – beziehungsweise in welchen Aspekten – teilnehmende Unternehmer*innen sich bezüglich ihrer Einstellungen zum Wirtschaften, zur Region und dem Regionalitätsprinzip, zum Geldsystem etc. unterscheiden. Durch den Vergleich können Konfigurationen herausgearbeitet werden, welche Entscheidungen zum Eintritt und Verbleib in einer Regiogeldorganisation verständlich machen.10 Für alle Fallstudien gilt, dass der Kontakt zu den Regiogeldorganisationen und die Interviews mit den dort tätigen Personen halfen, mögliche Interviewpartner*innen aus den Grundgesamtheiten der teilnehmenden und nichtteilnehmenden Unternehmen auszuwählen. Diese kriteriengeleitete Auswahl der möglichen Interviewpartner*innen beschreibt Bernard als »Purposive or Judgment Sampling« (ebd.: 189191). Da sich diese Kriterien, ausgehend von literaturbasierten Vermutungen, erst im Feld konkretisierten und (langsam) fixierten, kann jedoch nicht von einer theoretisch begründeten Vorabfestlegung des Samples (Kruse 2015: 248) die Rede sein. Schließlich handelt es sich eher um vorläufige, erste Kriterien, die auf Basis der geführten Interviews präzisiert und abgeändert wurden. Zur Eingrenzung der konkret zu befragenden Unternehmen wurden zunächst theoretische und kriterienbasierte Überlegungen herangezogen und einige Interviewpartner*innen vorab selektiert. In einem iterativen Prozess habe ich die jeweils neu hinzugewonnenen Erkenntnisse genutzt, um die Kriterien für weitere Interviews anzupassen und neue Interviewpartner*innen zu finden. Die Analyse eines Interviews dient demnach als Grundlage für die Wahl weiterer Interviewpartner*innen, welche – je nachdem, ob minimal oder maximal variierende Fälle gesucht werden – sich von den vorherigen falltypisch ähneln oder stark unterscheiden (ebd.: 249). Der Prozess des Samplings wird demnach von theoretischen Überlegungen kontrolliert (Glaser/Strauss 2006 [1967]: 45). 10 Zu Konfigurationen und konfigurativem Denken in fallorientierter Forschung siehe Ragin (2008: 109–112), der die auf Mengenlehre basierende sog. Qualitative Comparative Analysis als Methode der Erklärung in den Sozialwissenschaften vertritt.
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Lässt sich das Vorgehen als Theoretisches Sampling fassen? In gewissen Hinsichten sehr wohl, in anderen weiche ich allerdings von der mit der Grounded Theory verbundenen Methode des Theoretical Sampling ab. Dies gilt besonders für die Selektion der ersten Interviewpartner*innen. Hier habe ich zunächst Kriterien aufgestellt, mit deren Hilfe ein kontrastierender Vergleich möglichst aussagekräftiger Fälle ermöglicht bzw. vereinfacht werden sollte. Dies steht im Gegensatz zum Vorgehen des theoretischen Samplings im engeren Sinne. Bei diesem werden nach einem einzelnen, ersten Fall strikt iterativ auf Basis des minimalen oder maximalen Vergleiches weitere Fälle in steter Auseinandersetzung mit Daten und theoretischen Erkenntnissen hinzugezogen. Mein Vorgehen basiert demnach in stärkerem Maße auf Vorüberlegungen, welche allerdings nicht lediglich durch Lektüre von Texten, sondern konkret in Auseinandersetzung mit ersten Gesprächen und Interviews mit Organisationsvertreter*innen geformt wurden. Zum Vorwissen gehörte bereits vor dem konkreten Feldzugang eine Analyse der Literatur zu Komplementärwährungen sowie Kontakte zu verschiedenen Aktivisten der Komplementärwährungsszene. Hier folge ich Strübing (2008: 296), der sich scharf gegen die Vorstellung wendet, dass Grounded Theory auf der Ignoranz jeglichen Vorwissens basiere. »Das einzige Problem bei der Verwendung theoretischen Vorwissens liegt in seiner potentiellen Dominanz über die aktuell zu analysierenden Daten. Erforderlich ist hier vor allem eine bestimmte Haltung der Forschenden im Prozeß der aktiven Vermittlung von (Vor-)Wissen und Daten.« (ebd.: 296f) In dem schrittweisen Prozess der Identifikation von Interviewpartner*innen konnten, und das gilt immer für Forschung im Feld, die Zugangsmöglichkeiten zu den Kandidat*innen und die Machbarkeit der Interviews nicht vollständig ignoriert werden (Bernard 2006). So mussten zu einem Teil auch pragmatische Kriterien der Umsetzbarkeit, z.B. die Erreichbarkeit, vor allem aber auch die Bereitschaft zu einem Interview, beachtet werden. Diese Bereitschaft wiederum hängt von einem gewissen Maß an Vertrauen zwischen Forscher*in und Informant*in ab. Eine vertrauliche Basis habe ich in kurzen Gesprächen zur Anbahnung der Interviews und in der offenen Beschreibung meines Erkenntnisinteresses herzustellen versucht. In diesen Gesprächen ging es etwa auch um meinen persönlichen Hintergrund, nicht nur um themenund sachspezifische Fragen. Die Asymmetrie des Vergleiches machte unterschiedlich aufwändige SamplingVerfahren unumgänglich. Während in Brixton aufgrund der vergleichsweise langen Vorbereitungszeit vor Ort – basierend auf Beobachtung, teilnehmender Beobachtung, Gesprächen etc. – die Entwicklung der Kriterien im Feld erfolgte,11 wurden diese in den anderen beiden Fällen teilweise von dort übertragen und auf Basis von
11 Mit Richard Swedberg lässt sich mit Blick auf diesen ausführlichen Prozess der Anbahnung von einer »Vorstudie« (Swedberg 2012: 7f) sprechen.
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Vorabinformationen (Dokumente, Gespräche mit Organisationsverteter*innen) angepasst. Insofern lässt sich in diesen beiden Fällen eher von einer stärkeren »Vorabfestlegung« des Samples (Kruse 2015: 248) sprechen – wenn auch wiederum die (zeitlich deutlich begrenzteren) Erkenntnisse im Feld zu weiteren Anpassungen geführt haben. In Stroud etwa war es aufgrund des lokal begrenzten Einzugsgebietes möglich, im Rahmen vieler kurzer Gespräche das endgültige Sample einzugrenzen. In Vorarlberg hingegen verhinderte die Weitläufigkeit des Einzugsgebietes dieses Verfahren. Hier unterstützten die Mitarbeiter*innen der Allmenda eG den Samplingprozess und die Anbahnung von Interviews außerordentlich. In Vorarlberg, bedingt auch durch das vergleichsweise große Einzugsgebiet, das sich über mehrere Städte erstreckt, und die damit verbundene Notwendigkeit frühzeitiger Terminierungen der Interviews, waren die vorab erstellten Kriterien besonders bedeutsam. Kriterien der Selektion Als relevante Kriterien (vgl. Tab 7) für den Einstieg in das Sampling wurden insbesondere die Dauer sowie die Intensität der Mitgliedschaft herangezogen. Intensität bezieht sich auf den Grad der Partizipation (aktiv oder passiv) und darauf, wie umfassend Regiogeld genutzt wird. So mag die Intensität innerhalb der Gruppe der Teilnehmer*innen von der schlichten Akzeptanz des Regiogeldes als Zahlungsmittel (welche still sein oder beworben werden kann) bis hin zu aktiver Partizipation in der Organisation reichen. Ein weiteres Kriterium war der Umsatz (in Regiogeld), welcher mit der Intensität der Mitgliedschaft nicht identisch sein muss. So wurden Unternehmen mit vergleichsweise hohem und Unternehmen mit vergleichsweise niedrigem Umsatz einbezogen. Außerdem sollten gezielt zufriedene und nicht zufriedene Mitglieder befragt werden. Schließlich sollte eine angemessene Vielfalt an Tätigkeiten bzw. Gewerben der Unternehmen gewährleistet sein. So sollten produzierende und handeltreibende Unternehmen sowie insbesondere der Dienstleistungsbereich und die Gastronomie einbezogen werden. Letztere ist in Brixton außerordentlich weit verbreitet und gerade die Gegend um Brixton Village und Brixton Market beheimatet viele kleine unabhängige Gastronomiebetriebe (vgl. 9.1). Aber auch im Zentrum Strouds sowie im Einzugsbereich des Vorarlbergtalers finden sich (gerade in den das jeweilige Regiogeld akzeptierenden Gruppen) viele kleinere Gastronomiebetriebe. Für eine Untersuchung der Frage, welche Unternehmen aus welchen Gründen mit welchen Erfahrungen an Regiogeldprojekten teilnehmen, sind auch diejenigen Unternehmen, die sich gegen die Annahme des Regiogelds entschieden haben, überaus aufschlussreich. Die Grundgesamtheit der nicht-teilnehmenden Unternehmen ist deutlich weniger scharf umrissen als die der teilnehmenden. Für das Sampling ergibt sich somit zunächst die Frage der Identifikation dieser Grundgesamtheit. Schließlich gehören nicht alle Unternehmen zur Zielgruppe der Regiogelder. Für die Untersuchung relevant sind somit offensichtlich Unternehmen, die im Verbreitungsgebiet des
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Regiogeldes angesiedelt sind und die darüber hinaus aus Sicht der Regiogeldorganisation zumindest grundsätzlich als Mitglied in Frage kommen. Dies sind in den untersuchten Fällen etwa kleine unabhängige Unternehmen und nicht Filialen größerer Ketten. Tab. 6: Kriterien der Selektion (Übersicht) und mögliche Ausprägungen Gruppe
Teilnehmende Unternehmen
Kriterium Status Mitgliedschaft (Dauer) Intensität der Mitgliedschaft Umsatz Zufriedenheit/Erfahrungen
Gewerbe/Tätigkeit
Status Mitgliedschaft Nichtteilnehmende Unternehmen
Intensität/»Nähe«
Umsatz Zufriedenheit/Erfahrungen Gewerbe/Tätigkeit
mögliche Ausprägungen lang/kurz passiv (Akzeptanz)/aktiv (z.B. Werbung), bis hin zu Mitarbeit in Organisation niedrig/hoch sehr zufrieden, gute Erfahrungen/eher unzufrieden, schlechte Erfahrungen Produktion, Handel, Dienstleistungen, Restaurant/ Pub/Café nie Mitglied/ehemaliges Mitglied Neutralität, aktive Gegnerschaft, positive Grundeinstellung (falls ehemaliges Mitglied) Produktion, Handel, Dienstleistungen, Restaurant/ Pub/Café
Quelle: Eigene Darstellung
Für das Forschungsvorhaben wurden somit Unternehmen gesucht, die den teilnehmenden ähneln, sich aber gegen die Mitgliedschaft entschieden haben. Diese fungieren in gewisser Hinsicht als Kontrollgruppe. Dieses Verfahren bezeichnet Bernard als Case Control Sampling (Bernard 2006: 194). Auf Basis dieser Überlegungen habe ich sowohl nicht-teilnehmende Unternehmen identifiziert, die niemals partizipiert hatten, als auch solche, die in der Vergangenheit das Regiogeld als Zahlungsmittel
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akzeptiert hatten, es im Analysezeitraum aber nicht mehr annahmen.12 Die »Nähe« zum Regiogeld galt als weiteres Kriterium: Es sollten nach Möglichkeit unter anderem solche Unternehmen befragt werden, die bereits von der Regiogeldorganisation kontaktiert wurden und somit eine aktive (möglicherweise lediglich vorläufige) Entscheidung gegen den Eintritt bzw. die Akzeptanz des Regiogeldes als Zahlungsmittel getätigt haben. Daneben sollten ergänzend Unternehmen befragt werden, die weniger intensiven (oder gar keinen direkten) Kontakt zur jeweiligen Regiogeldorganisation hatten. Das Kriterium der Intensität weist auch bei der Gruppe der Nichtteilnehmerinnen verschiedene mögliche Merkmalsausprägungen auf und erstreckt sich von keiner oder geringer Information und mangelnder Motivation, sich mit dem Regiogeld ernsthaft zu beschäftigen bis hin zu aktiver Gegnerschaft des Projektes. Umsatz mit dem Regiogeld entfällt als Kriterium, Zufriedenheit und Erfahrung ebenfalls. Erfahrungen werden lediglich im Interview thematisiert, wenn es sich um ein ehemaliges Mitglied handelt. Analog zu der Gruppe der teilnehmenden Unternehmen habe ich auch bei den nichtteilnehmenden Unternehmen darauf geachtet, die unterschiedlichen Tätigkeiten und Gewerbe der Zielgruppe abzudecken. In allen drei Fällen habe ich dementsprechend die von den Regiogeldorganisationen zur Verfügung gestellten, teilweise auch frei verfügbaren Listen teilnehmender Unternehmen systematisch ausgewertet und mit den Einschätzungen der in der Organisation Tätigen abgeglichen. Dies ermöglichte es mir, erste Interviewkandidat*innen zu identifizieren und zu kontaktieren. Gemäß der Logik des sogenannten Schneeballverfahrens, auch »response-driven sampling« genannt (Bernard 2006: 192f), konnte ich in den durchgeführten Interviews, aber auch in Gesprächen mit Nutzer*innen, weitere Kandidat*innen ausfindig machen. Das Schneeballverfahren diente dazu, geeignete Interviewpartner*innen aus dem Feld heraus zu erfassen. So konnten etwa viele Unternehmer*innen von besonders zufriedenen oder unzufriedenen Teilnehmer*innen berichten, die ich dann kontaktierte. Insbesondere sogenannte kritische Fälle können mit dieser Methode gut identifiziert werden, bei meiner Forschung beispielsweise ein Händler in Stroud, der aktiv andere davon zu überzeugen versuchte, das Stroud Pound nicht anzunehmen. Die Form des hier angewandten Schneeballverfahrens diente somit der Selektion, nicht dem Auffinden möglicher Interviewpartner*innen und ist nicht mit der äußerst pragmatischen Methode des sogenannten Convenience Samplings zu verwechseln, welches im Extremfall einfach einen »glorified term for grabbing whoever will stand still long enough to answer your questions« (ebd.: 191) bezeichnet.
12 Dass diese Kategorie weiter graduell unterteilt werden kann und mitnichten eine dichotome Ausprägung aufweist, zeigten mehrere Erfahrungen im Feld: in einigen Läden wurde das Geld zwar im Grundsatz nicht akzeptiert, möglicherweise von einem konkreten Angestellten aber doch (vgl. 9.1).
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In Brixton gelang es mir, aufgrund der vergleichsweise langen Zeit teilnehmender Beobachtung (als Anwohner und Nutzer des Brixton Pounds) ein äußerst ausführliches Bild der beteiligten Unternehmen zu erhalten und dadurch den Prozess des Samplings hochgradig eigenhändig zu steuern. Aufgrund des deutlich kürzeren Aufenthaltes in den beiden anderen Gebieten war ich dort stärker auf die Informationen der Schlüsselinformant*innen angewiesen. Gerade im Vorarlberg halfen mir die Mitarbeiter*innen der das Regiogeld herausgebenden Allmenda eG sehr dabei, Interviewtermine zu vereinbaren. Gleichwohl habe ich mich nicht ausschließlich auf die vorgeschlagenen Interviewpartner beschränkt, sondern eigenständig weitere Gespräche mit Unternehmen geführt, die in der Mitgliederliste genannt waren. In Stroud diente die Liste der das Stroud Pound akzeptierenden Stellen als geeigneter Ausgangspunkt für die Interviews. Schließlich ist das Stroud Pound vergleichsweise klein (mit zu Hochzeiten der Zirkulation knapp 40 beteiligten Unternehmen) und das Verbreitungsgebiet insbesondere auf die Highstreets von Stroud und Stonetown beschränkt. Demgegenüber sind Brixton Pound und Vorarlbergstaler größer und im Falle Vorarlbergs liegen viele teilnehmende Betriebe räumlich weit auseinander. Besonderheit in Vorarlberg: Taler und Tauschkreis Eine Sonderstellung auch hinsichtlich des Samplings hatte die Untersuchung in Vorarlberg inne. Denn hier besteht eine außerordentliche Nähe zwischen dem Vorarlbergstaler und dem Talente-Tauschkreis, also zwischen dem Regiogeld und einem Tauschring. Diese Nähe äußert sich bereits darin, dass der leitende Personenkreis sehr große Überschneidungen aufweist und es Unternehmen gibt, die beide Komplementärwährungen akzeptieren (vgl. 9.3). Die Fallstudie zum Vorarlbergstaler schien aufgrund dieser engen Verzahnung außerordentlich geeignet, auch das Verhältnis zwischen diesen Komplementärwährungsansätzen zu betrachten. Dies liegt nicht nur darin begründet, dass Regiogelder in gewisser Weise als eine (ergänzende) Weiterentwicklung der Tauschringe angesehen werden (vgl. 7), sondern auch darin, dass die zugeschriebenen Bedeutungen und die Erwartungen an diese Geldformen identisch, komplementär oder gar widersprüchlich sein können. Tab. 7: Interviews in Vorarlberg
V-Taler (Regiogeld)
Mitglied Nichtmitglied
Talente Tauschkreis Mitglied Nichtmitglied 3 3 4 5
Quelle: Eigene Darstellung. Die tabellarische Übersicht zeigt die Klassierung des Samples nach Partizipation bei Regiogeld und Tauschkreis.
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Im Vorarlberg habe ich daher – in enger Zusammenarbeit mit der Allmenda eG – vier Gruppen befragt: solche, die beide Komplementärwährungen akzeptieren, solche die den V-Taler, aber nicht die Talente, solche, die die Talente, aber nicht den V-Taler, sowie solche, die keine der beiden Währungen akzeptieren.
8.2 DATENAUSWERTUNG: ZUR ANALYSE DER INTERVIEWS UND DER FELDNOTIZEN Die Auswertung des Datenmaterials erfolgte in einem mehrstufigen Verfahren. Von den Interviews habe ich zunächst (möglichst zeitnah) kurze Interviewprotokolle erstellt. Auch konnten die Erfahrungen eines Interviews dazu dienen, den Interviewleitfaden zu verfeinern oder zu adaptieren. Dies verweist noch einmal auf den prozessualen non-linearen Charakter qualitativer Forschung. Zusammen mit weiteren Feldnotizen ergänzen die kurzen Interviewprotokolle die Transkripte der Interviews selbst als zentrale und umfassendste Datengrundlage der Studie. Interviewsituationen sind spezielle, konstruierte Situationen, deren Analyse (genau wie das Führen selbst) besonderer Aufmerksamkeit bedarf. Eine naive Vorstellung würde postulieren, durch das Abfragen von Motiven, Einstellungen oder Meinungen könnten unmittelbar tatsächliche innere Überzeugungen identifiziert werden. In einer solchen Sichtweise wären Äußerungen der Interviewpartner*innen zu interpretieren, als ob sie so etwas wie die Wahrheit unmittelbar widerspiegelten (Dellwing/Prus 2012: 114f). Doch »[w]as die Personen sagen, ist nicht ›einfach so wahr‹, aber es ist wahr in dem Sinne, dass sie eine Welt damit produzieren und strukturieren, die nicht ihre alleinige Erfindung ist« (ebd.: 116). Statt von einer Wahrheit muss von »kontextgebundene[n], subjektive[n] Wahrheiten im Plural« (Helfferich 2011: 76) ausgegangen werden. So werden in einer Interviewsituation vermutlich andere Versionen der Wahrheit erzählt als in einem Gespräch unter Freund*innen oder, um bei den Fallstudien zu bleiben, in Gesprächen mit anderen Regiogeldnutzer*innen, den Organisator*innen usw. »Mit der Einsicht in die Versionenhaftigkeit der produzierten Erzählung wächst die Bereitschaft, den Plural subjektiver und situationsgebundener ›Wahrheiten‹ zu akzeptieren. Dies ist mit der gemeinsamen Grundposition qualitativer Verfahren verbunden, dass soziale Wirklichkeit immer als schon interpretierte, gedeutete und konstruierte Wirklichkeit Forschungsgegenstand ist.« (Helfferich 2011: 76)
Zu bedenken ist demnach, dass Aussagen in Interviews grundsätzlich in hohem Maße vom Kontext des Gesprächs sowie der konkreten Situation abhängig sind. Diese »situationale[n] Fixierung« (Dellwing/Prus 2012: 114) des Interviews muss bei der Aus-
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wertung beachtet werden. Eine (minimale) Anforderung lautet, dass einzelne Aussagen nicht für sich gewertet, sondern stets im Kontext des Interviews und der Interviewsituation gesehen werden müssen. Zu berücksichtigen ist etwa, dass meine Interviews mit Personen unter anderem Rückschlüsse auf Organisationen zulassen sollen, wenn auch diese spezifische Problematik der Distanz bereits dadurch entschärft wird, dass einen Großteil der Organisationen tatsächlich Einzelbetriebe oder zumindest inhabergeführte Betriebe mit nur wenigen Angestellten ausmachen. Zwar kann nicht einfach davon ausgegangen werden, dass die interviewte Person repräsentativ für die Gruppe der Mitglieder der jeweiligen Organisation ist, doch ist dieses Repräsentationsproblem geringer ausgeprägt als bei Forschungen zu größeren Organisationen mit einer stärkeren Differenzierung von Hierarchieebenen und Tätigkeitsfeldern. Offenheit in den verschiedenen Phasen der Forschung ist eine zentrale Anforderung an qualitative Methoden. Nicht nur die Beobachtung im Feld oder das Generieren von Daten im Interview, sondern auch deren Auswertung muss dem Postulat der Offenheit Rechnung tragen. Diese Offenheit im Forschungsprozess erfordert, nicht vorab ein spezifisches Analyseverfahren zu setzen, sondern geeignete Verfahren im Analyseprozess, ausgehend von den Daten, zu identifizieren oder zu entwickeln (Kruse 2015: 362). Zunächst scheint daher ein integrativer Ansatz geeignet, um eine vorschnelle Fokussierung auf eines der sich immer stärker ausdifferenzierenden (ebd.: 370) qualitativen Analyseverfahren zu vermeiden. Diese treten immer weniger in wechselseitigen Dialog, sondern bilden mittlerweile selbstreferenzielle Schulen (Lamnek 2010: 252). Einem umfassenden Postulat der Offenheit und dem damit verbundenen Anspruch eines rekonstruktiv-hermeneutischen Verständnisses, in der Analyse breit und tief zugleich der »Relevanz aller Daten« (Kruse 2015: 365) gerecht zu werden, stehen allerdings forschungspragmatische Erfordernisse der Schließung entgegen. Nicht alles kann in einer Arbeit untersucht werden, so relevant es auch sein mag. Helfferich bringt es auf den Punkt, wenn sie sagt: »Je weniger Fälle untersucht werden, desto intensiver ist das Auswertungsverfahren gestaltet« (Helfferich 2011: 175), und das bedeutet umgekehrt auch: Wenn eine breite Erfassung verschiedener Perspektiven als nützlich bewertet wird, fällt die Analyse jedes einzelnen Interviews tendenziell weniger intensiv aus. Es ist daher eine angemessene Auswahl hinsichtlich Umfang und Methoden zu suchen. Die »Gegenstandsangemessenheit der Methoden« (Flick 2007: 26) bezieht sich schließlich auf das jeweilige problemzentrierte Erkenntnisinteresse. Auch in meinem Fall erwies sich der Umfang der gesammelten Daten als außerordentlich groß und machte eine begrenzende Spezifizierung der Auswertungsmethodik unumgänglich. Im Folgenden verdeutliche ich die Überlegungen, die letztlich zum gewählten Verfahren führten. Dabei wird mit Bezug auf die Interviews zunächst das Verfahren der Transkription begründet (8.2.1) und dann der inhaltsanalytische Ansatz sowie das Codierverfahren diskutiert (8.2.2), ehe ich kurz auf wesentliche Interaktionen mit anderen Forscher*innen und Experten eingehe (8.2.3).
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8.2.1 Transkription der Interviews und Inventarisierung Innerhalb der Diskussion um Methodiken qualitativer Sozialforschung in den Sozialwissenschaften wird der Transkription und der systematischen Analyse von Interviews eine bedeutende Stellung eingeräumt. Nicht nur mit Blick auf das spezifische Erkenntnisinteresse, sondern auch auf Basis verschiedener forschungstheoretischer Ansätze unterscheiden sich dabei die Anforderungen an Interviewtranskriptionen und ihre Auswertungen. Nach Kruse werden Daten »[d]urch unreflektierte und mangelhafte Transkription […] im Grunde genommen verfälscht, und die potentiell erreichbare Analysetiefe wird von vornherein stark reduziert« (Kruse 2015: 341). Da Bedeutung nicht nur durch das (verschriftliche) Wort, durch das, was gesagt wird, konstruiert wird, sondern auch durch das wie, muss eine Transkription auch solche Dimensionen gesprächslinguistischer Art erfassen, die im »sprachlich-kommunikativen Vollzug, also seine[r] performatorische[n] Formung generiert« werden (ebd.: 343). Konkret: Transkripte sollen auch Betonungen, Intonationen, Pausen, Zwischenlaute aufnehmen, da diese für die Analyse relevant sein können. Allerdings stellt »[j]ede Transkription […] als Sekundärmaterial selbst eine Konstruktion dar – und ist keine objektive Abbildung der verbalen Primärdaten« (ebd.: 346). Daher schlägt Kruse vor, zur Analyse von Transkripten parallel auch die Audiodateien auszuwerten. Ich habe mich für eine Form der Basistranskription entschieden, die die inhaltlichen Aussagen ins Zentrum rückt und nur in Ausnahmen Betonungen aufnimmt. Allerdings habe ich im Codierungsprozess jedes Interview zumindest in Auszügen mehrfach gehört, um neben dem inhaltlich Transkribierten auch weitere Dimensionen zu erfassen. Dellwing und Prus kritisieren in ihrer Einführung in ethnographische Methoden strikte, schematische Auswertungen auf Basis außerordentlich detailreich transkribierter und gewissenhaft-schematisch codierter Interviews (Dellwing/Prus 2012: 149-152). Schließlich würden feste Methoden »feste Daten« voraussetzen – solche sind aber allgemein bei Ethnographien, aber auch konkret in Interviews und Gesprächen nicht gegeben. »Tatsächlich ist auch das Interview [genau wie Feldnotizen, PD] vorinterpretiert, selbst wenn akribisch transkribiert ist, wenn auch auf subtilere Art und Weise. Würden hier strikte hermeneutische Methoden angewandt, hieße das immer noch, dass die feste Struktur der Analyse an etwas herangetragen wird, das nur eine Fixierung unter vielen möglichen erhalten hat, eine Fixierung, die Gesprächspartner und Forscher immer gemeinsam geleistet haben, dem strikte Methoden dann eine Methodologie und versteckte Struktur unterstellen, die das Improvisationschaos der Welt ein wenig unterschätzt« (Dellwing/Prus 2012: 150).
Ob und inwiefern eine Transkription von Interviews aus dem ethnographischen Forschungsprozess sinnvoll oder notwendig ist, wird durch die jeweilige Forschungsfra-
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ge und das Erkenntnisinteresse bestimmt (Bernard 2006: 231). Nicht alle Interviews müssen vollständig transkribiert und analysiert werden. Auch in der vorliegenden Untersuchung sind daher eine Reihe von »Abkürzungsstrategien« zur Anwendung gekommen, welche »je nach Spezifität des Forschungsprojekts, der Erkenntnisinteressen und der Forschungsphasendynamik verfolgt werden können« (Kruse 2015: 566). Neben den im Folgenden skizzierten Verfahren der Inventarisierung nennt Kruse Sampling-Verfahren anhand des Datenmaterials, etwa (nachträgliches) theoretisches Sampling im Sinne der Grounded Theory (ebd.: 566-569). Auch schlägt er eine rekonstruktive Analyse der Einstiegssequenzen aller Interviews vor, welche bei sehr offenen Interviews eingesetzt werden kann (ebd.: 569). Für die vorliegende Arbeit erwies sich besonders die Analyse von inhaltlich relevanten Kernstellen anstelle einer Analyse der gesamten Interviews als geeignet. Viele Interviews enthalten Passagen, in denen verschiedene Themen zur Sprache kommen, die keinen Bezug zu den Regiogeldern oder verwandten Gebieten haben. Dies gilt gerade für viele längere Interviews. Beispiele schließen Unterbrechungen durch Dritte, Gesprächsteile über die Branche des Unternehmens, aber auch Erkundigungen über mich selbst und meine Erfahrungen ein. In den Interviews habe ich auch weite Abweichungen vom Interviewleitfaden bewusst zugelassen, um die Offenheit des Gesprächs zu erhalten und zu fördern und einem einseitigen Frage-Antwort-Schema zu entgehen. Dementsprechend sind die Audiodateien nicht in ihrer Gesamtheit relevant. Bei vielen Interviews erfolgte daher keine vollständige, sondern eine auf die jeweils relevanten Kernstellen beschränkte Transkription. Schwierigkeiten dieses Vorgehens kann die Auswahl der Kernstellen verursachen, schließlich hängt die Selektion bereits mit einer ersten Analyse zusammen.13 Um dieses Problem zumindest einzugrenzen, bin ich Kruses Vorschlag, zunächst Inventarisierungen der Interviews anzulegen, gefolgt (ebd.: 571f). Die anhand der Audiodateien erstellten Inventare dienten als Grundlage der Selektion der dann transkribierten und tiefer analysierten Kernstellen. Solche Inventare »ersetzen im Sinne von strukturierten Exzerpten die Transkripte als sekundäres Datenmaterial und ermöglichen einen ersten, relativ einfachen – im Prinzip inhaltsanalytischen Zugriff […] auf das Interviewdatenmaterial« (ebd.: 572). Ein Inventar enthält Informationen zur jeweiligen Leitfrage bzw. Erzählaufforderung, zur Aufnahmestelle sowie zu den inhaltlich behandelten Themen.
13 Für die vorliegende Untersuchung vergleichsweise wenig problematisch erscheint, dass die »definierten Kernstellen aus der emergenten Sinnproduktion der kommunikativen Interviewsituation enthoben, d.h. dekontextualisiert werden« (Kruse 2015: 571). Dies ist schließlich sogar ein Grundanliegen der Selektion: Interviewpassagen werden nicht analysiert, wenn es das Erkenntnisinteresse nicht erfordert. Hier zeigt sich eine Nähe zu inhaltsanalytischen Vorgehen, die eben stärker an den verbalisierten Informationen aus themenspezifischer Sicht orientiert sind.
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8.2.2 Auswertung der Interviews Wie bereits angesprochen, lässt sich die Inventarisierung der Interviews als inhaltsanalytisches Vorgehen fassen. Im Folgenden soll das inhaltsanalytische Verfahren problematisiert werden. Analyseverfahren, die dem Ansatz der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2010) folgen oder zumindest in seiner Nähe stehen (Schmidt 2010),14 verstehen sich als eine Möglichkeit, explizierte Vorannahmen und konkreten Theoriebezug mit einer hinreichenden Offenheit der Untersuchung zu kombinieren. Dabei werden am Material beziehungsweise in der Auseinandersetzung mit dem Material Kategorien gebildet, welche als Grundlage eines Codierleitfadens dienen, anhand dessen wiederum aus codierten Interviews Fallübersichten erstellt werden (ebd.: 448). Damit handelt es sich um ein zunächst informationsextrahierendes Verfahren, das der Reduktion des Materials auf Basis der darin enthaltenen textlichen Informationen dient (Mayring 2010: 85).15 Aufgrund dieses Fokusses auf die den jeweiligen Texten zu entnehmende Daten beschreiben Gläser und Laudel die qualitative Inhaltsanalyse als »das einzige Verfahren der qualitativen Textanalyse, das sich frühzeitig und konsequent vom Ursprungstext trennt und versucht, die Informationsfülle systematisch zu reduzieren sowie entsprechen dem Untersuchungsziel zu strukturieren« (Gläser/Laudel 2010: 200). Diese Extraktion auf Basis einer theoriegeleiteten Herleitung relevanter Variablen und Hypothesen über zugrundeliegende Kausalmechanismen ist selbst ein »entscheidender Interpretationsschritt« (ebd.: 201).16 Offenheit in der Analyse der extrahierten Inhalte lässt sich nach Gläser und Laudel (ebd.: 205) insbesondere dadurch herstellen, dass das Kategoriensystem nominalskaliert ist und die Kategorien somit offene Fragen und frei verbale Beschreibungen erlauben. Sie sehen außerdem explizit die Möglichkeit vor, das Kategoriensystem zu verändern, wenn etwa relevante Informationen auftauchen, die nicht zu den vorab ermittelten Kategorien passen. Ähnlich spricht Mayring davon, dass Kategorien »in einem Wechselverhältnis zwischen der Theorie (der Fragestellung) und dem konkreten Material entwickelt, durch Konstruktions- und Zuordnungsregeln definiert und während der Analyse überarbeitet und rücküberprüft« werden (Mayring 2010: 59).
14 Kruse (2015: 399) verweist darauf, dass Mayring selbst eine Vielzahl von Varianten vorschlägt und spricht deshalb nicht von der Inhaltsanalyse nach Mayring. 15 Diesem ersten Verfahren der zusammenfassenden Inhaltsanalyse, bei dem das Material reduziert wird, schließt sich die Kontextanalyse an, welche weiteres Material hinzuzieht, um eine Textstelle zu explizieren und kontextualisieren (Mayring 2010: 85f), ehe die Strukturierung des Materials folgt, wobei Mayring zwischen formaler, inhaltlicher, typisierender und skalierender Strukturierung unterscheidet (ebd.: 94–105). 16 Eine solche Interpretation mag aber lediglich implizit geschehen und verliert den Blick auf die Versprachlichung, entgegnet rekonstruktivistische Kritik (Kruse 2015: 404f).
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Gläser und Laudel bestehen im Gegensatz zu Mayring (und der in dieser Arbeit vorgenommenen Strategie) allerdings darauf, dass keine Kategorien entfernt werden dürfen, damit »die theoretischen Vorüberlegungen nicht aus der Auswertung« (Gläser/Laudel 2010: 205) genommen werden. Sie möchten damit die Möglichkeit offenhalten, im weiteren Verlauf der Arbeit auf die Spannung zwischen Theorie und Daten zurückkommen zu können. Demgegenüber erscheint mir eine gegenüber Erkenntnissen aus dem Forschungsprozess blinde Fixierung auf vorab deduzierte Kategorien nicht zielführend. Kruse (2015: 398-417) kritisiert an den vielgenutzten inhaltsanalytischen Verfahren ihre Nähe zur Logik quantitativer Forschung und die »deduktiv-subsumptionslogischen« Elemente (ebd.: 411), welche die Offenheit des Forschungsverfahrens stark beeinträchtigen. Außerdem führe der Fokus auf Äußerungen (anstelle von Aussagen) dazu, dass Analysen auf der »Ebene der analytischen Systematisierung bzw. Inventarisierung des ›WAS‹ stehen« (ebd.: 401) bleiben und keinen Blick für das ›WIE‹ und die damit verbundene Ebene des Kommunikativen und des Sprachlichen haben. In der vorgeschlagenen Form sind ihm inhaltsanalytische Verfahren demnach für rekonstruktive Verfahren der Sozialforschung ungeeignet. Insgesamt erscheint mir eine Verabsolutierung der Offenheit bei der Interviewanalyse allerdings nicht zielführend zu sein, zumindest dann nicht, wenn unter Offenheit zwingend eine umfassenden auf das ›WIE‹ des Gesagten (und der Nebengeräusche) abzielende Transkription verstanden wird. Sicherlich sind bei der Analyse vorschnelle Schlüsse zu vermeiden, etwa durch den Einsatz explizit reflexiver Methoden. Allerdings besteht auch die Gefahr, durch eine zu strikt formalisierte Vorgehensweise der Analyse von Transkripten eine Offenheit zu konstruieren, welche vielleicht bereits (spätestens) im Prozess des Interviews selbst verunmöglicht wurde. Schließlich hängt die »Qualität qualitativer Daten« (Helfferich 2011) von den Situationen der Datengenerierung ab. Gerade für ethnographische Arbeiten gilt, dass »das, was wir als unsere Daten bezeichnen, in Wirklichkeit Auslegungen davon sind« (Geertz 2012: 14). Während der Beobachtung, des Erstellens der Feldnotizen, bei der Anbahnung und Durchführung der Gespräche sowie der Erstellung der Interviewprotokolle werden viele analytische Schritte unternommen, in denen neben dem ›WAS‹ auch das ›WIE‹ in den Blick genommen wird. Daher erscheint die gewählte, primär inhaltsanalytische Auswertung der Interviews im Anschluss gerechtfertigt. Gleichwohl bleibt der Einwand der stark deduktiven Herangehensweise der Inhaltsanalyse ernst zu nehmen. Aus diesem Grund besteht das hier gewählte Verfahren auch nicht in der ex-ante Festlegung eines Kategoriensystems. Stattdessen werden Kategorien mithilfe des Kodierens erst in der Auseinandersetzung mit den Interviews (aber unter Berücksichtigung der theoretischen Einsichten) gebildet, im Laufe des Analyseprozesses stetig adaptiert. Die Analyse der Kernstellen erfolgt in Anlehnung an Überlegungen zur Grounded Theory durch Kombination von offenem, axialem
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und selektivem Codieren. Auf Basis der Codes habe ich dann Typisierungen vorgenommen, etwa mit Blick auf die Identifikation idealtypischer Mitgliedschaftsmuster. In einem zweiten Schritt erlaubt dann die Kontrastierung der idealtypischen Konstellationen mit empirischen Fällen, Konfigurationen zu identifizieren, welche mit der Entscheidung, Regiogeld zu akzeptieren oder nicht zu akzeptieren, einhergehen. 8.2.3 Interaktionen in der Datenerhebung und -auswertung Zu den Mechanismen, die ich zur Qualitätssicherung angewandt habe, gehört auch die Kommunikation mit anderen Expert*innen, darunter Wissenschaftler*innen und Vertreter*innen der Komplementärgeldszene. Schon in Brixton erwiesen sich regelmäßige Diskussionen mit der Ethnologin Hayley James, welche sich ebenfalls mit dem Brixton Pound beschäftigte (James 2014) und dem Organisationsforscher Mario Campana (Campana 2014), der das Brixton Pound unter dem Gesichtspunkt der Performativität von lokalen Märkten im Rahmen seiner Dissertation untersucht, als äußerst fruchtbar. Gerade Arbeitstreffen mit ihnen verdeutlichten noch einmal, wie stark personenabhängig das Vorgehen im Feld ist – sie zeigten aber gleichzeitig auch, dass manchmal verschiedene Wege zu ähnlichen Einschätzungen führten. Vor, während und nach meinen Forschungsaufenthalten habe ich mich regelmäßig mit verschiedenen Akteur*innen der Komplementärwährungsbewegung, darunter Vertreter*innen der hier untersuchten Fälle, ausgetauscht. Daher habe ich auch punktuell Entwicklungen aufnehmen können, die sich nach meiner ausführlichen Datenerhebung im Feld ergaben. Zwei weitere Male bin ich auch selbst noch einmal nach Brixton gefahren und habe mich mit Mitgliedern ausgetauscht. Auch Präsentationen von Zwischenergebnissen auf Tagungen und Kolloquien boten die Möglichkeit, sowohl die Interpretation der Daten als auch die theoretischen Implikationen zu diskutieren und zu verbessern.
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Einstieg in die drei Fallstudien: Brixton Pound, Stroud Pound und Vorarlbergstaler
In diesem Abschnitt stelle ich die drei Fallbeispiele vor. Hier erläutere ich Hintergründe und Ausgestaltungen von der Gründung bis zum Untersuchungszeitraum und diskutiere spezifische Eigenheiten der jeweiligen Fälle, mit denen teilweise bestimmte Problemfelder und eingeschränkte Funktionsfähigkeiten einhergehen. Die Vorstellung der Fallbeispiele folgt dabei einem Analyserahmen, der wesentliche Aspekte hervorhebt und Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede identifizieren lässt. Datengrundlage bilden die Interviews mit Vertreter*innen der Organisationen sowie von diesen herausgegebene Dokumente, etwa Broschüren, Satzungen und Web-Auftritte. Punktuell ziehe ich auch Informationen aus den Interviews mit Unternehmer*innen hinzu. Diese werden aber ausführlich erst in den diesen Fallvorstellungen folgenden Kapiteln ausgewertet, die im Kern auf den Unternehmensperspektiven basieren. Diese Gegenüberstellung der Fälle dient somit nicht der Darstellung abgeschlossener Fallstudien, sondern der Erläuterung notwendigen Hintergrundes für die unternehmensbezogene Analyse. Die Darstellung enthält jeweils Informationen zum Setting, eine kurze Rekonstruktion der Gründung, der Zielsetzung und der Organisationsgestaltung. Dann gehe ich auf das komplementärwährungsbezogene Umfeld ein und zeige, in welchem Verhältnis das Regiogeld zu anderen Komplementärwährungen steht. Schließlich beschreibe ich das Erscheinungsbild sowie die Funktionsweise und erörtere die jeweiligen Zielgruppen, die Reichweite und den Umlauf. Die drei Regiogelder sind zwischen 2009 und 2013 in Umlauf gebracht worden und beziehen unterschiedlich viele Unternehmen mit ein. So haben in Stroud ca. 40 Unternehmen Regiogeld akzeptiert, in Brixton und Vorarlberg über 200. In beiden Fällen existieren auch elektronische Zahlsysteme. Auch hinsichtlich der Finanzierung durch Gebühren unterscheiden sich die Fälle (Tab. 8 bietet einen Überblick). Ich stelle zunächst das Brixton Pound (9.1), dann das Stroud Pound (9.2) und abschließend den Vorarlbergstaler, kurz VTaler, (9.3) vor.
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Tab. 8: Übersicht über die drei Fälle
Gründungsjahr
Anzahl teilnehmender Unternehmen Zirkulationsvolumen
Mechanismus bargeldloser Zahlung Gebühren
Brixton Pound
Stroud Pound
VTaler
2009 elektronisches Geld seit 2011 ca. 250 (Papiergeld), 200 (elektronisches Geld) 35.000 B£ (Papiergeld) im Umlauf; e-currency ca. 4.000 B£ je Monat Pay-by-text (sms oder app) für Konsument*innen und Unternehmen 1,5% bei elektronischer Zahlung
2009
2013
ca. 40 (im Jahr 2010)
ca. 200
10.000 S£ im Umlauf (2010)
Ca. 100.000 VTaler im Umlauf
nicht vorhanden
Überweisung zwischen Betrieben möglich (online, app) Rücktauschgebühr in Höhe von 3%
Rücktauschgebühr abgeschafft
Rücktauschgebühren (3%) sowie Umlaufsicherung (Negativzins von 3% pro 6 Monate)
Quelle: eigene Darstellung
9.1 BRIXTON POUND Das seit 2009 zirkulierende Brixton Pound gehört zu den britischen Transition Currencies, die aus der Transition Town Bewegung entstanden sind und deren Funktionsweise als Komplementärwährung insbesondere auf der Deckung durch Sterling und der Konvertibilität in Sterling basiert. Es handelt sich somit um Regiogeld, wie es in der Typologie Blancs (2011) als »ökonomisches Projekt« diskutiert wird. Das Brixton Pound ist die erste der Transition Currencies, welche in einer Großstadt zirkuliert. Im Folgenden gebe ich zunächst einen Überblick über das Setting, wobei ich insbesondere die jüngeren Gentrifizierungsprozesse in Brixton thematisiere (9.1.1). Dann stelle ich die Gründung des Brixton Pounds sowie den Initiator*innenkreis kurz vor (9.1.2), ehe ich auf die Zielsetzung und die Ausgestaltung der Organisation eingehe (9.1.3). Anschließend beleuchte ich das komplementärwährungsbezogene Umfeld, insbesondere die Zusammenarbeit mit dem Lambeth Council und die Erfahrungen
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aus einem vorherigen Tauschring (9.1.4), bevor ich das Erscheinungsbild sowie die Funktionsweise des Brixton Pounds als spezifische Geldform erörtere (9.1.5). Die Kurzvorstellung der Fallstudie schließt mit einem Abschnitt zu Reichweite, Zielgruppen und Umlauf des Brixton Pounds (9.1.6). 9.1.1 Setting: Brixton Brixton ist ein Süd-Londoner Stadtteil im Lambeth Council mit ungefähr 75.000 Einwohner*innen (UK Census 2011). Auch innerhalb des multikulturellen Londons zeichnet sich das Viertel durch seine Diversität aus. »If anything the most distinctive feature of Brixton is its polymerism, its multiplicity, its kaleidoscopic character« (Howarth 2002: 32). In den 1950er und 1960er Jahren wurde Brixton zur Heimat vieler Nachkriegsimmigrant*innen, »especially poor Jews, Poles, Cypriots and those from the colonies who responded to ›the Motherland needs you‹ plea« (Howarth 2002: 316). Brixton wurde dabei zum Zentrum der Karibischen Gemeinschaft in London. Windrush Square, zentraler Platz in Brixton gegenüber der Town Hall, ist nach dem Schiff benannt, auf dem 1948 jamaikanische Immigrant*innen dem Ruf des »Mutterlandes« folgend nach England gekommen sind und sich überwiegend in Brixton und angrenzenden Gemeinden in Lambeth niedergelassen haben (Brixton Society 1996). Die Bedeutung des Black Heritage ist im Straßenbild nicht zu übersehen.1 Brixton gehört zu den Stadteilen mit einem vergleichsweise hohen Anteil an einkommensschwachen Personen. Lambeth Council gilt als »the 8th most deprived borough in London and 14th most deprived in England« (Lambeth Council 2014: 3). Berühmtheit erlangten die Brixton Riots 1981, als es zu Auseinandersetzungen zwischen Polizei und überwiegend Schwarzen Demonstrant*innen kam, bei denen es in einem Klima der racial discrimination, hoher Arbeitslosigkeit und Armut zur Eskalation mehrtägiger Unruhen mit mehreren hundert Verletzten kam (zu diesen Riots und weiteren in den 1980ern Howarth 2002: 317f). Diese Riots prägten das Image Brixtons bis in die letzten Jahre. In jüngster Zeit ist hingegen ein Wandel allgegenwärtig, sichtbar am Straßenbild, spürbar beim Einkaufen in den Markthallen, Thema in der lokalen Presse und ständig Gegenstand von Gesprächen. Galt Brixton in der Vergangenheit als heruntergekommen und gefährlich, zeichnet es sich heute durch einen Prozess der Gentrifizierung
1
Der Besuch Nelson Mandelas 1996 stellte einen symbolischen Höhepunkt der Anerkennung dar, auf den ich in den Monaten meines Aufenthaltes mehrmals angesprochen wurde. Auch befindet sich im Zentrum das Black Cultural Archive mit ständigen Ausstellungen zur Schwarzen Geschichte Londons und Großbritanniens.
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aus.2 In diesem Klima des Umbruchs habe ich von Januar bis Mai 2014 in Brixton gewohnt. Damit hatte ich die Möglichkeit, den Stadtteil intensiv kennenzulernen. Die Menschen, denen ich während meines Aufenthaltes begegnet bin, ob bei Treffen des Brixton Pounds, in der Nachbarschaft, der städtischen Bibliothek, beim Fußballspielen oder in den zahlreichen Cafés, Restaurants und Läden, berichten fast alle von steigenden Immobilienpreisen, Mieterhöhungen und Veränderungen des Stadtbildes.3 So erzählen sie von Menschen, die wegen der steigenden (Miet-)Kosten aus Brixton wegziehen mussten und vom Verschwinden alteingesessener Geschäfte und Läden sowie der Ankunft neuer Läden, die ein zahlungskräftigeres Publikum anziehen. Dieser Wandel wird von einigen begrüßt und von anderen gefürchtet. Die meisten sind sich jedenfalls einig, dass die besondere Identität Brixtons schwindet, sich zumindest stark verändert. Brixton ist bekannt für seinen Straßenmarkt sowie die überdachten Markthallen aus den 1920er und 1930er Jahren. Die überdachten Märkte, insbesondere Brixton Village und Market Row, wurden seit ungefähr 2010 stark wiederbelebt, mittlerweile finden sich viele Cafés, Restaurants, aber auch Antiquitäten- und Gebrauchtwarenläden zwischen den übriggebliebenen, alteingesessenen Anbieter*innen wie zwei Fischhändlern, Lebensmittelgeschäften und kleinen Drogeriemärkten. Die Markthallen standen vorher fast leer, mehr als jedes zweite Geschäft war geschlossen (Gesprächsnotiz, Brixton Heritage Society, 2.4.2014). Nach dem Verkauf der Markthallen an private Investoren gab es Pläne ihres »Redevelopments«, konkret des Abrisses. Bürgerinitiativen, darunter die Brixton Heritage Society, gelangen es, die Markthallen aufgrund ihrer architektonischen und kulturellen Bedeutung unter Schutz zu stellen. Sie sind nun Bestandteil der »Statutory List of Buildings of Special Architectural or Historic Interest« (Brixton Society Heritage Walk, 2.4.2016). Da ihre Struktur also beibehalten werden musste, wurde eine – wie sich zeigte außerordentlich erfolgreiche – Strategie für ihre Wiederbelebung entwickelt. Der Council erließ neu2
Zur Gentrifizierung in Brixton siehe Artikel in der New York Times (Bennhold 2014), im Guardian (Marsh 2016), im Evening Standard (Godwin 2013) und im Independent (Wheatle 2015). Der Wandel in diesem Stadtteil nahe des Zentrums der Weltstadt London ist aber kein neues Produkt der letzten Jahrzehnte, sondern ständiger Begleiter Brixtons. Um 1900 gehörte Brixton zu den wohlhabenderen Vororten, die damals eingemeindet wurden. Electric Avenue etwa war die erste Marktstraße in Großbritanniten, die mit elektrischem Licht ausgestattet wurde (Piper/Linskey/Linskey 2011:7). In den 1920ern, hatte es den Ruf als Londons Shopping Capital.
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Unter denjenigen, die aufgrund der steigenden Mietpreise in benachbarte Gegenden wie Streatham oder Tooting umgezogen sind, sind zwei Interviewpartner*innen aus Brixtoner Geschäften und auch ein Mitarbeiter des Brixton Pounds. Die Mietpreise zwingen viele andere dazu, ein Zimmer unterzuvermieten. Ich selbst habe für ein ca. 20 Quadratmeter großes Zimmer 600 Pfund monatliche Miete entrichtet.
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eröffnenden Läden die Abgaben für drei Jahre, und auch die Mieten waren anfangs noch niedrig. Die Betreiberin eines kleinen Fischrestaurants in einem der überdachten Märkte etwa erzählt, dass sie Ende der 1990er Jahre ungefähr 80 Pfund monatliche Miete zu zahlen hatte, mittlerweile sind es über 600 Pfund. Wurde früher in den Märkten vor allem Yams und Fisch verkauft, gesellen sich nun Restaurants und Delicatessenläden wie »Champagne et Fromage« oder »Canon & Canon« hinzu. Die Markthallen gelten heute als Hotspots, abends und am Wochenende werden sie von Studierenden und Besserverdienenden frequentiert, die dort brunchen und abends essen oder trinken gehen. Brixton Market ist hip.4 Kurz nach meinem Aufenthalt in Brixton, etwa ab Mitte 2015, hat sich das Tempo der Gentrifizierung noch einmal beschleunigt. Network Rail, Eigentümer der Bahngleise, unter deren Bögen die charakteristischen kleinen Geschäfte das Flair Brixtons ausmachen, hat eine Sanierung der Gleise und damit der Bögen angekündigt. Die sanierten Geschäftsflächen sollen dann zum möglicherweise dreifachen Preis vermietet werden (Save Brixton Arches 2016). Dies bedeutet, dass die Mehrzahl der Geschäfte nicht wieder eröffnen können wird. Die Kampagne »Save the Arches«, auch von der Brixton Pound Organisation unterstützt, versucht seit der ersten Bekanntmachung der Pläne den Mietanstieg zumindest zu begrenzen; ob dies gelingt, ist offen. Aber auch in den umliegenden Straßen ist der Druck durch steigende Immobilienpreise spürbar. Viele Geschäfte weichen. Dies betrifft auch einige der in diese Untersuchung Einbezogenen. So ist das 1928 eröffnete Phoenix Café, ein beliebtes und das älteste Café in Brixton, mittlerweile geschlossen. Ein Fahrradladen, ebenfalls von mir befragt, ist umgezogen, da die Mieterhöhung nicht tragbar war. Ein Fischhändler, in dritter Generation unter den Gleisen beheimatet, schloss ebenfalls zum August 2016. Dieser Hintergrund ist unerlässlich für das Verständnis des Brixton Pounds. Dieses ist das erste Regiogeld in einem urbanen Umfeld und nimmt in Bezug auf den Gentrifizierungsprozess eine ambivalente Position ein. Denn einerseits ist es selbst Ausdruck des Wandels, andererseits versucht es mit verschiedenen Aktivitäten diesen Wandel zwar nicht aufzuhalten, doch zu lenken und zu verlangsamen.5 4
Einige Restaurants sind so erfolgreich, dass sie sich mittlerweile selbst zu kleinen Ketten vergrößert haben, wie etwa Franco Manca oder Honest Burger. Die Schlange vor Franco Manca, einer kleinen Pizzeria, ist so lang, dass es mit den hippen Restaurants in Soho verglichen wird. Dieser Erfolg wiederum wird von manchen Kund*innen kritisch beäugt: »Turning these Brixton Village restaurants into chains could upset many of the hipsters who have been so keen to visit the area – the independent vibe of the restaurants is arguably what has helped their popularity« (Williams-Grut 2015, vgl. Norum 2015).
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Mario Campana, der eine Studie zum Konsumverhalten am Brixton Pound durchführt, sieht im Brixton Pound einen eigenständigen Treiber der Gentrifizierung (Campana 2014). Allerdings zielen, wie in diesem Abschnitt gezeigt wird, viele Aktivitäten der Brixton Pound Organisation auf den Erhalt alter Brixtoner Strukturen ab. In ökonomischer Hinsicht
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9.1.2 Gründung und Initiator*innenkreis Das Brixton Pound ging aus dem Transition Town Brixton hervor. Wesentliche Initiator*innen des Regiogeldes sind oder waren in dieser Initiative aktiv. Sie ist Teil des transnationalen Transition Town Netzwerks, welches Grassroot-Initiativen umfasst, die relokalisierte ökonomische Strukturen als notwendige Antwort auf Peak Oil und den Klimawandel schaffen wollen.6 Transition Towns möchten durch den Aufund Ausbau dezentraler, weniger von fossilen Energieträgern abhängigen Ökonomien, resiliente sozioökonomische Räume schaffen. Transition Town Brixton unterhält verschiedene Arbeitsgruppen, welche wiederum Projekte in Bereichen wie Energie, Familie oder Urban Gardening initiieren. Aus der Arbeitsgruppe zu Geld und Wirtschaft entstand schließlich das Brixton Pound. In der konkreten Ausgestaltung der Komplementärwährung orientierten sich die Initiator*innen stark an den damals bereits zirkulierenden Totnes Pound (seit 2007), der ersten Transition Currency in Großbritannien, und Lewes Pound (seit 2008). Einige der Gründer*innen waren nicht nur in Transition Town Brixton aktiv, sondern auch in einem Tauschring (»Brixton Bricks«), teilweise (BRIORG4) sogar federführend. Erfahrungen mit diesem Tauschring waren zentral für das Design des Brixton Pounds, denn das neue Regiogeld sollte vor allem für Unternehmen attraktiver sein und grundsätzlich eine größere Reichweite haben als es der Tauschring vermochte (vgl. 9.1.6). Nach zwei Jahren der Vorbereitung wurde 2009 die erste Serie an Brixton Pound Scheinen gedruckt und in Umlauf gebracht. Zwei Jahre später ergänzte ein elektronisches Zahlungssystem das Papiergeld. Neben Transition Brixton und dem LETS ist die New Economic Foundation (NEFFF) in London als weiterer wichtiger, auch personeller Einfluss im Gründungsprozess zu nennen. In Anlehnung an den Ökonomen Ernst F. Schumacher und sein Weltbestseller »Small is beautiful« (1989[1973]) nennt die New Economic Foundation den Slogan »Economics as if people mattered« ihr Leitbild. NEF ist ein alternativer Think-and-Do Tank, der wirtschafts- und sozialpolitische Debatten in der Öffentlichkeit anstößt und wissenschaftswissenschaftliche Forschung betreibt. Diese Forschung wird stets praxisnah implementiert. Bereits um die Jahrtausendwende hatte es in der New Economics Foundation Überlegungen für eine Londoner Lokalwährung gegeben (Boyle 2000), welche damals aber nicht flächendeckend umgesetzt
ist das Brixton Pound viel zu klein, um tatsächlich mitverantwortlich an Preissteigerungen oder dem Zuzug neuer Schichten zu sein. Dennoch ist das Projekt Ausdruck der Gentrifizierung, zumal viele Akteure nicht zu den alteingesessenen Brixtoner*innen gehören. 6
Zum Transition Network siehe Hopkins (2008), zu Transition Currencies Ryan-Collins (2011) sowie North (2010).
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wurden.7 Zwei der Gründer*innen des Brixton Pounds sind als wissenschaftliche Mitarbeiter*innen bei nef beschäftigt. Die wichtige Rolle der New Economics Foundation zeigt sich auch in der engen Begleitung seit der Gründung, nicht zuletzt im Rahmen des EU-geförderten Projektes zu »Community Currencies in Action« (vgl. 9.1.4). Der Gründungskreis entstammt somit einer Breite an sozialen und alternativökonomischen Initiativen und Organisationen und verfügt über einen eigenen Erfahrungsschatz mit Komplementärwährungen. Die Initiator*innen waren von Beginn an bemüht, die verschiedenen Gruppen und Communities in Brixton miteinzubeziehen, weshalb alle Sitzungen und Treffen einen offenen, informellen Charakter hatten. Gleichzeitig sticht der hohe Grad an professioneller Begleitung, etwa durch nef, hervor. Auch lässt sich eine Dominanz von Vertreter*innen der gebildeten Mittelschicht und ein im Vergleich zur Brixtoner Sozialstruktur größerer Anteil Weißer Mitglieder bemerken. In dieser Hinsicht ähnelt das Brixton Pound anderen alternativen Community- Initiativen (vgl. Slocum 2006). 9.1.3 Zielsetzung und Organisationsgestaltung In diesem Abschnitt erläutere ich zunächst kurz die Zielsetzungen des Brixton Pounds und seiner Gründer*innen sowie die zur Erreichung dieser Ziele durchgeführten Aktivitäten, ehe ich die Organisationsgestaltung skizziere. Ziele und Aktivitäten Zu den primären Zielen bei der Gründung des Brixton Pounds gehört die Förderung lokaler und unabhängiger Betriebe mithilfe eines lokal zirkulierenden Tauschmittels. Den Ideen des Transition Movements entsprechend, sollen letztlich Produktions- und Konsumverhalten relokalisiert werden, um den Aufbau resilienter lokaler und regionaler Ökonomien zu ermöglichen (Ryan-Collins 2010:60). Hieraus leiten sich die Zieldimensionen ab, welche zunächst die Unternehmen selbst betreffen, darüber hinaus aber auch die gesamte Brixtoner Community. In der Selbstbeschreibung heißt es entsprechend: »The Brixton Pound (B£) is money that sticks to Brixton. It’s designed
7
Hier favorisiert Boyle ein System, das dem WIR in der Schweiz ähnelt und zunächst als Kredit zwischen kleinen Unternehmen fungieren soll. Damit möchte er Handel zwischen diesen Betrieben fördern und von der Verfügung über Sterling zumindest teilweise entkoppeln. Parallel dazu schlägt er eine zeitbasierte Währung vor (Boyle 2000: 15–17), die über ein Netzwerk von Zeitbanken zirkulieren und die »social economy« stärken soll. Sein Vorschlag fällt noch in die vergleichsweise erfolgreiche Phase von Zeitbanken von Tauschringen; das Design des Brixton Pounds weicht stark von diesen ersten Überlegungen ab.
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to support Brixton businesses and encourage local trade and production. It’s a complementary currency, working alongside (not replacing) pounds sterling, for use by independent local shops and traders« (Brixton Pound o.J.a). Unmittelbare Förderleistungen für die beteiligten Unternehmen sollen in der Kund*innengewinnung und -bindung liegen, insbesondere durch Werbeleistungen und Marketing. Konsument*innen sollen auf die Bedeutung der lokalen Brixtoner Wirtschaft aufmerksam gemacht und zu einem achtsameren Konsumverhalten angeregt werden. Hierzu führt das Brixton Pound ein elektronisches Verzeichnis teilnehmender Betriebe, welche sowohl auf einem Stadtplan gelistet sind als auch nach Branchen gesucht werden können. In einem Blog auf der Homepage des Brixton Pounds werden darüber hinaus einzelne Betriebe vorgestellt (»Meet the Trader«8). Neben diesen langfristigen Informationsangeboten bietet das Brixton Pound auch eine Plattform für kurzfristige Informationen und Werbung, gerade im Bereich Social Media.9 Im Bereich des Marketings möchte das Brixton Pound so Skaleneffekte ermöglichen, zumal viele der kleinen Unternehmen nicht über Kapazitäten für SocialMedia-Auftritte oder Marketingkampagnen verfügen (BRIORG1). Konkrete Vorteile soll den Unternehmen darüber hinaus das einfache und kostengünstige elektronische Zahlungssystem bringen. Dieses ist über Handys und Smartphones nutzbar und die Kosten sind geringer als bei der Nutzung von EC- oder anderen Bankkarten (vgl. 9.1.5). Neben dieser unmittelbaren Förderung durch Marketingleistungen und damit einhergehenden erhöhten Absatzchancen nennt das Brixton Pound auch eine verbesserte Vernetzung der teilnehmenden Betriebe untereinander sowie mit Konsument*innen als Ziel. So sollen kleine lokale Supply Chains aufgebaut werden, indem beispielsweise selbstständige lokale Produzent*innen von Nahrungsmitteln oder Speisen, von Gemüse über Marmeladen bis hin zu Kuchen oder Quiches, mit den Cafés und Restaurants vernetzt werden, die lokal hergestellte und verarbeitete Speisen verkaufen (BRIORG2). Auch soll die Plattform helfen, Anbieter*innen von Dienstleistungen mit potenziellen Nachfrager*innen zu verknüpfen. »The B£ gives local traders and customers the chance to get together to support each other and maintain the diversity of the high street and strengthen pride in Brixton« (Brixton Pound o.J.a). Die Idee ist es, das spezifische Wissen über Brixtons kleine unabhängige Unternehmen zu nutzen
8
Diese Unternehmensvorstellungen finden sich unter http://brixtonpound.org/blog/cate-
9
So wird die Aufmerksamkeit für die Betriebe beispielsweise erhöht, indem über Twitter
gory/businesses/ [Zugriff. 16.8.2016]. Neuigkeiten verbreitet und Angebote oder (positive) Bewertungen geteilt werden. Außerdem ist das Brixton Pound eng mit dem monatlich erscheinenden Brixton Bugle und Medienplattformen wie BrixtonBuzz (http://www.brixtonbuzz.com/) oder der Online-Zeitung Brixton Blog (www.brixtonblog.com) vernetzt.
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und der Gemeinschaft der Unternehmen zur Verfügung zu stellen, damit diese Kooperationspotenziale ausschöpfen und somit auch der aufkommenden Konkurrenz supra-lokaler Unternehmen oder durch die großen, in Großbritannien stark verbreiteten Café-Ketten besser gegenübertreten zu können (BRIORG2). Zu den Strategien gehört der Auf- und Ausbau einer Informationsplattform, welche die Nutzer*innen stärker vernetzt. Neben der Datenbank und den Verzeichnissen, die online einzusehen sind, schafft etwa ein Co-Working Space Selbstständigen und Freischaffenden Möglichkeiten des Austauschs und der Zusammenarbeit. Hierbei geht es den Initiator*innen darum, »those community connections that make Brixton the place to be« (Brixton Pound o.J.b) aufzubauen.10 Ich selbst habe drei Mal an diesem Co-Working teilgenommen und war sowohl von der Arbeitsatmosphäre als auch von den dort tatsächlich initiierten Kooperationen beeindruckt. Über diesen Fokus auf Vernetzung hinaus lässt sich bei der Brixton Pound Organisation ein Wandel in der Zielsetzung, weg von der Konzentration auf die Förderung lokaler Unternehmen hin zu einer »economic justice organisation« (BRIORG1, BRIORG2), erkennen. Die Aktivist*innen wollen den Wandel in Brixton auf eine Art und Weise mitgestalten, dass der lokale Charakter erhalten bleibt und alle, nicht nur solche mit ausreichend hohem Einkommen, von seinen Vorteilen profitieren können (BRIORG1).11 Dementsprechend heißt es in einem Kurzfilm »[t]he Brixton Pound keeps Brixton unique & diverse«. Das Brixton Pound leistet aus diesem Grund ideologische und materielle Unterstützung im sozialen Bereich. Das Brixton Pound hat außerdem den Brixton Fund initiiert, welcher kleine wohltätige und gemeinnützige Initiativen in Brixton fördert. Der Fonds speist sich aus Transaktionsgebühren in Höhe von 1,5% bei bargeldlosen Zahlungen sowie aus den Einnahmen einer Lotterie namens Brixton Bonus, die das Brixton Pound veranstaltet. Hier sind in monatlichen Ausschüttungen jeweils 1000 B£ sowie kleinere Preise zu gewinnen. Diese Lotterie soll gleichzeitig Aufmerksamkeit für das Regiogeld und die beteiligten Unternehmen generieren.
10 In einer ausgebauten Datenbank liegen weitere Potenziale, die Hilfe auf Gegenseitigkeit unter den Nutzer*innen erleichtern soll. »One thing might be if you sign up to Brixton Pounds as member, you’ll have the option to say you would be willing to walk someone’s dog for some Brixton Pounds. The platform is like brokering« (BRIORG2). Um solche Dimensionen zu erzielen, soll die Mitgliedsdatenbank langfristig so erweitert werden, dass detaillierte Profile erstellt können. Gerade für Freiberufliche, die kein Büro oder Geschäft haben, könnte eine solche Plattform nützlich sein (BRIORG2). 11 Das Brixton Pound möchte konkret zum Erhalt der unabhängigen kleinen Läden beitragen (Atkinson/Owen 2012), aber auch die insgesamt diverse Struktur des Sozialraums mitgestalten, indem kulturelle und soziale Initiativen gefördert werden (BRIORG1).
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Organisation als CIC Das Brixton Pound ist eine Nonprofit-Organisation in Rechtsform der Community Interest Company (CIC). An der Spitze steht das Board of Directors, dem die Angestellten und die Volunteers unterstellt sind. Das Board soll nach Möglichkeit auf breiter Basis verschiedene Gruppen und Communities in Brixton einbeziehen. So gehören Gründer*innen und Akteur*innen der New Economics Foundation sowie Selbstständige und unabhängige Unternehmer*innen aus Brixton dem Board an. Zur Zeit meiner Feldforschung war auch die Vorsitzende des Lambeth Council im Board vertreten. Ein weiteres Gremium, das unregelmäßig zusammen kommt, ist die Brixton Pound Advisory Group, die aus ehemaligen Mitarbeiter*innen, Expert*innen und Wissenschaftler*innen besteht. Als Community Interest Company ist das Brixton Pound gemeinwohlorientiert, jegliche Überschüsse müssen der Community zugutekommen. Im Gegensatz etwa zu Vereinen in Deutschland gibt die Rechtsform der CIC keine demokratische Struktur vor. Mitglieder des Brixton Pound Boards werden kooptiert. Offenheit soll erreicht werden, indem es keine Voraussetzungen für eine Aufnahme oder Eigenbewerbung gibt. Um langfristig demokratische Strukturen und Ownership der teilnehmenden Unternehmen auszubauen, gibt es nach Aussage der Mitglieder Überlegungen, die CIC in eine »member-based organisation« zu transformieren, etwa als Community Share Company (BRIORG1, BRIORG2).12 Den Initiator*innen ist eine offene, partizipative Struktur der Organisation wichtig. Gleichwohl berichtet eine Gründerin, dass sich die Organisation mit ihren anfangs informellen Entscheidungsstrukturen hin zu einem stärker abgeschlossenen und professionalisierten System entwickelt hat. Dies hängt mit der Einführung des elektronischen Zahlungssystems 2011 eB£ und seinen Datenschutzerfordernissen zusammen. In den ersten Jahren wurden noch alle Entscheidungen bei Versammlungen getroffen, die auch offen für Nichtmitglieder waren. Seitdem jedoch vertrauliche Daten der Nutzer*innen von eB£ verwaltet werden, sind diese Versammlungen rein intern. Damit hat sich die Atmosphäre der Treffen grundlegend geändert. Um dennoch einen hohen Grad an Partizipation zu erreichen, werden einmal im Monat Gesprächsrunden um das Brixton Pound abgehalten, die für alle Interessierten offen sind. Diese 12 Einer Transformation in eine demokratische Struktur steht das Board zwar grundsätzlich positiv gegenüber, gleichwohl wird befürchtet, dass sich zunächst der Arbeitsaufwand für die ehrenamtlich Tätigen erhöhen würde, bis neue Strukturen greifen und ein hohes Maß an Partizipation gesichert ist (BRIORG2). Der Manager nennt ein anderes Hindernis: »Well, the problem is if you have too many voices then there’s no decision« (BRIORG1). Bisher jedenfalls ist die Mitgliedschaft »informell«, wie es Mitgründer Josh Ryan-Collins bezeichnet (2011: 63). Er nennt als Vorteile der gewählten Struktur einfache Haftungsbeschränkungsmöglichkeiten sowie, im Vergleich zu Wohltätigkeitsorganisationen, die Möglichkeit, Überschüsse zu erwirtschaften, sofern sie der Community zugutekommen.
