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German Pages [248] Year 2008
Böhlau
Albrecht von Kessel
Gegen Hitler und für ein anderes Deutschland Als Diplomat in Krieg und Nachkrieg Lebenserinnerungen
Herausgegeben von Ulrich Schlie unter Mitarbeit von Stephanie Salzmann mit einem Vorwort von Richard von Weizsäcker
BÖHLAU VERLAG W I E N · KÖLN • W E I M A R
Bibliografische Information D e r Deutschen Bibliothek; D i e Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische D a t e n sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 978-3-205-77465-5 D a s W e r k ist urheberrechtlich geschützt. D i e dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Ubersetzung, des Nachdruckes, der E n t n a h m e von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet u n d der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2008 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H. u n d C o . K G , W i e n • Köln • W e i m a r http://www.boehlau.at http://www.boehlau.de G e d r u c k t auf umweltfreundlichem, chlor- u n d säurefrei gebleichtem Papier Druck: Prime Rate Kft., 1047 Budapest
Inhalt
Vorwort von Richard von Weizsäcker
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Albrecht von Kessel (1902-1976)
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Einführung in die Edition
29
Prolog
31
„Der Anfang vom Ende" - Das Protektorat Böhmen und Mähren
49
Rom
59
Besetztes Deutschland (1946-1947)
131
Paris
137
Washington
173
Lebenslauf
201
Anmerkungen
203
Abbildungsnachweis
229
Personenregister
231
Vorwort
eitgeschichtliche Rückblicke sind gegenwärtig an der Tagesordnung. Sie gelten vor allem dem Weg unseres Landes seit dem Ende des Ersten Weltkrieges. Nur eine ganz kleine Zahl von Menschen lebt noch unter uns, die den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg bewußt miterlebt haben. Es gibt kaum noch Zeitzeugen.
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Umso intensiver ist eine neue Generation offen an der Arbeit, das Geschichtskapitel zu deuten, das ihrer eigenen Zeit unmittelbar vorausging. Dies ist ihr allerbestes Recht, ihre Pflicht und fur die Gegenwart von lebhaftem Interesse. Zu ihren wichtigsten Quellen gehört eine umfangreiche Memoirenliteratur. Sie ist heute weitgehend abgeschlossen. Die hier vorgelegten Erinnerungen gehören nicht in die Reihe gängiger politischer, aktenmäßig abgesicherter Memoiren. Sie erscheinen erst dreißig Jahre nach dem Tode ihres Verfassers Albrecht von Kessel. Seine Rückblicke sind persönliche Berichte über Menschen und Erlebnisse als Diplomat in drei Abschnitten der deutschen Geschichte nach 1918. Sie sind Zeugnisse seiner lebhaftesten Beteiligung an der Entwicklung unserer Außenpolitik. 1927 war Kessel in den Auswärtigen Dienst eingetreten. Damals ging es in der Weimarer Republik um die Frage, wie ein erträglicher europäischer Friedenszustand zu erreichen sei, den die Pariser Vorortverträge verfehlt hatten. Alle Weimarer politischen Parteien waren sich einig im Ziel einer Revision von Versailles. Die Aufgabe der Diplomatie war es, diese Linie fur das eigene Land zu vertreten, dabei aber neuerliche Gewaltkonflikte unbedingt zu vermeiden. Die erste deutsche Republik zeigte sich jedoch als zu schwach. Hitler kam an die Macht und setzte alsbald leichtfertig auf die internationale Labilität. Neue Gewalt drohte. Kessel schildert die wachsenden persönlichen Konflikte. Welche diplomatischen Kompromisse waren noch mit eigenem Urteil und Gewissen vereinbar? Durfte, mußte man im Amt bleiben? Passiver Widerstand, gab es das? Dann kamen Angriffskrieg und Judenverfolgung. Kessel wuchs mit dem engen Kreis seiner Freunde in den aktiven Widerstand gegen Hitler hinein. Nur wenige von ihnen überlebten die Verfolgung nach dem Staatsstreich vom 20. Juli 1944. Er entging ihr nur deshalb, weil er damals auf diplomatischem Posten im Vatikan war. Und Rom war schon von den Alliierten umzingelt. In der Nachkriegszeit blieben Einsicht, Charakter und Mut des Freundeskreises das verbindliche Vermächtnis für ihn. Als einer der ersten nahm er den diplomatischen Dienst wieder auf. Für Westdeutschland ging es zunächst um eine Wiederaufnahme des Landes in die internationale Welt. Für Kessel wurde bald die zu Hause umstrittene deutsche Frage zum zentralen Thema. Er drängte auf deutsche Beiträge zur Verständigung, aber nicht nur nach Westen, sondern auch mit den ehemaligen Kriegsgegnern im Osten, zumal mit Polen. Er,
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der seine Heimat in Schlesien verloren hatte, arbeitete als einer der ersten aktiv für eine Entspannungspolitik. Damit geriet er in harte Konflikte mit der von Brentano und Hallstein vorgeschriebenen Linie des Auswärtigen Amtes. Kessel blieb bei seinen Uberzeugungen, nahm vorzeitig den Abschied und verfolgte weiterhin seinen Kurs durch publizistische Beiträge aller Art. Die Entwicklung gab ihm am Ende Recht, auch wenn er es selbst nicht mehr miterleben konnte. Umso lohnender sind seine ganz persönlichen Rückblicke, dank seiner stupenden historischen Kenntnisse, seiner Kultur und vollkommenen geistigen Unabhängigkeit und seinem eigenwilligen, starken Charakter. Die Kraft seiner Person und Sprache machen seinen Bericht gerade gegenwärtig in hohem Masse besonders lohnend. Richard von Weiszäcker
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Berlin, den ι . August 2007
Albrecht von Kessel (1902-1976)
lbrecht von Kessel verdankt sein Überleben nach dem 20. Juli 1944 dem Umstand, daß er zum Zeitpunkt von Staatsstreich und Attentat auf diplomatischem Posten in Rom weilte. Hätte er sich damals in Deutschland aufgehalten, wäre wohl auch er vor Freislers Volksgerichtshof gelandet und hätte, wie die meisten seiner Freunde, für seine Uberzeugungen mit dem Leben bezahlt. Den Verlust der Freunde vom 20. Juli hat Albrecht von Kessel nie verwunden, die Frage, weshalb ausgerechnet er mit dem Leben davonkam, ihn seitdem nicht mehr losgelassen. Er hat sich selbst einmal als „übriggebliebenes Ei aus dem Korb der deutschen Opposition"1 bezeichnet, und in dieser Formulierung schwingt neben dem Wissen um sein Alleinstellungsmerkmal die Melancholie des Verlusts mit. Marion Dönhoff hat in ihren Erinnerungen an die Freunde vom 20. Juli einmal geschrieben: „Nichts konnte schlimmer sein, als alle Freunde zu verlieren und allein übrigzubleiben."2 Auch fur Kessel war die Erfahrung, daß er mit dem Leben davongekommen war, wo seine Freunde fur ihre Überzeugung in den Tod gegangen waren, prägend. Nur durch einen Zufall, schrieb er im Herbst des Lebens in einem langen Brief an seinen Kollegen im Auswärtigen Dienst, Paul Frank, habe er überlebt. „Daß ich nicht am Galgen endete, verdanke ich nur der Tatsache, daß die Alliierten Anfang Juni in Rom einmarschierten und die Deutsche Botschaft beim Vatikan aus der Stadt Rom in die Vatikanstadt übersiedeln mußte, ich also dem Zugriff der Gestapo entzogen war."3
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Die Fähigkeit zu Freundschaft ist an Treue und Empathie gebunden. Wie für viele seiner Generation blieb für Kessel das Zusammenstehen in den dunklen Jahren der Diktatur, die Opposition gegen Hider, prägende Lebenserfahrung. Im Widerstand vom 20. Juli kam alles zusammen, was für ihn und seine Freunde zählte: feste moralische Grundsätze, ein ausgeprägtes Empfinden für Recht und Unrecht, Vaterlandsliebe und Bindung an die Heimat, Gemeinschaft mit Gleichgesinnten, Mut und Zivilcourage. Kessel und seine Freunde vom 20. Juli waren zugleich zutiefst moralische und zutiefst politische Menschen. „Nie wieder ist bei uns so existentiell gelebt worden wie damals. So bewußt und so lange Zeit auf dem schmalen Grat zwischen Tod und Leben. Politik war zu jener Zeit stets mit dem Einsatz der ganzen Person verbunden", beschrieb Marion Dönhoff im Rückblick einmal treffend die damalige Haltung.4 Hinzu kam der äußere Druck der Diktatur, ein Druck, dem Kessel auf seinem Auslandsposten freilich nur in abgemilderter Form ausgesetzt war. Albrecht von Kessel zählt wie Eugen Gerstenmaier, Otto John oder Theodor Steltzer zur Handvoll Überlebender aus dem Freundeskreis des 20. Juli. Nach dem Krieg kehrte er in den Auswärtigen Dienst zurück. Außenpolitik war seine Passion, die ihn zeitlebens in den Bann gezogen hatte, doch sein eigentliches Zentralthema blieb der 20. Juli 1944, die Wegscheide, die sein Leben in ein Vorher und ein Nachher einteilte. Der Einsatz für Freiheit und Recht blieb für das Leben von Albrecht von Kessel bestimmend, fur ihn auch über die Zeit der
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Diktatur hinaus maßgeblich. Richard von Weizsäcker hat Albrecht von Kessel einmal „eine menschliche und politische Zentralfigur"5 in der Geschichte des Auswärtigen Dienstes genannt. Der Blick auf Kessels berufliche Stationen zeigt, daß es nicht so sehr die einzelnen Verwendungen waren - andere mögen an herausgehobeneren Stellen gedient haben sondern vielmehr die äußerst seltene Verbindung aus persönlicher Integrität, tiefem moralischen Ethos und politischem Gestaltungswillen, die dazu gefuhrt haben, daß es in erster Linie Menschen wie Albrecht von Kessel waren, die nach 1945 Deutschlands Rückkehr in die Staatengemeinschaft möglich gemacht haben. Vorher: Das war zunächst eine behütete Kindheit und Jugend, in die er 1902 als Kind der Eheleute Kurt und Theodora von Kessel auf dem Familiengut Oberglauche in Oberschlesien hineingeboren wurde. Die Kessels gehörten zum schlesischen Uradel. Der Vater, Kurt von Kessel, saß für die deutschkonservative Fraktion im preußischen Abgeordnetenhaus, die Mutter, Theodora, eine geborene von Bethmann Hollweg, brachte evangelische Frömmigkeit und eine umfassende Bildung in die Familie ein. Kessels Urgroßvater, Moritz August von Bethmann Hollweg, war der Begründer der Wochenblattpartei und in den 1850er Jahren maßgeblicher Gegenspieler Bismarcks; ein Bruder seiner Mutter, Theobald von Bethmann Hollweg, sollte es zum Reichskanzler der Jahre 1909-1917 bringen. In seinen Memoiren beschrieb Albrecht von Kessel den kindlichen Stolz des Siebenjährigen, als er von der Berufung seines Patenonkels Theobald zum Reichskanzler erfuhr. „Mir aber [...] schwoll die Brust in kindischem Triumph: Patensohn des Kanzlers zu sein, würde meine Stellung als Nachgeborener gegenüber meinen Geschwistern stärken."6 Sein Interesse an der Politik war zweifelsohne früh geweckt und von Elternhaus und Zeitläufen stark gefördert. Albrecht war ein stilles, nachdenkliches Kind, das die Eindrücke wie ein Schwamm in sich aufsog. „Es war mir einmal gesagt worden, ich müsse lernen zu schweigen und allein zu sein", erinnerte er sich im Rückblick.7 Die Verbundenheit mit der Natur, wie sie ihm das Leben auf den schlesischen Familienbesitzungen in den frühen Jahren ermöglichte, blieb ihm zeitlebens ein nie versiegender Kraftquell. In seinen Jugenderinnerungen, dem Stillen Gut, 1945/46 in Klausur hinter vatikanischen Mauern verfaßt, hat Kessel dieser auf immer versunkenen Existenz ein literarisches Denkmal gesetzt. Es war eine in sich geschlossene Welt, und Kessel, der ein guter Beobachter war, hat sie in plastischen Farben, vom „vollen Grün der hochstämmigen Stachelbeeren mit ihrem weihrauchartigen Geruch bis zum leisen und süßen Duft der Apfel- und Birnenblüten"8, für die Nachwelt wiedererstehen lassen. „Ich habe Oberschlesien liebgewonnen, seine großen Wälder, seine in der Weite verlorenen Bauernhäuser, am südlichen Horizont die Kette der Beskiden hatten für mich den geheimnisvollen Zauber des Ostens."9 Auch der regelmäßig wiederkehrende Wunsch nach Einsamkeit, die Neigung zu Reflexion und Melancholie, haben in jenen frühen Jahren ihren Ursprung. In der Schulzeit im Internat in Roßleben im Unstruttal wurden die lebenslangen Freundschaften mit Ulrich Wilhelm von Schwerin und Peter Yorck von Wartenburg begründet. Kessel hat sie in der Verborgenen Saat später als „den ersten Kern des Kreises, der ein Jahr10
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zehnt lang zusammenhielt, bis er durch den Fehlschlag des 20. Juli 1944 vernichtet wurde", bezeichnet.10 Der Schutzwall der Jugend war nötig, denn die Welt um Albrecht von Kessel war damals längst keine heile mehr. Der Erste Weltkrieg hatte im zeitgenössischen Bewußtsein in Deutschland mit dem als demütigend empfundenen Friedensschluß von Versailles, mit dem Verlust der Kolonien, mit territorialen Einbußen und mit der Abdankung der Monarchien geendet. Die Blütezeit der Republik von Weimar war kurz. Nach Inflation, Ruhrkrise und Währungsreform dauerte sie gerade einmal fünfjahre. In dieser Phase, 1927, trat Kessel nach seinem Jurastudium in München und Breslau in den Auswärtigen Dienst ein. Zu seiner Crew, die ihren zweijährigen Vorbereitungsdienst 1929 beendete, gehörten u.a. Eduard Brücklmeier, Gottfried („Gogo") von Nostitz und Hans von Herwarth. Mit ihnen wußte er sich in der Ablehnung des aufsteigenden Nationalsozialismus verbunden, und die Crewkameraden schafften es in den nachfolgenden Jahren trotz Postierungen in ganz unterschiedlichen Weltgegenden, in enger Freundschaft zusammenzubleiben. Der erste Auslandsposten führte ihn 1930 an die Botschaft beim Heiligen Stuhl. Von dort ging es 1932 ans Generalkonsulat Kattowitz und April 1935 - Kessel war in der Zwischenzeit zum Legationssekretär ernannt - ans Generalkonsulat Memel, wo er sich jeweils mit den vom Versailler Vertrag ungelösten Minderheitenfragen auseinandersetzen mußte. Diese frühen Verwendungen, die Berührung mit der sehr eigenen Welt des Vatikans - Weltkirche, Völkerrechtssubjekt, Beobachterposten und Mikrokosmos in einem, erst der Lateranvertrag (1929) hatte die staats- und völkerrechtlichen Voraussetzungen fur den Vatikanstaat geschaffen - haben den schlesischen Protestanten genauso nachhaltig geprägt wie das Bewußtsein fur die Unzulänglichkeiten der brüchigen Nachkriegsordnung der Pariser Vorortverträge von 1919/20. Im November 193 5 wurde er an die Gesandtschaft Bern versetzt, wo er den spürbar langsameren Rhythmus genoß: „Ein behaglich abgewogenes Dasein nahm mich in sein langsames Dahingleiten auf." 11 In dem Gesandten Ernst von Weizsäcker fand er einen väterlichen Freund und Mentor. Der Schwabe Weizsäcker, ein ehemaliger Marineoffizier mit künstlerischen Neigungen, war ein Mann der leisen Tone. In Stil und Naturell, in seinem politischen Denken und Handeln verkörperte er den größtmöglichen Gegensatz zu der auftrumpfenden, antidiplomatischen Art der nationalsozialistischen Machthaber. Nach seinem Aufstieg in hohe und höchste Ränge im Auswärtigen Amt - Weizsäcker wurde 1937 Politischer Direktor und 1938 Staatssekretär - wurde er für Kessel und dessen gleichgesinnte Freunde zum Protektor und Vorbild, der um so mehr verehrt wurde, wie die dunklen Seiten der neuen Herren offenkundig wurden. Denn die Gruppe jüngerer Diplomaten - neben Kessel Eduard Brücklmeier, Georg Bruns, Hans von Herwarth, Erich Kordt, Gogo von Nostitz, Herbert Siegfried, alle nach der Jahrhundertwende geboren, sah in Weizsäcker, wie Kessel einmal formulierte, „ihren geistigen Führer": „Wohl niemals in der Geschichte des Auswärtigen Amtes hat ein Staatssekretär über eine so feste Phalanx von Anhängern verfugt." 12 Weizsäkkers Stil und persönlicher Umgang, ganz die Tradition der Wilhelmstraße, waren das Eine, das sein außergewöhnliches Ansehen begründete, das Andere war, daß der Staatssekretär 11
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in nahtloser Fortsetzung des Kurses von Bernhard Wilhelm von Bülow Gewähr dafür zu bieten schien, daß das Auswärtige Amt nicht gänzlich dem Machthunger der nationalsozialistischen Equipe anheimfiel. Jeder, der ihn kannte", schrieb Kessel, „wußte, daß er sein ganzes Können, seine ganze Zähigkeit und all den Kredit, den er in den Augen des Auslandes genoß, in den Dienst einer organischen, friedfertigen Außenpolitik stellen würde." 13 Weizsäcker ließ Kessel seit der gemeinsamen Berner Zeit nicht mehr aus den Augen. Von da an wurde der junge Diplomat immer wieder in seine unmittelbare Umgebung versetzt. Die Wahrnehmung Kessels, auch bei seinen Freunden im Kreisauer Kreis, war deshalb stark durch dessen Nähe zu Weizsäcker geprägt. Wenn Eugen Gerstenmaier in seinen Memoiren schrieb, Kessel sei „seinem Staatssekretär Ernst von Weizsäcker treu ergeben [gewesen]", und habe, „von ihm abgeschirmt", die Kriegsjahre unversehrt überstanden, so ist dabei die rückblickende Kritik des Kreisauers zu hören, der im Dritten Reich unvergleichlich größere Härten durchleben mußte.14 Was Weizsäcker an Kessel schätzte, war neben persönlicher Sympathie vor allem das Fachliche: „Ich kenne Kessel von mehrfacher enger dienstlicher Zusammenarbeit. Er gehört zu den begabtesten Beamten seines Alters, beobachtet sehr sicher, schreibt ausgezeichnet und hat sich an jeder Stelle bewährt, wo er tätig war", lautete dessen Urteil im Jahr 1940. 15 Kessel hatte sich in späteren Jahren mit Verve für die Verteidigung Ernst von Weizsäckers eingesetzt, der von Historikern und Publizisten bisweilen massiv wegen seiner Mitgestaltung der nationalsozialistischen Außenpolitik in verantwortlicher Stellung angegriffen worden ist.16 Persönliche Motive, die menschliche Nähe zu seinem Förderer und Freund, mögen dabei mit eine Rolle gespielt haben. Entscheidend jedoch ist, daß Weizsäckers Grundkonflikt, mitgemacht zu haben, um Schlimmeres zu verhüten, genau der Zwiespalt war, in den auch Kessel und seine Freunde im Widerstand während der nationalsozialistischen Zeit gestellt waren. Natürlich, so schrieb Kessel bereits in seiner vatikanischen Klausur 1945, habe es auch Zeiten gegeben, in denen er sich gefragt habe, ob er noch mitmachen könne, ob es nicht besser wäre, aus dem aktiven Dienst auszuscheiden. Wenn er sich am Ende dafür entschied, dabei zu bleiben, so sei dies ausschließlich der Ratio geschuldet gewesen, aus einer Verantwortung tragenden Rolle größere Gestaltungsmöglichkeiten zu haben. Warum war Weizsäcker überhaupt so lange auf seinem Posten verblieben? Eine Antwort daraufhatte sich der Staatssekretär Jahre später, in Vorbereitung auf den Nürnberger Prozeß, selbst zu geben versucht: „Angehörige von Staaten mit alter parlamentarischer Tradition können sich vielleicht kein Bild davon machen, daß bei Diktaturen der Eintritt in ein Amt oft leichter ist als der Austritt." 17 In der Verborgenen Saat hat Kessel genau das damit verbundene Dilemma auf den Punkt gebracht: „Wenn ich meinen Abschied nahm, so konnte ich mich der Tyrannei Hitlers nur durch Auswanderung entziehen. Damit aber wäre meine seelische Existenz untergraben. [...] Blieb ich aber in Deutschland, so war ich als Privatmann dem Tun und Treiben der Nazis mehr ausgeliefert, hatte weniger Möglichkeiten, ihnen entgegenzutreten, sie zu umspielen und ihnen Opfer zu entreißen, als wenn ich Beamter blieb. [...] Rückschauend betrachtet, 12
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glaube ich richtig gehandelt zu haben, als ich im Auswärtigen Amt zu verbleiben beschloß."18 Kessel und seine Freunde, Zivilisten wie Militärs, hatten mit dem Staatssekretär wiederholt die Frage von dessen Verbleib im Amt erörtert, und hatten Weizsäcker bis 1943 geradezu bedrängt, auf Posten zu bleiben.19 Kessels Kalkül, Weizsäckers schützende Hand könne helfen, daß die dem Regime ablehnend gegenüberstehenden Diplomaten ihren Gegenkurs unentdeckt fortsetzen konnten, war jedenfalls eine Zeitlang aufgegangen. Es versteht sich deshalb aus der Natur von Weizsäckers Position, daß, wollte er auf seinem einflußreichen Posten verbleiben, er nicht nur mit außerordentlicher Vorsicht vorgehen mußte, sondern er auch gezwungen war, immer wieder Kompromisse zu schließen. Widerstand in der Diktatur, will er etwas bewirken, muß mit partieller Affirmation verbunden sein. Die bisweilen leidenschaftlichen Kontroversen der Nachkriegszeit um den deutschen Widerstand wurden mit dogmatischem Rigorismus ausgefochten und haben dabei oftmals gerade diesen Umstand ausgeblendet. Von außerhalb, also aus der sicheren Distanz, zu der Fundamentalopposition fuhrt, läßt sich kein gestaltender Einfluß mehr auf die Politik nehmen. Weizsäckers Haltung wird daher am besten mit „Widerstand im Amt" 20 beschrieben. Für Kessel und seine Gefährten bedeutete dies in der Praxis, daß sie ihre eigenen Sondierungen - zu Recht ist in den Kriegsjahren von Konspiration mit dem Gegner gesprochen worden - fortsetzen konnten, unabhängig von Weizsäcker, aber in der Gewißheit, sich im entscheidenden Moment darauf verlassen zu können, daß der Staatssekretär ihren Gegenkurs deckte. Zu den Eigenheiten dieses Gegenkurses gehörte indes auch, daß er eine Zeitlang - bis München 1938 - in seinen auf Revision des Versailler Friedenssystems gerichteten außenpolitischen Zielen, etwa mit Blick auf den „chemischen Auflösungsprozeß" (Ernst von Weizsäcker) der Tschechoslowakei - mit dem nationalsozialistischen Kurs übereinstimmte. Auf Kessel und seinen Kreis bezogen, aber auch für Ernst von Weizsäcker bedeutete dies: revisionistische Ziele in der Außenpolitik und die tiefe Ablehnung des Regimes - Regierungspersonal, Herrschaftspraxis genauso wie geistige Grundlagen - waren kein Widerspruch, sie fanden sich bei ein und derselben Person. Die Frage des Tyrannenmords, das andere große Thema des Widerstands, hatte Kessel bereits früh und eindeutig fur sich beantwortet. Er habe, so schrieb er in der vatikanischen Klausur, „nie diejenigen aus unserem Kreis - es waren derer nur zwei - verstanden, die erklärten, man dürfe einen Menschen nicht töten, selbst wenn er, wie sie selber zugäben, den Tod tausendfach verdient habe."21 Ein ausgeprägtes Rechtsempfinden, ein klarer Kompaß und sicherlich auch sein christliches Menschenbild hatten Albrecht von Kessel bereits bald nach der Machtergreifung zu einem entschiedenen Gegner der Nationalsozialisten gemacht. Die Ausschaltung der Parteien nach den Wahlen vom 5. März 1933 war ihm ein „ekelhaftes Schauspiel"22, die Zerstörung der Rechtsordnung, die Kirchenverfolgung galten ihm als sicheres Indiz dafür, daß Deutschland in die Hände von Verbrechern gefallen war. Kessel hat Hitler und den Nationalsozialismus nie unterschätzt. Um so größer war seine Verzweiflung, seine Ratlosigkeit darüber, daß von Seiten der Westmächte so wenig gegen Hitler und das Regime unternommen wurde. Sein eigener Weg in den Widerstand führte von anfänglicher Skepsis zu totaler Ablehnung. „Von 1933-37 glaubten wir", so schrieb er, „es genüge, die Ma13
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jorität des deutschen Volkes von den verbrecherischen Neigungen und Absichten der Nazis zu überzeugen."23 Dies sei ein Irrtum gewesen. Der Schritt zur aktiven Vorbereitung für das Danach, das eigentliche Charakteristikum des Widerstands, mußte erst allmählich gelernt werden. Im Freundeskreis um Brücklmeier, Schwerin, Nostitz konnte frank und frei geredet werden, seit 1937 fand sich hier auch die Opposition gegen Hider zusammen. Kessels Passion für die Außenpolitik entsprach es, daß außenpolitische Fragen, die Nachgiebigkeit der Westmächte gegenüber Hitler, dabei eine große Rolle spielten. Und es kam Kessel zugute, daß ihm immer wieder in herausgehobenen Verwendungen Einblicke ermöglicht wurden, die anderen verwehrt geblieben waren. Nach seiner Rückkehr in die Zentrale, Februar 1937, war er zunächst im Protokoll des Auswärtigen Amtes eingesetzt. Unter dem Aspekt des größtmöglichen Überblicks und Zugangs verstand er es, auch dieser inhaltlich wenig fordernden Tätigkeit etwas Positives abzugewinnen. Kessel war jetzt zu allen offiziellen Veranstaltungen des Dritten Reiches mit Ausländern eingeladen und konnte sich dabei sein eigenes Bild vom nationalsozialistischen Regierungspersonal machen. Zu dem persönlichen degoüt kam bei ihm der ungetrübte Blick auf die fatalen Konsequenzen des Kurses hinzu. Um so fassungsloser war er, daß bei den Westmächten Frankreich und Großbritannien über lange Jahre eine schicksalhafte Fehleinschätzung Hitlers und des Nationalsozialismus dominierte. September 1937, beim Besuch Mussolinis, konnte Kessel zum ersten Mal Hitler aus unmittelbarer Nähe erleben. „Sein [Adolf Hitlers] Äußeres machte einen unerwartet gepflegten Eindruck. Die Schulterblätter des leicht gebeugten Rückens zeichneten sich durch die Uniform hindurch ab. Mit seinen Händen wußte er nichts anzufangen, bleich und seltsam leblos hingen sie herab, um in Augenblicken der nervösen Spannungen ins Zucken zu geraten und sich mit gespreizten Fingern zu entfalten - feuchte, viereckige Hände, weder vergeistigt noch durch Arbeit geformt, mit spatenförmigen Nägeln, die aufs äußerste abgebissen waren, durch die ihnen zuteil gewordene Pflege besonders peinlich wirkend. Und dann das Gesicht - gespenstisch und leblos, wie schon die Hände, alle Züge verwischt bis auf die in einer unerklärlichen Weise abstoßende Partie um die Nase und die zu lang geratene Oberlippe und die von schweren Lidern bedeckten Augen, in denen eine düstere Besessenheit haust. In sich gekehrte Augen, in denen manchmal etwas Lauerndes oder Verschlagenes ist, nie ein freudiger oder gebietender Blick."24 Die Entourage, Hiders Paladine, hinterließen bei ihm gleichfalls einen denkbar schlechten Eindruck. „Ich hatte das Gefühl, unter lauter Nervenkranke geraten zu sein und besinne mich, als ob es gestern gewesen wäre, daß mich in diesem Augenblick zum ersten Mal jene unsagbare Mischung von Ekel und Angst überfallen hat, die für mich zu einer ständigen Begleiterscheinung der kommenden Jahre wurde."25 Zwischen abgrundtiefer Ablehnung des Regimes und aktiver Opposition ist ein weiter Weg, den von Hiders Gegnern nur die wenigsten gegangen sind. Erst mit dem Rücktritt des Generalstabschefs Ludwig Beck aus Protest gegen die Vorbereitung von Hiders Sudetenaktion, August 1938, formierte sich die Opposition zu einer verschworenen Gemeinschaft. Für 14
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den Widerstand gegen Hitler ist es deshalb bezeichnend, daß seine erste wirklich konzertierte Aktion durch Hitlers Versuch im Jahre 1938, die europäische Ordnung zum Einsturz zu bringen, ausgelöst wurde. Der Umsturzversuch der Gruppe hoher Beamter und Militärs um die Generale Beck und Haider brach indes in sich zusammen, als sich auf der von Mussolini vermittelten Münchner Konferenz Daladier und Chamberlain mit Hitler arrangierten. München 1938 war der letzte Sieg der Friedenspartei. Für Kessel war der eigentliche Einschnitt zweifelsohne der Ausgang der Münchner Konferenz gewesen, der ihm physisch und psychisch zugesetzt hatte. Für Kessels Mentor war München ebenfalls eine tiefe Zäsur. Weizsäcker war, wie ein anderer Weggefährte Kessels notierte, den „dornenvollen Weg von einer Enttäuschung zur anderen gegangen".26 In Absprache mit Weizsäcker wechselte Kessel deshalb auf den ruhigeren Posten eines persönlichen Referenten des Reichsprotektors in Böhmen und Mähren, des früheren Außenministers Konstantin Freiherr von Neurath. An Neuraths Seite, den Kessel fur vier Monate nach Prag begleitete, setzte er den Weg der Desillusionierung fort. Nicht ohne Grund lautet der entsprechende Abschnitt seiner Memoiren „Der Anfang vom Ende". Neurath, von 1 9 3 2 1938 Reichsaußenminister, ein schwäbischer Grandseigneur mit der Klugheit eines alten Schäfers, aber ohne Eifer, hatte sich in Prag resigniert mit der allgegenwärtigen Parteiherrschaft abgefunden, und, mehr als einmal, Kessels Rat in den Wind geschlagen. Als kluger Beobachter mit unbestechlichem Blick, der Kessel war, hatte er in der kurzen Zeit, die er in Prag war, in den Abgrund geschaut. Wir wissen nicht genau, wie sehr ihn die Monate in Prag in seinem Denken und Handeln beeinflußt haben. Im Frühsommer 1939 war er zurück in Berlin und fand sich in seinem Widerstandsfreundeskreis mit den gleichen Problemen und Fragestellungen konfrontiert, die bereits 1938 den Entschluß zum Staatsstreich verhindert hatten. Dann, in den letzten Augusttagen, Sommer 1939, wiederholte sich das erfolglose Bemühen der Frondeure, in enger Abstimmung mit Italien und dem britischen Geheimdienst den großen Krieg zu verhindern. Auch Kessel hatte in Verkennung der Möglichkeiten damals vergeblich gehofft, im Zusammenwirken mit scheinbar moderaten, traditionell orientierten Kräften, als deren Exponent Hermann Göring ausgemacht wurde, das Vabanquespiel eines Blitzkrieges verhindern zu können. Resigniert hielt Kessel im Rückblick darüber fest, daß Ribbentrop den Krieg bekam, den er gewollt habe: „Die Parteigänger des Friedens kämpften einen letzten, verzweifelten Kampf." 27 Der Krieg, der am 1. September 1939 von Hider entfesselt wurde, war zunächst, nach der duellartigen Niederwerfung Polens, kein heißer Krieg, daher im Englischen die Bezeichnung „phoney war". Denn bis April 1940 wurde im Westen noch kein einziger Schuß Pulver abgegeben. Noch war die Verbindung zur freien Welt nicht vollständig abgerissen. Solange man mit den Briten im Gespräch bleiben konnte, so kalkulierte auch Weizsäcker, bestünden vielleicht doch noch Aussichten auf eine mögliche Beendigung des Krieges. Im ersten Kriegswinter gehörte Kessel, ebenso wie Theo Kordt und Gogo von Nostitz, zur kleinen Gruppe, die auf geheimen Wegen über das neutrale Ausland die britische Regierung zu weitergehendem Entgegenkommen gegenüber einem Deutschland ohne Hitler zu bewegen 15
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versuchten.28 Weizsäcker hatte über den ehemaligen Hochkommissar des Volkerbunds und Basler Historiker Carl Jacob Burckhardt wiederholt die Briten vor neuen Zugeständnissen an Hitler gewarnt und einen silence menafant empfohlen. Weizsäckers Parole „ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Mittel" war auch Kessels Uberzeugung. Ab Anfang 1940 hatte Kessel in Genf selbst für knapp fünf Monate am Generalkonsulat die Gelegenheit, die Verbindung zur freien Welt zu pflegen. „Sie kennen", mit diesen Worten hatte Ernst von Weizsäcker dem Generalkonsul Wolfgang Krauel seinen engen Mitarbeiter vorgestellt, „Herrn von Kessel genügend und wissen auch, daß er über die Berliner Auffassung zur jetzigen Kriegslage gut orientiert ist. Er wird Ihnen auch manches mitteilen oder klarstellen können, was von draußen nicht leicht erkennbar ist."29 Offiziell hatte Kessel in Genf die Aufgabe zugewiesen bekommen, sich um das Deutschtum im Wallis zu kümmern.30 Doch in Wirklichkeit war er mehr damit beschäftigt, sich „erfolgreich unter den dortigen Menschen umzusehen".31 Neben dem Genfer Mitglied des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) und Historiker Carl Jacob Burckhardt zählten der Generalsekretär des Weltrats der Kirchen, W.A. Visser't Hooft 32 und der deutsche Leiter der Studienabteilung des Weltrats der Kirchen, Hans Schönfeld, zu seinen regelmäßigen Kontakten. Er komme sich auf seinem Genfer Posten wie auf einem Balkon vor, „von dem aus man die Fahrt der großen Schiffe ins Weite verfolgen konnte," notierte Kessel im Rückblick.33 Kessel hatte indes nicht nur den Schiffen beim Passieren zugesehen, er hat wiederholt und mit beträchtlichem persönlichem Mut in den Gang des Geschehens einzugreifen versucht. So berichtete er Carl Burckhardt bereits Mitte Januar 1940 in einem vertraulichen Gespräch von einer zunehmenden Spaltung zwischen Wehrmacht und SS, die ihrerseits in zwei Lager geteilt sei: „Ein rebellierender Heydrich, anti-russisch eingestellt, und ein Gegner seines Chefs Himmler, hält sich für den Kronprinzen einer Rechten, die gegen Ribbentrop vorgehen könnte."34 Ribbentrop sei ein unverbesserlicher Kriegstreiber, dessen ganzes Sinnen und Trachten auf die militärische Großoffensive gerichtet sei, so lautete damals Kessels Urteil über seinen Vorgesetzten, den Reichsaußenminister. Mit Hitler, so Kessel, sei kein Friede mehr möglich. Allein Göring sei fähig, die SS zu zerschlagen und sollte deshalb für die Palastrevolution gewonnen werden. Kessels Friedensplan sah eine Teilung Europas in Interessensphären vor: „Großbritannien sollte ein Interesse daran haben, Deutschland in Osteuropa und auf dem Balkan freie Hand zu gewähren und ihm zu erlauben, Rußland, das im Norden immer noch durch die unglückselige Wendung des finnischen Winterkrieges festgehalten werde, auf diesem Schlachtfeld in Schach zu halten oder gar zu verdrängen."35 Als Kessel Ende Mai 1940 ins militärpolitische Referat in die Zentrale des Auswärtigen Amtes zurückversetzt wurde, hatten sich die Hoffnungen der Hitlergegner auf einen Umsturz und raschen Friedensschluß mit Großbritannien nicht erfüllt. Im Gegenteil. Nie war die Zustimmung der Deutschen zu Hitlers Regime größer als nach der Kapitulation Frankreichs im Sommer 1940. Nicht einmal ein Jahr sollte Kessel in Berlin verbringen. Seine Aufgabe im Amt brachte ihm eine enge Zusammenarbeit mit dem Verbindungsmann des Auswärtigen Amtes beim O K H ein, dem fast gleichaltrigen Hasso von Etzdorf, ebenfalls 16
Albrecht von Kessel (1902-1976)
der Widerstandsgruppe zugehörig und ein Jahr nach Kessel ins Auswärtige Amt eingetreten. Häufiger waren jetzt aber auch in der Zeit nach Dienstschluß die Verabredungen mit Helmuth James von Moltke, dem führenden Kopf des Kreisauer Kreises. Die erste Erwähnung Kessels in Moltkes Briefen an seine Frau Freya datiert vom 8. Januar 1940. Damals schrieb Moltke: „Mittags habe ich mit Kessel gegessen, einem der Adlati von Weizsäcker, der jetzt auf 3 Monate nach Genf geht. We compared notes without finding much difference."36 Der Gleichklang in der Lagebeurteilung bestand auch jetzt, Sommer 1940, fort; allerdings fiel das Urteil über die Aussichten nun düsterer aus. Die Hoffnungen des ersten Kriegswinters waren verflogen, und Hitler saß fester denn je im Sattel. In jenen Monaten formierte sich der Widerstand gegen Hitler neu. Helmuth von Moltke und seinem kleinen Kreis Gleichgesinnter kam dabei eine Schlüsselrolle zu. Immer wieder kamen sie in unterschiedlichen Konstellationen zum Meinungsaustausch zusammen, häufig in Peter Graf Yorcks kleinem Reihenhaus in Berlin-Lichterfelde und später auf Moltkes schlesischem Gut Kreisau. Kessel gehörte nicht zum inneren Kreis. Aufgrund seiner Auslandsverwendungen konnte er an den Treffen auf Kreisau nicht teilnehmen. Er war gleichwohl den Freunden im Geiste verbunden, und es besteht kein Zweifel, daß die Kreisauer seine geistige Heimat im Kampf gegen das NS-Regime waren.37 Es entsprach auch seinem auf Ausgleich gerichteten Naturell, daß er mit Adam von Trott und Hans Bernd von Haeften zu den Vermittlern zwischen den verschiedenen divergierenden Gruppen im Widerstand gehörte, den Jüngeren und den älteren Honoratioren. Doch auch bei den Kreisauern hat es in einzelnen Positionen grundlegende Unterschiede gegeben. Die Frage der Rechtmäßigkeit des Attentats gehörte dazu, ebenso die Vorstellungen vom Staat der Zukunft, ob Deutschland nach Hitler eher ständestaatlich oder föderal geprägt sein sollte oder darüber, wie weit das Bekenntnis zum christlichen Glauben das künftige Verfassungsleben prägen sollte. Kessel warnte wiederholt vor politischen Illusionen und drängte auf rasches Handeln. Er war kompromißlos als Gegner des Nationalsozialismus, doch Schloß dies nicht aus, daß er im Alltag durchaus zu Camouflage und scheinbaren Zugeständnissen bereit war. Noch 1937 war er NSKK-Sturmführer geworden, 1939 dann Obersturmführer; ab 1940 stellte er seine Beitragszahlungen ein. Ein Aufnahmegesuch in die NSDAP, 1943 in Genf abgegeben, war indes vergeblich. Auf Weisung von Gauleiter Bohle, dem Chef der Auslandsorganisation der NSDAP, wurde ihm mitgeteilt, daß zwar „keine politischen Bedenken" gegen ihn erhoben würden, doch seien auch keine besonderen Momente gefunden worden, „die für seine Aufnahme in die N S D A P sprechen könnten, wie etwa der Einsatz für die Bewegung o.ä".38 Die Kreisauer waren aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Prägungen in Studium und Freundeskreis, in ihren Auslandsaufenthalten fast ausschließlich zur angelsächsischen Welt hin orientiert. Auch Kessel war westlich gesinnt. In Genf war er mit der französischen Sprache und den Ausstrahlungen des französischen Kulturkreises in Berührung gekommen. Doch als Außenpolitiker und vor allem als gebürtiger Schlesier wußte er um die Notwendigkeit einer gesunden Balance zwischen Ost und West, die sich aus Deutschlands geopolitischer Lage in Europas Mitte ergab. „Stand England uns kulturell und damit gefühlsmäßig näher, 17
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so war Rußland für uns geographisch und wirtschaftlich interessanter. Der einseitige Blick nach Westen mußte also einem nüchternen, neutralen Abwägen zwischen Osten und Westen Platz machen, wenn wir zum Frieden gelangen und ihn erhalten wollten."39 Dieser außenpolitische Realismus bestimmte seine politische Auffassung in der Frage Ost und West, mit einem Schaukelkurs der Äquidistanz ist dies freilich nicht zu verwechseln. Die Frage des Sonderfriedens war für die innerdeutschen Hitlergegner mit dem Einmarsch der Wehrmacht in der Sowjetunion ein beharrlich verfolgtes politisches Ziel. Durch Churchills Politik des „absoluten Schweigens" auf deutsche Friedensfuhler - die maßgebliche Parole seit Ende 1941 - und nach der auf der Konferenz von Casablanca, Januar 1943, beschlossenen Formel von der „bedingungslosen Kapitulation" wurde es für die Frondeure fast unmöglich, für ihr Ansinnen bei den Alliierten Gehör zu finden. Albrecht von Kessel war zum Zeitpunkt des Beginns des „Unternehmens Barbarossa", Juni 1941, bereits seit mehreren Monaten wieder in der neutralen Schweiz in Genf. Aufgrund ihrer Internationalität - Genf war nicht nur Sitz des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, sondern auch des Ökumenischen Rates der Weltkirchen und darüber hinaus eines großen Konsularischen Korps - war die Stadt an der Rhone für den deutschen Widerstand ein unschätzbarer Außenposten. Kessel hat seine Dienststellung am Konsulat immer wieder als Sendbote der Opposition genutzt und Nachrichten an neutrale Mittelsmänner weitergegeben. Und auch sonst war die Zeit in Genf für ihn nach den deprimierenden Berliner Eindrücken ein wahrer Jungbrunnen. Von Genf ging es für Kessel im Frühjahr 1943 nach Rom, an die deutsche Vertretung beim Heiligen Stuhl. Wiederum war es Ernst von Weizsäcker, der den alten Vertrauten in seine unmittelbare Umgebung berufen hatte. Weizsäcker empfand die Versetzung auf den Botschafterposten beim Heiligen Stuhl im Mai 1943 als Befreiung. „Ich glaubte, wenn überhaupt, so noch im oder durch den Vatikan etwas für den Frieden tun zu können", schrieb der scheidende Staatssekretär in seinen Memoiren.40 Friedensvermittlung lautete allerdings nicht der offizielle Auftrag, den Weizsäcker aus Berlin mit an den Tiber gebracht hatte, dies hatte er bereits bei seiner ersten Audienz bei Papst Pius XII. klargestellt. Auch in Kessels Sicht bedeutete der Posten des Vatikanbotschafters eine Chance. Bis 1943 hatte er seinen alten Chef Weizsäcker immer zum Verbleib auf dem Staatssekretärsposten ermuntert. Irgendwann nach der Kesselschlacht um Stalingrad und nicht zuletzt unter dem Eindruck der alliierten Kriegskonferenz von Casablanca hatte sich bei Kessel die Einsicht durchgesetzt, daß die Einflußnahme von innen keinen Sinn mehr hatte. Und es entsprach dieser realistischen Gesinnung, daß sich Kessel von Weizsäckers römischer Mission keine großen Erfolgschancen versprach. Sang- und klanglos hatte der Faschismus in Italien mit der Verhaftung Mussolinis und der Übernahme der Regierungsgewalt durch Marschall Badoglio am 25. Juli 1943 geendet. Die Weichen für den italienischen Kriegsaustritt waren damit gestellt. Am 8. September 1943 gab General Eisenhower den Abschluß des Waffenstillstandes mit Italien bekannt. Weizsäcker kämpfte auf verlorenem Posten. Sein Chef erinnere ihn an einen Feldherrn, 18
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schrieb Kessel, der „eine Schlacht annehmen mußte, die, wenn kein Wunder geschah, nur mit einer Niederlage enden konnte".41 Für den offiziellen Vertreter des Deutschen Reiches beim Heiligen Stuhl ging es nicht mehr um große Politik, sondern allenfalls um Schadens begrenzung. Weizsäckers selbstgestellte Aufgabe lautete nunmehr im Kern, den Vatikan vor den Übergriffen nationalsozialistischer Heißsporne zu bewahren und Rom den Status einer Offenen Stadt zu erhalten. Deutschland hatte seinen außenpolitischen Spielraum gänzlich verloren. Ohne einen Sturz des Regimes, das war auch Weizsäcker klar, war die totale Niederlage nicht mehr abzuwenden. Weizsäcker hatte immer politisch argumentiert. Uber den Frieden könne nur verhandeln, wer militärisch bei Kräften sei.42 Bald nach seiner Ankunft in Rom hatte sich der ehemalige Staatssekretär „a titulo privato" bei dem vatikanischen Unterstaatssekretär Tardini erkundigt, ob die Westmächte mit der gegenwärtigen deutschen Regierung verhandeln würden. Die abschlägige Antwort des Heiligen Stuhls dürfte ihn kaum überrascht haben. Er setzte auf sein gutes persönliches Verhältnis zu Papst Pius XII., über den der ehemalige Staatssekretär in der unveröffentlichten ersten Fassung seiner bereits in den Kriegsjahren verfaßten Memoiren geschrieben hatte, daß er sich „dem Charme der sensiblen, kultivierten Persönlichkeit Pius XII. nie entziehen" habe können.43 Im Grunde waren, wie auch Kessel bemerkte, Weizsäcker und Pius XII. verwandte Persönlichkeiten. „Der Papst und Weizsäcker waren einander sehr ähnlich. D.h. Männer des Gedankens und nicht der Tat. Wenn Hochhuth sie als kalte, machiavellistische Rechner hinstellt, so ist dies völlig verkehrt. Ich hätte mir gewünscht, sie wären etwas machiavellistischer gewesen. Letztlich mangelte es beiden an Vitalität, was keine Schuld ist, sie aber der schlimmen Lage nicht ganz gewachsen sein ließ."44 Gemeinsam mit Ernst von Weizsäcker hatte sich Kessel vergeblich fur die Rettung der römischen Juden eingesetzt und dabei aufs engste mit dem Vatikan zusammengearbeitet. Kessel hat sich später wiederholt publizistisch über seine erfolglose Judenrettungsaktion geäußert und ist dem Schriftsteller Rolf Hochhuth leidenschaftlich entgegengetreten. Kessel konnte sich bei Weizsäcker stets sicher sein, daß seine Sympathien fur das „andere Deutschland" verstanden und gegenüber den Mechanismen der nationalsozialistischen Machtdurchdringung abgeschirmt wurden. In dem kleinen Kreis, zu dem regelmäßige Mittagessen mit dem Kirchenhistoriker Hubert Jedin und der Archäologin Hermine Speier gehörten, konnte sich Kessel aussprechen, weil er sich unter Gleichgesinnten wußte. Hubert Jedin schrieb noch Jahre später in seinen Erinnerungen, daß er erst durch Kessel überhaupt von der Vorgeschichte und den Hintergründen des Attentats auf Hider am 20. Juli 1944 erfahren hatte.45 Denn auch in Rom war Kessel nicht gänzlich von den Nachrichten des Geschehens in Deutschland abgeschnitten. Dafür sorgten insbesondere seine Besucher. Schriftliche Mitteilungen dem überwachten Postverkehr anzuvertrauen, war für die Angehörigen der deutschen Opposition viel zu gefährlich. So traf Kessel ein letztes Mal - was beide nicht wußten - im Juni 1944 mit seinem Freund aus dem Auswärtigen Dienst, Adam von Trott, zusammen. Trott, sieben Jahre jünger als Kessel, war einer der fuhrenden außenpolitischen Köpfe des 19
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Widerstands. Unablässig war er auch in den Kriegsjahren beschäftigt, über Mittelsmänner im neutralen Ausland die Bedingungen für einen separaten Friedensschluß zu sondieren. Kessel betrachtete es als Freundesdienst am Rastlosen, den Gast für ein paar Tage zu verwöhnen.46 „In dieser Umgebung [Venedig] wurde der Krieg unglaubhaft. Wohl flogen eines Mittags silberglänzende Bombengeschwader hoch über den Markusplatz hinweg, die Flak schoß von den umliegenden Inseln und bald stand am nördlichen Himmel eine schwarze Rauchwolke von den brennenden Öltanks in Mestre. Aber auch die Tauben stiegen in rauschenden Geschwadern auf, auch der Scirocco türmte zuweilen dunkle Wolken am Horizont. Spitzen und Gläser warteten in ihrer zarten Schönheit wie immer auf die rätselhaft schönen Frauen, die früher am Arm eines nachdenklich klugen Mannes über den Markusplatz geschlendert waren." 47
In seinen Memoiren schildert Kessel die letzte Zusammenkunft mit Adam von Trott ausfuhrlich. Sie nimmt darin eine Art Schlüsselstelle ein. Trott teilte mit Kessel seine Sorgen mit Blick auf die aussichtslose Lage und Gewissensnöte. Er bedrängte den Freund geradezu, in Rom zu bleiben und sich im Falle des geglückten Staatsstreichs für eine rasche Kriegsbeendigung einzusetzen. Um Haaresbreite hätte Kessel dann beim Abschied dennoch alle Brücken hinter sich abgebrannt und wäre Trott nach Berlin gefolgt. Nur Trotts eindringlicher Rat vereitelte seine überstürzten Pläne. „Du mußt hier bleiben, wir wollen nicht alle Eier in einen einzigen Korb legen", hatte der Freund ihm als Vermächtnis mit auf den Weg gegeben. Kessel blieb in Rom. Dies rettete ihm das Leben. Wäre das Attentat vom 20. Juli 1944 gelungen, hätte ihm Staufenberg unverzüglich ein Sonderflugzeug geschickt, um den Fachmann für Außenpolitik in seiner Nähe zu haben, wenn es darum gegangen wäre, den Krieg zu liquidieren. Doch es kam anders. Das Attentat schlug fehl. Nach dem 20. Juli war Kessel gezwungen, nahezu untätig von der Zuschauertribüne des Vatikans den letzten Akt des Dramas von der Geschichte des deutschen Widerstands gegen Hitler zu verfolgen. Am 6. Juni waren die Alliierten in der italienischen Hauptstadt eingerückt. Rom wurde zur Offenen Stadt. „Was dann über mich hereinbrach, ist unsagbar; wofür wir sieben Jahre gekämpft hatten, war mit einem Schlage vernichtet. Meine Freunde, ein Teil meines Lebens, ja meiner selbst, wurden entehrt, gepeinigt und gehängt. Für mein Vaterland und mein Volk vollzog sich in den nächsten Monaten der unaufhaltsame, entsetzliche Sturz in den Abgrund."48 Zunächst verbrachte Kessel einige Wochen hinter Gittern, weil die Italiener ihn von der Straße weg verhaftet hatten. Es ist für Kessel bezeichnend, daß er, schon bald nach seiner Freilassung, in der überwachten Freiheit des Vatikanstaats, einen letzten verzweifelten Versuch unternahm, um in konspirativen Treffen mit einem Vertreter des britischen Geheimdienstes diesem nochmals seine Überzeugungen für ein anderes Deutschland, die Beseitigung der Hitler-Herrschaft, einen raschen Friedensschluß und den Hinweis auf Ziele und Zusammenhänge des gescheiterten Staatsstreichs vom 20. Juli anzuvertrauen 49 Der Fehlschlag des Attentats hatte ihn nicht etwa vorsichtiger werden lassen, im Gegenteil. Er wußte, 20
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daß er den Gang der Geschichte nicht mehr aufhalten konnte, wollte dann aber wenigstens, daß in London Klarheit über die verpaßte Chance der Zusammenarbeit mit der gescheiterten Umsturzbewegung herrschte. Der Aufenthalt im Vatikan wurde jetzt zu einer Klausur der besonderen Art. „Mein Leben ist hier sehr seltsam, es könnte idyllisch sein, wenn man sonst keinen Kummer hätte und ab und zu heraus könnte", schrieb er in einem an Freunde gerichteten Rundbrief um den Jahreswechsel 1944/45. 50 Nur mit Billigung der Alliierten durften die vier verbliebenen Botschaftsangehörigen den Vatikanstaat verlassen. In zwölf Minuten hatte man die Cittä del Vaticano in der Längsrichtung und in etwa acht Minuten in der Querrichtung den vatikanischen Hügel hinauf durchquert.51 Kessel kam sich vor wie ein Vogel im Käfig. Zwar wurde Botschafter von Weizsäcker regelmäßig von Papst Pius XII. empfangen, doch längst ging es dabei nicht mehr um offizielle deutsche Außenpolitik. Wenn Weizsäcker Ribbentropsche Weisungen ausführte, verdeutlichte er dabei stets, „was die Reichsregierung sagt, und was ich selbst glaube".52 Kessel hatte sich in der nationalsozialistischen Zeit daran gewöhnt, mit zweierlei Sprache zu sprechen und seine wahren Gedanken zu verbergen. Insoweit unterschied sich diese letzte Phase in der vatikanischen Klausur nicht von den früheren. Freilich war es eine unwirkliche Zeit. Angenehm war, daß er, wie alle Mitglieder der Botschaft, über hinreichend freie Zeit verfugte. Er ging in den vatikanischen Gärten spazieren, las am Vormittag in der päpstlichen Bibliothek, hing seinen Gedanken nach über die Zukunft des Reiches und den Gang der Staatenwelt und der deutschen Politik in einer Zeit nach Hider. Die Verborgene Saat, sein Langmemorandum über den deutschen Widerstand gegen Hitler, ebenso wie die Jugenderinnerungen, Das stille Gut, entstanden jetzt. Dieses Dasein war auch mit der bedingungslosen Kapitulation noch nicht zu Ende. Die Botschaftsfunktionen waren nun zwar suspendiert und das Reich verloren, doch das vatikanische Exil ging weiter. Erst 1946, als Botschafter von Weizsäcker gegen die Zusicherung freien Geleits in einem französischen Militärwagen zu seiner Familie nach Lindau am Bodensee gebracht wurde und die übrigen Botschaftsmitglieder - Kessel, Fräulein Rahlke, Braun und der Konsulatssekretär Buyna - das Flugzeug nach Frankfurt am Main bestiegen, war die stille Zeit zu Ende. Von Frankfurt ging es zunächst ins Vernehmungslager - code name Dustbin. „Es war ein Barackenlager, die einzelnen Zellen waren vielleicht dreieinhalb Meter lang und zwei Meter breit. Das Ganze war unerträglich."53 Kessel remonstrierte erfolgreich. Ein wesentlich komfortabler ausgestattetes Domizil, eine Villa fur prominente Gefangene auf den Taunushöhen, wurde Zwischenstation. Danach ging es weiter auf den Hohen Asperg bei Ludwigsburg, wo die Behandlung trotz kleinerer Schikanen und anfänglicher Isolierhaft relativ gut war. „Mittags mußten wir täglich eine Stunde lang auf dem Burghof mit zwei Metern Abstand voneinander im Kreis umhermarschieren, wie die Gefangenen auf dem Bild von van Gogh", lautete der nüchterne Kommentar in seinen Tagebucheinträgen.54 Die Lebensbedingungen blieben spartanisch, die Informationsmöglichkeiten reduziert. Das Großereignis der Zeit, der im November 1945 in Nürnberg eröffnete Prozeß gegen die als Hauptkriegsverbrecher aufgegriffenen überlebenden Mitglieder aus der Führungs21
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riege des Dritten Reiches, war auch auf dem Hohen Asperg das Gesprächsthema Nummer Eins. Kessels Mißbehagen gegenüber der Absicht der Weltkriegsalliierten, über das Dritte Reich zu Gericht zu sitzen, wurde noch stärker, als er erfuhr, daß sein ehemaliger Chef Ernst von Weizsäcker im März 1947 als „freiwilliger Zeuge" aussagen mußte und vom amerikanischen Ankläger Kempner - allerdings vergeblich - zur Mitarbeit für die Anklage als Belastungszeuge gewonnen werden sollte. Im Juli 1947 schließlich wurde der „freiwillige Zeuge" verhaftet und wurde sodann zum ersten Angeklagten im Fall XI, dem sogenannten Wilhelmstraßen- oder Weizsäckerprozeß. Kessel selbst wohnte jetzt in Rieden am Staffelsee. Eine Freundin der Familie hatte ihm ein noch freies Zimmer in einem kleinen Landschloß, in dem sie selbst untergekommen war, als Domizil verschafft. Im Spruchkammerverfahren - Kessel selbst war als entlastet eingestuft - hatte er bereits mit der aufoktroyierten Vergangenheitsbewältigung im Nachkriegsdeutschland seine Erfahrungen gemacht. „Die Nürnberger Atmosphäre mißfällt mir mehr als je und erfüllt mich mit jener Mischung aus Unruhe und Ekel, die mir aus der Nazizeit so geläufig ist", notierte er im November 1947. 55 Wie sollte ein Gericht die historische Wahrheit herausfinden? Aus eigener Erfahrung mißtraute er vor allem dem Quellenwert von in der Diktatur angefertigten Aufzeichnungen. „Wer je als Diplomat unter einem totalitären und verbrecherischen Regime ausgeharrt hat - warum, steht hier nicht zur Debatte - , kennt verschiedene Stufen der Glaubwürdigkeit: [...] Schriftliche Äußerungen sollte man ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Taktik beurteilen. Sie bezwecken oft das genaue Gegenteil von dem, was der naive Leser in sie hineinlegt."56 Die Zeit am Staffelsee war idyllisch, zugleich aber von allen Unzulänglichkeiten des ersten Nachkriegsjahres überschattet. Über ein Jahr war Kessel nun schon in Deutschland zurück. „Ich erwartete ein auch persönlich sehr hartes Leben und Arbeit ohne Ende, dafür hoffte ich, am Wiederaufbau mitwirken zu können. Anstatt dessen habe ich noch keinen Beruf, und vom Wiederaufbau ist wenig oder nichts zu spüren", hatte er desillusioniert im Sommer 1947 geschrieben.57 Er kam vorübergehend als Hilfsreferent beim Evangelischen Hilfswerk in Stuttgart unter, gab einen privaten außenpolitischen Nachrichtendienst - die hektographierten Außenpolitischen Briefe - heraus, der vor allem Kommentar zum Zeitgeschehen war, und versuchte, den Kontakt zu alten Freunden wieder aufzunehmen. Das Nachdenken über Staaten und Konstellationen hatte er auch in jener kargen Zeit nicht aufgegeben. Es entsprach der düsteren Grundstimmung des beginnenden Kalten Krieges genauso wie seinem zum Pessimismus neigenden Naturell, wenn er in seinen Notizen die Zukunft in schwarzen Farben zeichnete, etwa indem er daran erinnerte, daß er bereits 1941 gegenüber einem Schweizer Bekannten von „der Tragödie erster Teil" gesprochen habe.58 Er hatte - innerlich widerstrebend - den Aufstieg der Nationalsozialisten erlebt, das Scheitern von Staatsstreich und Attentat auf Hider gesehen, schließlich den staatlich-politischen Zusammenbruch der „deutschen Katastrophe". Er sei eigendich „kein .bürgerlicher' Mensch", und doch habe „sein ganzes Sinnen und Trachten im vergangenen Jahrzehnt dem Versuch, den auflösenden Tendenzen [entgegen] zu steuern und wieder eine wirkliche ,Ordnung ins Leben zu rufen, gegolten", vertraute er seinem Tagebuch an: „Das Leben als .persönliches 22
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Abenteuer ist mehr ein Ergebnis meiner Skepsis und des Unvermögens, etwas allgemein Gültiges zu verwirklichen." 59 Tiefe Skepsis lautete die Summe der Lebenserfahrungen des früh Gereiften. M u t und Zivilcourage, diese bleibende Lehre hatte er aus dem Dritten Reich mit in die neue Zeit hinübergerettet, waren dünn gesät. Um so mehr bildeten sie das eigentliche Fundament, auf dem ein demokratisches Gemeinwesen gedeihen konnte. Nach der Wiederbegründung des Auswärtigen Dienstes war Kessel einer der ersten, die sich dem diplomatischen Dienst der noch jungen Bundesrepublik zur Verfugung stellten. 1950 wurde er ans Generalkonsulat nach Paris, einer ambassade camoufiee, versetzt. Der Umstand, daß einstige „Vichy-Diplomaten", d.h. Angehörige des Auswärtigen Amtes, die bereits nach dem Waffenstillstand Dienst im unbesetzten Teil Frankreichs taten, für diese neue Aufgabe nicht in Frage kamen und zugleich eine gewisse Vertrautheit mit der französischen Kultur und Zivilisation vorhanden sein sollte, schränkte den Kreis derjenigen, die für die heikle Mission in Frage kamen, von vornherein ein. Kessel verfugte auf Grund seiner Zugehörigkeit zum Widerstand gegen Hitler über eine weiße Weste, er beherrschte durch seine elsässische Kinderfrau die französische Sprache, hatte in den Kriegsjahren in Genf die französischen Einflüsse kennengelernt, und er war immer ein Mann gewesen, für den Bildung und Kultur im Leben einen hohen Rang besaßen. Kessel wurde dem Kunsthistoriker Wilhelm Hausenstein, Adenauers Wahl fur das Amt des Generalkonsuls, einem Seiteneinsteiger ohne Erfahrungen auf dem diplomatischen Parkett und mit ausgeprägtem Mißtrauen gegenüber den Berufsdiplomaten, als zweiter Mann an die Seite gestellt. Nach der ersten Begegnung, gewissermaßen dem Auswahlgespräch, war Hausenstein sehr von Kessels Manieren, seiner noblen Zurückhaltung und dem sympathischen Gesamteindruck angetan: „Kessel kam von Murnau herüber, um sich vorzustellen — war angenehm, wenigstens mir, obwohl ich eine gewisse, fein dosierte Reserve nicht verkennen konnte. Aber eben diese Reserve, bei solcher ersten Begegnung angemessen, gefiel mir, wie mir andererseits die profilierte Originalität der Erscheinung wohl gefiel. [...] Ich gewann den Eindruck, hier sei mehr als Schule, mehr als Routine, mehr als Bildung und Erfahrung, nämlich eine originale Intelligenz und eine nicht alltägliche Tiefe personalen Wesens, wiewohl vielleicht mit einigen komplizierenden Zügen, die quer liegen konnten - dazu das Ingrediens einer distinguierten, Achtung gebietenden Traurigkeit." 60 Selten ist Kessel treffender charakterisiert worden. Kessel behielt gegenüber Hausenstein in seiner Pariser Zeit Distanz. Das von Hausenstein angestrebte freundschaftliche Verhältnis konnte sich deshalb nicht entwickeln. Seine dienstliche Aufgabe begriff Kessel zunächst als die Einleitung vertrauensbildender Maßnahmen. E r drängte sich den Franzosen als Gesprächspartner nicht auf, wartete vielmehr seinerseits darauf, angesprochen zu werden. 1 9 5 1 wurde das Konsulat in eine Botschaft umgewandelt. Die vorrangigen Aufgaben waren nun in der Tat politischer Natur geworden. Kessel wurde im September 1951 zum Stellvertretenden Leiter der „Deutschen Delegation bei den Verhandlungen über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft" berufen. Ein Jahr später, September 195 2, folgte die Ernennung zum Stellvertretenden Leiter der „Deutschen Delegation 23
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beim Interimsausschuß der Konferenz für die Organisation einer europäischen Armee", so hieß jetzt der offizielle Titel der EVG-Delegation der jungen Bundesrepublik. Später wurde die Bezeichnung der deutschen Delegation in „Interimsausschuß der Konferenz für die Organisation einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft" umgewandelt. Kessel hat sich, so lautete das Urteil General Speidels, auch er ein Mitstreiter in der Pariser Delegation, „um die Delegation menschlich und sachlich besonders verdient gemacht."61 Und mit dieser Aufgabe fand er sich gewissermaßen über Nacht im Zentrum der Großen Politik. Die Leitung der deutschen Delegation oblag dem Bundestagsabgeordneten Theodor Blank, einem Mann der christlichen Gewerkschaften und späteren ersten Bundesminister der Verteidigung. Ahnlich wie Blank hatte Kessel den Pleven-Plan zunächst abgelehnt. „Ich ... war in den ersten Monaten der Überzeugung, der sogenannte Pleven-Plan sei ein Humbug, wenn nicht eine Intrige. Gleichwohl habe ich mich dafür eingesetzt, ganz nüchtern zu verhandeln und alles zu vermeiden, was die Atmosphäre verderben könnte. Nach drei bis vier Monaten bin ich dann zu der Überzeugung gekommen, daß sich aus dem französischen Vorschlag doch etwas machen ließe und bin heute ein unbedingter Anhänger der EVG." 6 2 Die Saat freilich ging nicht auf. Denn das weit seiner Zeit vorausgreifende Projekt einer europäischen Armee unter deutscher Beteiligung war am 30. August 1954 am Veto der französischen Nationalversammlung gescheitert. Der letzte Akt der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft blieb Kessel erspart. Bereits im Dezember 1953 war er von seinem Freund Hasso von Etzdorf abgelöst und nach Washington versetzt worden.63 Die wesentliche Erfahrung seiner Pariser Zeit war die Lehre, daß außen- und europapolitisch weit in die Zukunft greifende Schritte zum Scheitern verurteilt waren, wenn sie die nötige innenpolitische Rückbindung verloren. Denn das Nein der Nationalversammlung im August 1954 hatte auch etwas zu tun mit der demütigenden Niederlage, die Frankreich kurz zuvor in Dien Bien Phu im Indochinakrieg erlitten hatte und dem dadurch hervorgerufenen Schlag für das Selbstbewußtsein άα gründe nation. Es ist bezeichnend für Kessel, daß er sich in Paris auf Distanz zum Bonner Betrieb gehalten hatte. Gewiß, er war in regelmäßigen Abständen nach Bonn gekommen, um sich in der Zentrale zu orientieren. Herbert Blankenborn, zunächst als Persönlicher Referent Adenauers in maßgeblicher Beraterposition, war dann zumeist sein erster Anlaufpunkt. Auf Blankenborn gingen auch Kessels Versetzungen nach Paris und Washington zurück. Zu den führenden Christdemokraten, zu Kanzler Adenauer und zu Außenminister Brentano, entwickelte Kessel kein enges Verhältnis. Adenauer hatte er bei dessen erstem Besuch in Paris studieren können. „Er beeindruckte mich, und ich hatte Respekt vor ihm", lautete das Urteil, doch es war von mehreren Prisen Salz durchsetzt. Anfangs hatte er Adenauers Politik noch für gut gehalten, mit den Jahren lehnte er sich mehr und mehr dagegen auf. Adenauers Welt - die Nähe zur katholischen Kirche, die Ablehnung des Preußentums - blieb Kessel unzugänglich, er unterstellte dem Kanzler seinerseits innere Ferne zum 20. Juli, ja bleibendes Mißtrauen denen gegenüber, die sich einmal an einer Verschwörung beteiligt hatten. Kurz: er hielt ihn für einen zynischen Machiavellisten; von Blankenborn abgesehen habe „der Alte" in seiner 24
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Umgebung nur „Menschen, die ihn anhimmelten oder schrankenlos devot waren", geduldet und „Kadavergehorsam" verlangt, schrieb er in den Memoiren.64 Kessel hatte auf Grund seiner frühen Prägungen und den Erfahrungen in der nationalsozialistischen Zeit eine tiefe Skepsis gegenüber anpäßlerischem Mitläufertum entwickelt, und er, dessen berufliche Verwendungen ihn quasi zum Auslandsdeutschen bestimmt hatten, behielt zur jungen Bundesrepublik der Adenauerzeit immer einen gebührenden inneren Abstand. Den Umbruch der 1950er Jahre, die Wirtschaftswunderzeit und die gesellschaftspolitischen Veränderungen im Deutschland der Fünfzigerjahre, verfolgte er aus der Ferne, sie blieben ihm fremd. Nicht selten klagte er über die „ungute Atmosphäre" in Bonn, aber er nahm auch Hoffnungsschimmer wahr. „Das Volk ist vernünftig, und ich habe sogar das Gefühl, daß der materielle Rausch des Wirtschaftswunders einer etwas geistigeren Einstellung Platz macht", schrieb er in seinen Briefen.65 An Paris Schloß sich im Herbst 1954 die Versetzung als Gesandter an die Botschaft in Washington an, damals wie heute der wichtigste Posten des deutschen Auswärtigen Dienstes. Der Handlungsrahmen der Außenpolitik war in jenen Jahren für deutsche Diplomaten noch alles andere als weit gesteckt, zu nah noch waren die unmittelbaren Folgen des Zweiten Weltkriegs. Erst mit dem Inkrafttreten der Pariser Verträge vom 5. Mai 1955 wurde die Alliierte Hohe Kommission aufgelöst, das Besatzungsstatut aufgehoben und die Bundesrepublik für souverän erklärt. Es war indes eine eingeschränkte Souveränität mit Sonderrechten für alliierte Truppen und Vorbehalte betreffend alliierter Rechte und Verantwortlichkeiten in Bezug auf Berlin und auf Deutschland als ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung. Der Beitritt Deutschlands zur Nato, Adenauers Moskau-Besuch, September 1955, der die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Sowjetunion brachte und die Hallstein-Doktrin zur Zementierung des Alleinvertretungsanspruchs, das Scheitern der Genfer Außenministerkonferenz, der „Gipfelkonferenz des Lächelns", November 1955, zeigten, daß die Aussichten auf eine Lösung der gesamtdeutschen Frage immer geringer wurden. Deutsche Frage, Abrüstung und europäische Sicherheit waren ineinander verschränkt. Amerika wechselte zur Strategie der massive retaliation zur Verteidigung Westeuropas. Bei den revolutionären Vorgängen in Ungarn und Polen 1956 verharrten die Vereinigten Staaten in Untätigkeit. Kessel lernte unter diesen Umständen in Washington schmerzlich, wie klein Deutschlands Handlungsspielraum trotz wiedererlangter Souveränität war, und er analysierte den Widerspruch zwischen Freiheitsrhetorik und dem Eintreten für demokratische Kräfte. Deutschland war Partner minderen Ranges. Wenn er nicht gerade die zahlreich nach Washington strömenden Delegationen betreute, dann nutzte er seine Zeit, um Land und Leute kennenzulernen. Gerne unternahm er auch Abstecher in benachbarte Regionen. Trinidad und Tobago gehörten zu seinem Reiseprogramm ebenso wie die Länder Südamerikas. Seine Memoiren sind voll von Reiseeindrücken, von kulturgeschichtlichen Betrachtungen, häufig auch von ganz alltäglichen Beobachtungen. 1958 folgte der Abschied aus Washington, der für ihn, ohne daß dies damals klar war, den Abschied aus dem aktiven Auswärtigen Dienst einläutete. Bei der kleinen Feier, die seine 25
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Kollegen an der Botschaft für ihn organisiert hatten, wurde deutlich, weshalb von Albrecht von Kessel auf seine Mitstreiter ein besonderer Zauber ausgegangen ist. Seit 1927 war er nun im Auswärtigen Dienst. „Es ist nun kein Zweifel, daß Du für viele von uns die Verkörperung des alten Diplomaten bist, wie er in Schulung, Zucht und Tradition in Berlin entwickelt worden ist", resümierte ein namentlich nicht bekannter Weggefahrte. „Und das legt nicht nur für das alte Auswärtige Amt ein besseres Zeugnis ab, als manche ihm heute zuteil werden lassen, es zeigt auch - gerade am Beispiel Deiner Person - , daß von den schindelgedeckten niedrigen Häusern zwischen dem Wilhelmplatz und den Linden ein Weg in die Gegenwart und weiter in die Zukunft führt."66 Im Sommer 1958 war er aus Washington in die Zentrale zurückgekehrt, ohne daß klar war, welcher Posten als nächstes folgen würde. Zunächst war er in die Planungsgruppe im Bundeskanzleramt abgeordnet, um in Vorbereitung der Genfer Außenministerkonferenz von 1959 Vorschläge zur Entschärfung der Berlinproblematik auszuarbeiten. Für den Rest des Jahres trat er unter Hinweis auf seine angegriffene Gesundheit einen längeren Urlaub an. Den ihm schließlich angebotenen Botschafterposten in Oslo lehnte er ab. Was waren die Gründe? Oslo rangierte zwar nicht ganz oben in der Hierarchie der deutschen Auslandsvertretungen, doch es gab schlechtere Posten, und sicherlich wäre Kessel gerade auf Grund seiner Zugehörigkeit zum Widerstand eine ideale Besetzung für ein Land wie Norwegen gewesen, in dem damals die Erinnerung an das Leid unter deutscher Besatzung noch sehr präsent war. Indes paßte ihm die ganze Richtung der Adenauerschen Außenpolitik immer weniger. Offenkundig spekulierte er auf ein baldiges Ende von Adenauers Kanzlerschaft. Wie falsch er die Chancen für einen Kurswechsel einschätzte, zeigt ein Brief an Otto Heinrich von der Gablentz, noch aus Washington, in dem er dessen Pläne, in den Auswärtigen Dienst einzutreten, nachdrücklich ermunterte: „Ich könnte mir vorstellen, daß in den nächsten Monaten ein Wandel in Bonn eintritt, der Ihnen den Entschluß, es doch einmal mit dem Amt zu versuchen, erleichtern könnte."67 Es zählte zu den Enttäuschungen, daß eben jener von Kessel ersehnte außenpolitische Wechsel ausblieb. In Wirklichkeit hatte sich Kessel, als er aus Washington zurückkam, innerlich bereits weit von den Gesetzen des Auswärtigen Dienstes entfernt. Die freie Entfaltung als Gesandter in Washington, die dort vorhandene Zeit zu Muße und Reflexion, hatten ihn in seiner Selbständigkeit, auch in seiner Kritik an der deutschen Außenpolitik, an Adenauer und den Grundstrukturen des Auswärtigen Dienstes bestärkt. Er wollte sich nicht mehr einfügen. Bei seinen Freunden im Auswärtigen Dienst blieb sein Entschluß unverstanden.68 Und auch er selbst scheint einen Rechtfertigungsdruck verspürt zu haben, wenn er etwa an Eugen Gerstenmaier halb reflektierend, halb anklagend schrieb: „Bitte glauben Sie nicht, Oslo sei mir nicht gut genug. Alles, was ich seit acht Jahren an Erfahrungen erworben habe in Frankreich, bei der EVG-Nato und in den USA, wird in Norwegen natürlich brachliegen."69 Sein großes Thema nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst wurde die Deutsche Frage. Nachdem die Fesseln der weisungsgebundenen Tätigkeit entfallen waren, konnte er seinen Uberzeugungen freien Lauf lassen. „Ich glaube", so faßte er Anfang der 1960er Jahre 26
Albrecht von Kessel ( 1 9 0 2 - 1 9 7 6 )
seine Grundüberzeugungen einmal zusammen, „wir sollten viel mehr als bisher beachten, daß die Teilung Deutschlands zugleich auch die Teilung Europas bedeutet. Man könnte sich vielleicht noch vorstellen, daß Washington und Moskau sich auf dem Rücken eines geteilten Deutschlands einigen, dagegen ist es äußerst unwahrscheinlich - unmöglich ist ja nichts in der Politik - , daß sie sich auf dem Rücken eines geteilten Europas einigen."70 Kessels politisches Denken war auf Uberwindung des Status quo gerichtet. 1959 hatte er sich im Auftrag Brentanos in Washington in der Wohnung des Journalisten Jan Reifenberg mit einem Mitglied der polnischen Botschaft zu politischen Sondierungen getroffen. Und der Botschafterposten in Warschau wäre sicherlich die Aufgabe gewesen, die ihn am meisten gereizt hätte und auf die er insgeheim spekuliert hatte. Die Überwindung des Status quo nicht zugreifend und schlüssig als Chance für die deutsche Außenpolitik wahrgenommen zu haben, dies war sein Hauptvorwurf an Adenauer. In einer grundlegenden außenpolitischen Denkschrift hatte er den Bezug zwischen der Überwindung der Teilung Europas und der Welt und dem Auftrag an die deutsche Außenpolitik als Leitlinie formuliert: „Die westliche Welt muß, statt den Status quo zu verteidigen, neue Ideen entwickeln ... Die Bundesrepublik muß trotz gewisser Bedenken ihren Beitrag an Ideen und Anregungen zu dieser Initiative leisten."71 Als Publizist und gefragter Kommentator war Kessel dem politischen Zeitgeschehen weiterhin eng verbunden. Mit seinen ostpolitischen Vorstellungen wurde er zu einem der Wegbereiter der Ostpolitik der Ära Brandt-Scheel. „Wandel durch Annäherung", Bahrs berühmte Tutzinger Formel, hätte auch von Kessel stammen können, und es überrascht wenig, daß Egon Bahr in späteren Jahren - damals zunächst Leiter des Planungsstabs im Auswärtigen Amt und dann außenpolitischer Berater von Bundeskanzler Brandt - zu Kessels geschätzten Gesprächspartnern zählte. In Springers Welt freilich, die ihm 1959 als erstes eine Kolumne angeboten hatte, rief Kessels Kritik an Adenauers Außenpolitik, seine Ouvertüren an den Osten, sein engagiertes Eintreten für die deutsch-polnische Aussöhnung zunehmendes Unverständnis hervor. Zuerst hatten seine außenpolitischen Kommentare heftige Leserbriefreaktionen provoziert, dann wurden seine Kolumnen mit dem - an und für sich selbstverständlichen - Zusatz versehen, daß sie nicht mit der Meinung der Redaktion identisch sein müßten, schließlich wurden sie ganz eingestellt. Mit der Zeit und dem Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt standen ihm zwar weitere Organe zur Meinungsäußerung offen, doch der publizistische Einsatz ließ nach. Neben der Außenpolitik waren es nun vor allem Themen der erlebten Zeitgeschichte, etwa der Abschied von Preußen oder die im Zusammenhang mit Hochhuths „Stellvertreter" hervorgerufene Kontroverse um Papst Pius XII. und die Juden in Rom, bei denen er nochmals leidenschaftlich zur Feder griff. Ende der 1960er Jahre klang Kessels publizistische Tätigkeit aus. Er war damals noch nicht einmal siebzig, doch die Jahre hatten bei ihm ihren Tribut gefordert. Müde und kränkelnd, hatte er sich mehr und mehr zurückgezogen. Enttäuschung über gesamtpolitische Entwicklungen kam hinzu. Kessel war immer ein Unzeitgemäßer. Den Moden, auch den Verirrungen des Zeitgeists, hat er widerstanden. Und dort - wie in der Wiedervereinigungsund Versöhnungspolitik - , wo er seinen Zeitgenossen voraus war, hat er sich am Erfolg spä27
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ter eingetretener Vorhersagen nicht mehr recht erfreuen können. So blieb er etwa, als sich mit Brandts Kanzlerschaft in der „Ostpolitik" bis dahin verschlossene Türen einen Spaltbreit öffneten und die Politik der menschlichen Erleichterungen in den innerdeutschen Beziehungen ein neues Kapitel aufschlug, auf merkwürdige Weise sprachlos. Kessel hatte sich die stoische Sentenz „Leben heißt Krieger sein" zu eigen gemacht. In einem undatierten, in seinem Nachlaß hinterlassenen Gedicht hat er dies so ausgesprochen: „Leben ist immer ein Kämpfen. - / Mögen wir morgen fallen, / wir müssen heute unser Blut, das wilde, dämpfen / Mit froher Spiele ernstem Widerhallen." 72 Die Kämpfe hörten für ihn buchstäblich bis zum Ende nicht auf. Zur letzten großen Arbeit geriet ihm die Niederschrift der Lebenserinnerungen. Die Memoirenfron zog sich seit Anfang der 1970er Jahre dahin. Wieder und wieder wurde das Manuskript umgearbeitet. Fast nie war Kessel mit einem zu Papier gebrachten Stück ganz zufrieden.73 Melancholie und Trauer um den Verlust der Freunde vom 20. Juli, das Gefühl des zunehmenden Unverstanden-Seins prägten die letzten Jahre. 74 Regelmäßig wiederkehrende Besucher in seiner Wohnung in der Bonner Deutschherrenstraße - darunter die Jugendfreundin Hilde von Lavergne und aus dem Kreis der Amtsangehörigen etwa Heinrich Noebel, Jörg Kastl oder Hans-Otto Bräutigam - durchbrachen die Phasen der Einsamkeit. Kessel war immer ein Freund des intensiven Zwiegesprächs gewesen. Er war ein freigiebiger, vorbildlicher Gastgeber, und er war auf eine seltene Weise für die Freundschaft begabt. So wie er sich auf diplomatischem Posten in Paris und Washington zu seiner aktiven Zeit immer auf besondere Weise um jüngere Kollegen gekümmert hatte, so hielt er nach dem Ausscheiden aus dem Auswärtigen Dienst den Kontakt zu seinen „Schülern". Bis heute ist diese Schar nicht klein, und ein jeder hat auf seine Weise dem älteren Kollegen und Freund ein bleibendes Andenken bewahrt. Nicht selten auch waren sie seine Reisebegleiter. Mit Hans-Otto Bräutigam etwa, damals an der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin auf Posten, unternahm er noch im Mai 1974 eine Autoreise, die ihn u.a. zu den großen Kulturstätten Mitteldeutschlands führte: Sanssouci, Naumburger Dom, Magdeburg, Quedlinburg. War es schon eine Abschiedsreise ? Der Gesundheitszustand Kessels verschlechterte sich bald darauf zusehends. Vor allem die Schmerzen im Bein, Folge einer Fraktur und der schleichenden Osteoporose, fesselten ihn an die häuslichen vier Wände. Wiederholte Aufenthalte im Sanatorium Bühlerhöhe brachten nur vorübergehende Linderung. Sein Freiburger Neffe Wolfgang von Buch und die Familie seines Jugenheimer Neffen Kurt von Kessel standen ihm menschlich in den letzten Jahren am nächsten, sie kümmerten sich um ihn und profitierten von seinen Gesprächen. Am Gründonnerstag, dem 15. April 1976, verstarb Albrecht von Kessel und wurde im Kreis der Familie und Freunde auf dem Bonner Südfriedhof beerdigt. Im Jahr 2006 wurde sein Leichnam umgebettet ins Familiengrab auf dem Friedhof in Garmisch, wo auch sein Neffe Kurt von Kessel die letzte Ruhe gefunden hat.
