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German Pages 190 [192] Year 1989
Achim Stephan Sinn als Bedeutung
W G DE
Quellen und Studien zur Philosophie Herausgegeben von Günther Patzig, Erhard Scheibe, Wolfgang Wieland
Band 24
Walter de Gruyter · Berlin · New York 1989
Sinn als Bedeutung Β edeutungstheoretis che Untersuchungen zur Psychoanalyse Sigmund Freuds von Achim Stephan
Walter de Gruyter · Berlin · New York 1989
Gedruckt auf säurefreiem Papier (alterungsbeständig - pH 7, neutral)
CIP-Titelaufnakme der Deutschen Bibliothek Stephan, Achim: Sinn als Bedeutung : bedeutungstheoretische Untersuchungen zur Psychoanalyse Sigmund Freuds / von Achim Stephan. Berlin ; N e w York : de Gruyter, 1989 (Quellen und Studien zur Philosophie ; Bd. 24) Zugl.: Göttingen, Univ., Diss., 1987/88 I S B N 3-11-011949-8 NE: GT D 7 Göttinger philosophische Dissertation © 1989 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30, Genthiner Straße 13. Printed in Germany. Alle Rechte, insbesondere das der Ubersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie, Xerokopie) zu vervielfältigen. Satz: Gesetzt mit LaTex bei der Gesellschaft für wissenschaftliche Datenverarbeitung, Göttingen Druck: Saladruck, Berlin 36 Einband: Lüderitz und Bauer, Berlin 61
Für Sabine und Teresa
Vorwort
Die vorliegende Arbeit ist die nur wenig veränderte Fassung meiner Dissertation, die dem Fachbereich Historisch-Philologische Wissenschaften der Georg-August-Universität in Göttingen im Wintersemester 1987/88 zur Begutachtung vorgelegen hat. Ziel dieser Arbeit war es zunächst, eine philosophische Untersuchung zum Begriff der Absicht in der Psychoanalyse Sigmund Freuds vorzulegen. Während Freuds metapsychologische Schriften für eine Rekonstruktion dieses Begriffes nur wenig beitragen konnten, erwiesen sich seine Arbeiten zur Traumdeutung, zur Neurosenlehre und zu den Fehlleistungen als einschlägig. Zunächst schien mir sogar eine Untersuchung der Theorie der Fehlleistungen auszureichen, um das Typische des psychoanalytischen Absichtsbegriffes er anbei ten zu können. Diese thematisiert Verhaltensweisen, die normalen menschlichen Handlungen ähnlich genug sind, eine differenzierende Betrachtung psychoanalytischer Erklärungen - im Vergleich zu herkömmlichen Erklärungstypen wie der intentionalen Erklärung bzw. dem praktischen Syllogismus - zu erlauben. Hierbei stellte sich jedoch heraus, daß der Absichtsbegriff selbst in bezug auf die Theorie der Fehlleistungen nicht losgelöst vom psychoanalytischen Sinnbegriff diskutiert und verstanden werden kann, sondern wie der Begriff der Bedeutung als ein wesentlicher Teilaspekt des Sinnbegriffes aufzufassen ist. Aus dieser Einschätzung resultierte eine völlige Umgestaltung dieser Arbeit. Nicht dem Absichtsbegriff, sondern dem umfassenderen Begriff des Sinnes gilt das Interesse. Da Freud diesen Begriff in seinen Studien über neurotische Erkrankungen (vor allem Hysterien) einführt, und da der Sinnbegriff ferner ein zentraler Bestandteil der Traumtheorie ist, war es der Sache nach geboten, die künstliche Beschränkung auf die Theorie der Fehlleistungen ebenfalls aufzugeben und das Untersuchungsgebiet auf Traumdeutung und Neurosenlehre auszuweiten. Das Hauptinteresse galt nun zuerst dem m. E. grundlegenderen Aspekt des Sinnbegriffes, dem Bedeutungsaspekt. Die Rekonstruktion und Diskussion des Begriffes der Bedeutung erwies sich als so umfangreich, daß ich beschloß, den Absichtsbegriff nicht mehr in dieser Arbeit zu diskutieren; später mag eine eigene Untersuchung über diesen zweiten wichtigen Aspekt des psychoanalytischen Sinnbegriffes erfolgen.
VIII
Vorwort
In der Auffassung, mit dem Bedeutungsbegriff als Gegenstand dieser Arbeit die richtige Wahl getroffen zu haben, hat mich ein Forschungsbericht Hermann Argelanders bestärkt, in dem es u. a. zu „Sinn und Bedeutung in der psychoanalytischen Methode" heißt: M a n kann sich nicht des Eindruckes erwehren, daß angesichts dieser Fülle neuer E n t d e c k u n g e n [Argelander nennt die beiden P h ä n o m e n e Widerstand und Übertragung] die ursprüngliche Absicht, in gemeinsamer Arbeit Sinn und B e d e u t u n g zu erkennen und zwar explizit durch D e u t u n g s a r b e i t , in den Hintergrund getreten ist. Diese Divergenz in der Entwicklung der Methode läßt sich allein d a r a n erkennen, daß jeder Psychoanalytiker es heute gelernt hat, Begriffe wie Übertragung zu definieren und ihre Erscheinungsformen in der praktischen A r b e i t wiederzuerkennen, aber nicht ausdrücklich lernt, Sinn und Bedeutung als Erkenntnisziele der psychoanalytischen Arbeit zu formulieren, um sich in der praktischen Arbeit an ihnen zu orientieren. Der Analytiker steht diesem Problem ziemlich naiv gegenüber, obwohl die D e u t u n g s a r b e i t seine eigentliche Identität ausmacht. Vielleicht wartet er d a r a u f , daß dieses schwierige P r o b l e m in einem anderen Wissenschaftsbereich gelöst wird; denn es gibt A n h a l t s p u n k t e dafür, daß z . B . Transzendent alphilosophen, Strukturellsten, Hermeneutiker, Linguisten, Semantiker und Erkenntnistheoretiker sich dieser Fragen zunehmend annehmen. Verständlicherweise verbinden diese Personen diese Fragen mit ihren eigenen Interessen, so daß der Psychoanalytiker mit einer Fülle von Ergebnissen und Meinungen konfrontiert wird, die er f ü r seine eigenen Zwecke nur sehr schwer integrieren kann [1982: 11].
Ich hoffe, daß mit der vorliegenden Arbeit sowohl philosophischen wie auch psychoanalytischen Interessen gedient ist. Die ersten Anregungen zu einer philosophischen Beschäftigung mit der Freudschen Psychoanalyse erhielt ich in Seminaren, die mein Doktorvater Professor Günther Patzig gemeinsam mit Herrn Prof. Franz Heigl zur philosophischen Interpretation der Psychoanalyse gehalten hat. Mein ganz besonderer Dank gilt Professor Patzig, der meine Arbeit betreute und auf vielfältige Weise förderte. Des weiteren danke ich Professor Ansgar Beckermann, Dr. Harald Köhl, Dr. Reinhard Kreische und Dr. Ulrich Nortmann für ihre anregend-kritischen Bemerkungen. Sehr hilfreich waren für mich die Forschungsseminare, die Herr Prof. Karl König gemeinsam mit seinen Mitarbeitern zum Problem des Innerpsychischen und Interpersonellen in der Psychotherapie veranstaltete. In jenem Kreis hatte ich Gelegenheit, Teile meiner Arbeit vorzustellen und zu diskutieren. Mein Dank gilt auch Herrn G. Koch, der mir bei zahlreichen Formatierungsproblemen geholfen hat. Ferner danke ich der Studienstiftung des Deutschen Volkes für das mir gewährte Promotionsstipendium sowie den Herausgebern für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe „Quellen und Studien zur Philosophie".
Vorwort
IX
Schließlich danke ich ganz herzlich meiner Frau Sabine Buse-Stephan, die nicht nur eine Fassung dieser Arbeit gelesen hat, sondern mich stets ermunterte, noch eine weitere zu schreiben. Göttingen, im April 1989
Achim Stephan
Inhalt Vorwort
VII
Hinweise für den Leser 1
XIII
Sinn, Bedeutung und Absicht
1
1.1 1.2
Historische Einführung Systematische Einführung 1.2.1 Zur „psychischen Reihe" 1.2.2 „Sinn" als „Bedeutung" 1.2.3 „Sinn" als „Absicht" Exkurs: Robert Shope über „Freud's Concepts of Meaning" . . . 1.3 Problemstellung
1 5 5 8 9 13 17
2
Die 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6
„Sprache" der manifesten Phänomene Hysterische Anfalle und Symptome Träume Zwangshandlungen Schizophrenie Fehlleistungen und Symptomhandlungen Resümee
26 28 31 34 36 37 40
3
Die 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6
Ubersetzungshypothese Die hypnotische Methode Modifikationen der hypnotischen Methode Die Methode der freien Assoziation Die psychoanalytische Theorie der Traumarbeit Zur Rechtfertigung der psychoanalytischen Methode Resümee
42 46 49 52 61 63 68
4
. . . .
Freuds Schrift „Zur Auffassung der Aphasien" in ihrer Bedeutung für seine „Bedeutungstheorie" 70 4.1 Der menschliche „Sprachapparat" als ein kompliziertes Assoziationssystem 72 4.2 Das Paradigma der Ersetzung gestörter Sprachleistungen 74
XII
Inhalt
4.3 4.4 4.5
Das Wort als „Wortvorstellung" Freuds „Ubersetzungshypothese" aus neuer Sicht Resümee
77 81 83
5
Freuds psychologistische Bedeutungstheorie: Tradition und Kritik 85 5.1 Bedeutungstheorien im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert 85 5.2 Systematische Zusammenstellung der verschiedenen Ansätze der Bedeutungstheorien 92 5.3 „Subjektive" Bedeutungen 100 5.4 Freuds Bedeutungsthese - ein heuristisches Prinzip 105 5.5 Fazit 109
6
Die Kontroverse über die hermeneutische Deutung der Freudschen Bedeutungsthese in der Sekundärliteratur 111 6.1 Jürgen Habermas 112 6.2 Alfred Lorenzer 114 6.3 Jacques Lacan 124 6.4 Paul Ricoeur 128 6.5 Robert Shope 134 6.6 Benjamin Rubinstein 138 6.7
Adolf Grünbaum
144
Anhang: Träume als Wunscherfüllungen
150
Literaturverzeichnis
161
Personenregister
167
Sachregister
169
Hinweise für den Leser
Im ersten Kapitel gebe ich sowohl eine historische als auch eine systematische Einführung in den psychoanalytischen Sinn-Begriff. Für die Systematik ist die Unterscheidung dreier Aspekte dieses Begriffes wesentlich: Stellung in einer psychischen Reihe - Bedeutung — Absicht. Robert Shope kommt in seinem Aufsatz über „Freud's Concepts of Meaning" zu einer anderen Einteilung; diese wird in einem Exkurs kritisch diskutiert. Da ich mich im folgenden nicht mehr mit allen Aspekten des Sinn-Begriffes, sondern nur noch mit dem der Bedeutung befasse, wird der Exkurs bereits hier eingefügt. Das erste Kapitel endet mit einer Schilderung der Schwierigkeiten, die bei der Diskussion des psychoanalytischen Bedeutungs-Begriffes zu erwarten sind. Im zweiten Kapitel expliziere ich an Träumen, neurotischen Symptomen und Fehlleistungen die These Freuds, diese Phänomene hätten Inhalt und Bedeutung. Dabei folge ich im wesentlichen Freuds eigenen Ausführungen. Besteht das zweite Kapitel hauptsächlich aus einem Referat der Freudschen Position, so soll das dritte Kapitel darüber Aufschluß geben, inwieweit Freuds Bedeutungsthese durch die Resultate seiner Methoden begründet werden kann. Es erscheint unumgänglich, auch die früher verwendeten Techniken der Hypnose und Suggestion zu berücksichtigen, da nur so Freuds Interpretation der mit dem freien Assoziieren gewonnenen Resultate richtig einzuschätzen ist. Die im dritten Kapitel sichtbar und offenkundig werdenden Begründungslücken lassen sich im vierten Kapitel schließen: Freuds kaum beachtete prä-psychoanalytische Arbeit „Zur Auffassung der Aphasien" weist Freud als einen Vertreter der psychologistischen Bedeutungstheorie aus. Es ist davon auszugehen, daß Freud auch später stillschweigend an dieser Position festhielt. Relativ zur psychologistischen Bedeutungstheorie läßt sich seine Bedeutungsthese in plausibler Weise rekonstruieren. Im fünften Kapitel zeige ich zunächst, daß Freud mit der psychologistischen Position in vollem Einklang mit den philosophischen und psychologischen Strömungen seiner Zeit stand. Ferner wird dargelegt, wie und aus welchen Gründen es zu einer Ablösung der psychologistischen Auffas-
XIV
Hinweise für den Leser
sung durch Freges Bedeutungstheorie kam. Eine Systematik, die beide Theorien nebeneinanderstellt und einen Vergleich ihrer Begriffe erlaubt, schließt sich an. Einwände, die gegen die psychologistische Variante einer Bedeutungstheorie zu Recht erhoben wurden, werden diskutiert und Freuds Bedeutungsthese unter Berücksichtigung dieser Kritik erneut betrachtet. Im abschließenden sechsten Kapitel wird die für den psychoanalytischen Bedeutungsbegriff relevante Sekundärliteratur vorgestellt und kritisch diskutiert. Der Anhang bietet eine Abhandlung über Freuds These, die Wunscherfüllung sei der Sinn eines jeden Traumes. Der Aufbau meiner Arbeit mag insofern überraschen, als ich nicht mit einer ausführlichen Darstellung und Diskussion der Positionen beginne, die in Philosophie und Psychoanalyse in bezug auf den Freudschen BedeutungsbegrifF vertreten werden. Gegen eine solche Vorgehensweise spricht jedoch, daß die in Kapitel 6. vorgestellte Sekundärliteratur bereits eine Kenntnis der Freudschen Schriften voraussetzt, insbesondere der für den Bedeutungsbegriff relevanten Passagen. Eine Integration der Diskussion der Sekundärliteratur in den fortlaufenden Text hätte die Lektüre unnötig erschwert, die für mich im Zentrum der Arbeit stehende Rekonstruktion des Freudschen Bedeutungsbegriffes hätte darunter gelitten. Deshalb entschied ich mich dafür, die in der Sekundärliteratur vertretenen Standpunkte in einem separaten Kapitel, und zwar nach der Rekonstruktion des Freudschen Bedeutungsbegriffes, zu diskutieren. Auch Freges Bedeutungstheorie wurde mit Absicht nicht an den Anfang der Untersuchung gestellt. Dies hätte leicht dazu führen können, die uns heute geläufigen Begriffe zu eilig auf eine noch unzureichend geklärte Theorie (nämlich Freuds Psychoanalyse) anzuwenden. Wie man an Beispielen aus der Sekundärliteratur sehen kann, steigt damit das Risiko einer Fehlinterpretation erheblich. Stattdessen zog ich es vor, aus Freuds Werk selbst zu entwickeln, welche seiner theoretischen Vor annahmen und welche Ergebnisse seiner (auch früher) verwendeten Methoden entscheidend in die Begründung seiner Bedeutungsthese eingehen.
Natürlich ist es geradezu naiv, von dem Problem der Bedeutung zu sprechen; adäquater wäre es, von einer Pandorabüchse mit der Aufschrift „Bedeutung" zu reden. (Hans Hörmann)
1. Kapitel Sinn, Bedeutung und Absicht 1.1
Historische Einführung
Die Erörterung der Bedeutung des Begriffes „Sinn" in Freuds Schriften beginne ich mit einem kurzen historischen Überblick. 1 Freuds eigene Arbeiten zur Geschichte der Psychoanalyse enthalten eine Reihe von Hinweisen, wie sich ihm die Situation der Medizin, besonders die der Psychiatrie, gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts darbot. Die Neurologen dieser Zeit waren in der Hochschätzung chemisch-physikalischer und pathologisch-anatomischer Tatsachen erzogen worden . . . , welche eine innige, vielleicht eine ausschließliche Bindung gewisser Funktionen an bestimmte Teile des Gehirns zu erweisen scheinen. Mit dem psychischen Moment wußten sie nichts anzufangen, sie konnten es nicht erfassen, überließen es den Philosophen, Mystikern und - Kurpfuschern und hielten es auch für unwissenschaftlich, sich mit ihm abzugeben; dementsprechend eröffnete sich auch kein Zugang zu den Geheimnissen der Neurose, vor allem der rätselhaften Hysterie, die ja das Vorbild der ganzen Gattung war [G.W. 1924, 13: 405-406].
Nun wissen wir von Freud, daß er selbst ebenfalls im Geiste der damals vorherrschenden, rein physiologisch-anatomisch orientierten Helmholtzschen Schulmedizin erzogen war; seine frühen Veröffentlichungen stammen bis Mitte der 80er Jahre weitgehend aus Gebieten der anatomischen Forschung. Wie kam es also dazu, daß Freud zu einer von der Schulmeinung abweichenden Ansicht bezüglich der Entstehung und des Krankheitsbildes der Hysterie gelangte? Zwei etwa in den gleichen Zeitraum fallende wissenschaftliche Erfahrungen übten offenbar einen entscheidenden Einfluß 1
Die historische E i n f ü h r u n g in die Anfänge der Psychoanalyse ist bewufit k n a p p gehalten, d a die hier vorgelegte Arbeit ü b e r den psychoanalytischen Sinnbegriff in erster Linie v o n einem systematischen Interesse geleitet ist. Wer sich j e d o c h einen umfassenderen Einblick in den derzeitigen S t a n d der wissenschaftshistorischen Erforschung der Psychoanalyse verschaffen möchte, sei auf F r a n k Sulloways B u c h , „ F R E U D — Biologe der Seele" [1979; 1982], verwiesen. Besonders i m zweiten Kapitel, „Sigmund Freud u n d Josef Breuer: Auf der Suche n a c h einer psychoanalytischen Theorie d e r Hysterie", werden die meiner E i n f ü h r u n g zugrunde liegenden „Selbstdarstellungen" Freuds d u r c h einen Vergleich m i t a n d e r e n Quellen bzw. Forschungsergebnissen seiner Zeitgenossen kritisch h i n t e r f r a g t [vgl. 1979; 1982: 52-114].
2
Sinn, Bedeutung u n d Absicht
auf Freuds Denken aus: Zum einen erhielt er durch seinen Aufenthalt an der Salpetrifere bei Charcot in Paris sowie durch die Lektüre der Schriften Bernheims einen umfassenden Einblick in die Phänomene des Hypnotismus. Daraus waren nach Freud zwei grundlegende Lehren zu ziehen: Erstens fiberzeugte man sich, daß auffällige körperliche Veränderungen doch nur der Erfolg von seelischen Einflüssen waren, die man in diesem Falle selbst in Tätigkeit gerufen hatte; zweitens bekam man besonders aus dem Verhalten der Versuchspersonen nach der Hypnose den deutlichsten Eindruck von der Existenz solcher seelischer Vorgänge, die man nur unbewußte nennen konnte [G.W. 1924, 13: 406-407],
Zum anderen wurde Freud sehr stark von Breuers Ergebnissen bei der Behandlung einer hysterisch erkrankten jungen Frau, Anna O., beeindruckt. Mit Hilfe des hypnotischen Verfahrens konnte Breuer „tiefe Einblicke in die Verursachung und Bedeutung der hysterischen Symptome gewinnen" [G.W. 1925, 14: 44]. Im wachen Zustande wußte das Mädchen so wenig wie andere Kranke zu sagen, wie ihre Symptome entstanden waren, und fand kein Band zwischen ihnen und irgendwelchen Eindrücken ihres Lebens. In der Hypnose entdeckte sie sofort den gesuchten Zusammenhang. Es ergab sich, daß alle ihre Symptome auf eindrucksvolle Erlebnisse während der Pflege des kranken Vaters zurückgingen, also sinnvoll waren, und Resten oder Reminiszenzen dieser affektiven Situationen entsprachen [G.W. 1925, 14: 44-45].
Freud behandelte im Laufe der Zeit dann selbst eine Reihe von Patienten nach der Breuerschen Methode und konnte dessen Ergebnisse fast vollständig bestätigen. Beide Arzte zweifelten kaum noch daran, daß „die Symptome der Hysterie . . . ihre Determinierung von gewissen traumatisch wirksamen Erlebnissen des Kranken herleiten, als deren Erinnerungssymbole sie im psychischen Leben desselben reproduziert werden" [G.W. 1896, 1: 427].2 Allerdings kam es in theoretischen Fragen zu Differenzen zwischen ihnen. Während Breuer hinsichtlich der Frage des psychischen Mechanismus der hysterischen Phänomene an einer physiologischen Theorie festhielt und die seelische Spaltung der Hysterischen auf hypnoide Zustände zurückführte, vermutete Freud eher „ein Kräftespiel, die Wirkung von Absichten und Tendenzen, wie sie im normalen Leben zu beobachten sind" [G-W. 1925, 14: 47; vgl. auch G.W. 1914, 10: 48 und 1896, 1: 429]. Die auf diesen frühen Erfahrungen - Hypnose bzw. Breuers Therapie der Anna O. - basierenden Annahmen hatten Freud dazu geführt, den Anlaß hysterischer Symptome in zurückliegenden Erlebnissen der Patienten zu suchen, hinter ihren sonderbaren Verhaltensweisen Neigungen 2
Diese Auffassung vom Mechanismus der hysterischen S y m p t o m e korrigierte Freud e t w a zehn J a h r e später in seinen „Ansichten ü b e r die Rolle der Sexualität in der Ätiologie der Neurosen" [G.W. 1906, 5: 147-159; siehe besonders S. 153-54].
Historische Einführung
3
und Tendenzen zu vermuten und den Symptomen symbolische Bedeutung beizumessen. Später gab Freud aus mehreren Gründen — es gelang ihm nicht regelmäßig, die Patienten in Hypnose zu versetzen; die therapeutischen Erfolge der auf Hypnose gegründeten Katharsis waren nicht zufriedenstellend - die hypnotische Methode zugunsten der Methode der freien Assoziation auf [vgl. G.W. 1924, 13: 410 und 1925, 14: 51-52], Durch die Verfolgung der freien Assoziation unter Einhaltung der oben gegebenen analytischen Grundregel erhielt man ein reiches Material von Einfällen, welches auf die Spur des vom Kranken Vergessenen führen konnte. Dies Material brachte zwar nicht das Vergessene selbst, aber so deutliche und reichliche Andeutungen desselben, daß der Arzt mit gewissen Ergänzungen und Deutungen das Vergessene daraus erraten (rekonstruieren) konnte. Freie Assoziation und Deutungskunst leisteten also nun das Gleiche wie früher die Versetzung in Hypnose [G.W. 1924, 13: 411]. 3
Während die Erforschung und Behandlung dieser neurotischen Krankheitsfälle durchaus als Teilbereich der Psychiatrie den medizinischen Wissenschaften eingegliedert war - wenn auch mit der methodischen Beschränkung, die Krankheitsursachen und -manifestationen vorwiegend im physiologischen und anatomischen Bereich zu suchen - , scheint die Beschäftigung mit dem Traum als einem Gegenstand der Wissenschaft zumindest in medizinischen Kreisen auf große Skepsis gestoßen zu sein. Freud karikierte diese Haltung in einer seiner einführenden Vorlesungen: Die Beschäftigung mit dem Traum ist aber nicht bloß unpraktisch und überflüssig, sondern direkt schimpflich; sie bringt das Odium der Unwissenschaftlichkeit mit sich, weckt den Verdacht einer persönlichen Hinneigung zum Mystizismus. Daß ein Mediziner sich mit dem Traume abgeben sollte, wo es selbst in der Neuropathologie und Psychiatrie soviel Ernsthafteres gibt: Tumoren bis zu Apfelgröße, die das Organ des Seelenlebens komprimieren, Blutergüsse, chronische Entzündungen, bei denen man die Veränderungen der Gewebsteile unter dem Mikroskop demonstrieren kann! Nein, der Traum ist ein allzu geringfügiges und der Erforschung unwürdiges Objekt [G.W. 1916-17, 11: 80],
Betrachtete man den Traum dennoch als einen Gegenstand wissenschaftlicher Forschung, so wurde er - folgt man Freuds Ausführungen in der „Traumdeutung" - häufig als rein physiologisch verursacht angesehen z.B. von Strümpell und Wundt als Nervenreiztraum - und war damit von vornherein jeder Deutung enthoben. 3
U n t e r der analytischen Grundregel verstand Freud diejenige Regel, die die M e t h o d e der freien Assoziation zur G r u n d l a g e der psychoanalytischen B e h a n d l u n g m a c h t u n d die analytische Situation s t r u k t u r i e r t : „Der Analysierte wird aufgefordert zu sagen, was er denkt u n d empfindet, ohne auszuwählen u n d ohne v o n dem, was i h m einfällt, etwas auszulassen, selbst wenn dessen Mitteilung i h m u n a n g e n e h m scheint, lächerlich, ohne Interesse, nicht zur Sache gehörig" [Laplanche/Pontalis 1967; 1972: 172].
4
Sinn, Bedeutung u n d Absicht
Für das Verhältnis des Trauminhalts zu den Traumreizen . . . findet Strümpell das treffliche Gleichnis . . . , es sei, wie „wenn die zehn Finger eines der Musik ganz unkundigen Menschen über die Tasten des Instrumentes hinlaufen". Der Traum erschiene so nicht als ein seelisches Phänomen, aus psychischen Motiven entsprungen, sondern als der Erfolg eines physiologischen Reizes, der sich in psychischer Symptomatologie äußert, weil der vom Reiz betroffene Apparat keiner anderen Äußerung fähig ist [G.W. 1900, 2-3: 227-228; vgl. auch: 81].
Spätestens seit seiner Anwendung der Methode der freien Assoziation sah Freud auch im Traum mehr als ein bloß unwichtiges und sinnloses Gebilde der menschlichen Psyche. Fortan angewiesen auf die spontanen Einfälle und Assoziationen seiner Patienten, ergab es sich häufig, daß er im Rahmen der analytischen Therapie von ihren Träumen erfuhr. Bei Freud verstärkte sich daher die Vermutung, daß die Träume ebenso wie die neurotischen Symptome in Zusammenhang mit seelischen Prozessen stehen und wie diese einen Sinn4 haben [vgl. dazu: G.W. 1905, 5: 172-73 und 1916-17, 11: 79]. Er behandelte sie wie ein unverständliches bzw. unverstandenes neurotisches Symptom, wie eine Wahn- oder Zwangsidee, und erkor die einzelnen Traumbilder selbst zu Objekten der freien Assoziation. Dabei stieß Freud regelmäßig auf Gedankengebilde, die ihm keineswegs mehr unsinnig oder verworren vorkamen [siehe dazu: G.W. 1914, 10: 57-58 und 1925, 14: 69]. Die Patienten, die ich verpflichtet hatte, mir alle Einfälle und Gedanken mitzuteilen, die sich ihnen zu einem bestimmten Thema aufdrängten, erzählten mir ihre Träume und lehrten mich so, daß ein Traum in die psychische Verkettung eingeschoben sein kann, die von einer pathologischen Idee her nach rückwärts in der Erinnerung zu verfolgen ist. Es lag nun nahe, den Traum selbst wie ein Symptom zu behandeln und die für letztere ausgearbeitete Methode der Deutung auf ihn anzuwenden [G.W. 1900, 2-3: 105].
Eine weitere, am normalen Menschen beobachtbare Gruppe von Phänomenen, die Freud nach psychoanalytischer Methode analysieren und erklären konnte, sind die sogenannten Fehlleistungen. Von der Wissenschaft weitgehend unbeachtet wurden sie als Zerstreutheiten aufgefaßt und ihr Entstehen aus Ermüdungserscheinungen, Ablenkungen der Aufmerksamkeit oder den Nebenwirkungen gewisser leichter Krankheitszustände abgeleitet [vgl. dazu: G.W. 1916-17, 11: 21]. Nach Freuds Ansicht konnte eine analytische Untersuchung der Fehlleistungen jedoch zeigen, daß die bisher berücksichtigten Faktoren das Vorkommen von Fehlleistungen zwar * Die FVage n a c h der Bedeutung des von Freud verwendeten Sinnbegriifes, die sich hier bereits z u m ersten Mal stellt, wird die folgende systematische E i n f ü h r u n g beherrschen lind sei bis dahin zurückgestellt.
Systematische Einführung
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begünstigten, für ihr Zustandekommen aber nicht notwendig seien. Vielmehr erwiesen sich auch die Fehlleistungen - wie bereits die neurotischen Symptome und Träume - als „vollgültige psychische Phänomene". Nach Freud haben sie „jedesmal Sinn und Tendenz; sie dienen bestimmten Absichten, die sich infolge der jeweiligen psychischen Situation nicht anders zum Ausdruck bringen können" [G.W. 1913, 8: 392],
1.2
Systematische
Einführung
Nach den kurzen historischen Betrachtungen sind die Voraussetzungen geschaffen, nunmehr mit einer systematischen Erörterung des psychoanalytischen Sinnbegriffes zu beginnen. In Freuds Werk finden wir wiederholt einander ähnelnde quasi-definitorische Bestimmungen des Sinnbegriffes. Daß eine Verhaltensweise oder ein anderes Phänomen sinnvoll sei bzw. einen Sinn habe, bedeutet dort nach Freud, daß das entsprechende Vorkommnis in einer Reihe psychischer Zusammenhänge stehe, Bedeutung sowie Absicht und Tendenz habe [siehe dazu z. B.: G.W. 1913, 8: 391, 392 und 395 sowie 1916-17, 11: 29, 33 und 55]. Nun f ü h r t diese Aufzählung aber keineswegs zu einem einheitlichen Begriff, d a die drei „Bestandteile" der Explikation verschiedene theoretische Stufen der Psychoanalyse in hierarchisch geordneter Weise repräsentieren (Stellung in einer psychischen Reihe - Bedeutung - Absicht und Tendenz) und ihr Nachweis auf je unterschiedlichen Beobachtungen und Einsichten beruht. Neben einer vollständigen Verwendung des Sinnbegriffes als eines alle Bestandteile zugleich umfassenden Ausdruckes gebraucht Freud den Terminus „sinnvoll" auch dann, wenn nur einer der drei Sinnaspekte erfüllt ist. Allerdings schließen die hierarchisch höherstehenden Bestandteile die niederen jeweils mit ein („Bedeutung" also z. B. das „Stehen in einer psychischen Reihe"). 6 1.2.1
Zur „psychischen Reihe"
Die einfachste und zugleich grundlegende Verwendungsweise des Sinnbegriffes basiert auf dem in der Hypnose entdeckten Zusammenhang der 5
Z u einer a n d e r e n als d e r h i e r e n t w i c k e l t e n A n a l y s e des p s y c h o a n a l y t i s c h e n S i n n b e griffes g e l a n g t R o b e r t S h o p e i n seiner 1973 v e r ö f f e n t l i c h t e n A r b e i t ü b e r „FVeud's C o n c e p t s of M e a n i n g " . D a S h o p e s A u f s a t z n a c h m e i n e m W i s s e n d i e einzige u m f a s sende, v o n e i n e m p h i l o s o p h i s c h e n I n t e r e s s e g e l e i t e t e U n t e r s u c h u n g z u F r e u d s S i n n begriff b i e t e t , h a l t e i c h es f ü r a n g e m e s s e n , d i e s e n i m A n s c h l u ß a n die s y s t e m a t i s c h e Einführung i n einem längeren Exkurs vorzustellen u n d zu diskutieren.
6
Sinn, Bedeutung und Absicht
neurotischen Symptome mit früheren traumatischen Erlebnissen. So heißt es in der bereits oben zitierten Erinnerung an Breuers berühmten Fall: Im wachen Zustande wußte das Mädchen so wenig wie andere Kranke zu sagen, wie ihre Symptome entstanden waren, und fand kein Band zwischen ihnen und irgendwelchen Eindrücken ihres Lebens. In der Hypnose entdeckte sie sofort den gesuchten Zusammenhang. Es ergab sich, daß alle ihre Symptome auf eindrucksvolle Erlebnisse während der Pflege des kranken Vaters zurückgingen, also sinnvoll waren, und Resten oder Reminiszenzen dieser affektiven Situationen entsprachen [G.W. 1925, 14: 44-45]. Und an einer anderen Stelle, in „Kurzer Abriß der Psychoanalyse", schreibt Freud: Breuer konnte nun nachweisen, daß alle ihre Symptome sich auf diese Krankenpflege bezogen und durch sie ihre Aufklärung fanden. Es war also zum erstenmal ein Fall der rätselhaften Neurose restlos durchschaut worden, und alle Krankheitserscheinungen hatten sich als sinnvoll herausgestellt [G.W. 1924, 13: 408], Was bedeutet aber in den beiden Textauszügen die Aussage, die neurotischen S y m p t o m e seien sinnvoll, wie ist das „ a l s o " im ersten Zitat zu verstehen? Freud scheint in beiden Fällen eine nicht ausgesprochene Minimalbedingung erfüllt zu sehen: die neurotischen S y m p t o m e werden in einen ursächlichen Zusammenhang, in eine psychische Reihe mit eindrucksvollen früheren Erlebnissen, also psychischen Zuständen und Vorgängen gebracht und damit grundsätzlich von solchen Prozessen unterschieden, die als rein somatisch verursacht gelten dürfen. Während es z. B . völlig unsinnig wäre, von einem Schienbeinbruch oder einer Virusinfektion zu sagen, sie seien sinnvolle Phänomene - vorausgesetzt wir können in beiden Fällen psychosomatische Faktoren ausschließen —, so bedeutet nach der oben angegebenen Minimalbedingung eine Aussage der Form „ d a s neurotische S y m p t o m a: ist sinnvoll" etwa soviel wie „x ist psychisch verursacht" oder in Freuds Worten: „x steht in einer Reihe psychischer Zusammenhänge". Eine solche Beziehung können wir in formalisierter Schreibweise definieren als eine zweistellige Relation Rk(x, y)6 zwischen einem S y m p t o m bzw. Verhalten χ und seinem Anlaß y, der seinerseits ein psychischer Zustand oder Prozeß ist. K a n n zu einem Verhalten oder S y m p t o m ein psychischer Anlaß gefunden werden, so daß eine Relation Rk{x,y) besteht, so heißt das Verhalten bzw. S y m p t o m χ sinnvoll. Als Bestätigung für das Bestehen einer solchen Kausalrelation zwischen neurotischem Phänomen und psychischem Anlaß diente Freud zu Beginn seiner Forschungen das Befragen der Kranken unter Hypnose; die Erinnerung an das wirksame psychische T r a u m a war j a „ i m normalen Gedächt6
nRk( x ty)" steht abkürzend für „zwischen χ und y bestellt eine Kauseirelation".
Systematische Einführung
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nisse des Kranken" nicht zu finden [G.W. 1893, 1: 91]. Zwei kurze Fallbeschreibungen aus dieser frühen Phase der Psychoanalyse können geradezu als typische Beispiele gelten: Ein kleines Mädchen leidet seit Jahren an Anfällen von allgemeinen K r ä m p fen, die man für epileptische halten könnte und auch gehalten hat. Sie wird zum Zwecke der Differential diagnose hypnotisiert und verfällt sofort in ihren Anfall. Befragt: Was siehst du denn jetzt? antwortet sie aber: Der Hund, der Hund kommt, und wirklich ergibt sich, daß der erste Anfall dieser Art nach einer Verfolgung durch einen wilden Hund aufgetreten war. Der Erfolg der Therapie vervollständigt dann die diagnostische Entscheidung [G.W. 1893, 1: 93-94]. Ein Angestellter, der infolge einer Mißhandlung von Seiten seines Chefs hysterisch geworden ist, leidet an Anfällen, in denen er zusammenstürzt, tobt und wütet, ohne ein Wort zu sprechen oder eine Halluzination zu verraten. Der Anfall läßt sich in der Hypnose provozieren und der Kranke gibt nun an, daß er die Szene wieder durchlebt, wie der Herr ihn auf der Straße beschimpft und mit einem Stocke schlägt. Wenige Tage später kommt er mit der Klage wieder, er habe denselben Anfall von neuem gehabt, und diesmal ergibt sich in der Hypnose, daß er die Szene durchlebt hat, an die sich eigentlich der Ausbruch der Krankheit knüpfte; die Szene im Gerichtssaale, als es ihm nicht gelang, Satisfaktion für die Mißhandlung zu erreichen usw [G.W. 1893, 1: 94], Im ersten Fall gilt demnach: Rk(allgemeine Krämpfe, Erlebnis der Verfolgung durch den Hund) und im zweiten Fall: Rk (Anfall, Mißhandlung) und iüjfe(Anfall, Niederlage vor Gericht); der Anfall des Angestellten ist demnach auf zweifache Weise determiniert. Daß die oben gegebene Definition des Begriffes „sinnvoll" Freud bereits zur Abgrenzung der Psychoanalyse von Wissenschaften ausreicht, die nicht psychologisch orientiert sind, zeigt das folgende, aus den „Vorlesungen" entnommene Zitat: Es wird bald darauf ankommen, ob die einzelne seelische Äußerung direkt aus körperlichen, organischen, materiellen Einwirkungen hervorgegangen ist, in welchem Falle ihre Untersuchung nicht der Psychologie zufällt, oder ob sie sich zunächst aus anderen seelischen Vorgängen ableitet, hinter denen d a n n irgendwo die Reihe der organischen Einwirkungen anfängt. Den letzteren Sachverhalt haben wir im Auge, wenn wir eine Erscheinung als einen seelischen Vorgang bezeichnen, und darum ist es zweckmäßiger, unsere Aussage in die Form zu kleiden: die Erscheinung sei sinnreich, habe einen Sinn [G.W. 1916-17, 11: 55]. Im weiteren Verlauf der Erörterung des Sinnbegriffes werde ich auf diese erste und minimale Bestimmung nicht näher eingehen. Daß ein P h ä n o m e n χ in einer psychischen Reihe steht, führt lediglich zu Aussagen der Form „x hat Sinn" bzw. „x ist sinnvoll" und erlaubt keine weitere B e s t i m m u n g
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Sinn, Bedeutung u n d Absicht
dieses Sinnes. Mein Interesse gilt aber vor allem dem durch psychoanalytische Deutung erfaßbaren Sinn eines Verhaltens, d. h. seiner Bedeutung und Absicht, und somit Aussagen der Form „der Sinn von χ ist .. , " . 7 1.2.2
„Sinn" als „Bedeutung"
Durch die Technik der Befragung der Kranken unter Hypnose sowie durch die Methode der freien Assoziation gelang es Freud häufig, die zunächst unverständlichen neurotischen Symptome auf frühere traumartische Erlebnisse zurückzuführen. Aber außer der damit etablierten Kausalrelation Rk(x,y) zwischen Symptom und psychischem Anlaß entdeckte Freud eine weitere Beziehung: Bereits in der „Vorläufigen Mitteilung" vertritt er nämlich die Ansicht, daß „die motorischen Phänomene der hysterischen Anfalle . . . zum Teil als direkte Ausdrucksbewegungen dieser Erinnerungen" deutbar sind [G.W. 1893, 1: 95]. In späteren Schriften charakterisiert er hysterische Symptome und Anfälle als „in Bilder verwandelte Gedanken" [G.W. 1900, 2-3: 549], als „mimische Darstellungen von erlebten und gedichteten Szenen . . . , welche die Phantasie der Kranken beschäftigen, ohne ihnen bewußt zu werden" [G.W. 1913, 8: 399]; auch nennt er sie „ins Motorische übersetzte, auf die Motilität projizierte, pantomimisch dargestellte Phantasien" [G.W. 1909, 7: 235]. Aus dieser Ausdrucksweise Freuds können wir schließen, daß für ihn zwischen einem (neurotischen) Phänomen und den dahinterliegenden psychischen Zuständen und Vorgängen außer einer Kausalrelation Rk(x, y) zumindest teilweise auch eine Darstellungs- oder Bedeutungsrelation Rd(x, y)s besteht, wobei es die Aufgabe der Psychoanalyse ist, den 7
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In geradezu umgekehrter Akzentuierung b e t o n t Heinz H e r t m a n n i n seiner 1927 erstmals erschienenen Arbeit ü b e r „Verstehen u n d E r k l ä r e n " allein den kausalen Aspekt des psychoanalytischen Sinnbegriffes, während er den Darstellungscharakter der manifesten P h ä n o m e n e als weniger wesentlich ansieht: „Von F r e u d wird nämlich zwischen sinnvoll u n d kausal determiniert nicht immer scharf unterschieden; dies erklärt sich so, daß jene psychischen Determinanten, welche F r e u d bei seiner Analyse der Fehlleistungen, des Traumes, der Neurosen immer wieder begegnet waren, sich e b e n a u c h als sinnvoll herausgestellt h a t t e n . . . . A b e r die D e u t u n g des Symptoms ist doch f ü r F r e u d immer die Einordnung in den kausalen seelischen Z u s a m m e n h a n g . . . . W e n n ein S y m p t o m als — in der Nomenklatur Freuds — sinnvoll erkannt ist, so b e d e u t e t das also nichts anderes als die Möglichkeit, ihm einen P l a t z i m (kausalen) seelischen Z u s a m m e n h a n g anzuweisen" [1927; 1972: 382-83]. Diese sehr einseitige I n t e r p r e t a t i o n des Freudschen Sinnbegriffes erhält auch d a n n keine größere Plausibilität, wenn m a n berücksichtigt, daß H a r t m a n n hauptsächlich a n einer Abgrenzung der Psychoanalyse v o n der Verstehenden Psychologie gelegen war u n d wohl schon deshalb die Relevanz solcher „ Verstehensbegriffe" wie „ B e d e u t u n g " , „Sinn" u n d „Absicht" f ü r die Psychoanalyse als möglichst niedrig veranschlagen wollte. „Rd(x, y)" s t e h t f ü r „x steht in einer Darstellungs- bzw. Bedeutungsrelation z u y".
S y s t e m a t i s c h e Einführung
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Sinn, und das heißt hier: die Bedeutung des Phänomens, zu ermitteln. Die grundsätzliche Bedeutung der von Freud behaupteten Darstellungsrelation für die Psychoanalyse tritt angesichts ihres Postulates auch für andere psychische Phänomene offen zutage. Beispielsweise erscheinen Traumgedanken und der „in einer Bilderschrift gegebene Trauminhalt" nach Freud wie zwei Darstellungen desselben Inhaltes in zwei verschiedenen Sprachen [vgl. dazu: G.W. 1900, 2-3: 283-84], Wählt man nämlich die einzelnen Traumbilder selbst zum Objekt der freien Assoziation, so gewinnt man Freud zufolge Kenntnis von einem „Gedankengebilde, das nicht mehr absurd oder verworren genannt werden kann" [G.W. 1925, 14: 69]; der manifeste Traum erweise sich dabei nur als eine „entstellte" Ubersetzung der latenten Traumgedanken, die den eigentlichen Sinn des Traumes enthielten [vgl. auch: G.W. 1916-17, 11: 236].9 Vergleichbare Charakterisierungen finden wir auch für Zwangshandlungen. Sie sind für Freud in all ihren Einzelheiten sinnvoll, da sie affektbesetzte Gedanken zum Ausdruck brächten - entweder in direkter oder in symbolischer Darstellung [vgl. G.W. 1907, 7: 132]. Diese Darstellungen seien jedoch deutungsbedürftig; erst durch eine angemessene Übersetzung in unsere natürliche Sprache würden sie verständlich, in Freuds Augen gax „selbstverständlich" [vgl. G.W. 1909, 7: 409]. In gleicher Weise werden von Freud Fehlleistungen als „Äußerungen von Inhalt und Bedeutung" aufgefaßt [G.W. 1916-17, 11: 28], die sinnvoll und deutbar sind und Aufschluß über zurückgehaltene oder verdrängte Regungen und Intentionen geben [vgl. G.W. 1925, 14: 72-73]. Auch die scheinbar intentionslos ausgeführten „Zufallshandlungen" rechnet Freud dieser Gruppe bedeutungsvoller „Äußerungen" zu. In sämtlichen der hier erwähnten Fälle gelten die seelischen Erscheinungen nicht bloß als sinnvolle Phänomene, sofern sie sich kausal auf psychische Anlässe zurückführen lassen, sondern sie haben Bedeutung, sofern sie - mimische, pantomimische, imaginierte, etc. - Darstellungen eines Erlebnisses, eines Gedankens oder einer ganzen Vorstellungsgruppe sind. 1.2.3
„Sinn" als „Absicht"
Bisher habe ich zwei Verwendungsweisen des Sinnbegriffes rekonstruiert und erläutert. Neben der Minimalbedingung, menschliches Verhalten bereits dann sinnvoll zu nennen, wenn es in psychische Zusammenhänge eingereiht bzw. auf psychische Anlässe zurückgeführt werden kann, explizierte ich die weiterreichende Bedeutung des Sinnbegriffes, die darauf 9
Eine genauere B e s t i m m u n g der Begriffe „Traumgedanke" u n d „Trauminhalt" erfolgt weiter unten; vgl. d a z u S. 1 7 f . u n d 31-34.
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Sinn, Bedeutung u n d Absicht
beruht, daß viele der zunächst unverständlichen Erscheinungen als mimische oder bildhafte Daxstellungen psychischer Inhalte aufgefaßt werden können. Als Sinn, d.h. in diesem Falle: als Bedeutung des Verhaltens, hat der mimisch zur Darstellung gebrachte Gedanken- oder Erlebniskomplex zu gelten. Der Sinn eines Phänomens wird somit aufgefaßt als die Bedeutung eines Zeichens.10 Trotz erster Annäherungen an ein Verständnis der von Freud untersuchten Phänomene bleiben bei den bisher angestellten Betrachtungen eine Reihe von Fragen unbeantwortet. Erscheinen beispielsweise eine Fehlleistung, ein hysterischer Anfall oder eine Zwangshandlung weniger absurd und unsinnig, wenn wir erfahren haben, daß sie auf psychische Anlässe zurückgehen oder gewisse Phantasien bzw. Gedanken zum Ausdruck bringen? Das Verhalten selbst scheint doch als solches durch diese Aufklärungen nicht besser gerechtfertigt zu sein, zumal auf den ersten Blick eine ganze Reihe anderer Möglichkeiten zur Verfügung gestanden haben dürfte, Phantasien und Vorstellungen Ausdruck zu verleihen. Es scheint somit, als habe Freud mit dem Auffinden der auf diese Weise zur Darstellung gebrachten psychischen Inhalte zwar gewisse notwendige Bedingungen gefunden, ohne die es wohl nicht zu den jeweils auffälligen Verhaltensweisen gekommen wäre - weshalb die Gedanken jedoch gerade auf eine solch sonderbare Weise zum Ausdruck kommen sollten, d. h. die letztendlich hinreichenden Bedingungen, bleiben bis dahin nach wie vor ungeklärt. Interessanterweise sind es gerade diese Fragen, an denen sich Freuds theoretische Annahmen von denen Breuers zu unterscheiden beginnen. Während Breuer an physiologischen Erklärungen festhielt, hysterische Anfälle auf sogenannte hypnoide Zustände zurückführte und damit auf die weitere Angabe von Gründen für diese Verhaltensweisen verzichtete, vertrat Freud die Hypothese, daß auch diese Erscheinungen das Ergebnis eines Kräftespiels von Tendenzen und Absichten seien, bei deren Kenntnis wir entdecken würden, daß selbst hysterische Anfälle und Zwangshandlungen unter die sinnvollen Verhaltensweisen einzuordnen sind, und das heißt hier: daß sie auf ein Ziel bzw. einen Zweck bezogen sind [vgl. dazu: G.W. 1914, 10: 48 und 1925, 14: 47-48],11 Aufgabe der Analyse ist es 10
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Die hier gegebene Charakterisierung ist als eine blofi vorläufige aufzufassen. Wie die v o n FYeud b e h a u p t e t e Bedeutungsrelation exakt zu verstehen ist, das ist T h e m a der nachfolgenden Kapitel. - Zunächst sei j e d o c h der zweite wesentliche Aspekt des Sinnbegriffes,· nämlich „Sinn" als „Absicht" bzw. „Tendenz" ebenfalls in Umrissen skizziert. „Uberall" b e g a n n FYeud damals Ziele u n d Zwecke zu vermuten: „Wenn eines der Mitglieder meiner Familie sich beklagt, jetzt h a b e es sich auf die Zunge gebissen, die Pinger gequetscht usw., so erfolgt a n s t a t t der erhofften Teilnahme von meiner Seite die Frage: Wozu hast du das getan?" [G.W. 1901, 4: 199].
Systematische Einführung
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danach nicht nur, die dargestellten Phantasien, Erlebnisse und Gedanken zu rekonstruieren, sondern auch die Motive und Absichten bewußt zu machen, die zu den jeweiligen Verhaltensweisen geführt haben. In seinen Vorlesungsbemerkungen zu einem Fall von Zwangsneurose verleiht Freud diesem Programm besonders deutlichen Ausdruck: 12 Der Beweis, daß die Zwangshandlung sinnreich ist, wäre bereits erbracht; sie scheint eine Darstellung, Wiederholung jener bedeutungsvollen Szene zu sein. 13 Aber wir sind nicht genötigt, bei diesem Schein Halt zu machen; wenn wir die Beziehung zwischen den beiden eingehender untersuchen, werden wir wahrscheinlich Aufschluß über etwas Weitergehendes, über die Absicht der Zwangshandlung erhalten [G.W. 1916-17, 11: 270],
Freud hat an anderer Stelle als den Sinn eines Symptoms zweierlei zusammengefaßt, „sein Woher und sein Wohin oder Wozu, das heißt, die Eindrücke und Erlebnisse von denen es ausgeht, und die Absichten, denen es dient" [G.W. 1916-17, 11: 294]. Damit etabliert sich neben den bereits erörterten Bedeutungen des Sinnbegriffes eine dritte, nämlich „Sinn" als „Absicht" und „Tendenz" eines Verhaltens. An zwei Bemerkungen Freuds zur Hysterie und Zwangsneurose zeigt sich, wie durch die intentionale oder zumindest teleologische Einstellung, also die Annahme unbewußter, aber wirksamer Motive und Absichten und deren (Re-)Konstruktion in der Analyse, Einsicht in diese bisher unverständlichen und absurd erscheinenden Vorgänge gewonnen werden kann. Die Reaktion der Hysterischen ist eine nur scheinbar übertriebene; sie muß uns so erscheinen, weil wir nur einen kleinen Teil der Motive kennen, aus denen sie erfolgt. In Wirklichkeit ist diese Reaktion proportional dem erregenden Reiz, also normal und psychologisch verständlich. Wir sehen dies sofort ein, wenn die Analyse zu den manifesten, dem Kranken bewußten Motiven jene anderen Motive hinzugefügt hat, die gewirkt haben, ohne daß der Kranke um sie wußte . . . [G.W. 1896, 1: 454]. 12
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Die Bemerkungen Freuds beziehen sich auf schwere Zwangserscheinungen einer etwa 30jährigen Dame, die mehrmals a m T a g aus ihrem Zimmer in ein anderes nebenan lief, sich dort an eine bestimmte Stelle bei dem in der Mitte stehenden Tisch hinstellte, ihrem Stubenmädchen schellte, ihr einen gleichgültigen Auftrag gab, u m danach selbst wieder in das andere Zimmer zurückzulaufen [vgl. G.W. 1916-17, 11: 268-69]. Als jene „bedeutungsvolle Szene" hatte sich die folgende Begebenheit herausgestellt: „Sie [die Patientin] hatte vor mehr als zehn Jahren einen weitaus älteren Mann geheiratet, der sich in der Hochzeitsnacht impotent erwies. Er war ungezählte Male in dieser Nacht aus seinem Zimmer in ihres gelaufen, u m den Versuch zu wiederholen, aber jedesmal erfolglos. A m Morgen sagte er ärgerlich: D a muß m a n sich j a vor dem Stubenmädchen schämen, wenn sie das Bett macht, ergriff eine Flasche roter Tinte, die zufällig im Zimmer war, und goS ihren Inhalt aufs Bettuch, aber nicht gerade auf eine Stelle, die ein Anrecht auf einen solchen Fleck gehabt h ä t t e " [G.W. 1916-17, 11: 269).
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Sinn, Bedeutung und Absicht
Es gehört zu den Bedingungen des Krankseins, daß die dem. Zwange folgende Person ihn ausübe, ohne seine Bedeutung - wenigstens seine Hauptbedeutung - zu kennen. Erst durch die Bemühung der psychoanalytischen Therapie wird ihr der Sinn der Zwangshandlung und damit die zu ihr treibenden Motive bewußtgemacht [G.W. 1907, 7: 134-35]. A u s beiden Beispielen geht hervor, daß Freud der Ansicht ist, das merkwürdige Verhalten neurotischer Patienten könne durch eine Berücksichtigung bzw. Aufklärung ihrer nicht bewußten Motive, Absichten und Interessen unserem Verständnis nähergebracht, wenn nicht gar plausibel gemacht werden. 1 4 In zahlreichen Passagen finden wir in Freuds Schriften die - ich möchte sagen: genial unscharfe - Formulierung, das Verhalten der Personen diene ihren Absichten. 1 5 Eine Reihe von Autoren wurde durch diese Ausdrucksweise verleitet zu behaupten, Freud fasse Fehlleistungen, Träume und neurotische Anfälle als intentionale Handlungen auf. 1 6 Eine Untersuchung, die zeigt, wie das Verhältnis zwischen den (re-)konstruierten Tendenzen, Motiven und Absichten einerseits und dem manifesten Verhalten andererseits aber tatsächlich zu charakterisieren ist, steht noch a u s . 1 7 Dennoch können wir bereits hier den zuvor eingeführten Kausal- bzw. Bedeutungsrelationen eine dritte an die Seite stellen: „Rm(x, y)" heiße die Bezeichnung für die motivationale Relation, die Freud zwischen einem manifesten Verhalten χ und den durch das analytische Verfahren gewonnenen Absichten und Tendenzen y behauptet, und mit den Worten, das Verheilten χ diene den Absichten y, umschreibt. 1 8 14
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Dafi aber selbst nach einer lückenlos erscheinenden Rekonstruktion noch nicht alle wesentlichen Determinanten eines Verhaltens erfaßt zu sein brauchen, zeigen nach Freud die zahlreichen durch Anwendung der psychoanalytischen Methode auffindbaren Uberdeterminierungen menschlichen Verhaltens [vgl. besonders: G.W. 1900, 2-3: 289, 312-314, 528]. Siehe dazu z . B . : G.W. 1916-17, 11: 33 und 294. Eine präzise und zufriedenstellende Interpretation liegt zu dieser ausgesprochen problematischen Ausdrucksweise Freuds bislang noch nicht vor. Auch Shope (vgl. den folgenden Exkurs) läßt offen, was mit der Formulierung dient einer Absicht" tatsächlich gemeint ist: „What remains to be clarified is Freud's exact thought when speaking . . . of desires or purposes served by x" [1983: 206], Dieser Ansicht war u . a . F. Α. Siegler, der in seinem Aufsatz „Unconscious Intentions" [1967: 251-67] die Auffassimg vertrat, Freud habe Fehlleistungen als intentionale Handlungen aufgefaßt. Shope trat in „Freud on Conscious and Unconscious Intentions" [1970: 149-59] dieser überspitzten Interpretation mit guten Gründen entgegen. Sie kann auch im Rahmen dieser Arbeit, die in ausführlicher Weise den zweiten Aspekt des psychoanalytischen Sinnbegriffes — „Sinn" als „Bedeutung" — thematisiert, nicht geleistet werden. Angesichts der noch nicht geklärten Redeweise von dient einer Absicht" wird die vielleicht näher liegende Bezeichnung „intentionale Relation" bewußt vermieden.
Exkurs: Shope ü b e r „Freud'a Concepts of Meaning"
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Exkurs: Robert Shope über „Freud's Concepts of Meaning" Robert Shope unterscheidet in seinem 1973 veröffentlichten Aufsatz, „Freud's Concepts of Meaning", vier Definitionen des Begriffes „Sinn", die sich nach seiner Meinung aus Freuds Schriften extrahieren lassen. In einer späteren Arbeit mit dem Titel „The significance of Freud for modern philosophy of mind" faßt er seine damals gewonnenen Ergebnisse prägnant - und wie folgt - zusammen: There I extracted from Freud's works four main characterizations of what it is for y to be the meaning of χ (where χ is a conscious or manifest state): (i) χ occurs at least partly because y is not fully conscious or manifest (i.e. χ is a substitute for y); (ii) y is the combination of the intention(s) or purpose(s) which χ serves and x's place in some sequence of mental states; (iii) the same as (ii) and it is true that χ is significant (i.e., its occurence and nature is intelligible relative to certain theories or types of explanations); (iv) y is the (set of) motive(s) for χ (in the sense of exciting, instigating causes of x). The referents of „y" will be the same in till these characterizations, given the same value for χ [1983: 205-206].
Betrachten wir die vier Definitionen im einzelnen und im Vergleich zu der von uns vorgeschlagenen Analyse des psychoanalytischen Sinnbegriffes. Zu (i): Die These, y sei dann als der Sinn eines bewußten oder manifesten Zustandes χ aufzufassen, wenn der Zustand χ ein Ersatz für y ist („meaningi"), wird von Shope hauptsächlich mit Freuds Darstellung der Laienmeinung in der „Traumdeutung" begründet. Freud schreibt dort: Von einer dunkeln Ahnung geleitet, scheint sie [die Laienmeinung] doch anzunehmen, der Traum habe einen Sinn, wiewohl einen verborgenen, er sei zum Ersätze eines anderen Denkvorganges bestimmt und es handle sich nur darum, diesen Ersatz in richtiger Weise aufzudecken, um zur verborgenen Bedeutung des Traumes zu gelangen [G.W. 1900, 2-3: 100],
Shope zitiert Freuds Schilderung der Volksmeinung über den Traum im Rahmen einer längeren Passage aus dem zweiten Kapitel der „Traumdeutung", an die er eine Reihe von Fragen anschließt: „If we are to clarify this passage, a number of topics must be considered: the respect in which the dream is a substitute; the locus of validity; the fact that the dream is designed to be a substitute . . . " [1973: 277]. Shope fahrt fort: „In the passage quoted above, Freud tells us that the hidden meaning of a dream is the process of thought for which the dream is a substitute." Aus prinzipiellen Gründen halte ich es für sehr problematisch, wenn man sich zur Klärung der Begrifflichkeit eines Autors gerade auf solche Textstellen bezieht, in denen dieser die Ansichten eines anderen referiert.
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Sinn, B e d e u t u n g u n d Absicht
So ist auch bei Freuds Darstellung der „Laienmeinung" nicht eindeutig zu entscheiden, ob er selbst geneigt ist, den Begriff „Sinn" durch den des „Ersatzes" bzw. den der „Ersatzbildung" zu explizieren. Nach Laplanche und Pontalis ist der psychoanalytische Begriff „Ersatzbildung" in zweifacher Hinsicht zu lesen: ökonomisch gesehen bringt das Symptom oder eine äquivalente Bildung (eine Fehlleistung, ein Witz oder ein Traum) eine Ersatzbefriedigung für den unbewußten Wunsch mit sich; symbolisch gesehen „wird der unbewußte Inhalt nach bestimmten assoziativen Reihen durch einen anderen ersetzt" [1972: 146]. Es ist diese zweite, die symbolische Bedeutung, die für unsere Diskussion des Sinnbegriffes von Interesse ist: Tatsächlich zeigt die Psychoanalyse, daß assoziative Verknüpfungen zwischen dem Symptom und dem, weis es ersetzt, bestehen: Ersatz erhält hier also die Bedeutung von symbolischem Ersatz, einem Produkt von Verschiebung und Verdichtung, die das Symptom in seiner Besonderheit bestimmen [1972: 14647]·
Soweit der Akzent auf der symbolischen Bedeutung des Begriffes Ersatz liegt, verwendet Freud diesen Ausdruck lediglich zu einer nuancenreicheren Darstellung des gleichen Sachverhaltes, den er an anderem Ort „entstellte Ubersetzung", „Übertragung der Traumgedanken in eine andere Ausdrucksweise" oder auch „ins Motorische übersetzte Phantasien" nennt [vgl. dazu: G.W. 1900, 2-3: 283; 1909, 7: 235 und 1925, 14: 69]. 19 Zu (ii) und (iii): Zur Definition von „meaning2" und „meanings" stützt sich Shope auf zwei Textpassagen der „Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse", die in der Tat einschlägig sind. Es heißt dort: Einigen wir uns noch einmal darüber, was wir unter dem Sinn eines psychischen Vorganges verstehen wollen. Nichts anderes als die Absicht, der er dient, und seine Stellung in einer psychischen Reihe. Für die meisten unserer Untersuchungen können wir Sinn auch durch Absicht, Tendenz ersetzen [G.W. 1916-17, 11: 33]. Unter Sinn verstehen wir Bedeutung, Absicht, Tendenz und Stellung in einer Reihe psychischer Zusammenhänge [G.W. 1916-17, 11: 55],
Zweierlei ist anzumerken. Erstens ist mir unverständlich, weshalb sich Shope nicht entschließen kann, die beiden Formulierungen als einander äquivalente Explikationen des Sinnbegriffes aufzufassen; vor allem, weil er selbst - nur allzu berechtigte - Zweifel ein seiner Einteilung äußert: 18
Formulierungen dieser Art werde ich in der folgenden Untersuchung ü b e r den Bedeutungsaspekt des psychoanalytischen Sinnbegriffes ausführlich thematisieren u n d h a l t e es aus diesem Grunde nicht f ü r erforderlich, den Begriff „ E r s a t z " - wie z . B . Shope - gesondert u n d als eigenständigen Aspekt des Sinnbegriffes zu diskutieren. Speziell z u m Begriff der „Ersatzbildung" vgl. m a n Abschnitt 4.2, „Das P a r a d i g m a der Ersetzung gestörter Sprachleistungen".
Exkurs: Shop« über „FYeud's Concepts of Meaning"
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Freud may simply be repeating the definition of meaning2 mentioned earlier. Thus, it is with some diffidence t h a t I label this meaning3, which is simply meaning2 plus the idea of the significance of the mental phenomenon [1973: 282],
Zwei weitere Pcissagen aus den „Vorlesungen" lassen nämlich keinen anderen Schluß zu, als daß Freud jeweils dieselbe aufzählende Bestimmung vor-Augen hatte, auch wenn er nicht in jedem Fall alle Begriffe explizit nannte. So fehlen z. B. in den folgenden Zitaten die Begriffe „Tendenz" und „Stellung in einer psychischen Reihe". Was heißt das, es hat einen Sinn? Nun, es will sagen, daß der Effekt des Versprechens vielleicht ein Recht darauf hat, selbst als ein vollgültiger psychischer Akt, der auch sein eigenes Ziel verfolgt, als eine Äußerung von Inhalt und Bedeutung aufgefaßt zu werden [G.W. 1916-17, 11: 28]. Wir können dann alle physiologischen oder psycho-physiologischen Momente bei Seite lassen und dürfen uns rein psychologischen Untersuchungen über den Sinn, d.i. die Bedeutung, die Absicht der Fehlleistung hingeben [G.W. 1916-17, 11: 29].
Wer allein aufgrund der wahrscheinlich eher stilistisch bedingten Differenzen in Freuds Formulierungen meint, sie enthielten voneinander zu unterscheidende Definitionen, treibt die sprachanalytische Methode auf die Spitze und verliert zugleich die wirklich relevanten (und inhaltlich zu trennenden) Aspekte des psychoanalytischen Sinnbegriffes - nämlich Bedeutung und Absicht - aus den Augen. Zweitens, die von Shope zu seiner Definition von „meanings" gegebene Interpretation des Bedeutungsbegriffes stimmt in keiner Hinsicht mit der von Freud intendierten Verwendungsweise dieses Begriffes überein. Nach Shope ist der Satz „das manifeste Phänomen χ hat Bedeutung" gleichbedeutend dem Satze „das Vorkommen bzw. die Eigenschaften von χ sind verständlich relativ zu gewissen Theorien oder Erklärungstypen" [vgl. 1983: 205], und zwar in dem Sinne, in dem ein gewisses organisches Symptom in Hinblick auf die Diagnose einer Krankheit Sinn bzw. Bedeutung (für den therapierenden Arzt) haben mag: Suppose that a phenomenon is intelligible in relation to a given theory or type of explanation, insofar as it has a certain place in relation to the rest of the subject matter of that theory or explanatory context. It is then common in ordinary speech to use the term meaning to label the significance o f t h a t item, and to speak of it as meaningful or making sense. In this manner, a doctor might speak of the significance or meaning of a certain organic symptom in diagnosing an organic disease . . . Freud sometimes seems to have included the intelligibility of a mental phenomenon as part of what he wished to convey by speaking of the meaning or sense o f t h a t mental phenomenon [1973: 281-82].
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Sinn, Bedeutung und Absicht
Daß Shope mit dieser Lesart den Freudschen SinnbegrifF vielleicht auf interessante, aber gleichwohl unzutreffende Weise interpretiert, werde ich weiter unten zeigen. 20 Shopes Interpretation wird allein vor dem Hintergrund verständlich, daß er generell bemüht ist, diejenigen Formulierungen Freuds, die eine Betrachtung unter semantischen Gesichtspunkten nahelegen könnten, abzuschwächen bzw. umzuinterpretieren. 21 Meines Erachtens führt jedoch kein Weg daran vorbei, den Bedeutungsaspekt des psychoanalytischen Sinnbegriffes auch unter semantischen bzw. semiotischen Gesichtspunkten zu diskutieren. Zu (iv): Die vierte Definition des Sinnbegriffes schlägt Shope nur mit einer Einschränkung vor: „In my previous discussion, I have indicated at least three different senses which Freud gave to the expression the meaning . . . One statement in ,The Interpretation of Dreams' suggests the possibility of yet a fourth sense" [1973: 283]. Nach Shope scheint Freuds Fazit am Ende der „Analyse eines Traummusters" nahezulegen, den Ausdruck „the meaning of" auch als „the motive behind" zu definieren [vgl. 1973: 282-83]. Freud schreibt dort nach „Vollendung" seiner Traumdeutung: Auch ist mir unterdes der Sinn des Traumes aufgegangen. Ich habe eine Absicht gemerkt, welche durch den Traum verwirklicht wird und die das Motiv des Träumens gewesen sein muß [G.W. 1900, 2-3: 123]. Shope hat völlig recht, wenn er die zitierte Formulierung als einen Beleg dafür ansieht, daß Freud den Sinnbegriff auch zur Beschreibung motivationaler Zusammenhänge verwendet. Neben der zitierten gibt es eine ganze Reihe von Textstellen, die diese Ansicht bestätigen. Nicht zuletzt enthalten die zur Definition von „meaningj" und „meaning3M herangezogenen Passagen aus den „Vorlesungen" die Begriffe „Absicht" und „Tendenz". Da Shope jedoch die aufzählenden Bestimmungen - Bedeutung, Absicht, Tendenz, Stellung in einer Reihe psychischer Zusammenhänge - jeweils nur als Ganzheit auffaßt, entgeht ihm die bereits hierin angelegte Differenz zwischen „Bedeutung" und „Absicht" als wichtigen und zugleich verschiedenen Aspekten des psychoanalytischen Sinnbegriffes. Zum Abschluß dieses Exkurses möchte ich noch eine weitere, in der Literatur häufig genannte Lesart des psychoanalytischen Sinnbegriffes ansprechen. Eine Reihe von Äußerungen Freuds, vor allem in der „Traumdeutung" scheint nahezulegen, „Sinn" auch als „Wunscherfullung" zu bestimmen: 20
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Diese These im einzelnen zu begründen, ist an dieser Stelle verfrüht; ich verweise auf die Rekonstruktion des Freudschen Bedeutungsbegriffes in den folgenden Kapiteln sowie die erneute Diskussion des Shopeschen Standpunktes in Abschnitt 6.5. Besonders deutlich wird diese Haltung Shopes im Rahmen seiner gleichwohl berechtigten Ricoeur-Kritik [vgl. dazu: 1973: 293-302]; ich komme weiter unten auf S. 133 darauf zurück.