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Veranstaltungen finden abwechselnd in Cafés oder Restaurants statt, bei denen mit Brixton Pound gezahlt werden kann. Tatsächlich treffen sich meist zwischen fünf und zehn Personen, von denen immer auch einige neu sind und sich grundsätzlich über das Regiogeld informieren wollen. Dabei werden viele Themen besprochen, aber keine Entscheidungen gefällt.13 9.1.4 Komplementärwährungsumfeld: Akteure und Einbindung Das Brixton Pound sieht sich, wie bereits an der breiten Zielsetzung deutlich wurde, nicht ausschließlich als Emittent einer Komplementärwährung, sondern darüber hinaus auch als politisch aktive zivilgesellschaftliche Organisation. Zur Zeit meines Aufenthaltes in Brixton befanden sich einige der hier vorgestellten Projekte noch in der Planungsphase, wie etwa die kleine Lotterie, deren Gewinne an Wohltätigkeitsinitiativen abgeführt werden. Das unmittelbare Umfeld des Brixton Pound besteht zum einen aus verschiedenen Community-Initiativen, darunter der ehemalige Tauschkreis, zum anderen aus der Kollaboration mit der Kommunalverwaltung und einem EU-weiten Projekt zur Erforschung von Komplementärwährungen. Tauschringerfahrungen und Community-Initiativen in Brixton Das Brixton Pound hat von Anfang an eng mit anderen sozialen und kulturellen Initiativen und Projekten zusammengearbeitet. Schon die Entstehung aus Transition Brixton heraus bezeugt dies ebenso wie die vorherige Partizipation an einem Brixtoner Tauschring, auf die einige der Gründungsmitglieder zurückblicken. Wie bereits erwähnt, entstammen einige der Gründer*innen des Brixton Pounds dem Tauschring Brixton Bricks. Dieser Tauschring erlebte einige Jahre vor Initiierung des Brixton Pounds seinen Höhepunkt. Die Aktivitäten im Tauschring wurden allerdings nach und nach eingestellt. Der Rückgang der Tauschaktivitäten hatte verschiedene Ursachen: Einige Mitglieder hörten nach einer kurzen Phase des Kennenlernens wieder auf, bei anderen entstanden so enge soziale Beziehungen, dass gegenseitige Unterstützungsleistungen nicht mehr im System verrechnet wurden, wie mir zwei Gründungsmitglieder des Brixton Pounds (BRIORG2, BRIORG4) berichteten. Wie andere Tauschringe auch erwies sich der Brixton LETS als wenig attraktiv für Unternehmen und Betriebe. Diese finden kaum Verwendungsmöglichkeiten für ihre Guthaben vor. Gleichzeitig ist ihr Angebot für die meisten Mitglieder sehr attraktiv, wodurch eine Schieflage entstehen kann. In Brixton etwa gehörte ein produktivgenossenschaftlicher Fahrradladen zu den wenigen Unternehmen des Tauschrings Brixton Bricks. Als die Bricks aufhörten zu zirkulierten, verfügte der Fahrradladen noch über
13 Diese Beschreibung basiert auf den vier Monatstreffen, an denen ich ab Februar 2014 teilgenommen habe.
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ein hohes Guthaben in Bricks, das er nicht mehr verwenden konnte. Solche Erfahrungen mit dem Tauschring, vor allem die Schwierigkeiten, Unternehmen zur Teilnahme zu bewegen sowie generell das Problem der geringen Reichweite, waren wichtige Gründe dafür, das Brixton Pound an Sterling zu koppeln und durch Sterling zu decken (BIRORG2). Gleichwohl befürworten einige der ehrenamtlich Tätigen eine erneute Hinwendung zum Tauschkreisprinzip, etwa durch die Anbindung an einen Tauschring oder zumindest die Bereitstellung von Informationen. Langfristig will die Brixton Pound Organisation eine Informationsplattform bereitstellen, über die sich entsprechende Angebote vermitteln lassen. Eine solche Plattform soll ausgebaut werden, unabhängig davon, ob die Vermittlung auch zur Zirkulation von Brixton Pound führt. So verweist ein Mitglied des Boards auf erfolgreiche Verlinkungen, etwa auf ein teilnehmendes Unternehmen, welches lokale Produzent*innen von Marmelade und Kuchen über das Brixton Pound Netzwerk fand und mittlerweile seine Räumlichkeiten für Kochabende vermietet (BRIORG2). Aber nicht nur mit Blick auf den Tauschring kollaboriert das Brixton Pound mit verschiedenen Community-Initiativen. Dies gilt insbesondere, seitdem das Brixton Pound in der jüngeren Vergangenheit seine Strategie geändert hat. Mittlerweile wurden Instrumente und Aktionen erweitert und ausgebaut, welche nicht unmittelbar zur Herausgabe der Komplementärwährung gehören. Ihre mediale Aufmerksamkeit nutzt die Organisation beispielsweise, um auf den Streik der Arbeitnehmer*innenschaft einer kleinen Kino-Filiale in Brixton oder eine Kampagne zum Erhalt des kleinen Einzelhandels unter den Gleisbögen aufmerksam zu machen. Im Jahr 2016 sammelt das Brixton Pound auch Kleider- und Güterspenden für Flüchtlinge. Einnahmen aus der Lotterie (Brixton Bonus), dem Verkauf der Merchandiseprodukte (neben den Geldscheinen für Sammler vor allem Artikel wie T-Shirts, Tassen und ähnliches) und den Gebühren auf elektronische Zahlung fließen in den sogenannten Brixton Fund (Brixton Pound o.J.d). Lokale Initiativen, Gruppen, Vereine u. ä. können wiederum beim Fund bis zu 2.000 Pfund als Förderung beantragen für Projekte, deren Arbeit in einen der drei Bereiche community benefit, social justice, local employment fällt. Im November 2015 beispielsweise erhielt der Healthy Living Club £750, um einen wöchentlichen »free Wednesday lunch« zu starten. Im Healthy Living Club kommen Demenzkranke und die sie pflegenden Personen zusammen und kehren gemeinsam in einem der ungefähr 50 teilnehmenden Restaurants ein. Der Betrag des Brixton Funds soll für Öffentlichkeitsarbeit und die Bezahlung kleinerer Dienstleistungen verwendet werden, um die Reichweite des Projektes zu steigern. Lambeth Council und »Community Currencies in Action« Der Lambeth Council bewertet die Bedeutung des Brixton Pounds für die Reputation Brixtons überaus positiv. So wird dem Regiogeld aufgrund der positiven Medienpräsenz, welche sich auch auf Brixton überträgt, ein Wert von £100.000 zugeschrieben (Ryan-Collins 2010:60). Das Brixton Pound habe demnach »done more for Brixton’s
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reputation than anything since the lighting of Electric Avenue in 1900«, erläutert der Direktor des Brixton Town Centres (zit.n. Ryan-Collins 2011:63f). Entsprechend nimmt der Lambeth Council eine wichtige Funktion ein und unterstützt das Regionalgeld in mehreren Hinsichten: Die Vorsitzende des Lambeth Councils ist zur Zeit der Feldforschung etwa Mitglied im Board of Directors des Brixton Pounds gewesen; vor allem stellt der Council der Brixton Pound Organisation in der Stadthalle Arbeitsplätze zur Verfügung.14 Zentral ist auch die Rolle des Councils als ökonomischer Akteur im B£-Geldkreislauf. Erstens bietet er seinen Angestellten an, Teile ihres Gehalts in Brixton Pound zu beziehen (»payroll local«). Zweitens können Unternehmen ihre Business Rates, also lokale Abgaben der Geschäfte, in Brixton Pound entrichten. Diese Zahlungen können mit dem elektronischen Zahlungssystem des B£ getätigt werden. Prinzipiell ist der Council damit der wirtschaftlich größte Akteur im B£- Kreislauf. Der Council ist, wie die Brixton Pound Organisation selbst auch, außerdem als Partner im EU-finanzierten Projekt »Community Currencies in Action« (CCIA) eingebunden, das von 2012-2015 lief und bei der New Economics Foundation koordiniert wurde.15 Ein Tätigkeitsfeld des Councils ist der Aufbau eines Lambeth-weiten Regiogeldes nach dem Vorbild des Brixton Pounds. Dieses Lambeth Pound sollte zwar ursprünglich bereits 2014 zirkulieren (Feldnotiz, Council, 13.03.2014), ist jedoch bisher nicht eingeführt worden. Anfang 2014 war dieses Lambeth Pound ein großes Thema, das von einigen Nutzer*innen des Brixton Pounds kontrovers diskutiert wurde. Dabei bestanden Befürchtungen, das Lambeth Pound könnte das Brixton Pound verdrängen, genauso wie die Vermutung, ein Lambeth Pound wäre als offizielles Projekt der Stadtverwaltung zum Scheitern verurteilt, da eine enge Bindung der Bewohner*innen an den Council nicht gegeben sei. Es fehlt nach Ansicht der Kritiker*innen an lokaler Identität. Hier zeigt sich die in Teilen ambivalente Beziehung zwischen Council und Brixton Pound. Eine Unternehmerin ist enttäuscht vom Management des Brixton Pounds, da dieses ihrer Meinung nach das Lambeth Pound nicht genügend unterstützt. Ein anderer Gesprächspartner beschwert sich, dass das Brixton Pound nichts tue, um das »silly project« des Lambeth Pounds zu verhindern (Feldnotiz, 7.3.2014). Insgesamt legt das Brixton Pound trotz der Kooperation mit dem Council Wert auf seine Unabhängigkeit. »We are independent. And people don’t think it’s the council’s initiative. We got the key part« (BRIORG1). Denn die Organisator*innen vermuten, dass eine allgemeine Wahrnehmung des Brixton Pounds als vom Council initiiertes oder kontrolliertes Projekt seiner Reputation schaden würde. Insbesondere 14 Diese Regelung galt, bis 2016 der Brixton Pound Shop in einem leerstehenden Geschäft unter den Gleisbögen eröffnet wurde. Dort wurde später das Brixton Pound Café eröffnet. 15 Für weitere Informationen zu diesem internationalen Projekt siehe http://communitycurrenciesinaction.eu sowie NEF (2015).
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in den Anfangsjahren haben die Initiator*innen unter den Unternehmen Vorbehalte gegenüber dem Council gespürt und daher ihre Unabhängigkeit als zivilgesellschaftliche Organisation betont (BRIORG2).16 Die Einbindung des Brixton Pounds in die internationale Komplementärwährungsszene zeigt sich nicht nur im Rahmen des CCIA-Projektes, sondern auch in der Entwicklung des bargeldlosen Zahlungssystems. Dieses ist in Kollaboration mit der New Economics Foundation, dem Transition Network und QOIN, einer niederländischen Komplementärwährungsstiftung entstanden (CCIA o.J.). 9.1.5 Erscheinungsbild und Funktionsweise des Geldes Das Brixton Pound zirkuliert sowohl in Papierform als auch, seit 2011, elektronisch. Das Design des Papiergeldes hat sich seit der Herausgabe des ersten Satzes 2009 stark verändert, aber die Symbolik ist im Kern konstant geblieben.17 Stets sind bedeutende Persönlichkeiten aus Brixton abgebildet. Dabei wird auf eine breite Repräsentation verschiedener Gruppierungen in Brixton geachtet. Das Design der aktuellen, 2011 eingeführten Linie stammt von den Brixtoner Designern von »This Ain’t Rock’n’Roll«. Neben Portraits lokaler Held*innen finden sich Elemente des Brixtoner Stadtbildes auf den Scheinen, wie etwa Gebäude, der Skate Park oder Kunstinstallationen. Auf dem 1-Pfund-Schein ist Len Kwesi Garrison abgebildet, politischer Aktivist und Mitgründer des Black Cultural Archives in Brixton. Den 5Pfund-Schein ziert mit Luol Deng ein Brixtoner Basketballprofi, der in der NBA für Chicago und Miami spielte. Als Kind aus Sudan immigriert, begann er seine Basketballkarrierre im Brixton Basketball Club. Der berühmteste und beliebteste Schein ist die Ziggy genannte 10-Pfund-Note, auf der David Bowie abgebildet ist. Bowie verbrachte seine ersten Lebensjahre in Brixton. Den 20-Pfund-Schein schließlich schmückt Violette Szabo, eine britische Geheimagentin während des zweiten Weltkrieges. Die alte, zwischen 2009 und 2011 gültige Ein-Pfund-Note ziert Olive Morris, eine in Jamaica geborene feministische Schwarze Aktivistin, die insbesondere in den 1970er Jahren führende Figur der Hausbesetzer*innenbewegung war. Sie gehörte zu den Gründer*innen der Brixton Black Women’s Group. Vincent van Gogh ist auf dem alten 20-Pfund-Schein abgebildet. Er lebte 1873-74 in Brixton (Kellaway 2014). 16 Ähnliche Vorbehalte äußern viele Geschäftsleute dem Brixton BID gegenüber, ein vom Council initiiertes Projekt zur Aufwertung Brixtons, für das Unternehmen Abgaben zu errichten haben. Daher herrscht gegenüber dem Council tatsächlich ein gewisses Misstrauen, wie auch in einigen Interviews expliziert wird (BRINT4, BRINT2, BRITN5). 17 2009 und 2011 wurde jeweils eine Serie des Brixton Pounds als Papiergeld herausgegeben. Zu Beginn wurden die Geldscheine nämlich mit einem Verfallsdatum versehen und blieben lediglich zwei Jahre gültig. Die Neuauflage von 2011, die seitdem zirkuliert, ist ohne Verfallsdatum weiterhin gültig.
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Anlässlich des fünfjährigen Bestehens des Brixton Pounds gab das Brixton Pound 2014 einen weiteren 5-Pfund-Schein heraus, der vom renommierten Künstler Jeremy Deller designt wurde (Artlyst 2015). Dieser Schein bildet keine Person ab, sondern besticht durch seine postmoderne Gestaltung. Mit diesem Sammlerstück erhöhte sich noch einmal das mediale Interesse am Brixton Pound, außerdem generiert die Organisation Einnahmen, da die meisten dieser Noten nicht zirkulieren, sondern gesammelt werden. Wie überaus erfolgreich das Design der Geldscheine ist und auch zur Finanzierung der Organisation beiträgt, lässt sich besonders am 10-Pfund-Schein erkennen. Während lokale Währungen, auch das Brixton Pound, zum Ziel haben, die lokale Geldzirkulation anzutreiben, kommt es bei einem Kreis der Nutzer*innen zu Geldhortung, ganz einfach, weil die Geldscheine als kleine Kunstwerke aufbewahrt werden. Ich selbst habe mehrere Personen getroffen und gesprochen, die gerade den Bowie-Schein aufgehängt haben, am Kühlschrank, am Schreibtisch oder auch gerahmt an der Wand. Im online-shop verkauft die Brixton-Pound-Organisation Sammlungen und einzelne, unbenutzte Scheine gegen einen Aufpreis von einigen Pfund pro Schein. Nach dem Tod von David Bowie im Januar 2016 bot das Brixton Pound auf Ebay den Ziggy gegen 20 Pfund zzgl. Versandkosten an. Abbildung 4: Brixton Pound Scheine
Quelle: Brixton Pound Organisation. Links ist David Bowie, rechts Len Garrison abgebildet.
Die Scheine lassen sich in fünf verschiedenen Wechselstuben erstehen, darunter einigen Läden, die selbst Brixton Pound akzeptieren. Um die Fälschungssicherheit der Scheine und das Vertrauen in die Geldform zu erhöhen, sind verschiedene Sicherheitsmerkmale sowie Seriennummern in die aufwändig gestalteten Scheine eingebaut (Ryan-Collins 2011: 61). Nach zwei Jahren der Existenz führte das Brixton Pound zudem eine elektronische Geldform ein. Diese ist ebenfalls gedeckt durch Sterling, zur Nutzung ist eine Anmeldung in der zentralen Datenbank erforderlich. Nutzer*innen füllen ihr Konto auf, indem sie Guthaben überweisen. Dann können sie mit ihrem Nutzernamen und ihrem Passwort Brixton Pound online, per sms oder (mittlerweile) mit einer app für Smartphones überweisen. Für die Empfänger*in fallen 1,5% Transaktionsgebühren
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an, welche damit niedriger liegen als übliche EC- oder Kreditkartengebühren, die Unternehmen zu tragen haben (BRIORG1). Dieses elektronische System wird mittlerweile stärker genutzt als das Papiergeld. Seine Vorteile liegen in den niedrigen Transaktionskosten: Es sind keine zwei Papierwährungen im Portemonnaie aufzubewahren, sondern das Mitführen eines Handys reicht aus. Bargeldloses Zahlen ist in England viel stärker verbreitet als in Deutschland, daher für die meisten Konsument*innen nichts Ungewöhnliches. Mit diesem einfachen und kostengünstigen System gelingt es dem Brixton Pound, sich gegenüber Sterling stärker abzugrenzen. Denn eine Problematik der 1:1-Kopplung an Sterling ist den Organisator*innen bewusst: »This is actually the feature of our currency, isn’t it? It’s different from Sterling but it’s not distinctly different« (BRIORG2). Bequemer Zahlungsverkehr übers Handy stellt ein Feature dar, welches die Attraktivität des Regiogeldes möglicherweise stark erhöhen kann. Die Entscheidung für eine Sterling-gedeckte Papiergeldwährung trafen die Initiator*innen zu Beginn. Grundlage für den Entschluss für eine solche Geldform war unter anderem die Erfahrung im Tauschring Brixton Bricks, welcher letztlich einen zu kleinen Nutzer*innenkreis und vor allem sehr wenige Betriebe als Mitglieder aufwies. »We wanted to do something that we could have a big audience for and it’s important that we can get businesses to engage in« (BRIORG2). Auch stellte die Einführung des Lewes Pound im September 2008 ein positives Beispiel für durch Pfund Sterling gedecktes Regiogeld dar (Ryan-Collins 2010: 60). Die enge Anbindung an Sterling, also Konvertibilität und Deckung, erwies sich als diejenige technische Ausgestaltung, die für die Teilnahme von Betrieben am besten geeignet schien.18 Aus ähnlichen Überlegungen wurden auch Negativzinsen als Umlaufimpuls abgelehnt, welche weder bei der Papiergeldform noch beim eB£ implementiert sind. Eine solche Demurrage wurde früh im Planungsprozess ausgeschlossen, weil sie als zu kompliziert und daher möglicherweise abschreckend wirkend galt: »We did consider demurrage. We sort of understood that but we felt it’s too complicated to explain« (BRIORG2). Bis Ende 2013 bestand der sogenannte Brixton Bonus, der für Konsument*innen in einem Bonus von 10% beim Erwerb von Brixton Pound bestand, d.h. gegen zehn Pfund Sterling konnten elf Brixton Pound eingetauscht werden. Mit diesem Anreiz, der einer Ermäßigung von 10% auf alle mit Brixton Pound zu beziehenden Güter gleichkommt, sollte die Attraktivität des Regiogeldes erhöht werden. Finanziert 18 Zumindest ein Teil des Boards überlegt, ob langfristig über eine engere Zusammenarbeit mit Brixton Energy, ebenfalls einer Initiative aus Transition Town Brixton, Möglichkeiten bestehen, anstelle der Deckung durch Sterling das System als Träger von Werteinheiten erneuerbarer Energien umzubauen (BRIORG2). Zwar gibt es keine konkreten Pläne hierzu, aber die grundsätzlichen Überlegungen zeigen, dass Innovation und betrieblicher Wandel Teil der Unternehmenskultur des Brixton Pound sind.
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wurde der Bonus durch eine Rücktauschgebühr in Höhe von ebenfalls 10%. Hiermit wiederum sollten teilnehmende Betriebe dazu angehalten werden, lokale Verwendungsmöglichkeiten zu suchen anstatt das Brixton Pound zurückzutauschen. Es kam aufseiten einiger Betriebe allerdings zu Beschwerden, da sie den Malus schlicht als weiteren Kostenfaktor ansahen, mit dem sie das Brixton Pound unterstützten. »It was just a clever marketing scheme you know. And the businesses had to pay« (Feldnotiz, 29.3.2014) berichtet der Inhaber eines teilnehmenden Geschäftes. Vor allem aber gaben Unternehmen an, aufgrund dieser Kosten Brixton Pound nicht zu akzeptieren. Der Bonus/Malus hatte also eine eher abschreckende Wirkung, weshalb sich die Organisation zu seiner Abschaffung entschied (BRIORG1). Ein Mitglied des Boardes erläutert die Entscheidung gegen den Bonus: »It put businesses off. We want the Brixton Pound to be a positive thing, that using it is a positive experience for customers and for businesses. […] The bonus/malus turned out to be a very negative thing as it makes businesses feel guilty for re-spending it because they’re now part of the malus of another business«. (BRIORG2)
Das Brixton Pound arbeitet mit der Brixton Credit Union zusammen. Die im Umlauf befindliche Geldmenge ist durch Sterling gedeckt, welches bei der Credit Union verbleibt. Unter Berücksichtigung, dass bei weitem nicht alle Nutzer*innen Mitglieder der Credit Union sind und/oder dort Einlagen haben, lässt sich ein weiterer Effekt der Regiogeldnutzung erkennen: Geldvermögen wird aus dem kommerziellen Bankensektor hin zur Credit Union verlagert. Auf diesen Aspekt werde ich in verschiedenen Gesprächen hingewiesen. Hiermit trägt das Brixton Pound als Organisation einen kleinen Teil zur »Move your Money« Kampagne bei, welche dazu anregt, Bankgeschäfte nur bei Nonprofit-Banken zu tätigen und zu einem nachhaltigeren Banksystem beizutragen.19 »It’s supporting the credit union, and it’s important to think about what your savings do« (BRIORG2). Langfristig sollen Möglichkeiten der engeren Zusammenarbeit, vielleicht auch über Mikrokredite, gefunden werden. Bisher trägt das Brixton Pound allenfalls indirekt zu Finanzierungsinnovationen bei: »To some extent, if you look at it like while increasing their capital when you deposit money in the credit union, you are indirectly enabling them to make more loans« (BRIORG2).
19 Auf einem Infoblatt erläutert das Brixton Pound: »This arrangement will strengthen London Mutual Credit Union which has a clear social purpose to be a community anchor for the city, providing fair financial services for all the people of Brixton, and offering competitive, viable alternative financial provision for member benefit and not for private profit.« Die Move your Money Campaign (moveyourmoney.org) wird unter anderem von der New Economic Foundation und von Co-operatives UK unterstützt.
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9.1.6 Zielgruppen, Reichweite und Umlauf Hinsichtlich der Zielgruppen lassen sich zunächst grundsätzlich Konsument*innen und Unternehmen unterscheiden. Das Brixton Pound hat den Anspruch, in Brixton zu zirkulieren. Zur Zielgruppe gehören somit grundsätzlich alle Konsument*innen in Brixton. Diese müssen nicht notwendigerweise in Brixton selbst wohnen; von außerhalb gehören auch sich regelmäßig in Brixton aufhaltende Arbeitnehmer*innen dazu sowie diejenigen, die den Markt aufsuchen. Hinsichtlich der Unternehmen zielt die Brixton Pound Organisation auf unabhängige, lokale Unternehmen ab und dezidiert nicht auf Niederlassungen größerer Ketten wie etwa Starbucks oder Costa.20 Der soziogeographische Raum wird konstruiert mit der Bezeichnung »Brixton«, welche allerdings keine strikten Grenzen definiert. So sind einige Unternehmen in den angrenzenden Gebieten Herne Hill oder Streatham dabei, auch wenn sie letztlich außerhalb Brixtons liegen. Andere an der Grenze liegende Betriebe lehnen das Brixton Pound hingegen dezidiert ab, da sie sich durch den Namen ausgegrenzt fühlen, so ein Pub zwischen Brixton und Kennington (Gesprächsnotiz, 18.03.2014) oder ein Buchladen in Herne Hill (Gesprächsnotiz, 12.03.2014). Im Folgenden diskutiere ich zunächst die tatsächliche Reichweite, die eng mit Abgrenzungen innerhalb der Brixtoner Bevölkerungsgruppen und Typen von Unternehmen zusammenhängt, ehe ich mich dem konkreten Umsatz in Brixton Pound sowie potenziellen Effekten mit Blick auf Vernetzungsmöglichkeiten widme. Reichweite und Begrenzungen Die tatsächliche Verbreitung hängt nicht einfach von der Bestimmung des geographischen Raumes ab, sondern von vielen weiteren Faktoren. Es ist zwar nicht Anspruch des Brixton Pounds, tatsächlich alle Anwohner*innen zu erreichen: »We would like it [to reach the whole community], but in reality, it might be very difficult. […] There will always be people who don’t understand it. You have to accept that« (BRIORG1). Dennoch ist es das Ziel, möglichst keine potenziellen Nutzer*innengruppen systematisch auszuschließen. Boundaries zwischen Nutzer*innen und Außenstehenden können insbesondere auf Basis sozialer Kategorien wie Klasse oder Race bestehen, wenn diese die Nutzung oder Nichtnutzung auch bei weitem nicht determinieren. So partizipieren durchaus Vertreter*innen aller Gruppierung beim Brixton Pound: »When we we ran some of the business workshops, the people that 20 Mit der Frage, ob es der Brixtoner Filiale der großen Supermarktkette Tesco erlaubt sein sollte, Brixton Pound anzunehmen, beschäftigen sich viele der Nutzer*innen. Die meisten sind sich einig, dass damit zwar der Umlauf erheblich gesteigert werden könnte, allerdings nur auf Kosten des Charakters des Brixton Pounds als Transition Currency. Im Selbstverständnis des Brixton Pounds sind solche Unternehmen in der Tat ausgeschlossen (BRIORG1).
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came to them weren’t white middle class, they really were representative of Brixton« (BRIORG2). In diesen Äußerungen zeigt sich die Zielsetzung der Organisation vielleicht mehr als der tatsächliche Inklusionsgrad. Denn der Kreis der Nutzer*innen ist deutlich homogener als die Gesellschaft Brixtons insgesamt. Mit Blick auf die Verwendung des Geldes zeigt sich, dass das Brixton Pound nicht von allen in Brixton gleichermaßen genutzt wird, sondern dass es Boundaries gibt, die mit sozioökonomischen und kulturellen Faktoren zusammenhängen. So gehört ein großer Teil der Brixton Pound Nutzer*innen der Weißen Mittelschicht an, während es gerade unter People of Colour deutlich weniger stark verbreitet ist (hierzu bereits Ryan-Collins 2011: 62, Taylor 2014). Dies gilt sowohl für Konsument*innen als auch für Unternehmen. In vielen der typischen afro-karibischen Läden lässt sich nicht mit B£ zahlen. Diese Boundaries sind nicht geplant, sondern nicht intendierte Nebenprodukte der spezifischen Art und Weise, in der das Brixton Pound gehandhabt und beworben wird. So empfindet der Inhaber eines beliebten jamaikanischen Fastfood-Restaurants, dass das Design nicht geeignet sei, bestimmte Schichten anzusprechen. Die Scheine seien hip, aber ihre spezifische Bildsprache wie auch die der Broschüren wird nicht von allen gesprochen, insbesondere nicht von vielen der »old Brixton people, the working class, the afro-carribean community« (Feldnotiz, 22.04.2016). Gerade am Design der Geldscheine lässt sich allerdings festmachen, dass eine möglichst breite Repräsentation der Brixtoner Bevölkerung angestrebt wird. Und auch die Wirkung des Designs hat inkludierende Effekte. In einem kleinen Imbiss, der vor allem frisch gepresste Säfte und Raw-Food anbietet und damit eine bestimmte, auf gesunde Ernährung achtende Klientel, überwiegend Rastafaris, anspricht, wird mir tatsächlich das integrative Potenzial der Symbolik der Geldnoten bewusst. In einem Gespräch erzähle ich, dass ich mich für das Brixton Pound interessiere. Ein älterer Gast erklärt mir, dass das Brixton Pound nur in einem kleinen Zirkel kursiert und er lediglich davon gehört habe. Als ich ihm einige Scheine zeige, ändert sich seine Stimmung, voller Freude zeigt er sie allen anderen Gästen. Er ist nämlich überrascht und begeistert zugleich, dass mit Len Garrison ein wichtiger Vertreter der Black Community abgebildet ist. Als ich ihm einige Wochen später erneut begegne, spricht er mich auf das Brixton Pound an und erzählt, dass er nunmehr darauf achtet, wo es akzeptiert wird (Feldnotizen 7.3.2014 sowie 2.4.2014). Ähnlich ergeht es mir in einem anderen Imbiss, der jamaikanisches Essen zum Mitnehmen verkauft. Der Mitarbeiter und eine Kundin dort haben zwar vom Brixton Pound gehört, es aber noch nie gesehen. Von den Geldscheinen sind sie sehr angetan, und der Mitarbeiter kauft mir ein paar Scheine ab (Feldnotiz, 21.02.2014). Die Verwendung des Regiogeldes betreffende Boundaries innerhalb der Brixtoner Bevölkerung lassen sich nicht nur in Bezug auf Migrationshintergrund und Race, sondern auch in Bezug auf Einkommen und Klassenzugehörigkeit erkennen. »I’m not sure it is about race, it’s more about income« (BRIORG2), vermutet etwa ein
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Mitglied des Brixton Pound Vorstandes. Grenzt man stilisierend drei typische Gruppen voneinander ab, lässt sich neben der jüngeren Mittelschicht, die oft als Hipster bezeichnet wird,21 und der Black Community auch die alteingesessene Arbeiterklasse herausstellen.22 Bezogen auf die Partizipation von Unternehmen findet Hayley James (2014) tendenzielle Unterschiede zwischen diesen Gruppen. Sie identifiziert in ihrer Studie zum Brixton Pound typische Merkmale der Gruppe an Unternehmer*innen, die das Regiogeld stark nutzen und auch selbst vorantreiben wollen. Ihre Beobachtung setzt zunächst daran an, dass sich unter denjenigen Unternehmer*innen, die Brixton Pound akzeptieren, eine kleine Gruppe intensiver Nutzer*innen und aktiver Mitglieder neben einer Mehrheit weniger aktiver findet. Typisch für die aktivsten Mitglieder ist ein starkes Gefühl, mit ihrem Unternehmen oder Geschäft nicht lediglich Einkommen zu generieren, sondern tatsächlich wertvolle Produkte oder Dienstleistungen anzubieten. Viele dieser intensiven Nutzer*innen blicken auf Berufserfahrung als Angestellte zurück und sehen ihr neues Unternehmertum als Möglichkeit, sich selbst verwirklichen zu können (vgl. James 2014: 11f). Diese Gruppe erfreut sich am Prozessnutzen ihrer Tätigkeit genauso wie am Produkt (verstanden als Einkommen durch den Verkauf der Güter und Dienstleistungen). Spiegelbildlich erkennt James in vielen Geschäftsleuten, die dieser Gruppe nicht angehören, eher eine indifferente Einstellung zu ihrer Geschäftstätigkeit, der sie tendenziell nachgehen, um über die Runden zu kommen (James 2014: 11). Umsatz Was den Umsatz in B£ betrifft, lässt sich genau wie bei der Zahl der teilnehmenden Unternehmen ein deutliches Wachstum erkennen. Anfangs partizipierten gut 60 Unternehmen und wurden Noten im Wert von B£ 30.000 herausgegeben (Ryan-Collins 2011: 61). Mittlerweile akzeptieren rund 250 Unternehmen das Papiergeld, 200 führen pay-by-text-Accounts. »We’ve got a pretty diverse range of businesses – not all the businesses by any means – that you can spend Brixton Pounds« (BRIORG2). Das tatsächliche Zirkulationsvolumen fällt dagegen eher zurück. Im Umlauf sind Anfang 2014 laut der Organisation Geldscheine im Wert von insgesamt ungefähr B£ 100.000 21 In vielen privaten Gesprächen, aber auch öffentlichen, etwa vom Council veranstalteten Diskussionen, fällt der Begriff der Hipster, weshalb Mario Campana (2014) ihn für die Boundaries des Brixton Pounds übernimmt. 22 Selbstverständlich sind diese Abgrenzungen nicht trennscharf, sondern dienen der Typisierung. Nicht nur macht gerade die Black Community einen großen Teil der alteingesessenen Brixtoner Arbeiterklasse aus, auch gibt es Hipster in der Black Community usw. In Bezug auf die Verwendung des Brixton Pounds handelt es sich auch nicht um quantifizierte oder quantifizierbare Abgrenzungen; sie verdeutlichen lediglich den Gesamteindruck, den ich durch die teilnehmende Beobachtung, aber auch in Gesprächen mit anderen Forscher*innen wie Mario Campana und Hayley James gewonnen habe.
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(BRIORG1). Welcher Anteil davon tatsächlich zirkuliert, ist nicht zu ermitteln, schließlich werden die Geldscheine auch als Geschenke oder Sammlerstücke genutzt. Die Zahl bezieht sich vielmehr auf ausgegebene und nicht zurückgetauschte Geldscheine. Das elektronische System erlaubt detailliertere Aussagen über den Umlauf und die Verwendung, da die Brixton Pound Organisation Informationen über alle getätigten Transaktionen erhält. Die folgenden Angaben zu Transaktionen von Unternehmen beziehen sich auf den Stand von Mai 2014.23 Anzumerken ist, dass die Umsätze seitdem deutlich gestiegen sind.24 Die aggregierten Daten der Umsätze von teilnehmenden Unternehmen zeigen, dass die Nutzung des Brixton Pounds nicht gleichmäßig übers Jahr verteilt ist, sondern dass es insbesondere gegen Ende des Jahres zu vermehrten Zahlungen kommt. Während im Jahr 2013 durchschnittlich 340 Transaktionen mit insgesamt knapp eB£ 4.000 im Monat getätigt wurden, sticht der Dezember mit mehr als 7.000 Pfund Umsatz heraus. Eine Erklärung könnte darin liegen, dass das Brixton Pound in besonderem Maße im Weihnachtsgeschäft genutzt wird. Eine nähere Betrachtung zeigt, dass ein großer Teil des Umsatzes auf lediglich ein knappes Dutzend Betriebe zurückzuführen ist, denen viele Unternehmen gegenüberstehen, die im Monat kaum Einnahmen in Brixton Pound haben (BRIORG2). Die elektronische Version des Brixton Pounds ist mittlerweile deutlich beliebter als das Papierformat, da sie einfacher zu bedienen und mit geringeren Transaktionskosten verbunden ist. Schließlich muss keine physische Währung deponiert, mitgeführt oder an einer der Umtauschstellen zurückgetauscht werden. Einige Unternehmen akzeptieren mittlerweile ausschließlich das eB£, nicht mehr das Papiergeld. Die Brixton Pound Organisation bezieht nicht nur den konkreten Umsatz, sondern darüber hinaus gehende Wirkungen in die interne Bewertung ein. Schließlich ist die Vernetzung von Betrieben und Konsument*innen ein erklärtes Ziel, welches nicht notwendigerweise an den Regiogeldumsatz gekoppelt ist. Hier lassen sich nach Einschätzung der Organisation Erfolge verzeichnen. Ein Manager berichtet: »Many owners are, for the first time, eating in each others’ restaurants« (BRIORG1). Eine Gründerin berichtet von Fällen, in denen Selbstständige sich über das Brixton Pound, konkret das Verzeichnis der teilnehmenden Unternehmen, kennen gelernt haben und 23 Neben der Verwendung zur Zahlung bei Unternehmen kann das eB£ auch zwischen Privatpersonen übertragen werden. Ich selbst wurde häufig Zeuge solcher Transaktionen, die meist im niedrigen Bereich lagen. Mir liegen allerdings keine Zahlen zum Umsatz zwischen Privatpersonen vor. 24 Die Umsätze haben sich allein in den sechs Monaten danach deutlich erhöht, berichtete mir ein Mitarbeiter im Oktober 2014. Hanbury (2016) nennt auf Basis von Organisationsangaben einen monatlichen Umlauf von ca. 20.000 Pfund, wobei er allerdings auch die (geschätzte) Zirkulation der Scheine einbezieht. Die Ergebnisse seiner Umfrage unter teilnehmenden Unternehmen lassen jedoch einen geringeren, wohl vierstelligen monatlichen Umlauf vermuten.
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mittlerweile dauerhafte geschäftliche Beziehungen miteinander führen – ohne je in Brixton Pound gezahlt zu haben. Nicht nur Betriebe, sondern auch Privatpersonen können sich über die Brixton Pound Plattform vernetzten.25 »This wouldn’t necessarily mean that they use Brixton Pound. That might mean that they trade in Sterling or whatever or they decide to barter or just give things« (BRIORG2). In einer Studie unter den Mitarbeiter*innen im Lambeth Council, die sich an payroll local beteiligen und somit einen Teil ihres Gehaltes in Brixton Pound beziehen, gab die Hälfte der Befragten an, ihre »lunch habits« geändert zu haben, da sie nun häufiger bei Restaurants einkehren, die Brixton Pound akzeptieren. Durch das Brixton Pound haben sie ihrer eigenen Einschätzung nach die »independent shops« Brixtons besser kennen gelernt (Steed 2013: 20).
9.2 STROUD POUND Die zweite Fallstudie widmet sich dem Stroud Pound, einer weiteren Transition Currency in England, welche 2009 in Umlauf kam, seit 2012 aber nicht mehr zirkuliert. Im Folgenden beschreibe ich zunächst kurz das Setting (9.2.1). Dann skizziere ich den Gründungsprozess und stelle den Kreis der Initiator*innen vor (9.2.2), ehe ich die Zielsetzung des Stroud Pounds sowie die organisatorische Ausgestaltung beschreibe (9.2.3). Anschließend diskutiere ich das Komplementärwährungsumfeld, insbesondere die Bedeutung eines vorherigen Tauschkreises für die Ausgestaltung sowie für die Akzeptanz des Stroud Pounds (9.2.4), ehe ich das Erscheinungsbild der Geldscheine sowie spezifische, an den Chiemgauer in Süddeutschland angelehnte Charakteristika der Geldform, wie Negativzinsen und Gebühren vorstelle (9.2.5), um dann Zielgruppen, Reichweite und Umlauf des Regiogeldes zu beschreiben (9.2.6.).26 25 In Zukunft soll dieser Bereich weiter ausgebaut werden. Durch ein einfacheres Registrierungssystem und eine besser nutzbare Datenbank möchten die Aktivist*innen die Attraktivität des Brixton Pounds erhöhen (BRIORG2). In der Tat hat sich alleine der Onlineauftritt und die dort zu findenden Informationen über teilnehmende Betriebe seit Anfang 2014 deutlich verbessert, da Informationen mittlerweile einfacher zu finden sind. 26 Die Informationen in den folgenden Abschnitten basieren auf meinen Interviews und den Informationsmaterialien des Stroud Pounds sowie auf Scott Cato und Suárez (2012). Molly Scott Cato, bis Juni 2011 Vorstand in der Stroud Pound Genossenschaft, und Marta Suárez, zur Zeit der Gründung Praktikantin bei Transition Stroud, liefern in diesem Artikel eine Bestandaufnahme nach den ersten beiden Jahren. Wenn ich bei einzelnen Informationen zum Stroud Pound keine Quellen angebe, beziehe ich mich in der Regel auf Aussagen, die sich in den Materialien (Flyer, Broschüre, Mitgliedschaftsanträge, Info-Blätter) finden oder in mehreren Gesprächen genannt wurden, unabhängig davon, ob sie auch in Scott Cato/ Suárez (2012) enthalten sind.
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9.2.1 Setting: Stroud Die Kleinstadt Stroud hat knapp 15.000 Einwohner*innen. Damit ist sie die größte Stadt im Distrikt Stroud in Gloucestershire nahe Wales. Die leicht hügelige Stadt liegt inmitten der Five Valleys, die dort zusammentreffen. In ihrer Umgebung liegen eine Reihe weiterer kleiner Städte und Orte. Die größte davon ist Stonehouse mit gut 7.500 Einwohner*innen. Von Strouds Vergangenheit und der Bedeutung der Textilproduktion während der Zeit der Industriellen Revolution zeugen noch einige Gebäude und die Kanäle. Auch der industrielle Niedergang im 20. Jahrhundert ist spürbar. Die mit dem Strukturwandel einhergehenden niedrigen Grundstückspreise wiederum zogen eine Reihe kulturell-alternativer Gruppen an. Es existiert eine vergleichsweise große Kunstszene und auch die Umweltbewegung ist stark vertreten. Stroud hat sich so einen Ruf als alternative, grüne Stadt erarbeitet (Scott Cato/Suárez 2012: 107). Verschiedene Initiativen, Vereine und Projekte setzen sich auf vielfältige Art und Weise für einen ökologischen Wandel und für eine Stärkung des Lokalen ein. Ein Beispiel ist Transition Stroud, eine örtliche Initiative der Transition Town-Bewegung. Auch hat in Stroud die Green Party eine recht hohe Anhängerschaft und ist an der lokalen Regierung beteiligt. Zudem existiert eine große und lebendige anthroposophische Szene, die Steiner-Community genannt wird. Anfang April 2014 habe ich eine Woche in Stroud verbracht, um das Stroud Pound kennen zu lernen und Interviews zu führen. Vorher hatte ich per Email Kontakt mit Molly Scott Cato, welche zum maßgeblichen Initiator*innenkreis gehörte.27 Bereits ein erster Spaziergang durch das Städtchen zeigt, dass die High Street, zu großem Teil Fußgängerzone, eine Mischung aus kleinen eigenständigen Läden und Filialen größerer Ketten beherbergt. Im Vergleich zu den größeren Städten in Großbritannien fällt auf, dass viele Läden und Cafés von ihren Eigentümer*innen betrieben werden. Dieser Eindruck deckt sich mit den Ergebnissen eines Surveys, der in Vorbereitung auf die Gründung des Stroud Pounds von den Initiator*innen durchgeführt wurde (ebd.: 110f): Über zwei Drittel der Unternehmen in Stroud sind lokale oder regionale Betriebe, lediglich ein Viertel gehört zu nationalen oder internationalen Ketten und etwa jedes zwanzigste ist als Wohltätigkeitsorganisation einzuschätzen. Obwohl im Umkreis der High Street einige Läden leerstehen, hinterlässt das Örtchen einen recht belebten Eindruck. Dennoch wird das High Street Sterben, der Niedergang kleinerer Läden, in vielen Gesprächen als Strukturproblem genannt.
27 Molly Scott Cato ist mittlerweile Professorin an der Universität Roehampton in London und 2014 als Abgeordnete aus Stroud für die Green Party ins Europaparlament gewählt worden. Im Anschluss an meinen Aufenthalt kam es zu weiterem Austausch per Email und Telefon mit einigen der Interviewpartner*innen.
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9.2.2 Gründung und Initiator*innenkreis Das Stroud Pound ging 2009 in Umlauf. Vorangegangen war ein Jahr intensiver Planung und Vorbereitung. Ich habe mit zwei Vertreter*innen der Organisation, die auch bei der Gründung beteiligt waren, Interviews geführt. Bernard ist Vorstand und Gesicht der Genossenschaft und war maßgeblich an der Idee und Entwicklung beteiligt. Clare ist die Direktorin des Stroud Valleys Projects, einer umweltpolitischen Initiative, welche eng mit dem Stroud Pound zusammenarbeitet. Maßgeblich entstand das Stroud Pound aus einer Arbeitsgruppe von Transition Stroud28 heraus, die sich mit lokalen Unternehmen und der lokalen Wirtschaft befasst. Die Transition Movement »[is] based on the idea that we need to downsize everything, you know, to have a more sustainable economy« (STRORG1). Die Gründer*innen sehen sich in quasinatürlicher Verwandtschaft zu anderen Initiativen, die lokalen und nachhaltigen Konsum fördern, wie beispielsweise der örtliche Farmers Market, auf dem Agrarprodukte aus der Region verkauft werden (STRORG1). Im Gespräch erläutert ein Gründer, der sich auch für die Vollgeldinitiative Positive Money (vgl. 6.2.3) interessiert, dass die Umgestaltung des Geldsystems auf höherer, nationaler oder besser supranationaler Ebene angegangen werden müsse. Da die Politik das Thema aber vernachlässige, müssten zunächst auf lokaler Ebene Communities mit Projekten und Initiativen vorangehen (STRORG1). Lokale Währungsprojekte dienen in dieser Logik explizit einer (längerfristigen) Umwandlung des Geldsystems auf der Makroebene. Einige der Initiator*innen waren in einem vormaligen Tauschkreis aktiv, der in den 1990er Jahren zunächst recht erfolgreich war, nach der Jahrtausendwende aber zum Erliegen kam (vgl. 9.2.4). Manche gehören darüber hinaus der Steiner-Community Strouds an.29 Der Mitinitiator Bernard steht anschaulich für die enge Anbindung an die Steiner-Community in Stroud und die damit zusammenhängende Orientierung am süddeutschen Chiemgauer als Vorbild. Er berichtet, wie er Jahre vor der Gründung des Stroud Pounds auf einer Tagung in der Schweiz Christian Gelleri, den 28 Transition Stroud verzichtet ausdrücklich auf den Begriff Town im Namen, um zu verdeutlichen, dass sich die Transition nicht ausschließlich auf die Stadt Stroud, sondern den gesamten Distrikt bezieht, das Umland Strouds also zentraler Bestandteil der resilienten Lokalität ist (Scott-Cato/Suárez 2012: 109). Auf diese Besonderheit im Namen bin ich in mehreren Gesprächen explizit hingewiesen worden. 29 Diese Nähe zwischen Regiogeld und dem Denken Rudolph Steiners findet sich nicht nur in Stroud, sondern in mehreren Regiogeldinitiativen, so z.B. dem Chiemgauer, der aus einer Waldorfschule entstand. Hierzu und zum Verhältnis von Anthroposophie und Geldreform allgemein vgl. Thiel (insb. 2011: 143-150), der den Einfluss von Anthroposph*innen auf die Regiogeldszene beschreibt. Ein großer gemeinsamer Bezugspunkt ist die Idee des Negativzinses, welche sich sowohl bei Silvio Gesell als auch bei Rudolph Steiner findet (vgl. 6.2.1).
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Initiator des Chiemgauers, getroffen hat und wie sehr ihn der Erfolg dieses Regiogeldes aus Rosenheim und Umgebung begeisterte. Daraus entstand regelmäßiger Kontakt und Christian Gelleri leistete maßgebliche Beratung bei der Ausgestaltung des Stroud Pounds. Das Stroud Pound stellt insofern auch einen Versuch dar, das Chiemgauer-Modell nach Großbritannien zu bringen. In der Vorbereitungsphase führten die Aktivist*innen Umfragen bei den örtlichen lokalen Unternehmen, den Läden und Betrieben durch, um die Akzeptanz abzuschätzen. Dabei ging es den Initiator*innen darum, diejenigen Unternehmen zu identifizieren, die »worth approaching about the local currency« (Scott Cato/Suárez 2012: 110) schienen. Die Rücklaufquote dieser bei 91 Unternehmen durchgeführten Befragung betrug immerhin 40%. Um eine breite Beteiligung auch der Bevölkerung zu erzielen, wurde der Name »Stroud Pound« in einer offenen Abstimmung ermittelt. 9.2.3 Zielsetzung und Organisationsgestaltung Das Stroud Pound hat zum Ziel, nachhaltige, lokale Wirtschaft in Stroud und den Five Valleys zu fördern. In der Satzung werden über diese ökonomischen Faktoren hinaus weitere Zwecke genannt: »To stimulate the local economy and support local educational, social and cultural initiatives in Stroud and the Five Valleys by creating and bringing into circulation a local medium of exchange (voucher currency) and promoting a local sustainable economy.« (Stroud Pound Co-op 2009) Das Regiogeld, formal ein Gutscheinsystem, dient als Mittel, mit dem die verschiedenen wirtschaftlichen und sozialen Ziele erreicht werden sollen. Es soll wirtschaftliche Verbindungen im Distrikt Stroud stärken und den lokalen Multiplikator erhöhen, also die Anzahl der Kaufvorgänge vor Ort, bevor das Geld aus dem lokalen Geldkreislauf schwindet (Scott Cato/Suárez 2012: 106). Neben den Impulsen für die lokale Wirtschaft werden im ersten Satz unmittelbar lokale Bildungs-, Sozial- und Kulturinitiativen genannt. So wird deutlich ausgedrückt, dass es um mehr als lediglich die Förderung von Produktion oder Konsum geht. Notwendig für das Erreichen dieser Ziele ist ein hoher Umsatz in Stroud Pound, schließlich können die lokalen Initiativen nur bei ausreichend hohen Einnahmen über die Gebühren gefördert werden. Insbesondere möchte die aus dem Transition Movement entstandene Organisation mit dem Fokus auf regionale Wirtschaft einen Beitrag zur Transformation zu einem nachhaltigen Wirtschaftssystem leisten. Dazu gehört auf lange Sicht, mit dem Regiogeld einen Gegenentwurf zum globalen Finanzsystem zu gestalten: »Well, I think ultimately it’s to be independent from the commercial banks. That’s were the problem lies. In the international system« (STRORG1). Auf kürzere Sicht kommt dem Regiogeld vor allem eine bedeutsame Signalfunktion zu, denn Nutzer*innen des Stroud Pounds zeigen, dass sie gewillt sind, lokal zu konsumieren, selbst wenn Produkte, die für Stroud Pound erhältlich sind, teilweise teurer sind als herkömmliche
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Waren. Teilnehmende Unternehmen wiederum erklären sich bereit, Gebühren zu tragen, mit denen lokale Initiativen finanziert werden (vgl. 9.2.3). Aus Sicht der Initiator*innen ist das Regiogeld nicht nur Ausdruck einer kommunitaristischen, lokalen Wirtschaftsweise, sondern auch Mittel zur »education« von Konsument*innen und Unternehmen. Das Regiogeld soll, so Scott Cato und Suárez, helfen, die Kultur des Marktes zu verändern und Unternehmen dazu zu bringen, die Übernahme sozialer und ökologischer Verantwortung als einen genuinen Bestandteil ihrer Geschäftstätigkeit zu begreifen. Damit soll es dazu beitragen, »to replace this competitive, individualistic ethic [of a market system, PD] with a communitarian one« (Scott Cato und Suárez 2012:113). Das Stroud Pound wird von der Stroud Pound Co-operative Limited herausgegeben und verwaltet. Die Räumlichkeiten eines Charity Shops fungieren als eine von fünf Ausgabestellen. Dort wurde in den Anfangsjahren zwei Mal in der Woche (mittwochs und samstags) Umtausch und Beratung angeboten. Einen besseren Ort hätte das Stroud Pound kaum finden können: Der Laden steht in der örtlichen Threadneedle Street, und die Ausgabestelle kann als Young Lady of Threadneedle Street angesehen werden – also das Gegenstück zur Old Lady of Threadneedle Street, der Bank of England in London.30 Der Charity Shop wurde daher auch als »the bank« bezeichnet. Durch die Wahl der Organisationsform einer genossenschaftlich verfassten Limited ist das Stroud Pound demokratisch aufgebaut. In dieser strikten Umsetzung des Anspruchs, durch Komplementärwährungen die Kontrolle über Geld zu demokratisieren liegt ein Alleinstellungsmerkmal innerhalb der UK-Komplementärwährungslandschaft. Mitglieder der Genossenschaft können Betriebe, Konsumenten und Organisationen sein. Es handelt sich also um eine Multi-Stakeholder-Genossenschaft.31 Der Kreis der Nutzer*innen ist noch größer, zumal auch Nichtmitglieder das Stroud Pound verwenden können. Allerdings kann der Genossenschaft ohne größere Hürden beigetreten werden. Ein Eintritt zieht geringe Aufnahmegebühren von fünf Pfund mit sich; Unternehmen zahlen zehn Pfund. Es gibt keine regelmäßigen Mitgliedschaftsgebühren. Trotz der genossenschaftlichen Form hat sich das Stroud Pound allerdings nicht als demokratisch verwaltete Organisationsform erwiesen, in der die Mitglieder aktiv von ihren Mitbestimmungsrechten Gebrauch machen. Einige Mitglieder sind
30 Die Old Lady of Threadneedle Street, oder auch kurz nur Threadneedle steht umgangssprachlich als Synonym für die Bank of England, deren Sitz sich auf der Threadneedle Street in London befindet. 31 Der Begriff der Multi-Stakeholder-Genossenschaft (Conaty 2014, Münkner 2002) bezieht sich auf Genossenschaften mit heterogener Mitgliedschaft, deren Leistungsbeziehungen zum genossenschaftlichen Unternehmen unterschiedlich ausgeprägt sind. In der Stroud Pound Genossenschaft vereinen sich Konsument*innen und Händler*innen.
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sich der Tatsache ihrer Mitgliedschaft nicht einmal bewusst und haben auch nicht an Entscheidungsfindungen teilgenommen.32 Den Gebühren stehen Leistungen für die teilnehmenden Unternehmen gegenüber. Um den lokalen Konsum zu fördern, betreibt die Stroud Pound Genossenschaft Marketing für die Mitgliedsunternehmen. Neben einer Internetpräsenz (die mittlerweile nicht mehr aktiv ist) gibt die Genossenschaft Broschüren und Flyer heraus. Die letzte Auflage stammt, dem Umsatz entsprechend, aus dem Jahr 2012. In der Broschüre sind die teilnehmenden Unternehmen gelistet, einige haben auch Anzeigen geschaltet. Die Flyer werben für das Stroud Pound an sich, verweisen aber auch auf die teilnehmenden Betriebe. Rückblickend, sagt Bernard (STRORG1), wäre es zweckmäßig gewesen, die Potenziale des Marketings durch das Stroud Pound stärker auszubauen und zu betonen, um die konkreten Leistungen für die beteiligten Unternehmen herauszustellen. Im Gegenzug hätte die Finanzierung des Stroud Pounds auf Teilnahmegebühren beruhen können, die die Unternehmen als Gegenleistung für das Marketing zu tragen hätten. Mit einer solchen, ebenfalls an dem Chiemgauer orientierten, Finanzierungsquelle hätte möglicherweise auch Arbeit für das Stroud Pound bezahlt werden können und somit die Abhängigkeit von ehrenamtlichen Tätigkeiten reduziert. Die Einnahmen der Stroud Pound Genossenschaft belaufen sich überwiegend auf die einmaligen Aufnahmegebühren von zehn Pfund für Unternehmen. »And we still have some money in the account […] – but it wouldn’t be enough to pay someone’s salary. But in a way that’s what’s needed – you need somebody to be fully engaged and constantly promoting the scheme« (STRORG1). Die Erfahrungen des Stroud Pounds zeigen, dass der Aufwand der Bereitstellung eines Regiogeldes zu hoch ist, um ihn alleine mit ehrenamtlich Tätigen stemmen zu können. 9.2.4 Komplementärwährungsumfeld: Akteure und Einbindung Das Stroud Pound hat, wie bereits dargestellt, seine Wurzeln im grünen Transition Movement und der Steiner Community. Zu den weiteren wesentlichen Dimensionen des komplementärwährungsbezogenen Umfeldes gehören die Erfahrungen mit dem Tauschring der 1990er Jahre sowie die fehlende Anbindung an die Local Authority. Beide Faktoren haben die grundlegende Haltung dem Stroud Pound gegenüber stark beeinflusst und sollen im Folgenden näher erörtert werden. 32 Im Gegenteil, der genossenschaftlichen Form folgte also kein genossenschaftlicher Inhalt (um an die von Schulz-Nieswandt 2015 aufgegriffenen Form-Inhalts-Debatte anzuknüpfen). Es ist ein im Genossenschaftswesen altbekanntes Phänomen, dass die Mitgliederpartizipation und die Teilnahme an demokratischen Prozessen oftmals sehr gering ausgeprägt sind. Traditionell wird das Vorhandensein eines »spirits of co-operation«, des Genossenschaftsgeistes (oder einer Kooperativneigung) als notwendige Bedingung einer funktionierenden genossenschaftlichen Governance angesehen (vgl. Draheim 1955:19f).
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In den 1990er Jahren florierte in Stroud einer der ersten britischen Tauschringe (Aldridge/Patterson/Tooke 2003: 170). Seine Größe und sein Erfolg sorgten für große überregionale Aufmerksamkeit (Croall 1997), darunter auch in der internationalen Presse.33 In Stroud setzten die 320 Mitglieder durchschnittlich umgerechnet fast 400£ im Jahr um, deutlich mehr als in den anderen britischen LETS mit knapp 65£ (Aldridge/Patterson/Tooke 2003: 177f). Trotz seiner relativen Größe wies der Tauschkreis aber typische Probleme auf (Croall 1997: 18f). Gerade alternative Dienstleistungen im Bereich Gesundheit sowie Bildungsangebote, Kunst oder Haushaltshilfen erwiesen sich im Gegensatz zu handwerklichen Dienstleistungen als weit verbreitet. Die Mitglieder des Tauschrings waren recht homogen, »predominantly middle class (although not necessarily high income earners: many members were single parents etc.), almost exclusively white (as indeed is Stroud itself), and with a preponderance of women generally in the 30-50 year-old age range.« (Rowe/Robbins 2000: 172) Außerdem teilten sie in hohem Maße umweltpolitische Ziele, »[e]nvironmentalism is the dominant political ideology« (Aldridge/Patterson/Tooke 2003: 178). Tatsächlich stehen viele Mitglieder, darunter Gründungsaktivist*innen, dem linksliberalen Flügel der Green Party nahe. Dieser politische Hintergrund dürfte für die vergleichsweise hohe Anziehungskraft einer lokalen Währungsform mitentscheidend gewesen sein. Der Stroud LETS wird von Aldridge et al. als »truly grass-route initiative« mit einem »dark green eco-centric« Paradigma bezeichnet (ebd.: 177). Der Stroud LETS wies aufgrund seiner engen Verwobenheit im grün-alternativen Milieu einerseits eine vergleichsweise aktive Mitgliedschaft auf, andererseits war er kaum in der Lage, außerhalb dieser eng begrenzten Gemeinschaft Mitglieder anzuziehen. Die Integrationsleistung nach Innen ging also mit einer Exklusion nach Außen einher. Vor allem nahmen zu wenig herkömmliche lokale Unternehmen teil. In meinen Interviews in Stroud kam der LETS mehrfach zur Sprache. Einige Interviewpartner*innen haben ihn als recht erfolgreichen Tauschring in Erinnerung, andere vor allem als gescheitertes Experiment (vgl. 9.2.3). Ein Geschäftsmann erinnert sich: »The down side of it with a business, particularly the busy one, is that you end up with far more LETS than you can spend. So you’re ultimately in huge credit. In some senses a ridiculously huge credit and no way of spending it. So it became something that most busy businesses didn’t want to do« (STRNT2). Ein bekanntes Café im Herzen der Stadt war zentraler Knotenpunkt des Tauschrings, musste die Akzeptanz der LETS tokens aber aufgrund mangelnder Verwendungsmöglichkeiten einschränken. Denn Versuche, verstärkt regionale Bioprodukte innerhalb des Tauschkreis zu beziehen, erwiesen sich als nicht tragfähig (Feldnotiz 10.4.2014 eines Gesprächs mit der Kellnerin im Café). Der Lebenszyklus des Tauschringes in Stroud
33 Als Beispiel sei ein Bericht im deutschen Wochenmagazin Der Spiegel genannt (Spiegel 1993).
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ist typisch für viele Tauschringe (vgl. 7.3 zu Tauschringen): Einer Phase der Ausbreitung und Größe folgt Stagnation und Niedergang. Der Tauschring kollabierte schließlich in den frühen 2000er Jahren. Insbesondere die Verwaltung erwies sich als zu aufwändig und mit wenigen ehrenamtlich Tätigen langfristig nur schwer zu organisieren. Eine Mitarbeiterin des Stroud Valley Projects erläutert: »I think what they needed was somebody administering it properly and they didn’t really have that.« (STRORG2) Als weiteres Problem macht sie weniger die Verwendungsmöglichkeiten an sich, sondern die Mentalität der Mitglieder aus, die Guthaben lieber ansammeln wollten als es zügig auszugeben.34 Die Erfahrungen mit dem LETS, insbesondere sein Kollaps, wirkten sich deutlich auf das Stroud Pound aus: »And of course we have this inheritance [gemeint ist der Zusammenbruch des LETS, PD] that was one of my problems as well. […] So when we came along with a new thing [the Stroud Pound] they said ›no way we’re not touching this‹ So we had a challenge there. […] We found it difficult to get more shops interested than a certain number. I mean from the outside, Stroud Pound looks pretty much like the LETS« (STRORG1).
Die Einbindung in die weitere Komplementärwährungsszene, insbesondere die wahrgenommene Nähe des Regiogeldes zum vorherigen Tauschring hat sich als ernstes Hindernis für die Akzeptanz des Stroud Pounds erwiesen (vgl. 3.4 zu Einschätzungen nichtteilnehmender Unternehmen). Die Problematik der zweiten hier angesprochenen Dimension liegt demgegenüber in der mangelnden Verbindung zur lokalen Politik. In der Gründungsphase haben die Initiator*innen erfolglos Kontakt zum Council aufgenommen, um die Kommune einzubinden. Daher sind Klagen über fehlende Unterstützung der Kommunalpolitik in den Interviews weit verbreitet. Sowohl die Aktivist*innen als auch viele Unternehmen kennen das Bristol Pound und seinen großen, zumindest medialen Erfolg. Als Hauptunterschied machen sie aus, dass das Bristol Pound stark von der Stadt Bristol profitiert. So akzeptiert die Stadt das Bristol Pound als Zahlungsmittel für kommunale Steuern und auch Bristols Bürgermeister bezieht sein Gehalt vollständig in Bristol Pound. Dass die Stadt so stark hinter dem Regiogeld steht, hat nicht nur symbolische Bedeutung, sondern erhöht das wirtschaftliche Potenzial und die Möglichkeit, Regiogeldkreisläufe auszubauen. Dies hält Nic, Betreiber eines Cafés, für ein sehr entscheidendes Merkmal: »Then suddenly it becomes kosher. And before that, it is just like a Stroud idea, you know, a hippie idea and people don’t get it. If they go ›Oh I can pay my business rates with that Stroud Pound‹ they go ›Yeah. Right.‹ It’s supported by institutions… it has an institutional underpinning«, erläutert er (STRTN2). Kommunale Akteure sind im Stroud Pound nicht aktiv; das Projekt erhält auch keine Unterstützung dadurch, dass kommunale Abgaben in Stroud Pound 34 Auf dieses Problem wurde ich auch in Vorarlberg aufmerksam gemacht (vgl. 10.2).
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geleistet werden könnten. Bernard berichtet: »And this is what we’re being told by every business on the high street. They say ›if the council would accept it for rates I take it right away‹. Yet the council can’t do that, they are saying« (STRORG1). In der Gründungsphase des Stroud Pounds bereitete der Council ein anderes Programm zur Stärkung der lokalen Wirtschaft vor. Hierbei handelt es sich um die Stroud District Local Loyalty Card, mit der Konsument*innen gegen Rabatt lokal, d.h. im District Stroud, einkaufen können (BBC 2012). Die an dieser Initiative teilnehmenden Betriebe bieten den Konsument*innen Preisnachlässe an; lokaler Konsum soll also ausschließlich über Preissenkungen angestoßen und gefördert werden. Die Loyalty Card wird von einem kommerziellen, spezialisierten Unternehmen herausgegeben, das in ganz Großbritannien ähnliche Projekte tätigt. Aus Sicht verschiedener Interviewpartner, darunter auch am Stroud Pound teilnehmende wie nichtteilnehmende Unternehmen, hat der Council aufgrund der Pläne für dieses Programm der Kund*innenbindung jegliche Unterstützung für das Stroud Pound abgelehnt, da dieses als konkurrierendes Projekt wahrgenommen wurde. So macht eine Verkäuferin in einem teilnehmenden Buchladen als einen wichtigen Faktor der Erfolglosigkeit (neben der Demurrage und den Gebühren, 10.3.2) die mangelnde Unterstützung durch den Council aus. Dieser sei in der Frage, wie und ob lokale Projekte gefördert werden sollten, recht zerstritten (STRTN3). »[Q]uite often the councils like these things to be their idea and their thing, don’t they? This one came from the local community and it was what local people wanted to do« vermutet eine Gesprächspartnerin (Feldnotiz 11.4.2014). Auch mein Gespräch mit der für die Local Loyalty Card zuständigen Vertreterin des Councils verdeutlichte, dass der Council sich auf ein Kundenbindungsprogramm fokussieren und kein zweites Projekt mit ähnlicher Ausrichtung unterstützen wollte. Sie vermutet aber, dass das Stroud Pound, unabhängig von der Einführung der Loyalty Card grundsätzlich nicht als förderfähiges Projekt in Frage kam (Gesprächsnotiz 11.4.2014).35 9.2.5 Erscheinungsbild und Funktionsweise des Geldes Das Stroud Pound ist eine reine Papierwährung, bargeldloser Transfer ist nicht vorgesehen.36 Die Geldscheine sind liebevoll und aufwändig gestaltet und dadurch auch 35 Die Stroud Loyalty Card ist Ende 2015 ausgelaufen, da das kostspielige, von der Kommune mit 35.000 Pfund bezuschusste, Projekt aus Erfolglosigkeit nicht verlängert wurde (Stroud Life 2015). 36 Den Initiator*innen ist klar, dass bargeldlose Bezahlmöglichkeiten die Attraktivität des Stroud Pounds erhöhen. Eine Möglichkeit wäre die Adaption des Brixtoner Systems gewesen. Sie haben sich aber vorerst gegen die Implementierung einer solchen Möglichkeit entschieden. »the question is what comes first, that we make sure it circulates, with notes, you know, and then we’ll go into that cashless scheme. It’s like chicken and egg« (STRORG1).
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recht fälschungssicher. Die auf ihnen abgebildeten lokalen Motive sollen die Identifikation mit der Region und ihre sozialen, kulturellen und natürlichen Besonderheiten bezeugen (eine ausführliche Beschreibung der Scheine findet sich bei Scott-Cato und Suárez 2012: 110). So ziert alle Scheine eine Karde. Die Karde (Teasle) ist eine typische Pflanze der Five Valleys. Sie hatte für die Region im 19. Jahrhundert große ökonomische Bedeutung, da sie in Webereien zur Bearbeitung und Aufbereitung von Wolle verwendet wurde. Auf der 1-Pfund-Note bilden Karde und Biene gemeinsam das Hauptmotiv. Die Biene soll die kooperative Gemeinschaft symbolisieren und schließt damit an eine in der Genossenschaftsbewegung verbreitete Symbolik an.37 Der 2-Pfund-Schein zeigt einen historischen Rasenmäher und damit eine Erinnerung an Edward Beard Budding aus Stroud, der sich 1830 seine Erfindung eines Spindelmähers patentieren ließ. Auf dem 10-Pfund-Schein ist der berühmte Dichter, Sozialist und Romanautor Laurie Lee38 aus Stroud abgebildet. Abbildung 5: Stroud Pound Geldscheine
Quelle: Stroud Pound Co-operative. Links die Karde mit den »Buildings of Stroud« im Hintergrund der £1-Note, rechts der Dichter Laurie Lee auf dem £10-Schein.
Die immense Bedeutung der Gestaltung der Geldscheine als Symbol für die Gemeinschaft der Geldnutzer*innen lässt sich in Zusammenhang mit der Namensgebung der Währung in Stroud lehrbuchartig studieren. In einer Abstimmung in der Bevölkerung während der Gründungsphase entschied sich eine sehr knappe Mehrheit für »Stroud
Bargeldlose Bezahlmöglichkeiten wie beim Chiemgauer, bei dem es eine Art RegiogeldEC-Karte gibt, kamen in Stroud nicht in Frage, zumal auch Gespräche mit der örtlichen Credit Union über eine Kooperation nicht zu einer Zusammenarbeit führten (STRORG1). 37 Sie findet sich etwa auch beim Berliner Spar- und Bauverein (Amann 2013:564). Diese Bienensymbolik für Kooperation steht damit im Gegensatz zu ihrer Bedeutung bei Mandevilles Bienenfabel, der mit seiner Metapher zeigen möchte, dass sich individuelles Vorteilsstreben zum Wohl des Ganzen auswirken kann. 38 Seine Werke Cider with Rosie (1959) und As I Walked Out One Midsummer Morning (1969) sind auch ins Deutsche übersetzt.
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Pound« und gegen »Teasle« (STROGR1, STRORG2). Auch bilden alle Scheine Gebäude aus Stroud ab.39 Aufgrund dieses Fokus auf Stroud wurden die Scheine im benachbarten Stonehouse nicht akzeptiert, obgleich die Idee des Regiogeldes unterstützt wurde. Das Design und der Name der Stroud Pound Geldscheine wirkte demnach nicht wie geplant als Symbol der Einheit und Gemeinschaft, sondern Stonehouse fühlte sich nicht repräsentiert. Die Initiative druckte daher eigenständige Scheine mit Namen Stonehouse Pound. Im Rückblick, so herrscht unter den Initiator*innen Einigkeit, wäre die Benennung des Geldes als Teasle und ein diplomatischerer Umgang mit der Symbolik die bessere Wahl gewesen (STRORG1, STRORG2). Die Besonderheiten der Geldform Stroud Pound erschöpfen sich nicht im äußerlichen Erscheinungsbild und den stofflichen Eigenschaften als Papiergeld. Auch die inhärenten Mechanismen in Bezug auf seine Funktionalität als Geld weisen Spezifika auf. Wie die anderen Transition Currencies wird Stroud Pound zu einem Kurs von 1:1 gegen Sterling in Umlauf gebracht. Jeder im Umlauf befindliche Betrag in Stroud Pound ist durch Sterling gedeckt.40 Zudem hat es einige Besonderheiten von seinem direkten Vorbild, dem Chiemgauer in Süddeutschland (Gelleri 2008), übernommen. Hierzu zählen insbesondere die Rücktauschgebühr und die Demurrage. Beim Rücktausch in Sterling fallen für Unternehmen Gebühren in Höhe von 3% an,41 Konsument*innen hingegen können Stroud Pound nicht in Sterling zurücktauschen. Die Einnahmen durch diese Gebühr fließt lokalen Projekten zu Gute. Ausgewählt werden diese von den Konsument*innen selbst. Diese Rücktauschgebühr soll zwei Zwecke erfüllen: Einerseits dient sie als unmittelbare Finanzierungsquelle für wohltätige Zwecke und unterstreicht somit den gemeinwirtschaftlichen Anspruch der 39 Die Abbildungen stammen aus Philippa Threlfalls 1972 gefertigtem Wandgemälde »Buildings of Stroud«, das im Shopping Centre in Stroud steht. (http://www.philippathrelfall.com /search/entry1030_buildings_of_stroud.html). 40 Diese Bindung an Sterling hält Bernard, Vorstand der Stroud Pound Genossenschaft und wesentlicher Initiator, lediglich für eine second-best Lösung, welche jedoch Attraktivität und Vertrauen stärken kann. Auf lange Sicht möchte Bernard allerdings eine stärker unabhängige und eigenständige Währungsform erreichen. Für einen Relaunch hat er weitreichende Pläne: »What I’d like in the wrong long run is to decouple it from the pound. (…) One thing, also, is to find a way of making actually double use of the money we have. (…) Instead of putting the money in the bank account and keeping it, we invest that in renewable energy« (STRORG1). Dann würde die Nutzung des Stroud Pounds gleichzeitig eine Investition in erneuerbare Energien bedeuten. Stroud Pound wäre nicht durch Sterling, sondern durch die Produktion erneuerbarer Energie gedeckt. 41 Ursprünglich beliefen sich die Gebühren auf 5%, welche sich aus 3% zur Finanzierung lokaler Initiativen und 2% zur Deckung von Organisationskosten zusammensetzten. Aufgrund massiver Beschwerden seitens der Unternehmen über die Höhe der Gebühren wurden die 2% Verwaltungsgebühr später gestrichen (STRORG1).
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Genossenschaft. Andererseits soll sie einen Anreiz bieten, das Regiogeld gerade nicht zurückzutauschen, sondern wieder auszugeben. Schließlich verteuert sie für ein Unternehmen den Umtausch in Sterling, wodurch eine direkte Verwendung derselben Summe vergleichsweise günstiger ist. Diese Idee zielt also darauf ab, den local multiplier weiter zu erhöhen und die Verwendung innerhalb der lokalen Wirtschaft sicherzustellen, den Abfluss von Geld aus der Region wenn nicht zu verhindern, so doch wenigstens zu verteuern. Die Einbeziehung lokaler Wohltätigkeitsinitiativen wiederum dient ebenfalls als Mittel und Zweck zugleich: Ihre Unterstützung durch die mit der Rücktauschgebühr finanzierten Geldzuwendungen erfüllt aus Sicht der Genossenschaftler*innen einen Zweck an sich, indem es die außerwirtschaftlichen Zielsetzungen der Organisation unterstreicht. Gleichzeitig sollen die Zuwendungen mittelbar zu Wachstum und gesteigerter Nutzung von Stroud Pound beitragen. Schließlich werden die Spenden in Stroud Pound ausgezahlt, so dass die Initiativen und ihre Mitglieder gezwungen sind, Stroud Pound auszugeben. Dadurch erhalten die Unterstützer*innen wiederum einen Anreiz, Stroud Pound zu akzeptieren (ScottCato und Suárez 2012: 109). Die Demurrage, also der von den Geldtheorien Silvio Gesells und Rudolph Steiners inspirierte regelmäßige Nominalwertverlust, macht eine weitere Besonderheit des Stroud Pounds aus, die der Chiemgauer erfolgreich implementiert. Alle sechs Monate verliert das Stroud Pound 3% seines Wertes. Zur Erhaltung des Nennwertes muss die jeweilige Halter*in eine Wertmarke für eben diese 3% kaufen und auf den Geldschein kleben. Dieser inhärente Wertverlust soll, wie in Kapitel 6 beschrieben, als Umlaufsicherung dienen und Geldhaltung zugunsten von Zirkulation verteuern.42 Beim Chiemgauer zählt die Demurrage zu den wichtigen Erfolgsfaktoren (Thiel 2011, Gelleri 2008). In Stroud wurde sie von den Unternehmen und den Nutzer*innen hingegen nur widerwillig, wenn überhaupt, akzeptiert. »People didn’t like that. And particularly businesses don’t like it. So what we found was that people were quite keen to use it but we found it hard to get the businesses to sign up to it« (STRORG2). Es erwies sich als besonders schwierig, Betriebe und Geschäfte vom Stroud Pound zu überzeugen, da diese gerade die Gebühren und die Negativzinsen
42 Die Ausgestaltung dieser Demurrage unterscheidet sich lediglich im Detail vom Vorbild des Chiemgauers. Beim Chiemgauer verlieren die Scheine alle drei Monate zwei Prozent an Wert (Gelleri 2008). Da die Demurrage ein schwieriges und ungewohntes, vor allem auch umstrittenes Konzept ist, entschied sich die Stroud Pound Co-op, auch auf Anraten von des Chiemgauer-Initiators Christian Gelleri dazu, die Intervalle auf sechs Monate zu vergrößern (STRORG1). Mittlerweile hat sich der Chiemagauer diesem Modell ebenfalls angepasst. Im Oktober 2015 wurde auf der Hauptversammlung des Chiemgauers angekündigt, den Rhythmus ab 2016 ebenso auf sechs Monate zu verändern und auch die Laufzeit der Scheine auf drei Jahre zu erhöhen (Chiemgauer e.V. 2015a).