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Einführung in die Edition
ber dreißig Jahre nach seinem Tod werden die Memoiren Albrecht von Kessels der Öffentlichkeit vorgelegt. Für die Publikation waren sie von Anfang an bestimmt. Bis in seine letzten Tage im Frühjahr 1976 hatte Albrecht von Kessel an ihnen gefeilt. Davon zeugen die wiederholten handschriftlichen Überarbeitungen, die unterschiedlichen Fassungen der einzelnen Kapitel. Die nachlassenden körperlichen Kräfte hatten ihm die Arbeit am Manuskript zunehmend erschwert. Albrecht von Kessel stellte hohe literarische Ansprüche an sich und war nur selten zufrieden mit dem, was er geschrieben hatte. Aus seinen nachgelassenen Papieren läßt sich rekonstruieren, daß Kessel bereits Anfang der 1970er mit dem Memoirenschreiben begann. Einzelne Teile, so etwa das Kapitel über Böhmen und Mähren, waren bereits 1971 abgeschlossen, der Teil über die Jahre in Rom in einer Erstfassung 1972, doch auch sie wurden immer wieder überarbeitet. Die fortschreitende Erkrankung der letzten Jahre brachte es mit sich, daß seine Memoiren unvollendet blieben. Die geschlossene Darstellung endet mit Kessels Zeit als Gesandter in Washington im Jahr 1958. Aus der Zeit danach sind lediglich einzelne Fragmente erhalten; sie sind mit in das Lebensbild eingeflossen; der Geschlossenheit halber wurden sie in das vorliegende Manuskript nicht mit aufgenommen. Die Gründe fur das vorzeitige Ausscheiden aus dem aktiven Auswärtigen Dienst, die publizistische Tätigkeit danach, der Herbst des Lebens bis zum Heimgang am Gründonnerstag des Jahres 1976 werden in den Lebenserinnerungen nicht mehr erfaßt.
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Gleichwohl stellen seine Memoiren Albrecht von Kessels geschlossensten Text dar: sie umfassen fast seinen gesamten Lebensweg, bilden einen Beitrag zum inneren Verständnis der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert und zur gerade beginnenden Diskussion über Tradition und Neubeginn im Auswärtigen Dienst nach 1945. Sie zeichnen sich durch den klaren Blick und den soignierten Stil seines Verfassers aus. Kessels Lebenserinnerungen haben die zentralen Erfahrungen der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert zum Gegenstand. Im Prolog schildert Kessel seinen biographischen Hintergrund, seine schlesische Heimat und die Motive, die ihn schließlich zum Eintritt in den Auswärtigen Dienst bewogen. Böhmen und Mähren (1939) behandelt die Zeit von Kessel bei Konstantin von Neurath, dem Reichsprotektor in Böhmen und Mähren nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei im März 1939. Im Kapitel Rom (1943-1946) geht es um die Jahre, die Kessel unter Ernst von Weizsäcker an der Deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl in Rom verbrachte. Der Abschnitt Besetztes Deutschland (1946-1947) handelt von Kessels Rückkehr nach Deutschland, seine kurze Zeit der Internierung und die ersten Stationen des Neubeginns in Stuttgart und Rieden am StafFelsee. Dieses Stück ist lediglich als Skizze erhalten geblieben; eine Verarbeitung zu einem eigenständigen Kapitel ist nicht ersichtlich gewesen. Der Titel Besetztes Deutschland stammt vom Herausgeber. Paris (1948-1953) fuhrt in die Anfange des Auswärtigen Dienstes der Bundesrepublik Deutschland in der unmittelbaren Nachkriegszeit ein 29
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und beschreibt Kessels Aufgabe bei den Verhandlungen für die Europäische Verteidigungsgemeinschaft. Den Schluß bildet das Kapitel Washington (1953-1958), wo Kessel Gesandter an der jungen Botschaft der Bundesrepublik in den U S A war. Die Edition wird ergänzt um eine einfuhrende biographische Würdigung Albrecht von Kessels und einen Anhang mit seinem tabellarischen Lebenslauf. Der Text wird mit der geplanten Edition zum ersten Mal vollständig vorgelegt. Er orientiert sich an den handschriftlichen Korrekturen Albrecht von Kessels an der jeweils letzten Fassung des Manuskripts. Wo auf Grund zeitgeschichtlicher Überlegungen einer früheren Fassung des Manuskripts der Vorzug gegeben wurde, ist dies ausdrücklich vermerkt. Eingriffe in die Edition erfolgten nur dort, wo erkennbare sachliche oder Fehler vorlagen. Offenkundige Schreib- und Interpunktionsfehler wurden stillschweigend verbessert, ansonsten wurden keine stilistischen Änderungen vorgenommen. Auslassungen im Text bzw. Kommentare des Herausgebers wurden mit [...] gekennzeichnet. Zusätze des Bearbeiters zu Personen und Daten finden sich in den knapp gehaltenen Anmerkungen. Auszüge aus dem Manuskript, d.h. das Kapitel über Böhmen und Mähren sowie kleine Teile aus dem Kapitel Rom, sind bereits 1992 im Anhang zu dem von Peter Steinbach herausgegebenen Text Verborgene Saat1 abgedruckt worden. Die Verborgene Saat war von Kessel während seiner römischen Klausur 1944/45 niedergeschrieben worden, sie erhebt keinen Anspruch auf eine umfassende Darstellung der nationalsozialistischen Zeit und wurde von Kessel in seinen Memoiren bereits als weitgehend überholt angesehen. Sie ist indes ein „document humain", erfaßt die Sorgen und Nöte der damaligen Zeit, und dieser zeitgenössische Ton zeichnet sie aus. Kurt von Kessel (1925-1995), der Neffe Albrecht von Kessels, hatte seinerzeit den Anstoß zur Veröffentlichung der Verborgenen Saat gegeben, und seiner Initiative und der seiner Witwe, Christiane von Kessel, ist es letztlich zu verdanken, daß jetzt auch posthum die Lebenserinnerungen erscheinen können. Kurt und Christiane von Kessel haben nicht nur den gesamten schriftlichen Nachlaß ihres Onkels im Familienarchiv sorgsam verwahrt, sie verfolgten interessiert die Fragestellungen der historischen Forschung und wollten dazu beitragen, daß die Erinnerung an Albrecht von Kessel nicht verblaßte. Wenn heute, über zehn Jahre nach Kurt von Kessels Heimgang und mehr als 3 ο Jahre nach Albrecht von Kessels Tod, dessen Lebenserinnerungen erstmals erscheinen, so ist dies Zeichen dafür, daß der schlesische Diplomat, der mit dem Leben aus der Hitlerzeit davonkam, auch in einer ganz anderen Zeit seinen Vorbildcharakter bewahrt hat. Kurt und Christiane von Kessel gilt dafür mein herzlicher Dank. Potsdam, im August 2007
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Prolog
s ist nicht meine Absicht, politische Memoiren zu schreiben, wie es so viele Staatsmänner und Diplomaten seit dem Ende des Ersten Weltkrieges getan haben. Ich will nur erzählen, was ich erlebt, gesehen oder auch nur gehört habe; und zuweilen ja auch, was ich mir dabei gedacht habe. Ein subjektives Buch: Es wurden keine Bibliotheken durchstöbert, keine amtlichen Akten gewälzt. Wenn die Akten mir widersprechen, gebe ich klein bei. Allerdings haben mich vierzig Jahre Umgang mit Dokumenten tiefe Skepsis gelehrt. Viele mögen subjektiv die ehrliche Meinung ihrer Verfasser wiedergeben, aber nicht einmal das ist sicher. Es gibt Fälle, in denen sich ihr objektiver Wahrheitsgehalt auf das Datum und die Unterschrift beschränkt. Aber ich will nicht streiten und nichts beweisen, sondern nur aus meiner Sicht erzählen von dem, was Balzac genannt hat „La condition humaine".
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Da dies Buch vornehmlich von Menschen handelt, möchte ich, damit wir uns nicht zu wichtig nehmen, diesen Seiten eine Legende vorausschicken, wie es dazu kam, daß Gottvater Adam und Eva schuf: Am Abend des fünften Schöpfungstages saß Gottvater in seinem Lehnstuhl und zog an seiner langen Pfeife. Er war von seinem Walten erschöpft und wollte sich zur Ruhe legen, sobald er die Pfeife beendet hätte. Da hörte man auf der goldenen Himmelstreppe ein eiliges Getrappel, und als Gottvater den Blick hob, war er in dem ungeheuren Saal nicht mehr allein. Auf dem riesigen roten Teppich saß ein Hund und blickte ihn durchdringend und bittend an (nach einer Version der Legende war es ein Dackel). Gottvater behielt die Pfeife im Mund und murmelte nur: „Was willst du denn hier?" - „Lieber Gott, ich brauche einen Herrn!" Nun nahm Gottvater die Pfeife ärgerlich aus dem Mund und fragte: „Was willst Du?" - „Einen Herrn, lieber Gott!" - „Was fur ein Unsinn, was soll das überhaupt sein, ein Herr?" - „Das wird Dich Deine Allwissenheit lehren!" Da verschwor sich Gottvater, er sei viel zu müde, diesen kindischen Wunsch zu erfüllen. Und selbst wenn er sich am nächsten Morgen aufraffe, werde daraus nichts Rechtes werden. Der Hund sagte nichts mehr, sondern blickte nur frech und innig zugleich Gottvater an, eine Minute, zehn Minuten, eine halbe Stunde lang. Schließlich verlor Gottvater, der sich endlich zur Ruhe begeben wollte, die Geduld und sagte: „Nun gut, Du sollst Deinen Willen haben." Und es wurde, wie Gott es prophezeit hatte: Der Hund bekam seinen Herrn und hing, wie sonst keine Kreatur, in Treue an ihm, nicht ohne, besonders wenn es ein Dackel war, seine Unabhängigkeit zu wahren und seinen Willen durchzusetzen, wie er es schon bei Gottvater getan hatte. Der Mensch aber wurde Gottes schwächste Leistung. Im November jenes Jahres 1922, das schlecht begonnen hatte und schlechter zu enden drohte, bestieg ich in Breslau den Zug, der mich über Dresden, Chemnitz, Regensburg nach München bringen würde. Fünfzehn Stunden, den Nachmittag und die ganze Nacht über auf harter Holzbank sitzend oder, wenn ich Glück hatte, mich ausstreckend, gaben mir Zeit genug, meine Lage zu überdenken. In wenigen Tagen würde ich meinen Geburtstag, den 31
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zwanzigsten, feiern und war dabei, mein Studium in München anzutreten. Student zu sein, klang das nicht nach unbegrenzter Freiheit und hatte mich nicht München, so oft ich auf ein oder zwei Tage dort gewesen war, durch seine Heiterkeit und Sinnenhaftigkeit entzückt, Vorhof zu Italien, zum irdischen Paradies? War diese Zukunft nicht wie eine goldene Frucht, die auf meinen Knien lag, damit ich danach griffe? Aber ein Kind, nicht nur meiner Eltern, sondern auch meiner Zeit, machte mich eine Mischung aus Naivität und Skepsis, aus Ängstlichkeit und Arroganz wetterfühlig. Ich fürchtete, die verlockende Frucht auf meinen Knien könnte bitter sein. Daß sie nicht nur bitter war, sondern im Kern schon eine Fäulnis barg, die mich durch Jahrzehnte begleiten sollte, konnte ich nicht ahnen. In den ländlichen Bereichen, zu Hause auf dem Gut in Schlesien, wo ich einen heiteren Sommer übrigens auch malend und dichtend, wie es meinem Alter entsprach, verbracht, oder in dem gleichfalls ländlichen Internat Roßleben im Unstruttal1, wo ich im März das Abitur bestanden hatte, konnte man eine leise Zuversicht hegen. Die Wunden des verlorenen Krieges schienen langsam, ganz langsam zu vernarben. In der Stadt aber, also in München, stieß auch der Laie sofort auf die Symptome einer wirtschaftlichen und politischen Seuche. Sie breitete sich rasch aus und nahm von Woche zu Woche an Kraft zu. Ihr Wesen und ihre Bedeutung waren weithin unbekannt: die Inflation. Sie sollte meine und meiner Mitmenschen Existenz in den folgenden zwei Jahren bestimmen, ja in Frage stellen. Zunächst machte ich nur die Erfahrung, daß das Problem jedes Studentenlebens, die Beschaffung einer „Bude", durch eben jene rätselhafte Geldentwertung über das übliche Maß hinaus erschwert war. Schließlich fand ich zwei dunkle, staubige Gelasse, die mit goldenen Möbeln und einer schmalen eisernen Bettstatt verstellt waren. Darüber wachte, nachdem sie mir einen exorbitanten Preis abgenommen hatte, eine besondere Spezies der Tierwelt, der klagende Drache, die Zimmerwirtin. „Frau Major" hatten bessere Tage gesehen und setzte ihre ganze noch verbliebene Hoffnung auf die Fritzi, ihre geniale Tochter, die sicher bald ihr erstes Konzert geben werde. Fritzis Klavierspiel hatte den gleichen Effekt auf die Fensterscheiben wie der Redeschwall ihrer Mutter auf meine Nerven: Sie gerieten beide ins Zittern. Erst später wurde mir bewußt, daß ich in dieser Wohnung und bei den beiden armen Frauen, der alten und der jungen, ein Stück unseres Schicksals erlebte. Die Tradition, die der Witwe eines königlich-bayerischen Majors eine kleine, aber feste Stellung in der Gesellschaft verschaffte, war von Niederlage und Revolution weggefegt; jetzt war die Inflation dabei, auch noch die letzten Reste materieller Sicherheit in Rauch aufgehen zu lassen. Indessen war das Bürger- und Kleinbürgertum noch nicht so verarmt und verbittert, um in Hitler etwas anderes zu sehen als einen „Hergelaufenen", der in Versammlungen hysterische Schreianfälle bekam. Zehn Jahre später würde das anders aussehen. Weltwirtschaftskrise und in ihrem Gefolge die Arbeitslosigkeit würden wie eine Sturmflut für viele den Deich der Vernunft überspülen und zum Brechen bringen und bald auch für eine hysterische oder verbrecherische Minderheit den Deich des menschlichen Anstands. Diese Zukunft aber lag im November 1922 gottlob vor meinen jungen Augen verborgen. Der Arger über die Zimmerwirtin war rasch verflogen, als ich mich zu meinem ersten kurzen Gang - ich wohnte in 32
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der Kaulbachstraße - in die Universität aufmachte. Die Jugend trug damals noch Idealismus und Begeisterung ebenso offen zur Schau wie die heutige Jugend Skepsis und Nihilismus. Wahrscheinlich hat sich aber in den Herzen der jungen Menschen zwischen damals und heute nicht viel verändert. In den „Heiligen Hallen" der Universität würde meine Bildung sich harmonisch vollenden. Im Eiterhaus war der Grundstein gelegt worden, eine sehr tolerante, oder wie man damals sagte, liberale Legierung aus Humanismus, Christentum und bescheidenem Landadel, ein Fundament, auf dem ich, wie sich später herausstellte, auch in stürmischen Zeiten mit beiden Füßen Halt fand. Das Internat hatte nichts davon zerstört, fur eine Schule ein hohes Lob. Es hatte sogar mich, einen ein wenig verzärtelten, ein wenig kränkelnden Nachkömmling, gelehrt, daß es dieses Fundament im Namen der Freiheit mit allen Mitteln, auch der Opposition, ja der Rebellion und des Hochverrats, zu verteidigen galt. Die Universität sollte also, das war meine Hoffnung, Wissen, Schönheit und Weisheit wie ein Brennspiegel zusammenfassen und verstärken. Nur zu bald spürte ich, daß die „Universitas" nicht mehr bestand, sondern in Scherben lag. Gewiß gab es noch einige große Gestalten, die sich wie alte Bäume über dem Buschwerk erhoben. Mit einer Dankbarkeit, die an Ehrfurcht grenzt, sehe ich noch die hohe, weißhaarige Gestalt Heinrich Wölfflins2, des Kunsthistorikers, das Auditorium Maximum betreten. Er war der letzte in der Reihe der Gelehrten, die wie Ranke, Mommsen oder Jacob Burckhardt den geistigen Stil ihrer Zeit bestimmt und den deutschen Geisteswissenschaften - deutsch nicht im nationalstaatlichen Sinn gemeint - weltweites Ansehen eingetragen hatten. Wölfflins Form- und Stilanalysen vor den Lichtbildern in kurzen, aber monumental wirkenden Sätzen, mit kernigem Schweizer Akzent vorgetragen, schlugen uns in ihren Bann, der durch die Dunkelheit des Auditoriums noch verstärkt wurde. Aber es war etwas anderes, fast Irrationales, was uns bewegte: da stand ein großer Herr, der in der Wirrnis der Zeit uns Studenten nicht im Stich lassen würde. Indessen war ich nicht nur nach München gekommen, mich in alle Abenteuer des Geistes zu stürzen, sondern in erster Linie, um Jura zu studieren und nach sieben oder acht Semestern das Referendarexamen zu machen. Ich belegte also brav die vorgeschriebenen oder empfohlenen Vorlesungen und faßte den Vorsatz, sie wenigstens zwei oder drei Stunden täglich zu besuchen. Bald aber begann ich mich nach dem Sinn dieses Vorsatzes zu fragen. Wozu brauchte ich, um dem Staat als Beamter zu dienen, Rechtsgeschichte zu hören? Wozu zwang man mich, das Römische Recht nochmals zu ergründen, nicht etwa in einem kurzen, humanistisch-historischen Überblick, der mich interessiert hätte, sondern umständlich und pompös? Später, an der Breslauer Universität, lehrte ein Professor sogar seine Studenten, das B G B sei „falsch", richtig sei nur das Corpus Juris, ein Professor, der übrigens meiner Prüfungskommission angehörte. Aber auch die Vorlesungen über das geltende Recht, etwa die Einfuhrung in das B G B , gingen über meinen Horizont. Ich verstand sie nicht, konnte sie weder in mein Weltbild einordnen, noch wurde mir ihr praktischer Wert klar. Bedrückt über dieses Versagen fühlte ich nach einigen Wochen bei Studenten älteren Semesters vor, wie es ihnen zu Anfang ergangen
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sei. Um das alles zu verstehen und zu bewältigen, müsse man, rieten sie, zum Repetitor gehen. Auf meine Frage: „Schon jetzt, im ersten Semester? ", antworteten sie lachend: „Nein, erst wenn Sie schriftliche Hausarbeiten machen müssen, von denen Sie verschiedene für die Zulassung zum Examen benötigen. Genießen Sie Ihre studentische Freiheit!" Ich habe das damals hingenommen, wie man Naturereignisse hinnimmt. Aber mußte das so sein, damals vor 45 Jahren und, wenn ich richtig unterrichtet bin, auch heute noch? Ein erheblicher Teil der Professoren interessiert sich offenbar nur für die verschwindende Minderheit unter den Studenten, die selber wieder die akademische Laufbahn einschlagen wollen. Die anderen, sicher mehr als funfiindneunzig Prozent, überlassen sie ihrem Schicksal, unter anderem den Repetitoren. Wo bleibt da das Ethos des Lehrers und seine pädagogische Verantwortung? Das Studium hat mir bis zum Schluß wenig Freude und viel Mühe gemacht. Ich mußte, um das Examen zu bestehen, zum ersten und einzigen Mal „büffeln", d.h. stur und ohne Freude an der Sache lernen. Aber ich wollte Außenpolitik treiben, also Diplomat werden, und dafür war der Referendar die Voraussetzung. Mein Entschluß, als Junge vom Lande Diplomat zu werden, war nicht so absonderlich, wie er auf den ersten Blick erscheinen mag. Beim ostelbischen Landadel war es eine Tradition, daß der älteste Sohn den Familienbesitz übernahm, die jüngeren als Beamte oder Soldaten dem König dienten. Nun hatte ich zwar von meinem jüngst verstorbenen Vater3 auch als dritter Sohn ein Gut geerbt, achthundert preußische Morgen besten Bodens und obendrein im Katzengebirge, einem Hügelzug nördlich von Breslau, landschaftlich zauberhaft gelegen. Aber ich hatte zweierlei Vorbehalte, diesen Besitz, statt ihn meinem zweiten Bruder, Friedrich4, meinem Nachbarn zu verpachten, selber zu übernehmen. Diese Aufgabe hätte mich nicht ausgefüllt, wohl aber, um einen modernen Ausdruck zu gebrauchen, ausgelastet: Ich hätte mein eigener Gutsverwalter sein müssen. Hinzu kam noch etwas anderes. Es gibt das Sprichwort: „Zäune schaffen gute Nachbarn". Nun waren wir drei Brüder,Theodor5, acht Jahre, Friedrich sechs Jahre älter als ich, in ganz Schlesien bekannt fur unsre bedingungslose Solidarität nach außen hin. Ein Breslauer Jude sagte während der Wirtschaftskrise Anfang der Dreißigerjahre: Einem Kessel aus Oberglauche6 - das war der Name unsres väterlichen Gutes - kann man immer Kredit geben, es sind ja immer drei, die dafür einstehen. Aber Solidarität nach außen ist etwas anderes als das Aufeinanderhocken erwachsener Geschwister. Freundliche Distanz ist da nützlich. Obendrein war ich von Kindesbeinen an der Politik verfallen. Politik gehörte in unserer Familie zum täglichen Brot. Es ist nach meiner Erinnerung keine Mahlzeit verstrichen, ohne daß dieses Thema zwischen meinen Eltern berührt worden wäre. Unsrer ahistorischen Zeit mag es absonderlich erscheinen, sich mit der Herkunft und den politischen Auffassungen seiner Eltern in dem Jahrzehnt von 1 9 1 1 - 1 9 2 1 zu beschäftigen. Dabei wären wir Deutsche heute, im letzten Drittel unsres Jahrhunderts, nicht so ratlos, verloren und in den Augen der übrigen Welt auf eine so peinliche Weise ängstlich, wenn wir nicht unsre Herkunft verleugneten. Und auch im persönlichen Bereich gilt, was Goethe im Tasso sagt: „Und was man ist, das blieb man andern schuldig."7 34
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Mein Vater war Schlesier reinsten Geblüts, jenes Volksstammes, fur den „Das Leben eines Taugenichts" 8 - das wir, nebenbei gesagt, gelesen haben - ebenso ein Glaubensbekenntnis ist wie für meine ostpreußischen Vettern „Die Kritik der reinen Vernunft"9, die gelesen zu haben niemand von ihnen erwartete. Er war ein Grandseigneur, der seinen für unsre Gegend recht umfangreichen Grundbesitz mit dem kleinen Finger verwaltete, weil er einen Blick für tüchtige Untergebene hatte, denen er nur Richtlinien gab, um sie plötzlich durch eine kluge Frage oder den kritischen Hinweis auf ein Detail davon zu überzeugen, daß er etwas von der Sache verstand. Im Grunde war er voll heiterer Bonhomie, gab sich aber wie ein verzogenes Kind all seinen rasch wechselnden Stimmungen hin, weil er es genoß, wenn meine Mutter ihn tröstete. Einer Kusine meiner Mutter erklärte er eines Tages: „Weißt Du, Dora ist so vollkommen, daß ich Gefahr laufe, einen steifen Hals zu kriegen, weil ich ständig zu ihr aufblicken muß!" An Statur wirkte mein Vater rundlich und fast untersetzt, war aber in Wahrheit recht groß und ungemein beweglich. Diese, wenn das Adjektiv auf einen Mann angewendet werden kann, graziöse Beweglichkeit und sein dunkles Haar waren das Ergebnis vieler Generationen von Heiraten mit dem einheimischen Landadel. Wir empfanden als Schlesier diese deutschslawische Blutmischung als erfreulich, ja wünschenswert, denn sie machte uns phantasiebegabt, anpassungsfähig und frohgemut. Die große Hakennase meines Vaters allerdings war den Ahnenbildern zufolge ein Erbe aus der vorschlesischen Zeit, als ein Zweig der Familie am sächsischen H o f Dienst 10 tat oder gar noch im Saaletal bei Orlamünde auf dem Hof Kesslar11 saß. Meine Mutter 12 dagegen war sehr schlank und hochgewachsen. Ihr heller Teint, ihre blauen Augen und ihr nicht nur blondes, sondern goldenes Haar machten sie zu einer landauf landab bekannten Schönheit. Neben meinem so lebendigen Vater wirkte sie gelassen, was ihr bei Menschen, die sie nur vom Sehen kannten, den Ruf kühler Unnahbarkeit eintrug. Dabei war ihre Gelassenheit und ihre wenigstens nach außen hin unerschütterliche Heiterkeit nur der Ausdruck ihres Gottvertrauens und großer Selbstdisziplin. Auch Dritten gegenüber war sie von großer Güte, ihrer Familie schenkte sie bis zur Aufopferung ihr Herz. Sie war eine Bethmann Hollweg und hatte nicht nur die zur Familientradition gehörende evangelische Frömmigkeit geerbt, sondern auch die umfassende Bildung ihres Großvaters Moritz August. 13 Dieser war ein Freund Friedrich Wilhelm IV. und der Gebrüder Gerlach14, in der „Neuen Ära" wurde er preußischer Kultusminister. Das Fundament dieser Bildung waren die deutschen Klassiker und Romantiker. Doch stieß ich als Student in unserer Bibliothek auf zwei grüne Oktavbändchen, deren Inhalt mich damals genau so entzückte wie heute: die Essays von Montaigne. Auch Philosophie und Astronomie interessierten meine Mutter, was meinen Vater zu der gutmütigen Drohung veranlaßte, wenn eines seiner Kinder diese Fächer studiere, werde er es enterben. Man könne schließlich einen so weiten Horizont haben, „daß kein Horizont mehr übrig bleibe". Sein Interesse konzentrierte sich neben der Politik und der Landwirtschaft auf Memoiren und Geschichte. Daneben kannte er „seinen" Shakespeare und „seinen" Goethe und zitierte gern aus beiden.
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„Gegen Hitler und für ein anderes Deutschland"
Wenn von den Verwandten meines Vaters wenig die Rede ist, so nur deshalb, weil sie meinen Werdegang wenig beeinflußt haben. Sie waren ebenfalls originell und lebensfroh. Einige unter ihnen waren Spintisierer, die als Lebensberuf Schmetterlinge sammelten oder in einem winzigen Stadtgarten in Jena einen Esel als eine Art von Schoßhund hielten und abends lange über sein Seelenleben sprachen. Als besonders ehrenvoll galt, daß zwei oder drei Vettern meines Vaters sich beim Reiten das Genick gebrochen hatten. Dagegen galten fur die Verwandtschaft meiner Mutter andere Maßstäbe. Ihre Mutter war eine Gräfin Arnim aus Boitzenburg 15 , entstammte also einer jener Familien, die seit dem Großen Kurfürsten in Preußen etwa die gleiche Rolle gespielt hatten, wie in England die Cecils seit den Zeiten der Königin Elisabeth. Ich selbst habe sie nur als liebreiche Großmutter in Erinnerung, die über ihrem weißen Haar eine schwarze Witwenschneppe trug. Meine G e schwister hingegen schilderten sie mir später - sie starb, als ich noch ein Kind war - als anspruchsvoll und schwierig. In jedem Fall muß sie resolut gewesen sein: Anfang der siebziger Jahre entschloß sich Bismarck, unserem Botschafter in Paris, dem Grafen Harry Arnim 1 6 , das Genick zu brechen, weil er entgegen Bismarcks Vorstellungen mit den französischen Monarchisten zusammenarbeitete. Auch wenn Arnim zwar hochbegabt, aber intrigant und menschlich nicht gerade angenehm war, ging es doch zu weit, ihn unter Durchpeitschung einer Strafrechtsnovelle, dem sogenannten Arnim-Paragraphen 17 , wegen,Aktenunterschlagung" zu einer Zuchthausstrafe verurteilen zu lassen, der er sich durch Flucht in die Schweiz entzog. Mehr als 20 Mitglieder der Familie quittierten daraufhin den Staatsdienst. Bismarck hat den Fall Arnim im 26. Kapitel seiner „Gedanken und Erinnerungen" aus seiner Sicht dargestellt18, ein literarisches Meisterwerk, das aber mit der Wahrheit nur entfernt verwandt ist. Als meine Großmutter einige Zeit danach Bismarck auf einem Bahnsteig entdeckte, schritt sie entschlossen auf ihn zu und herrschte ihn an: „Fürst Bismarck, Sie haben gelogen!" Bismarck, die zornige Dame, mit einem Regenschirm in ihrer Rechten, kurz abschätzend, zog es vor, in sein Abteil zu retirieren Wie dem auch sei, durch Großmutter Freda Bethmann Hollweg-Arnim waren wir, da sie unzählige Schwestern besaß, mit allen großen Familien Preußens verwandt: den Dohnas und Eulenburgs, den Stolbergs und Schulenburgs. Die Elite unter ihnen waren große Herren und Damen, die sich den Hohenzollern ebenbürtig dünkten und von dem neu-preußischen und neureichen Getriebe im wilhelminischen Berlin wenig hielten. Ich sah in ihnen einen letzten Abglanz des alten Europa oder erfuhr es vielmehr durch Erzählungen, die ich erst später verstand. Der politische Schwanengesang dieser internationalen Aristokratie war der Wiener Kongreß gewesen, auf dem die „großen Familien" in den Pausen zwischen allen Festen, Liebschaften und persönlichen Intrigen eine friedliche Ordnung aushandelten, die fast uneingeschränkt bis zur Einigung Italiens und Deutschlands Bestand hatte und bis 1 9 1 4 , also 99 Jahre lang, die politischen Vorstellungen als „Europäisches Konzert" bestimmte. Das Ende dieser Epoche habe ich als Kind noch miterlebt. Natürlich konnten wir schlesischen Junker uns mit diesen großen Familien und ihren Gütern weder an Rang noch an Reichtum messen. Indessen verkehrten sie gern mit uns, sei es, weil meine Eltern aus dem Rahmen fielen, sei es wegen der guten Fasanenjagden und der
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vorzüglichen Diners. Und wir wiederum empfanden ihnen gegenüber keine Minderwertigkeit, sondern kuschelten uns, um mit Gustav Freytag zu reden, vergnügt in unser „Nest der Zaunkönige". Indessen hat weder die Verwandtschaft meiner Großmutter noch die Familie Kessel, von der politischen Leidenschaft meines Vaters abgesehen, einen Einfluß auf meine Berufswahl und damit meinen Werdegang ausgeübt. Wenn ich nach mancherlei Hin und Her im Jahre 1927 nicht wie mein Vater Landwirt und Politiker, sondern Diplomat wurde, geht dies auf die Bethmann Hollwegs zurück. Der jüngere Bruder meiner Mutter, Dietrich 19 , war vor dem Krieg, nachdem er sich als Mitglied des deutschen Expeditionskorps an der Bekämpfung des Boxeraufstands in China beteiligt hatte, in den Auswärtigen Dienst eingetreten und war in Haag, London und Wien auf Posten gewesen. Während des Krieges war er Botschaftsrat in Bern, hatte aber nach der Niederlage und dem Sturz der Monarchie seinen Abschied genommen. Ein Vetter meiner Mutter, Gerhard von Mutius 20 , war dagegen in der Weimarer Zeit Gesandter erst in Kopenhagen, dann in Bukarest. Daher war mir der diplomatische Dienst nichts Fremdes. Einen weit größeren Eindruck machte es auf mich, daß ein Vetter meiner Mutter, Theobald von Bethmann Hollweg, im Jahre 1909 Reichskanzler wurde.21 Ich höre noch die Stimme meiner Mutter, wie sie, es war in einem Gutshaus von Verwandten, meinem Vater aus dem ersten Stock in den Garten hinunter zurief: „Man hat eben telefoniert, Theo ist Kanzler geworden." Ganz konnte sie bei aller Gelassenheit ein wenig Aufregung, ein wenig Stolz in ihrer Stimme nicht unterdrücken. Mir aber, neben meinem Vater stehend, schwoll die Brust in kindischem Triumph: Patensohn des Kanzlers zu sein, würde meine Stellung als Nachgeborener gegenüber meinen Geschwistern stärken. Was ich hier über den Reichskanzler, meinen Patenonkel, notiere, ist eine Mischung aus eigenen Eindrücken und Bemerkungen meiner Eltern. Immerhin glaube ich, daß man auch als Neun- bis Vierzehnjähriger genau beobachten kann, wenn man auf Ungewöhnliches vorbereitet ist. So sah ich den Onkel zum ersten Mal mit Bewußtsein, als er aus dem Aufzug stieg, der ihn zu der Wohnung brachte, die meine Eltern im Winter 1 9 1 1 / 1 2 in der Kurfurstenstraße, gegenüber dem Zoo gemietet hatten: Ein baumlanger, schlanker Mann mit einem Spitzbart und ernsten, etwas traurigen Augen. Er sprach leise, was ich mochte, und wenn er sich einmal an mich, seinen kleinen Patensohn, wandte, schien er mich für voll zu nehmen. Im Vergleich zu meinem Vater wirkte er ein wenig müde und mehr von dem verantwortungsbewußten Ethos des Beamten bestimmt als von politischer Leidenschaft. Er hat sich auch nur zögernd dazu bewegen lassen, den Posten eines Staatssekretärs des Innern (Reichsinnenminister) mit demjenigen des Kanzlers zu vertauschen. Dünnhäutig, kultiviert und musikalisch wie er war, mochte er wohl ahnen, daß er der Aufgabe - grob gesprochen - nicht gewachsen war. Im Frühsommer 1914 traf ihn der erste Schlag im persönlichen Bereich: Er verlor seine reizende Frau, die ihm ein großer Halt gewesen war.22 Wenige Monate später fiel sein von mir vergötterter ältester Sohn Friedrich23 in Polen. Daß dieser seinem Vater Sorgen bereitet hatte, verstand ich erst später. 37
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Aber ich habe den berühmten Onkel nicht nur in der eher düsteren Wohnung in der Kurfurstenstraße gesehen, sondern auch in den hellen Salons und dem großen weißen Saal der Reichskanzlei. Ich war beeindruckt, als Vater mir erzählte, hier habe früher Bismarck gewohnt. Doch noch tiefer beeindruckt war ich, als Felix 24 , der jüngere Sohn des Hauses und wohl fünfJahre älter als ich, mich ins Obergeschoß mitnahm und mir seine Sammlung von deutschen Kolonialmarken zeigte. D a waren nicht nur die Pfennigwerte im normalen Format mit der Fregatte, sondern auch die Markwerte im Querformat mit der Jacht Hohenzollern. Diese zu besitzen oder im abendlichen Garten daheim den ungeheuer großen und fürchterlichen Totenkopf-Schmetterling zu fangen, hätte mich aufjeden Kanzler, jeden Krösus hinabblicken lassen. Wenn ich die Gespräche meiner Eltern über den berühmten Verwandten, den Reichskanzler, aus den Abgründen meines Gedächtnisses heraufzuholen, zu verstehen und logisch zu rekonstruieren versuche, so meine ich, eine zunehmende Kritik herauszuhören, vor allem seit Anfang des Krieges bis zu Bethmann Hollwegs Rücktritt. 25 Doch war diese Kritik humaner und fairer als heute. Man hatte noch nicht die Gewohnheit angenommen, seine Mitmenschen namens einer gleichmacherischen Demokratie mit heuchlerischem Augenaufschlag um Ehre und Reputation zu bringen. Die Kritik meiner Mutter am Kanzler war streng, aber durch Sympathie und Familiensinn gemildert. Mein Vater hätte sein scharfer Gegner sein müssen, denn in seinen Augen stand Bethmann Hollweg zu sehr im liberalen Lager. In der Theorie war Vater nämlich ultrakonservativ, auch war er Anhänger des preußischen Dreiklassenwahlrechts, das sich nach dem Steueraufkommen richtete und den wenigen Höchstbesteuerten das gleiche Stimmgewicht gab wie der größeren Mittelschicht und der Masse der Geringbesteuerten. Zwar gehörte mein Vater nicht zu jenen Engstirnigen, die sich, wie es jüngst ein Historiker ausdrückte, vorstellten, man könne den aufstrebenden Industriestaat immer noch vom ostelbischen Gutshof aus regieren, dazu kannte er sich in der Welt viel zu gut aus. Aber er wünschte den unvermeidlichen Abbau der Privilegien nicht zu beschleunigen, sondern zu verlangsamen. Darüber hinaus erschien ihm des Kaisers Flottenpolitik als unheimlich, seine Kolonialpolitik als ein überflüssiges Hobby, eher eine gefährliche Spielerei. In all diesen Punkten hätte es zu einem Zusammenstoß mit Bethmann Hollweg kommen müssen, der aber ausblieb. Meinem Vater lag die Debatte, aber nicht der Streit. Deshalb stand er auch mit den wenigen Vertretern der Sozialdemokratie im Abgeordnetenhaus persönlich auf kollegialem Neckfuß. Was er dem Reichskanzler im Grunde vorwarf, war, daß er nicht kraftvoll genug regierte. Typisch dafür war ein Ausspruch, den ich mir über mehr als 50 Jahre hinweg gemerkt habe: „Iheo läßt sich vom Kaiser viel zu viel gefallen. S[eine].M[ajestät]. hat ihn zum Vortrag bestellt, ihn aber dann angeherrscht, weil er Schnupfen hatte. Er, der Kaiser, wollte sich doch nicht anstecken. Da hätte doch Theo nach einer höflichen Verbeugung kurz kehrt machen müssen!" In jüngster Zeit hat nun ein deutscher Historiker, Professor Fischer 26 , festgestellt, daß eben dieser Reichskanzler Bethmann Hollweg die Hauptschuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs getragen habe, ein Mitglied jener extrem anglophilen Familie, ein Kanzler, der 38
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internen Familien-Berichten zufolge in Tränen ausgebrochen war, als ihm der Britische Botschafter die Kriegserklärung überreichte! ? Gewiß, er hat in den ersten Kriegsmonaten eine Aufzeichnung über mögliche deutsche Kriegsziele unterschrieben und an den Kaiser weitergereicht, wahrscheinlich im Verlaß darauf, daß die Zeit ihre Korrektur an dem Dokument üben werde, was sie ja dann auch durch massiven Ausschlag in entgegengesetzter Richtung getan hat. Hat der erwähnte Professor sich einmal mit den Kriegszielen der Russen und Franzosen auseinandergesetzt, zum Beispiel mit den französischen Annexionswünschen um die Jahreswende 1918/19 ? Seit ich erwachsen bin, habe ich es für absurd gehalten, die damals am Krieg beteiligten Mächte in blütenweiße oder pechrabenschwarze Schafe einzuteilen. Die Schuld Englands war vielleicht geringer als die der anderen, aber wenn es um Schuld geht, stehen auch die Deutschen nicht an erster Stelle. Nur ist es verfehlt, den Maßstab der Schuld, ja des Verbrechens, wie wir ihn heute sehen, an das Handeln der europäischen Staatsmänner im Sommer 1914 zu legen. Tausend Jahre lang hatten wir Europäer frischfröhlich Kriege gefuhrt, warum sollten wir es nach einer überlangen Friedenszeit nicht wieder einmal versuchen? Man lese hierzu den großartigen Brief Paul Valerys, der im Jahre 1919 unter dem Titel „La crise de 1 esprit" in der „Nouvelle Revue Franchise" erschienen ist.27 „Auch wir wissen jetzt, daß wir sterblich sind [...] Ninive und Babylon waren schöne Namen und ihr totaler Ruin ohne Bedeutung für uns. [...] Aber jetzt wissen wir, daß der Abgrund der Geschichte groß genug ist für die ganze Welt." Aber noch etwas anderes ist zu der Ächtung Bethmann Hollwegs zu bemerken: Man sagt, und wie mir scheint zu recht, ein Mann über 50 sei für sein Gesicht verantwortlich. Man sehe sich daraufhin einmal die Photographien, die von diesem „Kriegskanzler" existieren, an, denn er war 5 8 Jahre alt, als die Katastrophe eintrat. Sie stellen einen nachdenklichen, etwas melancholischen Mann von hochgezüchtetem Geblüt dar. Kann ein Mann dieses Aussehens ein habgieriger, ehrgeiziger Hasardeur sein? Wenn ich alle Erinnerungen an ihn wegwische und alles, was mir als Kind oder Halbwüchsigem über ihn erzählt worden ist, befällt mich angesichts dieser Photographien ein Erschrecken. Gehört er nicht zur gleichen Kategorie wie im Zweiten Weltkrieg der deutsche Botschafter beim Vatikan, Ernst von Weizsäcker28, und Papst Pius XII. 29 ? Alle drei hielten sich an die subtilen und noblen Regeln von Cricketspielern, während die Zeitläufte längst den Freistilringern den Triumph bescherten. Nach Ablauf einiger Jahre beschuldigten dann Historiker und Dramatiker nicht die Freistilringer, sondern die Cricketspieler, sie seien Machiavellisten gewesen — und gewisse Dokumente und Akten, die sie genießerisch auswerteten, schienen ihnen recht zu geben. Indessen war ich trotz dieser verwandtschaftlichen Beziehungen bis zum Spätsommer 1918 entschlossen, Kunstgeschichte zu studieren. Von meiner Mutter angeregt, hatte mich plötzlich eine geradezu wilde Begeisterung für alte Malerei gepackt. Und während der beiden Vorkriegswinter, die meine Eltern mit Anna, meiner um zehn Jahre älteren Schwester30, und mir in Berlin verbrachten, stapfte ich Zehn- oder Elfjähriger eifrig und hingerissen durch das Kaiser-Friedrich-Museum und mit der Zeit auch durch die Sammlung griechi39
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scher Vasen. Was ich mir dabei gedacht, was ich davon verstanden habe, ist ohne Belang - ich habe aus dieser Vorliebe bis heute ungezählte Stunden hohen Genusses und besinnlicher Heiterkeit geschöpft. Als ich daher noch im Kindesalter den Eltern meinen Entschluß mitteilte, Kunstgeschichte zu studieren, war meine Mutter erfreut, mein Vater einverstanden. Er war der naiven Uberzeugung, jedem seiner vier Kinder sei eine große Laufbahn beschieden. Anna, mit ihrer aparten dunklen Schönheit und ihrem überlegenen Verstand, würde binnen kurzem eine, wie man damals sagte, „glänzende Partie" machen, einen Mann aus bester Familie mit großem Landsitz heiraten und meinem Vater unzählige strahlende Enkelkinder bescheren. Theodor, der von einem kinderlosen Vetter meines Vaters das FamilienFideikommiß erben sollte und Friedrich, der den väterlichen Besitz erben würde, „könnten ihr Leben als Gutsherren sinnvoll genießen, reiche Ernten einbringen und entweder, seinem Beispiel folgend, ins Abgeordnetenhaus einziehen oder [als] Landräte im heimatlichen Kreis wirken". Wenn ich Kunstgeschichte studieren wollte, so sei ihm das sehr recht; ich könne ja dann Nachfolger Wilhelm von Bodes 31 als Generaldirektor der Berliner Museen werden! Es erschien ihm ganz selbstverständlich, daß ich dazu ausersehen sei, eines Tages die Nachfolge dieses berühmten Mannes, den er sehr bewunderte, anzutreten. Indessen begann ich in den letzten Kriegsjahren zu kränkeln, teils aus Heimweh, teils wegen schlechter Ernährung in der benachbarten Kreisstadt Oels, wo man mich ab Ostern 1916 zwecks Besuchs des Gymnasiums einem wohlmeinenden, aber hilflosen Superintendenten-Ehepaar ausgeliefert hatte. Schatten an meinen Lungenspitzen stellten sich ein und nahmen zu. Es war deshalb ein Geschenk des Himmels, daß Tante Renata 32 , die damals noch mit meinem Onkel Dietrich verheiratet war und in Bern lebte, eine Hilfsaktion einleitete. Nicht nur ihre drei eigenen Kinder, sondern auch ich und zwei Kusinen sollten mit ihr acht Sommerwochen in Sils Maria im Engadin verbringen. Onkel Dietrich hatte für uns die schwer zu erhaltende Einreise-Bewilligung in die Schweiz erwirkt. Eines Abends nahm uns die Tante in Zürich in Empfang. Als sie zum Gute-Nacht-Kuß an mein Bett trat, legte sie eine Tafel Schokolade auf den Tisch. Sie hat wohl nicht gemerkt, welch ungeheures, befreiendes Geschenk sie mir damit machte: Von jetzt an also könnte ich essen, soviel ich wollte - es ging nicht um die Schokolade, sondern das Essen überhaupt. In den letzten zwei Jahren hatte ich viel gehungert, weil man mir auf Grund von preußischpuritanischen Erziehungsprinzipien, die in diesem Fall höchlichst unangebracht waren, allzuoft gesagt hatte, die Not sei groß und auch ich müßte mich im Essen einschränken. Ich überschätzte die Bedeutung dieser Ermahnung, befolgte sie über Gebühr und wurde immer magerer. Späterhin eilig ergriffene Gegenmaßnahmen schlugen kaum an. Jetzt sollte das alles besser werden. Am nächsten Abend trafen wir in Oberhofen am Thunersee ein, wo Tante Renatas Mutter, Gräfin Helene Harrach 33 , geborene Pourtales, ein Schloß besaß. Als wir die Eingangshalle betraten, flammten alle Lüster auf, und die riesige, sehr viktorianische Treppe kam eine kleine, etwas rundliche Frau herabgeeilt. Unzählige Ketten und Armbänder - und vielleicht sogar die Ohrringe? - klimperten und klirrten an ihr, so daß mir, wenngleich entsetzt über 40
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den respektlosen Vergleich, unsere heimatlichen Schlittenpferde einfielen. Tante Helene, das wußte ich von früheren Begegnungen, war eine Persönlichkeit. Sie, die eine Schönheit gewesen war, erschien meinem rasch abschätzenden Blick noch jetzt als solche: Denn ihr Antlitz war das eines kräftigen Falken, der mit unbeirrbarem Auge seine Umgebung beherrschte. Sie überschüttete uns mit einem Schwall herzlicher Begrüßungsworte, küßte jeden von uns ab und bewies durch jede ihrer Gesten, daß sie zwar keine Französin war, wohl aber, wie die Deutschschweizer es ausdrücken, eine „Welsche" aus dem Kanton Neuenburg (Neuchätel), der bis 1857 zum Königreich Preußen gehört hatte.34 Ihr Großvater, Frederic Pourtales35, war noch unter Friedrich dem Großen in Potsdam Kadett im Ersten Bataillon Garde gewesen. Später war er in Paris in den Dienst Napoleons getreten, der ihm den Grafentitel verliehen hatte. Er war zum „Grand Chambellan" der Kaiserin Josephine aufgestiegen. Eines Tages, so will es die Legende, habe er ihr zu Füßen gelegen und ihr eine glühende Liebeserklärung gemacht. Da sei Napoleon in den Salon getreten und Josephine, gewohnt, derlei Situationen zu meistern, habe ihrem Gemahl treuen Blicks erklärt: „Der Graf Pourtales hat mich gerade um die Hand von Mademoiselle de Castellane, meiner Hofdame, gebeten!" Ob Pourtales verdutzt war oder nicht, berichtet die Legende nicht. Jedenfalls heiratete er die ebenso vornehme wie reiche Castellane. Von ihrer Mitgift wurde Schloß Oberhofen gekauft. Dieser Ehe entsprossen zwei Söhne, die wiederum in preußische Dienste traten. Einer von ihnen, Albert, war mit Anna Bethmann Hollweg, der Schwester meines Großvaters, verheiratet, so daß Tante Renata nicht nur meine angeheiratete Tante, sondern auch meine Kusine zweiten Grades war. Sie erzählte noch einen Nachtrag zu der vorstehenden Legende: Albert Pourtales, der Botschafter in Konstantinopel gewesen war und 1862 als Botschafter in Paris starb - Bismarck wurde dort sein Nachfolger - hatte in Venedig einen Palazzo am Canal Grande gemietet. Eines Tages sah er, neben seiner Frau sitzend, die Marchesa Pisani in ihrer Gondel vorbeifahren, worauf er sich kurzentschlossen vom Balkon ins Wasser stürzte und hinter der Marchesa herschwamm. Auf meine Frage, wie ihre Großmutter sich verhalten habe, antwortete Tante Renata: „Oh, sie war sehr placide!"36 Als ich am ersten Morgen in Oberhofen in einem breiten Himmelbett aufwachte, fiel mein erster Blick auf die Tapete. Da rankten an einem Spalier Hunderte von blauvioletten Clematisblüten in lichtgriinem Laub an den Wänden. Ich schoß aus dem Bett, stieß die Fensterläden auf, und - oh Wunder - über dem dunklen Laub der Bäume sah ich drei eisbedeckte Gipfel. Ich sagte mir andächtig die Worte auf: .Jungfrau, Mönch und Eiger." Die Namen hatte ich gelernt; daß es mir aber einmal vergönnt sein würde, diese Berge mit eigenen Augen zu sehen, überstieg all meine Erwartungen. Nach dem Frühstück lief ich auf die kleine, dreieckige Seeterrasse hinaus zwischen dem Hauptbau des Schlosses mit seinem spätmittelalterlichen Turm und einem kurzen Flügel, der wohl aus dem Beginn des 19. Jahrhunderts stammte. Zwischen Kieswegen lag ein kleines Teppichbeet mit knallbunten Blumen. In seiner Mitte erhob sich die winzige, aus Stein ziselierte Kuppel einer Moschee, die mein Großonkel offensichtlich aus Konstantinopel mitgebracht hatte. Ein kleiner Wasserstrahl stieg aus ihr empor und unterbrach mit seinem zarten Geplätscher die morgendliche 41
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Stille des Schlosses, der Terrasse und des sich gen Osten ausdehnenden Parks. Uber eine mit Geranien bestückte niedrige Mauer hinweg fiel mein Blick auf den sanften Spiegel des Thunersees. Zur Linken, im Morgenlicht verschwimmend, entdeckte ich die drei lilienweißen Gipfel der Blümlisalp37: „Und an dem Horizonte löst der Schnee Der fernen Berge sich in leisem Duft." 38
Nach wenigen Tagen mußte ich dieser Märchenwelt Lebewohl sagen und Schloß, Terrasse und Park, See und schneebedeckte Viertausender den Falkenaugen meiner Großtante überlassen. Tante Renata brach mit uns ins Engadin auf. Das war keine Reise im heutigen Sinn; es war weder Reisetourismus noch ein intimer Familienurlaub, sondern ein strapaziöses Unternehmen. Tante Renata mit ihren drei Kindern, Joachim, Verena und Hans, die ich als Halbgeschwister betrachtete, weil sie lange Zeit unser schlesisches Landleben geteilt hatten, bildeten die Tete - dicht aufgeschlossen folgten meine Kusinen Christa Vitzthum und Ilse Schwerin, und schließlich ich. Dann kam derTroß: zwei Erzieherinnen und eine Kinderschwester, und als Nachhut die Zofe meiner Tante. Wo immer wir einen Zug bestiegen oder verließen, standen vom rotbemützten Stationsvorsteher, der uns höflich begrüßte, kommandiert die Gepäckträger aufgereiht. Die Züge fuhren, um Kohle zu sparen, sehr langsam, und so bewegte sich unsere Prozession ohne ungebührliche Hast vom Vormittag bis in den Abend von Thun über Bern, wo die Zeremonie des Umsteigens weidlich ausgekostet wurde, bis nach Chur. Dort stiegen wir im Hotel zum Steinbock ab, um uns auf 800 m Meereshöhe an das Hochgebirge zu akklimatisieren. Am nächsten Tag fuhren wir mit der Rhätischen Bahn nach St. Moritz. Die Strecke versetzte die Jugendlichen unter uns in Aufregung wegen ihrer Viadukte und Kehrtunnel, die damals als etwas Außergewöhnliches galten. Die letzte Etappe von St. Moritz nach Sils Maria legten wir im Pferdewagen zurück, weil das Engadin für Autos noch gesperrt war. Im Hotel „Waldhaus", einem großen „Kasten" auf einer Anhöhe über dem Dorf, wartete eine ganze Flucht von Zimmern auf uns. Der heutigen Jugend muß unser damaliges Unternehmen als pompös, ja fast peinlich neureich erscheinen. Dabei haben sich lediglich die Begriffe von Komfort und Luxus verschoben. Gewiß, Tante Renata hatte zweifellos Freude an ihrem Auftritt mit großem Gefolge. Das Entscheidende jedoch ist, daß man seinen Wohlstand oder Reichtum in jenen Tagen unbefangener genoß als heute, wo selbst ein Multimillionär seinem mit allem Aufwand und Luxus erbauten Haus das Aussehen eines Bungalows zu geben sucht. Daß er Mitglied eines exklusiven Segelklubs auf den Bahamas ist, ein Haus auf Teneriffa besitzt und über ein Privatflugzeug verfugt, erzählt er zwar jedermann, aber nur hinter vorgehaltener Hand. Ein großer Sommer stand in jenen Wochen über dem Engadin, und mein kindliches Herz erschrak fast vor seinem strengen Glanz. Oberhofen war ein Märchen gewesen, und seither haben viele Märchenländer oder -inseln vor meinen Augen gelegen. Hier aber empfand ich 42