Problemstellung
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Wenn ich nun die Behauptung aufstelle, daß Wunscherfüllung der Sinn eines jeden Traumes sei, also daß es keine anderen als Wunschträume geben kann, so bin ich des entschiedensten Widerspruches im vorhinein sicher [G.W. 1900, 2-3: 139], Wir haben es gewiß alle mit Befremden aufgenommen, daß der Traum nichts anderes als eine Wunscherfüllung sein soll . . . Nachdem uns die ersten Aufklärungen durch die Analyse belehrt hatten, hinter dem Traum verberge sich Sinn und psychischer Wert, so wäre unsere Erwartung keineswegs auf eine so eindeutige Bestimmung dieses Sinnes gefaßt gewesen [G.W. 1900, 2-3: 555],
Betrachtet man genauer, wie Freud dazu kommt, den „Sinn" eines Traumes mit „Wunscherfüllung" gleichzusetzen, so zeigt sich, daß er jeweils vom spezifischen Inhalt eines weitgehend analysierten Traumes absieht, um ihn auf möglichst allgemeine Weise bestimmen und einordnen zu können. Das heißt, die generelle Charakterisierung aller Träume als Wunscherfüllungen ergibt sich erst aufgrund einer Abstraktion vom speziellen Sinn eines Traumes, der zunächst nur in Hinblick auf Inhalt, Bedeutung und Absicht ergründet wurde. 22 1.3
Problemstellung
Im systematisch einführenden Teil dieser Arbeit konnte dargelegt werden, daß es der Sache nach gerechtfertigt ist, zumindest drei Verwendungsweisen des Sinnbegriffes in der Psychoanalyse Sigmund Freuds zu unterscheiden. Von den beiden wesentlichen Aspekten dieses Begriffes, nämlich „Sinn" als „Bedeutung" sowie „Sinn" als „Absicht", soll nun der erste, der semantische Aspekt näher untersucht und diskutiert werden. Schwierigkeiten bereitet unserem Verständnis vor allem die der Alltagsmeinung zuwiderlaufende Behauptung Freuds, Fehlleistungen, Träume und neurotische Symptome seien „vollgültige" und sinnvolle menschliche Verhaltensweisen, denen Inhalt und Bedeutung zugesprochen werden könne. Um diese verschiedenen Formen menschlichen Verhaltens unter einen Begriff subsumieren zu können, schlage ich vor, solche Erscheinungen in Anlehnung an Freuds eigene Terminologie als „manifeste Phänomene" zu bezeichnen. 23 Sie bringen nach Freud verborgene psychische Zustände oder 22
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I m A n h a n g „ T r ä u m e als Wunscherfuüungen" (S. 150), diskutiere ich ausfuhrlich Freuds These, „Wunscheifüllung sei der Sinn eines j e d e n T r a u m e s " . N e b e n Shope [1967] vgl. m a n ferner: Wollheim [1979], Glymour [1983] u n d G r ü n b a u m [1984: 216239]; S t u b e r [1983] bietet einen ersten Uberblick aus psychoanalytischer Sicht. Aufler den bereits genannten, p r i m a facie unverständlichen Verhaltensweisen wie Träumen, Fehlleistungen u n d neurotischen S y m p t o m e n sollen a u c h die v o n Freud so g e n a n n t e n Zufalls- u n d S y m p t o m h a n d l u n g e n sowie m a n c h e Ä u ß e r u n g e n psychotischer P a t i e n t e n den manifesten P h ä n o m e n e n zugerechnet werden. F r e u d selbst
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Sinn, Bedeutung und Absicht
Vorgänge wie nicht bewußtseinsfähige Phantasien, Vorstellungen oder Gedanken zum Ausdruck, die als die sogenannten latenten Inhalte2'1 streng von den manifesten Phänomenen zu trennen sind. Wollen wir in einer philosophischen Untersuchung den von Freud selbst nicht weiter reflektierten Begriff der „ B e d e u t u n g eines manifesten Phänom e n s " diskutieren, so können wir uns grundsätzlich an zwei wohl zu unterscheidenden Fragestellungen orientieren: (1) Wie ist Freuds These zu verstehen, ein manifestes Phänomen h a b e Inhalt und Bedeutung? (2) Welche „Bedeutungsrelation" besteht nach Freud zwischen manifesten Phänomenen und latenten Inhalten? 2 5 Sowohl in der neueren philosophischen als auch psychoanalytischen Literatur, die sich mit Freuds Begriff der Bedeutung befaßt, werden die soeben formulierten Fragen diskutiert. Besonders kontrovers stehen sich in dieser Debatte zwei Positionen gegenüber. Der einen zufolge können manifeste Phänomene als Texte aufgefaßt werden, denen in (quasi-)semantischem Sinne Bedeutung zukommt; ich nenne diese deshalb die linguistische oder auch semantische Position. Zu ihren wichtigsten Vertretern gehören Lacan und Ricoeur, mit Einschränkungen können aber auch Habermas und Lorenzer dieser Gruppe zugerechnet werden. Die genannten Autoren - mit Ausnahme Lacans - verbindet darüber hinaus der Versuch, die Psychoanalyse als eine hermeneutische Wissenschaft zu rekonstruieren. Folgen wir der anderen Position, die ich im Kontrast zur ersten als nicht-linguistische bzw. nicht-semantische bezeichnen will, so lassen sich manifeste Phänomene lediglich als natürliche Anzeichen für verborgene seelische Vorgänge oder Zustände auffassen; keineswegs aber verweisen sie im semantischen Sinne auf die latenten Inhalte, d a sie nicht für diese
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spricht allerdings nicht von manifesten Phänomenen, sondern lediglich vom manifesten TVauminiiaJt; bezeichnet wird damit der Traum, bevor er der psychoanalytischen Deutung unterzogen wird, so wie er dem Träumenden erscheint, der aus ihm eine Traumerzählung bildet. Bine Ausweitung dieses Begriffes auf Fehlleistungen oder neurotische Symptome nimmt Freud nicht vor; vgl. dazu: Laplanche und Pontalis zu „Manifester Trauminhalt" [1972: 302]. Mit der Wahl dieses Begriffes befinde ich mich in vollem Einklang mit Laplanche und Pontalis; sie verstehen den Ausdruck „latenter Inhalt" in einem weiten Sinne „als die Gesamtheit dessen . . . , was der Analytiker nacheinander enthüllt" [1972: 277]. Fteud selbst faßt auch diesen Terminus enger und versteht darunter vor allem die latenten Traumgedaaken, die erst im Rahmen der Analyse ermittelt werden (können). Wie wir weiter unten sehen werden, wurden diese beiden Fragen in der Sekundärliteratur häufig miteinander identifiziert; mehrere Autoren glaubten, mit einer Lösung des speziellen Problems (2) bereits eine Antwort auf die allgemeine Frage (1) gefunden zu haben; m a n vgl. dazu besonders den Abschnitt über Shope, S . 134.
Problemstellung
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stehen, sondern einstelle derselben - sozusagen als Ersatz - vorkommen. Adolf Grünbaum, Robert Shope und - mit Einschränkungen - Benjamin Rubinstein sind die maßgeblichen Verfechter dieser Position. Grünbaums Monographie „The Foundations of Psychoanalysis" [1984; 1988] zeichnet sich u. a. durch eine sorgfältige und prinzipielle Kritik an den wichtigsten hermeneutischen Rekonstruktionsversuchen der Psychoanalyse aus. Sowohl für unsere eigene Untersuchung als auch für die hier nur kurz skizzierte Debatte über Freuds Bedeutungsbegriff ist die weitgehend akzeptierte Unterscheidung zwischen natürlichen Zeichen (d. h. Anzeichen) und konventionellen Zeichen (d.h. Repräsentationszeichen) grundlegend. Unter den Begriff des Zeichens fallen nach dem üblichen Sprachgebrauch sehr verschiedene „Gegenstände". Sie reichen von Spuren - Fußabdrücken im Sand - , charakteristischen Symptomen einer Krankheit, Gesten, welche die psychische Verfassung eines Lebewesens offenbaren, über abstrakte optische Zeichen wie Flaggen und Verkehrsschilder bis hin zu den Symbolen einer Sprache. Allen ist gemeinsam, daß sie Zeichen von etwas sind. In zeitgenössischen Arbeiten zur sprachanalytischen Philosophie wird diese Mannigfaltigkeit der Zeichen üblicherweise unterteilt in natürliche und nichtnatürliche (auch: konventionelle, künstliche oder arbiträre) 2 6 Zeichen. Als ein wesentliches Merkmal für natürliche Zeichen gilt im allgemeinen, daß sie im Gegensatz zu den künstlichen Zeichen mit dem Gegenstand, dem Zustand oder dem Prozeß, den sie anzeigen, in einem gesetzmäßigen Zusammenhang stehen; dagegen ist die Beziehung zwischen den konventionellen Zeichen und dem durch sie Bezeichneten eine beliebige, d. h. nicht-natürliche Relation. Die Unterscheidung der Zeichen in natürliche Anzeichen und nichtnatürliche Repräsentationszeichen hat eine sehr lange Tradition, die wir wenigstens bis zu Piaton und Aristoteles zurückverfolgen können. 2 7 Uber 26
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Ich verwende diese Ausdrücke in der Folge synonym; in einem a n d e r e n K o n t e x t m a g es gleichwohl lohnen, sie ihrerseits voneinander zu unterscheiden. In Piatons „ K R A T Y L O S " wird die Frage gestellt, ob die „Benennungen auf Vertrag u n d U b e r e i n k u n f t g r ü n d e n " [384 d] oder ob nicht ,Jegliches Ding seine v o n N a t u r i h m z u k o m m e n d e richtige Benennimg h a b e " [383 a], d . h . die Frage, o b die W o r t e natürliche oder konventionelle — u n d damit beliebige — Zeichen des B e n a n n t e n sind. W ä h r e n d sich P i a t o n auf keine der beiden Positionen uneingeschränkt festlegt, charakterisiert Aristoteles einen N a m e n (oder ein H a u p t - W o r t ) als eine Sprachäußerung, der kraft einer Konvention B e d e u t u n g zukomme. Diese „nicht v o n N a t u r aus " bedeutungsvollen Sprachlaute unterscheidet Aristoteles v o n u n a r t i k u l i e r t e n Geräuschen wie z. B. Tierlauten, die zwar a u c h etwas offenbaren bzw. anzeigen können, j e d o c h nicht als N a m e n fungieren [vgl. „De Interpretatione" 16 a26]. Der a n diesen Fragen naher interessierte Leser sei auf die vor kurzem erschienene Monographie v o n Wolfr a m Ax, „ L a u t , S t i m m e u n d Sprache. Studie zu drei Grundbegriffen der a n t i k e n Sprachtheorie" [1986], verwiesen.
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Sinn, Bedeutung und Absicht
Wilhelm von Ockham28, T h o m a s Hobbes29 und E d m u n d Husserl30, u m nur einige zu n e n n e n , w u r d e die t r a d i t i o n e l l e D i s t i n k t i o n b i s h e u t e weit e r g e g e b e n u n d b e i b e h a l t e n . P a u l G r i c e u n t e r s c h e i d e t z. B . in A n l e h n u n g a n diese K l a s s i f i z i e r u n g zwischen „ n a t ü r l i c h e m " u n d „ n i c h t - n a t ü r l i c h e m Bedeuten".31 B e s o n d e r e s I n t e r e s s e w u r d e in p h i l o s o p h i s c h e n A b h a n d l u n g e n seit j e h e r d e n s p r a c h l i c h e n A u s d r ü c k e n als der w i c h t i g s t e n T e i l k l a s s e konventioneller Zeichen g e s c h e n k t . Sowohl f ü r e r k e n n t n i s t h e o r e t i s c h e U n t e r s u c h u n g e n als a u c h f ü r den A u f b a u der L o g i k ist es erforderlich, sich K l a r h e i t über die B e d e u t u n g der sprachlichen A u s d r ü c k e zu v e r s c h a f f e n . V e r b r e i t e t e Anerk e n n u n g findet h e u t e die in F r e g e s T r a d i t i o n s t e h e n d e U n t e r s c h e i d u n g zwi28
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Wilhelm von Ockham unterscheidet in seiner „Summa logicae" Zeichen, die aufgrund einer Konvention bedeutungsvoll sind, von solchen, die auf natürliche Weise etwas bedeuten: "Zum einen bezeichnet ein Begriff bzw. Eindruck der Seele immer das, was er bezeichnet, auf natürliche Weise. Dagegen bezeichnen ein gesprochener oder geschriebener Terminus etwas immer nur aufgrund einer Sprachkonvention" [aus: „Summe der Logik", Teil I, Kap. 1. „Zur Definition und allgemeinen Einteilung des Terminus"; ausgewählt, übersetzt und herausgegeben von Peter Kunze, 1984: 7], Die Unterscheidungen, die Hobbes zwischen natürlichen und willkürlichen Zeichen trifft, sind auch nach unserer heutigen Auffassung einschlägig; allerdings teilen wir nicht mehr die Ansicht, dafl „bestimmt verbundene Worte . . . die Bewegungen unseres Geistes . . . " bezeichnen: „Als Anzeichen aber pflegen Dinge, welche aufeinander folgen, wechselseitig füreinander verwendet zu werden, sofern wir die Erfahrung gemacht haben, dafi eine RegelmäSigkeit in ihrer Aufeinanderfolge besteht. Beispielsweise sind dunkle Wolken Zeichen bevorstehenden Regens und der Regen ein Zeichen vorangegangener dunkler Wolken, und zwar lediglich deshalb, weil wir selten dunkle Wolken ohne folgenden Regen und niemals Regen ohne Wolkenbildung beobachtet haben. Von den Zeichen aber sind die einen natürlich, wovon wir eben ein Beispiel gegeben haben, andere willkürlich, nämlich die, welche wir nach unserem Belieben wählen; dazu gehören herabhängende Efeuranken, um einen Weinverkauf anzudeuten, ein Stein, um die Grenze eines Ackers anzugeben, und bestimmt verbundene Worte, um die Gedanken und die Bewegungen unseres Geistes zu bezeichnen" [aus: „Grundzüge der Philosophie", Teil I: Vom Körper, 2. Kapitel. „Von den Namen"; in Auswahl übersetzt und herausgegeben von Max Frischeisen-Kahler, 1915: 37]. Einschlägig sind hier vor allem Husserls „Logische Untersuchungen", besonders die Unterscheidungen zwischen anzeigenden Zeichen und bedeutsamen Zeichen, den Ausdrücken. Da ich mich weiter unten (vgl. S. 92-96) noch ausführlicher mit Husserls Auffassung beschäftigen werde, sei an dieser Stelle lediglich auf das wichtige erste Kapitel, „Die wesentlichen Unterscheidungen", von Teil I: „Ausdruckund Bedeutung" [1901; 1980: 22-61] verwiesen. Nach Grice stellt sich die Frage nach dem Unterschied zwischen natürlicher und nichtnatürlicher Bedeutung für jeden, der sich für eine Unterscheidung zwischen natürlichen und konventionellen Zeichen interessiert. Es komme allerdings zu begrifflichen Überschneidungen: „Denn nicht alle Dinge, die etwas bedeuten n n [„nn" steht für „nicht-natürlich"], sind Zeichen . . . ebensowenig sind alle Dinge mit Bedeutung n n konventionell . . . wohingegen einige Dinge, die eine natürliche Bedeutung haben, keine Zeichen für das sind, was sie bedeuten . . . " [1957; 1979: 4; vgl. besonders die von Grice angegebenen Beispiele].
Problemstellung
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sehen dem (sprachlichen) Zeichen selbst, der Bedeutung, die es ausdrückt, sowie dem Gegenstand, den es bezeichnet, der Referenz des Zeichens. 32 Frege veröffentlichte die Grundzüge der von ihm konzipierten semantischen Theorie in seinem Aufsatz „Uber Sinn und Bedeutung" [1892]; einer Theorie über die Bedeutung von Eigennamen folgen dort Ausführungen über die Bedeutung von Aussage- und Nebensätzen. 3 3 Auf den ersten Blick mag es scheinen, als seien die bisher referierten Unterscheidungen bereits ausreichend, um die psychoanalytische Redeweise von der Bedeutung manifester Phänomene angemessen bestimmen und einordnen zu können. Beispielsweise lassen sich die Verfechter der nichtlinguistischen Position von der Fragestellung leiten, ob die von Freud untersuchten Erscheinungen im Sinne sprachlicher Ausdrücke Bedeutung haben, oder ob sie den natürlichen Zeichen ähnelnd lediglich etwas anzeigen. 34 Sie gelangen dabei zu der Ansicht, daß den manifesten Phänomenen keine Bedeutung im semantischen Sinne zugesprochen werden könne, da ihnen - im 32
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Die hier verwendete Terminologie folgt nicht dem ursprünglichen Sprachgebrauch Freges, für den der bezeichnete Gegenstand die Bedeutung und die durch den Namen festgelegte Gegebenheitsweise des Gegenstandes der Sinn des Zeichens ist. Zur Begründung für meine Abweichung verweise ich auf die Argumente Michael Sukales, denen nichts weiter hinzuzufügen ist: „Schon Husserl hat darauf hingewiesen, daß Frege der deutschen Sprache Gewalt antut, wenn er von dem Objekt selbst, welches der N a m e bezeichnet, als der Bedeutung des Namens spricht und terminologisch v o m Sinn, der die Gegebenheitsweise des Objektes mitbeinhaltet, unterscheidet, während normalerweise die Ausdrücke Bedeutung und Sinn synonym verwendet werden: Wir verstehen unter der Bedeutung eines Satzes dasselbe wie dessen Sinn. Dazu kommt aber ein weiterer Grund, der mit der Ubersetzung von Freges Wortgebrauch in die englische Sprache zu tun hat. Vor allem in der neueren amerikanischen Literatur wird Freges Sinn meistens mit meaning übersetzt, Freges Bedeutung meistens mit reference. Die Rückübersetzung von meaning und reference als Bedeutung und Referenz scheint sich als natürlich anzubieten, zumal der in Freges Schriften unbewanderte deutsche Leser leicht glauben kann, die Bedeutung eines Ausdrucks sei nicht das Objekt, auf das sich der Ausdruck nennend bezieht, sondern der Sinn des Ausdrucks. Wir wollen daher im folgenden zwischen einem sprachlichen Ausdruck, dessen Referenz und dessen Bedeutung unterscheiden" [Sukale, 1976: 14]. S t a t t von der Bedeutung bzw. Referenz eines sprachlichen Ausdruckes spricht m a n i m Anschluß a n Carnap [1956] auch häufig von der Intension bzw. Extension desselben. In Kapitel 5. komme ich ausführlich auf Freges Bedeutungstheorie zurück (vgl. S. 88-92). Adolf Grünbaum unterstreicht z. B . , daß man die Relation, die zwischen natürlichen Zeichen und dem, was sie anzeigen, besteht, streng von der Relation unterscheiden müsse, die zwischen sprachlichen Ausdrücken und dem besteht, was sie semantisch repräsentieren: „Auf jeden Fall ist es nicht gerechtfertigt, die folgenden beiden Beziehungspaare miteinander gleichzusetzen: (1) die Art und Weise, in der die Auswirkung einer Ursache diese offenbart und so epistemisch als Indiz für ihr Wirken dienen kann, und (2) die Art und Weise, in der ein linguistisches Symbol seinen Referenten semantisch repräsentiert oder dessen Eigenschaften kennzeichnet" [1984: 66; 1988: 117].
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Sinn, Bedeutung und Absicht
Gegensatz zu den sprachlichen Zeichen - weder Intension noch Extension zukomme. 35 Vielmehr zeigten sie gewisse mentale Vorgänge (lediglich) an, und zwar in der Art und Weise, in der schwarze Wolken ein heranziehendes Gewitter oder Fußspuren im Sand den Gang einer Person anzeigen. Robert Shope schreibt in seinem Aufsatz „Freud's Concepts of Meaning": Freud views the relation between these mental phenomena [dreams, symptoms, or parapraxes] and their meaning as similar to the relation between the symptoms of measles and its cause. They express the underlying states as effects manifest a cause. They are signs only in the sense that organic symptoms are signs of a disease organism, or dark clouds signs of rain to come [1973: 294], Es scheint, als sei damit bereits die Frage nach der Relation zwischen manifesten Phänomenen und latenten Inhalten (vgl. Frage 2) und somit der Freudsche Bedeutungsbegriff überhaupt (vgl. Frage 1) geklärt. Auch aus zwei weiteren Gründen scheinen die von Freud untersuchten Phänomene keineswegs den gleichen Ansprüchen zu genügen, die wir gewöhnlich an sinn- bzw. bedeutungsvolle Ausdrücke stellen: Erstens sind Träume, neurotische Symptome und Fehlleistungen keine konventionellen Zeichen zwischenmenschlicher Verständigung; wären sie es, so bedürfte es keiner psychoanalytischen Arbeit, ihren „Sinn" herauszufinden. Zweitens scheint es nahezu ausgeschlossen, daß diese Verhaltensweisen in mitteilender Absicht erfolgen. 36 Personen, die sich derart bizarr verhalten, wie es z. B. bei Neurotikern häufig der Fall ist, verstehen ihr Benehmen in der Regel selbst nicht, und sie wollen gewiß niemandem bewußtermaßen etwas mit ihren Symptomen oder Fehlleistungen sagen. 37 Das aber heißt, daß die manifesten Phänomene offenbar auch in dieser Hinsicht keine Bedeutung im Sinne der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke haben. Andererseits 35
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Auch hierzu eine Passage aus Grünbaums „Foundations": „The footprint is not a linguistic sign or symbol; it does not semantically stand for, denote, designate, or refer to the past pedal incursion . . . Whereas those symbols that qualify as linguistic signs do have intension (in the semantic sense) and extension (denotation), traces do not. And, as we shall see, what is true of traces also holds for neurotic symptoms" [1984: 64; 1988: 114]. Umberto Bco nimmt solche Phänomene zum Anlaß, Zeichen auch nach der Intention und dem Bewußteeinsgrad des Zeichensenders einzuteilen [vgl. 1977: 45-49]. Heinz Hartmann weist allerdings darauf hin, daß in gewissen Fällen auch die Annahme einer unbewußten Tendenz zur Mitteilung zulässig sei [1927; 1972: 358]. Die Diskussion dieser auch von Freud vertretenen These würde hier zu weit führen; ich möchte jedoch andeuten, weshalb ich sie für sehr problematisch halte: Nach meinem Eindruck schließt Freud i. a. von den (bereits inhaltlich gedeuteten) manifesten Phänomenen auf die ibn^n (angeblich) zugrundeliegenden Mitteilungstendenzen, erfaßt also diese nicht unabhängig von jenen. Aus diesem Grund können die nur postulierten (unbewußten) Mitteilungstendenzen nicht umgekehrt garantieren, daß die inhaltlichen Deutungen der manifesten Phänomene — als quasi-sprachliche Darstellungen unbewußter Gedanken - zutreffen.
Problemstellung
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können wir feststellen - und darauf beziehen sich die Vertreter der semantischen Position - , daß Freud wiederholt Begriffe aus dem Bereich der Sprache verwendet, um die Phänomene, die sich ihm in der Psychotherapie darbieten, zu beschreiben und zu charakterisieren. Er spricht von „Ubersetzungen" in die Sprache des Traumes, von „mimischen Darstellungen" oder „symbolischem Ausdruck", den unbewußte Gedanken in Symptomen oder Träumen finden können. Dagegen vermeidet Freud in diesem Kontext - wie mir scheint, bewußt - den Terminus „Anzeichen", den er in anderem Zusammenhang durchaus gebraucht. 3 8 Damit stellt sich die Situation so dar: Die genannten Disanalogien zwischen linguistischen Symbolen und manifesten Phänomenen sprechen dagegen, die manifesten Erscheinungen als semantisch bedeutsame Zeichen anzusehen. Folgen wir jedoch Freuds Terminologie, so scheint zugleich ausgeschlossen, die manifesten Phänomene als bloß natürliche Anzeichen unbewußter mentaler Vorgänge aufzufassen. Ich halte es daher für voreilig und unzulänglich, den Bedeutungsbegriff Freuds allein innerhalb des uns derzeit geläufigen begrifflichen Rahmens zu bestimmen. Einer solchen Klassifizierung dient nämlich eine Bedeutungstheorie als Folie, die von allen subjektiven Aspekten der Bedeutung eines sprachlichen Ausdruckes abzusehen hat(te), wurde sie doch vor allem als Vorstudie für Zwecke der Logik und Erkenntnistheorie konzipiert. Bedeutungstheorien dieser Art verleiten jedoch - wie wir bei den Vertretern der nicht-linguistischen Position sehen konnten - dazu, lediglich zu prüfen, ob manifeste Phänomene - losgelöst von den Personen, die sie zeigen oder hervorbringen - etwas im semantischen Sinne bezeichnen oder bedeuten. Wie nicht anders zu erwarten, führt diese Fragestellung zu einem negativen Urteil: Manifeste Phänomene haben keine Bedeutung im linguistischen Sinne. Darüber hinaus läßt die Dichotomie von natürlichen Anzeichen und konventionellen Repräsentationszeichen keine andere Wahl, als die manifesten Phänomene den natürlichen Zeichen zuzuordnen und ihnen damit lediglich im Sinne der Anzeige Bedeutung zuzuschreiben. Einem derart auf die zeitgenössische Semantik fixierten Interesse entgeht jedoch die Tatsache, daß sowohl in anderen Disziplinen ( z . B . in der Psycholinguistik) als auch in früheren Phasen der Philosophie Bedeutungstheorien entwickelt wurden, die sich nicht auf die zweistellige Relation zwischen den Zeichen einerseits und dem, wiis sie bedeuten, andererseits, konzentrieren, 39 sondern stattdessen 38
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Vgl. dazu die ausführliche Darstellung des Freudschen Sprachgebrauches im folgenden Kapitel, „Die ,Sprache' der manifesten Phänomene". Unter einer solchen zweistelligen Relation verstehe ich sowohl die Beziehung „x ist die Bedeutung von z " , formal ausgedrückt: BedeutungVon 2 (x, z), als auch die Relation „w ist die Referenz von z " , formal: ReferenzVon 2 (w, z). Die von den Zeichenverwendern nicht abstrahierenden Bedeutungstheorien thematisieren dagegen
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Sinn, Bedeutung und Absicht
u n t e r s u c h e n , w a n n ein Zeichen f ü r eine P e r s o n B e d e u t u n g h a t b z w . welche B e d e u t u n g es f ü r diese P e r s o n h a t . 4 0 E s b l e i b t u n b e r ü c k s i c h t i g t d a ß gegen E n d e des l e t z t e n u n d zu B e g i n n dieses J a h r h u n d e r t s in der P h i l o s o p h i e , M e d i z i n , P s y c h o l o g i e u n d Soziologie p a r a l l e l z u e i n a n d e r T h e o r i e n der B e d e u t u n g e n t w o r f e n w u r d e n , die k e i n e s w e g s so e i n h e i t l i c h s i n d , wie wir u n s d a s h e u t e w ü n s c h e n m ö g e n . N e b e n G o t t l o b Frege u n d E d m u n d Husserl w a r e n auch M a x W e b e r u n d S i g m u n d F r e u d f ü h r e n d e K ö p f e j e n e r E p o c h e , die I a n H a c k i n g w o h l zu R e c h t „ t h e h e y d a y of m e a n i n g s " , also die „ G l a n z z e i t d e r B e d e u t u n g e n " nennt. Er schreibt: We may forget that at the time Frege was writing, meanings were on the rampage. In his day nearly every discipline had a critique based on meanings or else a theory about them. In 1881 the American physicist J.B. Stallo was confuting the atomic theory of matter from the vantage point of a phenomenalist theory of meanings; Ernst Mach deployed a similar analysis on all branches of physics. Max Weber, the great founding theoretician of modern sociology, begins his analysis by distinguishing the objective and subjective meanings of an action. Freud's psychoanalysis is nothing other than a theory of meanings. And so on: meanings were everywhere and Frege, despite his focus on words, sentences, and verbal communication, is only one of many agents who participated in the heyday of meanings [1975: 50-51]. I a n H a c k i n g weist a u c h f ü r u n s e r e w e i t e r e n Ü b e r l e g u n g e n in die richtige Richtung: „Although Weber a n d Frege (and Freud a n d M a c h ) start w i t h t h e s a m e G e r m a n v o c a b u l a r y of Sinn a n d Bedeutung, they direct it in d i f f e r e n t w a y s " [1975: 51]. D a s h e i ß t , F r e g e u n d F r e u d ( u n d W e b e r u n d M a c h ) v e r w e n d e n zwar dieselben s p r a c h l i c h e n A u s d r ü c k e „ B e d e u t u n g " u n d „ S i n n " , a b e r sie g e b r a u c h e n b e r e i t s diese W o r t e in j e v e r s c h i e d e n e r W e i s e ; sie h a b e n u n t e r s c h i e d l i c h e T h e o r i e n d a r ü b e r , weis es h e i ß t , d a ß ein Zeichen B e d e u t u n g h a t . 4 1 D a ß sie i h r e n U n t e r s u c h u n g e n eine j e a n d e r e R i c h t u n g g e b e n , d a r f a n g e s i c h t s i h r e r v e r s c h i e d e n e n D i s z i p l i n e n als s e l b s t verständlich angenommen werden.
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dreistellige Relationen, beispielsweise „x ist die Bedeutung von ζ für y", formal ausgedrückt: BedeutungFür 3 (i, z, y). Wird in einer semantischen Theorie, die von den Sprachverwendern abstrahiert, statt einer zweistelligen eine n-stellige Relation zugrundegelegt, so hat die entsprechende Bedeutungstheorie, die den Sprachbenutzer mit einschließt, zumindest (n + l)-stellige Relationen zu betrachten. Ermitteln läßt sich eine solche subjektiv gefärbte Bedeutung eines sprachlichen Ausdruckes z.B. durch dit von Osgood entwickelte Technik zur „Messung der Bedeutung", die von ihm selbst semantisches Differential genannt wurde, vgl. dazu Osgood, Suci und Tannenbaum, „The measurement of meaning" [1957]; eine prägnante Zusammenfassung bietet Hörmann in „Psychologie der Sprache" [1977: 114-16]. Max Webers „Bedeutungstheorie" bezieht sich allerdings nicht auf Zeichen, sondern thematisiert den Sinn menschlicher Handlungen.
Problemstellung
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In der Tatsache, daß Frege und Freud die gleichen Worte in völlig verschiedener Weise verwenden, ist zugleich einer der wichtigsten Gründe dafür zu sehen, weshalb wir vorsichtig sein sollten, wenn wir den psychoanalytischen Bedeutungsbegriff an den heute in der Semantik üblichen Unterscheidungen „justieren" wollen; stehen doch die uns vertrauten Einteilungen ganz in der Tradition Freges. Dagegen sind die seinerzeit konkurrierenden, teilweise sogar vorherrschenden Theorien wie beispielsweise die psychologistische Version einer Theorie der Bedeutung nahezu völlig aus unserem Blickfeld verschwunden; daß dies so ist, liegt nicht zuletzt an den Arbeiten Freges und den damals einflußreicheren „Logischen Untersuchungen" Edmund Husserls. Ihre Kritik an der psychologistischen, d.h. ausschließlich subjektiven Sprachbetrachtung fand in Karl Bühlers Arbeiten eine konsequente Fortführung. 42 Zumindest in der philosophischen Diskussion spielt die psychologistische Position seither keine große Rolle mehr. Bevor wir uns daher den Arbeiten der zeitgenössischen Philosophen und Psychoanalytiker erneut zuwenden und Fragen der Klassifizierung und Bestimmung des psychoanalytischen Bedeutungsbegriffes diskutieren, 43 ist zu prüfen, an welcher traditionellen Version einer Theorie der Bedeutung sich Freud orientierte bzw. ob er selbst (implizit) über eine eigene Theorie der Bedeutung verfügte. Aus diesem Grund befasse ich mich in den folgenden Kapiteln noch einmal und dabei weit ausführlicher als in der systematischen Einführung mit den Passagen aus Freuds Schriften, die für ein Verständnis der „psychoanalytischen" Rede von Sinn, Inhalt und Bedeutung manifester Phänomene relevant sind und zu einer einheitlichen Interpretation anregen.
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Bühler beginnt sein Hauptwerk, die „Sprachtheorie", mit den folgenden Worten: „Was mich zurückführte zu der objektiven Sprachbetrachtung der Alten [Piaton und die griechischen Grammatiker], war die Einsicht in die Ergänzungsbedürftigkeit der gewollten und eine Zeitlang gepriesenen Subjektivität der Neureren; es ist bequem und einfach, gerade diesen Zug unseres Planes in Abhebung vom Gestern als das heute Erforderliche hinzustellen und so eine erste Positionsbestimmung zu gewinnen. Unser Gestern ist das 19. Jahrhundert" [1934: 1]. - Weiter unten komme ich ausführlicher auf Bühlers Sprachtheorie sowie seine Kritik a n der Assoziationstheorie zurück; vgl. Anm. 11, S. 93 sowie S. 97-98. Siehe dazu die synoptische Darstellung der verschiedenen Ansätze unterschiedlicher Bedeutungstheorien (S. 96-97). Die relevante Sekundärliteratur diskutiere ich i m 6. Kapitel nach der Rekonstruktion des Freudschen Bedeutungebegriffes.
2. Kapitel Die „Sprache" der manifesten Phänomene
Eine erste Antwort auf die Frage, inwieweit manifeste Phänomene für Freud Inhalt und Bedeutung haben, läßt sich aus den Textstellen gewinnen, in denen er diese Erscheinungen mit Sprachen, speziell mit alten Sprachen, vergleicht. Dabei ist es weniger die Tatsache, daß Freud explizit von der „Sprache der Hysterie" bzw. von der „Traumsprache" spricht - ebenso könnte man metaphorisch von einer „Sprache der Wolken" reden, die naturverbundene Menschen zu lesen vermögen —, sondern vielmehr ist es die Art seines Vergleiches, d.h. die teilweise bis ins Detail durchgeführte Analogie, die den Schluß erlaubt, Freud schreibe den manifesten Phänomenen mehr als eine bloße Anzeigefunktion zu. Sowohl in den „Vorlesungen" als auch in der für das interessierte Laienpublikum verfaßten Schrift „Das Interesse an der Psychoanalyse" betont Freud die Verwandtschaft manifester Phänomene zu archaischen Sprachund Schriftsystemen wie dem Chinesischen, der altägyptischen Hieroglyphenschrift sowie der persischen Keilschrift. 1 In der Tat ist die Deutung eines Traumes durchaus analog der Entzifferung einer alten Bilderschrift, wie der ägyptischen Hieroglyphen. Es gibt hier wie dort Elemente, die nicht zur Deutung, respektive Lesung, bestimmt sind, sondern nur als Determinativa das Verständnis anderer Elemente sichern sollen. Die Vieldeutigkeit verschiedener Traumelemente findet ihr Gegenstück in diesen alten Schriftsystemen ebenso wie die Auslassung verschiedener Relationen, die hier wie dort aus dem Zusammenhang ergänzt werden müssen [G.W. 1913, 8: 404-405].
An der chinesischen Sprache fasziniert Freud vor allem die Tatsache, daß sie so gut wie keine Grammatik aufweist und darin u. a. dem Traume ähnelt: 1
D e n a l t e n S p r a c h e n i m b e s o n d e r e n gilt F r e u d s A r b e i t „ U b e r d e n G e g e n s i n n d e r U r w o r t e " [ G . W . 1910, 8: 213-221], i n d e r e r die g l e i c h n a m i g e A b h a n d l u n g d e s S p r a c h w i s s e n s c h a f t l e r s K a r l A b e l aus d e m J a h r e 1884 r e f e r i e r t . F r e u d s c h e i n t A b e l s E r g e b n i s s e n große B e d e u t u n g f ü r ein b e s s e r e s V e r s t ä n d n i s d e r T r a u m a r b e i t b e i g e m e s s e n z u h a b e n , wie seine z a h l r e i c h e n Verweise, u . a . a u c h i n d e n „ V o r l e s u n g e n " u n d i n d e r „ T r a u m d e u t u n g " belegen.
Die „Sprache" der manifesten P h ä n o m e n e
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Man kann von keinem der einsilbigen Worte sagen, ob es Haupt-, Zeit-, Eigenschaftswort ist, und es fehlen alle Abänderungen der Worte, durch welche man Geschlecht, Zahl, Endung, Zeit oder Modus erkennen könnte. Die Sprache besteht also sozusagen nur aus dem Rohmaterial, ähnlich wie unsere Denksprache durch die Traumarbeit in ihr Rohmaterial unter Hinweglassung des Ausdrucks der Relationen aufgelöst wird. Im Chinesischen wird in allen Fällen von Unbestimmtheit die Entscheidung dem Verständnis des Hörers überlassen, der sich dabei vom Zusammenhange leiten läßt [G.W. 1916-17, 11: 237-238], Auch wenn Freud die Analogien, die zwischen alten Sprachen und Träumen bestehen, besonders betont, entgeht ihm nicht, daß er sich bei seinem Vergleich über die gewöhnliche Bedeutung des Wortes „Sprache" hinwegsetzt: Ich überschreite gewiß die gebräuchliche Wortbedeutung, wenn ich das Interesse des Sprachforschers für die Psychoanalyse postuliere. Unter Sprache muß hier nicht bloß der Ausdruck von Gedanken in Worten, sondern auch die Gebärdensprache und jede andere Art von Ausdruck seelischer Tätigkeit, wie die Schrift, verstanden werden. Dann aber darf man geltend machen, daß die Deutungen der Psychoanalyse zunächst Ubersetzungen aus einer uns fremden Ausdrucksweise in die unserem Denken vertraute sind. Wenn wir einen T r a u m deuten, so übersetzen wir bloß einen gewissen Gedankeninhalt (die latenten Traumgedanken) aus der ,Sprache des Traumes* in die unseres Wachlebens [G.W. 1913, 8: 403], Halten wir also fest, daß Freud den Begriff „Sprache" so ausweitet, daß nicht nur Worte als Ausdruck von Gedanken, sondern auch andere Zeichen, die dem Ausdruck seelischer Tätigkeit dienen, als die Bestandteile einer Sprache aufgefaßt werden können. In welcher spezifischen Form nun die unbewußten seelischen Vorgänge einer Person Ausdruck finden, hängt von der jeweiligen psychischen Konstitution dieser Person ab; Freud spricht in diesem Zusammenhang davon, daß das Unbewußte über mehr als nur einen Dialekt verfüge: Die Traumsprache, kann man sagen, ist die Ausdrucksweise der unbewußten Seelentätigkeit. Aber das Unbewußte spricht mehr als nur einen Dialekt. Unter den veränderten psychologischen Bedingungen, welche die einzelnen Formen von Neurose charakterisieren und voneinander scheiden, ergeben sich auch konstante Abänderungen des Ausdruckes für unbewußte seelische Regungen. Während die Gebärdensprache der Hysterie im ganzen mit der Bildersprache des Traumes, der Visionen usw. zusammentrifft, ergeben sich besondere idiomatische Ausbildungen für die Gedankensprache der Zwangsneurose und der Paraphrenien (Dementia praecox und Paranoia) . . . [G.W. 1913, 8: 405]. Eine derart metaphernreich erscheinende Ausdrucksweise läßt keinen eindeutigen Schluß darüber zu, ob Freud lediglich - wie er bisweilen selbst
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Die „Sprache" der manifesten P h ä n o m e n e
bemerkt - einen anschaulichen Vergleich hat ziehen wollen, oder ob er seine Bezeichnungen wörtlich meinte; für letztere - auf den ersten Blick unwahrscheinliche - Deutung spricht seine Rekonstruktion der Mechanismen der Traumarbeit, besonders bei der „Übersetzung" logischer Relationen in die „Sprache des Traumes".2 Im folgenden werde ich im Detail darstellen, inwiefern die manifesten Phänomene, also die Hysterien, Träume, Zwangshandlungen, Fehlleistungen etc., für Freud „Ausdruck der seelischen Tätigkeit" sind. 2.1
Hysterische Anfälle und
Symptome
Bereits in dem 1893 gehaltenen Vortrag „Uber den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene" sowie in der aus demselben Jahr stammenden „Vorläufigen Mitteilung", die Freud gemeinsam mit Breuer unter demselben Titel veröffentlichte, finden wir Deutungen hysterischer Anfälle als Ausdrucksbewegungen traumatischer Erlebnisse. Freud vertritt in beiden Abhandlungen die Ansicht, daß sich psychische Zustände in körperlichen Symptomen ausdrücken können:3 Die motorischen Phänomene des hysterischen Anfalles lassen sich . . . zum Teil als direkte Ausdrucksbewegungen dieser Erinnerung [d.i. dieselbe, die zu den Anfällen geführt hat] deuten . . . [G.W. 1893, 1: 95]. Symbolisierungen werden von vielen Kranken für eine ganze Reihe von sogenannten Neuralgien und Schmerzen in Anspruch genommen. Es besteht gleichsam eine Absicht, den psychischen Zustand durch einen körperlichen auszudrücken, und der Sprachgebrauch bietet hierfür die Brücke [S.A. 1893, VI: 19].
Wir wollen die Formulierung „und der Sprachgebrauch bietet hierfür die Brücke" anhand der in den „Studien über Hysterie" dargestellten Kran2 3
Vgl. d a z u S. 31-33. An dieser Stelle sei auf eine Passage der „ T r a u m d e u t u n g " hingewiesen, in der FVeud einige Beobachtungen H. Silberers referiert. Bei dessen E x p e r i m e n t e n ereignete es sich, „daß das auftauchende . . . Bild etwas anderes darstellte als den der Bearb e i t u n g harrenden Gedanken, nämlich die E r m ü d u n g selbst, die Schwierigkeit oder Unlust zu dieser Arbeit, also den subjektiven Zustand u n d die Punktionsweise der sich m ü h e n d e n P e r s o n anstatt des Gegenstandes ihrer B e m ü h u n g . Silberer n a n n t e diesen bei i h m recht häufig eintretenden Fall das funktionale P h ä n o m e n z u m Unterschiede v o n dem zu erwartenden materialen" [G.W. 1900, 2-3: 507]. Silberer h a t d e m n a c h f ü r die Inhalte der Traumdarstellungen Verhältnisse vorgefunden, die Freud einige J a h r e früher bei hysterischen Anfällen vermutete. — Diese zwei „Darstellungsweisen" psychischer Zustände m a c h t sich a u c h die von Hanscarl Leuner entwickelte therapeutische Methode des „ K a t a t h y m e n Bilderlebens" zunutze, die darauf basiert, daß (pathogene) psychische Dispositionen eines Menschen d u r c h willkürlich herbeigeführte Wachträume dargestellt u n d modifiziert werden können [vgl. Leuner, 1985].
Hysterische Anfälle u n d S y m p t o m e
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kengeschichte der Frau Cäcilie M . . . ausführlich erläutern. Diese wirft nämlich ein Licht auf die von Freud vermutete Mittlerrolle der Sprache zwischen traumatischem Erlebnis und späterer Symptombildung und ist insofern für uns von grundsätzlichem Interesse. Sie [Frau Cäcilie] lag als fünfzehnjähriges Mädchen im Bette, bewacht von ihrer gestrengen Großmama. Plötzlich schrie das Kind auf, sie hatte einen bohrenden Schmerz in der Stirne zwischen den Augen bekommen, der dann wochenlang anhielt. Bei der Analyse dieses Schmerzes, der sich nach fast dreißig Jahren reproduzierte, gab sie an, die Großmama habe sie so durchdringend angeschaut, daß ihr der Blick tief ins Gehirn gedrungen wäre . . . Hier finde ich nichts anderes als den Mechanismus der Symbolisierung . . . [G.W. 1895, 1: 249],
Bemerkenswert an diesem Krankheitsfall ist, daß die Art der Schmerzen anscheinend von der sprachlichen Bewertung bzw. der gedanklichen Bewältigung der traumatischen Situation abhängt. Die Empfindung der Patientin, der bohrende Blick der Großmutter sei ihr „tief ins Gehirn gedrungen", führte nach Freuds Ansicht zu einem körperlichen Symptom, welches tatsächlich an der entsprechenden Stelle zwischen den Augen zu lokalisieren war. Freud stellt diesen Fall als exemplarisch für die „Entstehung hysterischer Symptome durch Symbolisierung vermittels des sprachlichen Ausdruckes" vor [G.W. 1895, 1: 249; Hervorhebung v. V.]. Bei anderen „körperlichen Sensationen" der Frau Cäcilie - „es hat mir einen Stich ins Herz gegeben", „es steckt mir etwas im Kopf" oder „das muß ich herunterschlucken" - läßt Freud jedoch offen, ob sie psychischen Ursprungs oder lediglich mit einer psychischen Deutung versehen sind; so spricht er etwas vage von einem „Parallellauf' der Empfindungen mit den dazugehörigen Gedanken bzw. Vorstellungen. Der Empfindung der hysterischen Aura im Halse ging der Gedanke parallel: Das muß ich herunterschlucken, wenn diese Empfindung bei einer Kränkung auftrat. Es war eine ganze Reihe von parallellaufenden Sensationen und Vorstellungen, in welcher bald die Sensation die Vorstellung als Deutung erweckt, bald die Vorstellung durch Symbolisierung die Sensation geschaffen hatte, und nicht selten mußte es zweifelhaft bleiben, welches der beiden Elemente das primäre gewesen war [G.W. 1895, 1: 250].
Wie auch immer die kausalen Verhältnisse zwischen hysterischen Symptomen und den entsprechenden Vorstellungen tatsächlich beschaffen sein mögen, die „vermittelnde" Rolle der Sprache, sei sie symptomerzeugender oder lediglich deutungsgebender Natur, tritt für Freud jedenfalls offen zutage. Zehn Jahre später, in den „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie", finden wir die folgende implizite Charakterisierung heilbarer hysterischer Symptome:
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Die „Sprache" der manifesten P h ä n o m e n e
Die Psychoanalyse beseitigt die Symptome Hysterischer unter der Voraussetzung, daJ3 dieselben der Ersatz - die Transkription gleichsam - für eine Reihe von affektbesetzten seelischen Vorgängen, Wünschen und Strebungen sind, denen durch einen besonderen psychischen Prozeß (die Verdrängung) der Zugang zur Erledigung durch bewußtseinsfähige psychische Tätigkeit versagt worden ist [G.W. 1905, 5: 63].
Freud spricht hier wie auch an anderem Ort von den Symptomen als „Ersatzbildungen" und „Transkriptionen", also Übertragungen. Ersetzt bzw. „transkribiert" würden Wünsche und Strebungen - affektbesetzte Vorgänge - , die nicht bewußt werden könnten. Häufiger verwendet Freud jedoch die Begriffe „Konversion" und „konvertierte Darstellung": „die kompliziertesten Symptome selbst enthüllen sich als die konvertierten Darstellungen von Phantasien" [G.W. 1906, 5: 158]; sie sind „nichts anderes als die durch Konversion zur Darstellung gebrachten unbewußten Phantasien" [G.W. 1908, 7: 194]. Dabei entspricht der Ausdruck „Konversion" in etwa dem der „Transkription" im vorangegangenen Zitat. Gemeinsam bezeichnen die beiden Begriffe den angenommenen Sachverhalt der „Umwandlung" eines psychischen Inhaltes in eine andere als verbale Ausdrucksweise; speziell bei Hysterien spricht Freud von „Konversionen des Seelischen ins Somatische". Mit analogen Formulierungen leitet Freud seinen Aufsatz „Allgemeines über den hysterischen Anfall" ein, um die Phänomene der Hysterie zu charakterisieren: Wenn man eine Hysterika, deren Leiden sich in Anfällen äußert, der Psychoanalyse unterzieht, so überzeugt man sich leicht, daß diese Anfälle nichts anderes sind als ins Motorische übersetzte, auf die Motilität projizierte, pantomimisch dargestellte Phantasien. Unbewußte Phantasien zwar, aber sonst von derselben Art, wie man sie in den Tagträumen unmittelbar erfassen, aus den nächtlichen Träumen durch Deutung entwickeln kann. Häufig ersetzt ein Traum einen Anfall, noch häufiger erläutert er ihn, indem die nämliche Phantasie zu verschiedenartigem Ausdruck im Traume wie im Anfalle gelangt [G.W. 1909, 7: 235].
Statt von „Konversion" oder „Umwandlung" spricht Freud hier von „Ubersetzen" und „pantomimisch darstellen"; darüber hinaus wird ein weiteres Mal deutlich, wie sehr Freud seine Begriffe dem Bereich der Sprache entlehnt: Wie sonst könnte er den Traum als eine mögliche „Erläuterung" eines hysterischen Anfalls ansehen, der dieselbe Phantasie auf andere und damit sogar kommentierende Weise zum Ausdruck bringt. Schließlich finden wir noch zwanzig Jahre nach der „Vorläufigen Mitteilung" in der bereits erwähnten Schrift über „Das Interesse an der Psychoanalyse" dieselben Charakterisierungen hysterischer Anfälle und Symptome; sie sind mimische oder halluzinatorische Daxstellungen unbewußter Phantasien:
Träume
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Die Psychoanalyse hat dargetan, daß sie [die hysterischen Anfälle] mimische Darstellungen von erlebten und gedichteten Szenen sind, welche die Phantasie der Kranken beschäftigen, ohne ihnen bewußt zu werden . . . Aber auch alle anderen sogenannten Dauersymptome der hysterischen Kranken . . . sind durchwegs mimische oder halluzinatorische Darstellungen von Phantasien, welche deren Gefühlsleben unbewußt beherrschen [G.W. 1913, 8: 399].
2.2
Träume
Während Freud bei Hysterien in der Regel von einer Umwandlung eines psychischen Inhalts in körperliche Phänomene - in Gebärden - spricht, faßt er Träume als „Verwandlungen" eines Gedankens oder Gedankengefuges in „sinnliche Bilder" auf, als eine „Ubersetzung" ins Sinnliche. In der „Traumdeutung" schreibt Freud, daß „ein Gedanke . . . im Traume objektiviert, als Szene dargestellt oder . . . erlebt" wird. „Dem Traume . . . eigentümlich ist . . . , daß der Vorstellungsinhalt nicht gedacht, sondern in sinnliche Bilder verwandelt wird" [G.W. 1900, 2-3: 539 und 540]. In der „Selbstdarstellung" aus den zwanziger Jahren lesen wir, daß für Freud „der manifeste Traum nur eine entstellte, verkürzte und mißverstandene Übersetzung war, zumeist eine Ubersetzung in visuelle Bilder" [G.W. 1925, 14: 69]. Das Wort „Ubersetzung" zur Bezeichnung dessen, was die Traumarbeit bei der Umwandlung eines in Worte gefaßten Gedankens in visuelle Bilder leistet, 4 scheint auf den ersten Blick nichts als eine Metapher zu sein. Daß man mit dieser Einschätzung jedoch vorsichtig sein sollte, zeigen Freuds ausführliche Überlegungen zur Darstellung logischer Relationen im Traum, die er innerhalb des VI. Kapitels der „Traumdeutung" auf mehr als zwanzig Seiten ausbreitet. Ob uns diese Argumentationen plausibel erscheinen können, sei an dieser Stelle dahingestellt; erkennbar wird an ihnen auf jeden Fall, daß Freud den Terminus „Übersetzung" im wörtlichen Sinne gebraucht hat. Eine Auswahl von Textstellen aus dem Abschnitt über „Die Darstellungsmittel des Traumes" [G.W. 1900, 2-3: 315-344] soll dies belegen; sie zeigt, wie Freud durch den Vergleich von „Original" und „Übersetzung" [vgl. G.W. 1900, 2-3: 283] dazu verleitet wurde, eine zeichenweise Übersetzung der seiner Ansicht nach bereits vorliegenden Traumgedanken in visuelle Traumbilder anzunehmen. Freud beginnt seine Untersuchung mit der Frage: „Welche Darstellung erfahren im Traum das Wenn, weil, gleichwie, obgleich, entweder-oder und alle anderen Präpositionen 5 , ohne die wir Satz und Rede nicht verstehen 4
5
Auf diese. Prozesse, d . h . die Mechanismen der T r a u m a r b eit, gehe ich n o c h ausführlich, ein. Vgl. Abschnitt 3.4 „Die psychoanalytische Theorie der T r a u m a r b eit", S. 61-63. F r e u d meint hier eigentlich K o n j u n k t i o n e n bzw. Ausdrücke f ü r logische Relationen.
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Die „Sprache" der manifesten Phänomene
können?" [G.W. 1900,2-3: 317]. Zu welch-bisweilen bizarr anmutenden Ergebnissen Freud bei der konsequenten Bearbeitung seiner Frage kommt, mag das folgende Beispiel zeigen: Die Kausalbeziehungen darzustellen hat der T r a u m zwei Verfahren, die im Wesen auf dasselbe hinauslaufen. Die häufigere Darstellungsweise, wenn die T r a u m g e d a n k e n etwa lauten: Weil dies so und so war, mußte dies und jenes geschehen, besteht darin, den N e b e n s a t z als V o r t r a u m zu bringen und d a n n den H a u p t s a t z als H a u p t t r a u m anzufügen. Wenn ich recht gedeutet habe, kann die Zeitfolge auch die umgekehrte sein. S t e t s entspricht d e m H a u p t s a t z der breiter ausgeführte Teil des T r a u m e s [G.W. 1900, 2-3: 319-20],
Dagegen kann der Traum nach Freud die Alternation „Entweder-Oder" überhaupt nicht ausdrücken: „er pflegt die Glieder derselben wie gleichberechtigt in einen Zusammenhang aufzunehmen" [G.W. 1900, 2-3: 321]. Freud fahrt fort: „Wo aber der Erzähler bei der Reproduktion des Traumes ein Entweder-Oder gebrauchen möchte . . . , da kommt in den Traumgedanken nicht etwa eine Alternative, sondern ein ,und', eine einfache Anreihung, vor" [G.W. 1900, 2-3: 322], Gegensätze werden Freud zufolge im Traum in einem dargestellt oder zu einer Einheit zusammengezogen: „Höchst auffällig ist das Verhalten des Traumes gegen die Kategorie von Gegensatz und Widerspruch. Dieser wird schlechtweg vernachlässigt, das ,Nein' scheint für den Traum nicht zu existieren" [G.W. 1900, 2-3: 323]. Besonders dieses von Freud diagnostizierte Fehlen einer expliziten Negation läßt ihn die „Sprache des Traumes" mit archaischen Ausdruckssystemen vergleichen, die ähnliche Eigenschaften - nämlich den „Gegensinn der Urworte" - aufweisen. 6 So z. B . wird die Negation in der Sprache des T r a u m e s niemals besonders bezeichnet, G e g e n s ä t z e vertreten einander im T r a u m i n h a l t und werden durch dasselbe Element dargestellt. Oder, wie m a n auch s a g e n kann: in der T r a u m sprache sind die Begriffe noch ambivalent, vereinigen in sich entgegengesetzte Bedeutungen, wie es nach den A n n a h m e n der Sprachforscher bei den ältesten Wurzeln der historischen Sprachen der Fall gewesen ist [G.W. 1913, 8: 403-404],
Einzig die Darstellung der Relation der Ähnlichkeit gelingt der Traumarbeit in vollem Umfange; sie kann im Traum auf mannigfache Weise zum Ausdruck gebracht werden: Ähnlichkeit, Übereinstimmung, Gemeinsamkeit wird v o m T r a u m g a n z allgemein dargestellt durch Zusammenziehung zu einer Einheit, welche entweder im T r a u m m a t e r i a l bereits vorgefunden oder neu gebildet wird. Den ersten 6
Beispiele aus dem Lateinischen sind u. a. die Worte „sacer" („heilig" vs. „verflucht") und „altus" („hoch" vs. „tief").
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Träume
Fall kann m a n als Identifizierung, den zweiten als Mischbildung benennen. Die Identifizierung k o m m t zur Anwendung, wo es sich um Personen h a n d e l t ; die Mischbildung, wo Dinge d a s Material der Vereinigung sind, doch werden Mischbildungen auch von Personen hergestellt [G.W. 1900, 2-3: 325].
Die angeführten Beispiele dürften gezeigt haben, daß Freud den manifesten Trauminhalt tatsächlich und nicht bloß in einem metaphorischen Sinne als „Ubersetzung" eines Gedankens in die „Sprache des Traumes" charakterisiert hat. 7 Es scheint somit nahezuliegen, daß die bildhafte Übersetzung (der manifeste Trauminhalt) für Freud die gleiche Bedeutung bzw. den gleichen Inhalt hat wie der übersetite Text (die latenten Traumgedanken). Gleichwohl entgehen Freud nicht die deutlichen Unterschiede, die zwischen Träumen und selbst solchen alten Sprachen bestehen, die sich einer „Bilderschrift" bedienten; er ist sich der Beschränktheit seiner Analogie bewußt: Nun müssen wir freilich zugestehen, daß die Sachlage für d a s A u s d r u c k s s y s t e m des T r a u m e s weit ungünstiger liegt als für alle diese alten Sprachen und Schriften. Denn diese sind doch i m G r u n d e zur Mitteilung b e s t i m m t , d. h. darauf berechnet, auf welchen Wegen und mit welchen Hüfsmitteln i m m e r verstanden zu werden. G e r a d e dieser C h a r a k t e r geht aber d e m T r a u m e ab. Der T r a u m will n i e m a n d e m e t w a s sagen, er ist kein Vehikel der Mitteilung, er ist i m Gegenteile d a r a u f angelegt, unverstanden zu bleiben [G.W. 1916-17, 11: 238].
Auch an anderem Orte unterstreicht Freud, daß der Traum nicht zum Zwecke der Kommunikation geschaffen sei: „der Traum ist an sich keine soziale Äußerung, kein Mittel der Verständigung" [G.W. 1933, 15: 8]. Bereits in der „Traumdeutung" urteilt Freud, daß „die Darstellung der Traumarb e i t , die ja nicht
beabsichtigt,
verstanden
zu werden,
dem Ubersetzer keine
größeren Schwierigkeiten zumutet als etwa die alten Hieroglyphenschreiber ihren Lesern" [G.W. 1900, 2-3: 346-47]. Ob Freud diesen für den Traum aufgrund seiner Privatheit sicherlich unbestrittenen Charakter, daß er nämlich kein „Vehikel der Mitteilung" sei, auch auf andere Phänomene wie die Fehlleistungen und neurotischen Symptome ausgedehnt wissen wollte, geht aus seinen Schriften nicht hervor und muß daher offenbleiben. Es ist nicht zu entscheiden, ob lediglich der ausschließlich private Zugang oder das Nicht-intendiert-sein des Traumes Freud zu dieser Charakterisierung führten. Im ersten Falle wäre nichts für 7
Auf die weitergehende Frage nach den Gründen Freuds für diese Charakterisierung des manifesten IVauminhalts gehe ich in Kapitel 3 „Die Obersetzungshypothese" ein.
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Die „Sprache" der manifesten Phänomene
die anderen Phänomene vorweggenommen.8 Um zu einem abgerundeten Bild des Freudschen Standpunktes zu gelangen, ist darüber hinaus zu beachten, daß Freud die Prozesse, die nach seiner Ansicht zu den obenerwähnten Übersetzungen führen, also die Mechanismen der Traumarbeit, streng von solchen Vorgängen unterscheidet, die typisch für unser „waches Denken" sind. In seinem Aufsatz „Uber den Traum" schreibt Freud: Halten wir an der Begriffsbestimmung fest, daß Tbra um Arbeit die Überführung der Traumgedanken in den Trauminhalt bezeichnet, so müssen wir uns sagen, die Traumarbeit sei nicht schöpferisch, sie entwickle keine ihr eigentümliche Phantasie, sie urteilt nicht, schließt nicht, sie leistet überhaupt nichts anderes als das Material zu verdichten, verschieben und auf Anschaulichkeit umzuarbeiten . . . [G.W. 1901, 2-3: 680-681].
Ein Jahr zuvor hatte Freud in der „Traumdeutung" ganz ähnlich über die der Traumarbeit zugrunde liegenden Prozesse geurteilt: Hingegen ist jenes andere Stück Arbeit, welches die unbewußten Gedanken in den Trauminhalt verwandelt, dem Traumleben eigentümlich und für dasselbe charakteristisch. Diese eigentliche Traumarbeit entfernt sich nun von dem Vorbild des wachen Denkens viel weiter, als selbst die entschiedensten Verkleinerer der psychischen Leistung bei der Traumbildung gemeint haben. Sie ist nicht etwa nachlässiger, inkorrekter, vergeßlicher, unvollständiger als das wache Denken; sie ist etwas qualitativ völlig Verschiedenes und darum zunächst nicht mit ihm vergleichbar. Sie denkt, rechnet, urteilt überhaupt nicht, sondern sie beschränkt sich darauf umzuformen [G.W. 1900, 2-3: 511].
Freuds Urteil, daß manifeste (Traum-)Phänomene sinn- und bedeutungsvoll sind, bleibt jedoch nachweislich unbeeinflußt von seiner zuletzt erwähnten Uberzeugung, daß die Traumarbeit mit unserem wachen Denken nicht zu vergleichen sei und lediglich Umwandlungen vornehme bzw. Übersetzungen herstelle. Das mag nicht weiter verwundern, wenn wir Freuds „Übersetzungshypothese" im Auge behalten; schließlich bleibt auch ein maschinell in eine andere Sprache übersetzter Geschäftsbrief ein sinnvoller Text. 2.3
Zwangshandlungen
Wiis bisher sowohl für hysterische Symptome und Anfälle als auch für Träume gezeigt werden konnte, nämlich ihre Charakterisierung als „Sprachen", die unbewußte Inhalte zum Ausdruck bringen, läßt sich auch für - 8 G r ü n b a u m wertet in seiner Ricoeur-Kritik die oben zitierte Passage aus den „Vorlesungen" allerdings als einen Beleg dafür, daß der manifeste Trauminhalt prinzipiell nicht die Funktion eines linguistischen Zeichens erfülle [1984: 64; 1988: 115].
Zwangshandlungen
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Zwangshandlungen belegen. In seiner Schrift „Zwangshandlungen und Religionsübungen" betont Freud Ähnlichkeiten zwischen neurotischem Zeremoniell und religiösen Handlungen sowohl hinsichtlich der „Gewissensangst bei der Unterlassung" derselben als auch in „der Gewissenhaftigkeit der Ausführung" und in „der vollen Isolierung von allem anderen Tun (Verbot der Störung)" [G.W. 1907, 7: 131]. „Aber ebenso augenfällig" sind für ihn „die Unterscheidungen, von denen einige so grell sind, daß sie den Vergleich zu einem sakrilegischen werden lassen": Die größere individuelle Mannigfaltigkeit der Zeremoniellhandlungen im Gegensatze zur Stereotypie des Ritus . . . , der Privatcharakter derselben im Gegensatze zur Öffentlichkeit und Gemeinsamkeit der Religionsübung; vor allem aber der eine Unterschied, daß die kleinen Zutaten des religiösen Zeremoniells sinnvoll und symbolisch gemeint sind, während die des neurotischen läppisch und sinnlos erscheinen [G.W. 1907, 7: 131-132].
Halten wir vor allem die letzten beiden Charakterisierungen der Zwangshandlungen fest: (i) ihren privaten Charakter im Gegensatz zur Öffentlichkeit bzw. Gemeinsamkeit der Religionsrituale, und (ii) ihre scheinbare Sinnlosigkeit gegenüber den symbolisch gemeinten religiösen Zeremonien. Nach Freud nivelliert die psychoanalytische Untersuchungstechnik jedoch den wichtigsten Unterschied zu den Religions Übungen, indem sie die Zwangshandlungen ebenfalls als sinnvolle Erscheinungen erweise und unserem Verständnis nahebringe: Bei dieser Untersuchung wird der Anschein, als ob Zwangshandlungen läppisch und sinnlos wären, gründlich zerstört und die Begründung dieses Scheines aufgedeckt. Man erfährt, daß die Zwangshandlungen durchwegs und in all ihren Einzelheiten sinnvoll sind, im Dienste von bedeutsamen Interessen der Persönlichkeit stehen und fortwirkende Erlebnisse sowie affektbesetzte Gedanken derselben zum Ausdrucke bringen. Sie tun dies in zweierlei Art, entweder als direkte oder als symbolische Darstellungen; sie sind demnach entweder historisch oder symbolisch zu deuten [G.W. 1907, 7: 132],
Auch bei Zwangshandlungen finden wir demnach die uns bereits vertraute Formulierung Freuds, daß manifeste Phänomene Vorstellungen, Erlebnisse oder Gedanken zum Ausdruck bringen. 9 Aus der Tatsache, daß Zwangshandlungen im Gegensatz zu Religionsübungen weder öffentliche, d. h. konventionalisierte Rituale noch symbolisch gemeint sind, folgt für Freud also 9
Ähnlich wie bei den Hysterien geht a u c h bei den Zwangshandlungen die I n t e r p r e t a tion ü b e r die Sprache als „Brücke"; vor allem gilt dies f ü r symbolische Darstellungen, wie das folgende Beispiel Freuds zeigt: „Eine v o n ihrem M a n n e g e t r e n n t lebende F r a u folgte b e i m Essen d e m Zwange, das Beste stehen zu lassen, z . B . v o n einem gebratenen Fleisch n u r die R ä n d e r zu genießen. Dieser Verzicht erklärte sich d u r c h das D a t u m seiner E n t s t e h u n g . E r war a m Tage aufgetreten, n a c h d e m sie i h r e m M a n n e den ehelichen Verkehr gekündigt, d . h . aufs Beste verzichtet h a t t e " [G.W. 1907, 7: 133],
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Die „Sprache" der manifesten Phänomene
nicht, daß sie sinn- oder bedeutungslos sind. Wenn er sie nach Maßgabe der psychoanalytischen Methode sogar als sinnvolle Erscheinungen klassifizieren zu können glaubt, so ist daraus vielmehr zu schließen, daß die beiden obengenannten, den Zwangshandlungen fehlenden Eigenschaften für Freud keine relevanten Merkmale sinnvoller Phänomene sind. 2.4
Schizophrenie
Bevor wir unsere Freud-Darstellung mit einer Betrachtung der Fehlleistungen und Symptomhandlungen beenden, wollen wir noch eine sehr instruktive Ρ eissage aus Freuds Aufsatz „Das Unbewußte" zu Rate ziehen. Freud berichtet dort über einige Beobachtungen, die einer seiner Wiener Kollegen bei einer Patientin mit beginnender Schizophrenie einstellen konnte. Anhand dieses Abschnittes wird zum einen deutlich, wie Freud die Rede eines Kranken bei beginnender Schizophrenie verstanden wissen will; zum anderen ist diese Textpassage beispielhaft für Freuds Auffassung, daß derselbe Gedanke bei einer anderen Erkrankung - beispielsweise der Hysterie - einen anderen Ausdruck, nämlich in Form einer Gebärde, gefunden hätte. Das Unbewußte „spricht eben mehrere Dialekte". Eine der Kranken Tausks, ein Mädchen, das nach einem Zwist mit ihrem Geliebten auf die Klinik gebracht wurde, klagt: Die Augen sind nicht richtig, sie sind verdreht. Das erläutert sie selbst, indem sie in geordneter Sprache eine Reihe von Vorwürfen gegen den Geliebten vorbringt. „Sie kann ihn gar nicht verstehen, er sieht jedesmal anders aus, er ist ein Heuchler, ein Augenverdieher, er hat ihr die Augen verdreht, sie sieht die Welt jetzt mit anderen Augen." Die Äußerungen der Kranken zu ihrer unverständlichen Rede haben den Wert einer Analyse, d a sie deren Äquivalent in allgemeinverständlicher Ausdrucksweise enthalten; sie geben gleichzeitig Aufschluß über Bedeutung und Genese der schizophrenen Wortbildung. In Ubereinstimmung mit T a u s k hebe ich aus diesem Beispiel hervor, daß die Beziehung zum Organ (zum Auge) sich zur Vertretung des ganzen Inhaltes [ihrer Gedanken] aufgeworfen hat. Die schizophrene Rede hat hier einen hypochondrischen Zug, sie ist Organsprache geworden. Eine zweite Mitteilung derselben Kranken: Sie steht in der Kirche, plötzlich gibt es ihr einen Ruck, sie muß sich anders stellen, als stellte sie jemand, als würde sie gestellt. Dazu die Analyse durch eine neue Reihe von Vorwürfen gegen den Geliebten, „der ordinär ist, der sie, die vom Hause aus fein war, auch ordinär gemacht hat. Er hat sie sich ähnlich gemacht, indem er sie glauben machte, er sei ihr überlegen; nun sei sie so geworden, wie er ist, weil sie glaubte, sie werde besser sein, wenn sie ihm gleich werde. Er hat sich verstellt, sie ist jetzt so wie er (Identifizierung!), er hat sie verstellt."