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nicht tragen wollten. Denn die damit einhergehenden direkten Kosten wirkten abschreckend. Aus Gründerin Clares Sicht sind die mit den Gebühren verbundenen Ausgaben ausschlaggebend für das Einschlafen der Zirkulation gewesen. Sie ist überzeugt, dass die Unternehmen ohne direkte Kosten weiterhin gerne das Regiogeld akzeptieren würden. Aber nicht nur Unternehmen, sondern auch viele Verbraucher*innen zeigten sich mit der Demurrage unzufrieden. Dieser Umlaufimpuls bedeutet schließlich auch für die Verbraucher*innen direkte Kosten, die mit der Nutzung des Regiogeldes verbunden sind. Tatsächlich, so Gründer Bernard, soll eine Demurrage bei einem künftigen Relaunch nicht mehr eingebaut werden: »it’s a bit too complicated so we’ve decided: If we’ve started doing something again, we’ll not have that« (STRORG1). Stattdessen würde Bernard Geldscheine mit Verfallsdatum bevorzugen, nicht mit regelmäßigem Wertverlust.43 9.2.6 Zielgruppen, Reichweite und Umlauf Grundsätzlich soll das Stroud Pound im Distrikt zirkulieren. Ich habe schon angesprochen, dass sich dies allein durch die Namensgebung und das damit verbundene Gefühl der Beschränkung auf die Stadt Stroud als schwierig erwies. Hinsichtlich der Zielgruppen kann unterschieden werden zwischen Konsument*innen und privaten Nutzer*innen sowie Betrieben. Zur ersten Gruppe gehören grundsätzlich alle Verbraucher*innen im Distrikt Stroud. Welche Betriebe aber konkret zur Zielgruppe gehören sollen, ist bei Regiogeldern umstritten. Insbesondere stellt sich den Akteur*innen die Frage, inwieweit das Regiogeld ausschließlich zur Verwendung von lokalen Betrieben gedacht ist, oder ob auch Filialen überregionaler Firmen oder Ketten einbezogen werden sollen. Befürworter eines ausschließlichen Fokus auf regionale Betriebe argumentieren, dass ein erklärtes Ziel des Projektes ja die Förderung der regionalen Wirtschaft und die Reduzierung des Abflusses von Geld aus der Region heraus ist. Auch in Stroud wurde diese Frage intensiv diskutiert und gerade innerhalb Transition Stroud gab es Vorbehalte gegen die Einbeziehung aller Unternehmen. Bernard hingegen befürwortet eine breite Einbeziehung und kann sich grundsätzlich vorstellen, dass auch Filialen großer Ketten Anreize finden würden, Produkte der Region zu erwerben. »The question was should it be for the big ones too? Should Costa Café be part of it? And I actually thought: ›Yes, they should‹, because the place like Costa for instance, might then say: ›God, that’s lot of Stroud Pounds‹ and say ›Okay, we can get local people to make cakes for us 43 Gefragt, ob dies einen kompletten Wertverlust bedeutet, antwortet Bernard: »Well, that’s the thing. We haven’t really talked that through, how we actually do it. But that would be the implication. It gets too complicated with stamps so then let’s do it with notes« (STRORG1).
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and then we’ll use our Stroud Pounds‹. Might be an incentive for the future. Maybe, maybe not. Who knows.« (STROG1)
Für Clare hingegen kann eine Regionalwährung grundsätzlich vor allem eine Lenkungsfunktion pro regionalen Konsum bei dezidiert lokalen Unternehmen ausüben. Das Stroud Pound hat somit Signalfunktion, kleine, lokale, unabhängige Unternehmen zu fördern – und etwa nicht bei Tesco (eine der größten britischen Supermarktketten mit Filialen in Stroud) einzukaufen. Es erinnert Konsument*innen an ihr grundsätzliches, moralisch aufgeladenes Bedürfnis nach verantwortlichem Konsum. »You actually go into a shop, you buy something, and you put your hand in your wallet and you take out an ordinary pound or you take out a Stroud pound and that’s the point of the transaction« (STRORG2). Letztlich entschied sich das Gründungsteam, Niederlassungen überregionaler Unternehmen zwar als Mitglieder zuzulassen, aber nicht offensiv anzuwerben.44 Aber auch innerhalb der Gruppe kleinerer, lokal verankerter Unternehmen erwies sich der Partizipationsgrad geringer als erwartet. Im Jahr 2011 zählten zu den Mitgliedern der Genossenschaft 180 Konsument*innen sowie 44 Geschäfte, Unternehmen und Organisationen, unter diesen auch Ein-Personen-Firmen. Damit blieb die Zahl der das Stroud Pound akzeptierenden Geschäfte vergleichsweise gering. Einige Interviewpartner*innen vermuten, dass es dem Stroud Pound nie gelungen ist, Anziehungskraft außerhalb des grün-alternativen Milieus zu entfalten: »And I suppose that thing with the Stroud Pound, I suspect it never got outside of slightly more Steinerian community.« (STRTN1). Zwar widersprechen einige Mitglieder dieser Überlegung (STRTN2), dennoch herrscht Einigkeit über die zu geringe Verbreitung und den zu geringen Nutzungsgrad, sowohl unter Unternehmen als auch unter Konsument*innen. Es ist nicht gelungen, die Unternehmen von den möglichen, kollektiven Vorteilen des Regiogeldes zu überzeugen. Dies machen Unternehmen, aber auch andere Beteiligte, zumindest teilweise an den spezifischen Eigenheiten des Stroud Pounds fest, vor allem an der Demurrage und der mit ihr verbundenen Komplexität. Daher nahmen die Initiator*innen sowohl zu nichtteilnehmenden, als auch zu den teilnehmenden Unternehmen regelmäßig Kontakt auf, um das Stroud Pound, seine Funktionsweise sowie Ziele zu erklären, es zu bewerben und letztlich die Funktionsfähigkeit auszubauen. »There was a lot of leg-work involved in going and explaining it all to businesses especially some of the complicated things you have to do with this – I call it the administration of it.« (STRORG2)
44 The Co-operative bildete die einzige Ausnahme, da diese Supermarktkette aufgrund ihres konsumgenossenschaftlichen Ursprungs und der dezentralen Struktur als geeignet angesehen wurde. Doch zu einer Akzeptanz des Stroud Pounds im Co-op kam es nicht.
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Als ein großes Hindernis für eine breitere Nutzung des Stroud Pounds hat sich der geringe tatsächliche regionalwirtschaftliche Kreislauf erwiesen. So steht nicht nur für den Konsum ein eng begrenztes Angebot an lokal produzierten Gütern zur Verfügung, sondern die geringe Produktion lässt auch den Aufbau umfassender regionaler Wertschöpfungsketten nicht zu. Bestrebungen, zumindest vor Ort produzierte Agrarprodukte auch in der Region zu konsumieren, stoßen ebenso an Grenzen. Der Farmers Market ist ein solches Beispiel, genau wie eine Community Farm. »If you look around, I mean if you go into any of these restaurants or whatever who have signed up [to the Stroud Pound, PD]. They get that stuff from outside partly because there isn’t much available actually in the district which is for sale. […] And local farmers who are not organic, they sell their stuff to the big markets and it’s gone. You know so it’s a much bigger problem« (STRORG1).
Die begrenzte Reichweite zeigt sich auch im Umsatz. Im Jahr 2010 wurden gut 10.000 Pfund Sterling in Stroud Pound erworben. Knapp 60% (£5940) wurden im selben Jahr wieder in Sterling zurückgetauscht, d.h. 4.126 Stroud Pound verblieben in der Zirkulation (Scott-Cato und Suárez 2012: 110). Mit den dabei anfallenden Gebühren konnten ca. 300 Pfund für wohltätige Zwecke gespendet werden.45 Allerdings wäre es vermessen, die nicht zurückgetauschten Geldscheine automatisch als tatsächlich zirkulierend anzusehen. Schließlich erfreuen sich viele Personen gerade an den Geldscheinen als Kunstform oder Sammlerstück. So kommt während eines meiner Gespräche in einem der teilnehmenden Läden eine Kundin hinzu, die sich interessiert einschaltet und fragt, worüber wir sprechen. Sie hat sich Stroud Pound Noten gekauft und, da sie sie so schön findet, zu Hause aufgehängt: »I just thought this is pretty. I completely forgot that they were currency, five pounds and one pound. And then after a while I thought, I’m not quite sure how to use these.« Hängen geblieben ist ihr, dass das Geld komplizierter ist als Sterling. Sie fragt auch, ob die Scheine überhaupt noch ihren Wert haben. Zum Abschluss des kurzen Gespräches gibt sie eine Empfehlung für einen eventuellen Relaunch: »Don’t make them so pretty. Make them boring« (Feldnotiz 8.4.2014). Mit langweiligeren Scheinen kann ihrer Ansicht nach eine höhere Zirkulation besser erreicht werden als mit kleinen Kunstwerken. Bernard be45 Zum Vergleich sei wiederum das Beispiel des Chiemgauers genannt, der ein deutlich größeres grundsätzliches Potenzial der Förderung von Vereinen durch Regiogeldorganisationen beweist. Bei diesem verbleiben geschätzt 70% der in einer Transaktion genutzten Chiemgauer im Umlauf, lediglich 30% werden in Euro umgewandelt (Thiel 2011: 246). Der Chiemgauer-Umsatz der Unternehmen lag 2014 bei knapp 7,5 Millionen Chiemgauer, und über die Gebühren konnten zwischen 2003 und 2014 insgesamt über 400.000 Chiemgauer (also Chiemgauer im Wert von 400.000 Euro) an Initiativen abgeführt werden, welche von den Konsument*innen ausgewählt wurden (Chiemgauer e.V. 2015).
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richtet, dass tatsächlich auch einige Scheine an Sammler*innen außerhalb der Region verkauft wurden, etwa auch an Städte namens Stroud in den USA und Australien (STRORG1). Diese Scheine fließen ab und werden nicht wieder verwendet. In der Tat gelten die Geldscheine, wie auch die anderer komplementärer Währungen, unter Sammlern als begehrte Stücke und werden teilweise zum zehnfachen Preis gehandelt (Stroud Life 2014). In der »Bank«, also in der Umtauschstelle im Charity Shop, hat Debbie ähnliche Erfahrungen gemacht. »In the end, I’ve sold as many to tourists as to anyone else, actually. People say ›Oh I hear you’ve got the local currency. If I give you a pound will you give me the Stroud Pound?‹ […]. But the circulation thing never got going, that’s clearly what it needs to work« (STRORG2).
9.3 VORARLBERGSTALER Die dritte Fallstudie analysiert mit dem Vorarlbergstaler, kurz VTaler, ein österreichisches Regiogeldprojekt. Es weist große Ähnlichkeiten zu den Transition Currencies auf, unterscheidet sich aber von den beiden anderen Fallstudien dieser Untersuchung deutlich. Erstens besitzt er eine größere geographische Verbreitung, da er in Vorarlberg in mehreren Gemeinden, darunter Städten, zirkuliert. Zweitens ist der VTaler Teil eines Netzwerkes aus Komplementärwährungen. Hierzu zählen mehrere, in verschiedenen Gemeinden in Vorarlberg kursierende Regiogelder des gleichen Typus, die untereinander als Zahlungsmittel akzeptiert werden. Zum Netzwerk gehört auch ein Tauschring namens Talente Tauschkreis Vorarlberg. Diese Verknüpfung von Regiogeld und Tauschring macht die dritte Besonderheit des Falles aus. Fokaler Akteur in diesem Netzwerk ist die Allmenda Social Business Genossenschaft, die in Verwaltung, Verbreitung und Erhaltung der Komplementärwährungen eine entscheidende, nicht zu ersetzende Rolle einnimmt. Diese Fallstudie zum VTaler behandelt daher nicht nur den VTaler im engeren Sinne, sondern blickt auf dieses gesamte Netzwerk mit den angeschlossenen Regiogeldformen, welche teilweise bereits nicht mehr zirkulieren. Schwerpunkt liegt neben dem VTaler auf einem Regiogeld in der kleinen Gemeinde Langenegg sowie auf dem Talente Tauschkreis Vorarlberg. Interviews mit beim VTaler teilnehmenden und nichtteilnehmenden Unternehmen habe ich daher um Interviews mit Vertreter*innen von Unternehmen, die Mitglied im Tauschring sind ergänzt. Dadurch ergeben sich für das Sampling vier Gruppen von Interviewten: Die erste Gruppe besteht aus denjenigen, die sowohl beim Regiogeld als auch beim Tauschring Mitglied sind, die zweite und dritte Gruppe aus denjenigen, die lediglich bei einer dieser beiden Komplementärwährungsformen mitmachen. Die vierte Gruppe schließlich bilden Unternehmen, die weder im Tauschring sind noch Regiogeld akzeptieren (vgl. Kapitel 8.1). Ziel ist es, die Konturen des VTalers durch die Gegenüberstellung zum Tauschring
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deutlicher hervorzuheben. Die wechselseitige Anbindung lenkt den Blick darüber hinaus auf die Relation der beiden Komplementärwährungsformen und mögliche Synergien. Es wird herausgearbeitet, dass die Bedeutungszuschreibungen in großen Teilen voneinander abhängen, der VTaler also nicht unabhängig vom Tauschkreis zu verstehen ist. Diese Fallstudie zum VTaler unter Berücksichtigung der Talente eignet sich in besonderem Maße, die idealtypische Gegenüberstellung von ökonomischen und sozialen Projekten, also markttausch- und reziprozitätsbasierten (vgl. Kapitel 7), zu überprüfen. Im Folgenden skizziere ich zunächst kurz das Setting, indem ich einige für die Komplementärwährungen wesentliche Merkmale des Vorarlbergs schildere (9.3.1). Dann beschreibe ich den Gründungsprozess und stelle den Kreis der Initiator*innen vor (9.3.2). Danach erörtere ich die Zielsetzung des VTalers sowie die organisatorische Ausgestaltung, wobei die Allmenda Genossenschaft eine zentrale Rolle einnimmt (9.3.3). Die Erörterung des Komplementärwährungsumfeldes schließt verschiedene von der Allmenda herausgegebene Regiogelder genau wie den Talente Tauschkreis Vorarlberg mit ein (9.3.4). Die Darstellung der Geldform beschreibt dann explizit VTaler (und die Langenegger Talente) (9.3.5). Reichweite, Zielgruppen und tatsächlicher Umlauf werden abschließend skizziert (9.3.6). 9.3.1 Setting: Vorarlberg Vorarlberg liegt im Westen Österreichs, grenzt an Deutschland, die Schweiz und Liechtenstein. Vorarlberg bezeichnet ein Bundesland Österreichs mit gut 350.000 Einwohner*innen. Innerhalb des Vorarlbergs macht das Rheintal den bevölkerungsreichsten Teil aus, insbesondere die Bezirke Dornbirn und Bregenz direkt am Bodensee. Neben Städten wie Bregenz, Dornbirn oder Freikirch beheimatet Vorarlberg viele kleinere Gemeinden in den verschiedenen Tälern. Die Besonderheit Vorarlbergs innerhalb Österreichs macht sich unter anderem sprachlich bemerkbar, da der vorarlbergische Dialekt im restlichen Österreich so gut wie nicht vorkommt. In Vorarlberg erläutern mir viele Gesprächspartner*innen, dass die Region in vielen Hinsichten einen hohen Identifikationsgrad erzielt. Manche berichten sogar davon, dass sie sich mehr mit dem Bodensee als Heimat identifizieren, dabei explizit die schweizerischen und deutschen Gegenden einschließend, als mit Österreich. Vorarlberg als Region stellt jedenfalls einen wichtigen und gut wahrnehmbaren Bereich kollektiven Wir-Gefühls. Entsprechend werden in vielen Supermärkten nicht nur regionale Produkte beworben, sondern diese gezielt für eigene Werbezwecke genutzt. Der hohe Stellenwert der Regionalität und die Identifikationskraft der Region bilden den Hintergrund für die verschiedenen Komplementärwährungsprojekte. In den Dörfern und kleineren Gemeinden ist die Bereitstellung von
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Infrastruktur ein großes Thema. Dies gilt beispielsweise für den öffentlichen Personennahverkehr und die Nahversorgung, deren Sicherstellung nicht ohne weiteres flächendeckend gegeben ist. Im November 2014 habe ich eine Woche in Vorarlberg verbracht. Konkret habe ich Unternehmen in den Städten Bregenz, Dornbirn, Feldkirch und Rankweil besucht, daneben aber auch in kleineren Gemeinden wie Langenegg. In den Städten ist der VTaler, wie auch der Tauschkreis, stärker als in den ländlichen Gemeinden vertreten (Kennedy/Lietaer/Rogers 2012: 95-99). Die Interviewphase habe ich aufgrund der großen Distanzen im Vorfeld strukturieren müssen. Für die Vereinbarung der Interviews war die Unterstützung durch die Ehrenamtler*innen bei der Allmenda Genossenschaft unverzichtbar. Zusätzlich zu vorab terminierten Interviews habe ich spontan viele Gespräche und kürzere Interviews geführt, die auf Spaziergängen durch die jeweiligen Orte möglich wurden. So habe ich, wie bei den anderen Fallstudien auch, sowohl in teilnehmenden als auch nichtteilnehmenden Unternehmen nach dem VTaler und den Talenten gefragt und auf diese Art viele Unterhaltungen geführt. In diesen ergänzenden kurzen Interviews habe ich vor allem ähnliche Erkenntnisse wie in den ausführlichen Interviews erhalten, weniger neue oder gar widersprechende Informationen.46 9.3.2 Gründung und Initiator*innenkreis Der VTaler entstammt einem Umfeld, das seit zwanzig Jahren Erfahrungen mit Komplementärwährungen hat. Bereits 1996 wurde der Talente Tauschkreis Vorarlberg gegründet, also in einer Zeit, in der europaweit viele Tauschringe entstanden. Er stellt allein aufgrund seiner fortdauernden Existenz einen sehr erfolgreichen Tauschring dar. Aus dem Tauschkreis heraus entstanden und entstehen weitere Projekte und Initiativen. Zu diesen zählen sogenannte »Kreativmärkte« im Herbst und Frühling oder »Projektgeschäfte«, bei denen leerstehende Geschäfte mit Kunsthandwerk bespielt werden. Auch die Regionalwährungen, begonnen mit den Langenegger Talenten 2008 über Walsertaler und Klostertaler 2009 bis zum das gesamt vorarlbergische Rheintal umfassenden VTaler im Jahr 2013, entspringen letztlich diesem Tauschkreis. Dieser wurde als Verein gegründet, aus dem nach einer Wachstumsphase eine Genossenschaft hervorging, die seit 2009 Allmenda Social Business eG heißt. Hier engagieren sich viele Mitglieder ehrenamtlich; dieser Aufwand wird zu geringen Teilen mit Gutschriften im Tauschkreis entschädigt. Seit Beginn des Tauschkreises dabei ist Gernot »DAS Gesicht der Talente und der Allmenda« (VORORG2). Gernot 46 Aufgrund der vergleichsweise hohen Übereinstimmung zwischen spontanen und vorab kriteriengeleiteten Fällen lässt sich ein hoher Sättigunsgrad durch das Sampling feststellen, zumindest vermuten. Die im kriteriengeleiteten Vorab-Sampling erzielte Varianz an Fällen weist jedenfalls auf ein adäquates Samplingverfahren hin.
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ist hauptberuflich Unternehmensentwickler, »ich werde von den meisten Leuten aber sehr viel mehr mit meinem Hobby Talente identifiziert« (VORORG1). Gernot ist auch maßgeblich an den Regiogeldprojekten der Allmenda beteiligt. Rolf, ebenfalls in der Allmenda Genossenschaft tätig, ist Ansprechpartner für den VTaler und zuständig für die Vernetzung mit anderen Komplementärwährungen. Darüber hinaus hat er für den Regiogeldverband gearbeitet, ist also ebenfalls seit langem ausgewiesener Experte im Feld der Komplementärwährungen. Initiiert wurde der VTaler also aus einem Kreis erfahrener Komplementärwährungsexpert*innen, die in vielen weiteren sozialen und ökologischen Projekten tätig sind und sich für eine soziale, nichtkompetitive Wirtschaftsform einsetzen. Zu den konkreten Tätigkeitsfeldern der Allmenda gehören neben den Komplementärwährungen etwa die Finanzierung im Bereich erneuerbare Energien oder die Bereitstellung von Cloud Services und IT Lösungen auf Basis von Open Source Software. Die Allmenda bietet Beratungsleistungen im Bereich für Kooperationen und unterhält ein Change Lab für Projekte zur Förderung nachhaltigen Lebensstils. Die vielen, sich ergänzenden Tätigkeitsfelder zeigen genau wie Kooperationen mit anderen Komplementärwährungen, dass das Gründungsteam sehr gut vernetzt ist. Dies zeigt sich bei der Gründung auch in der erfolgreichen Einwerbung von Projektförderungsmittel. Konkret konnten die Regiogelder im Rahmen eines EU-finanzierten Interregprojektes namens »Gemeinschaft| Vorsorge|Nahversorgung« initiiert werden. Wie wesentlich die Rolle der Gemeinde ist, zeigt sich gerade in Langenegg. Hier gehörte auch der Bürgermeister, ebenfalls früheres Mitglied des Tauschkreises, zu den Initiator*innen des Regiogeldes. 9.3.3 Zielsetzung und Organisationsgestaltung Auch hinsichtlich der Zielsetzung ist die Entstehung des VTalers als Ergänzung zum Tauschkreis Talente Vorarlberg zu beachten. Tatsächlich sollen sich diese beiden Systeme ergänzen und wechselseitig stärken. Die Schwerpunkte in der Zielsetzung entsprechen im Grundsatz der typologischen Gegenüberstellung Blancs (2011, vgl. 7.2). Der Tauschkreis lässt sich als »soziales Projekt« kennzeichnen, der VTaler eher als »wirtschaftliches Projekt«. Gernot gesteht dem Tauschring aber auch eine ökonomische Funktion zu. Der Tauschring dient der »Kaufkraftschaffung«, das Regiogeld der »Kaufkraftlenkung« (VORORG1). Hiermit lässt Gernot die unterschiedlichen Mechanismen der Geldschöpfung erkennen: Der Tauschkreis als reine Kreditgeldform auf Gegenseitigkeit erlaubt es den Mitgliedern, Transaktionen durchzuführen, für die sonst kein Tauschmittel vorhanden wäre. Gedeckt ist diese Komplementärwährung durch das Versprechen der Teilnehmer*innen, Negativguthaben durch die Erbringung von Dienstleistungen oder den Verkauf von Gütern auszugleichen. Der Tauschkreis soll also zusätzliche Transaktionen bewirken. Diejenigen Produkte und Dienstleistungen, die im Tauschkreis gehandelt werden, unterscheiden sich aus Sicht
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der Teilnehmer*innen oft von den herkömmlicherweise erworbenen Gütern. Insbesondere »gönnen« sie sich etwas, für das sie weniger schnell bereit wären, Euro auszugeben (VORTN2TT, VORORG2TT). Tausch innerhalb des Tauschkreises ist außerdem in hohem Maße in die sozialen Beziehungen der Mitglieder eingebettet. Soziale Beziehungen zu vertiefen, wird von den Organisator*innen als weiteres Ziel des Tauschkreises aufgefasst. Schließlich geht es nicht um den ökonomischen Aspekt alleine. Regiogeld hingegen soll nicht Kaufkraft schaffen, sondern existierende Kaufkraft an die Region binden. Entsprechend werden Konsument*innen angesprochen: »Mit jedem VTaler Einkauf setzen Sie einen regionalen Wertschöpfungsimpuls« (Allmenda Genossenschaft o.J.c). Regiogeld ist durch Euro gedeckt, wer also mit Regiogeld zahlt, setzt letztlich herkömmliche Kaufkraft ein. Ziel ist die Lenkung von Kaufkraft hin zu regional verankerten Anbietern, nicht zusätzlicher Konsum. Regionaler Konsum bezweckt mittelbar auch umweltpolitische Ziele, da Energiekosten durch Transport gesenkt werden. So heißt es etwa »VTaler senken den CO2 Verbrauch durch kürzere Wege beim Einkaufen« (Allmenda Genossenschaft o.J.c). Der Idee der Bindung von Kaufkraft an die Region entspricht das Ziel, den teilnehmenden Unternehmen konkrete Vorteile zu verschaffen und spezifische Leistungen zu bieten. Diese liegen im Marketing und der dadurch erzielbaren Kundenbindung. Der VTaler soll den Unternehmen »eine gewisse Exklusivität« bieten, einen Standortvorteil. Außerdem versprechen sich die Organisator*innen, dass »die Leute natürlich dann aus Gewohnheit die [Regiogeld akzeptierenden, PD] Läden aufsuchen, auch dann, wenn sie keine VTaler haben« (VORORG3). Die Verbindung von unternehmensbezogenen Zielen mit übergeordneten Plänen der Regionalentwicklung zeigt sich besonders, wenn die Problematik der Sicherstellung lokaler Daseinsvorsorge bedacht wird. Das Beispiel der Gemeinde Langenegg, in der 2008 die Langenegger Talente als Regiogeld entstanden, verdeutlicht dies. Die Nahversorger im Dorf stand damals vor der Schließung, weil der in Pension gehende Besitzer keinen Nachfolger für seinen Laden fand. Vor diesem Hintergrund entstand aus einer bereits 1998 geformten Initiative namens »Lebenswert Leben« ein umfassendes Programm zur Erhaltung der Nahversorgung im Dorf. Primäres Ziel war es, die Fortexistenz des Lebensmittelladens zu sichern, da dieser eine neuralgische Bedeutung auch für die anderen kleineren Geschäfte im Dorf hat. Das Regiogeld, ob VTaler oder Langenegger Talente, soll die Identifikation mit der Region stärken und damit einen Impuls zur regionalen Wertschöpfung setzen. Hinsichtlich der Zielsetzung sind somit Tauschkreis und Regiogeld zu unterscheiden. Für die Allmenda stellt aber gerade die wechselseitige Komplementarität von Tauschring und Regiogeld ein wichtiges Element dar. Auch in Langenegg, wo
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2008 die Langenegger Talente als Regiogeld eingeführt wurden, ist eine solche Kombination erklärtes Ziel.47 Der Talente Tauschkreis Vorarlberg, im Bregenzerwald kaum aktiv, konnte mangels Bekanntheit nicht als »Zugpferd« in Langenegg dienen. Im Ort selbst wurde daher zusätzlich zu den Langenegger Talenten »eine zweite Stufe gezündet« (VORORG4), wie es Bürgermeister Moosbrugger ausdrückt. Hiermit ist ein Tauschkreis mit dem Namen »Tädschm’r« (»Tätest Du mir…«) gemeint. Dieser soll das Miteinander betonen, Sozialkapital aufbauen helfen, Freundschaften schaffen oder vertiefen. »Ich finde es ganz, ganz wichtig, es gehört zu den Talenten dazu, zu der Regionalwährung, dass man auch diese geldlose Geschichte hat« (VORORG4). Der Tädschm’r hat 50 Mitglieder (Talente-cc o.J.). Auch die Organisationsgestaltung beinhaltet mehrere Ebenen. Wie bereits erwähnt, steht die Allmenda Social Business Genossenschaft im Mittelpunkt der Komplementärwährungen. Sie gibt VTaler wie Langenegger Talente aus. Die Allmenda eG sieht sich dem Gemeinwohl verpflichtet und möchte »zukunftsfähige, gesellschaftlich relevante Dienstleistungen« anbieten und »Kooperation, Sinnstiftung und unternehmerisches Handeln« verbinden (Allmenda Genossenschaft 2012). Mitglieder können darüber hinaus Aufgaben wie Einkauf auf die Genossenschaft ausgliedern und die Büros bzw. Infrastruktur nutzen. Die Genossenschaft bietet durch die Einlagen auch einen gemeinsamen »Liquiditätspuffer« für ihre Mitglieder, indem das Eigenkapital der gezeichneten Anteile zinslos überlassen wird. Auch können Mitglieder bei der Allmenda Rechnungen mit Regiogeld oder innerhalb des Talente Tauschkreises zahlen. Zu den Mitgliedern der Allmenda eG gehören Unternehmen, Privatpersonen, aber auch Gemeinden. Die Allmenda ist somit zentraler Akteur für den VTaler und die anderen angeschlossenen Regiogelder. Dabei sind Mitglieder der Allmenda nicht zwingend identisch mit den Nutzer*innen des Regiogeldes, denn Mitgliedschaft und Nutzung sind unabhängig voneinander. Nur eine Minderheit der am VTaler teilnehmenden Unternehmen ist auch Mitglied der Genossenschaft. Hierbei handelt es sich meist um Betriebe, die langfristig aktiv sind und zum großen Teil auch dem Umfeld des Talente Tauschkreises entstammen. Private Mitglieder entscheiden sich »eher aus idealistischen Gründen« für die Mitgliedschaft (VORORG3), da es keine Dividendenzahlungen gibt. Die genossenschaftliche Rechtsform bietet verschiedene Vorteile. Ein ausschlaggebender Grund für die Wahl dieser Rechtsform liegt in der demokratischen Struktur: »Wir wollen es natürlich schon demokratisch machen, unabhängig davon, wie viele Anteile die Genossenschafter haben« (VORORG3). Aus Sicht der Initiator*innen ist 47 Aus dieser Nähe erklärt sich auch der Name der »Langenegger Talente«, die anfangs auch eine begriffliche Anbindung an den Talente Tauschkreis suchten. In den späteren Projekten (Walsertaler, VTaler etc) suchten die Intiator*innen hingegen eher Namen, die eine Verwechslung der Systems verhindert. Denn der namensgebende Talentetauschkreis ist eben kein Regiogel.
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auch der einfache, nicht auf statuarische Änderungen angewiesene Ein- und Austritt von Mitgliedern ein wesentlicher Vorteil der genossenschaftlichen Rechtsform. Aber auch die Begleitung, Betreuung und Prüfung durch den Genossenschaftsverband wird als Vorteil gesehen. Schließlich bietet der Verband professionelle Begleitung und eine Alternative zum Einkauf teurer Expertise von Wirtschaftsberater*innen. »Und das System ist halt auf Dauer angelegt. Das hat so ein Genossenschaftssystem, dass es halt wirklich, egal wie viel Leute rein und rausgehen, wie so ein großer Dampfer seine Fahrt aufnehmen kann« (VORORG3). Den Vorteilen stehen grundsätzlich auch Nachteile gegenüber: »Das sind vor allem die hohen Betriebskosten. Und zwar einfach diese Fixkosten, die entstehen, durch die Existenz. Das heißt, dass der Revisionsverband dementsprechend hohe Gebührensätze hat für die Revision […] und Anforderungen zu erfüllen sind bis hin zur Bilanzierung« (VORORG3).48 Für die Allmenda bietet die genossenschaftliche Rechtsform jedoch mehr Vorteile als Nachteile. Auch mit Blick auf die Komplementärwährungen soll in Zukunft die Professionalisierung weiter vorangetrieben werden. Ziel ist es dabei, »so aus dieser Zuschreibung als Socken strickender Hausfrauenverein herauszukommen und als, sage ich jetzt mal, ökonomisches Modell wahrgenommen zu werden« (VORORG1). 9.3.4 Komplementärwährungsumfeld: Akteure und Einbindungen Das unmittelbare Umfeld des VTalers zeichnet sich durch die sehr enge Anbindung an andere Komplementärwährungen aus. Im Netzwerk nimmt die Allmenda Genossenschaft nicht nur eine zentrale Rolle als Verwalterin der Regiogelder ein, sondern 48 Aufgrund der hohen Anforderungen und der damit verbundenen Kosten würden sich viele Regiogeldorganisationen, gerade auch in Deutschland mit seinem ähnlichen genossenschaftlichen Prüfungssystem, gegen die Genossenschaft und für einen Verein entscheiden. So ist auch der umsatzstarke Chiemgauer als e.V. tätig. Hier sind allerdings spezifische Tätigkeiten wie das E-Banking an die Regios eG ausgelagert. Auch ist es, so Rolf in Vereinsform leichter, als gemeinnützig anerkannt zu werden. Darüber hinaus berichtet er von vielen Fällen und Erfahrungen, in denen »auch wenn es vielleicht paradox klingt – demokratische Spielregeln vielleicht doch nicht so förderlich sind« (VORORG3). Gerade, wenn es wirtschaftlich nicht gut läuft und die Mitglieder keinen Konsens bezüglich der einzuschlagenden Strategien finden, sei die Reinform der Demokratie problematisch. Regiogeldorganisationen stehen somit exemplarisch für eine Problematik kleinerer Genossenschaften, die in den letzten Jahren verstärkt diskutiert wird: Die Summe aus direkten und indirekten Rechtsformkosten sind vergleichsweise hoch, so dass die Genossenschaft als Rechtsform spezifische Nachteile aufweisen kann. Die Erfahrungen und Überlegungen der Allmenda spiegeln demnach eine größere Debatte im Genossenschaftswesen um die Adäquanz der genossenschaftlichen Rechtsformkosten und die Pflichtprüfung wider (hierzu Blome-Drees et al. (2016).
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auch als wichtiger wirtschaftlicher Akteurin, da sie viele Transaktionen in den verschiedenen Komplementärwährungen abwickelt. Zahlungsströme entstehen etwa durch Mitgliedschaftsgebühren, aber auch durch den von der Allmenda für die Mitglieder getätigten Einkauf. Eine Schneiderin berichtet etwa, dass sie Marktgebühren über die Allmenda abwickelt, die Allmenda also extern den fälligen Eurobetrag überweist und dem Mitglied Talente oder VTaler berechnet (VORTN2TT). Außerdem werden ehrenamtlich Tätige bei der Allmenda oftmals geringfügig entschädigt, meist mit Talenten. Im Folgenden erörtere ich zunächst die Rolle der Gemeinden. Dann stelle ich den Talente Tauschkreis Vorarlberg dar, aus dem der VTaler hervorging und als dessen Ergänzung er von den Initiator*innen angesehen wird. Unterstützung durch Kommunen Dass Gemeinden und Akteure der Regionalentwicklung eine wichtige Rolle für die Chancen von Regiogeld einnehmen können, manifestiert sich in Vorarlberg auf unterschiedliche Weise. Sie können zum Erfolg des Projektes beitragen und wesentliche wirtschaftliche Akteure im Regiogeldkreislauf sein. Aber Unterstützung durch die kommunale Verwaltung führt nicht notwendigerweise zu einer langfristigen Nutzung des Regiogeldes. Auch besteht die Gefahr, dass die Unterstützung zurückgefahren wird und die Gemeinden sich aus dem Kreislauf zurückziehen. Die Langenegger Talente sind, wie bereits beschrieben, ein erfolgreiches Regiogeldprojekt. Sie wurden aus der Zivilgesellschaft heraus initiiert, aber stark durch die Gemeinde unterstützt. Einige Mitglieder des Initiator*innenkreises kannten Komplementärwährungen durch eigene Erfahrungen im Talente Tauschkreis und trieben die Idee einer Dorfwährung voran. In Bürgermeister Moosbrugger, ebenfalls Sympathisant des Tauschkreises, fanden sie einen wichtigen Befürworter des Projektes. Dies betrifft sowohl die ideelle, als auch die konkret wirtschaftliche Unterstützung. Die Gemeinde zahlt einen großen Teil der Fördermittel in Langenegger Talenten aus und akzeptiert auch 50% der Kommunalsteuern in Langenegger Talenten.49 Damit hat sie eine wichtige Stellung im Regiogeldkreislauf inne und trägt zur Stabilität des Regiogeldes bei. Im Klostertal wie im Walsertal entstanden die Regiogelder aus Regionalentwicklungsprojekten heraus. Der entscheidende Initiator*innenkreis kam demnach weniger aus der Zivilgesellschaft, sondern aus der Verwaltung, bestand vor allem aus einzelnen Personen in der Regionalentwicklung. Als es in der Klostertaler Regionalent-
49 Wegen des Rabattes von 3% für Abonnent*innen sind die Bezahlmöglichkeiten bei der Gemeinde eingegrenzt, Gebühren etwa für Kindergarten u.ä. nicht in Langenegger Talenten zahlbar. Schließlich würde das de facto einen dreiprozentigen Gebührenerlass bedeuten. Betriebe können aber ihre Kommunalsteuern in Langenegger Talenten abführen, zumal sie auch keinen Rabatt auf den Bezug von Talenten erhalten.
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wicklungsstelle allerdings zu Änderungen in der Zusammensetzung der Geschäftsführung kam, entschied sie sich gegen eine weitere Unterstützung des Projektes, wodurch es Ende 2012 eingestellt wurde. Auch der Walsertaler verschwand Ende 2014; seitdem kann im Walsertal auch mit dem VTaler gezahlt werden. Rolf von der Allmenda eG macht das Scheitern dieser Regiogelder daher zu einem großen Teil an mangelnder Unterstützungsbereitschaft von Gemeinden und Vereinen fest. Gleichzeitig gibt er an, dass viele Betriebe, die ursprünglich mitmachten und »etwas Gutes tun wollten« (VORORG3), wegen der Komplexität und der Kosten wieder ausstiegen. Die Erfahrungen dieser verschiedenen, nur sehr kurzzeitig existierenden Regiogelder zeigen, dass die innere Ausgestaltung alleine nicht hinreichend Erfolg oder Misserfolg erklären kann. Denn diese unterscheidet sich nicht oder allenfalls in Details vom VTaler oder den Langenegger Talenten. Talente Tauschkreis Ausgangspunkt der verschiedenen Komplementärwährungen der Allmenda ist der Talente Tauschkreis Vorarlberg. Dieser Abschnitt setzt sich ausführlich mit dem Tauschring auseinander, wobei insbesondere die Kaufkraftschöpfungsmöglichkeiten näher behandelt werden, da hier ein wesentlicher funktionaler Unterschied zu den Regiogeldern in Vorarlberg besteht. Schließlich unterscheiden sich Regiogeld und Tauschring hinsichtlich der Mechanismen der Geldschöpfung. Schließlich sind Guthaben im Tauschring nicht an Euro gekoppelt, sondern werden als wechselseitiger Kredit der Mitglieder untereinander geschöpft. Der Tauschring basiert auf dem Zeittauschsystem, d.h. grundsätzlich, dass Mitglieder die aufgewendete (Arbeits-)Zeit verrechnen. Der Tauschkreis umspannt prinzipiell das gesamte Vorarlberg, wobei in den Städten und größeren Gemeinden deutlich mehr Aktivitäten vorherrschen und in anderen Regionen wie dem Bregenzerwald kaum Mitglieder anzutreffen sind. Der Tauschkreis gliedert sich in neun Regionen mit jeweils eigenen regionalen Ansprechpartner*innen.50 Mitglieder des Tauschkreises zahlen Gebühren im Wert von jährlich 60 Euro, welche ganz oder teilweise in Talenten beglichen werden können. Die Voraussetzung für die Mitgliedschaft kann also durch das Geben von Zeit und Arbeitsleistungen anstelle der Bezahlung mit Euro erfüllt werden. Ehrenamtliche Tätigkeiten für den Tauschkreis oder für die Allmenda können ebenfalls in Talenten entschädigt werden. Zur Verrechnung von Tauschtransaktionen dient ein zentrales Buchhaltungssystem, welches alle Transaktionen erfasst, indem Aktiva und Passiva der beteiligten 50 Regionale Ansprechpartner*innen gibt es in jeder der neun Regionen des Tauschkreises. Diese Regionen sind Bludenz/Montafon, Bregenz, Bregenzerwald, Dornbirn, Feldkirch, Kummenberg, Leiblachtal, Vorderland und Walgau/Walsertal. Regelmäßige Tauschtreffen werden innerhalb dieser regionalen Eingrenzungen organisiert.
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Tauschpartner*innen registriert werden. Mitglieder können positive oder negative Salden haben, deren Summe stets Null ist. Um eine Stagnation zu verhindern und den Umlauf zu gewährleisten, sanktioniert der Tauschring übermäßiges Horten. Hohe Guthaben werden mit Gebühren versehen. So zieht der Tauschkreis 10% der Salden über 30.000 Talenten bei Privatpersonen und über 50.000 Talenten bei Vereinen und Unternehmen ein. Damit ist ein Anreiz implementiert, die Komplementärwährung im Umlauf zu halten. Mitglieder können einen Schöpfungsrahmen ausnutzen, also ein negatives Guthaben an Talenten führen. Private Mitglieder haben Schöpfungsrechte von 3.000 Talenten, d.h. ihr Konto darf bis zu 3.000 Talenten, entsprechend 30 Stunden, ins Minus gehen. Für Vereine und Organisationen liegen die Grenzen etwas höher, nämlich standardmäßig bei 5.000 Talenten, nach Rücksprache auch bei 7.000 Talenten oder, nach Vorstandsentscheidung auch mehr. Ökonomisch wirkt dieser Überziehungsrahmen als Kredit, genauer: als Kreditgeldschöpfung.51 Diese Überziehung nehmen die Mitglieder als Privatpersonen auf, auch wenn sie betrieblich verwendet wird. Im Falle einer Auflösung oder gar Insolvenz des Unternehmens bleibt das Negativguthaben also bestehen. Zwar sind die Rahmen vergleichsweise gering, doch ermöglichen sie gerade Kleinstunternehmen oder Selbstständigen einen flexiblen, zinsfreien Kleinkredit. In einigen Fällen wurde der Überziehungsrahmen sogar noch deutlich ausgeweitet. So gewährte der Tauschkreis einem langjährigen und aktiven Mitglied einen stark ausgeweiteten Überziehungsrahmen für die Eröffnung eines Bioladens mit kleinem Café. Als Sicherheit diente die Reputation des Mitglieds, außerdem wurde Einsicht in den Geschäftsplan gewährt. Die Eröffnung des Ladens wurde, da das Konzept wirtschaftlich tragfähig schien, außerdem mit einem Gründungskredit der Förderbank, einem Gründungszuschuss sowie privaten Darlehen aus dem Freundes- und Bekanntenkreis des Mitglieds finanziert. Der Überziehungsrahmen im Tauschkreis machte somit einen kleinen Teil der Fremdfinanzierung aus, aber immerhin ca. 10%, wenn man den empfohlenen Wechselkurs von 10:1 berücksichtigt. Der Tauschkreis insgesamt profitiert von einem aufgrund des Angebots an Bio-Produkten für die Mitglieder sehr attraktiven Geschäft, welches sich zur Annahme von Talenten verpflichtet hat. Dieser Fall, der exemplarisch für weitere, kleinere Finanzierungshilfen steht, zeigt, dass gut funktionierende und hinreichend große Tauschkreise durchaus auch ökonomisches Potenzial im Rahmen der Kleinkreditschöpfung für kleine Betriebe aufweisen. Diese Kleinkredite sind zinsfrei, die Rückzahlung äußerst flexibel. Die Allmenda hat die Erfahrung gemacht, dass Betriebe den Tauschring gerade dann schätzen, wenn sie von der Möglichkeit des Überziehungsrahmens Gebrauch 51 Dieser Schöpfungsrahmen entspricht in ökonomischer Sicht einem Kredit der Gruppe an das einzelne Mitglied. Rechtlich gesehen besteht ein großer Unterschied. Kreditvergabe unterliegt dem Kreditwirtschaftsgesetz und ist banklizenzpflichtig. Die Überziehung im Tauschkreis fällt nicht unter diesen Kredit-Begriff (VORORG3).
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machen. Denn dadurch zeigen sich für sie konkrete praktische Vorteile eines kleinen zinsfreien Kredites. Mit diesen positiven Erfahrungen sind sie auch stärker gewillt, kreativ nach Verwendungsmöglichkeiten zu suchen. Betriebe hingegen, die über vergleichsweise großes positives Guthaben verfügen, stehen dem Tauschring skeptischer gegenüber. »Betriebe, die im Talente-Bereich ein Plus haben, die tun sich oft schwer, also deren Motivation ist gering, noch weitere Talente einzunehmen« (VORORG3). Die ehrenamtlichen Helfer*innen des Tauschkreises und in der Allmenda versuchen, bei der Suche nach Verwendungsmöglichkeiten zu unterstützen. Die Allmenda beispielsweise nutzt ihre Möglichkeiten des genossenschaftlichen Einkaufs und verkauft den Mitgliedern Güter oder Vorleistungen gegen Talente, die sie selbst gegen Mischzahlung von Euro, VTalern und Talenten erworben hat. Auf diese Art kann ein kleiner Kreislauf entstehen oder erhalten bleiben. (VORORG3). Voraussetzung hierfür bleibt allerdings die Bereitschaft der Betriebe, überhaupt die höheren Transaktionskosten, insbesondere den Zeitaufwand, zu akzeptieren. Auch müssen die Betriebe bereit sein, zumindest anteilig Talente zu anzunehmen. Einige Unternehmen nehmen Talente eher zögerlich an, da sie diese nicht zu verwenden wissen. Andere würden sich hingegen über einen höheren Umsatz mit Talenten freuen. Eine selbstständige Schneiderin etwa, die auf Filz und Kindermode spezialisiert ist, »wüsste schon, wie ich die Talente ausgeben kann, also auch als Geschäftsfrau« (VORTN2TT). Ab und an, in Hochphasen, lässt sie beispielsweise im Bekanntenkreis oder auch bei der Integra nähen, einem Unternehmen, das unter anderem die Arbeitsmarktchancen Langzeitarbeitsloser verbessern möchte. Der Talente Tauschkreis Vorarlberg ist ein vergleichsweise großer und mitgliederstarker Tauschring. Im Talente Tauschkreis sind 722 Konten registriert (2014), also geringfügig weniger als im Spitzenjahr 2013 mit 778. Einige dieser Konten werden nicht von Einzelpersonen, sondern von Haushalten geführt. Die Gesamtzahl der Nutzer*innen liegt bei ungefähr 1.800. Unter diesen sind circa 70 Betriebe und Vereine. Der Gesamtjahresumsatz liegt seit 2001 stets zwischen 2,5 und 3 Millionen Talenten (entsprechend 300.000 Euro), nachdem er in den ersten vier Jahren noch zwischen 500.000 und 2 Millionen schwankte. Damit werden im Durchschnitt täglich ungefähr 8000 Talente (im Wert von 800 Euro) umgesetzt. Durchschnittlich verteilen sie sich auf 27 Geschäftsvorgänge am Tag (Talente-cc o.J.). Die meisten Mitglieder sind nicht oder lediglich teilweise erwerbstätig. »Also wenn man den Verein wirklich nutzen will, braucht man Zeit« (VORORG1). Zeit haben bedeutet in der Regel etwa, keiner Vollbeschäftigung nachzugehen. Viele der Mitglieder sind in der Tat nicht oder in Teilzeit erwerbstätig. Einige Interviewte vermuten, dass deshalb auch mehr Frauen als Männer Mitglieder im Tauschring sind. Denn Frauen sind seltener vollzeitbeschäftigt und verfügen somit im Durchschnitt eher über die für die aktive Mitgliedschaft notwendige Zeit (VORORG1, VORTN2TT). In der Tat sind ca. zwei Drittel der Mitglieder Frauen. Zeitintensiv ist nicht nur das Erbringen von Leistungen, die im Grundsatz nach eingebrachter Zeit
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vergütet werden, sondern auch der Einkauf selbst. Talente lassen sich nicht so einfach ausgeben wie herkömmliches Geld, sondern allein die Anbahnung eines Tausches kann Zeit in Anspruch nehmen. Passende Angebote müssen gefunden, Transaktionspartner*innen kontaktiert, Treffen vereinbart werden. Die Beteiligten berichten davon, dass auch Einkäufe bei Unternehmen innerhalb des Tauschrings anders sind als »normale« Transaktionen. Alleine, dass »besondere« Güter oder Dienstleitungen erworben werden, verleiht dem Tauschakt eine besondere Note, welche sich (auch) in einem etwas längeren Transaktionsprozess ausdrücken kann. In der Tat berichten mir alle Mitglieder des Tauschkreises, mit denen ich gesprochen habe, dass sie bei Talenten weniger das Gefühl haben, auf die Kosten schauen zu müssen, weniger sparsam sind, und sich »auch mal Dinge leisten, die ich mir sonst nicht leisten würde« (VORTN2TT), etwa gute Bioprodukte. Eine andere Gesprächspartnerin findet, der Tauschring und das Zeittauschsystem tragen »auch zur Entschleunigung bei. […] Und ich habe die Annahme, wenn ich das Inseratsverzeichnis ansehe oder auch die Firmen, dass das irgendwie bessere Menschen sind. Besser im Sinne von bewusster. Also diese Vorschusslorbeeren bekommen die Leute von mir. Ich merke es selber, wenn ich mich beobachte« (VORTN4TT). Aber nicht nur in den getauschten Produkten und in den Handelspartner*innen, sondern auch in den Prozessen macht sich die besondere Qualität des Tauschrings bemerkbar. Der Tauschprozess, von der Anbahnung bis zum konkreten Tauschakt, gilt den Mitgliedern als wertvoller Aspekt, der soziale Beziehungen stärken und Freundschaften anregen oder vertiefen kann. Die Mitglieder berichten in den Interviews tatsächlich davon, dass ihnen der Tauschring neue Welten eröffnet habe, dass sie gute und enge Freund*innen gewonnen haben, die sie sonst nie kennen gelernt hätten. Enge Freundschaften münden durchaus auch in Austritten oder zumindest Inaktivität innerhalb des Tauschkreises. Wenn die Tauschringbeziehungen in sehr engen sozialen Beziehungen aufgehen, kommt es vor, dass die Tauschpartner*innen aufhören, Buch zu führen und die Leistungen zu verrechnen. Denn eine solche Verrechnung entspricht nicht mehr der Qualität der nun geänderten sozialen Beziehung. Viele haben das Gefühl, dass sich die strikte Verrechnung unter Freund*innen nicht gehört. An die Stelle der Erwartung ausgeglichener Reziprozität tritt eine Norm generalisierter Reziprozität, Mitglieder sagen »passt schon, wir verrechnen das nicht« (VORORG1).52 Gernot beobachtet dieses Phänomen mit gemischten Gefühlen, zumal der Tauschring von einer aktiven Mitgliedschaft lebt. Auch sieht er auf Basis der Erfahrungen der letzten beiden Jahrzehnte, dass sich solch kleine, engere Gruppen, die sich der Tauschringverrechnung entziehen, Probleme langfristiger Stabilität haben. Irgendwann lösen sich solche Gemeinschaften auf, denn für eine Erneuerung fehlt der Formalisierungsgrad des Tauschringes (VORORG1). An dem Rückzug bei 52 Dieses Phänomen ist in der Literatur bekannt, sowohl bei Tauschringen (Raddon 2003), als auch bei Seniorengenossenschaften (Köstler 2006).
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einigen sozialen Beziehungen offenbart sich, dass die dem Tauschring inhärente Quantifizierung auch als unerwünschte Monetarisierung gesehen werden kann. Wie erwähnt, ist der Talente Tauschkreis im Kern eine zeitbasierte Währung, eine Stunde Arbeitszeit wird gegen eine Stunde Arbeitszeit getauscht. Dafür gilt der »empfohlene« Wechselkurs von 100 Talenten zu einer Stunde. Gleichzeitig empfiehlt die Organisation als Richtwert einen Wechselkurs von 10 Talenten zu 1 Euro.53 Dieser Wechselkurs zeigt die Anbindung an den Euro als gesetzliches Zahlungsmittel auf, der Tauschring existiert nicht losgelöst vom herkömmlichen Geldsystem. Darüber hinaus befinden sich im Tauschkreis auch Angebote, die den Kreislauf mit der herkömmlichen Sphäre verbinden: Angebote, bei denen der Eurobetrag in Talente umgerechnet wurde. Diese Verknüpfung ist gegeben und gewollt. Schließlich sind Fixkosten zu berücksichtigen, die zuzüglich zum unmittelbaren Zeiteinsatz eingepreist werden müssen. Der Tauschkreis lässt dies zu, empfiehlt als Daumenregel allerdings einen »Faktor 2,5«. Denn in einigen Modellrechnungen hat sich ergeben, dass Nebenkosten in etwa durch den 1,5-fachen Zeiteinsatz gedeckt werden können. »Und dann kostet einfach diese Coachingstunde zweieinhalb Zeitstunden« (VORORG3) erklärt Rolf unter Berücksichtigung von Dienstleistungen, Materialeinsatz, Mietkosten etc. Bei einzelnen Transaktionen kann es Abweichungen geben, aber wenn Mitglieder langfristig durch überhöhte, dem Zeittauschprinzip widersprechende Preise auffallen würden, wären prinzipiell Sanktionen bis zum Ausschluss denkbar. Bei Privatmitgliedern werden Abweichungen vom Zeittausch hingegen nicht akzeptiert. Hemmnisse für eine größere Aktivität im Tauschkreis bereiten oftmals Routinen und Bedeutungszuschreibungen gegenüber Geld und Schuld. So erläutern alle Interviewpartner*innen von der Allmenda wie auch einige Vertreter*innen von Betrieben, dass zunächst die Vorstellung hinterfragt werden muss, positive Guthaben seien gut, negative schlecht. Ihrer Ansicht nach ist die Grundüberzeugung weit verbreitet »Ich muss ein Plus auf dem Konto haben, sonst kann ich nicht wirtschaften« (VORORG3). Dieses, dem »Euro-Denken« zugeschriebene Denken setzt sich nach Ansicht Rolfs zu stark im »Talente-Denken« fort. Die Mentalität, nicht ins Minus gehen zu dürfen, »rührt aus der Gewohnheit, dass man im Eurobereich sofort bestraft wird, wenn man
53 Zum Umrechnungskurs heißt es: »Der Umrechnungskurs wird vom Verein festgesetzt und den Lebenshaltungskosten angepasst« (Allmende Genossenschaft o.J.a). Der Umrechnungskurs beträgt aktuell 10:1, eine Stunde wird somit mit zehn Euro bewertet. In der Vergangenheit lag der Wechselkurs auch schon bei 12:1, d.h. es kam zu einem Wertverlust des Euros gegenüber der Talente – oder, anders formuliert, zu einer Erhöhung des Stundenlohnes, da die 10 Talente, die pro Stunde empfohlen werden, nun mehr wert sind.
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einen Minuskontostand hat« (VORORG3).54 Daher müssen Mitglieder oft erst erlernen, dass der Tauschkreis auf Kontoüberziehungen angewiesen ist und dass keine Zinsen bei Negativguthaben anfallen. Negative Salden sind funktional notwendig und in dieser Logik eben kein Zeichen davon, dass die Akteur*in in der Schuld der Gemeinschaft stünde. 9.3.5 Erscheinungsbild und Funktionsweise des Geldes VTaler und die anderen Vorarlberger Regionalgelder zirkulieren primär als Papiergeld. Auf den Scheinen sind unterschiedliche Motive abgebildet, die mit der Region oder ganz konkreten Projekten der Allmenda zusammenhängen, aber auch spezifische Werbung von teilnehmenden Betrieben beinhalten können. Auf einem VTaler Gutschein des Jahres 2014 ist beispielsweise ein Autofahrer am Steuer abgebildet, womit für eine Carsharing-Genossenschaft geworben wird. Die Scheine sind immer nur für einen bestimmten Zeitraum gültig, sind mit einem Ablaufdatum versehen. Dies soll als Umlaufimpuls wirken und somit die Zirkulationsgeschwindigkeit erhöhen. Alte Scheine sind aber in jeweils neue umtauschbar und die Allmenda Genossenschaft tauscht aus Kulanz auch ältere, bereits länger abgelaufene Scheine um. Die Scheine beinhalten als Absicherung gegen Fälschungen Sicherheitsmerkmale wie eine mit den Fingern fühlbare Prägung, Wasserzeichen und im UV Licht sichtbar ein »A« für Allmenda. Abbildung 6: VTaler Scheine55
Quelle: http://www.allmenda.com/content/vtaler 54 An dieser Darstellung lässt sich erkennen, dass viele der im Tauschkreis beteiligten Betriebe Kleinstunternehmen sind, die es gewohnt sind, zunächst Geld einzunehmen, bevor sie es ausgeben und für die Fremdfinanzierung keine Routine ist. 55 Als Wert ist ein Eurobetrag angegeben, da die Scheine im juristischen Sinne Gutscheine im Wert von x Euro sind. Gernot und Rolf von der Allmenda nutzen auch in den Interviews den Begriff der VTaler-Gutscheine, wenn sie ihn präzise beschreiben. In der vorliegenden Arbeit schreibe ich hingegen der Einfachheit halber von VTalern.
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Auf der Rückseite der Gutscheine ist vermerkt, dass die Scheine gegen Talente im Talente Tauschkreis Vorarlberg eingetauscht werden können. Damit werden Regiogeldhalter*innen auch durch das Papiergeld auf den Tauschkreis hingewiesen und, so hoffen die Herausgeber*innen, neugierig gemacht. Auch erklärt ein Absatz die Grundzüge der Funktionsweise. »VTaler, bewusst und regional handeln! VTaler ist der echte Nachhaltigkeitsgutschein im Ländle. Bei jedem Einkauf wird ein weiterer regionaler Einkauf angestoßen. Das fördert die Wertschöpfung in unserer Region. Kurze Einkaufswege verringern auch den Energieverbrauch. Bestellen Sie ein monatliches Abo mit 3% Rabatt-Vorteil. Diesen Vorteil können Sie auch einem nachhaltigen Energieprojekt Ihrer Wahl widmen. VTaler, bewusst regional handeln« (VTaler Geldschein, Rückseite).
Für die beteiligten Betriebe besteht die Möglichkeit bargeldlosen Zahlungsverkehrs. Sie haben ein Guthabenkonto bei der Allmenda und können Überweisungen tätigen. Tatsächlich macht allerdings nur ein sehr kleiner Anteil von weniger als zehn Betrieben von dieser Möglichkeit Gebrauch (VORORG3). Dieses System wird in Zusammenarbeit mit Raiffeisenbanken angeboten. In Langenegg, dem Sonderfall eines vergleichsweise umsatzstarken Regiogeldes, ist das bargeldlose Bezahlen hingegen üblicher. Rolf vermutet, dass vor allem der Aufwand, in der Kasse eine zusätzliche Papiergeldform zu führen, elektronische VTaler im Vergleich transaktionskostenärmer erscheinen lässt. Er erkennt im Ansatz den Wunsch, den Bargeldbestand gering zu halten (VORORG3). Allerdings sind die Kreisläufe insgesamt zu wenig ausgebaut, als dass das bargeldlose Zahlformat tatsächlich einfach und effizient wäre. Eine Ausweitung des bargeldlosen Systems auch auf Konsument*innen steht nicht zur Debatte. Laut Rolf ist dies nur zum Teil eine Kostenfrage, schließlich bedarf ein elektronisches System der Wartung und Kontrolle. Wichtiger ist den Initiator*innen aber, dass das Papiergeld die Symbolkraft des Regiogeldes erhöht und auch besser als Werbeträger fungiert. »Und wenn ich das natürlich in der Öffentlichkeit nutze und auch an der Ladenkasse, dann […] hat es eine ganz andere Wirkung als wenn ich regional einkaufe und mit einer Geldkarte herkomme, also das Gleiche machen, was auch andere Systeme anbieten« (VORORG3). Ähnlich beschreibt der Langenegger Bürgermeister, dass die Wirkung der Langenegger Talente als Mittel zum Zweck der Kaufkraftbindung aus der Vielfalt der damals initiierten Projekte heraussticht: Aus all diesen Aktivitäten waren aus Sicht des Bürgermeisters die »Talente, die waren wahrscheinlich das Nachhaltigste, weil die Talente, die sieht man immer wieder in den Händen« (VORORG4). Die Entscheidung für ein eurogedecktes System fiel schnell, zumal die Regiogelder ja nicht anstelle, sondern zusätzlich zum Tauschring als leistungsgedecktem System zirkulieren sollten. Die Eurodeckung sollte gerade vermehrt Unternehmen dazu
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bewegen, mitzumachen. In Langenegg etwa waren sich die Initiator*innen von Beginn an einig, dass, da es um den Erhalt der Nahversorgung ging, ein möglichst einfaches System, das auch dem Dorfladen keinen großen Aufwand beschert, eingeführt werden sollte. Die Regiogelder der Allmenda implementieren keine Negativzinsen. Dies liegt weniger daran, dass die Demurrage aus geldtheoretischen Überlegungen abgelehnt wird, als vielmehr daran, dass sich die Komplexität des Systems erhöhen würde und somit Teile der Zielgruppe abschrecken würde (VORORG1,3,4). Der Mechanismus der Negativzinsen ist den meisten Menschen fremd, da er die alltägliche Vorstellung von Geld als Wertaufbewahrungsmittel durchbricht. Auch die konkrete Handhabung, etwa durch das Aufkleben von Marken, ist den potenziellen Nutzer*innen nicht vertraut. »Das mag für einige Leute gehen, für die Pioniertypen ist das okay, aber für die anderen ist das eine Erschwernis und dann plötzlich, dann kippt das Ganze oder die Stimmung dagegen und das wollten wir nicht« (VORORG4). Ziel war es, ein einfaches, nicht komplexes Geld herauszugeben. Der Umlaufimpuls soll stattdessen durch die zeitliche Begrenzung der Gültigkeit erreicht werden. Beim Rücktausch von VTalern fallen Gebühren an. In Langenegg etwa betragen die Rücktauschgebühren 10% der Summe, maximal allerdings 750 Langenegger Talente. Das heißt, dass ab einem Betrag von 7.500 Langenegger Talenten (also 7.500 Euro) keine Gebühren mehr anfallen. Zum Jahr 2012 hat die Allemenda die Finanzierungsstruktur des Regiogeldes grundlegend reformiert. Seitdem zahlen die am VTaler (oder den anderen Regiogeldern) teilnehmenden Unternehmen jährliche Mitgliedschaftsgebühren, die sich je nach Größe unterscheiden, aber meist im niedrigen dreistelligen Bereich liegen. 9.3.6 Zielgruppen, Reichweite und Umlauf Die hier behandelten Regiogelder unterscheiden sich außerordentlich hinsichtlich ihrer Reichweite und ihres Umlaufes, nicht aber hinsichtlich der Zielgruppen. Zur Zielgruppe des VTalers und der anderen Regiogelder in Vorarlberg gehören neben grundsätzlich allen Konsument*innen vor allem örtliche Betriebe. Die Allmenda stellt allerdings keine strikten Abgrenzungskriterien auf, welche Art von Unternehmen teilnehmen darf und welche nicht. Grundsätzlich sind alle Unternehmen willkommen, denen ein Beitrag zur Regionalentwicklung zugeschrieben wird. Darunter fallen etwa auch Einzelhändler in größeren Verbünden, nicht aber Discounter. Die Betrachtung von Zielgruppen, Reichweite und Umlauf der Regiogelder in Vorarlberg zeigt damit zunächst, dass die Zielgruppe im Vergleich zu den anderen im vorliegenden Forschungsprojekt einbezogenen Regiogelder breiter definiert ist. So sollen explizit auch Supermärkte, sofern sie regional verankert und inhabergeführt sind, einbezogen werden, auch wenn sie für Konsument*innen gut sichtbar Teil größerer Ver-
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bünde sind, wie etwa SPAR-Läden oder ADEG-Läden, die sich von REWE beliefern lassen.56 Die Reichweite bezieht sich auf das größere Gebiet des Vorarlberger Rheintals. Die Zahl der Mitgliederbetriebe ist in den Jahren seit der Gründung großen Fluktuationen unterworfen. Zu Beginn 2009 nahmen knapp 50 Unternehmen teil. Die Zahl der Betriebe, die die jeweiligen Regiogelder (VTaler, Walsertaler, Klostertaler und Langenegger Talente) akzeptieren, wuchs in den Folgejahren auf etwa 350 gegen Ende 2011 an. Mit der Einführung der fixen Mitgliedschaftsgebühren setzte eine Konsolidierungsphase ein. Denn unter den 350 Unternehmen befanden sich viele, die kaum oder gar nicht mit Regiogeld handelten, aber dennoch als Mitglieder geführt wurden. Hier kam es immer dann zu Problemen, wenn Konsument*innen in laut Mitgliederverzeichnis teilnehmenden Unternehmen mit Regiogeld zahlen wollten, dieses aber (mehr oder weniger höflich) abgelehnt wurde. Die Konsolidierung hatte daher unter anderem auch zum Ziel, die Zahl der Mitgliederbetriebe, insbesondere der Trittbrettfahrer, zu reduzieren, die lediglich von der Werbung profitiert haben, nicht aber aktiv teilnahmen (VORORG1, VORORG3). In der Tat verringerte sich die Zahl der teilnehmenden Betriebe deutlich auf etwa 200 Betriebe. Das Transaktionsvolumen sank hingegen nicht. Im November 2015 waren 110.000 VTaler im Umlauf. Was den tatsächlichen Umsatz und die wirtschaftliche Bedeutung ausmacht, unterscheiden sich VTaler und Langenegger Talente. Ich erörtere zunächst den VTaler, ehe ich die Sondersituation in Langenegg diskutiere. Umlauf des VTalers Der Umsatz des VTalers ist noch zu gering, als dass er in dieser Form langfristig überlebensfähig wäre. Der insgesamt geringe Umsatz spiegelt sich auch innerhalb der beteiligten Geschäfte in einem geringen Transaktionsvolumen nieder. Die Strategie der Allmenda zu Zeiten meiner Feldforschung zielte darauf ab, zunächst mehr Kund*innen zu gewinnen und die Anzahl der Abos merklich zu steigern. Denn damit würde auch für die Betriebe eine Umsatzsteigerung einhergehen, welche in einem nächsten Schritt auch weitere Betriebe zur Teilnahme bewegen könnte. Auch erhalten Mitglieder eine kleine Provision für die Anwerbung neuer Unternehmen. Den Erfahrungen seit 2014 ist zu entnehmen, dass diese Strategie in gesteigerte Abozahlen mündete. So konnte im Jahr nach meinem Aufenthalt vor Ort tatsächlich die Zahl 56 GEA Schuhe, die Waldviertler Schuhe verkaufen, sind ein weiteres Beispiel. Diese werden nicht in der Region, in Vorarlberg hergestellt, und außerdem in Österreich und international vertrieben. Allerdings werden GEA und insbesondere auch Eigentümer Heinrich Staudinger sozial verantwortliches Unternehmertum und weitere ideelle Nähe zur Regiogeldorganisation und ihren Zielen zugeschrieben. Staudinger selbst gilt als großer Unterstützer von Regiogeld; er ist bereit, VTaler zu akzeptieren und war auch an der Gründung des Waldviertlers beteiligt.