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einen Ausspruch, der an mich gestellt wurde und der mich mit einem seltsam kühlen Glück erfüllte: Hier entdeckte ich mein irdisches Paradies. Auf der Jagd nach Alpenblumen durchstreifte ich die lichten Lärchenwälder, suchte sie auf fetten Almen oder einsamen Matten und wagte mich an kleine Felsgruppen heran. Mein Herbarium vermehrte sich von Tag zu Tag. Denn damals wußte ich noch nicht, daß man zwar gezüchtetes Obst essen muß, um es voll zu genießen, wilde Blumen aber an ihrem Standort sich entfalten, blühen und vergehen lassen sollte. Um die Tante sammelte sich ein Kreis von Fremden und Bekannten, ergänzt durch jugendliche Verehrer meiner Kusinen. Dem Stil der Zeit entsprechend wurden ausgedehnte Wagenfahrten unternommen bis an den Rand des Fexgletschers oder bis weit hinab in das schon südliche Bergell. M i r bereiteten diese Ausflüge eher Unbehagen mit dem Zwang zum Stillesitzen im engen Wagen. Dazu kamen noch die vielen Fremden um mich her. Die erzieherischen Aspekte des Umgangs mit ihnen sah ich natürlich nicht ein. Indessen wären diese Ferien ein ungetrübtes Glück gewesen, wäre ich nicht schon damals von der Leidenschaft für Politik besessen gewesen. Deshalb stürzte ich jeden Abend vor dem Essen an das Schwarze Brett gegenüber der „Reception" und las die Heeresberichte der Mittelmächte und der Entente. Die ersten zwei oder drei Wochen war ich voll geheimen Jubels, überzeugt, uns werde der große Durchbruch im Westen gelingen und der Krieg damit gewonnen sein. Das war nicht so kindisch, wie es sich heute anhört. Denn im Frühsommer 1918, so erfuhr man später, erhoben sich auch in Paris, London und vor allem Washington ernsthafte Stimmen, man sei dabei, den Krieg zu verlieren und solle lieber Frieden schließen. Dann aber häuften sich die Hiobsbotschaften von der Westfront. Immer mehr amerikanische Truppen griffen in die Kämpfe ein, und die englischen Panzer wurden zur kriegsentscheidenden Waffe. Eines Tages erhielt ich dann einen Brief von meinem rührenden Vater, der sich verpflichtet fühlte, seinen jungen, im neutralen Ausland lebenden Sohn über die politische Lage zu unterrichten. Spionage und Zensur waren für ihn etwas, das nur in Romanen von zweideutigen Gestalten praktiziert wurde. So schrieb er denn in seiner ebenso barock-dekorativen wie schwer leserlichen Handschrift, ganz unverblümt, die Kriegslage habe sich zum Schlechten gewandt. Deshalb hätten die preußischen Konservativen beschlossen, die Verstimmung, die seit dem Daily-Telegraph-Interview des Kaisers 39 zwischen diesem und den Konservativen bestand, aus dem Weg zu räumen. Seine Partei hätte ihn als Vermittler mit einer mündlichen Botschaft zum Kaiser ins Hauptquartier geschickt, der die Botschaft „gnädig" entgegengenommen habe. Für die uns Heutigen unvorstellbar „legere" Art, wie damals Politik betrieben wurde, ist ein Detail bezeichnend, das mein Vater mir später erzählte: E r habe den Auftrag gehabt, nur eine mündliche Erklärung abzugeben, sich aber nicht zugetraut, sie ganz genau wiederzugeben. Deshalb hätte er sie in sein Notizbuch geschrieben und sie aus diesem dem Kaiser vorgelesen. Hätte der Kaiser nach dem Text verlangt, so hätte er erwidert, er könne sich von dem Notizbuch wegen anderen darin enthaltenen Vermerken und Adressen nicht trennen. Was mich an dem Brief vor allem bewegte, war die Bemerkung über die verhängnisvolle Entwicklung des Krieges, die mir nebenbei Abend für Abend am Schwarzen Brett bestätigt 43
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wurde. Ich fraß meinen Schmerz und bald auch meinen Zorn in mich hinein. Denn wenn schon meine Kusinen und Vettern zu jung und zu töricht waren zu verstehen, was an der Front vor sich ging, so fand ich das Verhalten der heißgeliebten Tante unverzeihlich. Statt mit rotverweinten Augen in Sack und Asche durch das Hotel zu schleichen, lebte sie unverdrossen im bisherigen Stil weiter. Es wurden Ausflüge unternommen, man tafelte weiter wie bisher, sie sprach fröhlich mit jedermann. Ich war in dem fanatischen Patriotismus meiner fünfzehn Jahre bis ins tiefste Herz hinein empört, daß sie das Unglück unseres Vaterlandes geflissentlich übersah. Sie schien mir unwürdig, Deutschland zu vertreten und ich faßte in jenen Wochen den Entschluß, Diplomat zu werden: Ich würde mich anders betragen. Vierundzwanzig Jahre später, nach der Katastrophe von Stalingrad, erhielten wir am Konsulat in Genf die Weisung, uns gesellschaftlich aufs Äußerste zurückzuhalten. Mein Freund Gottfried Nostitz 40 und ich beschlossen, diese Weisung sei Unsinn; wir würden sie nicht befolgen. Zwei Jahre lang hatte man uns mit der Phrase abgefuttert, der Krieg sei bereits gewonnen. Nun sollten wir uns von einem Tag auf den anderen nicht mehr sehen lassen und wenn, dann Leichenbittermienen aufsetzen. W i r befolgten das Rezept von Tante Renata, an die ich in jener Genfer Zeit oft gedacht habe, und gaben uns, als sei nichts geschehen. Es gehört zu der Ironie meiner Existenz, daß der wohl wichtigste Entschluß meines Lebens und, wie ich heute, fünfzig Jahre später, glaube, der wohl furchtbarste, nämlich Diplomat zu werden, auf einem Fehlurteil beruhte. Die folgenden Monate erscheinen mir noch heute als Alptraum. Tante Renata fuhr mit ihren Kindern nach Oberhofen, die beiden Kusinen zu ihren Eltern nach Deutschland. Meine Lungenspitzen zeigten auf dem Röntgenschirm immer noch leichte Schatten. Die Eltern waren daher zufrieden, mich in dieser Notzeit im Ausland zu wissen, und Tante Renata brachte mich fürsorglich in einer Privatklinik in St. Moritz unter. Sie fand auch gleich einen jungen baltischen Pastor und bewog ihn, mir Privatstunden in Lateinisch, Griechisch und Mathematik zu geben. Alles schien also aufs Beste geregelt. Es stellten sich allerdings bald einige Ausnahmen von dieser „besten Regelung" heraus: Die Klinik war mit Patienten belegt, die an Knochentuberkulose litten, einer Krankheit, die als sehr ansteckend galt; auch starben ein oder zwei Kranke in den Monaten, die ich dort verbrachte. Der Pastor, von einer Tuberkulose im Knöchel befallen, dazu gerade mit einer sehr jungen Frau verheiratet, brauchte, scheu wie er war, einige Wochen, um zu merken, daß er mir nicht nur Privatstunden geben, sondern auch ein Halt und Trost sein mußte. Die Katastrophe in Deutschland, nicht nur eine Niederlage, sondern ein Chaos, dem man die Züge einer echten Revolution zu geben versuchte, überstieg die Vorstellungskraft der damaligen Menschen ebensosehr wie ein Jahr vorher die echte und daher noch heute die Weltpolitik bestimmende Oktoberrevolution in Rußland. Wochenlang - so schien es mir - riß die Verbindung mit dem Elternhaus und der Heimat ab. Nur die Deutsche Bank in Breslau überwies mit unerschütterlicher Pünktlichkeit, die man damals bei den Deutschen und vor allem den Preußen als selbstverständlich voraussetzen konnte und im Ausland oft bespöttelte, an jedem Monatsersten den mir ausgesetzten Betrag auf die Bündner Kantonal44
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bank. Dort hob ihn das halbe Kind ohne Schwierigkeiten ab. Diese Überweisung war lange Zeit die einzige, und später, von Postkarten abgesehen, die festeste Verbindung mit Familie und Heimat. Es sollte aber im Spätherbst noch schlimmer kommen: In der Schweiz brach ein Generalstreik aus. Selbst mit Tante Renata hatte ich keine Verbindung mehr. Wenn ich die vormittägliche Liegekur, das Mittagessen und die Ruhestunde absolviert hatte, irrte ich bis zur Dunkelheit über die Matten oberhalb von Sankt Moritz, die um diese Jahreszeit verdorrt und düster sind. Ich war völlig vereinsamt und verzweifelt. Aber die Zeit heilt alles. Pastor Hermann Poelchau wurde mir ein väterlicher Freund; er war leise, gebildet und humorvoll, eine vorbildliche Mischung. Seine junge Frau war wie eine fürsorgliche ältere Schwester zu mir. Im Zeichen gemeinsamer Not fand sich ein kleiner Kreis von Deutschen zusammen, in dem ich mich geborgen fühlte. Und schließlich erwies sich meine Jugend als Glück. Jung und preußisch erzogen, kam es mir nicht in den Sinn, mit meinem Geld leichtfertig umzugehen; die Stadtbibliothek in Winterthur lieh mir alle Bücher, die mich interessierten, sei es Muthers „Geschichte der Malerei" 41 oder Frances „Leben der Pflanzen"42, um ein paar Franken. Meine Eitelkeit beschränkte sich im Lauf von sieben Monaten auf den Ankauf einer extravaganten und, wie ich später feststellte, eher fragwürdigen Wollweste. Aber auch sonst war meine Jugend ein Schutzwall. Sankt Moritz blühte in den Monaten nach Kriegsende auf wie eine geile Sumpfpflanze. Ich verstand nur wenig davon, da mein Vater und die Brüder im Feld waren und niemand meine lückenhaften Kenntnisse biologischer Natur vervollständigt hatte. Aber gerade diese Naivität ließ mich häßliche Klippen umschiffen, an denen ich später vielleicht gescheitert wäre. Mit fortschreitender Zeit überwand ich zwar nicht die Trauer, die sich tief in mich eingefressen hatte, wohl aber den akuten Schock. Ich durfte zwar nicht an einem Skikurs teilnehmen, wohl aber im Langlauf durch besonnte Arvenwälder43 gleiten. Bei Sportveranstaltungen war ich passionierter Zuschauer, und die „dolce vita", die ich tagsüber zu sehen bekam, sprach hinter einem dünnen Vorhang von puritanischer Mißbilligung doch mein Herz an. Denn ein Leben lang hat es fur Farbenfreude und Frohsinn eine Schwäche besessen. Im April, als die Tauwetterperiode einsetzte, fuhr ich, gesundheitlich gestärkt, nach Oberhofen. Ein oder zwei Wochen später trat ich die Reise nach Hause an. Der Ausdruck „ich trat die Reise an" ist bewußt gewählt. Denn vom Badischen Bahnhof in Basel an ging die Fahrt, trotz telegrafischer Zimmerbestellungen in den ersten Hotels, ins Ungewisse. Randalierende Soldaten, die sich in überfüllte Züge drängten, Frankfurt starrend vor Schmutz, aber mit Roten Fahnen „geschmückt", der Portier, der mich beim Geldwechseln betrügen wollte, das waren meine ersten Eindrücke. Auf diejenigen, die das Ende des Zweiten Weltkrieges und die Jahre danach miterlebt haben, macht das keinen Eindruck. Für alle aber, die die Zeit vor 1914 mit ihrer unwandelbaren Stabilität gekannt hatten, brach eine Welt zusammen. Einen Fahrplan gab es nicht. Daher wartete ich am nächsten Morgen auf dem Bahnsteig auf einen irgendwann nach Berlin abgehenden Zug. Abends traf ich erleichtert dort ein; im „Habsburger H o f , dem Hotel meines Vaters während der Tagungen des Abgeordnetenhauses, wurde ich gut betreut. Am dritten Tag der Reise kam ich am frühen Nachmittag in 45
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Breslau an, wo Mutter mich mit dem Ausruf: „Bist Du aber groß geworden!" in die Arme Schloß. Gegen Abend sah ich zum ersten Mal seit langem die ganze Familie vereint, Vater und Theodor aus Belgien zurückgekehrt, Anna aus Berlin, wo sie Kranke gepflegt hatte, und Friedrich aus dem Osten. Nach Uberwindung der ersten Scheu legte ich mich wacker ins Zeug und erklärte meiner Familie, wie „man" im neutralen Ausland die Lage Deutschlands, die Aussichten auf einen Friedensvertrag und Ahnliches mehr beurteile. Da meine Familie seit Jahren vom Ausland weitgehend - wenn auch nicht so total wie im Dritten Reich - abgeschnitten war, lauschte sie meinen Worten, ohne sie widerlegen zu können. Meine Brüder hatten allerdings, soweit ich mich entsinne, das Gefühl, der „Kleine" sei von „linker" Propaganda infiziert. Mein Vater jedoch, vergessend, daß er in mir noch vor Jahresfrist den Nachfolger Wilhelm von Bodes als Generaldirektor der Preußischen Kunstsammlungen gesehen hatte, erkor mich bestimmt zu seinem Kandidaten für den Reichskanzler und Außenminister. Das lag ja schließlich in der Tradition der Familie. Vor allem aber genoß ich die Rolle eines „Mannes von Welt", eines „homme du monde", die ich prahlerisch und mit Gusto spielte, von Tante Renata mit einem Anzug, Hemden und Schuhen ausgestattet, wie „man" sie jetzt trug. So lächerlich in der Rückschau eines halben Jahrhunderts mein damaliger, kindischer Auftritt erscheint, so muß ich doch sagen, daß er, aller snobistischen Züge entkleidet, in indirekter Form auf eine Schwäche hinweist, unter der wir Deutschen leiden und deren ich vorlauter Knabe mir im Ausland bewußt geworden war, und die ich mir zu Nutze machen suchte. Die tragische Geschichte unseres Volkes mit den ständigen Einfallen fremder Heere aus allen vier Himmelsrichtungen, mit den stammesmäßigen oder konfessionellen Gegensätzen und der Kleinstaaterei hat zur Folge gehabt, daß es bei uns niemals eine einheitliche soziologische Struktur und deren Stil gegeben hat. In glücklicheren Ländern bezeichnet man diese als „die Gesellschaft". Es gibt trotz aller Stürme weitgehend noch heute eine spanische, französische und englische Gesellschaft. In Mitteleuropa existierte eine habsburgische Gesellschaft, österreichisch-böhmisch-ungarisch-norditalienischen Ursprungs. In den deutschen Kernlanden gab es nur eine bayerische, rheinisch-westfälische, sächsische und preußische Gesellschaft, im Stil mehr oder weniger voneinander unterschieden, allesamt aber provinziell. Deshalb hat bei uns auch niemals die fur die Entwicklung der Demokratie in Frankreich und England so entscheidende Übernahme und Abwandlung des adligen Lebensstils durch das Bürgertum stattgefunden. Bei uns kam es bestenfalls zu einer Nachahmung recht devoter Manier. In England weiß jedermann - oder wußte bis vor kurzem - was ein „gentleman" ist und wie er sich benimmt. Natürlich benimmt sich der heutige „gentleman" anders als vor 200 Jahren, aber der Begriff, die Vorstellung kann auf eine vielhundertjährige Tradition zurückblicken, ob man sie bejaht oder ablehnt. Wenn man in Deutschland von jemandem sagt, er sei ein „Herr", wird man viel öfter auf mangelndes Verständnis stoßen als auf Zustimmung oder Ablehnung. Es gibt und hat bei 46
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uns den eindeutigen Begriff der Gesellschaft oder, um einen umfassenderen Ausdruck zu gebrauchen, der „Welt", „le monde", nie gegeben. Wir sind in diesem Bereich unsicher und ratlos, daher servil oder auftrumpfend. Wissenschaftler von Weltruf knicken in der Hüfte vor dem jungen Vertreter eines Entwicklungslandes zusammen, machen einen „Diener" - ein bezeichnendes Wort - statt den Kopf höflich-liebenswürdig zu „verneigen". Ein hoher Beamter oder Militär will eine ausländische Schönheit zum Tanz auffordern und tut das, indem er die Hacken zusammenschlägt und mit schnarrender Stimme fragt: „Gestatten?" Unter hundert ausländischen Schönheiten werden nur zehn verstehen, was dies vor ihr nordisch aufragende Schreckgespenst meint, und nur fünf werden sein Auftreten als originell oder gar sympathisch empfinden. Diesen Mangel an „Welt", an „Lebensart" habe ich an uns Deutschen bei vielen internationalen Verhandlungen beobachtet. Gute, ja vorzügliche deutsche Unterhändler fielen, obwohl sie sachlich im Recht waren und sogar voll Noblesse auch die Interessen der Gegenseite berücksichtigten, ihren Partnern durch ihr Auftreten auf die Nerven. Das Ergebnis der Verhandlungen war trotz Sachkenntnis und guten Willens unserer Vertreter oft negativer, als wenn wir in der Form „verbindlicher, weltläufiger" - auch das ist ein bezeichnendes Adjektiv - , dafür aber in der Sache selbstbewußter und härter gewesen wären. Natürlich gibt es auch in Deutschland Männer und Frauen von souveräner Lebensart. Man findet sie keineswegs nur bei den „alten Familien", dem Adel, der Oberschicht. Ich habe viele Landsleute aus dem Arbeiter- und Bauernstand oder dem oft so besonders engen und ängstlichen Kleinbürgertum erlebt, die den Typus des „Herren" oder der „Dame" besser vertraten und darstellten - denn alles Gesellschaftliche ist ja dem Schauspiel verwandt - als manche Träger großer Namen oder Inhaber hoher Ämter. Indessen waren und sind diese Arbeiter, Bauern oder Kleinbürger ebenso wie die ihnen an Souveränität ebenbürtigen Mitglieder der alten Familien Einzelgänger, denen es an Rückhalt fehlt. Sie repräsentieren eine nicht vorhandene deutsche Gesellschaft. Ein Franzose würde dies aus seinem, von der Gesellschaft bestimmten Gesichtskreis präzise ausdrücken: „Iis ne font pas partie du,monde' parce que le,monde' nexiste pas en Allemagne." 44 Wenn ich auf den vorhergehenden Seiten, weit ausholend und ohne Rücksicht auf die Geduld etwaiger Leser, Familienbeziehungen geschildert und Anekdoten erzählt habe, so geschah dies nicht den Vertretern der neu entdeckten Soziologie zuliebe. Im übrigen müssen diese anscheinend noch lernen, daß es ihre Probleme und Konfigurationen bereits im alten Ägypten gegeben hat. Aber auch zu der noch jüngeren Verhaltensforschung wollte ich keinen Beitrag leisten. Aldous Huxley hat vor langen Jahren einmal eine Glosse voll Witz und Charme über die Nahtstelle zwischen Soziologie und Verhaltensforschung geschrieben: Ein Student berichtet ihm, er habe eine Arbeit über das soziologische und erotische Verhalten der englischen Aristokratie schreiben wollen, doch seien ihm die Tore aller großen Häuser verschlossen geblieben. Jetzt wolle er auf einer karibischen Insel das Verhalten der Eingeborenen studieren und daraus Rückschlüsse auf den heimischen Adel ziehen; er bitte um Unterstützung fur diesen 47
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Plan. „Ich habe dem jungen Mann", so fährt Huxley fort, „gesagt, das könne er einfacher und billiger haben. Er solle sich einen Kater und zwei Katzen aus gutem Hause kaufen und sie unvoreingenommen und gründlich beobachten. Dann wisse er genau, was auf den Landsitzen und Stadthäusern des englischen Adels vor sich gehe". Natürlich hat es keineswegs in meiner Absicht gelegen, an meine Verwandtschaft den Maßstab moderner Soziologie zu legen und ebensowenig denjenigen der Verhaltensforscher. Uber die Ähnlichkeit etwa meiner Familie mit einer hochadeligen Katzensippe habe ich ohnehin nie nachgedacht, denn ich kenne Katzen zu wenig. Worauf es mir ankam, war folgendes: Dank einer großzügig-liberalen Erziehung und dank jener zehn Monate in der Schweiz, die zeitweise am Rand eines Abgrunds verliefen, fiel mir unbewußt eine Gabe in den Schoß. Ich wurde gegenüber gesellschaftlichen Fragen innerlich frei. Denn frühzeitig wurde ich mit den Spielfeldern der „Welt" und ihren Regeln vertraut. Das bildete meinen Sinn für Humor aus, der ja, wenn er echt ist, immer bei der eigenen Person beginnt. Ich lernte also meine Schüchternheit und das vielfältige Versagen, das keinem gelebten Leben erspart bleibt, mit gesellschaftlicher Distanz zu ertragen. Als junger Student schenkte ich, gerade aus Davos zurückgekehrt, meiner Mutter den soeben erschienenen „Zauberberg" von Thomas Mann mit einem Hölderlin-Zitat als Widmung: ,Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen, Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern', Und verstehe die Freiheit, aufzubrechen, wohin er will." 45
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„Der Anfang vom Ende"1 Das Protektorat Böhmen und Mähren
m Sommer 1938, als er Staatssekretär war und ich dem Protokoll angehörte, berief Weizsäcker2 mich als zweiten persönlichen Referenten zu sich. Mit Herbert Siegfried 3 , dem eigentlichen Referenten, ergaben sich dank seiner Vornehmheit und Klugheit keinerlei Schwierigkeiten. Da aufgrund der Sudetenkrise die Arbeit ständig wuchs, waren wir froh, ihrer gemeinsam Herr werden zu können. Gleichwohl war ich am Ende dieser Krise und ihrer scheinbaren Lösung durch das Münchner Abkommen am Ende meiner physischen und psychischen Kräfte, letzteres vor allem deshalb, weil meine Freunde und ich von Tag zu Tag mehr davon überzeugt waren, daß Hitler das Münchner Abkommen als einen im Grunde ärgerlichen Kompromiß auf dem Wege zur totalen Unterwerfung der Tschechoslowakei betrachtete. Weizsäcker, dem mein Zustand nicht verborgen blieb, fragte mich, ob mir nicht auf eine gewisse Zeit ein ruhigerer Posten guttun würde. Neurath4, seit Februar 193 8 „Präsident des Geheimen Kabinettrats", um für Ribbentrop als Außenminister Platz zu machen, wünschte, einen Vertreter des Auswärtigen Amts um sich zu haben. Weizsäcker schlug mir vor, diesen Posten anzunehmen. Ich würde kaum etwas zu tun haben und sollte mich darauf beschränken, Neurath zu größerer Aktivität anzuspornen. Insbesondere solle er seine Beziehungen etwa zu Schacht, aber auch zu Göring, dem der Gedanke an einen Krieg keineswegs geheuer war, spielen lassen, um auf die Größe der Gefahren hinzuweisen und zur Vernunft zu raten. Ich kannte Neurath seit dem Beginn der dreißiger Jahre aus Rom, wo er unser Botschafter beim Quirinal, und zwar ein erfolgreicher, gewesen war. Nach dem Rat Talleyrands, „pas trop de zele"5, ließ er die Arbeit größtenteils von seinem Stab bewältigen. Er nahm sich nur der wichtigsten Fragen an und erledigte seine Aufgabe mit Gelassenheit, Charme und Bauernschlauheit. Ahnlich erfolgreich war er als Botschafter in London gewesen. Als er dagegen unter Papen Außenminister wurde, konnte man feststellen, daß die eigenständige Konzipierung einer Außenpolitik und die Leitung einer großen Behörde ihm weniger lagen.
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Indessen empfand ich für diesen schwäbischen Landedelmann mit seinen Stärken und Schwächen Sympathie, die auch die schweren Kontroversen, die ich mit ihm in Prag hatte, weitgehend überstand. Daß man ihn, einen Greis, der nicht mehr im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte war, der nichts Böses getan, sondern lediglich das Böse hatte seinen Lauf nehmen lassen, in Nürnberg als Kriegsverbrecher verurteilte, empörte mich. Das Urteil war nicht nur unhaltbar, sondern unmenschlich. Ich ging auf Weizsäckers Vorschlag ein und siedelte in die Neue Reichskanzlei über, wo Neurath eine Reihe von Zimmern als Büro zur Verfugung standen. Ich war erschrocken, als ich ihn wiedersah. Zwar war er körperlich noch in gutem Zustand; in geistiger Hinsicht aber war seine Aufnahmefähigkeit sehr eingeschränkt, er wirkte apathisch und altersträge. 49
„Gegen Hitler und für ein anderes Deutschland"
Ich war nicht sicher, ob die außenpolitischen Informationen, die Weizsäcker ihm über mich zuspielte, ihn interessierten, und ob er die Dinge verstand, die ich ihm vortrug. Am 15. März 1939 besetzte die Reichswehr kampflos die Tschechoslowakei, ein unheilschwangeres Ereignis. Denn damit griff Hitler zum ersten Mal über die Volkstumsgrenzen hinaus und unterjochte ein fremdes Volk. Am Nachmittag desselben Tages verkündete Hitler vom Hradschin aus die Schaffung eines „Reichsprotektorats Böhmen und Mähren". Am Abend rief mich Neurath an, ich solle fur den nächsten Morgen ein Sonderflugzeug bestellen: Hitler erwarte ihn in Wien. Er fugte hinzu, ich könne mir vielleicht denken, worum es sich handele. Mir war in der Tat klar, daß Neuraths guter Name dem Ausland gegenüber als Firmenschild für dieses Unternehmen dienen sollte. Am nächsten Morgen war Neurath sichtlich verstimmt, als er bei mir keinerlei Enthusiasmus feststellte. Im Flugzeug stellte er mir die Frage, ob er den Posten des Reichsprotektors annehmen solle. Natürlich war diese Frage rein rhetorischer Art. M a n merkte ihm an, daß er den ihm angetragenen Posten als eine Art von „britischer Vizekönig von Indien" ansah. Ich hatte die Antwort parat und sagte, er müsse zwei Bedingungen stellen. 1. In den ersten zwei bis drei Wochen werde die SS nebst ihren verschiedenen Unterorganisationen zweifellos eine umfassende „Säuberung" veranstalten. Während dieser Zeit dürfe er seinen Posten keinesfalls antreten, um nicht durch seine Anwesenheit diese Aktionen zu legitimieren. 2. Nach dieser Übergangszeit müsse er eine von Hitler persönlich unterschriebene Vollmacht in den Händen haben, wonach ihm alle im Protektorat tätigen Parteiformationen unmittelbar unterstellt würden und er, nur er allein, über das Weisungsrecht an sie verfüge. Aus Berlin kommende Weisungen müßten ihm zur Billigung vorgelegt werden. Seine Antwort fiel erwartungsgemäß so aus, wie ich es schon gewohnt war. W i e immer, wenn er das Gefühl hatte, man mute ihm etwas zu, was zu tun er nicht gewillt war, brummte er etwas Unverständliches vor sich hin. Während er bei Hitler war, bewegte ich mich unter den jungen SS-Adjutanten oder Ordonnanzen der Parteispitze. Sie waren auf den ersten Blick nicht einmal unsympathisch: muntere und ganz schlaue Lausbuben, die ihr Leben und ihre Teilnahme an weltbewegenden Ereignissen genossen. Es waren, soweit ich das ihrem Dialekt entnehmen konnte, fast ausschließlich Österreicher; auf jeden Fall war unter ihnen kein einziger Norddeutscher oder gar Preuße. Einer von ihnen trompetete: „Nun sind wir ja bald wieder beisammen!" Damit wollte er ohne jeden Zweifel sagen, ein entscheidender Schritt zur Wiederherstellung der Osterreichischen Doppelmonarchie, wenn auch in republikanischer Verkleidung, sei vollzogen. Mir lag auf der Zunge zu sagen: „Dann endaßt uns Preußen doch aus der Verantwortung für diesen Unfug!" Aber ich hütete meine Zunge, da ich nicht im KZ landen wollte. Beim Rückflug nach Berlin sah ich Neurath sofort an, was vorgefallen war. Er trug, was mich immer wieder für ihn einnahm, ein schlechtes Gewissen zur Schau wie ein Tertianer,
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„Der Anfang vom Ende"
der seine Schulaufgaben nicht gemacht hatte. Als ich ihn fragte, ob er von Hitler die besprochene Vollmacht erhalten habe, erwiderte er, dazu habe er keine Gelegenheit (!) gehabt. Nach diesem Bekenntnis ging er rasch auf ein anderes Thema über: meine persönliche Zukunft. Er sah es als selbstverständlich an, daß ich ihn nach Prag begleiten würde, und war sichtlich verstimmt, als ich um eine Bedenkzeit von drei Tagen bat. Daß er mir in naiver Form die materiellen und gesellschaftlichen Vorteile meiner Ubersiedlung nach Prag ausmalte, erhöhte nur meine Bedenken gegen die Art, wie er meine - und auch seine - Aufgabe in Prag ansah. Nach Berlin zurückgekehrt, fragte ich als ersten Weizsäcker um Rat. Er meinte, diese Frage sei zu heikel und vielschichtig, als daß er sie mit einem eindeutigen Ja oder Nein beantworten könne. Dagegen könne ich mich darauf verlassen, daß er mich jederzeit als persönlichen Referenten zurückberufen werde, wenn mir die Entwicklung in Prag nicht zusage. Anschließend stellte ich das gleiche Problem einer Reihe meiner Freunde wie Haushofer 6 , Schulenburg7 und Yorck8 zur Debatte. Ihre Skepsis war, wie die meine, groß. Auf der anderen Seite meinten sie, gäbe es zur Zeit in Berlin keine lohnende Alternative, wir müßten nach jedem Strohhalm greifen. Wenn es gelingen sollte, die deutsche Einmischung in die internen Angelegenheiten der CSR auf ein Minimum zu beschränken, so könne man damit vielleicht einen ersten kleinen Schritt auf dem Wege zur Einigung Europas - die uns schon damals vorschwebte - tun. Natürlich müßten wir auf einer Auflösung der CSR-Armee bestehen sowie auf dem Recht, die CSR nach außen hin zu vertreten. Die tschechische Sprache müsse hingegen als zweite Amtssprache bestehen bleiben, die kulturellen Aktivitäten nicht behindert werden. Auch auf finanziellem und wirtschaftlichem Gebiet sollten wir unsere Kontrolle auf ein Mindestmaß beschränken und jede Ausbeutung des Landes verhindern. Es sei dies allerdings nur ein Strohhalm; da ich aber jederzeit ins Amt zurückkehren könne, solle ich ihn ergreifen. Die Amtsübernahme Neuraths begann mit einer Parade, die wie alles, was die Militärs damals und später im Protektorat unternahmen, keinerlei Provokation darstellte. Den Abend des gleichen Tages aber empfand ich als erschreckend, ja gespenstisch. In einem großen Saal des Hradschin fand mit Neurath als Gastgeber ein feierliches Staatsbankett statt. Auf deutscher Seite waren in der Hauptsache hohe Militärs vertreten, auf tschechischer Seite Präsident Hacha, die Mitglieder der bisherigen Regierung und wohl noch der eine oder andere fuhrende Politiker. Im Laufe des Abends wurde die Stimmung unter den Tschechen immer aufgelockerter. Sie mochten sich sagen, daß ihr Volk nach Jahrhunderten Habsburgischer Oberhoheit nur rund zwanzig Jahre lang einen souveränen tschechischen Nationalstaat gebildet hatte, eine Rolle, der es offenbar nicht gewachsen war. Im Blick auf Neurath, der sich bei dieser Gelegenheit als wohlwollender Grandseigneur gab - und das aus tiefster Uberzeugung - , schienen sie zu glauben, daß der „Protektor" von Hitlers Gnaden nicht schlimmer sein werde als der „Landeshauptmann" als Repräsentant „Seiner Apostolischen Majestät" in Wien. Leider würden sie nur allzu schnell erfahren, daß Neurath vom NS-Regime nur als Gallionsfigur herausgestellt worden war und sich bald, dieses Urteil verstärkte sich an jenem Abend, als völlig machdos erweisen sollte. Beim Abschluß jenes Abends trat noch etwas ein, 51
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das mich vor Schmerz und Entsetzen schaudern ließ. Nach Beendigung des Galadiners traten wir auf den Ehrenhof der Prager Burg hinaus. Eine Kapelle der Wehrmacht begann im Schein der Fackeln den Großen Zapfenstreich zu spielen. Und plötzlich überkam mich die Gewißheit, daß mit diesem Zapfenstreich nichts anderes zelebriert wurde als das endgültige Begräbnis Preußens, dem ich mich, right or wrong, my country, verbunden und verpflichtet fühlte. Und bald würde die schwarz-weiße Fahne dieses Staates, wie bei Barbaren nach einem Sieg üblich, durch den Schmutz, in diesem Falle durch den braunen Schlamm, gezerrt werden. Ich trat in den tiefsten Schatten, damit niemand gewahrte, daß ich weinte. Am nächsten Morgen, nachdem ich endlich wieder einmal hatte ausschlafen können, betrachtete ich die Lage ohne den emotionalen Uberschwang des vergangenen Abends. Ich durfte den Kampf um meine und meiner Freunde Vorstellung von der Zukunft der C S R nicht aufgeben, ehe er begonnen hatte. Und ebensowenig konnte ich Neurath im Stich lassen, war ich doch vorerst der einzige, den er unmittelbar und persönlich als seinen „Stab" auserwählt hatte. Die „Feindlage" war eindeutig: Der Gegner, den ich bekämpfen mußte, war Karl Hermann Frank 9 , der mit dem Titel eines Staatssekretärs von der Partei als Spion und Aufpasser dem Reichsprotektor zur Seite gestellt worden war und der Neurath sobald als möglich ersetzen wollte, was ihm jedoch mißlang. Von dem ganzen Gangster-,JMilieu", deren Mitglieder ich bei der einen oder anderen Gelegenheit kennengelernt hatte, erschien er mir als einer der widerwärtigsten. Denn seine Tücke, seinen Sadismus verbarg er unter einer schmierigen Devotheit gegenüber Neurath, der denn auch prompt darauf hereinfiel. Ich hatte mir schon vor Neuraths Einzug die Lage unserer Dienstzimmer angesehen. Der größte, fast saalartige Raum gebührte selbstverständlich dem Reichsprotektor. Von diesem Dienstzimmer aus führte eine große Tür direkt auf den Korridor. Ich verschloß sie und nahm den Schlüssel an mich, um Neurath, wie ich ihm erklärte, vor unangemeldeten Besuchern und insbesondere Bittstellern abzuschirmen. Er akzeptierte diese Regelung sofort, entsprach sie doch seiner monarchistischen Vorstellungswelt und trug zu seiner Bequemlichkeit bei. Nur eine andere kleinere Tür war vorhanden; sie führte in den Raum, den ich mir gesichert hatte. Dies gab mir die Funktion eines Wachhundes, der genau kontrollieren konnte, wen Neurath empfing. Das Zimmer zu meiner Rechten - vom Korridor aus gesehen — ließ ich fur Herrn von Burgsdorff 10 reservieren, der zum Chef der zivilen Verwaltung ausersehen war und wenige Tage später eintraf. Er war ein vorzüglicher Verwaltungsbeamter, ein Ausdruck, der heute, wie mir scheint, zu Unrecht einen abwertenden Beiklang hat. Daneben war er ein vom christlichen Ethos geprägter Edelmann. W i r waren vom ersten Augenblick an in allen Fragen eines Sinnes. Nur in einem stimmten wir nicht überein: Er gehörte zur älteren Generation, der der Gedanke an Widerstand oder Sabotage fernlag. D a ß er trotzdem seine Integrität wahrte, bestätigten ihm nach dem Krieg die Polen. Denn Burgsdorff war nach dem „siegreichen" Feldzug gegen Polen und der Errichtung des Generalgouvernements als Chef der Zivilverwaltung in Krakau eingesetzt worden. Nach Kriegsende war er von den Polen als Kriegsverbrecher angeklagt und von den polnischen 52
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Gerichten freigesprochen worden, eine Tatsache, die nicht nur ihm, sondern vor allem den polnischen Gerichten zur Ehre gereicht. Mein Plan, Franks Kontakte zu Neurath unter Kontrolle zu halten, scheiterte nach wenigen Tagen: Frank ließ, natürlich mit Zustimmung des ahnungslosen Alten Herrn, eine Tür zwischen seinem und Neuraths Zimmer aus der Wand brechen. Von da an konnte er ständig mit »streng geheimen« Informationen, die natürlich entstellt waren, aufwarten und dem Reichsprotektor suggerieren, er sei auf diese Weise bestens unterrichtet. Vor allem legte Frank ihm Schriftstücke zur Unterschrift vor, die schon ihrer äußeren Form nach indiskutabel waren. So passierte es, daß Neurath eine von BurgsdorfF formulierte grundsätzliche Verordnung unterschrieb und zwei Tage später noch einmal die gleiche Verordnung, die von Frank verfaßt war und dem Burgsdorffschen Text in entscheidenden Punkten widersprach. Daß der Alte Herr damit sein Gesicht vor fast allen Beamten der Protektoratsverwaltung verlor, tat mir fur ihn leid. Auf der anderen Seite war ich ja auf seinen persönlichen Wunsch mit ihm nach Prag gegangen; deshalb hätte er die Ratschläge, die ich ihm, natürlich in höflichster Form, gab, nicht in den Wind schlagen sollen, bloß weil sie Unbequemlichkeiten für seine Person mit sich brachten. Vor allem aber sah ich in diesem seinem Verhalten eine tödliche Gefahr fur die Politik deijenigen Deutschen, die guten Willens das deutsch-tschechische Verhältnis im Hinblick auf eine spätere gesamteuropäische Konzeption möglichst liberal und störungsfrei behandelt wissen wollten. Nach wenigen Wochen schon konnte jeder Deutsche, der wie ich durch die Straßen Prags schlenderte, noch immer ohne Sorge für seine Person sein; das politische Klima aber war sichtlich abgekühlt. Ablehnung, ja getarnte Feindseligkeit waren deutlich zu spüren. Hier und da im Land kam es zu Zwischenfällen, die an sich unbedeutend, aber beunruhigend, weil symptomatisch waren. Eines schönen Tages randalierten Studentengruppen der Prager Universität gegen die deutsche „Besatzung". Die deutsche Polizei, ob nun die Gestapo oder eine der anderen Formationen der SS, schritt ein. Angesichts ihrer brutalen Methoden mußte man mit Todesurteilen auch für geringfügige Vergehen rechnen. Erregt betrat ich Neuraths Dienstzimmer und berichtete, was geschehen war. Er erwiderte, er werde sich am nächsten Tag um den Vorfall kümmern; jetzt sei er aufs Land eingeladen und könne nicht so kurzfristig absagen. Als ich ihn nochmals mit großem Ernst auf die Bedeutung dieser StudentenDemonstration hinwies, meinte er, ich solle mich doch nicht von randalierenden Studenten ins Bockshorn jagen lassen; so etwas habe es zu allen Zeiten und in allen Ländern gegeben. Inzwischen ergoß sich eine Lawine auf die arme Tschechoslowakei. Eine Horde von „Bevollmächtigten" der Reichsministerien und NS-Dienststellen in Berlin, aber auch der an das Protektorat angrenzenden Gaue, stürzte sich wie ein Geier auf den blutenden Leichnam. Im Namen der NS-Weltanschauung wurden weite Zweige der Wirtschaft nicht etwa nur überwacht, sondern „gleichgeschaltet", d.h. ausgeplündert, wie etwa die amerikanischen Südstaaten nach dem fur die Nordstaaten siegreichen Ende des Sezessionskrieges. Natürlich soll damit keine kollektive Verurteilung der im Protektorat eingesetzten Beamten gefallt werden. Es gab auf der unteren Ebene viele Oberlandräte, die sich der altpreußischen 53
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Beamtentradition verpflichtet fühlten und nicht nur ihren Bezirk gut verwalteten, sondern auch dessen Bevölkerung gegen Übergriffe von oben, so gut es ging, zu schützen suchten. Aber diese Beamten waren nicht nur eine Minderheit, sondern nach oben hin weitgehend machtlos. Die Protektoratsverwaltung mit ihrer Spitze, Herrn von Burgsdorff, mußte dieser Entwicklung hilflos zusehen; denn sie verfugte nicht über genügend Vollmachten, dem wüsten Treiben ein Ende zu setzen. Da sich viele der Bevollmächtigten der Ressorts nicht einmal bei Burgsdorff zum Dienstantritt meldeten, bestand in meinen Augen der Verdacht, daß manche Bevollmächtigten im Lande herumfuhrwerkten, von deren Existenz wir in Prag keine Ahnung hatten. Angesichts dieser Entwicklung verstärkte sich meine Neigung, „den ganzen Krempel" hinzuwerfen und nach Berlin zurückzukehren. Um die gleiche Zeit etwa, ich nehme an, Mitte bis Ende Mai, kam Neurath in seiner väterlichen Gutmütigkeit auf den Gedanken, mir, der ich mich offenbar nicht sonderlich wohlfühlte, etwas Gutes zuzuschanzen. Wie ein Patenonkel eröffnete er mir, sein Flugzeug stände mir von Sonnabend Mittag bis zum späten Vormittag am Montag fur einen Flug nach Berlin und zurück zur persönlichen Verfugung. Ich war wieder einmal etwas beschämt, ihm ein oft sehr unbequemer Untergebener zu sein. Andererseits tat ich dies doch nur in seinem Interesse und aus tiefer Sorge um unser Volk. Freudestrahlend bestieg ich eines Sonnabends gegen Mittag die Maschine des Reichsprotektors. Ich mußte über mich selbst lachen, als ich bemerkte, daß ich mir sehr wichtig vorkam. Und außerdem: Ein Wochenende um diese Jahreszeit in Berlin, was konnte mir Besseres blühen? Auf achtundvierzig Stunden würde ich den Prager Alptraum abschütteln können. Für den Abend war ich mit einer meiner engsten Freundinnen verabredet; wir wollten im Dachgarten des Eden-Hotels essen. Es war dies im Mai und Juni eines der schönsten Erlebnisse in Berlin. Denn der Blick schweifte weit über den Tiergarten im Frühlingsgrün, und durch die geöffneten Fenster drang der schwere Duft blühenden Flieders oder einige Wochen später der Duft der unzähligen Linden, der für mich der Inbegriff dieser Stadt war. Beschwingt fuhr ich zum Hotel. Als aber der Aufzug auf der Dachterrasse hielt, trat mir ein bleicher, etwas fetter, blonder Jüngling" entgegen. Es war Lohse, Ribbentrops Pressereferent.11 Der väterlichen Abstammung nach war er, so hieß es, Jude, hatte aber den Nachweis erbracht, er sei der Fehltritt seiner Mutter mit einem „Arier". Er war mir seit jeher widerlich. Jetzt trat er mir in den Weg und fragte mich mit einer vor verhaltener Wut zischenden Stimme, warum wir, Neurath und ich, uns nicht endlich daran machten, die Tschechen umzubringen? Wir waren seit Jahren darauf trainiert, bei derlei Situationen nicht den Kopf zu verlieren. Auf diese Begegnung aber war ich ganz und gar nicht vorbereitet. Ich holte erst einmal tief Luft und erwiderte, es sei uns keine entsprechende Weisung des „Führers" zugegangen. Außerdem, fugte ich Unschuldsengel hinzu, sei es doch technisch unmöglich, mehr als sieben Millionen Tschechen zu liquidieren. Schließlich aber, so fuhr ich schärfer werdend fort, sei ich auf Urlaub und mit einer Dame verabredet und daher nicht gewillt, am heutigen Abend politische Probleme zu diskutieren. Die Partie stand ι :o für mich, und Lohse trollte von dannen. Mir aber war speiübel zu Mute, und mein ganzes Wochenende in 54
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Berlin verdorben. Wie aber hätte ich mich anders verhalten sollen? Ihm zu sagen, er sei ein Verbrecher, der mich zum Volkermord aufforderte, wäre zwar anständiger und mutiger gewesen. Aber hätte ich damit auch nur einem einzigen Tschechen in den kommenden Jahren geholfen? Im Gegenteil: Man hätte nur erklärt, in meiner Person sei man einer internationalen Verschwörung zugunsten der Tschechen auf die Spur gekommen. Mich hätte man dem Henker nach entsprechender Folter überantwortet und meine Mutter und Geschwister kraft der Sippenhaft ins K Z verbracht. Mir den Vorwurf zu machen, ich sei nicht mannhaft, sondern feige gewesen, trifft mich daher nicht. Mir geht es damals und bis heute nur darum, ob irgend jemandem eine bessere Ausrede eingefallen wäre; mich ihm zu stellen, war ich damals bereit und bin es noch heute. Auf dem Rückflug nach Prag sagte ich mir, selbst wenn Lohses Äußerungen vielleicht übers Ziel hinausgegangen wären, so bewiesen sie doch, in welchem Geist man das deutsch-tschechische Problem behandeln wollte. Die Frage, ob ich in Prag bleiben oder meine Zelte dort so rasch als möglich abbrechen sollte, war beantwortet. Indessen kam fiir mich nur ein höflicher, von der Außenwelt kaum beachteter Abschied von Neurath in Frage. O b ich Frau von Neurath 12 schon vor meinem Ausflug nach Berlin oder, was wahrscheinlicher ist, erst nachher um eine Unterredung unter vier Augen bat, kann ich nicht mehr feststellen. Sie stimmte diesem Vorschlag sofort zu, doch war ich keineswegs sicher, wie dieses Gespräch verlaufen würde. Sie hätte mir ja schon nach dem zweiten meiner Sätze bedeuten können, wo die Tür war, durch die ich mich zu entfernen hätte. Statt dessen erwies sie sich als eine einmalige Mischung von schwäbischer Bäuerin voll gesunden Menschenverstands, verbunden mit der Haltung einer großen Dame. Ohne Umschweife erklärte ich ihr, ich hätte es als meine Hauptaufgabe angesehen, dafür zu sorgen, daß die weiße Weste ihres Mannes keinen Schaden erlitte, leider sei ich aber dabei gescheitert. Denn ihr Mann sei viel zu gutmütig und setze dem Bestreben der Nazis, ihn vorerst noch als Firmenschild zu benutzen, aber de facto von Tag zu Tag mehr zu entmachten, keinerlei Widerstand entgegen. Sie hörte mich an, ohne mir zu widersprechen; auch konnte ich auf ihrem Gesicht keinerlei Zeichen des Unmuts entdecken. Sie meinte nur, ihr Mann sei sein Leben lang zu gutmütig gewesen, und beschwor mich in einer gewinnenden Art, ihn nicht im Stich zu lassen, sondern noch etwas Geduld zu üben. Im übrigen wurde ich bald darauf eines Großteils meiner Verantwortung entbunden. Neurath berief, ohne mich rechtzeitig und eingehend zu unterrichten, den Gesandten Völckers13, den Neurath von früher her kannte und der meines Wissens bislang unser Vertreter in Cuba gewesen war, nach Prag und ernannte ihn zu seinem Kabinettschef. Unter anderen Umständen hätte ich aufbegehrt, mir nichts, dir nichts einen Mann vor die Nase gesetzt zu bekommen. Jetzt aber ermöglichte mir diese Ernennung, in meinen Entschlüssen unabhängiger zu sein. Völckers war der Typus eines immer verbindlichen, glatten Diplomaten. Es war daher für mich leicht, mit ihm in angenehmer Form auszukommen. Ich hatte aber nicht den leisesten Zweifel, daß er der fortschreitenden Entmachtung Neuraths keinerlei Widerstand entgegensetzen werde. Ganz anders reagierte seine ebenso schöne wie kluge Frau, eine Holländerin. Sie beurteilte die Zukunftschancen im Protektorat ebenso düster wie ich. Es war mir
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Trost und Hilfe, mich ihr gegenüber rückhaltlos aussprechen zu können. Ab und zu kam sie in die Halle unseres Hotels herunter, und ich schüttete ihr bei einem gemeinsamen »drink« mein Herz aus, um später auf irgendein erfreulicheres Thema, etwa über die Schönheit der ihr gut bekannten Tropen, überzuwechseln. Dann aber kam es zu der von mir seit langem erwarteten Entscheidungsschlacht: Heydrich14 sagte sich zu einer Art von Staatsbesuch beim Reichsprotektor an. Während meiner Tätigkeit im Protokoll hatte ich oft Gelegenheit, ihn zu beobachten, und war fasziniert: Die Spitzengruppe um den Psychopathen Hitler bestand fast ausnahmslos aus dunkelhaarigen, untersetzten Gangstern, die aus der Gosse kamen. Sie stammten zu einem großen Teil aus dem bayerisch-österreichischen Raum, womit keine geographische Kollektivschuld zurechtgeschneidert werden soll. Wäre Hitler Norddeutscher gewesen, hätten sich auch dort brutale Gesellen um ihn geschart. In der Gruppe der Austro-Bajuwaren bildete lediglich der rheinische Jesuitenzögling Goebbels eine Ausnahme, den man nach seinem Aussehen und seiner Dialektik für einen jener „jüdischen Asphalt-Literaten" hätte halten können, deren Ausrottung er mit grellem Schreien forderte. In ihrer Mitte wirkte Heydrich als Fremdkörper. Hochgewachsen, blond und blauäugig verwirklichte er das nordische Ideal, das die anderen durch Massenmord und Zuchtwahl erreichen wollten. Er war, in Halle geboren, der einzige Beinahe-Ostelbier in der Führungsspitze und entstammte offensichtlich dem gehobenen, kultivierten Bürgertum. Schaute man näher hin, so entdeckte man, daß er in seiner Eiseskälte ein Genie an Intelligenz und gezielter Grausamkeit war, während ihm die populäre NS-Ideologie und die primitiven Massenmorde nur ein verächtliches Lächeln entlockt hatten. Er betrachtete sich, das war mein Eindruck, den offenbar auch einige Mitglieder der NS-Spitzengruppe teilten, als den erkorenen Nachfolger Hiders. Ohne den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wäre er zweifellos als Torero in der Arena aufgetreten. Als er sich ansagte, warnte ich Neurath mit allen mir zur Verfugung stehenden Überredungskünsten, ihm auch nur die geringste Konzession zu machen. Denn wenn er ihm den kleinen Finger böte, werde Heydrich die ganze Hand ergreifen. Neurath reagierte unmutig. Heydrich erschien, sah glänzend aus, trug eine elegante, feldgraue Uniform und warb mit Sonntagsmanieren für sich und seine Stellung. Begleitet wurde er von zwei Adjutanten, die in einer bedenklichen Form allzu „schön" waren. Schon nach kurzer Zeit berichteten sie mir stolz, der Obergruppenführer (Heydrich) habe ihnen den Befehl erteilt, bis zum Herbst zu heiraten. Ich stellte im Stillen fest, daß ich dies alles nicht verstände und nie verstehen würde. Heute würde man von einer total manipulierten Welt sprechen. Am Nachmittag war Neurath strahlender Laune. Die Gespräche seien glänzend verlaufen, und er fugte mit einem leisen Unterton von Hohn hinzu, ich hätte einmal wieder viel zu schwarz gesehen. Ich erwiderte, daß niemand mehr als ich sich über diesen Erfolg freue. Damit aber war Heydrichs Besuch leider noch nicht zu Ende. Am nächsten Morgen erschien Neurath bedrückt und mit allen Zeichen schlechten Gewissens im Büro. Es dauerte eine Weile, bis Burgsdorff und ich herausbekamen, was geschehen war: Neurath, der die Gewohnheit hatte, sich früh zur Ruhe zu begeben, wurde von Heydrich aus tiefem Schlaf 56
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gerissen. Dieser berichtete, höchste Erregung spielend, man sei einer über das ganze Protektorat verbreiteten Verschwörung auf die Spur gekommen, einer Verschwörung, von der man übrigens später nie mehr etwas hörte. Angesichts der Gefahr, in der die ganze deutsche Verwaltung schwebe, müsse er verlangen, daß die gesamte Polizei ihm persönlich unterstellt werde. Er legte eine entsprechend formulierte Vollmacht vor, die Neurath unterzeichnete. Das Spiel war aus, ich war gescheitert. Ich habe mir oft die Frage vorgelegt, ob ich selbst mitschuldig an diesem Scheitern gewesen sei. Eigentlich glaube ich das nicht: Die Strategie der Gegenseite war von Anfang an festgelegt, meine nur taktischen Möglichkeiten konnten dagegen nichts ausrichten. Nun galt es nur noch, meinen Abschied in möglichst höflicher und unauffälliger Form zu vollziehen. Mit Frau von Neurath verlief das Gespräch in angenehmsten Formen, dem Alten Herrn gegenüber beschränkte ich mich auf die Erklärung, das Prager Klima bekomme mir sehr schlecht, ich bäte ihn daher, mich nach Berlin zurückkehren zu lassen, eine Bitte, der er murrend entsprach. Frau Völckers war so nett, mich auf den Flugplatz zu begleiten. Auf Englisch, damit der Fahrer es nicht verstände, sagte sie, sie beneide mich. Denn sie habe das Gefühl, in einer Falle zu sitzen, was sich bei ihr persönlich gottlob nicht bewahrheitete.
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er Sturz und die Verhaftung von Luther 1 zogen weitreichende Folgen nach sich. Der „braune Flügel" des Hauses war blamiert, der „weiße" gewann an Prestige. Dies um so mehr, als Luther in seinem Schreiben an Himmler genau die Auffassung vertrat, für die sich Weizsäcker und seine Anhänger seit 1938 eingesetzt hatten: daß man mit Ribbentrop als Außenminister keine Politik fuhren könne und es undenkbar sei, daß die Alliierten ihn als Partner auch nur für die Einleitung von Friedensgesprächen akzeptieren würden.