Fehlleistungen u n d S y m p t o m h a n d l u n g e n
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Die Bewegung des ,Sich-anders-Stellen', bemerkt Tausk, ist eine Darstellung des Wortes .verstellen' und der Identifizierung mit dem Geliebten. Ich. hebe wiederum die Prävalenz jenes Elements des ganzen Gedankenganges hervor, welches eine körperliche Innervation (vielmehr deren Empfindung) zum Inhalt hat. Eine Hysterika hätte übrigens im ersten Falle krampfhaft die Augen verdreht, im zweiten den Ruck wirklich ausgeführt, anstatt den Impuls dazu oder die Sensation davon zu spüren, und in beiden Fällen hätte sie keinen bewußten Gedanken dabei gehabt und wäre auch nachträglich nicht imstande gewesen, solche zu äußern [G.W. 1915, 10: 296-97]. 10
2.5
Fehlleistungen und
Symptomhandlungen
Schließlich wollen wir sehen, wie Freud die Fehlleistungen und Symptomhandlungen eingeschätzt hat. In der 1901 erschienenen und schnell populär gewordenen Monographie „Zur Psychopathologie des Alltagslebens" berichtet Freud u . a . davon, daß er bei seinen Hausbesuchen des öfteren den Schlüssel der eigenen Wohnung aus der Tasche zog, statt zu läuten oder anzuklopfen. Bedachte er, bei welchen Patienten diese Fehlleistung häufiger vorkam, so bemerkte er, daß es nur bei Kranken geschah, die er sehr lieb gewonnen hatte; die Fehlhandlung bedeutete demnach eine „Huldigung für das Haus . . . Sie war äquivalent dem Gedanken: ,Hier bin ich wie zu Hause.'" Auch dieses Fehl verhalten wertete Freud als einen symbolischen Ausdruck eines Gedankens; er fahrt fort: Die Fehlhandlung war also eine symbolische Darstellung eines doch eigentlich nicht für ernsthafte, bewußte Annahme bestimmten Gedankens, denn in der Realität weiß der Nervenarzt genau, daß der Kranke ihm nur so lange anhänglich bleibt, als er noch Vorteil von ihm erwartet . . . [G.W. 1901, 4: 180].
Neben den Fehlleistungen untersuchte Freud in der genannten Schrift die sogenannten Zufallshandlungen. „Man führt sie aus, ohne sich etwas bei ihnen zu denken, nur rein zufällig . . . " [G.W. 1901, 4: 212]. Statt dem oberflächlichen Eindruck, den sie erwecken, zu folgen und diese Phänomene entsprechend „Zufallshandlungen" zu nennen, scheint Freud den Ausdruck „Symptomhandlung" für weitaus passender zu halten, denn „sie bringen etwas zum Ausdruck, was der Täter selbst nicht in ihnen vermutet und was er in der Regel nicht mitzuteilen, sondern für sich zu behalten beabsichtigt. Sie spielen also ganz so wie alle anderen bisher betrachteten Phänomene [damit sind die verschiedenen Fehlleistungen gemeint] die 10
Der Binschub in rechteckigen K l a m m e m wurde von den Herausgebern der Studiena u s g a b e hinzugefügt; vgl. S.A. III: 157.
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Die „ Sprache" der manifesten Phänomene
Rolle von Symptomen" [G.W. 1901, 4: 212-213]. Es ist daher nur konsequent, wenn Freud sich zur Analyse einer solchen Zufallsproduktion die Frage vorlegt: „Welchem unbewußten Gedanken sollte aber diese Zufallshandlung .. .Ausdruck geben?" [G.W. 1901, 4: 214]. An anderer Stelle fügt Freud eine Beobachtung eines Wiener Arztes ein, der ein „köstliches Beispiel (einer Symptomhandlung) ausbeutete": „der vordrängende Gedanke" kleidete sich in eine Symptomhandlung, „die symbolisch ausdrückt, weis hätte verborgen werden sollen" [G.W. 1901, 4: 224-225], 1 1 Die zitierten Textpassagen bestätigen für Fehlleistungen und Symptomhandlungen den zuvor an Träumen und neurotischen Symptomen gewonnenen Eindruck, daß Freud die manifesten Phänomene als symbolische Darstellungen von (unbewußten) Gedanken oder Vorstellungen angesehen hat. Andere Pcissagen belegen jedoch, daß Freud eine Reihe von Fehlleistungen und Symptomhandlungen auch als „kleine Anzeichen von wichtigeren seelischen Vorgängen" gedeutet hat [G.W. 1916-17, 11: 56]. Sie erlauben nach seiner Ansicht Rückschlüsse auf die Handlungstendenzen und Absichten dessen, der sie zeigt. In seiner „Selbstdarstellung" schreibt Freud im Rückblick auf die „Psychopathologie des Alltagslebens": Den Inhalt dieses vielgelesenen Werkes bildet der Nachweis, daß diese Phänomene nichts Zufälliges sind, daß sie über physiologische Erklärungen hinausgehen, sinnvoll und deutbar sind und zum Schluß auf zurückgehaltene oder verdrängte Regungen und Intentionen berechtigen [G.W. 1925, 14: 73].
Daraus können wir entnehmen, daß Freud einige der Fehl- und Symptomhandlungen bloß im Sinne natürlicher Zeichen für sinnvoll hielt und sie 11
Bei der besprochenen Symptomhandlung handelt es sich um das folgende Erlebnis Dr. Dattners: „Ich sitze mit meinem Kollegen von der Philosophie, Dr. H., im Restaurant beim Mittagessen. Er erzählt von den Unbilden der Probekandidatur, erwähnt nebenbei, dafi er vor der Beendigung seiner Studien beim Gesandten .. . von Chile als Sekretär untergekommen war. ,Dann wurde aber der Minister versetzt und dem neu antretenden habe ich mich nicht vorgestellt.' Und während er diesen letzten Satz ausspricht, führt er ein Stück Torte zum Munde, läfit es aber, wie aus Ungeschicklichkeit, vom Messer herabfallen. Ich erfasse sofort den geheimen Sinn dieser Symptomhandlung und werfe dem mit der Psychoanalyse nicht vertrauten Kollegen wie von ungefähr ein: ,Da haben sie aber einen fetten Bissen fallen lassen.' Er aber merkt nicht, dafi sich meine Worte ebensogut auf seine Symptomhandlung beziehen können, und wiederholt . . . gerade dieselben Worte . . . : ,Ja, das war wirklich ein fetter Bissen, den ich fallen gelassen habe' und erleichtert sich dann durch eine erschöpfende Darstellung seiner Ungeschicklichkeit, die ihn um diese gut bezahlte Stellung gebracht hat. - Der Sinn der symbolischen Symptomhandlung erleuchtet sich, wenn man ins Auge faßt, dafi der Kollege Skrupel empfand, mir, der ihm ziemlich ferne steht, von seiner prekären materiellen Situation zu erzählen " [G.W. 1901, 4: 224-225].
Fehlleistungen u n d S y m p t o m h a n d h m g c n
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nicht - wie die übrigen manifesten Phänomene — als symbolische Darstellungen einer Vorstellung oder eines Gedankengefüges ansah. In dieser Hinsicht ähneln sie denjenigen Körperzuständen und -Veränderungen, die unsere Gemütsbewegungen und Affekte regelmäßig begleiten und aus diesem Grund als verläßliche Zeichen derselben gelten. 12 In seinem Aufsatz „Psychische Behandlung" geht Freud im Rahmen einer Betrachtung der „Einwirkung des Seelischen auf den Körper" näher auf den (sogenannten) Ausdruck der Gemütsbewegungen ein: Fast alle seelischen Zustände eines Menschen äußern sich in den Spannungen und Erschlaffungen seiner Gesichtsmuskeln, in der Einstellung seiner Augen, der Blutfüllung seiner Haut, der Inanspruchnahme seines Stimmapparates und in den Haltungen seiner Glieder, vor allem der Hände. Diese begleitenden körperlichen Veränderungen bringen dem Betreffenden meist keinen Nutzen, sie sind im Gegenteil oft seinen Absichten im Wege, wenn er seine Seelenvorgänge vor Anderen verheimlichen will, aber sie dienen den Anderen als verläßliche Zeichen, aus denen man auf die seelischen Vorgänge schließen kann, und denen man mehr vertraut als den etwa gleichzeitigen absichtlichen Äußerungen in Worten [G.W. 1890, 5: 293-94; Hervorhebungen v. V.].
Freud charakterisiert also diejenigen Körperphänomene, die Gemütsbewegungen und Affekte zum Ausdruck bringen, als natürliche Anzeichen derselben. Doch zugleich sind sie - qua „Ausdruck seelischer Tätigkeit" - als Bestandteile einer „Sprache" aufzufassen. 13 Wenn aber die als Anzeichen charakterisierten Ausdrucksbewegungen aus dem scheinbar gleichen Grund wie die manifesten Phänomene als „Symbole" einer Sprache aufgefaßt werden können, was unterscheidet dann die Bedeutung, die den Träumen und neurotischen Symptomen zugeschrieben wird, von der Bedeutung, die den Ausdrucksphänomenen zukommt? Sind die manifesten Phänomene dann nicht doch bloß als Anzeichen anzusehen, so wie es Shope und Grünbaum behaupten? Die manifesten Phänomene sind nach Freud die Ergebnisse eines Ubersetzungsprozesses; sie repräsentieren in der außergewöhnlichen Ausdrucksweise eines Traumes oder neurotischen Symptoms psychische Inhalte (Gedanken, Vorstellungen), die gewöhnlich in Worten ihren Ausdruck finden. Dagegen läßt sich von den Ausdrucksbewegungen nicht sagen, daß sie die Ergebnisse eines Umwandlungsprozesses seien, der einen psychischen Zustand (z.B. eine Zorneserregung) in einen körperlichen (rotes Gesicht, geschwollene Adern) überführt. Vielmehr manifestiert sich die Gemütsbewegung in genau diesem, ihr entsprechenden somatischen Zustand. Die 12
13
I m folgenden bezeichne ich diese Körperveränderungen, die G e m ü t s b e w e g u n g e n anzeigen, als „Ausdrucksbewegungen". Vgl. dazu S. 27: „Unter Sprache m u ß hier . . . jede Art von Ausdruck seelischer Tätigkeit . . . v e r s t a n d e n werden" [G.W. 1913, 8: 403].
40
Die „Sprache" der manifesten Phänomene
Körperveränderungen sind ein verläßliches Zeichen, aber keine Darstellung der Gemütsbewegung und schon gar nicht die Darstellung eines Gedankens oder einer Vorstellung. 2.6
Resümee
Folgende Aspekte seien hervorgehoben: (1) Die manifesten Phänomene bringen nach Freuds Ansicht psychische Inhalte (Vorstellungen, Gedanken, erlebte oder phantasierte Szenen) zum Ausdruck. In der Art der Repräsentation bestehen Analogien zu archaischen Sprach- und Schriftsystemen; dies gilt besonders für die Darstellungsweise im Traum. (2) Festzuhalten sind aber auch Disanalogien zwischen den manifesten Phänomenen und den Symbolen einer Sprache bzw. den (verbalen oder schriftlichen) Sprachäußerungen: Die manifesten Phänomene haben keine konventionellen Bedeutungen; sie sind nicht zur Mitteilung bestimmt; derjenige, der sie zeigt, meint nichts mit ihnen. (3) Die unter (2) genannten Disanalogien führen Freud nicht dazu, die manifesten Phänomene generell als bloße Anzeichen aufzufassen; darunter fallen nur einige der Fehl- und Symptomhandlungen sowie die körperlichen Zustände und Veränderungen, die Gemütsbewegungen zum Ausdruck bringen. (4) Die unter (3) genannten und als Anzeichen eingestuften Phänomene unterscheiden sich von den (übrigen) manifesten Erscheinungen, die Freud als sprach-analoge Darstellungen auffaßt, dadurch, daß sie nicht einen psychischen Inhalt symbolisch darstellen, sondern psychische Zustände (auf natürliche und gesetzmäßige Weise) begleiten und deshalb als Anzeichen für diese Vorgänge dienen können. (5) Maßgeblich für die Einstufung der manifesten Phänomene als Repräsentationszeichen ist die Überzeugung Freuds, daß sie Umwandlungen (Übertragungen bzw. Übersetzungen) eines psychischen Inhalts aus der gewöhnlichen Ausdrucksweise in die der manifesten Phänomene seien. Etwas Vergleichbares läßt sich von den Ausdrucksbewegungen nicht sagen. Damit kann die erste Frage unserer Problemstellung - „Wie ist Freuds These zu verstehen, ein manifestes Phänomen habe Inhalt und Bedeutung?" 1 4 - wie folgt beantwortet werden: Die manifesten Phänomene 14
Vgl. S. 18; auf die zweite Präge gehe ich weiter unten ein, vgl. S. 105-108.
Resümee
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haben nach Freud Inhalt und Bedeutung, weil sie psychische Inhalte (Gedanken, Vorstellungen, Phantasien) repräsentieren; und zwar in einer Ausdrucksweise, die als das Ergebnis eines Umwandlungs- bzw. Ubersetzungsprozesses anzusehen ist, der dazu führt, daß die Inhalte in dieser Form und nicht in der für sie üblichen Darstellungsweise zum Ausdruck kommen. 15 Das heißt, in die Begründung der Bedeutungsthese fließt ganz wesentlich die Annahme ein, die manifesten Phänomene seien die Resultate eines Umwandlungsprozesses. Diese Annahme bezeichne ich im folgenden als Freuds „Ubersetzungshypothese"; mit ihr werden neue Fragen aufgeworfen: Was spricht für die Annahme Freuds, die manifesten Phänomene seien die Umwandlungen bzw. Ubersetzungen eines psychischen Inhaltes aus der üblichen Darstellungsweise in die der manifesten Phänomene? Wie hat man sich eine solche Übertragung vorzustellen? Welche Methoden erlauben eine „Rück-Übersetzung"? Weis spricht überhaupt für die Annahme „latenter Inhalte"? Zum Teil betreffen diese Fragen die psychoanalytische Theorie, zum Teil ihre Methode. Beiden haben wir im folgenden Kapitel nachzugehen, wenn die Plausibilität der „Ubersetzungshypothese" Gegenstand der Diskussion ist.
15
Ich beschränke mich hier und im folgenden auf die Phänomene, denen Freud sprachanaloge Bedeutung zuschreibt. Die als Anzeichen klassifizierten Fehlleistungen und Ausdrucksbewegungen bieten keinen Anlaß zu weiteren Untersuchungen.
3. Kapitel Die Ubersetzungshypothese
Wie wir sahen, gründet sich Freuds Charakterisierung der manifesten Phänomene als quasi-sprachliche und bedeutungsvolle Erscheinungen ganz wesentlich auf die Annahme, daß die manifesten Phänomene die Resultate eines Umwandlungsprozesses sind, der von bestimmten latenten Inhalten (Vorstellungen oder Gedanken) ausgeht; nämlich solchen, denen ein von Bewußtsein begleiteter Ausdruck verwehrt ist. Je nach Akzentuierung faßt Freud die manifesten Phänomene teils als Ersatz oder Entstellung, teils als Umwandlung oder gar Ubersetzung der latenten Inhalte auf. 1 An dieser Charakterisierung der Relation zwischen manifesten Phänomenen und latenten Inhalten wird darüber hinaus deutlich, daß Freud die latenten Inhalte als die zeitlich früher vorhandenen Erscheinungen ansieht: sie liegen bereits vor, werden nur aufgrund bestimmter psychischer Verhältnisse nicht bewußt und nach - noch näher zu bestimmenden - Mechanismen in die (chronologischspäteren) manifesten Phänomene „übersetzt". Eines der Ziele der psychoanalytischen Theorie ist es, diese Mechanismen der Umwandlung anzugeben und zu erläutern; am sorgfältigsten ausgeführt finden wir diese Aufgabe im Rahmen der Freudschen Traumlehre als die Theorie der Traumarbeit. Dagegen ist es eine Aufgabe der psychoanalytischen Methode, die angenommene „Umwandlung" rückgängig zu machen, soll heißen: ausgehend von den manifesten Phänomenen die latenten Inhalte zu (re-)konstruieren; diese Funktion erfüllt nach Freud die psychoanalytische Technik der freien Assoziation. Im Rahmen seiner Darstellung der Traumlehre in der „Neuen Folge der Vorlesungen" umreißt Freud prägnant die soeben erwähnten Aufgaben der Psychoanalyse:
1
I n d e r Regel u n t e r s c h e i d e t F r e u d die p s y c h i s c h e n I n h a l t e ( z . B . l a t e n t e G e d a n k e n ) v o n i h r e m (üblichen) Ausdruck in Worten. Wenn er — a b k ü r z e n d - davon spricht, d a ß d e r l a t e n t e I n h a l t b z w . G e d a n k e i n die m a n i f e s t e n P h ä n o m e n e „ ü b e r s e t z t " wird, so ist d a m i t g e m e i n t , dafi dieser I n h a l t s t a t t i n s e i n e r ü b l i c h e n ( v e r b a l e n ) F o r m i n d e r D a r s t e l l u n g s w e i s e der m a n i f e s t e n P h ä n o m e n e z u m A u s d r u c k g e l a n g t .
Die Übersetzungshypothese
43
Wir heißen, weis man den Traum genannt hat, den Traumtext oder den manifesten Traum, und das, was wir suchen, sozusagen hinter dem Traum vermuten, die latenten Traumgedanken. Dann können wir unsere beiden Aufgaben in folgender Art aussprechen: Wir haben den manifesten in den latenten Traum umzuwandeln und anzugeben, wie im Seelenleben des Träumers der letztere zum ersten geworden ist. Das erste Stück ist eine praktische Aufgabe, es fällt der Traumdeutung zu, braucht eine Technik; das zweite eine theoretische, es soll den angenommenen Prozeß der Traumarbeit erklären und kann nur eine Theorie sein. Beide, Technik der Traumdeutung und Theorie der Traumarbeit, sind neu zu schaffen [G.W. 1933, 15: 9]. Fassen wir die zentralen Punkte zusammen, die sich aus Freuds Konzeption der Traumlehre gewinnen lassen und die zugleich für die gesamte Psychoanalyse maßgebend sind: (1) Die manifesten Phänomene sind die Resultate eines Umwandlungsbzw. Ubersetzungsprozesses, der von (verdrängten) Vorstellungs- oder Gedankengefügen, nämlich den latenten Inhalten, ausgeht. (2) Ausgehend von den manifesten Phänomenen ermöglicht die psychoanalytische Methode eine (Re-)Konstruktion der latenten Inhalte. (3) Die psychoanalytische Theorie vermag zu erklären, auf welchem Wege aus den latenten Inhalten die manifesten Phänomene entstehen. Die zentrale These, die es zu überprüfen gilt, ist gewiß These (1). Ließe sie sich bestätigen, so wäre es gelungen, Freuds Behauptung, die manifesten Phänomene seien sinn- und bedeutungsvolle Erscheinungen, in plausibler Weise zu stützen; denn die manifesten Phänomene erwiesen sich nach dieser Auffassung als im wesentlichen nichts anderes denn als Umwandlungen bzw. Übersetzungen eines bereits vorhandenen (sinnvollen) Gedanken(-gefiige)s. Nach Freuds Ansicht handelt es sich bei dieser These im übrigen nicht um eine bloß auf theoretischen Erwägungen basierende, sondern um eine durch die therapeutische Praxis bestätigte Uberzeugung: Diese Träume [von Erwachsenen] haben eine Entstellung erfahren; der psychische Vorgang, der ihnen zugrunde liegt, hätte ursprünglich ganz anderen Ausdruck in Worten finden sollen. Sie müssen den manifesten Tiauminhalt, wie sie ihn am Morgen verschwommen erinnern und mühselig, anscheinend willkürlich in Worte kleiden, unterscheiden von den latenten Traumgedanken, die Sie im Unbewußten als vorhanden anzunehmen haben . . . Daß es latente Traumgedanken gibt, und daß zwischen ihnen und dem manifesten Trauminhalt wirklich die eben beschriebene Relation [der Entstellung bzw. Umwandlung] besteht, davon überzeugen Sie sich bei der Analyse der Träume, deren Technik mit der psychoanalytischen zusammenfallt [G.W. 1910, 8: 34].
44
Die Übersetzungshypothese
Aus dem zweiten Abschnitt des Zitats ist zu entnehmen, daß Freud sowohl die in These (1) behauptete Relation der Umwandlung bzw. Übersetzung zwischen latenten Inhalten und manifesten Phänomenen als auch den Existenznachweis für latente Inhalte überhaupt bereits durch die Resultate der psychoanalytischen Methode für gesichert hielt. Wollen wir nun wie vorgesehen Freuds Argumente für These (1) rekonstruieren, so haben wir zunächst unser Augenmerk auf die Methode der freien Assoziation zu richten. Die von Freud vorausgesetzte Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit dieser Technik in bezug auf die Rekonstruktion latenter Inhalte wurde oben als These (2) formuliert. Streng genommen greift Freuds Versuch, zur Begründung von These (1) allein auf die Ergebnisse der psychoanalytischen Methode zu verweisen, jedoch zu kurz. Die unmittelbaren Ergebnisse nämlich, die Freud mithilfe der Methode der freien Assoziation erzielen konnte - eine umfangreiche „Materialsammlung" weitverzweigter und zum Teil inhaltlich vernetzter Assoziationen, die sich zu den jeweiligen Ausgangsvorstellungen einstellen - , gestatten keineswegs, auf die tatsächliche Existenz latenter Inhalte bzw. auf die angenommene „Umwandlungsrelation" zwischen latenten Inhalten und manifesten Phänomenen zu schließen. Aus diesen Ergebnissen folgt lediglich, daß sich zu bestimmten Ausgangsvorstellungen (Symptomen, Traumelementen) vernetzte Vorstellungs- und Gedankengefuge (sogenannte Komplexe) auf assoziativem Wege gewinnen lassen. Das aber bedeutet, daß aus diesen Ergebnissen allein keine Begründung für These (1) abgeleitet werden kann. Wenn Freud dennoch der festen Uberzeugung war, er könne „gleichsam aus den Erzen der unbeabsichtigten Einfälle den Metallgehalt an verdrängten Gedanken" gewinnen [vgl. G.W. 1904, 5: 7], so liegt dies in hohem Maße an theoretischen Einsichten, die er durch die zu Beginn seiner therapeutischen Tätigkeit verwendeten Verfahren - der Hypnose und der Suggestion - glaubte gewonnen und bestätigt zu haben und nunmehr stillschweigend voraussetzte. Die Ergebnisse, die er mit diesen Techniken erlangt hatte, bestimmten darüber hinaus maßgeblich die Erwartungen und Ziele, die Freud anfangs mit der Methode der freien Assoziation verband: das Ziel, die Symptome und Anfälle (der Reihe nach) in ihrer „Bedeutung" aufklären und verstehen zu können, sowie die Erwartung, dieses Ziel mit der veränderten Technik (der freien Assoziation) ebenso erreichen zu können wie zuvor mit dem hypnotischen bzw. suggestiven Verfahren. Dieser Erwartungshaltung lag die bereits erwähnte Überzeugung zugrunde, es gebe gewisse (unbewußte) pathogene Vorstellungsgruppen, die mithilfe geeigneter Techniken dem Bewußtsein wieder zugänglich gemacht werden könnten. Erst wenn man nämlich bereits davon überzeugt ist, daß es
Die Übersetzungshypothese
45
verborgene Vorstellungs- und Gedankenkomplexe gibt, die m a n dem Bewußtsein wieder zuführen kann, und wenn man zusätzlich davon überzeugt ist, daß die mitgeteilten Assoziationen mit diesen verborgenen Komplexen in Verbindung stehen, in Freuds Worten: „ A b k ö m m l i n g e " derselben sind, scheint es plausibel, das umfangreiche Material auf diese Inhalte hin zu deuten. Die systematische Untersuchung zur Begründung von These (1), die lediglich zu einer Betrachtung der psychoanalytischen Methode, ihrer Resultate und der Schlüsse, die Freud aus diesen zog, zu führen schien, ist demnach erst dann zum Abschluß gebracht, wenn die theoretischen Einsichten, die Freud aus seinen früheren Methoden zog und weiterhin voraussetzte, berücksichtigt werden. Ich beginne meine Darstellung der psychoanalytischen Methode deshalb bei der prä-psychoanalytischen Technik der Hypnose und verfolge deren Modifikation über die Suggestion bis hin zum eigentlich psychoanalytischen Verfahren der freien Assoziation. 2 In bezug auf eine Begründung der These (1) spielt die psychoanalytische Theorie im Vergleich zur Methode nur eine untergeordnete Rolle; sie trägt lediglich dazu bei zu erklären, wie die manifesten Phänomene durch bestimmte Mechanismen aus den latenten Inhalten hervorgehen können, nicht jedoch dazu, zu zeigen, daß sie aus ihnen hervorgehen. Insofern ist die Theorie der Traumarbeit der These (1) logisch nach- und nicht vorgeordnet. Erst wenn man die - anderweitig zu bestätigende - Überzeugung gewonnen hat, die manifesten Phänomene seien Umwandlungen eines bereits bestehenden Vorstellungs- bzw. Gedankengefüges, erwächst die Aufgabe, theoretisch zu erklären, wie eine solche Umwandlung vor sich gehen kann. These (1) wird daher nicht durch die psychoanalytische Theorie (der Traumarbeit) begründet, sondern erfordert sie. 3 Auf Freuds Theorie der Umwandlung eines latenten Inhaltes in manifeste Phänomene gehe ich aus diesem Grund erst nach der Darstellung der Methoden ein.
2
3
Die Techniken der Hypnose und der Suggestion betrachte ich hier nur unter dem Aspekt der aufdeckenden Verfahren, d a sie nur insofern als Vorläufer der psychoanalytischen Methode von Relevanz sind. In Freuds Schriften finden sich unter dem Etikett der „Hypnose" bzw. „Suggestion" bisweilen auch zudeckende Methoden, bei denen es nicht u m die Aufklärung der Bedeutung eines Symptoms geht, sondern u m die auf rein suggestivem Wege zu erzielende Beseitigung desselben; diese Verwendungsweise der beiden Techniken ist für unsere Fragestellung jedoch ohne größeren Belang. Selbstverständlich gehen, wie ich oben zeigte, auch theoretische Uberzeugungen in die Begründung von These ( l ) ein; diese sind jedoch nicht im engeren Sinne Freuds Theorie der Traumarbeit zuzuschreiben.
46
Die Übersetzungshypothese
3.1
Die hypnotische
Methode
Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts war die Anwendung der hypnotischen Technik zur Heilung neurotischer Erkrankungen zwar alles andere als unumstritten, aber sie war en vogue. Die Ergebnisse und Resultate, die mit ihrer Hilfe erzielt wurden, übten auch auf Freuds Denken einen nachhaltigen Einfluß aus; besonders die Untersuchungen Bernheims und Liebeaults scheinen ihn sehr beeindruckt zu haben. 4 Die Experimente Bernheims überzeugten Freud von der Möglichkeit seelischer Vorgänge, „die . . . dem Bewußtsein des Menschen verhüllt bleiben" [G.W. 1925, 14: 41]. Bernheim hatte das Vorliegen solcher Prozesse an einigen seiner Patienten nachgewiesen, indem er sie in einen somnambulen Zustand versetzte und in diesem Zustand alles mögliche halluzinatorisch erleben ließ. Nach dem Aufwecken ließ sich Bernheim von ihnen berichten, was sie während der Hypnose erlebt hätten. In der Regel behaupteten die Versuchspersonen, sich an nichts erinnern zu können. Bernheim bestand jedoch darauf, daß sie genau wüßten, was vorgefallen sei. Unter seinen wiederholten suggestiven Aufforderungen, sich zu erinnern, konnten die Patienten schließlich detailliert über ihre Erlebnisse während der Hypnose Auskunft geben [vgl. G.W. 1916-17, 11: 100-101 sowie 1925, 14: 52-53]. Aus diesen Ergebnissen zog Freud den Schluß, daß es prinzipiell auch in anderen Situationen möglich sein müsse, scheinbar nicht vorhandenes Wissen über psychische Vorgänge und Inhalte aufzudecken. In seinen „Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse" dienen Freud die Resultate der Hypnoseforschung als Beleg dafür, daß es auch im Falle des Traumes „seelische Dinge im Menschen gibt", die der Träumende wisse, „ohne zu wissen, daß er sie weiß" [G.W. 1916-17, 11: 99].B Der hypnotischen Methode hatte sich Freud vor allem dann bedient, wenn er die auslösenden Momente der neurotischen Erkrankungen seiner Patienten herausfinden wollte. Konnte im normalen Bewußtseinszustand ein solcher Anlaß nicht erinnert werden, im Zustand der Hypnose trat nach Freuds Ansicht zutage, wann die Symptome und Anfälle eines Patienten zum ersten Mal aufgetreten und welches die auslösenden traumatischen 4
5
F r e u d verbrachte i m Sommer 1889 einige Wochen bei B e i n h e i m u n d Liebeault in Nancy, u m seine Hypnose-Technik zu verbessern. Außerdem ü b e r s e t z t e er zwei Abh a n d l u n g e n Bentheims ü b e r Suggestion u n d Hypnotismus ins D e u t s c h e [1888-89 u n d 1892]. M a n vgl. dazu den 1987 erschienenen N a c h t r a g s b a n d zu den „Gesammelten Werken" Freuds, besonders Teil II: „Schriften ü b e r Hypnotismus u n d Suggestion" [1987: 93-178], Auf diese Passage komme ich ausführlicher bei der Diskussion der Position Rubinsteins zu sprechen; vgl. Anm. 27, S. 140. Siehe d a z u a u c h meinen Aufsatz „Wissen, G l a u b e n , Nicht-Wissen. Freuds Puzzle f ü r die epistemische Logik" [1989].
Die hypnotische Methode
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Erlebnisse dafür gewesen waren. Leitete Freud während eines hysterischen Anfalles eine hypnotische Behandlung ein, so erinnerten die Patienten in der Regel Ereignisse, die thematisch mit ihren sonderbaren und ungewollten Verhaltensweisen zusammenzuhängen schienen. Nach Freuds Auffassung zeigte die hypnotische Methode damit auf, daß inhaltliche Beziehungen zwischen den auf den ersten Blick unverständlichen neurotischen Symptomen und früheren, traumatisch wirkenden Erlebnissen bestehen. 6 6
Adolf Griinbaum meldet in seinen „Foundations of Psychoanalysis" jedoch starke Zweifel ein der Zuverlässigkeit der Ergebnisse an, die Freud mit der hypnotischen Methode erzielen zu können glaubte. Er stützt sich dabei vor allem auf experimentelle Studien von Dywan und Bowers („The Use of Hypnosis to Enhance Recall", 1983), aus denen sich entnehmen lasse, daß die durch Hypnosetechniken abnorm gesteigerten Gedächtnisleistungen (Hypermnesien) weniger glaubwürdig seien als normale Erinnerungen. „Wenn in hohem Mafle hypnotisierbare Personen sich unter Hypnose an doppelt so viele neue Versuchsreize erinnern konnten wie die Kontrollpersonen, führten sie dreimal so viel neue Fehler ein, obwohl sie der festen Uberzeugung waren, ihre neuen Erinnerungen seien zuverlässig! Die hypnotische Erinnerung ist also in geringerem Mafle zuverlässig als normales Zurückrufen vor der Hypnose. E s hat den Anschein, daß der Hypnotisierte dadurch, daß er stärker beeinflußbar wird, einige seiner eigenen Ansichten u n d / o der Ansichtendes Hypnotiseurs in Pseudo- Erinnerungen überträgt" [1984: 132; 1988: 222]. Wären Grünbaums Einwände stichhaltig, so wäre Freuds wichtigster Beleg für die These, es gebe latente psychische Inhalte, die unbewußt wirksam seien, zweifellos in Frage gestellt. Denn von nachweislich falschen, also nur vermeintlichen Erinnerungen kann wohl k a u m behauptet werden, sie seien latente psychische Inhalte, zumal wenn stattdessen angenommen wird, der Therapeut habe diese vermeintlichen Erinnerungen suggeriert. Mir scheint jedoch, daß die von Grünbaum stillschweigend vorausgesetzte Ubertragbarkeit der Resultate der DywanBowers-Studie auf Freuds Forschungsergebnisse (zum Zwecke einer Beurteilung eben dieser) bei weitem weniger gesichert ist als die von FVeud erzielten Resultate selbst. — In der heutigen Psychologie gilt als gesichert, daß die Erinnerungsfähigkeit bzw. die Zuverlässigkeit einer Erinnerung stark davon abhängt, ob sich a n den zu erinnernden „ G e g e n s t a n d " Affekte knüpfen. Die von Dywan und Bowers zur Erinnerung vorgesehenen Diapositive („All subjects were presented with a series of 60 slides of simple black-and-white line drawings of common objects", 1983: 184) dürften jedoch nur eine sehr geringe emotionale Beteiligung der Versuchspersonen induziert haben. Dagegen sind die von Freuds Patienten unter Hypnose erinnerten Ereignisse hochgradig emotional besetzt: es handelt sich u m traumatische Erlebnisse, nicht u m belanglose Bilder von Alltagsobjekten! Femer unterscheidet m a n in der Gedächtnisforschung ausdrücklich zwischen dem Erinnern von Wortbedeutungen, dem Behalten und Automatisieren von Handlungssequenzen, dem Wiedererkennen von Bildern und Gegenständen sowie dem Erinnern von Situationen und Ereignissen. Auch im Hinblick auf diese Unterscheidungen ist fraglich, ob die Dywan-Bowers-Studie bezüglich der Psychoanalyse einschlägige Resultate vorlegen kann; in dem ihr zugrundeliegenden Experiment sind lediglich Zeichnungen von alltäglichen Objekten zu erinnern, dagegen beziehen sich die Erinnerungen der Patienten Freuds auf Ereignisse und Situationen, in denen sie zum Teil handelnd involviert waren. Folglich überträgt Grünbaum die Ergebnisse von Dywan und Bowers, die für sich betrachtet gut gesichert sind, zu unbeschwert auf andere Bereiche der Wissenschaft; sie h a b e n für Freuds Hypnose-Therapie keine Relevanz.
Die Übersetzungshypothese
48
Die Symptome verschwanden häufig, wenn auf diese Weise ein Zusammenhang zwischen manifesten Symptomen und latenten psychischen Inhalten, d.h. Erinnerungen an traumatisch erlebte Situationen, hergestellt war. Für Freud war das ein Indiz dafür, daß der therapeutische Erfolg auf der Herstellung eines solchen thematischen Zusammenhangs und der damit ermöglichten Einsicht des Patienten in die Entstehungsgeschichte seiner Erkrankung beruht. Darüber hinaus wertete Freud das Verschwinden der Symptome als eine Bestätigung dafür, daß die geschilderten Erlebnisse die tatsächlichen Auslöser bzw. Auslösefaktoren der neurotischen Verhaltensweisen gewesen sind. 7 Dieser frühe Zustand der (prä-psychoanalytischen) Theorie und Therapie ist in der folgenden Abbildung dargestellt: (I)
Hysterischer Allfall bzw. hysterisches Symptom
Hypnotische Methode
(II) Erinnerung einer traumatischen Situation, die in inhaltlichem Zusammenhang mit dem Anfall oder dem Symptom steht (entspricht dem späteren „latenten Inhalt")
Die hypnotische Methode führt somit, wenn wir Freud folgen, von 7
Gegen diese Annahme Freuds gibt Grünbaum zu bedenken, daß der therapeutische Erfolg allein nicht die Plausibilität bzw. Korrektheit der zugrundeliegenden (klinischen) Theorie garantiere, zumal wenn die bereits von Freud (und Breuer) als Herausforderung empfundene „Hypothese vom Placebo-Effekt" [vgl. G.W. 1893, 1: 86 und 1916-17, 11: 464-472, besonders 470] keineswegs als widerlegt angesehen werden könne. Diesem für sich betrachtet sehr interessanten Diskussionspunkt hinsichtlich der Stichhaltigkeit psychoanalytischer Thesen will ich mich im Rahmen dieser Arbeit allerdings nicht eingehender zuwenden. Der interessierte Leser sei auf Grünbaums Erörterungen der „Hypothese vom Placebo-Effekt" [1980: 325-343, 1981: 157-167 und 1984: 178-184] sowie auf seine Rekonstruktion des von ihm sogenannten „Tally Arguments" [vgl. 1984: 139-143; 1988: 231-239] verwiesen. Dieses Argument bezieht sich auf Freuds Diktum, die Lösung der Konflikte eines Patienten gelinge nur dann, „wenn man ihm solche Erwartungsvorstellungen gegeben hat, die mit der Wirklichkeit übereinstimmen" [G.W. 1916-17,11: 470; Hervorhebungd. V.]. Darüberhinaus sind für diese Diskussion die Einwände und Erwiderungen einschlägig, die in „Behavioral and Brain Sciences" veröffentlicht wurden [vgl. 1986: 217-228, 230-231 und 270-275].
Modiiikationen der hypnotischen Methode
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den manifesten Phänomenen (I), d.h. den hysterischen Symptomen und Anfällen, zu den latenten Inhalten (II), das sind hier Erinnerungen an traumatische Erlebnisse. Nach Maßgabe der Theorie sind es genau diese verdrängten, erst unter Hypnose bewußtseinsfähigen Gedächtnisinhalte, die im Alltagsleben als nicht-bewußte Erinnerungsspuren wirksam sind und zu neurotischen Symptomen führen. Ihre Erinnerung während der Hypnosebehandlung führe jedoch zu einer „Katharsis", die die Symptome zum Verschwinden bringe.
3.2
Modifikationen der hypnotischen
Methode
Bei seinem Versuch, die hypnotische Methode in größerem Umfang therapeutisch wirkungsvoll einzusetzen, ergaben sich wiederholt Schwierigkeiten, die Freud schließlich bewogen, die Hypnosetechnik ganz aufzugeben. 8 Er sah sich vor die Aufgabe gestellt, eine Methode zu verwenden, die nicht nur die aufgetretenen Schwierigkeiten der Hypnosebehandlung vermied, sondern gleichzeitig die bewährten Ergebnisse derselben - nämlich das Auffinden pathogener Erinnerungen - weiterhin garantierte. Als besonders geeignet für diesen Zweck erschien Freud die suggestive Technik, mit der es Bernheim bekanntlich auch ohne Hypnose gelungen war, scheinbar Vergessenes bei seinen Patienten wieder in Erinnerung zu bringen. Freud berichtet in seiner „Selbstdarstellung" wie folgt über diesen Wandel in der Methode: Meine Patienten mußten ja auch all das wissen, was ihnen sonst erst die Hypnose zugänglich machte, und mein Versichern und Antreiben, etwa unterstützt durch Handauflegen, sollte die Macht haben, die vergessenen Tatsachen und Zusammenhänge ins Bewußtsein zu drängen. Das schien freilich mühseliger zu sein als die Versetzung in die Hypnose, aber es war vielleicht sehr lehrreich. Ich gab also die Hypnose auf . . . [G.W. 1925, 14: 53]. Aber auch in systematischer Hinsicht ist die Methode des „suggestiven Drängens" von einigem Interesse. Allgemein wird sie als das Bindeglied zwischen der hypnotischen Methode und der eigentlich psychoanalytischen 8
Freud selbst nennt mehrere Gründe für die Aufgabe der hypnotischen Methode: Zum einen lasse sie sich nicht bei allen als hysterisch erkrankt diagnostizierten P a t i e n t e n anwenden bzw. therapeutisch sinnvoll einsetzen; zum anderen seien die mit Hilfe der Hypnose erzielten Heilerfolge sehr stark von der Qualität der Arzt-PatientenBeziehung abhängig; verschlechtere sich diese, so komme es nicht selten zu einem erneuten Auftreten der Symptome. Darüber hinaus sei prinzipiell zu beachten, daß m a n die Patienten durch eine zu häufige Wiederholung der Hypnose nicht u m ihre Selbständigkeit bringe [vgl. G . W . 1895, 1: 267-273; 1916-17, 11: 467-468 und 1925, 14: 51-53].
50
Die ÜbersetBungshypothese
Technik der freien Assoziation angesehen [vgl. Jones 1962, Bd. 1: 287-290 und Sulloway 1982: 117-121]. Während die Suggestionstherapie der hypnotischen Methode noch darin folgt, daß sie wie diese die Entstehungsgeschichte eines einzelnen Symptoms zu rekonstruieren versucht und deshalb die methodisch unterstützten Erinnerungsprozesse an den manifesten Phänomenen anknüpfen läßt, ähnelt die Form des zutage getretenen „pathogenen Materials" bereits eher den lose aneinandergereihten Einfällen, wie sie später das freie Assozneren bereitstellen sollte. Im Rahmen unserer Fragestellung ist bedeutsam, daß Freud in den theoretischen Überlegungen zu den Ergebnissen, die er mithilfe der Methode des Drängens erzielte, weit deutlicher als in den Hypnose-Studien zu erkennen gibt, daß er implizit bereits über den Begriff des „latenten Inhalts" verfügte. In seinem Beitrag „Zur Psychotherapie der Hysterie", der in den „Studien über Hysterie" enthalten ist, berichtet Freud über erste positive Erfahrungen bei der Anwendung der Methode des Drängens und Konzentrierens: Nun wurde ich noch dringender, hieß die Kranken sich niederlegen und die Augen willkürlich schließen, um sich zu .konzentrieren', was wenigstens eine gewisse Ähnlichkeit mit der Hypnose ergab, und machte da die Erfahrung, daß ohne alle Hypnose neue und weiter zurückreichende Erinnerungen auftauchten, die wahrscheinlich zu unserem Thema gehörten. Durch solche Erfahrungen gewann ich den Eindruck, es würde in der Tat möglich sein, die doch sicherlich vorhandenen pathogenen Voistellungsreihen durch bloßes Drängen zum Vorschein zu bringen . . . [G.W. 1895, 1: 268; Hervorhebung v.V.].
Freuds Äußerung ist zu entnehmen, daß er - vermutlich aufgrund seiner Erfahrungen mit der hypnotischen Methode - von der Existenz pathogener Vorstellungsreihen bereits überzeugt war. Die Ergebnisse der modifizierten Behandlungstechnik scheinen ihn in seiner Überzeugung nur bestärkt zu haben; ja, sie führten ihn darüber hinaus zu weiteren und detaillierteren Beobachtungen und Überlegungen. Die Lehre aber, die ich daraus ziehe, daß sich unter dem Drucke meiner Hand jedesmal das einstellt, was ich suche, die lautet: Die angeblich vergessene pathogene Vorstellung liege jedesmal in der Nähe bereit, sei durch leicht zugängliche Assoziationen erreichbar; es handle sich nur darum, irgendein Hindernis wegzuräumen [G.W. 1895, 1: 271].
Neben dem Begriff des latenten Inhaltes deuten sich in Freuds Aufsatz weitere theoretische Begriffe an, die erst in der „Traumdeutung" explizit eingeführt werden. So spricht Freud statt von „Zwischen"- oder „Hintergedanken" hier noch von „Mittelgliedern in der Assoziationskette", die zwischen der Ausgangsvorstellung und der gesuchten pathogenen den Weg wiesen.
Die Methode der freien Assoziation
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Bs ist nicht immer eine ,vergessene* Erinnerung, die unter dem Drucke der Hand auftaucht; in den seltensten Fällen liegen die eigentlich pathogenen Erinnerungen so oberflächlich auffindbar. Weit häufiger taucht eine Vorstellung auf, die ein Mittelglied zwischen der Ausgangsvorstellung und der gesuchten pathogenen in der Assoziationskette ist, oder eine Vorstellung, die den Ausgangspunkt einer neuen Reihe von Gedanken und Erinnerungen bildet, an deren Ende die pathogene Vorstellung steht. Der Druck hat dann zwar nicht die pathogene Vorstellung enthüllt . . . , aber er hat den Weg zu ihr gezeigt . . . Wo auf dem Wege zur pathogenen Vorstellung der Zusammenhang wieder abreißt, da bedarf es nur einer Wiederholung der Prozedur, des Druckes, um neue Orientierung und Anknüpfung zu schaffen [G.W. 1895, 1: 271-272], Freud berichtet weiter, daß sich neben den unterschiedlich stark präsent gebliebenen Erinnerungen an frühere Erlebnisse auch Gedanken einstellen - als „höchste Leistung der Reproduktion" - , „die der Kranke niemals als die seinigen anerkennen will, die er nicht erinnert, obwohl er zugesteht, daß sie von dem Zusammenhange unerbittlich gefordert werden" [G.W. 1895, 1: 272], Nach Freuds Ansicht sind es gerade diese Vorstellungen, die den Abschluß der Analyse und das Aufhören der S y m p t o m e herbeiführen. In einer anderen Arbeit aus jener Zeit - d e m von Freud selbst nicht veröffentlichten „Entwurf einer Psychologie" - finden wir das „theoretische Gegenstück" zu den in den „Studien über Hysterie" berichteten Resultaten der Methode des Drängens an einem etwas konstruiert wirkenden Beispiel vorgeführt. Vor der Analyse ist Α eine überstarke Vorstellung, die sich zu oft ins Bewußtsein drängt, jedesmal Weinen hervorruft. Das Individuum weiß nicht, warum es bei Α weint, findet es absurd, kann es aber nicht hindern. Nach der Analyse hat sich gefunden, daß es eine Vorstellung Β gibt, die mit Recht Weinen hervorruft, die mit Recht sich oft wiederholt, so lange nicht eine gewisse komplizierte psychische Leistung gegen sie vom Individuum vollbracht ist. Die Wirkung von Β ist nicht absurd, ist dem Individuum verständlich, kann selbst von ihm bekämpft werden. Β steht zu Α in einem bestimmten Verhältnis. Es hat nämlich ein Erlebnis gegeben, welches aus Β + Α bestand. A war ein Nebenumstand, Β war geeignet, jene bleibende Wirkung zu tun. Die Reproduktion dieses Ereignisses in der Erinnerung hat sich nun so gestaltet, als ob Α an die Stelle von Β getreten wäre. Α ist das Substitut, das Symbol für Β geworden. Daher die Inkongruenz, Α ist von Folgen begleitet, deren es nicht würdig scheint, die nicht zu ihm passen [G.W. 1895, NB: 440; auch 1950: 428-429], Auch hier seien die wichtigsten Komponenten dieser Methode (des Drängens und Konzentrierens) in einem Schema dargestellt:
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Die Übersetzungshypothese
(I)
„Ausgangsvorstellung": manifeste hysterische Phänomene
(II)
„Mittelglieder in der Assoziationskette": Erinnerungen an Erlebnisse, Vorstellungen oder Gedanken
(III)
„Pathogene Vorstellung" bzw. „Zielvorstellung": Gedanken, die nicht als Erinnerungen akzeptiert werden, sich vom 7iiBammwi]ijiTig des Materials aber aufdrängen
3.3
Suggestive Methode
Die Methode der freien Assoziation
Freud hatte, solange er sich zum Zwecke der Therapie des hypnotischen Verfahrens bediente, nur wenig über das „seelische Kräftespiel" bei seinen Patienten erfahren. Dagegen vermittelte ihm die Technik des suggestiven Drängens einen starken und unmittelbaren Eindruck von (unbewußt) gegeneinander wirkenden psychischen „Kräften". So schienen die Patienten dem therapeutisch geforderten Erinnern an traumatische Erlebnisse einen zum Teil erheblichen Widerstand entgegenzubringen, dem nur durch eine verstärkte Anstrengung des Arztes begegnet werden konnte [vgl. G.W. 1895, 1: 268-269, 280-283]. Der zu leistende (suggestive) Kraftaufwand,
Die M e t h o d e d e r freien A s s o z i a t i o n
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der für ein Vorantreiben des Erinnerungsprozesses erforderlich war, schien für Freud geradezu ein Maß für den „Widerstand" eines Patienten zu sein [vgl. G.W. 1925, 14: 54].9 Freuds eigenen Auskünften zufolge erwies sich die Suggestionsmethode auf die Dauer allerdings als zu anstrengend für den Patienten und den Therapeuten. Sie wurde . . . von einer anderen Methode abgelöst, welche in gewissem Sinne ihr Gegensatz war. Anstatt den Patienten anzutreiben, etwas zu einem bestimmten Thema zu sagen, forderte man ihn jetzt auf, sich der freien Assoziation zu überlassen, d. h. zu sagen, was immer ihm in den Sinn kam, wenn er sich jeder bewußten Zielvorstellung enthielt [G.W. 1925, 14: 65].
Dazu traf Freud mit seinen Patienten die folgende, als „technische Grundregel" bezeichnete Vereinbarung. Sie besagt, der Analysierte habe sich in die Lage eines „aufmerksamen und leidenschaftslosen Selbstbeobachters" zu versetzen und alles, weis er denke und empfinde, mitzuteilen. Dabei solle er nichts von dem, was ihm einfalle, auslassen, selbst wenn ihm dessen Mitteilung unangenehm sei, lächerlich oder nicht zur Sache gehörig erscheine [vgl. G.W. 1923, 13: 214-215]. Der damit geforderte Verzicht auf kontrolliertes selbstkritisches Nachdenken, die Preisgabe „jeder bewußten Zielvorstellung" bedeuteten nach Freuds Auffassung jedoch nicht, daß die Assoziationen völlig willkürlich und ohne jede Einschränkung erfolgen sollten. 10 In der Regel verlangte Freud nämlich das sogenannte „freie Assoziieren unter Festhaltung einer Ausgangsvorstellung", wobei stets eine „psychische Produktion" des Patienten selbst als Ausgangspunkt einer Assoziationsreihe diente, also ein Symptom, ein Traum oder eine Fehlleistung. 11 Die sich daraufhin einstellenden Assoziationen und Einfälle 12 waren nach Freuds 9
10
11
12
I n d e n „ S t u d i e n ü b e r H y s t e r i e " b e r i c h t e t F r e u d e r s t m a l s a u s f ü h r l i c h ü b e r die verschiedenen P h ä n o m e n e des W i d e r s t a n d e s v o n Seiten d e r K r a n k e n . — Später, i m Verlaufe der eigentlich p s y c h o a n a l y t i s c h e n B e h a n d l u n g , b e z e i c h n e t d e r T e r m i n u s „ W i d e r s t a n d " all j e n e s , „was i n d e n H a n d l u n g e n u n d W o r t e n des A n a l y s i e r t e n sich d e m Z u g a n g z u s e i n e m U n b e w u ß t e n entgegenstellt" [ L a p l a n c h e / P o n t a l i s 1972: 622; vgl. a u c h : 623-626]. U n t e r einer „Zielvorstellung" h a b e n wir in diesem Z u s a m m e n h a n g h a u p t s ä c h l i c h die m i t d e n f r ü h e r e n M e t h o d e n g e s u c h t e n p a t h o g e n e n V o r s t e l l u n g e n b z w . Vorstellungsgruppen zu verstehen. Prinzipiell k a n n als A u s g a n g s v o r s t e l l u n g a u c h - wie bei d e n A s s o z i a t i o n s e x p e r i m e n t e n v o n W u n d t b z w . v o n Bleuler u n d J u n g — ein ( v o m Versuchsleiter) willkürlich a u s g e w ä h l t e s Reizwort dienen. D a s freie Assoziieren i m R a h m e n d e r p s y c h o a n a l y t i s c h e n T h e r a p i e ist j e d o c h gerade d a d u r c h ausgezeichnet, d a ß es a n „psychische P r o d u k t i o n e n " des A n a l y s i e r t e n selbst a n k n ü p f t . Vgl. d a z u d e n 5. A b s c h n i t t i n diesem K a p i t e l , b e s o n d e r s S. 65. L a p l a n c h e u n d P o n t a l i s b e t o n e n ausdrücklich d e n U n t e r s c h i e d zwischen d e n T e r m i n i „Einfall" u n d „ A s s o z i a t i o n " i n F r e u d s S p r a c h g e b r a u c h : „ T a t s ä c h l i c h b e z i e h t sich d e r A u s d r u c k .Assoziation' auf E l e m e n t e , die in einer K e t t e z u s a m m e n g e f a ß t sind, i n d e r
Die Übersetzungshypothese
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U b e r z e u g u n g nicht beliebig, sondern durch die
Ausgangsvorstellung(en)
bestimmt.13 W i e wir d e n r ü c k b l i c k e n d e n B e t r a c h t u n g e n a u s F r e u d s A u f s a t z „ K u r zer A b r i ß der P s y c h o a n a l y s e " e n t n e h m e n k ö n n e n , hielt F r e u d die neue Technik der freien Assoziation d e m hypnotischen Verfahren für ebenbürtig, v o r a u s g e s e t z t m a n e r g ä n z t e d i e e r h a l t e n e n E i n f ä l l e u n d A s s o z i a t i o n e n in angemessener Weise durch D e u t u n g e n : 1 4 D u r c h die Verfolgung der freien A s s o z i a t i o n . . . erhielt m a n ein reiches M a t e rial von Einfallen, welches auf die S p u r des v o m K r a n k e n Vergessenen führen konnte. Dies M a t e r i a l b r a c h t e zwar nicht d a s Vergessene selbst, aber so deutliche u n d reichliche A n d e u t u n g e n desselben, daß der A r z t m i t gewissen E r g ä n z u n g e n und D e u t u n g e n d a s Vergessene d a r a u s erraten ( r e k o n s t r u i e r e n ) konnte. Freie A s s o z i a t i o n u n d D e u t u n g s k u n s t leisteten also n u n d a s Gleiche wie früher die Versetzung in H y p n o s e [ G . W . 1924, 13: 411]. D a s m e t h o d i s c h e V o r g e h e n in der p s y c h o a n a l y t i s c h e n T h e r a p i e
kann
s o m i t v o n d i e s e r E n t w i c k l u n g s s t u f e a n in z w e i P h a s e n - n ä m l i c h M a t e r i a l s a m m l u n g u n d D e u t u n g des Materials - eingeteilt werden, auch wenn w e d e r in p e r s o n a l e r n o c h in c h r o n o l o g i s c h e r H i n s i c h t e i n d e u t i g e Z u o r d n u n gen bezüglich dieser P h a s e n getroffen werden können.15
13
14
15
Die Zuverlässig-
Kette einer logischen Rede, oder in einer Kette sogenannter freier Assoziationen, die deshalb nicht weniger determiniert sind. Mit Einfall sind edle Gedanken gemeint, die dem Subjekt im Laufe der Sitzungen kommen, selbst wenn die assoziative Verbindung, die sie zusammenhält, nicht offenkundig ist, und selbst wenn sie sich subjektiv als nicht mit dem Kontext zusammengehörig darstellen" [1972: 173]. Freuds Theorie des psychischen Determinismus, auf die ich noch eingehe (S. 64), besagt im wesentlichen, daß neben den Ausgangsvorstellungen vor allem die durch diese angesprochenen verdrängten Vorstellungs- und Gedankengruppen (die sogenannten Komplexe) den Assoziationsverlauf bzw. die Einfälle determinieren. Statt von bewußten Zielvorstellungen wird der Assoziationsfluß von „unbewußten Zielvorstellungen" geleitet [vgl. G.W. 1900, 2-3: 533]. Wenn hier und im folgenden von „Deutungen" die Rede ist, so verstehe ich diesen Ausdruck in seinem ursprünglichen Sinn, d . h . als „Inhalts-Deutung". Das Problem der Deutung liegt dann hauptsächlich darin, das tiefere unbewußte Material durch die Analyse der bewußten Mitteilungen zu verstehen. Wer sich einen Uberblick über die heutige (keineswegs einheitliche) Verwendung dieses Begriffes verschaffen möchte, sei auf das Buch „Die Grundbegriffe der psychoanalytischen Therapie" von Sandler, Dare und Holder verwiesen. Die Autoren, die vier verschiedene Bedeutungen des Ausdrucks „Deuten" in der psychoanalytischen Literatur unterscheiden, betonen, daß die Deutungskanst, die der Analytiker beherrschen soll, heute nicht so sehr die Kunst sei, den unbewußten Sinn im Material des Patienten zu verstehen, sondern vielmehr die Kunst, „wirksame verbelle Interventionen einer besonderen Art zu vollziehen" [1973: 99; vgl. auch: 9&-110 zu „Deutungen, andere Interventionen und Einsicht"]. Laplanche und Pontalis bemerken hierzu, man könne im Ablauf der Behandlung nicht zwei aufeinanderfolgende Abschnitte - Angebot des Materials und Bearbeitung — unterscheiden. Was man feststelle, sei eine ständige Interaktion zwischen beiden.
Die Methode der freien Assoziation
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keit bzw. Plausibilität der beiden methodischen Schritte ist jedoch verschieden zu bewerten; wir haben also zumindest von einem theoretischen Gesichtspunkt aus die beiden Arbeitsgänge auseinanderzuhalten. Die beschriebenen Modifikationen der therapeutischen Methode, die von den rein suggestiven Techniken zur freien Assoziation geführt hatten, brachten weitere und zum Teil erhebliche Veränderungen mit sich. Während Freud früher die neurotischen Symptome der Reihe nach aufgeklärt hatte - sei es unter Hypnose oder durch „Drängen" - , so war dies beim freien Assoziieren kaum noch möglich. 16 Nur in den seltensten Fällen berichteten die Patienten zusammenhängend über die Entstehung und den Anlaß ihrer Symptome. In der Regel waren ihre Einfalle weder thematisch noch zeitlich geordnet, und es blieb dem Therapeuten überlassen, nach längeren Phasen des Sammeins des „pathogenen Materials" die darin enthaltenen Informationen wie in einem Puzzle zusammenzufügen. Im Vorwort zu seiner Fallstudie „Bruchstück einer Hysterie-Analyse" berichtet Freud ausführlich über diese Veränderungen in der psychoanalytischen Methode: Vielleicht wird ein Leser, der mit der in den „Studien über Hysterie" dargelegten Technik der Analyse vertraut ist, sich darüber verwundern, daß sich in drei Monaten nicht die Möglichkeit fand, wenigstens die in Angriff genommenen Symptome zu ihrer letzten Lösung zu bringen. Dies wird aber verständlich, wenn ich mitteile, daß seit den „Studien" die psychoanalytische Technik eine gründliche Umwälzung erfahren hat. Damals ging die Arbeit von den Symptomen aus und setzte sich die Auflösung derselben der Reihe nach zum Ziel. Ich habe diese Technik seither aufgegeben, weil ich sie der feineren Struktur der Neurose völlig unangemessen fand. Ich lasse nun den Kranken selbst das Thema der täglichen Arbeit bestimmen und gehe also von der jeweiligen Oberfläche aus, welche das Unbewußte in ihm seiner Aufmerksamkeit entgegenbringt. Dann erhalte ich aber, was zu einer Symptomlösung zusammengehört, zerstückelt, in verschiedene Zusammenhänge verflochten und auf weit auseinanderliegende Zeiten verteilt. Trotz dieses scheinbaren Nachteils ist die neue Technik der alten weit überlegen . . . [G.W. 1905, 5: 169].
16
Außerdem könne m a n das Angebot des Materials und dessen Bearbeitung nicht als zwei Punktionen betrachten, wovon die eine dem Analysierten und die andere dem Analytiker zugeschrieben werde. Tatsächlich könne sich der Analysierte aktiv an der Deutung des Materials beteiligen [vgl. 1972: 306]. Anfangs hatte sich FVeud noch an dem früheren Ideal der schrittweisen Aufklärung der manifesten Phänomene orientiert; so folgt die Anweisung, bei der Traumdeutung die Assoziationen der Reihe nach zu den einzelnen Traumelementen hervorzubringen, noch diesem Prinzip. Später löste sich Freud jedoch immer mehr von dieser frühen Vorgehensweise (vgl. vor allem „Die Handhabung der Traumdeutung in der Psychoanalyse" [G.W. 1 9 1 1 , 8 : 349-357]).
56
Die Übersetzungshypothese
Die Veränderungen in der Methode führten des weiteren zu einer Verschiebung des Schwerpunktes in der therapeutischen Arbeit. Waren es früher die einzelnen neurotischen Symptome, die im Mittelpunkt der Analyse standen, so geilt nun das primäre Interesse einer Bearbeitung der Widerstände bzw. der Übertragungsphänomene eines Patienten. Den besten Einblick in die Anwendung der psychoanalytischen Methode auf manifeste Phänomene erhalten wir ohne Zweifel in bezug auf die Deutung und Analyse der Träume; auch wenn gelegentlich die Anwendung der Methode auf Fehlleistungen und Symptome eine Darstellung in Freuds Werk findet. Nur in den Darlegungen zur Traumlehre gestattet Freud dem Leser jedoch einen ausreichenden Einblick in beide Phasen der Methode. In den Krankengeschichten dagegen wird der Leser weder an der Materialsammlung noch an dem Prozeß der Deutung des Materials beteiligt; stattdessen erfährt er lediglich die fertigen Resultate, ohne eine Möglichkeit zu haben, Freuds Schlüsse kritisch zu verfolgen. 1 7 Besonders maßgebend für die spezifische Ausprägung der Methode der freien Assoziation bei ihrer Anwendung auf Träume war Freuds Auffassung, der Traum sei eine psychische Bildung, die - im Gegensatz etwa zu Fehlleistungen [vgl. G.W.1916-17, 11: 103] - nicht aus nur einem „Element" bestehe, sondern sich aus mehreren zusammensetze. 1 8 Daher könne 17
18
Freud hat diese — für eine Beurteilung der Zuverlässigkeit und Plausibilität seiner Technik und der mit ihr erzielten Ergebnisse — sehr mißliche UnVollständigkeit freimütig eingestanden. Im Vor- bzw. Nachwort seiner Fallstudie „Bruchstück einer Hysterie-Analyse" ist - sozusagen stellvertretend für die anderen Krankengeschichten - zu lesen: „Eine andere Art von UnVollständigkeit h a b e ich selbst mit Absicht herbeigeführt. Ich habe nämlich die Deutungsarbeit, die tin den Einfällen und Mitteilungen der Kranken zu vollziehen war, im allgemeinen nicht dargestellt, sondern bloß die Ergebnisse derselben. Die Technik der analytischen Arbeit ist also, abgesehen von den Träumen, nur an einigen wenigen Stellen enthüllt worden" [G.W. 1905, 5: 170]. „Die keineswegs selbstverständliche Technik, mittels welcher m a n allein dem Rohmaterial von Einfällen des Kranken seinen Reingehalt an wertvollen unbewußten Gedanken entziehen kann, ist von mir hier durchwegs übergangen worden, womit der Nachteil verbunden bleibt, daß der Leser die Korrektheit meines Vorgehens bei diesem Darstellungsprozeß nicht bestätigen kann" [G.W- 1905, 5: 275]. E s bleibt daher kaum eine andere Wahl, als ein einem Beispiel der Traumdeutung Freuds Methodik genauer zu studieren. Unter einem „Traumelement" kann sehr Verschiedenes verstanden werden. Betrachten wir die beiden ausführlichen Traumdeutungen, die Freud a n eigenen Träumen durchführte und auch veröffentlichte — den sogenannten Irma-Traum [G.W. 1900, 2-3: 110-123] und den Traum von der Tischgesellschaft [G.W. 1901, 2-3: 649-653] —, so können wir festhalten, daß Freud alle Bestandteile, die in den Traumszenen vorkommen und a n die sich Assoziationen knüpfen, als Elemente eines Traumes auffaßt; es sind in den veröffentlichten Deutungen jeweils die kursiv gedruckten Teile der Traumerzählungen: z. B . der Ort, an dem die Traumszenen spielen; Äußerungen von Personen; Situationen, die sich ergeben; die im Traum vorkommenden Personen etc. (man vergleiche dazu die Darlegungen Freuds zu den beiden genannten Träumen).