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der monatlich im Abo ausgegebenen VTaler von knapp 3.000 (November 2014) auf über 6.000 (November 2015) erhöht werden (Allmenda Genossenschaften o.J.). Trotz dieser Verdopplung verbleibt die Summe jedoch auf geringem Niveau. Diejenigen, die ein Abo beziehen, berichten davon, dass sie dadurch noch bewusster einkaufen und sich daran binden, regionale Betriebe durch Konsum zu unterstützen. So berichtet eine selbstständige Unternehmerin, die im Geschäft VTaler und Talente annimmt, dass sie seit einem knappen Jahr jeden Monat 150 VTaler im Abo bezieht. Seitdem konsumiert sie verstärkt in solchen Geschäften, die den VTaler annehmen. Ihren Stammladen für Lebensmittel hat sie gewechselt. Sie kauft nun bevorzugt auch »in einem Geschirrgeschäft [ein], die nehmen auch VTaler. Da gehe ich auch Geschenke einkaufen. Mal ein schönes Glas oder eine schöne Vase. Das habe ich vorher auch nicht gemacht. Also ich gehe ganz bewusst in diese Geschäfte.« (VORTN2TT) Tatsächlich empfinden diejenigen, die den VTaler im Abo beziehen, dass sie dadurch ihr Konsumverhalten bewusster gestalten. Weil der VTaler ihr Konsumverhalten lenkt, schreiben sie ihm eine qualitative Überlegenheit gegenüber dem Euro zu. Gleichwohl kalkulieren sie die Höhe ihres Abos so, dass sie ihren Konsum nur punktuell, nicht grundlegend umstellen müssen. Sie tauschen gerade so viele VTaler ein, wie sie bei den Geschäften auszugeben gedenken. Der VTaler ist für sie eine Erinnerung und Anregung, tatsächlich dort zu kaufen, wo sie eigentlich gern kaufen würden, es »aus Bequemlichkeit« (VORORG2) aber nicht immer machen (vgl. Thiel 2011, der ebenfalls die moralische Überlegenheit des Regiogeldes am Beispiel des Chiemgauers herausarbeitet). Nahversorgern und Supermärkten wird zugetraut, durch ihre Teilnahme die Attraktivität des Regiogeldes deutlich zu erhöhen, schließlich bieten sie breite Verwendungsmöglichkeiten sowohl für Konsument*innen als auch für Betriebe. In Vorarlberg zählen insbesondere einige SPAR sowie einige ADEG Einzelhändler zu denjenigen Unternehmen, die sich die Aktivist*innen sehr gut im Regiogeldkreislauf vorstellen können und die sie daher auch gezielt ansprechen (vgl. 9.3.4). Trotz der vermuteten Attraktivität zeigt sich aber, dass der Umsatz in VTalern auch in solchen Supermärkten eher gering ist. In Rankweil etwa kaufe ich in einem Supermarkt ein, der auf der Liste der teilnehmenden Unternehmen steht. An der Kasse zahle ich mit VTalern und komme in ein kurzes Gespräch. Es stellt sich heraus, dass im Monat lediglich wenige Male mit VTalern bezahlt wird, mal ein Einkauf im Wert von zehn, mal im Wert von 70 Euro. Die beiden Kassiererinnen schätzen, dass monatlich im Durchschnitt vielleicht 100 VTaler eingenommen werden (Feldnotiz, 25.11.2014). Rolf von der Allmenda gesteht zu, dass der VTaler den beteiligten Unternehmen »rein betriebswirtschaftlich« (VORORG3) kaum direkte Vorteile bringt. Die Aufmerksamkeit, der Werbewert und die Reputation sind nicht direkt messbar. Auch ist er sich bewusst, dass die Teilnahme für Unternehmen einen Mehraufwand bedeutet. Dieser kann sogar mit Blick auf die direkten Kosten vergleichsweise hoch sein. Die
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Teilnahme bringt tatsächlich höhere Transaktionskosten mit sich. Gerade für die größeren Nahversorger*innen sind auch die unmittelbaren Kosten spürbar. Denn im Lebensmitteleinzelhandel liegt die Gewinnmarge bei etwa drei Prozent (VORNT2tt, VORNT5tt). Daher fallen etwa Rücktauschgebühren ins Gewicht. Die Erfahrung der Allmenda ist entsprechend, dass Nahversorger aussteigen, wenn sie keine Möglichkeit sehen, VTaler auszugeben. Gleichzeitig bedeutet die Akzeptanz des VTalers, dass zusätzliches Bargeld in der Kasse gehalten werden muss. Einnahmen in Euro werden nach Kassenschluss zur Bank gebracht, wobei es sich als aufwändig erweisen kann, wenn Teile der vollautomatischen Kassenabrechnung nicht bei der Bank deponiert, sondern als VTaler weiter gehalten werden. Solche Prozesse bedeuten tatsächlich Mehraufwand, der bei größeren Läden stärker ins Gewicht fällt als etwa bei einzelnen Selbstständigen. Die direkten Kosten der Mitgliedschaft, also etwa die Jahresgebühr in niedriger dreistelliger Höhe, fallen aus Sicht der teilnehmenden Betriebe hingegen nicht sonderlich ins Gewicht. Diejenigen, die nicht bereit sind, diese Gebühr zu zahlen, sind spätestens bei der Konsolidierung 2012 ausgestiegen, als die Mitgliedschaftsgebühren eingeführt wurden. Für umsatzstärkere Unternehmen sind diese Gebühren ein fast unbedeutender Betrag; für kleinere Unternehmen, auch EinPerson-Betriebe, können sie als gezielte und vergleichsweise günstige Werbeausgaben gesehen werden, zumal die Präsenz in den Zeitungen und auf der Homepage eine Gegenleistung bietet (VORORG3). Umlauf der Langenegger Talente Die Langenegger Talente stellen einen Sonderfall innerhalb der Komplementärwährungslandschaft im Vorarlberg dar: Sie zirkulieren ausschließlich in der kleinen Gemeinde Langenegg im Bregenzerwald mit rund 1.100 Einwohnern und sind trotz des kleinen Einzugsgebietes deutlich bekannter und dem Umsatz nach größer und erfolgreicher als andere Regiogelder. Die Langenegger Talente entstanden 2008 als Teil einer gemeindeweiten Aktion zum Erhalt der Nahversorgung im Dorf. Einer von der Allmenda Genossenschaft beauftragten Studie zufolge nutzt ungefähr ein Fünftel der Bewohner*innen die Dorfwährung (Allmenda o.J.). Um Anreize zu setzen, das Regiogeld zu verwenden, erhalten Konsument*innen einen Rabatt von 3%, wenn sie die Langenegger Talente im Abo beziehen. Ungefähr 60 der 360 Haushalte im Dorf nutzen das Angebot eines solchen Abos und tauschen durchschnittlich bis zu 200 Euro bzw. Talente im Monat ein (Allmenda eG o.J.) Die Bank dient als Ausgabestelle der Langenegger Talente. Im Jahr gibt die Organisation ungefähr 150.000 – 170.000 Langenegger Talente aus. Auf Basis einer eigenen Umfrage wird geschätzt, dass der local multiplier doppelt so hoch wie der des Euro ist, somit ein Langenegger Talent in der Gemeinde viermal umgeschlagen wird. Daher schätzt die Organisation eine Kaufkraftbindung von etwa 600.000 Talenten bzw. Euro im Jahr (Allmenda eG o.J.) Aus Sicht des Bürgermeisters reicht der Verbreitungsgrad aus, um die Langenegger Talente, und damit die Notwendigkeit lokalen Konsums zur gemeinschaftlichen
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Aufrechterhaltung der lokalen Daseinsvorsorge, dauerhaft im kollektiven Bewusstsein zu halten. »Dass ein gewisser Prozentsatz der Bevölkerung [etwa ein Fünftel, PD] da mitmacht, das ist, glaube ich, wichtiger« als eine besonders hohe Beteiligung oder hohe Umsatzzahlen (VORORG4). Im Dorfladen selbst bestätigt sich der Eindruck. Laut einer Verkäuferin ist es dort »völlig normal [mit Talenten zu bezahlen], genau wie mit Euros.« (Gesprächsnotiz 25.11.2014), wenn die Talente tatsächlich auch nur einen kleinen Teil des Transaktionsvolumens ausmachen. Die Langenegger Talente werden vom Großteil der Unternehmen und Geschäfte vor Ort akzeptiert. So lässt sich in sechzehn Geschäften, etwa bei der Apotheke, der Sennerei, der Tischlerei, im Postlädele, im Café, beim Friseur und vielen mehr mit der Dorfwährung bezahlen. Viele der Betriebe »sind wirklich begeistert davon und sagen, sie hätten es sich viel komplizierter vorgestellt« (VORORG4). Für den Erfolg des Langenegger Regiogeldes macht der Bürgermeister vor allem den gemeinsam wahrgenommenen »Leidensdruck« verantwortlich: »Also ich denke prinzipiell muss es so sein, dass ein gewisser Leidensdruck da ist. […] Also sonst passiert ja da nichts. […] Ich habe genug Kommunen erlebt, die sind mit den Projekten gescheitert. Das hat denen sehr gut gefallen, aber der Druck war nicht groß genug, dass die Leute gesagt haben ›Du, da müssen wir was tun, das ist prima‹. Da sind ein paar Idealisten, die sagen, super, das machen wir. Und dann aber macht niemand wirklich mit.« (VORORG4)
In Langenegg ist es gelungen, über die Gruppe der »Idealisten« hinaus eine breitere Unterstützung für das Regiogeld zu generieren. Wesentlich hierfür war die gemeinsam getragene Erkenntnis, dass es sich lohnt, die Nahversorgung vor Ort zu erhalten und dass dazu Gemeinde, Unternehmen, Anwohner*innen gemeinsame Anstrengungen unternehmen müssen. Damit ist auch ersichtlich, dass die enge Begrenzung auf die Gemeinde (und nicht etwa auf eine größere Region) wesentlich für das Erreichen der Ziele war. Das Regiogeld eignet sich »sehr gut als Werkzeug zur Bewusstseinsbildung« (VORORG4). Das Beispiel der Langenegger Talente zeigt, wie Regiogeld unter bestimmten Bedingungen tatsächlich einen Effekt auf die regionale Wirtschaft haben kann. Schließlich haben die Talente sehr stark dazu beigetragen, einen großen Dorfladen zu erhalten, was wiederum Rückkopplungseffekte auf die gesamte Nahversorgung hat. Gerade durch die hohe Symbolkraft der Dorfwährung wurde Langenegg 2010 mit dem Europäischen Dorferneuerungspreis ausgezeichnet. Zwei Faktoren sind wesentlich für den Erfolg in Langenegg: Zunächst ist das gemeinsame, konkrete Ziel der Erhaltung der Nahversorgung zu nennen, aber auch die greifbare Erfahrung der Talente. Nicht nur die Verwendung, sondern auch die Tatsache, dass der Dorfladen erneuert wurde und langfristig bleibt, wirkt als Belohnung. Das System setzt also ein deutliches Zeichen, dass »wir gemeinsam was bewirken« (Gesprächsnotiz auf der Straße in Langenegg, 25.11.2014). Gleichzeitig verdeutlicht Langenegg
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auch, welch wichtige Rolle die Gemeinde durch Unterstützung des Regiogeldes einnehmen kann. Schließlich legitimiert der Bürgermeister das Regiogeld und die Gemeinde ist gleichzeitig wichtigster ökonomischer Akteur im Kreislauf, indem sie Geld annimmt (Kommunalsteuern) und in Umlauf bringt (Förderleistungen für Vereine).
10 Unternehmensperspektiven auf Regiogeld
Dieses Kapitel widmet sich den Unternehmen, welche eine Kernzielgruppe der Regiogelder ausmachen. Sein Aufbau orientiert sich an den vier Dimensionen, die für die spezifische Untersuchung der Unternehmensperspektiven auf Regiogeld relevant sind. Die Rekonstruktion der Unternehmensperspektiven dient somit der Erarbeitung der maßgeblichen Motivationen zur Partizipation (10.1), der Erfahrungen sowie der Zufriedenheit mit dem Regiogeld (10.2), sowie seiner konkreten Handhabungen und Verwendungen (10.3). Anschließend führe ich die Einschätzungen nicht teilnehmender Unternehmen auf (10.4), um mit einer kurzen Erörterung einiger wesentlicher Gemeinsamkeiten und Unterschiede der drei Fälle zu schließen (10.5).
10.1 PARTIZIPATIONSMOTIVE Die Motivationen der Unternehmen, Regiogeld zu akzeptieren, bestehen aus spezifischen Konfigurationen verschiedener Dimensionen. Durch den Vergleich der Fälle, auf Basis meiner Beobachtungen und der geführten Interviews, habe ich verschiedene Kategorien identifizieren können, die sich zu idealtypischen Motiviken verdichten lassen. Diese Motiviken arbeite ich im Folgenden heraus. Es handelt sich also um die Konstruktion idealtypischer Partizipationsmotivationen. Im Sinne Webers werden Idealtypen »gewonnen durch einseitige Steigerung eines oder einiger Gesichtspunkte und durch Zusammenschluss einer Fülle von diffus und diskret, hier mehr, dort weniger, stellenweise gar nicht, vorhandenen Einzelerscheinungen, die sich jenen einseitig herausgehobenen Gesichtspunkten fügen, zu einem in sich einheitlichen Gedankenbilde« (Weber 1922: 191).1 Es handelt sich somit um theoriegeleitete Zuspit-
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Zur Verwendung von Idealtypen als erster Schritt zur Konstruktion empirisch begründeter Typologien Kelle/Kluge (2010: 83-85); zu Idealtypen als heuristisches Mittel vgl. Swedberg (2014: 62f; 76-79). Uta Gerhardt kontextualisiert die Konzeption Webers innerhalb einer »Geschichte des Idealtypusgedankens« (Gerhardt 2001: 481) zwischen Simmel und Schütz. Ihrer Forderung, dem Idealtypus in gegenwärtiger soziologischer Forschung eine
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zungen von beobachteten Phänomenen. Ziel der Herauspräparierung idealtypischer Motivationen ist es nicht, auf der Personenebene Fälle einem Typus eindeutig zuordnen zu können (vgl. Kelle/Kluge 2010:111). Vielmehr können sich Elemente verschiedener Typen in einem einzelnen Fall finden. Ziel ist es also, Beweggründe für die Teilnahme am Regiogeld zu systematisieren, nicht Einzelfälle zu beschreiben. Diese hier vorgestellten Typen stehen somit »zwischen Empirie und Theorie«, indem sie sich »auf reale empirische Phänomene« beziehen, aber dabei einzelne Merkmale übersteigern, »um zu einem Modell sozialer Wirklichkeit zu gelangen« (Kelle/Kluge 2010:83). Für die Darstellung verbleibe ich gleichwohl eng an den Interviews, da diese besonders geeignet sind, die theoretischen Konstruktionen zu illustrieren.2 Gleichzeitig verdeutlicht allein die Tatsache, dass einzelne Fälle zur Illustration mehrerer idealtypischer Partizipationsmotivationen herangezogen werden, dass die Unterschiede zwischen den Idealtypen größer sind als die empirisch vorfindbaren Unterschiede zwischen den Fällen. Damit illustriere ich nicht nur die Idealtypen selbst, sondern expliziere gleichzeitig die Tatsache, dass sie empirisch immer in spezifischen Konfigurationen vorliegen.3 Idealtypisch lassen sich die Motivationen zur Partizipation einteilen in betriebliche Motive, die auf (proaktiven oder reaktiven) betriebswirtschaftlichen Kalkülen basieren (10.1.1) und ideelle Motive, die auf einer Identifikation mit alternativökonomischen und/oder geldreformerischen Zielen fußen (10.1.2). Weiterhin finden sich Motivationen, die dem Regionalitätsprinzip von Regiogeld entspringen, das sich in dem Wunsch, die Region zu fördern, oder in grundlegendem Lokalpatriotismus ausdrückt (10.1.3). Darüber hinaus sind gemeinschaftsbezogene Motive zu identifizieren (10.1.4) sowie Effekte sozialer Netzwerke (10.1.5). Nach detaillierten Ausführungen zu diesen unterschiedlichen Motivationen reflektiere ich abschließend über ihre Relationen zueinander und ihr empirisches Vorkommen (10.1.6). zentrale Stellung einzuräumen, komme ich in der Auswertung der Unternehmensperspektiven nach. 2
Weber hatte Idealtypen deshalb auch als »theoretische Konstruktionen unter illustrativer
3
Eine alternative Vorgehensweise liegt in einer Einzelfallrekonstruktion, mithilfe derer
Benutzung des Empirischen« definiert (Kluge und Kelle 2010: 106). ebenfalls Typen stilisiert und herausgebildet werden können. Ein solches Vorgehen nutzen beispielsweise Köstler und Schulz-Nieswandt (2010) in ihrer Untersuchung von Handlungslogiken von Seniorengenossenschaftsmitgliedern. Sie stellen die vier von ihnen identifizierten Typen entsprechend anhand der Rekonstruktion von Einzelfällen dar. Der Unterschied zum hier gewählten Vorgehen liegt allerdings weniger in einer klareren Zuordnung von Typus und Einzelfall, sondern eher in der Darstellung. Schließlich lassen sich auch ihre Einzelfälle nicht trennscharf zu Typen einordnen; die Einteilung dient der Herausarbeitung »schwerpunktmäßige[r] Zuordnung« (Köstler/Schulz-Nieswandt 2010: 94).
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10.1.1 Betriebliche Motive Im vorliegenden Verständnis basieren betriebliche Motive auf der Erwartung, durch die Akzeptanz von Regiogeld einen konkreten betriebswirtschaftlichen Vorteil zu erzielen. Eine solche Motivation entspricht den langfristigen Zielen von Regiogeldern insofern in besonderem Maße, als diese die regionale Wirtschaft durch die Unterstützung regional oder lokal wirtschaftender, insbesondere kleiner und unabhängiger Unternehmen stärken sollen. Mitgliedschaft aus betrieblichem Kalkül basiert auf der Erwartung, dass mögliche Vorteile den voraussichtlichen Aufwand überwiegen. Wesentliche Einflusskomponenten sind damit die Einschätzungen der Vorteile und Kosten. Relevant ist dabei das Verhältnis: Eine Erwartung großer Vorteile ist nicht notwendig; alternativ mag es ausreichen, dass die als gering wahrgenommenen Vorteile immer noch größer sind als der erwartete oder zu betreibende Aufwand. Betriebliche Motivationen können proaktiver oder reaktiver Art sein. Unter proaktiver Art fasse ich die Erwartung, durch die Teilnahme und einem daraus entstehenden Marketingvorteil die Bekanntheit des Unternehmens zu steigern, seine Reputation insbesondere unter den Nutzer*innen von Regiogeld zu verbessern und/oder neue Interessenten oder direkt Kund*innen zu gewinnen. Es handelt sich also um eine angebotsseitig induzierte Teilnahme am Regiogeld. Unter betrieblichen Motivationen reaktiver Art hingegen verstehe ich Nachfragewirkungen, d.h. Unternehmen entscheiden sich zur Partizipation, weil sie eine konkrete Nachfrage ihrer bestehenden Kund*innen kennen oder vermuten. Im Folgenden stelle ich zunächst proaktive Strategien vor, ehe ich auf reaktive zu sprechen komme. Zu den betrieblichen Vorteilen, die teilnehmende Unternehmen erwarten, gehören insbesondere Marketingvorteile. Hierzu zählt bereits die Auflistung im Verzeichnis der teilnehmenden Betriebe, das auch online abrufbar ist, aber auch (im Falle des Brixton Pounds) Präsenz in sozialen Medien. So nennt Joe, der ein Deli in Brixton führt, den Werbeeffekt tatsächlich als einzigen, ausschlaggebenden Grund: »I’ve done it only because it was free advertising« (Feldnotiz, 23.03.2014). Hiermit nimmt er insofern eine Sonderstellung ein, als die meisten anderen Interviewpartner*innen nicht ausschließlich betriebliche Aspekte nennen. Daneben gibt es einen »Werbeeffekt« (VORTN3TT) durch Hörensagen. Ein Bäcker in Dornbirn sieht einen solchen unternehmerischen Vorteil im Werbeeffekt des VTalers und des Talente Tauschkreises, nämlich darin »dass zu mir Leute kommen, als Kleinbetrieb, der ich bin, also mit Bäckerei, Café, Konditorei und Landwirtschaft, also dass Leute kommen, die sonst nicht zu mir kommen würden« (VORTN3TT). Für ihn stellt die Teilnahme an komplementären Währungen auch ein Experimentierfeld dar, das zu seinem Unternehmen passt, welches er als »zwischen Tradition und Innovation« bezeichnet, »dem Neuen aufgeschlossen gegenüber« (VORTN3TT). So hat die Bäckerei bereits in den 1970er Jahren Bioprodukte hergestellt und in den letzten Jahren Produktsparten für
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Allergiker*innen und Veganer*innen aufgebaut. Diese Offenheit setzt er fort und bezieht sie nicht ausschließlich auf die Produkte, sondern auch auf das soziale Projekt des Talente Tauschkreis und später des VTalers. »Also damals habe ich mir, glaube ich, nicht sehr viel versprochen davon, sondern einfach [gedacht], das an[zu]bieten und [zu]schauen, wie es läuft […]. Als Versuchsballon.« (VORTN3TT) Die Teilnahme an Komplementärwährungssystemen garantiert seinem Betrieb eine gewisse Exklusivität. Diese basiert allerdings darauf, dass die Gesamtzahl an teilnehmenden Betrieben nicht zu groß ist. Eine Gesprächspartner*in verdeutlicht dies: »Wenn die Hälfte von allen [Geschäften] Talente haben, dann ist meine Werbewirkung auch wieder am Arsch sag ich jetzt mal, oder? Die Exklusivität ist für den Betrieb gut, aber für die Sache nicht« (anonym). Hier findet sich ein Verweis darauf, dass der Reputationsgewinn nicht umso größer sein muss, je größer der Kreislauf des Regiogeldes ist. Denn wenn der Umsatz insgesamt deutlich steigt und mehr Geschäfte teilnehmen, geht ein Alleinstellungsmerkmal verloren, womit auch die Reputation nicht mehr gesteigert wird.4 Nic, Inhaber eines Cafés in Stroud, hatte recht konkrete Erwartungen an das Stroud Pound. Als dieses 2009 startete, sah er es zunächst als Plattform für das Café, solche Gäste anzuziehen, die über das Stroud Pound verstärkt lokale Betriebe mit ihrem Konsum fördern wollen. Sein Café ist nämlich prädestiniert für diese Gruppe von Kund*innen, da es lokale, ökologisch angebaute Produkte verarbeitet und das Café auch Raum für Veranstaltungen und Ausstellungen örtlicher Künstler*innen bietet. Aufgrund der Nähe der Regiogeldzielgruppen zu seinen typischen Kund*innen sah er im Stroud Pound eine gute Möglichkeit, Werbung für sein Café zu machen und zur Kundengewinnung und -bindung beizutragen. »My expectation for the Stroud Pound was it would become a unique selling point, one for the café and also for Stroud as a community« (STRTN2). Dieses Zitat verweist bereits darauf, dass Nic neben der Erwartung für seinen Betrieb das Stroud Pound zum Zeitpunkt seiner Beitrittsentscheidung auch als Instrument der Stärkung Strouds insgesamt sieht (vgl. 10.1.3). Die Marketingmöglichkeiten durch Regiogeld sind besonders für kleine Unternehmen von Bedeutung, für die es vergleichsweise schwer ist, einen hohen Bekanntheitsgrad zu erzielen. Kerensa etwa führt ein Café am Eingang zu Brixton Village, einer der großen Markthallen. Ihr Café ist kleiner als die meisten anderen und verfügt neben einer kleinen Theke lediglich über zwei Tische auf dem Hof. Sie hat keine Angestellten, manchmal hilft ihre Tochter aus. Sie konkurriert mit den größeren, kapitalstärkeren und bekannteren Cafés in den Markthallen. Nachdem Tom vom Brixton Pound ihr die Marketingvorzüge dargelegt hat, entschließt sie sich nach zwei 4
Hier könnte entgegnet werden, dass eine betriebliche Teilnehmer*in aber möglicherweise ihre Reputation aufs Spiel setzen würde, wenn sie bei einem größeren Regiogeldkreislauf nicht mehr mitmachen würde. Es wären dann reaktive Partizipationsmotivationen denkbar.
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Wochen Bedenkzeit, das Regiogeld zu akzeptieren; nach einer weiteren Woche bin ich ihr erster mit Brixton Pound zahlender Kunde. Sie erhofft sich, dass über das Brixton Pound potenzielle Kund*innen von ihrem Café erfahren, denn sie selbst verfügt über keine Kapazitäten für eigenständiges Marketing. Konkrete Erwartungen hat sie allerdings nicht; aufgrund der geringen Kosten kann sie es sich aber leisten, auszutesten, ob sich die Akzeptanz von Brixton Pound lohnt (Feldnotiz, 24.04.2014). Auch Soner, Inhaber eines Cafés in Brixton nennt das Marketing als einen Grund, Brixton Pound zu akzeptieren. Vor allem aber erläutert er, dass die Beitrittsentscheidung und die Akzeptanz weder große Kosten noch Aufwand bedeuten: »And it really wasn’t much trouble to accept it. It wasn’t an issue« (BRITN2). Im Gegenzug er-
hoffte er sich, neue Kund*innen anzusprechen. Für betriebliches Kalkül sind demnach nicht nur mögliche Vorteile, sondern auch die Einschätzung des Risikos als gering bedeutend. Niedrige Kosten und wenig Aufwand bedeuten geringes Risiko, wodurch die Partizipationsentscheidung erleichtert wird: »Well… it did not cost us anything to set up.« (BRITN2) Das Ehepaar, das einen Vorarlberger Bauernhof bewirtschaftet, nennt zwar vor allem die Geld- und Zinskritik als Hauptmotiv der Partizipation (10.1.2), hat allerdings auch die Auswirkungen auf den eigenen Betrieb im Blick, zumindest insofern, als sie keine großen Nachteile sehen: »aber wenn wir irgendwie Angst hätten, es könnte unserem Betrieb schaden, würden wir es nicht machen« (VORTN5a). Sie erwarten vom VTaler allerdings keinen direkten betrieblichen Vorteil wie etwa die Gewinnung neuer Kund*innen, sondern erhoffen sich, dass bestehende Kund*innen den VTaler zur Zahlung nutzen: »Ich erwarte weniger, dass neue Kunden kommen, sondern denke, dass unsere bestehenden Kunden vielleicht umsteigen, weil ich eigentlich gerade bei unseren Kunden viel Potenzial sehe« (VORTN5b). Regiogeld wird als Mittel der Kundenbindung gesehen und als Möglichkeit, die Beziehungen zu Kund*innen zu verdichten und persönlicher zu gestalten. Siegfried, Inhaber eines Schuhladens in Vorarlberg, hat vor seiner Entscheidung, den VTaler zu akzeptieren, über konkrete Verwendungsweisen nachgedacht. Neben ideellen Motiven (10.1.2) nennt er daher als wesentliche Voraussetzung, dass er seinen Lieferanten mit Regiogeld bezahlen kann. Aber auch vor dem möglichen Rücktausch mit anfallenden Gebühren hat er »keine Angst« (VORTN1tt). Konkrete Erwartungen in Bezug auf den VTaler-Umsatz für sein Geschäft hat er zwar nicht: »Ich nehme es, wie es kommt« (VORTN1tt). Allerdings denkt er »schon, dass wir neue Kunden bekommen« (VORTN1tt) gerade weil mit VTalern bezahlt werden kann. Sein betriebliches Kalkül basiert also darauf, dass ihm bei möglichen und erwarteten
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Einnahmen Verwendungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und er beim Rücktausch allenfalls Gebühren in geringer Höhe zu tragen hätte. Er erwartet einerseits keine großen Umsätze, sieht andererseits auch den Aufwand nicht als beachtlich an.5 Gegenüber der proaktiven Überlegung, Regiogeldverwendung als Teil der Marketingstrategie zu nutzen, lässt sich die Resonanz auf gezielte Nachfrage durch die Kundschaft als reaktive betriebliche Kalkulation fassen. Einige Gesprächspartner*innen berichten davon, dass sie konkret gefragt wurden, ob mit Regiogeld gezahlt werden könne, weshalb sie sich letztlich zur Akzeptanz entschieden haben. Dies gilt für kleine Straßenhändler*innen in Brixton genau wie für einen Supermarkt in Vorarlberg. In Stroud berichten sowohl der Bäcker, an dessen Bäckerei ein kleines Café angeschlossen ist, als auch der Metzger, dass ihre ursprüngliche Entscheidung, beim Stroud Pound mitzumachen, auf der dem Projekt inhärenten Idee des Marketings für lokale Unternehmen basierte. Konkret haben bereits in der Vorgründungsphase des Stroud Pounds einige Kund*innen ihr Interesse an Bezahlungsmöglichkeiten mit Stroud Pound bekundet. Eine Verkäuferin in der Bäckerei erläutert, dass viele der Kund*innen großen Wert auf regionale Produkte und Produzenten legen und daher in dieser Bäckerei und nicht in einer Filiale größerer Ketten einkaufen. Daher schien es aus Sicht der Bäckerei sinnvoll, das Stroud Pound als Ausdruck der Zugehörigkeit zur lokalen Wirtschaft zu akzeptieren. Weder der Bäcker noch der Metzger erwarteten große Effekte im Sinne einer Umsatzsteigerung, doch hielten sie den mit der Teilnahme verbundenen Aufwand und den Nutzen durch das Marketing für etwa gleich groß. Da sich diese Erwartungen jedoch nicht erfüllten, im Gegenteil der Aufwand als deutlich größer als der Nutzen empfunden wurde (vgl. 10.3.2), traten beide nach einiger Zeit wieder aus. Sie sind nicht bereit, dauerhaft beim Regiogeldprojekt mitzumachen, wenn dieses keine Leistungen für ihr Unternehmen erbringt. In einem für die reaktive betriebliche Motivation extremen Fall, einem Bio-Lebensmittelgeschäft in Brixton, gibt der Besitzer sogar an, Regiogeld zu akzeptieren, um nicht als »Sündenbock« dazustehen, falls das Brixton Pound die in es gesteckten Erwartungen nicht erfüllt. Schließlich weiß er, dass viele seiner Kund*innen dem Brixton Pound positiv gegenüberstehen und möchte diese nicht enttäuschen: 5
Als Mitglied des VTaler-Kreislaufes stellt sich ihm auch die Frage, ob er dem Talente Tauschkreis beitreten soll. Die Grundidee des Tauschrings interessiert ihn sehr und er ist Sympathisant. Gleichwohl hat er bedenken, mit seinem Schuhgeschäft einzusteigen. Denn die größere Distanz zum Euro stellt für ihn als Geschäftsmann ein größeres Problem dar, zumal er Waren handelt und nicht produziert. Dadurch sieht er nicht genügend Spielraum, in einem stark zeitbasierten Tauschsystem mitzuwirken: »Mit Talenten, da muss ich mich noch ganz genau kundig machen, wie wir das machen könnten. Ich bin allerdings ganz stark im Verkauf… wenn man hingegen was zum Produzieren hätte« (VORTN1tt). Auch in seiner Entscheidung gegen die Partizipation im Tauschring zeigt sich ein gewisses Maß an betrieblichswirtschaftlichen Überlegungen.
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»Just when it was going to be launched, […] a lot of customers came to me and they said they would like to use it. So I said okay, you know, alright, if that’s how you feel I go with it, but […] I’m not really enthusiastic about it at all. And the second reason was that I didn’t think it would succeed… And I thought well if I didn’t do it and a lot of people shop here then I would get the blame why it didn’t succeed. But in fact I don’t think that was the real reason why it wouldn’t succeed, but […] people would use me as a scapegoat.« (BRITN5)
Dieses Beispiel zeigt, das betriebliches Kalkül prinzipiell selbst dann ausschlaggebend für die Akzeptanz von Regiogeld sein kann, wenn die dahinterstehende Idee grundsätzlich eher abgelehnt oder die wirtschaftliche Funktionsfähigkeit bezweifelt wird. Gleichwohl beruht die Entscheidung, Regiogeld zu akzeptieren, auch auf der Erwartung geringer Kosten für das Unternehmen. Insgesamt zeigt sich, dass betriebliche Partizipationsentscheidungen wesentlich auf der Erwartung basieren oder dem Versuch entspringen, durch die Teilnahme am Regiogeld Bekanntheit zu steigern, Reputation zu verbessern oder neue Interessent*innen und Kund*innen zu gewinnen. Bei proaktiven Strategien werden mit der Regiogeldakzeptanz bewusst erwartete Marketingvorteile in Anspruch genommen. Reaktive betriebliche Partizipationsentscheidungen basieren auf der Erfahrung oder Einschätzung, dass Kund*innen die Akzeptanz von Regiogeld erwarten und honorieren und analog dazu eine Nichtteilnahme kritisieren würden. Es geht darum, Reputation bei Kund*innen zu erhalten und den Erwartungen der Nachfrage zu entsprechen. 10.1.2 Ideelle Motive: alternative Ökonomik und Geldreform Das zweite hier identifizierte Motivationsbündel bezieht sich auf ideelle Motive. Unternehmer*innen nehmen am Regiogeld teil, weil sie sich mit der Utopie oder dem Ziel einer alternativen Art des Wirtschaftens identifizieren, die dezidiert anders ist als die herkömmliche, kompetitive Wirtschaftsweise. Innerhalb dieser Art von Motivationen lassen sich wiederum zwei Ausprägungen voneinander abgrenzen. Zunächst kann unter den Teilnehmenden eine Identifikation mit der Idee kooperativer, nichtkompetitiver, damit als besser wahrgenommenen Wirtschaftsweisen bestehen. Das Ideal einer sozialeren, solidarischeren Ökonomie und der gemeinwirtschaftliche Charakter des Regiogeldes sind es, die Anziehungskraft ausüben. Hiermit verwandt, aber doch abgrenzbar, sind Anhänger*innen der konkret geldreformerischen Utopien hinter komplementären Währungen. Hierbei geht es nicht allgemein um gemeinwirtschaftliches Wirtschaften, sondern um die Vorstellung, durch die Bereitstellung und Verwendung einer spezifischen Geldform zu einer politisch, sozial oder ökologisch besseren Steuerung des Wirtschafts- und Finanzsystems beizutragen. Da sich die Stoßrichtungen der alternativökonomischen Zielsetzungen gerade mit Blick auf diese Frage unterscheiden, ob das Wirtschaftssystem reformiert werden soll, oder dezidiert
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das Geldsystem, stelle ich zunächst Ideale einer solidarischen, kooperativen Wirtschaftsweise als Partizipationsmotivation vor (1.2.1), und zeige dann konkrete geldreformerische Ideale auf (1.2.2.) Kooperatives Wirtschaften Die auf der Idee alternativen, kooperativen und/oder nachhaltigen Wirtschaftens basierende Motivation zur Teilnahme illustriere ich anhand zweier Beispiele aus dem Feld. Ein produktivgenossenschaftlicher Fahrradladen in Brixton etwa verkörpert die Identifikation mit dem alternativökonomischen Charakter des Regiogeldes in besonderem Maße. Dieser Fahrradladen existiert seit den 1980er Jahren und hat sich als lebensfähiges wirtschaftsdemokratisches Projekt (gewissermaßen als reale Utopie) erwiesen. Fast alle Arbeitnehmer*innen sind Mitglieder der Genossenschaft, alle verdienen das gleiche Gehalt und alle treffen die wesentlichen unternehmerischen Entscheidungen gemeinsam in ihren Versammlungen. Das Ideal einer nicht-kapitalistischen, kooperativen Wirtschaftsweise wird von ihnen verkörpert und angestrebt. Einige der Mitglieder der Produktivgenossenschaft sind oder waren auch bei Transition Town Brixton aktiv. Im Regiogeld sehen die Genossenschafter*innen eine ähnliche, gemeinschaftsgetragene transformative Initiative. Daher nehmen sie Brixton Pound an: »I think we see it as a project that we want to support because of who we are. But maybe not as something that we gain from« (BRITN1). Einige der Mitglieder kannten vorher bereits das Totnes Pound. Sara, Mitglied der Genossenschaft, sieht in Regiogeldern eine »great idea of a way to keep business within a certain area and a way of combat big shopping centres« (BRITN1). Die Identifikation als solidarökonomische Organisation besteht zum Teil in dem Wunsch nach einer Wirtschaft, die von kleinen unabhängigen Läden, nicht von großen Unternehmenskonglomeraten dominiert wird. Der Fahrradladen war Ende der 1990er Jahre auch Mitglied im Tauschring Brixton Bricks. Ihr Laden gehörte dabei zu denjenigen, die ein sehr hohes Guthaben ansammelten, ohne es allerdings verwenden zu können. Als die Aktivitäten im Tauschring eingestellt wurden, mussten die Genossenschafter*innen somit hohe Abschreibungen vornehmen. Dennoch entschieden sie sich einstimmig für die Partizipation beim Brixton Pound, eben weil sie solche realutopischen Projekte unterstützen wollen. In Stroud äußert sich die besondere Nähe von Regiogeld und Transition Bewegung deutlich im kleinen Charity Shop auf der Threadneedle Street. Dieser stellt einen besonderen Fall dar, da er wie die Stroud Pound Genossenschaft selbst aus dem Umfeld der Transition Stroud Bewegung stammt. In den Räumlichkeiten befindet sich nicht nur der Charity Shop, dessen Erlöse an regionale, soziale und umweltpolitische Initiativen gehen, sondern auch die Büroräume des Stroud Valleys Projects. Diese Nähe und die gemeinsamen Ziele des nachhaltigen Konsums und der umweltpolitisch gebotenen Regionalisierung von Wirtschaft ließen den Charity Shop wie das Stroud Valleys Project als »natürliche« Partner erscheinen (STRTN1). Eine
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grundlegende Wertschätzung der Ziele des Transition Movements ist allerdings keine hinreichende Bedingung, um aus alternativökonomischen Überzeugungen Regiogeld zu akzeptieren. So sieht Tony das Brixton Pound kritisch, teilt aber die Grundidee des Transition Movements, welche er vor allem in der Notwendigkeit eines umfassenden Wandels der Lebensstile sieht. Dennoch erkennt er eigentlich keinen Sinn in regionalen Währungen, denn diese brechen die notwendigen und möglichen Verflechtungen der Beziehungen einer lokalen Gemeinde nach außen ab. Regiogelder haben von allen Aktivitäten und Projekten des Transition Movements zwar die größte Aufmerksamkeit erzielt, obwohl sie seiner Ansicht nach »least important« (BRITN5) sind. Wichtiger sind ihm die lokale Produktion von Nahrungsmitteln oder erneuerbare Energien (auch wenn er Begrenzungen dieser Ansätze sieht). Zusammenführend zeigt sich, dass diese Art der solidarökonomischen Zielsetzung verschiedene Abstufungen der Kritik umfasst. Sie eint die Vorstellung, dass eine bessere Welt mit einer besseren Wirtschaft möglich ist. Sie ist in gewisser Weise verwandt mit der Bevorzugung lokalisierter oder regionalisierter Ökonomien als Antwort auf die als problematisch wahrgenommene Globalisierung. Auf letzteren Punkt komme ich gesondert unter dem Idealtypus der auf Regionalität basierenden Partizipationsmotivation noch einmal zurück (10.1.3). Geldreform Eine zweite Form ideeller Motivation bezieht sich spezifisch auf die Idee einer Änderung der Art und Weise, wie und von wem Geld produziert und verwendet wird. Ein Biobäcker nennt (neben betrieblichen Überlegungen, vgl. 10.1.1) vor allem ideelle Motive, weswegen er sich an den beiden Komplementärwährungssystemen VTaler und Talente Tauschkreis beteiligt, nämlich weil »man also die Währungen oder die Finanzpolitik hinterfragt, die Zinspolitik und so weiter, dass man diese Punkte hinterfragt, und dass man dort eine Alternative versucht. Also das ist, warum ich dazu gegangen bin. Also die Idee, tun wir mal den Kapitalismus hinterfragen« (VORTN3TT). Er möchte also dezidiert Projekte unterstützen, die im Kleinen versuchen, Alternativen zum großen politökonomischen System aufzuzeigen. Nic aus Stroud erkennt im herkömmlichen Geld wie Sterling oder Euro eine spezifische Ausprägung, die aber grundsätzlich umgestaltbar ist. Bereits vor der Gründung des Stroud Pounds waren ihm Regionalwährungen wie beispielsweise der Chiemgauer bekannt. »For me, money needs to be treated like water, it needs to flow. […] Yet flow of money in our current system isn’t happening. It’s not being distributed in a way that allows everybody to enjoy it« (STRTN2). Er ist offen für Versuche der Gestaltung von Geld, die dieses besser »zum Fließen« bringen und somit stärker zum Gemeinwohl beitragen. Die Einflüsse der Gesellschen beziehungsweise Steinerschen Geldtheorie sind unübersehbar (vgl. 6.1). In regionalen Komplementärwährungen sieht Nic einen Ansatz, die Verfügbarkeit über Geld zu verbessern und Geld der Kontrolle des Bankensystems zu entziehen.
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Das Betreiberehepaar des Bauernhofes hält den VTaler für »eine super Sache« (VORTN5a), »eine gute Idee« (VORTN5b), bei der sie aus der Überzeugung der Notwendigkeit eines anderen Geldsystems mitmachen. »Also wir wissen ja eigentlich eh nichts, was passiert im ganzen Finanzbereich, aber halt das, was man von der Oberfläche mitkriegt, ist eigentlich katastrophal« (VORTN5a). Das Unbehagen mit der Unübersichtlichkeit des Finanzsystems und der Geldordnung ist ausschlaggebend für das Interesse an Regiogeld und Tauschringen: »Unser Hauptkritikpunkt ist eigentlich das ganze Geldsystem.« (VORTN5a) Sie bezeichnen Zinseszins und Wachstumszwang als genauso »falsch« wie die unübersichtlichen Spekulationen am Finanzmarkt. Regionale Währungen stellen für sie auf lange Sicht eine Möglichkeit dar, sowohl dem Zins- und Wachstumszwang, als auch der Intransparenz globaler Finanzmärkte zu entgehen. »Im VTaler steckt nicht die Ungerechtigkeit des Zinseszinses drinnen. Es ist ein gerechteres System« (VORTN5a). Siegfried gehört ebenfalls zu denjenigen Nutzer*innen, die an Themen der Geldreform interessiert sind. »Mir gefällt die Idee einer regionalen Währung« (VORTN1tt). Er ist von regionalen Währungen fasziniert, seitdem er das erste Mal vom »Wunder von Wörgl« gehört hat. Ihm ist hängen geblieben, dass in Wörgl innerhalb eines Jahres die Arbeitslosigkeit verschwunden ist. »Und diese Idee, dass man das als Steuerungsinstrument verwenden kann, das hat mir sehr gut gefallen«, auch wenn er sich »nicht besonders gut damit auskenn[t]« (VORTN1tt). Es zeigt sich ein Interesse am Thema und eine von der Idee einer eigenen Währung für die Region ausgehende Faszination. Den VTaler sieht er als neuerliche »Umsetzung« von Wörgl an. Regionales Geld soll zumindest an die Seite des Euro rücken, ihn im Fall der Fälle auch ersetzen können. Hier findet sich der Topos von Regionalgeld als Gegenmodell zum von Zentralbanken und Staaten gesteuerten Geldsystem. Dezidiert sieht Siegfried im Regiogeld aber auch ein Gegenmodell zum globalen, von profitorientierten Unternehmen kontrollierten Finanzsystem. »Die Menschen vertrauen den Banken nicht mehr. Sie wollen etwas Sinnvolles tun« (VORTN1tt). Regiogelder sind aus seiner Sicht ein Weg, die Abhängigkeit von Banken und dem Finanzsektor zu verringern.6 Für die Vorarlberger Schneiderin Ingeborg liegt die große Bedeutung des Regiogeldes weniger im aktuellen Umlauf, sondern eher in der Zukunft. Die Krise des Euros ist für ihre Überlegungen bedeutend: »Nur, ich denke, der Euro ist so instabil und wir wissen ja wirklich nicht, was in den nächsten Jahren kommt. Und ich finde, da ist das schon sehr gut, gerade das mit den Talenten und mit der Regionalwährung.
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Sie stellen für ihn allerdings nur einen Bestandteil einer Palette von Alternativen dar. Besonders wichtig sind ihm alternative Finanzierungsmodelle, etwa Crowdfunding. Auch er selbst hat Fremdkapital über nachrangige Darlehen seiner Kund*innen generiert (VORTN1tt).
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Das hat dann noch viel mehr Gewicht.« (VORTN2TT) Das Potenzial des Regiogeldes kann ihrer Ansicht nach vielleicht erst dann ausgeschöpft werden, wenn die Instabilitäten des jetzigen Geldsystems, gerade der europäischen Gemeinschaftswährung, zunehmen und die Notwendigkeit der Suche nach einer folgenden Geldordnung für alle sichtbar wird. Auch Tony interessiert sich für Fragen des globalen Finanzsystems und hat sich mit verschiedenen Geldkonzepten befasst. Da das Brixton Pound an Sterling gebunden ist, kann er allerdings keinen Sinn in ihm als alternatives Geld erkennen. Denn nötig wäre eine echte Alternative zu Sterling (BRITN5). Dass Regiogelder hierfür ein Experimentierfeld oder eine Vorbereitung darstellen könnten, sieht er nicht. »I think it is a gesture. A fun idea but I don’t think that you should take it too seriously. I can’t imagine what was happening if the Pound Sterling collapses« (BRITN5). Ein großes Problem sieht er im weit verbreiteten Mangel an Wissen über Geld. Immerhin zeigen sich seiner Einschätzung nach aufgrund der Erfahrungen der massiven Krise, der massivsten seit den 1930er Jahren, mehr Menschen offen für eine Hinterfragung des Geldsystems. Im Gespräch reflektiert er ebenfalls über Bitcoin als einen geldreformerischen Versuch, der nicht auf der Regionalisierung basiert. Allerdings sieht er in Bitcoin eher einen spekulativen Ansatz, kaum geeignet, als eigenständige Geldform langfristig zu existieren (BRITN5). Nic, Inhaber eines kleinen Restaurants in Brixton, ist im Gegensatz zu Tony großer Befürworter des Brixton Pounds. Aber auch für ihn geht das Brixton Pound mit Blick auf seine Konstitution als Geldform in bestimmten Hinsichten nicht weit genug, da es an Sterling gekoppelt ist. Er hält radikalere Alternativen wie zeitbasierte Tauschringe für bedenkenswert: »But I think what Brixton Pound maybe should look at is how to help the local businesses, like make a really smooth cycle. And it could almost get to a point where it’s non-monetary, where it’s like payment in time, like a LET scheme. […] And I wonder if it, if potentially by a nonmonetary system, if it starts to lean more towards a non-monetary trade based system, if that might suit some members of the community more potentially« (BRITN3).
Er sieht im Brixton Pound eine Geldform, die zwar aufgrund der dahinter liegenden Werte moralische Vorteile gegenüber Pfund Sterling aufweist, aber im Vergleich zu Tauschringen dem konventionellen Zahlungsmittel aber doch sehr ähnlich ist. Tauschringe, insbesondere Zeittauschsysteme, vermögen möglicherweise stärker, Dinge oder Dienstleistungen zu tauschen, die in herkömmlichen monetären Kreisläufen nicht nachgefragt werden. Hier zeigt sich, dass Regiogeld verstärkt als Geldform, Tauschringe hingegen teilweise als nichtmonetäre Kreisläufe gesehen werden (vgl. 7.3). Nicht alle teilen diese Wahrnehmungen von Regiogeld als Geldform. Miles, Betreiber eines Pubs in Stroud, nennt die Utopie einer Welt ohne Geld als zentrales Motiv, beim Stroud Pound mitzuwirken und steht damit typisch für utopisch-ideell
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motivierte Teilnehmer*innen. Selbstverständlich ist Miles bewusst, dass eine solche Welt nicht realisiert wird, aber für ihn ergibt sich gleichwohl eine Anziehungskraft aus kleinen Projekten, die an einer teilweisen Verwirklichung einer solchen Utopie arbeiten: »…the utopia of worlds without money. The exchange of labour you know. The baker comes here and buys beer and I go to the bakery and I just get bread you know. It’s an amazing concept isn’t it? […T]hat would be the utopia of this scheme, the utopia that can only be partly achieved but maybe it could be partly achieved.« (STRTN4)
An diesem Zitat wird deutlich, dass Miles das Stroud Pound nicht so sehr als Geldform auffasst, sondern eher als radikale Alternative hierzu. Für ihn ist das Stroud Pound ein Mittel, das einen kleinen Schritt auf dem Weg zur Utopie eines geldlosen Gütertauschs ausmachen kann. Hiermit verweist er auf eine Welt, die nicht durch Wettbewerb und Eigennutz koordiniert wird, sondern in der Reziprozität und die Mitsorge für Andere vorherrschen. Die Grenzen des realutopischen Projekts waren ihm von Anfang an klar. So schien ihm das Stroud Pound zwar geeignet, kleinere Einkäufe zu erledigen, nicht aber den wesentlichen Bedarf des Pubs zu decken. Beiden Ansichten, sowohl Regiogeld als spezifische, qualitativ differente Geldform als auch Regiogeld als Ablehnung von Geld, als Verweis auf die Utopie einer geldlosen Welt, ist gemein, dass Regiogeld auf Kritik am Geldsystem basiert, und dass es ein realutopisches Experimentierfeld (Wright 2012) darstellt, das möglicherweise längerfristig zur Transformation beitragen kann.7 Im Vergleich der bisherigen Ausführungen zeigt sich, dass dieser Typus der Partizipationsmotivation verschiedene geldreformerische Ansichten zusammenfasst. Gemeinsam ist die Überzeugung, dass unser derzeitiges Geldsystem bestimmte systemimmanente Mängel aufweist, die durch eine Neugestaltung der Geldordnung auf zivilgesellschaftlicher, solidaroder gemeinwirtschaftlicher Basis behebbar sind. Unter diesen Typus der Partizipationsmotivation fallen spezifische Dimensionen wie Zinskritik oder das Unbehagen an globalen Finanzmärkten genauso wie radikale Utopien der Abschaffung von Geld.
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Dass längst nicht alle Teilnehmer*innen eine solche Auffassung teilen, drückt sich in der pragmatischen Beschreibung Amans, eines anderen Teilnehmers aus: »It is just another form of currency« (BRITN2). Aus seiner Sicht treten schlicht lokale und regionale Gelder an die Seite von Pound Sterling – damit hat es sich aber auch. Aman sieht im Brixton Pound keine eigenständige Geldform: »It just keeps changing the name of currency from Sterling to Brixton Pounds, it’s doing the same purpose and has the same value.« (BRITN4) Grundsätzlich hält er die Idee verschiedener Währungen nicht für sinnvoll.
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10.1.3 Regionalität Die dritte hier herausgearbeitete Motivik der Partizipation bezieht sich auf den Aspekt der Regionalisierung und der Lokalität. Sie ist von den bisher genannten abzugrenzen, da sie sich weder auf eigene betriebliche Vorteile noch die Anerkennung alternativökonomischer oder geldreformerischer Ziele und Zwecke bezieht, sondern auf die Lokalität als sozialgeographischen Raum. Es handelt sich bei dem zugrunde liegenden Regionalitätsbegriff um einen konstruktivistischen, nicht substanzialistischen, d.h. es geht nicht um einen Raum als »als ›Ding an sich‹, sondern [um] soziale, kulturelle und geistige Prozesse, die unser Bild und unser Vorstellungen von konkreten Räumen und Regionen herstellen und damit entscheidend prägen« (Büttner 2013: 677f). Dies bedeutet auch, dass Zugehörigkeit zu Brixton, Stroud oder Vorarlberg damit nicht strikt entlang etwa verwaltungstechnischer Grenzen definiert ist. Hier wiederum lassen sich zwei Dimensionen differenzieren, die zumindest idealtypisch unterschiedliche Kerne aufweisen. Einerseits herrscht das konkrete Bedürfnis vor, über die Teilnahme am Regiogeld Gutes für diese Region zu tun, sie zu fördern und zu stärken. Andererseits findet sich eine Art Lokalpatriotismus, der auf das Feiern der Region, auf den Stolz und die Liebe seiner Besonderheiten rekurriert. Stärkung der Region Soner, Inhaber eines alteingesessenen Cafés in Brixton, nennt die Stärkung der regionalen Wirtschaft einen wichtigen Beitrag des Brixton Pounds, weshalb ihm besonders die grundlegende Idee gefällt »to keep currency local, within the local community or within a certain area where people would be happy to spend ther Brixton Pounds within the Brixton area« (BRITN2). Für Nic in Brixton ist es ein Bedürfnis, zum Erhalt der lokalen Wirtschaft beizutragen. »The local economy is very important and there is definitely a sense of, well, people want to make improvement in the area« (BRITN3). Sowohl in seinem Lebensmittelgeschäft als auch in seinem angrenzenden Restaurant werden überwiegend spezielle, regionale oder zumindest englische oder britische Lebensmittel verkauft und verwendet. Produktion im Einflussgebiet des Brixton Pounds ist demnach nahezu unmöglich. »We still wanted to be putting money back into local community« (BRITN3). Er und sein Geschäftspartner versuchen daher, zumindest Kleinigkeiten bei den unabhängigen Lebensmittelmärkten in Brixton zu beziehen. Gerade bei Nours Cash & Carry, einem alteingesessenen kleinen Lebensmittel- und Drogeriegeschäft ergänzen sie fehlende Zutaten oder beziehen im Geschäft benötigte Haushaltswaren. Die Idee der Stärkung der lokalen Wirtschaft hält er für wesensverwandt zu seinem auf regionalen Produkten basierenden Geschäftskonzept: »how people […] spend their money with other local businesses and have the customers kind of putting money back in the local area. So there is always something that fitted with the ethos of the shop and the restaurant« (BRITN3).
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Ähnlich äußert sich der Betreiber eines Cafés in Brixton, das außerhalb der Markthallen liegt: »We like the idea. If it is trying to keep cash around, then eventually we’ll all benefit. So that was the idea mainly that we can all benefit, the community will benefit« (BRITN4). Hier verweist er darauf, dass die einzelnen Unternehmen einen Beitrag leisten, indem sie Zeit und Ressourcen für die Zirkulation des Regiogeldes zur Verfügung stellen, langfristig aber in ihrer Gesamtheit profitieren können. Die Langenegger Talente stellen ein Paradebeispiel für den Willen, mit Regiogeld die lokale Wirtschaft zu stärken, dar. Im Café gegenüber dem Dorfladen erläutert die Kellnerin, der Sinn der angebotenen Bezahlmöglichkeit mit Regiogeld bestehe in der Leistung, die die Langenegger Talente für den Dorfladen und somit die gesamte Nahversorgung im Dorf erbringen (Feldnotiz, 26.11.2014). Der Dorfladen selbst, zu dessen Erhaltung das Regiogeld eingeführt wurde, ist ein unmittelbares Beispiel für diese Motivation der Wirtschaftsförderung. In Stroud gibt auch der Besitzer des örtlichen Buchladens an, seine Teilnahme basiere auf dem Wunsch, »a local community project« (STRTN3) zu unterstützen. Das Projekt gefiel ihm von der Idee her, vor allem von der Zielsetzung, kleine, unabhängige Unternehmen durch regionalen Konsum zu stärken, ohne dass er konkrete Erwartungen hinsichtlich seines Umsatzes hatte. Hier zeigt sich die Vorstellung, durch die eigene Partizipation und das damit verbundene Geben von Zeit und Ressourcen (wenn auch in geringer Menge) das Regiogeldprojekt zu unterstützen. Ingeborg, die eine Schneiderei und ein Kindermodegeschäft führt, ist langjähriges Mitglied des Talente Tauschkreis Vorarlbergs und nimmt auch den VTaler an. Die große Gemeinsamkeit zwischen Tauschring und Regiogeld sieht sie gerade in der wirtschaftlichen Förderung der Region sowie im engeren sozialen Zusammenhalt. »Für mich ist einfach die Regionalität sehr wichtig. Also ich bin ganz tief verwurzelt hier und für mich macht das einfach wirklich Sinn, dass das so einen Kreislauf auch gibt« (VORTN2TT). Ihr selbst hat der Tauschring etwa auf dem Weg in die Selbstständigkeit als Schneiderin geholfen. Denn auf den Herbst- und Frühjahrsmärkten konnte sie »sich auch so ein bisschen ausprobieren: Klappt das? Kommt das gut an? Und so weiter« (VORTN2TT). Mittlerweile hofft sie, dass mehr Leute aus dem Umland kommen, um mit VTalern oder mit Talenten zu bezahlen. Regionalität als ausschlaggebende Motivation bezieht sich auf das konkrete Bedürfnis, die lokale oder regionale Wirtschaft durch die Partizipation am Regiogeldkreislauf zu stärken. Ausschlaggebend ist dabei aber nicht das Bedürfnis nach alternativen Wirtschafts- oder Geldsystemen, sondern die Förderung letztlich herkömmlicher, aber eben regional aktiver Unternehmen. Gleichermaßen bezieht sich die Förderung auf Finanzinstitutionen, die sich der realwirtschaftlichen Finanzierung in der Region verschrieben haben.
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Lokalpatriotismus Ein weiteres typisches Partizipationsmotiv der Regionalität möchte ich als Lokalpatriotismus bezeichnen. Ein solcher lokaler Patriotismus rekurriert auf die Wahrnehmung einer Lokalität als besonders oder außergewöhnlich. Insofern ähnelt er dem von Sebastian Büttner als »kulturell« bezeichneten Regionalismus, welcher sich »aus der Beschwörung der kulturellen Besonderheit und der Singularität der Herkunftsregion« speist und als die »typischste und am weitesten verbreitete Artikulation regionaler Identität und Regionalbewusstsein« gilt (Büttner 2013: 681). So wird mir in allen drei Fallstudien von mehreren Interviewpartner*innen erläutert: »Brixton is a unique place« (Feldnotiz, 12.02.2014), »Stroud is different«, (Feldnotiz, 07.04.2014) »Vorarlberg ist eine besondere Region« (Feldnotiz, 25.11.2014). Es zeigt sich also ein Gefühl der Verbundenheit mit der jeweiligen Gegend, das sowohl so etwas wie Liebe zum als auch Stolz auf den Lebensraum umfassen kann. Diese Gefühlslage ist beispielsweise Teil eines weit verbreiteten Brixtoner Lebensgefühls, das durch die Vorstellung »Brixton is special« (Feldnotiz, 3.2.2014) genährt wird. Dieses Gefühl wird auch von Geschäften vertreten und gezielt genutzt. So sind »I love Brixton«-Motive auf Tassen, Shirts oder Taschen weit verbreitet in Souvenirläden. Aber auch ein großes Kaufhaus wirbt dauerhaft mit einem riesigen Herz im Schaufenster, welches ebenfalls mit einem »I love Brixton« Schriftzug versehen ist. Das Brixton Pound eignet sich besonders gut als Träger dieses Gefühls, nicht zuletzt, da das Design der Scheine Ausdruck und Werkzeug des Zelebrierens Brixtons und seiner Bewohner*innen ist. In einem kleinen Laden, der Souvenirs, Kunstbücher, Schreibwaren und ähnliches verkauft, frage ich den Besitzer, welche Beweggründe er für die Annahme von Brixton Pound hat. »There is no advantage for me« betont er daraufhin. Der Umsatz in Brixton Pound sei marginal. Er fände es allerdings heuchlerisch, nicht beim Brixton Pound mitzumachen, da er »I Love Brixton«-Tassen und ähnlichen Lokalkolorit verkauft (Feldnotiz, 26.4.2014). Auch Nic gehört zu denjenigen, die in Brixton einen besonderen Ort mit besonderem Charakter sehen. Hier sind viele unabhängige Händler*innen, Geschäfte, Cafés und Restaurants, darunter viele Startups. »You know it is kind of small organizations just kind of finding their thing and starting up« (BRITN3). Zu diesem dynamischen, unternehmerischen Brixton passt eine eigene Währung ganz hervorragend. Eine eigene Währung zu haben, über die in den nationalen Medien berichtet wird, spricht diesen Lokalpatriotismus in besonderem Maße an. Die Bedeutung des Lokalpatriotismus wird bereits in den Namen der Regiogelder sowie in den Geldmedien symbolisiert. Im District Stroud zeigte sich, dass einige Unternehmen in Stonehouse nicht bereit waren, ein Regiogeld namens Stroud Pound, auf dessen Scheinen Architektur aus Stroud abgebildet ist, zu akzeptieren (vgl. 9.2.5). In Brixton vermutet eine Geschäftsfrau, dass das geplante Lambeth Pound nicht funktionieren werde, da es an »identification with Lambeth« mangele, die in Brixton gegeben und auf die das Brixton Pound angewiesen sei (Feldnotiz, 23.02.2014). Als ich
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in der Kaff Bar mit einem Ziggy, zehn Brixton Pound, bezahle, sagt die Kellnerin, als sie den Schein hochhält: »Amazing, isn’t it? It’s not as boring as normal money« (Kaff Bar, 22.01.2014). Das Papiergeld drückt in ihren Augen die besondere Schönheit Brixtons wie die vergleichsweise engen, gemeinschaftlichen Beziehungen aus. Zu der Begeisterung für die eigene Region oder über die das Lokale untermauernden Geldscheine kann ein diffuses Gefühl der Verpflichtung zur Partizipation einer regionalen Währung treten. Martin, der in Vorarlberg Obst anbaut, welches er an Supermärkte, aber auch auf Wochenmärkten verkauft, sagt: »[E]s passt einfach dazu, da sollte man mitmachen, wenn man regionale Produkte verkauft« (VORTN6tt). Ähnlich heißt es sowohl in der Brixton Brewery als auch in der Stroud Brewery, dass ein Produzent lokalen Bieres kaum die Annahme lokalen Geldes verweigern könne, da dies den eigenen Prinzipien widersprechen würde (Feldnotizen, 23.4.2014, 8.4. 2014). In der Tat verweisen einige Gesprächspartner*innen, wenn ich offenbare, dass ich mich für Regiogeld interessiere, unmittelbar auf Produkte, die sie führen und die mit Bezug auf Regionalität beworben werden, etwa regional hergestellte Lebensmittel wie Fleisch und Geflügel, Bier und Wein, Marmelade und Brot, aber auch Holzspielzeuge oder Kleinkunst. Hier ist eine gewisse Gleichsetzung von Regiogeld mit regionalen Produkten zu erkennen. Dahinter liegt eine Deutung des Regiogeldes, die eben auf die Bevorzugung der jeweiligen Region oder Lokalität ansetzt. Insgesamt verweist der Oberbegriff des lokalen oder regionalen Patriotismus als Partizipationsmotivation auf den Wunsch, das Regiogeld zu verwenden, weil es die Besonderheit der jeweiligen Region oder Lokalität unterstreicht. Regiogeldpartizipation basiert dann weniger auf dem Wunsch, die regionale Wirtschaft zu stärken, sondern ist mehr Ausdruck und Symbol für die Bedeutung der Region. 10.1.4 Gemeinschaftlichkeit Die vierte identifizierte Motivation rekurriert auf die Gemeinschaft der Regiogeldnutzer*innen und/oder die Gemeinschaft der kleinen Unternehmen in der Region. Dabei steht in Abgrenzung zur Regionalität (10.1.3.) nicht die Region an sich, sondern die konkrete soziale Gemeinschaft im Mittelpunkt. Regiogeld ist ein Zeichen für die Gemeinschaft der örtlichen Betriebe. Die Gemeinschaft ist dabei insofern symbolisch oder imaginiert, als dass nicht alle Mitglieder bekannt sein müssen. Entscheidend ist das geteilte Gefühl, zu einer solchen Gemeinschaft zugehörig zu sein. Im hier verstandenen Sinne bezieht sich die Gemeinschaftlichkeit als Partizipationsmotivation auf die Anziehungskraft der Gemeinschaft und das intrinsische Bedürfnis, an dieser Gemeinschaft teilzuhaben. Miles etwa sieht seinen Pub in Stroud als einen zentralen Ort des Austauschs und des sozialen Lebens. Das Selbstverständnis, Teil der Gemeinschaft zu sein, drückt sich für Miles eben auch darin aus, bei Gemeinschaftsprojekten mitzumachen. Das
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Stroud Pound sieht er als Ausdruck von Gemeinschaft an, da es sowohl Händler*innen und Geschäfte untereinander verbindet, als auch Beziehungen zur Kundschaft verdichtet. Zu den Beweggründen, Stroud Pound zu akzeptieren, führt Miles daher an: »It was all to be in the community as well. Being part of the community is a good thing« (STRTN4). Dieses Partizipationsmotiv ist nicht nur für Miles ursprüngliche Entscheidung, dem Stroud Pound beizutreten, mitausschlaggebend, sondern auch für seinen weitergehenden Entschluss, es anzunehmen, obwohl er mit der Ausgestaltung und seinen Erfahrungen außerordentlich unzufrieden ist (vgl. 10.2.2.) »It’s not a benefit to support my business. It’s an ideal utopia that you could dream of one day and you would support because you’re part of the community« (STRTN4). Den Aspekt, durch die Partizipation am Regiogeld die Zugehörigkeit zur Gemeinde und die Verbundenheit mit den anderen lokalen Unternehmer*innen sowie allgemein der Community auszudrücken, erwähnen fast alle Interviewpartner*innen. »[I]t is really important to play a part in the community« (Feldnotiz, 13.3.2014), erklärt mir die Betreiberin eines Restaurants in Brixton Village. Nic sieht sein Restaurant und den Laden als Teil der engen Gemeinschaft der Geschäftsleute in Brixton Market und Brixton Village an. »[I]t was always an intention for it to be part of the community. And I think that is something that is very important historically to Brixton« (BRITN3). Das Brixton Pound ist ein Symbol, eines von mehreren Ausdrucksformen dieser Gemeinschaft. Nic sieht diejenigen Betriebe, vor allem Restaurants, die in Brixton neu eröffnen und Teil dieser besonderen Atmosphäre sein wollen, nahezu in der Pflicht, das Brixton Pound als Ausdruck der Gemeinschaft zu akzeptieren. Jedenfalls empfindet er, dass diejenigen, die das Regiogeld nicht akzeptieren, damit ein deutliches Statement abgeben. Ähnlich hält der Cafébesitzer Soner Brixton Pound für einen einfachen und schnellen Eintritt in die örtliche Gemeinschaft. Er sagt über die Neuankömmlinge in Brixton (sowohl die kleinen Unternehmer*innen als auch die Bewohner*innen): »And then it’ll be nice for them to join the Brixton Pound because the next, you know they socialize locally« (BRITN2). Auch Aman, der seit drei Jahren ein Brixtoner Café führt, drückt mit seiner Akzeptanz des Brixton Pounds die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft aus. Alternative Geldformen an sich interessieren ihn nicht. »For me, participating in the Brixton Pound is a community thing more than alternative currency« (BRITN4). Sein Café liegt nicht in den Markthallen, sondern in einem der Bögen unter den Gleisen auf der Straße, auf der regelmäßig Flohmärkte und andere Veranstaltungen stattfinden. Seit gut zwei Jahren akzeptiert Aman das Brixton Pound in Papiergeldform, eB£ nutzt er seit etwa einem Jahr. Aman erläutert, dass Teilhabe an der Gemeinschaft ein ständiges Geben und Nehmen bedeutet: »For me, the decision was mainly just to participate with good intentions of trying to give a little bit to the community, you know […] You need to give to get back. I’m from Eritrea and we believe in self-reliance, you know. And I think that the Brixton Pound scheme is similar
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because Brixton is trying to become self-reliant. And if it helps to develop Brixton in any way, by any percentage, then it’s good. We want to be part of it.« (BRITN4)
Auf die Dimensionen der Gemeinschaftlichkeit und des Gebens verweist auch Nic. Obwohl er nicht zu den alteingesessenen gehört, sondern vor drei Jahren zugezogen ist, fühlt er sich vorbehaltlos in der engen Gemeinschaft in Brixton aufgenommen. Er beschreibt als Basis dieser Gemeinschaft, dass die benachbarten Betriebe sowohl räumlich eng zusammenstehen, sich darüber hinaus aber auch in ähnlichen (insbesondere geschäftsbezogenen) Lebenslagen befinden, »[b]ecause we are all small businesses, we are all kind of starting out, you know we are all trying things, experimenting, trying new things« (BRITN3).8 Zu seinem Selbstverständnis gehört, dieser Gemeinschaft auch etwas zurückzugeben. »I felt like I have been kind of embraced by the community which has made me wanting to do more in return. And there is really strong sense of co-operation, I suppose, in Brixton and those who are a part of it, who embrace this co-operation and the community« (BRITN3). Mit seinem Geschäftspartner und dem Lambeth Council plant Nic daher verschiedene Projekte, mit denen er der Gemeinschaft etwas zurückgeben kann (»to give back to the community«, BRITN3). Hier hat er insbesondere diejenigen im Auge, die sich die Produkte im Laden oder einen Besuch im Restaurant nicht leisten können. Schließlich weiß er, dass »for some people here it’s not accessible« (BRITN3) und möchte ihnen etwas geben. Zu solchen Projekten gehören etwa der Aufbau von kleinen Gewächshäusern und Folientunneln als Gemeinschaftsgärten zum Anbau von Gemüse. Während der Sommerferien gibt er darüber hinaus Kochkurse »for the local community in the summer time and I’m going to try and do cooking classes with school kids in the summer time over the summer holidays as well« (BRITN3). Das Geben und Zurückgeben bezieht sich weniger auf Geldflüsse oder ähnliches, sondern auf investierte Zeit, getragenen Aufwand und ehrenamtliches Engagement. Die in diesem Abschnitt vorgestellte Anziehungskraft der oder das Bedürfnis nach Gemeinschaft als Treiber der Motivation verweist darauf, dass das Regiogeld als dezidiert andere Geldform wahrgenommen wird, und dass ihr eine Bedeutung als Symbol der Gemeinschaft zugeschrieben wird. Das bedeutet nicht, dass Gemeinschaft zwingend durch Regiogeld entsteht, sondern dass für die sich als Teil der Gemeinschaft fühlenden Unternehmer*innen die Akzeptanz des Regiogeldes quasinatürlicher Ausdruck eben dieser Gemeinschaftlichkeit ist. Nicht nur im Verhältnis zu den Kund*innen, sondern auch untereinander (sofern räumliche Nähe gegeben ist) steht das Regiogeld für persönlichere, qualitativ besondere monetäre Beziehungen. 8
Neben dieser räumlichen, geographischen Gemeinschaft nennt Nic noch Gemeinschaften von »like-minded« Personen. Hier sieht er sich vor allem »very much part of a chef community which is not geographic, it’s London wide, if not UK« (BRITN3). Mit seinem Restaurant in Brixton sieht er sich in beiden Arten von Gemeinschaft fest verankert.
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10.1.5 Netzwerkeffekte Im Gegensatz zum intrinsischen Wunsch, der Gemeinschaft anzugehören, behandelt dieser Abschnitt eine Partizipationsmotivation, die zwar auch sozialen Bindungen entspringt. Es handelt sich aber um eine eher indifferente Teilnahme, die mehr auf dem Eingebundensein in soziale Netzwerke denn dem Gefühl, Teil der Regiogeldgemeinschaft sein zu wollen, basiert. »It’s one of the things that you just do in a community«, erörtert ein Friseur und fügt an: »It’s a nice idea but weird too« (Feldnotiz 19.03.2014). Gegenüber den im vorigen Abschnitt beschriebenen gemeinschaftssuchenden Teilnehmer*innen zeichnet sich seine Entscheidung durch ein hohes Maß an Indifferenz aus. Es lässt sich somit sagen, dass er Brixton Pound annimmt, weil man das als Teil einer Gemeinschaft »halt so macht«. Ein alteingesessener, sich als pakistanisch beschreibender, kleiner Supermarkt mitten in Brixton, »a Brixton institution« wie mir von einer Brixtonerin erläutert wird (Feldnotiz, 20.03.2014), steht exemplarisch für die Partizipation als Ergebnis der Eingebundenheit in soziale Netzwerke. Die Tochter des Besitzers, selbst Mitarbeiterin, ist gut befreundet mit Tom vom Brixton Pound. Er hat sie schließlich überzeugt, mitzumachen. Sie nennt das System ebenfalls »a nice idea« (Feldnotiz, 20.03.2014), gibt aber als Beweggrund keine Eigenschaften des Regiogeldes an, sondern dass sie in ihrem Freund*innenkreis genutzt werden. Sie akzeptieren Brixton Pound weder aus Überzeugung (ideelle Motive) noch aus betrieblichem Kalkül. Die vergleichsweise hohen Transaktionskosten des Bargeldsystems scheuen sie aber und sie nehmen deshalb ausschließlich am elektronischen System teil. Damit umgehen sie den Aufwand, eine separate Kassenhaltung für Brixton Pound zu führen. Wir unterhalten uns kurz im Geschäft, während ich Besorgungen tätige. Als ich frage, ob ich auch mit Brixton Pound Scheinen bezahlen kann, sagt sie, dass sie eigentlich nur »pay-by-text« machen, sie die Scheine aber privat umtauschen könne (Feldnotiz, 20.03.2014). Im Vorarlberg zeigt sich, dass einige Mitglieder des Talente Tauschkreises aus ähnlichen Gründen VTaler akzeptieren. In der Tat nehmen auch viele der im Tauschkreis aktiven Betriebe den VTaler an. Klaudia etwa führt ein Fitnessstudio. Sie ist seit langem Mitglied im Talente Tauschkreis und mit Gernot befreundet. Auf sie übt das Regiogeld weniger Anziehungskraft als der Tauschkreis aus. Es waren die Mitgliedschaft im Tauschring und die Verbundenheit mit den Akteur*innen bei der Allmenda, die sie letztlich dazu gebracht haben, auch den VTaler zu akzeptieren: »Ich glaube, dass er [Gernot] mich nochmal angequatscht hat, ehrlich gesagt« (VORTN4TT). Im VTaler sieht sie nicht, wie im Tauschkreis, ein adäquates alternativmonetäres Projekt9. 9
Als sie im Tauschring noch sehr aktiv war, hat sie Personal-Coaching¬stunden angeboten und meist Handwerksleistungen oder Haushaltshilfen nachgefragt. Auch wenn sie mittlerweile weniger aktiv ist, bleibt sie doch Stammmitglied im Tauschkreis, ist auf Veranstal-
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Mit dem etwas sperrigen Begriff der Netzwerkeffekte möchte ich diesen Typus an teilnehmenden Unternehmen fassen, die nicht intrinsisch an der Gemeinschaftlichkeit des Regiogeldkreislaufes teilhaben wollen, sondern sich durch ihre sozialen Beziehungen in der Verantwortung sehen, Regiogeld zu akzeptieren. Die Teilnahme ergibt sich also aus einer gewissen Indifferenz, welche durch Anstöße von außen erst eine vorsichtige Partizipationsmotivation begründet. 10.1.6 Zusammenführung der Motivationen Die vorliegende Identifikation der verschiedenen Partizipationsmotivationen verdeutlicht zunächst die Bandbreite an Begründungen für die Teilnahme an Regiogeldkreisläufen. Diese Bandbreite beinhaltet betriebliche und nicht-betriebliche Faktoren. Wie an der multiplen Zuordnung der einzelnen Fälle zu den verschiedenen Typen ersichtlich wird, treten real üblicherweise spezifische Konfigurationen von Partizipationsmotivationen auf. An diesen Konfigurationen wird ersichtlich, dass in der Regel nicht eine der genannten Dimensionen alleine ausschlaggebend für die Partizipation ist. Zwar gibt es Einzelfälle, die sich ausschließlich etwa dem betrieblichen Kalkül zuschreiben lassen. Die meisten teilnehmenden Unternehmer*innen weisen aber eine komplexe Motivik auf. Meist lassen sich teilnehmende Unternehmen mehr als einer der Dimensionen alternativen Wirtschaftens, Regionalität oder Gemeinschaftlichkeit zuordnen. Es zeigt sich insgesamt, dass die Gründe für die Partizipation nur bedingt betriebswirtschaftlicher Art sind. Zumindest sind die Erwartungen an das Regiogeld, das eigene Unternehmen unmittelbar zu fördern, eher gering und nur in Ausnahmefällen ausgeprägt. Das Marketing und die Signalfunktion, die die teilnehmenden Betriebe dezidiert als Teil der lokal verankerten Wirtschaft ausweist, werden gleichwohl von den Interviewpartner*innen als Bestandteil der Überlegungen für die Partizipationsentscheidung genannt. Hier spiegelt sich die Vorstellung wider, dass Anreize und Beiträge in einem etwa ausgeglichenen Verhältnis zueinander liegen sollen. Dabei geht es nicht um vollständige Äquivalenz, sondern Adäquanz, die sich als diffuse Erwartung ausgeglichener Reziprozität fassen lässt. Oftmals wird betriebliches Kalkül ergänzt oder überlagert durch stärkere Ausprägungen zumindest eines weiteren Typus. Einige partizipieren sogar, obwohl sie Kosten und Aufwand als deutlich höher tungen wie den Basaren dabei. Als Unternehmerin inseriert sie in der Tauschringzeitschrift. »Das Motiv, das war wirklich so ein bisschen diese Ideologie dahinter, die ich wirklich gut gefunden habe, ja? [gemeint ist der Zeittausch] Dann war auch klar für mich, ich kann das Leuten anbieten, die sich sonst meine Coachingstunden nicht leisten könnten.« (VORTN4TT). Ihre Partizipation am Tauschkreis lässt sich somit als ideell, nämlich geldreformerisch begründet ansehen. Sie schätzt insbesondere das Prinzip des Zeittausches, da es Personen Zugang zu Gütern ermöglicht, die sich diese auf dem Markt nicht leisten könnten.