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Ribbentrop konnte also gar nicht umhin, zum Ausgleich dem „weißen Flügel" des Amtes einen Schlag zu versetzen. Er ließ Weizsäcker kommen und erklärte ihm, er könne ihm jetzt einen verschiedentlich geäußerten Wunsch erfüllen und ihn zum Botschafter beim Vatikan ernennen. Es war dies eine unter den obwaltenden Umständen zu begrüßende Entscheidung; denn Weizsäcker war zwar geistig auf voller Höhe, aber nahe daran, unter der moralischen Bürde zusammenzubrechen. Außerdem glaubte er, ähnlich wie Trott2, man könne von Rom aus in subtiler diplomatischer Arbeit etwas bewirken. Wie alle in rein protestantischer Umgebung Aufgewachsene setzten sie Kurie als eine Art Staatsverwaltung und Kirche als zur Substanz geronnene Religion gleich und überschätzten das politische Interesse des Vatikans sowie seine Zielstrebigkeit und Stärke. Weizsäcker hatte naturgemäß den Wunsch, mich nachzuziehen. Ich war sein engster Vertrauter und obendrein schon einmal, von 1930-1932, am Vatikan gewesen. Es kam für mich nicht in Frage, diesen Wunsch abzulehnen, obwohl ich Genf vorerst interessanter fand als Rom, das nach meiner Auffassung erst ab dem Zeitpunkt, da es von den Alliierten überrollt worden wäre, an politischer Bedeutung gewinnen würde. Dann, so hoffte ich, könnten wir von unserem Asyl in der Vatikanstadt aus vielleicht erste Fäden zu den Alliierten knüpfen. Ich bestieg also in Genf im Juni 1943 den Schlafwagen nach Rom. Schon in Mailand gab es erste Gerüchte über einen schweren Luftangriff auf Rom. Auf der Zwischenstation in Florenz überrollte uns eine Sturmflut von Tatarennachrichten; ihnen zufolge mußte Rom etwa dem Bild gleichen, das Berlin im Mai 1945 bot. Die guten Italiener, denen meine Sympathie seit jeher galt, wälzten sich genießerisch in ihrer Angst, getreu ihrem Wahlspruch, man müsse das Leben dramatisieren - „bisogna dramatizzare la vita". Natürlich war auch ich nicht frei von Besorgnis, es könne Schlimmes geschehen sein. Diese Besorgnis wuchs mit der Verspätung unseres Zuges und der Bekanntmachung, wir müßten auf einem Vorortbahnhof aussteigen, die Gleise des Hauptbahnhofes seien zerstört. Als dann der Zug auf der Stazione Portuense hielt, bot sich mir ein jammervolles Bild: Alle Bahnsteige waren überfüllt mit italienischen Soldaten, die abgerissen und schmuddelig umherstanden, saßen oder lagen und einen apathischen Eindruck machten. Ich sagte mir: „Das ist das Ende." Fräulein Rahlke 3 und Braun 4 , die Mühe hatten, mich in diesem Chaos zu entdecken, beruhigten mich über das Schicksal Roms. Das Zentrum sei gar nicht bombardiert wor59
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den und auch die Zerstörungen in den Außenbezirken seien beschränkt, der psychologische Schock aber verheerend. Ohne viele Worte zu machen, waren wir uns einig: Je schneller das Ende in Italien einträte, desto besser sei es für die Italiener, für uns und die Westmächte. Denn ein spektakulärer Sieg der Demokratien auf der Apenninenhalbinsel werde, so weit im voraus rechneten wir bereits damals, ihre Position gegenüber der Sowjetunion stärken. Stalins aus Mut, Mißtrauen und Verachtung gemischter Ruf nach einer „zweiten Front" würde dann verstummen. Wunschgemäß hatte man mich im Hotel Excelsior auf der Via Veneto untergebracht, das elegant und gemütlich zugleich war. Den Gedanken an eine eigene Wohnung hatte ich schon bei meiner Versetzung nach Genf aufgegeben. Ich wollte - mit leichtem Gepäck - immer bereit zum Aufbruch sein und mich um materielle Dinge nicht kümmern müssen. Denn ich lebte in dem Wahn, wenn es nicht gelänge, Hitler rechtzeitig zu liquidieren, so würde der Himmel einstürzen und wir Spatzen tot sein. Statt meine Berliner Habe in die Schweiz zu verlagern, ließ ich alles an Ort und Stelle und besaß am Ende des Krieges nur zwei Koffer und drei Bücherkisten. Die Verluste lassen sich nicht abschätzen, vor allem an traditionellen Werten. Dennoch habe ich dies Verhalten nie ernsthaft bereut, war es doch Ausdruck meiner Existenz. Einen meiner ersten Besuche machte ich Nanina, der Portiersfrau, die mich in meinen jungen Jahren so rührend betreut hatte. Als ich in die dunkle Kellerwohnung hinabrief, ich sei wieder da, kam sie mit Freudentränen in ihren schönen Augen heraufgestürzt. Am liebsten hätte sie mich abgeküßt, und ich hätte auch nichts dagegen einzuwenden gehabt, von dieser hübschen, rundlichen Frau mütterlich geherzt zu werden. Aber sie war wohl nur halb so groß wie ich, und das hätte in dem großen Marmorportal, das sich zum Piazzale Flaminio außerhalb der Porta del Popolo öffnete, ein merkwürdiges Bild abgegeben. Nach eingehender Erkundigung nach den beiderseitigen Familien wollte Nanina wissen, wie es um den Krieg stünde. Sie war zwar ein Muster an zartem Herzenstakt, aber um ihre Lesekünste war es wohl immer schlecht bestellt gewesen; jetzt fand sie sich gar nicht mehr zurecht. Ich erzählte ihr also, in Sizilien ständen soundsoviel italienische und deutsche Divisionen soundsovielen amerikanischen und englischen gegenüber. Das sagte ihr, wie ich mir hätte denken können, gar nichts, und so fragte sie mit ängstlichen Kulleraugen: „Wieviel Soldaten sind das?" Auf meine Antwort, etwa eine halbe Million, entrang sich ihrer Brust der Seufzer: „Und zu denken, daß jeder dieser Soldaten Sohn einer Mutter ist!" (E pensare che ogni soldato e figlio di una mamma!) Seit mehr als einem Vierteljahrhundert steht dieser Seufzer einer schlichten Frau, auch wenn ich - wie zur Zeit - die Chancen des Nahost- und des Vietnam-Konflikts kühl durchrechne, als unüberhörbare Mahnung zur Menschlichkeit über der Bühne meines Lebens. An ein zweites Erlebnis jener ersten Tage denke ich weniger gern zurück. Brauns hatten zu einem typisch römischen Abend eingeladen. Man traf sich nach dem Essen auf dem flachen Dach des Hauses, über das die mit der Dämmerung aufgekommene Brise vom Meer kühl hinwegstrich. Wir saßen auf Gartenstühlen um einen einfachen Tisch, tranken aus großen,
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bastumwobenenfiaschi roten oder weißen Wein und naschten dazu Obst oder Salzmandeln. Außer mir waren zwei oder drei Stabsoffiziere eingeladen. Sie kamen von der Front in Sizilien und wollten nun von mir, den sie als Propheten aus der märchenhaften Schweiz ansahen, ganz genau wissen, wie es um den Krieg und unsere Lage stände. Ich konnte wieder einmal meinen Mund nicht halten und blubberte heraus: „Wenn wir so weitermachen, bleibt uns nur die Wahl, ob wir zuerst die angelsächsischen oder die sowjetischen Truppen durchs Brandenburger Tor marschieren lassen wollen!" Glücklicherweise gab es keinen Eklat, sei es, daß die Offiziere auf ein Wunder hofften, das diesem „So-Weiter-Machen" ein Ende setzen würde, sei es, daß sie sich stoisch-resigniert mit einem Achselzucken begnügten. Auf dem einsamen Heimweg machte ich mir Vorwürfe. Wie hatte ich so etwas sagen können! Nicht, daß ich eine Denunziation befürchtete, das taten unsere Elite-Truppen in Italien, wo zum letzten Mal von beiden Seiten ein Krieg nach ritterlichen Spielregeln gefuhrt wurde, nicht. Aber war ich nicht in vorlauter Weise taktlos, ja unmenschlich gewesen? Was konnten denn diese jungen Offiziere, die sich mit lässiger Eleganz auf ihren Stühlen räkelten, tun, um die Lage so zu verändern, daß die Tragödie nicht nur unseres Landes, sondern Europas abwendbar wäre? Des „Führers" Hauptquartier lag über Tausende von Kilometern hinweg im fernen Ostpreußen.5 Sollten sie desertieren oder überlaufen? Sie hätten nur ihre preußisch-aristokratische Integrität verloren, aber nichts am Lauf der Dinge geändert. Mußte ich vorlauter Zivilist ihnen meine Auffassung unter die Nase reiben? Meine einzige Entschuldigung war, daß es sich um einen Ausbruch der aufgestauten Verzweiflung handelte und nicht um einen Akt überheblicher Besserwisserei. Inzwischen nahm die politische Atmosphäre von Tag zu Tag an Gewitterschwüle zu. Doertenbach6, politischer Legationsrat an der Quirinal-Botschaft, sagte mir, er verfuge über Verbindungen zur italienischen Widerstandsbewegung; ob er mir ein Gespräch vermitteln solle? Ich stimmte zu, stellte aber zur Bedingung, daß dieses Gespräch mit dem Italiener, auch aus Sicherheitsgründen für Doertenbachs Person, unter vier Augen stattfinden müsse. Er könne ja dem Betreffenden ein Bild von mir zeigen, damit kein agent provocateur sich einschleiche. Wenige Tage später, an einem Nachmittag, empfing mich ein dem Hof nahestehender Aristokrat, wenn ich mich recht erinnere, war es der Duca d'Aquarone.7 Ich erzählte ihm aus der Schweiz; bald schon waren wir uns einig, daß das faschistische und das nationalsozialistische Regime dabei wären, unsere beiden Länder zu ruinieren. Soweit, so gut. Was der Vertreter des italienischen Hofes aber anschließend vorzuschlagen hatte, ließ mich so kalt, daß ich Mühe hatte, keinen Einspruch zu erheben. Es ging ihm ausschließlich darum, die feudalen Strukturen Italiens unter seinem armseligen König über die Katastrophe hinwegzuretten - nichts von Demokratie, nichts von wirtschaftlichen oder sozialen Reformen! Ich verabschiedete mich so bald als möglich in höflichster Form mit dem Bemerken, ich würde mir seine interessanten Ausführungen durch den Kopf gehen lassen. Für eine solche Zukunft auch nur das Leben eines einzigen Deutschen aufs Spiel zu setzen, war ich nicht bereit. Bei Gelegenheiten wie dieser - und sie haben sich in den folgenden Jahren wiederholt - merkte ich zu meiner eigenen Überraschung, daß ich offenbar weit links stand, wenn man die Klassifizierung von rechts und links akzeptierte, was ich nicht tat. 61
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Inzwischen kam der 25. Juli näher, der Tag, an dem der Große Faschistische Rat zusammentreten sollte.8 Jedermann erwartete von dieser Zusammenkunft entscheidende Beschlüsse, und je näher das Datum heranrückte, desto mehr war man angesichts der sich rapide verschlechternden Lage überzeugt, daß diese Beschlüsse zu einer Schwächung der Position Mussolinis führen müßten. Nur Botschafter von Mackensen9 ließ sich noch am Morgen jenes Tages nicht einmal durch das Votum seiner Mitarbeiter davon abbringen, dem „Führer" zu telegraphieren, Mussolinis Stellung sei stärker denn je. Es wäre meines Erachtens falsch, Mackensen wegen dieses Telegramms des Opportunismus zu zeihen. Er war ein korrekter Beamter, der allerdings nach dem Urteil von Welczeck 10 und Fran^oisPoncet 11 von Politik keinen Schimmer hatte. Er mochte manches an den „Auswüchsen" unseres Regimes mißbilligen, aber Opposition oder gar Widerstand wären ihm undenkbar erschienen. Sein angebliches Preußentum war, wie schon bei seinem Vater, dem Feldmarschall12, zum Wilhelminismus entartet. „Majestät brauchen Sonne", erklärten die Höflinge des letzen Kaisers. „Der Führer braucht Siegesmeldungen", meinten die neuen Höflinge und handelten entsprechend. Seit Jahrzehnten wird von Ausländern und auch einer großen Zahl von Deutschen erklärt, diesen Typ von autoritätsgläubigen und devoten Soldaten, Beamten und Politikern gäbe es nur bei uns. Es wäre zwar beschämend fiir uns, aber günstig für die weltpolitische Entwicklung, wenn dieses Kollektivurteil zuträfe. Denn auch im Ausland werden Zivilcourage und unabhängiges Urteil in zunehmendem Umfang kleingeschrieben. Meine Erfahrungen mit meinen amerikanischen Bekannten während der von Senator Joe McCarthy veranstalteten Hexenjagd Mitte der Fünfzigerjahre waren nicht ermutigend. Und solange in Deutschland der Rechtsstaat geherrscht hat und gottlob wieder herrscht, kann ich mich keines deutschen Ministers entsinnen, auch nicht in der kaiserlichen Zeit, der sich von seinem Staatsoberhaupt so hätte behandeln lassen wie die derzeitigen französischen Minister von de Gaulle. Aber zurück zum 25. Juli 1943 in Rom. Auch gegen Abend war noch nichts über den Verlauf der Großratssitzung zu erfahren. Als ich zu Bismarcks 13 kam, die mich zum Essen eingeladen hatten, verkündete mir der Buder mit feierlicher Miene, Seine Durchlaucht sei noch nicht von der Botschaft zurückgekehrt. Den Salon betretend, erblickte ich nicht nur die ebenso schöne wie kluge Hausfrau, sondern neben ihr zu meiner Überraschung Eugen Dollmann. 14 War das ein Zufall oder kluge Berechnung? Wußten Bismarcks, daß zwischen dem so undurchsichtigen und möglicherweise gefährlichen Dollmann und mir seit Beginn der Dreißigerjahre eine Art von Kameraderie bestand? Damals war Dollmann Stipendiat am Preußischen Historischen Institut15 gewesen, gut aussehend, aber nicht wohlhabend und offenbar von gesellschaftlichem Ehrgeiz zerfressen. Außerdem schien er mir isoliert zu sein, denn im Gegensatz zu den jungen Schülern von Ludwig Curtius 16 , die, wie damals alle Archäologen, der nationalen Rechten angehörten, war Dollmann Bohemien und etwa das, was man heute wie damals ungenau als Linksintellektuellen bezeichnete. Dollmann hatte für mich, obwohl mir die Stipendiaten des Archäologischen Instituts17 und der kunsthistorischen Bibliotheca Hertziana18 näherstanden, seine 62
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amüsanten Seiten. Außerdem machte ich mir damals wie später in Abwandlung des biblischen Gebots, man müsse sich Freund machen mit dem ungerechten Mammon, zur Regel, ich müsse mir Freunde machen mit meiner unverdienten Position. Denn als Botschaftsmitglied war ich fur die Stipendiaten so etwas wie ein großes Tier. Sechs oder sieben Jahre später traf ich Dollmann wieder: Anläßlich des Rom-Besuchs von Hitler 1938 stellte Himmler fest, daß er einen Privat-Dolmetscher benötigte. Es kam eine überstürzte Suche nach einem Kandidaten in Gang, schließlich entdeckte man Dollmann, und dieser ließ sich anheuern, wohl aus materieller Not, denn er war, soviel ich weiß, noch immer nicht über den Status eines Stipendiaten hinausgekommen. Bei Abschluß der HitlerReise verfugte er nicht nur über den undefinierbaren Rang eines SS-Sonderführers, sondern auch über eine elegante Uniform. Mein heimliches Grinsen über seinen raketenhaften Aufstieg registrierte er mit Erleichterung. Jetzt, bei Bismarcks, war er angesichts der Zeitläufte „dazu verurteilt", in Kürze die zweite und letzte Raketenstufe seiner Laufbahn erfolgreich in Betrieb zu setzen. Die schöne Gastgeberin, Dollmann und ich bemühten uns, die Zeit bis zum Eintreffen des Hausherrn mit „small talk" (Geplauder) über die „ewige Stadt" zu überbrücken. Plötzlich erschien sehr gemessenen Schrittes der Butler und erklärte, Seine Durchlaucht bäte, ihn zu entschuldigen; er könne nicht kommen, denn Mussolini sei gestürzt und verhaftet worden. Während ich noch sprachlos war, denn eine Verhaftung des „Duce" hatte ich nicht einkalkuliert, reagierte die Fürstin blitzschnell - Dollmann und der Butler waren ja zugegen. Mit südlichem Pathos rief die blonde Schwedin aus: „Wie undankbar von den Italienern, wo doch der Duce so viel für dies Land getan und ihnen sogar das Bündnis mit Deutschland eingebracht hat!" Ich wußte nicht, ob ich ob so viel fast zynischer Geistesgegenwart das Maul aufsperren oder grinsen sollte. Denn Annemarie Bismarck wußte, wie jedermann im Besitz seines gesunden Menschenverstandes, daß Mussolinis Bündnis mit dem „Dritten Reich" sein erster kapitaler und letztlich tödlicher Fehler war. Nachdem wir rasch gegessen hatten, fuhr ich zu Weizsäckers, die, weil ihre Möbel noch nicht eingetroffen waren, im Grand Hotel wohnten. Überall auf der Fahrt stieß ich aufjubelnde Gruppen von Italienern. Die Erleichterung über den Sturz Mussolinis und die Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende stand auf allen Gesichtern; von einem Wunsch, an den Faschisten Rache zu nehmen, war nirgends etwas zu spüren. Als ich Weizsäckers Zimmer betrat, stand er am Fenster und blickte still auf die tosende Volksmenge herab. Ebenso verhalten begrüßte er mich mit den Worten: „Das ist nur der erste Akt." In dem anschließenden Gespräch waren wir uns einig, daß der König 19 eine klägliche, ja üble Rolle gespielt habe, über die inzwischen Einzelheiten bekannt geworden waren. Nachdem Mussolini durch den Großen Faschistischen Rat abgesetzt worden war, empfing ihn der König in seiner Sommerresidenz, der Villa Savoia, in Audienz. Nach der Verabschiedung ließ ihn der König an der Pforte verhaften. War dies nicht eine Verletzung jeder zivilisierten Form, ja des seit jeher geheiligten Gastrechts? Eine klare Lösung wäre eine Verhaftung unmittelbar nach Beendigung der Großratssitzung durch höhere Offiziere, die Einsetzung eines Standgerichts von
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Generälen und eine Vollstreckung des Todesurteils in der gleichen Nacht gewesen. Dieser „chirurgische" Eingriff, dieses drakonische Vorgehen hätte den Italienern, ja allen Kriegfuhrenden viele Opfer und letztlich Mussolini selber ein unwürdiges Ende erspart. Natürlich hätte Hitler getobt und Rache geschworen, aber diese Rache würde er, so wie die Dinge lagen, ohnehin nehmen. In den darauf folgenden Tagen verausgabten sich der König, der neue Regierungschef Badoglio20 und die gesamte Prominenz mit Loyalitätserklärungen gegenüber dem deutschen Verbündeten; man werde den Krieg gemeinsam bis zum siegreichen Ende fortfuhren. In deutschen Kreisen wurde in jenen Tagen heftig darüber diskutiert, ob diese Erklärungen ehrlich gemeint und ernst zu nehmen seien. Angesichts der Lage Italiens erschien mir diese Diskussion müßig. Denn auch diejenigen, die ernstlich gewillt wären, den Krieg an der Seite Deutschlands fortzusetzen, würden binnen kurzem durch die Entwicklung der Kriegslage als Illusionisten entlarvt werden. Um aber kein Ol ins Feuer zu gießen, äußerte ich diese Auffassung nur im engsten Kreis. Ohnehin vernahm man nach wenigen Tagen, daß von deutscher Seite weitere Divisionen im Anrollen seien. Daß sie nicht für einen Fronteinsatz bestimmt waren, sondern Italiens Abfall verhindern sollten, lag auf der Hand. Es war in den darauf folgenden Wochen und darüber hinaus bis zum heutigen Tage unter Deutschen immer wieder von einem „Verrat" der Italiener an uns die Rede. Dem ist zu widersprechen. Es hat nie ein Bündnis zwischen den Italienern und den Deutschen gegeben; denn beide Völker hielten von einem solchen Zusammengehen, womöglich gar militärischer Art, ganz und gar nichts. Die „Achse Berlin-Rom" 21 war rein ideologischer Natur, wobei sogar die angeblich gemeinsame Ideologie nichts als ein Mißverständnis war. Hasseils energischer Widerstand gegen die „Achse"22 war nur ein Beweis dafür, daß wenigstens er seinen gesunden Menschenverstand nicht eingebüßt hatte. Kaum war das Bündnis geschlossen, begann der jüngere, aber erfolgreichere „Bruder" Hider, den älteren Bruder Mussolini nach allen Regeln deutscher Schulmeisterkunst zu schurigeln; Wagner triumphierte über Verdi. Als die Faschisten es wegen der von Hitler auf Kollisionskurs mit dem Westen ausgerichteten Außenpolitik mit der Angst bekamen, verpfändeten Hitler und Ribbentrop ihr Wort, vor 1941 sei an einen Krieg nicht zu denken. Dann „machte" Hitler im September 1939 „seinen" Krieg, besiegte in wenigen Tagen das arme, von allen verlassene und verratene Polen, hielt den Winter über still, überfiel im frühen Frühjahr Dänemark und Norwegen und begann am 10. Mai seinen Blitzkrieg gegen Holland, Belgien und Frankreich. Von einer Konsultation oder auch nur rechtzeitigen Unterrichtung Mussolinis konnte keine Rede sein; er durfte sich geschmeichelt fühlen, wenn er zwei oder drei Tage vor Beginn jener Aktionen informiert wurde. Angesichts der Schwatzhaftigkeit der Italiener, ein Vorwurf, der nicht unberechtigt war, mußten sie schon diese vorherige Unterrichtung als Vertrauensbeweis ansehen. Die Italiener haben in jenen tragischen Wochen nicht die Deutschen verraten, sondern die italienische Oberschicht hat unter dem Motto „Rette sich, wer kann" das eigene Volk schmählich im Stich gelassen. In den letzten Julitagen 1943 wurde Mackensen zurückberufen und Rahn 23 von Hitler als Botschafter am Quirinal mit besonderen Vollmachten nach Rom entsandt. Für mich 64
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persönlich war das eine Freude, denn einen treueren und mutigeren Freund konnte ich mir an meiner Seite nicht wünschen. In sachlicher Beziehung aber hatte ich gewisse Bedenken. War es nicht gefährlich fur Rahn, sich in dieser Spätphase des Krieges auf so hoher Ebene äußerlich mit dem Regime zu identifizieren? Ich mußte ihn darauf ansprechen. Und dann noch etwas anderes: Weizsäcker, den ich verehrte, und dem ich ergeben war, und mein alter Freund Rahn waren so verschieden, daß sie sich - obwohl Landsleute - nicht verstehen konnten. Sie redeten grundsätzlich aneinander vorbei: der eine leise und sich nur in Andeutungen ergehend, der andere laut und bei seinen glänzenden Formulierungen dem Pathos nicht ausweichend. Sie führten auf, was der Franzose den „monologue des sourds" nennt, d.h. sie konnten einander gar nicht hören. Eine Vermittlung war aussichtslos, obwohl sie mit verteilten Rollen ein glänzendes Gespann abgegeben hätten. Sie waren im Fundament, im humanen Ethos, eines Sinnes, realisierten dies aber spät oder gar nicht; immerhin waren beide so loyal und nobel, sich nie zu bekämpfen, sondern nur resigniert die Achseln übereinander zu zucken. Schon die Ankunft von Rahn war bühnenreif. Mit großer Geste entstieg er dem Flugzeug, mit großer Geste schritt er die Front des Empfangskomitees ab: Die Italiener, die deutschen Parteivertreter, hohe deutsche Militärs und die Mitglieder „seiner" Botschaft. Ganz am Ende dieser Staffel hatte ich mich aufgebaut - „hatte ich es nötig", wie die kleinen Berliner Juden es ausgedrückt hätten, mich vorzudrängein? Würde ich nicht vielleicht der menschliche Schlußakkord nach so viel Pomp sein? Und genau so geschah's. Mit einem Freudenschrei nahm mich Rahn am Arm, riß mich neben sich in sein Auto und befahl dem Fahrer: „Los!" Grinsend zurückblickend sah ich die verdutzten Gesichter unserer Parteibonzen. Ein paar Wochen lang würden sie sich fragen, ob ich nicht ein Super-Geheimagent ihres Führers sei, ein paar Wochen lang würde ich freier atmen können. Nebeneinander sitzend richtete ich Rahn mit besonderem Nachdruck die Willkommensgrüße und guten Wünsche Weizsäckers aus. Dann bogen wir bereits in den Garten der Villa Wolkonsky 24 ein, des Sitzes unserer „weißen" Botschaft. Am Hauseingang empfing uns der alte Diener, den ich schon kannte, als Neurath, Schubert, Hassell 25 und zuletzt Mackensen hier Hausherren gewesen waren. Ich fragte Rahn, ob er einen kleinen Imbiß oder nur einen Tee wolle - es war in den frühen Nachmittagsstunden - und er antwortete: „Tee". Ich führte ihn in den großen Salon und forderte ihn auf, einen Blick in den Garten zu werfen: Ein Stück Efeu-umsponnener Aquädukt-Bogen, davor Lorbeer, Palmen und noch blühender Oleander. Während er einen Augenblick lang humanistisch-musischen Jugenderinnerungen nachhing, erinnerte ich mich meiner Freundespflicht, holte dreimal tief Atem und sagte, die Anrede unserer Jugendzeit benutzend: „Rudel, warum hast Du diese Mission übernommen?" Während er mich noch entgeistert ansah, fuhr ich fort: „Wenn dies alles ein schleichendes Ende nimmt, werden die blöden Alliierten Dir den Prozeß als Kriegsverbrecher machen - und das hast D u nicht verdient!" Wie immer, wenn er verlegen war - und jeder von uns hat ja seine eigene Methode, derlei Situationen mehr oder weniger gut zu meistern - rettete er sich ins Pathos: Wieder fast elegisch in den Garten hinausblickend, sagte er: „Ich muß meiner Aufgabe treu bleiben!"
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Wenige Jahre später wurde er als Internierter in Italien und Häftling in Nürnberg zahllosen Erniedrigungen ausgesetzt. Für einmal war meine Prognose, man werde ihn in den Anklagezustand versetzen, zu pessimistisch gewesen; für einmal, ein einziges Mal, hatte ich die Stupidität und Rachsucht der Nürnberger Ankläger überschätzt. Einige Tage später machte er eine Bemerkung, die zwar nicht ernst gemeint, mir ein Beweis dafür waren, in welche Richtung sich seine Vorstellungen bewegten. Bei einer gemeinsamen Autofahrt durch Rom rief er plötzlich aus: „Gib mir hundert Jagdbomber und ich werfe Dir die Alliierten aus Italien!" Ich erwiderte etwas betrübt: „Das ist ja des Pudels Kern, daß wir diese Bomber nicht haben werden und auch nicht bekommen werden!" Er glaubte also immer noch, wir könnten militärisch mehr erreichen, als uns zäh-hinhaltend zu verteidigen, und sogar, das bewiesen viele seiner Äußerungen, Außenpolitik im eigentlichen Sinne des Wortes treiben. Wir, d.h. Weizsäcker, Braun und ich sowie alle unsere Freunde in Berlin oder etwa in der Schweiz, sahen die Lage viel düsterer. Wir hatten außenpolitisch jeden Spielraum verloren, ohne einen Sturz des Regimes würde sich das vor der totalen Niederlage nicht mehr ändern. Was uns als schwere Aufgabe blieb, war, durch unser persönliches Auftreten die These von der Kollektivschuld „der Deutschen" zu widerlegen und in mühseliger Kleinarbeit um Sympathie für unser Volk zu werben. Und schließlich mußte jeder von uns trotz aller damit verbundenen, unwägbaren und unabsehbaren Gefahren versuchen, in dem ihm zugänglichen Bereich der Grausamkeit und dem Terror entgegenzutreten, d.h. sie gegenüber den Machthabern offen als zweckwidrig hinzustellen oder sie - weit öfter - mit Einfallsreichtum und Mut zu sabotieren. In diesem Bereich des Menschlichen fanden wir in Rahn einen großartigen Verbündeten, der seine Beziehungen zu den Machthabern zu oft geradezu tollkühnen Aktionen ausnutzte. In den Wochen nach seiner Amtsübernahme führte Rahn ununterbrochen Gespräche mit dem König und Badoglio, mit den verbliebenen Faschisten, den Militärs und den Diplomaten. Angesichts der nicht enden wollenden Zusicherung, der Verpfändung des persönlichen Ehrenworts schwankte Rahn zwischen einer gewissen Zuversicht und tiefem Mißtrauen. Ich wich seinen entsprechenden Fragen aus, weil ich ja auch nichts „wußte", sondern nur von der Zwangsläufigkeit der Entwicklung überzeugt war, einer Zwangsläufigkeit, die Rahn seinem Temperament entsprechend bestritten hätte. Währenddessen vollzog sich die Arbeit der „schwarzen" Botschaft in der Stille. Der erste Kontakt zwischen Weizsäcker und Papst Pius XII. war mehr als gut verlaufen26; ich hatte nie daran gezweifelt, denn ihr Temperament und ihre Auffassung von den Aufgaben und Pflichten des Menschen in dieser Zeit waren auf weite Strecken identisch. Allerdings war Weizsäcker gegen eine Versuchung immun, der der Papst nicht immer entging. Von der Würde seines Amtes und der glänzenden Art, in der er sie zu repräsentieren verstand, geblendet zu werden. Höflinge, die ihn umgaben, ergingen sich nach italienischer Art in schrankenlosen Schmeicheleien. Den Papst kannte ich schon als Kardinal-Staatssekretär, dagegen war mir Maglione 27 , sein Nachfolger auf diesem Posten, unbekannt. Dessen zwei Vertreter allerdings, Montini 28 und
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Tardini 29 , waren schon in den dreißiger Jahren ab und zu meine Gesprächspartner gewesen. Tardini, untersetzt und bäurisch, war mir sympathisch durch Mutterwitz und Schläue. Wenn er polterte, konnte man ihm, ohne ihn zu verletzen, Widerpart geben, er hatte dann sogar etwas Warmherziges. Außerdem wußte man, woran man war, wenn er über politische Fragen sprach. Sagte er „wir", so meinte er damit ohne falsche Scham das italienische Volk unter seinem angestammten Herrscherhaus. Andere verstanden unter diesem Wort zuweilen die Katholiken oder die Kurie oder letztlich doch wieder ihre italienischen Landsleute. Montini war das genaue Gegenteil seines Kollegen: er war feingliedrig und wirkte eher zart; das Beherrschende an ihm war sein Kopf mit den klug abwägenden Augen und dem etwas sparsamen Mund. Sein Wesen war bis zur Ausschließlichkeit, bis zum Fanatismus geprägt von seinem hohen Intellekt, den er getreulich in den Dienst der Kirche stellte. So sehr ich ihn bewunderte, so sehr blieb er mir menschlich fremd, was sicher auf Gegenseitigkeit beruhte. Mir fehlten an seiner eindrucksvollen Persönlichkeit der auf Intuition beruhende gesunde Menschenverstand sowie das Musische und der Humor, die eine Atmosphäre menschlich erwärmen. In schwierigen Lagen, das wußte ich schon zu Beginn dieser erneuten Begegnung, würde er mich und meine Worte nicht verstehen. Zu meiner großen Erleichterung war die personelle Besetzung unserer Botschaft bis auf eine Ausnahme, die sich aber als harmlos erwies, hervorragend. Ein Schatten lag allerdings auf der jüngsten Vergangenheit. Bergen 30 hatte seine Versetzung in den Ruhestand, obwohl er längst die Altersgrenze überschritten hatte und seit Jahren kränkelte, als persönliche Unbill empfunden. Für ihn stellte sich die Lage so dar, daß Weizsäcker ihn auf Grund seiner engen Beziehungen zu den Machthabern von seinem Posten verdrängt habe! Ahnlich waren die Empfindungen von Menshausen 31 , dem Botschaftsrat, der sich während des größten Teils seiner Laufbahn, sei es in Rom, sei es in Berlin, mit den Vatikan befaßt hatte und wie Bergen ein vorzüglicher Sachkenner war. Auch er wurde in den Ruhestand versetzt, aber nicht, wie er verbittert meinte, weil wir, d.h. Weizsäcker und ich, seinen Posten oder, wie man heute, nur noch von finanziellen Kategorien ausgehend, sagt, seine „Planstelle" im Haushalt freimachen wollten. Für das NS-Regime war Menshausen, ein praktizierender Katholik, als Mitglied der Vatikan-Botschaft untragbar. Bergen und Menshausen waren also, um mich des Jargons dieses Regimes zu bedienen, längst „abschußreif', es kam nur darauf an, wer sie ersetzen würde. Statt zu erkennen, daß wir die Fackel einer humanitären Tradition gern aus ihren Händen entgegengenommen hätten, warfen sie sie empört in den Staub, aus dem Weizsäcker sie allerdings mühelos aufhob und neu entzündete. Die personelle Ausnahme an der Botschaft war ein gewisser Wemmer 32 , der uns von der NS-Kirchenkanzlei als Aufpasser zugedacht war und Botschaftsrat wurde, ein Posten, den Weizsäcker für mich vorgesehen hatte. Wemmer erwies sich als harmlos und gutmütig; er machte uns bald klar, daß er seine Aktivitäten an der Botschaft auf ein Minimum beschränken würde, wenn auch wir ihn ungeschoren ließen. Dann machte er sich eifrig daran, mit - milde ausgedrückt - unkonventionellen Methoden ein Vermögen zusammenzuraffen, wobei er, soweit wir das feststellen konnten, niemandem ernstlich weh tat. Er war ein lebendes 67
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Beispiel für meine Uberzeugung, daß, wenn der Rechtsstaat einer Diktatur oder Tyrannei das Feld hat räumen müssen, sich eine gewisse, in ihren Spielregeln festgelegte Korruption auf allen Ebenen, also nicht nur an der Spitze der Hierarchie, als schmerzlindernd und heilsam erweisen kann. Für diese Einsicht haben wir Deutsche im allgemeinen kein Organ. Wenn wir zwischen der Alternative „korrupt aber menschlich" oder „brutal aber korrekt" zu wählen haben, werden viele unserer Landsleute der Korrektheit vor allen anderen Erwägungen den Vorzug geben. Noch heute schaudert es ältere Franzosen in Erinnerung an die deutsche Besatzung, wenn ein Deutscher sich ihnen gegenüber in aller Harmlosigkeit des Ausdrucks „korrekt" bedient. Als nächster hinter Wemmer rangierte ich, war also dank seiner Zurückhaltung amtierender Botschaftsrat und mithin der Vertreter des Botschafters. Vor Antritt des neuen Postens hatte Weizsäcker in geradezu ultimativer Form meine Ernennung zum Legationsrat Erster Klasse durchgesetzt, eine Beförderung, die angesichts meines Alters (41) in normalen Zeiten längst fallig gewesen wäre. Ich war natürlich dankbar für diese Geste der Anerkennung und Freundschaft, fand aber, daß Weizsäcker sich gerade in meinem Fall unnötig vorgewagt hatte. Denn ich hatte ja diesen Beruf aus Passion ergriffen, um alle geistigen Möglichkeiten und Abenteuer, die er bot, auszuschöpfen. Vor allem aber wollte ich in der Zentrale oder auf interessanten Posten im Rahmen meiner Kompetenzen oder, sofern möglich, darüber hinausgehend politisch wirken. Titel und Bezahlung waren dabei nicht entscheidend. Denn mein Gut in Schlesien33 machte mich notfalls finanziell und, wenn man so will, gesellschaftlich unabhängig; ich wußte immer, wohin ich letztlich gehörte. Dagegen fand ich, daß Weizsäcker sich als politischer Direktor und vor allem als Staatssekretär zu wenig für die Beförderung der Berufsdiplomaten einsetzte. Wenn ich ihm das mit dem gehörigen Respekt klar zu machen versuchte, meinte er nur, jedes Verdienst finde am Schluß seine Belohnung. Weizsäckers schwäbisches Puritanertum war mit dem preußischen Staats- und Beamtenethos eine Verbindung eingegangen, die mich mit Respekt erfüllte. Seine daraus resultierende Auffassung, daß jedes Verdienst am Schluß seine Belohnung finde, schien mir jedoch weltfremd und durch die Praxis eines jeden Tages widerlegt. Der nächste in der Rangfolge der Botschaft war Wollenweber 34 , ein sensibler und etwas scheuer junger Mann, auf den man sich unbedingt verlassen konnte. Da er gut aussah und gesellschaftlich geschickt war, verfugte er - im Grunde als einziger unter uns - über enge Beziehungen zum „schwarzen" Adel, der päpstlichen Aristokratie. Da diese Kontakte infolge des Krieges und des Abschieds von Bergens und seiner charmant souveränen Frau kaum fortbestanden, aber politisch von Bedeutung waren, stellte er, solange die Alliierten noch nicht in Rom waren, einen unentbehrlichen Farbton in der Palette der Botschaft dar. In politischer Beziehung war er allerdings zuweilen von liebenswerter Naivität und ließ sich von den römischen Aristokraten allzu leicht einfangen. Der jüngste in unserem Kreis war Braun, politisch engagiert, einfallsreich und in jeder Beziehung begabt. Man hörte über ihn, vor allem aus dem Kreis seiner Altersgenossen, er 68
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mache aus Ehrgeiz von seinen Ellbogen einen zu starken Gebrauch. Mir erschien er mehr wie ein junges Fohlen, das mit seinen Kräften nicht weiß wohin und deshalb ab und zu anrempelt. Ich glaubte, er sei einer jener spät-reifenden blonden Männer aus dem Norden, die erst mit 50 Jahren oder später ihre Hochform erreichen, eine Prognose, mit der ich recht behalten habe - er ist zur Zeit unser erfolgreicher Botschafter in Paris. Aber auch abgesehen von dieser Prognose ist er in den äußerst schwierigen Jahren, denen wir entgegengingen, ein unbedingt zuverlässiger Kamerad gewesen und noch heute ein treuer Freund. Da auch die Sekretärinnen und die „mittleren Beamten", wie man damals sagte, also der Kanzler und die Konsulatssekretäre, ob Pg's oder nicht, unbedingt loyal waren und nur nach dem Motto handelten „wir sind eine Gruppe von anständigen Deutschen", war das ein Stab, der sich in schweren Zeiten bewähren würde. Und diese schwere Zeit ließ nicht lange auf sich warten: Am 8. September verkündete die italienische Regierung, sie habe mit den Alliierten einen Waffenstillstand abgeschlossen. Während das Volk von Rom und die italienischen Soldaten, denen sich auf Urlaub oder Durchreise befindliche deutsche Soldaten anschlossen, jubelten, stellten die Vorgänge hinter den Kulissen ein schändliches Blatt der italienischen Geschichte dar. Von wenigen noblen Ausnahmen abgesehen, verriet jeder jeden. Und auch die Haltung der Alliierten war bei den vorangegangenen und nachfolgenden Verhandlungen zwielichtig und fragwürdig. Doch davon erfuhr die Welt erst später. Wir Mitglieder der Vatikan-Botschaft sahen im Abschluß des Waffenstillstands den Beginn der Isolierung. Denn wenn wir auch wußten, daß Hitler weitere Divisionen nach Italien verlegt hatte, um den Abfall des Verbündeten zu verhindern, so rechneten wir doch mit einer Landung der Alliierten weit nördlich von Rom, die von ihrer das Mittelmeer beherrschenden Flotte abgedeckt werden würde. Was sie Monate später in Anzio/Nettuno35, also südlich von Rom, wenn auch unter Mühen und Verlusten durchsetzten, hätten sie im September ebenso gut in Norditalien bei Livorno erreichen können. Ihre übergroße Vorsicht hat viel zur Verlängerung des Krieges und zu schweren Opfern an Menschenleben und Kulturwerten beigetragen. Indessen ging es für uns vorerst nicht um Prognosen, sondern um die Probleme der nächsten Tage und Wochen. Gegen 1 1 Uhr am nächsten Morgen begab ich mich auf einen Vorortbahnhof, wo ein langer Zug für die Mitglieder der Quirinal-Botschaft bereitstand. Ich verabschiedete mich, Weizsäckers Grüße und gute Wünsche ausrichtend, innerlich bewegt nicht nur von Rahn, sondern auch von Bismarck, Plessen36, Doertenbach und Reichert.37 Würde man sich Wiedersehen, und, wenn ja, unter welchen Umständen ? Zur Botschaft zurückgekehrt, erfuhr ich, daß wir total isoliert seien. Nur die Telephonverbindung zum Vatikan funktionierte noch. Für den Rest des Tages hörte man aus Richtung der Albaner Berge hin und wieder Geschützfeuer, das sich nach ruhiger Nacht am nächsten Morgen verstärkte und näher zu kommen schien. Auch an diesem Morgen tappten wir hinsichtlich der Entwicklung außerhalb unserer nächsten Umgebung im Dunkeln. Beim Mittagessen mit Wollenweber und mir stellte Weizsäcker in der ihm eigenen, überaus diskreten Art die Frage, was man denn tun könne, um die Lage zu erkunden. Ich sagte, ich wäre 69
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gern bereit, in östlicher Richtung, also in Richtung auf die Albaner Berge, einen Vorstoß zu unternehmen. Wollenweber, der zwar nervös, aber nicht ängstlich war, schlug vor, mich in seinem weißen Rat Topolino zu fahren, wohin immer ich wolle. Ich machte von diesem Angebot gern Gebrauch, weil man mit dem winzigen Wagen am wenigsten auffiel. Der Verkehr war abgestorben, und nur wenige Fußgänger waren auf den Straßen zu sehen. Erst als wir bei Santa Maria Maggiore ankamen, hörte man Gewehrfeuer in unmittelbarer Nähe und sah die letzten Fußgänger wie aufgeschreckte Hühner in den nächsten Hauseingang flüchten. Als wir den großen Komplex der Kirche umfahren hatten, sahen wir, daß sich aus der Via Merulana ein Geleitzug langsam auf uns zu bewegte. Er bestand aus riesigen, erdfarbenen Lastkraftwagen, deren Mannschaft ununterbrochen Schüsse in die Luft oder auf die Dachgeschosse der Häuser abgab. Das schien mir Zivilisten ein recht albernes Unterfangen. Denn sollte wirklich jemand getroffen werden, so war es bestimmt ein Unschuldiger und nicht ein Dachschütze, der sich hinter irgendeinem Vorsprung oder Kamin verbarg. Aber zu solchen Betrachtungen blieb keine Zeit. Denn inzwischen hielt unser winziges Auto mitten auf dem leeren Platz. Wir waren ausgestiegen und winkten verzweifelt mit unseren weißen Taschentüchern - Servietten oder Handtücher, die fur diesen Zweck viel geeigneter gewesen wären, hatten wir vergessen mitzunehmen. Um meine Nervosität zu steigern, klammerten sich als einzige Lebewesen weit und breit zwei Italiener, ein alter, weißbärtiger Mann und ein junger Luftwaffengefreiter, an meine Rockschöße und schrien und wimmerten: „Sagen Sie ihnen, sie sollen nicht schießen!" Immer weiter winkend, schob ich die beiden Italiener Wollenweber zu, der die Landessprache weit besser beherrschte als ich. Eine bange Minute verging, dann hielt das erste Ungeheuer mit allen Bremsen kreischend neben uns und ein wilder Mann sprang gestikulierend und unverständliche Laute von sich gebend - es sollte Italienisch sein - auf uns zu. Nun schrie ich ihn auch meinerseits an, er solle gefalligst deutsch sprechen, wir seien ja Deutsche. Als er das endlich verstanden hatte, verwandelte er sich in Sekundenschnelle in einen jungen deutschen Offizier, der respektvoll zuhörte Ich erklärte ihm mit lauter Stimme, damit auch seine Leute es hören könnten, der Deutsche Botschafter beim Vatikan habe uns ihnen entgegengesandt, sie zu begrüßen. Nach einer winzigen Pause fuhr ich fort, nun aber sollten sie das Schießen aufgeben, sie hätten den eigentlichen Sperrgürtel durchbrochen - ich war stolz, daß mir diese Flunkerei einfiel - und wohl wenig mehr zu befürchten; es genüge, gut aufzupassen. Er erwiderte, sie hätten durch Schüsse aus den Obergeschossen und von den Dächern Verluste gehabt. Während ich verständnisvoll nickte, ging ein Strahlen über sein junges Gesicht, er wurde wieder ganz lebendig und rief: „Herr Botschaftsrat, steigen Sie herauf, steigen Sie herauf und zeigen Sie uns den Weg ins Zentrum!" Das war wohl das letzte, was ich mir wünschte: an der Spitze der deutschen Fallschirmjäger, denn um solche handelte es sich, siegreich in Rom einzuziehen! Ich sagte deshalb mit schnarrender Stimme, das sei unmöglich, der Botschafter hätte mir befohlen, ihm sofort zu melden, wenn mein Kamerad und ich Verbindung mit den deutschen Truppen aufgenommen hätten. Während ich Wollenweber ein Zeichen gab, sich wieder in den Wa-
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gen zu setzen, fragte ich den Offizier, ob er einen Plan von Rom hätte. Natürlich hatte auch in diesem Fall das deutsche Organisationstalent nicht versagt. Er kramte den Plan hervor und ich zeigte ihm, wo wir waren und wie er zur Piazza Venezia und zur Piazza del Popolo kommen könne, womit Rom in deutscher Hand sei. Dann aber kam ich zum eigentlichen Zweck dieses Zwischenspiels und wies ihn auf die deutlich eingezeichneten Grenzen des Vatikanstaats hin. Es sei strengster Befehl des Führers, diese Grenzen unbedingt zu achten, er solle seine Leute, damit kein Versehen vorkomme, am besten in weitem Abstand davon halten. Hierauf verabschiedete ich ihn und klemmte mich in den Topolino, während uns die Soldaten - jetzt beruhigt und ganz vergnügt - zugrinsten. Auf die Botschaft zurückgekehrt, gab mir Weizsäcker die Weisung, ich solle unverzüglich zu Montini fahren und ihm in seinem Namen in aller Form erklären, der Führer und Reichskanzler - in dieser Form wurde gegenüber Ausländern von Hitler gesprochen - habe strenge Weisung erteilt, die Neutralität der Vatikanstadt aufs Strikteste zu beachten. Eine solche Weisung war uns schon vor einigen Tagen „für alle Fälle" durchgegeben worden. Es dauerte lange, bis es gelang, mich telephonisch bei Montini anzumelden, und noch länger, bis ich vor ihm stand. Ich gab meine Erklärung ab, die Montini mit eisiger Miene und schweigend entgegennahm. Anschließend sagte ich, er möge mir noch eine persönliche Bemerkung erlauben, und erklärte ihm in zwar indirekter, aber unmißverständlicher Form meine Haltung gegenüber dem NS-Regime und meine Auffassung über die Entwicklung in den letzten Stunden. Ich gab meiner Hochachtung vor der Kirche Ausdruck und versicherte ihm, ich sei bereit, alles in meinen Kräften Stehende zu tun, sie zu verteidigen und stände zu seiner Verfügung. Obwohl mich diese Erklärung, wenn sie der Partei bekannt geworden wäre, ins KZ gebracht hätte, kassierte Montini sie wie ein Schaffner die Straßenbahngebühr. Mich höflich verabschiedend, zog ich enttäuscht und zornig von dannen. Die nächsten Tage waren turbulent, weil die deutschen Fallschirmjäger nebst Troß Rom überfluteten; doch es gab keine nennenswerten Zwischenfälle. Indessen wurde fur uns das Verhängnis sichtbar; es zog wie eine Gewitterwand am Horizont herauf: Rom in deutscher oder, besser gesagt, in nationalsozialistischer Hand bedeutete, daß kein Jude seines Lebens sicher sein konnte. Weizsäcker, der sich dieser Drohung schon am Abend des Einmarsches bewußt war, wirkte wie gelähmt. Ich dachte mir, wenn er gewußt hätte, daß er mit dieser Entwicklung konfrontiert werden würde, hätte er diesen Posten nie angenommen, geschweige denn angestrebt. Nun mußte er, ein Feldherr ohne Divisionen, eine Schlacht annehmen, die, wenn kein Wunder geschah, nur mit einer Niederlage enden konnte. Und dafür mußte er auch noch wenige Jahre später Schmähungen anhören aus dem Munde derjenigen, die damals noch, fernab vom Schuß, in bequemen Sesseln saßen und diejenigen Ideale gefahrlos verkündeten, die er an der politischen Front Zoll für Zoll zu verteidigen suchte.38 Am Abend dieses und erst recht am Morgen des folgenden Tages rief mich Weizsäcker zu sich, um zu beraten, was wir zur Rettung der in Rom lebenden Juden tun könnten. Vatikanische Stellen einzuschalten erschien uns aus mancherlei Gründen untunlich. Sie mußten selber wissen, was ihre Christenpflicht war. Unter den Italienern gab es zweifellos viele, die 71
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nur allzu gern mit uns zusammengearbeitet hätten, um die Juden zu warnen und damit, so meinten wir damals, zu retten. Aber wir hatten kein Vertrauen in ihre Diskretion. Würde sich derjenige, den wir mit dieser lebensgefährlichen Mission betrauten, nicht bald seiner Heldentat rühmen?39 Schließlich verfiel ich auf einen Ausweg. Der Generalsekretär des Instituts für Internationales Privatrecht, der Schweizer Fahrener40, war in meinen Augen der richtige Mittelsmann. Wir hatten uns bisher nur selten getroffen, aber ich hatte ihm sofort Sympathie entgegengebracht. Wir konnten diesem stillen und kultivierten Mann und seiner moralischen Integrität volles Vertrauen schenken. Ich suchte ihn auf gut Glück gegen Abend in seinem Haus auf, denn zu telefonieren wagte ich nicht.41 Er war gottlob da. Ohne viele Umschweife fragte ich ihn, ob er Juden kenne. Als er dies bejahte, erklärte ich ihm, er müsse sich sofort mit ihnen in Verbindung setzen und ihnen eindringlich klarmachen, daß sie sich in äußerster Lebensgefahr befanden. Er war überrascht und meinte, Ruhe und Ordnung seien doch wider Erwarten schnell wiederhergestellt worden. Ich erwiderte ihm, man merke ihm an, daß er nie in einem totalitären Staat gelebt habe. Denn der planmäßige Terror setze erst ein, wenn die chaotischen Zustände überwunden seien. Wie erwartet, sagte er mir zu, er werde sein Bestes tun. Parallel zu meiner Aktion war Weizsäcker beim Papst gewesen und hatte ihn vor einem offiziellen Protest gewarnt. Denn ein solcher Protest werde keinem einzigen Juden das Leben retten, und Hitler in äußerste Wut versetzen, die auch vor seiner, des Papstes, Person möglicherweise nicht Halt machen werde. Hochhuth hat in seinem Stück „Der Stellvertreter" darin ein Komplott zweier Machiavellisten gesehen. In jenen Schreckenstagen hätte ich mir geradezu gewünscht, daß dies der Fall wäre. Statt dessen waren Weizsäcker und der Papst, beide Vertreter einer um 20 Jahre älteren Generation, wie gelähmt, während Braun und ich meinten, man müsse unbedingt etwas tun. Im übrigen hat Hochhuth später seine Anklage gegen Weizsäcker, die er auf dessen Telegramme an Ribbentrop basierte, die natürlich im Sinne Ribbentrops verfälscht waren, zurückgenommen. Dieser Wandel war darauf zurückzuführen, daß ihm eine Äußerung Trotts bekannt wurde, wonach wir alle in Weizsäkker den Mentor unseres Kreises gesehen hätten.42 Auf einer dritten Ebene kam es zu einem makabren Zwischenspiel: Die Vertreter der jüdischen Gemeinde boten über irgendeine katholische Stelle der Gestapo ein Kilogramm Gold an, wenn man sie in Ruhe ließe. Diese Naivität war zum Haare-Raufen! Natürlich würde die Gestapo, sobald sie das Gold in ihrem Besitz hätte, jeden Juden, dessen sie habhaft würde, umbringen. Ich stürzte am Abend wieder zu Fahrener. Leider verlor ich die Fassung und schrie ihn an, ob er die Juden nicht energisch genug gewarnt hätte. Ihr Blut würde über uns, die Mitglieder der Deutschen Botschaft beim Vatikan kommen, obwohl wir doch wirklich unter Gefahr fur unser eigenes Leben unser Möglichstes getan hätten. Während ich meinen Wutausbruch schon bereute, erwiderte Fahrener ganz ruhig, er habe die ihm bekannten Juden gewarnt und sie aufs dringlichste aufgefordert, sich entsprechend meinem Vorschlag in Rom zu verstecken oder, besser noch, auf eines der Dörfer in der Umgebung zu flüchten, was niemandem auffallen werde, da ohnehin Tausende von Flüchtlingen hin- und herfluteten. Er 72
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werde aber die Juden, die er kenne, noch einmal warnen. - Hier wie anderswo, das möchte ich als persönlichen Kommentar hinzufugen, erwies sich ein erheblicher Teil der Juden als erstaunlich fatalistisch, ein Verhalten, das wohl auf ihre orientalische Herkunft zurückging.43 Am nächsten oder übernächsten Tag machte die Gestapo eine Generalrazzia auf die Juden, verschleppte sie nach dem Norden und brachte sie dort um. Ihre Zahl spielt keine Rolle, denn auch wenn es sich nur um zehn gehandelt hätte, wäre es doch ein von der deutschen Regierung befohlener Mord gewesen. Die tatsächliche Zahl der nach Norditalien verschleppten und dort ermordeten Juden ist bekannt, es waren ihrer [1.2 5 9].44 Dagegen habe ich trotz mancher Nachforschung nie eine Statistik ausfindig machen können, wie viele römische Juden dem Massaker entgangen sind. Ich hoffe und glaube, daß es die Mehrheit war, sei es, daß sie aus Rom geflohen waren, ein privates Versteck ausgemacht oder in Klöstern und anderen katholischen Institutionen ein Asyl gefunden hatten. Das Verhalten Pius XII. in jenen Schreckenstagen ist schon vor dem Stück Hochhuths, „Der Stellvertreter", und erst recht nachher, auf scharfe Kritik gestoßen. Aus seiner vorhandenen Sympathie für das deutsche Volk hat man geschlossen, er habe diese Sympathie auch auf das Nazi-Regime übertragen. Das ist absurd. Er war einfach weitsichtiger als die westlichen Staatsmänner mit ihrer These einer deutschen Kollektivschuld und der Forderung nach einer bedingungslosen Kapitulation. Man schaffe damit, so meinte er, im Herzen Europas ein Machtvakuum, das die Sowjets mit Gewalt auffüllen würden. Die Entwicklung hat ihm leider Recht gegeben. Andere Kritiker, vor allem Hochhuth, werfen ihm vor, daß er kraft seines Amtes einen flammenden Protest gegen die vor seinen Augen stattfindenden Judenverfolgungen hätte einlegen müssen.45 Auch wenn ein solcher Protest keinem einzigen Juden geholfen hätte, sei es die Pflicht des „Stellvertreters" Jesu Christi auf Erden gewesen, seine Stimme zu erheben, selbst auf die Gefahr hin, den Märtyrertod zu sterben. Ich hielt und halte auch heute noch die Möglichkeit, daß er sich einer Gefangennahme durch die SS widersetzt hätte und daraufhin erschossen worden wäre, für nicht ganz ausgeschlossen.46 Nur bin ich überzeugt, daß Pius XII. sich zu seiner Haltung nicht aus Opportunismus oder Angst, sondern in stundenlanger, ja tagelanger Gewissenserforschung entschlossen hat. Und das genügt mir.47 Die Ereignisse vom September 1943 bis zum Juni 1944, als die Alliierten Rom einnahmen oder, wie es in ihrer Sprache - nicht ganz zu Unrecht - hieß, „befreiten", chronologisch zu schildern, wäre schwierig und entspräche nicht meiner Intention. Denn nur die Erinnerung ist, um es nochmals zu sagen, das Thema meines subjektiven und durch keinerlei Aktenstudium abgestützten Buches. Deshalb möchte ich, ehe ich auf die seltsamen, ja manchmal fast heiteren Erlebnisse der kommenden Monate zu sprechen komme, noch ein zweites Ereignis erwähnen, das uns mit Entsetzen erfüllte. Am 24. März 1944 wurden in der Via Rasella deutsche Rekruten, wie es hieß Südtiroler Bauernsöhne, durch eine von einem Mitglied der italienischen Widerstandsbewegung 73
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geschleuderte Bombe getötet.48 Kappler49, Himmlers Beauftragter in Rom, so wurde erzählt, habe von Himmler die telephonische Weisung erhalten, Geiseln im Verhältnis 3 zu 1 zu erschießen. Hitler habe diesem Vorschlag zugestimmt. Weizsäckers Kommentar war: „Damit wird genau das getan, was mit dem Attentat beabsichtigt war. Wir bringen durch diese summarischen Erschießungen auch die noch einigermaßen wohlgesinnten Italiener gegen uns auf!" Er telephonierte mit Kesselring50, setzte sich auf Umwegen mit Canaris 51 in Verbindung, auch Rahn ließ vom Gardasee aus52 seine Beziehungen spielen. Alle diese Interventionen blieben wirkungslos oder kamen zu spät. Der einzige, der die Lage noch hätte retten können, wäre Kesselring gewesen. Er hätte von Hitler einen Aufschub verlangen, sich im Flugzeug nach Ostpreußen begeben53 und dem „Führer" einen Vortrag über den Unsinn der geplanten Geiselerschießungen halten müssen. Zu einer derartigen Initiative war Kesselring, wenngleich im allgemeinen wohlmeinend und guten Willens, zu schwach. In normalen Zeiten hätte er in Süddeutschland, woher er stammte, bestenfalls einen durchschnittlichen Regimentskommandeur abgegeben. Die Zeitläufte und sein Dialekt, der Hitler geläufig war, spülten ihn auf dem Kamm der NS-Flugwelle zum Feldmarschall empor. Er hat, so will mir scheinen, weder als „Feldmarschall" noch als „Kriegsverbrecher" so recht verstanden, was mit ihm geschah. Angesichts dieser Entwicklung kam vom Führerhauptquartier nochmals der Befehl zum Massenmord. Am [24. März 1944 wurden 335 Geiseln] in den Fosse Ardeatine erschossen. Drei Tage später erlebte ich ein Nachspiel persönlicher Art. Unangemeldet erschien Virginia Casardi 54 in meinem Büro und wünschte mich zu sprechen. Ich kannte sie flüchtig aus Berlin, wo ihr Mann als italienischer Diplomat auf Posten gewesen war. Sie selber war Amerikanerin und entstammte offensichtlich einer vornehmen Familie; obendrein war sie eine Schönheit. Als sie mir gegenüber Platz genommen hatte, meinte sie sichtlich verlegen, sie komme in einer heiklen Angelegenheit. Der alten Signora de Grenat sei vor 48 Stunden offiziell mitgeteilt worden, ihr Sohn sei unter den Opfern der Fosse Ardeatine. Heute aber habe ihr jemand erzählt, er habe vor einer Stunde ihren Sohn auf einem deutschen Lastkraftwagen stehend wiedererkannt. Ich verfluchte insgeheim die italienische Sensationssucht, die sich in diesem Fall so grausam auswirkte. Denn wenn ich auch sonst kaum etwas über die Erschossenen wußte, so war mir doch bekannt, daß der junge de Grenat, Mitglied des Außenministeriums und ein nobler und mutiger Mann, zu den Opfern zählte. Ich stand auf und sagte: „Bitte richten Sie der alten Dame aus, daß ihr Sohn wie ein Held für die Ehre seines Landes und Volkes gestorben ist." Sie schien überrascht, weniger über die Nachricht als solches als über meine Offenheit und die Art der Formulierung. Sie erhob sich gleichfalls und reichte mir, gewissermaßen als Zeichen des Einverständnisses und der Versöhnung, spontan ihre Hand, die ich küßte. Ohne ein weiteres Wort zu wechseln, geleitete ich sie zur Pforte. In mein Zimmer zurückkehrend, schüttelte ich mich vor Kummer und Entsetzen. In den folgenden Monaten, ja noch nach unserer Übersiedlung in den Vatikan, haben mich neben der regulären Arbeit zwei Fragen sehr beschäftigt und meine Zeit in Anspruch genommen: der Kunstschutz und die Zukunft der deutschen Institute in Rom. Mit beiden 74
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Aufgaben hatte mich Rahn betraut, weil der aus jeweils nur einem oder zwei höheren Beamten bestehende Reststab der Quirinal-Botschaft sich ihrer nicht annehmen konnte. Bei dem Kunstschutz ging es um zweierlei Dinge: um die Bewahrung von wertvollen Baulichkeiten und den mit ihnen fest verbundenen Kunstwerken vor versehentlicher oder mutwilliger Zerstörung. In dieser Hinsicht konnte ich wenig bewirken. Unsere Truppen wurden von militärischer Seite aufgeklärt und führten sich im großen Ganzen vorbildlich auf. Die Alliierten aber von wahllosen Bombenangriffen auf das alte Zentrum der Städte abzuhalten, war Sache des Vatikans. Um so mehr Arbeit - eine sehr befriedigende übrigens - hatte ich mit dem Schutz ausgelagerter Kunstschätze. Die Italiener waren von dem verzeihlichen Irrtum ausgegangen, nur die Städte seien von der Zerstörung bedroht, und hatten die Kunstwerke aufs Land verlagert, vor allem in Schlösser und Klöster. Inzwischen aber war deutlich geworden, daß diese Schlösser und Klöster angesichts der langsam von Süden auf Rom vorrückenden Front bald mitten im Kampfgebiet liegen würden. Gefahr also war im Verzug. Der Vatikan erklärte sich bereit, die geretteten Skulpturen, Bilder oder Archive in Verwahrung zu nehmen. Das Oberkommando des Heeres stellte, wie schon früher in Frankreich, großzügig Transportmittel zur Verfugung, obwohl größter Mangel daran bestand. Und es fand sich eine Gruppe von jüngeren Deutschen, die, aus irgendwelchen Gründen vom Militärdienst freigestellt, in Rom ihrer bisherigen Tätigkeit an den deutschen Instituten nachgingen. Sie erklärten sich spontan bereit, auf den zur Verfügung gestellten Lastwagen an die Auslagerungsorte zu fahren und die Bergung der Kisten in die Hand zu nehmen. Dies war um so mehr anzuerkennen, als diese Fahrten ins Land hinein wegen der zahlreichen Tieffliegerangriffe tagsüber außerordentlich gefährlich waren, wie denn auch Truppenbewegungen nach Möglichkeit nachts stattfanden. Eine Nachtfahrt sowohl für den Hin- wie für den Rückweg war aber im vorliegenden Fall aus Gründen der Zeitersparnis nicht möglich. Denn die Soldaten wollten ihre Wagen nachts wieder zur Verfügung haben. Glücklicherweise hat keiner der jungen Leute Schaden genommen. Bald kam auch mein Freund Tieschowitz 55 aus Paris zu einem längeren dienstlichen Aufenthalt nach Rom. Er wollte sich überzeugen, daß der Kunstschutz in Italien ebenso gut funktionierte wie in Frankreich. Trotz vieler Arbeit konnten wir doch manches Schöne gemeinsam besichtigen und mit „Mucki" Windischgraetz 56 sogar einen Privatausflug auf dessen an Bauern verpachtetes „Podere" (kleines Gut) südlich von Terracina machen. Noch ließ die Kriegslage dies zu, wenn man auch auf dem Podere schon Geschützdonner von der Front im Süden hörte. Tieschowitz und ich unternahmen obendrein eine Dienstfahrt ziemlich weit ins Land hinein in Richtung auf Monte Cassino. Es war bekannt geworden, daß die Division Hermann Göring die gesamten Bilder des Nationalmuseums von Neapel aus einem frontnahen Depot geborgen hatte. Wir machten uns also auf und fanden nach einigem Suchen das Stabsquartier der Division idyllisch in einem Pinienhain versteckt. Ein Oberst oder Oberstleutnant Jacobi empfing uns höflich, ja zuvorkommend. Als wir ihm unsere Wünsche
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mitteilten, erwiderte er, es werde der Division eine Ehre sein, die Bilder aus Neapel dem Vatikan zur Verwahrung zu übergeben. Wir atmeten auf, denn so leicht hatten wir uns die Erfiillung unserer Aufgabe nicht vorgestellt. Doch waren wir voreilig, denn am Schluß seiner Äußerungen ließ Jacobi einfließen, einige der Kisten würden sie allerdings zurückbehalten, aber höchstens vier oder fünf. Göring feiere demnächst seinen 50. Geburtstag, da wolle die Division, die seinen Namen trage, ihm eine kleine Freude machen. Abwechselnd redeten wir eine halbe Stunde auf ihn ein, die Bilder seien weltbekannt und natürlich registriert. Ihr Verschwinden könne nicht verborgen bleiben und werde die Division mit dem Makel des Kunstraubs belasten. Er blieb liebenswürdig, aber unerbittlich. Nach ein paar Tagen wurde in Rom von der Wehrmacht ein großer Propagandarummel veranstaltet. Unter feierlichem Geleit wurden etwa 1600 Kisten voller Kunstschätze durch Rom nach dem Vatikan gebracht. Auch der arme Abt von Monte Cassino mußte sich höchst widerwillig diesem Zug anschließen, weil einige der Kisten die wertvollsten Bücher und Handschriften aus der Bibliothek des Klosters enthielten. Aber der zu erwartende Ärger blieb nicht aus. Schon nach wenigen Tagen erschienen zwei italienische Museumsbeamte bei mir und erklärten, die Kisten mit den wertvollsten Bildern, den Tizian-Portraits des Farnese-Papstes Paul V. und seiner Nepoten sowie der große Breughel „Die Blinden und der Lahme" seien nicht mit abgeliefert worden. Sie müßten darauf dringen, daß die Botschaft nachforsche, wo die Bilder verblieben seien. Damit war die letzte Hoffnung, die Tieschowitz und ich gehegt hatten, geschwunden. Wir hatten nämlich angenommen, es werde in der Division niemand sein, der etwas von Kunst verstünde. Deshalb würden möglicherweise nur eine Reihe von zweitklassigen Bildern als Geschenk für Göring ausgesondert werden. Weit gefehlt: Die munteren Landsknechte hatten mit Kennerblick die vier oder fünf schönsten Bilder aus Neapel beiseite geschafft. Von diesem Tag an hatte ich eine Laus im Pelz. Mit jener Hartnäckigkeit, die nur die Italiener bei der Verfolgung begrenzter materieller Ziele aufbringen, erschienen Woche für Woche Assistenten vatikanischer oder italienischer Museen und Institute bei mir, um sich nach dem Verbleib der Bilder zu erkundigen. Monat für Monat telegraphierten wir an das Auswärtige Amt, ob dort etwas über die Angelegenheit bekannt war. Immer wieder bekamen wir die gleiche höflich-negative Antwort, bis uns eines Tages, als wir schon lange in der Vatikanstadt waren, in recht unverblümter Form die telegraphische Weisung erreichte, wir sollten uns um unsere eigenen Angelegenheiten kümmern. Das war für mich, und Weizsäcker und Braun stimmten mir zu, der Beweis, daß Göring die Bilder erhalten hatte und sich jede Einmischung verbat. Gleichzeitig gab mir dies die Gelegenheit, den wöchentlichen vatikanischen oder italienischen Erkundigungen und Klagen ein Ende zu setzen. Als wieder ein Museumsmann bei mir erschien, sagte ich ihm, ich hoffe von ganzem Herzen, daß die Bilder von deutschen Soldaten entwendet worden seien. Er glaubte, nicht recht gehört zu haben, und bat mich, meine Worte zu wiederholen. Ich tat dies und fügte hinzu, Kunstraub habe es zu allen Zeiten gegeben, vor allem unter Napoleon I., aber auch während des Opiumkrieges gegen China in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, als die Engländer 76