Die Methode der freien Assoziation
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der Traum nicht in seiner Gesamtheit als Ausgangsvorstellung dienen, sondern müsse vielmehr zerlegt in seine Elemente zum Objekt der freien Assoziation werden. Der erste Schritt bei der Anwendung dieses Verfahrens [gemeint ist das freie Assoziieren] lehrt nun, daß man nicht den Traum als Ganzes, sondern nur die einzelnen Teile seines Inhaltes zum Objekt der Aufmerksamkeit machen darf. . . . Sie [die Psychoanalyse] [faSt] den Traum von vorneherein als etwas Zusammengesetztes, als ein Konglomerat von psychischen Bildungen auf [G.W. 1900, 2-3: 108], Die als klassisch zu bezeichnende Methode besteht nun darin, den Träumer - gemäß der bereits geschilderten „Grundregel" - Einfälle zu den einzelnen Traumelementen vorbringen zu lassen, und zwar in der Reihenfolge, die diese in der Traumerzählung einnehmen. 1 9 Nach Freuds Erfahrungen bringen die Assoziationen, die sich zu den einzelnen Traumelementen einstellen, die vielfältigsten psychischen Dispositionen des Analysierten zum Vorschein. Sie bringen das verschiedenartigste, Erinnerungen an den gestrigen Tag, den Traumtag, und an längst vergangene Zeiten, Überlegungen, Diskussionen mit einem Für und Wider, Bekenntnisse und Anfragen. Manche von ihnen sprudelt der Patient heraus, vor anderen stockt er eine Weile. Die meisten zeigen eine deutliche Beziehung zu einem Element des Traumes; kein Wunder, denn sie gehen j a von diesen Elementen aus . . . Hört man sich diese Fülle von Einfällen an, so merkt man bald, daß sie mit dem Trauminhalt mehr gemeinsam haben als nur die Ausgangspunkte. Sie werfen ein überraschendes Licht auf alle Teile des Traums, füllen die Lücken zwischen ihnen aus, machen ihre sonderbaren Zusammenstellungen verständlich [G.W. 1933, 15: 11], Die für Freud zentrale Erkenntnis ist nun ohne Zweifel, daß sich im Laufe einer Analyse - auch die von den einzelnen Traumelementen zunächst separat ausgehenden Assoziationsreihen als untereinander verknüpft erweisen, daß sie - in Freuds Worten - gleichsam ein „Netz" bilden. Gemeint ist mit dieser Analogie der häufig zu beobachtende Sachverhalt, daß Assoziationen, die von einer Ausgangsvorstellung Α ausgehen, 19
In späteren Veröffentlichungen erläutert Freud neben dieser ursprünglichen Methode drei weitere Verfahren, die sich auf das freie Assoziieren stützen. So kann m a n statt chronologisch vorzugehen - den Träumer mit dem auffälligsten Element der Traumerzählung beginnen lassen, beispielsweise einer im T r a u m gehaltenen Rede oder einem Aspekt, der leicht Beziehungen zu Ereignissen des vergangenen Tages herzustellen erlaubt. B e i Patienten, die bereits gut mit der Methode der freien Assoziation vertraut sind, scheint es auch möglich zu sein, von der elementweisen Assoziation ganz abzusehen. M a n kann dann dem Träumer selbst „anheimstellen, mit welchen Einfällen zum T r a u m er beginnen will" [vgl. dazu G . W . 1923, 13: 301302 und 1933, 15: 10-11).
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Die Übersetzungshypothese
zu derselben Vorstellung C führen wie Assoziationen, die von einer Ausgangsvorstellung Β ihren Anfang nehmen. 20 Die sich treffenden Assoziationsreihen führen nach Freud zu denselben „Hintergedanken"; ein Zeichen dafür, daß sich die Assoziationen demselben Vorstellungskomplex von verschiedenen „Seiten" her annähern. Die während einer Analyse gefundenen Verbindungspunkte verschiedener Assoziationsketten nennt Freud - noch in Anlehnung an seine frühen neurologischen Studien - „Knotenpunkte". 2 1 Sind zu jedem Traumelement eine Reihe von Einfällen produziert, also die „Zwischen-" bzw. „Hintergedanken" entwickelt, so ergibt sich daraus eine umfangreiche Materialsammlung zu dem gesamten Traum. Charakteristisch für Freuds Grundhaltung ist hier, daß er diese Einfälle und Assoziationen sämtlich als „Abkömmlinge desselben Komplexes", als „Anspielungen" auf die den manifesten Phänomenen zugrundeliegenden Vorstellungsgruppen ansieht. Im Falle des Traumes prägt Freud für dieses hinter dem manifesten Trauminhalt liegende Gedankengefuge den Ausdruck „latente Traumgedanken"; diese gilt es, nachdem die Materialsammlung zu einem (vorläufigen) Abschluß gebracht ist, durch die psychoanalytische Deutungskunst zu ermitteln. Dabei wird gewöhnlich das ganze verfügbare Wissen über den Patienten, also auch die in der Anamnese erhobenen Daten, in die Deutung einfließen. In der Regel wird diese Aufgabe vom Therapeuten übernommen, aber wie bereits erwähnt (S. 54) wird auch der Patient dazu angeleitet, selbst Deutungen seiner Einfalle und Assoziationen zu finden und zu formulieren. Nicht selten führt eine gelungene Deutung zu weiteren Assoziationen des Analysierten, die wiederum 20
21
Prinzipiell sind hier auch noch andere Fälle denkbar; zum Beispiel kann die Vorstellung C, falls sie selbst zu einer Ausgangsvorstellung genommen wird, zu einem anderen Traumelement D zurückführen, oder sie kann auf Vorstellungen F, G etc. führen, die sich von weiteren Traumelementen aus eingestellt h a b e n . Bine erste u n d zugleich ausführliche Darstellung seiner Auffassung von der Vernetzung der Assoziationen a n sogenannten „Knotenpunkten" gibt Freud in seinem 1896 gehaltenen Vortrag „Zur Ätiologie der Hysterie". Danach bestehe eine Assoziationsreihe, die sich ergebe, wenn m a n ein hysterisches Symptom z u m Inhalt einer Ausgangs Vorstellung bestimme, immer aus einer Vielzahl von Gliedern, wobei die dabei in der Regel auftauchenden Erinnerungen a n traumatische Szenen nicht etwa „einfache, perlschnurartige Reihen, sondern verzweigte, stammbaumartige Zusammenhänge" bilden [G.W. 1896, 1: 432]. „Wenn m a n von einem Falle ausgeht, der mehrere Symptome bietet, so gelangt m a n mittels der Analyse von jedem Symptom aus zu einer Reihe von Erlebnissen, deren Erinnerung in der Assoziation miteinander verknüpft sind. Die einzelnen Erinnerungsketten verlaufen zunächst distinkt voneinander nach rückwärts, sind aber, wie bereits erwähnt, verzweigt; . . . Neue Verwicklungen ergeben sich, wenn m a n die Analyse (noch weiter) fortsetzt. Die Assoziationsketten f ü r die einzelnen Symptome beginnen dann in Beziehung zueinander zu treten." Gehört ein erinnertes Erlebnis mehreren Assoziationsreihen an, so bildet es nach Freud einen „Knotenpunkt", a n dem die „einzelnen Assoziationsketten konvergieren" [zu dem gesamten Passus vgl. m a n : G.W. 1896, 1: 433-434].
Die Methode der freien Assoziation
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präzisierende und vollständigere Deutungen des dargebotenen Materials nach sich ziehen können. Dieser wechselseitige Prozeß ist daher zu keinem Zeitpunkt endgültig abgeschlossen, wenn auch vielleicht aus pragmatischtherapeutischen Gründen vorläufig beendbar. 22 Die durch Deutung gewonnenen latenten Gedanken reihen sich nach Freuds Einschätzung normalerweise gut in die übrigen Lebenszusammenhänge der analysierten Person ein; sie sind verständlich und nachvollziehbar und erwecken in keiner Weise einen absurden Eindruck. Das freie Assoziieren führt demnach zu einer Reihe von Vorstellungen, Hinter- und Zwischengedanken, aus denen durch Deutungsarbeit die wesentlichen Traumgedanken als sogenannter „Keim" des Traumes hervorgehen. Die Assoziationen zum Traum sind allerdings nach Freud noch nicht die latenten Traumgedanken; „diese sind in den Assoziationen wie in einer Mutterlauge enthalten - aber doch nicht vollständig enthalten" [G.W. 1933, 15: 12]. 23 Der Traum erscheint als ein verkürzter Auszug aus den Assoziationen, nach allerdings noch nicht durchschauten Regeln hergestellt, seine Elemente wie die aus einer Wahl hervorgegangenen Repräsentanten einer Menge. Es ist kein Zweifel, daß wir durch unsere Technik erhalten haben, was durch den Traum ersetzt wird und worin der psychische Wert des Traumes zu Anden ist, was aber nicht mehr die befremdenden Eigentümlichkeiten des Traumes, seine Fremdartigkeit, Verworrenheit zeigt [G.W. 1933, 15: 11-12].
Abschließend soll auch für die Methode der freien Assoziation ein schematischer Überblick gegeben werden. Außer der Anwendung dieser Methode auf Träume haben wir dabei ihre Anwendung auf neurotische Symptome und Fehlleistungen zu berücksichtigen. Bei Hysterien und Zwangsneurosen sind es nach Freuds Auffassung weniger Gedanken, die einen bildhaften Ausdruck finden (wie im Falle des Traums), sondern traumatische Szenen und Phantasien, die einen pantomimischen, motorischen Ausdruck erhellten; d. h. das freie Assoziieren liefert bei Symptomen und Anfällen in der Regel Reminiszenzen an traumatische Szenen oder Phantasien. Bei Fehlleistungen sind es häufig zurückgehaltene Gedanken oder Wünsche, 22
23
Nicht zuletzt ist es dieses - zu einem „Verstehen" der manifesten Phänomene führende und die psychoanalytische Methode charakterisierende - Wechselspiel zwischen Assoziation und Deutung, auf das sich die Befürworter der Hermeneutikthese („die Psychoanalyse ist eine hermeneutische Wissenschaft") zur Begründimg ihrer Uberzeugung berufen. Siehe dazu Kapitel 6, „Die Kontroverse über die hermeneutische Deutung der Freudschen Bedeutungsthese in der Sekundärliteratur". Zwischen dem manifesten Trauminhalt und den latenten Traumgedanken glaubte Freud vier verschiedene Formen der Beziehung ausmachen zu können: dabei kann der manifeste Trauminhalt vorkommen (1) als Teil v o m Ganzen, (2) als Anspielung, (3) als Verbildlichung und (4) als Symbol [vgl. G.W. 1916-17, 11: 152; m a n beachte auch die angegebenen Beispiele, ibid.: 118-120].
Die Übersetzungshypothese
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die dem Analysierten auf Befragen sofort zu seiner Fehlhandlung einfallen. Fassen wir zusammen, was sich durch Anwendung der psychoanalytischen Methode auf die manifesten Phänomene ergibt, so erhalten wir das folgende Schema: 24
(I)
Manifeste Phänomene als „Ausgangs Vorstellungen": (a) manifester Trauminhalt (b) neurotische Symptome (c) Fehlleistungen
Freies Assoziieren
(II)
„Material" - Einfälle: (a) Hinter- oder Zwischengedanken zu den einzelnen Traumelementen (b) früher erlebte traumatische Szenen oder Phantasien (c) unterdrückte Impulse, Wünsche oder Gedanken
Deuten des Materials (III)
Unbewußte und verdrängte Inhalte: (a) latente Traumgedanken/Traumwuiisch (b) verdrängte Wünsche (c) unterdrückte oder verdrängte Intentionen
Entscheidend ist nun, daß Freud die unbewußten Inhalte (III) als die Determinanten der manifesten Phänomene (I) auffaßt. Er entwirft eine Theorie (die Theorie der Traumarbeit), die nach seiner Meinung zeigt, wie (III) durch (I) „ersetzt" wird. Offen bleibt allerdings, wodurch die 24
Die zurückführenden Pfeile in diesem Schema stehen für den Sachverhalt, daß die durch Assoziation und Deutung gewonnenen Inhalte selbst wieder zum Objekt der Assoziation werden können.
Die psychoanalytische Theorie der Traumarbeit
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Deutung von (I) als das Ergebnis einer „Umwandlung" von (III) gerechtfertigt werden kann. Dieser Frage wenden wir uns nach der Darstellung der Theorie der Traumarbeit zu. 3.4
Die psychoanalytische
Theorie der Traumarbeit
Wie einleitend erwähnt, faßt Freud die latenten Inhalte als die im Vergleich zu den manifesten Phänomenen früher vorhandenen Erscheinungen auf: „Die seelische Arbeit bei der Traumbildung zerlegt sich in zwei Leistungen: die Herstellung der Traumgedanken und die Umwandlung derselben zum Trauminhalt" [G.W. 1900, 2-3: 510]. Die latenten Traumgedanken sind das „präexistierende Ziel", auf das freies Assoziieren und Deuten führen [vgl. G.W. 1900, 2-3: 533]. Besonders deutlich wird diese Auffassung in Freuds kleinem Aufsatz „Uber den T r a u m " . Nachdem er die Begriffe „manifester" und „latenter Trauminhalt" eingeführt hat, stellt er die Probleme vor, die sich ihm nun darbieten: 1) welches der psychische V o r g a n g ist, der den latenten T r a u m i n h a l t in den mir aus der Erinnerung bekannten, manifesten, übergeführt hat; 2) welches d a s Motiv oder die Motive sind, die solche Übersetzung erfordert haben. Den Vorgang der Verwandlung v o m latenten z u m manifesten T r a u m i n h a l t werde ich die T r a u m a r b e i t nennen. D a s Gegenstück zu dieser A r b e i t , welches die entgegengesetzte U m w a n d l u n g leistet, kenne ich bereits als Analysen arbeit [G.W. 1901, 2-3: 654],
Die Traumarbeit ist somit der Vorgang, der den - als bereits existierend angenommenen - latenten Inhalt aufgrund eines bestimmten psychischen Zustandes in den manifesten Trauminhalt, wie wir ihn im T r a u m erleben, verwandelt. Nach Freuds Auffassung ist den latenten Gedanken infolge unbewußter Konflikte ein direkter sprachlicher Ausdruck verwehrt, zumeist sind sie noch nicht einmal bewußtseinsfahig. Insofern sind die manifesten Träume Kompromißbildungen, da sie die nicht bewußtgewordenen latenten Gedanken ersetzen, d. h. als „Umwandlungen" bzw. „Übersetzungen in Bilder" zum Ausdruck bringen. Die Theorie der Traumarbeit konzipiert Freud anhand des Vergleiches von „Original" (den latenten Traumgedanken) und „Ubersetzung" (dem manifesten Trauminhalt): 2 5 T r a u m g e d a n k e n und T r a u m i n h a l t liegen vor uns wie zwei D a r s t e l l u n g e n desselben Inhaltes in zwei verschiedenen Sprachen, oder besser g e s a g t , der T r a u m i n h a l t erscheint uns als eine Ü b e r t r a g u n g der T r a u m g e d a n k e n in eine 25
In diesem Vorgehen Freuds sehe ich eine weitere Bestätigung für die oben vertretene Ansicht, daß die „Umwandlungsthese" die Theorie der Traumarbeit erfordert und nicht umgekehrt die Theorie der Traumarbeit These (1) begründen kann.
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Die Ubersetzungshypothese
andere Ausdrucksweise, deren Zeichen und Fügungsgesetze wir durch die Vergleichung von Original und Übersetzung kennen lernen sollen [G.W. 1900, 2-3: 283], Auch hier wird nochmals die „Vorzeitigkeit" des latenten Gedankens betont, erscheint er doch als das Original und der manifeste Inhalt als die Übertragung. Auf welche Weise, d.h. durch welche Mechanismen gehen aber nun die manifesten Phänomene aus den latenten Inhalten hervor? Im Falle des Traumes findet diese Frage eine Antwort durch Freuds Theorie der Traumarbeit, nach der es im wesentlichen vier Mechanismen sind, die die latenten Gedanken in den manifesten Trauminhalt verwandeln. Freud nennt sie „Verschiebung", „Verdichtung", „Rücksicht auf Darstellbarkeit", und „sekundäre Bearbeitung". 2 6 Mit dem Terminus „Traumarbeit" ist die Gesamtheit der Operationen gemeint, die die Traummaterialien (Traumreize, Tagesreste, Traumgedanken) in den manifesten T r a u m verwandeln; die angegebenen Mechanismen folgen dabei den Gesetzmäßigkeiten des Primär Vorganges. 2 7 Neben der Traumanalyse, d. h. der praktischen Methode, die über die Assoziationen und Deutungen die latenten Traumgedanken ermittelt, versucht Freud, mithilfe seiner theoretischen Überlegungen eine „Traumsynthese" zu entwickeln; sie hat den umgekehrten Weg zu gehen und den manifesten T r a u m ausgehend von den durch die psychoanalytische Methode gewonnenen Tagesresten, Traumgedanken und -wünschen zu rekonstruieren. Gelänge dieses Vorhaben - so Freud dann wären die wirkenden Mechanismen der Traumarbeit am besten „klargestellt": Ich verhehle mir nicht, daß es am ehesten gelingen würde, dieselben [die 26
Ausführlich stellt Freud diese vier Mechanismen der Trauinarbeit in seiner Monographie „Die Traumdeutung" dar [siehe dazu: G . W . 1900, 2-3: 283-354 und 492512]. I m Rahmen dieser Arbeit würde eine nähere Beschäftigimg mit den genannten Mechanismen allerdings zu weit führen; die beiden - auch bei anderen manifesten Phänomenen wirksamen — Prozesse, „Verschiebung" und „Verdichtung" seien kurz charakterisiert: Den Ausdruck „Verdichtung" gebraucht Freud, wenn eine einzige Vorstellung mehrere Assoziationsketten vertritt, a n d e r e n „Knotenpunkt" (vgl. Anm. 21, S. 58) sie sich befindet. Nach seiner Meinimg ist dieser Mechanismus auch bei Symptombildungen am Werk. Der Terminus „Verschiebung" bezeichnet den Sachverhalt, daß sich die „Bedeutung" bzw. die Intensität einer Vorstellung von dieser lösen und auf andere Vorstellungen übergehen kann, die mit dieser assoziativ verbunden sind. Auch dieser Prozeß ist nach Freuds Ansicht bei allen Bildungen des „Unbewußten" anzutreffen. Vgl. zu allen Begriffen die Angaben von Laplanche und Pontalis [1972: 112-113, 460-461, 580-582 und 603-606].
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Der Begriff „Primärvorgang" bezeichnet eine der beiden von Freud angenommenen Funktionsweisen des „psychischen Apparates". Eine gute Darstellung dieses Prozesses (in Vergleich zum „Sekundärvorgang") gibt M a x Schur in: „Das B s und die Regulationsprinzipien des psychischen Geschehens" [1966; 1973: 58-94].
Zur Rechtfertigung der psychoanalytischen Methode-
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Vorgänge bei der Ausführung der Traumdeutung] klarzustellen und ihre Zuverlässigkeit gegen Einwendungen zu sichern, wenn ich einen einzelnen Traum zum Muster nehme, seine Deutung entwickle . . . , dann aber die Traumgedanken, die ich aufgedeckt habe, zusammenstelle, und nun die Bildung des Traumes aus ihnen rekonstruiere, also die Analyse der Träume durch eine Synthese derselben ergänze [G.W. 1900, 2-3: 315],
Aus Rücksichtnahme gegenüber persönlichen Enthüllungen und aus ärztlicher Diskretion gibt Freud allerdings in der „Traumdeutung" kein Beispiel einer Traumsynthese. Sie hätte, um überzeugen zu können, vollständig sein und dazu sämtliches - also auch sehr peinliches - „Material" bereitstellen müssen; dazu war Freud nicht bereit. Dagegen konnte er sich bei den dargestellten TraumanaJysen gewisse Auslassungen erlauben. Die einzigen „Traumsynthesen" veröffentlichte Freud (nach seinen eigenen Angaben) als die beiden Trauminterpretationen in „Bruchstück einer Hysterie-Analyse" [vgl. G.W. 1905, 5: 251-255 und 273 Anm.]. 2 8 3.5
Zur Rechtfertigung
der psychoanalytischen
Methode
Betrachten wir Freuds Versuche, die Methode der freien Assoziation zu rechtfertigen bzw. die Zuverlässigkeit der mit ihr erzielten Ergebnisse zu erweisen, so fällt auf, daß sich Freuds Begründungen ausschließlich darauf beschränken zu zeigen, daß die psychoanalytische Methode in der Lage ist, das „Gesuchte", nämlich die latenten psychischen Inhalte, zuverlässig zu ermitteln. Daß es die von Freud gesuchten pathogenen Vorstellungen gibt, bedürfe jedoch keines erneuten Nachweises durch die Methode der freien Assoziation; von ihrer Existenz ist Freud, wie bereits mehrfach betont, seit seinen früheren Untersuchungen überzeugt. 29 Somit richten sich 28
S p ä t e r s i e h t FVeud g a n z d a v o n a b , eine „ P s y c h o s y n t h e s e " z u v e r s u c h e n . A l l e r d i n g s findet d e r T e r m i n u s „ S y n t h e s e " d a n n eine a n d e r e V e r w e n d u n g : s t a t t v o n d e r „ S y n t h e s e eines p s y c h i s c h e n P h ä n o m e n s " , also e i n e r R e k o n s t r u k t i o n d e s s e l b e n a u s d e n d u r c h die A n a l y s e e r m i t t e l t e n A n f a n g s b e d i n g u n g e n , s p r i c h t F r e u d s p ä t e r v o n d e r „ S y n t h e s e e i n e r P e r s ö n l i c h k e i t " i m S i n n e einer W i e d e r h e r s t e l l u n g des K r a n k e n . I n d e r S c h r i f t „ W e g e d e r p s y c h o a n a l y t i s c h e n T h e r a p i e " stellt sich F r e u d d e r F o r d e r u n g , n a c h d e r A n a l y s e des k r a n k e n S e e l e n l e b e n s h a b e die S y n t h e s e d e s s e l b e n z u erfolg e n : „ I c h k a n n a b e r n i c h t g l a u b e n . . . , d a ß u n s i n dieser P s y c h o s y n t h e s e e i n e n e u e A u f g a b e z u w ä c h s t . W o l l t e i c h m i r g e s t a t t e n , a u f r i c h t i g u n d u n h ö f l i c h z u sein, so w ü r d e i c h s a g e n , es h a n d e l t s i c h d a u m eine g e d a n k e n l o s e P h r a s e . . . D e r n e u r o t i s c h K r a n k e b r i n g t u n s ein zerrissenes, d u r c h W i d e r s t ä n d e z e r k l ü f t e t e s S e e l e n l e b e n e n t g e g e n , u n d w ä h r e n d wir d a r a n a n a l y s i e r e n , die W i d e r s t ä n d e b e s e i t i g e n , w ä c h s t dieses S e e l e n l e b e n z u s a m m e n . . . So vollzieht s i c h b e i d e m a n a l y t i s c h B e h a n d e l t e n die P s y c h o s y n t h e s e o h n e u n s e r E i n g r e i f e n , a u t o m a t i s c h u n d u n a u s w e i c h l i c h " [ G . W .
29
L e s e n wir j e d o c h g e n a u e r i n d i e s e n f r ü h e n S c h r i f t e n ( z . B . d e n „ S t u d i e n ü b e r H y s t e r i e " ) n a c h , so zeigt sich, d a ß es n i c h t sachlich z w i n g e n d e G r ü n d e , s o n d e r n e h e r
1919, 12: 185-186],
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Die Übersetzungshypothese
seine Rechtfertigungsversuche im wesentlichen darauf nachzuweisen, daß die Methode der freien Assoziation (verbunden mit der Deutungskunst) ebenso leistungsfähig sei wie ihre beiden Vorgänger. Gegen die von Freud verwendete Methode wurden schon sehr bald mehrere Einwände vorgebracht, denen Freud - zum Teil durch Verweis auf experimentelle Studien - zu begegnen versuchte. 3 0 Der erste und wohl grundsätzlichste Einwand, der sich gegen das freie Assoziieren erheben läßt, richtet sich gegen die vermeintliche Zufälligkeit der „frei auftauchenden" Einfälle und die damit einhergehende Willkürlichkeit der Deutung; er läßt sich etwa so formulieren: Die freien Einfälle und die Assoziationen, die sich zu den jeweiligen Ausgangsvorstellungen einstellen, sind völlig zufällig und unbestimmt; nichts spricht dafür, daß man von ihnen aus die angenommenen latenten psychischen Inhalte (Traumgedanken) erschließen kann. Diesem Einwand tritt Freud mit der These des „durchgehenden psychischen Determinismus" entgegen: 3 1
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Gesichtspunkte der „Einfachheit" oder gar „Bequemlichkeit" waren, die FVeud veranlaß ten, latente psychische Inhalte als unbewußt vorhanden einzunehmen: „ Ob dieser Bindruck [daß das pathogene Material in geordneter Weise bereitliegt] berechtigt ist, ob man dabei nicht die Anordnung des psychischen Materials, die nach der Erledigung resultiert, in die Zeit der Krankheit zurückverlegt, dies sind Fragen, die ich noch nicht und nicht an dieser Stelle in Erwägung ziehen möchte. M a n kann die bei solchen Analysen gemachten Erfahrungen jedenfalls nicht bequemer und anschaulicher beschreiben, als wenn m a n sich auf den Standpunkt stellt, den m a n nach der Erledigung zur Überschau des Ganzen einnehmen d a r f " [G.W. 1895, 1: 291; Hervorhebungen v. V.; vgl. auch S. 306-307]. In seinen späteren Arbeiten scheint FVeud den „Transfer" des durch seine Methoden gewonnenen Materials in die Zeit vor der analytischen Untersuchung nicht mehr zu problematisieren. E r nimmt die latenten Inhalte als gegeben an. Die folgende Rekonstruktion von Argument und Gegenargument stützt sich im wesentlichen auf solche Texte Freuds, in denen er explizit für seine Position und gegen die vorgebreichten Einwände argumentiert. D a es Freud dort unterläßt, die Gegenargumente im einzelnen nachzuweisen, ist es in der Regel nicht möglich anzugeben, von wem diese Einwände stammen [vgl. besonders: G.W. 1900, 2-3: 531-552], Robert Waelder befaßt sich in seinem Aufsatz „Über psychischen Determinismus und die Möglichkeit der Voraussage im Seelenleben" eingehend und kritisch mit der von Freud vertretenen und von seinen Schülern übernommenen These des psychischen Determinismus. „ M a n muß sich jedoch fragen, was FVeud im Sinn hatte, wenn er Ereignisse als ,determiniert' bezeichnete: Mußte m a n immer die notwendigen und hinreichenden Bedingungen eines Vorganges finden, oder genügte es, notwendige Bedingungen aufzuzeigen?" Waelder kommt zu dem Ergebnis, daß FVeud den Terminus „Determinismus" eher in einem lockeren Sinne gebraucht hat: die manifesten Phänomene seien determiniert im Sinne von „wohlmotiviert bzw. durch dem Bewußtsein unbekannte Motive determiniert". Zwar seien auf dieser Grundlage prinzipiell Voraussagen über zu erwartendes Verhalten möglich, im Falle „eines Kampfes von beinahe ebenbürtigen innern K r ä f t e n " seien jedoch verschiedene Ausgänge möglich und daher Prognosen gewagt [vgl. 1966: 5-6 und 23-25].
Zur Rechtfertigung der psychoanalytischen M e t h o d e
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Die scheinbar freien Einfalle sind nicht willkürlich; vielmehr erweisen sie sich als determiniert durch unbewußte Ziel Vorstellungen. Nach Freuds eigenem Bekenntnis beruhte die von ihm vertretene These des „psychischen Determinismus" zunächst auf einem bloßen Vorurteil; sie fand erst später eine Bestätigung durch die „diagnostischen Assoziationsstudien" von Bleuler, Jung und Riklin. In diesem Stadium der Ratlosigkeit [gemeint ist die Zeit nach dem therapeutisch begründeten Aufgeben der suggestiven Methode] klammerte ich mich an ein Vorurteil, dessen wissenschaftliche Berechtigung Jahre später durch C. G. Jung in Zürich und seine Schüler erwiesen wurde . . . Ich brachte eine hohe Meinung von der Strenge der Determinierung seelischer Vorgänge mit und konnte nicht daran glauben, daß ein Einfall des Kranken, den er bei gespannter Aufmerksamkeit produzierte, ganz willkürlich und außer Beziehung zu der von uns gesuchten vergessenen Vorstellung sei; daß er mit dieser nicht identisch war, ließ sich aus der vorausgesetzten psychologischen Situation befriedigend erklären. [G.W. 1910, 8: 27-28]. 32
Was hatten die Experimente von Jung, Riklin und Bleuler gezeigt? In gewisser Weise setzten sie die Assoziationsexperimente der Wundtschen Schule fort, bei welchen die Versuchspersonen die Aufgabe hatten, auf ein zugerufenes Reizwort möglichst schnell mit einer beliebigen Reaktion zu antworten. „Die Züricher Schule unter der Führung von Bleuler und Jung hat die Erklärung der beim Assoziationsexperiment erfolgenden Reaktion gegeben, indem sie die Versuchspersonen aufforderte, die von ihr erhaltenen Reaktionsweisen durch nachträgliche Assoziationen zu erläutern, wenn sie etwas Auffalliges an sich trugen. Es stellte sich heraus, daß diese auffälligen Reaktionen in der schärfsten Weise durch die Komplexe der Versuchspersonen determiniert waren" [G.W. 1916-17, 11: 107]. Unter einem „Komplex" ist nach Jung und Freud ein „affektmächtiger Gedanken- und Interessenkreis", eine Gruppe von zusammengehörigen, mit Affekt besetzten Vorstellungselementen zu verstehen [vgl. G.W. 1916-17, 11: 106-107 und 1910, 8: 30]. Jeder Mensch hat natürlich einen oder mehrere Komplexe, die sich in den Assoziationen auf irgend eine Weise manifestieren. Der Hintergrund unseres Bewußtseins (oder das Unbewußte) besteht aus derartigen Komplexen. Das ganze Erinnerungsmaterial ist um sie gruppiert. Sie bilden geradezu höhere psychische Einheiten analog dem Ichkomplex (Bleuler). Sie konstellieren unser ganzes Denken und Handeln, darum auch die Assoziationen [Jung, 1906:
3]· Wenn auch auf diese Weise einsichtig zu machen war, daß die freien Assoziationen nicht willkürlich, sondern durch unbewußte Komplexe bestimmt 32
. Siehe dazu auch: G . W . 1923, 13: 214.
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Die Üb erect zungshypothese
erfolgten, so folgte auf diese Erwiderung Freuds doch im Gegenzug ein neuer Einwand: Auch wenn wir annehmen, daß die Assoziationsexperimente gezeigt haben, daß die freien Einfälle zu einem Reizwort nicht zufallig, sondern durch unbewußte Komplexe bestimmt sind, so sagt das noch nichts darüber aus, ob man mithilfe der psychoanalytischen Methode Träume und Symptome aufklären kann; allenfalls scheint sie geeignet zu sein, uns mit Informationen über die Komplexe einer Person zu versorgen. Auf diesen Einwand entgegnet Freud wie folgt: Während bei den Assoziationsexperimenten die eine Determinante, die Ausgangsvorstellung, von uns willkürlich gewählt wird (als vorgegebenes Reizwort) - die Reaktion ist dann „eine Vermittlung zwischen diesem Reizwort und dem eben geweckten Komplex der Versuchsperson" [G.W. 1916-17, 11: 108) ist bei den Assoziationen zu einem Traum das Reizwort durch etwas ersetzt, was selbst dem „Seelenleben des Träumers" entstammt. Für Freud ist darum „die Erwartung nicht gerade phantastisch", daß auch das Traumelement selbst ein Komplexabkömmling sein könnte und daß „die an die Traumelemente angeknüpften weiteren Einfälle durch keinen anderen Komplex als den des Elements selbst bestimmt sein und auch zu dessen Aufdeckung führen werden" [G.W. 1916-17, 11: 108]. Freuds These läßt sich demnach wie folgt zusammenfassen und präzisieren: Stammt die Ausgangsvorstellung beim freien Assoziieren aus dem „Seelenleben" des Analysierten, so ist es sehr wahrscheinlich, daß sowohl die Ausgangsvorstellung als auch die freien Einfälle von ein und demselben Komplex abstammen.33 Die freien Einfälle führen demnach, wenn man das durch sie erhaltene Material angemessen deutet, zu einer Aufklärung des Traumes (oder Symptoms), indem sie dazu beitragen, die Vorstellungsgruppe bewußt werden zu lassen, aus der auch der Traum (oder das Symptom) durch „Umwandlung" hervorging. In ähnlicher Weise hatte Freud bereits in der „Traumdeutung" gegen mögliche Einwände bezüglich der psychoanalytischen Methode argumentiert [vgl. G.W. 1900, 2-3: 531-532], Im wesentlichen stützte er sich dabei auf drei Argumente: 33
Wenn Freud behauptet, die Einfälle zu den Traumelementen seien „Abkömmlinge" von denselben Komplexen, von denen auch die Traumbilder selbst abstammten, so ist aus dieser Redeweise nicht eindeutig zu entnehmen, ob Freud mit diesen Ergebnissen auch schon die „Umwandlungsthese" bestätigt sah. Zumindest auf den ersten B l i c k scheint es etwas anderes zu sein, ob ein Gedanke in „visuelle Vorstellungen ü b e r s e t z t " wird, oder ob die visuellen Vorstellungen mit derselben Vorstellungsgruppe assoziiert sind, mit der auch die Einfälle zu diesen Vorstellungen verknüpft sind [vgl. dazu S. 79-82],
Zur Rechtfertigung der psychoanalytischen M e t h o d e
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(1) Für die Annahme, daß durch die psychoanalytische Methode die tatsächlich wirkenden latenten Gedanken ermittelt werden, spricht die Kohärenz der Deutung; sie ergibt sich aus den vielen Verbindungen, die sich zwischen den Vorstellungen herstellen lassen, auf die man während des Assoziierens stößt. (2) Wahrscheinlichkeitserwägungen sprechen dafür, daß eine derart konsistente Darstellung nur gewonnen werden kann, indem bereits bestehende Verbindungen (Assoziationswege) nachgefahren werden. (3) Das Verfahren der Traumdeutung ist identisch mit dem bei der Auflösung hysterischer Symptome; dort ist die Richtigkeit des Verfahrens durch das Auftauchen und Verschwinden der Symptome bestätigt. Freuds Argumente können jedoch nicht wirklich überzeugen. Wie oben gegen die Determinismusthese kann gegen Argument (1) eingewandt werden, daß auch solche Assoziationen zu kohärenten Deutungen führen können, die sich zu beliebigen Außenreizen ergeben - handele es sich nun um Reizworte wie bei den „Diagnostischen Assoziationsstudien" oder u m „Klecksbilder" wie im Rorschach-Test. Die Assoziationen zu einer „psychischen Produktion" des Analysierten (zu einem Traum oder einem Symptom) sind daher durch nichts vor anderen Assoziationen (zu Außenreizen) ausgezeichnet. Beide können „Material" bereitstellen, das in sich stimmige Deutungen erlaubt. Das heißt, Argument (1) reicht nicht aus, um zu begründen, daß die durch freies Assoziieren und Deuten gewonnenen „psychischen Inhalte" den von Freud postulierten „latenten Gedanken" (oder Inhalten) entsprechen. Darüber hinaus wäre es auch im Falle der freien Assoziation zu einer von außen gegebenen Ausgangsvorstellung nur konsequent und plausibel anzunehmen, man erhalte die zur Deutung geeignete Materialsammlung, indem man entlang „bereits bestehender psychischer Verbindungen" cissoziiere. Damit vermag aber auch Argument (2) Freuds These nicht zu stützen. Zu Argument (3) ist zu bemerken, daß die von Freud angeführten Heilerfolge bei einer Behandlung der Hysterie noch auf der anfangs verwendeten hypnotischen bzw. suggestiven Methode beruhten. Grünbaum wendet gegen diese Begründung Freuds ein, daß erstens die unter Hypnose erzielten Erinnerungsleistungen nicht sehr zuverlässig sind, daß zweitens die Extrapolation dieses Verfahrens auf Träume nicht gesichert ist, 3 4 und daß 34
„Selbst wenn die ursprüngliche therapeutische Rechtfertigung der Verdrängungsätiologie von Neurosen sich tatsächlich als empirisch lebensfähig erwiesen h ä t t e , so wären Freuds Kompromißmodelle f ü r Fehlleistungen u n d manifeste Trauxninhalte d o c h Fehlextrapolationen aus dieser Ätiologie, u n d zwar eben deshalb, weil ihnen zu Beginn jede entsprechende therapeutische Grundlage fehlte. D e n n i m J a h r e 1900
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Die Übersetzungshypothese
drittens der sich einstellende Heilerfolg nicht automatisch für die Korrektheit der zugrundeliegenden Theorie spricht. 3 5 Während ich Grünbaums erstem Punkt keine große Bedeutung beimesse, 3 6 scheint vor allern der dritte Einwand schwer zu wiegen. Die L a s t der Argumentation liegt somit hauptsächlich auf der oben (S. 66) erwähnten These Freuds, es sei wahrscheinlich, daß die psychische Produktion des Analysierten, die als Ausgangsvorstellung dient, demselben Komplex entstamme, auf den die Deutung des Materials führe.
3.6
Resümee
(1) Freud charakterisiert die manifesten Phänomene vorwiegend in seiner Theorie der Traumarbeit als „Umwandlungen" bzw. „Übersetzungen" eines psychischen Inhaltes in die „Ausdrucksweise" dieser Erscheinungen. Die Theorie der Traumarbeit kann jedoch nicht begründen, daß es sich bei den manifesten Phänomenen u m die Ergebnisse eines Umwandlungsprozesses handelt. Sie kann nur erklären, wie eine solche „Ubersetzung" vor sich gehen kann, vorausgesetzt es handelt sich bei diesen Phänomenen u m die Ergebnisse einer Umwandlung. Zur Begründung der Ubersetzungshypothese sind wir auf die Resultate der (psychoanalytischen) Methoden verwiesen. (2) Angewandt auf neurotische Symptome führen die hypnotische Methode unmittelbar und das Suggestionsverfahren mittelbar (durch wiederholte Anwendung der Prozedur) auf assoziativ mit den Symptomen verknüpfte Vorstellungs- und Gedankengebilde (Komplexe). Freud nimmt an, daß man (i) entlang bereits bestehender Assoziationsbahnen ausgehend von den Symptomen zu diesen Komplexen gelangt, daß (ii) bei der Symptombildung der umgekehrte Assoziationsweg - v o m Komplex zum S y m p t o m - beschritten wird, daß also (iii) diese Komplexe während der Symptombildung (unbewußt) aktiviert sind. (3) Freud ist davon überzeugt, daß die Methode der freien Assoziation, wenn sie durch Deutungen des „ M a t e r i a l s " ergänzt wird, ebenso lei-
35
36
verteidigte Freud den heuristischen und probativen Gebrauch der freien Assoziation bei der Traumdeutung, indem er darauf hinwies, daß sie hauptsächlich bei der ätiologischen Untersuchung angewendet werde" [Grünbaum 1988: 306; 1984: 187-188; vgl. auch: 1988: 371-74 bzw. 1984: 229-30], Dieser Einwand Grünbaums bezieht sich auf die von ihm vertretene Hypothese vom „Placebo-Effekt"; man vgl. die Literaturangaben in Anm. 7, S. 48. Gegenüber dieser These Grünbaums habe ich in Abschnitt 3.1 über „Die Hypnotische Methode" starke Bedenken geäußert; vgl. Anm. 6, S. 47.
Resümee
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stungsfähig ist wie die beiden unter (2) erwähnten Verfahren. 37 Dann erhält man auch durch diese Methode, die auf alle manifesten Phänomene angewandt wird, diejenigen Vorstellungs- und Gedankenkomplexe, die assoziativ mit den manifesten Phänomenen verbunden sind, und von denen angenommen wird, der ursprüngliche Assoziationsvorgang sei von ihnen ausgehend zu den manifesten Phänomenen verlaufen. (4) Im Resümee zu Kapitel 2. wurde festgehalten, daß manifeste Phänomene (für Freud) „Bedeutung" haben, weil sie als Ergebnisse von „Ubersetzungsprozessen" psychische Inhalte repräsentierten. Zwischen dieser These und den Ergebnissen, die Freud mit seinen Methoden tatsächlich erzielen konnte - die manifesten Phänomene sind assoziativ mit Vorstellungs- und Gedankenkomplexen verknüpft - , besteht ein Spannungsverhältnis: (i) Weis spricht dafür, einen Assoziationsverlauf, der ausgehend von einem Vorstellungsgebilde zu einem Traum bzw. einem Symptom führt, als eine „Umwandlung" oder „Übersetzung" eines psychischen Inhaltes in eine andere Ausdrucksweise aufzufassen? (ii) Weis spricht dafür anzunehmen, daß die manifesten Phänomene, nur weil sie assoziativ mit psychischen Inhalten verbunden sind, „Bedeutung" haben? Auf diese Fragen erhalten wir eine Antwort, wenn wir einige der Grundüberzeugungen explizieren, von denen Freud stillschweigend ausgeht, wenn er das durch seine Methoden erzielte Material deutet. Wesentlich ist hier vor allem Freuds Auffassung der „Seele" als eines „Assoziationsapparates". Weithin bekannt ist die Darstellung des Modells vom „psychischen Apparat" im VII. Kapitel der „Traumdeutung". Viel zu wenig beachtet wird in diesem Zusammenhang jedoch eine sehr frühe Arbeit Freuds: „Zur Auffassung der Aphakien". Sie stammt aus einer Zeit, in der er noch als Neurologe arbeitete. Freud entwirft in seiner „Aphasienmonographie" u. a. ein Modell des menschlichen „Sprachapparates", das in erstaunlicher Weise Aufschluß über die oben gestellten Fragen gibt. Im folgenden Kapitel gehe ich ausführlich auf diese frühe Schrift Freuds ein.
37
Diese These Freuds scheint zumindest durch seine eigenen A r g u m e n t e nicht ausreichend begründet zu sein (vgl. Abschnitt 3.5.).
4. Kapitel Freuds Schrift „Zur Auffassung der Aphasien" in ihrer Bedeutung für seine „Bedeutungstheorie"
Erst in unserer Zeit finden Freuds Studien zur Aphasie größeres Interesse. 1 So haben mehrere Autoren wie z . B . Stengel, Marx, J a p p e und G o e p p e r t erfolgreich versucht, Verbindungslinien zwischen Freuds „eigentlich" psychoanalytischen Schriften und diesem frühen W e r k zu ziehen, allerdings ohne bisher die in der Aphasienmonographie implizit enthaltene Bedeutungstheorie beachtet zu haben. Sebastian Goeppert gibt in der Einleitung seines Aufsatzes „Die Funktion der Sprache in Freuds ,Zur Auffassung der Aphasien'" sowohl einen umfangreichen Überblick über die bisherige Rezeption dieser Schrift als auch eine detaillierte Begründung dafür, w a r u m eine Beschäftigung mit ihr für unser Verständnis der Psychoanalyse sehr wertvoll ist: Freuds Studie ,Zur Auffassung der Aphasien' wird im allgemeinen als seine vorpsychologische und präpsychoanalytische Schrift angesehen, in der die Konzeption über die Wort- und Objektvorstellung angelegt wurde, welche Freud 1915 in ,Das Unbewußte' zum Aufbau des Unbewußten und Vorbewußten verwandt hat. Ferner gilt die Darstellung des Sprachapparates in der Aphasienmonographie als Muster für die Darstellung des psychischen Apparates in der ,Traumdeutung*. Sodann finden sich in der Studie eine Reihe von Bezeichnungen, wie Übertragung, Projektion, Besetzung, Überdeterminierung und Regression in neurophysiologischer Bedeutung, welche dann in einer gewandelten Bedeutung zu psychoanalytischen Begriffen geworden sind. Schließlich leitet die Betrachtung der Paraphasie (Wortverwechslung), die 1
Nach den Aussagen von Ernest Jones in „Das Leben und Werk von Sigmund Freud" waren von den ursprünglich 85o Exemplaren der Aphasienschrift nach neun Jahren ganze 257 verkauft, den Rest stampfte man ein. Erst 1953 übersetzte Erwin Stengel diese Monographie ins Englische. Freud selbst hatte 1939 den Vorschlag abgelehnt, die Aphasienstudie in seine „Gesammelten Werke" aufzunehmen, da er sie den neurologischen und nicht den psychoanalytischen Arbeiten zurechnete [vgl. Emst Kris 1950: 25, Anmerkung]. Eine kommentierte Neuauflage dieser Freudschen Frühschrift wäre meines Erachtens längst angebracht, da zum einen ihre Bedeutung für eine Rekonstruktion der psychoanalytischen Theorie allgemein gesehen wird, sie aber andererseits kaum öffentlich zugänglich ist. Selbst das Sigmund-Freud-Institut verfügt lediglich über eine Kopie dieses Werkes.
Freuds Schrift „Zur Auffassung der Aphasien"
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Freud in der Aphasiestudie als ,rein funktionelles Symptom' beschreibt und ,für ein Zeichen minder exacter Leistungsfähigkeit des Sprachassoziationsapparates' ansieht, zu den Erörterungen der Fehlleistungen, Wortverwechslungen und Wortverstümmelungen in ,Zur Psychopathologie des Alltagslebens' und in ,Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten' über [1974: 7-8]. 2
Im Hinblick auf die noch offenen Fragen aus Kapitel 3. interessieren an Freuds Aphasienstudie vor allem seine Auffassung des menschlichen „Sprachapparates" als eines komplizierten „Assoziationssystems", das dort anklingende „Paradigma der Ersetzbarkeit" gestörter bzw. ausgefallener Sprachfunktionen sowie Freuds Konzeption des „Wortes" aus der psychologischen Sichtweise. Freuds Monographie „Zur Auffassung der Aphasien" ist in erster Linie eine „kritische Studie" über die damals allgemein anerkannte Theorie von Wernicke und Lichtheim über den aphasischen Symptomkomplex. Broca hatte im Jahre 1861 entdeckt, daß eine Verletzung im linken Stirnlappen des Gehirns zu einer schweren Störung der artikulierten Sprache, der sogenannten „motorischen Aphasie", führt, ohne dabei andere Sprachebenen wie beispielsweise das Sprachverständnis zu beeinträchtigen. Einige Jahre später fand Wernicke sozusagen das „Gegenstück" zu der von Broca aufgeklärten Aphasie, den Verlust des Sprachverständnisses bei gleichzeitig erhaltener Fähigkeit, sich der artikulierten Sprache zu bedienen. Wernicke erklärte diese „sensorische Aphasie" durch eine bei der Obduktion festgestellte Läsion im Bereich des Schläfenlappens. Neben diesen beiden Sprachstörungen beobachtete man in der Klinik noch eine Reihe weiterer Aphasien: So kommt es zum Beispiel vor, daß man unfähig ist, spontan zu sprechen oder jemandem etwas nachzusprechen, daß man Worte, aber keine Buchstaben lesen kann oder umgekehrt, daß man nur noch seine Muttersprache, aber keine Fremdsprachen mehr versteht usw. [E. Jones 1960: Bd. 1, S. 255].
Der Weg der Neurologen, diese vielfältigen Formen der Aphasie auf einheitliche Weise zu erklären, schien durch Wernickes Entdeckung jedoch vorgezeichnet: An sie knüpfte sich die Hoffnung, „die vielfältige Dissociation des Sprachvermögens, welche die Klinik aufgezeigt hatte, auf ebensoviel gesonderte Läsionen im Centralorgan zurückzuführen" [Freud 1891: 2-3]. 2
Goepperts zahlreiche Nachweise der Quellen wurden in diesem Zitat ausgespart; sie sind a . a . O . nachzulesen. Besonders hervorgehoben seien: Binswanger [1956], Stengel [1954], O. Marx [1966 und 1967] sowie J a p p e [1971: 70-76], E r s t vor kurzem wurde ein Lexikonartikel Freuds über „Aphasie" im Anhang zu Kästies Aufsatz „Einige bisher imbekannte T e x t e von Sigmund Freud aus den J a h r e n 1 8 9 3 / 9 4 und ihr Stellenwert in seiner wissenschaftlichen Entwicklung" abgedruckt [1987: 508-528].
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Freuds Schrift „Zur Auffassung der A p h a s i e n "
Zur Erklärung der verschiedenen Sprachstörungen entwarfen Wernicke und in seiner Nachfolge Lichtheim sogenannte „Schemata" des Sprachapparates [vgl. 1891: 5, 6, 8 und 95], von welchem angenommen wurde, daß er aus verschiedenen Sprachzentren bestehe — dem motorischen, akustischen, visuellen und kinästhetischen —, die untereinander durch Assoziationsbahnen verbunden seien. Je nach Art der Verletzung - Zerstörung eines Zentrums bzw. Unterbrechung einer Assoziationsbahn - wurde mit einer anderen Form der Aphasie gerechnet. Wernicke und Lichtheim erstellten auf diese Weise einen Katalog von sieben verschiedenen Aphasien [vgl. 1891: 6-8]. Freud konnte jedoch zeigen, daß diese Auffassung der Sprachvorgänge zu einem Modell geführt hatte, welches neue Probleme aufwarf: Zum einen ließen sich aus ihm Krankheitsbilder ableiten, deren Existenz äußerst fraglich war, da sie noch niemand in der Klinik vorgefunden hatte, und zum anderen konnten einige tatsächlich beobachtete Fälle nicht zufriedenstellend geklärt werden [vgl. 1891: 11-13 und 17]. Freud verwarf daher die These, daß sich Aphasien allein durch eine Lokalisierung zerstörter Sprachzentren bzw. unterbrochener Leitungsbahnen würden erklären lassen und versuchte eine andere Auffassung des menschlichen Sprachapparates nahezulegen. Neben den „topischen" Aspekt der Lokalisierung trat für Freud ein neuer Erklärungsansatz in den Vordergrund, nämlich die Sprachstörungen auch als funktionelle Störungen aufzufassen. Freud nahm an, der psychische Apparat reagiere „als Ganzes solidarisch" auf unvollständige Läsionen, er antworte „mit einer Funktionsstörung, die auch durch nicht materielle Schädigung zu Stande kommen könnte" [1891: 32]. Von dieser Betonung der funktionellen Momente bei der Ätiologie aphasischer Störungen ist es nur noch ein kleiner Schritt zu der später von Freud vertretenen Auffassung, daß selbst „rein psychische" Prozesse und Vorgänge die Determinanten eines Funktionsausfalles sein können. 3 4.1
Der menschliche „Sprachapparat" als ein kompliziertes Assoziationssystem
Die Auffassung des menschlichen Sprachapparates als eines komplizierten Assoziationssystems liegt nach übereinstimmender Einschätzung der 3
M a n vergleiche beispielsweise den Übergang von Freuds Erklärung der P a r a p h a s i e als eines „funktionellen Symptoms" [1891: 14] zu seiner Erklärung menschlicher Fehlleistungen wie des Versprechens d u r c h die A n n a h m e u n t e r d r ü c k t e r Tendenzen u n d Intentionen [G.W. 1916-17, 11: 56-76], die ebenfalls „funktionell" wirksam sind. Binswanger sieht zu Recht in dieser Auffassung Freuds die Brücke, die „zu seinen Anschauungen ü b e r die Reaktionsweise des Gehirns auf ,nicht materielle Schädigungen' f ü h r t , in welche Anschauungen sich zunächst die E r f a h r u n g e n bei der Hypnose u n d Suggestion . . . unschwer einordnen ließen" [1936: 192].
Der „ S p r a c h a p p a r a t " als Assoziationssystem
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gesamten psychoanalytischen Theorie zugrunde und begründet meines Erachtens darüber hinaus die Methode der freien Assoziation. Es braucht uns nicht zu wundern, daß die verschiedenen Sprachleistungen als komplizierte Assoziationsprozesse angesehen wurden; war doch gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts die Denkweise der von Hume und Hartley begründeten Assoziationspsychologie weit verbreitet. 4 Uneinigkeit bestand.zwischen den Fachleuten allenfalls über die Anzahl und Art der für nötig gehaltenen Assoziationsgesetze sowie darüber, wie der zugrundeliegende „Sprachassoziationsapparat" zu konstruieren sei. Auch Freuds Modell desselben steht in dieser Tradition und ist als eine Weiterentwicklung der Vorschläge Wernickes und Meynerts aufzufassen. Nach Wernicke ist es möglich, die elementaren psychischen Funktionen, also die einzelnen Vorstellungen bzw. die „unzähligen von der Aussenwelt gelieferten Empfindungseindrücke", an gewissen Rindenstellen des Gehirns zu lokalisieren. „Eine Gesichtswahrnehmung darf an das centrale Ende des Opticus, eine Gehörswahrnehmung an den Ausbreitungsbezirk des Akusticus in der Hirnrinde verwiesen werden. Alles was darüber hinausgeht, die Verknüpfung verschiedener Vorstellungen zu einem Begriff u.dgl., ist eine Leistung der Associationssysteme, welche verschiedene Rindenstellen miteinander verbinden, also nicht mehr an eine[r] Stelle der Rinde zu localisieren" [Freud 1891: 3]. Das heißt, daß es nach Wernicke an der Großhirnrinde bestimmte Stellen gibt, in deren Nervenzellen, die Vorstellungen, „mit denen die Sprachfunction arbeitet, in irgendeiner Weise enthalten sind" [1891: 45-46], Da nach Wernickes eigener Einschätzung die von ihm vertretene Auffassung im wesentlichen eine Anwendung der weiterreichenden Lehre Meynerts ist, diskutiert Freud in einem längeren Exkurs [1891: 46-55 und 60-61] dessen Theorie; hier mag eine Skizze der Ergebnisse dieser Kritik genügen: Freud weist die Auffassung Meynerts zurück, nach der der Sprachapparat aus gesonderten Rindenzentren bestehe, welche durch funktionsfreie Gebiete getrennt sind. Ferner bestreitet Freud, daß an bestimmten Rindenstellen in den Zentren die Vorstellungen, d . h . die Erinnerungsbilder, die der „Sprache dienen", aufgespeichert liegen, während deren Assoziation ausschließlich durch weiße Fasermassen unterhalb der Rinde besorgt werde [vgl. 1891: 56, 64]. Stattdessen faßt Freud den menschlichen Sprachapparat als ein zusammenhängendes Rindengebiet in der linken Hemisphäre zwischen den Rindenendigungen des Hör- und Sehnerven, der motorischen Sprach- und Armfasern auf, innerhalb dessen die Assoziationen und Übertragungen, auf denen die Sprachfunktionen beruhen, in komplizierter und noch unverstandener Weise vor sich gehen. Er lehnt es ab, die 4
Zur Genese des Assoziationsbegriffes vgl. m a n Holenstein [1972].
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Freuds Schrift „Zur Auffassung der A p h a s i e n "
psychischen „Elemente" des Sprach Vorganges an bestimmten Stellen dieses Gebietes zu lokalisieren; stattdessen faßt er sie als einen Vorgang auf, der sich ausgehend von einer bestimmten Stelle der Hirnrinde entweder ganz über sie ausbreitet oder längs besonderer Wege verläuft [vgl. dazu 1891: 58, 64, 68-69 und 104-105]. Das Fortwirken bzw. die Weiterentwicklung dieser Ansichten des Sprachvorganges können wir an mehreren Stellen des VII. Kapitels der „Traumdeutung" beobachten, etwa wenn Freud „frei heraussagt", wie er sich den Vorstellungsablauf veranschaulicht: Wir glauben, daß von einer Zielvorstellung aus eine gewisse Erregungsgröße, die wir ,Besetzungsenergie' heißen, längs der durch diese Zielvorstellung ausgewählten Assoziationswege verschoben wird . . . Ein so im Vorbewußten angeregter Gedankengang kann spontan erlöschen oder sich erhalten. Den ersteren Ausgang stellen wir uns so vor, daß seine Energie nach allen von ihm ausgehenden Assoziationsrichtungen diffundiert, die ganze Gedankenkette in einen erregten Zustand versetzt, der für eine Weile anhält, dann aber abklingt, indem die abfuhrbedürftige Erregung sich in ruhende Besetzung umwandelt [G.W. 1900, 2-3: 599].
Diese „längs besonderer Wege" verlaufenden Assoziationsvorgänge sind uns bereits bekannt von Freuds Begründungen dafür, mit dem freien Assoziieren die tatsächlich wirksamen latenten Gedanken ermittelt zu haben: Denn es sei wahrscheinlicher, daß die Assoziationen entlang bereits gebahnter Wege vor sich gehen, als daß sie völlig zufällig verlaufen. 6 Aus den bisherigen Ausführungen wird ersichtlich, daß Freuds Kritik hauptsächlich die neurophysiologische und neuroanatomische Sichtweise der Assoziationsvorgänge betrifft; von der prinzipiellen Auffassung der Sprachprozesse als Assoziationsvorgänge ist er dagegen völlig überzeugt. Er widmet daher den Sprachleistungen - wahrscheinlich wegen der komplizierten und nicht wirklich verstehbaren physiologischen Vorgänge, die ihnen zugrundeliegen - eine längere Betrachtung, in der vom Standpunkt des Spracherwerbs und aus „psychologischer Sicht" argumentiert wird. 4.2
Das Paradigma der Ersetzung gestörter
Sprachleistungen
An einigen klinischen Fällen erläutert Freud, wie gestörte Sprachfunktionen, seien sie durch Läsionen oder funktionelle Momente verursacht, durch intakt gebliebene „SprachVerrichtungen" ersetzt werden können. Da^ bei beruft er sich wiederholt auf die Untersuchungen Charlton Bastians 5
Vgl. dazu Abschnitt 3.5 „Zur Rechtfertigung der psychoanalytischen Methode", S. 63-68. — Die Weiterentwicklung des Modells des S p r a c h a p p a r a t e s zu dem allgemeineren des „psychischen A p p a r a t e s " erfolgt vor allem in d e m Abschnitt ü b e r „Regression" i m VII. Kapitel der „ T r a u m d e u t u n g " , auf das ich hier lediglich verweisen möchte.
D a s P a r a d i g m a der Ersetzung gestörter Sprachleistungen
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„On different kinds of Aphasia" [1887] nach denen nicht mehr spontan oder willkürlich erregbare Sprachzentren auf assoziativem Wege bzw. durch direkten sensiblen Reiz aktiviert werden können. Bastian unterscheidet in seiner Schrift drei Zustände verminderter Erregbarkeit eines Sprachzentrums: Die leichteste Herabsetzung zeigt sich darin, dass dieses Centrum nicht mehr auf .willkürliche' Anregung reagiert, wohl aber noch auf Anregung auf dem Wege der Association von einem anderen Centrum her und auf directen sensibeln Reiz. Bei stärkerer functioneller Schädigung ergibt es nur noch eine Reaction auf directen sensibeln Reiz, und endlich auf der tiefsten Stufe versagt auch dieser [Freud 1891: 30; vgl. auch: 41 und 103].
Für Freud ist es nun wichtig zu betonen, daß Bastians Unterscheidungen im wesentlichen nur für begrenzte Läsionen eines Gehirnteiles greifen, da nur dann eine ausgefallene Sprachleistung durch ein intakt gebliebenes Zentrum „ersetzt" werden kann: Dabei wollen wir noch im Auge behalten, dass die Bastian'schen Modificationen hauptsächlich für Läsionen nicht völlig destruierender Natur gerade unserer Centren Geltung haben werden, denn wenn die Läsion nicht alle Sprachelemente einer Herkunft betrifft, wie dies bei ihrem Sitz an den Sammelpunkten der Fall ist, wird die Function des intact gebliebenen Nervengewebes die des beschädigten ersetzen und deren Schädigung verdecken [1891: 91].
Eine überzeugende Darstellung des klinischen Befundes, daß es bei einem Ausfall gewisser Sprachfunktionen dennoch zum Ausdruck der sonst nicht mitteilbaren Gedanken kommen kann, geben die beiden Krankengeschichten von Grashey und Graves, in denen ausführlich über die „Hilfsfunktionen" und „Ersatzleistungen" der Kranken berichtet wird. Grashey schildert einen Patienten, der die Worte, die er nicht mehr willkürlich äußern konnte, schreibend fand, wenn er dabei das zu benennende Objekt im Auge behalten durfte: Er sah auf das Object und schrieb dann den ersten Buchstaben des Namens nieder, las ihn ab und sprach ihn beständig aus, dann sah er von Neuem aufs Object, schrieb den zweiten Buchstaben nieder, sprach beide gefundenen Buchstaben aus und fuhr so fort, bis er den letzten Buchstaben und damit den gesuchten Namen gefunden h a t t e . . . Orashey konnte mit Recht aus dieser Beobachtung schliessen, dass die Klangbilder, Schriftbilder und Lesebilder einander Theil für Theil entsprechen, und dass deren Association also noch zur Wortfindung führen kann . . . [1891: 39],
Konnte derselbe Kranke eine verlangte Zahl nicht direkt angeben, so half er sich dadurch, „dass er von Anfang an zählte, bis er die verlangte Zahl erreicht hatte" [1891: 90].
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Freuds Schrift „Zur Auffassung der A p h a s i e n "
Fünfzehn Jahre vor Grashey hatte Graves 1870 von einem Kranken berichtet, der nach einem Schlaganfall das Gedächtnis für Hauptwörter und Eigennamen eingebüßt hatte, sich aber mit völliger Sicherheit an die jeweils ersten Buchstaben dieser Wörter erinnern konnte. Diese noch erhaltene Sprachleistung führte zu der folgenden „Ersatzbildung": Er [der Kranke] hatte es für zweckmässig gefunden, sich eine alphabetisch geordnete Liste der meist gebrauchten Hauptwörter anzufertigen, die er stets bei sich trug, und mit Hilfe deren er sprach. Brauchte er ein Wort, so sah er unter dem Anfangsbuchstaben nach, erkannte das gesuchte Wort offenbar nach dem Lesebild und konnte es nun aussprechen, so lange er die Augen auf das Lesebild fudrt hielt. Sobald das Buch geschlossen war, hatte er das Wort wieder vergessen. Es ist klar, dass auch dieser Kranke über die fehlenden Worte vermittelst der Association durch das Lesebild verfügte [1891: 42].
An den beiden Fallberichten von Grashey und Graves können wir folgende Beobachtungen anstellen: Die (hier vorgestellten) aphasisch Kranken verspüren einen Sprachimpuls und möchten diesem nachgehen. Da ihnen jedoch aufgrund ihrer Erkrankung ein direkter und unmittelbarer Ausdruck eines von ihnen gefaßten Gedankens versagt ist, stellen sie über verschiedene, noch funktionsfähige assoziative Verbindungen den gewünschten Ausdruck bereit; nach Freud „ersetzen" sie damit die gestörten, normalerweise wirksam werdenden Sprachfunktionen durch Funktionen „des intact gebliebenen Nervengewebes" [1891: 91]. Die Zerstörung eines Centrums schafft natürlicherweise einen unersetzlichen Ausfall von Function; wenn aber nur eine Leitungsbahn unterbrochen ist, sollte es möglich sein, das intacte Centrum auf einem Umwege über erhaltene Leitungsbahnen anzuregen und dessen Erinnerungsbilder dennoch der Function dienstbar zu machen [1891: 15].
In seinen späteren, psychoanalytischen Schriften spricht Freud ebenfalls von „Ersatzbildungen", und zwar, wenn er ein manifestes Phänomen als die (ersatzweise) Darstellung eines verdrängten Gedanken- oder Vorstellungsgebildes deutet. Dabei faßt Freud in der Regel traumatisch wirkende Erlebnisse als diejenigen psychischen Determinanten auf, die - vergleichbar den partiellen Läsionen bei Aphasien - einen Funktionsausfall im Sprachapparat bewirken können: Das aufgrund solcher Erlebnisse (oder auch aus anderen Gründen) „Verdrängte" läßt sich nicht mehr verbal mitteilen, es wird gar nicht erst bewußt. Stattdessen kommt es nach Freud als Fehlleistung, Traum oder Symptom zum Ausdruck. Der in der Aphasienschrift beschriebene Ausgleich einer ausgefallenen Sprachfunktion über noch vorhandene Assoziationsbahnen kann somit im Hinblick auf Freuds Deutung der manifesten Phänomene (als Ersatzbildungen bzw. Umwandlungen in eine andere Ausdrucksweise) als paradigmatisch angesehen werden.
Das Wort als „Wortvorstellung"
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Trotz der hier sichtbar werdenden Ähnlichkeiten zwischen den Anstrengungen aphasisch Erkrankter, ihre Gedanken auf „Umwegen" über noch funktionsfähige Assoziationsbahnen zu einem verständlichen Ausdruck zu bringen, und den sogenannten Ersatzbildungen neurotischer Patienten, soll der Unterschied zwischen denselben nicht vernachlässigt werden: Die Patienten von Grashey und Graves ersetzen nicht die Worte, mit denen sie ihren Gedanken Ausdruck geben wollen, durch eine andere Ausdrucksweise; vielmehr ermöglichen sie gerade die Äußerung derselben auf einem „Ersatzweg", nämlich über noch intakt gebliebene Assoziationsbahnen. Für die (später) von Freud diskutierten Fälle (Symptome, Träume, Fehlleistungen) ist es dagegen charakteristisch, daß die ihnen zugrundeliegenden latenten Inhalte nicht in üblicher, d. h. verbaler Weise zum Ausdruck gelangen, sondern in Form von Traumbildern, Fehlleistungen oder gar Symptomen. Hier wird also nicht die Herstellung des Produktes ersetzt, sondern das Produkt selbst. In seinem Lexikonartikel über „Aphasie" von 1893 berücksichtigt Freud allerdings auch aphasische Symptome, bei denen die Kranken nicht zur Verfügung stehende Ausdrücke durch andere ersetzen: Wir sehen, dass der Kranke sich oft auf ein Wort besinnt, dass er es auch auf keine Weise zu finden vermag, so sehr er versichert, dass er es kennt, dass er endlich genöthigt ist, es durch ein Wort von allgemeiner Bedeutung oder durch eine Umschreibung zu ersetzen, und erinnern uns dabei ähnlicher Vorkommnisse in unserem täglichen Gespräch, in denen wir uns gleichfalls amnestisch für manche Worte zeigen. Die Amnesie betrifft hauptsächlich Eigennamen und Hauptwörter; es kommen Fälle vor, in denen die Kranken jedes Hauptwort umschreiben müssen [1893; 1987: 525].
Stellt man in Rechnung, daß Freud wahrscheinlich einen kontinuierlichen Übergang zwischen der „Umschreibung" von Ausdrücken bei aphasischen Störungen und der „Umwandlung" nicht bewußtseinsfähiger Vorstellungen in manifeste Phänomene angenommen hat, so ist nun besser zu verstehen, weshalb Freud auch die manifesten Phänomene als inhaltsreich und bedeutungsvoll ansieht. 6 4.3
Das Wort als
„Wortvorstellung"
Während die beiden Abschnitte über den Sprachapparat als eines Assoziationssystems sowie die Ersatzbildungen aphasisch Kranker Aufschluß über die Umwandlungsthese zu geben vermögen, bietet eine andere Passage der Aphasienschrift eine Definition dessen, was es für Freud heißt, daß ein Wort „Bedeutung" hat. 6
In Abschnitt 4.4 gehe ich näher auf die hier nur angedeuteten Analogien ein.