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als die erwarteten Vorteile sehen. Eine ausgeglichene Erwartung von Anreizen und Beiträgen ist somit keine notwendige Bedingung zur Partizipation. Einige Teilnehmer*innen identifizieren sich konkret mit den wirtschafts- und geldpolitischen Zielen von Regiogeld. Sie beteiligen sich unter anderem, weil sie im Regiogeld die Möglichkeit sehen, an der Gestaltung einer anderen, besseren Wirtschaft teilzuhaben oder konkret, um mit Regiogeld auf die grundlegende Option zu verweisen, Geld jenseits des Bankensystems herauszugeben und zu steuern.10 Hier zeigt sich aufseiten einiger Unternehmen vor allem eine Unterstützung der realutopischen Zielsetzungen, die etwa auf die Unabhängigkeit von Banken oder Zentralbanken sowie vom (globalen) Finanzsystem rekurrieren. Es findet sich aber auch die Vorstellung eines umfassenderen Wandels hin zu einer Wirtschaftsweise und Geldsteuerungsart jenseits des kapitalistischen Systems. Andere sehen im Regiogeld weniger realutopische Alternativen zur Wirtschaftsweise oder zum Geldsystem, sondern eher eine Regionalisierung von Wirtschaft. Diese Motivation grenzt sich insofern von den alternativökonomischen Motivationen ab, als es nicht um eine andere Art, sondern um eine andere Ebene des Wirtschaftens geht. Diese Perspektive rekurriert auf die Stärkung der regionalen Wirtschaft und damit der regional verankerten Betriebe, unabhängig davon, ob Regiogeld über seine regionalisierte Größe und Reichweite hinaus Besonderheiten aufweist. Eine zweite Ausprägung des Regionalitätsprinzips als motivationaler Ausgangspunkt für die Partizipation liegt weniger auf dem Bedürfnis, die Region oder die regionale Wirtschaft zu stärken, als vielmehr in einer Art lokalen Patriotismus. Hierzu gehört der Wunsch, die eigene Region oder den eigenen Sozialraum zu zelebrieren und seine Einzigartigkeit symbolisch durch ein eigenständiges Geld herauszustellen. Dieser Motivationstyp nährt sich daraus, dass Regiogeld als lokale oder regionale Initiative wahrgenommen wird; überspitzt formuliert ist die Tatsache, dass es sich um eine Geldform handelt, kontingent. Zu den Motivationen, die nicht auf betriebswirtschaftliche Erwägungen reduzierbar sind, gehört außerdem die Anziehungskraft der Gemeinschaftlichkeit. Für den Typus der gemeinschaftssuchenden Mitglieder gehört es zum eigenen Selbstverständnis dazu, bei solchen lokalen Projekten mitzumachen. Hier findet sich, wiederum idealtypisch, eine intrinsische, aktive Motivation, teilzuhaben, um die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft auszudrücken. Dieser Motivationstyp bezieht sich nicht darauf, dass Regiogeld eine konkrete Geldform ist oder die Region ökonomisch stärken soll, sondern dass es sich um Initiativen aus und für die lokale Gemeinschaft handelt. Daneben ist auch eine sich aus sozialen Netzwerken ergebende Form der eher passiven Motivation zu verzeichnen. Es gilt mitzumachen, weil man Teil der Gemein10 Davon unberührt bleibt die Tatsache, dass Regiogeld aufgrund seines Designs nicht unabhängig von Banken ist. Schließlich ist Regiogeld durch das gesetzliche Zahlungsmittel gedeckt; dem im Umlauf befindlichen Regiogeld entspricht also ein Guthaben in gleicher Höhe auf einer Bank.
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schaft ist und sich die Partizipation schlicht gehört, oder weil die eigene Indifferenz durch Freund*innen oder Bekannte durchbrochen wird, die eine Teilnahme gerne sehen oder vormachen. Hier handelt es sich eher um eine Art indifferenten Nachahmens. Quer zu den Dimensionen liegen grundlegende Handlungskategorien wie Eigeninteresse und Altruismus, Freiwilligkeit und Verpflichtung, wie sie von Caillé (2008) im Anschluss an Mauss als Grenzpunkte einer Matrix gezeichnet werden, innerhalb derer sich die Gabelogik findet. Erkennbar ist das etwa in einem Gefühl der Verpflichtung, die Region durch Teilnahme zu fördern, der Gemeinschaft der teilnehmenden Unternehmen beizutreten oder den Erwartungen eigener Kund*innen entgegenzukommen. Dieses Gefühl kann zwar mit der Überlegung einhergehen, dass auch eigene betriebliche Vorteile erkennbar sein müssen. Dies ist aber keine notwendige Bedingung. Das Verhalten der teilnehmenden Betriebe ist somit in der Regel nicht auf das Eigeninteresse an betrieblichen Vorteilen oder das externe Interesse für bestimmte Ziele oder andere Personen reduzierbar (vgl. Diskussion um die Gabe in Kapitel 5)11 Eine einfache Reduktion der Teilnahme von Unternehmen auf »betriebliches Kalkül« (Thiel 2011) oder die Tauschlogik des Marktes (Blanc 2011) muss jedenfalls zurückgewiesen werden.
10.2 ERFAHRUNGEN MIT UND EINSCHÄTZUNGEN VON REGIOGELD Nachdem ich Beweggründe für die Partizipation und damit verbundene Erwartungen präsentiert habe, diskutiere ich nun Erfahrungen der Unternehmen mit Regiogeld. Hier systematisiere ich die Ergebnisse der Interviews mit Blick auf die Einschätzungen und Bewertungen der jeweiligen Regiogeldprojekte. Die Darstellung folgt einer Systematik, welche unterschiedliche Aspekte, die sich empirisch als besonders bedeutend erwiesen haben, voneinander abgrenzt und herausstellt. Wieder stelle ich keine Einzelfälle ganzheitlich vor, sondern strukturiere die Darstellung thematisch. Die gewählte Vorgehensweise hat zur Folge, dass Problemlagen und Kritiken vergleichsweise intensiv diskutiert werden. Dass demgegenüber gerade positive Zuschreibungen und Wahrnehmungen für die Teilnahme ausschlaggebend sind, habe ich bereits im vorigen Abschnitt behandelt. Im Folgenden werden also die tatsächlich gemachten Erfahrungen mit dem Regiogeld sowie die darauf basierende Zufriedenheit – oder Unzufriedenheit – dargestellt. Zum einen beziehen sich die Erfahrungen auf das unmittelbare Aufkommen, 11 Insofern zeigt sich bereits an dieser Stelle, dass die Ergebnisse der empirischen Untersuchung anschlussfähig sind an handlungstheoretische Überlegungen, die die Gabe oder Reziprozität und nicht rationales Interesse in den Mittelpunkt rücken.
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den Umsatz und die Verwendungsweisen, worunter auch Kosten und Gebühren fallen (10.2.1). Es handelt sich also um betriebliche Aspekte. Zum anderen erörtere ich die Erfahrungen der Unternehmen mit dem Regiogeldumfeld. Dazu zählen die Regiogeld herausgebenden Organisationen, die Konsument*innen und die Kommunen (10.2.2). Hier stehen Einschätzungen zu den Interaktionen und den Prozessen im Regiogeldkreislauf im Fokus. 10.2.1 Betriebliche Bewertung Unter dem Oberbegriff der betrieblichen Bewertung fasse ich Erfahrungen und Einschätzungen vornehmlich vor dem Hintergrund der Frage zusammen, inwieweit das Regiogeld als Mittel zur Förderung der teilnehmenden Unternehmen angesehen wird. Hier zeigt sich eine deutlich von den Perspektiven der Organisation abweichende grundlegende Ansicht. Auf Seiten der Betriebe sind typische Aussagen etwa »It doesn’t support my business« (Betrieb in Brixton), »There is no advantage for me« (Betrieb in Brixton) oder »Ich selbst habe da nichts von« (Geschäft in Vorarlberg). In der Darstellung der betrieblichen Bewertung unterscheide ich zwischen vier Dimensionen, welche sich als Schwerpunktthemen der Unternehmen erwiesen haben. Zu diesen unmittelbar den Betrieb betreffenden Erfahrungen mit Regiogeld gehören zunächst (a) der Umsatz und (b) das Marketing durch und mit Regiogeld. Darüber hinaus erörtere ich (c) Einschätzungen von Regiogeld als spezifisches Zahlungsmittel sowie (d) die mit der Partizipation verbundenen Kosten und Gebühren. Umsatz in Regiogeld Die Betriebe teilen die Erfahrung geringen Umsatzes mit Regiogeld. Der geringe Umsatz bedeutet nicht nur für jedes einzelne Unternehmen geringe Einnahmen, sondern spiegelt auch die Problematik der Weiterverwendung innerhalb wirtschaftlicher Beziehungen der Unternehmen untereinander wider. Die insgesamt geringe Akzeptanz seitens der Unternehmen erschwert eine breite Nutzung sowohl auf Seiten der Konsument*innen als auch auf Seiten der Unternehmen selbst. Auf dieses Problem komme ich in 10.3.1 zurück; an dieser Stelle sei lediglich vermerkt, dass zu den geteilten Erfahrungen auch die Schwierigkeiten bei der betrieblichen Verwendung des Regiogeldes gehören. Regiogeldkreisläufe aufzubauen, erweist sich als außerordentlich schwierig, da es keine überwiegend regionalen Wertschöpfungsketten gibt: »[B]ei uns gibt es nichts, also Vorarlberg ist im Prinzip eine Großstadt, in der 250.000 Einwohner leben oder so, da gibt es ein paar Berge, da kriegen Sie regional Käse und Fleisch, aber dann ist fertig« (VORTN2TT). Auch in Brixton gibt es kaum produzierendes Gewerbe, die meisten gehandelten Güter kommen von außerhalb. Daher ist es unmöglich, einen umfassenden zwischenbetrieblichen Kreislauf aufzubauen: Brixton Pound
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»circulates somewhere half way around the circle then it stops« (BRITN5), drückt es ein Teilnehmer aus. Mit Ausnahme von Langenegg ist Regiogeld auch im Alltag nicht weit verbreitet. Vielen Menschen ist Regiogeld unbekannt: »I mean to tell you the truth: For the amount of time the thing is around, not a lot people know about it« (BRITN4). Überzeugte Anhänger*innen des Regiogeldes sehen als wesentlichen Grund für den niedrigen Umsatz die allgemein geringe Kenntnis des Geldsystems und damit einhergehend ein mangelndes Verständnis seitens der Konsument*innen. »Wenn man bei uns im Ort eine Umfrage macht und zuerst die Leute drei Minuten aufklärt, dann wird es nicht viele geben, die sagen, das ist was ganz Schlechtes.« (VORTN5a) Die Problematik mangelnder Verwendungsmöglichkeiten trat in Stroud besonders deutlich auf, so dass die Zirkulation letztlich stoppte. Aber auch in Brixton und Vorarlberg, die beide deutlich höhere Volumina an ausgegebenen Pound bzw. Talern aufweisen, erfährt die deutliche Mehrheit der teilnehmenden Betriebe lediglich geringen Umsatz in Regiogeld. Für die meisten Geschäfte ist der Umsatz in Regiogeld daher zu vernachlässigen. Tony schätzt, dass er allenfalls 20 Pfund in der Woche einnimmt. »It’s so little. Yesterday we took four pounds, that might be all we take this week, so it’s not really important whether we do or don’t« (BRITN5). Zwar variiert der Umsatz von Unternehmen zu Unternehmen und weist auch innerhalb eines einzelnen Betriebes deutliche Fluktuationen auf. Insgesamt bleibt er aber auf niedrigem Niveau. Auch in Stroud war der Umsatz nicht allzu hoch und waren Stroud Pound Transaktionen nicht besonders häufig. Je nach Laden wurde geschätzt drei bis zehn Mal pro Woche mit Stroud Pound gezahlt. Hierbei handelte es sich meist um kleine Summen, wie sie etwa beim Bäcker oder Metzger gelassen werden. Auch Pubs und Cafés nahmen Stroud Pound in kleineren Mengen ein, größere Summen wurden hingegen immer in Sterling bezahlt. Miles schätzt beispielsweise, dass sie im Pub in ein oder zwei Monaten vielleicht 100 Stroud Pound eingenommen haben. Der Pub zählt immerhin als eines der umsatzstärksten Stroud Pound Unternehmen. Vermutlich verfügten die meisten Konsument*innen über gerade die Menge an Stroud Pound, die für den alltäglichen Bedarf geeignet schien, nicht aber über die für höhere Ausgaben notwendige Menge. In Brixton zeigt sich, dass das elektronische System als Zahlungssystem beliebter ist als das Papiergeld. Alle Interviewpartner*innen, die eB£ akzeptieren, erzielten hiermit höhere Umsätze als mit den Geldscheinen. So berichtet Nic, dass er mittlerweile kaum noch Brixton Pound Geldscheine erhält, sondern fast ausschließlich elektronische Zahlungen. In einer Woche kann es zu knapp zehn Transaktionen in Brixton Pound kommen, darunter vor allem kleinere Einkäufe wie ein Brot oder eine Wurst, seltener ein Menü im Restaurant. In Wochen mit hohem Umsatz kommen so bis zu 60-80 Brixton Pound zusammen (BRITN3). Aman schätzt seine Umsätze in Brixton Pound, allesamt elektronisch, auf ungefähr eine Transaktion in der Woche, bei der es
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sich meist um etwas Kleines wie einen Kaffee handelt. Im Monat belaufen sich diese selten auf mehr als 20 bis 30 Pfund (BRITN4). In einem anderen Café kommt es hingegen regelmäßig zu Zahlungen mit Brixton Pound. Bei »hohem« Umsatz können auch 50 Pfund in der Woche zusammenkommen, meist ist es allerdings weniger. Viele derjenigen, die mit Brixton Pound zahlen, sind Angestellte des Councils und erhalten einen Teil ihres Gehaltes in Brixton Pound. In ihren Mittagspausen verwenden sie diese Beträge oft in Restaurants und Cafés in Brixton. »And then obviously it encourages them to spend their money locally, which is a good thing« (BRITN2). Soner hat, um gerade dieses Klientel weiter zu bewerben, kürzlich auch einen 10%-Discount für Zahlungen in Brixton Pound eingeführt. Eine Gemeinsamkeit der drei Regiogelder ist, dass es jeweils zu Beginn, in der von großem medialem Interesse begleiteten Zeit der Einführung, zu einer breiteren Nutzung kam als in der Zeit danach. So erinnern sich Nic (STRTN1) in Stroud und Tony (BRITN5) in Brixton auch an Kamerateams, die in ihren Geschäften Beiträge zu Regiogeldern drehten. Diese Publicity (etwa BBC 2010) blieb aber für den eigenen Umsatz folgenlos, sondern erhöhte eher die überregionale Aufmerksamkeit für Regiogeld. Im Charity Shop, welcher als Umtauschstelle für Stroud Pound diente, erzählt Debbie, wie die Nachfrage nach Stroud Pound nach einem anfänglichem Hoch vor einigen Jahren, etwa 2011/2012, stark nachgelassen hat. Zu Beginn war samstags und oft mittwochs jemand vom Stroud Pound anwesend, um den Umtausch durchzuführen und das Regiogeld Interessierten zu erklären. Das Interesse am Stroud Pound nahm allerdings kontinuierlich ab und endete nach einiger Zeit fast vollständig. Zum Schluss tauschten nur noch sehr wenige hartnäckige Unterstützer*innen Geld um (vgl. 10.2.2). Zur Zeit meines Feldforschungsaufenthaltes im April 2014 lag der letzte Umtausch mehrere Monate und der vorletzte mehr als ein halbes Jahr zurück. Diese Schilderung passt zu den Erfahrungen der Händler*innen, die ebenfalls von einer aktiveren Anfangsphase berichten. Dies gilt für Brixton genauso. Mit einem Kunden komme ich ins Gespräch, als er erfährt, dass ich mich für das Brixton Pound interessiere: »The last time I saw any Brixton money was about, let me see, about three or four years ago, I ain’t seen it again. – Came and went cause no one wasn’t interested in it« (Gespräch, 29.04.14). Auch der dem Regiogeld grundlegend kritisch eingestellte Tony berichtet vom Niedergang nach einem kleinen Hype in der Anfangsphase: »There was enthusiasm in the first month for using it… After that, it declined very quickly in use« (BRITN5). Er differenziert aber zwischen Papiergeld und elektronischem Bezahlsystem. Ersteres zirkuliert kaum noch, das pay-by-textSystem wird deutlich stärker genutzt. Diejenigen Betriebe, die sich vom Regiogeld konkrete, größere Umsatzsteigerungen erhofft hatten, wurden meist enttäuscht. Nic gehört innerhalb der Unternehmer*innen insofern zu dieser Minderheit, als er konkret erwartet hatte, dass das Stroud Pound positive Auswirkungen auf seinen Umsatz haben oder zumindest seinem Café einige neue Kund*innen bringen würde. Diese Erwartungen haben sich
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nicht erfüllt. Gleichermaßen sind auch Befürchtungen, zu viel Umsatz in Regiogeld zu generieren nicht eingetroffen. Die Betreiber*innen des Bauernhofes etwa hatten anfangs Sorge, zu viele VTaler einzunehmen, »wir dachten, wir bringen das nicht mehr an den Mann« (VORTN5a). Diese Befürchtung ist bei weitem nicht eingetreten. Es kommt monatlich zu weniger als zehn Bezahlvorgängen mit VTalern, und dabei handelt es sich immer um Konsument*innen, die vom Hof direkt kaufen, nicht um Geschäftspartner*innen. Auch in einem Vorarlberger Theater herrschte zunächst Unbehagen aufgrund des Risikos vor, möglicherweise mehr VTaler oder Talente einzunehmen als verwendbar wären. Dies ist ein Grund dafür, berichtet die Leiterin, dass das Theater weder für Talente noch für VTaler aktiv wirbt und auch nicht offensiv informiert, dass mit diesen Komplementärwährungen bezahlt werden kann: »Und ehrlich gesagt, öffentlich tun wir das irgendwie nicht machen, nämlich raushängen lassen.« (VORTN4TT) Hintergrund ist hier die Wahrnehmung der Komplementärwährung als schlechteres, da eingeschränktes Geld. Die Leiterin, die zwar vom System grundsätzlich angetan ist, hat Zweifel, ob das Theater genügend Verwendungsmöglichkeiten hätte, wenn es hohe Einnahmen erzielen würde. Daher bleibt es bei einem kleinen Teil des Stammpublikums, der häufig mit Talenten zahlt. Der Umsatz liegt im Jahr allerdings lediglich bei umgerechnet 300-400 Euro, also einem Promille des Gesamtumsatzes. Der geringe Umsatz zeigt sich auch in Siegfrieds Schuhgeschäft. Bisher wurden »300, vielleicht 350« VTaler eingenommen, also etwa drei paar Schuhe mit VTalern bezahlt. Der Inhaber freut sich über Umsätze in VTalern, da er dies als Zeichen einer gemeinsam geteilten Wertschätzung für die Region und für alternatives Wirtschaften empfindet, als Zeichen gegen das unübersichtliche am Gewinnstreben orientierte System: »Wer mit VTalern zahlt, ist irgendwie auch ein bisschen mehr Widerständler.« (VORTN2tt) Der VTaler passt auch deshalb zu ihm und seinem Geschäft, da er sich nicht als Verkäufer sieht, der lediglich am Absatz und nicht an den Kund*innen als Personen interessiert ist. Ihm ist ein persönliches Miteinander wichtig, er kennt einen großen Teil seiner Kundschaft mittlerweile gut. Dass der VTaler als Gesprächsgegenstand weite Themenfelder öffnet schätzt er sehr. Manche Beteiligte hoffen weiterhin auf eine deutliche Umsatzsteigerung in der Zukunft. »Also ich würde mir wünschen, dass es mehr Geschäfte gibt, die da mitmachen. Weil ich es wirklich faszinierend finde, wenn da ein Kreislauf entstehen kann. Und umso mehr Geschäfte da mitmachen, umso breiter die Palette ist, umso mehr ist der Kreislauf möglich« (VORTN2TT). Die Betreiber*innen des Bauernhofes sind sich sicher, dass der VTaler noch wachsen wird. Eine Ursache hierfür sehen sie in den aufkommenden gesellschaftlichen Veränderungen und der anhaltenden Krisenerfahrung. »Und die Idee, glaube ich, das ist sicher auch was, was Zeit braucht. […] Sowas muss halt auch wachsen. Und auch die gesellschaftlichen Veränderungen und alles was da noch auf uns zukommt, ist sicher Wasser auf diese Mühle. Da bin ich felsenfest überzeugt« (VORTN5a). Auch Ingeborg bleibt mit ihrer Schneiderei trotz
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des mäßigen Umsatzes ein überzeugtes Mitglied des Regiogeldsystems und ist davon überzeugt, dass es »immer mehr Bedeutung bekommt in den nächsten Jahren. Aber noch geht es uns noch zu gut [lacht], sage ich immer, als dass die Leute sich wirklich für die Region einsetzen« (VORTN2TT). Werbeeffekt und Marketing durch Regiogeld Hinsichtlich der Werbeeffekte und des Marketings sind prinzipiell zwei Dimensionen zu unterscheiden. Regiogeld soll den teilnehmenden Unternehmen zunächst helfen, eine Reputation als regional verankerte, verantwortliche Unternehmen auf- oder auszubauen. Insbesondere sollen diejenigen Kund*innen, die prinzipiell lokalen Konsum präferieren, zu den Geschäften gelockt werden, bei denen mit Regiogeld gezahlt werden kann. Daneben werben umgekehrt aber auch attraktive Geschäfte, die Regiogeld annehmen, für das Projekt. Diese beiden Dimensionen überschneiden sich, wenn Unternehmen Angebote oder Rabatte speziell für Regiogeldnutzer*innen anbieten: Sie sprechen die Zielgruppen des Regiogeldes an und nutzen dessen Marketingplattform; gleichzeitig zeigen sie Vorteile des Konsums mit Regiogeld für Endverbraucher*innen auf. Ich möchte in diesem Abschnitt auf diese verschiedenen Aspekte eingehen und die Einschätzungen der Unternehmen erörtern. Soner, der ein Café in Brixton führt, fasst die Vorteile des Regiogeldes zusammen: »It’s a good kind of […] an advertising platform, because on their website they show who accepts the Brixton Pound« (BRITN2). Er erinnert sich, dass er gerade in der Anfangszeit des Brixton Pounds neue Kund*innen im Café begrüßen konnte, die über die Liste teilnehmender Betriebe auf sein Café aufmerksam geworden sind. Auch im letzten Jahr hat er einen ähnlichen Effekt verzeichnet, als einige Angestellte des Lambeth Councils, auf der Suche nach Verwendungsmöglichkeiten des eB£, in ihren Mittagspausen in seinem Café einkehren. Auch der Bäcker hat grundsätzlich positive Erfahrungen mit den Komplementärwährungen des Talente Tauschrings und dem VTaler gemacht. Für ihn lassen sich die beiden Systeme nicht voneinander trennen, da sie eng zusammenhängen. Er sieht die Mitgliedschaft »zumindest als Nullsummenspiel, oder? Also das heißt ich habe einen Aufwand damit, das muss man ganz klar sagen, ich muss die Leute schulen und das funktioniert eh nicht… Und davon habe ich mehr Commitment. Es ist schon ein Werbeeffekt, das würde ich jetzt in meinem Fall sehr hoch ansetzen. Ein Werbeeffekt einfach, weil das immer wieder quasi als Pionierbetrieb dargestellt wird und auch in den Medien so erscheint. Und das ist natürlich eine Werbewirkung.« (VORTN2TT)
Auch wenn sich dieser Werbeeffekt nicht in konkrete Umsatzzahlen übersetzen lässt, handelt es sich um eine positive Erfahrung mit dem Marketing. Solchen Erfahrungen stehen Einschätzungen anderer Unternehmen gegenüber, die keine konkreten Effekte
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auf ihren Umsatz wahrgenommen haben. Sie sehen im Marketing durch die Regiogeldorganisationen schon einen Vorteil, den sie aber als eher klein einschätzen. Im Fitnessstudio in Dornbirn etwa hat sich trotz Inseraten mit Gutscheinen im VTaler Verzeichnis keine Interessentin gemeldet. Klaudias Erwartungen haben sich somit nicht erfüllt (VORTN4TT). Grundsätzlich sollen Rabatte Konsument*innen unmittelbar dazu anregen, Regiogeld zu verwenden. Spiegelbildlich erklärt sich Nic den geringen Umsatz mit Stroud Pound wesentlich dadurch, dass es an konkreten Anreizen für Konsument*innen fehlte, Stroud Pound zu nutzen. Solche Anreize sieht er in monetären Vorteilen, wie sie Rabatte liefern: »The only way I could see it is: if you offer some sort of discount, the people will use Stroud Pound in the hopes that it will increase your turnover. So there’s more people come to spend the Stroud Pound here« (STRTN2). Unternehmen sollten also einen Rabatt bei Zahlung in Stroud Pound anbieten, um den Umsatz zu erhöhen und Kund*innen zu binden. Nic weiß, dass das Lewes Pound, eine weitere Transition Currency in England, genau einen solchen Mechanismus implementiert hat und Konsument*innen 10% Rabatt erhalten, wenn sie in Lewes Pound zahlen. Allerdings bietet er selbst solche Angebote nicht an, zumindest nicht spezifisch für Stroud Pound Nutzer*innen. Er nutzt stattdessen eigene Rabattkarte, auf der Kund*innen Stempel sammeln und damit jeden elften Kaffee gratis konsumieren können. Auch Aman in Brixton glaubt, dass eine deutliche Erhöhung des Umsatzes erst mit einer Verbesserung der Anreize für Konsument*innen möglich wird. Wenn Brixton Pound schlicht genau wie die normale Währung genutzt wird, stellen sich bestimmt viele die grundlegende Frage »what’s the point?« (BRITN4). Daher verweist er auf den Vorteil des elektronischen Systems, welches einen Mehrwert bietet, während Papiergeld für ihn eher einen zusätzlichen Aufwand bedeutet. Wie im Fallbeispiel Brixton (9.1) diskutiert, existierte eine systemimmanente Rabattaktion temporär auch beim Brixton Pound. Konsument*innen erhielten 10% Bonus beim Erwerb von Regiogeld, Unternehmen hatten im Gegenzug 10% Gebühr im Falle des Rücktausches zu zahlen. Dieses System schaffte die Brixton Pound Organisation allerdings nach Beschwerden der Unternehmen wieder ab, so dass jegliche Rabatte nun individuelle Angebote der Unternehmen sind, nicht aber zur Funktionsweise des Regiogeldes gehören. Einige Unternehmen berichten auch von Enttäuschungen in Zusammenhang mit den von ihnen angebotenen Rabatt-Aktionen für B£-Zahler*innen, da diese kaum nachgefragt wurden. Ein Pub etwa hat lange Zeit mit Rabatt geworben, dennoch blieb es bei gelegentlichen Zahlungen (Feldnotiz, 13.03.2014). Auch die Kaff Bar in Brixton gewährte lange Zeit ein 10%-Rabatt auf B£-Zahlungen.12 Die Erfolglosigkeit die-
12 Diese Bar ist besonders unter jüngeren Leuten in ihren 20er und 30er Jahren beliebt. Tagsüber sitzen sehr viele (überwiegend Weiße) mit ihren Laptops an den Tischen oder auf den
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ses Angebotes zeigt sich darin, dass es nahezu stillschweigend beendet wurde. So versuchte ich, das Angebot zu nutzen, scheiterte dabei aber: Die 10% Off standen zwar noch auf der Tafel, aber der Kellner erklärte mir, dass das Angebot ausgelaufen ist (Feldnotiz 02.04.2014). Allgemein stelle ich in der Bar fest, dass Bezahlungen in Brixton Pound zwar möglich sind, aber offenbar bei weitem nicht so üblich, wie mir suggeriert wurde. Einmal sind die Geldscheine im Keller, so dass mir Wechselgeld nur in Sterling angeboten wird. Einmal weiß eine neue Kellnerin nichts vom Brixton Pound« (Feldnotiz 13.03.2014). Solche Schwierigkeiten tragen dazu bei, dass Regiogeld in Teilen als eher lästiger Zusatz denn als funktionierendes System angesehen wird. Regiogeld als Zahlungsmittel Mit Blick auf den Zahlungsverkehr ist insbesondere der Unterschied zwischen Papiergeld und elektronischen Zahlungsmöglichkeiten von Bedeutung. Während in Stroud ausschließlich Papiergeld zirkuliert, verfügen Brixton Pound und Vorarlbergstaler über bargeldlose Zahlungsmechanismen. Dabei können in Brixton alle Nutzer*innen (also auch Konsument*innen) bargeldlos per Handy bezahlen, wohingegen in Vorarlberg zwischenbetriebliche Überweisungen möglich sind. Dem Papiergeld werden grundsätzlich einige Vorteile zugeschrieben, da es vor allem die lokale Verbundenheit des Regiogeldprojektes symbolisch hervorhebt. Für viele Konsument*innen machen die besonderen Scheine einen entscheidenden Reiz aus, Regiogeld zu verwenden (North 2014b vermutet daher, dass gerade Papierwährungen gut geeignet für alternative Gelder sind). Ein beteiligter Händler, der in Brixton ausschließlich das Papiergeld akzeptiert, begründet seine Entscheidung wie folgt: »I like to really feel it, to see it, to touch it« sagt er und reibt Daumen und Mittelfinger aneinander (Feldnotiz, 5.2.2014). Analog verweist Clare auf die Überlegungen in Stroud, die zur Einführung einer ausschließlichen Papierwährung führten. Wichtiger Hintergrund bildeten die Erfahrungen mit dem LET-Scheme: »There was something about having a currency that you could hold in your hand« (STRORG2). Die Organisatoren wollten aufgrund der Erfahrungen mit dem Zusammenbruch des papiergeldlosen Tauschrings »echtes Geld«, da sie das Gefühl hatten, damit mehr Menschen erreichen zu können. Wesentlicher Bestandteil waren dazu Geldscheine, die
Sofas und arbeiten – Studierende, Selbstständige und Freischaffende. Abends wird es deutlich voller und lauter, donnerstags bis samstags ist die Bar überfüllt. Häufig wird LiveMusik gespielt, aber es finden auch Comedy oder Burlesque-Shows statt. In der Bar habe ich mehrere Aktivist*innen der Alternative Currency-Szene kennengelernt. Auch Treffen des Brixton Pounds finden regelmäßig hier statt. Die Beliebtheit der Bar sollte sich später auch in den Protesten zeigen, als im Jahr 2015 ihre künftige Schließung wegen der steigenden Miete bekannt wurde.
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haptisch wahrnehmbar sind und es Menschen erleichtern, sich auf die Regionalwährung einzulassen. Schließlich sind wir es (noch) gewohnt, Geld mit Bargeld, Geldscheinen und Münzen in Verbindung zu bringen. Auch der Fahrradladen in Brixton nimmt nicht am pay-by-text-System teil. Eigene problematische Erfahrungen mit dem bargeldlosen Tauschring sowie das Gefühl, im Zweifel lieber eine weitere mögliche Verkomplizierung der Zahlungssysteme zu vermeiden, haben sie abgehalten. »It’s a lot of complication for an already very complicated job. It’s not something that we are prepared to invest our time... learning how to do it... It creates more work for ourselves to implement that and I don’t think we don’t get anything from it. […] We’d need a phone, we’d need someone who looks at it... so we have to invest to make that possible« (BRITN1).
Einige Zeit nach meinem Aufenthalt in London sind sie allerdings beigetreten. Sara erläutert, dass solche Entscheidungen oft länger dauern, da die Produktivgenossenschaft basisdemokratisch verwaltet wird. Es entscheidet also die Gruppe. Bei weniger wichtigen Themen, wie etwa der Überlegung, dem elektronischen Brixton Pound System beizutreten, kann es oft lange dauern, bis das Thema zur Sprache kommt, falls niemand das Thema einbringt oder besonders dahintersteht. »We are a bit chaotic already and to add more things that we can mess up when we don’t get a gain for it doesn’t make a lot of sense for us.« (BRITN1) Den symbolischen Funktionen von Papiergeld stehen Nachteile entgegen. So wirkt Papiergeld heutzutage anachronistisch, wenn es mit modernen Bezahlsystemen verglichen wird. Gerade für Unternehmen sind Barzahlungen unüblich und unpraktisch, allein weil die Summen in der Regel höher sind. In den Interviews in Stroud wird wiederholt angesprochen, dass Rechnungen der Lieferanten per Überweisung beglichen werden, weswegen Zahlungen in Regiogeld nicht möglich sind. Nic berichtet, dass einer seiner Zulieferer zwar Stroud Pound als Teilzahlung akzeptierte, ihm der Aufwand dafür aber zu groß erschien. Denn eine Stückelung des Betrages hätte zusätzlich zur Überweisung einen Bargeldtransfer von Stroud Pound erfordert (STRTN2). Debbie erklärt ihre Distanz zum Stroud Pound (neben dem Aufwand durch die Gebühren) mit ihrer Einstellung zu Bargeld: »That is another important thing because I rarely use cash of any sort« (STRTN1). Wer sich längst an bargeldlose Transaktionen gewöhnt hat, empfindet das Hantieren mit Geldscheinen als aufwändig: »I don’t think about cash so Stroud Pound doesn’t work for me. I’m lazy. I can’t be asked to walk around the corner and get cash out the hole in the wall. And that, that is part of current mentality, isn’t it?« (STRTN1). Debbie beschreibt ihre
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Einstellung offen und erläutert gleichzeitig, dass es sich weniger um persönliche Vorlieben als mehr um einen gesellschaftlichen Wandel handelt.13 Die Problematik des komplizierten Zahlungsverkehrs mit Bargeld ist auch den Vertreter*innen der Stroud Pound Genossenschaft bekannt. So äußert Clare die Vermutung, dass ein integriertes, Transaktionen vereinfachendes, elektronisches Bezahlungssystem die Erfolgschancen des Stroud Pounds sicherlich enorm befördert hätte. Heutzutage würde eine reine Papierwährung kaum noch in Betracht kommen, so sehr haben sich nach Clares Einschätzung die Zeiten in den letzten fünf Jahren geändert (STRORG2). Diese Beurteilung spiegelt sich in den positiven Brixtoner Erfahrungen mit dem elektronischen Zahlungssystem wider. »The text system is more dynamic… it’s more keeping with technology and it’s actually a lot easier to use« (BRITN2). Da nach wenigen Sekunden Zahlungsbestätigungen per sms erfolgen, hält Soner das System für einfach, schnell und sicher. Mittlerweile macht er fast ausschließlich elektronisch Umsatz mit Brixton Pound. Dies entspricht den Erfahrungen der Brixton Pound Organisation (BRIORG1, BRIORG2), die auf höhere bargeldlose Umsätze verweist. So werden monatlich ungefähr 4.000 eB£ umgesetzt. In vielen Gesprächen geben auch eher skeptische Teilnehmer*innen an, das elektronische System deutlich lieber zu verwenden als das Papiergeld. Es wird als deutlich bequemeres Zahlungsmittel angesehen: »I prefer pay-by-text because it’s easier. Cash I just store and I hope that it will be a large amount of money in the future« (BRITN7). Das elektronische System wird als modern angesehen und als unkompliziert bewertet: »It is because you know they pay you in instantaneous, your account is there, they put penalties to pay your, you know, the fees to pay. It’s all it’s triggered as the new currency« (Händler in Brixton, 17.03.2014). Die elektronische Währung bedient auch das Bedürfnis nach einer Reform des Geldsystems, da es als erster Schritt in Richtung eines Zahlungssystems angesehen wird, welches kommerzielle Banken erfolgreich umgehen kann. »And then it’s actually more successful because you don’t have these notes. And you have an account and […] also, I think, politically and effectively you can cut out the banks« (BRITN5). Gleichzeitig kann hierin eine Schwierigkeit liegen. Wenn nämlich Regiogeld tatsächlich stark abgekoppelt ist vom herkömmlichen Geld- und Zahlungssystem, eignet es sich weniger für gewöhnliche Verwendungsweisen. »I used to sort of think like that as a treat you know as like my Brixton Pound like a bonus but actually you realize that it is coming off your bottom line and any of the money that comes to your Brixton Pound account isn’t going into your bank account« (BRITN3). Der Aufwand kann also selbst bei elektronischen Systemen als hoch wahrgenommen werden. Von 13 In der Tat ist die Bedeutung von Barzahlungen in Großbritannien schon deutlich geringer als noch in Deutschland. Ich habe viele Personen kennen gelernt, die im Alltag gar kein Bargeld mehr benutzen. Dies ist mir in Deutschland (noch) nicht vorgekommen.
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diesen Einschätzungen (des Regiogeldes als eine vom Bankensystem unabhängige Geldform) unberührt bleibt die Tatsache, dass auch das elektronische Brixton Pound durch Einlagen in der örtlichen Credit Union gedeckt ist. Von einer Abkoppelung vom Bankensystem lässt sich also nicht sprechen; es handelt sich um eine Fehleinschätzung. Kosten und Gebühren der Regiogeldnutzung In diesem Abschnitt fasse ich die Einschätzungen zu den konkreten Kosten und Gebühren zusammen. Hierzu zählen Mitgliedschaftsgebühren (Stroud, Vorarlberg), Rücktauschgebühren (Stroud, Vorarlberg und Brixton bis Ende 2013) sowie Transaktionsgebühren (elektronisches Brixton Pound) und die Demurrage (Stroud). Ich gehe kurz auf die verschiedenen Formen in den drei Regiogeldsystemen ein, befasse mich aber überwiegend mit dem Stroud Pound. Denn mit Blick auf die Gebührenordnung handelt es sich in mehreren Hinsichten um einen außergewöhnlichen Fall, da zunächst eine Kombination verschiedener Lenkungsfunktionen durch Gebühren genutzt wurde. Die Wahrnehmung der Gebühren als hoch oder niedrig hängt mit den empfundenen Gegenleistungen zusammen. Den Vorteilen aus betrieblicher Sicht stehen der administrative Aufwand und die direkten Kosten der Gebühren, die für die Mitgliedschaften beim VTaler und dem Tauschring zu zahlen sind, gegenüber. Zum Aufwand gehört insbesondere, Verwendungsmöglichkeiten für das Komplementärwährungsguthaben zu finden (vgl. 10.3). Die Gegenleistung besteht dabei insbesondere in dem beschriebenen Marketingeffekt und der Reputation. Diese Leistung lässt sich nicht in konkrete Umsatzzahlen umrechnen, allerdings scheint ein Mindestumsatz in Regiogeld notwendig zu sein, um die Gebühren zu legitimieren. Dies gilt besonders für fixe, von Transaktionen unabhängige Mitgliedschaftsgebühren. In Stroud waren diese mit einem einmaligen niedrigen Pfundbetrag so gering, dass sie nicht ins Gewicht fielen. In Vorarlberg sind hingegen viele Betriebe aus dem VTaler ausgestiegen, seit das Finanzierungsmodell geändert wurde und jährliche Mitgliedschaftsgebühren verlangt werden (vgl. 9.3.6). Beim Theater etwa kam es zu keinerlei Zahlungen mit VTalern, weshalb das Theater die dreistelligen Gebühren nicht weiter aufbringen wollte und die Mitgliedschaft kündigte. Auch Klaudia, Inhaberin des Sportstudios, überlegt, aufgrund des Missverhältnisses von Kosten und Nutzen auszusteigen. Die Kosten des Inserates (500 Euro) konnte sie in Talenten begleichen, sie spricht aber auch die Mitgliedschaftsgebühren beim VTaler an: »Jetzt sehe ich, jetzt kommt die Rechnung von der Allmenda über 300 Euro Jahresgebühr und ich wollte schon anrufen und sagen ›also nächstes Jahr könnt Ihr mich gleich rausstreichen, weil eigentlich, jetzt zahle ich dafür‹« (VORTN4TT). Sie überlegt, aus dem VTaler auszusteigen, zumal ihren Kosten keine ungefähr gleichwertigen Gegenleistungen gegenüberstehen.
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Die meisten Mitglieder empfinden die Gebühren hingegen nicht als hoch, sondern als angemessen. Dies ist sicherlich Ergebnis eines Selektionsprozesses. Schließlich sind diejenigen, die nicht bereit waren, die Gebühren zu zahlen, nach deren Einführung ausgetreten (VORORG3). Unter denjenigen, die sich zufrieden zeigen, sind aber auch solche, deren Gesamtumsätze gering sind. Die Mitgliedsbeiträge sind etwa für den in der Studie betrachteten Bauernhof »kein Thema« (VORTN5a), obwohl auch dort der Umsatz sehr gering ist. Hier überwiegt die positive Gesamtbeurteilung des Regiogeldes, das als Experimentierfeld für geldsystemische Alternativen gilt. Andere, kleinere Betriebe nutzen Möglichkeiten durch Vernetzung, die Gebühren gering zu halten. So akzeptiert beispielsweise ein Obstbauer das Regiogeld, trägt die Gebühren aber nicht alleine. Diese werden von der Vereinigung Vorarlberger Obstbäuer*innen übernommen, deren Mitglieder daher alle VTaler akzeptieren können (VORTN7). Ein anderes Beispiel ist das Kindermodegeschäft, das ermäßigte Gebühren zahlt, da es als VTaler-Ausgabestelle fungiert (VORTN2TT). In Brixton belaufen sich seit 2014 Gebühren ausschließlich auf Transaktionsgebühren in Höhe von 1,5% bei elektronischen Zahlungen. Diese tragen die Empfänger*innen. Ich habe von keinerlei Einwänden gegen diese Gebührenhöhe gehört, alle Interviewpartner*innen beschrieben sie als moderat, teilweise sogar als geringer als bei herkömmlichen elektronischen Systemen. Da die Brixton Pound Organisation auf Dauer allerdings Finanzierungsquellen benötigt, mag es sein, dass langfristig Mitgliedschaftsgebühren erhoben werden könnten (BRIORG1). Tony berichtet, dass er gerüchteweise von Plänen solcher Finanzierungselemente gehört habe: »they might need […] to just start charging a fee for using it, at which point it would probably die« (BRITN5). Er selbst würde zwar vielleicht nicht aussteigen, weil er weiß, dass seine Kundschaft die Mitgliedschaft erwartet. Dennoch sieht er in der Finanzierung durch teilnehmende Betriebe einen Widerspruch: »It is not that the fee will be very great, it’s just that it will defeat the objective of it, if you are trying to help small business… we don’t really need help to be honest. But if you did need the help then charging [you] is not really helping. It has a lot of inherent contradiction in it.« (BRITN5) Eine andere Form der Gebühren sind Rücktauschgebühren, die beim Umtausch von Regiogeld in Euro oder Sterling anfallen. Diese werden von einer Mehrheit der teilnehmenden Unternehmen bereitwillig getragen. Eine solche grundlegend offene Einstellung habe ich in allen drei Fallstudien beobachtet, wenn es gerade in Stroud auch gegenteilige Einschätzungen gibt. Dennoch können Rücktauschgebühren abschreckend wirken. In Brixton etwa weigerten sich viele Unternehmen, Regiogeld zu akzeptieren, als es noch das Bonus/Malus-System gab, das Rücktauschgebühren in Höhe von 10% vorsah. Es lässt sich also festhalten, dass ein Teil der Unternehmen bereit ist, Gebühren zu tragen, ein anderer Teil nicht. Letztere treten dem System nicht bei.
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Dass die teilnehmenden Unternehmen die Rücktauschgebühren nicht als problematisch wahrnehmen, hängt zum Teil sicherlich mit den insgesamt niedrigen Umsätzen zusammen. »I thought it was a small price to pay« (BRITN4), teilt Aman seine Einstellung zum ehemaligen Bonus/Malus System mit, das 10% Gebühren auf den Rücktausch beinhaltete. Insgesamt beschreibt er das Verhältnis von Beiträgen und Vorteilen als ausgeglichen, zumal dem geringen betrieblichen Vorteil auch geringe Kosten gegenüberstehen: »We didn’t have any financial gain from it or anything. If anything we paid for it. You can say that because you’re paying a ten percent deduction. But the intention was good, I think it’s really good so that’s the reason we participate.« (BRITN4) Kürzlich hat er sich bei der Organisation erkundigt, wie er seine Einnahmen auch betrieblich verwenden kann, damit er zur Bildung kleiner Kreisläufe beitragen kann. Nun hat Aman vor, demnächst »catering equipment« in beteiligten Läden zu kaufen und spart seine Brixton Pound Einnahmen. In Stroud stieß die Rücktauschgebühr allerdings auch bei vielen beteiligten Unternehmen überwiegend auf Ablehnung. Nach Beschwerden der Unternehmen wurde sie von anfänglich 5% auf 3% reduziert, blieb aber bestehen. Da sich die meisten Unternehmen zum Rücktausch gezwungen sahen oder zumindest den Rücktausch einer möglicherweise aufwändigen Suche nach Verwendungsmöglichkeiten gegenüber bevorzugten, fiel die Rücktauschgebühr für sie in der Regel an. Aufgrund dieser Eigenheiten des Stroud Pounds erläutert Nic, ursprünglich großer Unterstützer der Idee: »It became an annoyance.« (STRTN2) Er empfindet die Funktionsweise als zeitaufwändig und umständlich. Dabei nennt er neben der Demurrage eben auch die Rücktauschgebühr. Für ihn sind beides letztlich Ausgaben, die er als Geschäftsmann zu tätigen hat, wenn er Stroud Pound benutzt. Da er vergleichsweise hohe Gehaltskosten und nur sehr geringe Gewinnmargen aufweist, schmerzen ihn diese Mindereinnahmen. Es scheint auch ein einfaches buchhalterisches Mittel gefehlt zu haben, das den Unternehmen bei der Verrechnung von Stroud Pound hilft. Ähnlich unzufrieden sind die anderen Unternehmen auch: »Stroud Pounds were a nightmare« (STRTN1), formuliert es Debbie mit einem Seufzer. Die Gebühren beinhalten für die Buchhaltung das Problem, dass ein Stroud Pound nicht denselben Wert wie ein Pfund Sterling hat. Debbie hat nach Rücksprache mit anderen Buchhaltern eine Lösung gefunden, indem sie das Stroud Pound buchhalterisch als Fremdwährung führt und einen Wechselkurs von 1:0,97 anführt. Beide hätten sich Unterstützung von der Stroud Pound Genossenschaft gewünscht, insbesondere eine Vorbereitung auf die buchhalterischen Anforderungen. Ihrer Ansicht nach haben die Initiator*innen viele der alltäglichen Schwierigkeiten und insbesondere die Anforderungen der Unternehmen nicht bedacht. Nicht nur die Gebühren, sondern auch der mit dem Rücktausch verbundene zeitliche Aufwand rief Unzufriedenheit hervor. In der Stroud Pound Broschüre (Stroud Pound 2010) heißt es bereits, dass die Auszahlung von Pfund Sterling einige Tage oder Wochen dauern kann. In der Praxis gestaltete es sich so, dass diejenige, die
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Stroud Pound in Sterling umtauschen wollte, Regiogeld im Laden auf der Threadneedle Street abgab. Die Angestellten dort kontaktierten dann die Stroud Pound Genossenschaft, welche schließlich eine Überweisung tätigte. Die genaue Dauer hing meist auch davon ab, welche konkreten Personen involviert waren. »And we have different staff and some of them were doing it right and some of them were doing it wrong. It’s just messy.« (STRTN1) Auch im Buchladen werden mir die technischen Besonderheiten, insbesondere die Demurrage und die Umtauschgebühr als ursächlich für den mangelnden Gebrauch des Stroud Pounds genannt. Der Rücktausch sei aufgrund der langen Dauer »so annoying« (STRTN3) gewesen. Hieran zeigt sich nicht nur die Unzufriedenheit mit den Gebühren des Stroud Pounds, sondern die grundsätzlichere Problematik eingeschränkter Verwendungsmöglichkeiten und des kaum vorhandenen Kreislaufes. Denn bei Wiederverwendung des Stroud Pounds würden die Rücktauschgebühren nicht anfallen. Bernard betont daher, dass die Gebühren im Wesentlichen nicht dem Zweck der Einnahmenerzielung, sondern als Anreiz der Wiederverwendung dienen: »But I mean it’s not the major purpose to just raise some funds for a small community initiative. It’s got to keep moving around.« (STRORG1) Trotzdem werden die Gebühren von vielen Betrieben als nahezu unausweichliche Abgaben angesehen. Mehrere Interviewpartner*innen hielten auch Rücktauschgebühren und Demurrage nicht trennscharf auseinander. Für sie stellten beide Elemente sichere Ausgaben dar. Dies mag damit zusammenhängen, dass die meisten in den knapp zwei den Interviews vorausgehenden Jahren keine oder kaum Zahlungen mit Stroud Pound hatten und daher Details nicht mehr präsent hatten. Gleichwohl zeigt sich hier wieder, dass das Stroud Pound von den Unternehmen als zu kompliziert angesehen wird. Die Demurrage fällt sowohl für Konsument*innen als auch für Unternehmen an. Sie soll ja gerade zur schnellen Zirkulation anregen. Dese Vorstellung eines nicht wertstabilen Geldes wirkt besonders radikal und stößt auf vergleichsweise starke Ablehnung. Clare beschreibt, wie die ungewohnte Vorstellung, dass Geld systembedingt an Wert verlieren soll, auf Unverständnis stieß: »They didn’t have the idea … the thing about you pass them on and to encourage you to spend them rather than save them. […] I think that people didn’t just get that. It’s hard to explain because we’re in a society where you’re encouraged to save« (STRORG2). Ganz praktisch bedeutet die Demurrage, dass Transaktionen mit Stroud Pound etwas aufwändiger sind. Die Geldscheine stellen gerade für diejenigen Unternehmen mit viel Publikumsverkehr wie das Café oder den Pub eine gewisse Herausforderung dar. Die Mitarbeiter*innen müssten stets prüfen, ob ein Schein mit ausreichend Wertmarken versehen ist und seinen Nominalwert erhalten hat, oder ob Wertmarken fehlen. Dass dies verwirrend sein kann, beschreibt Nic: »That’s the problem that we found because they had a demurrage… People forgot about it… and my staff were busy… there is a queue and we don’t look and see and work out the day so
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is it six months from that day so you know, and then you had to get these stamps… so we ended up with most of our notes out of date« (STRTN2).
Wie Nic berichtet auch Miles von dieser Problematik. Gerade an vollen Tagen erwies es sich für ihn und die Angestellten als unmöglich, jeden Stroud Pound Schein zu überprüfen, zumal aufgrund der allgemein geringen Stroud Pound Zirkulation keine Vertrautheit mit den Scheinen aufkam. Der Pub nahm daher Stroud Pound an, unabhängig davon, ob Marken fehlten oder nicht. Auf solche Stroud Pound Noten kam dann beim Rücktausch anfangs ein Abschlag von fast 10% (5% Rücktauschgebühr zuzüglich Negativzins). Damit zeigten sich die Unternehmen außerordentlich unzufrieden. Sie fanden aber gemeinsam mit Bernard von der Stroud Pound Genossenschaft eine Lösung, die letztlich darauf hinauslief, dass sie nicht den vollständigen Nominalwertverlust zu tragen hatten. Miles empfindet aber die Demurrage grundlegend als unangebracht, nicht nur weil die notwendige Prüfung einen reibungslosen Zahlungsverkehr erschwert. Für ihn hat der Negativzins abschreckende Wirkung und hilft nicht, die Umlaufgeschwindigkeit zu steigern, sondern bewirkt eher die Nichtnutzung des Stroud Pounds: »It does not stimulate circulation. I think it has a negative effect. […] People like me who are taking the Stroud Pound said forget it« (STRTN4). Denn der Verlust der Wertstabilität bestraft Horten von Geld. Stabilität hält er aber für eine notwendige Voraussetzung. »What was also a problem within the scheme that I wasn’t very good with, is the fact that Stroud Pound devalues the longer you hold it. You know I don’t mind holding 50 quid upstairs for 6 months. But if it’s going to lose money then…« (STRTN4) sagt er schulterzuckend. Für Miles ist der Stroud Pound eben kein echtes Geld, da er es nur sehr eingeschränkt und nicht für reguläre betriebliche Ausgaben verwenden kann. Für ihn lag gerade in der utopischen Dimension einer geldlosen Welt die Attraktivität des Stroud Pounds. Die Demurrage sieht er nun als eine Art Bestrafung dafür an, dass er sich zur Annahme von Stroud Pound bereit erklärt hat.14
14 Die Negativzinsen, gepaart mit dem geringen Umsatz, sind ein wesentlicher Grund dafür, weshalb der Pub aus dem Stroud Pound Ende 2012 (also nachdem die Zirkulation bereits kaum mehr funktionierte) ausgestiegen sind. Miles sagt aber, dass er trotzdem noch Stroud Pound akzeptieren würde, wenn eine Kund*in damit zahlen wolle. »So I was just starting thinking […] it’s devaluating out here and it’s not going to make much difference to my business. So I’m going to get out of this scheme, cash this money and say okay we had a go. It wasn’t great, you know« (STRTN4). Miles würde bei einem Relaunch dennoch wieder mitmachen, sofern keine Demurrage implementiert und der Rücktausch einfacher gestaltet wird. Negativzinsen hält er nicht mehr für vermittelbar.
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10.2.2 Bewertung von Umfeld und Interaktionen Nach der Darstellung der Einschätzungen spezifisch betrieblicher Erfahrungen mit Regiogeld behandelt dieser Abschnitt die Perspektiven der teilnehmenden Unternehmen auf ihr Umfeld innerhalb des gesamten Regiogeldnetzwerkes. Dieses Umfeld meint zunächst (a) die Interaktion mit der Organisation sowie (b) Beziehungen zu Konsument*innen. Abschließend gehe ich kurz (c) auf die entscheidende Bedeutung kommunaler Akteur*innen ein. Organisationsstruktur und Prozesse Auf die unterschiedlichen Organisationsstrukturen habe ich in den Vorstellungen der drei Fallbeispiele bereits hingewiesen (vgl. 9). In diesem Abschnitt zeige ich Gemeinsamkeiten auf, die die Einschätzung der das Regiogeld herausgebenden Organisation durch die teilnehmenden Unternehmen betreffen. Diese Gemeinsamkeiten beziehen sich vor allem darauf, dass die Unternehmen ihre Bedürfnisse und Anforderungen teilweise nicht ausreichend berücksichtigt sehen. Eine solche negative Beurteilung findet sich vor allem in Stroud, aber, in deutlich geringerem Ausmaß, auch in Brixton und Vorarlberg. Gerade in Vorarlberg zeigt sich jedoch auch eine große Zufriedenheit mit der Begleitung durch die Allmenda. In Stroud sind alle Interviewpartner*innen mit den Ausgestaltungen des Regiogeldes unzufrieden. Dabei erwähnen sie konkrete Eigenschaften wie die Demurrage, äußern darüber hinaus aber grundlegende Kritik an den Entscheidungsprozessen und Abläufen mit den Organisationen. Nic reflektiert einerseits, dass er selbst vermutlich nicht genügend Zeit investiert hat, um sich mit den Besonderheiten des Stroud Pounds vertraut zu machen und sich auf die Anforderungen vorzubereiten. Andererseits hätte er sich von der Stroud Pound Genossenschaft diesbezüglich mehr Unterstützung gewünscht. Aus seiner Sicht zeigt sich, dass die Initiator*innen des Stroud Pounds die Perspektive der Unternehmen nicht genügend beachtet haben. »So something I would say, if you’re introducing local currency, the people running it need to be really clear with the businesses: Where the benefit is? What structure they need to look, to put in place to minimize the loss? I should’ve done that but it is only later that I realized. They didn’t even think about it« (STRTN2).
Das Gefühl, dass die Unternehmensperspektive von der Stroud Pound Organisation bei der Gründung und auch danach nicht genügend berücksichtigt wurde, teilt Nic mit anderen Unternehmen. Sie fühlen sich nicht ausreichend repräsentiert und führen den Misserfolg des Stroud Pounds zum Teil auch darauf zurück, dass die Betriebe nicht in das Design einbezogen wurden. Die Ziele der Organisation sind schließlich
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nicht deckungsgleich mit den Zielen der beteiligten Unternehmen. Letztere vermuten, dass das Stroud Pound aus Sicht der Konsument*innen, weniger aus Sicht der Unternehmen konzipiert wurde. Konkret fühlen sich einige Interviewpartner*innen gewissermaßen objektiviert, als Mittel zum Zweck der Zirkulation des Stroud Pounds und der »consumer education« eingesetzt (Scott-Cato/Suárez 2012), und vermuten damit eine Zweck-Mittel-Umkehr, insofern das Stroud Pound durch seine Zirkulation ja umgekehrt die lokalen Unternehmen fördern sollte.15 Nic konstatiert dabei durchaus selbstkritisch, dass der Misserfolg des Stroud Pounds bei all den von ihm genannten inhärenten Schwächen auch auf der mangelnden Unterstützung der Unternehmen selbst beruht. So bezeichnet er sich selbst als sehr enthusiastisch, aber auch träge. Mit dem Satz »I’m quite lazy« (STRTN2) erkennt er sein eigenes Verhalten als Teil des Problems an. Seinem grundsätzlichen Interesse und dem Enthusiasmus für das Projekt stehen seine Trägheit und sein mangelndes Commitment entgegen. Denn er begeistert sich auch für andere Projekte, gehört aber nicht zu denjenigen, die dann in mühevoller stetiger Kleinarbeit ein solches Projekt zum Laufen bringen und am Leben halten. Dazu ist in seiner eigenen Einschätzung seine Begeisterungsfähigkeit zu breit gestreut und (aufs einzelne Projekt gesehen) nicht nachhaltig genug. Die Mitglieder geben also an, dass ihre Ansichten, Ziele und Perspektiven vernachlässigt wurden, dass die Initiator*innen und das Management der Stroud Pound Genossenschaft zu wenig auf ihre Bedürfnisse geachtet habe. Gleichwohl bestanden für die Mitglieder Möglichkeiten der Interessenartikulation und der Beeinflussung des Systems. Das zeigt sich etwa daran, dass in Stroud die Rücktauschgebühren von 5% auf 3% reduziert wurden. Auch haben sich Bernard und die Unternehmer*innen auf flexible Lösungen verständigt, was die Handhabung ausstehender Zahlungen der Demurrage betrifft. Einige Interviewpartner*innen gestehen auch dezidiert zu, dass sie ihre Partizipationsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft haben und etwa nicht auf die Einladungen zu Mitgliedsversammlungen reagiert haben. Das Szenario ist typisch für Initiativen, die auf ein hohes Maß an freiwilligem Engagement der Beteiligten angewiesen sind. Es fehlt an Freiwilligen, die so viel Zeit investieren, dass ein engerer Kontakt zu den Unternehmen möglich ist und Hilfestellungen angeboten werden können. Die einfachen Mitglieder haben das Gefühl, dass es ihnen an Unterstützung mangelt, sind aber nicht in der Lage oder nicht willens, selber den erforderlichen 15 Diese Einschätzung steht nicht im Widerspruch zu den in Abschnitt 10.1 herausgearbeiteten Partizipationsmotivationen. Schließlich geht es vielen beteiligten Unternehmen nicht darum, spürbar von der Partizipation beim Stroud Pound zu profitieren. Sie selbst halten sich vielmehr zumindest gleichzeitig als Unterstützer*innen des Stroud Pounds. Überwiegend herrscht aber eine Erwartung ausgeglichener Reziprozität vor. Die Unternehmen möchten ihrem Aufwand auch einen Nutzen gegenübersehen – oder ihren Aufwand gering halten.
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Aufwand zu betreiben und die erforderliche Zeit zu investieren, um an Problemen zu arbeiten. Dies beginnt bei der Kenntnis über die konkrete Funktionsweise des Stroud Pounds und seiner Gebühren. Stroud Pound ist eine Genossenschaft und somit von der Satzung her eine demokratische, von den Mitgliedern selbst verwaltete und gesteuerte Organisation. Die in der Genossenschaftsliteratur bekannte Problematik mangelnder Mitgliederpartizipation (klassisch Fürstenberg 1995:55-64) tritt in der Stroud Pound Genossenschaft sehr deutlich hervor. Viele der Interviewpartner*innen konnten sich nicht daran erinnern, ob bzw. dass sie Mitglieder der Genossenschaft sind oder waren. Einige erinnerten sich daran, eine geringe Aufnahmegebühr bezahlt zu haben, aber dass sie durch den Erwerb von Anteilen selbst Anteilseigner der Genossenschaft sind und somit auch Einfluss auf die Tätigkeiten haben, ist vielen unbekannt. Nic verneint zunächst etwa, Mitglied der Genossenschaft zu sein. Im Verlaufe des Gesprächs kommt aber heraus, dass er sehr wohl mit seinem Café als Mitglied auch die Aufnahmegebühr gezahlt hat. Er nahm auch zweimal an Versammlungen des Stroud Pounds teil. Er berichtet, wie er auf diesen Veranstaltungen jedes Mal aufs Neue verstanden hat, wie das System funktioniert und warum sich die Unterstützung lohnt – »and then two weeks later my staff come in and go, ›why are we doing this, it’s really stupid‹, I thought, ›oh, I’m not pretty sure myself‹ you know, I would just forget...« (STRTN2). Gerade weil das Stroud Pound vergleichsweise anspruchsvoll und die Vorstellung eines Negativzinses für viele zumindest erklärungsbedürftig ist, ist regelmäßige Aufklärung wichtig. Nic, weiterhin im Grundsatz ein Befürworter komplementärer Währungen, nennt deshalb auch Education als wichtigstes Element; seiner Ansicht nach müsste den teilnehmenden Betrieben regelmäßig vermittelt werden, warum das Stroud Pound in vielerlei Hinsicht anders funktioniert als herkömmliches Geld. Auch die Initiator*innen des Stroud Pounds sind sich der Komplexität und der Notwendigkeit von Erklärungen und regelmäßiger Information grundsätzlich bewusst. Sie verweisen darauf, viel Aufklärungsarbeit geleistet zu haben. Aus ihrer Sicht waren viele der Mitglieder schlicht nicht aktiv genug und haben sich nicht ausreichend engagiert, etwa bei der Suche danach, wie sie den Stroud Pound verwenden können. Schließlich zeigt sich, dass kreative Lösungen gefunden werden können. Die mangelnde Aktivität drückt sich aber auch in der geringen Partizipation an Entscheidungsfindungen und den regelmäßigen Treffen aus. Wie in Stroud, sehen auch in Brixton einige Unternehmer*innen das Regiogeld nicht als Werkzeug zur Förderung lokaler Unternehmen. Ein Friseur etwa äußert seine Unzufriedenheit mit dem Auftritt des Brixton Pounds den Unternehmen gegenüber. Ihn stört, dass ihm von der Organisation erläutert wird, welche Marketingvorteile und Vereinfachungen im Zahlungsverkehr das Brixton Pound biete. Er mag keine »academics, people from outside, you know« (BRITN7) die von außen kommen und ihm sagen, wie er sein Geschäft führen soll, »people who might not even
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know how to run a business at all« (BRITN7). Den Slogan, Brixton Pound sei »there to support local businesses« (Brixton Pound o.J.), kann er nicht nachvollziehen. Nic erkennt auf Basis seiner Erfahrungen ebenfalls starke Begrenzungen des Brixton Pounds als Mittel der konkreten Förderung kleiner Unternehmen. Auch er hat das Gefühl, dass die Ausgestaltung des Brixton Pounds nicht so sehr von der Seite der Unternehmen, sondern der Konsument*innen her gedacht wurde. Dafür bringt er ein gewisses Maß an Verständnis auf: »I kind of think in a way it’s almost better for the consumer than it is for the business. […] I think the system was built with the consumer in mind rather than the business which is kind of fine in a way because basically, you know, the rest of the finance system benefits, you know, the institution and the businesses rather than the consumer, I think.« (BRITN3)
Trotz dieser Einschätzung fällt seine Bewertung positiv aus; insgesamt bleibt Nic weiterhin Anhänger des Brixton Pounds. Doch er stellt ebenfalls Probleme in den Abläufen fest. Das Brixton Pound bereitet ihm Schwierigkeiten, da er zu wenig Verwendungsmöglichkeiten hat (vgl. 10.3.). Hier wünscht er sich mehr Unterstützung von der Organisation: »So with Brixton Pound, you know, it will be great if they could help us find ways to keep the cycle moving basically because I find personally the cycle kind of stopped at me a little bit and, you know, I got all this money coming in« (BRITN3). Die Organisation sollte noch stärker Hilfestellung bei der Frage anbieten, wo das Regiogeld verwendet werden kann. Ihm schwebt ein Ausbau der Informationsplattform und der Datenbank vor, denn den einzelnen Betrieben mangelt es an Informationen, nicht aber an Willen: »[I]t would be really good if the Brixton Pound Organization became kind of facilitator, […] if the scheme somehow enabled the businesses to use their money in the community better. Because […] I love supporting the community, you know, other local businesses, and working with other people in the community. But my repertoire like the options I get or places I can spend my Brixton Pounds, they are a little bit limited for me personally which is why I keep ending up with lots of money in my account« (BRITN3).
Hinsichtlich der Organisationsgestaltung unterscheidet sich das Brixton Pound vom Stroud Pound dadurch, dass es als nichtgenossenschaftliche Organisation keinen formalisierten Mechanismus für die Unternehmen gibt, mit dem sie an Entscheidungen teilhaben können. Außerdem handelt es sich bei ihr nicht um eine mitgliedergetragene Organisation, so dass die teilnehmenden Betriebe Entscheidungen nicht (mit)treffen können. Gleichwohl zeigen verschiedene Veränderungen seit der Gründung, dass letztere sehr wohl Einfluss haben. So wurde das Bonus/Malus-System aufgrund von Beschwerden teilnehmender und nichtteilnehmender Unternehmen abgeschafft (BRIORG2). Denn die regelmäßigen, monatlich stattfindenden, informellen
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Versammlungen erleichtern es der Organisation, Informationen von Außenstehenden einzuholen. Viele Sympathisant*innen nutzen solche Treffen als erste Kontaktmöglichkeit. Während eines solchen Treffens berichten mir zwei selbstständige Unternehmer*innen, dass sie seit Anfang 2014 Brixton Pound annehmen; vorher sei es ihnen aufgrund der Rücktauschgebühren nicht möglich gewesen (Feldnotiz, 4.3. 2013). In Vorarlberg begleitet die Allmenda Genossenschaft als Herausgeberin der Komplementärwährungen die teilnehmenden Unternehmen. Diese können entweder ausschließlich der Währung oder auch der Allmenda selbst beitreten, wenn sie sich einbringen wollen oder weitere Mitglieder-Geschäftsbeziehungen zur Allmenda aufbauen möchten. Hinsichtlich der Einschätzungen der Organisationsprozesse seitens der teilnehmenden Unternehmen stellt das Komplementärwährungssystem insofern einen Sonderfall dar, als dass mit der Einführung von Mitgliedschaftsgebühren viele Unternehmen ausgetreten sind. Bei den teilnehmenden Betrieben während meines Forschungsaufenthaltes im Jahr 2014 handelt es sich also um solche, die sich dezidiert für den Verbleib im System entschieden haben. Dies ist ein Grund für das vergleichsweise hohe Ausmaß an Zufriedenheit. Ein weiterer Grund scheint in der professionellen Begleitung durch die Mitarbeiter*innen der Allmenda und den Ehrenamtler*innen im Talente Tauschkreis zu liegen. Denn negative Einschätzungen und Unzufriedenheit beziehen sich in den von mir durchgeführten Interviews stets auf einzelne Aspekte, wie etwa den geringen Umsatz und die Gebühren nicht aber konkret auf die Prozesse und die einzelnen Entscheidungen der den VTaler herausgebenden Organisation. Konsument*innen Dieser Abschnitt liefert eine kurze Auseinandersetzung mit grundlegenden Einschätzungen der Unternehmen mit Blick auf die Konsument*innen, die das Regiogeld verwenden. An dieser Stelle geht es nicht um eine systematische Erfassung aller Nutzer*innen, sondern um eine Erfahrung, die viele Unternehmen in Brixton, Stroud und Vorarlberg teilen: Es handelt sich überwiegend um einen Kern von regelmäßigen Nutzer*innen von Regiogeld. Damit ist die Frage aufgeworfen, welche Boundaries mit Blick auf Konsument*innen bestehen. Darüber, dass der Umsatz in Regiogeld im Kern auf eine Art Stammnutzer*innenschaft zurückzuführen ist, sind sich die meisten Betriebe einig. Dass Regiogeld überwiegend von überzeugten Änhänger*innen verwendet wird, zeigt sich in verschiedenen Unternehmen. Im Kindermodeladen sind es »zwei Kundschaften, die mit VTaler zahlen, die auch immer wieder kommen« (VORTN2TT). Damit erzielt sie aber lediglich »ab und zu« Einnahmen in VTalern. Auch im beteiligten Supermarkt verwenden meist dieselben Personen VTaler, die Kassiererin erinnert sich konkret an eine Person, die regelmäßig mit Regiogeld zahlt (Gesprächsnotiz, 24.11.2014).
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In Stroud gab es auch während der längeren Phase des Niedergangs des Stroud Pounds immer noch einzelne Kund*innen, die mit Regiogeld zahlten. So nennt Nic einen Stammkunden seines Cafés, ein Mitglied der Stroud Pound Genossenschaft, und Miles einen häufigen Gast im Pub, und auch im Buchladen bezahlte eine Kundin regelmäßig noch mit Stroud Pound. Diese vereinzelten Zahlungen liefen aber spätestens im Jahr 2013 aus. Miles erklärt, dass 2012 und 2013 im Pub höchstens noch einmal im Monat mit Stroud Pound gezahlt wurde. In Stroud ist die Reputation des Stroud Pounds bei den teilnehmenden Geschäften stark gesunken, so dass es sehr deutlich als nachteilhaft empfunden wurde. Debbie berichtet in diesem Zusammenhang von einer Kundin, die früher regelmäßig im Charity Shop Sterling gegen Stroud Pound eingetauscht hatte. Sie ist auch lange nachdem der Gesamtumsatz des Stroud Pounds rückläufig wurde noch eine aktive Unterstützerin des Stroud Pound gewesen. Das letzte Mal, als sie in den Charity Shop kam, wollte sie aber keine Stroud Pound mehr erwerben, weil die Händler*innen das Stroud Pound nicht mehr unterstützten und es nicht gerne annahmen. Diese Kundin konsumiert weiterhin bei denselben kleinen lokalen Geschäften, zahlt aber nicht mehr in Stroud Pound, da sie das Gefühl hat, dass sie die Unternehmen mit Sterling stärker fördert (STRTN1).16 Auch in Brixton haben einige der teilnehmenden Unternehmen einen sehr kleinen Kreis an Kund*innen, die mit Regiogeld zahlen. Die Aussage, »I rarely have one or two clients paying in BP« (BRITN7), ist daher typisch in ihrer Art, wenn auch extrem mit Blick auf die sehr niedrige Zahl an Regiogeldnutzer*innen. »The only people who spend them in here virtually are the sort of core supporter to the transition town movement…«, schildert Tony (BRITN5). Demgegenüber schätzt Sara das Brixton Pound weniger als Zahlungsmittel innerhalb der Transition Community, sondern mehr als Zahlungsmittel innerhalb einer Art neugieriger, teilweise technologiebegeisterter Mittelschicht ein. Sie bringt es auch nicht sehr mit »echten Brixtonern« in Verbindung. »I think there are more people from outside Brixton who use it than from inside Brixton.« (BRITN1) Für sie ist das Brixton Pound auch Ausdruck eines bestimmten Lebensstils, den sie sich nicht einmal leisten könnte, wenn sie es wollte. So wohnt sie aufgrund der Mietsteigerungen seit zwei Jahren nicht mehr in Brixton. Damit entspricht sie selbst ihrer Einschätzung nach nicht den Kernnutzer*innen, deren Lebensstil sie als »very urban« bezeichnet und deren Einkommen höher sei als ihres. Sie fährt fort und fasst ihren unter dem Strich immer noch positiven Gesamteindruck zusammen: »Their customers are young and kids and I think it’s really cool that they get challenged on 16 In Brixton wie in Vorarlberg sind sich die Unternehmen einig, dass das Regiogeld zwar möglicherweise keine großen wirtschaftlichen Wirkungen hat, aber dennoch vom Ansatz her lokalen Konsum fördert. Damit wird eine Zahlung in Regiogeld unter anderem begriffen als eine symbolische Aussage der intendierten Unterstützung des regionalen Sozialwirtschaftsraums.