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und Franzosen aus Peking ganze Ladungen von Kunstschätzen hätten „mitgehen" lassen. Wenn deutsche Soldaten sich des gleichen Ubergriffs, den ich gar nicht beschönigen wolle, schuldig gemacht hätten, sei ich beruhigt. Denn dann würden die Tizians und der Breughel jetzt mit dem deutschen Museumsbesitz sicher in einem Bergwerk ausgelagert sein (was sich denn auch im Sommer 1945 bewahrheitete) und könnten in einigen Jahren in Neapel wieder öffentlich gezeigt werden; in Neapel, weil ich gegen jeden Orts- und Besitzwechsel von Kunstwerken ersten Ranges sei. Wenn aber die Tizians und der Breughel nicht beiseite geschafft worden seien, so hieße dies doch, daß sie irgendwo und irgendwann einem Luftangriff zum Opfer gefallen wären, ein unersetzlicher Verlust nicht nur fiir Italien, sondern für das gesamte Abendland. Von jenem Tag an wurde ich mit diesem Problem nicht mehr behelligt. Dafür erwies sich die andere Aufgabe, die mir Rahn gestellt und die ich mit Freuden übernommen hatte, in ihrem Ablauf als typisch für unseren Beruf: die Betreuung unserer römischen Institute. Diese Aufgabe war wichtig, denn nirgendwo sonst im Ausland verfugten wir über ein Kulturzentrum, das international solchermaßen anerkannt war. Und gleichzeitig erwies sich diese Aufgabe als ungemein heikel und langwierig und, solange ich mich ihrer annahm, als Fehlschlag. Es ging um das altehrwürdige Archäologische Institut mit seinem weltweiten Ruf, ferner um die von einer deutschen Jüdin gestiftete Bibliotheca Hertziana in ihrem alten Palast in der Nähe von Trinitä dei Monti, die alle internationalen Publikationen zur italienischen Kunst umfaßte und in deren Lesesaal es in Friedenszeiten von Ausländern wimmelte. Und schließlich um das Preußisch-Historische Institut, das im Verborgenen blühte, aber das für jeden Gelehrten, der sich mit der Geschichte des christlichen Roms befassen wollte, ein hortus seclusus - ein stiller Garten - mit auch den seltensten Blumen war. Die Bedeutung dieser drei Institute stellte mich vom Tage des deutschen Einmarsches in Rom an vor eine Alternative, für die es keinen Kompromiß gab. Sollten die Institute, d.h. ihre Bibliotheken und Archive, geräumt und ins Reich verlagert oder der Treuhänderschaft des Papstes, also des Vatikans, überantwortet werden, wozu sich dieser bereit erklärt hatte? Natürlich waren alle Mitglieder der Institute unter Führung von Ludwig Curtius, der zwar im Ruhestand lebte, aber noch äußerst aktiv war, für den Verbleib in Rom, zumal die vatikanische Lösung geradezu ideal war. Die Quirinal-Botschaft teilte ebenso wie die Vatikan-Botschaft diesen Standpunkt, nicht aber die Partei. Je länger der Krieg dauerte und je fragwürdiger sein Ausgang fvir die Nazis wurde, desto mehr gesellte sich zu der von Anfang an bestehenden Raffgier die Neigung, tabula rasa zu machen. Viele von ihnen hätten wahrscheinlich am liebsten die Methode der „verbrannten Erde" angewandt, wußten aber, daß die Soldaten das nicht mitmachen würden. Ich führte also einen monatelangen zähen Kampf mit den Berliner Parteistellen und ihren römischen Abgesandten um den Verbleib der Institute und wurde dabei vor allem von den Archäologen mutig unterstützt. Eines Vormittags aber erschien ein hoher Parteifunktionär und bedeutete mir, ich solle meinen Widerstand gegen den Abtransport der Bibliotheken, 77
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Photoarchive und der sonstigen beweglichen Habe endlich aufgeben; sonst werde ich mit persönlichen Schwierigkeiten zu rechnen haben. Die Entscheidung war also gefallen, und mir blieb nichts anderes übrig, als vor dieser offenen Drohung zurückzuweichen. Wenigstens verlief der Abtransport geordnet, die Bibliotheken gelangten sicher nach Deutschland und wurden dort nach Kriegsende unversehrt aufgefunden. Damit war aber nur die eine Seite des Problems, wenn auch nicht in meinem Sinne, geregelt. Kaum waren die Alliierten in Rom eingezogen, beschlagnahmten sie die Gebäude. Sie führten einen langen Kampf, teils untereinander, teils mit den Italienern, um die Zukunft der Institute, wobei sie von der Voraussetzung ausgingen, daß die Bibliotheken nach Kriegsende nach Rom zurückgebracht würden. Als der erste Feuereifer verraucht war, wurde von neutraler Seite die Internationalisierung der Institute vorgeschlagen. Für uns war auch dieser Kompromiß nicht tragbar; wir schalteten uns einerseits durch die Axchäologen Curtius und Deichmann57, die sich frei bewegen konnten, andererseits über vatikanische Stellen, die recht hilfsbereit waren, in diese Diskussion ein. Sie war noch in vollem Gange, als ich im September 1946 nach Deutschland zurückkehrte, und es dauerte weitere Jahre, bis die Institute an die Bundesregierung zurückgegeben wurden, und dann noch viele Monate, bis sie wieder in Rom eröffnet werden konnten. Obendrein waren die Lücken an neuester Fachliteratur, hervorgerufen erst durch den Krieg und dann durch die Auslagerung weit über das Kriegsende hinaus, kaum mehr aufzufüllen. In den Monaten nach der Besetzung Roms schrumpfte der Bereich, in dem von uns noch Politik getrieben werden konnte, mehr und mehr zusammen. Die Gespräche zwischen Weizsäcker und dem Papst waren offenbar von persönlicher Sympathie bestimmt, so daß der Papst sich gegenüber dem deutschen Botschafter, wenngleich dieser Protestant war, unverhohlen melancholisch, ja pessimistisch über die Zukunft der katholischen Kirche äußerte. Aber ein politischer Impuls ging, wie ich schon befurchtet hatte, von der Kurie weder gegenüber den Alliierten noch gegenüber Berlin aus. Man beschränkte sich aufs gute Zureden. Obendrein glaubte Orsenigo, der Nuntius in Berlin, offenbar noch 1944 an Hitlers Endsieg.58 Rahn residierte mit seiner Botschaft in Fasano am Gardasee, war Vormund und Manager Mussolinis, der im benachbarten Salo seine Zelte aufgeschlagen hatte. Der „Duce" war anscheinend nicht mehr im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, während seine Umgebung, die sogenannte „Regierung" der faschistischen Republik, aus einigen idealistischen Fanatikern und vielen zweifelhaften Gestalten bestand. Es war ein Segen, daß Rahn, mit großen Vollmachten ausgestattet, taktisch ungemein geschickt, einfallsreich und mutig, von Fasano aus das von den Alliierten noch unbesetzte Italien, man muß wohl sagen, regierte. Er ermöglichte es, daß sein Jugendfreund und mein „Crew-Kamerad", der reizende und kultivierte Gerhard Wolf 59 , als deutscher Konsul in Florenz die schlimmsten Ubergriffe der Partei verhindern und, als die Front näher rückte, eine massive Zerstörung von der Stadt abwenden konnte. Auch sonst verdankten Tausende in Nord- und Mittel-Italien dem offenen Eingreifen oder der fein gesponnenen Intrige Rahns ihr Leben. Was mir damals fraglich war, ist, 78
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welche Bedeutung Rahn seiner im eigentlichen Sinne politischen Rolle beimaß. Er war ein durch und durch aktiver Mensch, der, um mich auf Goethe zu berufen, von „des Handelns ewiger Unschuld" bestimmt wurde und - gottlob noch heute - bestimmt wird. Aber glaubte er damals wirklich noch, von Fasano aus, wie er, zur Pathetik neigend, ernsthaft behauptete, das politische Geschick unseres Volkes beeinflussen zu können? Sah er nicht, von seinem humanitären Wirken einmal abgesehen, daß die „Republik von Salö", wie die Antifaschisten die Endzeit des Mussolini-Regimes verächtlich bezeichneten, ein gespenstisches, ja makaberes Bild bot? Die Nachrichten, die ich von meinen Freunden in Berlin, Genf oder Paris erhielt, waren nicht ermutigend. Ich war stets gut unterrichtet. Denn so weit Hitlers Arm auch reichte, das Netz derjenigen, die ihm opponierten und sich gegenseitig kannten und vertrauten, war räumlich umfangreich und personell eng gesponnen. Zwar waren nicht alle unter ihnen zum aktiven Widerstand bereit, aber hilfreich gegenüber Freunden, von denen sie dieses vermuteten. Es war deshalb grundfalsch, wenn unsere amerikanischen Umerzieher, denen ein Chor von devoten Deutschen jubelnd zustimmte, nur den aktiven Widerstand anerkannten und die Hunderttausende, ja Millionen von Oppositionellen verächtlich beiseite schoben. Dabei haben diese „Stillen im Lande" in ihrem Kreis oft ebensoviel zur Eindämmung des NSEinflusses und zur Aufrechterhaltung von Anstand und Recht getan wie die Mitglieder des Widerstands, die sich im aktiven Kampf zermürbten. Die Nachrichten aus Berlin lauteten wie üblich: Der Termin zum „großen Schlag" habe wiederum um zwei bis drei Monate verschoben werden müssen. Und auch die Begründung war die gleiche wie schon oft: Wenn wir das Unternehmen wagen wollten, waren wir auf die aktive Unterstützung einer erheblichen Anzahl von Heerführern angewiesen. Eine Mehrheit von ihnen hatte wohl irgendwann einmal mit dem Gedanken gespielt, Hitler, der fur die Tragödie dieses Krieges verantwortlich war, kaltzustellen. Eine erhebliche Anzahl war sogar grundsätzlich bereit, sich aktiv am Umsturz zu beteiligen. Wenn man sie aber auf einen bestimmten Termin fesdegen wollte, bekam man immer wieder die gleichen Einwände zu hören: eine deutsche Gegenoffensive sei im Anlaufen; sei sie erfolgreich, so werde unsere Verhandlungsposition gegenüber den Feindstaaten weitaus stärker sein, als wenn man schon jetzt Hitler stürze. Oder sie argumentierten, die Lage an der Ostfront sei so schlecht, daß ein totaler Zusammenbruch unvermeidbar sei, wenn es jetzt zum Umsturz komme. W i r waren damals, und ich war es noch lange nach dem Krieg, voll Zorn über dieses Zögern, diese mangelnde Courage jener Mitglieder unserer hohen Generalität, die, jeder Verblendung oder Korruption widerstehend, den Sturz des Regimes ehrlich wünschten. Jetzt, mit dem zeitlichen Abstand eines Vierteljahrhunderts, und auf Grund der Erfahrungen, die man seither mit den ausländischen Generälen und ihrem „Mannesmut vor Fürstenthronen" gemacht hat, ist mein Urteil abgewogener. Dadurch, daß Hitler uns in einen Krieg mit der Sowjetunion verwickelt hatte, war eine neue Lage entstanden. Eine Niederlage durch die Westmächte zu erleiden, war für die Wehrmacht unangenehm, für unser Volk als Ganzes durchaus erträglich. Ein militärischer Sieg der Sowjetunion aber bedrohte unser Volk an den Wurzeln seiner Existenz. Angesichts des ständigen Vor-
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dringens der Roten Armee die Generalität zur Rebellion aufzurufen, hieß, ihren moralischen Mut überfordern. Ich glaube, daß Ernst Jünger recht hat, wenn er schreibt, einzig und allein Rommel60 hätte die Kraft und die Tollkühnheit besessen, eine solche Lage zu meistern. Sein Autounfall und sein ihm diktierter Selbstmord - um wenige Wochen zu früh - setzten den Schlußstrich unter die deutsche Tragödie im Juli 1944. 61 Inzwischen entwickelte sich die militärische Lage in Italien vom Herbst 1943 bis zum Frühjahr 1944 nur langsam. Zwar waren die Alliierten nach dem Abschluß des Waffenstillstandes mit Italien von Sizilien aus unter Aussparung von Kalabrien direkt in Salerno gelandet. Aber dies war zu Anfang kein sonderlicher Erfolg, ja es schien sogar ein paar Tage lang, als würde es den deutschen Divisionen gelingen, die alliierten Verbände ins Meer zu werfen. Nur durch ihre Überlegenheit in der Luft und dem massiven Einsatz der das Mittelmeer beherrschenden Flotte mit ihrer schweren Artillerie zwangen sie die deutschen Divisionen erst in die Defensive und schließlich zum Rückzug. In aller Gemächlichkeit eroberten die Alliierten Neapel und teilten dann ihre Divisionen in zwei Gruppen auf. Die eine sollte im Inland über Monte Cassino, die andere an der Küste entlang auf Rom vorstoßen. Indessen kamen beide nur sehr langsam voran. Infolgedessen entschloß sich das alliierte Oberkommando zur Bildung eines neuen Brückenkopfes. Anstatt aber diesen Brückenkopf im Vertrauen auf ihre Luftüberlegenheit und ihre absolute Seeherrschaft möglichst weit nördlich von Rom zu errichten, landeten sie zaghaft südlich von Rom in der Bucht von Anzio/Nettuno. Auch dort liefen sie anfangs wieder Gefahr, von unseren Truppen ins Meer geworfen zu werden; auch da griff ihre Flotte ein. Die Krise wurde überwunden, aber es dauerte Monate, bis es den Alliierten gelang, aus der Zernierung auszubrechen und gemeinsam mit der anderen Heeresgruppe, die sich lange bei Monte Cassino festgefahren hatte, auf Rom vorzustoßen. Es war wohl der Zweck dieser überaus vorsichtigen, ja ängstlichen Kriegführung, „unnötige" Verluste zu vermeiden. Daß der Krieg dadurch um mindestens ein Jahr verlängert und die Endsumme der Verluste bei Kriegsende wahrscheinlich höher sein würde als bei einem kühnen Vorstoß im Spätherbst 1943, wurde damals von vielen zivilen und militärischen Beobachtern auf unserer Seite angenommen. Obendrein verlagerte sich das militärische Schwergewicht immer mehr zugunsten der Roten Armee. Was sollte aus Europa werden, von dessen Einigung meine Freunde und ich schon bei Kriegsbeginn träumten? Inzwischen nahm die Lage in Rom einen, wie man heute sagen würde, surrealistischen Charakter an und läßt sich nur in Einzelzügen schildern. Vorausschicken möchte ich, daß ich mich in dieser Umgebung allmählich unbefangen bis zur Leichtfertigkeit bewegte, um nur auf ein paar Stunden oder gar Minuten dem Teufelskreis der Verzweiflung über die Lage, der Scham über das, was im Namen unseres Volkes geschah, und der persönlichen Angst zu entrinnen. Zu Anfang wurden das Ausgehverbot für die römische Bevölkerung sowie die Verdunkelung streng gehandhabt. Weil unsere italienischen Fahrer deshalb schon früh nach Hause geschickt wurden, ging ich gegen 18 Uhr, also bei Dunkelheit, zu Fuß vom Büro in mein Hotel zurück. Mehrmals passierte es mir, daß zwei in einem unbeleuchteten Hauseingang versteckte italienische Polizisten mich anriefen und gleichzeitig in die Luft schössen. 80
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Ich fühlte mich zwar nicht ernstlich bedroht, doch gingen mir die gellenden Schüsse in der sonst stillen Stadt auf die Nerven. Deshalb spazierte ich von da an mitten auf der Straße und pfiff oder sang - beides sicher kein musikalischer Genuß - alle Schlager aus den Zwanzigerjahren laut vor mich hin. Wenn sie das hörten, traten die beiden Polizisten aller Angst ledig aus ihrem Versteck und strahlten mich an: „Sie sind von der Deutschen Botschaft!" Rom wurde bald zur „offenen Stadt" erklärt62, und der Militärkommandant lockerte die Zügel für die Zivilbevölkerung ein wenig. Die Institution der „offenen Stadt" ist später mit Hohn überschüttet worden. Gewiß wurde Rom dadurch nicht vom Terror, den die Nazis überall ausübten, befreit. Auch sah man viele deutsche Soldaten tagsüber in den Straßen der Stadt. Aber es war keine einzige Truppeneinheit in der Stadt stationiert und erst recht kein Frontstab. Der ganze Nachschub für die Front wurde mit unendlicher Mühe umgelegt auf die Straßen, die östlich von Rom durch die Campagna gingen und im Grunde unzureichend waren. Die Kritiker vergaßen, daß nach der Erklärung zur „offenen Stadt" alle Bombenangriffe unterblieben, was sicher nicht der Fall gewesen wäre, wenn lange Militärkolonnen sich mitten durch die Stadt bewegt hätten. Inmitten der surrealistischen Insel Rom war das Hotel Excelsior, wo ich wohnte, eine Insel für sich. Ab 18 Uhr konnte ich, sofern ich Lust und Zeit hatte, Tag für Tag bei der Fürstin Lotti Windischgraetz, geborene Fürstenberg-Donaueschingen63, auf ein Stündchen hereinschauen. Dann saß die Fürstin, hochgewachsen und starkknochig, mit schwarzem Haar und einer lauten, etwas rostigen Stimme, auf ihrem Sofa, eine große Dame voller Lebensklugheit. Neben ihr saß oder, besser gesagt, lag hingegossen ihr Sohn Mucki. Er hätte, ohne eine Geste oder Redensart hinzulernen zu müssen, in einem Wiener Salonstück den jungen österreichischen Prinzen spielen können. „Ist er nicht ein herziger Bub?", fragte mich die Schwester seines Vaters. Er hatte in seinem Leben sicher nie freiwillig ein Buch gelesen und war ungemein damit beschäftigt, wenn er sich gegen halb elf aus den Federn erhob, den lieben langen Tag nichts zu tun. Im übrigen zog er ernsthaft in Erwägung, sich mit einer süßen kleinen Römerin, Erbin eines immensen Vermögens in Lateinamerika, zu verloben, ein Plan, den er ohne unziemliche Hast verwirklichte. Denn der „herzige Bub" war 21 Jahre und Leutnant der italienischen Luftwaffe. Ich mochte die Gesellschaft von Mutter und Sohn so gern, weil ich dort alles vergessen konnte, was auf mir lastete. Ernesto, der Kellner, der sich als fürstlicher Mundschenk fühlte, goß Sekt in die Gläser, Verwandte und Freunde kamen vorbei und man unterhielt sich mit Gesellschaftsklatsch und dem Austausch von Nachrichten über die katholisch-kinderreichen Familien der Vettern und Cousinen aus gräflichem oder fürstlichem Haus. Uber Politik fiel nie ein Wort, das war kein standesgemäßes Thema. Nur ab und an schneite eine Freundin herein, die mit vor Empörung zitternder Stimme berichtete, es sei wieder diese oder jene Marchesa, Duchessa oder Principessa von der SS verhaftet worden. An sich gönnte ich dies den Weibern, die, wenn sie nicht Bridge spielten, pausenlos den dümmsten politischen Tratsch per Telefon austauschten und dabei vergaßen, daß sie abgehört wurden. Da sie es ohnehin ablehnten, die Verwundeten in den Spitälern zu besuchen oder gar durch Herausgabe 81
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von Bettwäsche oder Lebensmitteln etwas fur die in Elend und Schmutz dahinsiechenden armen Schlucker zu tun, konnten ihnen ein paar Wochen im Gefängnis nichts schaden. Dies um so weniger, als sie von devoten Nönnchen betreut wurden. Aber es war ein grober Unfug und dem deutschen Namen nicht dienlich, wenn Dollmann alle Damen der römischen Gesellschaft, die ihn früher nicht eingeladen hatten, der Reihe nach eine Zeitlang ins Kittchen steckte: Ich mußte mit ihm wieder einmal ein ernstes Wort reden. Daß mir dergleichen in irgendeiner Form möglich war und den erhofften Erfolg zeitigte, wußten natürlich die hereingeschneiten Besucherinnen, ohne das je zu erkennen zu geben oder mich gar mit einer Bitte zu behelligen. Die Fürstin Lotti gab, königlich thronend, zu dem jeweiligen Bericht einen nüchternen Kommentar ab. Eines Abends aber, als ich ihren Salon betrat, fand ich die Fürstin grollend und erregt und sogar Mucki ein wenig aus seiner lässigen Trägheit aufgescheucht. Was war geschehen ? Mucki hatte von deutscher Seite den Befehl erhalten, sich in seiner Eigenschaft als italienischer Offizier zu melden, um nach Deutschland abtransportiert und dort interniert zu werden. Das ging denn auch mir, obwohl ich Mucki ein paar Stunden ernsthafter Arbeit pro Tag durchaus gegönnt hätte, über die Hutschnur. Die Fürsten Windischgraetz besaßen in der Gegend von Triest, also im Bereich der ehemaligen k.u.k. Monarchie, einen Riesenbesitz. Als dieser 1919 an Italien fiel, blieb ihnen, um ihn zu erhalten, nichts anderes übrig, as die italienische Staatsangehörigkeit anzunehmen. Mucki und sein Zwillingsbruder, der 1942 als Pilot den Tod gefunden hatte64, wurden also als Italiener geboren und blieben es. Fritzi, der Jüngste, schon dem Vornamen nach nördlich orientiert, sollte die Güter in Kärnten erben, erwarb die österreichische Staatsangehörigkeit, wurde durch den Anschluß Deutscher und kämpfte unter Dietl an der finnischen Front. Es war doch zu absurd, daß der ältere Bruder interniert wurde, während der jüngere an der Ostfront sein Leben aufs Spiel setzte! Solche 0815-Befehle, das konnten ihre Urheber natürlich nicht wissen, waren auf diese seit Jahrhunderten - in ihrem Sinn - europäischen Familien nicht anwendbar. Ich sagte also Muckis fürstlicher Mutter, sie möge einen persönlichen Brief an Kesselring schreiben, ich würde dafür sorgen, daß er zum nächsten Mittag in den Händen des Feldmarschalls wäre. Darauf antwortete sie mit jener souveränen Unbefangenheit, die die männlichen und noch mehr die weiblichen Mitglieder großer Häuser seit jeher auszeichnet, das könne sie nicht, sie mache zu viele orthographische Fehler. Ich solle ihr den Brief aufsetzen. Grinsend entgegnete ich, orthographische Fehler hin oder her, die Kesselring wahrscheinlich gar nicht bemerken werde, ich beherrschte nicht den fürstlichen Jargon, eine Bemerkung, die sie erfreute. Sie möge sich hinsetzen, so fuhr ich fort, einen eigenhändigen Brief an Kesselring schreiben und ihn mir durch Ernesto, den treuen Kellner, überbringen lassen. Binnen zwei Stunden hatte ich denn auch das Schreiben der Fürstin in den Händen. Auf vier oder fünf kleinen Briefbogen hatte sie mit ihrer großen, männlichen Schrift ein diplomatisches Meisterwerk vollbracht. Die Anrede lautete „Hochzuverehrender Herr Generalfeldmarschall", es folgten zwei Sätze über das bangende Mutterherz nebst dem Zusatz „wo doch mein Jüngster, der Fritzi, in Finnland sein Leben in die Schanze schlägt", dann 82
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noch zwei oder drei ganz nüchterne Sätze über Mucki und ihr Petitum, ihn freizustellen. Und am Schluß: „Es würde mich ja so freuen, mein lieber Herr Feldmarschall, einmal Ihre Bekanntschaft zu machen, aber ich wage das nicht zu hoffen! Ihre ..." Ich sorgte dafür, daß dies diplomatische Meisterwerk, an dem jedes Wort richtig „saß", das mit bedingungslosem Respekt begann und mit ebenbürtiger Sympathie sein Ende fand, mit Sonderkurier noch vormittags auf den horazischen Möns Soracte, wo Kesselring inmitten seines Stabes „residierte", gelangte. Schon am Abend erwies sich, daß der Brief die erwartete Wirkung gehabt hatte. Ein adretter Ordonnanzoffizier meldete sich gegen Abend bei der Fürstin, überbrachte ihr einen überschwenglichen Dankesbrief von Kesselring und die schriftliche Freistellung fur Mucki. So war nach dramatischer Zuspitzung ein happy end des Wiener Salonstücks erreicht. Im Frühjahr, als die Fronten ins Wanken gerieten, verließen Mutter und Sohn die „Cittä Eterna" in Richtung Triest. Es war fiir mich der Abschied vom alten Europa. Einige Wochen vorher, nachdem die Alliierten von September bis Januar die paar hundert Kilomter zwischen Salerno und Anzio/Nettuno hinter sich gebracht und ihren Bückenkopf südlich von Rom gebildet und stabilisiert hatten, fand sich für mich im Hotel Excelsior ein neuer abendlicher Kreis. Da sich am Brückenkopf eine Art von Stellungskrieg entwickelt hatte, man allerdings zu ritterlich oder lässig war, den Gegner mit Nachtangriffen zu überraschen, nahmen zahlreiche jüngere Wehrmachtsoffiziere die Gelegenheit wahr, den Abend in Rom zu verbringen. Einige von ihnen sahen sich etwas verlegen auch im Restaurant meines Hotels um. Vor drei Stunden noch im Schützengraben und jetzt hier - sie trauten ihren Augen nicht: die Lichter, die Wärme, das Essen und der Luxus! Auch waren sie wohl nicht sicher, sich ein solches Abendessen leisten zu können. Ich bat sie an den Tisch, an dem ich allein und gelangweilt saß, und wir kamen bald in ein anregendes Gespräch. Daraus entwickelte sich bald eine feste Einrichtung. Es verging in den nächsten Wochen und Monaten kaum ein Abend, an dem ich nicht drei bis fünf deutsche Offiziere von Mitte zwanzig bis Anfang dreißig zu Gast hatte. Ich wußte dies damals glücklicherweise noch nicht, aber es war das letzte Mal, daß ich mit der soldatischen und gesellschaftlichen Elite Ostelbiens zusammenkam, Elite im Sinne eines Lebensstils und nicht einer gesellschaftlichen Schicht gemeint. Denn preußisches Bildungs-Bürgertum der Städte wie landbesitzender Adel waren gleichermaßen vertreten, junge Menschen von gelassener Höflichkeit und liberaler Gesinnung - ich bin keinem wirklichen Nazi unter ihnen begegnet - , aber von jenem preußischen Ethos geprägt, dessen man kein Aufhebens machte, weil es selbstverständlich war. Wir unterhielten uns über unsere Herkunft, unsere militärische und diplomatische Laufbahn, die Gegenwart wurde selten berührt, auch wenn sie taktvoll antippten, wie man denn die Lage in der Schweiz ansähe, und ich mit wohldosierter Skepsis antwortete. Natürlich wollten sie den Krieg gewinnen, aber vom Großdeutschen Reich Adolf Hitlers hielten sie wenig oder gar nichts. Sie genossen entspannt die Umgebung, das Essen und den Wein, doch zuweilen huschte ein Schatten über den Tisch, wenn ich bemerkte, ich hätte den oder jenen seit Tagen nicht mehr gesehen und erfuhr, daß er mit seinem Geländewagen auf eine Mine gefahren sei. 83
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Nicht immer und nicht mit allen aber bewegte sich das Gespräch nur auf jener kameradschaftlich-noblen, aber unverbindlichen Ebene. Da ist mir z.B. Günther Bismarck aus Kniephof in Erinnerung geblieben; es hieß, er sei mit 26 der jüngste Major der Wehrmacht. Er war Inhaber der Vorstufe des Ritterkreuzes, des „Deutschen Kreuzes in Gold", oder, wie die Lästerzungen es wegen des Ausmaßes seines Hakenkreuzzentrums nannten, des „Parteiabzeichens fur Kurzsichtige". Eines Abends steckte ich ihm bei der Verabschiedung, weil er, wie ich bemerkt hatte, ein starker Raucher war, drei Päckchen Zigaretten zu, worauf er sich bedankte und treuherzig grinsend bemerkte: „Sie wissen gar nicht, was das für mich bedeutet. Unser Diener von zu Hause ist nämlich mein Bursche. Und wenn ich mit meiner Zigarettenration nicht auskomme und mir welche von Nichtrauchern beschaffe, schreibt er das sofort der .gnädigen Frau' und ich bin, wenige Wochen später, einem mütterlichen Donnerwetter ausgesetzt." Diese Anekdote war aber nur die Einleitung; kurze Zeit später richtete er es so ein, daß wir ein Gespräch unter vier Augen haben konnten, dem ich mich natürlich nicht entzog. Er berichtete, im Kreis seiner meist älteren Kameraden gäbe es endlose Diskussionen über das Verhältnis von Macht und Recht. Er neige dazu, dem Recht den Vorzug zu geben, doch falle es ihm schwer, für unser Land auf jede Macht zu verzichten. Was ich dazu meine? Seine Frage war mit so viel nachdenklichem Ernst, mit so viel persönlicher Reinheit gestellt, daß ich mir mit meiner pragmatischen Antwort etwas zu nüchtern und sogar oberflächlich vorkam. Eine durch ein hochentwickeltes Rechtsbewußtsein kontrollierte Macht, wie lange Zeit in England, so meinte ich, sei nichts Böses. Indessen schien ihn meine Antwort als Ansatzpunkt für weiteres Nachdenken zu befriedigen. Und dann sagte er mir etwas, was mich ähnlich rührte wie Naninas Ausruf, daß jeder Soldat Sohn einer Mutter sei. Aufseufzend meinte er: „Und wie soll ich das alles meinen Leuten sagen und vor ihnen verantworten?" Dieser Sechsundzwanzigjährige dachte nicht an sich, sondern nur an seine menschliche Verpflichtung gegenüber den Soldaten, die er führte. Indessen habe ich damit dem Zeitablauf vorgegriffen. Mitte Dezember 1943 fragte mich Weizsäcker, ob ich bereit sei, seine Frau nach Berlin zu begleiten, wo sie nach Möglichkeit ihre drei Kinder zu Weihnachten zu treffen hoffte. Seine Frage war nur rhetorischer Natur, denn er wußte, daß er mir mit dieser Reise eine Gelegenheit bot, auch meine Familie und meine Freunde wiederzusehen. Von Venedig aus konnte man fliegen, bis dorthin mußte man sich mit dem Auto durchschwindeln. Nachts waren die Straßen mit Militärtransportern verstopft, bei Tage wurden sie weitgehend von alliierten Tieffliegern kontrolliert. Davon legten zahlreiche Autowracks am Straßenrand Zeugnis ab. Lediglich zwischen zwölf und zwei, wenn die jungen Herren von der Gegenseite zu Mittag aßen und offenbar durch das italienische Klima zum Abhalten einer Siesta vermenschlicht waren, konnte man damit rechnen, den Sperrgürtel, den die Flieger um Rom legten, unbehelligt zu passieren. Wie zu einer gefährlichen Forschungsreise ausgerüstet, fuhren Frau von Weizsäcker und ich sowie der gewandte italienische Fahrer kurz vor Mittag in unserem Mercedes ab. Unsere Reise verlief in militärischer Sicht „ohne besondere Vorkommnisse". Dagegen machte es mir Freude, Frau von Weizsäcker vieles von dem Land zu zeigen, das sie wenig kannte und das 84
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ich in Erinnerung an meine römischen Jugendjahre so sehr liebte. Auf unserer Fahrt sahen wir uns, soweit ich mich erinnere, Urbino, wo wir übernachteten, und Ravenna an, auf der Rückfahrt Assisi. Aber ich war auf dieser Reise so angespannt und im seelischen Bereich so auf der Flucht vor mir selber - leider zu Recht, wie sich später erweisen sollte - , daß meine Erinnerung daran nebelhaft ist, und es mir auch heute noch zwecklos erscheint, diesen Nebel durch Aussagen Dritter aufhellen zu lassen. Nach 36 Stunden trafen wir abends in Venedig ein, wo Hansi Plessen seit der Verlegung der Quirinal-Botschaft an den Gardasee als Generalkonsul amtierte. Er empfing uns feierlich-protokollarisch, brachte uns fürstlich in einem Hotel unter und setzte uns ein vorzügliches „Nachtmahl" vor. Am nächsten Morgen sollte unser Flugzeug um 11 Uhr zum Flug nach Berlin starten. Ein offenbar aus London zu unseren Ehren importierter Nebel „schaltete" Venedig, die Lagune und den Lido, wo der Flugplatz lag, „gleich". Weder hier noch dort konnte man weiter als zwanzig Meter sehen. Soldaten, Parteibonzen in Uniform oder Zivil, saßen, teils stumpf, teils nervös, im kleinen Wartesaal, während Frau von Weizsäcker und ich unsere stoisch-preußische Erziehung hervorkehrten. W i r alle wußten, daß wir noch bei Tageslicht die Alpen überqueren, also spätestens um halb drei abfliegen mußten. In dieser etwas verkrampften Gruppe machte mir ein kleiner, rundlicher Zivilist besondere Freude. Jede halbe Stunde erhob er sich aus seinem harten Stuhl, stapfte, um sich die Beine zu vertreten, auf und ab und erklärte mit fröhlicher Stimme: „Wer fliegen will, muß sich Zeit nehmen!" An diesen weisen Ausspruch habe ich mich bis heute, so oft ich fliegen muß, stets gern erinnert, denn zu Fuß zu gehen, erscheint mir natürlicher und würdiger. Aber das Wunder geschah, der Nebel lichtete sich, wir kamen noch rechtzeitig über die Alpen. In München hatte man uns, da im Reich die hierarchische Ordnung noch unangefochten war, vorsorglich Betten im Schlafwagen reserviert, und am nächsten Morgen waren wir in Berlin. Die nächsten Tage in Berlin sind im Meer des Vergessens versunken. Für die Heimat, also Oberglauche, konnte ich wegen vieler Gespräche und schlechter Zugverbindungen mich nur auf zwölf Stunden freimachen, eine absurde Hast, die auf meinen Zustand deutete und die ich schwer bereut habe. Das war, nachträglich gesehen, nur eine Ausrede. Ich wußte, daß es wahrscheinlich das letzte Zusammentreffen mit meiner schwer gealterten Mutter sein würde, meinen Geschwistern konnte ich, obwohl sie keine Nazis, sondern schlichte Patrioten waren, nicht offen ins Auge sehen, ihnen nicht sagen, daß unsere letzte Hoffnung das Gelingen einer Verschwörung sei, an der ich am Rande beteiligt wäre. Und daß, selbst wenn sie gelänge, man nur hoffen könne, daß Schlesien, um nicht in die Hände der Roten Armee zu fallen, von amerikanischen und britischen Truppen besetzt werde. Das ganze Ausmaß der Katastrophe, die Vertreibung, zog selbst ich in meinen schwärzesten Stunden nicht in Betracht. Als meine Mutter, die die Dinge realistischer sah als der Rest der Familie, kurz vor dem endgültigen Abschied mit mir allein war, fragte sie mich unter Tränen, ob ich ihr die Gewißheit geben könne, das Ende Hitlers und damit des schmachvollsten Kapitels der deutschen Geschichte noch zu erleben? Soweit man in dieser Zeit überhaupt von Gewißheit reden könne, sei meine Antwort: ja. Aber dieser letzte Besuch war kein versöhnlicher
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Abschied, sondern ein herzzerreißender Bruch, auch wenn ich meine Umwelt und mich zu belügen versuchte. Da ich aber zu den Menschen gehöre, die nicht in der Verzweiflung behaust bleiben können, stärkte ich mich an einer Reihe von Erlebnissen in Berlin. Die Stadt sah im Vergleich zu meinem letzten Besuch im September nach einer Reihe von schweren Bombenangriffen fürchterlich aus. Auch in der Wilhelmstraße65 war auf den Korridoren der Putz der Wände zu Haufen zusammengekehrt. Wenn es in den Fenstern überhaupt noch Fensterscheiben gab und nicht nur ihren Ersatz durch eine Verschalung aus Pappe, waren die Sprünge mit Papier verklebt. Und doch bin ich, wenn ich auf die Zeit meines Eintritts 1927 bis heute zurückblicke, nie so stolz auf „mein" Amt, also die Gruppe derjenigen, die sich nie zur Anerkennung der Schurkereien und Verbrechen hergegeben hatten, gewesen als in jenen Tagen um die Jahreswende 1943/44. Der „braune Flügel" des Amts hatte sich in Ausweichquartiere am Stadtrand oder in der Mark66 geflüchtet; nicht so die Berufsdiplomaten. Sie saßen selbstverständlich-stoisch an ihrem Schreibtisch, den sie von ihrem Vorgänger und dieser wieder von früheren Generationen geerbt hatten. Nicht alle waren Genies, nicht alle waren Helden. Aber sie stammten noch aus einer Zeit, wo der heute verpönte Begriff „Korpsgeist" nichts anderes - aber doch wiederum mehr - bedeutete als das heutige Modewort „team-work". Man scheute sich nicht, aus freiem Entschluß, so frei, wie es kein Opportunismus, keine Ideologie dem Individuum zu gebieten vermag, zu dienen, nicht einem Terror-Regime, sondern dem Reich, der Nation. Dienen stand damals noch nicht im Widerspruch zur persönlichen Würde. Erst in der Gegenwart ist das Wort Bundes- oder Landesbediensteter geprägt worden, wobei Bediensteter oft als ein Synonym von Lakai erscheint. Friedrich der Große hat sich als ersten Diener seines Staates bezeichnet, gab es eine Veranlassung, dieses Dienen als entwürdigend, als, wie man heute sagen würde, undemokratisch abzulehnen? Leider konnte ich keinem derjenigen, die ich besuchte, den Lichtblick bringen, den sie vielleicht wegen unserer Kontakte zum Vatikan erhofft hatten. Ein langes und besonders freundschaftliches Gespräch führte ich mit Steengracht67 und überzeugte mich aufs Neue, welch ein Glück es für das Amt war, daß diese menschliche und dabei pfiffige Persönlichkeit die Nachfolge von Weizsäcker angetreten hatte. Seinen persönlichen Referenten, der sich, als ich das Zimmer des Staatssekretärs verließ, beflissen um mich bemühte, strafte ich mit Nichtachtung. Denn er hatte mir kurz zuvor in fast verletzender Form zu verstehen gegeben, der Staatssekretär werde bestimmt keine Zeit haben, mich zu sehen. Daraufhin hatte ich ihm erklärt, ich hätte es für meine Pflicht gehalten, mich beim Staatssekretär zu melden; das sei so üblich. Ich verstünde es durchaus, wenn er keine Zeit habe, mich zu empfangen. Mir mißfiel sein ängstlicher Opportunismus, es stimmte mich aber auch bedenklich, daß mein Ruf als „schwarzes Schaf' im Auswärtigen Amt offenbar fester etabliert war, als ich angenommen hatte. Steengracht indessen veranstaltete, kaum hatte er gehört, daß ich im Amt sei, einen Riesenwirbel, um mich aufzufinden und empfing mich mit offenen Armen. An einem Nachmittag fuhr ich hinaus nach Potsdam, wo Brücklmeier68 und Schwerin69 sich ein Ausweichquartier geschaffen hatten, um dem Bombenalarm, der ständig ihre Nacht86
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ruhe störte, zu entgehen. Ich war zu einer Besprechung eingeladen, an der neben den beiden vorgenannten Schulenburg, aber vor allem Goerdeler 70 und Staufenberg 71 teilnahmen. Goerdelers hohe Gestalt, sein Mut und seine Uberzeugungskraft waren beeindruckend. Aber man sah ihn auch mit wehendem Mantel, Schlapphut und Knotenstock wie einen Wanderprediger durchs Land ziehen und viel zu viel und lautstark reden. Seine politischen Überzeugungen, schwarzweißrot und monarchistisch, waren ehrenwert, ja sympathisch. Aber nach meiner Uberzeugung, die von meinen Altersgenossen geteilt wurde, konnten ihm und seiner Generation die Geschicke unseres Landes nur fur eine Übergangszeit anvertraut werden. Das Rad der Geschichte ließ sich nicht zurückdrehen. Auch würden seine Altersgenossen den Anforderungen der sicher chaotischen Anfangszeit weder psychisch noch physisch gewachsen sein. Aber ihnen sollten jene Ehre und jener Respekt zuteil werden, die sie verdienten. Es freute mich, daß Goerdeler und Staufenberg gemeinsam und anscheinend im besten Einvernehmen zu dieser Besprechung gekommen waren, hatte ich mich doch seit Jahren bemüht, wann immer ich aus dem Ausland nach Berlin kam, Spannungen zwischen der älteren und der jüngeren Generation durch gutes Zureden aus dem Weg zu räumen. Von Staufenberg, den ich zum ersten und - wie alle anderen in diesem Kreis - zum letzten Mal sah, war ich fasziniert. Obwohl er beim Tunisfeldzug ein Auge und eine Hand verloren hatte, wirkte er mit seinem kraftvoll-ebenmäßigen Gesicht, dem dunklen Haar und dem hohen Wuchs wie ein antiker Kriegsgott. Noch eindrucksvoller aber war seine geistige Ausstrahlung. Ich hatte auf Grund seiner Zugehörigkeit zum George-Kreis einen musischromantischen Krieger erwartet. Doch war mir nach wenigen Minuten klar, eine von der Natur zum charismatischen Politiker bestimmte Persönlichkeit vor mir zu haben, der wie selbstverständlich die Leitung des Gesprächs zufiel. Er entwickelte knapp und nüchtern seine Thesen und wirkte dabei so überzeugend, daß es Goerdeler nicht in den Sinn kam, etwaige Vorbehalte anzumelden. Nach einem kurzen tour d'horizon wandte sich Staufenberg an mich mit folgender Frage: Da der entscheidende Punkt unseres außenpolitischen Programms die sofortige Räumung der besetzten Gebiete sei - wozu, wie ich hinzufügen möchte, selbstverständlich Elsaß-Lothringen gehörte, während im Korridor, Ostoberschlesien und Österreich nach mehrheitlicher Auffassung Volksabstimmungen stattfinden sollten - , müßten wir darauf bedacht sein, daß diese Räumung in ordnungsgemäßer Form erfolgen würde. Unsere Truppen dürften bei ihrem Rückzug nicht von Partisanen überfallen noch das geräumte Gebiet der Anarchie oder einer gewaltsamen kommunistischen Machtergreifung überantwortet werden. Staufenberg sagte, er bäte um meine Vorschläge. Ich war auf diese Frage nicht vorbereitet, meinte aber, in den westeuropäischen Monarchien sei die Übertragung der vollziehenden Gewalt und der damit verbundenen Verantwortung nicht schwer zu bewerkstelligen. Am leichtesten sei das Problem in Dänemark zu lösen, wo der König durch sein Verbleiben im Land und seinen unerschütterlichen Mut eine unangefochtene Größe darstelle. In Italien könne und dürfe man den Papst nicht aus der Verantwortung endassen. In Frankreich hingegen müsse man versuchen, mit einem Vertreter de Gaulles in Verbindung zu kommen und nicht etwa mit dem extremen linken Flügel der 87
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Resistance, weil dieser wahrscheinlich auf Moskau hören werde. Keinerlei Rat wüßte ich in Bezug auf den Osten. Was sollten Abreden mit Polen nützen, die von Moskau nicht gebilligt würden? Mit Moskau direkt zu einer Abrede zu kommen, schiene mir,jedenfalls in den entscheidenden Anfangswochen, aussichtslos. Obwohl meine Vorschläge improvisiert waren, fanden sie Stauffenbergs Zustimmung, der sich die anderen Teilnehmer anschlossen. Die letzten Worte zu unserem Thema, die Stauffenberg an mich richtete, lauteten: „Wenn es so weit ist, schicke ich Ihnen eine Sondermaschine nach Rom." Selten hat mich ein Satz mit so großer Befriedigung erfüllt wie dieser. Uberhaupt versetzte mich der Verlauf dieser Besprechung in eine Art von Euphorie. Endlich einmal waren von allen Beteiligten nur knappe, pragmatische Äußerungen zu hören. Die Zukunft, was immer ihre Risiken sein mochten - und ich war da, selbst im Fall eines Gelingens, aufjede Schwierigkeit gefaßt - schien präzise Formen anzunehmen. Endlich wurden, um mich einer volkstümlichen Redensart zu bedienen, „Nägel mit Köpfen" gemacht. Einen Abend verbrachten wir im kleinen Kreis im Dahlemer Haus von Yorck72, das seit Jahren ein geistiger und moralischer Mittelpunkt für uns war. Beim Abendessen - Alarm war längst gegeben, aber wurde gewohnheitsmäßig nicht beachtet - war der Motorenlärm stärker als üblich. Einer von uns bemerkte: „Da sind die Flugzeuge", worauf ein anderer sarkastisch bemerkte: „Hattest Du mit U-Booten gerechnet?" Kaum war das letzte dieser Worte ausgesprochen, erschütterte eine Explosion das Haus, die letzten noch vorhandenen Fensterscheiben zersprangen, die Türen flogen auf. Aber das Schlimmste war überstanden, die Flugzeuge entfernten sich. Immerhin dauerte es noch lange, ehe Schulenburg73 und ich uns auf den Heimweg machen konnten. Wir mußten, weil alle Verkehrsmittel lahmgelegt waren, zu Fuß von Dahlem bis zum Lützowplatz gehen - anderthalb Stunden durch die brennende Hauptstadt des im Todeskampf liegenden Reichs. Ganz makaber erschien mir aber in dieser Stunde ein unter der oppositionellen Elite kursierendes Bonmot: „Gott erhalte uns den Krieg - der Frieden wird fürchterlich!" Das in Casablanca von Roosevelt und Churchill zum Dogma erhobene Schlagwort von der „bedingungslosen Kapitulation" hatte sich bei uns Deutschen tief eingefressen und verfehlte seine Wirkung im Sinne einer Kriegsverlängerung nicht.74 Millionen von Menschenleben fielen ihm zum Opfer. Nach meiner Rückkehr in den ersten Januartagen fühlte ich mich in Rom zunehmend unsicher und bedroht. Da es nur noch wenige deutsche Zivilisten gab, mußte es fur Kappler ein leichtes sein, jeden einzelnen von ihnen zu beschatten. Fern davon, mich in irgendeine Widerstandsaktivität einzulassen, dies wäre damals in Rom gar nicht möglich gewesen, konnte ich doch nicht umhin, Tag für Tag meinen Besuchern im Büro oder meinen Bekannten in der Stadt einen Rat oder kleinen Hinweis zu geben. Für sich genommen war keiner dieser Ratschläge gefahrlich, aber ihre Summierung mußte jede Parteistelle und vor allem Kappler, der mir ohnehin mißtraute, mit Verdacht erfüllen. Hinzu kam, daß unter den Deutschen und Italienern, mit denen ich verkehrte, keiner war, der „im Sinn unseres Führers" einen Pluspunkt für mich darstellte. Hatte man mich auch in Berlin beschatten lassen und 88
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meine Besuche bei Canaris und Oster75, die schon unter Verdacht standen, und meine Zusammenkunft mit Goerdeler registriert, so schwebte ich in Gefahr. Daß mein tiefes Unbehagen, ja meine Angst nicht ein Produkt der Hysterie war, wurde mir nach dem Krieg bestätigt. Ein guter Bekannter erzählte mir, er habe große Schwierigkeiten gehabt, Kappler davon zu überzeugen, daß er mich nicht verhaften dürfe. Ich hoffte, gegebenenfalls rechtzeitig zu erfahren, wenn man mich verhaften wollte. Dann wäre ich, so war mein Plan, an die Front geflohen und hätte dort den Tod gesucht, es sei denn, der Zufall hätte mir die Chance einer regulären Gefangennahme geboten, was ich aber als unwahrscheinlich erachtete. Undenkbar wäre es fur mich gewesen, in Kriegszeiten zum Feind oder, wie ich es ausdrückte, zum Gegner überzulaufen. Ich war damals wie Zeit meines Lebens nicht im Stande, die Solidarität mit meinem Volk aufzukündigen, auch nicht auf Zeit, wie die Angehörigen einer verfolgten Minderheit, also der Juden, Sozialisten usw., es zu tun gezwungen waren. Es gab Bindungen, die zu lösen ich nicht vermochte, ja über die ich nicht einmal ernsthaft nachzudenken bereit war. Unter meinen Bekannten gab es einige, die mich nach dem Krieg einen Nationalisten schalten. Was ich über das deutsche Volk denke, kann man in Hölderlins Hyperion nachlesen und in dem Gespräch Goethes mit Falk im Jahr 1813. 7 6 Auch bin ich im Gegensatz zu den Gaullisten drüben und hüben bereit, mit der Zeit jede „supranationale" Souveränitätsbeschränkung für Deutschland nicht nur hinzunehmen, sondern im Interesse Europas zu bejahen und zu unterstützen, sofern unsere unmittelbaren Nachbarn das gleiche tun. Die Solidarität, die unauflösliche Verbundenheit mit meinem Volk, wird aber durch diese Kritik, diese politischen Erwägungen, nicht berührt. Mein Schutzengel hat mich vor der letzten Prüfung, der Verhaftung und Folterung, bewahrt. Im März 1944 erlaubte mir Weizsäcker, mit dem Dienstwagen bis nach Lugano zu fahren und von dort aus mit dem Zug nach Genf, den treuen Nostitz zu besuchen. Natürlich erhoffte auch er sich von dieser Reise zusätzliche Informationen, die aber, um das vorwegzunehmen, dürftig ausfielen. Ich nahm meinen Schweizer Bekannten Fahrener mit, der mir in der Frage der römischen Juden so wacker, wenngleich erfolglos, beigestanden hatte. Wir blieben zwei Tage in Florenz. Einen Abend verbrachte ich bei Gerhard Wolf in seinem Haus auf den Hängen von Resole. Der Blick auf die silbrigen Olivenhaine mit Florenz im Tal an einem Frühlingsabend ist mir unvergeßlich. Wolf erzählte mir von seinem Wirken zum Wohle der Stadt, und ich konnte mir, wenn ich ihn ansah und ihm zuhörte, sehr gut seinen gegenwärtigen und zukünftigen Erfolg vorstellen. Er verfügte, was so vielen Deutschen fehlt und für die Italiener entscheidend ist, über Charme und Humanität. Er war kultiviert, was die Italiener immer beeindruckt, weil sie dies als Reverenz vor ihrer eigenen Vergangenheit ansehen, und er war in einer fast naiven Art, weil er die Rückendeckung von Rahn als selbstverständlich hinnahm, mutig. Die Italiener fanden dies hinreißend, weil ja „der Deutsche" in ihren Augen von Gott dazu ausersehen ist, im großen Welttheater die Heldenrolle zu übernehmen. Das deutsche Militär wiederum war wie immer, wenn es auf einen Zivilisten mit einer bestimmten und energischen Meinung stößt - ich hatte das schon im März 193 9 in Prag erlebt - von Wolf beeindruckt. Und die Parteibonzen, die vor Rahn, dem „Sonder89
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beauftragten des Führers" zitterten und wußten, daß er Wolf, unseren Konsul in Florenz, deckte, überhörten seine kecken Reden. Ich wußte Florenz bei ihm in guter Hut. In Genf wurde ich von Nostitz umhegt und verwöhnt. Von den Berner Freunden Theo Kordt 77 und Georg Federer 78 erfuhr ich alles Wissenswerte. Nostitz bewunderte ich wegen seiner unermüdlichen Zusammenarbeit mit dem Internationalen Roten Kreuz und dem Ökumenischen Rat der Christlichen Kirchen; ich wäre da wohl lässiger, weil skeptischer gewesen. Andererseits beneidete ich ihn darum, in seiner Schlüsselstellung und mit seinen Erfahrungen so viel Gutes bewirken, so vielen Menschen helfen zu können, unterstützt und abgeschirmt von Siegfried, unserem langjährigen und treuen Kameraden, der seit kurzem die Behörde leitete. Auch beneidete ich Nostitz ein wenig wegen seines vielseitigen und kultivierten Umgangs, z.B. mit Carl Burckhardt 79 , um nur einen Namen zu nennen. Wenn man mir aber angeboten hätte, auf dauernd nach Genf zurückzukehren, wäre ich verlegen gewesen. Für jemanden, der als ziviler Diplomat aus Uberzeugung in Frontnähe lebte, gab es zu Rom nur die Alternative Berlin. Nach meiner Rückkehr hatte ich eine meiner letzten Zusammenkünfte mit Dollmann, in dem die Römer, weil er in seinem feuerroten Sportwagen, einen großen deutschen Schäferhund neben sich, durch die Stadt brauste, den leibhaftigen Teufel sahen. Alle Untaten, die andere begingen, wurden ihm in die Schuhe geschoben. Dabei war er nach meiner Überzeugung harmlos bis auf das Hobby, die Damen der römischen Gesellschaft der Reihe nach eine Zeitlang einzulochen. W i r trafen uns alle 8 bis 14 Tage in einem kleinen Lokal nahe der Piazza Colonna. Das Mittagessen verlief stets nach dem gleichen Ritual: Wir tauschten römische Erinnerungen an die frühen dreißiger Jahre aus, hechelten die Eigenheiten und Schwächen gemeinsamer Bekannter durch, sprachen - ganz unpolitisch - über die militärische Lage. Wenn aber der Espresso aufgetragen wurde, sagte ich: „Und nun, Dollmann, müssen Sie mir einen Gefallen tun!" Ich bat ihn um die Freilassung der in der letzten Woche verhafteten Aristokratinnen. Es sei doch unsinnig, diese - politisch gesehen - harmlosen Klatschtanten ins Kittchen zu werfen. Das schade uns beim Vatikan. Dann fugte ich lachend hinzu, denn wir vertrugen uns ja im Grunde gut, nächstens werde er noch Scharen kleiner Nönnchen verhaften. Das Ergebnis dieser Mittagessen war, daß er mir jedesmal eine Gefangene, nicht weniger, nicht mehr, freigab. Indessen verlief unser letztes Zusammensein etwas stürmisch. Ich hatte mich das vorige Mal dafür eingesetzt, er möge die Marchesa Sandra Spaletti, eine hochgewachsene, goldblonde Schönheit aus Florenz und ein Stern am römischen Gesellschaftshimmel, freilassen. E r hatte meiner Bitte entsprochen. Wenige Stunden aber nach ihrer Freilassung hatte diese - sit venia verbo - Gans von ihrer Wohnung aus alle ihre Freundinnen angerufen, eben sei vom B B C die Meldung durchgekommen, Argentinien - oder war es Brasilien? - habe den Achsenmächten den Krieg erklärt. So dumm konnte sie doch gar nicht sein, dieser Kriegserklärung irgendeine politische oder militärische Bedeutung beizumessen? Daraufkam es ihr aber wahrscheinlich auch gar nicht an - es war reine Wichtigtuerei und Klatschsucht. Daß sie dabei mich und vielleicht auch Dollmann - gegenüber seinen SS-Vorgesetzten - in Schwierigkeiten brachte, war ihr bei der grenzenlosen Egozentrik ihrer Kaste keines Gedankens wert.
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Dollmann, dem der Wortlaut des natürlich abgehörten Telephongesprächs mitgeteilt worden war, schäumte vor Wut. Er hatte das Gefühl, von mir zum Narren gehalten worden zu sein. Indessen überzeugte er sich angesichts meiner ehrlichen Empörung - ich sparte nicht mit Invektiven über die dumme Person - , daß sein Verdacht unbegründet war. Immerhin aber erklärte er, gewissermaßen zum Abschluß, nun sei es aus, er könne mir nie mehr eine Gefangene freigeben. Mich ritt der Teufel, und ich sagte wörtlich: „Aber, Dollmann, Sie müssen mir doch helfen. Wenn die Dinge einmal anders laufen, helfe ich Ihnen doch auch!" Eine Schrecksekunde - für mich - stutzte er, dann sagte er lachend: „Na gut!" Es hat mich ein paar Jahre später, als er in Bedrängnis war, beunruhigt und beschämt, daß ich das ihm im Frühjahr 1944 gegebene Versprechen, ihm zu helfen, nicht einhalten konnte. Ich lebte in Oberbayern, bekam keine Informationen und war kraft Zensur und Reisebeschränkungen vom Ausland abgeschnitten. Doch bedurfte er meiner Schützenhilfe glücklicherweise nicht, sondern wurde rasch freigesprochen. Anfang Mai 1944 fragte Trott bei mir an, ob wir uns gegen Ende des Monats in Venedig treffen könnten. Er habe sich eine Dienstreise zu Rahn nach Fasano verschafft, könne sich aber vorher auf zwei bis drei Tage freimachen. Ich erzählte Weizsäcker davon, der sofort seine Zustimmung zu dieser Fahrt gab, dabei in seiner stillen, von leichter Ironie gefärbten Art durchblicken ließ, es wäre vielleicht gut, mich auf die Rückreise nach Rom zu machen, ehe die Alliierten vor den Toren Roms stünden. Weizsäcker und Trott hatten, seit sie sich durch meine Vermittlung kennenlernten, menschlich wie politisch Gefallen aneinander gefunden: der junge, genialische Feuerkopf, der ab und zu voreilig sein konnte, und der weise alte Diplomat, den hin und wieder das große Zaudern überkam. Ich machte mich also wieder einmal mit dem Wagen in Richtung Adria auf den Weg. Voll Bewunderung feierte ich Wiedersehen mit dem herrischen Palazzo della Signoria in Gubbio. In Rimini besuchte ich die von Leon Battista Alberti80, dem Theoretiker der Frührenaissance, erbaute Kirche. Der Dachstuhl fehlte weitgehend, doch waren die Seitenwände in ihren klassischen Proportionen und ihrer raffinierten Aufteilung unversehrt. Die Kirche, deren eigentlicher Name nur Spezialisten bekannt ist, heißt allgemein „II Tempio Malatestino". In der Tat hat man das Gefühl, einen heiteren antiken Tempel zu betreten. Er war errichtet zu Ehren der Malatestas, eines jener kleinen Fürstengeschlechter, die sich, abgesehen von ihren kulturellen Großtaten, die den Abschluß ihrer Geschichte darstellten, einen großen Namen gemacht haben. Es fragt sich nur, womit? Dem Vernehmen nach mit raffinierten Intrigen und ruchlosen Verbrechen. Auf einer der herrlichen Medaillen von Pisanello sieht man das Profil eines Malatesta, hinreißend arrogant, nobel und abweisend. Es war zu seiner Zeit gewiß besser, ihn nicht zum Feind zu haben. Das Wiedersehen mit Trott in Venedig, dem ich, abgesehen von dem sachlichen Gespräch, auf Grund unserer langen Freundschaft mit so viel Erwartung entgegengesehen hatte, versetzte mir anfangs einen Schock. Noch vor nicht allzu langer Zeit war Trott ein strahlender junger Held gewesen. Jetzt hatten ihn die Zeitläufte und das enttäuschende Ergebnis seiner fast tollkühnen Auslandsreisen an den Rand der physischen und vor allem psychischen Erschöpfung gebracht. Auf seine Fähigkeit 91
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zur Regeneration vertrauend, hoffte ich, ihn in diesen wenigen Tagen in Venedig und Fasano, wohin ihn zu begleiten von Weizsäcker angeordnet worden war, durch Verwöhnung und Entspannung „gesund" pflegen zu können. Doch erst stürzten wir uns, unserem Temperament entsprechend, hitzköpfig in stundenlange Gespräche. Die Bilanz unserer Lage, wie er sie sah, war katastrophal. Im Osten war der Zusammenbruch nur hinauszuzögern, nicht mehr zu verhindern. In Italien vollzog sich die gleiche Entwicklung, wenn auch gemächlicher und unter geringeren Blutopfern. Die Errichtung der sogenannten „Zweiten Front" in Frankreich konnte nicht mehr lange auf sich warten lassen, nicht nur, weil Stalin - teils mißtrauisch, teils verächtlich wegen ihrer mangelnden Dynamik - sie seit Jahr und Tag den Alliierten abforderte. Es dämmerte den westlichen Demokratien wider Willen - und sie haben sich mit diesem Problem noch lange auseinandersetzen müssen daß ganz Europa bis zur Brennergrenze und den Pyrenäen der Sowjetunion anheimfallen würde, falls die Westmächte nicht endlich das Risiko einer Landung in Frankreich durchzustehen bereit seien. Militärischer Zusammenbruch also im Osten und Süden. Im Westen ein Großangriff, dem die Wehrmacht auf Grund der technischen Überlegenheit zu Wasser (meerbeherrschende Flotte), zu Lande (zahlenmäßige Überlegenheit an Panzern und panzerbrechenden Waffen) und vor allem in der Luft (absolute Beherrschung des Luftraums) nur auf wenige Wochen Widerstand leisten konnte. Trott ergänzte dies düstere militärische Bild durch entsprechende Informationen auf politischem Gebiet. Es bestehe auch nicht das leiseste Anzeichen, daß die westlichen Demokratien zu irgendwelchen Verhandlungen mit einer nach dem Sturz Hitlers gebildeten deutschen Regierung bereit sein würden. Sie beharrten auf unserer bedingungslosen Kapitulation, was immer auch sie sich unter diesem für jeden Historiker und Politiker absurden Begriff vorstellen mochten. Meine schlimmsten Befürchtungen, die ich immer vor mir hergeschoben hatte, fanden sich also bestätigt. Am Schluß unserer stundenlangen Debatten, die Tag für Tag wieder auflebten, stellte mir Trott die konkrete Frage, ob wir nicht angesichts der verzweifelten Ausgangslage unsere Initiativen einstellen und uns aufs „Überwintern" beschränken sollten. Meine Antwort war, wenn wir nichts unternähmen, würde kein Deutscher auf ein halbes Jahrhundert Ausländern vor die Augen treten können, der deutsche Name befleckt und die deutsche Kollektivschuld bewiesen sein. Auf der anderen Seite werde ein Umsturz in Deutschland die Nebel der Haßpropaganda zerreißen und eine völlig neue weltpolitische Lage schaffen. Adenauer war, das muß man heute hinzufügen, grundlegend anderer Auffassung. Er rührte sich nicht und bewahrte, obwohl auf kurze Zeit von den Nazis verhaftet und somit gegenüber den Alliierten im Besitz eines „Impfscheins", seine politische Jungfräulichkeit. Im Gegensatz zu Trott und seinen Freunden war er deshalb den westlichen Alliierten ein unersetzlicher Verhandlungspartner und machte ihnen zu ihrer zeitweiligen Beruhigung die Teilung Deutschlands schmackhaft - so Richard Crossman81 über seinen Jugendfreund Trott. Ich stehe noch heute zu meiner damaligen Beurteilung der Lage. Und doch quält es mich seit 25 Jahren, daß ich im Mai 1944 nicht ausgewichen bin, sondern Trotts Fragen 92
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- wahrscheinlich in dem von ihm erwarteten und erhofften Sinn - beantwortet habe. Es war leichtfertig, ja unverantwortlich von mir, einen solchen Rat zu geben, der ich in Rom binnen kurzem im sicheren vatikanischen Refugium sitzen würde. Allerdings rechnete ich fest mit dem Gelingen des Attentats auf Hider und sah mich auf Grund der Zusage Stauffenbergs, mir ein Flugzeug zu schicken, schon in Berlin, um dort gemeinsam mit meinen Freunden den Versuch zu machen, der Probleme, natürlich unter Lebensgefahr, einigermaßen Herr zu werden. Doch bewahrheitete sich auch an Trott und mir die Weisheit Homers: Wenn wieder einige Fahrtgenossen des Odysseus von der wilden See verschlungen worden waren, vergossen die Uberlebenden Ströme von Tränen. Dann aber brieten sie Schafe und Rinder und hieben kräftig drein, bis der Schlaf sie übermannte. Immer noch bot Venedig, wenn man sich, wie ich, etwas auskannte, Gelegenheit, an den damaligen Maßstäben gemessen, vorzüglich zu essen und zu trinken. Wir nahmen sie wahr. Darüber hinaus war Trott von Venedig verzaubert. Er war noch nie in Italien gewesen und entdeckte immer wieder Ähnlichkeiten zwischen den Bewohnern Venedigs und Pekings, wo er glückliche und entscheidende Jahre zugebracht hatte. Zwar waren die Museen geschlossen, aber die Kanäle, die kleinen und großen Plätze, die Kirchen und nicht zuletzt der Dogenpalast bereiteten ihm gelöste, heitere Stunden. Dieses Zusammensein in Venedig war die Krönung unsrer nicht immer wolkenlosen, aber tiefen Freundschaft. Nach zwei oder drei Tagen fuhren wir mit meinem Dienstwagen weiter nach Fasano am Gardasee. Schon auf der Hinreise hatte ich festgestellt, daß die Scrovegni-Kapelle in Padua mit den Giotto-Fresken unversehrt war. Dagegen lagen unweit davon die Fresken von Mantegna in großen Bruchstücken zuhauf. Anschließend durchführen wir Vicenza, das in der Nacht zuvor von einem schweren Luftangriff getroffen worden war. An manchen Stellen verglühte noch das Gebälk der halb zerstörten Häuser. Zu meiner Erleichterung jedoch waren der Palazzo Infinito und die anderen Palladio-Bauten, an denen wir vorbeikamen, unversehrt. Aber würde das so bleiben oder würden all diese Städte wie Padua, Vicenza, Mantua und Verona, von Hofmannsthal als der Kronreif Europas bezeichnet, in wenigen Monaten in Trümmern liegen? Schon um dies und ähnliches in Deutschland zu verhindern, mußten wir, darin waren wir uns bei der Fahrt durch Vicenza einig, dem verbrecherischen Spuk des Dritten Reichs so rasch wie möglich ein Ende setzen. Beim Betreten des Botschaftsgebäudes in Fasano erhielten wir einen Schlag in die Magengrube. Denn in der Pförtnerloge stand ein stattliches blondes Weib und schrie mit kreischender Stimme in den Telefonhörer: „Der muß erschossen werden!" Worum es ging, wußte ich nicht, auch war ich sicher, daß dieser hysterische Appell keine praktischen Folgen haben würde. Aber ich war verbittert, nicht in die Loge eindringen und ihr rechts und links eine „kräftig langen" zu können, ohne eine Denunziation zu riskieren, was die Angelegenheit nicht wert war. Aber welch ein Empfang auf einer deutschen Behörde! An fünf Worten, ins Telephon gebrüllt, konnte man ermessen, wie tief wir gesunken waren. Zu Trotts und meinem Kummer fiel Rahn praktisch aus: Er war vor 48 Stunden am Blinddarm operiert worden und lag reduziert im Bett. Immerhin begrüßte er uns väterlich93
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freundschaftlich und fragte: „Na, wie geht's Euch Gaullisten ?" Wir verbrachten angenehme Stunden in einem sonnigen Frühlingsgarten mit Rahns „junger Garde", mit Moellhausen 82 , Overbeck 83 , Heyden 84 , Gumpert 85 und zwei oder drei anderen. Am nächsten Morgen brachte ich Trott in aller Herrgottsfrühe nach Verona an den Berliner Schnellzug. An der Sperre übermannte mich noch einmal die ganze Fragwürdigkeit meiner römisch-vatikanischen Zukunft. Ich sagte, jedes Bedenken und alle Vernunft über Bord werfend: „Wenn D u mir jetzt auch nur die kleinste Ermutigung gibst, brenne ich alles hinter mir ab und springe zu Dir in den Zug nach Berlin!" Trott, sonst meist feuriger als ich, antwortete: „Du mußt hierbleiben, wir wollen nicht alle Eier in einen einzigen Korb legen!" Mit dieser angelsächsischen Redensart brachte er mich widerwillig zur Besinnung: Ich durfte Weizsäcker nicht verlassen. Darüber hinaus konnte ich aber auch nicht ohne jede Weisung in Berlin auftauchen. Man hätte mir Fahnenflucht vor dem Feind vorgeworfen, vielleicht nur als Vorwand, mich zu verhaften und, da ich jedenfalls bei Kappler in Rom unter Verdacht stand, wochenoder monatelangen Verhören zu unterwerfen. Trott hatte mit seinen wenigen Worten ins Schwarze getroffen und obendrein meinen späteren Lebensweg entscheidend beeinflußt. Ich war ein übriggebliebenes „Ei aus diesem Korb". Auf der Rückfahrt nach Rom erlebte ich Randerscheinungen des Krieges. Ich trieb den italienischen Fahrer zur Eile an, denn die Front südlich von Rom war zusammengebrochen, und ich mußte noch vor den Alliierten in Rom sein. Immer wieder erklärte der Fahrer, wenn Scharen von gegnerischen Bombern wie Zugvögel über den Frühlingshimmel glitten, er habe Angst. Und immer wieder sagte ich ihm, nur Tiefflieger seien fur uns eine Gefahr, und die seien ausschließlich in der Umgebung von Rom aktiv. Bomber interessierten sich nicht für ein einzelnes Auto. Während ich noch dabei war, ihn wieder einmal zu beruhigen, sahen wir aus einem der silbernen Bomber, die diesmal von Norden aus über uns hinwegflogen, einen Guß von schwärzlichen Bomben herabregnen, die, wie wir meinten, auf uns selber zielten. Wir sprangen aus dem Wagen und flüchteten wie die Hasen auf den benachbarten Acker. Wenige Sekunden später hörten wir die Bomben eine erhebliche Strecke vor uns explodieren. Ihr Ziel waren zwei Viadukte auf einer lokalen Bahnstrecke in der Umgebung von Siena. Die Viadukte und unsere unter ihnen durchlaufende Straße blieben indessen unversehrt. Wir konnten die Fahrt fortsetzen. Als aber die Dunkelheit einsetzte und wir uns Rom näherten, wurde die Szenerie dramatischer. Auf der linken Straßenseite flöß ein ununterbrochener Strom von zivilen Flüchtlingen und verwundeten Soldaten langsam, sehr langsam, nordwärts, denn ein einziger Pferdewagen konnte fünfzig hinter ihm fahrende Autos, da es keine Möglichkeit zum Ausweichen oder Überholen gab, zum Schrittfahren verurteilen. Auf unserer Straßenseite waren wir seit zwei Stunden zwischen Militärfahrzeugen eingekeilt; wir bewegten uns zwar etwas rascher als der Gegenverkehr, aber immer noch langsam genug. Denn ununterbrochen warfen alliierte Flugzeuge Leuchtbomben ab, die langsam wie ein etwas zu hastiger Vollmond untergingen, d.h. zur Erde glitten. Noch schöner waren die sogenannten „Christbäume", Scharen kleiner Leuchtbomben, die irgendwie miteinander verbunden - von Technik habe ich nie 94