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Freuds Schrift „Zur Auffassung der Aphasien"
Im Rahmen einer Untersuchung dessen, „was uns das Studium der Sprachstörungen für die Function dieses Apparates [des Sprachapparates] lehrt" [1891: 75], kommt Freud zu einer Betrachtung des „Wortes" aus psychologischer Sicht, bei der er erläutert, wann wir eine Sprachäußerung „verstehen" bzw. die „Bedeutung" eines Wortes kennen. Freud beginnt mit der Einführung des „Wortes" als der Einheit der Sprachfunktion. Das Wort wird dabei nicht abstrahierend als trägerunabhängiges Zeichen aufgefaßt, sondern es ist individuell als „Wortvorstellung" gegeben, die selbst wiederum ein komplexes Gebilde aus elementaren Vorstellungen ist: 7 Für die Psychologie ist die Einheit der Sprachfunction das .Wort' eine complexe Vorstellung, die sich als zusammengesetzt aus akustischen, visuellen und kinästhetischen Elementen erweist . . . Man führt gewöhnlich vier Bestandtheile der Wortvorstellung an: ,das Klangbild', das .visuelle Buchstabenbild', das ,Sprachbewegungsbild* und das .Schreibbewegungsbild 1 . Diese Zusammensetzung erscheint aber complicirter, wenn man auf den wahrscheinlichen Associationsvorgang bei den einzelnen Sprachverrichtungen eingeht [1891: 75],
Um den wahrscheinlichen Assoziationsvorgang bei den einzelnen Sprachverrichtungen besser erfassen zu können, versucht Freud die Genese unseres Sprachvermögens nachzuzeichnen. Uber fünf Entwicklungsstufen — Sprechen, Nachsprechen und zusammenhängendes Sprechen, Buchstabieren, Lesen und Schreiben - verfolgt Freud die Zunahme unserer Sprachfähigkeiten vom Kindesalter bis hin zum kompetenten Sprachbenutzer. Welche Vorgänge laufen beim Erwerb dieser Fähigkeiten auf der „psychischen" Ebene ab? Indem wir versuchen, ein bereits gegebenes „Wortklangbild" nachzuahmen und mit einem „Wortinnervationsgefühl" zu cissoziieren, lernen wir sprechen. Durch das Sprechen gelangen wir zu den sogenannten „Sprachbewegungsvorstellungen"; ferner erhalten wir nach dem Sprechen ein zweites Klangbild des nunmehr von uns selbst gesprochenen Wortes. Solange die Sprache des Kindes nicht weiter ausgebildet ist, braucht dieses zweite Klangbild dem ersten nur assoziiert, aber nicht gleich zu sein. Im folgenden Stadium erwerben wir durch übendes Nachsprechen die Sprache der anderen. Dabei bemühen wir uns, das von uns selbst produzierte 7
D e r Begriff d e r „ V o r s t e l l u n g " ist i n d e r t r a d i t i o n e l l e n P h i l o s o p h i e e i n G r u n d b e g r i f f , d e r n i c h t d e f i n i e r t w i r d u n d d a h e r k a u m k l a r z u f a s s e n ist; „ d a s einzige, w a s wir t u n k ö n n e n , ist [ n a c h T u g e n d h a t ] , u n s die M e t a p h e r k l a r m a c h e n . D e r A u s g a n g s p u n k t d e r M e t a p h e r ist die V o r s t e l l u n g i m S i n n eines a n s c h a u l i c h e n b z w . p h a n t a s i e m ä ß i gen ( o p t i s c h e n ) Bildes b z w . B i l d b e w u f i t s e i n s . I n d e m d a s als G r u n d m o d e l l f ü r die b e w u f i t s e i n s m ä f i i g e B e z i e h u n g ü b e r h a u p t a u f g e f a f i t w u r d e , w u r d e die B e z i e h u n g auf G e g e n s t ä n d e wie ein V o r s i c h h a b e n eines o p t i s c h e n B i l d e s a u f g e f a f i t , n u r dafi dieses j e t z t n i c h t m e h r als sinnliche A n s c h a u u n g v e r s t a n d e n w e r d e n sollte . . . " [ T u g e n d h a t
1976: 350].
D a s Wort als „Wortvorstellung"
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Klangbild dem von anderen gehörten möglichst ähnlich zu machen. Beim zusammenhängenden Sprechen reihen wir dann die Worte aneinander, „indem wir mit der Innervation des nächsten Wortes warten, bis das Klangbild oder die Sprachbewegungsvorstellung (oder beide) des vorigen Wortes angelangt ist" [1891: 76], Als weitere Sprachkompetenz erlernen wir das Buchstabieren; hierbei müssen wir die „visuellen Bilder der Buchstaben mit neuen Klangbildern verknüpfen, die uns indes an die bereits bekannten Wortklänge erinnern müssen" [ibid.]. Schließlich lernen wir lesen, indem wir das „Nacheinander der Wortinnervations- und Wortbewegungsvorstellungen, die wir beim Sprechen der einzelnen Buchstaben erhellten, nach gewissen Regeln verknüpfen, so dass neue motorische Wortvorstellungen entstehen. . . . Nun assoeiiren wir diesen buchstabirend gewonnenen Sprachbildern die Bedeutung, welche den primären Wortklängen zukam. Wir lesen jetzt mit Verständnis" [1891: 76-77]. Schreiben lernen wir durch das Reproduzieren der visuellen Buchstabenbilder durch Innervationsbilder der Hand; wir üben bis gleiche oder ähnliche visuelle Bilder entstehen. Wenden wir uns nun der für unsere Zwecke wichtigsten Passage aus Freuds Aphasienschrift zu: Das Wort ist also eine complexe, aus den angeführten Bildern bestehende Vorstellung oder, anders ausgedrückt, dem Wort entspricht ein verwickelter Associationsvorgang, den die aufgeführten Elemente visueller, akustischer und kinästhetischer Herkunft miteinander eingehen. Das Wort erlangt aber seine Bedeutung durch die Verknüpfung mit der ,Objectvorstellung', wenigstens wenn wir unsere Betrachtung auf Substantiva beschränken. Die Objectvorstellung selbst ist wiederum ein Associationscomplex aus den verschiedenartigsten visuellen, akustischen, taktilen, kinästhetischen und anderen Vorstellungen . . . Die Objectvorstellung erscheint uns . . . nicht als eine abgeschlossene, kaum als eine abschließbare, während die Wortvorstellung uns als etwas Abgeschlossenes, wenngleich der Erweiterung Fähiges erscheint [1891: 79-80; Hervorhebung d. V.].
Zwei Positionen Freuds, die er in diesem Textabschnitt vertritt, sind besonders hervorzuheben: Zum ersten die Identifizierung des „Wortes" mit der - jeweils nur subjektiv realisierbaren - „WortVorstellung"; zum zweiten die Auffassung, daß Worte, also Wortvorstellungen, dadurch Bedeutung erhalten, daß sie mit den entsprechenden Objektvorstellungen assoziativ verknüpft werden. 8 Präziser wäre es freilich, wenn Freud diesen 8
Freud steht m i t dieser Auffassung der „ B e d e u t u n g " keineswegs allein; n e b e n Mill sei hier besonders Stricker g e n a n n t . Bin Wort erhält f ü r i h n d a d u r c h B e d e u t u n g , dafi die Vorstellungen eines wirklichen Gegenstandes mit der zugehörigen Wortvorstellung assoziativ verknüpft werden. M a n vgl. dazu sowie zur Kritik ein dieser Position das folgende Kapitel, „Freuds psychologistische Bedeutungstheorie: Tradition u n d Kritik".
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Freuds Schrift „Zur Auffassung der Aphasien"
subjektiven Ansatz seiner Bedeutungstheorie explizit machen würde, etwa: ein Wort erhält für die Person Ρ Bedeutung, indem der innerpsychischen Repräsentation dieses Wortes eine entsprechende Objektrepräsentation assoziiert wird. Was ein Wort bedeutet, hängt demnach davon ab, was (d: h., welche Vorstellungen) assoziativ mit ihm verknüpft wird. Freud illustriert diese Theorie an dem „Schema der Sprachassociationen" [1891: 79 bzw. 1893; 1987: 522]: Objekt assoziationen
Freud fügt u. a. hinzu: Die Wortvorstellung ist nicht von allen ihren Bestandtheilen, sondern blos vom Klangbild her mit der Objectvorstellung verknüpft. Unter den Objectassociationen sind es die visuellen, welche das Object in ähnlicher Weise vertreten, wie das Klangbild das Wort vertritt [1893; 1987: 522], Wird die Relation der Bedeutung wie von Freud auf der Ebene der Vorstellungen konzipiert - eine Vorstellung (die Wort-Vorstellung) erhält Bedeutung genau dann, wenn sie mit einer anderen Vorstellung (der ObjektVorstellung) assoziativ verknüpft ist so bedarf es nur eines kleinen Abstraktionsschrittes, diese Beziehung umzukehren und auch den visuellen und motorischen Vorstellungen Bedeutung zuzuschreiben, vorausgesetzt sie erweisen sich als assoziativ verknüpft mit verbalen (oder auch nonverbalen) Vorstellungen. 9 9
Die Tatsache, dafi Freud die „Bedeutung" eines Traumes dadurch zu ermitteln versuchte, daß er den Assoziationen von den Traumelementen (visuellen Vorstellungen)
81
Freuds „Übersetzungshypothese." aus neuer Sicht
4.4
Freuds „Übersetzungshypothese"
aus neuer
Sicht
In Kapitel 3. blieb die Frage offen, wodurch gerechtfertigt werden kann, die manifesten Phänomene als Umwandlungen bzw. Ubersetzungen eines psychischen Inhaltes aus seiner üblichen Darstellungsweise in die der manifesten Phänomene aufzufassen. Meine These ist, daß der von Freud in der Aphasienmonographie explizierte Bedeutungsbegriff sowie das dort entworfene Modell des „Sprachassoziationsapparates" diese Frage vollständig beantworten: Nach Freud sind alle Denk- und Sprachvorgänge komplizierte Assoziationsprozesse. Durch organische oder psychische Störungen können diese Assoziationsabläufe gestört werden und einen anderen als den üblichen Verlauf nehmen. Beispiele, wie durch organische Läsionen bedingte funktionelle Störungen zu anderen Assoziationsprozessen führen, gibt Freud für Aphasien. Im wesentlichen sind es zwei Varianten, die im Hinblick auf die manifesten Phänomene unser Interesse verdienen. Im einen Fall kann der Kranke durch noch intakt gebliebene Assoziationsbahnen zu den Schriftund Lesebildern einer Wortvorstellung die gestörte Verbindung zu dem Wortbewegungsbild ersetzen und auf diese Weise das von ihm intendierte Wort artikulieren. 10 In dem anderen Fall steht das zum Ausdruck eines Gedankens vorgesehene Wort dem Kranken ebenfalls nicht (unmittelbar) zur Verfügung; wird es von einer Amnesie betroffen, so behilft sich dieser (wie Gesunde in Alltagssituationen) mit einer Umschreibung des gesuchten Ausdruckes. In Analogie zu Freuds Charakterisierung der manifesten Phänomene können wir in diesem Fall sagen, die geäußerten Worte seien eine „Umwandlung" bzw. „Übersetzung" eines Gedankens in eine andere als die ursprünglich intendierte Ausdrucksweise; der Kranke habe diese Übertragung gewählt, um das ihm nicht zur Verfügung stehende Wort geeignet zu ersetzen. Bei den manifesten Phänomenen gelang es Freud, ausgehend von diesen zu den Zwischen- und Hintergedanken (Wort-Vorstellungen) folgte (vgl. dazu S. 5261), spricht dafür, daß Freud die Bedeutungsrelation als eine umkehrbare, als eine symmetrische Beziehung aufgefaßt h a t . Bs scheint, daß er die Bedeutungsrelation sogar als eine transitive verstanden h a t : sind die Vorstellungen Α und Β sowie Β und C assoziativ miteinander verknüpft, so offenbar auch Α und C , wobei damit nicht gemeint sein muß, daß Α und C unmittelbar miteinander verknüpft sind — Mittelglieder sind durchaus möglich. M a n beachte, daß von dieser Konzeption der „Bedeutung" bei der Methode der freien Assoziation ständiger Gebrauch gemacht wird: so, wenn über das Verfolgen der Assoziationen, die sich zu einer „Ausgangsvorstellung" ergeben, die Bedeutung dieser Vorstellung ermittelt werden soll. Auf die - berechtigte - Kritik tin dieser Bedeutungstheorie gehe ich im nächsten K a p i t e l ein. 10
Vgl. dazu das auf S. 8 0 wiedergegebene Schema Freuds.
82
Freuds Schrift „Zur Auffassung der A p h a s i e n "
Erscheinungen zu assoziativ verknüpften Vorstellungs- oder Gedankengebilden zu gelangen. Er nahm an, daß den manifesten Phänomenen ein Denkvorgang vorausgeht, der bei einem ungehinderten Assoziationsverlauf zu einer verbalen Darstellung jener Gedanken und Vorstellungen geführt hätte. Aufgrund eines psychischen Konfliktes sei dieser Assoziationsweg jedoch blockiert, die entsprechende Vorstellung „verdrängt". 1 1 Der Assoziationsprozeß habe daher - wie bei den Aphasien - einen anderen als den üblichen Verlauf zu nehmen: statt das Sprachzentrum (und die WortKlangbilder) zu erregen, führe er zu den visuellen Objektvorstellungen (im Traum) oder gehe direkt in ebenfalls assoziierte motorische Vorstellungen bzw. Reaktionen über (bei Hysterien). 12 Die dabei entstehenden manifesten Phänomene stellten daher - als die Ergebnisse einer „Ubersetzung" in nicht-verbale Vorstellungen - den „Inhalt" der Denkvorgänge pantomimisch oder in Bildern dar. Legen wir den von Freud in der Aphasienschrift explizierten Bedeutungsbegriff zugrunde, so erfüllen die manifesten Phänomene (bzw. die entsprechenden visuellen oder motorischen Vorstellungen) genau dieselben Bedingungen, die „bedeutungsvolle" Worte (bzw. Wortvorstellungen) erfüllen: sie erweisen sich als assoziativ mit Objekt- bzw. Wortvorstellungen verknüpft. Als einem Verfechter der psychologistischen Bedeutungstheorie dürfte es daher für Freud naheliegend gewesen sein, diesen Phänomenen im gleichen Sinne wie den sprachlichen Ausdrücken selbst „Bedeutung" zuzuschreiben. Betrachten wir abschließend an einem Beispiel aus dem „Bruchstück einer Hysterie-Analyse", wie Freuds Konzeption der „Bedeutung" Eingang in sein psychoanalytisches Werk gefunden hat: E s [das h y s t e r i s c h e S y m p t o m ] k o m m t n i c h t ö f t e r a l s e i n m a l z u s t a n d e , - u n d z u m Charakter des hysterischen S y m p t o m s gehört die Fähigkeit, sich zu wied e r h o l e n - w e n n e s n i c h t e i n e p s y c h i s c h e B e d e u t u n g , e i n e n Sinn h a t .
Diesen
S i n n b r i n g t d a s h y s t e r i s c h e S y m p t o m n i c h t m i t , er w i r d i h m v e r l i e h e n , g l e i c h s a m m i t i h m v e r l ö t e t , u n d er k a n n i n j e d e m F a l l e e i n a n d e r e r s e i n , j e n a c h der B e s c h a f f e n h e i t der n a c h A u s d r u c k
ringenden
unterdrückten Gedanken [G.W.
1 9 0 5 , 5: 200], 11
12
Hierzu eine P a s s a g e aus „Das Unbewußte": „Mit einem Male g l a u b e n wir n u n z u wissen, wodurch sich eine bewufite Vorstellung v o n einer u n b e w u ß t e n unterscheidet . . . D i e b e w u ß t e Vorstellung umfaßt die Sachvorstellung [in der Aphasienschrift: ,Objektvorstellung'] plus der zugehörigen Wortvorstellung, die u n b e w u ß t e ist die Sachvorstellung allein . . . Wir können j e t z t a u c h präzise ausdrücken, was die Verdrängung bei d e n Ubertragungsneurosen verweigert: D i e Ü b e r s e t z u n g i n Worte, welche mit d e m Objekt verknüpft bleiben sollen . . . Denkvorgänge [sind] a n sich qualitätslos und unbewußt u n d [erlangen] ihre Fähigkeit, b e w u ß t z u werden, nur durch die Verknüpfung mit den Resten der Wortwahrnehmung" [G.W. 1915, 10: 300-301]. Bei den zuvor besprochenen Aphasien gelingt freilich eine Erregung der WortKlangbilder: entweder auf „Umwegen" oder in Form eines „Ersatzwortes".
Resümee
83
Die Bildung eines hysterischen Symptoms vollzieht sich nach Freud in mehreren Phasen. Am Anfang steht eine kontingente assoziative Verknüpfung zwischen einer motorischen (somatischen) Reaktion und einer bestimmten psychischen Situation, z . B . dem Erbrechen in Verbindung mit Ekelgefühlen, die von einer traumatisch wirkenden Szene ausgelöst wurden. Ist eine solche Verbindung entstanden (Erbrechen - Ekel - traumatische Szene), so kann sich das Symptom in einer gleichartigen Situation wiederholen, ohne daß der betreffenden Person Ekelgefühle bewußt werden müßten; dennoch „trägt" das Symptom diese Bedeutung (Äußerung des Ekels). Ein anschauliches Beispiel einer solchen Symptombildung bietet die in den „Studien über Hysterie" geschilderte Gesichtsneuralgie der Frau Cäcilie: ihre somatische Reaktion erweist sich als assoziativ verknüpft mit dem Gedanken „Das ist mir wie ein Schlag ins Gesicht!", der dieser Patientin bei einer schweren Kränkung durch ihren Ehemann erstmals gekommen war. Später trat die Neuralgie auch in anderen Kränkungssituationen (anstelle des bewußten Gedankens) auf [vgl. G.W. 1895, 1: 245-247]. Nun können wir auch die metaphorische Redeweise Freuds von der „Bedeutung", die mit einem Symptom „verlötet" sei, aufklären und verstehen: Gemeint ist die aus traumatischem Anlaß entstehende (und auch weiterhin fortbestehende) assoziative Verknüpfung einer gedanklichen Vorstellungsgruppe mit zur selben Zeit auftretenden somatischen Reaktionen (motorischen Vorstellungen). Gemäß der von Freud zugrunde gelegten Bedeutungstheorie „repräsentieren" die somatischen Vorgänge den gleichen Inhalt, den die mit ihnen assoziierten Wort Vorstellungen zum Ausdruck bringen würden, wären sie nicht verdrängt. 4.5
Resümee
Die manifesten Phänomene haben für Freud „Bedeutung", weil sie nach seiner Auffassung die Ergebnisse eines Assoziationsprozesses sind, der ausgehend von unbewußten Denkvorgängen, die aufgrund psychischer Konflikte nicht die zugehörigen Wortvorstellungen erregen können, zu visuellen oder motorischen Vorstellungen führt. Diese sind nach Freud in prinzipiell gleicher Weise mit den Denkvorgängen verknüpft wie die entsprechenden Wortvorstellungen und repräsentieren deshalb den gleichen psychischen Inhalt - nur in einer anderen Ausdrucksweise. Für diese Sichtweise der Dinge sind zumindest zwei Punkte wesentlich: (1) die Annahme Freuds, die manifesten Phänomene seien die Ergebnisse eines solchen Assoziationsprozesses und (2) die psychologistische Bedeutungstheorie. Bezüglich des ersten Punktes habe ich bereits in Kapitel 3.
84
Freuds Schrift „Zur Auffassung der A p h a s i e n "
auf Begründungsprobleme hingewiesen (S. 63-68); es handelt sich dabei jedoch hauptsächlich um eine empirische Frage, die hier nicht weiter verfolgt werden kann. Auf den zweiten Punkt soll jedoch näher eingegangen werden, und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum einen möchte ich zeigen, daß Freud mit der von ihm vertretenen Bedeutungstheorie in vollem Einklang mit den meisten Philosophen, Medizinern und Psychologen seiner Zeit steht. - Um die Jahrhundertwende wurde jedoch diese psychologistische Bedeutungstheorie heftig kritisiert und durch Freges Theorie abgelöst. Da Freuds These der „Bedeutung" manifester Phänomene bisher jedoch nur relativ zu der psychologistischen Version einer Bedeutungstheorie als plausibel rekonstruiert werden konnte, hat die Kritik an der psychologistischen Bedeutungstheorie, wenn sie sich als berechtigt erweist, Einfluß auf die Bewertung der Freudschen Bedeutungsthese. Diese Kritik darzustellen und Freuds Bedeutungsthese im Lichte dieser Kritik neu einzuschätzen, ist die zweite Aufgabe des folgenden Kapitels.
5. Kapitel Freuds psychologistische Bedeutungstheorie: Tradition und Kritik 5.1
Bedeutungstheorien
im ausgehenden neunzehnten
Jahrhundert
Ausgesprochen einflußreich waren gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts die Arbeiten John Stuart Mills. Er darf im Hinblick auf semantische Fragestellungen nicht nur als einer der Repräsentanten der traditionellen Philosophie gelten, sondern dürfte zugleich auch erheblichen Einfluß auf Freuds Denken genommen haben. Freud selbst übersetzte auf Empfehlung Franz Brentanos den zwölften Band der von Theodor Gomperz herausgegebenen Werke Mills. Wenngleich die Themen - Probleme der Arbeiterschaft, Frauenemanzipation, Sozialismus - ohne Bezug zu semantischen Fragen sind, war Freud doch zugleich mit den einschlägigen Schriften Mills zur Logik und Sprache bestens vertraut, wie seine Hinweise auf Mills „Logik" sowie dessen Schrift „An Examination of Sir William Hamilton's Philosophy" in „Zur Auffassung der Aphasien" [1891: 80] zeigen. Folgen wir den „Vorlesungen" Ernst Tugendhats „zur Einführung in die sprachanalytische Philosophie", so haben in der traditionellen Theorie der Bedeutungen, als deren wichtigster Autor Mill vorgestellt wird, außer den Eigennamen nur Kennzeichnungen eine Rolle gespielt. In erster Linie war man jedoch an den Eigennamen als den „Prototypen" sprachlicher Ausdrücke interessiert, da diese das „Stehen für einen Gegenstand" in einfacher und zugleich prägnanter Weise darzustellen scheinen [vgl. Tugendhat 1976: 347]. Welche Theorie der Eigennamen finden wir nun bei John Stuart Mill? Das Erteilen eines Eigennamens ist nach ihm mit der Handlung zu vergleichen, die der berühmte Räuber im Märchen von Ali Baba vollbringt: Wenn wir einen Eigennamen ertheilen, so vollziehen wir eine Verrichtung, die dem, was der Räuber mit dem Kreidestrich beabsichtigte, einigermaßen analog ist. Wir heften ein Merkmal zwar nicht an den Gegenstand selbst, aber so zu sagen, an die Vorstellung des Gegenstandes [1843; 1872: 19].
86
Freuds psychologistische Bedeutungstheorie: Tradition u n d Kritik
Es wird nach Mill demnach nicht der Gegenstand selbst „markiert", sondern der Name markiert die Vorstellung des Gegenstandes (the idea of the object). 1 In seiner zwanzigsten Vorlesung führt Tugendhat sehr präzise aus, was es für die traditionelle Position heißt, daß ein Name „Bedeutung" hat, also „für einen Gegenstand steht": Obwohl Mill an anderer Stelle . . . sagt, es sei die Funktion der Namen, die Gegenstände zu unterscheiden, beschränkt er an der Stelle, wo er von der Vorstellungsbeziehung der Namen spricht, die Funktion der Namen konsequenterweise darauf, daß sie dazu dienen, im Geist diejenigen gegenständlichen Vorstellungen zu wecken, mit denen sie assoziiert sind. Und das ist es offenbar, was es für die traditionelle Position heißt, daß ein Name ,für' einen Gegenstand ,steht*. Es heißt, daß er ,für' eine Gegenstandsvorstellung ,steht', in dem Sinne, daß er mit ihr assoziiert ist [1976: 353].
Wenn wir uns an Freuds Ausführungen in der „Aphasienmonographie" erinnern, in der er bekanntlich definierte, ein Wort erhalte seine Bedeutung, indem es mit den zugehörigen Objektvorstellungen assoziativ verknüpft werde, so sind die Parallelen zu Mills Auffassung, nach der ein Name für einen Gegenstand steht, wenn er mit der Vorstellung des Gegenstandes cissoziiert ist, nicht zu übersehen. Damit ist als ein weiteres Ergebnis dieser Untersuchung festzuhalten, daß Freuds Konzeption der „Bedeutung" in vollem Einklang mit der traditionellen Position, wie sie beispielsweise Mill vertrat, steht. 2 Daß die psychologistische Bedeutungstheorie nicht nur von Psychologen und Philosophen, sondern auch von Medizinern explizit vertreten wurde, zeigen zwei Veröffentlichungen Salomon Strickers: die „Studien über die Sprachvorstellungen" [1880] und die „Studien über die Association der Vorstellungen" [1883].3 Man darf davon ausgehen, daß Freud die darin vertretenen Ansichten Strickers gut kannte. Zwar distanziert er sich in 1
2
3
Weiter u n t e n gehe ich auf E d m u n d Husserls Kritik a n Mills Theorie der N a m e n ein; vgl. S. 94. M a n vergleiche a u c h die Kritik Karl Bühlers [1934: 225-226]. Wie verbreitet diese Auffassung tatsächlich war, m a g ein weiteres Zitat, u n d zwar aus einer Arbeit des Brentano-Schülers Twardowski, „Zur Lehre v o m Inhalt u n d Gegenstand der Vorstellungen", belegen; es heifit dort auf die Frage, welche Funktion die N a m e n zu erfüllen h ä t t e n u. a.: „Erstens gibt er [der Name] k u n d , dass der den Neunen Gebrauchende etwas vorstellt; er zeigt das Vorhand ensein eines psychischen Actes i m Sprechenden an. Zweitens erweckt er i m Hörenden einen b e s t i m m t e n psychischen Inhalt. Dieser Inhalt ist es, den m a n u n t e r der ,Bedeutung* eines Namens versteht" [1894: 11]. Salomon Stricker war seit 1873 Ordinarius u n d Leiter des Pathologischen Instituts der Universität Wien. Freud belegte mehrere Vorlesungen bei i h m u n d arbeitete zweimal [1878 u n d 1884], allerdings ohne nennenswerten Erfolg, i n dessen Laboratorium [man vgl. dazu: E. Jones 1960: Bd. 1, S. 77]. Bemerkenswert ist m . E., daß Gottlob Frege gerade Strickers „Studien ü b e r die Association der Vorstellungen" zum
Bedeutungstheorien im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert
87
der „Aphasienschrift" ausdrücklich von Strickers extremer Position [1891: 101], derzufolge allein die motorischen Elemente beim Sprachvorgang von zentraler Bedeutung sind; in den wesentlichen Fragen jedoch, nämlich erstens der Auffassung der Worte als „WortVorstellungen" sowie zweitens der Forderung, ihnen nur aufgrund ihrer assoziativen Verknüpfung mit anderen Vorstellungen Bedeutung zuzuschreiben, stimmen Freud und Stricker überein. Strickers Arbeiten können daher wie kaum eine andere Schrift in die damals vorherrschende und auch Freud prägende psychologistische Strömung einführen. In den 1880 veröffentlichten „Studien über die Sprachvorstellungen" schreibt Stricker: Mit der Wortvorstellung verknüpft man noch andere Vorstellungen. Wenn ich mir das Wort ,Pferd* vorstelle, so knüpft sich daran in der Regel die Vorstellung des wirklichen Pferdes. Wenn eine solche Verknüpfung vorhanden ist, dann sage ich, dass ich das Wort verstehe, dass ich seine Bedeutung kenne [1880: 18].
Die Ausführungen Strickers thematisieren hier (wie auch an anderem Ort) lediglich den individuellen Spracherwerb und Sprachgebrauch. Auch darin stimmen er und Freud überein. Die Frage, wie eine Sprecher- und hörerunabhängige Bedeutung eines Ausdrucks, die für alle Mitglieder einer Sprachgemeinschaft dieselbe wäre, erfaßt bzw. definiert werden könnte, liegt nicht im Blickfeld psychologistischer Untersuchungen, für die die Arbeiten Strickers beispielhaft sind. Denn das Wort selbst ist - für Vertreter dieser Position - ebenfalls bloß eine (subjektive) Vorstellung, die eine bestimmte Person hat; und zwar für Stricker (hier im Gegensatz zu Freud) im wesentlichen eine motorische Vorstellung (man vgl. das „Wortbewegungsbild" bei Freud); sie besteht „in dem Bewußtsein der Impulse, welche vom Sprachcentrum zu den Muskeln entsendet werden" [1880: 30, 33]. Blieben die (motorischen) Wortvorstellungen ohne assoziative Verbindung zu den visuellen, akustischen oder taktilen Objektvorstellungen, so wären die Worte für uns bedeutungslos; es sei denn sie wären wie beim Erwerb einer Fremdsprache mit anderen Wortvorstellungen verknüpft: Reine Wortvorstellungen sind für unser Bewußtsein nichts als Zeichen, an welche sich andere Vorstellungen knüpfen müssen, wenn wir die Zeichen verstehen sollen. Diese anderen Vorstellungen müssen von der Wortvorstellung wachgerufen werden [1880: 53],
In den 1883 veröffentlichten „Studien über die Association der Vorstellungen" führt Stricker seine Ansichten weiter aus. Unter anderem befaßt er Beispiel n i m m t , u m d e n u n g ü n s t i g e n E i n f l u ß p s y c h o l o g i s t i s c h e r B e t r a c h t u n g s w e i s e n i n d e r P h i l o s o p h i e u n d Logik a u f z u z e i g e n u n d e n t s c h i e d e n z u r ü c k z u w e i s e n [vgl. „ D i e G r u n d l a g e n d e r A r i t h m e t i k " , 1884; 1961: XVII]; i c h k o m m e w e i t e r u n t e n d a r a u f z u r ü c k , siehe S. 88-89.
88
Freuds psychologistische Bedeutungstheorie: Tradition und Kritik
sich dort mit solchen Vorstellungen, die beim mathematischen Denken entstehen, insbesondere mit den Vorstellungen, die mit den Zahlen verknüpft sind. So sind nach Stricker die „Zählworte . . . Worte oder motorische Vorstellungen, wie alle anderen Worte"; die Zahlen können uns nicht „durch den optischen Eindruck allein vermittelt werden", hier ist vielmehr „eine Association mit motorischen Vorstellungen nothwendig" [vgl. 1883: 76-78]. „Darin konnten allerdings die Mathematiker ihre Zahlen nicht wiedererkennen" - in dieser Weise polemisiert Gottlob Frege über die Zahlvorstellungen Salomon Strickers; er schreibt in den „Grundlagen der Arithmetik": Wenn z. B. Stricker die Vorstellungen der Zahlen motorisch, von Muskelgefühlen abhängig nennt, so kann der Mathematiker seine Zahlen darin nicht wiedererkennen und weiß mit einem solchen Satze nichts anzufangen. Eine Arithmetik, die auf Muskelgefühle gegründet wäre, würde gewiß recht gefühlvoll, aber auch ebenso verschwommen ausfallen wie diese Grundlage. Nein, mit Gefühlen hat die Arithmetik gar nichts zu schaffen [1884; 1961: XVII]. Frege fährt fort: Es mag ja von Nutzen sein, die Vorstellungen und deren Wechsel zu betrachten, die beim mathematischen Denken vorkommen; aber die Psychologie bilde sich nicht ein, zur Begründung der Arithmetik irgendetwas beitragen zu können. Dem Mathematiker als solchem sind diese innern Bilder, ihre Entstehung und Veränderung gleichgiltig. Stricker sagt selbst, dass er sich beim Worte ,Hundert' weiter nichts vorstellt als das Zeichen 100. Andere mögen sich den Buchstaben C oder sonst etwas vorstellen; geht daraus nicht hervor, dass diese innern Bilder in unserem Falle für das Wesen der Sache vollkommen gleichgiltig und zufällig sind . . . ? Man sehe doch nicht das Wesen der Sache in solchen Vorstellungen! Man nehme nicht die Beschreibung, wie eine Vorstellung entsteht, für eine Delinition und nicht die Angabe der seelischen und leiblichen Bedingungen dafür, dass uns ein Satz zum Bewusstsein kommt, für einen Beweis und verwechsele das Gedachtwerden eines Satzes nicht mit seiner Wahrheit! [1884; 1961: XVIII]. Freges Argumentation richtet sich entschieden gegen den Einfluß psychologistischen Denkens in der Mathematik und Logik; allerdings nicht derart, daß er die Ergebnisse psychologischer Forschung als generell irrelevant ablehnt, sondern lediglich im Hinblick auf den weit überzogenen Anspruch, die psychologischen Untersuchungen könnten zugleich auch die Begründungsprobleme der Arithmetik und Logik in Angriff nehmen und lösen.4 Frege verfolgt das Ziel, die mathematischen Begriffe durch explizite Definitionen aus den logischen Begriffen sowie die mathematischen Sätze durch Deduktionen aus den logischen Grundsätzen abzuleiten. Es geht 4
Diese Argumentation richtet sich nicht nur gegen Stricker, sondern auch gegen Mills „Pfefferkuchen- oder Kieselsteinarithmetik" [vgl. 1884; 1961: X I X ] .
Bedeutungstheorien i m ausgehenden n e u n z e h n t e n J a h r h u n d e r t
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ihm um die Wahrheit mathematischer Aussagen, um ein sicheres Fundament für die Mathematik. Ein solches kann jedoch nicht dadurch gelegt werden, daß man auf die (subjektiven) Vorstellungen der Mathematiker rekurriert, die sie mit mathematischen Begriffen und Sätzen verbinden: Man denkt sich, wie es scheint, dass die Begriffe in der einzelnen Seele so entstehen, wie die Blätter an den Bäumen und meint ihr Wesen dadurch erkennen zu können, dass man ihrer Entstehung nachforscht und sie aus der Natur der menschlichen Seele psychologisch zu erklären sucht. Aber diese Auffassung zieht Alles ins Subjective und hebt, bis ans Ende verfolgt, die Wahrheit auf [1884; 1961: XIX],
Frege formuliert drei Grundsätze - man könnte auch sagen, er erhebt drei Forderungen - , von denen mindestens die ersten beiden die Funktion haben, dafür Sorge zu tragen, daß man bei der Grundlegung der Mathematik nicht in den Bereich der Psychologie gezogen wird [vgl. 1884; 1961: XXII]: (1) Das Psychologische muß vom Logischen, das Subjektive vom Objektiven scharf getrennt werden. (2) Nach der Bedeutung der Wörter muß im Satzzusammenhang gefragt werden. (3) Der Unterschied zwischen Begriff und Gegenstand ist im Auge zu behalten. Für uns ist besonders Freges Kommentar zu seinem zweiten Grundsatz von Bedeutung. Läßt man diesen nämlich unbeachtet - und für Freud, Stricker und Mill ist stets das Wort als Wortvorstellung die kleinste bedeutungstragende Einheit (!) - , so ist man nach Frege „fast genöthigt, als Bedeutung der Wörter innere Bilder oder Thaten der einzelnen Seele zu nehmen und damit auch gegen den ersten [Grundsatz] zu verstoßen" [1884; 1961: XXII], Es kann in dieser Arbeit nicht darum gehen, die Position Freges selbst kritisch zu überprüfen; auch dazu gibt es eine lange Diskussion, die mit Russell und Wittgenstein beginnend über Carnap und Quine bis zu Kripke und Putnam führt. 5 Mein Anliegen ist es vielmehr, den Leser mit den wichtigsten Ansichten Freges bekannt zu machen, da die Mehrzahl der 5
Die folgenden, exemplarisch a u f g e f ü h r t e n A r b e i t e n der g e n a n n t e n A u t o r e n h a b e n in der Diskussion u n d Weiterentwicklung der Fregeschen G e d a n k e n eine bedeutende Rolle gespielt: „ O n Denoting" [Russell 1905], „ T r a c t a t u s logico-philosophicus" [Wittgenstein 1921], „Meaning and Necessity" [ C a m a p 1947; 2 1956], „Word & Obj e c t " [Quine 1960], „Naming a n d Necessity" [Kripke 1972] u n d „ T h e Meaning of .Meaning' " [ P u t n a m 1975].
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Freuds psychologistische Bedeutungstheorie: Tradition, und Kritik
analytischen Philosophen - wenn auch z . T . mit kritischer Distanz - noch immer in dessen Tradition steht. Durch die innovativen Arbeiten Freges, Husserls und auch Bühlers ist die psychologistische Bedeutungstheorie, in deren Tradition wir wiederum Freud zu sehen haben, abgelöst worden. Während die Schwierigkeiten, die gerade analytische Philosophen mit der Rekonstruktion des psychoanalytischen Bedeutungsbegriffes zu haben scheinen, darin begründet sein dürften, daß sie Freuds psychologistische Position nicht zur Kenntnis genommen haben, 6 resultieren m. E. die Schwierigkeiten, die Psychoanalytiker mit der Lektüre (analytisch-) philosophischer Arbeiten zum Bedeutungsbegriff der Freudschen Psychoanalyse haben, aus einer Unkenntnis der Tradition, in der analytische Philosophen stehen. Aus diesem Grund scheint es mir sinnvoll zu sein, an dieser Stelle zumindest die Grundzüge der Fregeschen Bedeutungstheorie zu skizzieren. Frege leitet seinen vielleicht einflußreichsten Aufsatz - „Uber Sinn und Bedeutung" [1892] - ein mit der Bemerkung, daß die „Gleichheit" geeignet sei, unser Nachdenken herauszufordern. Er stellt die Frage, ob es sich bei ihr um eine Beziehung, und wenn ja, um eine solche zwischen Gegenständen oder um eine zwischen Zeichen handele. Überzeugend kann Frege zeigen, daß keine der beiden Relationen vorliegen kann: Würden wir in der durch eine in einer bestimmten Gleichung ausgesprochenen Gleichheit eine Beziehung zwischen dem sehen, was die in dieser Gleichung vorkommenden Zeichen benennen, so gäbe es beispielsweise keinen Unterschied zwischen dem (analytischen) Satz „a — a" und dem Satz „a = b", vorausgesetzt α und b bezeichnen denselben Gegenstand; andererseits unterscheidet sich das bloße Zeichen „a" vom Zeichen „b", so daß sich auf der Zeichenebene erst recht keine Beziehung der Gleichheit behaupten läßt. Frege schließt daraus: Eine Verschiedenheit kann nur dadurch zustande kommen, daß der Unterschied des Zeichens einem Unterschiede in der Art des Gegebenseins des Bezeichneten entspricht . . . Es liegt nun nahe, mit einem Zeichen (Namen, Wortverbindung, Schriftzeichen) außer dem Bezeichneten, was die Bedeutung des Zeichens heißen möge, noch das verbunden zu denken, was ich den Sinn des Zeichens nennen möchte, worin die Art des Gegebenseins enthalten ist [1892: 26; 1975: 41; Hervorhebungen v. V.].
So wäre beispielsweise der bezeichnete Gegenstand (die Bedeutung) der verschiedenen Zeichen „Abendstern" und „Morgenstern" derselbe, nämlich die Venus, jedoch nicht der „Sinn", d . h . die Gegebenheitsweise dieses Ge6
In der Diskussion der einschlägigen Sekundärliteratur komme ich darauf zurück; vgl. unten S. 134-149.
Bedeutungstheorien im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert
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genstandes durch die beiden Ausdrücke. 7 In einer längeren Passage grenzt Frege den Begriff des Sinnes, der im Zuge der Untersuchungen zur Relation der Gleichheit eingeführt wurde und sich als wichtige zusätzliche Funktion eines Zeichens „aufdrängte", von dem aus der Psychologie stammenden Begriff der Vorstellung ab: Von der Bedeutung und dem Sinne eines Zeichens ist die mit ihm verknüpfte Vorstellung zu unterscheiden. Wenn die Bedeutung eines Zeichens ein sinnlich wahrnehmbarer Gegenstand ist, so ist meine Vorstellung davon ein aus Erinnerungen von Sinneseindrücken, die ich gehabt habe, und von Tätigkeiten, inneren sowohl wie äußeren, die ich ausgeübt habe, entstandenes inneres Bild. Dieses ist oft mit Gefühlen getränkt; die Deutlichkeit seiner einzelnen Teile ist verschieden und schwankend. Nicht immer ist, auch bei demselben Menschen, dieselbe Vorstellung mit demselben Sinne verbunden. Die Vorstellung ist subjektiv: die Vorstellung des einen ist nicht die des anderen. Damit sind von selbst mannigfache Unterschiede der mit demselben Sinne verknüpften Vorstellungen gegeben . . . Die Vorstellung unterscheidet sich dadurch wesentlich von dem Sinne eines Zeichens, welcher gemeinsames Eigentum von vielen sein kann und also nicht Teil oder Modus der Einzelseele ist; denn man wird wohl nicht leugnen können, daß die Menschheit einen gemeinsamen Schatz von Gedanken hat, den sie von einem Geschlechte auf das andere überträgt [1892: 29; 1975: 43-44], Schließlich sagt Frege: Von den Vorstellungen und Anschauungen soll im folgenden nicht mehr die Rede sein; sie sind hier nur erwähnt worden, damit die Vorstellung, die ein Wort bei einem Hörer erweckt, nicht mit dessen Sinn oder dessen Bedeutung verwechselt werde [1892: 31; 1975: 46], Man darf wohl ohne Übertreibung sagen, daß mit dieser Bemerkung Freges - sieht man von einem gewissen Zeitraum ab, dessen es bedurfte, bis sich seine Gedanken durchsetzten - „Vorstellungen" aus der philosophischen Diskussion der „Bedeutung eines sprachlichen Ausdruckes" verschwunden sind. Nicht zuletzt diese Entwicklung stellte bislang eine der Hürden für ein angemessenes Freud-Verständnis dar. 7
Neben dem Sinn und der Bedeutung von Eigennamen untersucht Frege Sinn und Bedeutung von Aussagesätzen: Der durch einen Aussagesatz ausgedrückte Gedanke sei allerdings nicht die Bedeutung, sondern der Sinn dieses Satzes. Ersetze m a n nämlich in einem Satz ein Wort durch ein anderes von derselben Bedeutung, aber anderem Sinn, BO dürfe sich nicht die Bedeutung dieses Satzes verändern. Der Gedanke ändere sich jedoch bei einer solchen Ersetzung und sei daher als Sinn eines Aussagesatzes aufzufassen. Weitere Überlegungen führen Frege dazu, den Wahrheitswert eines Satzes als dessen Bedeutung aufzufassen; denn nach der Bedeutung eines Satzes frage man immer dann, wenn es auf die Bedeutung der Bestandteile des Satzes ankomme, und das sei genau dann der Fall, wenn es um die Wahrheit des Satzes gehe [vgl. 1892: 32-34; 1975: 46-48]. Siehe dazu auch „Gottlob Frege" von G. Patzig [1981: 251-273; besonders die Seiten 260-268].
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Freuds psychologistische Bedeutungstheorie: Tradition und Kritik
Blicken wir auf die bisher geleistete Rekonstruktion zurück, so ist folgendes hervorzuheben: Zur Zeit Freuds findet ein Wechsel statt in dem, was man das je „Selbstverständliche" in einer philosophischen Epoche oder Disziplin nennen könnte. Die alte Tradition wird abgelöst durch Ansichten, die sich im Laufe der Zeit selbst zu - neuen - Traditionen ausbilden. Während Freud in den Gedanken- und Theoriegebäuden, wie sie z.B. die Arbeiten Strickers und Mills repräsentieren, aufwuchs, begannen Frege, Husserl und später Bühler gegen genau diese Positionen zu revoltieren, um sie schließlich durch ihre eigenen Theorien zu ersetzen und abzulösen. Freges bzw. Husserls Unterscheidungen und Definitionen sind für uns so selbstverständlich geworden, daß es schwerfällt, sich in die Positionen zu versetzen, die Freuds Denken prägten und bestimmten. 8 Um die beiden unterschiedlichen Bedeutungstheorien, die Freud bzw. Frege vertraten, in systematischer Hinsicht miteinander vergleichen zu können, soll der folgende Abschnitt zu einer synoptischen Darstellung der Begriffe führen, die für beide Theorien grundlegend sind. 5.2
Systematische
Zusammenstellung Bedeut
der verschiedenen ungs
Ansätze
der
theorien
Das Ziel dieses Abschnittes ist es, zu einer vergleichenden Explikation der Begriffe zu gelangen, die den beiden unterschiedlichen Versionen einer Bedeutungstheorie (der „subjektiv-psychologistischen" bzw. der „objektivlogizistischen") zugrunde liegen. Dazu scheint es mir besonders günstig zu sein, zunächst Husserls „Logischen Untersuchungen" zu folgen. Als früherer Verfechter der psychologistischen Theorie gibt Husserl einer Darstellung derselben größeren Raum als etwa Frege; wir finden dort die s y s t e m s tischen Unterscheidungen zwischen den beiden Bedeutungstheorien bereits angelegt. Ausgangspunkt für Husserls Untersuchungen ist die Unterscheidung zwischen „Anzeichen" und „Ausdrücken" Diese Einteilung ist der in Kapitel 1. eingeführten zwischen „natürlichen" und „nicht-natürlichen Zeichen" verwandt, wenngleich nicht äquivalent, da Husserl eine Reihe künstlicher Zeichen wie z.B. das Stigma des Sklaven oder die Flagge einer Nation 8
Freud selbst wurde durch den von Frege und Husserl eingeleiteten Wechsel, der sich auch in der Philosophie nur allmählich vollzog, verständlicherweise nicht mehr beeinflußt; es gibt keine Hinweise dafür, daß er Husserls Schriften zur Kenntnis nahm. Wie bekannt sein dürfte, wurde Frege zu seinen Lebzeiten wenig von Mathematikern, kaum von Philosophen und von fachfremden Wissenschaftlern, wie Freud es einer war, wohl überhaupt nicht beachtet. In bezug auf die frühe Rezeption Freges vgl. man Patzigs Einleitung zu „Funktion, Begriff, Bedeutung" [Frege 1975: 5-7],
Systematik der Bedeutungstheorien
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ebenfalls den bloßen Anzeichen zuordnet. 9 Im Unterschied zu den natürlichen Anzeichen erfüllen diese jedoch die Punktion des „Bezeichnens", da sie willkürlich und in anzeigender Absicht gebildet sind [vgl. 1901; 1980: 24]· Aber weder natürliche noch künstliche (An-)Zeichen verfügen über die Eigenschaft, die Ausdrücke kennzeichnet: Sprachliche Ausdrücke haben nach Husserl eine „Bedeutung", einen „Sinn", der mit dem Zeichen „ausgedrückt" ist. 10 Ein solches „Bedeuten ist nicht eine Art des Zeichenseins im Sinne der Anzeige" [1980: 23]. Zeichen im Sinne von Anzeichen drücken nichts aus; sie zeigen lediglich etwas an. Nach dieser Unterteilung der Zeichen in sogenannte Anzeichen und Ausdrücke wendet sich Husserl den Funktionen zu, die sprachliche Ausdrücke haben können: In der kommunikativen Rede fungieren die Ausdrücke nach seiner Ansicht als Anzeichen. „Sie dienen dem Hörenden als Zeichen für die ,Gedanken' des Redenden" [1980: 33]. Diese Funktion der sprachlichen Ausdrücke nennt Husserl die „kundgebende Funktion". Kundgegeben werden jene psychischen Erlebnisse, die assoziativ mit den entsprechenden Ausdrücken verknüpft sind. Vor den Arbeiten Freges und Husserls hat man diese psychischen Erlebnisse oder Vorstellungen häufig als die Bedeutung der Ausdrücke angesehen. Am Beispiel der nicht zur Mitteilung bestimmten Ausdrücke - dem „stillen Denken" - zeigt Husserl, daß die anzeigende bzw. kundgebende Funktion nicht das Wesentliche eines Ausdruckes ausmachen kann: die Bedeutung eines Ausdruckes könne nicht mit seiner kundgebenden Leistung zusammenfallen [1980: 35]; vielmehr müsse von dieser die „Bedeutungsfunktion" des Ausdruckes unterschieden werden. 11 In Anlehnung an 9 10
11
Vgl. S. 19-21. Im Gegensatz zu Frege verwendet Husserl die Begriffe „Sinn" und „Bedeutung" synonym. Man vgl. seine Kritik an Freges Terminologie [1901; 1980: 52-53]. Die Unterscheidung Husserls zwischen der kundgebenden Funktion und der Bedeutungsfunktion eines Sprachzeichens ist als eine Vorstufe des dreigliedrigen OrganonModells anzusehen, welches Karl Biihler seiner Sprachtheorie zugrunde legt. Nach Bühler sind es drei voneinander zu unterscheidende Leistungen, die ein Schallphänomen (oder Schriftbild) in den „Rang eines Zeichens erheben" [1934: 28]: „Es ist Symbol kraft seiner Zuordnung zu Gegenständen und Sachverhalten, Symptom (Anzeichen, Indicium) kraft seiner Abhängigkeit vom Sender, dessen Innerlichkeit es ausdrückt, und Signal kraft seines Appells an den Hörer, dessen äußeres oder inneres Verhalten es steuert wie andere Verkehrszeichen" [1934: 28]. Zur Charakterisierung der drei semantischen Funktionen des Zeichens verwendet Bühler die folgenden Termini: „Ausdruck" (für das Zeichen als Symptom), „Appell" (für das Zeichen als Signal) und „Darstellung" (für das Zeichen als Symbol). - Heinz Hartmann greift in seinem „Beitrag zur Metapsychologie der Schizophrenie" die Unterscheidungen Bühlers auf. Nach seiner Auffassung wird von den drei „Leistungen der menschlichen Sprache" bei der Schizophrenie hauptsächlich die darstellende Funktion gestört: Jene
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Freuds psychologistische Bedeutungstheorie: Tradition u n d Kritik
Freges Aufsatz „Über Sinn und Bedeutung" unterscheidet auch Husserl zwischen dem Ausdruck selbst, seinem Sinn sowie der „zugehörigen Gegenständlichkeit" [1980: 42], Er faßt wie folgt zusammen: Jeder Ausdruck besagt nicht nur etwas, sondern er sagt auch über Etwas; er hat nicht nur seine Bedeutung, sondern er bezieht sich auch auf irgendwelche Gegenstände ... Niemals fällt aber der Gegenstand mit der Bedeutung zusammen. Natürlich gehören beide zum Ausdruck nur vermöge der ihm sinngebenden psychischen Akte; und wenn man in Hinsicht auf diese V o r stellungen' zwischen ,Inhalt' und ,Gegenstand' unterscheidet, so ist damit dasselbe gemeint, was hinsichtlich des Ausdrucks als das, was er bedeutet oder .besagt' und das, worüber er etwas sagt, unterschieden wird [1980: 46].
Darüber hinaus weist Husserl auf den engen Zusammenhang hin, der zwischen der Bedeutung eines Ausdruckes und dem gemeinten Gegenstand besteht, „nämlich daß ein Ausdruck nur dadurch, daß er bedeutet, auf Gegenständliches Beziehung gewinnt, und daß es also mit Recht heißt, der Ausdruck bezeichne (nenne) den Gegenstand mittels seiner Bedeutung" [1901; 1980: 49]. Meines Erachtens müßte man ganz analog hinzufügen, ein Ausdruck gewinne erst dadurch, daß er bedeutet, seine kundgebende Funktion. Wie sonst sollten wir denn wissen, was jemand kundgetan hat? Auf die Frage, was wesentlich zu jedem Ausdruck gehört, gibt Husserl die folgende Antwort: Die beziehenden Reden von Kundgabe, Bedeutung und Gegenstand gehören wesentlich zu jedem Ausdruck. Mit einem jeden ist etwas kundgegeben, in jedem etwas bedeutet und etwas genannt oder sonstwie bezeichnet. Und all das heißt in äquivoker Rede ausgedrückt [1901; 1980: 50],
Aus diesem Grund entstehen die folgenden sprachlichen Konfusionen: In einer der logischen Klarheit sehr nachträglichen 1 2 Weise faßt man, und nicht selten innerhalb einer und derselben Gedankenreihe, bald die kundgegebenen Akte, bald den idealen Sinn, bald die ausgedrückte Gegenständlichkeit als Sinn oder Bedeutung des bezüglichen Ausdrucks [1901; 1980: 53].
Interessant ist in diesem Zusammenhang Husserls Kritik an der oben skizzierten Theorie Mills (vgl. S. 85-86). Husserl unterstreicht besonders,
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„Funktion der Sprache, durch welche nicht n u r Wortvorstellungen zu Sachvorstellungen hinzugefügt werden, sondern auch erreicht wird, daß die ersteren (Wortvorstellungen) die letzteren (Sachvorstellungen) b e d e u t e n " [1953; 1972: 187]. Neben der Tatsache, daß H e r t m a n n Bühlers Organon-Modell zuhilfe n i m m t , u m den Fiinktionsverlust bei schizophrenen Sprachstörungen zu charakterisieren, verdient ein anderer Aspekt Beachtung: H e r t m a n n vertritt — immerhin 1953 — ganz selbstverständlich die (oben rekonstruierte) psychologistische Bedeutungstheorie Freuds. Husserl meint wahrscheinlich „abträglich".
Systematik der Bedeutungstheorien
95
daß Mill den Unterschied zwischen Ausdruck und Anzeichen nicht gründlich erfaßt habe: „Der Kreidestrich des Räubers ist ein bloßes Anzeichen (Kennzeichen), der Eigenname ein Ausdruck" [1980: 59]. Zwar wirke auch der Eigenname als ein Anzeichen, aber bloß im Hinblick auf seine kundgebende Funktion: Hören wir die Äußerung des Eigennamens, so wird in uns die zugehörige Vorstellung erweckt, und wir wissen: diese Vorstellung ist es, welche der Sprechende in sich vollzieht, und welche er zugleich in uns erwecken will. Aber der Name hat überdies die Funktion eines Ausdruckes. Die kundgebende Funktion ist nur ein Hilfsmittel für die Bedeutungsfunktion. Primär kommt es nicht auf die Vorstellung an; nicht darum handelt es sich, das Interesse auf sie, und was sie irgend betreffen mag, hinzulenken, sondern darauf, es auf den vorgestellten Gegenstand, als den gemeinten und somit genannten, hinzulenken, ihn als solchen für uns hinzustellen . . . In Beziehung auf den Gegenstand ist der Eigenname aber kein Anzeichen [1901; 1980: 59].
Wir sehen an diesem Zitat, daß Husserl den von uns zuvor formulierten Gedanken, daß nur vermittels des Sinnes erkannt werden könne, welche psychischen Erlebnisse ein Ausdruck anzeige (S. 94), nicht unterstützen würde. Vielmehr scheint er die Sache umgekehrt aufzufassen: Die Kundgabe wird konzipiert als ein Hilfsmittel der Bedeutungsfunktion; denn die Funktion der Kundgabe beruhe auf einer Regelhaft igkeit. Der geäußerte Ausdruck erwecke in uns Assoziationen, die wir mit dem Sprachzeichen verknüpft haben und von denen wir annehmen, daß sie auch beim Sprecher miteinander verbunden sind. Mit der traditionellen psychologistischen Theorie, wie wir sie z. B . bei Stricker vorgefunden haben, befaßt sich Husserl im Rahmen seiner Diskussion der „illustrierenden Phantasiebilder als vermeintliche Bedeutungen" eines sprachlichen Ausdrucks. Er unterstreicht, daß diese Auffassung - im Unterschied zu seiner eigenen Theorie der Bedeutung - „die ganze Leistung des lebendig bedeutsamen Ausdruckes in die Erweckung gewisser, ihm konstant zugeordneter Phantasiebilder setzt": Einen Ausdruck verstehen, hieße hiernach, die ihm zugehörigen Phantasiebilder vorfinden. Wo sie ausbleiben, wäre der Ausdruck sinnlos. Nicht selten hört man diese Phantasiebilder selbst als die Wortbedeutungen bezeichnen, und zwar mit dem Anspruch, das zu treffen, was die gemeinübliche Rede unter der Bedeutung des Ausdruckes versteht [1901; 1980: 61-62].
Nach Husserl sind folgende Begriffe auseinanderzuhalten: die sprachlichen Zeichen (Ausdrücke), der von ihnen ausgedrückte Sinn (ihre Bedeutung), die Gegenständlichkeit, auf die sich die Ausdrücke nennend beziehen, und die Phantasiebilder oder Vorstellungen, die eine Person mit
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F r e u d s psychologistische B e d e u t u n g s t h e o r i e : T r a d i t i o n u n d K r i t i k .
dem jeweiligen Ausdruck (assoziativ) verbindet. Ferner ist vom sprachlichen Ausdruck selbst die Vorstellung zu unterscheiden, die die einzelnen Subjekte von diesem Zeichen haben. Wir sind nun in der Lage, die für die psychologistische sowie die Fregesche Bedeutungstheorie relevanten Begriffe in einem Schema nebeneinander zu stellen. Im Anschluß daran werde ich die Positionen der bereits besprochenen Autoren (sowie diejenige de Saussures) anhand dieses Schemas vergleichend darstellen. (1)
sprachliches Zeichen (Wort bzw. Satz)
(2)
Vorstellung des Zeichens ( „ Wort Vorstellung " )
(4)
Bedeutung/Sinn 13 des Zeichens
(3)
Vorstellungen, die mit der Wortvorstellung assoziativ verknüpft sind („Objektvorstellung")
(5)
bezeichneter Gegenstand; Referenz/Bedeutung des Zeichens
Frege unterscheidet Zeichen (1), Sinn (4) und Bedeutung (5) und von diesen dreien noch die „gefühlsgetränkten", assoziativ mit dem Zeichen verbundenen Vorstellungen (3), die für ihn jedoch keine große Rolle spielen. Für die Psychologisten fallen Zeichen (1) und Zeichenvorstellung (2) zusammen; die mit den Zeichen(vorstellungen) assoziativ verknüpften Objektvorstellungen (3) werden von ihnen mit der Bedeutung des Ausdruckes (4) identifiziert, mitunter auch mit dem Bezeichneten (5), da nicht immer zwischen bezeichnetem Gegenstand und der Bedeutung des ihn bezeichnenden Ausdruckes unterschieden wird. Auch Freud hat, wie ich anhand seiner Aphasienschrift zeigen konnte, die assoziativ verbundenen Vorstellungen (3) als die Bedeutung (4) eines Zeichens (1) aufgefaßt, wobeier ganz im Sinne der psychologistischen Tradition das Zeichen mit der Vorstellung desselben (2) identifizierte. Systematisch und historisch interessant ist in diesem Zusammenhang die Sprachtheorie von de Saussure. 14 Nach ihm haben wir das „Zeichen" als zusammengesetzt aus dem „Lautbild" (2) und der zugehörigen Objektvorstellung (3) aufzufassen: 13 14
D i e A u s d r ü c k e h i n t e r d e m Q u e r s t r i c h g e b e n F r e g e s T e r m i n o l o g i e wieder. I n einigen n e u e r e n A r b e i t e n z u r P s y c h o a n a l y s e w i r d auf d e S a u s s u r e s T e r m i n o l o g i e z u r ü c k g e g r i f f e n ; vgl. z . B . R i c o e u r [1974: 405-415] sowie L a c a n [1966].
Systematik der Bedeutungstheorien
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Das sprachliche Zeichen ist also etwas im Geist tatsächlich Vorhandenes, das zwei Seiten hat und durch folgende Figur dargestellt werden kann:
Mit dieser Definition wird eine wichtige terminologische Frage aufgeworfen. Ich nenne die Verbindung der Vorstellung mit dem Lautbild das Zeichen; dem üblichen Gebrauch nach aber bezeichnet dieser Terminus im allgemeinen das Lautbild allein, z. B. ein Wort . . . Die Mehrdeutigkeit dieses Ausdrucks verschwindet, wenn man die drei hier in Rede stehenden Begriffe durch Namen bezeichnet, die unter sich in Zusammenhang und zugleich in Gegensatz stehen. Ich schlage also vor, daß man das Wort Zeichen beibehält für das Ganze, und Vorstellung bzw. L&utbild durch Bezeichnetes [signifikat; signiüe] und Bezeichnung (Bezeichnendes) [signifikant; signiiiant] ersetzt [1916; 1967: 78-79; die Zusätze in eckigen Klammern stammen v. V.]. Weitere Ausführungen de Saussures zeigen, daß er offenbar auch noch die Vorstellungen (3) mit dem Bezeichneten (5) und der Bedeutung (4) identifiziert. Man betrachte dazu die folgende Figur:
Zu diesem Schema bemerkt de Saussure: „Sie [die Bedeutung] ist, wie die Pfeile in der Figur zeigen, nur das Gegenstück zum Lautbild", welches in diesem Schema „Bezeichnendes" genannt wird [vgl. 1916; 1967: 136]. Auf scharfe Ablehnung stößt de Saussures Konzeption des Zeichens bei Bühler: Ausgeschlossen ist die von de Saussure noch nicht überwundene Metzgeranalyse, nach welcher la langue ein ,Gegenstand konkreter Art' sei und daß er lokalisiert* werden könne ,in demjenigen Teil des Kreislaufs, wo ein Lautbild sich einer Vorstellung ( = Sachvorstellung) assoziiert'. Schroff gegen diese verhängnisvollste idler Stoffentgleisungen wird von uns erstens die These von der Idealität des Gegenstandes ,Sprache* . . . zu vertreten und zweitens wird der prinzipielle Mißgriff aufzudecken und als Mißgriff zu entlarven sein, den all jene getan haben, die im Banne der klassischen Assoziationstheorie die zweifelsfrei nachzuweisenden Komplexions- und Verlaufsverkettungen in unserem Vorstellungsleben verwechseln mit dem Bedeutungserlebnis [1934: 58].
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F r e u d s psychologistische B e d e u t u n g s t h e o r i e : T r a d i t i o n u n d K r i t i k
Da Bühlers grundsätzliche Kritik an der Assoziationstheorie (seine „Entlarvung des psychologistischen Mißgriffs") nicht nur de Saussure gilt, sondern auf jeden Verfechter dieser Theorie, also auch auf Freud, zu beziehen ist, sei sie in voller Länge wiedergegeben: Wenn, um dies gleich anzubringen, das Bedeutungserlebnis (A bedeutet B ) mit irgendeinem Innigkeitsgrad (Festigkeitsgrad) der Verkittung von zwei Vorstellungen α und β identisch, wäre, so müßte in allen Assoziationsketten, die uns Gelerntes wie am Schnürchen und sogar im Halbschlaf reihenhaft zu reproduzieren gestatten wie das Vaterunser und das Alphabet und die Zahlenreihe, die bei Definitionsgleichungen immer wieder vernachlässigte logische Prüfung auf Umkehrbarkeit durchzuführen sein. ,Bedeutet' in der Assoziationskette des Alphabets ζ. Β. ,kraft' inniger Assoziation, die zweifelsfrei besteht, jedes vorausgehende Glied jedes folgende? Bedeutet die Vorstellung α das folgende β oder bedeutet der Gegenstand von et den Gegenstand von β usw.? Wenn nicht, dann ist die angesetzte Identität ein Nonsens und nichts anderes [1934: 59].
In den vorausgegangenen Kapiteln wurde folgendes gezeigt: Erstens, Freuds These, daß manifeste Phänomene Inhalt und Bedeutung haben, basiert zu wesentlichen Teilen auf der von ihm stillschweigend vorausgesetzten psychologistischen Bedeutungstheorie. Zweitens, relativ zu dieser Theorie der Bedeutung kann Freuds Bedeutungsthese als eine plausible Behauptung rekonstruiert werden. Drittens, daß Freud die psychologistische Bedeutungstheorie voraussetzt, ist unter wissenschaftshistorischen Gesichtspunkten voll verständlich. Bühlers Kritik an der Assoziationstheorie der Bedeutung wirft daher vor allem die folgende Frage auf: Wie ist Freuds Bedeutungsthese - ungeachtet der Tatsache, daß sie plausibel rekonstruiert werden kann - der Sache nach einzuschätzen, wenn die Bedeutungstheorie, auf der sie basiert, selbst nicht mehr als einleuchtend bewertet werden kann? Genau besehen sind es sogar zwei verschiedene Einwände, denen sich die traditionelle, von Freud akzeptierte Bedeutungstheorie ausgesetzt sieht: Neben Bühlers „Alphabet-Argument" ist der von Frege vorgebrachte „Subjektivismus-Einwand" zu nennen, daß nämlich die Vorstellung, die der einzelne mit einem Zeichen verbindet, prinzipiell nicht als der Sinn (bzw. die Bedeutung) 1 5 dieses Zeichens aufzufassen ist (vgl. S. 88-92). Die beiden Einwände lassen sich wie folgt präzisieren:
15
H i e r u n d i m f o l g e n d e n v e r w e n d e i c h „ S i n n " u n d „ B e d e u t u n g " s y n o n y m . Vgl. A n m . 32, S. 21.
Systematik der Bedeutungstheorien
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(1) Subjektivismus-Einwand: Was Freud und die Psychologisten als die Bedeutung eines Zeichens ansehen, ist etwas rein „Subjektives", nämlich die Vorstellung, die jeweils der einzelne mit diesem Zeichen verbindet. Die Bedeutung eines Zeichens ist dagegen dem Zeichen unabhängig vom einzelnen Zeichenverwender zugeordnet; sie ist „objektiv". Die einem Zeichen assoziierten „subjektiven" Vorstellungen und seine „objektive" Bedeutung sind daher stets auseinanderzuhalten. (2) Alphabet-Einwand: Was die Psychologisten als die Bedeutung eines Zeichens ansehen, nämlich die jeweils mit der Zeichenvorstellung assoziierte Vorstellung, führt - zu Ende gedacht - zu kontraintuitiven Ergebnissen: Umgekehrt muß dann von jeder Vorstellung, die mit einer anderen assoziativ verbunden ist, gesagt werden, die erste „bedeute" die zweite. Obwohl (bzw.: nur weil) die Buchstaben des Alphabets assoziativ miteinander verknüpft sind, wird man jedoch nicht sagen wollen, das „a" z. B. „bedeute" das „6". 16 Der Subjektivismus-Einwand führt zu der Frage, ob die psychologistische Bedeutungstheorie in einem Konkurrenz- oder in einem Ergänzungsverhältnis zu Freges Bedeutungstheorie steht. Historisch gesehen hat ein Konkurrenzverhältnis zwischen den beiden Theorien bestanden. 1 7 Unter systematischen Gesichtspunkten spricht jedoch nichts dagegen, neben der zweistelligen („objektiven") Bedeutungsrelation, wie sie Frege, Husserl und Bühler konzipieren, eine vierstellige („subjektive") Bedeutungsrelation zu etablieren, die dazu geeignet ist, das zu erfassen, was ein Zeichen zu einem Zeitpunkt ί für eine Person P , und nicht, was es „schlechterdings" bedeutet. Aber auch wenn es gelingen sollte, einen „subjektiven" Bedeutungsbegriff zu etablieren, bleibt die Frage bestehen, ob ein solcher Begriff mit Bezug auf die assoziativ mit einem Zeichen verknüpften Vorstellungen definiert werden kann. Wie ein solch „subjektiver" Bedeutungsbegriff eingeführt werden kann, soll uns im nächsten Abschnitt beschäftigen. 16
17
Diese Kritik trifft besonders Freuds Methode der freien Assoziation: D u r c h das Verfolgen der Assoziationen zu einer Ausgangsvorstellung soll es j a gelingen, deren Bed e u t u n g aufzuklären. Die Kollision zwischen Psychologisten u n d Logizisten e n t s t a n d d a d u r c h , daß die empirisch forschenden Psychologen irrtümlicherweise glaubten, sie k ö n n t e n mithilfe ihrer M e t h o d e n u n d Theorien zugleich a u c h die Grundlagenfragen der Logik u n d Mat h e m a t i k klären u n d b e a n t w o r t e n . N u n ist es a b e r keineswegs der Fall, daß Psychologen etwas zur Explikation eines m a t h e m a t i s c h e n Begriffes b e i z u t r a g e n vermögen, wenn sie a n die Stelle einer Definition die Geschichte setzen, wie wir solche Begriffe bilden, oder versuchen, die Vorstellungen zu ermitteln, die der einzelne M a t h e m a t i ker mit diesen Begriffen assoziativ verknüpft.