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what the value of money is and what a currency is. So I like it on the whole […] It’s pretty cool that there is that sort of mind-blowing thing of thinking about ›what is money?‹« (BRITN1). Auf der anderen Seite sieht sie in vielen Nutzer*innen des Brixton Pounds nicht Personen, die sich mit den transformativen Zielen des Transition Towns Movements identifizieren. Für sie sind dieser Charakter und somit die grundlegenden politischen Ziele mehr und mehr verloren gegangen. Tony von Brixton Wholesales steht sowohl der Idee eines lokalisierten Geldes als auch dem Versuch, Leute von der Überlegenheit lokalen Konsums zu überzeugen, sehr kritisch gegenüber. Dies hängt damit zusammen, dass Regiogeld seiner Ansicht nach systembedingt lediglich von einem recht kleinen Teil der Bevölkerung genutzt werden kann. Zwar erkennt er, dass lokaler Konsum unabhängige Unternehmen stärkt, jedoch verweist er darauf, dass die Fähigkeit zu lokalem Konsum unter anderem auch von verfügbaren finanziellen Mitteln abhängt, somit viele Personen prinzipiell nahezu ausgeschlossen werden: »I understand why some people don’t like the supermarkets, but when you have very little money, you have very little choice. Some people can choose whether they want to shop locally, some people have no choice, in fact they would maybe shopping locally before and suddenly when they haven’t got a job or they have got half a job, they have to go where they can.« (BRITN5).
Teilnahme am Regiogeldkreislauf bedeutet tendenziell, höhere Ausgaben für Gebrauchsgüter tätigen zu können, da in der Regel kleine unabhängige Händler*innen höherpreisige Produkte anbieten. »So encouraging people to shop locally is okay […] yet it applies to those who have the freedom to choose only…« (BRITN5). Tony drückt hier die Skepsis an der Vorstellung des Regiogeldes als Repräsentant des gesamten Brixtoner Sozialraumes aus. Er sieht im Brixton Pound nicht ein Symbol der gesamten, stratifizierten Brixtoner Gemeinschaft, sondern »pretty much a middle class idea for middle class people« (BRITN5). Tonys Kritik, dass das Brixton Pound lediglich für die Mittelschicht funktionieren kann, da nur diese in der Lage ist, lokalen Konsum zu tätigen, hängt eng mit der Gentrifizierung und der neuen Reputation Brixtons als »vibrant and fashionable, entrepreneurial« (BRITN5) zusammen. Jedoch sieht Tony im Brixton Pound keinesfalls einen eigenständigen Treiber der Gentrifizierung. Dazu sei das Brixton Pound viel zu klein und letztlich zu wenig bedeutend. »I think the Brixton Pound was always worth more of a gimmick, it attracted a news coverage, a lots of it« (BRITN5). Aufmerksamkeit kommt mehr von außen als von Menschen in Brixton selbst. Diese Sichtweise betont die sozioökonomischen Abgrenzungen, die mit der Verwendung von Regiogeld einhergehen. Aus einer anderen Sicht wird hingegen die symbolische Integrationskraft von Regiogeld betont. Diese zweite Perspektive hängt stärker mit der Wahrnehmung des eigenen Betriebes zusammen, die sich nicht nur
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auf eine engere Verbindung mit anderen Betrieben, sondern auch mit der Kundschaft bezieht. Hierfür steht Nic, der sein Restaurant und den angrenzenden Laden als Teil einer Community, der sowohl benachbarte Geschäfte und Restaurants als auch die vielen Kund*innen angehören, versteht. Er spricht von zwei Arten von Stammkundschaft und Unterstützer*innen. Einerseits Kund*innen aus Brixton, die regelmäßig einige Produkte im Laden kaufen und auch abends zu besonderen Anlässen im Restaurant dinieren, wenn sie etwa Gäste zu Besuch haben. Andererseits nennt er eine Gruppe von »Supporters« die nicht aus Brixton stammen, sich aber mit dem Konzept der regionalen, biologischen Küche und dem Image seines Restaurants identifizieren. Diese Gruppe erscheint seltener im Laden oder im Restaurant, wirbt aber viel in den Sozialen Medien. Nic sieht hierin nicht nur eine Bestätigung seines Konzeptes, sondern hat auch das Gefühl, Teil einer gewissen Gemeinschaft zu sein. Daher spricht er nicht von Kund*innen oder Gästen, sondern von Unterstützer*innen. »And they love […] the idea of local produce and they love crafters, like chef making…« (BRITN3). Er differenziert zwischen einer »community as a geographic thing and as a mindset thing which is important as well« (BRITN3). Diese beiden Arten der Gemeinschaftlichkeit macht er auch für das Brixton Pound aus. Es gibt viele außerhalb Brixtons, die sich dem Brixton Pound verbunden fühlen. Dieses stellt im Kern aber einen Ausdruck der sozialräumlichen Gemeinschaft in Brixton dar. Für Nic symbolisiert es den engen Zusammenhalt zunächst der Geschäftsleute in und um die überdachten Märkte und darüber hinaus prinzipiell aller Brixtoner*innen. Hier stehen sich exemplarisch Nics und Tonys Auffassungen gegenüber. Tony ist nicht nur wegen des seiner Ansicht nach vergleichsweise hohen erforderlichen sozioökonomischen Status potenzieller Nutzer*innen ein Skeptiker von Regiogeld. Er hält auch die Begrenzung auf einen geographischen Raum für ungeeignet: »And it seemed like Brixton was declaring financial war on Streatham or Stockwell [benachbarte Bezirke in London, PD]. It says shop here and don’t go near anybody else and it seems a rather self-centered […] attitude anyway. ›We just care for Brixton we don’t care about anyone else.‹ Yet really we live in a world where more and more we have to care about everybody and not look after oneself because that’s what caused the problem. […] I think Brixton tends to focus very strongly on itself.« (BRITN5)
Eine Wiederbesinnung auf Lokalität und Regionalität ist für ihn keine Antwort auf die globalen Probleme. Dies gilt besonders, wenn wie im Falle Brixtons der Lokalraum strikt abgegrenzt wird von Nachbargebieten, welche allerdings untrennbar miteinander verwoben sind. Innerhalb einer so großen Stadt wie London macht sich dies besonders bemerkbar. Daher hält er Regiogeld für besser geeignet in Kleinstädten wie Totnes (BRITN5).
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Kommunale Akteur*innen Dass die Kommunen einen wichtigen Beitrag zur Funktionsfähigkeit von Regiogeldsystemen leisten können, ist bereits angesprochen worden. Die Erfahrungen der Unternehmen zeigen, dass gerade die Möglichkeit, kommunale Abgaben mit Regiogeld tätigen zu können, eine enorme betriebliche Erleichterung im Umgang mit der KOmplementärwährung darstellt. Auf die Bedeutung dieser Verwendungsmöglichkeit komme ich im nächsten Kapitel (10.3) zurück. Die ökonomische Funktion der Kommunen bezieht sich in dieser Hinsicht auf die Akzeptanz von Regiogeld. Gleichermaßen können Kommunen aber auch Regiogeld in den Kreislauf speisen. In Langenegg etwa werden Förderleistungen in Talenten ausbezahlt (VORORG4). Analog schlägt Aman in Brixton vor, dass der Council Grants in Brixton Pound auszahlen solle, um die Verbreitung zu erhöhen (BRITN2). Stroud fungiert in gewisser Hinsicht als Beispiel, das Schwierigkeiten bei mangelnder Unterstützung durch die Kommune aufzeigt. Hier vermuten viele teilnehmenden Unternehmen einstimmig, dass die Erfolgschancen des Regiogeldes größer gewesen wären, wenn sich der Council beteiligt hätte (STRTN1, STRTN2, STRTN4). Auch ein Buchhändler glaubt, dass das Regiogeld im nahegelegenen Bristol genau deswegen besser funktioniert, weil dort von Anfang an Wege gesucht und gefunden wurden, um die Geschäfte und Betriebe einzubeziehen. Gerade die Einbindung der »local authority« erscheint ihm ein wichtiger Schritt zu sein: »And once you’ve got the local authority involved it gives it a credibility that’s very difficult to achieve otherwise« (STRNT1). Indem sie das Regiogeld akzeptiert, erfüllt die Gemeinde für den Kreislauf zunächst eine ökonomische Funktion. Gleichzeitig erhöht die Akzeptanz der Gemeinde aber allgemein die Reputation von Regiogeld. Die mögliche Auszahlung eines Teils der Gehälter in Brixton Pound symbolisiert die Unterstützung durch den Council deutlich und regt Mitarbeiter*innen zur Verwendung von Regiogeld an. Diese Wirkung liegt weniger in der tatsächlichen Höhe dieser Zahlungen begründet, sondern eher im Symbolischen. Befürworter des Lambeth Pounds verweisen darauf, dass ein council-weites Regiogeld größere Potenziale habe, nicht nur, weil das Einzugsgebiet insgesamt größer ist, sondern auch, weil sich dem Council dadurch weitere Möglichkeiten der aktiven Einbindung bieten würden (Feldnotiz, 4.3.2014). Die Möglichkeit, Abgaben beim Council elektronisch über Brixton Pound abzuwickeln, funktionierte anfangs noch nicht reibungslos. So hat ein Geschäftsmann in Brixton einige Zeit vor unserem Gespräch, Ende 2013, versucht, seine lokalen Abgaben, die Business Rates, beim Lambeth Council in Brixton Pound zu bezahlen. Dort wusste aber noch niemand von dieser Möglichkeit. Er musste sich zunächst an die Brixton Pound Organisation wenden, und diese klärten das Problem (Feldnotiz, 22.02.2014). Erneut zeigt sich, dass die Regiogeldorganisationen als Vermittler*innen auftreten und aktiv mithelfen, Matching-Probleme zu lösen.
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In Langenegg nimmt die Gemeinde eine selbst im Vergleich zu Brixton besonders bedeutende Stellung ein, da sie in weit größerem Ausmaß Langenegger Talente annimmt und auszahlt. Durch ihre Verwendung des Regiogeldes macht sie dessen Praktikabilität deutlich und verleiht ihm Legitimität. »In Langenegg, da ist die Gemeinde ein Pusher. Und da kannst du die Müllgebühren mit VTalern zahlen und die Sportförderung an die Vereine ist in VTaler« (VORTN5a). Die Unterstützung durch die Gemeinde lässt Hemmschwellen sinken, das Regiogeld einmal auszuprobieren. »Denn dann sieht man: es sind nicht nur totale Freaks dabei« (VORTN5b). Auf die wichtige Stellung kommunaler Akteur*innen komme ich in Abschnitt 10.3 zu den Verwendungsweisen von Regiogeld zurück. 10.2.3 Kurzzusammenführung der Unternehmenserfahrungen Einig sind sich die teilnehmenden Betriebe darin, dass sie vom Regiogeld nicht unmittelbar profitieren und Regiogeld sie nicht direkt betrieblich fördert oder stärkt. Hier offenbart sich eine Diskrepanz zwischen den Zielen und der Einschätzung vieler in den Regiogeldorganisationen aktiver Personen einerseits und denen der beteiligten Unternehmen andererseits. Die Erfahrungen der Unternehmen zeigen, dass der Umsatz mit Regiogeld insgesamt sehr gering ist und nur wenige Kund*innen mit Brixton Pound, Stroud Pound oder VTaler zahlen. Da gleichzeitig auch die Mehrzahl der Lieferanten*innen und Handelspartner*innen kein Regiogeld akzeptiert (zumal diese überwiegend nicht der Region entstammen), erweist sich der Auf- und Ausbau regionaler wirtschaftlicher Kreisläufe mit Regiogeld als Tauschmittel als überaus schwierig. Den Marketingeffekten stehen Aufwand und Kosten entgegen. Zum Aufwand gehören im Falle von Papiergeld die erhöhten Transaktionskosten der Kassenhaltung und des Rücktausches. Demgegenüber werden bargeldlose Zahlungsmechanismen bevorzugt und überwiegend sehr positiv bewertet. Dies bezieht sich insbesondere auf die simple, als praktisch empfundene pay-by-text-Möglichkeit des Brixton Pounds. Die Gebühren und weitere direkte und indirekte Kosten werden übereinstimmend als relevant angesehen. Es scheint, dass Gebühren dann akzeptiert werden, wenn sie moderat ausfallen. Deutlich wird, dass gerade die Unternehmen in Stroud mit der dortigen komplexen Ausgestaltung der verschiedenen Gebührenformen (Mitgliedschaft, Demurrage und Rücktauschgebühr) sehr unzufrieden sind. Die unterschiedlichen Ansichten gehen mit Unterschieden der Bewertung der Organisationsstrukturen und Prozesse einher. Im Falle des Stroud Pounds, das ausschließlich von ehrenamtlich Tätigen getragen wird, fühlen sich viele Unternehmen nicht repräsentiert und zu wenig unterstützt. In Brixton und Vorarlberg findet sich deutlich weniger Kritik. Hier ist der Grad der Professionalität höher, was sich alleine in der Tatsache zeigt,
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dass in der Allmenda Genossenschaft und in der Brixton Pound CIC neben ehrenamtlich Tätigen auch beschäftigte Mitarbeiter*innen arbeiten. Damit sind die Kapazitäten zur Begleitung der Unternehmen und Möglichkeiten der Problemlösungen deutlich höher. Gleichwohl beruhen auch diese überwiegend auf ehrenamtlichem Engagement. Für die Wahrnehmung und Bewertung der Organisationsprozesse sind unter anderem eigene Einflussmöglichkeiten bedeutsam. In Stroud zeigte sich trotz der genossenschaftlichen Organisation ein mangelnder Ownership-Gedanke und eine unzureichend ausgestaltete Mitwirkung der Unternehmen. In der Hirschmanschen Terminologie (Hirschman 1970) gesprochen: Ihre Unzufriedenheit drückten viele durch Exit aus, andere blieben loyal. In Brixton hingegen ist es in höherem Maße gelungen, Voice, also Widerspruch der teilnehmenden Unternehmen, zu ermöglichen und einzufangen, indem durch Design-Änderungen reagiert wurde. Beim VTaler ist eine recht hohe Zufriedenheit mit der Allmenda Genossenschaft feststellbar, und dies nicht nur bei denjenigen Unternehmen, die auch Mitglied des Tauschkreises sind. Schwierigkeiten werden tendenziell als strukturelle oder sachliche Probleme gesehen, weniger als von der Allmenda oder der spezifischen Steuerung verursacht. Zum Umfeld aus Unternehmensperspektive gehören neben den Regiogeldorganisationen insbesondere die Konsument*innen. Hier zeigt sich deutlich, dass Regiogeld innerhalb seiner Einzugsgebiete nicht von allen, sondern nur von einem kleinen Teil der Verbraucher*innen genutzt wird. Es handelt sich hierbei mehrheitlich, wenn auch nicht ausschließlich, um überzeugte Sympathisant*innen. Dazu kommen Neugierige, die innovative Zahlungsformen ausprobieren möchten. Viele der Unternehmen berichten von einem kleinen Kreis Kund*innen, die Regiogeld regelmäßig nutzen und für den größten Teil des Umsatzes sorgen. Die Boundaries, Abgrenzungen gegenüber Nichtnutzer*innen, basieren neben ideologischen auch auf sozioökonomischen Faktoren. Regiogeld bezieht nicht alle Bewohner*innen in seiner Geltungssphäre ein, sondern grenzt etwa ökonomisch Schwächere trotz gegenteiliger Bemühungen und Absichten der Organisationen aus. Zentrale Akteur*innen im Umfeld der Unternehmen können Gemeinden sein. Dies zeigt sich faktisch insbesondere in Brixton und Langenegg, wo die Gemeinden durch Anerkennung des Regiogeldes wichtige ökonomische und symbolische Funktionen für den Kreislauf einnehmen. In Stroud hingegen wird die Unterstützung durch die Gemeinde vermisst; zum Teil sind die Probleme unzureichender Zirkulation auf die Abwesenheit einer kommunalen Teilnehmerin zurückzuführen.
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10.3 VERWENDUNGEN VON REGIOGELD Im vorangegangenen Abschnitt habe ich ausführlich die Erfahrungen und Einschätzungen der teilnehmenden Unternehmen mit dem Umgang der Regiogelder sowie als Mitglieder der herausgebenden Organisationen erörtert. An verschiedenen Stellen habe ich angedeutet, dass der insgesamt geringe Umsatz mit den eingeschränkten Verwendungsmöglichkeiten in Verbindung steht. Diese Beschränkung ist zu einem großen Teil gewollt, da Regiogeld ja gerade innerhalb lokaler, kleiner, unabhängiger Unternehmen zirkulieren soll. Zu solchen Kreisläufen kommt es allerdings nur in Ansätzen; in Stroud ist die Zirkulation bereits erloschen, in Brixton und vor allem Vorarlberg zwar durchaus vorhanden, aber auf geringem Niveau. Auch habe ich die Thematik der Akteur*innen im Regiogeldkreislauf angesprochen und gezeigt, dass zumindest ein Teil der Unternehmer*innen der Gemeinschaft, innerhalb derer Regiogeld verwendet wird, diesem eine besondere, positive Bedeutung zuschreibt. Durch das Markieren von Regiogeld werden aber nicht einfach Verwendungsmöglichkeiten begrenzt, sondern es wird ein Handlungsraum konstruiert, innerhalb dessen Regiogeld auf bestimmte Arten und für bestimmte Zwecke genutzt werden kann. Die Markierungen konstitutieren sich durch die besonderen Bedeutungszuschreibungen, welche wiederum die Grenzen des Regiogeldkreislaufes beeinflussen und auch das Set an Gütern und Dienstleistungen, welche innerhalb des Kreislaufes übertragen werden, also welchen speziellen Zwecken Regiogeld dienen soll. Damit sind die Elemente des Zelizerschen Kreislaufes genannt. In Polanyis Terminologie berühren die Praktiken der Geldverwendung und die damit einhergehenden Bedeutungszuschreibungen die Art und Weise der Einbettung und repräsentieren möglicherweise spezifische Tauschformen des Marktes, der Reziprozität oder der Redistribution. Mit Mauss wiederum lässt sich konkret fragen, inwieweit Regiogeld Gabe-Beziehungen vermittelt. In diesem Abschnitt erörtere ich die konkreten Praktiken der Verwendung des Regiogeldes und thematisiere, inwieweit diese mit spezifischen Bedeutungszuschreibungen zusammenhängen. Zunächst zeige ich das Horten und den Rücktausch als Gegenstück zum geringen Umlauf auf (10.3.1). Dann stelle ich dezidiert betriebliche Ausgaben vor, welche in besonderem Maße der Grundidee des Regiogeldes als Treiber der lokalen Wirtschaft entsprechen (10.3.2). Es zeigt sich allerdings, dass Regiogeld oft nicht betrieblich, sondern vielmehr privat verwendet wird (10.3.3). Die Qualität des Regiogeldes drückt sich darüber hinaus in einer spezifischen, gemeinschaftlichen oder geselligen Verwendungsweise aus (10.3.4). Abschließend führe ich die Gedankenstränge mit Blick auf die vorherigen Kapitel kurz zusammen (10.3.5).
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10.3.1 Rücktausch und Horten Nic, Koch in Brixton, bringt die Einschätzung eines Großteils der teilnehmenden Unternehmen auf den Punkt: »it is difficult to spend the money, that’s the thing that I found« (BRITN3). Dieses Problem hängt damit zusammen, dass die meisten Unternehmen keine lokalen Zulieferer*innen haben, bei denen sie mit Regiogeld bezahlen könnten. Diese Beschränkung durch mangelnde lokale Wertschöpfungsketten werden sowohl im urbanen Brixton, als auch im ländlichen Vorarlberg oder dem Stroud District genannt. Tony sieht daher seine grundlegenden Zweifel bestätigt: »Well, I can’t spend it. Where do I spend it? […] I mean the idea was you’d spend it locally and you keep it circulating, but it can’t circulate very well because all the stuff I have comes from all over the world and it’s important that we have Pound Sterling to buy it. And there is no industry in Brixton on that you can spend it on that would be local, so in the end all I can do is take it to the bank, change it back into sterling.« (BRITN5)
Ein Mangel an Verwendungsmöglichkeiten ist, wie gezeigt, objektiv gegeben, da es kaum lokale Kreisläufe und Wertschöpfungsketten gibt. In der Stroud Brewery etwa wird mir berichtet, es sei unmöglich, Stroud Pound für betriebliche Ausgaben zu verwenden. Die meisten Zuliefer*innen stammen von außerhalb der Region und etwa Hopfen oder Gerste können somit nicht mit einer Zahlung von Stroud Pound bezogen werden (STRTN5). Selbst diejenigen, die in der Tat lokal oder regional Vorprodukte, Dienstleistungen oder Produkte beziehen, berichten von großen Schwierigkeiten. »I had nowhere to spend it« (STRTN2), erklärt Nic vom Café in Stroud. Dabei bezieht er bewusst Produkte aus der näheren Umgebung wie etwa Obst, Saft, Milchprodukte, Gemüse oder Bier. Auch Soner in Brixton kann die lokalen Zulieferer seines Cafés nicht in Regiogeld bezahlen. Sie nehmen es nicht an, was er an einer gewissen Engstirnigkeit festmacht, die er nicht nachvollziehen kann: »my suppliers, my local suppliers, most of them don’t accept Brixton Pound because they’re market traders and… and they’re old fashioned. They believe in real currency with the queen’s head on there. They’re a bit naive and they’re a bit narrow minded…« (BRITN2). Auch Debbie erzählt (STRTN2), dass sie die Probleme begrenzter Verwendungsmöglichkeiten schmerzlich erfuhr, als Transition Stroud keine Zahlungen in Stroud Pound mehr annahm. Konkret ging es um Bücher, die für Transition Stroud im Charity Shop verkauft wurden und mit denen ursprünglich sogar das Stroud Pound angekurbelt werden sollte, indem es einen Rabatt auf Bezahlungen in dieser Lokalwährung gab. Transition Stroud nahm dann aber keine Zahlungen in Stroud Pound mehr an, weil es selbst keine Verwendungsmöglichkeiten mehr dafür sah.
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Der Rücktausch in Sterling oder Euro ist ein naheliegender Ausweg. Die Bindung an das jeweilige gesetzliche Zahlungsmittel und die Möglichkeit des Rücktausches sollen ja den Erwerb und den Umgang mit Regiogeld erleichtern und dieses für die Unternehmen attraktiver machen. Gleichwohl verursacht der Rücktausch Kosten und Aufwand. In Stroud und Vorarlberg sind Rücktauschgebühren zwischen 3% und 5% zu zahlen; in Brixton lag die Gebühr sogar bei 10%. bis sie zum Jahr 2014 abgeschafft wurde. Daneben treten die bereits genannten indirekten Kosten auf, die sich etwa im Aufwand ausdrücken können, Papiergeld zur Umtauschstelle bringen und dann einige Tage auf die Rücküberweisung warten zu müssen. Aber nicht nur Kosten und Aufwand hemmen die Attraktivität des Rücktausches; dieser widerspricht auch der grundlegenden Idee der lokalen Geldzirkulation, die ja viele Teilnehmer*innen ausdrücklich gut heißen. Noch einmal sei an dieser Stelle an die insgesamt geringen Umsätze erinnert. Da die Einnahmen von Regiogeld entsprechend selten sind, horten viele der Unternehmer*innen Regiogeld, bis sie größere Summen gespart haben, die sie ausgeben oder rücktauschen können. In Stroud nutzten viele beteiligten Unternehmen ausschließlich die Möglichkeit des Rücktauschs. Bäckerei und Metzgerei horteten stets kleinere Summen von Stroud Pound, bis sie einen größeren Betrag umtauschen konnten. Beide geben an, Stroud Pound auf keine andere Art verwendet zu haben (Feldnotiz, 9.4. 2014). Die Opportunitätskosten einer solchen Hortung sind alleine wegen der niedrigen Summen gering. Gleichwohl können kleinere Geldmengen zusammenkommen, die das Unternehmen tatsächlich benötigt. Nic in Brixton etwa verfügt zum Zeitpunkt des Interviews über eB£ 600. Für eine ausstehende Umsatzsteuerabführung benötigt er liquide Mittel und hat die Brixton Pound Organisation angeschrieben mit der Bitte, davon 500 elektronische Pfund zurückzutauschen (BRITN3). Die Hortung hängt aber neben den geringen Verwendungsmöglichkeiten und den niedrigen Opportunitätskosten auch mit einem weiteren Aspekt zusammen. Regiogeld leidet zumindest bei einem Teil der Unternehmen unter einer Stigmatisierung als schlechteres Geld, das weniger fungibel ist und das darüber hinaus auch nicht als Einlage auf der Bank gehalten werden kann. Ein Brixtoner Friseur erklärt: »I just store my BP notes. I don’t want to use them at other businesses around here« (BRITN7). Er möchte nicht gerne mit den Regiogeldscheinen einkaufen gehen, weil er weiß, dass das Bargeld für die Empfänger*innen Aufwand bedeutet und viele Betriebe Sterling deutlich bevorzugen. Das Interview mit dem Friseur habe ich wenige Monate nach der Abschaffung der Rücktauschgebühr in Höhe von 10% geführt. Wie in vielen anderen Gesprächen auch basierte die Einschätzung des Interviewpartners allerdings noch auf dem Eindruck dieser Gebühr. Diese Gebühr trug zu einem Ruf als schlechteres Geld bei und hielt nicht nur Unternehmen davon ab, Regiogeld überhaupt zu akzeptieren, sondern teilnehmende Unternehmen auch davon, sie weiterzureichen. Schließlich wollten sie anderen nicht die beim Umtausch anfallenden Kosten aufdrängen.
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Der Mangel an betrieblichen Verwendungsweisen hängt nicht nur an der objektiven, hier geschilderten Problematik, sondern auch mit dem subjektiven Befinden und den fehlenden Bemühungen zusammen, Verwendungsmöglichkeiten zu suchen. Joe beispielsweise, der dem Brixton Pound ausschließlich wegen des kostenlosen Marketings beigetreten ist, tauscht sein gesamtes Guthaben zurück in Sterling. Im Gespräch stellt sich heraus, dass er allerdings auch nicht mit anderen Geschäften darüber gesprochen hat, wie er Brixton Pound ausgeben könnte. In der Tat konsumiert er beispielsweise bei anderen teilnehmenden Läden, ohne dass ihm bewusst wäre, dass er dort Brixton Pound verwenden könnte (Feldnotiz, 23.03.2014). Ein ähnliches Phänomen tritt auch bei denjenigen Teilnehmer*innen auf, die ideell stark hinter dem Konzept stehen. So fällt Nic in einem unserer Gespräche auf, dass er möglicherweise weitere Verwendungsmöglichkeiten für das Brixton Pound hätte, da er in vielen der benachbarten Läden kleinere Einkäufe für das Restaurant tätigt. Er nimmt sich daher vor, sich noch einmal mit der Frage auseinanderzusetzen, wie er das Brixton Pound besser nutzen kann: »Just talking to you sort of spurred me on to do an audit of our supplies« (BRITN3). Er möchte auf die Geschäfte zugehen und erörtern, ob und wie viel Brixton Pound sie anzunehmen bereit sind. Hier zeigt sich, dass ein Teil des Aufwandes darin besteht, Möglichkeiten der Verwendung zu eruieren und mit Geschäftspartner*innen wechselseitig auszuhandeln. 10.3.2 Betriebliche Ausgaben Bisher habe ich Probleme der betrieblichen Verwendung beschrieben. Trotz dieser Probleme lässt sich Regiogeld aber auch für betriebliche Zwecke nutzen, wie einige Beispiele zeigen. In diesem Abschnitt gehe ich auf die tatsächlichen Strategien der betrieblichen Verwendungen ein. Es zeigt sich, dass Regiogeld entweder für allgemeine betriebliche Ausgaben eingesetzt, oder für besondere betriebliche Zwecke markiert wird. Soner berichtet, dass er Papiergeld für Besorgungen im Kaufhaus Morley’s verwendet. Allerdings wird dort das elektronische System nicht akzeptiert, womit er mittlerweile fast ausschließlich Umsatz macht. Daher gehören seine Brixton Pound Ausflüge zu Morley’s der Vergangenheit an. »I always spent my physical paper notes in Morley’s, in the kitchenware department or whereever. That would be anything from 10 pounds to 20 pounds, whatever amount they include in paper notes« (BRITN2). Auch der Fahrradladen verwendet Brixton Pound bei Morley’s, um dort Drogeriewaren oder sonstigen Bedarf zu erwerben. Da es oft ein paar Monate dauert, bis ungefähr 50 Brixton Pound in der Kasse zusammenkommen, tätigen sie Einkäufe in
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Brixton Pound in größeren, unregelmäßigen Abständen. Das Regiogeld hat für sie in betrieblicher Hinsicht daher eine nur marginale Bedeutung (BRITN1).17 In Vorarlberg ist es hingegen der Bäckerei zusammen mit der den VTaler herausgebenden Allmenda eG (zumindest zwischenzeitlich) gelungen, einen kleinen Kreislauf aufzubauen. Bei diesem kommte der Allmenda eine wichtige Rolle zu: Die Bäckerei bezog Dinkelmehl eine Zeitlang über die Allmenda, wobei sie mit VTalern und Talenten zahlte. Die Allmenda wiederum bezahlte für das Dinkelmehl nur zu einem sehr kleinen Anteil in einer der beiden Komplementärwährungen; den restlichen Betrag führte sie durch andere Ausgaben wieder in den Kreislauf ein. Kurz vor unserem Interview hat der Bäcker allerdings seinen Lieferanten gewechselt und bezahlt seinen neuen, ökologischen und regionalen, Lieferanten nun in Euro. Er überlegt daher, wie er künftig seine Einnahmen in den beiden Komplementärwährungen einsetzt (VORTN3TT). Siegfried, Inhaber des Schuhladens, stehen ebenfalls betriebliche Verwendungsmöglichkeiten zur Verfügung, da er die von ihm geführten Waldviertler Schuhe grundsätzlich mit VTalern bezahlen kann. Zu einer Umsetzung dieser Vereinbarung zwischen ihm und dem Hersteller der Waldviertler Schuhe ist es aber noch nicht gekommen, da er bisher lediglich ein paar hundert VTaler eingenommen hat. Siegfried gibt stattdessen VTaler teilweise als Wechselgeld aus, wenn die Kund*innen einverstanden sind. Als überzeugter Unterstützer des Regiogeldes kommt er dadurch häufig mit Kund*innen ins Gespräch, auch über Regiogeld. So möchte er VTaler einerseits im Umlauf lassen, andererseits auch gezielt auf das Regiogeld aufmerksam machen und möglicherweise neue Nutzer*innen gewinnen, für die das Wechselgeld der erste Kontakt zum VTaler ist. Falls es in Zukunft zu Umsatzsteigerungen in VTaler kommt, so überlegt er, werde er möglicherweise einen Teil des Gehaltes seiner Mitarbeiter*innen in VTalern auszahlen. Auf dem Bauernhof gibt es ähnliche Überlegungen. Wenn der Umsatz steigt, wollen die Betreiber*innen VTaler für ihre Betriebsprozesse nutzen und beispielsweise »unseren Hühnerbauern […] 9% des Eiergeldes in VTaler« zahlen (VORTN5a). Die beiden Betreiber*innen sind überzeugt, dass viele ihrer regionalen Produzent*innen keine Probleme hätten, VTaler zu verwenden. Tatsächlich möchten sie gleichzeitig aktiv dafür werben, VTaler zu benutzen. So würden sie es gerne sehen, etwa von den umliegenden Bäckereien, für die sie Getreide anbauen, bargeldlos in VTalern bezahlt zu werden. »Das haben wir auch vor, dass wir alle abklappern, die von uns Produkte geliefert kriegen und wir die anflehen, dass sie doch endlich die Rechnung in VTaler an uns zahlen« (VORTN5a). Werben wollen sie also, indem sie VTaler annehmen, 17 Während des Interviews zeigen sich einige der Mitarbeiter*innen gut informiert über Verwendungsmöglichkeiten, während andere verblüfft sind, wie viele Geschäfte Brixton Pound annehmen (BRITN1). Hier zeigt sich erneut, wie eingeschränkt Informationen trotz aller Maßnahmen der Organisation sind.
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nicht, indem sie VTaler bei anderen ausgeben. Sie sind sich allerdings sicher, dass einige ihrer Lieferant*innen VTaler akzeptieren würden. Schließlich wissen sie bereits von einigen anderen Unternehmen, die VTaler annehmen. Da sie Geschäftsbeziehungen sowohl zu Produzent*innen als auch zu Abnehmer*innen führen, sehen sie ihren Hof dazu in der Lage, am Ausbau des Kreislaufes aktiv mitzuwirken. Der Bäcker hingegen empfindet es nicht als seine Aufgabe, aktiv für die Akzeptanz des VTalers und der Talente bei anderen Unternehmen zu werben: »Also ich fange jetzt nicht zu bekehren an.« (VORTN3TT) Nic in Brixton überlegt, ob er einigen Mitarbeiter*innen einen Teil ihres Gehaltes in Brixton Pound auszahlen kann. »I think it possibly would suit some of our employees. I mean not everyone lives in Brixton« (BRITN3). Diejenigen, die in Brixton leben und daher in Geschäften konsumieren oder Restaurants einkehren, die Regiogeld annehmen, hätten, so vermutet er, keine Probleme, einen kleinen Teil des Gehaltes in Regiogeld zu beziehen. Ihm ist das Modell des Lambeth Council bekannt, der mit der »Payroll Local« seinen Angestellten anbietet, ihr Gehalt teilweise in Regiogeld zu beziehen (vgl. 9.1.4., auch Steed/Bindewald 2013). In Brixton und Langenegg stellen kommunale Abgaben eine wesentliche Verwendungsoption neben dem Einkauf dar. In Langenegg ist die Gemeinde seit langem zentraler Akteur des Regiogeldkreislaufes. Hier zahlen viele Unternehmen einen Teil ihrer Abgaben an die Kommune in Langenegger Talenten. Dies gilt für den Dorfladen wie auch für andere Betriebe. Eine Geschäftsfrau berichtet etwa, dass sie für ihr Kleinunternehmen bestimmte Güter wie Haushaltswaren im örtlichen Supermarkt bezieht und ansonsten ihre Langenegger Talente für Abfallgebühren verwendet (Gesprächsnotiz, 24.11.2014). Auch beim Lambeth Council lassen sich mittlerweile Business Rates und andere Abgaben elektronisch mit Brixton Pound begleichen. Diese Möglichkeit, findet Soner, »is fantastic« (BRITN2), da der Council ein zuverlässiger Abnehmer des Regiogeldes ist und die Zahlungen an den Council verpflichtend sind. Es handelt sich also um notwendige, genuin betriebliche Verwendungsweisen. Zudem ist die Zahlung in eB£ einfach, sicher und schnell. Mittlerweile zahlt er regelmäßig Teile seiner Abgaben an den Council in eB£. Auch Nic nutzt die Möglichkeit, Beiträge an den Council in eB£ zu entrichten. Insgesamt handelt es sich um etwa 40 Pfund pro Woche, die er in Brixton Pound zahlen könnte (BRITN3). Ebenso würde Tony grundsätzlich Brixton Pound zur Zahlung dieser Abgaben verwenden. Allerdings ist sein Umsatz dafür zu gering: »strangely we’ve never had enough money in Brixton Pound [cash, PD] to pay that but if we built up money in the other account [eB£, PD] we will be able to do it.« (BRITN5) Insgesamt liegen innerhalb der Regiogeldnetzwerke oftmals unzureichende oder verzerrte Informationen vor. So gibt es in allen Fällen Gerüchte über jeweils andere Unternehmen, welche vermeintlich hohe Umsätze und gut funktionierende betriebliche Verwendungsmöglichkeiten aufweisen – die sich aber als Fehlinformationen er-
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weisen. Mir wird beispielsweise bei einem der regelmäßigen offenen Treffen in Brixton ein Pub empfohlen, der Sonderangebote für mit Brixton Pound zahlende Gäste bereitstelle. Überhaupt sei dieser Pub ein aktives Mitglied, genau wie ein anderes Café: »The interesting thing about […it] is they really made it obvious that they welcome Brixton Pounds. So it’s on their menu« (Feldnotiz, 2.03.2014). Einige Tage später gehe ich in den Pub und spreche den Besitzer Marc an. Er erzählt mir, dass er vor kurzem ganz aus dem Regiogeldsystem ausgestiegen ist, da er so gut wie keine Gäste hatte, die in Brixton Pound zahlten. Der Aufwand hat sich für ihn nicht gelohnt (Feldnotiz, 13.03.2014). In Stroud berichten mir mehrere Informant*innen, darunter Interviewpartner*innen (STRTN1, STRTN2, STRNT2), dass gerade der Pub keine Probleme mit der Annahme und Weiterverwendung von Stroud Pound hatte, weil die Brauerei dieses ebenfalls akzeptierte. Auch Organisationsvertreter*innen verweisen auf solche Ansätze einer umfassenden Zirkulation. Molly Scott-Cato, Initiatorin und anfangs im Vorstand, nennt in der Analyse des ersten Jahres des Stroud Pounds den teilnehmenden Pub als großen Aktivposten des Regiogeldes: »One of the most enthusiastic supporters of the scheme is the local pub which has become a member. Because they gain their supplies from a micro-brewery in the town (which accepts SPs), their meat supplies from the local butcher, and vegetables from local producers at the farmers’ market, they are easily able to pass on their Stroud Pounds and face no risk of redemption charges. This demonstrates clearly the nature of the Regiogeld design in introducing a strong incentive to seek local supplies« (Scott Cato/Suárez 2012: 114).
In diesem Auszug beschreiben Scott-Cato und Suárez einen kleinen lokalen Kreislauf in Stroud Pound und erwecken den Anschein, dass Miles (dessen Pub gemeint ist) bei der Brauerei, beim Metzger oder auf dem Farmers Market Lieferungen »easily« in Stroud Pound bezahlt hätte. Außerdem argumentieren sie, dass hieran ersichtlich wird, wie die besonderen Eigenschaften des Regiogeldes Anreize liefern, lokale Produkte zu erwerben. 18 Bestenfalls handelt es sich hierbei um eine Momentaufnahme aus der Anfangszeit, in der das Regiogeldprojekt vergleichsweise gut lief. Bernard korrigiert diese Darstellung im Gespräch insofern, als er erklärt, dass Miles zwar die von ihm im Pub eingenommenen Stroud Pound nicht in Sterling zurückgetauscht sondern weiterverwendet hat, es sich dabei jedoch um privaten, recht geringen Konsum gehandelt hat (STRORG1). Miles selbst weist die Idee, er hätte Stroud Pound 18 Gerade letztere Annahme erscheint fraglich, zumindest in Bezug auf Stroud. Die beiden Autorinnen reflektieren, anders als dieses eine Zitat in Gegenüberstellung mit meinen Feldforschungsergebnissen vermuten lassen, die Ergebnisse und das Potenzial des Stroud Pounds durchaus kritisch. Sie merken auch an, dass lokale Währungen möglicherweise nicht das bestgeeignete Mittel sind, um lokale Produktion anzuregen.
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tatsächlich für betriebliche Einkäufe für den Pub nutzen können, entschieden zurück. Aus seiner Sicht hätte er dann das Problem der eingeschränkten Verwendungsmöglichkeiten lediglich weitergeschoben, nicht aber gelöst. Das fände er nicht fair. Für Miles ist Stroud Pound vollkommen ungeeignet für größere betriebliche Ausgaben, da es aufgrund der deutlich eingeschränkteren Fungibilität und der Demurrage eben kein gleichwertiges Substitut für Sterling darstellt. »I like the theory behind it and I think it’s good for a small purchase. I would feel guilty going to another businessman and trying to spend 500 pounds in Stroud Pounds, passing the burden on to him. Saying ›well you have to accept it.‹ I wouldn’t put him in that position.« (STRTN4) Da er seinen Zulieferern keine Schwierigkeiten machen möchte, vermeidet er es in der Regel, Regiogeld für große, gewerbliche Ausgaben zu nutzen. Er glaubt auch nicht, dass er in der Brauerei Lieferungen für den Pub tatsächlich mit Stroud Pound hätte zahlen können: »I couldn’t bring myself to go to Stroud Brewery with all our Stroud Pounds and ask them to seriously take this money for beer that I’m going to sell for cash you know. I don’t think he would take it for that much.« (STRTN4) Die Miles zugeschriebenen Verwendungsmöglichkeiten und der bei ihm vermutete Umsatz unterschieden sich somit deutlich von der tatsächlichen Praxis. An dieser Diskrepanz zwischen den Einschätzungen anderer Teilnehmenden und den tatsächlichen Verwendungen zeigt sich somit grundlegend, dass innerhalb der Nutzer*innen des Stroud Pounds Informationsprobleme bestehen. 10.3.3 Privater Konsum Bleiben wir beim Beispiel des Pubs in Stroud, um einen typischen Umgang mit Regiogeld als Zahlungsmittel für private Ausgaben zu erörtern: Miles hat nämlich tatsächlich auf dem Farmers Market und in der Brauerei mit Stroud Pound bezahlt aber lediglich kleinere Mengen privaten Konsums, also einige Gläser und nicht viele Fässer Bier: »I don’t think I’d use it on large purchases like barrels and barrels of beer every week. Yes, I’m going down to the café and spend some quid. Or, you know, I take it into the shop and buy some sweets or whatever for the kids.« (STRTN4) Diese Lösung für das Problem eingeschränkter Verwendungsmöglichkeiten besteht darin, betriebliche Einnahmen in Sterling umzutauschen und das Stroud Pound privat zu verwenden. Dies ist ein Mechanismus, den auch Bernard empfiehlt. Bernard erkennt die Schwierigkeiten der geeigneten Verwendung an, vermisst aber auch Initiative und Kreativität seitens der Unternehmen, Möglichkeiten zu suchen: »But with a bit of creative thinking it’s possible to do something different. I mean for instance you could pay yourself in Stroud pounds and then go and spend it on your own expenses, you know. You can pay yourself or the rest of your staff and then also you can go and spend it where it’s accepted in town« (STRORG1).
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Die Unternehmer*innen können seiner Ansicht nach entweder Regiogeld für eigene private Zwecke verwenden, oder ihren Mitarbeiter*innen Teile des Gehaltes in Stroud Pound auszahlen. Die Idee, Gehälter in Regiogeld zu zahlen, setzt allerdings voraus, dass die Angestellten dies auch akzeptieren. In meinen Interviews machten die Gesprächspartner*innen deutlich, dass sie dies von ihren Mitarbeiter*innen nicht verlangen würden. Solange Regiogeld als »schlechteres« Geld stigmatisiert ist, kann es nicht für Gehälter eingesetzt werden. Debbie berichtet ebenfalls von Versuchen, das im Charity Shop eingenommene Stroud Pound für kleineren Konsum zu verwenden. Doch auch hier zeigte sich, dass zu wenige Geschäfte beim Regiogeld mitmachten. »And I tried, because we have a petty cash system for the charity, I tried putting a few Stroud pounds mixed in with the Sterling cash and they never got used. Because again, the places where we just want to dash in and buy a pint of milk, or whatever the things the petty cash was being used for, we couldn’t use Stroud pounds. So it was just difficult to find a way of spending them. Occasionally we’d spend a few.« (STRTN1)
Das Stroud Pound sollte also in kleineren Mengen für den regelmäßigen privaten Verbrauch im Büro verwendet werden. Doch auch dazu kam es nicht, da die entscheidenden Läden Stroud Pound nicht annahmen. »But they weren’t getting circulated properly. So you try and spend them but in the shop that you’d spend them, you could see them rolling their eyes and putting their head in their hands thinking ›oh no, now I’ve got more Stroud Pounds‹. It was a bit like that« (STRTN1). Debbie beschreibt Erfahrungen mit sehr unzufriedenen Teilnehmer*innen, welche Stroud Pound tatsächlich ungern annahmen, beispielsweise die Bäckerei und die Metzgerei, beide in unmittelbarer Nähe des Charity Shops, die relativ früh aus dem Stroud Pound wieder ausgetreten sind (vgl. 10.3.4). Stroud stellt einen Extremfall dar, da die Zirkulation vollständig eingestellt wurde. Daher haben sich in Stroud Verwendungsmöglichkeiten auch für privaten Konsum als sehr beschränkt herausgestellt. In Brixton und Vorarlberg hingegen existieren weitreichende Möglichkeiten, Regiogeld privat zu verwenden. Schließlich sind einige Geschäfte und Nahversorger sowie Cafés und Restaurants unter den Regiogeld akzeptierenden Unternehmen. Tatsächlich berichten sehr viele Interviewpartner*innen, dass sie Regiogeld für diese Zwecke privat nutzen. Beim Fahrradladen etwa kommt es unter anderem deshalb recht selten zu betrieblichen Verwendungen, da zwischendurch Mitarbeiter*innen Brixton Pound entnehmen (also gegen Sterling tauschen) und damit in einem benachbarten Café zahlen (BRITN1). Der Friseur, der Papiergeld stets zurücktauscht und nicht verwendet, um anderen Unternehmen keinen Aufwand zu bereiten, sieht einen großen Unterschied zwischen Papiergeld und eB£. Letzteres empfindet er tatsächlich als bequemes Zahlungsmittel, gerade für kleinere Beträge. »With pay-by-text it’s different. I use it to buy stuff or have a coffee«
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(BRITN7). Um Regiogeld privat zu nutzen, müssen allerdings bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Sara empfindet eine grundsätzliche Sympathie für das Regiogeld, nutzt es selbst aber nicht, da sie nicht mehr in Brixton wohnt und somit auch privat keine Verwendungsmöglichkeiten sieht: »We do it because we think the idea behind it is a good one. I like it, but I don’t feel it’s very practical. At least for me in my current situation. If I lived here and I did my shopping here, bought my food here, then it would be different.« (BRITN1) Auch im Vorarlberg verwenden viele Teilnehmer*innen das Regiogeld zu privaten Konsumzwecken, nicht für betriebliche Ausgaben. In Langenegg etwa berichtet mir eine Geschäftsfrau, dass auch sie, da ihr Umsatz in Langenegger Talenten gering ist, das Regiogeld meist für private Zwecke nutzt. Im Café zahlen einige Kunden Trinkgeld häufig in Langenegger Talenten aus. Die Mitarbeiter*innen verwenden dieses Einkommen in der Regel für alltägliche Waren im Dorfladen (Gesprächsnotiz, 26.11.2014). Auch das Ehepaar, das einen Bauernhof führt, verwendet VTaler noch (und entgegen der eigenen Zielsetzung) ausschließlich privat, nicht betrieblich. »In meiner Buchhaltung momentan tauchen die VTaler nicht auf, sondern ich tausch das privat. Das Geld tu ich rein, VTaler raus, weil das so eine geringe Menge ist, dass sich der Aufwand nicht lohnt« (VORTN5b). In der Regel nimmt sie nach einiger Zeit 40 bis 50 VTaler aus der Kasse und gibt sie privat aus. Diese Einnahmen stammen vor allem aus der »Eierrunde«, also von Stammkund*innen, die regelmäßig Eier direkt vom Hof beziehen und oft innerhalb ihres Familien- und Freundeskreises weiterverteilen. Regiogeld privat zu nutzen, kann mit besonderen Verwendungszwecken einhergehen. Damit unterscheidet sich die private Nutzung von Regiogeld von derjenigen herkömmlichen Geldes. In Vorarlberg etwa erläutert Ingeborg, dass sie ihre betrieblich eingenommenen VTaler für den Konsum von spezifischen, nämlich regionalen und ökologischen Lebensmitteln verwendet. »Da gönn ich mir ganz bewusst etwas. Da hol ich zum Beispiel das gute Bio-Öl und nicht das herkömmliche« (BRITN3TT). Für sie füllt der VTaler somit die von ihr gewollte Lenkungsfunktion au. 10.3.4 Gemeinschaftliche und gesellige Verwendung Bisher habe ich mit Blick auf die Verwendungsweisen tendenziell ein gewisses Stigma als unvollständiges Geld herausgearbeitet. Demgegenüber findet sich aber auch die Bedeutungszuschreibung als in sozialer Hinsicht besseres Geld. Mit dieser Zuschreibung gehen Verwendungsweisen einher, die ich als gemeinschaftlich oder gemeinschaftsstiftend, als gesellig und konvivial bezeichnen möchte (Degens 2016b). Denn einige Unternehmer*innen, gerade solche, die in der Gemeinschaftlichkeit auch ein wesentliches Motiv zur Partizipation sehen, verstehen Regiogeld nicht als
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in ökonomischer Sicht beschränkt, sondern als spezielles Geld, dessen wirtschaftliche Funktionsfähigkeit im Vergleich zu der herkömmlilchen Geldes zwar sehr stark reduziert ist, dem sie aber andere Bedeutungen zuschreiben. Teilnahme an Regiogeldkreisläufen ist für sie somit auch Ausdruck der Gemeinschaft und entsprechend symbolisiert die konkrete Bezahlung mit Regiogeld eine gemeinsame Zugehörigkeit zu diesem besonderen Kreislauf. Damit können durchaus geteilte Wertvorstellungen und Ansichten einhergehen, etwa grundlegend das Interesse an alternativen Geldern oder alternativen Wirtschaftsweisen. Miles etwa gilt trotz seiner großen Vorbehalte gegenüber der Demurrage und den Rücktauschgebühren als Unterstützer des Stroud Pounds. Wie beschrieben, nutzte er Stroud Pound in der Regel für privaten Konsum, etwa um in der Stadt essen zu gehen. Für ihn ist dabei das Bezahlen mit Stroud Pound positiver Ausdruck der Gemeinschaftlichkeit: »It is an expression for the community « (STRTN4). Praktisch drückt sich das Gefühl einer Verbindung schon dadurch aus, dass der Bezahlvorgang mit Regiogeld immer zumindest ein kurzes Gespräch zur Folge hat, einen kurzen Austausch über das Regiogeldprojekt oder die Geldscheine. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl verlangt aber auch, aufgrund der bekannten Beschränkung des Stroud Pounds, vorab abzuklären, ob die Bezahlung in Stroud Pound überhaupt erwünscht oder möglich ist. Denn, wie erwähnt, die Weitergabe von Regiogeld soll keine Probleme bereiten. Nur wenn die Andere das Regiogeld tatsächlich bereitwillig akzeptiert, kommt es zur Zahlung. Im vorherigen Abschnitt habe ich in diesem Zusammenhang vor allem private Verwendungen des Stroud Pounds geschildert. Besonders deutlich wird das Markieren aber, wenn man es für spezifische soziale oder gesellige Zwecke betrachtet. Hiermit sind Formen der Verwendung gemeint, die Bernard als »creative« (STRORG1) bezeichnet, und die sich als besondere Betriebsausgaben fassen lassen. Es handelt sich um Haben, die sich durch ihren konvivialen Charakter auszeichnen. Hierzu gehören beispielsweise Geschenke oder Einladungen für Mitarbeiter*innen. So wird mir beispielsweise auch im Buchladen erzählt, dass Inhaber und Mitarbeiterin nach dem Verkauf eines Buches gegen Stroud Pound im Café gegenüber Kuchen geholt und gemeinsam verzehrt haben (STRTN5). Miles und Lotte luden Freund*innen und Mitarbeiter*innen zum Essen in Nics Café ein. Diese Anlässe basierten insofern auf direkter Gegenseitigkeit, als Nic im Gegenzug mit seinen Mitarbeiter*innen in den Pub kam und dort mit Stroud Pound zahlte. Miles erzählt: »And when it reached 100 pounds maybe after a month, we would go down to a local café that we knew took the Stroud Pounds and we’d take people for lunch or staff for lunch. Like ›we’ve got a couple let’s all go out for lunch‹, you know. So we’d go for lunch. And then the same night that café would bring their staff up here and ›tequila for all‹ and give me the money back. You know, it was just a bit of fun« (STRTN4).
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Das Gemeinschaftliche dieser Verwendungsweise spielt sich auf zwei Ebenen ab. Zunächst unternehmensintern, indem Mitarbeiter eingeladen werden, darüber hinaus aber betriebsübergreifend, indem diese Verwendungsart auf direkter Reziprozität zwischen den Unternehmer*innen basiert. Hier lassen sich also vertikale und horizontale Gabe-Formen unterscheiden. Ein weiterer Unterschied liegt in der Gegenseitigkeitserwartung. In der Beziehung zu den Mitarbeiter*innen gilt eine solche gemeinschaftliche Verwendung tendenziell als einseitige Gabe, bei der es zu keiner unmittelbaren Gegengabe kommt. Hier findet sich also überwiegend ein Element generalisierter Reziprozität. In der Beziehung der Unternehmen untereinander hingegen kommt es zwar auch nicht zu einer direkten Kalkulation, aber verstärkt zu einer Erwiderung. Auch Nic in Brixton berichtet, wie er seine Mitarbeiter*innen zum Essen einlädt: »and then occasionally I take the staff to Honest Burger for a burger as a kind of treat« (BRITN3). Langfristig schwebt ihm vor, falls er mit dem Restaurant Gewinne erzielt, mit Brixton Pound Mitarbeitertickets für das Recreation Centre oder das Schwimmbad zu bezahlen, so dass er den Mitarbeiter*innen eine Art zusätzliche Leistung, besondere Belohnungen (»a treat«) bieten kann. An diesen geschilderten Praktiken lässt sich die Simultanität der Gabe- und der Warentauschlogik erkennen. Eine über die im Arbeitsvertrag hinausgehende Bonuszahlung ist zunächst ein Gabeakt. Gleichwohl findet sich ein Element des Eigeninteresses, das an die Marktbeziehung geknüpft ist. Eine Arbeitgeber*in erhöht auf dem Arbeitsmarkt ihren Wert, indem sie zeigt, zu gewissen Mehrausgaben für die Ware Arbeitskraft bereit zu sein. In Vorarlberg finden sich ebenfalls Unternehmen, die VTaler für Weihnachtsgeschenke oder Boni nutzen (VORORG3). Auch die Betreiber*innen des Bauernhofes haben eine solche Verwendung im Sinn: »Wenn wirklich was reinkommen würde, dann würden wir sagen, alle unsere Mitarbeiter kriegen so einen Bonus, die kriegen noch VTaler« (VORTN5a). Wenn VTaler als solche Gaben eingesetzt werden, ist eine Aufforderung enthalten, lokal oder regional zu konsumieren. Als Geschenk oder Zuwendung ist Regiogeld deutlich stärker konditioniert als herkömmliches Geld. Die Freiheit des Geldgebrauchs bezieht sich schließlich auf einen begrenzten Raum. Gleichwohl handelt es sich eher um eine starke Bitte als um einen Zwang, schließlich lässt sich Regiogeld auch umtauschen. Nic in Stroud hingegen berichtet, dass er mit Stroud Pounds seinen Angestellten Weihnachtsgeschenke im Buchladen kaufte (STRTN2). Er markiert Regiogeld also ebenso für spezifische Zwecke; dennoch setzt er es nicht als Geschenk ein, denn (Regio-)Geldgeschenke empfindet er als zu unpersönlich. Regiogeld mag zwar (besser als herkömmliches Geld) als Gabe gegeben werden, da es bereits markiert ist. Dennoch besitzt es zum Teil den Charakter unpersönlichen Geldes, das (noch immer, wenn auch schwächer werdend) als Geschenk in vielen intimen Beziehungen gewissermaßen tabuisiert ist. Die bisherigen Ausführungen zeigen, wie Regiogeld für besondere, reziprozitätsbasierte Zahlungen innerhalb des Netzwerkes von Betrieben und ihren Mitarbei-
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ter*innen verwendet wird. Es kommt aber auch zu gewissen Öffnungen nach außen, also zu Übertritten aus diesem Kreislauf hinaus. Gezahlt wird weiterhin im Kreislauf, aber die Adressaten der Gaben stehen außerhalb. Ein alteingesessener Brixtoner Markthändler, der einen kleinen Stand außerhalb der überdachten Märkte betreibt, erzählt einer Bekannten von mir, dass er nach hohen Tageseinnahmen nun über 40 eB£ besitzt. Er werde nun also in ein Café gehen, um diese auszugeben. Auf die erstaunte Frage, wie er so viel Geld auf einmal loswerden könne, antwortet er, »he will take a few mates and have a blow out on some beers…« (James 2014: 22). Er hortet das Regiogeld, bis er einen Betrag hat, den er sinnvoll einsetzen kann. Hierzu zählt eben nicht individueller, privater Konsum, sondern ein geselliger Abend. Regiogeld ist dann Mittel der Vergemeinschaftung, da es persönliche Bindungen knüpft und vertieft. 10.3.5 Zusammenführung: Praktiken der Regiogeldverwendung Die Problematik der geringen Verwendungsmöglichkeiten, die mit dem insgesamt niedrigen Zirkulationsvolumen zusammenhängt, ist bereits mehrfach angeklungen. Der insgesamt geringe Umlauf des Regiogeldes spiegelt sich in recht niedrigen Umsätzen einzelner Unternehmen und damit in geringen betrieblichen Verwendungsmöglichkeiten wieder. Als allgemeines Tauschmittel eines regionalen Wirtschaftskreislaufes fungiert Regiogeld somit nicht. Typischerweise wird Regiogeld von den Unternehmen gehortet und dann entweder umgetauscht oder weiterverwendet. Horten widerspricht zwar der grundlegenden Idee, eine schneller zirkulierende Währung einzuführen, stellt aber eine weitverbreitete Praxis dar. Dies liegt zunächst daran, dass Umsätze meist gering sind und erst nach einem gewissen Zeitraum Beträge zusammenkommen, bei denen die Opportunitätskosten des Hortens als relevant empfunden werden. Die angesparten Beträge werden dann, wenn nicht zurückgetauscht, für verschiedene Zwecke verwendet. Hierzu zählen erstens die Verwendung für gewöhnliche betriebliche Ausgaben, zweitens für spezifische betriebliche Ausgaben wie das Zahlen von Gebühren an die Kommune, drittens die Umwandlung in privates Regiogeldvermögen und damit privaten Konsum und viertens die Verwendung für spezifische, überwiegend gesellige, konviviale, gemeinschaftsschaffende Zwecke. Dem Regiogeld wird eine besondere Qualität zugeschrieben. Diese Qualität drückt sich zugleich in einer Begrenzung der Fungibilität und der Verwendungsmöglichkeiten sowie in einer Zuschreibung von Werten, die über reines Quantifizieren hinausgehen, aus. Viele Unternehmer*innen verbinden mit Regiogeld Gemeinschaftlichkeit. Entgegen der von den Organisationen intendierten Grenzen kommt es dadurch zu einer Markierung als Geldform, die über rein herkömmliche Ausgaben hinaus verweist. Denn Regiogeld wird nicht einfach wie anderes Geld verwendet. Insgesamt zeigt sich, dass der Modus der Übertragung sowohl der Markttausch sein kann,
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wenn etwa Vorprodukte o.ä. bei anderen erworben werden, oder aber die Redistribution, wenn lokale Abgaben getätigt werden und schließlich Reziprozität, wenn das Geld innerhalb nichtmarktlicher sozialer Beziehungen für gesellige Anlässe oder als Gaben für Mitarbeiter*innen verwendet wird. Unter Rückgriff auf Zelizers Konzeption des Markierens und Polanyis Begriff des Spezialzweckgeldes zeigt sich somit eine Diskrepanz zwischen dem intendierten Spezialzweck, nach welchem Regiogeld regionale Wirtschaftskreisläufe stärken soll, und den in den tatsächlichen Praktiken und Bedeutungszuschreibungen erkennbaren Zwecken, welche konviviale, gesellige und vergemeinschaftende Dimensionen aufweisen. Daher erfährt das Regiogeld gleichzeitig einerseits eine Stigmatisierung als für Betriebe schlechteres Geld (insbesondere, wenn der Rücktausch teuer oder aufwändig ist) und andererseits eine Aufwertung als moralisch besseres Geld. Regiogeld wird demnach als Zahlungsmittel genutzt, deren Zweckbestimmung in vielen Hinsichten der Logik der Gabe folgt. Dies gilt eben auch für die beteiligten Unternehmer*innen, die es einsetzen und damit auf horizontaler Ebene untereinander gabentauschartige Beziehungen führen, oder aber als Gabe innerhalb des vertikalen Beziehungssystems zu den Mitarbeiter*innen nutzen. Mit Blick auf die vorangestellte Typologie zivilgesellschaftlicher Komplementärwährungen offenbaren sich demnach in hohem Ausmaß Dimensionen der Reziprozität. Es finden sich darüber hinaus Elemente der Redistribution, welche gerade in den Abgaben an den Council erkennbar sind. In Brixton und Langenegg zeigt sich, wie wertvoll die Einbeziehung von Kommunen ist, da diese ökonomisch starke zentrale Akteurinnen im Kreislauf darstellen. Hiermit erfährt das Regiogeld Legitimität. Diese Legitimität, nicht einfach der vergleichsweise hohe Umsatz kommunaler Akteure, zeigt Anknüpfungen an die Staatstheorie des Geldes auf. Denn wenn die öffentliche Hand (auf lokaler Ebene) Regiogeld als Zahlungsmittel für Gebühren akzeptiert, verleiht sie ihm ein hohes Maß an Legitimation. Mit Blick auf die Praktiken der Geldverwendung zeigt sich, dass die Verwendung von Regiogeld einerseits zwar auf individuelle Entscheidungen zurückgeht, andererseits aber durch »relationale Arbeit« im Sinne Zelizers oft erst gemeinsam ausgehandelt und erarbeitet wird, wie und wie viel Regiogeld in einer Transaktion verwendet wird. Hier unterscheiden sich die Praktiken der Unternehmen von denen der Konsument*innen. Denn während diejenigen Konsument*innen, die Regiogeld verwenden, diesem in der Regel eine hohe moralische Qualität zuweisen und es vorbehaltlos als Symbol der Unterstützung der Region ansehen, wissen Unternehmen um den mit der Verwendung einhergehenden Aufwand und die Kosten. Sie wollen anderen Unternehmen Regiogeld nicht einfach aufdrängen, sondern stimmen sich über die Verwendung ab und generieren so Akzeptanz und vertiefen gleichzeitig ihre Beziehungen. Wofür es verwendet wird und bei wem gezahlt wird ist Ergebnis von Aushandlungsprozessen, bei denen der das Regiogeld herausgebenden Organisation und ihren Vertreter*innen eine entscheidende Bedeutung zukommt. Denn sie verfügen über
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spezifisches Wissen über die teilnehmenden Unternehmen und versuchen (in unterschiedlichem Ausmaß), Verwendungsmöglichkeiten aufzuzeigen und dabei zu helfen, kleine Kreisläufe aufzubauen.
10.4 ERFAHRUNGEN UND EINSCHÄTZUNGEN NICHTTEILNEHMENDER UNTERNEHMEN Ergänzend zu den Interviews mit teilnehmenden Betrieben habe ich nichtteilnehmende Betriebe befragt, die prinzipiell zur Zielgruppe der Regiogelder gehören. Die Gruppe der nichtteilnehmenden Unternehmen ist sehr heterogen und alleine der Kenntnisstand zum Regiogeld sehr unterschiedlich ausgeprägt. Im Folgenden fasse ich Einschätzungen derjenigen Unternehmen, die beim Regiogeld nicht teilnehmen, zusammen. Die zugrunde liegenden Informationen stammen aus einigen ausführlichen Interviews, aber auch aus vielen kurzen Gesprächen mit Inhaber*innen von Geschäften in den drei Einzugsgebieten. Zu den nichtteilnehmenden Unternehmen gehören solche, die nie Regiogeld akzeptiert haben genau wie solche, die nach einer Phase der Mitgliedschaft ausgestiegen sind. Zunächst behandele ich aber zwei Aspekte, die das gesamte Spektrum an Kenntnis und Erfahrungen umfassen: einerseits Unkenntnis des jeweiligen Regiogeldes und mangelnder Willen, sich damit zu befassen (10.4.1), andererseits eigene Erfahrungen mit dem Regiogeld oder anderen Komplementärwährungen (10.4.2). Die inhaltlichen Beweggründe, nicht zu partizipieren, lassen sich dann einteilen in betriebliche Abwägungen wirtschaftlicher Vorteile und Kosten (10.4.3) sowie in eine grundlegende Ablehnung der alternativökonomischen Idee (10.4.4). Hinsichtlich der Faktoren der Regionalität und Gemeinschaftlichkeit zeigt sich, dass einige nichtteilnehmende Unternehmen Regiogeld explizit nicht als Ausdruck von Regionalität (10.4.5.) oder eines Gemeinschaftssinns (10.4.6.) ansehen. Im Ergebnis entwickele ich vier Idealtypen nichtteilnehmender Unternehmen. 10.4.1 Geringe Kenntnis Kenntnis des Regiogeldes ist eine Voraussetzung, überhaupt beizutreten. In Vorarlberg, das Fallbeispiel mit der größten geographischen Ausbreitung finden sich viele kleinere Betriebe, die das Regiogeld nicht kennen, wie sich in den Interviews (VORORG2, VORORG3, VORNT1tt, VORNT2tt) sowie in Stichproben zeigt. So ist der VTaler in Rankweil in einer Bäckerei ebenso unbekannt wie in mehreren kleinen Geschäften (Buchläden, Kunstläden, Lebensmittelgeschäften) in der Bregenzer Innenstadt. Während in Stroud und Brixton aufgrund der räumlichen Nähe und der stetigen persönlichen Kontakte Wissen um das Regiogeld einfach, durch Hörensagen, verbreitet werden kann, basiert der Kenntnisstand in Vorarlberg zu einem grö-
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ßeren Teil auf gezielten Informationen einzelner Unternehmen. Eine große Ausnahme besteht allerdings bei denjenigen Unternehmer*innen aus dem Umfeld des Talente Tauschkreises. Mangelnde Kenntnis stelle ich auch in zwei Läden fest, die im VTaler-Verzeichnis gelistet sind. Es handelt sich um Filialen eines Sozialunternehmens, welches die Jobchancen von Langzeitsarbeitslosen verbessern möchte. Diese werden mit einer Kombination aus »Arbeiten, Lernen und persönlicher Auseinandersetzung« (so ein Flyer) im befristeten Arbeitsplatz bei der Integra gefördert. Beschäftigung bei der Integra soll also ein Schritt in den Arbeitsmarkt sein, dementsprechend fluktuiert das Personal stark. In verschiedenen Orten gibt es etwa Gebrauchtmöbelcenter, die der Zielgruppe Beschäftigungsmöglichkeiten bieten (andere Bereiche sind Gastronomie, Landwirtschaft, Dienstleistungen usw.). Bei einem Besuch eines solchen Möbellagers stelle ich fest, dass die Mitarbeiter*innen den VTaler kaum kennen. Lediglich eine einzelne Verkäuferin erinnert sich, einmal VTaler eingenommen zu haben (Feldnotiz, 23.11.2014). Als eine Art Gegenbeispiel zu diesem teilnehmenden Laden, in dem der VTaler unbekannt ist, mag ein Spirituosenladen in Dornbirn gelten. Hier interviewe ich den Inhaber als ehemaliges Mitglied des VTaler Kreislaufes. Seit Einführung der Mitgliedschaftsgebühren gehört er offiziell nicht mehr zu den teilnehmenden Unternehmen. Er selbst sieht sich allerdings nicht als ehemaliges, sondern als aktuelles Mitglied: »Ich bin nicht mehr vollaktiv dabei, nehme nur noch wenige Scheine« (VORNT3tt). Wenn nämlich jemand mit VTalern zahlen möchte, nimmt er diese an und verwendet sie privat. Informationsasymmetrien und -defizite zeigen sich auch in Brixotn. Hier schüttelt etwa ein Kiosk-Besitzer auf der Coldharbour Lane auf meine Frage hin, ob ich mit Brixton Pound zahlen könne, entschieden den Kopf. Das habe es mal gegeben, erklärt er. Mit ablehnender Geste, indem er die Arme kreuzend übereinander her bewegt, fügt er hinzu »It is done« (Feldnotiz, 12.03.2014). Bei einem anderen kleinen Laden direkt am Eingang zu den überdachten Hallen von Brixton Village, wo die vielen Restaurants und Cafés mehr und mehr die vorherigen kleinen Läden (in einem ersten Schritt aber die leerstehenden Geschäfte) verdrängen, kaufe ich einen Hut. Der Verkäufer hat noch nie etwas vom Brixton Pound gehört und ist auch nicht interessiert, mehr zu erfahren (Feldnotiz, 2.5 2014). In anderen Geschäften hingegen sind meine Gesprächspartner*innen interessiert und fragen mich zum Brixton Pound aus. In einem familienbetriebenen kleinen Supermarkt, eher ein großer Kiosk, tausche ich einen 1-Pfund-Schein ein und bringe auf Wunsch des Besitzers am nächsten Tag Infomaterialien vorbei. Offensichtlich behagt ihm die Vorstellung einer nicht-staatlichen Geldform nicht, er ist misstrauisch und prüft die Scheine genau, ob sie fälschungssicher sind. Er entscheidet sich dagegen, Brixton Pound anzunehmen, und will sich zunächst einmal umhören. Mich erstaunt, dass das Brixton Pound in diesem Laden, direkt neben den Markthallen gelegen, vollkommen unbekannt ist. Tatsächlich handelt es sich um ein Geschäft, das von den typischen Brixton Pound Nutzer*innen
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nicht aufgesucht wird; es ist ein kleiner Laden, der neben Getränken auch spezielle westafrikanische Importwaren führt, aber überwiegend auf konkrete Bestellungen hin. Seine Stammkundschaft gehört zum Großteil der PoC-Community in Brixton an (Feldnotiz, 28.03.2014). In einem Café an der Grenze zwischen Brixton und Clapham erkundigt sich die Inhaberin danach, woran ich arbeite. Als ich erzähle, dass ich zum Brixton Pound forsche und frage, ob sie Brixton Pound akzeptiert, verneint sie kurz. Sofort holt sie eine Flasche Bier der Brixton Brewery hervor, um sie mir mit den Worten »Do you know this as well? It’s lovely!« (Feldnotiz, 24.02.14) zu zeigen. Mit dem Brixton Pound assoziiert sie Brixtoner Betriebe und Produkte, weniger ein spezifisches Geldprojekt. In unserem Gespräch stellt sich heraus, dass sie vom Brixton Pound schon einmal gehört, sich aber noch nicht detailliert danach erkundigt hat. Deshalb vermag sie nicht einzuschätzen, ob sie beim Regiogeldkreislauf teilnehmen kann oder möchte. Interessant findet sie dieses wegen des Bezugs zu lokalen Brixtoner Unternehmen; dass es sich um eine Geldform handelt, ist ihr nicht wichtig. Bei ihr findet sich dieselbe Form der von mir Lokalpatriotismus genannten Einstellung, die auch vielen partizipierenden Unternehmer*innen haben. Da ihr Café allerdings in einer abgelegenen Seitenstraße liegt, ist sie bisher nicht von Vertreter*innen der Organisation angesprochen worden. Im Zentrum Strouds habe ich in sehr vielen Läden und Geschäften sowie Cafés und Restaurants mit den Besitzer*innen oder den Angestellten kurz gesprochen, um herauszufinden, wie bekannt das Stroud Pound ist. Dabei stellte sich heraus, dass in einigen Läden oder Cafés, die äußerlich auf den ersten Blick der typischen Zielgruppe angehören, das Stroud Pound unbekannt ist. Dies mag zum Teil daran liegen, dass zur Zeit des Feldforschungsaufenthaltes die Währung bereits seit knapp zwei Jahren kaum noch zirkulierte und das Stroud Pound in Vergessenheit geraten ist. Oder aber daran, dass meine Gesprächspartner*innen erst kürzere Zeit dort arbeiteten. In vielen Fällen ist letzteres aber auszuschließen. In einem kleinen Café mitten auf der High Street versichert mir etwa der langjährige Inhaber, er habe noch nie etwas vom Stroud Pound gehört (Feldnotiz, 08.04.2014). Das Café ist kein Einzelfall, sondern auch andere, etwa der Besitzer eines Spieleladens, geben an, dass ihnen das Stroud Pound noch nicht zu Ohren gekommen sei. Offensichtlich kann mangelnde Information dazu führen, das Regiogeld nicht anzunehmen, ohne dass dahinter eine aktive Entscheidung liegt. Diese Überlegung ist einerseits banal, kann aber andererseits vorsichtig als Indiz gewertet werden, dass es den Initiator*innen des Stroud Pounds nicht in ausreichendem Maße gelungen ist, ihr Projekt bekannt zu machen. Gleichwohl zeigt sich auch, dass fehlende Kenntnis aus mangelndem Interesse hervorgehen kann. Tatsächlich hatten die Initiator*innen in Stroud in der Vorgründungsphase alle örtlichen Unternehmen angesprochen und ein Survey durchgeführt, unter anderem, um Einstellungen zum geplanten Regiogeld zu erfragen.