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etwas verstanden - den Weihnachtshimmel entzückend dekoriert hätten. Hier aber war dieses Feuerwerk von ständigem Flugzeugbrummen und Bombeneinschlägen rechts und links der Straße begleitet, gottlob immer das Ziel verfehlend, so daß wir unsere Fahrt fortsetzen konnten. Seither meine ich, daß man Beleuchtungs- und Knalleffekte auch übertreiben kann: Ein Feuerwerk aus Anlaß eines Jubiläums oder Geburtstages ist mir seit jeher zuwider. Als ich die hell erleuchtete, weil „offene Stadt" Rom im Tal vor mir Hegen sah, löste sich der Krampf. Ich hatte für lautes, dramatisches Geschehen nicht viel übrig. Eine Erleichterung, daß nun binnen weniger Tagen das Tausendjährige Reich für mich persönlich zu Ende gehen würde, stellte sich nicht ein. Dazu war das Elend in ganz Europa zu groß, die Zukunft zu düster. Der Fall von Rom würde am Lauf des Krieges wenig ändern. Am Tag nach ihrem Einzug verhafteten mich die Alliierten auf der Straße, warfen mich kurz ins Zuchthaus und sperrten mich dann auf fünf Wochen im Hotel Flora ein. Angesichts der Millionen, die jahrelang in Lagern gesessen haben oder kalten Blutes ermordet wurden, scheue ich mich fast, diese Episode zu erwähnen. Da sie aber für mich voll persönlicher Einsichten war, bildet sie ein Stück meines Lebens. Ich hatte zwar kein Zutrauen zu der politischen Weisheit der Gegner im Fall einer Niederlage. Dazu hatten sich die westlichen Alliierten am Schluß des Ersten Weltkrieges in Versailles zuviel Emotionen und Stümpereien geleistet; diesmal würde obendrein Stalin ein entscheidendes Wort mitzureden haben. Aber ich nahm an, hier in Rom würden sich die Angelsachsen an die von der faschistischen Regierung im Umgang mit Diplomaten der Gegenseite, die beim Vatikan akkreditiert waren, aufgestellten Spielregeln halten. Schließlich hatten dies sogar die Nazis getan. Wenn ein Staat den Achsenmächten den Krieg erklärte, wurde seiner Vatikan-Botschaft - die ja wie alle anderen auf italienischem Boden lag - eine Note zugestellt, wonach ihre Mitglieder binnen 48 Stunden in die Botschaft überzusiedeln hätten. Erst wenn in der Vatikanstadt ein Quartier freigemacht worden war, erhielten diejenigen, die dableiben durften - der Vatikan beschränkte aus Platzmangel ihre Zahl auf wenige Köpfe - , die Aufforderung, umzuziehen. Die anderen wurden auf dem üblichen, oft langwierigen Weg ausgetauscht. Diese Regeln waren bisher immer großzügig ausgelegt worden und es hatte keinerlei Anstände gegeben. Diese Spielregeln einfach auf die Gegenwart zu übertragen, war leichtfertig und töricht. Wir wurden von der militärischen Front der Gegner in einem Bewegungskrieg überrollt. Zivilisten hatten auch bei den Alliierten in den Anfangstagen wenig oder gar nichts zu sagen. Und ich hätte aus meinen Erfahrungen im Umgang mit Soldaten wissen müssen, daß diese ein Individuum, bei dem sie sich nicht auskennen und das für sie ein Problem darstellt, erst einmal „einlochen", nicht in böser oder gar unmenschlicher Absicht, sondern in der Meinung, dies Problem müsse erst einmal vom Tisch, das Individuum sei damit „besorgt und aufgehoben". Es geschähe ihm ja vorerst nichts - und später könne man weitersehen. In meiner Stupidität blieb ich also im Hotel Excelsior wohnen. Von meinem Fenster aus beobachtete ich den Rückzug unserer Truppen, die nun, von den Alliierten gehetzt, die Re95
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geln der „offenen Stadt" ebenso wenig beachteten wie ihre Gegner. Es war keine Flucht, keine Auflösung. Aber trotz aller Disziplin war der Eindruck niederschmetternd. Was waren dies fur arme Kerle, die auf der römischen Prachtstraße unter mir vorbeizogen, übermüdet, ausgehungert und abgerissen. Ich ging hinunter und traf auf zwei kleine stämmige Gestalten, schmutzig und unrasiert, die ein schweres M G mitschleppten. Ich steckte ihnen Zigaretten zu, sie erwiesen sich als schlesische Landsleute und erklärten grinsend: „Nu, nerdlich von Rom wer'n wir weiterkämpfen!" Wenige Stunden später erlebte ich von dem gleichen Fenster aus den Einmarsch der Amerikaner. Ich weiß nicht, was mich mehr beeindruckte: Der endlose Strom an Material oder die Soldaten, die „wie aus dem Ei gepellt" zu einer lässigen Festtagsparade vorbeizumarschieren schienen. Ich sagte mir: Wenn diese Gruppen unter der Führung kühner Generäle ein ernsthaftes Risiko auf sich nehmen würden, wäre der Italienfeldzug in zwei oder drei Monaten zu Ende; die Front verliefe am Brenner. Beim ersten Versuch, mich von meinen italienischen Bekannten im Hotel zu verabschieden, wurde ich empfangen, als sei ich eine giftige Natter. Ich gab daher dies Unterfangen auf, ließ mir das Abendessen aufs Zimmer bringen und verbrachte eine ruhige Nacht. Am nächsten Morgen kam der Botschaftsfahrer pünktlich mein Gepäck abholen. Statt aber zu ihm in den Wagen zu steigen, bestellte ich auf der anderen Straßenseite Blumen für ein paar Freunde, allerdings ohne Namensangabe und ging noch etwas spazieren. Bald darauf umringte mich eine wütende Menge und schrie: „Ein Spion, ein SS-Mann!" Ich war mehr angeekelt als ängstlich. Nach wenigen Minuten befreite mich ein italienischer Leutnant, dem ich meinen Status erklärte. Ich bat, ins alliierte Hauptquartier gebracht zu werden, landete aber in einem Gartenrestaurant im Park der Villa Borghese, wo ich in einem großen Saal mit etwa hundert anderen zusammengepfercht wurde, „schrägen" Figuren, finsteren Gestalten, dergleichen mir nie begegnet waren. Hungernd und schwitzend stand ich fünf Stunden herum, denn Stühle gab es nicht. Dann wurden wir, wieder stehend, auf Lastwagen verladen und fuhren durch eine johlende Menge, die mit Steinen nach uns warf. Ich hatte das Gefühl, die Stadt sei in der Hand von Kommunisten. Schließlich landeten wir vor dem zentralen Zuchthaus, das sinnigerweise den Namen Regina Coeli (Himmelskönigin) trägt, und ich wurde in eine dunkle und schmutzige Zelle geschubst. Das wars also. Ich verlor die Fassung, obwohl dies den wenigen Prinzipien meiner sonst ungemein liberalen Erziehung widersprach. Da ich „von der Straße weg" verhaftet worden war, konnte niemand wissen, wo ich mich befand, niemand sich fiir mich einsetzen. Ich war einfach verloren gegangen. Infolge von Hunger und Hitze erst, unerfreulichen Erlebnissen später war meine Urteilsfähigkeit durch Hysterie verfälscht. Ich fürchtete, das Zuchthaus werde vom Mob gestürmt und alle Insassen erschlagen werden. Wanzen taten ein übriges, mich nicht zur Ruhe kommen zu lassen. Erst am nächsten Vormittag hatte ich mich wieder in der Hand. Ich las an der Wand die teils pathetischen, teils giftigen Inschriften meiner Zellen-Vorgänger. Und plötzlich fiel mir ein Pascal-Zitat ein: „Toute la tragedie de l'homme consiste de ne savoir demeurer tranquillement dans une chambre." 86 Mit abgebrannten Streichhölzern schrieb ich dies an die
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gekalkte Wand und hatte plötzlich das Gefühl, die Welt, meine Welt, sei wieder in Ordnung. Ich bekam mit diesen wenigen Worten eine ironische Distanz zu mir selber und meiner Situation. Bildung, so hatte ich bisher gemeint, verhelfe uns zu einem sonst nicht zu erreichenden Uberblick, ermögliche Erkenntnisse, vielleicht sogar Weisheit. Bildung sei ein Lebensstil, ein Genuß, manchmal auch nur ein Vehikel fur den Snobismus. In diesem Augenblick war sie fur mich Hilfe in der Not. Aber mein Gleichgewicht wurde noch einmal gefährdet. Der Zuchthausgeistliche sprach mit mir nachmittags durch die kleine Klappe in der Tür. Ich erklärte ihm, wer ich sei, wies daraufhin, daß ich manchen vor diesem Zuchthaus bewahrt hätte, und bat ihn, den Vatikan unverzüglich zu benachrichtigen. Außerdem erbat ich eine Bibel. Sein einziger Kommentar voll klerikaler Arroganz war: „Auch diese Erfahrung, mein Söhnchen, wird Dir zum Heil gereichen!" Ich war wütend; diese römischen Pfaffen machten es einem wirklich schwer, die Hochachtung und Bewunderung fur ihre Kirche aufrecht zu erhalten. Die Bibel bekam ich natürlich nicht, und den Vatikan benachrichtigte er erst nach vierzehn Tagen, so daß Weizsäcker, als er dies erfuhr, glaubte, man habe mich wieder in das Zuchthaus zurückgeschafft. Am nächsten oder übernächsten Morgen hatte ich das Gefühl, in einer Voliere aufzuwachen. Denn von überall her hörte man Pfeifen, Singen und Lachen. Ich stellte durch mein Guckloch fest, daß die Alliierten deutsche Kriegsgefangene zur Säuberung des Zuchthauses eingesetzt hatten. Nun konnte mir nichts mehr passieren! Ich unterhielt mich ab und zu mit dem einen oder anderen der Soldaten, die froh waren, den Krieg hinter sich zu haben. Der eine gab mir sogar ein paar Zigaretten gegen zwei Scheiben meines Frühstücksbrotes. Schon bei Dunkelheit gab es plötzlich Lärm und Geschrei, was mich in meiner Lage erschreckte. Nach wenigen Sekunden stürmten drei blonde Enakssöhne unter ungeheurem Gepolter in meine Zelle, amerikanische Soldaten. Ich verstand nichts von dem, was sie sagten; sie kamen mich aber abholen und schlimmer konnte es ja nicht werden. Wie junge Bären, tapsig aber gutmütig, verfrachteten sie mich in einen Jeep und forderten mich, das verstand ich, zu einem Loblied auf dieses Fahrzeug auf, ein Wunsch, dem ich gern entsprach, da es mich von der „Himmelskönigin" fortbrachte. Ich lernte bald, daß die Amerikaner im Gegensatz zu den Engländern ununterbrochen gelobt - und möglichst geliebt - werden wollten, ein Wunsch, dem ich im nichtpolitischen Bereich jederzeit gern entsprach. Denn wie jede Frau etwas an sich hat oder auch nur anhat, das Anlaß zu einem ehrlichen Kompliment gibt, so haben auch die Angehörigen aller Nationen Eigenschaften, die man loben kann. Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist - und wir Deutschen lügen bekanntlich nie! Dies traf auf mich nicht zu. Plötzlich fand ich mich geblendet in der „paradiesisch" erleuchteten Halle des Hotels Flora wieder, kaum hundert Meter vom Hotel Excelsior entfernt, wo ich genau zwei Jahre lang gelebt hatte. Im fünften Stock wurde ich in ein Zimmer nebst Bad geleitet, das mir, so schnell verschieben sich uns die Maßstäbe, als Inbegriff luxuriöser Gemütlichkeit erschien. Ich stand einem jungen Offizier, vielleicht Ende zwanzig, gegenüber, der nur ein Engländer sein konnte: Mittelgroß und sportlich, mit einem schmalen Kopf und knapp gestutztem 97
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blonden Schnurrbärtchen, trug er ein offenes Hemd, gut geschnittene Shorts, Kniestrümpfe und Wildlederschuhe, kam also wohl aus Nordafrika oder dem Nahen Osten. Mit knappen Worten erklärte er mir, ich werde hier interniert, bis man höheren Ortes über mich entschieden habe. Er warf dann einen Blick auf das Telephon und sagte, ich solle keinen Unfug damit treiben. Also, so schloß ich, endlich hellwach geworden, könnte ich über dies Telephon die Botschaft erreichen und Weizsäcker und seine Frau, die sich gewiß um mich sorgten, beruhigen. Aber ich war nicht mehr bereit zu irgendwelchen Experimenten, gab also dem Engländer mein Wort, sagte aber zugleich folgendes: Er möge Weizsäcker, der nicht nur ein Gendeman, sondern mein väterlicher Freund sei, am nächsten Morgen unverzüglich benachrichtigen, daß es mir gut gehe, und zugleich um Waschzeug, Wäsche und eine Bibel fur mich bitten. Er sagte dies zu und hielt selbstverständlich sein Wort; Seife, saubere Wäsche und die Bibel, jedes zu dieser Zeit von unschätzbarem Wert, wurden mir am nächsten Nachmittag ausgehändigt. Die nächsten vier oder fünf Wochen machten mich, so sehr sich meine Lage besserte, mit dem Phänomen einer längeren Einzelhaft bekannt: Meine Stimmung bewegte sich in Extremen. Vormittags und gegen Abend, wenn es kühl war, lebte ich, jeder Bürde und Verantwortung ledig, in einem Zustand absoluter geistiger Freiheit und Heiterkeit. Wenn aber die Hitze wenige Stunden später oder vorher auf meinem Zimmer direkt unter dem Dach lastete oder die Nacht lang wurde, war ich wie ein verzweifeltes Raubtier, das unablässig hinter den Gittern seines Käfigs, nichts mehr von der Welt bemerkend, auf und ab trabt. Am Morgen nach meiner Einlieferung oder Ubersiedlung ins Hotel lernte ich „die" Amerikaner kennen, denn die Wachen bestanden ausschließlich aus GIs. Gewiß war ich auch vorher Amerikanern begegnet, vor allem natürlich Diplomaten, aber nie dem „Volk". Als erstes fiel mir auf, wie laut diese Soldaten vom Stabsfeldwebel abwärts waren, aber in einer gutmütigen, jungenhaften Art. Militärs bis hinauf zum Obersten, an den Dienst im Freien gewöhnt und besorgt, daß ihre Befehle auch über größere Strecken verstanden werden, schreien ebensogern wie der Diplomat wichtigtuerisch flüstert. Während es aber bei uns gang und gäbe war, wie ein bösartiger Hund halblaut und staccato zu bellen, johlten die Amerikaner. Ich lernte die Wachhabenden Mann für Mann kennen. Denn humanerweise ließ man mich, von einem schwerbewaffneten und im „Ernstfall" sicher völlig hilflosen Soldaten begleitet, eine halbe Stunde lang Spazierengehen. Wir drehten eine Runde nach der anderen auf jedem Platz gleich hinter dem Eingang zur Villa Borghese, auf dem sich in Friedenszeiten, ja bis weit in den Krieg hinein, die anmutigen Kinder der römischen Aristokratie auf ihren Ponies getummelt hatten. Meine Bewacher waren fast ausnahmslos blonde, hochgewachsene Farmersöhne aus den Südstaaten der USA. Daher hatte ich wegen ihres Tonfalls anfangs Schwierigkeiten, sie zu verstehen. Sie waren äußerst überrascht, daß ich als „Nazi-Teufel" mich nach ihrer Familie erkundigte, wußte, daß sie auf ihren Farmen Mais, Baumwolle und Zuckerrohr anbauten und ihnen erzählte, daß ich ein deutscher „Farmer" sei, vierzig Kühe besäße und „mein Geld" mit Weizen und Zuckerrüben verdiente. Wie
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dem auch sei, nach drei Tagen wurde ich von allen mit „Sir" angeredet, was meinem durch Leichtfertigkeit und Schwäche angeschlagenen Selbstbewußtsein Wohltat. Sie waren samt und sonders, mit Ausnahme eines schmierigen, schwarzhaarigen Bürschchens, der denn auch aus Chicago stammte, gutmütig und sympathisch. Aber mir fiel etwas an ihnen auf, das man nur schwer in Worte fassen kann. Sie waren nicht dumm oder simpel, aber „beschränkt". Sie hätten mich zwar beim Viehhandel übers Ohr gehauen, aber abgesehen von dem engen Horizont ihrer Farm und nun des Krieges, den sie auch nur nach primitiven Maßstäben wie Sold, Urlaub und Entlassung beurteilten, war ihnen der Rest der Welt verschlossen. Jeder schlesische Bauernsohn, ja jeder oberschlesische „Kumpel", der weder auf deutsch noch auf polnisch richtig zu schreiben oder auch nur sich auszudrücken verstand, war im Vergleich zu diesen Jungens aus den Südstaaten vielschichtig, skeptisch und fast subtil. Ich begegnete hier zum ersten Mal dem tragischen Problem, dem die Nordamerikaner im Umgang mit Europäern, Lateinamerikanern und Asiaten, sämtlich Angehörige alter Traditionen und Kulturen, gegenüberstehen. „Die" Amerikaner sind puritanisch-kleinbürgerlich; sie lehnen ab, was vor der „Mayflower" geschah und was sich seither außerhalb ihrer Geschichte - abgesehen vielleicht von der Französischen Revolution - ereignete. Für sie sind alle Asiaten, Europäer und Lateinamerikaner undurchsichtig, geistig-versnobt und im Zweifel machiavellistisch, d.h., wie sie es in einem einzigen Wort zusammenfassen „sophisticated". Die geistige Elite und die soziale Oberschicht teilen diese Vorurteile natürlich nicht, aber sie müssen bis zu einem gewissen Grad politisch auf sie Rücksicht nehmen. Anregender waren meine Besucher am Nachmittag. Tag fur Tag erschien irgendein Offizier, um sich mit mir zu „unterhalten". Sie wechselten sich ab, sei es, daß sie mich in Widersprüche verwickeln wollten, sei es, daß jeder von ihnen den seltsamen Vogel, den sie da gefangen hatten, ansehen wollte. Es waren alles Engländer, was mir angenehm war, denn mit ihnen kannte ich mich einigermaßen aus. Die Gespräche, als Unterbrechung meiner Isolierung begrüßt, erschienen mir als eine Art Schachpartie, bei der ich versuchen mußte, meine persönliche Lage zu verbessern und vor allem meinen sachlichen Argumenten zugunsten eines vernünftigen Friedens Nachdruck zu verleihen. Das erste gelang mir rasch; ob meine politischen Darlegungen auf fruchtbaren Boden fielen, weiß ich nicht; sie wirkten sich jedenfalls nicht aus. Erfolg hatte ich mit zwei persönlichen Äußerungen; als mich am zweiten Tag einer meiner Besucher fragte, ob sich unsere Truppen noch einmal zwischen Rom und Florenz zum Kampf stellen würden, sagte ich ihm, davon verstünde ich als Diplomat nichts. Aber selbst, wenn ich etwas wüßte, würde ich nichts sagen, denn dann wäre ich kein Gentleman, und nur auf dieser Ebene könnten wir miteinander sprechen. Das war ι : ο fur mich. Am nächsten Tag erklärte mir ein anderer Besucher, sie würden mich wahrscheinlich doch noch einmal durch eine Gruppe (board) vernehmen lassen. Ich erwiderte kühl, das sollten sie sein lassen. Denn dann wäre ich gezwungen, eine leidenschaftliche Rede zugunsten unseres verbrecherischen Regimes zu halten, und das würde weder ihnen noch mir Vergnügen bereiten. Damit war meine Position gefestigt, ich bekam nun nicht nur Wäsche, sondern auch Bücher und Geld von der Botschaft. Ich las in der Bibel die Bücher Mose mit gemischten Ge99
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fühlen. Denn die Teile, die großartig an ihnen waren, hatte ich als Kind von meiner Mutter gelernt, der Rest war mir sehr orientalisch-fremd. Ich lernte den 90. Psalm auswendig und eine der römischen Elegien von Goethe. Denn im Zuchthaus hatte ich, wie schon bei den Hochbahnfahrten durch das verdunkelte Berlin, erfahren, wie tröstlich es ist, sich Gedichte aufsagen zu können. Damit vertrieb ich mir die Zeit bis zum Nachmittag, wo ich fast immer Besuch bekam. Denn die armen Engländer langweilten sich offenbar. Eines Tages erschien einer, der aussah wie ein junger, kleiner John Bull, untersetzt, mit rötlichem Haar und rosa Puddingbacken. Er beschäftigte sich gar nicht erst mit meiner Person, sondern ließ einen Sturzbach von bitterer Kritik an der englischen Monarchie, Churchill, den Amerikanern und dem westlichen Kapitalismus auf mich los. Ich dachte mir wieder einmal, was ich doch fur einen seltsamen Beruf erwählt hatte. Denn selbst noch als Gefangener muß ein Diplomat die Geständnisse, die Beichte eines ausländischen Gegners geduldig und höflich anhören. Als aber John Bull mir erklärte, nur im Kommunismus liege das Heil, nur Stalin sei ein wirklich großer Mann, erhob ich mich, öffnete die Fenstertür und zeigte ihm Rom, das unter einem honigfarbenen Himmel und langsam kühler werdender Luft nach sonnenverbranntem Gras roch und so herrlich war wie nur an einem wolkenlosen Juniabend. Mit schneidender Höflichkeit erklärte ich ihm, von totalitären Regimes verstände er ganz und gar nichts - zu meinem Leidwesen aber ich. Wenn seine Ideale verwirklicht würden, werde auf dieses himmlische Rom vor unsern Augen grauer Nebel und Aschenregen niedergehen, dreitausend Jahre europäischer Kultur erniedrigend und auslöschend. Wenn er das herbeisehne, würde ich das bedauern. Ehe er sich von seiner Überraschung erholen konnte, hatte ich ihn vom Balkon in mein Zimmer, von meinem Zimmer auf den Flur bugsiert mit dem Dank, dies sei ein faszinierendes Gespräch gewesen, über das nachzudenken sich für jeden von uns lohnen werde. Eines Tages teilte mir der Chef aller Wachmannschaften, ein rührend gutmütiger, schwarzgelockter Bär, ganz aufgeregt mit, in einer Stunde komme mich ein Beauftragter des Vatikans besuchen. Er blickte besorgt auf meinen Tisch und bat mich, ich möchte doch meine Bücher schön gerade auf einen Haufen legen und sonst alles in Ordnung bringen, was ich ihm auch versprach. Es erschien denn auch pünktlich der dem Laienstand angehörende Protokollchef des Vatikans, Commendatore Bellardo87, ein kleiner, zierlicher Mann, den ich schon aus meiner ersten römischen Zeit kannte und der stets äußerst liebenswürdig und hilfsbereit war. Begleitet wurde er von einem englischen und einem amerikanischen Obersten, die neben ihm wie Riesen wirkten. Sie setzten sich zu dritt auf mein Bett, da es sonst, bis auf den Sessel, den ich beanspruchte, keine Sitzgelegenheit gab. Ich hatte mir vorgenommen, mich über nichts zu beklagen. Denn in meiner Lage bestand die Gefahr, mich in lächerliche Kleinigkeiten und damit mein Gesicht auch vor mir selber zu verlieren. Auf die Frage, ob ich irgendwelche Beschwerden vorzubringen hätte, erwiderte ich, zwar betrachtete ich meine Internierung als rechtswidrig, darüber aber hätten sie ja nicht zu befinden. Alle sonstigen Fragen schnitt ich mit dem Bemerken ab, ich würde höflich, ja zuvorkommend behandelt, auch von den Wachen, aus deren Mund ich einige Redensarten, nicht mir gegen100
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über, sondern wenn sie sich untereinander unterhielten, gelernt hätte, die ich mir unbedingt merken werde, die ich aber in so feiner Gesellschaft nicht wiederholen könne. Das Gespräch endete in allgemeinem Gelächter, und als mich Bellardo beim Hinausgehen nochmals unter vier Augen fragte, ob ich wirklich keine Klagen hätte, bestätigte ich dies. Den nettesten Besuch bekam ich hin und wieder nach dem Abendessen. Dann erschien der junge Engländer, der mich als erster in diesem Zimmer empfangen hatte. Ich bat ihn, auf der Kommode Platz zu nehmen, da der Sessel mir als dem Gast zustehe, eine Bemerkung, über die er sich freute. Er kam, weil er sich offensichtlich in der Offiziersmesse langweilte. Abendessen nach amerikanischer Sitte um 6 Uhr und als einziges Getränk zur Mahlzeit heißen Kaffee, darüber zuckte er verächtlich die Achseln. Seine Landsleute wiederum waren offensichtlich Akademiker, die man in Uniformen gesteckt hatte und mit denen er wohl, obgleich er das nicht aussprach, nichts anfangen konnte. Er setzte sich dann auf meine Kommode, baumelte vergnügt mit den Beinen, erzählte von Ausflügen zu Pferde und von Gazellenjagden im Nahen Osten, während ich das Landleben in Schlesien schilderte. Wir fanden dies beide sehr anregend. Über Politik fiel nie ein Wort. Eines Abends seufzte er, es sei doch zu dumm: Nun sei er schon seit Wochen in Rom und habe noch nichts von der Stadt gesehen. Ich schlug ihm lachend vor, ich sei gern bereit, ihm das Schönste zu zeigen. Zu meiner größten Überraschung entgegnete er, das ließe sich vielleicht machen. Er mußte offenbar, obwohl er jünger war als die anderen, sehr einflußreich sein, wahrscheinlich Sohn aus einem großen Haus. An verschiedenen Nachmittagen spazierten wir durch Rom und müssen dabei ein seltsames Bild abgegeben haben: Er ein uniformierter Sportsmann, ich in einem wieder gut gebügelten grauen Flanell-Anzug und hinter uns eine martialisch aussehende amerikanische Wache. Die Passanten mußten denken, ich sei ein prominenter angelsächsischer Zivilist mit Begleitoffizier und Leibwächter. Einige Zeit darauf wurde er nach Viterbo, eine gute Autostunde von Rom, versetzt. Indessen erschien er am Morgen meiner Entlassung und erklärte, er sei „herübergekommen", um zu erreichen, daß ich nicht direkt in die Vatikanstadt abtransportiert würde, sondern erst noch in die Botschaft dürfte, um dort meine Sachen selber zu ordnen. In einer Stunde werde der Botschaftswagen mich abholen kommen. Ich wußte nicht recht, wie ich ihm für diese freundschaftliche Geste und die dafür aufgewandte Mühe danken sollte; er ahnte wohl gar nicht, wie viel Freude er mir damit gemacht hatte. Als Gefangener lebt man in Extremen. Vor meiner Endassung erlebte ich, von mir selber in Gang gebracht, eine Episode, die mich befriedigte. Der Staff-Sergeant (auf amerikanisch wie Stäffsörgeant auszusprechen, um nicht als „Engländer" unangenehm aufzufallen) erklärte mir eines Morgens, ich würde am übernächsten Tag entlassen. Er strahlte, als ich ihm für die nicht nur höfliche, sondern nette Behandlung durch ihn und alle seine Mannen dankte. Es sei mein Wunsch, ihnen ein kleines Geschenk zu machen. Ich würde ihnen die Adresse eines Ladens und den Namen eines Rotweins aufschreiben, von dem sie zehn Liter auf meine Rechnung kaufen sollten; ich hätte ja Geld. Wo sie schon in Italien seien, müßten sie auch einmal italienischen Rotwein trinken. Er war begeistert, meinte aber, er müsse seine Vorgesetzten fragen und wisse nicht, 101
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ob diese die Genehmigung erteilen würden. Am nächsten Morgen berichtete er grinsend, die Offiziere hätten eine Stunde lang darüber beraten, ob sie erlauben dürften, daß ich als gefangener „Nazi"-Diplomat ihre Untergebenen zu Wein einlade; schließlich hätten sie ihre Zustimmung gegeben. Ich drückte ihm also eine entsprechende Summe in die Hand, sagte ihm, sie sollten fünf Zweiliter-Korbflaschen Rotwein kaufen, sie mir aber anschließend zeigen, damit ich mich überzeugen könne, daß sie nicht betrogen worden seien. Denn für die bitterarmen Italiener sei jeder Gl ein Millionär, den übers Ohr zu hauen, recht und billig sei. Eine halbe Stunde später schleppten zwei GIs triumphierend fünf „fiaschi" heran, für deren Qualität ich geradestand und deren Preis ich billigte. Anschließend erschienen die Wachen, eine nach der anderen, bei mir, um sich bei mir wie wohlerzogene Kinder zu bedanken. Ich hatte also zweierlei erreicht: Ich machte einerseits den Wachen ehrlichen Herzens eine Freude, die sie verdient hatten. Auf der anderen Seite hatte ich mit dieser Geste „meine Sieger" überspielt, indem ich als Gefangener meine Wächter wie ein ehrenwerter und freier Mann beschenkte. Seit jener Nacht im Zuchthaus, verloren, unbekannt und machdos, hatte ich mit den Methoden der klassischen Diplomatie, zu deren entscheidendem Instrument Menschenkenntnis und Humor zählt, unauffällig und geduldig Terrain zurückgewonnen. Als ich in unserem Dienstwagen zur Botschaft fuhr, hatte ich das Gefühl, mein „Gesicht", das Gesicht „des" deutschen Diplomaten, sei wieder hergestellt. Auf der Botschaft wurde ich mit einer Rührung, die mich etwas in Verlegenheit setzte, empfangen. Weizsäcker hatte sich wie ein väterlicher Freund für meine von mir selbst verschuldeten Unannehmlichkeiten verantwortlich gefühlt und war sich angesichts der traditionellen Lässigkeit und Langsamkeit, mit der der Vatikan meine Freilassung betrieb, wieder einmal der engen Grenzen seines Einflusses gewahr geworden. Frau von Weizsäcker begrüßte mich mit Tränen in den Augen wie einen jüngeren Bruder, der unversehrt aus vielen Schlachten heimkehrt. Gottlob ahnten beide noch nicht, was ihnen in den kommenden Jahren an falschen Anklagen und Demütigungen bevorstand. Ich wandte mich so rasch wie möglich dem Tagesgeschehen zu und überblickte unsere zusammengeschmolzene Gruppe. Denn Weizsäcker durfte nach dem vom Vatikan auch gegenüber den Westmächten geübten Brauch nur von wenigen Botschaftsmitgliedern in die Vatikanstadt begleitet werden. Seine Wahl war, wie seit längerer Zeit vorgesehen, auf Braun und seine Familie, Fräulein Rahlke und den als Funker ausgebildeten Konsulatssekretär Buyna88 sowie mich gefallen. Die übrigen Botschaftsmitglieder, soweit es nicht „Ortskräfte" waren, die schon seit Jahren in Rom lebten und sich auch in Zukunft frei bewegen durften, waren von den Alliierten bereits nach Taormina ausgeflogen worden, wo sie auf ihren Austausch gegen in Deutschland internierte westliche Diplomaten warten sollten. Wir gedachten ihrer nicht ohne Teilnahme und Sorge. Befanden sich noch alliierte Diplomaten in deutscher Hand und würde die Kriegslage überhaupt noch einen regulären Austausch zulassen? Unsere Sorge erwies sich als nur zu berechtigt. Von Taormina aus wurde diese Gruppe bald nach Salsomaggiore verlegt, wo sie mit den in Norditalien in die Hand der Alliierten gefallenen Mitgliedern der „QuirinaT'-Botschaft interniert wurden. Später kamen alle in das 102
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Lager auf dem Hohen Asperg bei Ludwigsburg89, und die meisten von ihnen wurden erst nach mehr als zweijähriger Haft in die „Freiheit" der westlichen Besatzungszonen und das Elend des deutschen Alltags entlassen. Aber wir hatten an jenem Tag nicht viel Zeit, unseren Gedanken nachzuhängen. In einem von Alliierten bewachten Geleitzug zogen wir wenige Stunden nach meinem Eintreffen mit unserem persönlichen Gepäck und den fur die Ausstattung der Leerwohnungen erforderlichen Botschaftsmöbeln in die Vatikanstadt um. Das Ehepaar Weizsäcker und Braun nebst Frau und zwei Töchtern erhielten im Palazzo del Tribunale, der in Friedenszeiten den vatikanischen Richtern als Wohnsitz diente, Wohnungen zugewiesen. Uns anderen, d.h. Fräulein Rahlke, Konsulatssekretär Buyna und mir, wurde im Palazzo Santa Maria im ersten Stock eine Etage sowie zu ebener Erde ein sehr geräumiges Zimmer nebst Bad zur Verfügung gestellt. Dies alte Pilgerheim unter Leitung von Vincentinerinnen war altmodisch-geräumig und zugleich kurz vor Kriegsausbruch modernisiert. Im ersten Stock war um einen großen Flur oder Mittelraum eine Reihe von kleinen Zimmern gruppiert. In zwei von ihnen wohnten Fräulein Rahlke und Buyna, andere dienten als Eßzimmer bzw. Archiv. Ich war also im ersten Stock gut versorgt und hatte zu ebener Erde das großzügige und mit Botschaftsmöbeln gemütlich ausstaffierte Zimmer, wo ich abgeschirmt war und mich verkriechen konnte, wenn es gar zu schlimm um mich stand. Vor allem aber hatte ich nur den Flur zu überschreien, um ins Freie zu kommen. Es war da eine Art von Hof, dessen eine Längsseite Santa Maria bildete. Zur Rechten an der Schmalseite plätscherte ein kleiner Brunnen aus einer halbhohen Mauer herab, die auch die andere Längsseite bildete und von Grün umrankt war. Weiß gestrichene eiserne Gartenstühle und Oleanderbüsche in großen Kübeln standen lokker verstreut umher. Zur Linken aber war der schmale Hof offen und der Blick strich an der Rokoko-Fassade der Sakristei vorbei, um schließlich nach oben gerichtet an der Kuppel von St. Peter haften zu bleiben, die mit ihrer Macht und Harmonie den nördlichen Horizont beherrschte. Unzählige Male bin ich gegen Mitternacht dort hinausgetreten und bin, während die Umwelt schlief, mit mir selber zu Rate gegangen, damit ich dem nächsten Tag gelassen und mannhaft ins Auge schauen könnte. Meine Gedanken gingen zurück ins späte Rom, wo die Stoiker, deren Götter gestorben waren und deren Reich unaufhaltsam zerfiel, immer wieder auf die Ringmauern gestiegen waren und ohne Hoffnung weiter gekämpft hatten, bis sich in den Trümmern der antiken Welt die zarten Schößlinge des Christentums gefestigt hatten und dem Abendland eine neue Zukunft verkündeten. Zuerst einmal versuchten wir uns tastend zurechtzufinden. Unsre äußere Lage war glänzend, wir lebten in einem goldenen Käfig. Nach wenigen Tagen aber trat ein Ereignis ein, das wie ein Erdbeben wirkte. Während meiner Internierung hatte Brauns Frau ein zweites Tochterchen bekommen; beide waren wohlauf genug und konnten an unserer Übersiedlung teilnehmen. Nun ging es um die Taufe der kleinen Christina. So tolerant und großzügig sich der Vatikan uns evangelischen Christen gegenüber verhielt, die Erteilung des Sakraments der Taufe durch einen protestantischen Geistlichen auf dem Gebiet der Vatikanstadt zuzulassen, war zuviel verlangt und wurde von unserer Seite auch nicht erwartet. Doch verschaffte 103
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man uns die Erlaubnis, die Taufe in der Villa Bonaparte, unserer Botschaft, vorzunehmen. Von amerikanischen Jeeps geleitet fuhr unsere kleine Gruppe zur Botschaft, wo ich nicht ohne Wehmut den nicht großen, aber mit schönsten Bäumen bestandenen Park und die Fresken mit ägyptischen Motiven und Landschaften wiedersah, mit denen Napoleon einen kleinen Salon seiner lebenslustigen und hübschen Schwester Pauline Borghese hatte ausmalen lassen. Pastor Dahlgrün, seit Jahren evangelischer Gemeindepfarrer in Rom und von den Alliierten ungeschoren gelassen, erwartete uns und taufte das kleine Mädchen. Zu meiner Freude hatten mich Brauns als Paten ausersehen und es oblag mir daher, die Taufrede zu halten. Da ihr Wortlaut erhalten ist und er die Atmosphäre jenes Tages wiedergibt, lasse ich ihn hier folgen: „Durch die Taufe hat Pastor Dahlgrün die kleine Christina in die Gemeinschaft der Christen aufgenommen. Als Pate und Freund des Hauses und als Mitglied unserer Botschaft möchte ich sie jetzt in unserer deutschen Gemeinschaft willkommen heißen und ihr die innigsten Wünsche von uns allen mit auf den Lebensweg geben. Christina ist in eine schwere Zeit hineingeboren. Das Schicksal unserer Armeen im Osten, Westen und Süden greift uns stündlich ans Herz. Die Existenz von jedem einzelnen von uns und von unserem gesamten Volk erscheint aufs äußerste bedroht. Es hat keinen Zweck, sich rosigen Träumen hinzugeben. Es ist die Zeit, tapfer zu sein und sich zu besinnen. Sich zu besinnen auf das, was unvergänglich ist, was uns nicht genommen werden kann. Das ist unsere deutsche Geschichte mit ihren entsetzlichen Fehlschlägen, aber auch mit Tagen goldenen Gelingens - eine Kette von mehr als tausend Jahren, die nie gerissen ist und nicht reißen wird. Da ist unsere an Reichtümern schwere Sprache, die Sprache Luthers und Goethes, und die deutsche Musik, der alle Völker des Abendlandes, mögen sie auch noch so verfeindet untereinander sein, mit Entzücken lauschen. Und schließlich unsere gemütvolle Liebe zur Heimat, nach der wir immer Sehnsucht haben; nach der herben Süße unseres Frühlings, der schweren Fülle unseres Sommers, dem bunten Glänze unseres Herbstes und der weihnachtlichen Stille unseres Winters. Alle diese Dinge, die ich hier aufgezählt habe, erhält Christina als unverlierbares Gut, weil sie von deutschen Eltern geboren ist, und ich glaube, das kleine Mädchen kann stolz über so viele gute Gaben sein, die sie auf ihrem Lebensweg begleiten werden. Wir Erwachsenen wollen uns nicht aufs gute Wünschen beschränken, sondern in der Stille arbeiten und kämpfen, damit die deutschen Kinder eine bessere Zukunft haben. Rom, den 20. Juli 1944."
In die Vatikanstadt zurückgekehrt, stellten wir wie jeden Abend unsere Radios an und hörten, daß das Attentat auf Hitler gescheitert sei - es war der 20. Juli. Ich hatte es immer fur möglich, ja wahrscheinlich gehalten, daß die meisten von uns, die wir uns an den Vorbereitungen eines Umsturzes beteiligten, früher oder später über die Klinge springen würden. Aber ich war von der Voraussetzung ausgegangen, daß das diesmal so wohl vorbereitete Attentat gelingen und Hitler aus dem Weg geräumt sein werde, ehe wir den Versuch machten, die Hauptschuldigen zu beseitigen und die Ehre des deutschen Volkes durch unseren Opfergang von den schlimmsten Flecken reinzuwaschen. Wenn möglich, wollten wir ein 104
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Regime errichten, an dessen Rechtlichkeit kein Zweifel bestehen konnte. Was immer unsere Gegner in Ost und West geäußert haben mochten, mit einem solchen Regime würden sie, das war, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, meine überzeugte Hoffnung, vielleicht nicht offiziell verhandeln, so doch sprechen. Aus diesem Gespräch, so meinte ich, würden sich, wenn wir unsere miserablen Karten offen auf den Tisch legten und nicht versuchten, den Westen gegen den Osten auszuspielen, Verhandlungen entwickeln. Diese Verhandlungen würden sich erst mit uns und bald über uns ergeben, wobei die Verhandlungen über uns den drei Jahre später unter ganz anderen Umständen zu Tage tretenden Gegensatz zwischen Washington und Moskau hätten virulent werden lassen. Solch eine Entwicklung würde sich dann zugunsten nicht nur Deutschlands, sondern aller mittelosteuropäischen Völker und Staaten ergeben. Von all dem blieb nach diesem katastrophalen Fehlschlag nichts mehr übrig. Die hoffnungslose militärische Lage würde sich zur totalen Niederlage entwickeln und mit dem absurden Kriegsziel der Alliierten, der bedingungslosen Kapitulation, enden. Fast noch schlimmer war die Tatsache, daß es nun unmöglich war, die uns beherrschenden Verbrecher in eigener Regie zur Rechenschaft zu ziehen. Damit war, als die gegnerischen Truppen bei ihrem Einmarsch das Ausmaß der Greueltaten unseres Regimes entdeckten, der These von der Kollektivschuld der Deutschen Tor und Tür aufgetan, eine These, die im Unbewußten vieler Ausländer heute noch weiter wirkt. Es ist hier vielleicht der Ort, mich mit einer Frage auseinanderzusetzen, die mir seit 25 Jahren immer wieder, vor allem von Amerikanern, gestellt wird und die mich irritiert, weil ich sie als abwegig empfinde: die Frage, wieviel meine Freunde und ich über die Greueltaten der Nazis gewußt hätten. Unsere Kenntnisse waren sicher umfassender als die von 99 Prozent unserer Landsleute. Gleichwohl haben wir von den Gaskammern und Verbrennungsöfen erst kurz vor Kriegsende Kenntnis erhalten. Aber ich frage mich, was das zur Sache tut? Dem Ausmaß des Entsetzens, der Verzweiflung und der Scham sind Grenzen gesetzt. Diese Grenze war bei mir schon fast erreicht, als die Nazis Anfang November 193 8 in allen deutschen Städten die „Reichskristallnacht" veranstalteten, die Juden, wo sie ihrer habhaft wurden, zusammenschlugen, ihre Geschäfte plünderten und ihre Synagogen in Asche legten; und als am darauffolgenden Tag ein „Graf Schwerin von Krosigk"90 als Reichsfinanzminister seinen Namen unter eine Verordnung setzte, wonach die Juden auch noch eine Milliardenbuße zu erlegen hatten, weil im fernen Paris ein junger Mann jüdischer Herkunft ein Mitglied unserer Botschaft erschossen hatte. Was ich von jenem Novemberabend an bis zum Ende des Polenfeldzugs zwei Jahre später erfahren mußte, überschritt bereits die Grenze meines Fassungsvermögens. Aber dies Thema hat noch eine andere Seite: Wenn heute ein Deutscher mit Gymnasialbildung, der etwa sechzig ist, erklärt, er habe „nichts" gewußt, ist er in meinen Augen viel eher ein Nazi als manch primitiver Pg. [Parteigenosse] oder SS-Mann. Wenn er die „Reichskristallnacht" und die offiziellen oder offiziösen Verlautbarungen über die Vorgänge in Polen als ein „Nichts" empfindet, beweist er damit nur, wie es um sein moralisches und rechtliches Empfinden bestellt ist. Wer sich auf diese Weise herausredet, klagt sich selber an. 105
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Um aber zum Ausgangspunkt, dem Scheitern des Umsturzversuchs, zurückzukehren, so war ich damals wie heute der Auffassung, daß gerade mir, der ich mich - unfreiwillig - im sicheren Port befand, eine kritische Analyse schlecht anstände. Dieser Aufgabe hat sich inzwischen eine Heerschar von Historikern und Publizisten - mehr oder weniger seriös - gewidmet. Erlaubt sei mir allerdings die Bemerkung, daß wir Deutsche, denen Recht und Ordnung über alles geht - und sogar Goethes Lebensgefühl ging in diese Richtung - , für eine Verschwörung denkbar unbegabt sind. Daneben hatten meine Freunde und ich nicht nur alle moralischen und rechtlichen, alle politischen und gesellschaftlichen Probleme von 1936 an bis zur Erschöpfung durchdiskutiert. In praktischer Hinsicht hatte man zwar die erforderlichen militärischen Maßnahmen vorbereitet, im Hinblick aber auf die Technik und ihre entscheidende Bedeutung versagt. Revolutionen werden heute nicht mehr mit wehenden Fahnen auf Barrikaden gewonnen, sondern schon in den ersten Stunden durch eine unauffällige Besetzung von Rundfunkstationen, Fernsprechzentralen, Kraftwerken und Flugplätzen. Diese Erwägungen stellte ich allerdings erst später an; anfangs war ich nur benommen. Denn für mich stellte das totale Scheitern des Umsturzplanes eine Katastrophe auch im persönlichen Bereich dar. Freundschaft ist fur mich von Jugend an der vielleicht wichtigste Pfeiler meiner Existenz. Und nun verlor ich auf einen Schlag und unter den entsetzlichsten Umständen die Mehrzahl meiner männlichen Freunde: meine Vettern Schwerin und Schulenburg, Yorck sowie Halem 91 , der schon früher hingerichtet wurde, von Schulzeiten her, und aus dem Auswärtigen Amt Brücklmeier, Haeften 92 und Trott, um nur die wichtigsten Namen zu nennen. Zwei Monate später verlor ich meine Mutter, die in meinem Leben die größte Rolle gespielt hat und an der ich mit grenzenloser Liebe hing. Es war ein Segen, daß sie zu Hause starb und nicht das Elend der Flucht und die Misere der Nachkriegszeit mitmachen mußte. Leider hat sie noch die Hinrichtung ihrer beiden Neffen miterlebt und um meine Sicherheit gebangt, eine Sorge, die ich ihr, wenn ich darum gewußt hätte, durch ein zweideutiges Telegramm über das Auswärtige Amt hätte nehmen können. Ihr Grab ist zerstört, ihr Garten verwüstet, die alten Bäume, an denen sie hing, gefallt. Denn im Januar ging die Heimat verloren, die nur noch in meinen nächtlichen Träumen weiterlebt. Meine Erlebnisse in den zwei Jahren, bis wir im September 1946 nach Deutschland zurückkehrten, lassen sich schlecht in chronologischer Reihenfolge wiedergeben. Während meiner Internierung waren die Alliierten in der Normandie gelandet93, der für Deutschland tödliche Zweifrontenkrieg, der schon Bismarcks, aber leider nicht Wilhelms des Zweiten Alptraum gewesen war, und den Hitler provoziert hatte, wurde zur Tatsache. Von Osten her rollte die Rote Armee vorsichtig, aber unaufhaltsam auf das Reich zu. Uns blieb jetzt wirklich nur noch die Wahl, ob wir lieber die Russen oder die Angelsachsen ihren Siegesmarsch durch das Brandenburger Tor abhalten lassen wollten, was ich schon im Sommer 1943 als Menetekel an die Wand gemalt hatte. Mit dem Scheitern der Widerstandsbewegung war auch die letzte Karte verspielt. Es bestand keinerlei Hoffnung mehr, daß irgend106
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ein Alliierter Weizsäcker, Braun oder mich eines politischen Gesprächs für wert befinden würde. Unsere Arbeit konnte nur noch darin bestehen, die öffentliche Meinung im neutralen oder feindlichen Ausland unter der Hand in humanitärer Absicht zu beeinflussen. Aus dem europäischen Osten, aus Polen und Rumänien, aber auch schon aus Ostpreußen drangen die ersten Schreckensnachrichten zu uns - übermittelt durch katholische Geistliche, das Genfer Rote Kreuz oder osteuropäische Persönlichkeiten, deren Antinazi-Emigration sich ohne Ubergang in eine antisowjetische verwandelt hatte. Mit Hilfe der deutschen Geistlichkeit schleusten wir diese Informationen ins feindliche Ausland. Besonders hilfreich waren dabei deutsche Benediktiner in einer kalifornischen Abtei. Verzweifelt waren wir über die Naivität der Angelsachsen und insbesondere der Amerikaner. Ihre Auffassung, es geschehe den Deutschen ganz recht, wenn sie gepeinigt würden, nachdem ganz Europa von der Wolga bis an die Pyrenäen von ihren Greueltaten widerhalle, war verständlich, wenn auch nicht christlich-konstruktiv. Vor allem aber bemerkten sie anderthalb Jahre lang nicht, daß für Moskau das Hausen der Roten Armee nur eine Randerscheinung war. Es sollte ebenso raffiniert wie brutal Tatsachen schaffen, die das Ost-WestVerhältnis weitgehend heute noch bestimmen. Die Amerikaner verhandelten, das konnte man jedem Kommunique seit der Konferenz von Teheran entnehmen, mit den Sowjets wie mit ihresgleichen. Sie glaubten, im Verkehr mit dem Osten gälten die gleichen Spielregeln, auf die sich die westlichen Demokratien und vorher die Monarchien, seit Generationen mehr oder weniger geeinigt hatten. Noch schwerwiegender war aber, daß die Amerikaner in ihrem missionarischen Eifer den Text der Abkommen und Verträge mit schönen Ausdrücken wie „Freiheit, Gleichberechtigung, Selbstbestimmungsrecht oder Demokratie" spickten und meinten, die sowjetische Unterschrift garantiere die Verwirklichung dieser Postulate in dem Sinne, wie die Amerikaner sie verstanden. Es war nicht ausschließlich Zynismus, wenn die Sowjets diesen Begriffen eine ihrem Vorteil entsprechende Auslegung gaben, sondern eine intellektuelle Deformation unter dem Einfluß der marxistisch-leninistischen Glaubenslehre. Es erschien mir schon damals - und heute mehr denn je - wichtig, dies klarzustellen. Denn wenn man dies nicht nüchtern erkennt, kommt man entweder zu dem Ergebnis, mit Moskau Verträge abzuschließen, sei zwecklos, da es sie ohnehin anders auslegen werde. Oder man kommt wie auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges zu dem Resultat, die Sowjets brächen aus Zynismus ohnehin jeden Vertrag; es sei deshalb überflüssig, mit ihnen auch nur ein Gespräch zu führen. Daß beide Haltungen angesichts der bestehenden und sicher noch lange Zeit fortdauernden Ost-WestSpannung schwere Krisen heraufbeschwören können, sollte sich von selbst verstehen. Dabei läßt sich an zahlreichen Beispielen nachweisen, daß die Russen der sowjetischen wie der zaristischen Ära sich äußerst korrekt und vertragstreu verhalten, wenn es sich um konkrete und bis in jedes Detail genau formulierte Abmachungen handelt, ohne Präambeln oder „declarations of intent". Wenn sich Moskau verpflichtet, einen Kredit pünktlich zu verzinsen, so kann man ruhig schlafen: die Sowjets sind in dieser Beziehung sogar korrekter als manch „kapitalistischer" Staat. Wenn die Sowjets erklären, sie seien bereit, am 19. September 107
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um 10.30 Uhr den amerikanischen „Spion" gegen den „widerrechtlich verhafteten" sowjetischen Handelsvertreter auf der Glienicker Brücke, die West-Berlin mit dem Territorium der „Deutschen Demokratischen Republik" verbindet, auszutauschen, so kann man sich bedenkenlos darauf einlassen. Dagegen würde es bedenklich sein, ja vielleicht katastrophale Folgen haben, wenn die Amerikaner einer sowjetischen Zusage vertrauten, auf Grund des amerikanischen Entgegenkommens werde Moskau drei Divisionen aus der D D R abziehen. Nach wenigen Wochen würde der amerikanische Geheimdienst melden, die abgezogenen Divisionen seien durch drei neue ersetzt worden. Zur Rede gestellt, würden die Sowjets treuherzig antworten, es sei nur vom Abzug dreier Divisionen und nicht von einer dauernden Truppenverminderung die Rede gewesen. Außerdem gäbe es ein Gebilde wie die S B Z (sowjetische Besatzungszone) schon lange nicht mehr, sondern nur noch die DDR. Wenn man also mit Moskau über einen Truppenabzug verhandeln will, so muß man die Mannschaftsstärken und die Art und Zahl der Panzerfahrzeuge sowie die Geltungsdauer dieser Truppenverminderung auf einen bestimmten Zeitraum genau festlegen, und schließlich, bis wohin sich die Truppen zurückziehen würden. Obendrein muß der Wortlaut solcher Abreden von Völkerrechtlern und Diplomaten bis aufjedes I-Tüpfelchen überprüft werden. Würden die Sowjets ein solches Abkommen unterzeichnen, so könnte man auf ihre Vertragstreue bauen. Außenstehenden mögen diese Bemerkungen als schiere Federfuchserei erscheinen, wer aber mit dem unendlich mühsamen und heiklen Geschäft der diplomatischen Verhandlungen vertraut ist, weiß, daß - wie Talleyrand sagt - der Teufel im Detail steckt und daß dieser Teufel sich zu einer Krise, ja einem Krieg auswachsen kann. Inzwischen näherte sich die Jahreswende 1944/45, und damit zog neues Unheil für unser Volk herauf. Wie auch anderen in die Enge getriebenen Gangstern kam es Hitler nicht mehr darauf an, sein Leben zu retten und davonzukommen. Er wollte nur noch Zehn- oder Hunderttausende von Menschenleben, ja möglichst das ganze deutsche Volk, das, wie er am Schluß seiner Laufbahn einmal erklärte, seiner nicht wert sei, mit sich in den Abgrund reißen. Er zog deshalb aus der wankenden und ausgebluteten Ostfront noch einmal starke Verbände heraus und ließ sie im Westen zur Offensive antreten. Um Haaresbreite wäre es den mit dem Mut der Verzweiflung kämpfenden deutschen Soldaten noch einmal gelungen, die Front der Alliierten zu durchbrechen. Bis hin nach Paris breitete sich im Lager unserer westlichen Gegner eine übereilte Panik aus. Dann aber blieb die deutsche Offensive stecken. Mit irgendwelchem Material-Nachschub war von vornherein nicht zu rechnen gewesen, und der Kinderglauben unserer Landser an des „Führers Wunderwaffen" brach nun im Waldgebirge der Ardennen endgültig zusammen.94 Niemals im Verlauf all der Kriegsjahre habe ich ein militärisches Ereignis so vielseitig informiert und deshalb so abgrundtief entsetzt verfolgt wie die Tragödie unserer Ardennenoffensive. Während das militärische und damit auch das politische Verhängnis seinen Lauf nahm, suchten Mitglieder des amerikanischen Geheimdienstes - die Engländer waren offenbar abgezogen - Kontakt mit uns.95 Der Botschafter durfte sich zu derlei Gesprächen nicht hergeben, und so fiel die Aufgabe mir zu. Ich übernahm sie gern in Erinnerung an meine Erfah108
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rungen während der Inhaftierung. Zu diskutieren, und zwar gerade mit Gesprächspartnern aus einer anderen Welt, hat mir seit jeher Vergnügen bereitet. Jetzt konnte ich dabei etwas lernen, etwas über die Vorstellungen unsrer Gegner erfahren und vielleicht die absurden, weil schematischen Ansichten über unser Volk wenigstens auf untergeordneter Ebene ein wenig korrigieren. Außerdem wußte ich, daß ich wohl auf lange Zeit nicht mit Amerikanern von gleich zu gleich würde reden können. Wenn sie mich sehen wollten, mußte ich für sie beim Staatssekretariat die Erlaubnis zum Betreten der Vatikanstadt erwirken. Und anschließend war ich der Gastgeber. Die Qualität dieser Besucher war unterschiedlich, manche waren verbissene Bürokraten, andere kamen offenbar von Universitäten und einer war anscheinend Assistent am Museum of Fine Arts in Boston. Mit diesem freundete ich mich mit der Zeit so weit an, daß ich ihm einen Krankenbesuch machte, als er im amerikanischen Hospital lag. Allerdings hatte ich neben dieser Geste der Freundschaft noch andere Motive. Ich genoß das Gefühl der Ebenbürtigkeit und Unabhängigkeit, das mir dieser Ausflug gab, und freute mich, im amerikanischen Jeep ganz legitim durch Rom zu fahren. Mein Fahrer übrigens, ein adretter G l , schimpfte auf der ganzen Hin- und Rückfahrt lauthals über die Russen, die schlimmer seien als die Nazis und denen man so rasch wie möglich an die Gurgel fahren müsse. Ich stimmte, allerdings etwas lakonisch, zu. Bei dem Zustand der Auflösung, in der sich die amerikanische Armee befand - diese Episode spielte sich nach Kriegsende, vielleicht sogar erst 1946, ab - glaubte ich nicht, daß die Vereinigten Staaten in der Lage wären, rasch zuzuschlagen. Die Illusion vieler Landsleute in der Heimat, die Amerikaner würden nach der Besiegung der Wehrmacht gleich zum Kampf gegen die Rote Armee antreten, konnte man von unserem Beobachterposten aus nicht teilen. Allerdings bin ich noch jahrelang dem Irrtum erlegen, eine kriegerische Auseinandersetzung der beiden Weltmächte sei auf die Dauer unvermeidlich. Erst als die Sowjets auch ihrerseits über ein Arsenal von Atomwaffen verfugten, sah ich ein, daß ich mich verrechnet hatte. Schon lange vorher aber war mir im Gegensatz zu vielen Deutschen auch in hohen Stellungen der Gedanke an einen Dritten Weltkrieg keineswegs geheuer. So wie die Amerikaner den Krieg gegen die Wehrmacht gefuhrt hatten, war ein Blitzkrieg gegen die Rote Armee von ihnen nicht zu erwarten. Und von ihnen erst nach längerer Zeit „befreit" zu werden, erschien mir für unser Volk „wenig attraktiv". Aus meinen Gesprächen mit den Mitgliedern des amerikanischen Geheimdienstes sind mir drei Erkenntnisse oder Themen in Erinnerung geblieben: Zum ersten war ich erstaunt über den Fleiß, mit dem die Amerikaner sich zahllose Einzelkenntnisse zu eigen gemacht hatten. Sie wußten z.B. über die Familienverhältnisse des Gauleiters Bohle96, dem Chef der Auslandsorganisation der Partei, weit genauer Bescheid als ich, der ich ihn seit Jahren persönlich kannte. Wenn es aber um die politische Bedeutung dieser Details ging, versagten sie und waren zu einer Synthese, die ihre Politik in die richtigen Bahnen hätte lenken können, außerstande. Die mangelnde Befähigung vieler Amerikaner, zu einer Synthese zu gelangen, fand ich als Gesandter in Washington (1953-58) vielfach bestätigt. Sie greifen einen Einzelpunkt heraus und erklären ihn zur „Doktrin". Die gleiche Kritik hat übrigens der englische Außenminister Sir Edward Grey vor dem Ersten Weltkrieg an uns Deutschen geübt. 109
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Zum anderen vertraten diese amerikanischen Besucher die These, die deutsche Jugend sei durch ihre Zugehörigkeit zur H J auf immer verdorben und verloren. Ich widersprach ihnen lebhaft und voll Zorn; denn das fehlte gerade noch, daß man die Zwölijährigen fur die tatsächlichen oder vermuteten Sünden ihrer Väter büßen ließ! Ich verwies auf den Ausspruch Augustins, wonach die menschliche Seele von Natur aus christlich sei (anima naturaliter christiana), und gab meiner Überzeugung Ausdruck, daß unsere Jugend, wenn man ihr ohne Anklagen und Schikanen die Wahrheit sagen werde, sich binnen kurzem genau so vernünftig und brav verhalten werde wie die Jugend anderer zivilisierter Völker. Ein drittes Thema, das die primitiveren unter meinen Gesprächspartnern mir mit Genuß unter die Nase reiben wollten, war die Frage, wie weit ich, der ich doch offenbar ein Gegner des Regimes sei, mich mitschuldig fühle. Ich erwiderte ernsthaft und gelassen, ich würde mein Leben lang Scham empfinden über das, was in Deutschland geschehen sei, und würde die Mitverantwortung für die Folgen tragen. Im juristischen Sinne fühlte ich mich unschuldig. Wenn der Betreffende weiter bohren wollte, vielleicht nicht einmal aus Feindseligkeit, sondern aus seiner puritanischen Moral heraus, erzählte ich ihm von der Begegnung Goethes mit Madame de Stael. Diese Dame, die die erste Reporterin Europas gewesen war, habe Goethe, neben dem sie bei einem Abendessen placiert war, unzählige Fragen gestellt, die immer drängender und taktloser geworden seien. Der Geheimrat, der anfangs noch artig Rede und Antwort gestanden habe, sei schließlich ungeduldig geworden und habe gesagt: „Das sind Fragen, Madame, die der Mensch mit Gott ausmachen muß und nicht mit seiner Tischnachbarin beim Abendessen!" Diese Episode, auf die ich kurz vorher durch einen Glücksfall gestoßen war, und die ich möglicherweise handfester formulierte, als es dem Originaltext entsprach, verfehlte nicht ihre Wirkung. Mein Gesprächspartner wechselte eiligst das Thema und erklärte, er habe seit langem keinen so guten Tee getrunken wie bei mir. Inzwischen ging der Krieg seinem für uns grauenvollen Ende entgegen, das auch den Westmächten unnötige Blutopfer abforderte. Denn nicht nur an der Ostfront kämpften unsere letzten Kampfgruppen mit dem Mut der Verzweiflung, weil sie durch die Flüchtlinge von den grauenvollen Zuständen in den von der Roten Armee kontrollierten Gebieten erfuhren. Auch im Westen brach der Widerstand, selbst wenn er kaum noch organisiert war, nicht zusammen. Die Formel von der „bedingungslosen Kapitulation", um das noch einmal zu sagen, hielt blutige Ernte. Denn für unsere Soldaten bedeutete „bedingungslose Kapitulation" möglicherweise unbegrenzte Sklaverei, ein Verdacht, der durch - wie sich bald bestätigte - keineswegs unbegründete Gerüchte genährt wurde. Es hieß, England und die USA hätten sich verpflichtet, Frankreich Zehntausende von deutschen Kriegsgefangenen als Zwangsarbeiter für den Wiederaufbau zur Verfügung zu stellen. Gewiß, Hitler und Sauckel hatten es noch weit schlimmer getrieben. 97 Diese distanzierte Betrachtungsweise ließ aber eine Gefangenschaft im Westen für den deutschen Landser nicht rosiger erscheinen. Leider waren wir in der Vatikanstadt informiert genug, um das sinnlose Gemetzel in den Schlußwochen des Krieges sehenden Auges mitzuerleben. 110
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Indessen mußten wir uns darauf vorbereiten, was mit uns selber am Tag nach der Kapitulation geschehen würde. Glücklicherweise waren Andeutungen in der schweizerischen Presse, die uns zugänglich war, durch meine Gespräche mit den Amerikanern bestätigt und genau umrissen worden. Man befürchtete auf Seite der Alliierten, Hider werde sich mit den verbliebenen Eliteverbänden in eine sagenhafte,Alpenfestung" zurückziehen und dort noch monatelang Widerstand leisten können. Zugleich werde in ganz Deutschland ein „Werwolf'-Partisanenkrieg aufflammen. Finanziert solle dies Unternehmen mit einem märchenhaften Goldschatz werden, den Hitler im Inland vergraben oder ins Ausland verlagert habe. An dieser ganzen Geschichte, die wohl auf Goebbels zurückging, war bis auf kleine Goldbeträge bei den Auslandsmissionen kein wahres Wort. Nachdem die Westmächte aber jahrelang Hider unterschätzt hatten, waren sie jetzt finster entschlossen, ihm satanische Urkräfte zuzutrauen. Dieses Zwischenspiel kostete leider einem braven Mann, unserem Gesandten Köcher98 in Bern, das Leben. Die Schweizer lieferten ihn den Alliierten aus, eine Aktion, derer sich die Eidgenossen, das sei zu ihrer Ehre gesagt, noch heute schämen. Köcher wurde in Mailand von den Alliierten so scharfen Verhören unterzogen, wobei der Vorwurf, er habe den „Goldschatz" zu seinen eigenen Gunsten unterschlagen, offenbar eine entscheidende psychologische Rolle spielte, daß dieser Ehrenmann sich im Treppenhaus des Gefängnisses über das Geländer schwang und Selbstmord beging." Von dieser Mailänder Tragödie konnten wir, rein zeitlich gesehen, in der Vatikanstadt keine Kenntnis haben. Indessen war, was unseren „Sack" voll Gold anbetraf, Gefahr im Verzug. Denn in der Tat hatte Ribbentrop, als Weizsäcker nach Rom ging, ihm einen kleinen Sack voll englischer Goldmünzen - „Sovereigns" - mitgegeben. Ich kann mich des genauen Betrages nicht mehr entsinnen, doch war er für den vorgesehenen Zweck erheblich, denn wir sollten damit wenigstens ein Jahr Blockade „bis zum Endsieg" überdauern und, wenn möglich, noch Agenten anwerben können. Ribbentrops intellektuelles Niveau war ja nie über Karl May oder Wallace hinausgewachsen. Diesen „Goldschatz", den Weizsäcker bereits im Sommer 1943 in der vatikanischen Bank, die den fur nordeuropäische Ohren originellen Namen „Bank des Heiligen Geistes" (Banco di Santo Spirito) trug, deponiert hatte, mußten wir nun, auf meinen Vortrag vor Weizsäcker und Braun hin, aufs schnellste loswerden, d.h. verschenken. Wir zahlten uns, je nach unserer Lage, ein bis drei Monatsgehälter, die letztere Quote war für die vierköpfige Familie Braun bestimmt, als endgültige Abfindung aus. Auch dieser Betrag wurde ordnungsgemäß wie alle Geldmittel seit Jahren verbucht. Dann wurde der restliche Geldbetrag, nach Schwarzmarktpreisen ein sehr großes Vermögende zur Hälfte dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz und den Steyler Missionaren, einem weitgehend deutschen Orden, übereignet. Die entsprechenden Quittungen wurden im Staatssekretariat hinterlegt - dieser Sorge waren wir also ledig. Wenige Tage später erfolgte die „bedingungslose Kapitulation" - von Stund an war unsere kleine Gruppe ein Nichts 100 , denn wir waren in keinerlei Kategorie oder Kartothek unterzubringen. Das Staatssekretariat, d.h. Montini, beeilte sich, dies Weizsäcker zu notifizieren, wie uns schien, mit ungebührlicher Hast und Distanz. Immerhin hatten Weizsäcker, Braun und ich seit dem Juni 1943 111
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verschiedentlich zugunsten des Heiligen Stuhls unser Leben aufs Spiel gesetzt. Und auch die Mitteilung, man werde uns Asyl gewähren, ließ keinen Zweifel daran, wie ungern man das tat. Achselzuckend gingen wir zur Tagesordnung über. Wenige Tage später aber erhielt Weizsäcker einen Brief von Montini, der einem Bannstrahl glich. Die Alliierten hätten festgestellt und mit - übrigens zutreffenden - Belegen erhärtet, daß die Botschaft sich seit ihrer Ubersiedlung in die Vatikanstadt eines Geheimsenders bedient hätte. Montini stellte dies als groben Vertrauensbruch Weizsäckers hin und forderte die unverzügliche Ablieferung des Geräts, die auch erfolgte. Zu meiner Erleichterung zeigte sich Weizsäcker, der im allgemeinen auf Grund seiner Feinfuhligkeit und Noblesse geneigt war, die Schuld bei sich und nicht den anderen zu suchen, standfest und ungerührt. Er ging auf die Vorwürfe Montinis nicht ein, erklärte aber Braun und mir die Sachlage. Lange vor unserem Einzug in den Vatikan habe er mit dem leider vor einigen Monaten verstorbenen Kardinalstaatssekretär Maglione die Rechte und Pflichten der Botschaftsmitglieder nach ihrer Übersiedlung bis in alle Einzelheiten erörtert. Von dem naheliegenden Verbot, einen Geheimsender zu benutzen, sei niemals die Rede gewesen. Dies sei offensichtlich aus dem Grund geschehen, weil die Amerikaner und Engländer sich während der Zeit ihres Aufenthaltes in der Vatikanstadt auch ihrerseits solcher Sender bedient hätten. Das Tragikomische war, daß dieser Sender, der nun solchen Wirbel verursachte, fur uns im Grunde nutzlos gewesen war. Wir hätten den Text der von uns auf diesem Weg nach Berlin übermittelten Telegramme ohne weiteres dem Staatssekretariat, ja den alliierten Dienststellen vorlegen können. Von Bedeutung war lediglich ein einziges Telegramm. Im Dezember 1944 riß Weizsäcker angesichts der ebenso hysterischen wie arroganten Weisungen Ribbentrops, die wir auf diesem Weg erhielten und die selbstverständlich nicht ausgeführt wurden, der Geduldsfaden. Er telegraphierte, wenn der Führer zum Zweck eines Friedensfühlers mit den Westmächten in Kontakt kommen wolle, müsse erst einmal Ribbentrop zurücktreten. Die Antwort Ribbentrops lasen wir nicht ohne Genugtuung; der Schuß hatte gesessen. Leider konnte sich Weizsäcker ein solches Telegramm nur einmal leisten, sonst hätte man seine Kinder in „Sippenhaft" genommen. An diesen armseligen Sender knüpfte sich aber noch ein zweites Mißverständnis: Montini und sein Stab waren lange Zeit überzeugt, der frische, unbefangene, blonde und blauäugige Braun, der „Prototyp eines Nazi", sei schuld an der Inbetriebnahme des Senders. Nach einigen Monaten überzeugte sich sogar Montini, dessen Stärke nicht auf psychologischem Gebiet lag, daß Braun kein Nazi, sondern das Gegenteil davon war. Die treibende Kraft, soweit das bei Weizsäcker notwendig war, den Geheimsender mitzunehmen, war ich gewesen. Nach den Händeln, die wir in den kommenden Monaten bis zum September 1946 mit dem Staatssekretariat auszufechten hatten und bei denen es uns zweimal gelang, Montini zu überspielen, kam er zu der Überzeugung, daß ich der böse Geist unserer Gruppe sei, womit er von seinem Gesichtspunkt aus recht hatte. Ich verehrte den Papst, diese noble, aber auch tragische Gestalt, der allerdings mit zunehmenden Jahren mehr und mehr unter den Einfluß von stockkonservativen Beratern geriet und seine tolerante, das heißt liberale Haltung ver112