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Freuds psychologistische Bedeutungstheorie: Tradition u n d Kritik
5.3
„Subjektive"
Bedeutungen
Im Grunde hat Frege selbst angedeutet, wie ein psychologistischer Bedeutungsbegriff zu präzisieren wäre: „Während es demnach keinem Bedenken unterliegt, von dem Sinne schlechtweg zu sprechen, muß man bei der Vorstellung genaugenommen hinzufügen, wem sie angehört und zu welcher Zeit" [1892: 29; 1975: 44]. Frege hatte - wie wir sahen - gute Gründe dafür, die je verschiedenen zeit- und personenabhängigen Vorstellungen nicht als die („objektiven") Bedeutungen eines Zeichens zuzulassen. 18 Das Interesse des Psychoanalytikers zielt jedoch gerade auf die „privaten Bedeutungen". Unter therapeutischen Aspekten ist es höchst relevant zu erfahren, wie der Patient bestimmte Situationen, Ereignisse, Verhaltensweisen erlebt bzw. „deutet". Dem Therapeuten geht es (zunächst) nicht darum, ob die zu analysierenden Personen irgendwelche Zeichen „richtig" verstehen, ob sie die sprachlichen Ausdrücke „korrekt" verwenden; vielmehr gilt es zu erfahren, wie sie diese Zeichen verstehen, was ein Ausdruck für sie bedeutet. So wird ein Analytiker z.B. nicht fragen, ob „x" eine Situation ist, die wirklich und zu Recht unter den Begriff „ . . . ist eine Kränkung", „ . . . ist eine Beleidigung" oder „ . . . macht mir Angst" fällt, sondern ob sie eine ist, die Person Ρ so erlebt, daß sie sie als Kränkung, Beleidigung bzw. als angstauslösend „versteht". In ihrem Aufsatz „On Information, Motivation, and Meaning" geben Emanuel Peterfreund und Edi Franceschini ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie verschieden die „Bedeutung" ist, die einzelne Patienten mit ein und demselben Wort, mit ein und derselben Frage verbinden. In t h e course of analysis four different p a t i e n t s h a v e asked o n e of the authors ( E P . ) if he w a s a Jew . . . in each case analytic work revealed t h a t the term 'Jew* had different, unique personal m e a n i n g - individual unconscious m e a n i n g . O n e patient, a y o u n g w o m a n , asked t h e analyst if he was a Jew b e c a u s e t o her t h e term 'Jew' at t h a t t i m e m e a n t s o m e o n e w h o can engage in perverse s e x u a l activity . . . If he w a s a Jew, i n t h e sense t h a t she m e a n t it, he w o u l d not c o n d e m n her interest i n 'perverse' s e x u a l activity. A n o t h e r 18
Br stellte sich die Aufgabe, den erkenntnistheoretischen S t a t u s der M a t h e m a t i k u n d Logik bzw. der in sie eingehenden Begriffe u n d Sätze zu erfassen. N a c h Freges überzeugend dargelegter Auffassung k a n n eine Ableitung aus psychologischen Gesetzen bzw. die E r k l ä r u n g eines seelischen Vorganges, der in ein F ü r w a h r h a l t e n ( z . B . eines m a t h e m a t i s c h e n Satzes) hinausläuft, nie einen Beweis dessen ersetzen, auf das sich das F ü r w a h r h a l t e n bezieht [vgl. 1918-19: 58-59; 1976: 30-31]. Insofern es u m die Bedingungen des Wahrseins von ( m a t h e m a t i s c h e n oder logischen) Sätzen geht, ist ausgeschlossen, daß die B e d e u t u n g der in solchen Sätzen verwendeten Ausdrücke identifiziert werden könnte mit den j e subjektiven ( u n d z . T . a u c h zeitlich wechselnden) Vorstellungen, die der einzelne assoziativ mit diesen A u s d r ü c k e n verbinden mag.
Subjektive" Bedeutungen
101
patient asked the analyst if he was a Jew at a time when she felt quite guilty about her sexual activities. If he was a Jew, a 'member of the tribe', he would tend not to condemn her; a gentile might have. A third patient asked the analyst if he was a Jew because he did not wish to associate with Jews. For this patient, a Jew was someone who rots, unlike gentile Englishmen. When he was quite young he saw his dead grandmother 'thrown' into a grave without a coffin, according to the customs of orthodox Jews, to be 'eaten by the worms and to rot.' In his mind, Jews rot; elegant Englishmen live in airtight mausoleums after death, and do not rot, nor are they eaten by the worms. A fourth patient asked the analyst if he was Jewish because he felt rootless, uncontrollable, and without conscience. He wanted a Jewish analyst because he felt that someone brought up with the Jewish ethic might bring something to the analytic situation which would enable him to control himself and would counteract his feeling that he had no ethics, no conscience, and that he could do socially irresponsible things [1973: 221-222].
Peterfreund und Franceschini fanden heraus, daß sämtlichen Patienten - sie waren nicht psychotisch - die üblichen denotativen und konnotativen Bedeutungen des Begriffes „Jude" bekannt waren: 19 „They all knew the 'reality', so to speak" [1973: 222]. Während der Frage an den Analytiker, ob er Jude sei, habe allerdings jeder der vier Patienten eine einzigartige, individuelle, „emotionale" Bedeutung mit dem Begriff „Jude" verbunden. Sogar für ein und denselben Patienten könne ein Wort (wie „Jude") im Laufe der Zeit verschiedene Bedeutungen annehmen. Zur Unterscheidung von den „intersubjektiven" Bedeutungen eines Ausdruckes bezeichnen Peterfreund und Franceschini die subjektive Bedeutung, die ein Wort zu einer bestimmten Zeit für eine bestimmte Person hat, als die „private konnotative Bedeutung" dieses Zeichens („personal connotative meaning"). Sehr schön illustriert finden wir die drei Bedeutungstypen - denotative Bedeutung, allgemeine konnotative Bedeutung sowie private konnotative Bedeutung — durch ein Schema, in dem die beiden Autoren die genannten Bedeutungstypen in bezug auf den Terminus „Jude" kontrastierend nebeneinanderstellen: 19
Unter der „ d e n o t a t i v e n B e d e u t u n g " eines Wortes verstehen P e t e r f r e u n d u n d Franceschini die B e d e u t u n g , die auf den mit diesem Wort gemeinten G e g e n s t a n d hinweist (z. B. ist die d e n o t a t i v e B e d e u t u n g von „Mond": „ E r d t r a b a n t , der d u r c h das von i h m reflektierte Sonnenlicht oft die Nächte erhellt"). U n t e r der „konnotativen Bedeut u n g " wird die zusätzliche (emotionale) „Vorstellung" verstanden, die die d e n o t a t i v e Bedeutung eines Ausdruckes begleitet (z.B. bei „ M o n d " die Gedankenverbindungen „Nacht, romantisch, Kälte, Sehnsucht, Liebe"). I m Vergleich zu den Begriffen, die i m Schema auf S. 96 aufgeführt wurden, entspricht die „denotative B e d e u t u n g " a m ehesten der Rubrik (4): „ B e d e u t u n g " / „ S i n n " . Insofern die A u t o r e n die „konnotative B e d e u t u n g " eines Ausdruckes als allgemein u n d d a m i t von den Vorstellungen des einzelnen unabhängig b e t r a c h t e n , finden wir weder in R u b r i k (3): „assoziierte Vorstellungen" n o c h in einer a n d e r e n eine Entsprechung f ü r diesen Begriff.
102
Freuds psychologistische Bedeutungstheorie: Tradition und Kritik
Information related to the term „ J e w "
Information Related to Personal Connotative Meanings
Information Related to General Connotative Meanings
Information Related to General Denotative Meanings
Information related to one who has skin blemishes, who rots, dies, and is eaten by worms; death and burial of grandmother . . . early febrile illness with loss of consciousness ... other traumatic experiences; and so on.
Information related to one who drives a hard bargain, haggles, uses sharp practices, is money-minded; and so on.
Information related to one whose religion is Judaism; a descendant of the ancient Hebrews; and so on.
Ergänzen wir das Schema von Seite 96 u m die Begriffe, die Peterfreund und Franceschini verwenden, so nimmt es die folgende Gestalt an: (1)
sprachliches Zeichen. (Wort bzw. Satz)
(2)
Vorstellung des Zeichens ( „ Wort vor st eilung " )
(4)
Bedeutung/Sinn des Zeichens
(3)
Vorstellungen, die mit der Wortvorstellung assoziativ verknüpft sind („ObjektVorstellung")
(5)
bezeichneter Gegenstand; Referenz/Bedeutung des Zeichens
(6)
private konnotative Bedeutung
(7)
allgemeine konnotative Bedeutung
K a n n mit Hilfe der Unterscheidungen, die Peterfreund und Franceschini treffen, bzw. mit Hilfe der Begriffe, die sie neu einführen, eine Bedeutungs-
Subjektive" Bedeutungen
103
theorie konzipiert werden, die (i) die Einwände Freges und Bühlers, die gegen die psychologistische Bedeutungstheorie zu Recht erhoben wurden, gegenstandslos werden läßt, aber die (ii) zugleich die Begründungsfunktion übernimmt, die die psychologistische Bedeutungstheorie für Freuds „Ubersetzungsthese" sowie für seine „Bedeutungsthese" hatte? Wie wir sahen, führen Peterfreund und Franceschini neben dem denotativen Bedeutungsbegriff sowohl den Begriff der „allgemeinen konnotativen Bedeutung" als auch den der „privaten konnotativen Bedeutung" ein. Die in der Frege-Tradition stehende Bedeutungstheorie, die nur zwischen dem Zeichen selbst, seiner Bedeutung sowie dem bezeichneten Gegenstand unterscheidet, wird damit in sinnvoller Weise um zwei weitere Aspekte der „Bedeutung" eines Zeichens ergänzt. Das erweiterte Modell erlaubt es, nun auch von „subjektiven Bedeutungen" zu sprechen, ohne daß zugleich zu befürchten steht, daß die private konnotative Bedeutung, die ein Zeichen für den einzelnen hat, mit der allgemeinen denotativen Bedeutung desselben verwechselt wird. Der „Subjektivismus-Einwand" Freges, der gegen die ihren Geltungsbereich überschätzende psychologistische Bedeutungstheorie zu Recht erhoben wurde, trifft die um die „konnotativen Bedeutungen" erweiterte Standardtheorie (Freges) nicht mehr und wird damit gegenstandslos. Dem Einwand Bühlers ist wie folgt Rechnung zu tragen. Auch wenn man die zu einem Zeichen cissoziierten Vorstellungen und Begriffe nicht als dessen denotative Bedeutung, sondern als die private konnotative Bedeutung desselben auffaßt, ist nicht in jedem Falle gewährleistet, daß die sich einstellenden Assoziationen die subjektiv mit dem Zeichen verbundenen Konnotationen „beleuchten". So wenig man bereit ist, das zum Buchstaben „a" assoziierte „b" als dessen denotative Bedeutung anzusehen, so wenig wird man geneigt sein, das „b" als die private konnotative Bedeutung des Zeichens „a" aufzufassen. Ich halte es jedoch für aussichtslos, definitorisch bestimmen zu wollen, welche Assoziationen zu einem gegebenen Zeichen relevant für die persönlichen Konnotationen sind, und welche nicht. Vermutlich wird man - wie so oft - zu jedem Definitionsvorschlag Gegenbeispiele finden können. De facto scheinen Psychoanalytiker (nicht zuletzt aufgrund ihrer Ausbildung) in der Lage zu sein, „bedeutungsrelevante" Assoziationen von solchen zu unterscheiden, die lediglich an der „Oberfläche" kreisen und deshalb als Manifestationen des „Widerstandes" gegen die Aufklärung der zu analysierenden Phänomene aufgefaßt werden. 20 Ich möchte das an ei20
I n seiner „ S e l b s t d a r s t e l l u n g " g e h t F r e u d auf d e n E i n f l u ß d e s „ W i d e r s t a n d e s " a u f die A s s o z i a t i o n e n ein: „ E r [der W i d e r s t a n d ] w i r d es d u r c h s e t z e n , d a ß d e m A n a l y s i e r t e n n i e m a l s d a s V e r d r ä n g t e selbst einfällt, s o n d e r n n u r e t w a s , w a s d i e s e m n a c h A r t u n d
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Freuds psychologistische Bedeutungstheorie: Tradition und Kritik
nem Beispiel illustrieren: Nehmen wir an, jemand habe regelmäßig vor dem Einschlafen die Anfangszeile des „Vaterunser" als „fixen Gedanken" vor seinem inneren Auge, könne darüber nicht einschlafen und bringe dieses Problem schließlich in der Analyse zur Sprache. Antwortet der Betreffende auf die Frage, was ihm zu diesem Satz einfalle, „Geheiligt werde Dein Name", so wird diese Assoziation wenig dazu beitragen, die private konnotative Bedeutung der Anfangszeile (bzw. des ganzen Gebets) zu erhellen, es sei denn, der Analysand verbindet mit diesen Worten selbst emotional wichtige Dinge. Im anderen Fall entspräche die assoziative Aufzählung der übrigen Zeilen des Gebets der Aneinanderreihung von Buchstaben des Alphabets bzw. von Zahlen der Zahlenreihe. Führen die Assoziationen dagegen zu Erinnerungen, z. B. an Erlebnisse der Konfirmationszeit, auf Auseinandersetzungen mit dem Pfarrer über den Inhalt des Glaubensbekenntnisses und zu damit verbundenen, noch immer nicht ausgeräumten Selbstvorwürfen und Schuldgefühlen, so wird man diese Gedankengebilde und Vorstellungsgruppen zu den privaten konnotativen Bedeutungen, die der Analysand mit dem „Vaterunser" verbindet, rechnen dürfen. An der psychoanalytischen Vorgehensweise fällt zudem auf, daß keineswegs eine einzige, nämlich die gerade sich einstellende Vorstellung als die „Bedeutung" der Ausgangsvorstellung angesehen wird; vielmehr gilt es, ein ganzes „konnotatives Feld" abzustecken. Freuds Terminologie belegt dies eindeutig: er spricht von „Komplexen", „Gedankengefiigen", „Vorstellungsgruppen" oder auch von „untereinander vernetzten Vorstellungen", auf die man durch das Verfolgen der Assoziationen stoße. Wir können Bühlers Einwand zwar nicht durch geeignete Definitionen entkräften, aber davon ausgehen, daß in bezug auf die intuitive Verwendung des „subjektiven Bedeutungsbegriffes" keine Differenzen zwischen Bühler und einem Psychoanalytiker bestünden. Das, was Psychoanalytiker als die „private konnotative Bedeutung" eines Zeichens ansehen, fällt nicht unter die von Bühler genannten Gegenbeispiele. Die beiden Vorbehalte gegenüber einer Bedeutungstheorie, die einen subjektiven Begriff der Bedeutung verwendet, indem sie auf die mit einem Zeichen assoziierten (emotional gefärbten) Vorstellungen rekurriert, scheinen nun ausgeräumt zu sein. Dem verbleibenden zweiten Problem, ob mit einer um „konnotative Bedeutungen" erweiterten Theorie - die m. E. die psychologistische Konzeption der Bedeutung eines Zeichens in maximaler Weise zu integrieren gestattet - Freuds Übersetzungs- bzw. Bedeutungsthese expliziert und begründet werden kann, wende ich mich im nächsten Abschnitt zu. Anspielung nahe kommt, und j e größer der Widerstand ist, desto weiter wird sich der mitzuteilende Ersatzeinfall von dem Eigentlichen, das m a n sucht, entfernen" [G.W. 1925, 14: 66],
105
Freuds B e d e u t u n g s t h e s e - ein heuristisches Prinzip 5.4
Freuds
Bedeutungsthese
- ein heuristisches
Prinzip
Nach den Unterscheidungen des letzten Paragraphen mag es naheliegen, Freuds These, manifeste Phänomene hätten Inhalt und Bedeutung, wie folgt zu explizieren: Manifeste Phänomene haben für den, der sie zeigt, private konnotative Bedeutung. Zwei Gründe sprechen jedoch gegen die Annahme, mit dieser Interpretation könne Freuds These korrekt und vollständig erfaßt werden. (1) Es gibt somatische Erscheinungen, die ebenfalls für den, der sie zeigt, private konnotative Bedeutung haben, von denen Freud jedoch nicht behaupten würde, sie hätten Inhalt und Bedeutung: Schütter werdendes Haar, erste im Gesicht sich zeigende Fältchen haben für den, der sich morgens im Spiegel betrachtet, private konnotative Bedeutung; die Gedanken kreisen vielleicht um das „Altern", vielleicht um „Vergänglichkeit"; sie werden individuell verschieden ausgeprägt sein. Dennoch wird man diesen Zeichen keinen Inhalt und keine Bedeutung zusprechen, zumindest nicht in dem Sinne, in dem Freud Träumen und neurotischen Symptomen Inhalt und Bedeutung zusprach. Da die vorgeschlagene Explikation nicht in der Lage ist, den Unterschied zwischen den „bedeutungsvollen" manifesten Phänomenen und den „bedeutungslosen" Erscheinungen wie den Fältchen im Gesicht zu erfassen, verfehlt sie zugleich Freuds Begriff der „Bedeutung eines manifesten Phänomens". 2 1 (2) Die (konnotativen) Vorstellungen und Assoziationen, die der einzelne mit seinen Traumelementen oder Symptomen verbindet, sind nicht als die latenten Inhalte (bzw. als die latenten Traumgedanken) aufzufassen. 22 Um diese geht es jedoch hauptsächlich, wenn von der Bedeutung 21
22
N a c h A u f f a s s u n g der psychoanalytischen Theorie unterscheiden sich die b e i d e n P h ä n o m e n t y p e n hauptsächlich dadurch, daß die K o n n o t a t i o n e n , die sich an die „ b e deutungslosen" Phänomene knüpfen, diesen äußerlich sind; sie werden als völlig irrelevant für deren E n t s t e h u n g angesehen. „ F ä l t c h e n " sind kein E r s a t z für die sich a n sie knüpfenden G e d a n k e n ü b e r Alter u n d Vergänglichkeit, sie k o m m e n nicht a n deren Stelle vor. Die manifesten Phänomene dagegen e n t s t a m m e n n a c h Freuds A u f f a s s u n g den Gedankengebilden, auf die die Assoziationen führen; sie k o m m e n anstelle einer sprachlichen Aufierung vor. - Der hier diskutierte P u n k t scheint einem P r o b l e m i n der „ T r a u m d e u t u n g " analog zu sein, als es Freud d a r u m ging, die psychoanalytische Methode z u rechtfertigen u n d die Assoziationen zu d e n T r a u m e l e m e n t e n v o n solchen z u unterscheiden, die sich a u c h zu willkürlich vorgegebenen Reizwörtern einstellen können (vgl. S . 63-68). „Die Assoziationen z u m T r a u m sind noch nicht die l a t e n t e n T r a u m g e d a n k e n . Diese sind in den Assoziationen wie in einer Mutterlauge enthalten — a b e r d o c h nicht g a n z vollständig enthalten. Die Assoziationen bringen einerseits viel mehr, als wir f ü r die Formulierung der latenten Traumgedanken b r a u c h e n . . . Andererseits h a t die
106
Freuds psychologistische Bedeutungstheorie: Tradition und Kritik
manifester Phänomene die Rede ist. Die privaten konnotativen Bedeutungen, die mit den Träumen und Symptomen verknüpft werden, sind eher den von Freud so genannten „Hinter"- oder „Zwischengedanken" gleichzusetzen, die er verfolgt, um zu einer geeigneten „Materialsammlung" zu gelangen (vgl. S. 57-61). Ausgehend von dieser Materialsammlung - den Konnotationen zu den manifesten Phänomenen - schließt Freud auf die verdrängten latenten Inhalte, auf das „Eigentliche".23 In dieser Hinsicht sind die manifesten Phänomene (zusammen mit ihren „konnotativen Bedeutungen") als Anzeichen für die latenten Inhalte aufzufassen. Betrachten wir dazu erneut den von Peterfreund vorgestellten Fall: Die Frage an den Analytiker, ob er Jude sei, entspräche dem manifesten Phänomen. Sie unterscheidet sich zwar von den üblichen manifesten Erscheinungen (den Träumen und Symptomen) dadurch, daß diese Äußerung umgangssprachlich bereits verständlich ist, sie hat aber für Peterfreund darüber hinaus eine weitere, eine verborgene unbewußte Bedeutung. Darin ähnelt sie den manifesten Phänomenen. Die Assoziationen des Patienten zu dem zentralen „Element" der Frage, nämlich zu dem Terminus „Jude", ergeben ein ganzes „Feld" an privaten konnotativen Bedeutungen, aber noch nicht die „heimliche" Bedeutung der Frage (genausowenig wie die Assoziationen zu den Traumelementen nach Freuds Ansicht die latenten Traumgedanken ergeben). Aber die Konnotationen erlauben (wie in Freuds Traumanalysen) den Schluß auf eine Formulierung, die den „eigentlichen" Gedanken des Patienten explizit wiedergibt, z. B.: (*) Ich erlebe mich als einen moralisch haltlosen Menschen und bin darüber sehr verzweifelt. Juden halte ich aufgrund ihrer strengen Religion für moralisch besonders stabile Menschen und erwarte daher von einem jüdischen Psychoanalytiker, daß er meine Defizite auf moralischem Gebiet besonders gut wird ausgleichen können; aus diesem Grund frage ich Sie: Sind Sie Jude? Die tatsächlich gestellte Frage erscheint somit als der „Schlüssel" zu den konnotativen Bedeutungen, die mit den in ihr vorkommenden Ausdrücken verbunden sind. Gemeinsam sind sie ein Anzeichen für den unter (*) formulierten Gedanken. Würden wir es bei dieser Art der Rekonstruktion bewenden lassen, so wäre Freuds Bedeutungsthese wie folgt zu explizieren:
23
Assoziation oft gerade vor den eigentlichen Traumgedanken haltgemacht, ist ihnen nur nahegekommen, hat sie nur in Anspielungen b e r ü h r t " [Freud, G . W . 1933, 15: 12]· In der in Anm. 22 zitierten Textpassage fährt Freud fort: „Wir greifen da selbsttätig ein, vervollständigen die Andeutungen, ziehen unabweisbare Schlüsse, sprechen das aus, woran der Patient in seinen Assoziationen nur gestreift h a t " [G.W. 1933, 15: 12]·
Freuds Bedeutungsthese — ein heuristisches Prinzip
107
An die manifesten Phänomene knüpfen sich private konnotative Bedeutungen; zusammen erlauben sie den Schluß auf unbewußte Wünsche, Einstellungen und Gedanken. In dieser Hinsicht sind die manifesten Phänomene Anzeichen für die latenten Gedanken. Auf diese Weise haben Shope und Grünbaum Freuds Bedeutungsbegriff interpretiert. 2 4 Erfaßt wird damit jedoch nicht, weis Freud durch seine „Ubersetzungsthese" postulierte: Daß nämlich die manifesten Phänomene - in einer anderen als der üblichen Ausdrucksweise - dasselbe zur Darstellung bringen, was im Normalfall durch eine sprachliche Äußerung hätte ausgedrückt werden können. Es bestehen nun zwei Möglichkeiten: (i) Shope und Grünbaum haben mit ihrer Explikation recht: Freuds Bedeutungsthese besagt der Sache nach nicht mehr, als daß die manifesten Phänomene Anzeichen für latente Gedanken sind. Alles, was darüber hinaus geht, hat Freud fälschlicherweise angenommen. (ii) Freuds Bedeutungsthese wird von Shope und Grünbaum nur unzureichend erfaßt. Eine Entscheidung zwischen diesen beiden Positionen sei vorerst zurückgestellt. Zunächst möchte ich darlegen, weshalb Freud eine über Grünbaums Explikation hinausgehende These als durch die psychologistische Bedeutungstheorie gestützt ansehen konnte. In einem zweiten Schritt wird dann zu prüfen sein, ob diese Begründungsfunktion von der revidierten Version der Bedeutungstheorie ebenfalls übernommen werden kann. Die psychologistische Bedeutungstheorie trennt nicht zwischen den assoziierten Vorstellungen (3) und der denotativen Bedeutung eines Zeichens (4) (vgl. das Schema, S. 102). Genausowenig trennt sie zwischen dem, was Husserl als „Kundgabefunktion" von der „Bedeutungsfunktion" bzw. Bühler als „Ausdrucksfunktion" von der „Darstellungsfunktion" eines Zeichens unterschied (vgl. S. 93). Erschwerend kommt hinzu, daß man bei Sätzen, die sich auf die eigenen psychischen Dispositionen beziehen, Kundgabe und Daxstellung besonders leicht miteinander identifiziert. Die These, daß manifeste Phänomene Inhalt und Bedeutung haben, kann vor dem Hintergrund der psychologistischen Bedeutungstheorie, die nicht zwischen der Kundgabe eines Gedankens und der Darstellung eines Sachverhaltes differenziert, zwei - sonst zu unterscheidende — Behauptungen zugleich umfassen: Als Anzeichen geben die manifesten Phänomene z.B. Gedanken, Wünsche, Ängste kund; als (unkonventionelle) Symbole stellen sie Sachverhalte dar. Unterscheidet man nicht zwischen dem Gedanken und dem, worauf sich die Gedanken inhaltlich beziehen, so liegt es nahe zu schlies24
Vgl. dazu die Abschnitte 6.5 und 6.7.
108
Freuds psychologistische Bedeutungstheorie: Tradition und Kritik
sen, daß das Zeichen, das einen Gedanken zum Ausdruck bringt (kundgibt, anzeigt), zugleich das Gedachte darstellt. Man sieht sofort, daß die revidierte Fassung der Bedeutungstheorie einen solchen Schluß nicht zuläßt. Sie erlaubt zwar, von subjektiven konnotativen Bedeutungen zu sprechen; die Unterscheidung zwischen Kundgabe und Darstellung, zwischen cissoziierten Vorstellungen und denotativer Bedeutung ist jedoch aus nach-psychologistischen Bedeutungstheorien nicht mehr wegzudenken. Gestattete die psychologistische Bedeutungstheorie, den manifesten Phänomenen dieselbe Bedeutung wie den Sätzen zuzuschreiben, die den angezeigten Gedanken korrekt ausgedrückt hätten, so läßt die revidierte Bedeutungstheorie diesen Schluß nicht mehr zu. Sie schließt allerdings nicht aus, die „weit" gefaßte Bedeutungsthese als eine Annahme einzuführen, um - wie Freud bei anderer Gelegenheit sagt - zu sehen, wie weit man damit kommt. Aus diesem Grund halte ich es für wenig plausibel anzunehmen, daß Grünbaum und Shope den Freudschen Bedeutungsbegriff - auch der Sache nach - in seiner ganzen Tragweite erfassen. Aus pragmatisch-therapeutischen Gründen mag es angezeigt sein, Freuds Bedeutungsthese der Psychoanalyse als ein heuristisches Prinzip zugrunde zu legen. Ein Plädoyer für die Annahme dieser These könnte wie folgt lauten: Durch ihre Anzeigefunktion erlauben die manifesten Phänomene (zusammen mit den konnotativen Bedeutungen, die sie für den Analysanden haben) den Schluß auf „unbewußte" Gedanken. Würden diese Gedanken auf normalem Wege ausgedrückt, so wäre mit der Kundgabe dieser Gedanken zugleich ein Sachverhalt dargestellt; die Äußerung hätte eine denotative Bedeutung. Wenn davon auszugehen ist, daß die manifesten Phänomene als „Ersatz" für die nicht realisierbare sprachliche Äußerung zustandegekommen sind (d. h., wenn die psychoanalytische Theorie der Entstehung der manifesten Phänomene zu akzeptieren ist), dann kann man annehmen, die manifesten Phänomene stellten denselben Inhalt dar, den die sprachlichen Äußerungen darstellen würden, wären sie zum Ausdruck gekommen. 25
25
Vielleicht würde es sich als sinnvoll erweisen, neben dem oben (S. 100-102) eingeführten Begriff der „privaten konnotativen Bedeutung", der sich bloß auf „Wortbedeutungen" bzw. „Zeichenbedeutung" bezieht, den Begriff der „privaten konnotativen Satzbedeutung" einzuführen. Die erschlossenen latenten Gedanken wären dann als „private konnotative Satzbedeutung" der manifesten Phänomene aufzufassen. Bine solche scheint den „bedeutungslosen" Phänomenen (wie den „Pältchen") nicht zuzukommen.
109
Fazit
5.5
Fazit
(1) Freuds Sprachgebrauch deutet d a r a u f h i n , daß er Analogien hervorheben möchte, die zwischen sprachlichen Äußerungen und Schriftsystemen einerseits sowie den manifesten Phänomenen andererseits bestehen. Die manifesten Phänomene bringen nach seiner Ansicht psychische Inhalte, z.B. Vorstellungen, Gedanken, Erlebnisse, zum Ausdruck. (2) Maßgeblich für die Einstufung der manifesten Phänomene als „bedeutungsvolle" Zeichen ist Freuds „Ubersetzungsthese"; nach ihr sind neurotische Symptome, Träume und Fehlleistungen als die Resultate einer Umwandlung (der Daxstellungsweise) eines Gedankens aus der gewöhnlichen Ausdrucksweise in die der manifesten Phänomene aufzufassen. (3) Es sind Wahrscheinlichkeitserwägungen, die Freud veranlassen anzunehmen, daß die Assoziationsprozesse, die zu den manifesten Phänomenen geführt haben, von genau den Komplexen und Gedankengebilden ausgegangen sind, auf die freies Assoziieren und Deuten führen. (4) Die psychologistische Bedeutungstheorie, die Freud in der „Aphasienmonographie" explizit vertritt, gestattet es, die Ergebnisse eines Assoziationsprozesses als Ubersetzungen in eine andere Ausdrucksweise aufzufassen sowie den manifesten Phänomenen allein aufgrund ihrer assoziativen Verknüpfung mit Vorstellungen „Bedeutung" zuzuschreiben. (5) Das anhand der „Aphasienschrift" rekonstruierte „Ersetzungs-Paradigma" zeigt, inwiefern Freud die Assoziationsverläufe, die zu manifesten Phänomenen führen, in Analogie zu solchen Assoziationsverläufen sehen konnte, von deren Resultat berechtigterweise angenommen wird, es h ä t t e die gleiche Bedeutung wie der ursprünglich vorgesehene, aber nicht realisierbare Ausdruck. (6) Freuds Bedeutungsthese stützt sich somit auf die folgenden beiden Pfeiler: (i) die psychologistische Bedeutungstheorie, (ii) die These, daß die manifesten Phänomene die Ergebnisse eines Assoziationsverlaufes sind, der von „unbewußten" Gedankenkomplexen ausgeht. Relativ zu diesen Voraussetzungen kann die Freudsche Bedeutungsthese plausibel rekonstruiert werden. (7) Freud steht mit der von ihm in seinen psychoanalytischen Schriften stillschweigend vorausgesetzten psychologistischen Bedeutungstheorie in vollem Einklang mit den philosophischen und psychologischen Strömungen seiner Zeit. (8) Die heute akzeptierten Bedeutungstheorien können Freuds Bedeutungsthese nicht stützen, da sie (i) zwischen der Kundgabefunktion und der
110
F r e u d s psychologistische B e d e u t u n g s t h e o r i e : T r a d i t i o n u n d K r i t i k
Darstellungsfunktion eines Zeichens sowie (ii) zwischen subjektiven Bedeutungen bzw. assoziativ miteinander verknüpften Vorstellungen einerseits und allgemeiner denotativer Bedeutung andererseits streng unterscheiden. (9) Freuds Bedeutungsthese steht zu den nach-psychologistischen Bedeutungstheorien jedoch in keinem Widerspruchsverhältnis; unter pragmatisch-therapeutischen Aspekten mag es geraten sein, diese These als ein heuristisches Prinzip in die psychoanalytische Theorie zu integrieren.
6. Kapitel Die Kontroverse über die hermeneutische Deutung der Freudschen Bedeutungsthese in der Sekundärliteratur
In den späten 60er Jahren setzte sich vor allem eine „hermeneutische" Lesart und Interpretation der Freudschen Psychoanalyse durch. Der Hauptgrund dürfte darin zu suchen sein, daß sich in dieser Zeit vorwiegend der Hermeneutik oder dem Strukturalismus nahestehende Philosophen und Psychoanalytiker mit der Psychoanalyse befaßten, während ihr Wissenschaftstheoretiker und analytische Philosophen eher reserviert gegenüber standen. Als bezeichnend für diese Phase der Rezeption gelten die Arbeiten von Ricoeur („Die Interpretation", 1965), Lacan („Schriften", 1966), Habermas („Erkenntnis und Interesse", 1968) sowie mehrere zum Teil auch spätere Veröffentlichungen Lorenzers („Kritik des psychoanalytischen Symbolbegriffes" und „Sprachzerstörung und Rekonstruktion", beide 1970). Nachhaltigen Eindruck hinterließ besonders die von Habermas formulierte Radikalthese, Freud sei einem szientistischen Selbstmißverständnis aufgesessen; mit dieser These sollten die naturwissenschaftlichen Ansätze und Erklärungsversuche der Psychoanalyse als Irrungen gekennzeichnet und aufgegeben werden. Unter anderem glaubte man, damit die Psychoanalyse generell einer naturwissenschaftlichen Kritik entziehen zu können - die Psychoanalyse den erklärenden Wissenschaften einzureihen wurde als falsch verstandener Anspruch „entlarvt". - Diese ausschließlich hermeneutisch konzipierte Rekonstruktion der Psychoanalyse wurde erst durch Adolf Grünbaum einer umfassenden Kritik unterzogen. In seiner Monographie „The Foundations of Psychoanalysis" [1984] gelingt es ihm überzeugend, die Psychoanalyse Freudscher Prägung wissenschaftstheoretischer Kritik wieder zugänglich zu machen. Wir wollen uns hier nicht in diese Debatte einschalten, sondern stattdessen versuchen, jene Aspekte kenntlich zu machen, die Hermeneutiker und analytische Philosophen zum Verständnis und zur Diskussion des psychoanalytischen Sinn- und Bedeutungsbegriffes beitragen konnten.
112
Die Kontroverse in der Sekundärliteratur
Eine ernstzunehmende Gegenbewegung zur „hermeneutischen" Dominanz bei der wissenschaftlichen Einordnung der Psychoanalyse setzte zaghaft mit einigen Aufsätzen Robert Shopes ein, unterstützt durch Arbeiten Benjamin Rubinsteins. Einen vorläufigen Schlußpunkt setzt das bereits erwähnte Werk Grünbaums, das hinsichtlich der für uns interessanten „Sinn"-Debatte an die Arbeiten Shopes und Rubinsteins anschließt. 6.1
Jürgen
Habermas
Betrachten wir zunächst etwas eingehender die von Habermas konzipierte Sichtweise der psychoanalytischen Therapie. Er faßt sie - die Therapie, nicht die psychoanalytische Theorie - u. a. als den Versuch auf, durch einen geeigneten Interpreten, den Analytiker, die „Kommunikationsstörung im Patienten selber" aufzuheben. Dieses Modell sei zwar von der normalen „geisteswissenschaftlichen Hermeneutik" zu unterscheiden, gleichwohl aber auch als hermeneutischer Prozeß aufzufassen: Üblicherweise hat der Interpret die Aufgabe, die Kommunikation zwischen zwei Partnern verschiedener Sprache zu vermitteln: er übersetzt νόη einer Sprache in die andere, er führt die Intersubjektivität der Geltung sprachlicher Symbole und Regeln herbei, er überwindet Schwierigkeiten der Verständigung zwischen Partnern, die, sei es historisch, gesellschaftlich oder kulturell, getrennt sind [1968; 1977: 279].
Der Patient dagegen behalte selbst als Neurotiker die Fähigkeit, an der öffentlichen Kommunikation seines Kulturkreises teilzunehmen. In dieser Hinsicht bedürfe es keines Interpreten; nach Habermas entrichtet der Neurotiker für diese ungestörte Kommunikation jedoch den Preis der „Kommunikationsstorung in sich selber" [1977: 279]. Diese Kommunikationsstörung verlangt einen Interpreten, der nicht zwischen Partnern verschiedener Sprachen vermittelt, sondern ein und dasselbe Subjekt die eigene Sprache begreifen lehrt. Der Analytiker leitet den Patienten an, damit er die eigenen, von ihm selbst verstümmelten Texte lesen und Symbole von einer privatsprachlich deformierten Ausdrucksweise in die Ausdrucksweise der öffentlichen Kommunikation übersetzen lernt [1968; 1977: 279-280].
Wenn wir annehmen, daß Habermas unter den „verstümmelten Texten" außer sprachlichen Mitteilungen auch Träume und Symptome, also die manifesten Phänomene in unserem Sinne, versteht, dann können wir seinen Ausführungen entnehmen, daß er Freuds Methode als „Interpretation" und „Übersetzung" eines Textes in einen anderen, nämlich in die Sprache der Öffentlichkeit, auffaßt - hier stimmen Habermas und Ricoeur überein.
Jürgen Habermas
113
Implizit ist damit ausgesagt, daß die manifesten Phänomene über einen „übersetzbaren" Inhalt, über eine interpretierbare Bedeutung verfügen. Darüber hinaus ist dieser Textauszug insofern typisch, als Habermas bevorzugt den therapeutischen Prozeß, den Ablauf der psychoanalytischen Sitzung, zum Gegenstand seiner Untersuchung macht, u m dann den dabei durchaus vollzogenen Prozeß des „Sinnerwerbs" als hermeneutischen Vorgang zu charakterisieren. Wohlweislich werden Freuds Versuche, die Symptome bzw. ihre Entstehung, d.h. die bei der Symptomformation ablaufenden Prozesse, naturwissenschaftlich oder „metapsychologisch" zu erklären, ausgeblendet bzw. als Selbstmißverständnis Freuds abgetan. 1 Wie sehr Habermas die manifesten Phänomene in einen Zusammenhang mit Phänomenen der „Sprache" bringt, zeigen seine Forderungen nach einer geeigneten Theorie der Sprache, die bereits Freud hätte zur Verfügung haben oder stellen müssen. Nur vor dem Hintergrund einer ausgearbeiteten Theorie der Sprache hätte Freud seine Sicht des Unbewußten als der öffentlichen Kommunikation entzogener Vorgänge hinreichend fundiert darstellen können - „dazu hätte es eigentlich einer Theorie der Sprache bedurft" [1977: 292]. Des weiteren begründet Habermas, weshalb die „Flucht des Ich vor sich selbst" als eine Operation aufzufassen sei, die „an und mit der Sprache" durchgeführt werde. Hier stützt er sich auf ein Argument, dem bereits Freud fälschlicherweise Uberzeugungskraft zuerkannt hatte: die Art der erfolgreichen Therapie werfe ein Licht auf die Art der Störung - „sonst wäre es nicht möglich, den Vorgang der Abwehr hermeneutisch, auf dem Wege einer Sprachanalyse rückgängig zu machen" [1977: 294-95]. Den Akt der Verdrängung hat sich Freud nach Habermas im linguistischen Rahmen als eine Ablösung der triebrepräsentierenden Vorstellungen von Sprache als solcher begreiflich zu machen versucht. Die Annahme unbewußter Vorstellungen, die sich nach Freud mit Wortvorstellungen verknüpfen müssen, um vorbewußt oder bewußt werden zu können, kritisiert Habermas ebenfalls als losgelöst von einer Theorie der Sprache, deren es dazu bedurft hätte: „Zudem ist nicht recht zu sehen, nach welchen Regeln, wenn nicht nach grammatischen, die unbewußten Vorstellungen mit den Wortresten sich verbinden sollten. An diesem Punkt 1
H a b e n wir bei H a b e r m a s hinsichtlich des naturwissenschaftlichen A u f b a u s der Psychoanalyse gewisse Wahrnehmungslücken festzustellen - zumindest a b e r b e w u ß t e Wahrnehmungsausblendungen - , so werden wir weiter u n t e n — bei den NichtH e r m e n e u t i k e m — bemerken, dafi sie in diametralem Gegensatz den Ablauf des therapeutischen Prozesses, die Krankengeschichten Freuds, „die sich lesen wie Novellen", vernachlässigen; s t a t t d e s s e n wird Freuds Sprachgebrauch, seine R e d e v o n Inhalt u n d B e d e u t u n g , von Übersetzungen etc. als m e t a p h o r i s c h a b g e t a n . So scheint es, als ginge es in der derzeitigen D e b a t t e u m die Frage: „szientistisches Selbstmißverständnis vs. semantisches Selbstmißverständnis?"
114
Die Kontroverse in der Sekundärliteratur
macht sich das Fehlen einer entwickelten Theorie der Sprache bemerkbar" [1968; 1977: 295]. Aus diesen Bemerkungen Habermas' können wir entnehmen, daß er offenbar keine Notiz von der implizit vorausgesetzten psychologistischen Sprachtheorie Freuds genommen hat. Wie wir sahen, diente Freud die Auffassung des Sprachapparates als eines komplizierten Assoziationssystems auch als Grundlage für seine Konzeption der von Wortvorstellungen getrennten unbewußten Vorstellungen. 2 6.2
Alfred
Lorenzer
In der Diskussion des psychoanalytischen Sinn- und Bedeutungsbegriffes spielen die Arbeiten Alfred Lorenzers - zumindest im deutschsprachigen Raum 3 - eine wichtige Rolle. Lorenzer selbst nennt zwei Fragestellungen, die für seine drei zentralen Arbeiten leitend waren. Sowohl die als wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung zu charakterisierende Monographie „Kritik des psychoanalytischen Symbolbegriffes" [1970] als auch das gleichzeitig entstandene Werk „Sprachzerstörung und Rekonstruktion" [1970; 1976] seien geprägt durch das Verfolgen der Frage: Was für eine Wissenschaft ist Psychoanalyse? [1970: 9]. Für Lorenzers Arbeit „Die Wahrheit der psychoanalytischen Erkenntnis" [1974] hingegen sei die Frage nach der Wahrheit der Angelpunkt seiner Überlegungen gewesen [1974; 1976: 7]. Die beiden letztgenannten Arbeiten analysierten das psychoanalytische Vorgehen Schritt für Schritt unter der Frage „Was macht der Psychoanalytiker?" [1974: 105] bzw. mit der P r ä z i s i e r u n g „Wie bilden die Psychoanalytiker
ihre Aussagen?"
[1974:
8]. 4 Im Zusammenhang mit meinen Überlegungen bieten sich im wesentlichen zwei Berührungspunkte mit Lorenzers Arbeiten an: Zum einen eine Bewertung der wissenschaftsgeschichtlichen Darstellung des Symbolbegriffes und die damit einhergehende Interpretation des Freudschen Bedeutungsbegriffes und zum anderen eine Skizze der von Freuds ursprünglicher Konzeption stark abweichenden Neufassung des psychoanalytischen 2
3
4
Vgl. dazu S. 82, vor allem Anm. 10. Es bleibe dahingestellt, ob uns Freuds „Sprachtheorie" zu überzeugen vermag; zumindest kann aber festgehalten werden, daß er über eine Theorie der Sprache verfügte und viel bedeutsamer —, dafl seine Thesen über unbewußte Vorstellungen in dieser Theorie ihren Grund haben. Kritiker der hermeneutischen Interpretation der Psychoanalyse wie z.B. Adolf Grünbaum und Robert Shope nahmen seine Arbeiten aus mir unbekannten Gründen bisher nicht zur Kenntnis. Lorenzers methodisches Vorgehen gleicht dem von Habermas, der sich zur Klärung der Frage, welche Wissenschaft die Psychoanalyse sei, ebenfalls ausschliefllich am therapeutischen Prozeß orientiert und nicht die diesem Verfahren implizit zugrundeliegenden — naturwissenschaftlichen — Hypothesen berücksichtigt.
Alfred Lorenzer
115
Bedeutungsbegriffs durch Lorenzer. Für Lorenzer steht nicht mehr die Bedeutung eines manifesten Phänomens, sondern die Bedeutung einer Szene im Mittelpunkt des Interesses; in diesem Rahmen ist dann auch auf Lorenzers Unterscheidung zwischen logischem, psychologischem sowie szenischem Verstehen einzugehen. Die vielleicht einschneidenste Veränderung im Hinblick auf Freuds Theorie ergibt sich bei Lorenzer dadurch, daß er Freuds physiologisch-psychologische Fundierungen des Bedeutungsbegriffes ersetzt wissen will durch eine soziologische Theorie, die auf Teilnahme an der Lebenspraxis zielt. Nach Lorenzer erfolgte die Entwicklung des psychoanalytischen Symbolbegriffs in vier Stadien; die ursprünglich rein physiologisch konzipierten Erinnerungssymbole habe Freud zunächst durch bedeutungsvolle Symbolisierungen und später unter dem Einfluß W. Stekels durch die konstanten (Traum-)Symbole ersetzt; schließlich sei man zu einer liberaleren Fassung des Symbolbegriffes gelangt, der neben der zwischenzeitlich vorherrschenden konstanten Symbolik wieder individuelle Symbolisierungen zuließ. Die bis in die 60er Jahre allgemein akzeptierte Fassung dieses Symbol-Begriffes gehe im wesentlichen auf Formulierungen von Ferenczi und Jones zurück. Dem Erinnerungssymbol, das eigentlich als Erinnerungssymptom aufgefaßt werde, komme eher eine Hinweisfunktion zu, es sei eine bloße Markierung ohne Repräsentanz eines lebensgeschichtlichen Gehaltes. Was den Begriff „Erinnerungssymbol" von den späteren Symbolbegriffen unterscheide, sei das völlige Fehlen eines inhaltlichen Bezuges. Das Zeichen bringe nichts von dem Bezeichneten zum Ausdruck; es signalisiere lediglich das Vorkommen eines bestimmten (traumatisch veränderten) Geschehens, und dementsprechend sei das Erinnerungssymbol nicht interpretierbar. Es dürfe nicht auf seinen Sinn hin befragt werden, sondern könne nur als bloßer Code genommen werden, und zwar als ein Code, dessen Schlüssel unbekannt sei [1970: 13-14], Dieser Gebrauch werde besonders deutlich bei Freuds Bemerkungen über den hysterischen Zwang im „Entwurf einer Psychologie"; Freud schreibt dort: „B steht zu Α in einem bestimmten Verhältnis. Es hat nämlich ein Erlebnis gegeben, welches aus Β + Α bestand. A war ein Nebenumstand, Β war geeignet, jene bleibende [traumatische] Wirkung zu tun. Die Reproduktion dieses Ereignisses in der Erinnerung hat sich nun so gestaltet, als ob Α an die Stelle von Β getreten wäre. Α ist das Substitut, das Symbol für Β geworden" [G.W.1895, NB: 440].5 Neben oder hinter diesem Symbolbegriff verfüge Freud jedoch bereits in seiner Arbeit „Uber den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene" über einen anderen Symbolbegriff, der sich von jener Spezies der 5
Vgl. oben S. 51.
116
Die Kontroverse in der Sekundärliteratur
Erinnerungssymbole nach und nach abgrenzen lasse. Bei dieser G r u p p e werde die Beziehung von Zeichen und Bezeichnetem 6 nicht mehr in der Verknüpfung auf Grund der Gleichzeitigkeit der Assoziation erblickt, sondern als symbolische Relation erfaßt. Nach Lorenzer handelt es sich bei dieser Entdeckung u m weit mehr als um eine bloße Variation des Symbolbegriffes. E s gehe hier zugleich u m die prinzipielle Hinwendung zu den subjektiven Gehalten. Die Absetzung von dem frühen Begriff des Erinnerungssymbols sei tiefgreifend. A n die Stelle der zufällig-willkürlichen Verknüpfung trete eine logische [1970: 16]. In „Sprachzerstörung und Rekonstruktion" charakterisiert Lorenzer diesen Wandel des Symbolbegriffs mit den folgenden Worten: „In der Wendung von der ersten zur zweiten Begriffsfassung, nämlich im Aufgreifen der Bedeutungen hatte die Psychoanalyse eine grundlegende Veränderung durchgemacht: Die Wandlung von einer Psychologie auf physiologischer Bcisis zu einer Wissenschaft, die nach dem Sinn des Untersuchten f r a g t " [1970; 1976: 106]. Lorenzer betont dabei ausdrücklich, daß die Vorwärtsbewegung zum neuen Symbolbegriff bei Freud nur sehr zögernd verlaufen sei. „Sie wird immer wieder unterbrochen durch den Versuch, auf das frühere Niveau zurückzusinken. Verständlicherweise - wenn man bedenkt, daß der Übergang von der einen zur anderen Betrachtungsweise mit dem Wechsel zu einem völlig anderen logischen S t a t u s identisch ist. L a g der erste Begriff noch ganz im Feld einer reinblütig naturwissenschaftlichen Psychologie oder Medizin, so öffnet der neue Begriff die T ü r zum Bereich der Sozialwissenschaften" [1970: 19]. Aus der letzten Bemerkung Lorenzers scheint zu folgen, daß er den Übergang von den Erinnerungssymbolen zu den Symbolisierungen geradezu als den Punkt markieren möchte, an dem das angeblich szientistische Selbstmißverständnis Freuds seine Wurzel hätte. Aus anderen Textpassagen läßt sich nämlich schließen, daß Lorenzer bereit ist, die naturwissenschaftliche Theorie, die u. a. auch der Rede von den Erinnerungssymbolen zu6
Korrekterweise müfite Lorenzer hier von einer Beziehung zwischen Anzeichen und Angezeigtem sprechen. Daß Lorenzer Schwierigkeiten hat, die gängigen Unterscheidungen zwischen Zeichen und Anzeichen korrekt zu gebrauchen, zeigen seine Bemerkungen zu Piaget. „ I m Falle der Anzeichen besteht die Bezeichnung aus einem Teil oder einem bestimmten Aspekt des Bezeichneten oder ist ihm durch eine ursächliche Beziehung verbunden . . . Symbol und Zeichen setzen im Gegensatz dazu . . . eine Differenzierung zwischen der Bezeichnung und dem Bezeichneten voraus" - soweit Lorenzers Referat der Piagetschen Position; nun seine eigene Explikation: „ E s geht also bei dem Merkmal der Repräsentanz u m folgende Unterscheidungen: einmal u m verschiedene Grade — Anzeichen repräsentieren nur einen Teil, einen kleinen Aspekt; Symbole und Zeichen repräsentieren das Bezeichnete in toto . . . " [1970: 44]. Anzeichen repräsentieren aber nicht bloß einen Teil des Ganzen, vielmehr genügt bereits ein Teil, um das Ganze anzuzeigen - so ist die Fußspitze unter dem Vorhang ein Anzeichen für die versteckte Person in toto und nicht für einen Teil von ihr!
Alfred Lorenzer
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gründe lag, völlig preiszugeben: „Psychoanalyse muß als Paradigma einer nichtbeobachtungs- und nichterkläxungswissenschaftlichen Erfahrungswissenschaft aufgezeigt werden" [1977: 109-110]. Und: „In ,Sprachzerstörung und Rekonstruktion' geht es ausschließlich darum, den klassischen psychoanalytischen Prozeß gegen gängige nomologische Annahmen als hermeneutisches Verfahren auszuweisen" [1970; 1976: 36]. In diesem Zusammenhang ist auch Lorenzers Aussage zu lesen, daß er den assoziationspsychologischen Standpunkt Freuds nicht mehr teilen könne [1970; 1976: 133]. Weiter unten (vgl. S. 122-123) wird zu prüfen sein, welches Modell Lorenzer an die Stelle einer psychologisch-naturwissenschaftlichen Erklärung setzen will, um die Entstehung und Bedeutung der von ihm sogenannten pseudokommunikativen Privatsprache verständlich zu machen. Als drittes Stadium der Entwicklung des Symbolbegriffes wertet Lorenzer die im Zusammenhang mit den Untersuchungen zum Traum entstandene eigentliche Symbolik. Mit den Symbolisierungen verbinde die Traumsymbolik, daß auch bei ihr die Bedeutung des Zeichens das Entscheidende sei [1970: 20]. Ein Traumsymbol habe jedoch im Gegensatz zu den Symbolisierungen eine konstante Bedeutung, und es sei unabhängig von individuellen Bedingungen [1970: 21]. Dieser veränderte Symbolbegriff habe innerhalb der Psychoanalyse weitgehende Konsequenzen nach sich gezogen: „Die Anerkennung der Symbole als konstante, vom Individuum unabhängige Zeichen drängt zu der Einschätzung der Traumsymbole als Elemente einer Sprache des Unbewußten, womit bereits zu einer Auffassung Grund gelegt wurde, die Fenichel (1923) dann scharf kritisierte: die Verwandlung von Metapsychologie in Metaphysik" [1970: 22-23]. Nach Lorenzer wird mit der eigentlichen Symbolik nun endgültig das Erinnerungssymptom verabschiedet. Mit der Lehre . . . vom Erinnerungssymbol war die Psychoanalyse ja vom Terrain der lebensgeschichtlichen . . . Analyse noch weit entfernt gewesen. Der Übergang vom funktionsbezogenen Erklären zum lebensgeschichtlichen Verstehen war nur scheinbar . . . Die Frage nach den lebensgeschichtlichen Zusammenhängen hatte noch keinen anderen Sinn als den, der jeder medizinischen Anamnese . . . innewohnt. Erst bei den Symbolisierungen geht es um Bedeutungszusammenhänge; hier erst beginnt die Psychoanalyse sich von einer ereignisgebundenen zu einer erlebnisbestimmten Psychologie zu wandeln. Unter dem Eindruck der Entdeckung der eigentlichen Symbolik gelang es, den Irrtum vollends abzustreifen und den Blick auf die Frage nach der Bedeutung zu richten. Eine spätere Revision gab für die Interpretation dann die von der Symboldeutung vorübergehend außer acht gelassene Methode des freien Assoziierens wieder frei. Nun rückte das freie Assoziieren in den Rahmen ein, in den es tatsächlich gehört: in den Rahmen einer historisch orientierten Bedeutungsanalyse [1970: 37-38].
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Die K o n t r o v e r s e i n d e r S e k u n d ä r l i t e r a t u r
Diese Phase kann dann als viertes Stadium der Entwicklung des Symbolbegriffes charakterisiert werden; ihm entsprechen die expliziten Formulierungen von Rank und Sachs, von Ferenczi und Jones: Wir verstehen darunter [unter dem Symbol] eine besondere Art der indirekten Darstellung, die durch gewisse Eigentümlichkeiten von den ihr nahestehenden des Gleichnisses, der Metapher, der Allegorie, der Anspielung und anderen Formen der bildlichen Darstellung von Gedankenmaterial (nach Art des Rebus) ausgezeichnet ist. Das Symbol stellt gewissermaßen eine ideale Vereinigung all dieser Ausdrucksmittel dar: es ist stellvertretender anschaulicher Ersatzausdruck für etwas Verborgenes, mit dem es sinnfällige Merkmale gemeinsam hat oder durch innere Zusammenhänge assoziativ verbunden ist [Rank und Sachs, 1914; 1965: 11; vgl. Jones 1916; 1978: 52-53].
Seine Monographie „Sprachzerstörung und Rekonstruktion" charakterisiert Lorenzer selbst als Vorarbeit zu einer Metatheorie der Psychoanalyse, in der es ausschließlich darum gehe, den psychoanalytischen Prozeß als ein hermeneutisches Verfahren auszuweisen [1970; 1976: 36]. Er geht von der Annahme aus, daß der Erkenntnisprozeß in der Psychoanalyse als ein langer Weg des Verstehens anzusehen sei, bei dem man schließlich drei Verstehensformen unterscheiden könne: das logische, das psychologische und das szenische Verstehen. Da die Psychoanalyse mit ihrer Methode des Verstehens nicht im „Rahmen des Ratens und Deutens" bleiben solle, gelte es, das Erkundete konsequent zu validieren [1970; 1976: 80]. Die erste Verstehensoperation, die auf die Erfassung des Sinnes der verbalen Mitteilungen der Patienten ziele, sei das, was Binswanger logisches Verstehen oder Rickert Verstehen eines zeitlosen Sinnes genannt haben. Damit ist das Verstehen der Äußerungen in ihren gewöhnlichen umgangssprachlichen Bedeutungen gemeint. Lorenzer faßt diesen Schritt in seiner ersten These zusammen: „Die fremdpsychischen Inhalte werden als Sinnzusammenhänge erfaßt. Die Erfassung geschieht im Analytiker als Erlebnis der Evidenz logischen Verstehens. Die erfaßte Wirklichkeit ist die Wirklichkeit der in der aktuellen Mitteilung präsentierten Symbole" [1970; 1976: 89]. Als Basis des Evidenzerlebnisses gelte dabei die Übereinstimmung aufgrund der Sprachgemeinschaft zwischen Analytiker und Analysand. Lenke der Analytiker seine Aufmerksamkeit bevorzugt auf die Mitteilungen des Analysanden als Darstellungen der seelischen Wirklichkeit desselben, so werde das logische Verstehen um das psychologische, das Nacherleben, ergänzt. Die affektive Verfassung des Patienten sei dem Analytiker beim Nacherleben hauptsächlich über eine Vielzahl von Gesten zugänglich, vorausgesetzt die gestischen Schablonen könnten als eine stimmige Gestalt aufgefaßt werden [1970; 1976: 100-102]. Lorenzer faßt diese Verhältnisse in seiner dritten These zusammen:
Alfred Lorenzer
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Auch beim Nacherleben finden wir eine Disjunktion der Frage nach dem Sinn von der Frage nach der Tatsachenwahrheit. Ähnlich der (formalen) Übereinstimmung im Satz, läuft hier die Verständigung über Handlungsschablonen; das Evidenzgefühl wurzelt in Antizipationen. Die Bedeutungen der Einzelgesten bleiben unverbürgt. Auch das Nacherleben vermag die Grenzen zum Unbewußten nicht zu überschreiten [1970; 1976: 105].
Nach Lorenzer drängt die Psychoanalyse jedoch unablässig dazu, die Grenzen der beiden Verstehensoperationen zu überschreiten. Auf beiden Wegen könne nämlich nur soweit verstanden werden, „als man schon verständigt ist. Das Unbewußte ist aber das von solchem Verstehen Ausgesperrte, weil es außerhalb der symbolischen Kommunikation geraten ist" [1970; 1976: 104]. Der Prozeß, durch den die Psychoanalyse nach Lorenzers Ansicht dennoch Zugang zum Unbewußten findet, wird von ihm szenisches Verstehen genannt; die Arbeit in der Analyse drehe sich unentwegt um Szenen, die analytische Durcharbeitung konzentriere sich geradezu auf szenische Arrangements, auf Situationen des Patienten [1970; 1976: 141] . Um den Vorgang des szenischen Verstehens besser darstellen zu können, bedürfen wir der ebenfalls von Lorenzer eingeführten Unterscheidung von Symbol und Klischee sowie des Begriffs der Repräsentanz. Zu einer Veränderung des von Ferenczi und Jones formulierten klassisch-psychoanalytischen Symbolbegriffes 7 kam es nach Angaben Lorenzers im Anschluß an den Jahrestag der American Psychoanalytic Association 1960. So spreche zum Beispiel David Beres von einer Symbolisierungsfähigkeit, die sich bestimmen lasse als „the unique capacity to awake ein image, concept or thought without direct and immediate external stimulus whereas the animal responds only to an immediate stimulus" [1965: 1], Beres unterstreiche diese Sonderstellung des Menschen durch die folgende Explikation, in der er Repräsentanzen und Symbole miteinander identifiziere: „This unique human capacity is designated eis the capacity to form mental representations in contrast to the capacity which man shares with animals to experience mental registrations" [ibid.; vgl. Lorenzer 1970; 1972: 87]. Im Unterschied zu Beres hält es Lorenzer nicht für sinnvoll, Symbole den Repräsentanzen gleichzusetzen, stattdessen schlägt er vor, bewußte von unbewußten Repräsentanzen zu unterscheiden und lediglich die bewußten Repräsentanzen als Symbole aufzufassen. „Die bewußten Repräsentanzen haben den Charakter von Symbolen, die unbewußten Repräsentanzen sind dagegen nicht symbolische Strukturen" [1970; 1976: 113]. Lorenzerschlägt vor, sie in Anlehnung an eine Formulierung Freuds Klischees zu nennen. Nach Lorenzer haben Klischees die folgenden Eigentümlichkeiten: Dynamisch erfüllten sie dieselbe Funktion wie Symbole, sie könnten besetzt 7
Vgl. o b e n d a s v i e r t e S t a d i u m des p s y c h o a n a l y t i s c h e n S y m b o l b e g r i f f e s , S. 118.
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Die Kontroverse in der Sekundärliteratur
werden. Sie ließen sich in Symbole verwandeln und seien aus Symbolen verwandelt worden. Die Verwandlung von Symbolen in Klischees, d . h . von symbolischen in desymbolisierte Repräsentanzen erfolge durch Verdrängung. Während Symbole unabhängig von der Realsituation evoziert werden könnten, bedürften Klischees eines szenischen Arrangements zur Auslösung. Symbole zeichneten sich durch die Unterscheidung von Objekt und Symbol aus, eine derartige Autonomie fehle beim Klischee. Klischeebezogene Triebabläufe seien dagegen strikt determiniert. Sie seien mit einer so strengen Folgerichtigkeit an den szenischen Auslösereiz gebunden, daß in diesem Zusammenhang vom Wiederholungszweuig gesprochen werde. Ein weiteres gemeinsames Merkmal aller klischeebestimmten Prozesse sei ihre Irreversibilität. Gegen alle Erwartungen erwiesen sich die neurotischen Klischees, die szenischen Muster, als nicht abnützbar und nicht reversibel [1970; 1976: 114-116]. Im Alltag sei klischeebestimmtes Verhalten ständig mit symbolvermitteltem Verheilten verbunden und d a letzteres das erste durch sekundäre Bearbeitung überforme, werde das klischeebestimmte Verhalten sowohl der Beobachtung als auch der Selbstbeobachtung entzogen [1970; 1976: 125], Zur Illustration dieser Verfälschung gibt Lorenzer das folgende kurze Beispiel: 8 Ein Patient hat Streit mit einem Vorgesetzten, weil er ,seinen Vaterprotest auf diesen Vorgesetzten ü b e r t r ä g t ' . Wir finden bei genauer Analyse seines Verhaltens ein Gemisch a u s r e a l i t ä t s a n g e m e s s e n e m Verhalten (der Patient behandelt z. B . seinen Vorgesetzten rollengerecht höflich), von Erfüllung von Triebbedürfnissen (er b e k o m m t Wutausbrüche, die eine R e p r o d u k t i o n seines frühkindlichen Verhaltens sind), von Reagieren (der Vorgesetzte macht d a s Spiel mit, indem er den autoritären Vater evozieren läßt), von Rationalisierungen (der Vorgesetzte ist selbst despotisch), Abwehrmechanismen, psychosomatischen Mechanismen, usw. All d a s läßt sich in die Formel fassen: eine Szene wird reproduziert. Die wirkliche Situation ist aber unkenntlich, sie wird feilsch verstanden. Anders ausgedrückt: die agierte Szene wird zwar symbolisiert, sie wird als Situation verstanden - aber falsch, nicht als die Situation, die sie wirklich ist. Konzentrieren wir uns auf die Wahrnehmung der Objekte. Der Vorgesetzte wird (1) in der Szene als Vater behandelt, (2) in der verfälschten Situation als Vorgesetzter angesehen. Entsprechend befindet sich der Patient (1) in der Szene als Sohn, der sich (2) in der verfälschten - Situation als Untergebener versteht. Dasselbe Geschehen wird zugleich nicht verstanden und verstanden, indem es falsch verstanden wird [1970; 1976: 125-126].
8
Ausführlicher stellt er seine Überlegungen an Freuds Krankengeschichte des Kleinen Hans dar; vgl. [1970; 1976: 127-137],
Alfred Lorenzer
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Nicht Sprachlosigkeit, sondern eine eigentümliche Sprachverwirrung liege hier vor. An der Vermischung der Objektrepräsentanzen werde sie besonders deutlich. Dem Begriff Vorgesetzter entspreche nämlich die Formel: Vorgesetzter = Vorgesetzter (+Vater) Der in Klammern gesetzte Anteil sei dynamisch dominant, der andere dagegen bewußtseinsdominant. Der kursiv gesetzte Begriff Vorgesetzter habe einen nur für diesen Patienten geltenden Begriffsumfang - er sei Teil einer Privatsprache.9 Gleichzeitig sei dieser Begriff Teil der Umgangssprache, über den man sich allerdings nur scheinbar unproblematisch verständigen könne. Uber das szenische Verstehen formuliert Lorenzer seine vierte These: Hauptweg des psychoanalytischen Verstehens ist das szenische Verstehen. Es stützt sich auf die Mitteilungen des Patienten, nimmt also vor allem logisches Verstehen in seinen Dienst. Das szenische Verstehen verläuft analog dem logischen Verstehen und dem Nacherleben: Es wird im Analytiker gesichert durch ein Evidenzerlebnis. So wie das logische Verstehen in der formalen Rezeption des Satzes, so wurzelt das szenische Verstehen im Erfassen der Szene. Die verstandene Szene entspricht einem Erwartungsmuster im Analytiker, dem InteraJctionsmuster - das der Interaktionsstruktur des Patienten entspricht. Die Bedeutungen, nämlich die Rollenbedeutungen, werden auch hier erst probeweise eingesetzt [1970; 1976: 148].