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Auch in Brixton findet sich diese Kombination aus mangelnder Kenntnis und fehlendem Interesse, sich mit dem Regiogeld tatsächlich zu befassen. In Brixton spreche ich mit dem Besitzer eines kleinen Teppichgeschäfts, der Brixton Pound nicht nutzt, aber zunächst zu verstehen gibt, dass er sich vor Jahren mit der Überlegung, ob er beitreten solle, befasst habe. Während des Interviews stellt sich heraus, dass er lediglich über rudimentäre Kenntnisse des Brixton Pounds verfügt, zumal er es nur vom Hörensagen kennt. Dies passt zu der Einschätzung, dass ein Geschäft wie der Teppichladen nicht zur Kernzielgruppe der Brixton Pound Organisation gehört. Auf die Frage, ob er sich genauer erkundigen wolle, entgegnet er, dass er zu beschäftigt sei (BRINT4). Die Unkenntnis über Details geht mit einem Desinteresse einher. 10.4.2 Eigene Komplementärwährungserfahrungen Betriebe mit eigenen Komplementärwährungserfahrungen stellen ein Gegenstück zu denjenigen ohne Kenntnis dar. In der Tat haben sich verschiedene Unternehmen nach einiger Zeit zu einem Ausstieg aus dem System entschieden. Andere sind dem Regiogeld nicht beigetreten, da sie über schlechte Erfahrungen mit anderen Komplementärwährungen verfügen. Ehemalige Mitglieder der Regiogeldsysteme nennen überwiegend betriebliche Erwägungen als Grund des Ausstiegs. Hierzu zählen insbesondere mangelnde Verwendungsmöglichkeiten, Kosten und Aufwand sowie ein grundlegend als zu gering wahrgenommener Umsatz. Einige Unternehmen beziehen sich auch konkret auf eigene Erfahrungen mit dem Stroud Pound. Gerade die Bäckerei (STRNT4) und die Metzgerei (STRNT3) nahmen das Stroud Pound nach einiger Zeit nicht mehr an. Sie stehen exemplarisch für enttäuschte ökonomische Erwartungen. Da das Stroud Pound seine wirtschaftliche Funktion als Förderinstrument für die lokalen Unternehmen nicht erfüllte, lohnte sich für sie der Verbleib nicht. Diese beiden Geschäfte fungierten insofern als Aushängeschild, als sich dort problemlos Güter des täglichen Bedarfs mit Stroud Pound bezahlen ließen. Für die Funktionsfähigkeit eines Regiogeldprojektes ist die Einbeziehung solcher Geschäfte zentral. Allerdings machten eben auch sie nur sehr geringen Umsatz. Sowohl in der Bäckerei als auch in der gegenüberliegenden Metzgerei wird mir zudem erläutert, dass die Betriebe nicht gefragt worden seien, in welcher Form sie eigentlich unterstützt werden können, welche Bedürfnisse sie haben. Dies rekurriert wieder auf den Kritikpunkt unzureichender Einbeziehung der Unternehmen. In Brixton erklärt mir die Verkäuferin äthiopischen Essens auf dem Markt ein paar Wochen, nachdem sie das Regiogeld selbstverständlich akzeptierete: »No. Sorry, I don’t accept it. I used to take it but then I couldn’t spend it. No one [waves her hands to show around Brixton Station Road vendors] want to take them. Every time I received one [of the notes] I struggled« (Feldnotiz, 3.5.2014). Als ich mit ihr zum ersten Mal sprach, war sie noch überzeugt davon, als regelmäßige Verkäuferin
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in Brixton das Regiogeld selbstverständlich zu akzeptieren (Feldnotiz, 29.03.2014). Ihre Partizipation beruhte wesentlich auf dem, was ich als Netzwerkeffekte bezeichnet habe, als Reaktion auf das Umfeld gedachte sie, Regiogeld zu akzeptieren, wenn sie ihren Stand in Brixton aufbaut. Es zeigte sich aber, dass bei weitem nicht alle Geschäfte in Brixton das Regiogeld annehmen. Allerdings wollte die Verkäuferin die Scheine nicht für weiteren Einkauf verwenden, sondern direkt umtauschen. Da das Papiergeld unter den meisten teilnehmenden Unternehmen deutlich weniger gerne gesehen wird als das pay-by-text-System (für welches sie sich nicht registriert hatte), weigerten sich aber auch teilnehmende Geschäfte, es gegen Sterling zu wechseln. In Brixton Village treffe ich mich mit Etta, die ein kleines Fischrestaurant betreibt. Etta erzählt, dass sie das Regiogeld früher annahm. »I thought it was a great idea« (BRINT2), beginnt sie von ihren Erfahrungen zu berichten. Dann stellte sich heraus, dass sie das Brixton Pound nicht verwenden konnte. In den Anfangsmonaten war die Organisation noch mit einem Stand in den überdachten Märkten präsent, so dass für sie der Rücktausch keinen Aufwand bedeutete. Später aber wusste sie nicht mehr, wo und wie sie das Geld umtauschen könnte (BRINT2). Daher hält sie es für unpraktisch: »Noone takes it around here. And then you can’t go to the bank with them, you can’t pay your rent with them, so what is that about?« (BRINT2). Sie hat vor allem die Unterstützung durch die Organisation vermisst, als sie Probleme hatte, Brixton Pound zu nutzen oder umzutauschen. Mit der Zeit ist ihre Skepsis gewachsen. Etta vertraut dem Brixton Pound also nicht mehr. Dennoch würde sie Scheine annehmen, wenn Kund*innen damit zahlen wollen: »I would say yes okay, fine. But I still know I have to take it home with me also and bank it there« (BRINT2). In Vorarlberg berichtet die Inhaberin des Theaters, dass sie nach einem Jahr Mitgliedschaft aus dem VTaler wieder ausgestiegen ist. In diesem Jahr ist es zu keiner einzigen Transaktion in VTaler gekommen. Als dann die Gebühren eingeführt wurden, entschied sie sich letzten Endes zum Austritt: »Und wenn wir das jetzt auch noch zahlen müssen, obwohl ich jetzt überhaupt keine Freude eigentlich damit habe…« (VORNT1TT). Der Aufwand, neben den Talenten noch eine zweite alternative Währung zu nutzen, scheint zu hoch, zumal es auch noch andere Aktionen und Ermäßigungen gibt. »Das ist ein bisschen zu viel im Moment«, sagt sie lachend.19 Die Beispiele mit dem Stroud Pound bieten Anschauungsmaterial für die Wirkungen negativer eigener Erfahrungen in einem Tauschring. Exemplarisch stehen die beiden Interviewpartner, die den Health Shop beziehungsweise das Antiquariat führen, für ehemalige Mitglieder des Tauschrings in Stroud. Der Health Shop ist ein altes, 1927 gegründetes Familienunternehmen aus Stroud, welches mittlerweile aus
19 Im Vergleich zum Talente Tauschkreis ist sie mit dem VTaler weniger zufrieden, obwohl bei diesem die Problematik der Verwendungsmöglichkeiten grundsätzlich geringer wäre. Sie bevorzugt aber den radikaleren geldkritischen Ansatz des zeitbasierten Tauschrings.
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einer Bio-Bäckerei, einem Lebensmittelladen und einem Geschäft für Nahrungsergänzungsmittel besteht. Die Läden werden nun in dritter Generation von einer Familie aus Stroud geführt. Der Health Shop wurde mir bereits vorher als ein »Gegner« des Stroud Pounds genannt. Die Organisatoren sind etwas enttäuscht, dass das Unternehmen nicht mitmacht, zumal es als ortsansässiges erfolgreiches Unternehmen nicht nur diealtypisch der Zielgruppe entspricht, sondern auch eine Vorbildfunktion einnehmen könnte. Im Gespräch begründet Andrew seine Ablehnung insbesondere mit eigenen Erfahrungen mit dem Tauschring. Diesen hat er als gescheitertes Projekt in Erinnerung. Er verweist auf die großen Probleme der beteiligten Unternehmen, geeignete Verwendungsmöglichkeiten für die Strouds, die LETS-Tokens, zu finden. Obwohl er lediglich Teilzahlungen in LETS zuließ, nahm er im ersten Monat LETS im Gegenwert von fast 2.000 Pfund ein. Für viele Mitglieder des Tauschkreises bot sich sein Geschäft als ideale Möglichkeit, wertvolle Verbrauchsgüter zu erwerben. Er sammelte also in kurzer Zeit Strouds ein, die er nicht verwenden konnte. Sarkastisch sagt er: »So yeah if I wanted a stone wall built in, I could get one of them but I didn’t particularly want one, you know what I mean. […] I mean it’s like, well, what the fuck am I supposed to do with all these, you know. It was a lot of money. So you’re like ›any staff want any payment in LETS?‹ No. No staff wanted a portion of wages paid in that so I couldn’t get rid of any like that. We could spend a bit in Mills on coffee and things but nothing to speak of. So I said nope, stop this, can’t be doing it. […] Well I might just as well be giving everybody a discount because I couldn’t get anything back for the LETS, you know.« (STRNT2)
Stroud Pound ist aus seiner Sicht ein ähnliches Unterfangen mit den gleichen Problemen. Zwar sieht er, dass die Möglichkeit des Rücktausches zumindest eine Teillösung für das Problem darstellt, aber diese stellt ihn nicht zufrieden. Der Händler antiquarischer Bücher am Ende der High Street ist kein grundsätzlicher Gegner, sondern sogar offen für alternative Geldformen. Diese findet er interessant, falls sie tatsächlich lokale unabhängige Unternehmen fördern können. Dazu müssen aber hinreichend viele Unternehmen das Komplementärgeld akzeptieren. Seine schlechten Erfahrungen mit dem Tauschring haben ihn skeptischer werden lassen und das Stroud Pound scheint ihm aus verschiedenen Gründen keine Verbesserung zu sein. Er erinnert sich an den Tauschring: »But the problem was finding something to spend them on really […] because what was on offer was very, very limited. And they were mainly things that either I had no need of or I did for myself. I didn’t need anybody to till my garden« (STRNT1). Die für seine Bücher eingenommenen LETS tokens versuchte er, für antiquarische Bücher auszugeben. Es erwies sich allerdings für ihn als schwierig, hinreichend Verwendungsmöglichkeiten innerhalb des LETS Ringes zu finden. Bei einem Vergleich von Stroud Pound und Tauschring,
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schreibt er dem Tauschring gleichwohl eine prinzipielle Überlegenheit zu. Denn dieser basierte nicht auf einem Papiergeldsystem, sondern auf zentraler Buchhaltung. Die Entscheidung für eine aufwändige Papierwährung kann er nicht nachvollziehen. Er hält alleine den Druck für zu teuer, und seiner Ansicht nach wäre die Entscheidung, solch aufwändige Noten herauszugeben, nicht gefallen, wenn der Einzelhandel gefragt worden wäre. Über das Stroud Pound schüttelt er den Kopf: »Well great you’ve got a currency but nowhere to spend it.« (STRNT1) 10.4.3 Betriebliche Erwägungen Schlechte Erfahrungen, die zum Austritt aus den Regiogeldsystemen führten, habe ich im vorigen Abschnitt bereits angesprochen. Nun erörtere ich ausführlicher die Sichtweisen nichtteilnehmender Unternehmen auf die Funktionsfähigkeit von Regiogeld. Als Probleme werden, wie gezeigt, insbesondere mangelnde Verwendungsmöglichkeiten sowie die direkten und indirekten Kosten wahrgenommen. Andere Befragte sehen nicht den Aufwand als hoch an, sondern lediglich keinen betrieblichen Nutzen, da die Nachfrage zu gering sei. Ein Lebensmitteleinzelhändler in Vorarlberg überlegt seit längerem, beim Talente Tauschkreis und/oder dem VTaler teilzunehmen. Attraktiv findet er die Projekte als bürgerschaftliche Initiativen der Regionalentwicklung und er vermutet, dass unter seinen Stammkund*innen überproportional viele Nutzer*innen sind. Dennoch hat er größere Bedenken, einerseits, was alternative Gelder an sich betrifft, andererseits aber wegen der direkten und indirekten Kosten, die auf ihn als Unternehmer zukommen würden (VORNT2). Hinzu kommt das konkrete betriebswirtschaftliche Problem der mangelnden Verwendungsmöglichkeiten. Der mögliche Rücktausch von VTalern in Euro stellt für ihn keine zufriedenstellende Lösung dar, zumal die Gewinnmargen im Lebensmittelhandel mit durchschnittlich drei Prozent sehr gering sind und die Gebühren ins Gewicht fallen würden. Vorteilhaft wäre es aus seiner Sicht, wenn der VTaler auch elektronisch zirkulieren würde, etwa mit einer Art EC-Karte. Kartenzahlung weist enorme Transaktionskostenvorteile auf, und insbesondere bei einem »Zweitgeld« fällt der Aufwand ins Gewicht, zusätzliches Bargeld in der Kasse zu halten. Auch fügt er an, dass die Beteiligung von Gemeinden sicherlich die Funktionsfähigkeit erhöhen würden. Hier verweist er auf eine Initiative zum regionalen Einkaufen in Kummertal, bei der er sich beteiligt. Dieses Gutscheinsystem wird von der Wirtschaftskammer gefördert und setzt Anreize, Kaufkraft in der Region zu halten. Der Betreiber einer Bäckerei mit einer Filiale und 22 Mitarbeiter*innen beliefert etwa 20 Bioläden. Er interessiert sich für den VTaler, mehr noch für den Talente Tauschkreis. Von diesem hat er über seine Schwägerin erfahren, die selbst landwirtschaftliche Produkte auch innerhalb des Tauschrings handelt. »Die Idee selber find ich gut […], dass man zum Euro auf Distanz gehen kann« (VORNT4). Weil er das
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Verschwinden der Landeswährungen bedauert, interessiert er sich für regionale Komplementärwährungen als möglichen Ersatz. Dennoch ist er kein Mitglied, ihn scheut der Mehraufwand. »Mir noch richtig Mehrarbeit antun, das ist nicht möglich« (VORNT4). Er zögert auch deshalb, weil er nicht weiß, wie er Talente oder VTaler konkret verwenden könnte. Schließlich bezieht er viele Vorprodukte aus Deutschland, sein Spielraum für die betriebliche Verwendung der Komplementärwährung ist daher begrenzt. Diesem Aufwand sieht er aber auch Vorteile gegenüberstehen. Er vermutet, dass viele seiner Kund*innen solch regionalen Projekten gegenüber positiv gestimmt sind und dass er einen Werbeeffekt erzielen würde, wenn er im Verzeichnis gelistet ist. Der Bäcker fühlt sich von der Regionalität angezogen, auch von der Vorstellung einer regionalen Alternative zum Euro. Er steht dem Projekt also grundsätzlich offen gegenüber, zögert aber mit einem Einstieg, weil er sich nicht sicher ist, ob dem Betrieb nicht möglicherweise mehr Nachteile als Vorteile entstehen. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass betriebliche Überlegungen einem Beitritt im Wege stehen können, selbst wenn die ideellen oder regionalentwicklerischen Zielsetzungen grundsätzlich mitgetragen werden. Andere Unternehmen, die eindeutig der Zielgruppe der Regiogeldorganisationen angehören, nennen demgegenüber ideelle und betriebliche Vorbehalte. Der Brixtoner Fischhändler Lorne etwa zweifelt an, dass das Brixton Pound ihm betriebliche Vorteile bringen könne: »I don’t use it because it’s just not profitable. There’s no logic behind it« (BRINT3). Schließlich genießt er bereits jetzt einen guten Ruf als alteingesessener Brixtoner Fischhändler und hat sich eine große Stammkundschaft aufgebaut. Daher rechnet er sich keine Vorteile aus. Im Gegenteil, wenn, wie er gehört hat, das Brixton Pound von den teilnehmenden Unternehmen beworben werden soll, indem Rabatte auf Regiogeldzahlungen angeboten werden, sieht er unmittelbaren Schaden. »And why should I give a discount for a Brixton Pound? It doesn’t give me any more business, it doesn’t generate business. All it does is it alienates businesses« (BRINT3). Er hält das Brixton Pound für nicht funktionsfähig. Ausdruck davon sei auch die geringe Nachfrage und Verwendung. »We’re here since 1932. My grandfather, then my father, now it’s me and I’m sixtythree and no one has ever offered me a Brixton Pound note« (BRINT3). Lorne steht exemplarisch für den Teil alteingesessener Geschäftsleute außerhalb der Märkte in Brixton, die dem Regiogeld sehr skeptisch gegenüber sind. Sein Geschäft liegt unter den Bögen der Bahnlinie und zählt zu den alteingesessenen und beliebten. Aber auch innerhalb der Markthallen akzeptieren viele der Geschäfte das Brixton Pound nicht. Hierunter sind angestammte wie ein weiterer Fischverkäufer oder ein typisches Café, in dem traditionelles English Breakfast zu günstigen Preisen angeboten wird. Darunter sind aber auch gerade Restaurants und jüngere Cafés, die in den letzten Jahren während der Wiederbelebung der Hallen entstanden sind. Diese gehören eindeutig zum »neuen Brixton« und werden gerade am Wochenende stark von jungen Londoner*innen und Tourist*innen frequentiert.
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Die Inhaberin eines portugiesischen Restaurants in den überdachten Markthallen nennt geringe Nachfrage als ausschlaggebenden Grund für ihre Entscheidung, Brixton Pound nicht zu akzeptieren. Ihr Restaurant und ihr Werdegang sind typisch für das »neue Brixton« und Brixton Village. Sie hat 2011 eröffnet, da sie sich nach vorheriger Arbeit in einer Consulting Firma selbstständig machen und einen lange gehegten Traum als Restaurantbesitzerin erfüllen wollte. Insofern stellt sie auf den ersten Blick eine typische Brixton Pound Teilnehmerin dar, die sich als sinnsuchende Geschäftsfrau im umtriebigen Brixton stilisieren lässt (BRINT3). Sie hat auch vom Brixton Pound gehört, möchte aber den Aufwand einer zweiten Kasse meiden. Auch nennt sie es als zu aufwändig, die Scheine umtauschen zu müssen. Für sie stellt sich die Überlegung, es weiter zu verwenden, nicht, da sie das Brixton Pound eher für ein »gimmick for the tourists« hält. »And then, I don’t have enough customers paying with the Brixton Pound« (BRINT3). Sehr selten werde sie gefragt, und dafür lohne der Aufwand einfach nicht. Ähnlich erklärt mir die Besitzerin eines erfolgreichen peruanischen Restaurants, es gebe schlicht keine Kund*innen, die nach Bezahlmöglichkeiten in Brixton Pound fragen (Feldnotiz, 29.03.2014). Diese Beispiele lassen sich denjenigen teilnehmenden Betrieben gegenüberstellen, die sich reaktiv aus betrieblichen Erwägungen zum Beitritt entschieden haben (vgl. 10.1.1), da sich bei beiden die tatsächliche Nachfrage als ausschlaggebend für die (Nicht-)Partizipationsentscheidung erweistDas Brixton Pound wird auch – zumal von Leuten, die die Scheine gar nicht kennen – für nicht fälschungssicher gehalten. »If I would give you a Brixton Pound, would you know if it was real one or not? No, there’s no way you’re going to - No one knows if they’re real or not. It’s hard enough to know if you got an English note.« (BRINT3) Solche Bedenken werden von denjenigen, die die Scheine gesehen und gefühlt haben, nicht geäußert. Denn in der Tat erscheint es im Gegensatz zu dieser Vermutung äußerst schwierig, Duplikate der detailreichen Scheine zu erstellen. In Stroud herrscht, wie erwähnt, eine große Unzufriedenheit mit den Gebühren vor. Denn damit kommen zu den mangelnden Verwendungsmöglichkeiten ein gewisser Aufwand der Verwaltung und die Kosten durch Demurrage und Rücktausch hinzu. Das Stroud Pound sieht Andrew als viel zu kompliziert an, da er es aufgrund der möglichen Abwertung und den Wechselkursgebühren buchhalterisch nicht wie Sterling behandeln kann. »So far too complicated. Imagine you’re trying to explain this to your accountant« (STRNT2). Abgesehen von diesem Mehraufwand sieht er auch keinen Sinn in den Gebühren. »So really I’m totally against it.« (STRNT2)20
20 Mit den grundlegenden Zielen im Sinne der Stärkung der lokalen Wirtschaft kann er sich hingegen identifizieren, fügt Andrew an. Er hält nur die Projekte, denen es nicht gelingt, genügend Betriebe einzubeziehen, für zum Scheitern verurteilt. Gerne verweist er auf die Stärkung der lokalen Wirtschaft durch sein Familienunternehmen. Dieses sieht er in der
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Für Andrew sind die mit der Nutzung von Stroud Pound verbundenen Kosten letztlich nicht akzeptabel: »So it’s bad enough having to pay to bank your money in the bank. But to actually have to convert Stroud Pounds to sterling and paying for that and then paying again to put the money into the bank… Absolutely no interest whatsoever to me« (STRNT2). Auch in einem kleinen Laden in Stroud, der Handarbeit und Mode verkauft, erklärt die Inhaberin, nicht mitgemacht zu haben, weil es ihr zu aufwändig erschien. Da es kaum Verwendungsmöglichkeiten gab, sieht sie sich in ihrer Entscheidung bestätigt. Zu wenig andere Betriebe machen mit, sie daher auch nicht. Dem Aufwand stehen ihrer Ansicht nach keine Vorteile gegenüber. Wenn der Council, so sagt sie, ohne dass ich danach frage, das Stroud Pound für Abgaben akzeptieren würde, sähe es anders auch. Dann hätten deutlich mehr Unternehmen einen Anreiz, mitzumachen, zumindest böten sich Möglichkeiten der Verwendung (Gesprächsnotiz 11.04.2014). 10.4.4 Alternativökonomische Ideen und Geldreform In Stroud zeigt sich nicht nur eine durch die Erfahrungen bestätigte Skepsis hinsichtlich der wirtschaftlichen Erfolgsaussichten, sondern in hohem Maße auch eine grundlegende Ablehnung der hinter dem Stroud Pound stehenden Idee. Dies liegt daran, dass das Stroud Pound mit den gesellschen Negativzinsen ein radikaleres Geldreformprojekt darstellt als das Brixton Pound oder der VTaler. Ein Antiquar in Stroud nennt die Gebühren und die Demurrage »enormously complicated and beyond my comprehension really« (STRNT1). Derartige Elemente kann eine solche Währung nur dann verkraften, wenn die grundlegende Akzeptanz gesichert ist und genügend Läden bereit sind, sie anzunehmen. Die Demurrage widerspricht aber auch grundsätzlich seinem Verständnis von Geld. Zunächst sei Geld wertstabil. Aber auch die Vorstellung, einen Negativzins zu benötigen, um den Umlauf zu erhöhen, zeuge von Misstrauen gegenüber der Funktionsfähigkeit. »Money is money. If it’s not money then it’s not money. […] It seemed like if you’re going to do that in order to encourage people to spend them, then there’s something wrong« (STRNT1). Mit sarkastischem Unterton fügt er an: »Get them out of your pocket quick before they become worthless« (STRNT1). Auch Andrew ist aufgrund seiner Erfahrungen entschieden gegen solche utopischen Projekte. Er gehört zu denjenigen, die Komplementärwährungen letztlich als Spinnereien abtun, zumindest, wenn sie für Unternehmen gedacht sind. »Yeah and maybe in a utopian society it might work but realistically, no.« (STRNT2) Aus seiner Sicht handelt es sich bei Komplementärwährungen um Träumereien (»airy fairy little ideas«), die in der Wirklichkeit letztlich nicht funktionieren können, zumindest nicht Tat als gutes Beispiel an, da es trotz etwa eines steigenden Umsatzes im Onlinehandel Wert darauf lege, echte Arbeitsplätze in Stroud zu schaffen und zu erhalten (STRNT2).
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in der »echten« Wirtschaft. Denn gerade für größere Unternehmen ergeben sich immense Probleme. Das Stroud Pound kann er sich lediglich für die kleinen Bereiche selbstständiger Nebentätigkeiten vorstellen, wie in künstlerischen oder handwerklichen Bereichen, nicht aber für »echte«, größere Unternehmen. »From the point of view of somebody who works with wood or makes wood or grows vegetables or produces, you know, cakes. I mean in that sense I can see it would be a great idea.« (STRNT2) Das Regiogeld könnte also allenfalls für diejenigen Bereiche außerhalb der formellen, zumindest der professionellen Wirtschaft eine Möglichkeit sein, als Zeichen der Wertschätzung in kleinem Maßstab zu zirkulieren. Andrew sieht also im Stroud Pound keine reguläre Geldform, sondern eher ein mögliches Mittel zur Aufwertung oftmals informeller Dienstleistungen. Ähnlich schätzt der Brixtoner Fischhändler Lorne das Brixton Pound ein. Es sei vollkommen ungeeignet für eine Stadt, geschweige denn Brixton. Aber auf dem Land, da könne er sich so etwas vorstellen: »If it was in a small, little place – Brixton was in say, Outer Hebrides – and if you were selling goat’s milk and I was selling cheese – things would change.« (BRINT3) Für ihn ist das Brixton Pound keine neue Geldform, sondern ein Schritt zurück Richtung Tauschwirtschaft. Während des Gesprächs kommt eine Kunde dazu, der seine Position teilt. Er sagt entschieden: »I wouldn’t touch it. Someone give me a thousand Pounds worth, yeah and I’ll give you twenty quid for it but that’s about it« (Kunde, 29.04.2014). Regiogeld stellt auch für ihn kein echtes Geld dar. Auch der Besitzer eines Weingeschäftes im Zentrum Strouds erklärt mir entschieden, dass er bei solchen »silly games« nicht mitmachen würde. Er steht der »green community« nicht nahe und hält das Stroud Pound für eine nicht ernstzunehmende Spielerei aus eben dieser Gemeinde, die er im Verlauf des Gesprächs auch als »hippies« bezeichnet. Seine Ablehnung basiert somit nicht auf der konkreten Umsetzung oder den Designfeatures wie der Demurrage, sondern ist Teil seiner Geringschätzung der alternativen Gemeinschaften, die solche realutopischen Ansätze verfolgen. Auch erkennt er das Stroud Pound nicht als Geldform an: »It’s not real money. Real money… has the queen on it«, sagt er und holt einen Geldschein hervor, um das Portrait der Queen zu zeigen (STRORGNT5). Die Idee, statt der Staatsmacht könnten auch zivilgesellschaftliche Akteure Geld oder Geldsubstitute hervorbringen, lehnt er rundweg ab.21 Ein Einzelhändler in Vorarlberg ist zwar dem Projekt als Initiative der Regionalentwicklung grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber, hat aber große Bedenken verschiedener Art. So erläutert er, dass er seine Lieferanten lieber mit Euro bezahlt 21 Diese positive Konnotation mit dem gesetzlichen Zahlungsmittel findet sich in den beiden englischen Fallbeispielen, weniger in Vorarlberg. Hier wird der Euro deutlich kritischer beäugt. Dies mag mit der langen Historie des britischen Pfundes gegenüber der kurzen, von Problemen begleiteten Geschichte des Euro zusammenhängen.
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als innerhalb eines Komplementärwährungskreislaufes, damit diese die Wahlfreiheit haben, wo und wie sie ihr Geld ausgeben wollen. Hier wird deutlich, dass die eingeschränkte Fungibilität durchaus als Nachteil gesehen wird. Als Beispiel nennt er eine Produzentin von Schafsjoghurt und Schafskäse aus dem Bregenzerwald. Sie liefert einmal in der Woche fünfzig Joghurts, und er bezahlt dafür in Euro. »Ich freue mich, dass sie dann auch bei uns einkauft, aber mir ist lieber, sie sagt ›zu Dir komme ich gerne, weil es mir hier gefällt‹, als dass ich sie dazu zwinge mit einer eigenen Währung« (VORNT2). So hat er sich gegen eine Teilnahme entschieden: »Ich kann es mir nicht vorstellen für uns« (VORNT2). Seine funktionale Sichtweise auf das Regiogeld hält ihn von der Partizipation ab. Darüber hinaus scheint der Talente Tauschkreis, mit dem er sich näher beschäftigt hat (er hat auch an einer Informationsveranstaltung teilgenommen), als Einstieg und Türöffner für Schattenwirtschaft und Schwarzarbeit zu gelten. »Und für mich hat der Talente Tauschkreis, ganz offen gesagt, so etwas von einem grauen Markt, sage ich mal. […] Es ist Schwarzgeschäft« (VORNT2). Im Talente Tauschkreis sieht er die Gefahr einer Anstiftung oder Beihilfe zur Steuerhinterziehung, zumal der Tauschkreis ja gerade die Brücke zur informellen Wirtschaft schlage. Seine Vorbehalte gegenüber dem Tauschring übertragen sich auf den VTaler.22 Das Theater in Feldkirch stellt gewissermaßen einen gegenteiligen Fall dar. Der Leiterin gefällt konkret die Idee, »Geld zu hinterfragen« (VORNT1TT). Daher ist sie in den Tauschkreis eingetreten. Hier zeigt sich wieder einmal die Nähe von Talente Tauschkreis und VTaler insbesondere mit Blick auf die Wahrnehmung von Komplementärwährungen als Ausdruck der Geldsystemkritik. Den Talente Tauschkreis hält 22 Aus meiner Sicht ist diese Befürchtung nicht nachvollziehbar. Zwar berichten einige Interviewpartner*innen davon, dass manche ihre Einnahmen im Tauschkreis nicht versteuern, aber hierbei handelt es sich um ein vom Tauschring unabhängiges Phänomen. Die Beispiele, die immer wieder genannt werden, beziehen sich etwa auf Selbstständige, die regelmäßig und kommerziell auf Märkten Produkte anbieten, ohne einen Gewerbeschein zu besitzen oder ihre Einnahmen zu versteuern, oder auf Haushaltshilfen, die innerhalb des Tauschringes bezahlt werden. Allerdings dürfte die Mitgliedschaft im Tauschring keinen Einfluss auf die Steuerhinterziehung haben, zumal Bargeldzahlungen sogar den Vorteil der Anonymität aufweisen, während alle Transaktionen im Tauschring festgehalten werden. Im Tauschring werden Mitglieder explizit darauf hingewiesen, dass Einnahmen zu versteuern sind. Auch der Interviewpartner gesteht zu, als ich ihm am Ende des Gesprächs meine Auffassung mitteile, dass sein Verdacht möglicherweise anzuzweifeln ist: »Wahrscheinlich gibt es die schwarzen Schafe auf beiden Seiten zu gleichen Teilen. Also ich denke nicht, dass das eine mehr oder das andere weniger ist. Und vielleicht ist es bei mir so … für mich hat es den Touch, dass es leichter geht […]. Aber das wird vermutlich ein Auffassungsproblem meinerseits sein. Und ich denke, es wird auf beiden Seiten genau gleich viel oder gleich wenig, gemauschelt, ob mit Geld oder mit Talenten, ja« (VORNT2).
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sie für ein Projekt, das »diese ganze Kritik an der Geldwirtschaft« (VORNT1TT) nicht nur artikuliert, sondern mit einem Gegenmodell im Kleinen vorlebt. Für die Kulturinitiative stellen die Talente eine Ausdehnung auf eine »gesellschaftskritische Ebene« dar. Der Tauschring steht für eine andere Art der Geldschöpfung, bei der nicht Banken, sondern Gemeinden die Kontrolle haben und bei der der Tausch »sozialer« ist (VORNT1TT). Der VTaler als eurogedecktes Geldsystem stellt ihrer Ansicht nach letztlich nicht viel mehr als eine Art regional begrenzte Nachahmung des Euro dar. Die vorübergehende Mitgliedschaft beim VTaler ist eher Nebenprodukt der Mitgliedschaft im Tauschring, zumal er von denselben Personen und derselben Organisation verwaltet wird. Doch das Interesse gilt den Talenten. Auch Tony, Inhaber der Metzgerei in Stroud, identifiziert das Stroud Pound mit herkömmlichem Geld, dessen Funktionsfähigkeit eingeschränkt ist. Aufgrund der nicht vorhandenen betrieblichen Verwendungsmöglichkeiten hat er sich zum Austritt entschieden. Die oben skizzierte Verwendung von Regiogeld für gesellige oder gemeinschaftliche Anlässe kann er sich ebenfalls nicht vorstellen. Er teilt also nicht diese spezifischen Bedeutungszuschreibungen, sondern sieht das Stroud Pound als eher als herkömmliche Geldform an. Seine informellen, reziproken Beziehungen zu anderen Händler*innen und Gewerbetreibenden, bei denen es auch zu wechselseitigen Gaben kommt, sind dezidiert nicht monetär bemessen. So gibt er dem Frisör häufig großzügig mehr Wurst oder Fleisch und hat im Gegenzug oftmals beim Frisör nicht zu bezahlen. Es kommt aber nicht zu konkreten Verrechnungen. Für Tony wäre die Nutzung von Regiogeld eine Monetarisierung dieser Gabebeziehungen (STRNT3). Wenn er seinem Angestellten über das Gehalt hinausgehende Geschenke macht, dann nicht mit Geld, sondern »in kind«, also durch Produkte der Metzgerei. 10.4.5 Regionalität Bei der Diskussion der Partizipationsmotive teilnehmender Unternehmen habe ich eine typische Motivationsform herausgearbeitet, die am Regionalitätsprinzip ansetzt. Die Dimension von Regiogeld als Instrument der Regionalentwicklung macht auch für manche Interviewpartner*innen einen wesentlichen Faktor aus, weshalb sie die Komplementärwährung nicht akzeptieren. Für sie ist Regiogeld kein Projekt, das die Region fördern würde. Ein Vorarlberger Einzelhändler in Altach, der Komplementärwährungen nicht nutzt, da sie für ihn Schwarzarbeit ermuntern (vgl. 10.4.4), beschäftigt sich mit ihnen, weil er sich als regional verantwortlichen Geschäftsmann sieht. Er hat sich daher gerade wegen des Bezugs zur Regionalität eingehender mit Talenten befasst. Er fördert als Sponsor verschiedene regionale Veranstaltungen und Projekte, vertreibt sehr viele regionale Produkte, die er teilweise auch von Kleinstproduzent*innen bezieht. Seine Kundschaft besteht zu einem sehr großen Teil aus Stammkund*innen, die die große
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Auswahl regionaler Produkte bei ihm schätzen. Er vermutet auch, »dass viele Kunden von uns in so einer Talente-Geschichte drin sind […] weil die auch bewusst sind« (VORNT2). Seine Entscheidung gegen den Eintritt basiert letztlich auf einer Abwägung der als positiv bewerteten Regionalität mit der als negativ wahrgenommenen Beschränkung und dem seiner Ansicht nach informellen Charakter des Tauschrings und des Regiogeldes. In Brixton erläutert mir Lorne, dass er das Brixton Pound nicht als genuin Brixtoner Initiative ansieht. Er steht dem Brixton Pound sehr negativ gegenüber. Er hat »probably my whole life« in Brixton Fisch verkauft und wohnt im benachbarten Peckham. Nun, mit 63 Jahren, fürchtet er, dass die Mieten dank der Redevelopmentpläne bald so stark steigen, dass er seinen Laden schließen muss. Für ihn ist das Regiogeld Teil des Wandels in Brixton, der für eine Verdrängung der typischen Brixtoner Bewohner*innern und Unternehmen sorgt. Er sieht die Brixton Pound Organisation nicht als eine Community-based Organisation aus Brixton an, sondern nahezu als einen Fremdkörper, initiiert von Außenstehenden. Den lokalen Bezug hält er für konstruiert: »They’re not local people. They’re not local. […] Who’s fucking local here? We ain’t local, they ain’t local, you’re not local, no one’s local. It’s like Brixton isn’t Brixton anymore.« (BRINT3)23 Er berichtet von verschiedenen Anfragen zum Brixton Pound, da sein Geschäft zur Kernzielgruppe des Brixton Pounds gehört und er sowohl von Vertreter*innen der Organisation, aber auch von Interessierten, von Studierenden und von Medien auf das Thema angesprochen wurde. »They’re still trying to ask questions, why it ain’t working. It ain’t working cause it’s a shit idea. […] Why should Brixton be different from Clapham and Peckham?« (BRINT3). Hier zeigt sich die weitere Dimension der Kritik. Eine Lokalwährung mitten in einer Großstadt, in der kaum lokale Produktion vorherrscht, hält er für absolut nicht machbar. Auch die Besonderheit des Stadtteils weist er zurück. Gleichzeitig erklärt er, dass gerade Brixton (wie aber auch Clapham und Peckham) multikulturell geprägt ist, so dass sicherlich zahlreiche Fremdwährungen neben dem Pound Sterling zirkulieren. Ein zusätzliches Geld, so eingeschränkt wie das Brixton Pound, verkompliziert seiner Ansicht nach die Sache. Er argumentiert nicht nur mit seiner eigenen Einstellung, sondern auch mit dem geringen Umsatz beteiligter Unternehmen. Seiner Distanz zum Trotz wendet er zum Schluss des Gespräches ein, dass, da Brixton im Wandel ist und den Gentrifizierungsprozessen unterliegt, viele alteingesessene Bewohner*innen schon weggezogen sind. Eventuell, überlegt er, könnte das Brixton Pound in Zukunft doch besser funktionieren – falls eben die neuen, jüngeren, wohlhabenderen Bewohner*innen es gerne nutzen würden. »Yeah, so who knows, maybe in ten years time it 23 Es gibt auch verschwörungstheoretisch anmutende Varianten der Fremdheitszuschreibung. Ein Brixtoner Händler erklärt mir, das Brixton Pound sei kein lokales Projekt, sondern ein amerikanisches – und deshalb sei es abzulehnen: »The concept, is not good. All this arrived from America somewhere«. (Feldnotiz, 18.4.2014)
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might be a good idea. It might be an idea that’s going to be, here in ten, twenty, years time, who knows.« (BRINT3) 10.4.6 Gemeinschaftlichkeit Unter den nichtteilnehmenden Betrieben finden sich ebenfalls viele, die sich als regional verantwortliche Unternehmen, als Teil der lokalen Gemeinschaft fühlen. Sie empfinden das Regiogeld aber nicht als Ausdruck der Gemeinschaft, da es eben nicht die gesamte Gemeinschaft repräsentiere. So sieht ein Antiquar in Stroud in der ideellen Zielsetzung und der damit einhergehenden faktischen Selbstbegrenzung des Stroud Pounds eine große Problematik. Durch die bereits in der Vorgründungsphase mangelnde Einbeziehung der Unternehmen blieb das Projekt seiner Einschätzung nach von vorneherein auf einen kleinen, den Initiator*innen nahestehenden, Ausschnitt der Strouder lokalen Betriebe und Geschäfte beschränkt. Das Gründungsteam zielte außerdem zu stark auf Aspekte des nachhaltigen Konsums ab, anstatt die Stärkung der lokalen Wirtschaft in den Mittelpunkt zu rücken. Die mangelnde Inklusion der Geschäftsleute im Planungsprozess führte zur geringen Akzeptanz. »If the intention is to try and encourage people to spend money locally and keep the money in the community and all of that, then the more people who do it the better. It seems to me to be a given. And if that’s not your primary objective then why bother?« (STRNT1) Er hat den Eindruck, dass die de facto Begrenzung auf diesen »grünen« Teil der Bevölkerung und der Betriebe den Gründer*innen auch genehm war. Dies hält er für einen großen Fehler. Seine Ablehnung bezieht sich somit nicht auf die Idee einer Komplementärwährung an sich, sondern mehr auf die spezifische Form. Als insgesamt sehr großen Fehler hält auch die Inhaberin des Modeladens die Tatsache, dass das Stroud Pound konzipiert wurde, ohne vorher die Händler*innen und Geschäftsleute nach ihren Bedürfnissen zu fragen (Gesprächsnotiz 11.04.2014). Der Inhaber des Antiquariats an der High Street teilt diese Einschätzung (s.o.). Seiner Ansicht nach hat er versucht, konstruktive Vorschläge zu machen, vor allem was den Prozess der Entwicklung und Einführung betrifft. Er fühlte sich allerdings weder gehört noch verstanden. Er hat grundsätzlich das Gefühl, dass die Initiator*innen des Stroud Pounds nicht ausreichend mit den lokalen Geschäften gemeinsam Bedarf und Erwartungen diskutiert haben, sondern dass sie in einer relativ kleinen Gruppe Entscheidungen fällten, ohne dass diese wirklich zu den Bedürfnissen der Geschäfte passten. »[I]t costs you as a retailer to be involved in it. Which I don’t, in principle, disagree with. But I could see no advantages. And they weren’t keen to sell it to the general retailer. It was a very cliquish kind of thing« (STRNT1). Hier äußern sich nicht nur Unzufriedenheit mit der konkreten Ausgestaltung, sondern vor allem mit der Tatsache, dass – so die Einschätzung – von Beginn an versäumt wurde, die gesamte Gemeinschaft der Betriebe zu integrieren.
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10.4.7 Typisierung nichtteilnehmender Unternehmen Die Beweggründe nichtteilnehmender Unternehmen sind äußerst heterogen. Zunächst lassen sich mangelnde Information sowie fehlendes Interesse, sich mit dem Regiogeld auseinanderzusetzen, nennen. Neben dieser Gruppe von kenntnislosen Nichtteilnehmer*innen finden sich solche, die sich aktiv gegen eine Mitgliedschaft beim Regiogeld entschieden haben. Hierzu zählen zunächst diejenigen, die aus betrieblichen Abwägungen heraus nicht beitreten wollen, da sie den Aufwand und die Kosten für zu hoch und/oder die Vorteile für zu gering wahrnehmen. Manche haben sich konkret auf Basis eigener Erfahrungen gegen den Eintritt oder Verbleib entschieden. Neben betrieblichen Überlegungen existiert auch eine Auseinandersetzung mit den allgemeinen Zielen der Regiogeldprojekte. Das Spektrum der Einschätzungen wiederum reicht von grundsätzlicher Ablehnung alternativökonomischer Projekte bis hin zur Kritik an der konkreten Ausgestaltung des Regiogelds. Einige dieser Nichtteilnehmer*innen zeigen sich dabei äußerst kenntnisreich und auch über Details wohl informiert, andere haben sich zumindest mit den Grundzügen vertraut gemacht und wissen, welche Initiator*innen hinter dem Projekt stehen. Auf Basis der hier getätigten Ausführungen lässt sich die Gesamtheit nichtteilnehmender Unternehmen typisierend in vier Gruppen einteilen. Die erste Teilmenge bezeichne ich als Unwissende, da sie bereits aufgrund mangelnder Information keine Partizipation erwogen haben. Zur zweiten Gruppe gehören Enttäuschte, welche ursprünglich mit Regiogeld oder anderen komplementären Währungsformen sympathisierten (sei es aus ideellen Motivationen oder betrieblichen Erwägungen), aber in ihr schlechte Erfahrungen machten. Zum dritten Typ gehören dezidierte Gegner*innen der alternativökonomischen und/oder geldreformerischen Ideen; sie lehnen Regiogeld aufgrund der ihm zugeschriebenen Ideologie demnach ab. Beim vierten Typus findet sich demgegenüber nicht eine grundlegende Ablehnung der Idee, sondern Skeptiker*innen und Zweifel gegenüber der ökonomischen Funktionsfähigkeit. Hier sind es meist konkrete betriebliche Erwägungen, die gegen die Partizipation sprechen, nicht aber der Ansatz als solcher. Die Beispiele ehemaliger Mitglieder (10.4.2) ergänzen wichtige Ergebnisse der Partizipationsmotivationen teilnehmender Betriebe (10.1). Denn ehemalige Mitglieder sind meist auf Basis der Erfahrung ausgestiegen, keine betrieblichen Vorteile zu erzielen. Sie hatten sich von der Mitgliedschaft einen Marketingeffekt erwartet, welcher sich letztlich nicht erfüllt hat. Ein Vergleich zu den Unternehmen, die trotz ähnlicher Erfahrungen weiterhin im Regiogeldsystem verbleiben, zeigt, dass letztere nicht oder nicht nur betriebliche Erwartungen haben, sondern die ideellen Ziele der Regiogeldorganisationen teilen. Sie sehen sich tendenziell eher in einer reziproken
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Beziehung zur Gemeinschaft der Regiogeldnutzer*innen. Ohne positive Zuschreibungen zum Regiogeld in wenigstens einer der ideellen (alternativökonomischen, regionalitätsbasierten oder gemeinschaftlichen) Dimensionen, scheint ein langfristiger Verbleib eher unwahrscheinlich. Betriebliche Erwartungen alleine führen in der Regel nicht zum Einstieg oder zum Verbleib im Regiogeld.
10.5 GEMEINSAMKEITEN UND UNTERSCHIEDE ZWISCHEN DEN DREI FÄLLEN In diesem Abschnitt möchte ich abschließend kurz einige Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zwischen den drei hier untersuchten Regiogeldern aus Brixton, Stroud und London herausstellen, ehe ich im nächsten Kapitel eine zusammenfassende Analyse unter Rückgriff auf die vorab erörterten theoretischen Bezüge liefere. Hinsichtlich der zirkulierenden Regiogeldmenge und der Umsätze in Regiogeld ist festzuhalten, dass in allen drei Fällen kein Unternehmen hohe Umsätze in Regiogeld aufweist. Auch werden regionale Wirtschaftskreisläufe wenn überhaupt, dann allenfalls in Ansätzen, gestärkt. Dies hängt mit der grundlegenden Problematik der kaum vorhandenen ausschließlich regionalen Wertschöpfungsketten zusammen. Die teilnehmenden Unternehmen nehmen in der Regel keine direkte Förderung wahr, zumindest sehen sie auch einen vergleichsweise hohen Aufwand, der den möglichen Vorteilen der Partizipation entgegensteht. Stroud stellt einen Extremfall dar, da dort der Umlauf zum Erliegen gekommen ist. Es ist letztlich nicht gelungen, den ungleich erfolgreicheren Chiemgauer aus Süddeutschland nachzuahmen. Demgegenüber sind die Regiogeldprojekte in Brixton und Vorarlberg erfolgreicher. Besonders erfolgreich scheinen die mit der Allmenda und dem VTaler verbundenen Langenegger Talente. In Langenegg zeigen sich unmittelbare Effekte auf die Regionalentwicklung, insofern das Regiogeld eine Säule der Bemühungen von Gemeinde, Unternehmen und Bürger*innen ist, den Dorfladen zu erhalten. Langenegg und Stroud stellen somit zwei Extreme der hier behandelten Fälle dar. Der Vergleich lässt vermuten, dass insbesondere zwei Faktoren einen wesentlichen Beitrag zu seiner Verbreitung und dauerhaften Stärkung des Umlaufes in Langenegg ausmachen. Einerseits ist die Kommune eng einbezogen, sogar tragende Akteurin des Kreislaufes. Andererseits ist vor allem ein gemeinsames, geteiltes Bewusstseins eines konkreten Problems (der drohende Niedergang der Nahversorgung) sowie seiner Lösung (Relokalisierung des Konsums, wozu die Komplementärwährung einen entscheidenden Beitrag liefert) Grundlage der Initiierung und Nutzung der Dorfwährung. Die Ziele des Regiogeldkreislaufes sind also klar spezifiziert und von einer breiten Gruppe getragen, Bedeutungszuschreibungen demnach unter vielen Anwohner*innen geteilt.
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Hilfreich ist in Brixton und in Langenegg in Vorarlberg, dass lokale Abgaben in Regiogeld entrichtbar sind. Dies ist in Stroud nicht der Fall. Dort erwies sich allerdings auch die Ausgestaltung mit der vergleichsweise komplexen Demurrage als problematisch. Denn sie löste große Unzufriedenheit aus. In Vorarlberg und Brixton entschieden sich die Initiator*innen gegen ein solches System, um eine breitere Akzeptanz zu erzielen. Brixton nimmt insofern eine Sonderstellung ein, als es im urbanen Raum Londons zirkuliert, was sich auch im Design bemerkbar macht. Die Organisation nutzt sehr stark neue, soziale Medien und legt viel Wert auf einen stets aktuellen und modern gestalteten Internetauftritt. Zu den Besonderheiten gehört auch das elektronische Zahlungssystem, mit dem nicht nur Unternehmen, sondern auch Konsument*innen Regiogeld von Handy zu Handy übertragen können. In Brixton sollen auch zunehmend weitere Projekte neben der Geldzirkulation initiiert werden. Hinsichtlich der Bedeutungszuschreibungen und Partizipationsmotivationen und Erwartungen habe ich herausgestellt, dass nicht (alleine) betriebliche Kalkulationen, sondern insbesondere außerbetriebliche Überlegungen und Überzeugungen von großer Bedeutung sind. Dies gilt für alle drei Fallstudien. Idealtypisch lassen sich ideelle Motive alternativen Wirtschaftens und der Geldreform finden, mit denen Regionalität oder Gemeinschaftlichkeit betont wird, sowie eine Art indifferenten Nachahmens. Diese Trennung dient analytischen Zwecken; real treten Mischformen auf. Die Idee der regionalen Wirtschaftsförderung übt in allen drei Fällen eine wesentliche Anziehungskraft aus. Überall findet sich ein Lokalpatriotismus, der die Partizipation beeinflusst. Es zeigen sich aber tendenziell auch Unterschiede zwischen den Fällen. Während in Brixton das Gefühl einer engen Gemeinschaft eine besonders hohe Anziehungskraft ausübt – was mit der räumlichen Nähe gerade der vergleichsweise umsatzstarken Unternehmen in den überdachten Märkten zusammenhängt –, überwiegt in Stroud bei den (wenigen) stark involvierten teilnehmenden Unternehmen vor allem deren Nähe zu alternativ- und umweltökonomischen Zielen. Dies hängt mit der noch engeren Anbindung an das Transition Movement sowie an die Steiner-Community zusammen. In Vorarlberg hingegen ist der Einflussbereich größer, die teilnehmenden Betriebe liegen weiter auseinander, weshalb ein enges Gemeinschaftsgefühl weniger leicht verbreitet wird. Gemeinschaft in Vorarlberg bezieht sich stärker auf die gesamte Region; es handelt sich noch stärker als in Stroud oder Brixton um eine imaginierte Gemeinschaft in dem Sinne, dass es kaum zu Face-to-Face-Kontakten zwischen den teilnehmenden Unternehmen kommt (wohl aber zwischen Händler*innen und Konsument*innen). In Hinblick auf die Partizipation stellt der Vorarlberg ebenfalls einen Sonderfall dar, da mit großen Einzelhändler*innen, wie Spar oder Adeg auch wirtschaftlich größere Akteur*innen einbezogen sind. In Brixton und Stroud sind hingegen ausschließlich kleine Unternehmen, vor allem Pubs, Cafés und Restaurants sowie kleine Geschäfte involviert.
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Hinsichtlich der Grenzen der Kreisläufe lassen sich intendierte und nicht intendierte abgrenzen. Zwar haben die Organisationen grundsätzlich den Anspruch, eine Geldform für alle in der Region zu bieten, doch zeigt sich, dass die Nutzer*innen tendenziell der Weißen Mittelschicht angehören. Eine weitere Grenzziehung besteht darin, dass Regiogeld zumindest partiell einer Stigmatisierung unterliegt, die dem Anspruch entgegensteht, als allgemeines Tauschmittel zu zirkulieren. Die Kehrseite dieser Stigmatisierung besteht allerdings darin, dass Regiogeld besonders ist und etwa für konviviale Zwecke markiert wird. Ergebnis der relationalen Arbeit ist damit auch die spezifizierte Verwendung. Denn auch das spezifische Set an Gütern und Dienstleistungen entspricht ebenfalls nicht vollständig den Zielen bei Gründung der Regiogeldsysteme. In den Praktiken zeigt sich vielmehr, das Regiogeld zum Teil besonderen Zwecken zugewiesen wird, dass hiermit eben Besonderes bezogen werden soll. Diese besondere Qualität geht mit der geringen Quantität, also dem geringen Umlauf einher. Denn nur innerhalb eines überschaubaren (Umsatz-)Rahmens lässt sich Regiogeld für gemeinschaftlich-gesellige Zwecke verwenden. Bei höheren Umsätzen müsste es hingegen zu einer Ausweitung der Verwendungsweisen kommen und Regiogeld verstärkt für herkömmliche betriebliche Ausgaben genutzt werden. Regiogeld fungiert als Symbol der Gemeinschaft, was sich in Brixton wie in Langenegg besonders zeigt. Im Vorarlberg hingegen werden enge Gemeinschaft und dezidiert »soziale« Ziele weniger mit dem VTaler, sondern stark mit dem Talente Tauschkreis verbunden, aus dem letztlich auch der VTaler hervorgegangen ist. Im Vergleich zum Tauschkreis stellt der VTaler aber eben deutlich ein Element der herkömmlichen, formellen Wirtschaft dar. Diejenigen, auch Unternehmer*innen, die in beiden Komplementärwährungssystemen partizipieren, schreiben dem Tauschkreis deutlich stärker soziale, gemeinschaftliche Bindungswirkungen zu als dem Regiogeld.24 Positive Erfahrungen mit dem Tauschkreis machen in Vorarlberg einen Beweggrund zur Teilnahme am VTaler aus; spiegelbildlich schrecken negative Erfahrungen mit dem Tauschkreis in Stroud Unternehmen ab. Für einige Unternehmen ist es gerade die Geschichte des Strouder Tauschkreises, die die Ablehnung des Stroud Pounds begründet. Brixton steht in dieser Hinsicht in der Mitte, da der dortige Tauschkreis zwar bei weitem nicht so erfolgreich wie in Vorarlberg war, aber auch keine negativen Erinnerungen hinterließ.
24 Die Gegenüberstellung verweist auf Blancs Klassierung der beiden Systeme. Allerdings überschätzt er das »Ökonomische« und den »Markttausch« als Kernbestandteil von Regiogeld systematisch. Partizipationsmotive und Regiogeldverwendungen verweisen eher auf Reziprozität. Im nächsten Kapitel komme ich hierauf abschließend zurück.
11 Regiogeld zwischen Markt, Gabe und Reziprozität: Zusammenführung und Interpretation der Ergebnisse
Im vorherigen Kapitel habe ich die drei untersuchten Fälle eingehend beschrieben und dabei besonderes Augenmerk auf die Ansichten und Praktiken der beteiligten Unternehmer*innen gelegt, aber auch die Perspektiven derjenigen rekonstruiert, die sich gegen die Partizipation am Regiogeldkreislauf entschieden haben. Nun möchte ich die Erkenntnisse mit Bezug auf die aufgeworfenen theoretischen Perspektiven synthetisieren. Analog zu den in der Einleitung bereits genannten Arbeitshypothesen erörtere ich daher vier Dimensionen, die teilweise miteinander verwoben sind. Der Aufbau folgt dabei den genannten Arbeitshypothesen. Zuerst erörtere ich Regiogeld als kommerzielle Kreisläufe im Sinne Zelizers (11.1). Aufbauend auf Polanyis Perspektive auf das Wirtschaftliche diskutiere ich dann Regiogelder als spezifisches Medium der regionalen Einbettung (11.2), um anschließend Mechanismen der Gabe in den jeweiligen Regiogeldern zu identifizieren (11.3). Zudem vergleiche ich die vorliegenden Ergebnisse dezidiert mit Blancs Klassierung der Regiogelder als »ökonomische Projekte« (11.4).
11.1 REGIOGELD ALS KOMMERZIELLER KREISLUF In einem ersten Schritt betrachte ich Regiogelder als kommerzielle Kreisläufe. Mit diesem Begriff möchte Zelizer, wie erläutert, die Herausbildung spezifischer Handelskreisläufe fassen. Diese sieht sie als Bestandteil monetärer Differenzierungsprozesse an, welche die voranschreitende Homogenisierung von Geld untrennbar begleiten. Ausgangspunkt für jede Untersuchung ist für Zelizer letztlich die Betrachtung soziokultureller Praktiken der Geldverwendung auf der Mikroebene und damit die Markierungen von Geld. Das Konzept der Kreisläufe ist gewissermaßen eine konsequente Fortführung und Erweiterung des Markieren-Ansatzes, mit welchem sie die Differenzierung scheinbar homogenen Geldes erfasst. Markieren bezieht sich auf die
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in sozialen Beziehungen implizit oder explizit ausgeübten soziokulturellen Praktiken, welche die Homogenität von Geld aufbrechen und es in verschiedene, spezielle Gelder einteilen. Gegenüber dem Konzept des Markierens legt der Kreislauf-Ansatz den Fokus stärker auf die übergeordneten Kreisläufe und deren Abgrenzungen, innerhalb derer die Teilnehmer*innen spezifische Tauschbeziehungen mittels eigenständiger Medien führen. Zelizer zufolge teilen die Teilnehmer*innen besondere Bedeutungszuschreibungen im Hinblick auf ihre Verbindungen und Tätigkeiten innerhalb des Kreislaufs. Diese Verbindungen werden stets aufrechterhalten und aufs Neue erzeugt, nicht durch einseitige Zuschreibungen, sondern durch die konkreten Praktiken und Aushandlungsprozesse der Mitglieder. Da es sich um auch ökonomische Beziehungen handelt, welche immer wieder neu erarbeitet werden, spricht Zelizer von relationaler Arbeit. Diese Überlegungen lassen sich nun auf Regiogelder konkret anwenden, und zwar nicht nur als heuristisches Mittel zum Verständnis der Regiogeldkreisläufe, sondern auch, um umgekehrt die Fruchtbarkeit des Konzeptes zu erörtern. In der Einleitung habe ich die folgende Arbeitshypothese bereits genannt: Regiogelder lassen sich als Circuits of Commerce fassen, da sie a) Boundaries zwischen Innen und Außen aufstellen, b) spezifische Transaktionen im Innenverhältnis unter Verwendung von c) spezifischen Medien aufweisen, und d) die Mitglieder Bedeutungszuschreibungen teilen.
Ad a) Abgrenzung zwischen Innen- und Außenbeziehungen durch das Setzen von Grenzen: Hier stellt sich die Frage, welche Grenzen zwischen dem Innen und dem Außen wie geschaffen werden. Es lassen sich formale und informelle Grenzen ausmachen sowie intendierte von nichtintendierten unterscheiden. Eine formale Abgrenzung zwischen Innen und Außen ist zunächst die Teilnahme am Regiogeld, d.h. die Bereitschaft der Unternehmen, Regiogeld als Zahlungsmittel anzunehmen und sich im Mitgliedsverzeichnis zu registrieren. Elementares Merkmal der Boundaries bei Regiogeld ist, dass sich lokale, regionale, in der Regel unabhängige, also meist inhabergeführte, kleine Unternehmen dem Regiogeldkreislauf anschließen. Bestandteile supraregionaler Ketten gehören den Circuits nicht an (und würden meist auch nicht aufgenommen werden, wenn sie es wollten). Diese formalen Grenzen determinieren allerdings nicht strikt die Reichweite der Regiogeld-Kreisläufe. Der Kreislauf umfasst ja nicht nur Unternehmen und andere Organisationen, sondern eben auch Konsument*innen, welche sich nicht registrieren müssen, sondern Regiogeld spontan eintauschen und verwenden können. Gleichzeitig gibt es viele Unternehmen, die zwar formal das Regiogeld akzeptieren, de facto aber nicht damit handeln. Die Begrenzungen sind enger als intendiert. In einigen Beispielen ist der grundlegend zu geringe Umsatz hierfür verantwortlich und damit die Tatsache, dass bei einigen Betrieben kaum mit Regiogeld gezahlt wird. In anderen Fällen mögen Unternehmen die
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Annahme von Regiogeld verweigern, auch wenn sie (noch) auf Mitgliederlisten stehen.1 Neben dem formalen Kriterium der Mitgliedschaft existieren also Grenzziehungen zwischen denen, die Regiogeld annehmen oder verwenden, und dem »Außen«. Diese Abgrenzung ist nicht eindeutig fixiert, womit die Zugehörigkeit grundsätzlich schwanken kann. Es handelt sich um eine Differenzierung zwischen lokalen und supra-regionalen Unternehmen sowie innerhalb der lokalen zwischen den teilnehmenden und nichtteilnehmenden. Insgesamt weisen Regiogeld-Kreisläufe im Vergleich zu anderen von Zelizer untersuchten kommerziellen Kreisläufen sogar eine vergleichsweise klare Grenzziehung auf, weil die Verwendung des Mediums selbst notwendiges und hinreichendes Merkmal der Zugehörigkeit zum Kreislauf ist. Andererseits sind die Grenzen durchlässig, da Ein- und Austritt einfach zu realisieren sind. Schließlich sind die Grenzen aufgrund der Möglichkeit, Regiogeld gegen die Landeswährung einzutauschen, brüchig. Was nicht-intendierte Grenzen betrifft, ist die soziale Reichweite der Komplementärwährung entscheidend. Zwar stand die Seite der Konsument*innen nicht im Zentrum der Analyse, aber die Erfahrungen scheinen die aus der Literatur zu anderen Komplementärwährungen bekannte Selektion überwiegend (aber nicht ausschließlich) Weißer Mittelschichtsmitglieder zu bestätigen. Dies zeigt das Beispiel des Brixton Pounds. Methodisch konnte ich durch die Einbeziehung nichtteilnehmender Unternehmen in die Studie fassen, wie darüber hinaus auch ideelle Faktoren (etwa die Einstellung zum Transition Town Movement, zur Geldreformbewegung und allgemein zu grün-alternativen Lebensstilen) wirksam sind. Es hat sich dabei unter anderem gezeigt, dass eine Zuneigung zur Region oder zur dortigen Gemeinschaft für lokale Unternehmen keine hinreichende Bedingung ist, Regiogeld zu akzeptieren. Ad b) Aufkommen spezifischer Transfers innerhalb des Kreislaufes: Im Zusammenhang mit den Grenzziehungen steht die Frage, welche Güter und Dienstleistungen innerhalb des Kreislaufes gehandelt werden. Hier zeigt sich, dass durchaus eine Abgrenzung zu Gütern und Dienstleistungen außerhalb des Kreislaufes vorgenommen werden kann, wenn diese auch brüchig ist. Den Zielen zufolge und durch die Mitgliedschaftsstruktur bestimmt, sollen innerhalb des Regiogeldkreislaufes vor allem regionale Produkte und Dienstleistungen gehandelt werden. Zwar können grundsätzlich auch alle Güter und Dienstleistungen außerhalb des Regiogeldkreislaufes erworben werden (auch in Transaktionen derselben Beteiligten). Die Untersuchung zeigt aber, dass sich die Art der Tauschbeziehungen innerhalb dennoch von denen
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Dass die Grenzen in beide Richtungen offen sind, zeigen meine Erfahrungen mit Betrieben, die zwar am Regiogeldkreislauf eigentlich nicht teilnehmen, auf meine diesbezügliche Frage aber angeben, es sehr wohl anzunehmen (und es dann privat verwenden), genau wie mit gelisteten Unternehmen, welche Regiogeld aber dennoch nicht mehr akzeptieren.
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außerhalb unterscheidet. Insbesondere wird Regiogeld von den Unternehmen – entweder wegen der zu geringen Verbreitung des jeweiligen Regiogeldes oder wegen der vorherrschenden Nachfrage nach überregionalen Güter auf Unternehmensseite – lediglich zu einem geringen Teil für regelmäßige betriebliche Ausgaben verwendet, sondern eher zu speziellen Anlässen, in denen sich oft die Gabelogik erkennen lässt. Es sind faktisch oft spezifische Güter und Dienstleistungen, die innerhalb des Kreislaufes gehandelt werden. Grundsätzlich ist die Bandbreite der möglichen Verwendungen aber recht hoch, schließlich werden etwa (in Brixton und Langenegg) auch kommunale Abgaben innerhalb des Kreislaufes beglichen. Ad c) Verwendung spezifischer Medien für diese Transfers: Das spezifische Medium, welches Zelizer als Bestandteil eines jeden abgegrenzten Circuits ansieht, ist letztlich definitorisches Element von Regiogeld.2 Innerhalb des Kreislaufes zirkuliert es (bar oder unbar) als Geldmedium. In Stroud besteht dieses aus Papiergeld, in Brixton außerdem aus dem eB£, in Vorarlberg für beteiligte Unternehmen aus Papiergeld sowie dem Buchgeld, welches überwiesen werden kann. Die Unterscheidung dieser beiden Medien lohnt, da, wie erörtert, die Teilnehmer*innen den verschiedenen Zahlungsmöglichkeiten teilweise unterschiedliche Bedeutungen zuschreiben. Während einige das haptische und optische Vergnügen der künstlerisch gestalteten Scheine nicht missen wollen, halten andere diese für anachronistisch und ihre Benutzung für aufwändig. Gerade in Brixton zeigt sich, dass viele die einfachen, direkten und kostengünstigen Zahlungsmechanismen bevorzugen.3 Berücksichtigt man nicht nur die Verwendung, sondern auch die Produktion der spezifischen in Kreisläufen genutzten Medien, zeigt sich eine Besonderheit von Regiogeld als Komplementärwährung. Denn dieses stellt formal ein Gutscheinsystem dar. Regiogeldeinheiten ›entstehen‹, indem sie gegen herkömmliches Geld erworben werden. Sie können auch zurückgetauscht werden. In Tauschringen, wie auch dem hier behandelten Talente Tauschkreis Vorarlberg, werden die Bezahlungseinheiten hingegen in Kreditbeziehungen durch beteiligte Transaktionspartner*innen selbst produziert.
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Das Markieren besteht bei Komplementärwährungen nicht in einer durch soziokulturelle Praktiken bedingten Differenzierung eines scheinbar homogenen Geldes, sondern zunächst eben in der Herausbildung bzw. Produktion einer eigenständigen Geldform.
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Hier ließe sich die Bedeutung des »Markttausches« erkennen. Denn das elektronische Geld wird wegen seiner geringen Transaktionskosten, seiner Sicherheit und den einfacheren Verwendungsweisen geschätzt. Der Aspekt der Gabe von Zeit kommt beim Papiergeld stärker zum Vorschein, da das Halten von Papiergeld als größerer Aufwand empfunden wird. Auch ist der zeitliche Abstand zur Weiterverwendung in der Regel höher. Elektronisches Geld wird lieber an andere übertragen als das Papiergeld, eben weil dies geringeren Aufwand verursacht.
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Ad d) Vertiefte Verbindungen und gemeinsame Bedeutungszuschreibungen zwischen den Mitgliedern: Zunächst zeigt sich, dass tatsächlich viele Unternehmen dem Regiogeld spezifische Bedeutungen beimessen. Einerseits kann Regiogeld, wie von den Organisationen intendiert, als Zirkulationsmittel der regionalen Wirtschaft gesehen werden. Eine solche Zuschreibung manifestiert sich vor allem im Hörensagen, in Erzählungen und Vermutungen über andere Akteur*innen im Kreislauf. Einige Teilnehmer*innen weisen dem Regiogeld eine größere ökonomische Bedeutung zu, als es ihre eigenen Erfahrungen vermuten ließen. So berichteten mir manche Teilnehmer*innen von anderen, dass jene hohe Umsätze zu verzeichnen hätten – vor Ort ergab sich aber meist, dass es sich hierbei um fehlerhafte Informationen und deutliche Übertreibungen handelte. Die Vermutung oder Unterstellung, dass Regiogeld bei anderen Unternehmer*innen und Nutzer*innen eine größere Rolle im herkömmlichen Zahlungsverkehr spielt, lässt seinen Beitrag zur ökonomischen Stärkung der Region höher erscheinen. Geteilte Bedeutungszuschreibungen äußern sich aber vor allem in der Verwendungsweise zu besonderen Zwecken. Teilnehmende Unternehmen schreiben dem Regiogeld eine Besonderheit zu, weshalb sie es nicht wie reguläres Geld verwenden. Zum Teil ist diese Zuschreibung dadurch hervorgebracht, dass es keine ausreichenden herkömmlichen Verwendungsweisen gibt. Jedoch nutzen viele Unternehmen nicht den Ausweg über den Rücktausch, sondern horten Regiogeld, um es innerhalb des Kreislaufes wiederzuverwenden. Die Untersuchung der Regiogelder zeigt damit, dass die Verwendungspraktiken nicht durch die Ziele der Regiogeldeinführung bestimmt werden, sondern dass sich eigene Bedeutungszuschreibungen innerhalb der Beziehungen herausbilden. Konkret wird Regiogeld nicht so sehr als Stimulans der lokalen Wirtschaft, sondern eher als moralisiertes Geld persönlicher, geselliger Beziehungen verstanden. Dies hängt mit den geringen Möglichkeiten regionaler Wertschöpfungsketten zusammen. Wer Regiogeld nutzt, versteht sich in diesem Sinne nicht nur als Anbieter*in einer Ware oder als deren Konsument*in, sondern will oftmals auf dem Wege der Zahlung einen Beitrag zur Gemeinschaft leisten. Es ist aber nicht nur so, dass innerhalb der sozialen Relationen Regiogeld mit seinen Sinnbezügen herausgebildet wird, sondern das Medium vermittelt, formt und prägt auch erst Beziehungen: Es können neue Beziehungen angebahnt werden, wenn Geschäftsleute Verwendungsmöglichkeiten suchen und finden. Beziehungen werden außerdem durch die relationale Arbeit geformt, schließlich wird ausgehandelt und gemeinsam überlegt, wer was mit wie viel Regiogeld zahlen kann.4 4
Um ein Beispiel zu geben: Dem Theater in Vorarlberg ist es gelungen, über den Tauschkreis einen Maler mit Talenten zu bezahlen. Für das Theater bot sich dadurch eine Gelegenheit, sein hohes Guthaben zu reduzieren. Bei der Vermittlung des Malers hat die regionale Ansprechpartnerin des Tauschkreises geholfen. Eine solche betriebliche Verwendungsweise blieb aber eine Ausnahme.
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Insgesamt erweist sich das Konzept der Kreisläufe als geeignet, Regiogeld zu fassen. Im Gegensatz etwa zur Vorstellung enger, dichter Gemeinschaften von Regiogeldnutzer*innen, zeigt es die Offenheit und die Durchlässigkeit des Regiogeldkreislaufes auf. Mitgliedsunternehmen agieren innerhalb und außerhalb, tätigen lediglich einen außerordentlich kleinen Teil ihrer Geschäfte in Regiogeld und nutzen dieses flexibel sowohl für betriebliche Ausgaben als auch zu spezifischen Zwecken.5 Vergemeinschaftende Wirkung können die Kreisläufe dennoch aufweisen. An dieser Stelle zeigt sich eine Überschneidung mit oder ein Anknüpfungspunkt an die zweite Forschungshypothese. Die besondere Bedeutungszuschreibung, die sich für Regiogelder herausstellen lässt, ist nicht nur innerhalb der Charakterisierung der Gelder in Zelizers Terminologie der kommerziellen Kreisläufe relevant, sondern betrifft auch einen weiteren zuvor diskutierten theoretischen Referenzpunkt, der für die Einordnung von Regiogeldern zentral ist, und zwar ihre Zuordnung zu einem oder verschiedenen Typen wirtschaftlicher Integration, die von Polanyi in Markt, Redistribution und Reziprozität unterschieden werden. Bevor ich zur Diskussion dieser Arbeitshypothese übergehen kann, sind jedoch einige Bemerkungen zur spezifischen Stellung von Organisationen innerhalb von Kreisläufen zu machen. Die Rolle von Organisationen in Kreisläufen ist im Konzept noch unausgearbeitet. Tatsächlich schließt Zelizer Organisationen (ebenso wie Hierarchie oder Macht) nicht explizit aus ihrer Analyse aus, doch vernachlässigt sie diese insofern, als sie nicht nach der besonderen Rolle von Organisationen (oder der sie vertretenden Personen) fragt. Die Struktur von Regiogeld-Kreisläufen verweist hingegen auf die Bedeutung zentraler Organisationen. Zunächst handelt es sich bei den Unternehmen selbst um Organisationen mit relativ großer ökonomischer Bedeutung im Kreislauf. Von ihrer Akzeptanz des Regiogeldes hängt seine Funktionsfähigkeit ab. Dies führt regelmäßig zu einer vergleichsweise mächtigen Position, wenn es etwa um die Ausgestaltung des Geldes geht. Greifen Voice-Mechanismen für diese Akteur*innen nicht, wenden sie sich dem Exit zu (letzteres zeigt das Stroud Pound). Die wichtigsten Organisationen im Kreislauf sind diejenigen, die das Regiogeld herausgeben. Sie stellen nicht einfach ein Medium bereit, sondern formen vergleichsweise stark das Beziehungsgeflecht im Kreislauf. Sie unterstützen die teilnehmenden Unternehmen etwa bei der Suche von Transaktionspartner*innen und sie bieten damit Ressourcen, auf die die Unternehmen in ihren durch relationale Arbeit gekennzeichneten Beziehungen zurückgreifen können. Diese Organisationen sind auf ein hohes 5
Hier liegt auch ein wesentlicher Unterschied zwischen Tauschringen und Regiogeld vor. Regiogeld ist tatsächlich »näher« an herkömmlichem Geld, insofern seine Verwendung zwar oftmals moralisch aufgeladene Transaktionen betrifft. Auch zeigen die konvivialen Verwendungsweisen, wie Gemeinschaft tatsächlich entstehen kann. Gleichwohl bleibt Regiogeld Geld, das nicht so stark abgetrennt vom herkömmlichen Geldkreislauf ist. Auf diese Aspekte komme ich in den folgenden Abschnitten zurück.