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gessen zu haben schien. Die katholische Kirche war eines der wichtigsten Fundamente der europäischen Geschichte und Kultur; das würde ich nie vergessen. Etwas anderes aber war es, wenn ein gewisser Kreis innerhalb der Kurie mich, weil ich ein Deutscher war, glaubte, schlecht oder verächtlich behandeln zu dürfen. Das mir noch verbliebene winzige Reservat an persönlicher Freiheit und Menschenwürde wollte ich, zugleich als Repräsentant meines Volkes, verteidigen. Schließlich verteidigt auch der Zaunkönig das Gebiet, in dem er nistet, tollkühn und lautstark, weshalb im sowohl im Deutschen wie im Französischen und im Japanischen der Königstitel verliehen worden ist. Aus dem gleichen Wunsch, meine Unabhängigkeit zu wahren, hatte ich zu Beginn des Jahres 1945 eine Anregung abgelehnt, an der manches mich reizte. Waetjen 101 , der seit einer Reihe von Jahren als Vertrauensmann von Canaris in Ascona lebte, war nach dem 20. Juli der Aufforderung, nach Deutschland zurückzukehren, nicht gefolgt. Seine bisher unter der Hand gepflegten Beziehungen zu Allan Dulles 102 gab er nunmehr offen zu. Uber die Mitglieder des amerikanischen Geheimdienstes in Rom machte er mir den Vorschlag, mit ihm und wohl noch einigen anderen Bekannten eine Beratergruppe zu bilden, die Allan Dulles bei seinen Plänen fur Deutschlands Zukunft an die Hand gehen sollte. Weizsäcker, den ich um Rat fragte, wollte mir weder zu- noch abreden. Angesichts der völlig unübersichtlichen Lage könne er das nicht tun, habe aber Verständnis dafür, wenn ich mich nach einem neuen Betätigungsfeld umsähe. Nach reiflicher Überlegung fragte ich bei Waetjen zurück, ob ich von der Schweiz aus oder in einem amerikanischen Stab in Frankreich tätig werden solle. Da, wie sich herausstellte, letzteres der Fall war, winkte ich ab; ich verlöre damit meine Unabhängigkeit. In den folgenden Jahren war ich glücklich, diese Entscheidung getroffen zu haben. Denn ich hätte vor mir selber und anderen, auf deren Urteil ich Wert legte, mein Gesicht verloren, wenn ich im Gefolge der Amerikaner nach Deutschland zurückkehrte. Da ich 1935 nicht emigriert war, worüber ich damals monatelang gegrübelt hatte, konnte ich jetzt nicht als Ratte das sinkende Schiff verlassen. Außerdem machte ich mir über meine Einflußmöglichkeiten keine Illusionen. Und schließlich sollte sich bald herausstellen, daß selbst Allan Dulles seine vernünftigen Absichten gegenüber dem Rachedurst und Siegesrausch der Alliierten nicht durchsetzen konnte. Ihren Höhepunkt erreichte meine Verzweiflung im Frühsommer 1945. Ein Dominikanerpater, meiner Erinnerung nach belgischer Nationalität, hatte sich zu einem Gespräch mit mir bereit gefunden und als Treffpunkt das riesige flache Dach von Sankt Peter vorgeschlagen. Im Sonnenschein gingen wir dort oben auf und ab, und er verteidigte mir gegenüber die Aufteilung Deutschlands in getrennte Besatzungszonen. Ich fragte, ob er denn glaube, daß die Sowjets ihre Zone jemals wieder herausgeben oder ihrem Imperium, wie es sich bereits in Polen abzeichne, endgültig einverleiben würden? Er wollte einen Zweifel an der Bereitschaft der Sowjetunion zur Zusammenarbeit und Vertragstreue nicht zugeben, zumal die Amerikaner sich genau an den Buchstaben der Zonen-Abrede halten würden. Auf meine Frage, was er damit meine, erwiderte er kühl, die Amerikaner würden alle von ihnen besetzten Gebiete östlich der vereinbarten Demarkationslinie wieder räumen und 113
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den Sowjets überlassen. Auf meine weitere bestürzte Frage, ob denn die Amerikaner wirklich ganz Sachsen, Thüringen und große Teile von Mecklenburg der sowjetischen Gewaltherrschaft im Namen der Demokratie und des Selbstbestimmungsrechts ausliefern wollten, antwortete er mit einem kalten Ja. Ich erwiderte, dann sei jede Hoffnung verloren. Wenn die Amerikaner diese Politik weiter verfolgten, werde ganz Europa bis zum Kanal und der Atlantikküste binnen kurzem in der Hand Stalins sein. Es bleibe dann nicht nur für die Freiheitsliebenden unter den Deutschen, sondern auch für alle Westeuropäer nur die Alternative : Emigration oder Selbstmord. Ob meine Argumentation auf ihn Eindruck machte, war bei diesem äußerst disziplinierten Ordensmann nicht festzustellen; wir nahmen in höflichster Form voneinander Abschied. Mein Bericht über dieses Gespräch rief auch bei Weizsäcker und Braun Entsetzen hervor. Um jene Zeit entwarf Weizsäcker in der ihm eigenen stillen Art das Bild einer deutschen Zukunftsplanung. Zuerst müßten wir versuchen, den stärksten unserer Nachbarn loszuwerden: die Sowjets, anschließend die von uns mißhandelten und deshalb rachsüchtigen Franzosen und ferner die sowohl geographisch wie gefühlsmäßig distanzierten Engländer. Als Letzte, das müßten wir zu erreichen suchen, sollten die Amerikaner, die nicht unsere Nachbarn, sondern die Konkurrenten der Sowjets seien, nach Hause gehen. In diesen wenigen Sätzen Weizsäckers war, wie so oft bei ihm, die Weltpolitik und die westdeutsche Außenpolitik mit ihren Erfolgen und Fehlschlägen vorweggenommen. Die nachfolgenden Kapitel ab 1949 handeln davon. Einige Monate später trat ein Ereignis ein, das den engen Zusammenhalt und die völlige Ubereinstimmung der Mitglieder unserer kleinen Gruppe zu sprengen drohte. Es ging um ein viel diskutiertes Thema, das für einen jeden von uns von größter persönlicher Bedeutung war, unsere Heimkehr nach Deutschland, genauer gesagt, nach dem unter alliierter Kontrolle stehenden westlichen Teil. Frau von Weizsäcker hatte schon im Spätherbst 1944, also während der Krieg noch in vollem Gange war, den Plan gefaßt, mit Genehmigung der Alliierten über die Schweiz nach Deutschland zurückzukehren. Sie sorgte sich um ihre Kinder, vor allem um ihre Tochter Eulenburg, deren Mann an der Ostfront vermißt war. 103 Ihr Wunsch war in höchstem Maße verständlich, und doch fiel mir die schwere Pflicht zu, auf das Gefährliche dieser Absicht hinzuweisen. Wenn es Frau von Weizsäcker wirklich gelingen sollte, mit Genehmigung der Alliierten nach Deutschland zu reisen, würden die Nazis mit Ribbentrop an der Spitze verlangen, daß auch wir nach Deutschland kämen. Welches Schicksal unserer - und vor allem meiner - dort harren würde, bedarf keiner näheren Erläuterung. Weigerten wir uns aber zurückzukehren, so blieb uns nichts anderes übrig, als die Seiten zu wechseln und uns den Alliierten an den Hals zu werfen, was wir alle seit Jahr und Tag und auch in Zukunft vermeiden wollten. Taten wir es trotzdem, so mußten wir damit rechnen, daß die Nazis unsere nächsten Angehörigen in Sippenhaft nehmen würden. Es fiel mir schwer, diese Gesichtspunkte während eines Spaziergangs in den vatikanischen Gärten meinem väterlichen Freund Weizsäcker vorzutragen. Er wurde nachdenklich und meinte, man könne vielleicht den stellvertretenden Personalchef Bergmann 104 telegraphisch um Rat 114
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fragen. Ich stimmte dem spontan zu, weil Bergmann Weizsäcker unbedingt ergeben und mit mir befreundet war und man sich auf seinen guten „Riecher" sowie sein nüchternes Urteil verlassen konnte. Unsere Anfrage wurde, wie Braun und ich erwartet hatten, verschlüsselt dahingehend beantwortet, eine solche Reise sei inopportun. Seit der bedingungslosen Kapitulation bot das Thema Heimreise Stoff fur stundenlange Diskussionen. Frau von Weizsäcker drängte verständlicherweise mehr denn je darauf, um so mehr, als ihr Mann unter Zusicherung freien Geleits als Zeuge im Prozeß gegen Dönitz nach Nürnberg geflogen 105 und heil in die Vatikanstadt zurückgekehrt war. Auch Weizsäkker selbst war, abgesehen davon, daß er seiner geliebten Frau ohnehin jeden Wunsch von den Augen ablas, der Auffassung, „uns werde schon nichts geschehen". Hierin waren beide typische Vertreter der älteren Generation, die immer noch gutgläubig von einer „heilen Welt" träumten. Ich könnte zahlreiche Angehörige dieser Generation, die schon vor dem Ersten Weltkrieg erwachsen waren, aufzählen, die Weizsäckers Glauben teilten, aber weniger feinfühlig als er bis 1939 meinten, der Nationalsozialismus sei doch gar nicht so schlimm, die Mißverständnisse und Exzesse würden sich bald aufklären und ein Ende nehmen. Im Gegensatz zu dieser Vorkriegsgeneration waren ich und vor allem Braun von Jugenderlebnissen geprägt: Niederlage - Revolution - Wirtschaftskrise - Machtergreifung - Terror - provozierter Krieg - Rachsucht der Gegner. Das alles machte uns höchst mißtrauisch. Wir waren bereit, unsern näheren und ferneren Bekannten zu vertrauen. Im Umgang aber mit Kollektiven und Organisationen, also mit Staaten, ihren Regierungen und ihren durch den Krieg barbarisierten Armeen, wollten wir handfeste Garantien aushandeln und uns nicht auf ihre Humanität und Großmut verlassen. Eines Morgens, es dürfte im Herbst 1945 gewesen sein, rief Weizsäcker Braun und mich an und sagte, er habe ein Schreiben von Montini erhalten, er wolle dies mit uns um 1 1 Uhr durchsprechen. Ohnehin trafen wir uns jeden Morgen um diese Zeit, um die Informationen, die wir der Presse entnommen oder aus anderen Quellen erhalten hatten, auszutauschen und sie durchzusprechen. Diesmal handelte es sich also um Wichtigeres, und Braun und ich vermuteten, daß es um unsere Heimreise ging. So war es denn auch: Weizsäcker gab uns das Schreiben zu lesen. Darin stand mit dürren Worten, die Alliierten verlangten, daß wir die Vatikanstadt nun endlich verließen. Das Staatssekretariat fordere uns auf, uns entsprechend zu verhalten. Nachdem wir beide das Schreiben gelesen hatten, fragte Weizsäcker, wann wir wohl reisen könnten. Ich erwiderte, es gelte erst einmal die Frage zu prüfen, ob wir überhaupt abreisen und uns dergestalt dem Ansinnen des Staatssekretariats beugen sollten. Als Weizsäcker meinte, ihm liege es nicht, als ungebetener Gast in der Vatikanstadt zu bleiben, sekundierte mir Braun und erklärte, wir seien keine Gäste. Man habe uns Asyl gewährt, und es sei internationaler Brauch, dies [es] einmal erteilte Privileg erst aufzuheben, wenn dem Asylsuchenden von der Gegenseite freies Geleit und Schutz vor Verfolgungen gewährleistet würde. Ich muß noch hinzufugen, daß das Staatssekretariat dieses Ansinnen zweimal an uns stellte, damals und im Frühjahr 1946, so daß manche der hier aufgeführten Einzelheiten vielleicht erst dem zweiten Akt entstammen. Am Schluß unserer in sehr ruhigem Ton ge115
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führten Diskussion machte ich den Vorschlag, den Prälaten Kaas um Rat zu fragen, was ich gern übernehmen wolle. Mein Vorschlag fand die Zustimmung der beiden anderen. Ich kannte Kaas aus meiner ersten römischen Zeit (1930-32). 1 0 6 Damals war er der mächtige Führer des Zentrums gewesen. Bald nach der „Machtergreifung" verließ er Deutschland und siedelte in den Vatikan über. Dort aber traf ihn ein zweites Mißgeschick: Der Vorgänger des derzeitigen Papstes, Pius XI., hatte ihn auf einem Geheimen Konsistorium zum Kardinal „in petto" (in der Brust), also zum Anwärter auf die Kardinalswürde beim nächsten Konsistorium, benannt. Ein solches Konsistorium ist eine Zusammenkunft des Kardinals-Kollegiums unter Vorsitz des Papstes, bei der dieser bekannt gibt, welche Erzbischöfe oder Bischöfe er zu Kardinälen ernennen will. Kurze Zeit darauf findet dann in Sankt Peter eine prunkvolle Feier statt, bei der die neuen Kardinäle vom Papst den scharlachroten Mantel sowie den gleichfarbigen, ebenso breiten wie niedrigen Hut verliehen bekommen. M i t den Kardinälen „in petto" hat es aber seine besondere Bewandtnis. Stirbt der Papst vor dem nächsten Konsistorium, so ist sein Nachfolger an diese Absichtserklärung nicht nur nicht gebunden, sondern darf sich, einem alten Brauch entsprechend, nicht einmal an sie halten. Die Anwartschaft erlischt automatisch. Genau dies widerfuhr Kaas: Pius XI. starb vor dem nächsten Konsistorium und Pius XII. konnte Kaas somit trotz enger Verbundenheit mit ihm nicht zum Kardinal ernennen. E r verlieh ihm daher wenigstens die Würde eines Erzpriesters von Sankt Peter, die ihm viel Verwaltungsarbeit, aber auch großen Einfluß in der Vatikanstadt einbrachte. Darüber hinaus aber war er unzweifelhaft der wichtigste Ratgeber und Vertraute des Papstes. 107 Jeden Mittag zog er im Eilschritt und leicht nach vorn gebeugt von Sankt Peter über den größten freien Platz in der Vatikanstadt in seine Wohnung, eine hohe, schlanke Gestalt. Seine Soutane flatterte, sein Gesicht war verbissen. E r war ein großer Herr, ein böser alter Mann, wobei das Adjektiv „böse" nicht nur im negativen Sinn zu verstehen ist. Ich besuchte ihn, seit ich in der Vatikanstadt wohnte, ab und an, weil ich Gefallen an ihm fand, was offenbar auf Gegenseitigkeit beruhte. Sein Patriotismus hatte damals nationalistische Ausmaße, was mir in dieser Zeit der Erniedrigung sympathischer war als die Haltung des nachmaligen Präsidenten des Evangelischen Kirchentags von Thadden. 108 Dieser kam 1946 auf Besuch nach Rom, suchte Weizsäcker auf und vertrat mit Eifer die These von der deutschen Kollektivschuld. W i e er es mit christlicher Nächstenliebe vereinbaren konnte, Millionen von Frauen und unmündigen Kindern in dieses Verdammungsurteil einzubeziehen, war mir unerklärlich. E r hatte offenbar von den Evangelien und Jesus Christus nie etwas gehört, sondern nur von Jehova. Kaas war da, auch in seinen Fehlern, aus festerem Holz geschnitzt. Aus Trier stammend, haßte er die Franzosen aus Herzensgrund und erklärte mir obendrein, als ich ihn nach dem Krieg wiedersah, Adenauer sei ein übler Separatist. Letzteres Urteil ging sicher zu weit und war wahrscheinlich auf den jahrelangen Machtkampf zwischen beiden um die Führungsrolle im Zentrum und, wie mir schien, auf eine gewisse Ähnlichkeit beider Charaktere zurückzuführen. Jetzt also machte ich mich zu ihm auf, trug ihm unser Dilemma vor und Schloß mit folgender Erklärung: Bei aller Hochachtung vor Weizsäckers Haltung könne ich sie mir nicht 116
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zu eigen machen. M a n werfe uns Deutschen immer vor, wir seien zu blindem Gehorsam geneigt und willig wie die Schafe. A u f mich treffe diese Charakteristik nicht zu, ich neigte eher zur Rebellion. Ich fühlte mich nicht als Kriegsverbrecher und sollte auch nicht als solcher behandelt werden. W e n n man mir keine Garantien in dieser Hinsicht gäbe, würde ich die Vatikanstadt nicht freiwillig verlassen; Braun denke ähnlich. Schon während meines Berichts merkte ich, daß die Sympathien von Kaas auf meiner Seite waren, und als ich mit meiner ungewöhnlich scharfen Erklärung Schloß, nickte er immer wieder zustimmend, erklärte aber nur, er werde die Angelegenheit „an höchster Stelle", also beim Papst persönlich, zur Sprache bringen. A m nächsten Tag ließ er uns wissen, wir sollten das Schreiben von Montini als „nicht existent" betrachten. D a sich der gleiche Vorgang im ersten Halbjahr 1946 mit dem gleichen Resultat wiederholte, war ich über das mangelnde Wohlwollen von Montini meiner Person gegenüber nicht überrascht. Indessen sei am Schluß noch folgendes bemerkt: Ohne die Weisheit Weizsäckers und die Herzensgüte seiner Frau wäre ein Stachel zwischen uns zurückgeblieben. U n d mein leise schlechtes Gewissen ihnen gegenüber verflog erst, als der Nürnberger Prozeß am Horizont heraufzog. Braun und vor allem ich wären glücklich gewesen, wenn wir uns 1945/46 geirrt hätten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, die noch erwähnt werden sollen, könnte man unsere politische Existenz in der Vatikanstadt mit der polizeilichen Formel „ohne besondere Vorkommnisse" beschreiben. W i r leisteten Mosaikarbeit, wie es der Diplomat entgegen einer weit verbreiteten M e i n u n g fast zeitlebens tun muß: E r ebnet das Terrain ein, schirmt widrige W i n d e ab, sorgt für gute Unterkunft und schmackhafte, leichte Kost fur den H e l dentenor. U n d doch wissen beide, die Diplomaten und der Tenor, daß sie voneinander abhängen. D i e Diplomaten wären eitle Geschaftlhuber ohne den Tenor, und dieser würde Hals- oder Bauchweh bekommen ohne die Diplomaten. W i r gaben uns also der Miniaturmalerei hin,jedoch ohne einen Auftraggeber; wir stemmten unsere schmächtigen Schultern gegen einen Orkan von Rachsucht und Verachtung. U n d trotzdem gaben wir nicht auf, weil wir es einfach nicht konnten. W i r sammelten Informationen, analysierten sie und suchten das Ergebnis, wohl nicht ganz ohne Erfolg, nach Westeuropa und Amerika zu verbreiten: Es komme auf einen gerechten und dauernden Frieden an und nicht auf einen totalen Sieg, der kein Problem lösen werde. Es sei gefahrlich, im Zentrum Europas ein Macht-Vakuum zu schaffen, denn w o die M a c h t ein Vakuum hinterlasse, ströme die Gewalt ein, daher gelte es zuerst einmal, den Unterschied von M a c h t und Gewalt zu definieren. Es sei absurd, von einer Kollektivschuld „der" Deutschen zu sprechen. Es gäbe, entgegen der Behauptung Stalins, kein Kollektiv von auch nur sechzig Menschen, geschweige denn eines Volkes von sechzig Millionen. Vor allem aber versuchten wir, durch diese Kleinarbeit gewissermaßen Abbitte zu leisten für unsere privilegierte Lage. Während Millionen von Soldaten, abgerissen und hungernd in Lagern saßen oder nach Hause zogen, sofern sie noch ein Zuhause hatten, Millionen von Vertriebenen die Landstraßen bevölkerten und andere Millionen in den Kellern ihrer eigenen Häuser ihr Leben fristeten, während im verheerten Europa weitere Millionen in N o t 117
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und Elend dahinvegetierten und die befreiten KZ-Insassen noch kaum glauben konnten, davongekommen zu sein, verbrachten wir unsere Tage sicher und unangefochten in unserem goldenen Käfig. Das war kein angenehmes Gefühl; und doch konnten wir es nur dadurch ein wenig abmildern, daß wir Tag fur Tag taten, was wir fur angemessen hielten: unsere humane Pflicht. Abschließend seien noch zweierlei Tatsachen von politischer Bedeutung erwähnt, die in das letzte Jahr unseres vatikanischen Asyls fielen: Das erste Geheime Konsistorium der Nachkriegszeit und die Rolle der deutschen Kriegsgefangenen in Italien. Bei dem Konsistorium Vacantis Apostolicae Sedis109 ernannte Pius XII. auch zwei oder drei deutsche Bischöfe, was die Deutschen voll Dankbarkeit, manche Ausländer mit Kritik zur Kenntnis nahmen. Das Entscheidende an diesem Ereignis, das fast zur Sensation wurde, aber war die Ernennung Galens.110 Als bei der feierlich-prunkvollen Zeremonie im Petersdom die neuen Kardinäle hintereinander auf den Hauptaltar zuschritten, erhielt jeder einzelne, entsprechend dem Temperament der Italiener, die das Hauptkontingent der Zuschauer stellten, lebhaften Beifall. Dann aber wurde die Reihe der neuen Würdenträger durch den hohen und festen Turm von einem Menschen unterbrochen, dem Grafen Galen, selbstbewußt, aber ohne Spur von Auftrumpfen vor sich hinschreitend. Und plötzlich setzte ein Orkan von Begeisterung ein, nicht nur bei den Italienern, sondern auch bei den internationalen Zuschauern, ja sogar bei den blasierten Mitgliedern des Diplomatischen Korps. Wußten sie von Galens Rolle im Dritten Reich, von seiner ganz untheatralischen, für ihn selbstverständlichen Festigkeit? Oder war es sein „Charisma", was immer das heißen mag, das eine tausendköpfige Menge in der Glut der Begeisterung zu einem einheitlichen Block zusammenschweißt? Wir wußten es nicht, wir kleine Gruppe von Deutschen, obwohl jeder von uns ein ähnliches Phänomen, aber in satanischer Form, beim Parteitag in Nürnberg erlebt hatte. Doch war dies nicht die Stunde der Reminiszenzen und Vergleiche. Der Beifallssturm für unseren Landsmann Galen trieb uns die Tränen in die Augen. Am darauffolgenden Tag, so erzählte mir ein junger Kaplan, luden die deutschen Kardinäle die deutschen Geistlichen aus Rom und Umgebung zu einer Zusammenkunft ein. Kardinal Faulhaber, Erzbischof von München, eröffnete als Dekan die Rechenschaftslegung des deutschen Episkopats mit folgendem Satz: „Sie sehen, zu meiner Rechten sitzt der Erzbischof von Köln, zu meiner Linken der Erzbischof von Berlin. Und ich bin der Erzbischof von München. Deutschland ist noch beisammen!" In den folgenden Tagen, so war beschlossen worden, wollten die Kardinäle deutsche Kriegsgefangenenlager in Italien besuchen. Galen hatte sich die „Strafgefangenenlager" in Süditalien, d.h. in der Umgebung von Tarent, auserkoren, in denen unterschiedslos - weil die militärische Bürokratie noch stupider ist als die zivile - einige Mitglieder der Gestapo, Tausende von Angehörigen der Waffen-SS sowie Fallschirmjäger zusammengepfercht waren. Der Kardinal, so erzählte mir sein Begleiter, habe von drei aufeinandergestellten Munitionskisten hinab zu den Gefangenen gesprochen, wobei der Kernsatz lautete: „Laßt Euch nicht irre machen; wer persönlich nichts auf dem Kerbholz hat, ist und bleibt unschuldig!" 118
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Nach Rom zurückgekehrt, forderte Galen von den Alliierten eine Maschine zum Rückflug nach Deutschland an. Als sie den Fehler begingen, seine Bitte abzuschlagen, berief er eine internationale Pressekonferenz ein und erklärte, nicht einmal die Nazis hätten es gewagt, so mit ihm umzuspringen. Wenige Stunden später stand ein Flugzeug zu seiner Verfügung. Da die italienische Wirtschaftslage und vor allem die Versorgung mit Lebensmitteln auch auf unsere Existenz in der Vatikanstadt von Einfluß war, möchte ich noch kurz darauf eingehen. Die Einwohner der Vatikanstadt und einige Privilegierte erhielten ihre Lebensmittelrationen umsonst in der „päpstlichen Annona" - urchristlich-kommunistischer konnte es wohl nicht zugehen. Doch für uns, die wir uns im Hinblick auf die bevorstehenden Hungeijahre in Deutschland gut - wenn auch nicht „luxuriös" - ernähren wollten und obendrein häufig Gäste hatten, reichten diese Rationen nicht aus. Wir ließen zusätzliche Lebensmittel durch unsere treuen „ragazzi" (Jungen), die ich schon seit 1930 kannte und die bereits damals Botendienste für die Botschaft geleistet hatten, auf dem Schwarzen Markt einkaufen. Die amtliche Rationierung war, seit sie nicht mehr vom deutschen Militär geregelt und überwacht wurde, total zusammengebrochen: Solch eine Reglementierung lassen sich die Italiener, wenn der Zwang der Eroberer fortfällt, nicht bieten. Dafür funktionierte der Schwarze Markt vorzüglich, nicht nur zugunsten der Reichen und Wohlhabenden. Auch die Ärmsten der Armen hungerten nicht mehr als sonst, ein Symptom fur die tief verwurzelte Humanität dieses Volkes. Indessen funktionierte dies System nur deshalb reibungslos, weil die Amerikaner, gutmütig und von ihrem missionarischen „Liberation"-Mythos besessen, Lebensmittel und sonstige Konsumgüter in für das damalige Europa astronomischen Mengen nach Italien verschifften. Doch flössen diese Güter, entgegen der Annahme der amerikanischen Schreibtisch-Puritaner, nur zu einem kleinen Teil - vielleicht nur zu einem Viertel - in die vorgesehenen staatlich-italienischen Kanäle. Bereits beim Endaden wurde ein erheblicher Prozentsatz „abgezweigt", auf dem Transport ins Warenlager gab es,Ausfalle", und späterhin traten bei der Uberstellung an die italienischen Amtsstellen und bei deren Bemühen, die Waren gerecht zu verteilen, „unerklärliche Ausfallserscheinungen" ein. Natürlich spielte sich dies Verteilungs- und Versorgungssystem erst allmählich ein. In der Vatikanstadt, wo man über alle Vorgänge auf italienischem Boden stets im reichsten Maß, wenn auch nicht immer korrekt, informiert war, hörte man von schweren Auseinandersetzungen zwischen den Managern des Schwarzmarkts. Es bildeten sich nationale Fronten: Die Italiener, Amerikaner, Engländer und wer sonst noch auf der Apenninenhalbinsel in alliierter Uniform umherspazierte, warfen sich gegenseitig vor, betrügerische Gewinne auf Kosten der Schwarzhändler anderer Nationen eingeheimst zu haben. Und dann geschah etwas, von dem wir erst mit der Zeit Kenntnis erhielten: Die deutschen Kriegsgefangenen unterwanderten dies ganze Schwarzmarkt-„Establishment"; unauffällig, aber zielbewußt nahmen die „Landser", im Grunde viel „politischer" als ihre Offiziere, eine Schlüsselstellung nach der anderen ein, natürlich von irgendeinem alliierten Verwaltungsbeamten oder Offizier abgedeckt. Wir verstehen nun einmal zu organisieren und jede Aktivität „korrekt" durchzufuhren. - Noch 119
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zehn Jahre nach Kriegsende durfte man sich in Frankreich dieses Adverbs nicht bedienen, denn auch die Gestapo-Schergen hatten, wenn man ihnen Folterungen und Erschießungen vorhielt, erklärt, sie hätten sich „korrekt" an ihre Befehle gehalten. In unserem Fall erwies sich das deutsche Organisationstalent und die Korrektheit - heute würde man sagen, das „fairplay" - der Landser als durchaus konstruktiv, auch wenn es sich um Geschäfte handelte, die nicht gerade legal waren, aber dem allgemeinen Besten dienten. Wer an diesen Transaktionen beteiligt war, erhielt, gleichgültig welcher Nation er angehörte, seinen angemessenen Prozentsatz. Unsere Kriegsgefangenen waren dazu um so eher bereit, als es ihnen weniger um Geldgewinne ging als um Einfluß. Dieser Einfluß sollte ihnen die frühest mögliche, freie Rückkehr nach Deutschland verschaffen und bis dahin eine - im damaligen Rahmen - unbehinderte und angenehme Existenz. Daher suchten sie in erster Linie Fuhrparks und Ersatzteillager, natürlich wieder unter wohlwollender und lässig-träger Aufsicht eines alliierten Offiziers, unter ihre Kontrolle zu bekommen. Dies hatte handfeste Konsequenzen: Wenn etwa ein englischer Oberst unten inTarent einen deutschen POW (prisoner of war) ungerecht behandelt hatte, mußte er, wenn er im Auto nach Mailand oder Bozen fahren wollte, mit langen Verzögerungen rechnen. An den Tankstellen waren die Benzinvorräte wieder einmal ausgegangen, in den Ersatzteillagern war gerade das Teil, das er benötigte, nicht vorhanden und frühestens innerhalb von 48 Stunden zu beschaffen. Daß alle zivilen Deutschen in Italien, als stärkste Gruppe die katholische Geistlichkeit, dann die Mitglieder unserer Kultur-Institute, die sich frei bewegen durften, und schließlich wir ehemaligen Diplomaten ob dieser Entwicklung Genugtuung empfanden, die nicht ohne ironische Beimischung war, wird man verstehen. Zum ersten und einzigen Mal seit der napoleonischen Besatzung praktizierten Deutsche den „gewaltlosen Widerstand". Ich will damit nicht behaupten, daß wir die Taktik unserer Kriegsgefangenen schon damals in diese erst später definierte Kategorie soziologischer Natur eingeordnet hätten. Wir hatten einfach unsere Genugtuung, unseren Spaß daran. Wir zogen aber auch, wenigstens in Einzelfallen, unseren Nutzen daraus. Die Nachrichtenübermittlung innerhalb der nach Hunderttausenden zählenden Gemeinschaft der POW's funktionierte ebenso rasch wie unfehlbar. Wenn uns also daran lag, über das Schicksal eines deutschen Soldaten, ob er gefallen, verwundet oder bei guter Gesundheit in Gefangenschaft geraten sei, unterrichtet zu werden, bekamen wir innerhalb weniger Wochen authentischen Bescheid. Denn ein junger deutscher Kaplan namens Karl Bayer war vom Staatssekretariat mit der Aufgabe betraut worden, deutsche Gefangenenlager zu besuchen. Er übernahm die Übermittlung der Anfragen und Antworten. Zu einer anderen Zeit hätte ich weder dem Triumph Galens noch der Findigkeit unserer Kriegsgefangenen große Bedeutung beigemessen. Jetzt aber stand ich vor dem totalen Ruin; denn die wenigen Goldstücke, die ich in Genf und Rom gespart hatte, konnte ich nicht mitnehmen. Sie wären von den Amerikanern sofort konfisziert worden. In absehbarer Zeit würde ich in das von Chaos und Hungersnot bedrohte Deutschland zurückkehren und würde als Schlesier nicht einmal wissen, wohin ich mich wenden sollte. Schließlich war mein 120
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Volk moralisch und politisch geächtet, ein Schicksal, das ich mitzutragen hatte. Daß es der Mehrzahl meiner Landsleute noch weit schlechter ging als mir, machte den Ausblick nicht rosiger. In solcher Lage hält man Ausschau nach dem blassesten Hoffnungsschimmer, atmet man auf, wenn man etwas Festes unter den Füßen spürt, und sei es auch nur Eisscholle. Deshalb habe ich der festen Würde Galens und der ungebrochenen Lebenskraft der deutschen Landser in Italien mehr Beachtung geschenkt als zu anderen Zeiten. Ein Merkmal unseres Lebens im goldenen Käfig der Vatikanstadt war ein Ubermaß an freier Zeit. Denn die von uns spontan übernommenen oder später an uns herangetragenen Pflichten beschäftigten uns nur einige Stunden täglich. Wenn wir diese freie Zeit aber nicht in Gestalt von Langeweile totschlagen wollten, mußten wir uns etwas einfallen lassen. Versuche, etwas gemeinschaftlich zu unternehmen, schlugen fehl. Wir sahen ohnehin genug voneinander. So bildete sich bald die Gewohnheit heraus, daß jeder seinen eigenen Liebhabereien nachging. In den Vatikanischen Gärten spazierengehend, entdeckte man, wenn das Klima es erlaubte, in einem verborgenen Winkel Weizsäcker. Auf einem kleinen Gartenhocker sitzend, malte er still versonnen nach englischer Art ein Aquarell. Daß er selber, gleichfalls nach englischer Art, diese Bilder ohne Prätention und künsderischen Ehrgeiz schuf, machte ihren kultivierten Reiz aus. Um die gleiche Tageszeit trafen [Sigismund von] Braun und ich uns zuweilen und kratzten, auf einer Marmorbank sitzend oder auf einem sanft sich senkenden Rasen liegend, die Reste unseres Schullateins zusammen. Wir versuchten, die Äneis des Vergil zu übersetzen und gelangten bald zu einer gewissen Übung. Aber gerade dieser Erfolg ließ uns nach einiger Zeit erlahmen. Wir waren uns mit der Zeit einig, die Äneis auf sich beruhen zu lassen und uns den Annalen des Tacitus, einem politisch brisanten Text, zuzuwenden. Indessen erwiesen sie sich auf weite Strecken als eine zu harte Nuß für unsere altphilologisch schwachen Zähne. Immerhin machten wir eine Entdeckung, die bewies, wie grundlegend - aber leider nicht zu unseren Gunsten - sich die politischen Verhältnisse seit dem Beginn unseres Jahrhunderts geändert hatten. Als Eselsbrücke benutzten wir eine deutsche Ubersetzung der Annalen. Sie entstammte der Feder eines Altphilologen von internationalem Ruf. Aber nur zu bald konnten wir feststellen, daß dieser liberale Gelehrte, in einem Rechtsstaat lebend, keinen Schimmer davon hatte, welcher Finten sich derjenige bedienen, welche perfiden Zweideutigkeiten er in den Text einschmuggeln muß, der sich erdreistet, über politische Gegebenheiten und Ereignisse zu berichten. Auch die Amerikaner, diese Zwischenbemerkung sei gestattet, sind erst jetzt dabei, von dem Standpunkt des deutschen Professors abzurücken und den bitteren Tatsachen unserer Zeit illusionslos ins Auge zu schauen. Weizsäcker legte seine die Vergangenheit und die Zukunft behandelnden Ideen in ebenso knappen wie nuancenreichen Aufzeichnungen nieder, die er später vernichtete. Hätte er sie in versiegeltem Umschlag gegen Quittung im Staatssekretariat oder in einem Tresor der Vatikanischen Bank hinterlegt, wäre dies von entscheidender Bedeutung für den gegen ihn angestrengten Prozeß in Nürnberg gewesen. Aber wer dachte schon an eine solche Absurdität?111 121
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Braun widmete sich seiner Frau und seinen beiden Kindern. Daneben lernte er, sprachbegabt wie er war, Russisch. Ich selber zog mich meist nach dem Abendessen in mein großes Zimmer zu ebener Erde zurück und begann in der absoluten nächtlichen Stille zu schreiben. Als erstes verfaßte ich eine Art von Denkschrift, in der ich meine persönlichen Erlebnisse in den Jahren 1933-44 zu schildern suchte. 112 Es war nie mein Ehrgeiz, damit eine Geschichte jener elfJahre zu schreiben. Es sollte nur ein „document humain", ein menschliches Dokument, ein Bericht über meine Hoffnungen, meine Qualen und mein endgültiges Scheitern sein. Dieser Bericht ist heute bis auf einzelne Partien, z.B. meine erste Begegnung mit Hider, überholt. Er wies schon damals bewußte Lücken auf. Denn ich wagte nur die Namen derjenigen Freunde und Kameraden zu nennen, von denen ich wußte, daß sie hingerichtet seien. Manch anderen Namen ließ ich aus, um ihre Träger, falls sie noch frei waren, nicht dem Henker zu überantworten. Denn ich war, wie alle anderen unseres Kreises, derart von Mißtrauen, ja einer Art von Verfolgungswahn besessen, daß ich fürchtete, selbst diese in der Vatikanstadt verfaßte Denkschrift könnte den Nazis irgendwie in die Hände fallen. Kurz vor der Kapitulation erlaubte ich den Mitgliedern des amerikanischen Geheimdienstes, die Denkschrift zu photokopieren. Später hörte ich gerüchteweise, dieses photokopierte Dokument sei für diejenigen Emigranten, die sich nach wie vor als Deutsche fühlten - und es gab deren, vor allem bei der Elite, eine große Anzahl - von großer Bedeutung gewesen. Sie seien dadurch in die Lage versetzt worden, sowohl dem Dogma einer deutschen Kollektivschuld sowie dem Morgenthau-Plan entgegenzutreten. Die Angelegenheit hatte aber noch ein tragikomisches Nachspiel. Ein an sich sympathischer Amerikaner schlug mir vor, diese Denkschrift dem „Time and Life"-Verlag zum Abdruck in Form einer Artikelserie anzubieten; ich könne damit 50 000 Dollar verdienen. Ich hätte mit dieser Summe, die fur unsere deutschen Begriffe astronomisch war, meiner durch die Vertreibung total verarmten Familie ein immenses Startkapital verschaffen können. Gleichwohl lehnte ich dies Angebot ab. Mit der den Alliierten zugespielten Denkschrift über das Wirken und den Henkerstod meiner Freunde wollte ich kein „Geld machen". Sekundär, aber keineswegs entscheidend, spielte bei meinem Entschluß ein tiefgehendes Mißtrauen eine Rolle: Würden die Amerikaner mir nicht mit der Rechten 50 000 Dollar übergeben und es mit der Linken sofort als „Feindvermögen" beschlagnahmen? Die damals - und hoffentlich heute nicht mehr - bei den Amerikanern vorhandene Neigung, jedes Ereignis unter dem Gesichtspunkt zu behandeln, ob man daraus Geld machen könne, schockierte mich. Um die gleiche Zeit bedrängte mich Ludwig Curtius, der Archäologe, ich müsse meine Kindheitserinnerungen schreiben. Denn die Welt, in der ich als Kind auf einem schlesischen Landgut aufgewachsen wäre, sei auf Nimmerwiedersehen versunken. Aber diese Art von Erinnerungen, in denen es dann heißt: Mit vierzehn Jahren zog ich zum ersten Mal voll Stolz lange Hosen an, erschien mir läppisch. Doch ließ mich die Anregung nicht ruhen, und ich machte mich schließlich daran, fünf Tage eines Jahres auf einem schlesischen Gut, gesehen mit den Augen eines Zwölfjährigen, zu schildern.113 Am Schluß fand ich, es sei mir dies eigentlich ganz gut gelungen, ein Gefühl, das sich selten bei mir einstellt. Und obendrein hatte 122
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ich die Freude, daß meine Neffen und Nichten später dies kurze Manuskript mit großem Wohlwollen aufnahmen, womit es seinen entscheidenden Zweck erfüllte. Auch wenn ich nicht schrieb, waren diese stillen Abende und Nächte in meiner Klause ein Geschenk des Himmels. Denn ich konnte mich dann mit den Gespenstern des Entsetzens und der Trauer in aller Ruhe, wie ich es gern habe, auseinandersetzen. Die entscheidende Hilfe in unserem vatikanischen Asyl wurde uns jedoch durch die in Rom verbliebenen Deutschen zuteil, die sich, über unsere Rolle unterrichtet, ohne Ausnahme mit uns solidarisch erklärten. Großartig vor allem war die Haltung der katholischen Geistlichkeit. Konnte man Anfang der dreißiger Jahre bei ihr noch fast unbewußte Reminiszenzen an den von Bismarck vom Zaun gebrochenen Kulturkampf spüren oder ein zu einseitiges Eintreten für die Politik der Zentrumspartei, so traten diese Geistlichen jetzt Mann für Mann gegen eine deutsche Kollektivschuld und für die Lebensrechte unseres gepeinigten Volkes an. Bei einigen von ihnen, vor allem bei den Jesuiten, konnte man aus Reaktion gegen die Ereignisse fast so etwas wie einen deutschen Nationalismus spüren. Für einen Außenseiter war es faszinierend, die verschiedenen geistlichen Orden miteinander zu vergleichen, in unserem Fall die Benediktiner mit den Jesuiten. Mit beiden hatten wir zahlreiche Kontakte. Den Benediktinern, deren Orden der älteste ist, merkte man die aristokratische Herkunft an. Denn Benedikt von Nursia hatte ihn gegründet, um die wohl noch recht wilden langobardischen Herrensöhne, wenn schon nicht in den Orden aufzunehmen, so doch wenigstens zu erziehen und zu bilden. So sind auch die heutigen Patres einer strengen Askese unterworfen und werden zu Gelehrten im alten, klassischen Sinn ausgebildet. Auf der anderen Seite genießen sie nach den endgültigen Weihen eine erhebliche Freizügigkeit. Sie sind von der bei allen anderen Orden vorgeschriebenen Residenzpflicht befreit, d.h. sie brauchen nicht in dem in der betreffenden Stadt befindlichen Kloster zu wohnen. Zum Beispiel quartierte sich ein hochgeachteter Pater aus Zürich niemals im Kloster Sant'Anselmo, sondern bei unseren evangelischen Diakonissen ein mit der unbefangenen Bemerkung, er werde dort besser betreut. Ein besonderes Original war ein holländischer Benediktiner, der als Architekt in Lateinamerika und im Fernen Osten zwei Ordensuniversitäten erbaut hatte. Zu meiner Zeit lebte er gerade in Rom, bewunderte noch 1944 ohne Einschränkung die Nazis und sah in Churchill einen Kriegsverbrecher.114 Eines Abends im Sommer fand sich auf dem Dach des Campo Santo Teutonico ein Kreis von Freunden und Bekannten bei einem „Glas" Rotwein zusammen. Ich konnte daran teilnehmen, weil der Campo Santo de facto als zur Vatikanstadt gehörend betrachtet wurde. Der Zufall wollte es, daß der Pater neben unserer Freundin Hermine Speier 115 zu sitzen kam. Er fragte sie sogleich in der ihm eigenen Unbefangenheit, welcher Nation sie angehöre. Sie erwiderte, sie sei Deutsche. Als er sich überrascht zeigte, eine Deutsche von so dunklem Typ kennen zu lernen, antwortete sie, sie sei eine deutsche Jüdin. Erwidernd fragte er, ob dies wirklich der Fall sei oder ob sie sich nur dazu bekenne, weil dies zur Zeit im dekadenten Westen „schick" sei? Aber es gab auch einen ganz anderen Typ von Benediktinern. Pater Augustinus Mayer 116 , wohl 195 cm groß, machte Fräulein Rahlke und mir häufig Besuch. Mit jedem Mal wirkte er 123
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ausgezehrter. Es bestand kein Zweifel: Er gab von seinen ohnehin sehr knapp bemessenen Rationen den Ärmsten der Armen etwas ab. Wir versuchten, ihn durch ein reichlich bemessenes Mittagessen etwas „aufzufuttern", was uns mißlang. Schließlich erfuhren wir, daß ein Benediktiner sich von jedem Gericht nur einmal bedienen darf. Wir stellten daher, wenn er zu uns kam, das Mittagessen ohne wesentliche Änderung von zwei auf fünf Gänge um, was ihn nach den Regeln der Gastfreundschaft zwang, ein wenig mehr zu essen. Daneben war er keineswegs ohne Humor: Eines Tages kramte er unter seiner schwarzen Soutane lächelnd den Inhalt eines aus den USA erhaltenen Pakets hervor, eine Büchse amerikanischer Austern und ein Paar violetter Socken, mit dem Bemerken, diese Gaben seien wohl eher etwas für einen Diplomaten als einen Mönch. Bei den Jesuiten dagegen stieß man häufig auf Patres, die ebenso gut Generalstabsoffiziere hätten sein können, was ja auch den Absichten des Ordensgründers entsprach. Sie waren von hoher, ebenso disziplinierter wie differenzierter Intelligenz und wirkten außerordentlich weltzugewandt. An den politischen Ereignissen nahmen sie ebenso Anteil wie an den wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen; ihre intellektuelle Neugier schien keine Grenzen zu kennen. Daneben hatte, wie ich nach Kriegsende erfuhr, einer ihrer prominentesten Vertreter jahrelang aufs engste mit Canaris zusammengearbeitet.117 Und als ich einem Pater, mit dem ich seit einigen Jahren auf vertrautem Fuß stand, eines Tages lachend erklärte, für mich seien die Jesuiten so etwas wie eine SS Jesu-Christi, nahm er dies, gleichfalls lachend, als ein Kompliment hin. Indessen bedarf es wohl an dieser Stelle einer Berichtigung einschränkender Art. In protestantischen Kreisen Deutschlands, vor allem im Nordosten, wo man wenig Berührung mit Katholiken hat, neigt man dazu, den Einfluß und die Macht der Jesuiten und ebenso die Macht der katholischen Kirche im allgemeinen zu überschätzen. Die Zeiten, in denen der Papst eine weltliche Schiedsrichterrolle auf politischem Gebiet übernehmen konnte, gewissermaßen als Vorläufer der Vereinten Nationen, nur weit erfolgreicher, sind längst vorüber. Und wem es daran liegt, die immer kümmerlicheren Reste unserer abendländischen Kultur über eine bedrohliche Zukunft hinüberzuretten, ist von schwerer Sorge erfüllt. Denn selbst diese älteste Institution des Abendlandes, die katholische Kirche, ist von internen Krisen geschüttelt und bedroht. Die größte moralische Stütze aber fanden wir bei dem Archäologen Professor Ludwig Curtius und seiner Schülerin, Fräulein Dr. Hermine Speier, sowie dem katholischen Historiker Dr. Hubert Jedin. 1 1 8 In meiner ersten römischen Zeit, als seine Frau noch lebte, war ich im Hause Curtius öfters eingeladen, einem Milieu, das mich anzog. Es bildete sich zwischen Curtius und mir ein Verhältnis gegenseitigen freundschaftlichen Vertrauens heraus, auf das ich stolz war. Seine Vitalität, gepaart mit einer umfassenden klassischen Bildung im Sinne Wilhelm von Humboldts, erregte meine Bewunderung. Schon damals war er ein Exzentriker des Typus, wie ihn die Engländer seit jeher hegen und pflegen. Jetzt, nach dem Tod seiner geliebten Frau, war er ein weltweit bekanntes Original, weltweit, denn er hatte überall Schüler, die an ihm hingen. Jeden Mittwoch von 1944-46, das hatte sich so einge124
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spielt, kam Curtius zuerst zu Weizsäckers zum Mittagessen, und Fräulein Rahlke und mich um die Teezeit besuchen. Den folgenden Mittwoch aß er bei uns zu Mittag und trank bei Weizsäckers Tee. An jedwedem dieses Wochentages gegen ein Uhr hielt ich mich auf den Stufen der Peterskirche auf, ihn gebührend zu empfangen. Zuerst hörte man nur den hellen Klang der Eisenspitze seines Knotenstocks auf dem Pflaster, dann bog er auf den Petersplatz ein und stimmte, sobald er mich erblickte, ein Indianergeheul an. Im Sommer trug er einen Anzug aus Tongkingseide, der zuletzt in seiner frühesten Jugend mit einem Bügeleisen Bekanntschaft gemacht haben konnte. Im Winter betrat er mit einem wehenden Mantel und einem Sombrero die Szene. Aber ob Sommer oder Winter, ob im Tagesanzug oder Smoking, immer trug er kanariengelbe Halbschuhe, in deren ungeputzten Falten der Dreck - sit venia verbo - hellblau aussah, ein Phänomen, das Goethe im Hinblick auf seine Farbenlehre entzückt hätte. Und obendrein ließ sich Curtius nur einmal in der Woche rasieren mit dem Erfolg, daß dieser rundliche - aber keineswegs fette - und sehr agile Mann mit seinen wachen Schlitzaugen das Ebenbild eines antiken Fauns darstellte. Dennoch war Curtius mit einem pädagogischen Charisma begabt, das seine beachtlichen wissenschaftlichen Erfolge in den Schatten stellte. Kaum war Rom von den Alliierten besetzt, warfen sich seine Schüler aus Amerika und England in die Bresche und sorgten dafür, daß ihr „armer" Lehrer auch weiterhin Gelage ä la Rubens veranstalten konnte. Indessen wäre es verfehlt, aus der Schilderung seiner exzentrischen Gewohnheiten zu schließen, damit sei seiner Person Genüge getan. Hinter dieser ein wenig skurrilen Fassade verbarg sich nicht nur, wie bereits erwähnt, eine schon damals kaum mehr anzutreffende klassische Bildung, sondern eine humane Menschlichkeit, der wir heute nur noch nachtrauern können, eine Art paradiesische Unschuld. Und an jedem Mittwoch las er uns jene Seiten seiner Erinnerungen vor, die in den vergangenen Tagen entstanden waren, Erinnerungen, die in unserem hektischen Bestsellerbetrieb zu Unrecht in Vergessenheit geraten sind.119 „Spinni", unter diesem Spitznamen war und ist Fräulein Speier in archäologischen Kreisen bekannt, war von mittlerer Größe mit einem bemerkenswerten Kopf und schönen Augen. Schon Anfang der dreißiger Jahre war sie als wissenschaftliche Hilfsarbeiterin im Deutschen Archäologischen Institut tätig. Aus „rassischen" Gründen war sie mit der Zeit nicht mehr zu halten. Als ich sie nach dem Einzug der Alliierten in der Vatikanstadt wiedersah, bekleidete sie in der Museumsverwaltung ein sachlich entscheidendes, aber nach außen hin unscheinbares und schlecht bezahltes Amt. Auf zahlreichen Gängen durch die Museumssäle baute ich unter ihrer Leitung meine lückenhaften archäologischen Kenntnisse aus. Holte ich sie in ihrem Büro ab, um mit einem kleinen Umweg durch die Vatikanischen Gärten bei uns zu Mittag zu essen, so war mein stärkster Eindruck, daß sie jene unerschütterliche charakterliche Festigkeit ausstrahlte, die den Besten ihrer Rasse zu eigen ist. War ich schweigsam, so fand ich abends in meinem Zimmer ein paar Zeilen vor. Sie habe das Ausmaß meiner Trauer, ja Verzweiflung, wohl gespürt. Wenn sie mir auch nicht helfen könne, so solle ich doch wenigstens wissen, daß sie an meiner Seite stünde. Dichterisch sehr, wie man heute sagen würde, engagiert, schrieb sie 125
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mir in ihrer schönen, vom George-Kreis, dem sie nahe stand, beeinflußten Handschrift ihre und meine Lieblingsgedichte ab: aus dem West-Ostlichen Diwan oder von Hofmannsthal und George. Durch diese handschriftliche Wiedergabe erhielten die Gedichte ein eigenes Gewicht. Der „Dritte im Bunde" war der im Campo Santo Teutonico lebende katholische Kirchenhistoriker Dr. Hubert Jedin. Er war - und ist - mein oberschlesischer Landsmann aus Neisse. Weil er eine jüdische Mutter hatte, mußte er sich nach Rom absetzen. Ungewöhnlich groß und kräftig war er, wie die Italiener es ausdrücken, ein „schönes Stück Mann". Obendrein war er von explosivem Temperament. Er hat dies bis heute bewahrt. Inzwischen ist er Prälat geworden, weltweit als Konzilshistoriker anerkannt und überall zu Vorträgen oder zu Gastprofessuren eingeladen. Ich sah ihn jeden zweiten oder dritten Tag, und mindestens einmal in der Woche war er Fräulein Rahlkes und mein Mittagsgast, der das fur damalige Verhältnisse gute Essen ohne falsche Scham genoß. Von ihm lernte ich, daß die katholischen Historiker ihr Urteil über die deutsche Reformation und Luther grundlegend geändert hatten. Luther sei kein Häretiker, sondern ein Reformator gewesen, und die Kirchenspaltung sei nicht Luthers Werk, sondern dasjenige seiner blinden Widersacher. Darüber hinaus steckte er Woche für Woche voll origineller Erlebnisse und Informationen, die unser Bild von der Welt außerhalb der Vatikanstadt ergänzten oder korrigierten. Eines Tages stellte er mir die Frage, ob ich einen italienischen Universitätsprofessor kennenlernen wolle, der ein überzeugter Kommunist sei. Es sei ein „sehr gut zu habender" jüngerer Mann. Natürlich stimmte ich diesem Vorschlag zu. Und in der Tat war der Professor, den ich einige Tage später im Campo Santo traf, ein angenehmer Gesprächspartner. Nach einigen allgemeinen Redensarten fragte ich ihn, ob er mir erklären könne und wolle, aus welchen Gründen er Kommunist sei. Auf diese meine Frage vorbereitet, erwiderte er ganz unbefangen folgendes: Schon sein Vater sei als Antiklerikaler oder, wenn man so wolle, als Atheist aus der katholischen Kirche ausgetreten, und er sei später seinem Beispiel gefolgt. Einem Nicht-Katholiken sei es wohl kaum vorstellbar, wie sehr ein solcher Entschluß für den Betreffenden ein Abschneiden seiner natürlichen Wurzeln und eine gesellschaftliche Isolierung bedeute. Diese Entwurzelung und Isolierung habe er nicht ertragen können und sei deshalb, um wieder einer Gemeinschaft anzugehören, der kommunistischen Partei beigetreten. Diese Erklärung hat mich beeindruckt. Sie beeinflußt meine Beurteilung der innenpolitischen Lage in den bis vor einigen Generationen fast rein katholischen Ländern wie Frankreich und Italien. In konfessionell zweigeteilten oder rein protestantischen Staaten ist man entsetzt über die hohe Prozentzahl von kommunistischen Stimmen in den beiden vorgenannten Ländern. Gleichzeitig ist man überrascht und erleichtert, wie gemäßigt, ja geradezu verfassungstreu die italienischen und französischen Kommunisten sich gebärden oder, besser gesagt, gebärden müssen. Denn beide Parteien würden wahrscheinlich ein Großteil ihrer Wähler verlieren, wenn ihr harter Kern sich den ideologischen Richtlinien Moskaus vorbe126
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haltlos zu unterwerfen bereit wäre. Dieses Dilemma erklärt auch die oft schillernde Haltung der beiden Parteien gegenüber den Weisungen des Kreml. Im Herbst 1944 schien unsere Existenz in der Vatikanstadt, soweit sie sich auf unser Privatleben bezog und Eingriffe von außen, die natürlich jederzeit möglich waren, nicht in Rechnung stellte, wohl „etabliert". Wir waren sozusagen ein winziges Establishment. Dann aber trat ein Ereignis ein, das dieses Establishment in einem gleichzeitig erfreulichen wie schwierigen Sinn in Frage stellte. Die Alliierten führten die Bewachung der Kriegsgefangenenlager nur noch lässig durch. Sie waren der Uberzeugung, daß sie die Mehrzahl der Ausreißer auf dem langen Weg zwischen den Lagern und der weit nach Norden vorgeschobenen Front ohnehin einfangen würden, was auch der Fall war. In jenem Herbst aber fanden sich innerhalb von wenigen Wochen sechs oder sieben deutsche Kriegsgefangene in der Vatikanstadt ein. Es war einem nach dem anderen mit großem Raffinement gelungen, die ausgeklügelten Sperren zu durchbrechen, mit denen der Vatikan sich vor einer Flut von Asylsuchenden mit Recht zu schützen suchte. Sie wurden aber, da sie nun einmal das Asylrecht beanspruchen konnten, vom Kaplan der Schweizer Garde betreut, gut untergebracht und beköstigt. Wir nahmen sie mit offenen Armen auf. Sie wiederum waren nur allzu froh, sich von den Mitgliedern einer deutschen Botschaft, von deren Existenz sie keine Ahnung hatten, verwöhnen zu lassen. Bald aber entstand eine peinliche Lage: Es stellte sich heraus, daß sie nur den Einsatz von Hiders Wunderwaffen abwarten wollten, um dann von der Vatikanstadt aus den „Endsieg" an vorderster Front mitzuerleben. Es war uns unmöglich und wäre auf lange Sicht auch illoyal gewesen, zu verschweigen, daß sie Illusionen nachjagten, und eine Katastrophe innerhalb von wenigen Monaten unabwendbar sei. Natürlich gerieten wir dadurch in ihren Augen in ein schiefes Licht: Von Hider bezahlt und auf ihn vereidigt, lebten wir in Saus und Braus und verübten tagtäglich Hoch- und Landesverrat. Daß ein Eid, das sei hier nur nebenbei bemerkt, weil dieses Problem seit 1933 fur Millionen von Deutschen eine ungelöste Gewissensfrage ist, eine Abmachung auf Gegenseitigkeit bedeutet, wurde verkannt. Hitler hatte den Eid auf die Weimarer Verfassung geschworen. Solange er ihn hielt, war auch ich an meinen Eid gebunden und brauchte nicht, wie Staatssekretär Globke zu seiner Verteidigung in beschämender Weise angab, in eine Nische zu treten. Er habe somit den Eid nicht geleistet. Im Sommer 193 3, als eindeutig war, daß Hitler sich keinen Deut um die Weimarer Verfassung scherte, war für mich der auf ihn geleistete Eid eine sinnentleerte Formel. Was an allen militärischen und politischen Fronten geschah und in welchen Abgrund unser Volk stürzen würde, war den sechs oder sieben jungen Leuten nicht klarzumachen. Woran sollten sie sich auch orientieren? Schon in der Schule waren sie aus Mutwillen oder bloßer Angst belogen worden. Und von der Schulbank waren sie nach kurzer Ausbildung an die Front geschickt worden. Wir sprachen einfach nicht die gleiche Sprache; das war die Ursache dafür, daß sie uns gar nicht verstehen konnten. Wir schonten sie, soweit das eben ging. Und es verdient hervorgehoben zu werden, das sie, obwohl sie uns nicht verstanden, 127
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uns achteten, und zwar ohne Opportunismus, denn was konnten sie schon von uns erwarten? In den folgenden Monaten brach eine Welt für sie zusammen: Keine WunderwafFen, kein Endsieg und die Rote Armee vor den Toren Berlins, der Reichshauptstadt. Sie wollten nun von uns „Propheten" alles erklärt haben. Aber auch dieses Erklären scheiterte daran, das sie nicht einmal über die primitivsten historischen und politischen Kenntnisse verfügen. Angesichts dieser Lage faßte ich einen Entschluß, angesichts dessen sich jedem Historiker die Haare gesträubt hätten. Ich „erzählte" ihnen ein- oder zweimal wöchentlich „Weltgeschichte" in jener altmodischen Art, die China oder Indien nicht berücksichtigte, sondern geradlinig vom Alten Reich der Ägypter bis in die Gegenwart reichte. Ich mußte mein Thema so weiträumig anlegen, weil ich nur über ein Minimum an Literatur verfügte und deshalb mit keinen Einzelheiten aufwarten konnte. Außerdem konnte ich dadurch meine „pädagogischen" Ziele besser tarnen. Ich hatte deren zwei: Das eine war, den jüdischen Monotheismus, über dessen Reinerhaltung die Propheten in aller Strenge wachten, als einmalige Leistung herauszustellen. Denn nur auf seinem Boden, befruchtet durch den Hellenismus, der das jüdische Volk mit der humanen griechischen Philosophie bekannt machte, konnte Jahrhunderte später das Christentum aufkeimen. Das zweite Ziel war, ihnen an Hand der römischen Geschichte in den fast genau hundert Jahren von den gracchischen Unruhen bis zum Sieg des Augustus für jede Art von politischen Zielen und politischem Verhalten musterhafte Beispiele aufzuzeigen. Es lag mir dies um so mehr, als ich mich mit jener Epoche schon seit langem beschäftigt hatte. Es gelang mir so in unauffälliger Weise, sie auf die Nachteile einer totalitären Diktatur mit ihrer unausweichlichen Nebenerscheinung, dem Terror, hinzuweisen. Ich konnte ihnen beweisen, daß eine verknöcherte konservative Gesinnung in ein unfruchtbares reaktionäres und nationalistisches Extrem ausartet. Sie atmeten sichtbar auf, als ich ihnen erklärte, mein Ideal sei eine parlamentarische Monarchie. Eine Monarchie aber lasse sich aus vielerlei Gründen nicht wieder herstellen. Infolgedessen erhoffte ich für unser Volk eine nationale Demokratie in äußerst liberaler Form. Ich hatte diesen jungen Leuten „Weltgeschichte" nicht doziert, dazu war ich gar nicht in der Lage, sondern „erzählt". Und gerade diese unzulängliche Methode, die meiner Abneigung gegen jedwede Art des Dozierens entspricht, erwies sich als erfolgreich. Die Fragen, die sie stellten, wurden mit der Zeit sachkundiger und nüchterner, und sie bekamen mit ihren, wenn auch rudimentären Geschichtskenntnissen die Möglichkeit, das sogenannte „Dritte Reich" distanziert zu betrachten. In der ersten Hälfte 1946 „verkrümelten" sie sich nach und nach und begaben sich auf Wanderschaft in Richtung Heimat. Auch für uns trat im September 1946 die entscheidende Wende ein. Robert Murphy 120 , diplomatischer Berater des amerikanischen Oberbefehlshabers, General Clark, ließ durch seinen Vertreter gegenüber dem Staatssekretariat folgendes erklären: „Die Mitglieder der deutschen Botschaft erhalten freies Geleit und können sich in der amerikanischen Zone, wo immer sie wollen, niederlassen." 128
Herkunft, Familie 1. Der
etwafünßährige
Albrecht von Kessel, um 1907. Er war ein stilles, nachdenkliches Kind, das die Eindrücke wie ein Schwamm in sich aufsog. Sein Interesse an der Politik war zweifelsohne früh geweckt und von
Eltern-
haus und Zeitläufen stark gefordert.
2. Albrecht von Kessel erlebte alsjüngstes von vier Kindern eine behütete Kindheit auf dem Familiengut in Oberglauche/Schlesien.
H e r k u n f t , Familie
j. Die Eltern, Kurt von Kessel (1862-1921),
Berufsoffi-
zier, Fideikommißherr und Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses, und seine Frau Theodora (i8y geb. von Bethmann Hollweg.
1-11)44),
5- Konstantin von Neurath (1823-1936),
von
1932-
193 8 Reichsaußenminister, schwäbischer Grandseigneur, dem Kessel die Klugheit eines alten Schäfers attestierte, wurde von Hitler 1939 nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei mit dem Posten des Reichsprotektors in Böhmen und Mähren abgefunden. Kessel begleitete Neurath als persönlicher Referent nach Prag.
6. Adam von Trott (1909-1944),
außenpolitischer Kopf
der deutschen Opposition gegen Hitler, gehörte zu Kessels engsten Freunden im Auswärtigen Dienst.
Auswärtiger Dienst 7. Kessels Freund, der Diplomat Gottfried von Nostitx (1902—1976), hielt fur den Widerstand am Generalkonsulat in Genf die Verbindung zurfreien Welt aufrecht.
8. Joachim von Ribbentrop (1893-1946),
Reichsaußen-
minister seit 19j 8, war Hitlers Diplomat, er wollte größer sein als Bismarck und führte die deutsche Außenpolitik in den Bankrott.
Rom 9. Ernst von Weizsäcker (1882-1951),
seit ipj8 Staats-
sekretär, 1Dar fur die alte Beamtenschaft des Auswärtigen Amtes der letzte Rückhalt. Auch nach seinem Wechsel auf den Botschafterposten beim Heiligen Stuhl unterstützte er das verborgene Wirken der deutschen Opposition nach Kräften. In Rom sekundierten ihn seine Mitarbeiter Albrecht von Kessel (re.) und Sigismund von Braun (1911-1998).
10. Teestunde mit Botschaftsmitgliedern in der Villa Bonaparte, der Residenz des deutschen Botschafters beim Heiligen Stuhl, um 1944: sitzend ganz links Karl Gustav Wollenweber; in der Mitte stehend Albrecht von Kessel; vor ihm sitzend Marianne von Weizsäcker; stehend hinter den drei sitzenden Damen Charlotte Rahlke, die Sekretärin Ernst von Weizsäckers; zweite von rechts Hilde von Braun, die Ehefrau von Sigismund von Braun.
Rom
11. Auch mit dem zwielichtigen Eugen Dollmann, dem persönlichen Beauftragten Himmlers in Rom, pflegte Kessel regelmäßigen Umgang, nicht-zuletztaus Kalkül. Das Bild wurde beim Besuch des italienischen Luftwaffenministers Balho in Deutschland aufgenommen: (Ii. Balbo, Mitte Dollmann, re. Hitler)
12. Eugenio Pacelli ( I8J6-I ij-1992),
damals
Regierender Bürgermeister von Berlin, iy$8 auf dessen Washingtonreise. Die gegenseitige Wertschätzung nahm ihren Anfang. Das Bild zeigt Brandt beim Besuch von Präsident Dwight D. Eisenhower.
16. Nach seiner Abberufung aus Washington quittierte Albrecht von Kessel 19S9 vorzeitig den Auswärtigen Dienst. Seine Kritik an der deutschen Außenpolitik, an Adenauer und den Grundstrukturen des Auswärtigen Dienstes hatten dafür den Ausschlag gegeben.
Rom
Uns allen fiel ein Stein vom Herzen, und ich muß gestehen, daß ich neben größter Erleichterung ein ganz leichtes Triumphgefühl darüber empfand, daß wir den Kampf um freies Geleit gegen das vatikanische Staatssekretariat und die Alliierten erfolgreich durchgestanden hatten. Nachträglich gesehen, war es von uns unklug, daß wir gegenüber dem Staatssekretariat nicht auf einer schriftlichen Bestätigung nebst beglaubigter englischer Ubersetzung dieser amerikanischen Zusicherung bestanden haben. Aber selbst mein stets waches Mißtrauen verließ mich in diesem entscheidenden Augenblick. Ich hegte keinen Zweifel, daß diese von einem Diplomaten ausgesprochene amerikanische Garantie auch von militärischer Seite honoriert werden würde. Obendrein hätte das Staatssekretariat angesichts unserer gespannten, ja eisigen Beziehungen einen solchen Wunsch nach schriftlicher Bestätigung wahrscheinlich als dreiste Zumutung abgelehnt. Weizsäcker und seine Frau wurden in einer Kolonne von drei Wagen über Frankreich nach Lindau eskortiert. Denn die neutrale Schweiz ließ einen solchen militärischen Geleitzug natürlich nicht zu, und die Straße über den Brenner war offenbar, weil noch nicht ganz wiederhergestellt, überlastet. Weizsäckers waren also, so glaubten wir damals, gegenüber allen Schikanen der amerikanischen Besatzungsmacht abgesichert. Frau von Braun und ihre beiden kleinen Kinder 121 durften weiter im Vatikan bleiben, wir vier anderen, Fräulein Rahlke, Braun, der Konsulatssekretär Buyna und ich würden mit dem Flugzeug nach Frankfurt gebracht. Dies alles schien eine günstige Regelung zu sein. 122 An einem wolkenlosen Septembertag rollten auch wir vier, Fräulein Rahlke, Braun, Buyna und ich in einem amerikanischen Jeep langsam über den Petersplatz. Im Schatten der Kolonnaden sah ich eine Anzahl von Italienerinnen mit ihren Kindern und Enkeln anmutig auf dem Boden sitzen. Und wieder einmal wurde ich mir der Tatsache bewußt, daß mir die Italiener, soviel Sympathie ich ihnen, und zwar vor allem den „kleinen Leuten", entgegenbrachte, letztlich unverständlich blieben. Ihre, ich möchte sagen, animalische Anmut, verbunden mit soviel Menschlichkeit und Herzenstakt, verbunden auch mit pfiffiger Schlauheit, entzückte mich. Der Vorwurf, sie seien Betrüger, trifft nicht zu: Sie richteten und richten ihre Preise nicht nach den Produktionskosten, sondern nach der Vermögenslage des Käufers. Handelt es sich um einen armen, aber charmanten Italiener, so sind sie bereit, die Ware auch unter den Herstellungskosten zu verkaufen. Sie finden den Ausgleich, indem sie einem kein Wort der Landessprache verstehenden Amerikaner den dreifachen Preis abnehmen. Daneben aber hatten sie damals, heute mag sich das ein wenig geändert haben, bei aller Intelligenz kaum Interesse fur geistige Probleme. Das führte dazu, daß Intellektuelle nur mit einer sehr beschränkten Resonanz rechnen konnten. Infolgedessen spielten sie eine eher untergeordnete gesellschaftliche Rolle und konnten auch materiell nur in Ausnahmefallen einen gewissen Wohlstand erringen. Als unser Jeep langsam über den Petersplatz fuhr, richtete ich meinen Blick auf Sankt Peter und seine Kuppel sowie auf den von hier aus sichtbaren Teil des vatikanischen Palastes. Ich fragte mich, wie bei unzähligen Malen vorher und später in meinem bewegten Leben, ob ich dies alles noch einmal Wiedersehen würde. Oder war es ein Abschied für immer? 129
Besetztes Deutschland (1946-1947)
er Flug ging reibungslos vonstatten. 1 Als wir aber in Frankfurt landeten, fing bereits der Arger an. W i r wurden in eine „grüne Minna" verladen; in wenigen Minuten fanden wir uns in einem „dustbin", zu Deutsch etwa mit Ascheimer zu übersetzen, wieder. Es war ein Barackenlager, die einzelnen Zellen waren vielleicht dreieinhalb Meter lang und zwei Meter breit. Das Ganze war unerträglich. Ich habe mich dann eine halbe Stunde lang sehr unsicher gefühlt. Denn ich hatte ja nicht nur für mich die Verantwortung, sondern auch für die drei anderen. Ich wußte, daß, wenn wir nichts unternahmen, es bei der Langsamkeit der militärischen Bürokratie vielleicht Wochen dauern würde, eh man uns in diesem Lager entdeckte. Auf der anderen Seite war es natürlich ein großes Risiko, jetzt den Lagerkommandanten aufzusuchen und ihn deutlich zur Rede zu stellen. Wenn er mich abwies, konnte unsere Lage nur noch schlimmer werden. Trotzdem entschloß ich mich, ihn aufzusuchen und sagte leise und höflich, aber sehr energisch und bitter, so gehe dies nicht. Man habe uns freies Geleit zugesichert. W i r stünden immer noch unter dem Schutz des Vatikans (was freilich nicht ganz den Tatsachen entsprach), er möge sofort dafür sorgen, daß wir in ein besseres Lager überfuhrt würden. Zu meiner großen Erleichterung hatte ich vollen Erfolg. Nach einer Stunde waren wir auf den Taunushöhen in einer Villa, die fur prominente Gefangene zur Verfugung stand. Ich sah einige bekannte Gesichter, die mir aber schon immer mißfallen hatten. Dann aber traf ich in der Bibliothek arbeitend meinen Crew-Genossen Gusti Struwe. 2 Er sagte, eigentlich sei er sehr glücklich über diesen Posten, er habe immer genug Bücher, die ihn interessierten, auch gebe es interessante Gesprächspartner. Er wolle um Himmels willen hierbleiben, anstatt in diese schrecklich zerstörte Freiheit zurückzugehen. Wenige Wochen später erfuhr ich, daß die Amerikaner Gusti Struwe an Polen ausgeliefert hatten, weil er dort angeblich Greueltaten begangen hätte. Nach einigen weiteren Monaten kam die Nachricht, Gusti Struwe sei in einem polnischen Lager gestorben, im übrigen entschuldigte sich die polnische Regierung, das sei gar nicht der Struwe gewesen, den sie gesucht hätten. So ging es damals auf der Welt her; ungewöhnlich war lediglich, daß die Polen den Irrtum zugaben und sich entschuldigten.