Mit dieser Feststellung, daß das szenische Verstehen demselben heimeneutischen Modus folge wie die anderen Verstehensweisen, sei die Begründung eines zuverlässigen Verstehens von Fremdpsychischem jedoch noch immer nicht gezeigt. Das szenische Verstehen müsse eine doppelte Aufgabe leisten, Präzisierung der wirklichen Bedeutungen und Erfassung der realen Interaktion, sofern es den Anspruch eines zuverlässigen Erkenntnisweges nicht aufgeben wolle [1970; 1976: 150]. Um diesem Ziel einen Schritt näher zu kommen, führt Lorenzer eine weitere Unterscheidung ein: dem Begriff der Szene stellt er den Begriff der Situation gegenüber. Unter Szene werde immer ein konkret-inszeniertes Geschehen in der Wirklichkeit oder Phantasie des Analysanden gemeint (z.B.: Szene in der Analyse, wiedererinnerte Szene aus der Kindheit etc.); dagegen bezeichne Situation das der jeweiligen Inszenierung zugrundeliegende Interaktionsmuster. 9
Vgl. d a z u d e n o b e n e i n g e f ü h r t e n Begriff d e r s u b j e k t i v e n B e d e u t u n g b z w . d e n d e r p e r s ö n l i c h e n K o n n o t a t i o n , S. 100-104; n a c h m e i n e r R e k o n s t r u k t i o n b e z i e h t s i c h d e r F r e u d s c h e B e d e u t u n g s b e g r i f f g e n a u auf dieses P r o b l e m s u b j e k t i v e r B e d e u t u n g e n . L o r e n z e r s i e h t j e d o c h n u r i m s z e n i s c h e n V e r s t e h e n eine C h a n c e , diese B e d e u t u n g e n aufzuklären. D a er den assoziationspsychologischen S t a n d p u n k t F r e u d s n i c h t m e h r t e i l e n k a n n , m u ß e r eine a n d e r e T h e o r i e d e r B e d e u t i m g a n b i e t e n , vgl. [1970; 1976: 133],
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Die Kontroverse in der Sekundärliteratur
So könne es geschehen, daß der Analytiker drei verschiedene Szenen als unterschiedliche Ausformungen derselben Situation auffasse und entsprechend interpretiere. Unter dem szenischen Verstehen sei somit ein Verstehen gemeint, das über das Erfassen der konkreten Szene hinausgehe und die darin enthaltene situative Struktur begreife. In diesem Zusammenhang spricht Lorenzer von der Komplettierung der Szene, d.h. vom Aufdecken der Anteile der Szene, die bisher verborgen waren. Neben einer (aktuellen) Komplettierung, die auf die Herstellung des vollen psychischen Spektrums der kognitiven und affektiven Anteile ziele, strebe der Analytiker eine (historische) Komplettierung an, bei der es darum gehe, die im Laufe der Lebensgeschichte verstümmelten Bedeutungsanteile entlang der (Assoziations-)Kette der Szenen wiederherzustellen. Erst mit den Szenen aus der Infantilperiode (den Originalvorfallen) trete der situative Bedeutungsgehalt der aktuellen Inszenierungen vollständig hervor [1970; 1976: 170-172], Ist die Rekonstruktion des Originalrorfalles in der Weise gelungen, daß im Verständnis der infantilen Szene die Situation als voller, ungeschmälerter Sinn bewußt gemacht und im Sprachsymbol gefaßt werden kann, dann wird zugleich die aktuelle Szene in der Übertragung durchsichtig. 10 Die vollständige Deutung als eine wie-damals-Deutung verklammert beide Szenen, verknüpft Vergangenheit und Gegenwart [1970; 1976: 188-189],
Die Frage, wie zuverlässig das szenische Verstehen bei dem Vorhaben ist, den Originalvorfall herauszuarbeiten, wird nun von Lorenzer erneut aufgegriffen. Hier liege in der Tat ein Problem vor, da einerseits alles Verstehen über den gemeinsamen Besitz von kommunizierten Antizipationen laufe, andererseits aber die unbewußten Gehalte von der Kommunikation ausgeschlossen seien. Der Zugang zum exkommunizierten Sinn erschließe sich jedoch über die Teilnahme an der Lebenspraxis des Analysanden. So sehr auch der Patient in seinen kognitiven und affektiven Äußerungen sich und die anderen irreführe, so zwanghaft ehrlich sei er in den Inszenierungen zwischenmenschlicher Beziehungen [1970; 1976: 197-200]. Eine unmittelbare Teilnahme an der Lebenspraxis des Patienten gelinge in der Therapie durch Übertragung und Gegenübertragung. Die Beziehungssituation, die sich auf diese Weise dem Verstehen anbiete, sei eine Reaktivierung der infantilen Situation. Die abgewehrte bewußtseinsunfähige infantile Situation sei in diesen Szenen durchsichtig enthalten. Weil das Geschehen zwischen Analytiker und Analysand eine Verwirklichung der infantilen Situation ist und in dieser szenischen Anordnung die abgewehrten infantilen Affekte anwesend sind, kann das szenische Verstehen den Riß 10
Wie man „eine Situation als ungeschmälerten Sinn bewußt machen kann" ist mir nicht verständlich.
Alfred Lorenzer
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in dei emotionalen und kognitiven Wirklichkeit des P a t i e n t e n schließen. Die Wiedererinnerung der infantilen Szene trifft mit der Reaktualisierung der affektiven L a g e des P a t i e n t e n z u s a m m e n . . . D a s Erleben des P a t i e n t e n wird in seinem vollen - affektiven wie kognitiven - Sinn gefaßt mit der Möglichkeit, den Sinn sprachlich zu formulieren. D a m i t wird zugleich jener andere Riß zwischen Lebensform und Spruche geschlossen . . . D a s I n d i v i d u u m v e r m a g - wenn dies geleistet ist - sich selbst wieder zu verstehen, es kann auch die Absichten seines Handelns wieder identifizieren [1970; 1976: 205].
So überzeugend und angemessen Lorenzers Daxstellung bezüglich der Vorgänge in der analytischen Therapie sein mögen, so wenig ist die Psychoanalyse als bloß hermeneutisches Unterfangen zu charakterisieren. Lorenzer scheint selbst nicht zu bemerken, in welch zentralen Pcissagen seines Werkes „Sprachzerstörung und Rekonstruktion" kausale Aussagen und allgemeine Hypothesen einfließen, ohne deren vorausgesetzte Geltung der ganze hermeneutische Prozeß keine Grundlage hätte. Exemplarisch sei eine These Lorenzers aus dem letzten Zitat wiederholt, mit der er u.a. den Prozeß des szenischen Verstehens validieren wollte: „Weil das Geschehen zwischen Analytiker und Analysand eine Verwirklichung der infantilen Situation ist und in dieser szenischen Anordnung die abgewehrten infantilen Affekte anwesend sind, kann das szenische Verstehen den Riß in der emotionalen und kognitiven Wirklichkeit des Patienten schließen." Die allgemeine Hypothese lautet in diesem Fall, daß die Übertragungsszenen Verwirklichungen der infantilen Situationen sind. Ein weiteres Beispiel lieferten die sogenannten Originalvorfälle, in denen es zu einer Verdrängung und das heißt zu einer Desymbolisierung komme. Die daraus resultierenden klischeebestimmten Triebabläufe seien streng deterministisch an den szenischen Auslösereiz gebunden. Lorenzers Ausführungen sind entgegen seiner eigenen Beteuerungen nicht metatheoretisch, sondern bestenfalls metapsychologisch. Grünbaums Kritik an der hermeneutischen Position Ricoeurs (vgl. Grünbaum 1988: 95) läßt sich somit in vollem Umfange auf Lorenzers Unterfangen übertragen: So ergibt sich nun, daß die psychoanalytische Suche nach den Bedeutungen der Szenen auf den beiden folgenden grundsätzlichen Voraussetzungen beruht: (1) Traumatische Ereignisse führen zu Verdrängungen und das heißt zu klischeebestimmten Triebabläufen. (2) Diese infantilen Situationen finden (zwanghafte) Reaktivierungen in Übertragung und Gegenübertragung. Nur wenn diese Annahmen - unabhängig vom hermeneutischen Prozeß - bestätigt werden könnten, ist die These aufrechtzuerhalten, daß der Analytiker in der Übertragung über einen Zugang an der Lebenspraxis des Analysanden verfugt, der erlaubt, das aus der Kommunikation Ausgeschlossene wieder in den Zusammenhang der Sprachgemeinschaft zu integrieren.
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Die Kontroverse in der Sekundärliteratur 6.3
Jacques
Laca.n
Jacques Lacans theoretische Schriften sind nur schwer zugänglich, um nicht zu sagen: sie sind unverständlich. Das hat zur Folge, daß es kaum möglich ist, seine Arbeiten auf seriöse Weise zu diskutieren. In der Regel kann man schon froh sein, auf Formulierungen zu treffen, die wenigstens der Form nach wie ein Argument erscheinen; bei näherem Hinsehen erweisen sich aber auch diese meist als völlig unhaltbar. Um so erstaunlicher ist der noch immer anhaltende Einfluß Lacans auf die Diskussion der Psychoanalyse in Frankreich und in Deutschland. Lacans Spekulationen basieren zum Teil auf der Hegeischen Philosophie, zum Teil auf de Saussures Sprachwissenschaft; in besonderem Maße sind sie dem Strukturalismus Claude Levi-Strauss' verpflichtet. Im Hinblick auf die Debatte zwischen Hermeneutikern und Naturwissenschaftlern kann Lacan keiner der beiden Richtungen zugerechnet werden. So begnüge ich mich im folgenden damit, exemplarische Äußerungen Lacans zum Begriff des Signifikanten sowie seine These, das Unbewußte sei wie eine Sprache strukturiert, zu kommentieren. 11 Diese beiden Punkte haben den engsten Bezug zu den von mir diskutierten Fragen. In seinem 1964 gehaltenen Seminar geht Lacan wiederholt auf die These ein, das Unbewußte sei wie eine Sprache strukturiert; er scheint jedoch eine Bekanntschaft seiner Hörer mit dieser These bereits vorauszusetzen; ich zitiere eine längere Passage aus der zweiten Seminarsitzung: Die Mehrheit der hier Versammelten hat bereits gewisse Vorstellungen davon, was ich meine, wenn ich s a g e - d a s Unbewußte ist strukturiert wie eine Sprache - was sich auf ein Feld bezieht, d a s uns heute weit eher zugänglich ist als zu Zeiten Freuds. Ich möchte dies an einer Materialisierung zeigen, die m i t Bestimmtheit auf wissenschaftlicher E b e n e erfaßbar ist, an j e n e m Feld d a s C l a u d e Levi-Strauss untersucht, strukturiert, bearbeitet, und d a s er unter der Bezeichnung des Wilden Denkens abgesteckt h a t . Noch vor jeder Erfahrung, vor aller individuellen Deduktion und noch bevor ü b e r h a u p t kollektive Erfahrungen, die nur auf soziale Bedürfnisse zurückzuführen wären, sich niederschlagen, gibt es d a etwas, d a s dieses Feld organisiert und die ersten Kraftlinien in es einschreibt . . . Noch bevor die eigentlichen Humanbeziehungen entstehen, sind gewisse Verhältnisse schon determiniert. Sie können in allem auftreten, was sich von Seiten der Träger anbietet. A n diesen Trägern können sich Oppositionen festmachen. Die N a t u r liefert, s a g e n wir doch d a s Wort: Signifikanten, und 11
Diese These ist eine der einflußreichsten „Formeln" Lacans und zugleich die Basis seiner Konzeption der Psychoanalyse als einer Wissenschaft: „Soll die Psychoanalyse sich als Wissenschaft vom Unbewußten konstituieren, ist davon auszugehen, daß das Unbewußte wie eine Sprache strukturiert i s t " [1964; 1987: 213],
Jacques Lacan
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diese Signifikanten organisieren auf inaugurierende Weise die menschlichen Verhältnisse, geben ihnen Struktur, modellieren sie. In unsern Tagen, in dem historischen Zeitpunkt, in dem wir uns befinden, wo eine Wissenschaft sich herausbildet, die als ,human' bezeichnet werden -kann, die aber von jeder Art Psychosoziologie sorgfältig zu unterscheiden ist: die Linguistik, deren Modell das Spiel der Kombinatorik ist, das spontan funktioniert, ganz für sich, präsubjektiv - heute also gibt diese Struktur dem Unbewußten die Verfassung. Mit diesem Begriff erhalten wir jedenfalls die Gewißheit, daß mit dem Begriff des Unbewußten etwas bestimmt, erschlossen, objektiviert werden kann [1964; 1987: 26-27],
Betrachten wir die vier Absätze näher: Aus dem ersten geht hervor, daß Lacan auf dem Gebiet, das Levi-Strauss als wildes Denken bezeichnete, zeigen will, was er mit seiner These, das Unbewußte sei wie eine Sprache strukturiert, meinte. Schon der folgende Abschnitt läßt aber offen, ob es sich um eine Paraphrase Levi-Strauss'schen Denkens oder um eine Übertragung auf Lacans eigenes Thema handelt: Vor jeglicher Erfahrung gebe es etwas, das das „Wilde Denken" - oder etwa das Unbewußte? - organisiere. Geeignete Träger - vermutlich meint Lacan natürliche Gegenstände, die als Zeichen fungieren - strukturierten als Signifikanten die menschlichen Verhältnisse. In unserer Epoche gebe eine solche Struktur (die Linguistik oder die Struktur, die auch das wilde Denken organisiert?) dem Unbewußten seine Verfassung. Lacan schließt daraus, daß wir mit dieser Struktur die Gewißheit erhielten, mit dem Begriff des Unbewußten könne etwas erschlossen, bestimmt und objektiviert werden. Keine dieser Behauptungen ist auch nur an einer Stelle empirisch gesichert, für keine dieser Thesen gibt Lacan plausible Argumente. Darüber hinaus sind die Ergebnisse, die Levi-Strauss vorlegte und auf die sich Lacan bezieht, selbst äußerst fragwürdig. 12
12
„ W ä h r e n d die s t r u k t u r e l l e L i n g u i s t i k als Teilgebiet d e r v o n d e S a u s s u r e g e f o r d e r t e n Semiologie die n a t ü r l i c h e n S p r a c h e n als Z e i c h e n s y s t e m e u n t e r s u c h t , w e r d e n i m S t r u k t u r a l i s m u s die M e t h o d e n u n d T e r m i n i d e r s t r u k t u r e l l e n L i n g u i s t i k a p r i o r i a u f die G e b i e t e n i c h t s p r a c h l i c h e r Z e i c h e n d e r Semiologie d e r K o m m u n i k a t i o n u n d b e s o n d e r s auf die Indizes d e r Semiologie d e r S i g n i f i k a t i o n v e r a l l g e m e i n e r t . A b g e s e h e n v o n d e n e m p i r i s c h o f t u n b e w i e s e n e n u n d z u m Teil u n b e w e i s b a r e n E r g e b n i s s e n dieses A n a l o g i e s c h l u ß v e r f a h r e n s e r g e b e n s i c h d a b e i m a n c h e r l e i U n g e r e i m t h e i t e n . So f ü h r t die r i c h t i g e P e s t s t e l l u n g , d a ß alle S p r a c h e n a m Z e i c h e n b e s t e h e n , z u d e r u n n ö t i g e n ( u n d f a l s c h e n ) S c h l u ß f o l g e r u n g , d a ß alle S y s t e m e , die a u s Z e i c h e n o d e r g a r I n d i z e s b e s t e h e n , S p r a c h e n s i n d . D i e V e r w i r r u n g s e t z t s i c h m i t d e m Begriff d e r . S y n t a x ' f o r t . A u s d e r E r k e n n t n i s , d a ß alle S p r a c h e n eine S y n t a x h a b e n u n d j e d e S y n t a x ein g e n e r a t i v e r M e c h a n i s m u s ist, w i r d leicht die K o n s e q u e n z gezogen, d a ß alle P r o d u k t e g e n e r a t i v e r M e c h a n i s m e n S p r a c h e n seien . . . E s e m p f i e h l t s i c h d a h e r i n d e r R e g e l , die s e m i o l o g i s c h e n V e r s u c h e d e r S t r u k t u r a l l s t e n - t r o t z i h r e r B e r u f u n g auf d e S a u s s u r e - i m m e r w i e d e r auf i h r e S t i c h h a l t i g k e i t z u ü b e r p r ü f e n " [ K r a m p e n 1981: 134-35].
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Die Kontroverse in der Sekundärliteratur
Wenigstens eine Formulierung Lacans in seinen theoretischen Schriften verspricht zu begründen, weshalb das Unbewußte wie eine Sprache strukturiert sei: Das Unbewußte, das sind die Wirkungen, die das Sprechen auf das Subjekt hat, das ist die Dimension, in der das Subjekt sich bestimmt in der Entfaltung der Sprech Wirkungen, woraus folgt, daß das Unbewußte strukturiert ist wie eine Sprache [1966; 1986: 156],
Hier handelt es sich offenbar um eine der Passagen, die äußerlich die Form eines Argumentes haben - das „woraus folgt" weist darauf hin. Rekonstruieren wir das vermeintliche Argument näher: Das Sprechen, welches selbst eine sprachliche Struktur habe, habe Wirkungen auf das Subjekt. Diese Wirkungen seien das Unbewußte. Weil das Sprechen Wirkungen auf das Subjekt habe, seien diese Wirkungen - d. h. das Unbewußte - wie eine Sprache strukturiert. Erstens ist die Identifizierung eines oder vieler Sprechakte mit der Sprache selbst fragwürdig, zweitens die Identifizierung der Wirkungen des Sprechens mit dem Unbewußten völlig unplausibel. Und schließlich ist überhaupt nicht zu sehen, weshalb Wirkungen stets die innere Struktur ihrer Ursachen haben sollten. Man sieht, auch diese Passage, die zudem einen äußerst fragwürdigen Begriff des Unbewußten suggeriert, kann Lacans These in keiner Weise verständlich machen. Andere Passagen weisen darauf hin, daß Lacan, wenn er dem Unbewußten sprachliche Struktur zuerkennt, eigentlich meint, daß die - (nach Freuds Theorie) dem Unbewußten entstammenden - manifesten Phänomene wie Träume, Fehlleistungen und Symptome sprachliche Struktur hätten: 1 3 Das Unbewußte ist das Kapitel meiner Geschichte, das weiß geblieben ist oder besetzt gehalten wird von einer Lüge. Es ist das zensierte Kapitel. Doch seine Wahrheit kann wiedergefunden werden. Zumeist steht sie schon anderswo aufgeschrieben, - etwa auf Denkmälern: Das ist mein Leib, das heißt der hysterische Kern der Neurose, in dem das hysterische Symptom eine sprachliche Struktur aufweist und sich wie eine Inschrift entziffern läßt . . . [1966; 1986: 98]. Nimmt man sich das Werk Freuds wieder vor und beginnt bei der Traumdeutung', so erinnert man sich, daß der Traum die Struktur eines Satzes hat oder, um dem Buchstaben des Textes zu folgen, eines Rebus . . . [1966; 1986: 107].
Völlig unplausibel wird es wieder bei Lacans nächstem Schluß: 13
Das wäre zumindest eine These, ü b e r die sich diskutieren ließe. Ich selbst h a b e darauf hingewiesen, daß Freud die Gemeinsamkeiten u n t e r den Zeichen (alter) Sprachen u n d den manifesten P h ä n o m e n e n hervorhebt (vgl. S. 26-27).
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[Wenn Freud] uns . . . lehrt, im Text der freien Assoziationen der wachsenden Verästelung einer Linie von Symbolen zu folgen, um an den Punkten, an denen die sprachlichen Formen sich überschneiden, die Knoten ihrer Struktur zu ermitteln - , dann ist bereits vollkommen einleuchtend, daß das Symptom sich ganz in einer Sprachanalyse auflöst, weil es selbst wie eine Sprache strukturiert ist, und daß es eine Sprache ist, deren Sprechen befreit werden muß [1966; 1986: 109].
Hier spielt Lacan auf Freuds Begriff des Knotenpunktes an (vgl. S. 58). Bei Freud war damit eine Vorstellung gemeint, an der sich verschiedene Assoziationsketten treffen. Es ist aber überhaupt nicht einleuchtend, daß sich durch das Ermitteln der Struktur von Knotenpunkten Symptome auflösen und schon gar nicht, daß sie dies tun, weil sie wie eine Sprache strukturiert sind. Auch hier erwecken Lacans Formulierungen nur den Anschein eines Argumentes. Lacans Terminus des Signifikanten geht im wesentlichen auf de Saussures BegrifHichkeit (vgl. S. 96 f.) zurück. Bei de Saussure ist mit dem Signifikanten (dem Bezeichnenden) bloß ein Teileines Zeichens benannt, der erst gemeinsam mit dem durch Assoziation verbundenen Signifikat (dem Bezeichneten) das ganze Zeichen konstituiert. 1 4 Betrachten wir Lacans Begriff des Signifikanten näher: Aber, was ist das, ein Signifikant? Ich bete es Ihnen nun schon lange genug vor und sollte es nicht noch einmal sagen müssen: ein Signifikant ist, was ein Subjekt repräsentiert, für wen? - nicht für ein anderes Subjekt, sondern für einen anderen Signifikanten . . . Nehmen Sie zur Verdeutlichung dieses Axioms an, Sie entdeckten in der Wüste einen Stein, der mit Hieroglyphen bedeckt ist. Sie sind keinen Augenblick darüber in Zweifel, daß ein Subjekt dahintersteckt, das der Urheber der Hieroglyphen war. Es wäre aber ein Irrtum, zu glauben, daß jeder Signifikant sich an Sie richte - der Beweis dafür ist, daß Sie nichts verstehen. Vielmehr definieren Sie die Hieroglyphen als Signifikanten, weil Sie sicher sind, daß jeder einzelne Signifikant sich auf jeden anderen bezieht [1964; 1987: 208].
Was, an der Behauptung, ein Signifikant repräsentiere ein Subjekt für einen anderen Signifikanten und nicht für ein anderes Subjekt, verdient es, Axiom genannt zu werden? Das von Lacan zur Verdeutlichung (sie!) gegebene Beispiel paßt an keiner Stelle: Erstens repräsentiert ein Signifikant nicht seinen Urheber (im Beispiel: den Hieroglyphenschreiber), sondern ein entsprechendes Signifikat; auf seinen Urheber verweist es höchstens als ein natürliches Zeichen. Zweitens kommt es bei bedeutungsvollen Zeichen 14
D e S a u s s u r e s K o n z e p t i o n , die — wie wir s a h e n — wesentlich auf e i n e r p s y c h o l o g i s t i s c h e n B e d e u t u n g s t h e o r i e b a s i e r t , ist n a t ü r l i c h d e n gleichen S c h w i e r i g k e i t e n wie Freuds assoziationistische Bedeutungstheorie ausgesetzt. I n s o f e r n ist es h ö c h s t f r a g w ü r d i g , m i t d i e s e m A n s a t z F r e u d s T h e o r i e s t ü t z e n z u wollen.
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Die K o n t r o v e r s e i n d e r S e k u n d ä r l i t e r a t u r
nicht darauf an, an wen sie sich richten, sondern, was sie bedeuten; und drittens hängt die Frage, ob sich ein Signifikant an jemanden richtet, nicht davon ab, ob derjenige den Signiiikanten auch versteht. Daß Lacan auch über einen zutiefst merkwürdigen Zeichenbegriff verfügt, illustriert das folgende Zitat: Alle Ambiguität des Zeichens besteht darin, daß ein Zeichen etwas für jemanden repräsentiert. Dieser Jemand kann vieles sein, beispielsweise das Universum insgesamt, sofern in diesem, wie seit einiger Zeit gelehrt wird, Information zirkuliert, im Negativ der Entropie. Jeder Knotenpunkt, an dem sich Zeichen konzentrieren, läßt sich, sofern diese Zeichen nur etwas repräsentieren, als ein solcher Jemand auffassen. Was wir dagegen festhalten müssen, ist, daß ein Signifikant ein Subjekt für einen anderen Signifikanten repräsentiert [1964; 1987: 218],
Weshalb sollte ein Zeichen etwas für das Universum repräsentieren, aufgrund der Vermutung, daß in diesem Information zirkuliere? Repräsentieren bei Lacan Zeichen etwa auch etwas für Zeitungen, Telefon- und Morsegeräte, weil in diesen Information zirkuliert? Dem Unfug, daß sich ein Knotenpunkt, an dem sich Zeichen konzentrieren, als ein „Jemand" auffassen lasse, brauche ich wohl nichts hinzuzufügen. Mit dem folgenden Zitat beschließe ich meine kurze Lacan-Vorstellung. Dieser Text zeigt besonders drastisch, daß es angemessener wäre, Lacan in den um Andre Breton gescharten surrealistischen Kreis aufzunehmen als ihn zwischen Ricoeur, Lorenzer und Grünbaum zu diskutieren. Weniger noch als das Nichts, das den Reigen der die Menschen bewegenden Bedeutungen durchläuft, ist es der Abdruck der Bahn und wie das Mal vom Prägeeisen des Signifikanten, mit dem das Subjekt, das spricht, an der Schulter gezeichnet ist. Es ist weniger reines Erleiden des Signifikats als reines Tun des Signifikanten, das in dem Augenblick zum Stillstand kommt, wo das Lebendige, Zeichen geworden, es insignifikant macht. In diesem Einschnittsmoment erscheint die Gestalt eines blutigen Fetzens: das Pfund Fleisch, das das Leben zahlt, um daraus den Signifikanten der Signifikanten zu machen, und das als solches unmöglich dem imaginären Körper wiedererstattet werden kann; es ist der verlorene Phallus des einbalsamierten Osiris [1966; 1986: 221],
6.4
Paul Ricoeur
In seinen einleitenden Bemerkungen unter der Überschrift „Psychoanalyse und Sprache" reiht Ricoeur in seiner Freud-Monographie, „Die Interpretation", die Untersuchungen der Psychoanalyse ein in das weit umfassendere Projekt, das gesamte Gebiet der Sprache zu erforschen.
Paul Rico cur
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Hier kreuzen sich die Untersuchungen von Wittgenstein, die analytische Philosophie der Engländer, die von Eusserl ausgehende Phänomenologie, die Studien von Heidegger, die Arbeiten der Bultmann-Schule und der anderen Schulen der neutestamentarischen 15 Exegese, die Arbeiten auf dem Gebiet der vergleichenden Religionsgeschichte und der Anthropologie über Mythos, Ritus, Glaubensformen und -inhalte - und schließlich die Psychoanalyse [1965; 1974: 15].
Nehmen wir Ricoeurs Interpretation der Freudschen Traumlehre hinzu, nach der Freud den Traum zu einem Modell aller „versteckten, substituierten und fiktiven Äußerungen des menschlichen Wunsches" macht und uns dadurch auffordert, „im Traum selber die Verschränkung von Wunsch und Sprache zu suchen", so finden wir die manifesten Phänomene bei Ricoeur von Anfang an als sprachliche (zumindest als quasi-sprachliche) Erscheinungen gedeutet [vgl. 1974: 17]. „Innerheilb der ausgedehnten Sphäre der Sprache" präzisiert Ricoeur den Ort der Psychoanalyse wie folgt: Es ist der Ort der Symbole oder des Doppelsinns wie auch derjenige, wo die verschiedenen Deutungsweisen einander gegenübertreten. Diesen Bezirk, der umfassender ist als die Psychoanalyse, jedoch enger als die Theorie der totalen Sprache, die ihr als Horizont dient, wollen wir künftig das ,hermeneutische Feld' nennen . . . [1965; 1974: 20],
Unter Hermeneutik will Ricoeur die Theorie der Regeln verstanden wissen, die eine Exegese leiten, d.h. „die Interpretation eines besonderen Textes oder einer Gesamtheit von Zeichen, die sich als ein Text betrachten lassen" [1974: 20]. Besonders die letzte Charakterisierung, die „Ausdehnung des Begriffs der Exegese auf alle einem Text analogen Zeichen", verdient in diesem Zusammenhang unsere Aufmerksamkeit. Später wird Ricoeur sagen: „Wir stehen vor Phänomenen, die wie eine Sprache strukturiert sind, aber diesem wie gilt es, einen angemessenen Sinn zu geben" [1965; 1974: 409]. Doch bleiben wir zunächst bei Ricoeurs „Problematik". Ausdrücklich betont Ricoeur, daß sich für Freud nicht allein eine „Schrift" zur Deutung anbietet, „sondern jede Gesamtheit von Zeichen, die sich als ein zu entziffernder Text betrachten läßt, also ebensowohl ein T r a u m oder ein neurotisches Symptom wie ein Ritus, ein Mythos, ein Kunstwerk, ein Glaubensinhalt" [1974: 39]. Nach Ricoeurs Interpretation dehnt Freud damit den Begriff des Textes auch auf nonverbale Phänomene aus, vorausgesetzt sie lassen sich als ein zu entziffernder „Text" auffassen. „Freud gebraucht ihn [den Begriff des Textes befreit von dem der Schrift] häufig, besonders wenn er die Arbeit der Analyse mit der Übersetzung einer Sprache in eine 15
Gemeint ist „neutestamentlich".
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Die Kontroverse in der Sekundärliteratur
andere vergleicht; die Traumerzählung ist ein unverständlicher Text, den die Analyse durch einen verständlicheren Text ersetzt [1965; 1974: 38]." Bei dieser Rekonstruktion der Psychoanalyse geht allerdings die für uns interessantere Frage, ob es sich bei den manifesten Phänomenen um bedeutungsvolle Ausdrücke im eigentlichen Sinne handelt, sprich: ob sie de facto ein Text sind, verloren. Grünbaum hebt denn auch in seiner Kritik an Ricoeurs Position treffend hervor, daß sich selbstverständlich vieles als ein zu entziffernder Text auffassen lasse: Physicists who seek a theoretical identification of the particles producing particular cloud chamber tracks, for example, do not see any point in speaking of their activity as 'deciphering track texts hermeneutically' [1984: 66].
Ganz ins Unverständliche, wenn nicht gar Absurde, geraten allerdings Ricoeurs Ausführungen, wenn er behauptet, der Traum stehe an sich selbst schon deshalb der Sprache nahe, „da er sich erzählen, analysieren, interpretieren läßt" [1974: 27]. Grünbaums polemische Kritik an dieser Argumentation ist daher voll berechtigt: Aber es gibt eine ganze Reihe von physikalischen Erscheinungen - z. B. Sonneneruptionen, das Fallen des Barometers und die Produktionen von Quasaren und Pulsaren - , über die man berichten und die man interpretieren oder analysieren, aber natürlich nicht psychoanalysieren kann [1988: 117].
Neben der oben genannten ließen sich beliebig viele andere Textpassagen anführen, in denen Ricoeur durch seine Darstellungsweise die von ihm vertretenen Thesen unnötig kompliziert; so, wenn er beispielsweise den „Sinn" personifiziert: Symbol ist dort vorhanden, wo die Sprache Zeichen verschiedenen Grades produziert, in denen der Sinn sich nicht damit begnügt, etwas zu bezeichnen, sondern einen anderen Sinn bezeichnet, der nur in und mittels seiner Ausrichtung zu erreichen ist [1965; 1974: 29].
Auch die Rede vom „Schlafenden als einem Poeten" gehört zu den Beispielen ausgesprochen laxen Redestils, die in diesen schwierigen Fragen eher verwirren als zu einer Klärung beitragen. 16 Unberücksichtigt bleiben bei dieser Analogie zum Beispiel die (wesentlichen) Merkmale, daß nämlich gewöhnlich Poeten ihre Texte „intendieren" und wissen, was sie schreiben oder mitteilen. 17 16
17
Man vergleiche dazu die Bemerkung Shopes: „Freud does not think of the unconscious as making allusions through its associations in the sense in which the writer of the Song of Solomon made allusions. The dreamer is not literally a n unconscious p o e t " [1973: 287]. Wir stoßen hier erneut auf das Problem der Relation zwischen „ B e d e u t u n g " und „Intention": Inwiefern können „nicht-intendierte" Zeichenfolgen Bedeutung haben?
P a u l Ricoeur
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Bei dieser - vielleicht sogar beckmessernd erscheinenden - Kritik 1 8 an Ricoeur begeben wir uns freilich in die Gefahr, seine eigentlichen Themen aus den Augen zu verlieren. Auch wenn Ricoeurs Position nicht leicht und prägnant zu referieren ist, sollten wir zumindest die folgende Einschränkung berücksichtigen, die er in Bezug auf eine „linguistische" Interpretation der manifesten Phänomene betont. 1 9 In einer längeren Passage [1965; 1974: 405-415] diskutiert Ricoeur Lacans These, das Unbewußte sei wie eine Sprache strukturiert. Als Grundlage der Diskussion dient eine Verständigung über den Begriff der Linguistik: Fassen wir den Begriff der Linguistik streng, nämlich als Wissenschaft von den Sprachphänomenen, die in einer Sprache realisiert sind, also einer organisierten Sprache, dann ist der Symbolismus des Unbewußten kein linguistisches Phänomen stricto sensu ... [1965; 1974: 408].
Ricoeur selbst hatte es bis dahin bewußt vermieden, den Terminus „Linguistik" für die „Sinnbeziehungen zwischen Symptomen, Phantasien, Träumen, Idealen und unbewußten Themen" [1974: 405] zu gebrauchen. Die Frage sei daher, wie Lacans linguistische Interpretation der manifesten Phänomene aufzufassen ist; dem „Wie" gelte es, einen angemessenen Sinn zu geben! Die Antwort Ricoeurs auf dieses Problem ist nicht leicht zu rekonstruieren: Der durch die Interpretation - bei einer Psychoanalyse - entschleierte Wunsch sei niemals reines Bedürfnis, sondern Anrufung und Anspruch; schon durch den Anredecharakter sei dieser Appell wie eine Sprache. Der Wunsch unterscheide sich vom Bedürfnis durch seine Fähigkeit, ausgesprochen zu werden, diese sei koextensiv mit der „Rücksicht auf Darstellbarkeit" [vgl. 1974: 409-10]. Weis immer auch damit gemeint ist, Ricoeur kommt zu dem Ergebnis: „Die Analyse erreicht und durchdringt wirklich so etwas wie einen Text" [410].
18
19
B z w . : K a n n a u s d e r a n g e n o m m e n e n B e d e u t u n g d e r Z e i c h e n auf I n t e n t i o n e n — u n b e w u ß t e z w a r — des S e n d e r s zuriickgeschlossen w e r d e n ? Diese F r a g e n v e r w e i s e n a u f die n o c h a u s s t e h e n d e U n t e r s u c h u n g des „ d r i t t e n A s p e k t e s " des p s y c h o a n a l y t i s c h e n S i n n b e g r i f f e s : des Begriffes d e r A b s i c h t b z w . I n t e n t i o n i n F r e u d s P s y c h o a n a l y s e . M a n k a n n h i e r b e r e c h t i g t e r w e i s e die F r a g e stellen, w e s h a l b i c h die P o s i t i o n R i c o e u r s so k r i t i s c h i n F r a g e stelle, w ä h r e n d i c h z u v o r selbst v e r s u c h t h a b e z u zeigen, d a ß F r e u d m a n i f e s t e P h ä n o m e n e als b e d e u t u n g s v o l l e E r s c h e i n u n g e n a u f f a ß t . J e d o c h g i n g es m i r i n d i e s e r A r b e i t d a r u m , die G r ü n d e f ü r F r e u d s R e d e w e i s e u n d s o m i t d i e B e d e u t u n g s e i n e r Begriffe z u r e k o n s t r u i e r e n ; w e s e n t l i c h w a r d a b e i die A u f k l ä r u n g d e r F r e u d a c h e n A s s o z i a t i o n s t h e o r i e d e r V o r s t e l l u n g e n . E i n e solche R e k o n s t r u k t i o n h a t R i c o e u r n i c h t v e r s u c h t ; s t a t t d e s s e n f i n d e n wir eine R e i h e v o n a n g r e i f b a r e n A r g u m e n t e n , die z u r B e g r ü n d u n g v o n R i c o e u r s P o s i t i o n n i c h t a u s r e i c h e n . Diese E i n s c h r ä n k u n g s c h e i n t S h o p e u n d G r ü n b a u m b e i i h r e r K r i t i k a n R i c o e u r e n t g a n g e n z u sein.
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Die Kontroverse in der Sekundärliteratur
Man kann also unter den soeben erwähnten Vorbehalten [kann man ein Bild, das sowohl die Stellung des Signifikanten wie des Signifikats hätte, wie ein linguistisches Element behandeln?] 20 weiterhin die Behauptung vertreten, daß das Unbewußte wie eine Sprache strukturiert ist; das Wort ,wie* ist nicht weniger zu betonen als das Wort ,Sprache'; . . . die Mechanismen des Unbewußten sind nicht so sehr besondere linguistische Phänomene als paralinguistische Entstellungen der gewöhnlichen Sprache [1965; 1974: 414].
In seinem Resümee begründet Ricoeur zum wiederholten Male eine von ihm vertretene These auf nicht nachvollziehbare Weise, so daß man sich fragen muß, ob er prinzipiell bestimmte Argumentationsfiguren für überzeugend hält, die anerkanntermaßen nicht korrekt sind. 21 Abschließend ist zu sagen, daß die linguistische Interpretation das Verdienst hat, alle Phänomene des Primärvorgangs in den Rang einer Sprache zu erheben; gerade die Tatsache, daß die analytische Kur selbst Sprache ist, bezeugt jene Ambiguität der Quasi-Sprache des Unbewußten und der gewöhnlichen Sprache [1965; 1974: 415].
Als letzten Punkt möchte ich noch Ricoeurs Abgrenzung des Symbolbegriffes von der von Cassirer vorgeschlagenen Auffassung referieren, da um diese Frage eine kleine, aber durchaus interessante Debatte zwischen Ricoeur und Shope entstanden ist. Um den Begriff des Symbols auf die doppel- und mehrdeutigen Ausdrücke einschränken zu können, grenzt Ricoeur den weit gefaßten Symbolbegriff Cassirers, der sich auf alle Zeichen bezieht, ausdrücklich ein. Zwischen den mehrdeutigen und den eindeutigen Zeichen soll nach Ricoeur die schärfste Trennlinie gezogen werden; diese wäre durch Cassirers Wortgebrauch nicht zu markieren. Statt von symbolischer Funktion soll daher im weiteren allgemein von der bezeichnenden Funktion eines Zeichens gesprochen werden. Darüber hinaus unterscheidet Ricoeur, wie allgemein üblich, zwischen einem (sinnlichen) Zeichen und der Bedeutung, die es trägt bzw. ausdrückt; die zwischen Zeichen und Bedeutung bestehende Beziehung bezeichnet Ricoeur als „strukturale Dualität". Ferner wird zwischen Zeichen und bezeichneter Sache bzw. benanntem Objekt unterschieden; die hier bestehende Relation wird als „intentionale Dualität" begrifflich gefaßt. Mit dieser Einteilung befindet sich Ricoeur im wesentlichen in Einklang mit den Festlegungen (Zeichen, Bedeutung, Referenz), wie wir sie seit Frege und Husserl kennen. 20 21
Zur Begrifflichkeit de Saussures, auf die sich Ricoeur hier bezieht, vgl. m a n S. 96-97. Sowohl das französische Original als auch die deutsche Ausgabe der Ricoeurschen Monographie lassen viel zu wünschen übrig: Die Literaturhinweise sind ü b e r das gesamte B u c h verstreut, Personen- u n d Sachregister fehlen völlig. All dies t r ä g t nicht dazu bei, Ricoeurs Position p r ä g n a n t u n d gut verständlich wiederzugeben.
Paul Ricoeur
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Unter den Symbolen versteht Ricoeur jedoch eine Teilklasse der Zeichen, bei denen wir weder den strukturalen noch den intentionalen Dualismus finden; stattdessen haben wir hier einen „Dualismus höheren Grades" vorliegen: Er kommt zu dem vorherigen [Dualismus] hinzu und überlagert ihn als Beziehung des Sinnes zum Sinn; er setzt Zeichen voraus, die bereits einen ersten, wörtlichen, manifesten Sinn haben und die durch diesen Sinn auf einen anderen Sinn verweisen [1965; 1974: 25]. 22
Wie wir noch sehen werden, plädiert Robert Shope in seinem Aufsatz „Freud's Concepts of Meaning" [1973] für eine Rekonstruktion der Freudschen Theorie, nach der manifeste Phänomene nicht als „symbolische Ausdrücke" aufzufassen sind. Shope entwickelt seine eigene Position im Rahmen einer längeren Ricoeur-Kritik, in der er wie folgt argumentiert: Wenn es wesentlich zu einem Symbol gehört, daß es ein Zeichen ist, welches bereits einen „ersten, manifesten Sinn" hat, so genügt es zu zeigen, daß die von der Psychoanalyse untersuchten Symptome keine Zeichen im herkömmlichen Sinne sind, d. h., daß sie keinen manifesten Sinn haben und auf keine Objekte referieren, und damit wäre Ricoeurs These, manifeste Phänomene hätten eine symbolische Funktion, bereits widerlegt. Ricoeur behauptet jedoch gar nicht, daß Symbole Zeichen sind, die referieren müssen, um Symbol zu sein; sie müssen lediglich in einem ersten Sinne „bedeuten". So referiert beispielsweise das Wort „Einhorn" auf keinen wirklichen Gegenstand, und dennoch kann dieses Wort eine symbolische Funktion erfüllen. In gleicher Weise fungieren die unzähligen Götter- und Heldennamen. Shope dagegen faßt Ricoeurs Standpunkt auf, als sei damit behauptet, das symbolische Zeichen referiere auf den „verdeckten, latenten Sinn" [vgl. 1973: 294]. Davon kann jedoch keine Rede sein; entsprechende Passagen, in denen das behauptet würde, finden sich nicht in Ricoeurs Werk. Zu der bisher vorgestellten Interpretation der Psychoanalyse als einer hermeneutischen Wissenschaft, bei der die manifesten Phänomene als zu entziffernde und zu übersetzende Texte, also als (quasi-)sprachliche Erscheinungen aufgefaßt werden, denen gleichsam „semantische" oder „symbolische" Bedeutung zugesprochen werden kann, etablierte sich, wie eingangs erwähnt, in explizitem Gegensatz eine naturwissenschaftliche, nichthermeneutische Auffassung, nach der die folgende These über die Bedeutung manifester Phänomene gelten soll: 22
Diese B e s t i m m u n g des „Verweisens" d u r c h ein S y m b o l w i r d w e d e r als R e f e r e n z n o c h als B e d e u t u n g i m ü b l i c h e n Sinne v e r w e n d e t .
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Die Kontroverse in der Sekundärliteratur
Die in der Psychoanalyse untersuchten manifesten Phänomene haben ausschließlich nicht-semantische Bedeutung. Sie sind lediglich natürliche Anzeichen für mentale Vorgänge oder Zustände. Diese These wurde zunächst von Shope und Rubinstein, später dann von Grünbaum vertreten. Die größten Schwierigkeiten für eine Rekonstruktion dieser Einschätzung des psychoanalytischen Bedeutungsbegriffes ergeben sich daraus, daß die genannten Autoren in j e verschiedenem Kontext zu den Fragen der „Bedeutung" Stellung nehmen: Grünbaum im Rahmen seiner umfassenden Kritik an der hermeneutischen Konzeption der Psychoanalyse, dabei vor allem im Rahmen seiner Ricoeur-Kritik; Shope bei einer diffizilen Untersuchung des Freudschen Sinnbegriffes und Rubinstein sowohl in einer Arbeit über „Metaphern" als auch in einer Untersuchung über die Möglichkeit einer ausschließlich Klinischen Theorie der Psychoanalyse. Aus diesem Grund kann trotz ähnlicher Ansichten eine gemeinsame Argumentationsstrategie nur begrenzt aufgezeigt werden. 6.5
Robert
Shope
Shope war einer der ersten Autoren, die der hermeneutischen Interpretation des psychoanalytischen Sinnbegriffes entgegentraten; er beschränkte sich jedoch ausdrücklich auf eine Diskussion der Ricoeurschen Position. Dagegen schien ihm eine Debatte über die Ansichten Lacans in Anbetracht „of the density and preciosite of Lacan's writings" [1973: 277 Anm.] in der Kürze eines Aufsatzes nicht möglich zu sein. Shope glaubt nun zeigen zu können, daß bei sorgfältiger Lektüre der Freudschen Schriften vier Bedeutungen des psychoanalytischen Sinnbegriffes ermittelt werden können. 23 Die von Shope vorgenommenen Begriffsbestimmungen ähneln nach seiner Meinung weit eher der Kausalinterpretation des Freudschen Sinnbegriffes, wie sie Heinz Hartmann in „Verstehen und Erklären" [1927] vorlegte, 24 als den in den späten 60er Jahren vorgetragenen Versuchen, den psychoanalytischen Bedeutungsbegriff mit den symbolischen bzw. bezeichnenden Funktionen in Verbindung zu bringen. Certain psychoanalysts and philosophers have recently championed the view that when Freud employs the term 'meaning' (Sinn, Bedeutung), he is essentially concerned with the symbolizing and signifying functions which have been studied, for example, by Cassirei and de Saussure, and with the presence in mental phenomena of what phenomenologists call intentionality [1973: 276]. 23
24
Wir diskutierten Shopes Interpretationsvorschlag bereits ausführlich im Exkurs zu Kapitel 1; vgl. S. 13-16. Vgl. oben, S. 8, Anm. 7 .
Robert Shope
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Als ein zentrales Problem erwies sich somit für Shope die Frage (i), ob Freud die manifesten Phänomene („mental phenomena such eis dreams") in der gleichen Weise als bedeutungsvolle Zeichen ansah wie die gewöhnlichen sprachlichen Ausdrücke („in the manner in which language or speech signifies something" [1973: 284-85]). Damit verknüpft ist für Shope die Frage (ii), ob sich der manifeste T r a u m intentional auf die durch ihn dargestellten latenten Traumgedanken bezieht, d.h., ob er auf die „verborgenen" Inhalte so verweist, als bezeichne er diese oder als referiere er auf sie. Shopes Absicht ist es nämlich zu zeigen, daß hier keine semantische Relation, sondern lediglich eine Anzeige-Relation vorliegt: Der manifeste T r a u m ist für ihn nichts als ein „Anhaltspunkt" für die latenten Gedanken („in the sense in which a clue points toward something" [1973: 285]). U m auf Probleme in der Shope'schen Argumentation für diese These hinweisen zu können, unterscheide ich die folgenden Fragen: (1) Welchen Bedeutungsbegriff verwendete Freud; d . h . was meinte er, wenn er sagte, manifeste Phänomene seien bedeutungsvoll? (2) Gewöhnlich unterscheiden wir zwischen natürlicher und nicht-natürlicher Bedeutung. In welche dieser beiden Kategorien ist der psychoanalytische Bedeutungsbegriff einzuordnen? (3) Freud unterscheidet manifeste Phänomene von latenten Inhalten oder Gedanken. „Bedeuten" die manifesten Phänomene die latenten Inhalte, referieren sie auf diese? Zunächst ist nun festzuhalten, daß die Fragen (1) und (2) nicht äquivalent sind, da in Frage (2) die Anzahl der möglichen Antworten auf zwei beschränkt ist. Meiner eigenen Untersuchung diente vor allem die allgemeinere Fragestellung (1) als Leitbild; möglichst ohne Vorgabe sollte die der Psychoanalyse tatsächlich zugrundeliegende Konzeption des Bedeutungsbegriffes rekonstruiert werden. In Anbetracht des Titels „Freud's Concepts of Meaning" dürfen wir davon ausgehen, daß auch Shope ein solches Interesse verfolgte. Allerdings scheint er sich de facto eher an einer Problemstellung des Typs (2) orientiert zu haben; denn auf die Frage „whether Freud thought that mental phenomena . . . have meaning in the manner in which a language . . . signifies something" [1973: 284] zieht er neben einer bejahenden Antwort lediglich die Möglichkeit in Betracht, manifeste Phänomene als natürliche Anzeichen (wie schwarze Wolken [1973: 294]) aufzufassen. Das damit aufgeworfene Problem glaubt Shope nun mit einer Beantwortung der Frage (3) lösen zu können. Wir sollten uns hierbei im klaren sein, daß die Klärung der Frage (3) zwar zur Lösung der Frage (2) beitragen kann, eine negative Beantwortung derselben jedoch nichts darüber aussagt, ob manifesten Phänomenen
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Die Kontroverse in der Sekundärliteratur
prinzipiell eine „symbolische" oder „semantische" Bedeutung zugesprochen werden kann. Denn auch in normaler Rede unterscheiden wir seit Husserl und Bühler zumindest zwei Funktionen eines sprachlichen Ausdruckes, nämlich den kommunikativen bzw. „anzeigenden" und den semantischen bzw. darstellenden Aspekt. Insofern eine Äußerung die Meinung, Einstellung oder Überzeugung des Sprechers kundgibt, ist sie Anzeige; erst ihre Funktion, gewisse Sachverhalte darzustellen oder auszudrücken, verleiht ihr in semantischem Sinne Bedeutung. Auch in diesem Falle wäre es ein klarer Argumentationsfehler, wollte man behaupten, ein sprachlicher Ausdruck hätte etwa deshalb keine semantische Bedeutung, weil er nicht auf die Meinungen oder Wünsche des Sprechers referiert, die er zugleich kundgibt. - Selbstverständlich könnte sich im Falle der manifesten Phänomene durch weitere Überlegungen ergeben, daß sie überhaupt keine semantische Funktion haben; dafür kann es jedoch nicht genügen zu zeigen, daß sie auf die zugrunde liegenden mentalen Zustände nicht referieren. Mithin scheint Shope das für ihn zentrale Problem durch seine Vorgehensweise nicht zufriedenstellend lösen zu können. Der Grund dafür dürfte darin zu sehen sein, daß er sich durch Freuds Formulierung von der „Darstellung der latenten Inhalte durch manifeste Phänomene" hat irreführen lassen und nun glaubt, es müsse geprüft werden, ob dieses Verhältnis ein semantisches ist. Wie sieht nun Shopes Untersuchung dieser Beziehung aus? Welchen Stellenwert hat nach seiner Meinung die Freudsche These, manifeste Phänomene seien Ausdruck bzw. Darstellung latenter Inhalte? In seinen Ausführungen zu dieser Fragestellung verweist Shope auf Überlegungen, die er in seinem früheren Aufsatz „The Psychoanalytic Theories of WishFulfilment and Meaning" [1967] zum psychoanalytischen Begriff des „Ausdruckseins für etwas" angestellt hatte. Dort hatte er im wesentlichen drei Formen von „x ist Ausdruck für y" unterschieden - das „Anzeigeverhältnis", das „symbolische Verhältnis" und das „Manifestationsverhältnis". 2 5 „ W h e n we ordinarily speak of one thing's being t h e expression of a n o t h e r we m a y b e making different sorts of claims in different contexts. For example, we m a y b e claiming any one or a combination of the following: (1) In saying t h a t A is an expression of Β we m a y be claiming t h a t Λ is an indication of Β a n d a result of B , e.g. a rise in prices m i g h t b e said t o b e a n expression of an increase in d e m a n d or decrease in supply; (2) We m i g h t say t h a t A is a symbolic expression of B, e . g . t h e words ,This is a rabbit* are a symbolic expression of this being a n animal of a certain sort, or a n expression of t h e thought t h a t this is a n animal of a certain sort; (3) A m i g h t b e a n expression of Β in t h e m a n n e r in which gestures a n d behavior are direct manifestations of our attitudes, feelings, wishes, or emotions, or in which being in one m e n t a l state is a ,manifestation of being in a n o t h e r m e n t a l s t a t e " [1967: 428],
R o b e r t Shope
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Allerdings richtete sich sein Interesse in jener Arbeit im wesentlichen darauf herauszufinden, was es bedeute, wenn Psychoanalytiker von bestimmten Phänomenen sagen, sie seien Ausdruck eines Wunsches.26 In dem späteren Aufsatz von 1973 ist es nun das erklärte Ziel Shopes nachzuweisen, daß aus Freuds Rede von „sinnvollen" Erscheinungen keineswegs zu schließen sei, daß es sich bei diesen Phänomenen um „symbolische" Ausdrücke der ihnen zugrundeliegenden Zustände handele: However, I wish in the remainder of my discussion to argue that in saying that a phenomenon is meaningful Freud is not implying that it is a certain type of ,symbolic expression' of the underlying mental states [1973: 293].
Dieser These Shopes ist zuzustimmen, wenngleich aus ihr wiederum nicht gefolgert werden kann, daß manifesten Phänomenen prinzipiell keine „symbolische" Bedeutung zugesprochen werden kann. Statt als „semantische" oder „symbolische" Relation bestimmt Shope das Verhältnis zwischen den manifesten und den latenten Phänomenen als bloßes Anzeigeverhältnis: Die manifesten Phänomene verhalten sich zu ihrer „Bedeutung" genau so wie die Symptome der Μ cisern zu ihrer Ursache: Freud views the relation between these mental phenomena and their meaning as similar to the relation between the symptoms of measles and its cause. They express the underlying states as effects manifest a cause. They are signs only in the sense that organic symptoms are signs of a disease organism, or dark clouds signs of rain to come [1973: 294],
An dieser Interpretation ist nun einiges auszusetzen: Zum einen ist mir keine Stelle aus Freuds Werken bekannt, in der er manifeste Phänomene mit organischen Symptomen verglichen hätte; eher ist es doch so, daß er sie voneinander abgrenzt und - wie die eingangs zitierten Textpassagen belegen - die Deutung der manifesten Erscheinungen mit der Ubersetzung aus alten Sprachen, der Entzifferung von Hieroglyphen vergleicht. Aber selbst wenn Shopes Überlegungen, die darüber hinaus durch keine explizit angeführten Betrachtungen gestützt werden, nahelegen, den psychoanalytischen Bedeutungsbegriff wesentlich als „Anzeigerelation" zu fassen, spricht nichts dafür, daß Freud ihn in dieser Weise konzipiert hat - von den Symptomhandlungen und einigen Fehlleistungen, die er ausdrücklich als Anzeichen verborgener Vorgänge auswertete, können wir hier absehen. Zum anderen zeigen die von mir durchgeführten Untersuchungen, daß Freud sehr wohl über eine implizit angelegte Bedeutungstheorie verfugte, 26
Die Äußerungen der Psychoanalytiker schienen n a c h Shopes Auffassung j e d o c h keine eindeutigen A n h a l t s p u n k t e d a f ü r zu geben, in welcher Weise in der Psychoanalyse von P h ä n o m e n e n gesagt werde, sie seien „Ausdruck" eines Wunsches [vgl. 1967: 432-434].
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die zwar nicht die denotativen Funktionen eines Zeichens oder dessen „gleichbleibenden idealen" Sinn zum Gegenstand hatte, in der - in heutiger Terminologie - jedoch die Konnotationen eines Zeichens eine wichtige Rolle spielten. Die privaten, individuellen Konnotationen, d.h. die zu einer Vorstellung bestehenden assoziativen Verbindungen - seien sie motorischer, visueller, begrifflicher oder emotionaler Art - stehen im Zentrum der Freudschen Konzeption des psychoanalytischen Bedeutungsbegriffes. Diese Verhältnisse mit der Zeichenfunktion eines kranken Organismus vergleichen zu wollen kann nur als irreführend und vereinfachend abgelehnt werden. Gerade die hier vorgelegte Arbeit kann meines Erachtens deutlich zeigen, daß wir uns nicht auf die „schwarz-weiße" Alternative zwischen bedeutungsvollen sprachlichen Ausdrücken, die intendiert geäußert werden, und bloßen natürlichen Anzeichen einzulassen brauchen. Interessant ist im übrigen in diesem Zusammenhang Shopes Bewertung der Freudschen „Rebus-Metapher" [G.W. 1900, 2-3: 283-84] sowie der vielfältigen Analogien wie der zwischen dem Traum und alten Sprachen. Zwar nimmt Shope diese Passagen durchaus zur Kenntnis, spricht ihnen jedoch jegliche Relevanz hinsichtlich einer Rekonstruktion des psychoanalytischen Bedeutungsbegriffes ab, da sich Freud durch seine Analogien selbst habe verleiten lassen: „Freud has again been led astray by the advantages offered by an analogy, and has overstated his considered views" [1973: 302]. Als Argument dient Shope der Hinweis auf Freuds Ausführungen in den Vorlesungen, der Traum sei kein Vehikel der Mitteilung. Dabei übersieht er jedoch völlig die Theorie Freuds zu den „Darstellungsmitteln des Traumes", die ein Beleg für die wörtliche Auffassung des Vergleiches mit einer Ubersetzung aus einer alten Sprache ist. Im übrigen werden wir auch hier wieder auf die Verschränkung zwischen bedeutungsvollen Zeichen und intendiertem Zeichen-Senden oder Mitteilen geführt. Shope unterstellt somit Freud - wie oben (S. 113) angedeutet - ein „semantisches Selbstmißverständnis ". 6.6
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Rubinstein
Aus Rubinsteins umfangreichem Werk wollen wir drei Aspekte hervorheben, die für unsere Diskussion des psychoanalytischen Bedeutungsbegriffes wichtig sind. Zunächst seien einige Gedanken aus Rubinsteins Arbeit über Metaphern und verwandte Phänomene [1972] vorgestellt; in ihr wird u. a. ein Vergleich zwischen Traumsymbolen und anderen, alltäglichen Symbolen gezogen. Ferner wird in Umrissen ein neues Modell zur Erklärung der Traumbildung skizziert. Dieses Modell der Traumforma-
Benjamin Rubinstein
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tion steht wiederum in argumentativem Zusammenhang mit dem zweiten Punkt, der für uns von Interesse ist: Rubinsteins Forderungen, die an eine psychoanalytische Theorie in „terms of meaning", wie sie z.B. George S. Klein vorschwebte, zu stellen sind, damit sie als wissenschaftliche Theorie akzeptiert werden kann. Eine solche Theorie muß - wie Rubinstein 1976 ausführt - über eine rein klinische Theorie hinausgehen, sie ist als „expanded clinical psychoanalytic theory" zu konzipieren [1976: 262]. Schließlich finden wir an mehreren Stellen [1974, 1976] Unterscheidungen zwischen den Formen der „Bedeutung", an denen nach Rubinstein Psychoanalytiker primär interessiert sind; erstaunlicherweise grenzt er ausdrücklich die gebräuchlichste Verwendungsweise des Terminus „meaning", nämlich die Bedeutung verbaler Ausdrücke, aus dem Interessenbereich der Psychoanalytiker aus. Befassen wir uns mit den genannten Problemfeldern im einzelnen: In seinem Aufsatz „On Metaphor and Related Phenomena" [1972] untersucht Benjamin Rubinstein das Verhältnis zwischen weit verbreiteten und allgemein anerkannten Symbolen auf der einen und Traumsymbolen auf der anderen Seite. Am Beispiel der häufig vor Justizgebäuden postierten Statue einer jungen gekrönten Frau mit verbundenen Augen sowie Schwert und Waage in den Händen zeigt Rubinstein, daß allegorische Darstellungen, wie diese für Gerechtigkeit, nicht willkürlich und zufällig entstehen. Neben anderen Aspekten ist es hier vor allem die Metapher des „Wägens" - die Waage steht für das „Wiegen" der Argumente für oder gegen einen Urteilsspruch - , die für die Konstituierung dieses Symbols sorgt. Darstellungen dieser Art nennt Rubinstein „deliberate nonarbitrary symbols" [1972: 93]. Ebenfalls in diese Kategorie der bewußt gewählten, nicht-willkürlichen Symbole gehören nach Rubinstein die verschiedenen Wappentiere, die üblicherweise Länder oder Staaten repräsentieren. So gilt beispielsweise der weißköpfige Adler als Symbol der Vereinigten Staaten von Amerika; die ihm zugeschriebenen Attribute wie Freiheit, Unabhängigkeit und Macht stehen für die (gewünschten) Eigenschaften des repräsentierten Landes. Einen Gegensatz zu diesen nicht-willkürlichen Symbolen bilden die üblicherweise abstrakten Flaggen. Sie sind nach Rubinstein nicht über Metaphern mit dem jeweils repräsentierten Staat verbunden, sondern rein konventionell gewählte Zeichen - sogenannte „purely arbitrary symbols" [1972: 94], In den „make-believe objects" (ibid.) sieht Rubinstein eine weitere Klasse von Gegenständen, die als bewußt gewählte und nicht-willkürliche Symbole aufgefaßt werden können. Als typisches Beispiel führt er das Spiel kleiner Jungen an, denen Stöcke oder Regenschirme aufgrund ihrer Gestalt
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Die K o n t r o v e r s e i n d e r S e k u n d ä r l i t e r a t u r
und Beschaffenheit oft als Schwerter dienen. In solchen Situationen stellen die Stöcke und Schirme Schwerter dar. Rubinstein stellt sich nun die Aufgabe herauszufinden, in welchem Verhältnis die manifesten Trauminhalte zu den bereits erwähnten bewußt gewählten nicht-willkürlichen Symbolen stehen. Aus der Sicht des Interpreten bzw. Psychoanalytikers sei eine gewisse Übereinstimmung zwischen diesen beiden Phänomentypen festzustellen, da angenommen wird, die Traumbilder stünden nicht für sich, sondern seien symbolhafte Darstellungen für etwas anderes, z. B. für die latenten Traumgedanken. Nehmen wir an, die Analyse eines bestimmten Traumes eines bestimmten Patienten habe ergeben, daß die in diesem Traum vorkommende Schlange einen Penis repräsentiere. Gibt es einen Unterschied zwischen dieser Art der Darstellung und dem Darstellungsverhältnis zwischen „make-believe objects" und den damit repräsentierten Gegenständen? Nach Rubinstein besteht der wesentliche Unterschied darin, daß die spielenden Kinder „wissen", daß ihre Schirme und Stöcke Schwerter darstellen; der Träumende hingegen „weiß" in der Regel nicht, was die in seinen Träumen vorkommenden Bilder bedeuten. 2 7 Im Gegensatz zu den „deliberate nonarbitrary symbols" gelten die Traumsymbole daher als „not deliberate", wenngleich auch sie den nicht-willkürlichen Symbolen zugerechnet werden [vgl. 1972: 96-98]. Das Wissen der Personen, die „make-believe objects" gebrauchen, ist nach Rubinstein verbunden mit (1) der Klassifizierung der beiden ungleichen Gegenstände unter ein und derselben Rubrik, und (2) mit dem Errichten einer Darstellungsrelation zwischen ihnen, derart daß das gegenwärtige Objekt (Schirm) als Darstellung des abwesenden Objektes (Schwert) erlebt wird. Beide Prozesse scheinen nach Rubinsteins Ansicht auch der Interpretation eines Traumsymbols durch den Interpreten zugrundezuliegen; etwa, wenn wie im angenommenen Traum die Schlange als Darstellung eines Penis aufgefaßt wird. Die entscheidende Frage ist nun für Rubinstein, ob beim Träumenden dieselben Prozesse (wie im nachhinein beim Interpreten) während der Traumbildung ablaufen - nur ohne Beteiligung des 27
Bs d ü r f t e klar sein, d a ß R u b i n s t e i n hier nicht F r e u d s A u f f a s s u n g des T r a u m e s rekons t r u i e r t , s o n d e r n eine z u ihr a l t e r n a t i v e u n d i m G e g e n s a t z s t e h e n d e T r a u m t h e o r i e entwickelt. M a n vergleiche beispielsweise FVeuds A u s f ü h r u n g e n ü b e r d a s „ W i s s e n " d e r T r ä u m e n d e n : „Es ist d o c h s e h r wohl möglich, j a sehr wahrscheinlich, d a ß d e r T r ä u m e r es d o c h weiß, was Eein T r a u m b e d e u t e t , n u r weiß e r nicht, daß e r es weiß, und glaubt darum, daß er es nicht weiß" [G.W. 1916-17, 11: 98; H e r v o r h e b u n g v o n FYeud]. Die v o n F r e u d v e r t r e t e n e A u f f a s s u n g s c h e i n t allerdings weit e n t f e r n t z u sein v o m „ c o m m o n sense" a n a l y t i s c h e r P h i l o s o p h e n hinsichtlich des Wissensbegriffes: A k z e p t i e r t m a n n ä m l i c h das epistemische P r i n z i p , w o n a c h d a s „Wissen, d a ß p " d a s „Wissen, d a ß m a n weiß, d a ß p " impliziere" so scheint F r e u d s A u s s a g e i n h ä r e n t e W i d e r s p r ü c h e aufzuweisen. Die hier n u r a n g e d e u t e t e P r o b l e m a t i k w i r d a u s f ü h r l i c h in S t e p h a n , „Wissen, G l a u b e n , N i c h t - W i s s e n " [1989] d i s k u t i e r t .
B e n j a m i n Rubinstein
141
Bewußtseins. Während Freud keinen prinzipiellen Unterschied zwischen unbewußt bzw. bewußt ablaufenden psychischen Prozessen vorsieht, 2 8 erscheint es Rubinstein ganz unwahrscheinlich anzunehmen, es gebe ein solches Kontinuum zwischen bewußten und unbewußten Vorgängen [vgl. 1972: 97]. Stattdessen skizziert er in Umrissen ein alternatives Modell zur Erklärung der Traumbildung, welches ebenfalls die oft plausibel erscheinenden Trauminterpretationen zu rechtfertigen weiß. Im Gegensatz zu Freuds Traumtheorie setzt Rubinsteins Modell jedoch kein (unbewußtes) Wissen des Träumers bezüglich des Repräsentationsverhältnisses zwischen Bild und symbolisiertem Gegenstand voraus. Da dieses Modell als rein kausales Erklärungsschema auch Rubinsteins späteren Arbeiten zugrundeliegt, will ich es hier kurz vorstellen: 29 Rubinstein geht aus von der Hypothese, daß der Begriff (idea) eines Gegenstandes als die Klasse aller relevanten Klassifizierungen dieses Objektes beschrieben werden kann. „A penis is thus classified as an elongated object, an object of such and such a size, a body organ, etc." [1972: 97]. Nach einer zweiten Hypothese repräsentieren diese Klassifizierungen nicht nur eine Art „filing system" 3 0 , sondern sie fungieren gemeinsam auch als, z.B., „penis classifier" (und somit „recognizer"), als „penis image organizer" und als „selector" des Wortes „penis" [vgl. 1972: 97]. Rubinsteins entscheidende Hypothese ist nun, daß es im Traumzustand zu einer spezifischen Labilität des aktivierten „classifiers" kommen kann, wodurch es möglich wird, daß eine der konstituierenden Klassifizierungen selbst als unabhängiger „subclassifier" und „image organizer" fungiert. 28
29
30
M a n vergleiche z . B . die folgende Passage aus den „Studien ü b e r Hysterie": „Es bleibt wohl eine des Nachdenkens würdige Tatsache, daß m a n bei solchen Analysen [gemeint sind die Psychoanalysen hysterischer Patienten] einen G e d a n k e n g a n g aus d e m Bewußten ins U n b e w u ß t e (d. i. absolut nicht als E r i n n e r u n g E r k a n n t e ) verfolgen, ihn v o n dort aus wieder eine Strecke weit durchs Bewußte ziehen u n d wieder i m U n b e w u ß t e n enden sehen k a n n , ohne daß dieser Wechsel der .psychischen Beleuchtung* a n i h m selbst, a n seiner Folgerichtigkeit, d e m Z u s a m m e n h a n g seiner einzelnen Teile, etwas ä n d e r n w ü r d e " [G.W. 1895, 1: 306]. I n der „ T r a u m d e u t u n g " n e n n t Freud die Bedingungen, u n t e r denen psychische Prozesse n a c h seiner Auffassung das Bewußtsein auf sich ziehen können: „Die Denkvorgänge sind n ä m l i c h ein sich qualitätslos . . . u m ihnen eine Qualität zu verleihen, werden sie b e i m Menschen m i t den Worterinnerungen assoziiert, deren Qualitätsreste genügen, u m die Aufmerksamkeit des Bewußtseins auf sich zu ziehen . . . " [G.W. 1900, 2-3: 622; vgl. d a z u auch: 1915, 10: 300 u n d 1923, 13: 247], Voll. ausgeführt ist dieses Modell, das eine Alternative zu F r e u d s „quasilinguistischem Modell" [1974: 169] bildet, i n Rubinsteins Arbeit „ O n t h e Role of Classificatory Processes i n M e n t a l Functioning" [1974]; der interessierte Leser sei besonders auf die Seiten 161-171 des Originals verwiesen; dort b e f a ß t sich Rubinstein m i t einer Theorie des Traum-Symbolismus. D a diese Fachtermini der Informatik zunehmend in unseren Sprachgebrauch einfließen, ü b e r n e h m e ich sie hier u n ü b e r s e t z t .