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Maß an ehrenamtlichem Engagement angewiesen. Nur durch den stetigen Einsatz von Zeit – in der geworben, informiert, geplant, Transaktionsmöglichkeiten gesucht und Rücktauschbedingungen verhandelt werden – lässt sich ein Mindestumlauf aufrechterhalten. Der Vergleich der Fälle, insbesondere das Stroud Pound, zeigt außerdem, dass ausschließlich ehrenamtliches Engagement nicht ausreicht. Darüber hinaus sind (kommunal)politische Akteur*innen als relevante Organisationen zu nennen. Die Studie zeigt die enorme Bedeutung von Kommunen für die Stabilität von Regiogeld. Die Möglichkeit der Steuer- oder Abgabenzahlung in Regiogeld erhöht Attraktivität und Lebensfähigkeit der Kreislauf, indem sie weitere Verwendungsmöglichkeiten öffnet. Der Kreislauf ist kein ausschließlich horizontales Gebilde, innerhalb dessen Mitglieder zu gleichen Teilen, mit gleichen Durchsetzungschancen und durch ihre Tätigkeiten die Innenbeziehungen gestalten. Manche haben größeren Einfluss als andere. Das Zusammenspiel der unterschiedlichen ökonomischen und politischen Akteur*innen ist damit zentral. Die Möglichkeit, Abgaben zu zahlen, verändert etwa die Funktionsfähigkeit in sehr hohem Maße. Zelizers Fokus auf gemeinsam geteilte Bedeutungszuschreibungen im Innenverhältnis der Mitglieder suggeriert gewissermaßen eine Verflechtung horizontaler Beziehungen, die sich im Kreislauf zusammenfügen. Es handelt sich aber immer um soziale Beziehungen innerhalb gesellschaftlicher Strukturen, die politische und/oder ökonomische Ungleichheiten beinhalten. Deren Bedeutung zeit sich auch in den Grenzziehungen, die nicht-intendierte soziale Formen aufweisen und eine stärkere Selektion etwa der Mittelschichten oder Weißer aufweisen. Sozialstruktur und Machtungleichheiten beeinflussen die Kreisläufe ebenfalls und müssen daher konzeptuell stärker berücksichtigt werden. Dabei muss beachtet werden, dass nicht jede der in einer Organisation bzw. einem Unternehmen tätigen Personen dieselbe Einstellung zum Regiogeld hat oder die Bedeutungszuschreibungen teilt. So nehmen manche Mitarbeiter*innen äußerst unwillig Regiogeld an, anderer hingegen gerne. Es muss also beachtet werden, dass nicht alle Personen ihre Organisationen gleichermaßen repräsentieren.
11.2 REGIOGELD ALS MEDIUM DER WIEDEREINBETTUNG Die Diskussion zum Regiogeld als Circuit of Commerce hat bereits einige Aspekte – gerade mit Blick auf die Bedeutungszuschreibungen – aufgezeigt, die in diesem Abschnitt unter dem Blickwinkel des Einbettungskonzeptes nach Polanyi beleuchtet werden. Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit Polanyis Konzept der Einbettung ist sein substantiver Begriff des Wirtschaftlichen, aus welchem sich die Forderung offener empirischer Untersuchungen anstelle modelltheoretischer Ansätze
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fordern lässt. Auch weist der Begriff Annahmen von Zweckrationalität und individuellem Nutzenstreben als grundlegende Faktoren, die wirtschaftliches Handeln von Menschen bestimmen, zurück. In seinen historischen Untersuchungen identifiziert Polanyi drei Integrationsmodi von Tausch und setzt damit dem Markttausch die Formen der Reziprozität und Redistribution zur Seite. Hier ist Tausch seiner Auffassung nach in horizontal-reziproke bzw. vertikal-redistributive soziale Beziehungen eingebettet. Diese sind langfristig angelegt und überdauern den wirtschaftlichen Tauschmoment, während die Beziehung beim Markttausch grundsätzlich mit dem Abschluss einer Transaktion endet.6 Einbettung bezieht sich bei Polanyi auf die gesellschaftliche Einhegung des Marktsystems, insbesondere auf die Dekommodifizierung der fiktiven Waren Arbeit, Land und Geld. Polanyi konzipiert die Figur der Doppelbewegung, die das Ringen zwischen der ihren Selbstschutz suchenden Gesellschaft und dem mit inhärenten Expansionstendenzen versehenen Marktsystem beschreibt. Alternativökonomische Projekte aus der Zivilgesellschaft können Teil dieser Gegenbewegung sein. Einleitend habe ich folgende Arbeitshypothese formuliert, die ich nun genauer auskleiden möchte: Regiogeld als zivilgesellschaftliche Komplementärwährung fungiert a) als Medium einer spezifischen, regional eingebetteten Wirtschaft und kombiniert b) Integrationsformen von Markttausch, Reziprozität und Redistribution.
Ad a) Regiogeld ist Medium innerhalb spezifischer Regiogeldkreisläufe und wird von den Nutzer*innen, darunter den hier im Fokus stehenden teilnehmenden Unternehmen in Ergänzung zum gesetzlichen Zahlungsmittel verwendet. Die ihm zugrunde liegende Regionalität richtet sich gegen eine globalisierte Wirtschaft; es sollen regionalisierte realwirtschaftliche Kreisläufe gestärkt werden. Das Regiogeld als Steuerungsmedium stellt für sich genommen bereits eine Abwendung vom globalen Geldund Finanzsystem dar. Die Betrachtung der Zielsetzungen der Regiogeldorganisationen sowie Partizipationsmotivationen und Einschätzungen zumindest eines Teils der teilnehmenden Betriebe verweist somit auf die Zielsetzung einer stärkeren Einbettung der Wirtschaft über ihre Regionalisierung. Ob Regiogeld allerdings zu einer Dekommodifizierung von Geld beitragen kann, ist zu bezweifeln. Dies liegt zum einen an der – trotz der steigenden Zahlen von Regiogeldsystemen – geringen empirischen Bedeutung, zumindest wenn der Umlauf
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In Kapitel 4 habe ich ausführlich erörtert, dass Polanyis Begriff der Einbettung nicht als netzwerkanalytische Konzeption im Sinne Granovetters verstanden werden kann, welcher letztlich von intentional rationalen Individuen im Rahmen von Netzwerkstrukturen ausgeht, sondern dass Polanyi sowohl die Granovetter zugrunde liegende Rationalitätsannahme, als auch die Unabhängigkeit einer dezidiert wirtschaftlichen Sphäre hinterfragt.
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betrachtet wird. Zum anderen aber erweist sich vor allem die Ausgestaltung von Regiogeld als hierfür problematisch: Mit der Deckung durch und der Bindung an das jeweilige (national-)staatliche Geld geht automatisch eine im Vergleich zu anderen Komplementärwährungen (wie vor allem Tauschringen) geringe Abkoppelung vom herkömmlichen Geldsystem einher. Dies steht einer starken Form der dekommodifizierenden (Wieder-)Einbettung entgegen.7 Damit bleiben die Potenziale, mit dieser Komplementärwährungsform ein eigenständiges, alternatives Geld zu bieten, begrenzt. Doch von Regiogeld allein große Dekommodifizierungswirkungen von Geld zu verlangen, hieße, übertriebene Ansprüche zu stellen. Die spezifische kulturelle Einbettung der Wirtschaft durch Regiogeld äußert sich in den konkreten Verwendungspraktiken und den sozialen Bindungen, die Regiogeld vermittelt (wenn möglicherweise auch nicht eigenständig erzeugt). Diese lassen sich mit den Tauschmodi der Reziprozität und (eingeschränkt) der Redistribution fassen, die an die Seite des Markttausches treten. Manche Transaktionen können dabei nicht eindeutig einem dieser Modi zugeordnet werden, sondern sind hybrider Art. Eingebettet sind Regiogelder aber auch ideell. Dieser auf Block und Somers (2005) zurückgehende Begriff der idellen Einbettung bezieht sich konkret etwa auf Ideen der Geldreformen, die etwa zinsloses Geld oder eine Rückbindung an geleistete Arbeitszeit verlangen. Solch ideelle Einbettung kann auch Widersprüche beinhalten, wenn etwa der Aufbau eines kooperativen, nicht wettbewerbsorientierten pluralen Geldsystems unter Bezugnahme auf libertäre Positionen wie die Hayeks gefordert wird. Grundlegend kann Regiogeld auch deshalb als Medium einer stärker eingebetteten Wirtschaft angesehen werden, weil es ein Stück weit die von Simmel und Weber beschriebene Versachlichung durch monetäre Beziehungen zurücknimmt. Regiogeldverwendung ist persönlicher, wie sich bereits an den Gesprächen und der persönlicheren Anrede zeigt, die eine einfache Zahlung mit Regiogeld sehr oft mit sich bringt. Diese Dimension der Einbettung entspricht wesentlich der Granovetterschen Konzeption von Einbettung in Sozialstrukturen und Netzwerke. In politischer Hinsicht zeigt sich die Einbettung auf lokaler Ebene etwa in der Partizipation kommunalpolitischer Akteur*innen und der Vernetzung mit diesen, aber auch translokal mit 7
Tauschringe ermöglichen, da die Geldschöpfung dezentral durch die Mitglieder selbst erfolgt, von ihrer Art her eine deutlich stärkere Abkopplung vom herkömmlichen Geld und weisen daher in qualitativer Hinsicht ein größeres Potenzial zur Dekommodifizierung auf – haben allerdings in quantitativer Hinsicht weitaus größere Schwierigkeiten. Tauschringe vermögen, Dinge oder Dienstleistungen in einem (quasi-)monetären Kreislauf zu handeln, die sonst zu großen Teilen außerhalb der Tauschsphäre blieben. Als Paradebeispiel gelten hier die innerhalb von Tauschringen stark nachgefragten, in aufwändiger Handarbeit hergestellte Produkte wie Kleidung oder Kunst. Aus volkswirtschaftlicher Sicht sind auch diese Umsätze nicht wahrnehmbar, und selbst für die Betriebe oft kaum erkennbar. Doch zeigt sich hier die besondere Qualität der markierten Komplementärwährung.
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anderen Komplementärwährungsorganisationen und der Geldreformbewegung. Contra Granovetter lässt sich Einbettung aber nicht als sozialstrukturelle Verortung an sich ökonomisch rationaler Individuen, sondern grundlegender im Sinne der Zurückweisung einer solcher im Kern eigenständigen wirtschaftlichen Sphäre sehen. Die Art und Weise, wie Regiogeld verwendet wird sowie die Motivationen, es zu akzeptieren, untermauern diese irreduzible Verwobenheit. Denn die Akzeptanz von Regiogeld verweist auf die Gleichzeitigkeit wirtschaftlicher, sozialer (gemeinschaftlicher), ideeller und politischer Elemente, die Verwendungspraktiken auf eine Vielfalt der Tauschmodi. Ad b) In der Tat ist ein Kernergebnis der vorliegenden Studie, dass eine Betrachtung der konkreten Regiogeldverwendungspraktiken und der sie begleitenden Intentionen deutlich macht, wie in Regiogeldkreisläufen die verschiedenen Tauschformen kombiniert werden und es damit erst in seiner Form konstruieren. Die Ergebnisse weisen auf ein vielschichtiges Verhältnis zwischen Regiogeld, Markt, Reziprozität und Redistribution hin. Ein Ziel von Regiogeld ist es letztlich, den lokalen Markt durch ein eigenes indirektes Tauschmittel zu stärken. Praktisch erweist sich aber, dass das Medium Regiogeld eher für spezifische Leistungen und Zahlungen verwendet wird, etwa redistributiver Art an die Kommune (Steuern und Abgaben) oder aber reziproker, gabebasierter Art, in Form gemeinschaftsstiftender, geselliger, konvivialer Anlässe. Hierdurch wird Regiogeld in besonderem Maße symbolisch aufgeladen. Auf weitere Implikationen des Zusammenspiels von Markt, Reziprozität und Redistribution komme ich in 11.4 zurück, wenn es um die dezidierte Erörterung von Regiogeld als ökonomisches Projekt geht. Zunächst wende ich mich dem dritten Strang zu, mit dessen Hilfe ich das Phänomen Regiogeld betrachte. Denn die Gabe nach Mauss hilft, die sozialen Bindungen, die Polanyi mit den Begriffen der Reziprozität und auch der Redistribution fassen möchte, genauer zu beleuchten.
11.3 REGIOGELD ALS GABE UND INSTITUTIONALISIERUNG VON REZIPROZITÄT Die Gabe stiftet soziale Bindungen über einen Zyklus von Geben, Nehmen und Erwidern. Dieser wird in einigen Konzeptionen sogar als die Grundlage jeglicher Sozialität angesehen. Mauss betont den Verpflichtungscharakter dieses Zusammenspiels von scheinbar unvereinbaren Aspekten, nämlich der Freiwilligkeit und Verpflichtung sowie des Eigeninteresses und des Altruismus. In Kapitel 5 habe ich diskutiert, wie eindimensionale Gabekonzeptionen dieser Idee nicht gerecht werden und damit nicht in der Lage sind, die irreduzible Komplexität der Gabe zu fassen. Die Gegenüberstellung verschiedener Positionen zum nur scheinbar »archaischen« Gabentausch in der Moderne hat auf genau diese Gleichzeitigkeit verwiesen. Die Ausdifferenzierung des
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Reziprozitätsbegriffs nach Sahlins lässt sich nutzen, um die Mehrdimensionalität der Gabe zu verdeutlichen, die eben nicht schlicht »rein« ist, sondern auch negiert und in Form negativer Reziprozität gedreht werden kann. Ausgeglichene Reziprozitätserwartungen bilden den Mittelpunkt. Problematisch scheint diese Einteilung dann, wenn sie schematisch im Sinne eindeutiger Ausprägungen begriffen wird; ich möchte sie hier im Sinne einer idealtypischen Heuristik nutzen. Aus den Überlegungen zur Gabe lässt sich in Bezug auf Regiogeld untersuchen, wieweit dessen Verwendungsform als Gabenzyklus identifizierbar ist. In der Einleitung habe ich folgende, mit der Idee der Einbettung verwandte, Arbeitshypothese formuliert, die ich nun diskutiere: Die Logik der Gabe und der ihr zugrundeliegenden Reziprozität strukturiert den Regiogeldkreislauf und schafft oder vertieft soziale Beziehungen der Mitglieder.
Damit ist angedeutet, dass Regiogeld hinsichtlich verschiedener Dimensionen der Gabe zu untersuchen ist. Die Ausführungen haben bereits gezeigt, dass die Verwendungspraktiken zu einem beachtlichen Teil auf Reziprozität im Sinne Polanyis basieren. Hiermit ist bisher die Verwendung von Regiogeld als Medium gemeint. Regiogeld als Medium oder Objekt verdeutlicht zunächst die Unmöglichkeit, Dinge als entweder Gaben oder Waren zu klassieren. Aus den Überlegungen ist deutlich geworden, dass die Frage, ob es sich bei Tauschformen innerhalb von Regiogeldkreisläufen um Markttausch oder Gabentausch handelt, falsch gestellt wäre, zumindest, wenn diese Gegenüberstellung auf die Gabe im Sinne einer reinen, altruistischen Gabe abzielt. Denn mit Regiogeld kann auf dem Markt getauscht werden – dann zeigt sich das »warenhafte« –, aber Regiogeld kann auch als Gabe gegeben werden. Tatsächlich sehen und verwenden die Beteiligten es in viel stärkerem Maße als Gabe, als dies bei herkömmlichen Geld der Fall ist. Mit dieser Ansicht ist die Akzeptanz von Regiogeld verbunden. Die Untersuchung ergibt, dass Regiogeld in der Tat oft im Zusammenhang mit der Gabe gegeben wird. Schon eine einfache Zahlung mit Regiogeld zeugt hiervon: denn Regiogeld enthält die Aufforderung der Geber*in, dieses spezifisch, in der lokalen Wirtschaft zu verwenden. Im Vergleich zu einer Zahlung mit herkömmlichem Geld ist die Empfänger*in weniger frei, sondern von ihrer Tauschpartner*in auch nach dem Tauschakt noch gebunden. In dieser Gabe ist die Aufforderung enthalten, Regiogeld wieder in der Region, bei unabhängigen, kleinen, lokalen Unternehmen zu verwenden.8 Mit Mauss ließe sich hier das hau erkennen, die scheinbar im Regiogeld liegende Kraft, die seine Wiederverwendung als Gabe erfordert oder zumindest wahrscheinlich macht. Funktioniert das System, kommt die Gabe zurück.
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Genau deswegen ist für Zelizer die Herausbildung von Regiogeld eine Form des Markierens.
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In dieser Hinsicht meint Regiogeld als Medium von Gabebeziehungen, dass es selbst (als Objekt) an die jeweilige Empfänger*in gegeben wird. Die verbreitete Praxis, Regiogeld als Geschenk oder Bonus zu verwenden, ist ein Beispiel. In Sahlins Terminologie bewegen wir uns zwischen generalisierten und ausgeglichenen Reziprozitätsbeziehungen, jedenfalls um zeitlich unbestimmte (und möglicherweise nie zustande kommende) Gegengaben. In der Beziehung zwischen der Regiogeldorganisation und den Unternehmen zeigt sich, dass letztere zwar nicht unbedingt klar spezifizierte Leistungen erwarten, aber dennoch für ihre Bereitschaft, im Regiogeld-Kreislauf mitzumachen und den damit verbundenen Aufwand adäquate Gegengaben erwarten. Dies verweist auf eine weitere Dimension der Gabe in Regiogeldkreisläufen, welche nur indirekt mit Regiogeld als Objekt verbunden ist. Für Unternehmen bedeutet die Akzeptanz von Regiogeld einen erhöhten Aufwand (etwa durch Kassenhaltung oder eingeschränkte Verwendungsmöglichkeiten) sowie auch direkte Kosten (in den Fällen, in denen Verwendungs- oder Rücktauschgebühren anfallen), die den möglichen Vorteilen entgegenstehen. Die beteiligten Unternehmer*innen empfinden ihre Teilnahme als Unterstützung des Regiogeldprojektes und allgemein als Unterstützung der Gemeinschaft. Der Gemeinschaft zurückzugeben ist ein zentrales Motiv zur Partizipation. Gleichzeitig verweisen viele Unternehmer*innen darauf, dass sie zumindest langfristig ein ausgeglichenes Verhältnis von Beiträgen und Leistungen erwarten; nichtteilnehmende Unternehmen hingegen weisen eine geringer ausgeprägte Gabeüberschussbereitschaft auf. Die horizontale Beziehung der Unternehmen untereinander offenbart ebenfalls Gabedimensionen. Dies spiegelt sich etwa in den Beispielen wechselseitigen Konsums in Restaurants oder Cafés wider. Dabei geht es bei den von den Akteur*innen geteilten Reziprozitätserwartungen vor allem um die Gleichzeitigkeit der Wahrnehmung von Regiogeld als besser und schlechter. Zu viel Regiogeld soll nicht auf einmal als Zahlungsmittel verwendet werden. Es ist gewissermaßen eben kein echtes Äquivalent zu herkömmlichen Geld (auch wenn der Wechselkurs 1:1 ist). Auch wenn Regiogeld für eine Markttransaktion verwendet wird, findet sich simultan die Gabelogik. Die Gabe kann nicht eindimensional verstanden werden und auch das Verständnis von Gabe in den Spielarten der Transformationsthese (nach der die archaische Gabe sich in das reine Geschenk und/oder die Ware gewandelt hat) reicht nicht aus, um die Verwendungspraktiken in Regiogeldkreisläufen zu fassen. Denn diese zeigen, dass die theoretische Aufspaltung in reziprozitätsbasierten Gabentausch auf der einen und marktlichen Warentausch auf der anderen zu kurz greift. Stattdessen scheint die Kontinuitätsthese, die mit Alain Caillé und anderen auf die irreduzible Vielschichtigkeit der Gabe verweist, besser geeignet, die Tauschpraktiken zu beschreiben. Schließlich finden sich simultan sowohl eigen- als auch fremdinteressierte Elemente; die Verwendung von Regiogeld zu konvivialen Zwecken erfolgt aus der komplexen Mischung aus Freiwilligkeit und Verpflichtung, die der Gabe in dieser Sicht eigen ist.
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Dies gilt nicht nur für die Verwendung des Geldes, sondern auch für die Partizipationsentscheidung und das damit verbundene Geben von Zeit und die Inkaufnahme zusätzlichen Aufwandes. Die Partizipationsentscheidungen lassen sich eben nicht auf einfaches, marktliches Kalkül beschreiben, sondern hängen gleichzeitig auch mit Vorstellungen der Unterstützung der Gemeinschaft oder der Region zusammen. Hinsichtlich der Verwendung von Regiogeld als Medium in Gabebeziehungen lassen sich grundsätzlich zwei Ebenen unterscheiden, welche sich auf eine vertikale Struktur sowie auf eine horizontale beziehen. Die angesprochenen Boni oder Geschenke verweisen auf Gaben einer Arbeitgeber*in an ihre Angestellten, machen also vertikale Gabebeziehungen aus, bei der es in der Regel nicht zu gleichwertigen Gegengaben kommen kann. Stärker horizontalen Charakter nehmen hingegen Beziehungen zwischen den Unternehmer*innen ein, welche Regiogeld wechselseitig verwenden. Die beiden Ebenen verschmelzen bei den geselligen Anlässen, die ich als typische Verwendungsweise von Regiogeld ausgemacht habe. Die Unternehmer*in verwendet das bis dahin gehortete Regiogeld, um mit den Mitarbeiter*innen gemeinsam zu essen, zu trinken und/oder zu feiern. Solche Mahlgemeinschaften, Grundlage unserer menschlichen Gesellung,9 verdeutlichen den Charakter der Gabebeziehungen und der ihnen zugrunde liegenden Reziprozität in besonderer Weise. Bei solchen Mahl- oder Tischgemeinschaften drückt sich Gemeinschaftlichkeit aus und wird gleichermaßen erzeugt. Sie beruhen insofern auf Gegenseitigkeit zwischen den beteiligten Gruppen, als es zu wechselseitigen Anlässen oder, häufiger zu indirekten Zyklen solcher Mahlgemeinschaften kommt. Auch diese Regiogeldgaben werden gegeben, angenommen und erwidert. Es schließt sich die Frage an, ob Regiogeld als ein Medium der Vergemeinschaftung durch Gabebeziehungen zu sehen ist. Für diese Sichtweise sprechen die genannten Praktiken der Regiogeldverwendung. Einschränkend muss allerdings konstatiert werden, dass erstens der Umfang dieser Praktiken (wie der Regiogeldkreisläufe insgesamt) eher gering ist (hierzu im nächsten Abschnitt mehr), und dass zweitens vermutlich eine Selbstselektion stattfindet: Wer außerhalb der lokalen Gemeinschaft steht, ist unwahrscheinlicher Mitglied eines Regiogeldkreislaufes. Regiogeld vermag es demnach zwar, Vergemeinschaftung auszudrücken und verstärken, aber
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Vgl. hierzu Hirschman (1996), der sich auf Simmel bezieht, Schulz-Nieswandt (2003: 131f, 2014), der die Genossenschaftlichkeit von Mahlgemeinschaften herausstellt, jüngst auch Les Convivialistes (2014), die in solchen Mahlen Ausdrücke einer konvivialen Praxis sehen, die möglicherweise Gegenentwürfe zum individualistischen Wachstumsdenken aufzeigen.
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nicht genuin zu erzeugen.10 Die Selbstselektion des Nutzer*innenkreises der Komplementärwährungen zeigt sich auch darin, dass Regiogeld lediglich einen Teil der local communities integriert, wie die Fallstudien zeigen. In Vorarlberg gehören überwiegend diejenigen dem Regiogeldkreislauf an, die regionalen Konsum befürworten; in Stroud wird dem Initiator*innenteam sogar ein Nischendasein aus der Transition 10 An dieser Stelle lohnt ein Vergleich zwischen Regiogeld und Tauschring. In Vorarlberg wird gerade dem Tauschring eine größere Bedeutung als gemeinschaftsstiftend zugeschrieben. Der VTaler wird im Vergleich stärker als herkömmlicher, monetärer Kreislauf wahrgenommen. Demgegenüber wirkt der Talente Tauschkreis Vorarlberg verstärkt als Mittel der Vergemeinschaftung. Nicht nur die Vertreter*innen der Organisation, sondern auch viele Unternehmer*innen berichten, wie sich die langfristigen Beziehungen im Tauschkreis oft in echte Freundschaften verwandeln. Mitglied im Tauschkreis zu sein bedeutet, verglichen mit der Mitgliedschaft in Regiogeldkreisläufen, eine deutlich stärkere, gemeinsam empfundene Abgrenzung von herkömmlichen Geldkreisläufen. Dies liegt einerseits sicherlich an der Andersartigkeit der gehandelten Güter und Dienstleistungen. Aufwändige Handarbeit, Kleinkunst oder haushaltsnahe Dienstleistungen scheinen aufgrund ihrer Charakteristika besonders geeignet, die über die einzelne Transaktion hinausgehende soziale Beziehung hervortreten zu lassen. Neben diesen besonderen Produkten ist es aber auch die Form des Geldmediums selbst, das Vergemeinschaftung herbeiführt – vor allem der Prozess der Transaktionen und ihrer Anbahnungen. Schließlich wird nicht mit einem exogen gegebenen »Ding« gezahlt, sondern mit Guthaben, von dem alle Teilnehmer*innen wissen, dass es durch die Tauschakte und gegenseitigen Tätigkeiten erst kreiert wird. Negative Salden werden nicht als moralisch schlechte Schulden, sondern als notwendige und genuine Ausdrücke für die wechselseitigen sozialen Beziehungen verstanden. Innerhalb eines Tauschkreises im Minus zu sein, drückt nicht so sehr Konsum oder »Leben über die eigenen Verhältnisse« aus, sondern eher die grundlegende soziale Tatsache der Verwobenheit in der Gemeinschaft. Diese zeigt sich auch darin, dass Kontosalden veröffentlicht werden »und sozusagen die Sozialkontrolle« greift (VORORG1). Die Enge der Gemeinschaft lässt sich etwa daran erkennen, dass Tauschhandlungen im Mitgliederkreis von allen nachvollziehbar sind (technologisch nicht so modern, aber ähnlich der Blockchain Technologie bei Bitcoin). An diesen engen Bindungen zeigt sich vielleicht in besonderem Maße, wie sehr Tauschringe eine Vergemeinschaftung bewirken. Denn diese Nähe beinhaltet viele Elemente dessen, was »Gemeinschaft« im Gegensatz zu »Gesellschaft« ausmacht. Hierauf begründet sich auch Skepsis an dem Ideal einer Re-Personalisierung monetärer Beziehungen, wie sie etwa in Tauschringen stattfinden. Geld als »Memory Bank« (Hart 2001) beinhaltet nicht nur die Idee der Schaffung neuer Gemeinschaftlichkeit, sondern eben auch prinzipiell die Gefahr eines neuen Konformitätszwangs, den Geld als »gemünzte Freiheit« ja erst aufgehoben hat. Paul beschreibt dies scharfsinnig und warnt, dass Anhänger solcher »Gemeinschaftswährungen« überspielen, »wie leicht und wie schnell die Gemeinschaft sich aus einem Refugium in ein Gefängnis verwandelt« (Paul 2012: 229).
11. Interpretation der Ergebnisse | 373
Town und Steiner-Bewegung vorgehalten; in Brixton wird das Regiogeld von Teilen sogar als Ausdruck der Gentrifizierung angesehen, da es Boundaries auf der Basis von Klassenzugehörigkeit nicht verhindern kann. Vergemeinschaftung geht eben stets mit Abgrenzung nach außen einher.
11.4 REGIOGELD ALS »ÖKONOMISCHES PROJEKT«? Nach den bisherigen Ausführungen, Regiogeldsysteme als kommerzielle Kreisläufe, Regiogeld als Medium einer spezifischen, lokalen Einbettung von Wirtschaft, durch welches teilweise reziprozitätsbasierte Gabebeziehungen konstituiert, zu fassen, möchte ich abschließend die Adäquanz der Einordnung von Regiogeld in Blancs Typologie zivilgesellschaftlicher Komplementärwährungen prüfen. Blanc folgt Polanyi und baut seine Typologie auf den Tauschmodi der Reziprozität, Redistribution und dem Markttausch auf. Im Vergleich der Komplementärwährungen arbeitet er das Regiogeld als »ökonomisches Projekt« heraus, da es stärker in der formellen Wirtschaft zirkuliert, besonders darauf zugeschnitten ist, lokale Unternehmen als Nutzer*innen zu gewinnen und das Ziel hat, regionale Wirtschaftskreisläufe zu stärken. Diese Einordnung lässt sich dahingehend übersetzen, dass die beteiligten Betriebe eine Förderung durch das Regiogeld wahrnehmen. Ich habe geschildert, dass diese Position von vielen der Befürworter*innen von Regiogeld, aber auch in der Forschung, vertreten wird. Lässt sich Regiogeld also als besondere Form von Geld oder Tauschmittel fassen, das durch lokale oder regionale Zirkulation Unternehmen stärkt? Aus Blancs Einordnung lässt sich als Hypothese formulieren: Innerhalb zivilgesellschaftlicher Komplementärwährungen lassen sich Regiogelder als »ökonomisches Projekt« fassen, da sie eine große Nähe zum Markt aufweisen und die teilnehmenden Unternehmen betrieblich fördern.
Die folgenden Erörterungen knüpfen an die Ausführungen zu Regiogeld als Medium der Wiedereinbettung, nach denen »Markttausch« im Sinne Polanyis nicht als primärer Modus der Transaktionen anzusehen ist. Dabei thematisiere ich im Besonderen einige Spezifika der Funktionsweise von Regiogeld. In den vorherigen Abschnitten habe ich den Fokus auf die Bedeutungszuschreibungen, die Gemeinschaftsschaffung sowie auf Reziprozität und Gabe gelegt. Ergänzend dazu lege ich hier den Schwerpunkt auf die konkrete betriebliche Bedeutung für die Unternehmen und die lokale Wirtschaft. Regiogeld bleibt, wie gezeigt, von seinem Umlauf her weiterhin marginal. Eine gewisse Henne-Ei-Problematik, vor der Geldtheorien immer stehen, ist nicht übersehbar: Für die Funktionsfähigkeit sind Regiogeldorganisationen auf eine gewisse
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Anzahl an Konsument*innen und Unternehmen angewiesen. Wenn der Konsum mit Regiogeld steigt, nehmen auch die Anreize für ein Unternehmen zu, Regiogeld zu akzeptieren. Allerdings beruht der Konsum auf der Bereitschaft möglichst vieler oder zumindest attraktiver Unternehmen, Regiogeld zu akzeptieren. Dies gilt nicht nur für Stroud, sondern auch für die erfolgreicheren Fälle in Brixton und Vorarlberg. Der geringe Umlauf ist mit geringem Umsatz der einzelnen Unternehmen verbunden. Unmittelbar fördert Regiogeld die teilnehmenden Betriebe nicht. Auf Ebene der Unternehmen zeigt sich, dass diese teilweise Schwierigkeiten haben, Regiogeld betrieblich zu verwenden. Genau hiermit hängen die beschriebenen konvivialen, reziprozitätsbasierten Verwendungsweisen zusammen. Die geringe ökonomische Bedeutung und die besondere Markierung sind zwei Seiten desselben Sachverhaltes. Aus betrieblichem Kalkül hat Regiogeld für die Unternehmen keine Priorität. Sind mit der Teilnahme geringe Kosten und geringer Aufwand verbunden, nehmen sie bereitwillig am Kreislauf teil und freuen sich oft auch über das Marketing und das Image als lokales, verantwortliches Unternehmen. Hohe, mit der Teilnahme verbundenen Kosten sowie ein hoher Aufwand bei der Verwendung wirken allerdings tendenziell abschreckend.11 Eine einseitige Zurückweisung ökonomischer Förderwirkungen ist aber ebenfalls nicht angemessen. Das Beispiel der Langenegger Talente zeigt, dass Regiogeld fester Bestandteil der Wiedererstarkung lokalen Konsums, damit auch der Stärkung der regionalen Wirtschaft und der lokalen Daseinsvorsorge sein kann. In Langenegg ist es schließlich unter anderem durch die Signalwirkung des Regiogeldes gelungen, Konsummuster zu verändern und dadurch den Dorfladen zu erhalten. Die Ausführungen haben gezeigt, dass eine Einordnung von Regiogeld in das Schema zwischen Reziprozität, Redistribution und Markttausch zuvorderst auf Seiten des Markttausches verworfen werden muss. In allen Fällen verwenden viele Unternehmer*innen Regiogeld weniger als Markttauschmittel als mehr für spezifische Zahlungszwecke, die der Redistribution und der Reziprozität zuzuordnen sind. Bei diesem Befund handelt es sich grundsätzlich um eine Gemeinsamkeit aller Fälle, wenn sich auch Unterschiede zeigen. In Langenegg stellt die Gemeinde einen besonders wichtigen Akteur dar, welcher Abgaben in Regiogeld annimmt und auch Förder11 Regiogeldinitiativen müssen also darauf achten, ihre potenziellen Mitglieder nicht mit als zu hoch wahrgenommenen Gebühren oder als zu aufwändigen Zahlungsprozeduren zu belasten. Hier zeigt der Vergleich der drei Fallstudien deutliche Unterschiede: Das Stroud Pound wurde als umständlich und teuer empfunden, was insbesondere der Demurrage zugeschrieben wird. Auch bemängeln viele Teilnehmer*innen, dass die Zahlungsmechanismen zeitaufwändig sind. Sowohl im Vorarlberg als auch in Brixton entschlossen sich die Initiator*innen, keine Demurrage zu implementieren. Im Vorarlberg wurde darüber nachgedacht, aber die als zu kompliziert verworfen. Der Vergleich mit dem Stroud Pound gibt diesen Überlegungen recht.
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mittel in Regiogeld auszahlt. Daher sind die Langenegger Talente zwischen Markt und Redistribution einzuordnen. In den anderen Gebieten des VTalers sind Gemeinden weitaus weniger aktiv. Abbildung 7 zeigt diese Befunde im Unterschied zur Typologie Blancs, wie sie in Abbildung 3 dargestellt ist. Abbildung 7: Die untersuchten Fälle im Welfaremix komplementärer Währungen
Quelle: Eigene Darstellung. Im Gegensatz zur Klassierung durch Blanc (vgl. Abb. 3) basieren sie nicht primär auf »Markttausch«, sondern auf »Reziprozität«.
Das Stroud Pound ähnelt den Tauschkreisen als Typus in besonderem Maße, da es lediglich von wenigen Unternehmen genutzt und, wenn, dezidiert nicht betrieblich verwendet wird. Es ist daher zwischen Reziprozität und Markttausch eingetragen. Der Talente Tauschkreis, Vergleichspunkt in Vorarlberg, lässt sich hingegen gut in das Blanc’sche Schema als reziprozitätsbasierter Typus einordnen, wenn er auch über die Mikrofinanzierung kleiner Unternehmen Nähe zur Domäne der Unternehmen und des Marktes aufweist. Das Brixton Pound schließlich verbindet alle Elemente, da der Council durch seine Unterstützung zwar redistributive Elemente beiträgt, aber in einem weit geringeren Ausmaß als es in Langenegg der Fall ist. Die spezifische Verwendungsweise von Brixton Pound durch die Unternehmen deutet ebenfalls auf die untrennbare Gleichzeitigkeit der Tauschmodi in der Praxis der Verwendung hin. Innerhalb der Bandbreite zivilgesellschaftlicher Komplementärwährungen sind Regiogelder im Vergleich etwa zu Tauschringen zwar stärker dem »Markt« und der formellen Wirtschaft zuzuordnen, da sie dezidiert als ergänzende Tauschmittel für Unternehmen konzipiert sind. Allerdings zeigen die Praktiken ihrer Nutzung, dass sie auch einer Logik der Reziprozität folgen, »Markttausch« also nicht unabhängig von den weiteren Tauschmodi ist oder ihm gar eine primäre Rolle zugeschrieben
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werden kann. Insgesamt lässt sich festhalten, dass Regiogeld also deutlich von herkömmlichem Geld abzugrenzen ist, wenn es auch formal in einem festen Verhältnis von 1:1 eintauschbar und durch die jeweilige (national-)staatliche Währung gedeckt ist. Diese Bindung an das gesetzliche Zahlungsmittel erleichtert die Verwendung des Regiogeldes. Der garantierte Rücktausch reduziert vor allem das Risiko für die Unternehmen, Regiogeld nicht verwenden zu können, schließlich ist ein Rücktausch immer möglich, selbst wenn dabei Gebühren anfallen und ein wenig Zeit investiert werden muss. Eine Exit-Option ist somit immer wählbar, sowohl bezüglich der grundsätzlichen Mitgliedschaft als auch des Haltens von spezifischem Guthaben in Regiogeld. Gleichzeitig sorgt die Konvertibilität dafür, dass neue Mitglieder und Kund*innen ohne größeren Aufwand Regiogeld erwerben können. Regiogeld ist zugleich weniger und mehr als ein »ökonomisches Projekt«. Es gilt weniger als solches, weil eine Stärkung der regionalen Wirtschaft oder eine Förderung der lokal verankerten Unternehmen nicht (oder allenfalls in Ansätzen) erreicht wird. Regiogeld ist zugleich mehr als ein derartiges Projekt, insofern es auch von den Unternehmen qualitativ andere Bedeutungszuschreibungen erfährt als herkömmliches Geld.
12 Fazit
Ziel der Arbeit war es, das Phänomen der Regiogelder als spezifische Form zivilgesellschaftlicher Komplementärwährungen mittels einer umfassenden empirischen Untersuchung besser zu verstehen. Regiogeld bietet ein anschauliches Beispiel für die Verflechtung von Dimensionen, die herkömmlich in ökonomisch und nichtökonomisch – etwa kulturell oder sozial – aufgefasst werden. Die Arbeit lässt sich damit als Plädoyer dafür lesen, die oft vorgenommene differenzierungstheoretische Reduzierung des Wirtschaftsbegriffes auf seinen formalistischen Typ zu überwinden. Regiogelder zeigen die Möglichkeit eines diversifizierten Geldsystems auf und zielen insbesondere darauf ab, durch ein eigenständiges, sozialräumlich begrenztes Zirkulationsmittel die Wirtschaft zu regionalisieren und die lokalen Unternehmen zu fördern. Sie weisen eine größere Nähe zur herkömmlichen Wirtschaft und zu Unternehmen auf als andere Komplementärwährungen. Doch die Klassierung von Regiogeldern als »ökonomische Projekte«, wie sie Jérôme Blanc vorschlägt, ist zu nuancieren. Denn diese ökonomische Intention spiegelt sich nur begrenzt in den tatsächlichen Funktionsweisen, Erfahrungen und Bedeutungszuschreibungen wider. Die bisherigen Studien zu Regiogeld setzen überwiegend an den Einstellungen und Überzeugungen von Konsument*innen an. Im Gegensatz dazu liegt der Fokus dieser Arbeit auf den Unternehmen, und zwar nicht nur auf den teilnehmenden, sondern auch auf denjenigen nichtteilnehmenden Unternehmen, die zur Zielgruppe der Initiativen gehören. Dies sind vor allem lokal verankerte Kleinst- und Kleinunternehmen sowie Selbstständige. Auf Basis der ethnographischen und interviewbasierten Feldforschung habe ich Typologien in mehreren relevanten Dimensionen bilden können. So habe ich idealtypische Partizipationsmotive der teilnehmenden Unternehmen und Selbstständigen identifiziert. Ein erster Typus basiert auf betrieblicher Kalkulation und kommt damit den ökonomischen Zielen der Regiogeldorganisationen am nächsten. Zugrunde liegen letztlich Abwägungen von Nutzen – wie die Gewinnung oder Bindung von Kund*innen oder Marketingvorteile – und Aufwand, der sich etwa in buchhalterischen Anforderungen und der Zeit ausdrückt, die für die Verwendung von Regiogeld
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zusätzlich aufgebracht werden muss. Als bedeutsamer erwiesen sich allerdings andere Typen, die weniger auf dem Gefühl basieren, betriebliche Unterstützung zu erhalten, sondern darauf, dem Projekt oder der Gemeinschaft etwas zu geben. Zu diesen gehört, zweitens, der Typus ideeller Partizipationsmotive, womit ich die Unterstützung der geldreformerischen und/oder alternativökonomischen Zielsetzungen und utopischen Ideale der Projekte fasse. Davon zu trennen sind Typen, bei denen die Regionalität bzw. die Gemeinschaft im Zentrum stehen. Der dritte Typus der Regionalität als Anstoß zur Partizipation kann sich dabei in der geteilten Zielvorstellung der Stärkung der Region ausdrücken oder in einer Form des Lokalpatriotismus, bei der es weniger auf die konkreten Felder und Ziele des Regiogeldes ankommt. Stattdessen liegt seine Anziehungskraft darin begründet, dass es sich um eine das Lokale feiernde Initiative handelt. Gemeinschaftssuche als vierter Typus bezieht sich demgegenüber auf die Sinnstiftung durch Vergemeinschaftung und der persönlichen sozialen Beziehungen innerhalb des Kreislaufes. Schließlich habe ich als fünften und letzten Typus den der Indifferenz ausgemacht. Hiermit ist die Mitgliedschaft ohne besondere Zielsetzung, ausgelöst durch soziale Netzwerke gemeint. Diese fünf Idealtypen lassen sich nicht einzelnen Realtypen der Mitgliedschaft zuordnen, vielmehr finden sich in der Regel Konfigurationen mehrerer Typen. Diese Tyopologie der Partizipation konnte ich mit den vier herausgearbeiteten Idealtypen der Nichtmitgliedschaft kontrastieren, also der fehlenden Bereitschaft, am Regiogeldkreislauf teilzuhaben. Hierbei handelt es sich um Unwissende, Enttäuschte, Gegner*innen und Skeptiker*innen. Unwissend meint, nicht über ausreichend Informationen zum Regiogeldkreislauf zu verfügen, um überhaupt eine aktive Entscheidung für oder gegen die Teilnahme treffen zu können. Damit ist selbstverständlich nicht gesagt, dass der Typus der Unwissenden gewissermaßen übersehene, wahrscheinliche Teilnehmer*innen darstellt, die lediglich aus Unkenntnis nicht partizipieren. Denn diese Unkenntnis hängt überwiegend mit einer größeren Distanz zu den Zielsetzungen der Regiogeldprojekte zusammen. Es sind zum großen Teil Unternehmen, die von den Initiator*innen auch nicht gezielt, zumindest nicht mehrmals, angesprochen wurden. Enttäuschung bezeichnet idealtypisch stilisierend den Zustand derjenigen, die auf Basis eigener – negativer – Erfahrungen mit dem Regiogeld oder anderen Komplementärwährungen ausgestiegen sind oder niemals mitgemacht haben. Das Ausmaß solcher Enttäuschungen hat beispielsweise in Stroud eine große Rolle dabei gespielt, dass die Geldzirkulation zum Erliegen kam. Als dritten Typus habe ich ausgewiesene Gegner*innen ausgemacht, wodurch sich eine starke NichtÜbereinstimmung mit den Zielen und/oder Mitteln der Regiogeldorganisationen oder ihrem Umfeld ausdrückt. Es handelt sich also um Unternehmen, die der Zielgruppe angehören, aber in Komplementärwährungen oder utopischen Ideen der Geldreform und Alternativökonomik grundsätzlich keinen Sinn sehen, da sie deren Ziele nicht mittragen. Die Skeptiker*innen schließlich lassen sich demgegenüber als zögerlich,
12. Fazit | 379
aber nicht in starker Opposition zum Vorhaben sehen. Sie mögen etwa Ziele teilen, zweifeln aber an der Tragfähigkeit von Regiogeld. Ein weiterer Schwerpunkt der empirischen Untersuchung lag auf den Bedeutungszuschreibungen und den tatsächlichen Verwendungsweisen von Regiogeld seitens der teilnehmenden Unternehmen. Auch die Analyse dieser Geldnutzungspraktiken und der damit einhergehenden Bedeutungszuschreibungen erlaubte die Konstruktion von Idealtypen. Darunter fällt zunächst die Verwendung für herkömmliche betriebliche Ausgaben, wie es auch den Zielvorstellungen der Initiator*innen entspricht. Allerdings sind der Umsatz gering und solche betrieblichen Verwendungsmöglichkeiten beschränkt. Letzteres liegt auch daran, dass viele (Vor-)Produkte nicht innerhalb der Region bezogen werden. Lösungsstrategien für diese Problematik liegen im Horten von Regiogeld, um dieses unregelmäßig für spezifische Ausgaben zu verwenden oder es in die jeweilige Landeswährung zurückzutauschen. Dies ist der zweite Typus. Eine weitere Strategie ist es, die betrieblichen Regiogeldeinnahmen für privaten Konsum zu verwenden, Regiogeld also als Privatperson beim eigenen Unternehmen einzutauschen. Viertens schließlich, und dies zeigt die besondere moralische Aufladung von Regiogeld, wird Regiogeld für gemeinschaftliche und gesellige Zwecke verwendet. Betriebliche Feiern oder Boni und Geschenke an die Mitarbeiter*innen sowie wechselseitiger Konsum in den teilnehmenden Geschäften illustrieren dies in besonderer Weise. Diese Verwendungsart steht exemplarisch für die zugrundeliegende Logik der Gabe nach Marcel Mauss. Auf theoretischer Ebene bedeutet die Freilegung dieser Gabelogik in ihrer Vielschichtigkeit, dass die genannten Thesen der Non-existenz und auch der Transformation der Gabe zurückgewiesen werden können. Diese Thesen erkennen die Gabe in sogenannten archaischen oder vormodernen Gesellschaften als strukturbildend an, nicht aber in der Moderne. Nach den verschiedenen Spielarten dieser Thesen existiert sie schlicht nicht mehr oder hat sich in ein reines, altruistisches Geschenk sowie den Warentausch neoklassischer Wirtschaftstheorie gewandelt. Vielmehr findet sich die Gabe jedoch – im Einklang mit der neueren Gaberezeption in Tradition der französischen M.A.U.S.S. Schule – in ihrer irreduziblen Vielschichtigkeit. Dies habe ich die These der Kontinuität genannt, weil die von Marcel Mauss beschriebene Komplexität der Gabe als freiwillig und verpflichtend, als interessenlos und interessenbasiert als weiterhin elementar angesehen wird. Es gibt dabei nicht eine Art von Gabe, sondern durchaus verschiedene, und in einer spezifischen Situation können unterschiedliche Dimensionen simultan hervortreten. Ein Vorschlag ist es, mit Sahlins zunächst die Ebenen generalisierter, ausgeglichener und negativer Reziprozitäten auseinander zu halten. Bezogen auf die Partizipationsmotivation zeigt sich dann etwa, dass manche eher ein ausgeglichenes Verhältnis von Nutzen und Aufwand erwarten, andere eine Gabeüberschussbereitschaft aufweisen. Auch die Verwendungsweisen sind vielschichtig. Zahlungen an Mitarbeiter*innen über das reguläre Gehalt hinaus oder Einladungen zum Essen und Trinken können mehr oder we-
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niger interessengeleitet sein; genauso freiwillig und dem Gefühl der Verpflichtung folgend. Die Gaben und Erwiderungen schaffen oder stärken die sozialen Beziehungen zwischen den Teilnehmer*innen. Regiogeld als Gabe zu betrachten bezieht sich auf wenigstens zwei Dimensionen. Zum einen verweisen die kollektiv geteilten Bedeutungszuschreibungen von Regiogeld (und Tauschringen) in Abgrenzung zum herkömmlichen Geld darauf, dass solche Komplementärwährungen über eine besondere Qualität verfügen, die sie von herkömmlichem Geld als Tauschmittel auf Märkten unterscheidet. Ausdruck hiervon sind auch die besonderen Verwendungspraktiken. Regiogeld wird als Gabe gegeben (und zwar in größerem Ausmaß als herkömmliches Geld). Zum anderen bezieht sich Geld als Gabe auf die Funktionsfähigkeit und Konstitution des Regiogeldsystemsoder kreislaufes. Entgegen der intendierten Stärkung regionaler Betriebe sehen die beteiligten Unternehmen im Regiogeldsystem in der Regel eine soziale Einrichtung, die ihnen keinen unternehmerischen Vorteil verschafft, an der sie aber doch teilhaben wollen, da sie in ihr Gemeinschaftlichkeit verwirklicht sehen. Ihre Partizipation, die Akzeptanz des Geldes und der damit verbundene Zeitaufwand, lassen sich als Formen der Gabe beschreiben. Selbstverständlich soll mit der Figur des Geldes als Gabe nicht gesagt sein, dass Regiogeld ausschließlich in Gabebeziehungen verwendet werden würde. Im Vergleich zum herkömmlichen Geld zeigt sich aber die Besonderheit einer Geldform, die als Gabe-Mittel der Vergemeinschaftung fungiert. Mit der in der Wirtschaftssoziologie noch immer vernachlässigten Gabe nach Mauss habe ich den ersten Strang angesprochen, der für meine theoretische Einordnung der Regiogelder zentral ist. Viviana Zelizers Verständnis der Vielfalt von Geld und seiner sich in Praktiken des Markierens manifestierenden sozialen Bedeutungen ist ein zweiter wesentlicher Bezugspunkt. Der Ansatz unterscheidet sich von üblichen geldtheoretischen Zugängen deutlich. Denn diese denken Gesellschaften letztlich entweder als Marktgesellschaften mit Geld als neutralem Mittel herkömmlicher ökonomischer Transaktionen – dies ist die neoklassische Position – oder aber als durch Geld vermarktlichte und versachlichte Gesellschaften, in denen Geld individualisierend wirkt – das ist die klassische geldsoziologische Position, die sich als »money shapes values« bezeichnen lässt. Demgegenüber ist Geld für Zelizer prinzipiell offen und wird stets »von innen« konstituiert durch kulturelle Formung, d.h. also »values shape money«. Mit Zelizer lassen sich Regiogeldsysteme als nach außen abgegrenzte kommerzielle Kreisläufe sehen, innerhalb derer Teilnehmer*innen spezifische Tauschbeziehungen mittels eigenständiger Medien führen und die auf gemeinsam geteilten Verständnissen von Art, Inhalt und Form der Transaktionen sowie ihrer Bedeutungen basieren. Es handelt sich also um die Form des Markierens durch Herausbildung eines eigenen Geldmediums. Gleichzeitig wird Regiogeld auch in dem Sinne markiert, dass aus dem Möglichkeitsraum der Verwendungen in besonderem Maße solche hervorgehoben werden, die der Gabelogik folgen und die konviviale Qualität des Regiogeldes untermauern.
12. Fazit | 381
Der kultursoziologisch geprägte Kreislauf-Ansatz Zelizers bezieht sich primär auf die Konstitution der Kreisläufe von innen und blickt auf die Mikroebene. Demgegenüber nimmt er politökonomische Dimensionen weniger stark in den Blick. Er betrachtet zwar Innen-Außenbeziehungen und ist somit prinzipiell in der Lage, auch das Verhältnis von lokalem Kreislauf zum globalen System zu denken. Gleichwohl konzipiert er Kreisläufe tendenziell als horizontales Beziehungssystem und behandelt Hierarchien, Machverteilungen und die besondere Rolle von Organisationen nur am Rande. Das Beispiel der Regiogeld-Kreisläufe zeigt aber, wie zentral Organisationen wie die beteiligten Unternehmen, die jeweilige das Regiogeld herausgebende Organisation, oder die Kommunen sind, welche Regiogeld als Zahlungsmittel für Abgaben akzeptieren können. Solche Organisationen (und damit die sie repräsentierenden Personen) haben eine größere Bedeutung für die Funktionsfähigkeit der Kreisläufe und auch mehr Handlungsmacht als einzelne Konsument*innen inne. Der dritte Perspektivenstrang komplementiert die Befunde der Zelizerschen und Mausschen Traditionen. In Karl Polanyis Terminologie entsprechen Gabebeziehungen im Wesentlichen der Form der Reziprozität, welcher er den Markttausch und die Redistribution als weitere Modi der Handelstransaktionen zur Seite stellt. In Anwendung seines substantiven Begriffes des Wirtschaftlichen zeigen sich Regiogeldsysteme als Medien der kulturellen und sozialen Einbettung. Es handelt sich um Spezialzweckgelder, die in besonderem Maße reziprozitäts- oder gabebasierte Beziehungen vermitteln. Das hier vorgeschlagene Verständnis des Einbettungsbegriffes steht dem Paradigma der neuen Wirtschaftssoziologie insofern entgegen, als Einbettung eben nicht in der Variante Marc Granovetters aufgefasst wird, welche letztlich von einer im Kern ökonomischen Sphäre ausgeht, die von ihrem nichtökonomischen Umfeld beeinflusst wird. Stattdessen folge ich einer Lesart Polanyis und seinem substantiven Begriff des Wirtschaftlichen, die die untrennbare Verwobenheit des analytisch als wirtschaftlich oder nichtwirtschaftlich gefassten Dimensionen postuliert. So konzipiert, zeigen sich große Überschneidungen der Konzepte der Polanyischen Einbettung, Zelizers verbundenen Welten sowie der Mausschen Gabe. In einer Hinsicht führt Polanyis Konzeption allerdings weiter, wie die Erörterungen im Anschluss an die Debatte um Einbettung als Variable oder als methodisches Prinzip gezeigt haben. Denn Polanyi, deutlich skeptischer oder gar feindlicher dem Marktprinzip gegenüber eingestellt als Zelizer, konzipiert die bekannte Figur der Doppelbewegung. Hiermit sind die voranschreitende Ausweitung des Marktsystems in immer weitere gesellschaftliche Teilbereiche auf der einen Seite sowie die notwendige, spontane Gegenbewegung der Wiedereinbettung zum Selbstschutz der Gesellschaft auf der anderen Seite gemeint. Zivilgesellschaftliche Komplementärwährungen wie Regiogeld oder Tauschringe können prinzipiell Teil dieser Gegenbewegungen sein, die sich von der lokalen bis zur globalen Ebene formieren. Gleichwohl wird nun eine Begrenzung der Einbettungsmöglichkeiten durch Regiogeld sichtbar.
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Denn dieses ist zwar sozial und kulturell spezifisch und anders eingebettet als herkömmliches Geld, aber auf der systemischen und politischen Ebene wirkt diese Einbettung kaum. Regiogeld grenzt sich zwar von herkömmlichen Geld ab, indem es die Entpersonalisierung der geldvermittelten Beziehungen ein Stück weit zurücknimmt. Doch Regiogeld ist zu klein, um auf supraregionaler gesellschaftlicher Ebene dekommodifizierend zu wirken. Es ist aber nicht nur die Größe oder die Reichweite, die einer solchen Wirkung entgegensteht. Eine Begrenzung ist vielmehr bereits in der Ausgestaltung von Regiogeld angelegt. Denn dieses ist ja nicht nur im Verhältnis von 1:1 an die jeweilige Landeswährung gebunden, sondern auch durch letztere gedeckt: Regiogeld zu halten, heißt Gutscheine zu besitzen, die im vollen Nennwert durch das gesetzliche Zahlungsmittel (meist in unbarer Form) gedeckt sind. Damit weist Regiogeld zwar einerseits eine andere Qualität als herkömmliches Geld auf, vermag aber an der Struktur des Geldsystems wenig zu ändern. Es sieht dann eher aus wie ein Marketinginstrument für die unterschiedlichen lokalen Sozialräume, in denen eine Region oder eine Gemeinschaft sich selbst feiert. Es gibt vielleicht eine solche Tendenz, dass sich manche Regiogeldprojekte weiter Richtung lokaler Marketinginitiativen entwickeln. Auch dann setzten sie dem System globaler Märkte eine Regionalisierung entgegen, aber in einer marktlichen, nicht reziprozitätsbasierten Form. Das Brixton Pound versucht sich deswegen zu wandeln hin zu einer Organisation, die nicht ausschließlich ein lokales Zirkulationsmittel bereitstellt, sondern Mechanismen der lokalen Finanzierung entwickelt. Noch geschieht dies etwa in Form einer Lotterie, aber es wird diskutiert, diese künftig durch Mikrofinanzierungsinstrumente zu ergänzen. Damit könnte die qualitative Andersartigkeit dieses Geldes stärker herausgearbeitet werden. Dies gilt zumindest, wenn die Mikrokredite nicht voll gedeckt sind durch Bankeinlagen in Pfund Sterling. Andere Typen von Komplementärwährungen haben aufgrund ihrer Ausprägung größeres Potenzial, als unabhängige, stärker eigenständige Geldform zu fungieren. Das Beispiel der Tauschringe habe ich in der Fallstudie zum Vorarlbergstaler anhand des Talente Tauschrings aufgegriffen. Die Logik von Tauschringen ist in dieser Hinsicht überlegen, insofern die Schöpfung von Geld tatsächlich innerhalb des Tauschrings durch die Mitglieder erfolgt. Doch bisher sind Tauschringe klein und kurzlebig geblieben; Regiogeld ist ja ein Vorschlag zur Lösung dieses Problems. Gerade die technischen Neuerungen in diesem Feld lassen für optimistische Aktivist*innen aber die Hoffnung zu, den Tauschring-Modus eigenständiger Schaffung von Liquidität und Finanzierungsmöglichkeiten in größerem Maße für die lokale Daseinsvorsorge nutzbar zu machen, ohne die moralisch aufgeladene Bedeutung der Beziehungen zu verlieren. Technisch sind zentrale Buchführung wie auch dezentrale Transaktionsaufzeichnungen digital deutlich transaktionskostenärmer zu handhaben als mit analogen Listen oder Scheinen. Auch das kurz genannte Sardex-Projekt in Sardinnen verdient Beachtung als Beispiel für eine mögliche nächste Generation von Komplementärwährungen. Dabei handelt es sich um ein Clearingsystem eines sardischen
12. Fazit | 383
Unternehmensnetzwerkes mit eigenständigem, digitalen Kreditgeld-Kreislauf, das jünger ist als die hier untersuchten Regiogeldprojekte. Sardex ist nicht durch Euro gedeckt, lediglich an den Euro als Maßeinheit gebunden. Sardex wird auch nicht gegen Euro eingetauscht. Es zeigt sich also, dass die Experimente mit neuen Formen und die Suche nach verbesserten regionalen Komplementärwährungen weitergeht. Mit Regiogeld können einige der Probleme von Tauschringen behoben werden; so ist es attraktiver für Unternehmen, da diese es einfacher in ihre Abläufe integrieren können. Andererseits entstehen dadurch neue Herausforderungen, weil die eigenständige Qualität als Geldmedium geschwächt wird. Manches bleibt hingegen ähnlich: schließlich fungiert Regiogeld ebenfalls eher als gabebasiertes Spezialzweckgeld für besondere Anlässe. Es ist daher mit Spannung weiterzuverfolgen, welche Formen komplementärer Währungen künftig entwickelt werden, und ob sie eine Möglichkeit zivilgesellschaftlicher Kontrolle über Geld bieten. Insbesondere bleibt die große Frage, inwieweit und wie es gelingen kann, den vergemeinschaftenden und konvivialen Charakter komplementärer Geldformen aufrechtzuerhalten, aber gleichzeitig die vergleichsweise engen lokalen Sozialräume deutlich auszuweiten, sogar bis auf die globale Ebene. Komplementärwährungen wie Bitcoin lassen jegliche besondere Qualität in dieser Hinsicht vermissen (was auch mit der warengeldtheoretischen Konzeption zusammenhängt), wenn sie auch global zirkulieren wollen. Zu blicken wäre eher auf zivilgesellschaftliche Alternativen wie etwa Freicoin, das genau die beschriebene Integration versucht. Freicoin basiert auf der dezentralen Blockchain, implementiert aber eine Demurrage. Durch diese Negativzinsen soll das bei Bitcoin gewöhnliche Horten zwecks Wertsteigerung vermieden werden. Vermutlich werden künftige realutopische Experimente genau wie die Wandlungen der bestehenden Komplementärwährungen weiterhin mit dem skizzierten Spannungsfeld zwischen Qualität und Quantität zu kämpfen haben: besondere Qualität als Geldform, etwa die sich im und durch Regiogeld manifestierenden Gabepraktiken, gehen mit geringer Quantität, also geringem Umlauf einher. Dass auf der Suche nach geeigneten Lösungen die Verbreitung und Diffusion erfolgreicher Fälle nicht einfach ist, zeigt sich in der Fallstudie des Stroud Pounds. Denn dieses scheiterte nicht zuletzt daran, den erfolgreichen Chiemgauer mit seiner Demurrage und Rücktauschgebühren zu kopieren. Der Erfolg eines Regiogeldkreislaufes hängt davon ab, wie viele Unternehmen und Konsument*innen bereit sind, für einen spürbaren Teil ihrer Transaktionen dieses Spezialzweckgeld zu verwenden. Diese Frage der sozialen Reichweite sowohl von Regiogeld als auch von Tauschringkreisläufen ist aber auch jenseits der hier primär beachteten Unternehmenspartizipationen und Wirkungen auf den Kreislauf relevant. Denn sie hängt mit den Abrgenzungen und Exklusionsmechanismen zusammen. Es bestätigt sich der aus der Literatur (zu Komplementärwährungen wie zu zivilgesellschaftlichem alternativökonomischen Engagement allgemein) bekannte
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Befund eines Mittelschichtsbias. Dieser kann auch mit Ethnizität einhergehen, wie das Beispiel Brixtons zeigt. Künftig sollte meiner Ansicht nach daher der Blick stärker auf die nicht intendierten Abgrenzungsmechanismen nach Außen gelegt werden. Die hier skizzierte partielle Stärkung von Gemeinschaftlichkeit geht eben immer mit Abgrenzungen und Exklusionen einher. Falls die Annahme stimmt, dass wir in Zukunft eine weitere Pluralisierung von Geld, zumindest von monetären Zahlungsmechanismen erleben, dann wird die Frage, wer Zugang zu den komplementären Zahlungskreisläufen hat und wer ausgeschlossen wird, bedeutend. Falls zivilgesellschaftliche Geldformen weiterhin eine Rolle innerhalb der Komplementärwährungslandschaft zu spielen haben (und nicht etwa überwiegend kommerzielle Akteur*innen), dann wird es gerade eine wichtige Aufgabe sein, Mechanismen zu finden, die eine breite Inklusion bei Beibehaltung der Gabe- und Reziprozitätlogiken, wie sie sich beim Regiogeld zeigen, zu kombinieren. In den unterschiedlichen Ausgestaltungsoptionen komplementärer Währungen zeigt sich die Vielfältigkeit dieser Bewegung. Sie speist sich aus verschiedenen, teils konfligierenden theoretischen und utopischen Traditionen der Geldreform – und basiert damit auch auf höchst unterschiedlichen Gesellschaftsentwürfen. So gehören etwa Figuren wie Friedrich August von Hayek, Silvio Gesell oder Robert Owen zu den wesentlichen Bezugsgrößen. Als Ideale gelten etwa die Freiheit von staatlicher und zentralbanklicher Kontrolle oder, alternativ, die Freiheit von privatwirtschaftlicher Geldschöpfung durch Geschäftbanken. Sehr wirkmächtig ist auch die Vorstellung eines Geldes ohne Zinsen und Inflation, welches als Bestandteil einer Postwachstumsgesellschaft gedacht wird. Innerhalb der Komplementärwährungsbewegung gibt es also durchaus unterschiedliche Aufassungen darüber, wie ein künftiges plurales Geldsystem ausgestaltet sein sollte. Gemeinsam ist den Projekten aber, dass sie festgefahrene Alltagsvorstellungen von Geld hinterfragen. Sie machen die Geldordnung grundlegend zum Gegenstand (zivil-)gesellschaftlicher Handlungsoptionen und untermauern dies durch handfeste alltagspraktische Erfahrungen, die sie ihren Nutzer*innen bieten.
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Anhang
VERZEICHNISSE Tabellenverzeichnis Tab. 1: Formaler und substantiver Begriff des Wirtschaftlichen | 76 Tab. 2: Boyles vier Typen komplementärer Währungen | 169 Tab. 3: Typen zivilgesellschaftlicher Komplementärwährungen nach Blanc | 171 Tab. 4: Kriterien der Selektion der drei Fälle | 197 Tab. 5: Interviews und Gespräche in den drei Fällen | 207 Tab. 6: Kriterien der Selektion (Übersicht) und mögliche Ausprägungen | 211 Tab. 7: Interviews in Vorarlberg | 213 Tab. 8: Übersicht über die drei Fälle | 222 Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Die inhärente Hierarchie des Geldes | 41 Abb. 2: Schematische Darstellung des Dritten Sektors im Welfaremix | 163 Abb. 3: Typen von Komplementärwährungen nach Blanc | 173 Abb. 4: Brixton Pound Scheine | 235 Abb. 5: Stroud Pound Geldscheine | 251 Abb. 6: VTaler Scheine | 270 Abb. 7: Die untersuchten Fälle im Welfaremix komplementärer Währungen | 375
426 | Geld als Gabe
Abkürzungen Abb. Abbildung B£ Brixton Pound CC Complementary Currency CCIA Community Currencies in Action CIC Community Interest Company eG eingetragene Genossenschaft eB£ elektronisches Brixton Pound EU Europäische Union Herv. i. O. Hervorhebung im Original nef New Economics Foundation o.J. ohne Jahr o.S. ohne Seite S£ Storud Pound Tab. Tabelle VTaler Vorarlbergstaler WIR Wirtschaftsring z.B. zum Beispiel zit. n. zitiert nach
Anhang | 427
LISTEN DER INTERVIEWPARTNER*INNEN Interviewpartner*innen in Brixton Nummer BRIORG1 BRIORG2a, 2b
Name Tom Susie
Hintergrund Manager, Brixton Pound Gründerin, Brixton Pound
BRIORG3 BRIORG4 BRIORG5 BRITN1
Nick Sue Anonym Sara
BRITN2 BRITN3 BRITN4 BRITN5 BRITN6 BRITN7 BRINT1 BRINT2 BRINT3 BRINT4
Soner Nic Aman Tony Anonym Anonym Lorne Etta Anonym Anonym
BRINT5
Anonym
Volunteer, Brixton Pound Gründerin, Brixton Pound Volunteer, Brixton Pound Mitarbeiterin/Besitzerin, Fahrradladen Inhaber, Cafe Inhaber, Restaurant Inhaber, Cafe Inhaber, Einzelhandel Inhaber, Health Food Shops Friseur Fischhändler Inhaberin, Fischrestaurant Inhaberin, Restaurant Leitender Angestellter, Teppichgeschäft Angestellte, Restaurant
Dauer 60 Min 60 und 50 Min 75 Min 75 Min 40 Min 30 Min 40 Min 60 Min 25 Min 55 Min 25 Min 25 Min 50 Min 55 Min 30 Min 25 Min 20 Min
Interviewpartner*innen in Stroud Nummer STRORG1
Name Bernard
STRORG2
Clare
STRTN1
Debbie
STRTN2
Nic
Hintergrund Gründer und Vorstand, Stroud Pound Gründerin, Stroud Pound; Mitglied, Stround Valleys Project; Transition Stroud Managerin, Stroud Valleys Project; Mitarbeiterin, Charity Shop Inhaber, Café
Dauer 80 Min 30 Min
80 Min
35 Min
428 | Geld als Gabe
STRTN3 (ohne Audio) STRTN4 STRTN5 (ohne Audio) STRNT1 STRNT2 STRNT3 (ohne Audio) STRNT4 (ohne Audio)
Anonym
Mitarbeiterin, Buchladen
20 Min
Miles Anonym
Inhaber, Pub Inhaber, Brauerei
30 Min 20 Min
Anonym
20 Min
Andrew Tony
Inhaber, Buchhandel/ Antiquariat Inhaber, Health Food Shop Inhaber, Metzgerei
25 Min 15 Min
Anonym
Mitarbeiterin, Bäckerei
15 Min
Interviewpartner*innen in Vorarlberg Nummer
Name
Hintergrund
Dauer
VORORG1a, 1b VORORG2TT
Gernot
Vorstand, Allmenda
Ulrike
VORORG3
Rolf
VORORG4 VORTN1tt VORTN2TT VORTN3TT VORTN4TT VORTN5tt VORTN6tt VORNT1TT VORNT2tt VORNT3tt VORNT4tt VORNT4TT VORNT5TT
G.Moosbruger Siegfried Ingeborg Markus Klaudia Bertram Martin Sabine Arnor Harald Herbert Monika Bernhard
Mitarbeiterin, Allmenda; zugleich selbstständig tätig Mitarbeiter Allmenda und Regiogeld-Netzwerk Langenegg OB Inhaber, Schuhgeschäft Inhaberin, Kindermode Inhaber, Bäckerei Inhaberin, Sportstudio Landwirt Obstbauer Leiterin, Kulturzentrum Einzelhändler Inhaber, Fachgeschäft Inhaber, Bäckerei Schulleiterin Einzelhändler
35 und 85 Min 60 Min 120 Min 45 Min 60 Min 55 Min 70 Min 60 Min 60 Min 45 Min 40 Min 50 Min 35 Min 45 Min 45 Min 55 Min
Soziologie Sighard Neckel, Natalia Besedovsky, Moritz Boddenberg, Martina Hasenfratz, Sarah Miriam Pritz, Timo Wiegand
Die Gesellschaft der Nachhaltigkeit Umrisse eines Forschungsprogramms Januar 2018, 150 S., kart. 14,99 € (DE), 978-3-8376-4194-3 E-Book kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-4194-7 EPUB: ISBN 978-3-7328-4194-3
Sabine Hark, Paula-Irene Villa
Unterscheiden und herrschen Ein Essay zu den ambivalenten Verflechtungen von Rassismus, Sexismus und Feminismus in der Gegenwart 2017, 176 S., kart. 19,99 € (DE), 978-3-8376-3653-6 E-Book PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3653-0 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-3653-6
Anna Henkel (Hg.)
10 Minuten Soziologie: Materialität Juni 2018, 122 S., kart. 15,99 € (DE), 978-3-8376-4073-1 E-Book: 13,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4073-5
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Soziologie Robert Seyfert, Jonathan Roberge (Hg.)
Algorithmuskulturen Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit 2017, 242 S., kart., Abb. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3800-4 E-Book kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-3800-8 EPUB: ISBN 978-3-7328-3800-4
Andreas Reckwitz
Kreativität und soziale Praxis Studien zur Sozial- und Gesellschaftstheorie 2016, 314 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-3345-0 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3345-4
Ilker Ataç, Gerda Heck, Sabine Hess, Zeynep Kasli, Philipp Ratfisch, Cavidan Soykan, Bediz Yilmaz (eds.)
movements. Journal for Critical Migration and Border Regime Studies Vol. 3, Issue 2/2017: Turkey’s Changing Migration Regime and its Global and Regional Dynamics 2017, 230 p., pb. 24,99 € (DE), 978-3-8376-3719-9
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de