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Die Kontroverse in der Sekundärliteratur T h u s if t h e s u b c l a s s i f i e r , e l o n g a t e d o b j e c t ' of t h e p e n i s classifier o r g a n i z e s , i n d e p e n d e n t l y of t h e rest of t h e classifier, t h e i m a g e of a n o t h e r e l o n g a t e d o b j e c t s u c h a s t h e i m a g e of a s n a k e , t h e d r e a m e r o b v i o u s l y c a n n o t , k n o w ' t h a t t h e r e is a c o n n e c t i o n b e t w e e n t h e i m a g e of t h e s n a k e a n d t h e i d e a of a p e n i s . A c c o r d i n g l y , even t h o u g h t h e i m a g e of t h e s n a k e m a y b e s a i d t o o c c u r i n s t e a d of this i d e a , we c a n n o t s a y t h a t f r o m t h e d r e a m e r ' s p o i n t of v i e w t h e f o r m e r r e p r e s e n t s t h e l a t t e r . . . [1972: 98]
R u b i n s t e i n setzt d a m i t a n die Stelle der F r e u d s c h e n T h e o r i e der
Traum-
b i l d u n g , die sich a u f ein M o d e l l der m e n s c h l i c h e n P s y c h e als eines k o m p l i zierten A s s o z i a t i o n s s y s t e m s stützte, eine alternative ( u n d zugleich „zeitg e m ä ß e r e " ) K o n z e p t i o n , die ein i n f o r m a t i o n s t h e o r e t i s c h e s M o d e l l p s y c h i scher P r o z e s s e zur G r u n d l a g e h a t . E s ist hier a l l e r d i n g s nicht der O r t , R u binsteins Theorie selbst ausführlich zu diskutieren;31 i m weiteren wollen wir nur n o c h verfolgen, welche A u s w i r k u n g e n d a s „ K l a s s i f i z i e r u n g s m o d e l l " auf Rubinsteins Konzeption des psychoanalytischen
Bedeutungsbegriffes
hat. E i n e der H a u p t f o r d e r u n g e n R u b i n s t e i n s ist es, die h e r m e n e u t i s c h e Vorgehensweise (bei der T r a u m i n t e r p r e t a t i o n ) a n eine plausible
Kausaltheo-
rie der T r a u m f o r m a t i o n a n z u b i n d e n , soll die I n t e r p r e t a t i o n des ernst genommen werden können:32 31
32
Traumes
W e n n wir d e n S i n n eines T r a u m s y m -
Auf ein Problem sei jedoch hingewiesen: Während n a c h Freuds Auffassung die „individuellen Konnotationen" des Träumers (bzw. die assoziativ verknüpften Vorstellungen) die jeweilige Symbolformation in einem T r a u m entscheidend mitbestimmen, bleibt bei Rubinstein weitgehend offen, welche Paktoren die Bildung des manifesten T r a u m i n h a l t e s maßgeblich beeinflussen; m a n vergleiche d a z u besonders die folgende P a s s a g e : „ T h e perhaps most general a t t r i b u t e of a penis is its elongated form. In dreaming the corresponding, independently operating subclassifier — or set of subclassifiers in which this subclassifier is included — m a y thus organize the i m a g e of a characteristically elongated object, such a s a snake, a stick, the Empire S t a t e Building, etc. Which particular image it organizes m a y b e a m a t t e r of chance, or it m a y b e the result of interaction of the subclassifier elongated object of the penis classifier with other subclassifiers of this classifier a n d / o r with classifiers belonging to other motives. While the snake as a penis s y m b o l suggests fear a n d p e r h a p s guilt, the E m p i r e S t a t e Building suggests pride, overconfidence, making u p for feeling inferior, a n d the like" [1974: 162]. Wenn, wie Rubinstein nicht a u s s c h l i e f t , die Aktivierung eines unabhängigen „subclassifiers" oder die Auswahl eines b e s t i m m t e n Traumbildes a u c h zufällig erfolgen kann (bzw. eine „ m a t t e r of c h a n c e " ist), d a n n ist nicht z u sehen, wie die Methode der freien Assoziation zu einer korrekten Interpretation des „ S y m b o l s " soll beitragen können. D a s Modell der „assoziativen Verknüpfung der Vorstellungen" erlaubt Freud dagegen anzunehmen, daß m a n durch die Assoziationen des Träumers, die sich zu dem manifesten Trauminhalt einstellen, „ z u r ü c k " zu den latenten Traumgedanken gelangen kann, von denen der assoziativ ablaufende Umwandlungsprozefi ursprünglich ausging. M a n vgl. dazu G r ü n b a u m [1984: 52-56; 1988: 9&-99], der Rubinsteins „animadversions for the hermeneuticians in the context of d r e a m theory " ausdrücklich bekräftigt u n d auf den gesamten Bereich der Psychoanalyse ausgedehnt wissen will.
Benjamin Rubinstein
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bols („the meaning of a dream symbol" [1974: 104]) interpretieren, dann setzen wir das tatsächliche Vorliegen genau der Prozesse voraus, die wir postulieren, um die Symbolbildung kausal zu erklären. 33 Er zieht daraus den folgenden Schluß: Clearly, according to this theory, no matter how apt an interpretation of a symbol in terms of its meaning, if the processes by which s y m b o l formation is explained are improbable, we have no alternative but to d i s c a r d the interpretation [1974: 105].
Auf die Traumbildung bzw. auf die Auswahl der einzelnen Traumbilder scheint nach Rubinsteins Auffassung die „Bedeutung" der Traumsymbole keinen Einfluß zu haben. „The claim is not, that a dream symbol is produced because it has a certain meaning but that the causal processes producing it are of such a kind that, once produced, this meaning can be imputed to it by an interpreter" [1974: 105]. Infolgedessen kommt Rubinstein - und auch hier rekonstruiert er nicht Freud, sondern entwickelt einen alternativen Standpunkt - zu einer anderen Auffassung des psychoanalytischen Bedeutungsbegriffes: T o an interpreter the meaning of a dream symbol is what the s y m b o l , unbeknownst to the dreamer, is taken to signify. A s j u s t indicated, however, either the thus signified is also what has given rise to, i . e . , c a u s e d (or contributed to c a u s e ) the occurrence of, the symbol, or the ,symbol' cannot be said to signify it [1974: 105].
Aus dieser Formulierung geht nicht eindeutig hervor, wie Rubinstein den psychoanalytischen BedeutungsbegrifF expliziert haben möchte; ich neige jedoch dazu anzunehmen, daß er den Traumsymbolen keine „linguistische" oder „semantische" Bedeutung zuerkennen will, sondern sie wie auch Shope und Grünbaum lediglich als natürliche Zeichen auffaßt, die ihre „Ursache" anzeigen und somit „bedeuten". Für diese Auffassung spricht auch, daß Rubinstein an anderer Stelle ausdrücklich betont, daß Psychoanalytiker nicht an der „linguistischen Bedeutung von ,Bedeutung' " interessiert seien: „Psychoanalytic writers are interested primarily in nonlinguistic meaning" [1976: 238]. Drei „nicht-linguistische" Formen der Bedeutung zögen stattdessen das Interesse der Psychoanalytiker auf sich: die „Bedeutung einer Handlung", die „Bedeutung einer Situation" und die „Bedeutung eines Symbols". 33
Interessanterweise scheinen wir diese Annahme nicht bezüglich der gewöhnlichen Kommunikation zu treffen; dort genügt uns in der Regel, die konventionelle Bedeutung der verwendeten Ausdrücke zu kennen, wenn nichts gegen die (stillschweigend vorausgesetzte) Annahme spricht, der Kommunikationspartner verwende die von ihm gebrauchten Ausdrücke wegen ihrer konventionellen Bedeutung.
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Die Kontroverse in der Sekundärliteratur
Wenn von einem Traumsymbol berechtigterweise gesagt werden kann, es bedeute etwas - d.h., die postulierten Kausalprozesse fanden tatsächlich s t a t t - , dann läßt sich von ihm nach Rubinstein auch sagen, es repräsentiere dieses bzw. stelle dieses dar. 3 4 Betrachten wir zum Vergleich eine äußere Situation (an „external situation"). Ihre „Bedeutung" ist nach Rubinstein häufig definiert in Begriffen ihres Potentials, Reaktionen hervorzurufen, die denen ähneln, die vergleichbare Situationen in der Vergangenheit jeweils hervorriefen. Offensichtlich können wir hier nicht sagen, die jetzige Situation „bedeute" oder „bezeichne" die vergangene Situation. Allenfalls läßt sich sagen, sie repräsentiere einen Typ von Situationen: „It may, however, be said to represent t h e m [die „past situations"] in the sense in which an item having a certain effect in respect to this effect may be said to represent another item having the same effect" [1974: 106]. Allerdings hat das Wort „darstellen" in diesem Zusammenhang eine andere Bedeutung als in bezug auf Traumsymbole; von einer bestimmten Situation könne z.B. nicht gesagt werden, sie komme anstelle der Situationen vor, deren T y p sie repräsentiere: „Whereas a dream symbol may be said to represent what it signifies in the sense of occurring instead of it, an external situation cannot be said to occur instead of the ρ cist situations it is taken to represent" [1974: 106]. Sprechen wir dagegen von der „Bedeutung" einer Handlung, so meinen wir nach Rubinstein damit in der Regel die (bewußten oder unbewußten) Ziele und Zwecke dieser Handlung bzw. den (bewußt oder unbewußt) intendierten Effekt. In diesem Fall könne nicht leicht, wenn überhaupt, eine Relation zwischen dem Begriff „Bedeutung einer Handlung" und den Begriffen der „Repräsentation" oder „Bezeichnung" hergestellt werden. 6.7
Adolf Grün bäum
Unseren „Blick" in die bezüglich des Freudschen Sinnbegriffes relevante Sekundärliteratur beenden wir mit einer Darstellung und Diskussion einiger zentraler Thesen Adolf Grünbaums, des zur Zeit vielleicht einflußreichsten Rezipienten und Kritikers der Psychoanalyse. Fragen der Bedeutung manifester Phänomene diskutiert Grünbaum hauptsächlich im Zusammenhang mit seiner breit angelegten Kritik an der hermeneutischen Rekonstruktion der Psychoanalyse, speziell an der Interpretation Ricoeurs. In dieser Debatte schließt er sich weitgehend den bereits besprochenen Argu34
Wie oben bereits gesagt, unterscheidet Rubinstein allerdings, ob wir aus der Sicht des Interpreten oder ob wir aus der Sicht des Träumers behaupten, ein Traumsymbol bedeute etwas: „we cannot say that from the dreamer's point of view the former [das Symbol Schlange] represents the latter [den Penis] . . . " [1972: 98].
Adolf G r ü n b a u m
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menten Shopes und Rubinsteins an. So richtet sich Grünbaums Kritik vor allem gegen zwei Grundannahmen der Hermeneutiker: (1) gegen die These, man könne „auf die Suche nach der Bedeutung manifester Phänomene gehen", ohne Bezug auf die zugrundeliegenden Kausalprozesse zu nehmen; und (2) gegen die These, die manifesten Phänomene hätten Bedeutung im semantischen Sinne. Die erste These ist nach Grünbaum zu verwerfen, weil sie auf zwei von den Hermeneutikern nicht berücksichtigten Voraussetzungen beruht, die innerhalb einer rein hermeneutischen Konzeption der Psychoanalyse nicht zu begründen sind: Erstens existiert die in Freuds Theorie postulierte verdeckte ,Intentionalität' tatsächlich versteckt; dadurch werden diese verschiedenen Aspekte des menschlichen Lebens erst geeignet, psychoanalytisch entziffert zu werden; ohne die existentielle Annahme, daß es tatsächlich unbewußte Prozesse gibt, die den Schlüssel zu der Bedeutung, die man ergründen möchte, enthalten, ist es schließlich rein illusorisch, die geheimnisvolle .Bedeutung' der fraglichen Lebensergeignisse psychoanalytisch untersuchen zu wollen. Zweitens gewinnt . . . die vermeintlich verdrängte Vorstellung ihre Erkläiungsfähigkeit in der Psychoanalyse aus ihrer angenommenen kausalen Rolle, eine Erklärungeentwicklung, ,die ursprünglich den Naturwissenschaften vorbehalten war' (Ricoeur 1981: 261). [Grünbaum 1988: 95-96; 1984: 53],
Die psychoanalytische Interpretation manifester Phänomene beruht nach Grünbaum also auf den folgenden beiden Voraussetzungen: (1) Die durch Freuds Theorie postulierte „verborgene Intentionalität" existiert tatsächlich als solche; (2) die mutmaßlich „verdrängten" Gedankengebilde erhalten ihre Erklärungskraft (in der psychoanalytischen Theorie) allein durch ihre postulierte kausale Rolle. Da für eine Bestätigung dieser beiden (implizit gegebenen) Voraussetzungen die hermeneutische Methode allein nicht hinreichen kann, basieren die mit ihrer Hilfe gewonnenen Interpretationen und Deutungen letztendlich doch auf eher naturwissenschaftlichen Methoden. 35 Freuds eigene Versuche, zu akzeptablen Kausalerklärungen zu gelangen, können daher nicht weiter als „Selbstmißverständnis" diskreditiert und abgetan werden. Die Diskussion der zweiten These steht in Zusammenhang mit Ricoeurs Ausweitung des Text- und Exegesebegriffs. Im Zuge dieser Veränderungen des Sprachgebrauches faßt Ricoeur den Terminus „Semantik" ebenfalls etwas weiter, was ihm gestattet, in der Psychoanalyse eine „Semantik des 35
Hier folgt G r ü n b a u m R u b i n s t e i n s A u s f ü h r u n g e n ; vgl. o b e n S. 142.
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Die K o n t r o v e r s e in der S e k u n d ä r l i t e r a t u r
Wunsches" zu erkennen. Einer solchen Annäherung neurotischer Symptome an Formen menschlicher Kommunikation tritt Grünbaum jedoch entschieden entgegen. Um zu zeigen, daß neurotische Symptome - die in der Psychoanalyse u . a . als „Symbole" des Verdrängten angesehen werden - ausschließlich nicht-semantische Bedeutung haben, stützt sich Grünbaum auf die folgenden vier Thesen: (1) Es ist falsch anzunehmen, es gebe signifikant häufig eine thematische Affinität zwischen den verdrängten Gedankengebilden einerseits und den Symptomen, die diese Inhalte „symbolisieren", andererseits. (2) Symptome sind der Versuch, mit Konflikten fertig zu werden, bzw. das Resultat derselben; sie sind nicht der Versuch, über diese zu kommunizieren. (3) Symptome sind die Resultate von Kausalprozessen und als deren Manifestationen geeignet, diese anzuzeigen; d.h. es kann durchaus epistemische Evidenz für das Vorliegen der entsprechenden Prozesse erhoben werden. Insofern sind die neurotischen Symptome allerdings (im wesentlichen) nichts anderes als organische Symptome, die als Anzeichen einer somatischen Erkrankung angesehen werden. Der dritten These liegt die folgende Unterscheidung zugrunde: (4) Es ist falsch, die beiden folgenden Relationen einander gleichzusetzen: (i) die Art und Weise, in der ein Effekt seine Ursache manifestiert und somit epistemisch als Evidenz für deren Operation gelten kann und (ii) die Art und Weise, in der ein sprachliches Symbol seinen Referenten semantisch repräsentiert bzw. dessen Attribute bezeichnet. Betrachten wir die Thesen im einzelnen, so dürfte These (2) am ehesten breite Zustimmung erhalten. Wir können davon ausgehen, daß sie auch Freud selbst nicht verworfen hätte, sagt er doch ausdrücklich, der Traum (beispielsweise) sei kein „Vehikel der Mitteilung" [G.W. 1916-17, 11: 238]. 36 Es muß allerdings ernsthaft bezweifelt werden, ob aus der Anerkennung dieser These auch schon folgt, die manifesten Phänomene seien als bloße (natürliche) Anzeichen aufzufassen und hätten in keinem vernünftigen Sinne „semiotische" Bedeutung. These (1) dagegen scheint mir nicht gut begründet zu sein. In erster Linie stützt sich Grünbaum auf eine Arbeit von Ernest Jones, „The 36
D e m n a c h bleibt offen, o b n i c h t i n einigen F ä l l e n sinnvollerweise v o n einer „ u n b e w u ß t e n T e n d e n z z u r M i t t e i l u n g " g e s p r o c h e n w e r d e n k a n n ; vgl. d a z u H e r t m a n n [1927; 1972: 358],
Adolf G r ü n b a u m
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Theory of Symbolism" [1938], aus der er zu entnehmen können glaubt, daß der Begriff des „Symbols" in seiner psychoanalytischen Verwendungsweise eindeutig ein „nicht-semiotischer" sei. „Diese nicht-semiotische Vorstellung von .Symbolen' in der Psychoanalyse wird noch deutlicher in Ernest Jones' bedeutender Darstellung ,The Theory of symbolism' . . . " [1988: 109; 1984: 61]. Nun ist mir allerdings völlig unverständlich, wie aus der genannten Arbeit von Jones zu entnehmen sei, daß Symbole (oder Symptome) ausschließlich nicht-semantische Bedeutung hätten; die von Grünbaum zitierten Texte bilden jedenfalls keine Grundlage für eine solche Interpretation, vielmehr weisen eine Reihe von (nicht zitierten) Äußerungen Jones' eher in die entgegengesetzte Richtung. Als beispielhaft für viele andere Passagen sei die folgende (aus der deutschen Ausgabe) wiedergegeben: 37 Insoweit eine sekundäre Vorstellung Β ihre Bedeutung von einer primären A empfängt, mit der sie identifiziert worden ist, funktioniert Β als ein sozusagen symbolisches Äquivalent für A. In diesem Stadium bildet jedoch Β noch nicht ein Symbol für A, das geschieht erst, wenn es Α in einem Zusammenhang ersetzt, wo logischerweise Α vorkommen sollte. Es ist hier ein Überfließen von Gefühl und Interesse von Α zu Β vorhanden; Α gibt Β viel von seiner Bedeutung, so daß es unter geeigneten Bedingungen möglich ist, daß Β A ersetzt [1916; 1978: 108],
Wenn Jones davon spricht, daß eine Vorstellung Α an eine andere Vorstellung Β et weis von ihrer „Bedeutung" weitergibt, so kann diese (allerdings sehr unklare) Formulierung m. E. im Rahmen des von mir rekonstruierten (assoziativen) Bedeutungsbegriffes Freuds verstanden werden; auf keinen Fall jedoch deutet diese Stelle darauf hin, daß Jones eine „AnzeigeRelation" hätte etablieren wollen, etwa nach Art eines Fußstapfens am Strand [vgl. Grünbaum 1984: 63-64; 1988: 112-113]. Zu dem Einwand, es gebe signifikant häufig keinen thematischen Bezug zwischen den Symptomen und dem, was sie (angeblich) „symbolisieren", ist anzumerken, daß ein solcher augenfälliger und oberflächlicher Bezug von Freuds Theorie nicht gefordert wird; die These Freuds von der „Verlötung" eines Symptoms mit seiner Bedeutung 3 8 läßt ausdrücklich zu, daß „ ,die typischen hysterischen Symptome' keinerlei thematische Verbindung zu ihren vermutlichen Pathogenen" haben [Grünbaum 1988: 110; 1984: 62]. These (3) wird von Grünbaum ebenso wie von Shope 39 vertreten. Zur Einführung dieser These betrachtet und diskutiert Grünbaum - unter „semantischen" Gesichtspunkten - eine Konfiguration in Gestalt eines Fußab37
38 39
M a n vergleiche f e m e r die Seiten 60-63, 98-99 u n d 106-114. G r i i n b a u m s Zitate sind in der deutschen Ausgabe auf den Seiten 81-82 u n d 109 zu finden; alle A n g a b e n beziehen sich auf Jones [1916; 1978]. Vgl. d a z u o b e n S. 82-83. Vgl. d a z u oben S. 137.
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Die Kontroverse in der Sekundärliteratur
druckes, wie sie häufig an Sandstränden am Meer zu sehen ist; nach seiner Ansicht bietet dieses Beispiel eine „aufschlußreiche Parallele - in entscheidenden Hinsichten zu neurotischen Symptomen [vgl. Grünbaum 1988: 112; 1984: 63]. Grünbaum kann nun an diesem Beispiel in plausibler Weise zeigen, inwiefern von einer solchen Figur im Sand gesagt werden könne, sie habe „Bedeutung"; einem Betrachter dient der Fußabdruck im Sand als (bloßes) natürliches Anzeichen, d.h. es hat „retrodiktive Bedeutung" für denselben; semantische Bedeutung kann einem solchen Zeichen jedoch nicht zugesprochen werden: „Weil der Fußabdruck diesen ontologischen Status als Spur hat, kann man sagen, er gewinne für einen menschlichen Beobachter, der ihn zu Gesicht bekommt, retrodiktive Bedeutung: der Betrachter ist erkenntnismäßig dazu berechtigt, die Sandformation als Zeugnis für das zuvor Eingetretene zu interpretieren" [1988: 113; 1984: 63]. Bis dahin ist der Grünbaumschen Analyse des „Fußabdruckes" ohne Zweifel zuzustimmen; problematisch wird sie dadurch, daß Grünbaum glaubt, er könne die hier erzielten Ergebnisse direkt auf neurotische Symptome übertragen; mit anderen Worten: eine Lösung des Bedeutungsproblems natürlicher Zeichen (wie Fußabdrücken) löse zugleich das Bedeutungsproblem manifester Phänomene. Betrachten wir dazu die folgende, zentrale Argumentation Grünbaums (in Hinblick auf die Bedeutung" neurotischer Symptome): Der Fußabdruck ist nicht als solcher ein Vehikel der Mitteilung: er ist kein linguistisches Zeichen oder Symbol; er steht nicht semantisch für das frühere Eindringen des Fußes, er bezeichnet und kennzeichnet es nicht und weist nicht darauf hin. Wenn ein Sprachbenutzer die Schlußfolgerung verbalisiert, daß sich ein solches Eindringen ereignete, dann ist es die Äußerung dieser Retrodiktion - und nicht die Spur, die die Retrodiktion beglaubigt weis semantische .Bedeutung' hat. Während jene .Symbole', die linguistische Zeichen darstellen, tatsächlich Intension im (semantischen Sinne) und Extension (Bedeutung) besitzen, ist dies bei Spuren nicht der Fall. Und wie wir sehen werden, gilt das, was für Spuren gilt, auch für neurotische Symptome ...[1988: 114; 1984: 64],
Allein, Grünbaum löst das Versprechen, wir würden noch sehen, daß das, was für Spuren im Sand gelte, ebenso von manifesten Phänomenen ausgesagt werden könne, nicht ein. Die ganze Leist der Begründung, daß neurotischen Symptomen „Bedeutung" nur als Anzeichen, aber nicht in einem semantischen Sinne zugesprochen werden könne, trägt somit der oben zitierte lapidare Satz „and, as we shall see . . . " . Grünbaums Überzeugung scheint (unausgesprochen) auf einer Folgerung aus der in These (4) geforderten Unterscheidung zu beruhen. Während aber der Distinktion zwischen semantischen Relationen einerseits und Anzeige-Relationen andererseits ohne Einschränkung zuzustimmen ist, wäre einer These (4f)
Adolf Grünbaum
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nicht beizupflichten, wenn damit behauptet ist, die in These (4) getroffene Unterscheidung decke bereits alle relevanten Fälle ab, in denen von einem Zeichen gesagt werden könne, es habe „Bedeutung". Aber auch einer These (4J) wäre nicht zuzustimmen, wenn mit ihr behauptet würde, ein Zeichen, das zu einem Gegenstand/Ereignis in einer Anzeige-Relation stehe, könne in keiner semantischen Relation zu etwas (anderem) stehen. Grünbaum (und auch Shope) scheinen jedoch These (4) in dem einen oder anderen Sinne (4f oder 4|) erweitert zu haben, um wie folgt zu argumentieren: Wenn Symptome in einer Anzeige-Relation zu ihren Ursachen (z.B. den verdrängten Komplexen, psychischen Konflikten etc.) stehen, dann können sie zu diesen Ursachen nicht in einer semantischen Relation stehen, und dann - dies ist entscheidend - können sie generell nicht im semantischen Sinne „für" etwas „stehen". 4 0 Betrachten wir dazu das folgende Zitat:. Allgemeiner ausgedrückt: selbst wenn S y m p t o m e und andere Derivate tatsächlich veibalisieit weiden, und auch dann, wenn sie mit ihren unbewußten Ursachen verwandt sind, bezeichnen sie doch nicht linguistisch die sie erzeugenden Verdrängungen, obwohl sie sie offenbaren [1988: 116; 1984: 65],
Aus dieser Passage ist zu entnehmen, daß für Grünbaum lediglich zu prüfen ist, ob die Symptome zu den Ursachen, die sie manifestieren (aber nicht zu etwas anderem), in einem semantischen Verhältnis stehen. Nun besteht (nach unserer Rekonstruktion) die von Freud postulierte Bedeutung der manifesten Phänomene jedoch nicht darin, daß sie auf ihre Ursachen „referieren" oder diese „bedeuten"; vielmehr nimmt Freud an, daß die manifesten Phänomene dasselbe bedeuten wie die (verdrängten) Vorstellungen, als deren Ersatz sie vorkommen. Somit können wir - in einer Abwandlung eines Shopeschen Satzes 4 1 - abschließend sagen: Die manifesten Phänomene stehen zwar anstelle von (d. h. als „Ersatz" für) Vorstellungen, doch zugleich stehen sie für etwas, nämlich für dasselbe, für das die verdrängten (Wort-)Vorstellungen stehen (bzw. stünden, würden sie in Worten zum Ausdruck gebracht), als deren Ersatz die manifesten Phänomene vorkommen. 40
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Die letzte Schlußfolgerung könnte auch so begründet werden: Es wird (fälschlicherweise) angenommen, Freud meine, wenn er von der „Bedeutimg" eines manifesten Phänomens spricht, dessen Ursache; ist dann die Relation zwischen manifestem Phänomen und Ursache als Anzeige-Relation und nicht als semantische diagnostiziert, so bleibt freilich nichts übrig, was die manifesten Phänomene in einem semantischen Sinne repräsentieren könnten. „To say a symptom is a stand in, i.e. something that occurs because a wish is not consciously admitted . . . , is not to say that the symptom stands for the (content of) the wish in the sense of referring to i t " [Shope 1983: 205].
Anhang Träume als Wunscherfüllungen Eine der umstrittensten Thesen der Traumtheorie Freuds dürfte die Behauptung sein, jeder Traum sei eine Wunscherfüllung. Obgleich von Anfang an starke Einwände gegenüber dieser These erhoben wurden - vor allem wegen ihres Anspruches, eine allen Träumen gemeinsame Eigenschaft zu bestimmen - , hielt Freud (von einer Ausnahme abgesehen) 1 stets an ihr fest. Freuds Ausführungen zur Wunscherfüllungsthese werden in der Regel so verstanden, als sei es ein wesentliches Charakteristikum des Traumes, einen Wunsch zu erfüllen, zumindest aber, einen Wunsch szenisch als erfüllt darzustellen; 2 d. h., die Wunscherfüllungsthese scheint eine Antwort auf die Frage zu geben, was das Wesentliche eines Traumes sei. Aus den einleitenden Betrachtungen Freuds zu seiner Diskussion alternativer Theorien können wir jedoch entnehmen, daß Freud solchen TraumTheorien den Vorzug gibt, die nicht bloß die Frage nach dem wesentlichen Charakter des Traumes beantworten, sondern zugleich Auskunft über den Sinn und Zweck bzw. die Funktion des Traumes zu geben vermögen. 1
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Als Ausnahme läßt Freud nur die Träume bei traumatischer Neurose gelten: „Personen, die ein Schockerlebnis, ein schweres psychisches T r a u m a durchgemacht haben . . . , [werden] vom Traum . . . regelmäßig in die traumatische Situation zurückversetzt . . . Das sollte nach unseren Annahmen über die Punktion des Traumes nicht der Fall sein" [G.W. 1933, 15: 29; vgl. auch 1920, 13: 32-34 und 1923, 13: 311]. Genau besehen verwendet Freud drei verschiedene Versionen der Wunscherfüllungsthese; obgleich sie sich nachweislich unterscheiden, scheint Freud sie für gleichbedeutend und somit für austauschbar zu halten: ( l ) „Der Traum ist eine Wunscherfüllung bzw. ist die Erfüllung eines Wunsches" [vgl. G.W. 1900, 2-3: 139, 556, 562, 574 und 1901, 2-3: 658, 660 sowie 1916-17, 11: 219]; (2) „Der T r a u m stellt einen Wunsch als erfüllt dar bzw. stellt einen erfüllten Wunsch dar " [vgl. G.W. 1900, 2-3: 127, 128 und 1901, 2-3: 688 sowie 1907, 7: 32]; ( 3) „Der T r a u m bringt einen Wunsch zum Ausdruck" [vgl. G.W. 1900, 2-3: 559, 576 und 1901, 2-3: 688]. Im Rahmen der von Freud eingestandenen Ausnahme bei Träumen bei traumatischer Neurose (s. o.) spricht er in einem vierten Sinne davon, der T r a u m sei der Versuch einer Wunscherfüllung [G.W. 1933, 15: 30]. Diese Bestimmung ist jedoch wegen ihrer Konsequenzenlosigkeit („Versuch") ohne jede Aussagekraft. Hier ist nicht der Ort, die genannten Varianten weiter zu diskutieren; der interessierte Leser sei auf Shope [1967: 421-423] verwiesen. Mit dem Terminus „Wunscherfüllungsthese" beziehe ich mich in der Regel auf die erste der vier Versionen.
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Die einzelnen Traumtheorien werden sich darin unterscheiden, daß sie den oder jenen Charakter des Traumes zum wesentlichen erheben, Erklärungen und Beziehungen an ihn anknüpfen lassen. Eine Funktion, d. i. ein Nutzen oder eine sonstige Leistung des Traumes, wird nicht notwendig aus der Theorie ableitbar sein müssen, aber unsere auf Teleologie gewohnheitsmäßig ausgerichtete Erwartung wird doch jenen Theorien entgegenkommen, die mit der Einsicht in eine Funktion des Traumes verbunden sind [G.W. 1900, 2-3: 78].
Vieles scheint dafür zu sprechen, daß Freud die Wunscherfüllungsthese - gemäß der teleologischen Sichtweise - zugleich als eine Antwort auf die Frage nach der Funktion des Traumes verstanden wissen wollte. Ein beredtes Zeugnis für diese Ansicht bietet Freuds früheste allgemeine Charakterisierung des Traumes im „Entwurf einer Psychologie", also fünf Jahre vor Erscheinen der „Traumdeutung": Der Zweck und Sinn der Träume (der normalen wenigstens) ist mit Sicherheit festzustellen. Sie sind Wunscherfüllungen ... und werden nur darum nicht als solche erkannt, weil die Lustentbindung . . . bei ihnen gering ist, weil sie überhaupt fast affektlos . . . verlaufen [G.W. 1895, NB: 435; 1950: 424].
In ähnlicher Weise - jedoch ohne die Einschränkung auf „normale" Träume - spricht Freud in der „Traumdeutung" davon, daß „Wunscherfullung der Sinn eines jeden Traumes sei" [G.W. 1900, 2-3: 139]. 3 Damit scheint die Wunscherfüllungsthese eine allgemeine Antwort sowohl auf die Frage nach dem Wesen als auch nach dem Sinn und Zweck eines Traumes zu sein. 4 Naheliegenderweise sind gegenüber der so verstandenen These erhebliche Einwände geltend gemacht worden. Eine Reihe von häufig vorkommenden und jedermann bekannten Träumen (Alp- und Strafträume; Träume, in denen ein Vorhaben mißlingt) scheint weder die Funktion bzw. den Zweck noch die Eigenschaft zu haben, einen Wunsch zu erfüllen. Nach Ansicht vieler Kritiker kann diese Gruppe von Träumen als ein offensichtliches Gegenbeispiel gegenüber der von Freud vertretenen These aufgefaßt werden. Daraus könne man nur schließen, daß Freud die Wunscherfüllung fälschlicherweise für den wesentlichen (und deshalb allgemeinen) Charakterzug des Traumes gehalten habe. Aus den Schriften Freuds ist zu entnehmen, daß er selbst durchaus mit den genannten Einwänden gegenüber der 3
4
Sulloway h e b t h e r v o r , dafl F r e u d zwei verschiedene T h e o r i e n ü b e r d e n T r a u m e n t wickelt h a b e , w o b e i die frühere T h e o r i e n o c h n i c h t alle T r ä u m e u m f a s s e — z . B . n i c h t die Alp- u n d S t r a f t r ä u m e . A u c h s c h r e i b e F r e u d d e r W u n s c h e r f ü l l u n g s t h e s e i n d e m f r ü h e r e n S t a d i u m d e r T h e o r i e b i l d u n g n o c h k e i n e u n i v e r s e l l e G ü l t i g k e i t z u [vgl. 1979; 1982: 453-456], Als die allen T r ä u m e n g e m e i n s a m e F u n k t i o n w e r t e t F r e u d d e n u n g e s t ö r t e n E r h a l t des Schlafes. D e r T r a u m sei als d e r „ H ü t e r des S c h l a f e s " a n z u e r k e n n e n [vgl. G . W . 1901, 2-3: 691],
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Anhang: T r ä u m e als Wunscherfüllungen
Wunscherfüllungsthese rechnete. Seine Argumentation, die den Versuch unternimmt, die Einwände der von ihm sogenannten „Laienkritiker" als untriftig zurückzuweisen, zieht sich durch die gesamte „Traumdeutung". Den Ausgangspunkt für Freuds eigene Darlegung einer Traumtheorie bildet eine ausführliche Analyse und Deutung seines Traumes von „Irmas Injektion". 6 Am Ende der Betrachtung steht Freuds Erkenntnis, dieser Traum sei sinnvoll und als eine Wunscherfiillung aufzufassen. Die „klassische" Formulierung in der „Traumdeutung" lautet: Wenn man die hier angezeigte Methode der Traumdeutung [die freie Assoziation] befolgt, findet man, daß der Traum [von Irmas Injektion] wirklich einen Sinn hat und keineswegs der Ausdruck einer zerbröckelten Hirntätigkeit ist . . . Nach vollendeter Deutungsarbeit läßt sich der Traum als eine Wunscherfüllung erkennen [G.W. 1900, 2-3: 126],
Freud fahrt fort mit den Worten: „Wir haben erfahren, daß der Traum einen Wunsch als erfüllt darstellt. Unser nächstes Interesse soll es sein zu erkunden, ob dies ein allgemeiner Charakter des Traumes ist oder nur der zufällige Inhalt jenes Traumes" [128].6 Rekapitulieren wir das bisher Gesagte, so lassen sich zwei Argumentationsschritte festhalten: (1) Am Beispiel des „paradigmatischen" Irma^Traumes wird nach vollzogener Deutung die in diesem Fall plausible These, dieser spezielle Traum sei eine Wunscheriullung, aufgestellt [123, 126]. (2) Es wird die Frage aufgeworfen, ob sich der für den Irma-Traum diagnostizierte Charakter als universelle Eigenschaft aller Träume behaupten läßt [128]. An mehreren Beispielen - Träumen von Kindern und offenkundigen Bequemlichkeitsträumen infolge somatischer Reize - zeigt Freud, daß auch diese als Wunscherfüllungen aufzufassen seien. „Die Träume der kleinen Kinder sind häufig simple Wunscherfüllungen . . . Sie geben keine Rätsel 5
8
Allgemein gilt der T r a u m von „Irmas Injektion", den F r e u d i m Juli 1895 h a t t e , als wichtiges D a t u m in der Entwicklung der Freudschen Traumlehre. So scheint die oben zitierte Einsicht Freuds aus d e m „ E n t w u r f " (S. 151) auf die Analyse des I r m a - T r a u m e s zurückzugehen. In jüngerer Zeit wird j e d o c h zu Recht b e s t r i t t e n , daß die v o n Freud veröffentlichte D e u t u n g dieses Traumes die m i t ihr angestrebte paradigmatische Funktion erfüllen k a n n [vgl. G r ü n b a u m 1984: 221-230; 1988: 360374). W e n n aus d e m Zusammenhang ersichtlich ist, daß sich die Zitate auf die „Traumd e u t u n g " beziehen, wird künftig n u r die Seitenzahl angegeben.
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zu lösen, sind aber natürlich unschätzbar für den Erweis, daß der Traum seinem innersten Wesen nach eine Wunscherfüllung bedeutet [132]." 7 Gestützt auf die Träume Erwachsener, die sich ebenfalls unverhüllt als Wunscherfüllungen zeigen, auf Kinderträume und aufpassend ausgewählte Sprichwörter - „Wovon träumt die Gans? - Vom Kukuruz!" [137] - wagt Freud die Verallgemeinerung seiner These auf alle Träume überhaupt, wobei er sich der energischen Kritik an seiner Auffassung offenbar bereits sicher war: Wenn ich nun die Behauptung aufstelle, daß Wunscherfüllung der Sinn eines jeden Traumes sei, also daß es keine anderen als Wunschträume geben kann, so bin ich des entschiedensten Widerspruches im vorhinein sicher [139].
Freud war sich also im klaren darüber, daß es eine Reihe von Träumen gibt, die zumindest auf den ersten Blick der generellen Wunscherfüllungsthese zu widersprechen scheinen: indifferente Träume, die keine der üblicherweise mit Wunscherfüllungen einhergehenden Gefühle (wie z.B. Lust oder Freude) auslösen; Träume, die Sachverhalte als erfüllt zeigen, die sich in aller Regel niemand wünscht (wie den Tod nahestehender Personen) oder die sich als offensichtliche Versagungen eines Wunsches erweisen (wie das Mißlingen eines Vorhaben) - die beiden zuletzt erwähnten Traumtypen bezeichnet Freud als „Gegenwunschträume" [163]. Einwänden gegenüber der Wunscherfüllungsthese, die sich auf die genannten Traumtypen hätten beziehen können, glaubte Freud mit dem Argument entgegentreten zu können, man müsse den manifesten Trauminhalt streng von den latenten Traumgedanken unterscheiden. 8 Was der manifeste Traum zeige, sei in Hinblick auf die Wunscherfüllungsthese nahezu irrelevant; entscheidend sei, ob der Traumeinen latenten Wunsch als erfüllt darstelle - und ob das der Fall sei, darüber könne erst eine (psychoanalytische) Deutung entscheiden. Es ist richtig, daß es Träume gibt, deren manifester Inhalt von der peinlichsten Art ist. Aber hat jemand versucht, diese Träume zu deuten, den 7
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I n d e m h i e r w i e d e r g e g e b e n e n G e d a n k e n g a n g s c h e i n t s i c h F r e u d - wie a u c h a n a n d e r e m O r t — a u f d a s w e n i g schlüssige A r g u m e n t z u s t ü t z e n , m a n k ö n n e d a s W e s e n b z w . die N a t u r e i n e r S a c h e d a n n b e s o n d e r s gut e r k e n n e n , w e n n m a n f r ü h e ( r e ) S t a d i e n d e r s e l b e n e r f o r s c h e ; i n d i e s e m speziellen Fall: w e n n wir d e n S i n n u n d Zweck d e r K i n d e r t r ä u m e k e n n e n , d a n n h a b e n wir d a m i t alles W e s e n t l i c h e ü b e r die T r ä u m e Erwachsener erfahren. I m G e g e n s a t z z u r A n s i c h t G l y m o u r s s c h e i n t m . E . d i e E i n f ü h r u n g d e r l a t e n t e n Ged a n k e n d u r c h F r e u d k e i n e a d - h o c - H y p o t h e s e z u sein; wie a u s d e n K a p i t e l n 2 u n d 3 h e r v o r g e h t , h a t d e r Begriff d e s „ l a t e n t e n G e d a n k e n s " i n d e r p s y c h o a n a l y t i s c h e n T h e o r i e eine weit ü b e r die W u n s c h e r f ü l l u n g s t h e s e h i n a u f r e i c h e n d e B e d e u t u n g . Dieser S a c h v e r h a l t l ä ß t G l y m o u r s I n t e r p r e t a t i o n als u n w a h r s c h e i n l i c h e r s c h e i n e n [vgl. G l y m o u r 1983: 65-66],
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Anhang: T r ä u m e als Wunscherfüllungen
latenten Gedanken derselben aufzudecken? Wenn aber nicht, dann treffen uns beide Einwände [es gebe Träume peinlichen Inhaltes sowie Angstträume] nicht mehr; es bleibt immerhin möglich, daß auch peinliche und Angstträume sich nach der Deutung als Wunscherfüllungen enthüllen [140].
Genau besehen vermag Freud den Einwand, es gebe eine Vielzahl von peinlichen Träumen, die offensichtlich keine Wünsche erfüllten, nicht entscheidend zu entkräften; eher handelt es sich um den Versuch, in der Argumentation „auszuweichen". Nach wie vor liegt die Beweislast bei Freud, auch die peinlichen Träume als Wunscherfüllungen, und zwar von latenten Wünschen, zu erweisen. Freud widmet sich dieser Aufgabe im IV. Kapitel der „Traumdeutung", allerdings nur in vorläufiger Weise: „Ich verweise darauf, daß dieses Thema hier nicht erledigt ist" [165 Anm.]. Am Beispiel offensichtlicher Unlustträume versucht Freud solche Deutungen plausibel erscheinen zu lassen, nach denen auch diese Träume als Erfüllungen latenter Wünsche aufgefaßt werden könnten bzw. müßten. 9 Er schließt daraus: Ich hoffe, die vorstehenden Beispiele werden genügen, um es - bis auf weiteren Einspruch - glaubwürdig erscheinen zu lassen, daß auch die Träume mit peinlichem Inhalt als Wunscherfüllungen aufzulösen sind [165]. Allem, was die Analyse der TJnlustträume zutage gefördert hat, tragen wir aber Rechnung, wenn wir unsere Formel, die d u Wesen des Traumes ausdrücken soll, in folgender Art verändern:. Der Traum ist die (verkleidete) Erfüllung eines (unterdrückten, verdrängten) Wunsches [166].
Zeichnen wir noch einmal die bisherigen Argumentationsschritte Freuds in pointierter Weise nach: (3) An mehreren, geeignet ausgewählten Beispielen wird erläutert, daß Träume häufig Wunscherfüllungen sind (Kinderträume, Bequemlichkeitsträume) [128-138]. (4) Aus der bestätigten partikularen These, daß einige Träume Wunscherfüllungen sind, schließt Freud auf die allgemeine These, „alle Träume sind Wunscherfüllungen" [139]. 9
Bs würde zu weit fuhren, FYeud in den Details seiner A r g u m e n t a t i o n zu folgen, z u m a l es sich hier u m Überlegungen handelt, die d u r c h die Ausführungen i m VII. K a p i t e l zum Teil revidiert werden. Hervorgehoben sei j e d o c h eine - grotesk a n m u t e n d e I n t e r p r e t a t i o n v o n Träumen, die sich als klare „Nicht-Erfüllungen" eines Wunsches zu erkennen geben: Freud vermutet hinter diesen T r ä u m e n sozusagen „ W ü n s c h e zweiter Stufe", z . B . den Wunsch, ein anderer W u n s c h möge i m T r a u m als unerfüllt dargestellt werden, was mit dem Wunsch zusammenfalle, F r e u d möge unrecht hab e n [vgl. 156-157, 163-164]. Selbst wenn diese D e u t u n g bei einigen Patienten, die bei F r e u d in Behandlung waren, zugetroffen h a b e n m a g , k a n n diese immunisierende I n t e r p r e t a t i o n nichts ü b e r solche Personen aussagen, die unlustvolle T r ä u m e auszuhalten h a b e n , ohne je zuvor etwas von Freuds universeller Wunscherfüllungsthese gehört zu h a b e n .
Anhang: T r ä u m e als Wunscherfüllungen
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(5) Angesichts vieler Träume, die erfahrungsgemäß einen eher peinlichen Inhalt haben, räumt Freud von Beginn an ein, daß er mit kritischen Einwänden gegenüber der generellen Wunscherfüllungsthese rechne. (6) Den erwarteten Einwänden gegenüber der Wunscherfüllungsthese wird mit dem (vorläufigen) Argument begegnet, man habe zwischen den latenten Traumgedanken und dem manifesten Trauminhalt zu unterscheiden: Auch wenn der manifeste Traumeinen unlustvollen Charakter habe, könne er sich dennoch als Erfüllung eines latenten Wunsches erweisen [140]. (7) An ausgewählten Beispielen unlustvoller Träume wird der Versuch unternommen, diese durch Deutung als Erfüllungen latenter Wünsche zu erweisen [151-168]. (8) Die Wunscherfüllungsthese wird für die Träume indifferenten bzw. peinlichen Inhaltes neu formuliert: Diese Träume sind (verkleidete) Erfüllungen eines (unterdrückten, verdrängten) Wunsches [166]. Die Ausgangsbasis der weiteren Überlegungen Freuds zur Wunscherfüllung bildet die Frage, „woher jedesmal der Wunsch stamme, der sich im Traum verwirkliche" [556]. Freud sieht im wesentlichen vier Möglichkeiten: (1) Ein Wunsch könne bei Tage entstanden sein, aber infolge äußerer Verhältnisse keine Befriedigung gefunden haben (ein zwar akzeptierter, jedoch unerledigter Wunsch); (2) er könne ebenfalls bei Tage aufgetaucht sein, aber Verwerfung gefunden haben (ein unerledigter und unterdrückter Wunsch); (3) er könne aber auch außer Beziehung mit dem Tagesleben sein, d. h. „zu den Wünschen gehören, die erst nachts aus dem Unterdrückten in uns rege werden" [556]; (4) schließlich seien die aktuellen, bei Nacht sich ergebenden Wunschregungen (somatischen Ursprungs) hinzuzurechnen. Die bis dahin in der „Traumdeutung" erfolgten Analysen haben nach Freuds Auffassung gezeigt, daß Wünsche idler vier genannten Herkunftstypen in Träumen als erfüllt dargestellt werden; 10 es scheint somit nahezuliegen, sie könnten gleichermaßen zu einer Traumbildung führen: „So scheinen zunächst alle Wünsche für die Traumbildung von gleichem Wert und gleicher Macht" [557]. Die entscheidende Wendung vollzieht Freud jedoch im Anschluß an die vorangegangenen Überlegungen: „Ich kann hier nicht beweisen, daß es sich doch eigentlich anders verhält, aber ich neige sehr zur Annahme einer strengeren Bedingtheit des Traumwunsches" [557; Hervorhebung v. V.]. Es sei nämlich durchaus zweifelhaft, ob ein am Tage nicht erfüllter Wunsch eines Erwachsenen genügen könne, einen Traum zu erzeugen. Vielmehr 10
Vgl. dazu besonders das V. Kapitel der „ T r a u m d e u t u n g " .
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Anhang: Träume als Wunscherfüllungen
sei anzunehmen, daß wir mit der fortschreitenden Kontrolle unseres Trieblebens durch die „denkende Tätigkeit" auf die Bildung oder Erhaltung so intensiver Wünsche, wie das Kind sie kenne, immer mehr verzichteten. Den (beherrschten) Wünschen Erwachsener fehle daher die Stärke und Unbedingtheit, die den Wunschregungen infantiler Herkunft eigen sei. Zwar könne eine aus dem Bewußtsein stammende Wunschregung eines Erwachsenen einen Beitrag zur Anregung eines Traumes lieferii, der Traum entstünde jedoch nicht, wenn ein solcher (vorbewußter) Wunsch nicht Verstärkung aus dem Unbewußten erhielte [558]. Infolge dieser bar jeder Begründung bleibenden Spekulation vertritt Freud die verschärfte These, ein Wunsch werde nur dann zu einem Traumerreger, wenn ein (gleichlautender) unbewußter Wunsch hinzutrete, der aus der Kindheit stammen müsse („infantile Wünsche"). Ich möchte also den früher ausgesprochenen Satz, die Herkunft des Wunsches sei gleichgültig, beseitigen und durch einen anderen ersetzen, der lautet: Der Wunsch, welcher sich im Traume darstellt, muß ein infantiler sein [559],
Merkwürdigerweise fügt Freud hinzu: „Ich weiß, diese Anschauung ist nicht allgemein zu erweisen; aber ich behaupte, sie ist häufig zu erweisen, auch wo man es nicht vermutet hätte, und ist nicht allgemein zu widerlegen" [559]. Offensichtlich verstößt Freud hier (und zwar an entscheidender Stelle!) gegen jede Logik. Um einen Allsatz zu falsifizieren, genügt es, ein Gegenbeispiel einzugeben; es kann gar keine Rede davon sein, daß die Widerlegung in allgemeiner Weise (was immer das heißen mag) zu erfolgen habe. Aus der soeben skizzierten revidierten Sichtweise der Traumentstehung folgt für Freud des weiteren, daß die aus dem bewußten Wachleben stammenden Wunschregungen bezüglich der Traumbildung in den Hintergrund treten; stattdessen reiht Freud diese Wünsche ein in die Gruppe der zahlreichen anderen psychischen Regungen, die - „Tagesreste" - ebenfalls bei Tage zu keiner vollständigen Erledigung gelangt sind: „Unerledigte Probleme, quälende Sorgen, eine Übermacht von Eindrücken, setzen die Denktätigkeit auch während des Schlafes fort . . . " und können gleichfalls einen Traum erregen [560]. Voraussetzung dafür sei jedoch, daß sie einen unbewußten Wunsch „wecken", um sich durch dessen Energie zu verstärken. In seiner 14. Vorlesung, „Die Wunscherfullung", greift Freud die bisher dargelegten Überlegungen wieder auf und stellt sie dort in einen Zusammenhang mit der Umwandlung bzw. „Übersetzung" latenter Gedanken in visuelle Szenen durch die Traumarbeit.
Anhang: Träume als Wunscherfüllungen
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Das einzig Wesentliche am Traum ist die Traumarbeit, die auf den Gedankenstoff eingewirkt hat . . . Die analytische Beobachtung zeigt denn auch, daß die Traumarbeit sich nie darauf beschränkt, diese [latenten] Gedanken in die Ihnen bekannte archaische oder regressive Ausdrucksweise zu übersetzen. Sondern sie nimmt regelmäßig etwas hinzu, was nicht zu den latenten Gedanken des Tages gehört, was aber der eigentliche Motor der Traumbildung ist. Diese unentbehrliche Zutat ist der gleichfalls unbewußte Wunsch, zu dessen Erfüllung der Trauminhalt umgebildet wird. Der Traum mag also alles mögliche sein, insoweit Sie nur die durch ihn vertretenen Gedanken berücksichtigen, Warnung, Vorsatz, Vorbereitung usw.; er ist immer auch die Erfüllung eines unbewußten Wunsches, und er ist nur dies, wenn Sie ihn als Ergebnis der Traumarbeit betrachten. Ein Traum ist also auch nie ein Vorsatz, eine Warnung schlechtweg, sondern stets ein Vorsatz u. dgl., mit Hilfe eines unbewußten Wunsches in die archaische Ausdrucksweise übersetzt und zur Erfüllung dieser Wünsche umgestaltet. Der eine Charakter, die Wunscherfüllung, ist der konstante; der andere mag variieren . . . [G.W. 1916-17, 11: 229-230],
Als ein erstes Ergebnis können wir damit festhalten, daß Freud durchaus bereit ist anzuerkennen, daß sich beliebige psychische Zustände und Prozesse des bewußten Tageslebens bis in den Schlaf und in den Traum fortsetzen können. Gemäß der im 3. Kapitel diskutierten Umwandlungsbzw. Ubersetzungsthese könne der manifeste Trauminhalt als szenischer bzw. visueller Ausdruck sowohl eines latenten Gedankens, einer latenten Sorge als auch eines latenten Wunsches aufgefaßt werden. Allerdings glaubt Freud zusätzlich Gründe dafür zu kennen, daß eine solche Umwandlung nur dann zustande komme, wenn durch die sogenannten Tagesreste (die Sorgen, Wünsche, Eindrücke oder Gedanken) gleichzeitig ein infantiler und damit „energiereicher" unbewußter Wunsch „geweckt", d. h. assoziativ angebunden werde. Die mit einem solchen Wunsch verbundene psychische Verlaufsform nach Art eines Primärprozesses bewirke die Umwandlung der Tagesreste in die archaische Ausdrucksweise des Traumes und die gleichzeitige Erfüllung des infantilen Wunsches. Bevor wir zur Kritik dieses Teiles der Freudschen Traumtheorie kommen, wollen wir die zuletzt dargestellten Argumentationsschritte pointiert zusammentragen: (9) Aus den im V. Kapitel der „Traumdeutung" vorgestellten Traumanalysen scheint sich zu ergeben, daß vier verschiedene Typen von Wünschen einen Traum erzeugen können: (1) bei Tag akzeptierte Wünsche, die unerledigt blieben; (2) bei Tage unterdrückte; (3) außer Beziehung zu den Tagesereignissen stehende Wünsche aus dem Unbewußten; (4) bei Nacht entstandene somatische Bedürfnisse [556-557].
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Anhang: Träume als Wunscherfüllungen
(10) Zunächst wird die - später revidierte — Vermutung vorgetragen, die vier genannten Typen von Wünschen seien gleichermaßen in der Lage, zu einem Traum Anlaß zu geben und ihn entstehen zu lassen [557]. (11) Ohne Beweis - nur aufgrund einer spekulativen Betrachtung - vertritt Freud die verschärfte These, ein bewußter und rezenter Wunsch werde nur dann zum Traumerreger, wenn ein unbewußter infantiler Wunsch hinzutrete [558]. Der Wunsch, der sich im Traum darstelle, müsse ein infantiler sein [559]. (12) Die Bedeutung der latenten Wünsche (aus den Tagesresten) tritt zurück in bezug auf die Traumbildung; Sorgen, Nöte, Pläne sowie andere unerledigt gebliebene psychische Tätigkeiten können ebensogut wie diese Wünsche einen infantilen Wunsch erregen und somit einen Traum mithilfe eines solchen unbewußten Wunsches initiieren [559-562], (13) Bei einer nochmaligen Diskussion der von Kritikern als Gegenbeispiele angesehenen Unlustträume zeigt es sich, daß mitunter starke peinliche Vorstellungen (aus den latenten Gedanken) bis in den manifesten Trauminhalt gelangen können [562]. Der letzte Punkt bezieht sich auf die noch nicht erwähnten Überlegungen Freuds auf die Frage, wie sich der Traum benehme, „wenn ihm in den Traumgedanken ein Material geboten wird, was einer Wunscherfiillung durchwegs widerspricht, also begründete Sorgen, schmerzliche Erwägungen, peinliche Einsichten" [G.W. 1900, 2-3: 562]. Freud hält es für möglich, daß „die peinlichen Vorstellungen . . . in den manifesten Trauminhalt (gelangen). Dies ist der Fall, der die Zweifel an der Wunschtheorie des Traumes weckt und weiterer Untersuchung bedarf" [562]. Aber auch in diesem Fall weiß Freud Rat: Die Analyse weist dann nach, dafi auch diese Unlustträume Wunscherfüllungen sind. Ein unbewußter und verdrängter Wunsch, dessen Erfüllung vom Ich des Träumers nicht anders als peinlich empfunden werden könnte, hat sich der Gelegenheit bedient, die ihm durch das Besetztbleiben der peinlichen Tagesreste geboten wird, hat ihnen seine Unterstützung geliehen und sie durch diese traumfähig gemacht . . . Es ist also nicht schwer zu erkennen, daß die Unlust- und Angstträume im Sinne der Theorie ebensosehr Wunscherfüllungen sind wie die glatten Befriedigungsträume [562-563].
Besonders das Eingeständnis Freuds, daß zumindest einige der manifesten Unlustträume aus solchen latenten Traumgedanken hervorgehen, die selbst peinlichen Inhaltes - und keine Wünsche (!) - sind, muß überraschen; ermangelt es in diesen Fällen doch eines (latenten) Wunsches aus den Tagesresten, der durch den Traum als erfüllt angesehen werden könnte.
Anhang: T r ä u m e als Wunscherfüllungen
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Wir erinnern uns, daß Freud zu Beginn seiner Erwiderung auf Einwände gegenüber der generellen Wunscherfiillungsthese darauf bestand, es müsse abgewartet werden, was die Deutung und Analyse der peinlichen Träume zeige (vgl. dazu Punkt 6). Nun räumt Freud ein, daß es nicht selten latente Gedanken (aus den Tagesresten) seien, die, wenn es sich um Sorgen, Ängste und dergleichen handele, zu den typischen Unlustträumen führten - den von Kritikern zitierten Gegenbeispielen. Statt diesen Sachverhalt zur Kenntnis zu nehmen und die generelle Wunscherfiillungsthese als falsifiziert zu akzeptieren, versteigt sich Freud in die an keiner Stelle hinreichend begründete oder durch Beobachtungen gestützte Behauptung, auch die peinlichen Träume seien Erfüllungen eines Wunsches, eines verdrängten infantilen Wunsches. Stellen wir nochmals die Ausgangsthese - „Wunscherfüllung ist der Zweck bzw. die Eigenschaft eines jeden Traumes" - der zuletzt (Punkt 11) formulierten Uberzeugung Freuds - „Nur unter Beteiligung eines infantilen Wunsches kommt ein Traum zustande" - gegenüber. Die Frage, welche Gründe Freud veranlaßt haben könnten, auf verdrängten infantilen Wünschen als den wesentlichen Faktoren bei der Traumbildung zu bestehen, beantwortet Grünbaum mit der Vermutung, Freud habe in Analogie zu seiner Neurosenlehre nach einer einheitlichen Theorie gesucht: Ich möchte behaupten, daß dieses angestrengte Beharren auf infantilen Ursachen verständlicher - wenn auch nicht überzeugend - wird, wenn man sich daran erinnert, daß Freud seine Traumdeutung ausdrücklich nach dem Vorbild der Verdrängungsätiologie der Neurosen formte (G.W. 1900, 2-3: 105f., 533). . . . [Freud] sah sich veranlaßt, die veranlassenden Traumen des Erwachsenen ätiologisch zu bloßen Auslösern einer Neurose zu degradieren und zu behaupten, die wesentlichen Pathogene seien Verdrängungen in der Kindheit. Doch wie er erklärte . . . , entwickelte er seine Traumtheorie, indem er zu Beginn den manifesten Trauminhalt an neurotische Symptome anglich. Und nachdem er die veranlassenden Traumen des Erwachsenen ätiologisch den Pathogenen aus der Kindheit nachgestellt hatte, fühlte er sich wahrscheinlich berechtigt, analog dazu verdrängten infantilen Wünschen als Traumerzeugern psychodynamisch den Vorrang gegenüber den Wünschen des Erwachsenen einzuräumen [1988: 371-72; 1984: 229].
Aus unserer Rekonstruktion der Argumentation Freuds für die generelle Wunscherfiillungsthese geht jedoch unzweideutig hervor, daß außer den von Grünbaum genannten Gründen zumindest noch ein weiterer Gesichtspunkt von großer Bedeutung für Freuds Einführung der These - kein Traum entstehe ohne Beteiligung eines infantilen Wunsches - gewesen sein dürfte: Ohne den Rückgriff auf verdrängte infantile Wünsche hätte Freud die universelle Wunscherfiillungsthese nicht länger behaupten können.
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Anhang: Träume als Wunscherfüllungen
Doch auch die präzisierte Fassung der Wunscherfüllungsthese, daß nämlich jeder Traum einen infantilen Wunsch erfülle, ohne den er gar nicht erst hätte entstehen können, kann nicht überzeugen. Erstens gibt Freud wie bereits erwähnt - keine glaubwürdige Begründung für die Annahme, zur Bildung eines Traumes sei ein unbewußter Wunsch erforderlich. Die Einführung dieser These beruht nachweislich auf eher spekulativen Erwägungen. Aber selbst wenn wir bereit wären, Freuds These, daß ein infantiler Wunsch zur Traumbildung erforderlich sei, zu akzeptieren, würde daraus, zweitens, keineswegs folgen, daß ein solcher Wunsch durch den von ihm ausgelösten Traum erfüllt werde. Nicht jeder Wunsch, der zu einer bestimmten Handlung Anlaß gibt, geht durch dieselbe auch in Erfüllung. 11 Da Freud darüber hinaus in den veröffentlichten Traumanalysen jeden Nachweis für die präzisierte Wunscherfüllungsthese schuldig bleibt pikanterweise erfolgt die Einführung der These nach der umfangreichen Darstellung der verschiedenen Traumbeispiele - , gibt es meines Erachtens keinen Grund, an der generellen Wunscherfüllungsthese festzuhalten. 12
11
Freud selbst scheint allerdings dieser — kaum nachvollziehbaren — Auffassung zu sein. E r betrachtet einen Wunsch in seiner einfachsten Form als Suche nach dem Wiedererleben einer Situation, die in der Vergangenheit einmal befriedigend war; erfüllt werde ein solcher Wunsch durch die Wiederherstellung der sogenannten „Wahrnehmungsidentität" [vgl. G . W . 1900, 2-3: 571], B i n unmittelbarer und n a c h Freud in der psychischen Entwicklung zunächst beschrittener Weg, eine solche Wahrnehmungsidentität herzustellen, sei die Halluzination des ehemals befriedigenden Ereignisses. Die davon ausgehende befriedigende Wirkung sei allerdings von nur kurzer Dauer, daher werde diese Form der psychischen Tätigkeit sehr bald als unzweckmäßig aufgegeben. Der T r a u m laufe jedoch noch nach diesem (primärprozeßhaften) Muster ab: W i r d ein infantiler Wunsch geweckt, so kann der „psychische A p p a r a t " gar nicht anders, als auf direktem Wege die Wahrnehmungsidentität herzustellen, d. h. der Wunsch wird „automatisch" erfüllt. Nach dieser Spekulation Freuds, für die es keine nachvollziehbaren Argumente gibt, fällt mit dem E n t s t e h e n des Traumes verursacht durch einen infantilen Wunsch — die Erfüllung des Wunsches zusammen.
12
Freud illustriert die präzisierte Wunscherfüllungsthese in der „Traumdeutung" nur a n einem Beispiel ( „ O t t o schaut schlecht a u s " , [561]); dabei diagnostiziert er als den infantilen Wunsch, der diesen T r a u m bewirkt h a t , seinen „unsterblichen Wunsch des Größenwahns". Dieses eine Beispiel kann jedoch nicht überzeugen. Völlig zu Recht hat Grünbaum darauf hingewiesen, daß es Freud auch (und besonders) a n seinem paradigmatischen „Irma-Traum" versäumt hat, die imbewußten infantilen Traumquellen nachzuweisen, womit der Irma-Traum zugleich die ihm zugedachte Funktion einer exemplarischen Traumanalyse einbüße. Dieser Mangel an Freuds Darstellungsweise stieß auch unter Psychoanalytikern auf Kritik und führte zu Versuchen, Abhilfe zu schaffen. Das Bemühen von Erikson, Freuds T r a u m nachträglich mit einer Deutung zu versehen, die infantile Wünsche mit umfaßt, muß allerdings als aussichtslos angesehen werden [vgl. Erikson 1954]; m a n vergleiche die plausible Kritik Grünbaums an diesem Vorhaben, der nichts hinzuzufügen bleibt [1984: 223-228; 1988: 365-373].
Literaturverzeichnis Vorbemerkung: Die kursivierten Kleinbuchstaben hinter den Jahreszahlen der unten aufgeführten FVeud-Schriften beziehen sich auf die Gesamtbibliographie, die in der Broschüre „Sigmund Freud-Konkordanz und -Gesamtbibliographie", Frankfurt 1975, korr. Taschenbuchausgabe 1982, enthalten ist. Argelander, H., Der psychoanalytische Beratungsdialog, Göttingen 1982. Aristoteles, De Interpretatione, translated with Notes by J . L. Ackrill, Oxford 1963. Ax, W., Laut, Stimme und Sprache. Studie zu drei Grundbegriffen der antiken Sprachtheorie, Göttingen 1986. Bastian, Ch., On different kinds of Aphasia, in: British Medical Journal, Oct. 29 und Nov. 5, 1887. Beres, D., Bulletin of the Menninger Clinik, 1965. Bins wanger, L·., Freud und die Verfassung der klinischen Psychiatrie, in: Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie (1936), Band XXXVII: 177-199. Bühler, K., Sprachtheorie, Jena 1934. Camap, R., Meaning and Necessity, Chicago 1947, zweite, erweiterte und verbesserte Auflage 1956. Dywan, J. - Bowers, Κ., The Use of Hypnosis to Enhance Recall, in: Science (1983), Vol. 222: 184-185. Eco, U., Zeichen. Einführung in einen Begriff und seine Geschichte, Milano 1973, a . d. Ital. von G. Memmert, Frankfurt 1977. Erikson, Ε. H., The Dream Specimen of Psychoanalysis, in: Journal of the American Psychoanalytic Association (1954), Vol. 2: 5-56. Frege, G., Die Grundlagen der Arithmetik (1884), Darmstadt 1961. —, Uber Sinn und Bedeutung (1892), in: Funktion, Begriff, Bedeutung, hrsg. und eingel. von G. Patzig, Göttingen 1975. —, Der Gedanke. Eine Logische Untersuchung (1918-1919), in: Logische Untersuchungen, hrsg. und eingel. von G. Patzig, Göttingen 1976. Freud, S., (1880a) Ubersetzungen von J. St. Mill: Enfranchisement of Wörnern. (1851), Review of Grote's Plato . . . (1866), Thornton on Labor and its claims (1869) und Chapters on Socialism (1879), in: Mill, Gesammelte Werke, Bd. 12, hrsg. v. Th. Gomperz, Leipzig.
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