D
Am nächsten Morgen wurde uns befohlen, wieder in einer „grünen Minna" Platz zu nehmen. Die Fahrt ging direkt nach Süden durch nicht enden wollende Wälder, von deren Existenz in diesem Teil Deutschlands keiner von uns eine Ahnung hatte. Da wir keine Städte berührten, verloren wir jede Orientierung. Erst am Nachmittag, als wir fast rechtwinklig nach Osten abzubiegen schienen, erblickten wir das weitgehend zerstörte Schloß von Bruchsal. Damit stand das Ziel unserer Fahrt fur uns fest: der Hohe Asperg bei Ludwigsburg, schon früher als Festungsgefängnis bekannt. In diesem Gebäudekomplex hatten die Amerikaner alle Diplomaten und Auslandsdeutschen konzentriert, die ihnen in die Hände gefallen waren. Ich hatte gegen diese Entwicklung, auch wenn sie gegebenen Zusagen widersprach, 131
.Gegen Hitler und für ein anderes Deutschland"
nicht viel einzuwenden. Wir wurden gut behandelt, bekamen ein für damalige Verhältnisse reichliches Essen. Auch konnte man sich immer wieder mit alten Freunden und Bekannten unterhalten. In den ersten drei Tagen allerdings wurden wir drei, Braun, Buyna und ich, in einer großen Zelle in Sonderhaft gehalten. Die Amerikaner wollten uns erst einmal vernehmen. Die Offiziere, die diese Aufgabe übernommen hatten, waren recht primitiv. Dem einen mußte ich wörtlich diktieren, was ich zu sagen hatte, womit er dann meinen Fragebogen ausfüllte, jenes Dokument, das Ernst von Salomon zu Recht mit Spott und Hohn übergössen hatte.3 Auf jede Frage konnte man nur mit „ja" oder „nein" antworten, während mir oft daran gelegen hätte, „ja vielleicht" oder „nein, es ist nicht schwarz, es ist nicht weiß, es ist grau" [zu schreiben]. Uber den politischen Teil kam ich glatt hinweg, dann aber kam der wirtschaftliche Teil und ich hatte Angst vor gewissen Fußangeln. Ich besaß nämlich im Vatikan noch 5 ooo Dollar in Goldstücken und war keineswegs bereit, sie den Amerikanern auszuhändigen. Also spielte ich erst einmal ein Zwischending zwischen Trottel und Bohemien. Als er mich fragte, wieviel ich als Beamter verdient habe, antwortete ich ihm, das wüßte ich nicht, denn dieses Beamtengehalt sei immer nur eine Art von Trinkgeld gewesen im Vergleich zu dem, was ich aus meinem schlesischen Gut erhalten hatte. Das stimmte zwar nicht, machte aber Eindruck. Als er sich nach meiner sonstigen Habe erkundigte, sagte ich, ich sei hier in Frankfurt mit einem Handkoffer angekommen, mit der Zeit solle noch ein weiterer Koffer aus dem Vatikan nachfolgen, das sei alles, was ich noch besäße. Er musterte mich mit steigendem Erstaunen und fragte, wovon ich wohl zu leben gedächte. Ich erwiderte ihm, ich hätte so viele Freunde in Italien, in der Schweiz und England, daß ich sicher jeden Monat mehrere Care-Pakete erhalten würde. Die Lage auf dem deutschen Schwarzmarkt sei meines Wissens so, daß wenn man auch nur ein Pfund Kaffee verkaufte, man dafür ganz gut einen Monat leben könne. Nach diesen Auskünften hielt er mich endgültig für einen Irren und füllte die wirtschaftliche Seite des Fragebogens nach eigenem Gutdünken aus. Später besaß dieses Lagerdasein für mich einen eigenen Reiz. Ich war drei Jahre in einem Internat erzogen worden, wo es recht spartanisch zuging. Wie viele meiner Kameraden, so hatte auch ich damals hauptsächlich im Kopf, wie wir unsere Lehrer ärgern könnten, ohne dabei erwischt zu werden. Ich beschloß, mir diesen Nebenberuf auch hier auf dem Hohen Asperg zuzulegen und hatte dabei einigen Erfolg. Nach fünfTagen wurden wir dann aus der Isolierung endassen, worauf sich sofort eine Traube von Freunden, alten oder neuen Kameraden um uns sammelte, die wissen wollten, wie es in der freien Welt so zuginge. Um dies ungestört zu ermöglichen, wurde ich mit dem ehrenvollen Amt eines Flurkehrers bedacht. Dadurch konnten mich alle erreichen. Es amüsierte mich, daß nach alter deutscher Manier schon am zweiten Tag ein älterer Amtsrat mir Vorwürfe machte, ich hätte den Flur nicht vorschriftsmäßig gekehrt. Ein zweites Mal stolperte ich über ein ähnliches deutsches Charakteristikum. Wir hatten zur Mittagszeit immer die Möglichkeit, auf dem sehr weitläufigen Schloßhof spazieren zu gehen, eine wirklich angenehme und anregende Unterbrechung unseres Gefängnisdaseins. Eines Tages hieß es plötzlich, wegen eines Zwischenfalls sei ein Ausgehverbot für uns erlassen worden. Ein paar standen vor dem Tor, das auf den Hof 132
Besetztes Deutschland (1946-1947)
führte, und erklärten, ja, das sei so. Ich sagte, davon nichts erfahren zu haben. Ich würde hinausgehen, man werde ja sehen, ob etwas passiere. Nach fünf Minuten waren alle Gefangenen auf dem Schloßhof. Offenbar haben wir Deutschen die Neigung, schon von vorneherein und vorsichtshalber die Stellung eines devoten Dieners einzunehmen. Meine Aussage über die Weldage kann ich in wenigen Worten zusammenfassen: Ich war der festen Meinung, und habe an diesem Fehlurteil bis in die 50er Jahre hinein festgehalten, daß es zwischen [den] Vereinigten Staaten und der Sowjetunion zum Krieg kommen werde. Auf der anderen Seite aber vertrat ich die These, es würde mit unserem Volk bald wieder bergan gehen, weil wir auf unserem Platze zwischen Ost und West eine Rolle zu spielen haben würden, und weil unser Volk immer fleißig und im praktischen Bereich einfallsreich bleiben würde. Eine Bestätigung dieser meiner These erfolgte sehr bald durch die Rede von Byrnes in Stuttgart4, in der erstmals deutlich zu erkennen gegeben wurde, daß die Amerikaner uns bei der Auseinandersetzung zwischen Ost und West brauchten und uns deshalb nicht mehr weiter nach den Regeln des Morgenthau-Plans behandeln würden. Im Ganzen war die Atmosphäre gut, wenn auch die Lage der Leute, die schon seit zwei Jahren in den Lagern festgehalten wurden, natürlich viel schlechter war als die unserige, die wir erst neu hinzugekommen waren und mit baldiger Entlassung rechnen konnten. Hier wäre wohl zu erwähnen, daß ich gleich zu Anfang auch hier wieder ein[en] Krach anfangen mußte, weil unser prächtiges Fräulein Rahlke, die immerhin ziemlich alt war, hier zwischen Hunderten von Männern als einzige Frau interniert werden sollte. Ich machte einen Riesenkrach, diesmal schon viel unbefangener, und verlangte, sie solle freigelassen oder höchstens noch ein paar Tage in ein Frauenlager überführt werden. Ich hatte Erfolg, Fräulein Rahlke kam als erste von uns frei. Auch Buyna wurde sehr bald entlassen, der es tatsächlich fertiggebracht hatte, zu verheimlichen, das einzige Mitglied der SS in unserer ganzen Gemeinschaft gewesen zu sein. Braun und ich fuhren nach drei Wochen mit geteilten Gefühlen den Berg hinunter, denn wir wußten ja nicht, was uns erwartete, ob wir ein Dach über dem Kopf und genügend zum Essen finden würden. Unsere Lage war insofern schlecht, als wir in keine Sparte der Bürokratie so recht einzupassen waren: wir waren weder Vertriebene, da wir ja im Vatikan gelebt hatten, noch konnten wir als Beruf etwas angeben, was sinnvoll erscheinen würde, da unser eigener vorerst ausgelöscht war. Immerhin hatte uns das Evangelische Hilfswerk in Stuttgart unter meinem alten Kameraden Gerstenmaier schon wissen lassen, daß sie uns über die ersten Wochen hinweghelfen würden. Wir wurden in Ludwigsburg abgesetzt, machten einen kleinen Spaziergang und sahen uns das Schloß an, das nur teilweise zerstört war. Dann begaben wir uns zum Bahnhof, legten unsere Endassungspapiere vor, unsere Marschorder, die auf Ludwigsburg-Stuttgart lautete, worauf der Schalterbeamte sagte: Jawohl, Herr Baron". Ich habe diesen Baron-Titel immer als besonders unangenehm empfunden; in diesem Augenblick aber war ich erleichtert, irgendwie höher eingestuft zu werden ah andere Leute. In Stuttgart wurden wir auf das freundschaftlichste empfangen. Ich machte die Bekanntschaft mit dieser von Gerstenmaier aus dem Boden gestampften Institution. 133
,Gegen Hitler und für ein anderes Deutschland"
Was Braun und ich auf unserer ersten kleinen Reise zwischen Ludwigsburg und Stuttgart zu sehen bekamen, läßt sich nicht schildern, auch jetzt, mit dreißigjährigem Abstand fällt es schwer, etwas über den Anblick, der sich uns bot, zu sagen. Man wunderte sich, daß ein so hochentwickeltes und teilweise hochzivilisiertes Volk wie das deutsche in solcher Umgebung - Ruinen, Staub, Schmutz, zerrissene Kleidung, Hunger, ausgemergelte Gesichter - überhaupt weiterexistieren konnte. Dazwischen aber schob sich mir doch immer wieder [die] Uberzeugung vor, daß dieses mein merkwürdiges Volk dies alles irgendwie überstehen würde, dank seiner Improvisationsgabe, dank seines Fleißes und, es ist vielleicht merkwürdig, das im Jahre 1946 gedacht zu haben, dank des Anstands der überwältigenden Mehrheit unseres Volkes. In Stuttgart wurden wir im Evangelischen Hilfswerk mit offenen Armen empfangen. Gerstenmaier, mit dem ich seit 1938 eng verbunden war5, hatte da etwas wirklich Meisterhaftes aus dem Boden gestampft. Er verfugte über eine unbegrenzte Vitalität, einen scharfen Verstand, Phantasiereichtum und auch über eine unbefangene Rücksichtslosigkeit, mit der er alle bestehenden Vorschriften, sei es seitens der Alliierten, sei es seitens der deutschen Stellen, beiseite räumte. Sicher lag hier einer der wesentlichsten Grundsteine für den deutschen Wiederaufbau. Gerstenmaier ist eben eine jener Naturen, die sich am besten in einer chaotischen Zeit zu entfalten vermögen. Er trat damals mit der Frage an mich heran, ob ich im Evangelischen Hilfswerk mitarbeiten wolle. Viele der Mitglieder, von denen eine große Anzahl alte Freunde waren, redeten mir in diesem Sinne zu. Ich aber hatte eigentlich das Verlangen, mich irgendwo auf dem Lande zu verstecken und die Wunden der vergangenen Jahre auszuheilen. Ich glaubte, auch vom Land aus einiges tun zu können, um unserem Volk wieder auf die Beine zu helfen. Zuerst einmal fuhr ich mit meinem Freunde Nostitz nach Icking im Isartal, wo seine alten Eltern ein geräumiges Haus besaßen. Sie haben mich, die Eltern so wie mein Freund selbst, in den kommenden drei Monaten unendlich verwöhnt. Ich fühlte mich dort sehr wohl, im Gespräch mit dem Vater, der früher einmal ein etwas schwieriger Bürokrat gewesen sein mag, nun aber die Güte und Weisheit des Alters ausstrahlte. Auch seine Mutter, die schwer an Arthritis litt, hatte besonderen weiblichen Charme und war daneben an allen kulturellen Dingen sehr interessiert, sodaß wir in Gesprächen immer wieder einmal die Zeidäufte vergessen konnten. Ich brachte in diese Gemeinschaft einiges mit, da ich auf dem Land aufgewachsen war. Ich veranlaßte meinen Freund, einen Kinderleiterwagen zu organisieren. Und so zogen wir jeden zweiten Tag auf Brennholzsuche in den Wald. Auch vermochte ich mit den schlechten italienischen Zigaretten, die ich noch besaß, den Bauern dann und wann ein halbes Pfund Butter abzuhandeln. Im Nachhinein gesehen war dies eine gute Zeit. Aber ich wußte, daß hier, auf die Dauer gesehen, meine Bleibe nicht sein konnte. Zu meinem größten Glück war, nicht allzu weit von Icking entfernt, eine Jugendfreundin in einem Landschloß untergekommen, und dort, in einem, wie man vielleicht auch sagen könnte, großbäuerlichen Landgut aus dem 17. Jahrhundert, war noch ein kleines Zimmer frei. Die Gefahr bestand, daß das Wohnungsamt in diese Kammer irgendeinen Flüchtling hineinsetzen würde, wes134
Besetztes Deutschland (1946-1947)
halb auch der Besitzer, Oberstleutnant a.D. Rhomberg6 und seine Kinder, recht froh waren, mich aufnehmen zu können. Ich zog also im Januar 1947 nach Rieden am Murnauer See, wo ich dreieinhalb Jahre in einer Umgebung verleben durfte, die meiner Natur und meinem Charakter angemessen war. Es war für mich schon allein die Tatsache, auf dem Land den Verlauf eines Jahres kontinuierlich mitverfolgen zu können, ein unendlicher Trost. Dazu ist es mir in diesen dreieinhalb Jahren gelungen, meine Gesundheit so sehr zu stärken wie nie zuvor, so sehr und nachhaltig, daß ich in den folgenden Jahren meiner zweiten Karriere Kraft genug hatte, die Mühsal, die Schwierigkeiten und auch die Probleme politischer und zugleich menschlicher Natur zu überwinden. Zunächst also im Januar 1947 schien eine angenehmere Zeit vor mir zu liegen. Ich bekam allmählich immer mehr Briefe aus dem Ausland und auch immer mehr Pakete, mit denen ich sowohl meinen Gastgebern wie vor allem auch meinen Geschwistern zu helfen vermochte. So schickte ich etwa jeder dieser drei Familien monatlich eine Büchse mit fünf Kilo Fett, für die damalige Zeit eine Art Gotteswunder. Ich lebte solchermaßen still vor mich hin, verfolgte aber natürlich, soweit möglich, es gab ja kaum Zeitungen, die erschienen, die Weltereignisse und das Schicksal unseres eigenen Landes. Ich war hin- und hergerissen, tief besorgt, ob es gelingen werde, den deutschen Bergbau, von dem damals alles abzuhängen schien, wieder in Gang zu bringen. Daneben gab es freilich Anzeichen einer neuen Ordnung, an die ich mich klammerte.
135
Paris
An einem nebelverhangenen Tag im Spätherbst 1948 ging ich nach Murnau, um einer Bekannten ein Manuskript zum Abschreiben zu bringen. Ais ich in die Hauptstraße einbog, sah ich in einem kleinen Kramladen die jüngste Ausgabe der Neuen Zeitung aushängen, nach meiner Erinnerung das beste Blatt, das bis heute in Deutschland erschienen ist. Natürlich vertrat es, von der amerikanischen Besatzungsmacht herausgegeben, den amerikanischen Standpunkt, jedoch nüchtern und ohne Polemik. Es brachte reichlich Agenturmeldungen, seine Kommentare und Leitartikel waren präzise und knapp im Gegensatz zur deutschen Mode, durch übergroße Länge und schwammige Formulierungen Tiefsinn vorzutäuschen. Nähertretend konnte ich die Balkenüberschrift lesen: „US-Senatoren verlangen deutsche Aufrüstung". Ich quittierte diese Nachricht gewissermaßen mit einem inneren Kopfnicken, denn ich hatte sie erwartet. Triumphgefuhle lagen mir ebenso fern wie ein Schrei der Empörung. Denn ich war kein Militarist. Diesem begegnet man übrigens in erster Linie bei Zivilisten, die nie etwas mit dem soldatischen Handwerk zu tun hatten. Und ebensowenig war ich Anhänger jener pazifistischen Ideologie, deren erstes Ziel ist, alle Nichtpazifisten totzuschlagen. Ich war seit jeher - sit venia verbo - ein Machtpolitiker. Denn nichts vermag den Frieden besser zu garantieren als eine gerechte, d.h. realistische, Verteilung der Macht, die das internationale Gleichgewicht sichert. Entsteht irgendwo ein Machtvakuum, so strömt in dieses zwangsläufig die brutale Gewalt ein. Wir hatten das gerade erlebt. Denn die westlichen Staatsmänner mit Roosevelt an der Spitze hatten sich für die Machtverhältnisse in Osteuropa, d.h. diesseits der russischen Westgrenze, niemals ernsthaft engagiert, sondern sich in Teheran, Jalta und zuletzt in Potsdam auf den mit ein paar hohlen Phrasen aufgeschönten „guten Willen" Stalins verlassen. Es konnte nicht ausbleiben, daß der Diktator mit brutaler Gewalt den Balkan, Ungarn, die Tschechoslowakei und Polen sowie das ostelbische Deutschland, mit Ausnahme von Berlin, ohne viel Federlesens der Sowjetunion angliederte. Spät, zu spät erkannten die westlichen Alliierten, daß sie das Vakuum in Griechenland und Westdeutschland auffüllen mußten, wollten sie nicht auch noch ganz Westeuropa verlieren. Es kam vor allem in Westdeutschland zu einer massiven militärischen Machtentfaltung, deren Hauptbürde die Amerikaner tragen mußten. Was lag näher, als daß sie auch von uns, für deren Freiheit sie mit allen Mitteln zu kämpfen bereit waren, einen „Verteidigungsbeitrag" forderten! Der Antrag der US- Senatoren, wir sollten aufrüsten, war also nichts weiter als ein Ausdruck gesunden Menschenverstandes. Allerdings wußte ich zu jener Stunde in Murnau noch nicht, wie sehr die damit in Gang gekommene Entwicklung in den nächsten Jahren meine berufliche Laufbahn beeinflussen würde. Etwa ein halbes Jahr später, an einem sonnigen Nachmittag, saßen wir alle nebst zwei Freunden des Hauses aus der Nachbarschaft unter der großen Kastanie im Riedener Park. Wir tranken Tee, echten Tee, der irgendeinem Paket aus dem Ausland entstammte. Eine 137
„Gegen Hitler und für ein anderes Deutschland"
sommerliche Stille lag über dem Land und ließ uns die Welt mit seltener Gelassenheit betrachten. D a kam plötzlich ein Dienstmädchen aus dem Haus gestürzt und rief schon von weitem: „Ein Ferngespräch für Herrn von Kessel!" Ein Ferngespräch? Das war damals eine Sensation. Als ich den Hörer aufhob, schallten mir die grellen Stimmen amerikanischer Telefonistinnen entgegen, ich schien in einen rechten Wirrwarr hineingeraten zu sein. Dann aber sagte mir ohne jede Hast eine Sekretärin, Mr. Whitman wünsche mich zu sprechen. Während ich noch grübelte, wer das wohl sein möge, meldete sich eine Stimme, die mir irgendwie bekannt vorkam, und sagte: „Hier Nucki Weismann". 2 Also Nucki, mit dem zusammen wir Ende der Zwanzigerjahre ausgegangen waren, ein immer vergnügter Kamerad, der sich niemals als Sohn seines Vaters aufspielte. Denn dieser Vater war der mächtige Staatssekretär im Preußischen Ministerium des Innern3, dessen Einfluß, jedenfalls in Preußen, ebenso groß war wie derjenige Globkes 4 unter Adenauer. Nucki erklärte, er sei so etwas wie der persönliche Referent von McCloy 5 und fragte, ob ich bereit sei, ihn im Taunus zu besuchen. Er werde mir dann sofort einen Marschbefehl übersenden, der es mir ermöglichte, einen amerikanischen Militärzug bis Frankfurt zu benutzen, wo er mich dann persönlich abholen würde. Drei Tage später saß ich denn in einem Luxuszug, zufrieden, daß mein grauer Flanellanzug, als letztes „gutes Stück" in meiner Garderobe, noch einigermaßen präsentabel wirkte. In Frankfurt empfing mich Nucki. Während wir zum Taunus hinausfuhren, erzählte er mir beiläufig, McCloy wünsche mich zu sehen. Ich war so überrascht, daß es mir fast den Atem verschlug, und stellte gleichzeitig fest, daß nach zwanzig Jahren Hiobsbotschaften dies die erste angenehme Nachricht war. Wer mochte wohl McCloy auf mich aufmerksam gemacht haben, der ich seit Jahr und Tag fern von Frankfurt oder auch nur Stuttgart ziemlich isoliert auf dem „flachen Land" in Oberbayern lebte? Und was konnte dieser mächtigste Mann, nicht nur in Westdeutschland, sondern in ganz Westeuropa, ausgerechnet von mir wollen? Ich tastete mich vorsichtig an diese Frage heran, erhielt aber von Nucki nur eine ausweichende Antwort. Nachdem ich mit Nucki und seiner Frau in deren Bungalow Tee getrunken hatte, machte ich mich auf den Weg zu McCloy. Er kam freundlich, wie dies die Art der Amerikaner ist, auf mich zu: ein untersetzter, starkknochiger Mann mit einer klaren Stirn und einem energischen Kinn. Gleichwohl sah er gut aus, hauptsächlich dank seiner schönen Augen, die Weisheit und Güte ausstrahlten. Daher fühlte ich mich in seiner Gegenwart wohl und unbefangen, und das sollte im kommenden Jahrzehnt so bleiben. Nach kurzen Präliminarien stellte er eine Frage, auf die ich unvorbereitet war und die mich deshalb verwirrte. Sie lautete: „Können Sie mir den Namen eines konservativen deutschen Generals nennen?" Nach kurzem Zögern antwortete ich, diejenigen, die ich persönlich gekannt, oder die mit unserem Kreis eng verbunden gewesen seien, wie Beck 6 , Witzleben 7 , Tresckow 8 , Kluge 9 , Stülpnagel 10 und andere, sowie der spät, aber um so stärker bekehrte Rommel 11 seien alle eines gewaltsamen Todes gestorben. Dann aber gäbe es noch den General Dr. Hans Speidel 12 , der, soviel ich wisse, in Freudenstadt im Schwarzwald wohne. Er habe Geschichte studiert und sei der Typus des gebildeten Offiziers. Ich hätte ihn zwar nie ken138
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nengelernt, aber immer wieder gehört, er habe sich in der ganzen Nazi-Zeit und vor allem im Krieg untadelig benommen. Dieser Vorschlag schien McCloy zuzusagen. Er dankte mir und entließ mich nach ein paar Sätzen allgemeiner Art mit freundlichen Worten. Als ich am nächsten Abend wieder in Rieden eintraf, war ich ungemein erleichtert, ja konnte mich des Gefühls, einen Triumph errungen zu haben, nicht erwehren. Die Tiir zur Rückkehr in meinen alten Beruf stand offen. Denn da ich von McCloy empfangen worden war, würde man mich in Bonn nicht übergehen oder vergessen. Die folgenden Monate waren für mich die schönsten und glücklichsten der ganzen Nachkriegszeit. Zwar gab es noch Schatten genug: Weizsäcker saß immer noch in Landsberg im Zuchthaus. Meine Familie lebte in krassem Elend, das ich nur durch monatliche Pakete aus dem Ausland, ein Tropfen auf dem heißen Stein, ein wenig zu lindern vermochte. Und die Not der Bevölkerung hatte bisher kaum abgenommen, denn der Marshall-Plan war erst im Anlaufen. Trotz dieser Schatten gab ich mich nun ungehemmt dem Genuß des Landlebens hin. In jeder Landschaft, die mir gefiel - und das bayerische Voralpenland gehört zu den schönsten, die ich kenne - , wollte ich seit jeher nicht nur die sommerliche oder winterliche Hochsaison miterleben, sondern den langsamen Ablauf der vier Jahreszeiten. In Rieden, wo ich im ganzen dreieinhalb Jahre lebte, hatte ich dazu Gelegenheit. Mitte Januar war der Staffelsee fest zugefroren und mit einer Schneeschicht bedeckt. An schönen Tagen setzten wir mit Pferdeschlitten zum jenseitigen Ufer über, das in den anderen Jahreszeiten nur unter großen Umwegen zu erreichen war. Und eines Sonntags veranstalteten die Bauernburschen mit ihren Ackergäulen unter strahlendem Himmel auf dem See ein Wettrennen. In ihrem naiven Egoismus sorgten sie dafür, die Nöte der Zeit von ihren Höfen fernzuhalten. Aber selbst ich „Vertriebener" vermochte nicht, wenn sie sich unter einem bayerisch weißblauen Himmel ihrer barocken Lebensfreude hingaben, ihnen daraus einen ernsthaften Vorwurf zu machen. Im Vorfrühling erwachte ich mitten in der Nacht, wenn die Eisdecke des Sees mit lautem Krachen auseinanderbarst. Kurz darauf fanden sich die Möwen aus der ganzen Umgebung auf dem kalten See und seinen letzten Eisschollen zu ihrer Paarungszeit zusammen. Sie störten, statt sich puritanisch zu schämen, mit ihrem lauten Geschrei den Schlaf meiner Nächte. Es folgte das Frühjahr mit Enzian und Primeln und, wenn die Zeit der Lindenblüte vorüber war, hielt der Hochsommer seinen Einzug. Bei gutem Wetter verbrachte ich fast den ganzen Tag am Seeufer, schrieb und las oder schwamm weit hinaus bis zur „Rabeninsel". Auf den goldenen Herbst folgten Stürme, Regenböen und die ersten Schneeflocken. Ich genoß in seinem unwandelbaren Ablauf das ganze ländliche Jahr. Unmerklich vernarbten die seelischen Wunden des vergangenen Jahrzehnts, und körperlich wurde ich so gesund, wie ich es noch nie gewesen war - eine Kraftreserve für die vor mir liegende Zeit. Ich überlegte mir hin und wieder, ob ich erneut Diplomat, also Beamter, werden oder mich als Politiker betätigen sollte. Aber was hatte ich in der Politik des sich abzeichnenden Staatswesens zu suchen, das, so sehr ich seine Existenz bejahte, mir als liberalem Preußen aus dem schlesischen Osten wahrscheinlich immer ein wenig fremd bleiben würde ? Ich hatte ein Handwerk, die Diplomatie, gelernt, es lag nahe, es wieder aufzunehmen. 139
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Es muß wohl im Herbst 1949 gewesen sein, daß Blankenborn 13 mir brieflich nahelegte, nach Bonn zu kommen, um mit mir über meine Zukunft zu sprechen. Er, der uns alle an politischer Begabung weit überragte, hatte sich in kurzer Zeit zum engsten Berater Adenauers entwickelt, war also ein mächtiger Mann geworden. Diese Macht hat er gegenüber seinen früheren Freunden und Kollegen nie mißbraucht. Von wenigen Fällen abgesehen wollte er uns alle fordern, doch blieb es öfters bei der guten Absicht. Denn er war sprunghaft und genoß das Hasardspiel der parteipolitischen Kombinationen und Intrigen. Es war schon dunkel, als ich in dem berühmten zoologischen „Museum König" eintraf. Dort hatte man die ausgestopften Tiere weggeräumt und zwei Bretterverschläge fur Adenauer und Blankenborn eingerichtet. Als ich das schwach beleuchtete Museum betrat, las ich auf dem Bogen der Treppe, die zum Obergeschoß führte, die lateinische Inschrift: „Herrgott, wie groß ist Dein Tierreich!" Ich konnte mich eines Grinsens nicht erwehren und dachte mir: „Na, das fängt ja gut an!" In seinem gleichfalls schwach beleuchteten Verschlag empfing mich Blankenborn mit großem Hallo und wurde seiner Art nach nicht müde, mir zu versichern, man habe Großes mit mir vor. Bei aller Skepsis gegenüber der „Größe" erachtete ich meine berufliche Z u kunft als gesichert. Nicht ohne Absicht, mir zu zeigen, daß er über alles, was Adenauer tat, Bescheid wisse, erzählte er, der Kanzler sei gerade dabei, dem Bankier Abs 1 4 den Posten des zukünftigen Außenministers anzubieten. Soweit ich Abs kannte, würde er niemals bereit sein, für Adenauer die Rolle eines außenpolitischen „Erfüllungsgehilfen" - eine Wortbildung späterer Jahre - zu übernehmen. Diese meine Annahme bestätigte sich. [...]. Am nächsten Morgen begleitete ich Blankenborn zum Bundestag. Auf dem kurzen Gang erklärte er mit jener Emphase, die ihm häufig zueigen war: „Die bürgerliche Welt muß noch einmal statuiert werden wie ein rocher de bronze!" Ich lachte, denn es war typisch für ihn, daß er sich des Ausspruchs eines preußischen Königs bediente, um mir sein Programm besser zu verkaufen.15 Im übrigen benutzte ich die Gelegenheit, um mich in Bonn umzuschauen, was sich auf dem Gebiet des Aufbaus eines eigenen diplomatischen Dienstes tat. Ein Außenministerium wollten uns die Alliierten noch nicht konzedieren, sondern nur eine „Verbindungsstelle zur Hohen Kommission". Als Ubergangslösung war dies annehmbar, denn ein Ministerium aus dem Boden zu stampfen, [dazu] waren wir weder personell noch organisatorisch in der Lage. Im übrigen wurde uns gestattet, in New York, London und Paris Generalkonsulate zu eröffnen, dagegen war es uns vorerst verboten, einen eigenen Kurierdienst zu unterhalten. Auch diese Regelung erschien mir als tragbar. Ob damals schon die Rede davon war, mich nach Paris zu versetzen, wo ich mit dem Titel Botschaftsrat Vertreter des Generalkonsuls sein sollte, ist mir nicht erinnerlich. Warum man auf den Gedanken gekommen war, mir diesen schwierigsten aller zu vergebenden Posten anzuvertrauen, war mir schleierhaft. Ich fürchte, es geschah in erster Linie deshalb, weil ich mich für französische Literatur und Malerei interessierte. Ich selber war mir der Schwierigkeiten, die mich erwarteten, nur allzu bewußt, wollte aber diesen Posten, da er mir angeboten wurde, auch niemandem anderen überlassen. Zwar war ich überzeugt, daß Frankreich, da England 140
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sich traditionsgemäß abseits hielt, die Führung Westeuropas übernehmen müsse. Angesichts der damals im Adenauer-Bonn herrschenden schrankenlosen Frankophilie befürchtete ich aber, man werde auf alle uns noch verbliebenen Möglichkeiten und Rechte bedingungslos verzichten. Auch ich erhoffte eine Einigung Europas; indessen erschien mir dafür das Bismarck-Reich als das erstrebenswerte Modell. Frankreich sollte die Rolle Preußens übernehmen, wir aber diejenige Bayerns, das bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, ja sogar teilweise bis zur NS-Machtergreifung, auf die „Bayerischen Belange" pochte. Ich wollte keine Kapitulation, sondern ein Einvernehmen über die Rangordnung. Doch ehe ich den Pariser Posten antreten konnte, sollten sich noch viele Schwierigkeiten ergeben. Zuerst einmal wünschten die Franzosen, Dumont 16 solle zweiter Mann in Paris werden. Daß Frau Dumont, eine Levantinerin, enge Beziehungen zu den führenden Franzosen in Berlin unterhielt, schien mir kein Grund, ihrem Mann den Pariser Posten zuzuschanzen. Aber auch in persönlicher Beziehung konnte ich mir keine gute Zusammenarbeit mit Dumont vorstellen. Die Anfrage, ob ich bereit sei, als dritter Mann nach Paris zu gehen, lehnte ich deshalb ab. Denn inzwischen wußte ich, daß ich zwei Trümpfe in der Hand hielt: Ich hatte niemals der N S D A P angehört, eine große Ausnahme unter meinen Altersgenossen. Und ferner war ich nie in Frankreich auf Posten gewesen. Letzteres war insofern wichtig, als man klugerweise die Regelung getroffen hatte, niemanden als deutschen Vertreter in ein Land zu schicken, in dem er zwischen 1933 und 1945 tätig gewesen war. Der Betreffende mochte in der Nazi-Zeit noch so mutig und human gewesen sein, Hunderten unter hohem persönlichen Risiko geholfen haben, es würden sich immer einige finden, die ihn als wilden Nazi verleumdeten. Nach einigem Hin und Her gewann ich denn auch, wohl dank Blankenborns Hilfestellung, das Spiel: ich würde als zweiter Mann nach Paris gehen. Aber auch damit war der Schwierigkeiten noch kein Ende gesetzt. Plötzlich erhob der französische Hohe Kommissar, Fran5ois-Poncet, Einspruch. Ich hatte rund drei Jahre lang in Rieden einen „Außenpolitischen Brief herausgegeben, der wöchentlich auf schlechtem Papier und in primitiver Hektographie erschien. Anfangs enthielt er fast ausschließlich Pressestimmen aus dem Ausland. Später, als jeder Interessierte leichter an Informationen herankam, in erster Linie einen außenpolitischen Kommentar. Frangois-Poncet bzw. Poncets Pressereferent hatte diese mehr als einhundertfunfzig Briefe offenbar Wort für Wort durchgelesen und festgestellt, daß ich zwölf oder vierzehn Mal an der französischen Politik Kritik geübt hatte. Daß ich ungleich häufiger und zuweilen schärfer die amerikanische oder englische Politik kritisiert und bestimmte Vorfälle bei uns selber gewissermaßen in der Luft zerrissen hatte, interessierte die Franzosen nicht; sie haben ja zuweilen die Neigung, egozentrisch nur sich selber zu sehen. Schließlich wurde auch dieses Hindernis aus dem Weg geräumt. Inzwischen hatte ich von Bonn die Weisung erhalten, meinem zukünftigen Chef Hausenstein17 in Tutzing einen Antrittsbesuch zu machen. Ich habe die Ernennung von Hausenstein immer für einen meisterhaften Coup gehalten, auch später, als unsere persönlichen Beziehungen sich abkühlten. Er, nur er, konnte uns die Tür zu den intellektuellen Kreisen in Paris öffnen, die auf das gesellschaftliche und politische Klima weit größeren Einfluß haben als bei uns. In Bonn war es z.B. 141
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möglich, daß Brentano18 einige Jahre später als Außenminister in einer Rede vor dem Bundestag Bert Brecht mit Horst Wessel verglich. In Frankreich hätte er wegen eines allgemeinen Wutgeheuls zurücktreten müssen, bei uns zuckten nur einige wenige die Achseln. In den zwanziger Jahren hatte ich von Hausenstein ein Buch über die Provence gelesen, das mir sehr gefiel. Wenn ich später hin und wieder einen Aufsatz von ihm über irgendein Bild zu Gesicht bekam, reagierte ich skeptisch. Als begeisterter Hörer von Wölfflin in München erwartete ich, daß ein Bild in seinen historischen Rahmen gestellt und in seiner Struktur analysiert wurde. Hausenstein dagegen war kein Historiker, sondern nur ein Kritiker und Ästhet. Außerdem befleißigte er sich, wie viele Schriftsteller seiner Generation, eines blumigen Stils, wobei man ihm anmerkte, daß er, um mit Bismarck zu reden, mit einer Hypothek Eitelkeit belastet war. Wenn ich das so ausführlich erwähne, so nur um zu erklären, daß ein enges menschliches Verhältnis, worüber er sich eine Zeitlang Illusionen gemacht hatte, zwischen uns unmöglich war, was aber unserer sachlichen Aufgabe keinen Schaden antat. Er war, wie ich bei unserer ersten Begegnung feststellte, ein mittelgroßer schmächtiger, fast zarter Mann. Sehr gepflegt; und entsprechend gekleidet wirkte er ausgesprochen elegant, was sich fur die Aufgabe, die ihm zugedacht war, positiv auswirken würde. Mein Antrittsbesuch verlief gut, ja angenehm. Kurz vor meiner Ausreise nach Paris stattete ich Franfois-Poncet19, damals der Französische Hohe Kommissar, meinen offiziellen Besuch ab. Bis zum Kriegsausbruch war ich dem damaligen französischen Botschafter unzählige Male begegnet, teils bei Empfängen, teils in kleinem Kreis in meiner Eigenschaft als Mitglied des Protokolls oder als persönlicher Referent von Weizsäcker. Er war eine vielschichtige Persönlichkeit und im Grunde das, was wir Deutsche uns unter einem französischen Diplomaten vorstellen: elegant, von kartesianischer Logik geprägt und mit den Schlichen unseres Handwerks gut, vielleicht allzu gut vertraut. Als ich sein Zimmer betrat, tat er, als kenne er mich nicht. Das war unklug von ihm, denn sein Verhalten versetzte mich in kalte Wut. Er hielt mir etwa eine Viertelstunde lang einen brillanten Vortrag über die französisch-deutschen Beziehungen. Darauf antwortete ich ihm etwa folgendermaßen: „Ich danke Euer Exzellenz für diese glänzende Analyse. Ich habe daraus wieder einmal viel gelernt. Als wir uns meines Wissens das letzte Mal sahen, etwa im Februar oder März 1939, erwartete ich Sie in der Halle vom Kaiserhof, wo Ribbentrop wohnte, weil sein Palais in der Wilhelmstraße renoviert wurde. Er hatte Sie um zehn Uhr abends zu sich gebeten; es war das eine seiner unzähligen Flegeleien. Er hätte Sie ebenso gut am Nachmittag empfangen können. Als ich Sie zu ihm hinaufgeleitete, flüsterte ich Ihnen im Lift zu, Ribbentrop werde Ihnen eröffnen, daß Hitler demnächst die restliche Tschechoslowakei besetzen werde. Sie antworteten mir daraufhin nur mit den Worten ,Quel romanticisme!' Seither weiß ich, daß im Französischen,romanticisme' und,crime' Synonyme sind." Die restlichen Minuten meines Besuchs spielten sich in einer überaus höflichen Atmosphäre ab. Zu seiner Ehre muß ich sagen, daß er als pensionierter Botschafter in seiner wöchentlichen Kolumne im „Figaro" sich immer sehr positiv und konstruktiv zur deutsch-französischen Verständigung geäußert hat. Zum Beispiel warnte er einmal die französischen Diplomaten, sie sollten sich uns gegenüber nicht allzu raffiniert und trickreich verhalten; das zahle sich auf die Dauer nicht aus. 142
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Anfang Mai 1950 bestieg ich den Nachtzug nach Paris, nicht ohne Unsicherheit. Wie würde ich mich in der Weltstadt zurechtfinden, wie unterkommen, wie würde das Geld reichen, und wie würden die Pariser mich behandeln? Um die letzte Frage vorweg zu beantworten: Noch 1926, also acht Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, konnte es geschehen, daß man beschimpft wurde, wenn man in der Öffentlichkeit Deutsch sprach. Diesmal war alles anders. In den dreieinhalb Jahren, die ich in Frankreich verbrachte, habe ich immer und überall Deutsch sprechen können, ohne auch nur aufzufallen. Von Fräulein Stefanski, einem Berliner Original, die sich aber in Paris, wo sie jahrelang an der Botschaft gearbeitet hatte, vorzüglich auskannte, und einem „mittleren Beamten", heute als „Beamter des höheren Dienstes" bezeichnet, begleitet, bildeten wir nun den Vortrupp. Hausenstein sowie weiteres Personal folgten erst einige Wochen später. Über die grotesken Umstände, unter denen wir im Hotel de Jena arbeiten mußten und die sich auch nach Ankauf eines ziemlich baufälligen Hauses nur wenig verbesserten, will ich mich nicht auslassen. Sie stellten aber eine zusätzliche Belastung unserer ohnehin schwierigen Aufgabe dar. Am zweiten Tag ging ich abends zum Are de Triomphe hinauf. Der Himmel war am Verblassen, es war die „Blaue Stunde". Die Straßenbeleuchtung war schon eingeschaltet und ebenso die Lampen der Autos, die sich wie eine Lawine die Champs-Elysees hinauf- und hinunterwälzten. Es war der Anblick einer mich überwältigenden „Pracht", womit ich kein grundsätzliches Urteil abgeben will. Ich konnte nach all den Jahren des Elends oder ländlicher Bescheidenheit kaum glauben, daß es so etwas noch gäbe auf dieser Welt. Der nächste Tag sollte für mich bedeutsam werden: Ich machte meine Antrittsvisiten im Quai d'Orsay, dem Außenministerium. Ich fühlte mich unsicher und hatte sogar Mitleid mit mir selber. Aber auch für die französischen Diplomaten, die ich zu besuchen hatte, war dieser Besuch wohl nicht angenehm. Viele von ihnen hatten gewiß bei Kriegsende und angesichts unserer bedingungslosen Kapitulation gehofft, mit uns Deutschen sei es nun endgültig aus; wir würden nie mehr in der Außenpolitik eine Rolle spielen. Und nun, fast auf den Tag genau fünfJahre später, stellte sich ihnen ein deutscher Diplomat klassischer Prägung und obendrein Träger eines unverkennbar preußischen Namens vor. Mein erster Besuch galt dem DeutschlandReferenten Sauvagnargues.20 Er empfing mich zurückhaltend, aber ausgesprochen höflich und ließ sogar beiläufig einfließen, er habe in Deutschland studiert. Nach einer Viertelstunde geleitete er mich zu Seydoux21, der nach unseren Begriffen etwa Dirigent der Europa-Abteilung war. Anschließend empfing mich Alphand 22 , der Leiter der Europa-Abteilung. Beide waren ausgesprochen unfair und wollten aus mir den Sündenbock fur alle Nazi-Verbrechen machen und mir die Verantwortung fur all das zuschieben, was ihnen an der gegenwärtigen Lage in Westdeutschland mißfiel. Dabei scheuten sie sich nicht, etwa eine wilde Rede des törichten Generals Ramcke 23 , die bei uns kaum beachtet worden war, zu einer Art von Kapitalverbrechen hochzuspielen. Sie setzten dieses Spiel eine Zeitlang fort. Bei jedem Besuch überschütteten sie mich erst einmal mit einer Flut von Vorwürfen. Bei jenem ersten Besuch war ich entsetzt, später nur noch irritiert und schließlich gelangweilt. Ich entwickelte bald eine eigene Taktik und warf, wenn sie ihre Litanei abhaspelten, nur noch lakonisch ein: „Ach 143
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ja, ach wirklich? Das ist mir neu!" Erst nach langen Wochen, in denen ich sie allerdings so selten wie möglich besuchte, merkten sie, daß sie mit diesem bösen Spiel bei mir nichts erreichten, gaben es auf und führten mit mir bei jedem Besuch von Anfang an ein sachliches Gespräch. Ich kehrte an jenem ersten Tag empört in mein Büro zurück und wußte zugleich, daß ich diesen üblen Empfang gegenüber Bonn möglichst verschweigen müßte. Denn es hätte sonst die Gefahr bestanden, daß man mich wegen „Unfähigkeit" ablöste; und das wollte ich aus den oben dargelegten Gründen nicht. Ich spielte erst einmal „Hase in der Ackerfurche" und machte mich unsichtbar. Nach etwa zwei Wochen erschien bei mir Paul Medina 24 , ein Wiener Halbjude, der vor dem Krieg Pariser Korrespondent der „Frankfurter Zeitung"25 gewesen war. Während der deutschen Besatzung hatte ihn Friedrich Sieburg26 in nobler Form gedeckt, indem er ihm den Auftrag verschaffte, einen deutsch-französischen Sprachführer fur den einfachen Landser zusammenzustellen. Er verfaßte ein originelles und in manchen Partien höchst amüsantes Buch über die im täglichen Gebrauch gängigen Redensarten. Um seinen weiteren Lebenslauf vorwegzunehmen: Er wurde nach Gründung der „Frankfurter Allgemeinen" deren Pariser Korrespondent. Im Lauf der Zeit entwickelte sich zwischen ihm und mir ein ausgesprochen freundschaftliches Verhältnis. Vierzehn Tage nach meinem Antrittsbesuch erschien er bei mir und sagte, im Quai d'Orsay, zu dem er über ausgezeichnete Beziehungen verfuge, frage man sich, was ich tue und treibe. Ich erwiderte, ich versuchte unter großen Schwierigkeiten das Generalkonsulat aufzubauen und müßte mich täglich mit zahllosen ärgerlichen Kleinigkeiten, z.B. Zollproblemen, abgeben. Nach rund zwei weiteren Wochen berichtete er mir, man frage sich im Quai d'Orsay, warum ich mich dort nie sehen ließe. Ich erwiderte wiederum recht trocken, man müsse dort doch wissen, daß ein Konsul in einem Außenministerium nichts zu suchen habe. Nach Ablauf einer weiteren Frist überbrachte mir Medina die Nachricht, im Quai d'Orsay wünsche man, politische Gespräche mit mir zu fuhren. Der Durchbruch war also gelungen, die Geduldsprobe, die mir nicht leicht gefallen war, hatte sich gelohnt. Nicht ich war den Franzosen nachgelaufen, sondern sie luden mich zu Gesprächen ein. Die erste Runde in dem Pokerspiel hatte ich gewonnen. Diese Aufforderung zu Gesprächen konnte ich mit gebührender Bescheidenheit nach Bonn melden. Auf Umwegen erfuhr ich, daß man mich dort lobte, weil ich bei den Franzosen „gut angekommen" sei. Dazu mein unausgesprochener Kommentar: „Diese ahnungslosen Engel!" Wir waren erst wenige Wochen in Paris, als der Koreakrieg ausbrach. Ich fürchtete, dies könne der Auftakt zum Dritten Weltkrieg sein, obwohl mir Etzdorf 27 , sachkundiger als ich, schon 1946 auf dem Hohen Asperg erklärt hatte, zu diesem Krieg werde es nicht kommen. Angesichts der militärischen Überlegenheit der U S A (Atombombe) glaubte ich zwar nicht, daß die Rote Armee bis nach Paris vorstoßen könnte. Meine Sorgen waren anderer Art: in allen Vorstädten von Paris verfugten die Kommunisten über die Mehrheit. Man sprach deshalb von dem „Roten Gürtel" um Paris. Es bestand die Gefahr, daß das Zentrum der Stadt von den kommunistischen Vororten belagert und wenigstens teilweise besetzt würde. Selbst 144
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wenn es nur wenige Tage dauerte, bis die französische Armee die Revolte niederschlug, konnten diese wenigen Tage äußerst unangenehm werden. Wir beschlossen daher, sobald sich die ersten Symptome einer solchen Entwicklung abzeichneten, Frauen und Kinder sofort zu evakuieren und zwar gleich nach Spanien. Krapf 28 , der gerade von der SchumanPlan-Delegation zum Generalkonsulat herübergewechselt war, und ich fuhren deshalb auf dem kürzesten Weg über Tours, Poitiers und Biarritz zur spanischen Grenze. Wir glaubten, daß, wenn erst der „Rote Gürtel" durchstoßen sei, die Frauen und Kinder auf keine großen Schwierigkeiten stoßen würden. Glücklicherweise erwiesen sich all diese Vorbereitungen als überflüssig, der Koreakonflikt weitete sich nicht zum Weltkrieg aus. An die nächsten Monate denke ich ungern zurück. Sie waren die mühseligsten meiner Nachkriegsjahre. Ich war ständig überfordert und oft dem physischen Zusammenbruch nahe. Daß ich mir aus Geldmangel nur zwei mäßig möblierte Zimmer zur Untermiete leisten konnte, also schlechter untergebracht war als vor zwanzig Jahren auf meinem ersten Auslandsposten in Rom, mochte noch hingehen. Dagegen machte mir der Zustand des Generalkonsulats schwere Sorge. Es waren oft Kleinigkeiten, die aber übelste Konsequenzen hätten nach sich ziehen können. So erzählte mir ein mittlerer Beamter strahlend, er habe den französischen Zoll angerufen und sehr energisch gefordert, daß sie nun endlich die drei Schreibmaschinen, die wir dringend benötigten, freigeben sollten. Ich machte ihm klar, daß, wenn er an den falschen Beamten geraten wäre und dieser sich beim Außenministerium beschwert hätte, daraus ein ausgewachsener Zwischenfall hätte entstehen können. Anschließend erließ ich eine Verfugung fur das gesamte Personal, daß jedes Ferngespräch mit, jedes Schreiben an eine französische Behörde meiner persönlichen Genehmigung bedürfe. Nach einiger Zeit zog ich sie zurück. Sehr viel meiner Zeit - zuviel - kostete mich Hausenstein, nicht aus bösem Willen, sondern aus Ahnungslosigkeit in allen Dingen des praktischen Lebens. Mit seiner welterfahrenen und klugen Frau ließen sich diese Probleme leichter erörtern und regeln. Er fand, wie erhofft, rasch Kontakt zu den französischen Museumsbeamten. Das verführte ihn allerdings dazu, ständig irgendwelche Ausstellungspläne zu entwickeln. Dabei ging er davon aus, man müsse den Franzosen zeigen, welchen Einfluß ihre „civilisation" durch die Jahrhunderte auf unser kulturelles Leben gehabt habe. Auf den Gedanken, den Franzosen zu zeigen, daß auch wir auf kulturellem Gebiet etwas geleistet hätten, kam er nicht. Ich ließ ihn gewähren und mit der Zeit, als fast alle seine Pläne gescheitert waren, wurde er auch weniger aktiv und skeptischer. Daß er mich als „Bruder im Geiste" empfand und sich mit mir ständig über Literatur und Malerei unterhalten wollte, war natürlich, nur kostete es mich zuviel Zeit. Bedenklich wurde es erst, als er mich zu seinem Vertrauten machen und seine persönlichen Probleme mit mir erörtern wollte. Sein katholischer Glaube wies die Übertreibungen des Konvertiten auf, was mir, wie übrigens auch den meisten gebürtigen Katholiken, unbehaglich war. Ich zog mich mehr und mehr aus diesem persönlichen Bereich zurück. Meine Distanzierung kränkte ihn, unsere Beziehungen litten darunter, aber mir blieb nichts anderes übrig; wir waren zu verschieden. 145
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Ehe ich über die weitere Entwicklung in Paris berichte, möchte ich noch über meine Haltung gegenüber der „Verbindungsstelle", also dem späteren Auswärtigen Amt, etwas sagen. Ich hatte große Bedenken. Leider interessierte sich Blankenborn nur wenig für das Amt, sondern umkreiste wie ein Planet die Sonne Adenauer. Die politische Abteilung leitete der ältere Kordt29, während Baas30 und sein Vertreter Melchers31 fur die Personalfragen zuständig waren. Alle drei kennzeichnete eine noble Haltung und absolute Integrität. Zugleich aber waren sie Beamte alten Stils und wollten im Grunde nur die alte „Wilhelmstraße", wie sie bis 1933 bestanden hatte, naturgetreu an den Ufern des Rheins wiederaufbauen. Von der Tatsache, daß sich die ganze Welt in der Zwischenzeit grundlegend verändert hatte, nahmen sie zu wenig Notiz. Auch realisierten sie nicht, daß sich die Diplomatie mehr und mehr in Form von Konferenzen abspielte, zu denen man über Erdteile und Weltmeere im Flugzeug hinwegeilte. Man mochte diese Entwicklung - wie ich - bedauern, entziehen konnte man sich ihr nicht. Alles in allem mußte man feststellen, daß von dem neuen Amt keinerlei politischer Impuls ausging, keine Ideen oder Vorschläge an Adenauer herangetragen wurden, dessen Haltung gegenüber unseren Diplomaten ohnehin weitgehend durch eine Mischung von Verachtung und Mißtrauen bestimmt war. Der einzige, der sich außenpolitisch aktiv betätigte, war Herwarth.32 Als Protokollchef kam er dauernd mit den alliierten Diplomaten zusammen, vertrat unsere Interessen und sammelte Informationen, an die Kordt nicht herankam. Auch gegen die Personalpolitik, vor allem gegen die Wiedereinstellung mancher Wilhelmstraßen-Diplomaten, hatte ich Bedenken. Ich nahm an, man werde mich zu Rate ziehen, da ich, zwischen 1937 und 1943, immer wieder bei Weizsäcker als persönlicher Referent einspringend, recht genau darüber Bescheid wußte, wie sich die Einzelnen in jenen bösen Jahren verhalten hatten. Aber man fragte mich nicht, obwohl das Amt sich dadurch manche späteren Angriffe und Schwierigkeiten hätte ersparen können. Ich wäre überhaupt gern in Bonn geblieben, aber vielleicht konnte man mich als Nicht-Pg im Außendienst nicht entbehren. Vielleicht wollten einige mich lieber aus dem Weg haben, weil sie mich unbequem fanden. Ich fuhr monatlich etwa zweimal nach Bonn, um Wünsche personeller oder finanzieller Art für das Generalkonsulat durchzukämpfen, aber auch, um mich zu informieren. Denn noch auf Jahre hinaus lief der Fluß der Informationen fast ausschließlich in Richtung Ausland-Bonn. Was man in der Zentrale dachte oder betrieb, darüber tappten wir im Ausland weitgehend im Dunkeln. So fand, um nur ein Beispiel zu nennen, 1950 in Paris eine VierMächte-Konferenz über Deutschland im sogenannten „Palais Rose" statt. Das Generalkonsulat wurde darüber von den Franzosen nur hin und wieder, und dazu lückenhaft unterrichtet, in meinen Augen verständlicherweise; denn die Bedeutung der dort behandelten Fragen überstieg bei weitem das Niveau eines Generalkonsulats. Dagegen wurde die Bundesregierung von der Hohen Kommission, das konnte ich in den ersten Konferenztagen feststellen, eingehend unterrichtet. Ich schrieb darauf an Blankenborn einen Brief, den er, da er von einem nach Bonn Reisenden persönlich überbracht wurde, am nächsten Tag in den Händen hielt. Es hieß darin, in Paris liefen Gerüchte über eine Viermächte-Konferenz um, die ich nach Kräften dementierte. Denn da ich von Bonn nicht den leisesten Hinweis 146
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darauf erhalten hätte, müsse ich annehmen, es handle sich um eine „Ente". Blankenhorn verstand diesen taktvollen Hinweis; wir erhielten von da an laufend ausreichende telegrafische - damals bereits chiffrierte - Informationen. Ein grundsätzlicher „Durchbruch" war damit allerdings noch nicht erzielt. Noch nach drei Jahren mußte ich von Washington aus über mangelnde Unterrichtung Beschwerde fuhren, was dort übrigens weniger gravierend war, da Krekeler33 und ich vom State Department eingehend informiert wurden. Aber auch in anderen Bereichen gab es zwischen den leitenden Beamten der „Koblenzerstraße"34 und mir öfters Auseinandersetzungen, die allerdings, da wir seit langem befreundet waren, stets in den angenehmsten Formen verliefen. Wenn ich hier einen solchen Fall anführe, so geschieht das nicht in polemischer Form, sondern nur als Hinweis darauf, daß ich an der „Front" in Paris versuchen mußte, der unklaren, ja teilweise noch chaotischen Zustände mit oft recht unorthodoxen Methoden Herr zu werden. In Bonn dagegen hielt man sich bürokratisch an den Buchstaben irgendwelcher Gesetze oder Verordnungen, die ich, wollte ich dem gesunden Menschenverstand und der Menschlichkeit Geltung verschaffen, einfach nicht beachten durfte. Es handelte sich um folgendes: Es wurde uns von einem gewissen Zeitpunkt an von den Alliierten erlaubt, für unsere Landsleute wieder in eigener Regie Pässe auszustellen. Glücklicherweise hatte Bonn organisatorisch gut vorgesorgt und einen höheren sowie drei mittlere Beamte nach Paris abgeordnet, um den zu erwartenden Ansturm der Antragsteller bewältigen zu können. Von wenigen Ausnahmen abgesehen waren es ehemalige Wehrmachtsangehörige, die in französische Gefangenschaft geraten waren. Um früher aus den Lagern endassen zu werden, hatten sie sich verpflichtet, noch drei oder vier Jahre als Landarbeiter in Frankreich zu bleiben. Sie beantragten jetzt beim Generalkonsulat, meist unter Vorlage eines zerfledderten Soldbuchs, die Ausstellung eines deutschen Passes. In Tausenden von Fällen machte dies keinerlei Schwierigkeiten, doch gab es Ausnahmen, und um die ging es mir. Anspruch auf einen Paß hatte nur, wer vor Kriegsausbruch im „Großdeutschen Reich" seinen Wohnsitz gehabt hatte, zu dem, um das vorwegzunehmen, das „Protektorat Böhmen und Mähren" formal nicht gehörte. Nun hatte bis zum Sommer 1939 ein Geschwisterpaar, sagen wir Hans und Frieda, zusammen in Prag gelebt. Im August hatte sich Frieda eine Stellung in Deutschland beschafft, also dort rechtzeitig Wohnsitz genommen, Hans dagegen war in Prag geblieben, war aber als Mitglied des „deutschen Herrenvolkes" Anfang September eingezogen worden. Anschließend hatte er mehr als fünf Jahre an allen Fronten gekämpft und war auf weitere Jahre in französische Gefangenschaft geraten. Nun beantragte er einen Paß. Wenn ich mich an den Buchstaben des Gesetzes hielt, durfte ich ihm einen solchen nicht ausstellen, denn er hatte nie im „Großdeutschen Reich" gewohnt. Ich scherte mich einen Pfifferling um diese Vorschrift; Hans erhielt einen Paß mit meiner Unterschrift. Als ich dies einige Tage später in Bonn Theo Kordt erzählte, fiel er aus allen Wolken. Er sah mich mit gerunzelter Stirn an und sagte, das könne ich doch nicht tun. Ich erwiderte, ich hätte das schon getan und würde mich in ähnlich gelagerten Fällen genauso verhalten. Das Gespräch wurde lebhaft, der Ton aber hielt sich in Grenzen, da sich Theo Kordt als mein 147
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väterlicher Freund fiihlte, was mich erfreute, obwohl er nur acht Jahre älter war als ich. Jeder beharrte auf seinen Argumenten. Schließlich schlug ich einen Kompromiß vor: Ich würde dafür sorgen, daß jedem Paß für einen „Deutschböhmen", und in diese Kategorie fiel besagter „Hans", im Gegensatz zu den Sudetendeutschen der Satz hinzugefugt werde: „Dieser Paß gilt ausschließlich für die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland". Denn ich sagte mir, wenn besagter Hans erst einmal in Deutschland sei, solle ihn der Teufel holen, wenn er sich nicht zurechtfinde. In jedem Fall war ich der Verantwortung für ihn los und ledig, wenn er außerhalb unseres Amtsbereichs war. Kordt konnte nicht umhin, meinen Vorschlag anzunehmen, aber ich merkte ihm noch lange einen gewissen Groll an, daß ich ihn in eine solche Lage gebracht hatte. Langsam kamen die Dinge in Paris in Ordnung. Auf meinen Wunsch versetzte man den jungen Noebel35, mit dem ich schon seit 1940 befreundet war, an das Generalkonsulat. Er war gelassen und vergnügt zugleich, politisch interessiert und begabt. Er riß sich nicht um die Arbeit, hatte es aber, wenn es darauf ankam, faustdick hinter den Ohren. Da ich damals noch recht isoliert war, begrüßte ich sein Kommen in menschlicher wie in sachlicher Beziehung. Der zweite, den ich erwähnen möchte, ist Paul Frank36, zur Zeit Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Weil er Hausensteins Wahl war, blickte ich voller Spannung auf sein Kommen. Schon am ersten Abend, den wir unter vier Augen verbrachten, spann sich eine Freundschaft an, die bis heute, zweiundzwanzig Jahre später, ungetrübt geblieben ist. Diese Freundschaft widerspricht allen Regeln der Soziologie, mit denen wir heute überfüttert werden. Er kam aus dem äußersten Südwesten Deutschlands, aus Singen am Hohentwiel, ich aus dem äußersten Ost-Südosten, nämlich Schlesien. Er ist ein dunkler, eher kleiner und pyknischer Typus und stammt aus kleinbürgerlichen, indessen politisch seit jeher interessierten Kreisen, ich bin in allem sein genaues Gegenteil. Mir imponierten von Anfang an sein messerscharfer Verstand und sein politischer Ideenreichtum. Das aber, was uns seit jeher am stärksten verbunden hat, war, daß wir, trotz unseres Engagements für ein geeintes Europa, gleichermaßen entschlossen waren, einen Ausverkauf unserer nationalen Substanz nicht zuzulassen. Im Spätherbst 1950 war das Generalkonsulat quantitativ ausreichend besetzt, aber man hatte uns aus Bonn zwei oder drei Nieten geschickt sowie einige andere, die zwar gute und fleißige Beamte, aber außenpolitisch nicht interessiert waren und Diplomatie als eine Art von schwarzer Magie ansahen. Es war deshalb für mich ungleich schwieriger als drei Jahre später in Washington, wenigstens die Mitglieder der politischen Abteilung zu einer durch gute Kameradschaft und Freundschaft verbundenen Gruppe zu verschmelzen oder, wie man es in modernem Deutsch ausdrücken würde, zu einem Team zu integrieren. Erst ein Jahr später, als ich bereits Stellvertretender Leiter der deutschen Delegation für die Verhandlungen über die „Europäische Verteidigungsgemeinschaft" (EVG) geworden war, bildete sich ein entsprechender Kreis mit mir als,»Alterspräsidenten". Sobald sich die Arbeitslage an unserer Behörde einigermaßen stabilisiert hatte, benutzte ich jede freie Minute, mich nicht nur in Paris, sondern auch unter den „Fran9ais moyens" umzusehen. Man erzählt von dem fleißigen Poincare37, er habe alles gewußt, aber nichts 148
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verstanden, während der faule Briand38 nichts gewußt, aber alles verstanden habe. Glaubwürdig wirkt der Ausspruch Briands, er müsse jeden Tag mindestens eine Stunde auf den Seine-Quais spazieren gehen und den Anglern zuschauen, um zu erfahren, was das französische Volk denke. Seinem Beispiel folgend sah ich mir nicht nur Kirchen, Paläste und Museen an, sondern aß mittags in Restaurants fiir Taxifahrer - übrigens oft vorzüglich - und saß abends auf dem Hocker in einem Bistro. Was ich intuitiv aus dieser Atmosphäre zu erhäschen glaubte, mußte auf Grund geistiger Disziplin die Mangel der Logik, die für mich nur eine Kontrollinstanz und kein Wert an sich ist, passieren. Erst dann berichtete ich über meine Eindrücke nach Bonn. Meine Prognosen, die sich öfters als richtig erwiesen, stießen in Bonn auf wenig Sympathie. Denn man wiegte sich dort noch jahrelang - bis zum Scheitern der E V G im Jahre 1954 - in euphorischen Vorstellungen über den guten Willen, ja die Selbsdosigkeit der französischen Politik. Im Herbst 1950 lernte ich Professor Hallstein39 kennen. Er leitete die deutsche Delegation bei den Schuman-Plan-Verhandlungen und wurde somit einer der „Gründungs-Väter" der Montanunion. Von dem Einfluß, den er bald auf unsere Außenpolitik und auch auf meine Laufbahn gewinnen würde, hatte ich keine Ahnung. Wir verbrachten den Abend zu zweit in einem kleinen Pariser Restaurant. Er erinnerte mich in seinem äußeren Habitus wie in seiner hohen Intelligenz an Montini.40 Sein umfassendes präzises Wissen bewies, daß er ungemein fleißig war. Was mich aber am meisten erstaunte, war, wie er jedes politische Problem im Handumdrehen in eine juristische Frage umzuformen verstand. Ich begann, daran zu zweifeln, ob er ein Organ für Politik im engeren Sinn besaß. Es wurde später erzählt, er habe einmal gesagt, man könne Außenpolitik wie einen Zivilprozeß betreiben. Carstens 41 , einer der zahlreichen Professoren, die sich unter Hallstein in die Macht im Auswärtigen Amt teilten, beantwortete einige Jahre später meine Anregung, wir müßten ein besseres Verhältnis zu den Engländern anstreben, mit der Frage: ,Ja, aber was für einen Vertrag können wir denn mit ihnen schließen?" Daß ein Vertrag nur am Ende und nicht am Anfang einer politischen Entwicklung stehen kann, verstand er damals noch nicht. Um der Gerechtigkeit willen muß ich aber abschließend hinzufugen, daß der allmächtige Staatssekretär Hallstein mich persönlich bevorzugt behandelte. Wenn ich mich, aus Paris oder Washington kommend, in seinem Sekretariat meldete, konnte ich fast immer damit rechnen, noch am selben Tag einen Termin für ein langes persönliches Gespräch mit ihm zu erhalten, einen Termin, auf den andere tagelang warten mußten, um dann kurz abgefertigt zu werden. Was ihn dazu bewog, mich derart zu bevorzugen, habe ich nie feststellen können. Vielleicht betrachtete er mich als exotischen Vogel, den zu beobachten er amüsant fand? Ehe ich über die zweite Phase meines Pariser Aufenthalts, meine Beteiligung an der EVG-Konferenz, berichte, möchte ich erzählen, wie ich nach und nach weit mehr von Frankreich kennenlernte als später von den Vereinigten Staaten. Im Sommer fuhren wir oft, auf mehrere Autos verteilt, nach Etretat an der normannischen Steilküste. Im Laufe der Zeit sah ich mir fast all die berühmten Kathedralen an, z.B. Amiens, Reims und Rouen. Ich muß gestehen, diesen drei Kathedralen aus der Hoch- und Spätgotik mit Vorbehalten gegenüber149
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gestanden zu haben. Die Auflösung der Strukturen in raffinierte Ornamentik ging mir zu weit im Vergleich zur festgegliederten Fassade der Notre Dame in Paris, die ich bewunderte. Chartres war einzig in seiner Art, am meisten aber war ich von den romanischen Kathedralen von Vezelay und Autun beeindruckt. Ich lernte auf meinen Ausflügen diese von den Parisern verächtlich als „Provinz" bezeichnete französische Landschaft und ihre schlichten Bewohner lieben, was mir bei Paris nie so recht gelang. Merkwürdig erschienen mir indessen die sozialen Verhältnisse in Frankreich, die in meinen Augen hinter den Reformen zurückblieben, die bereits um die Jahrhundertwende in Deutschland eingeführt worden waren. Die Revolutionen von 1789,1830 und 1848 waren bourgeoiser Natur und berücksichtigten die Interessen der Arbeiterschaft nicht. Noch heute gehört der Arbeiter nicht der „Gesellschaft" an (ne fait pas partie de la societe). Als ich eines Tages meine Portiersfrau fragte, wer denn der Herr sei, der eben das Haus verlassen habe, gab sie mir eine Antwort, die ihr selbstverständlich erschien: „Das war kein Herr, mein Herr, es war ein Arbeiter!" Daran hat sich bis heute wohl wenig geändert; die Integration der Arbeiterschaft ist kaum vorangekommen. Ihr sozialer Ehrgeiz scheint in deutschen Augen erstaunlich gering. Vielleicht liegt dies zum Teil daran, daß die meisten Arbeiter Verwandte auf dem Land haben, von denen sie gemäß dem noch weithin ungebrochenen bäuerlichen Familiensinn selbstverständlich für die Dauer der Ferien eingeladen werden. Dort können sie angeln gehen, der Inbegriff des Glücks für weite Kreise der Bevölkerung. Aber kann dies immer so weitergehen oder werden die Arbeiter eines Tages die verkrustete Gesellschaftsordnung sprengen und „ihre" Revolution nachholen? Eine Schicksalsfrage für ganz Europa. Übrigens gibt es auch in der deutschen Geschichte ein Beispiel ähnlicher Art: Seit Kriegsende klagen unsere wehleidigen Linksintellektuellen darüber, daß das Zeitalter der Aufklärung an uns Deutschen vorübergegangen sei, ohne wesentliche Spuren zu hinterlassen. Dies liegt wahrscheinlich daran, daß in Deutschland die Reformation schon mancherlei von dem vorweggenommen hat, was in den katholischen Ländern die Aufklärung erst zweieinhalb Jahrhunderte später auf ihre Fahnen schrieb. Dies aber war eine Entwicklung, die den Liberalismus in Deutschland nie zu einer vollen Entfaltung kommen ließ. Inzwischen zeichnete sich ein Plan ab, der auch meine berufliche Zukunft auf zweieinhalb Jahre grundlegend bestimmen würde, die E V G . Im Sommer 1951 verhandelte Hallstein als Leiter der deutschen Delegation schon seit Monaten erfolgreich über den „SchumanPlan"42, der den Ausgangspunkt für die „Montanunion"43 bildete. Der erste Besuch Adenauers in Paris war ein spannendes und bedeutsames Ereignis. Ich hatte mich zwar vor Antritt des Pariser Postens kurz beim Kanzler abgemeldet, jetzt aber und, wie sich herausstellen sollte, in den folgenden Jahren, erst in Paris und später in Washington, würde ich Gelegenheit haben, ihn gründlich zu beobachten. Er faszinierte mich: Er begann eine glanzvolle Karriere in einem Alter, in dem andere schon mit einem Fuß im Grab stehen. Als er aus dem Zug stieg, konnte ich ihn mir vom zweiten Glied aus unbefangen ansehen. Er wirkte groß, ein Eindruck, der sich durch seine Schlankheit noch verstärkte. Sein einzi150
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ges Altersleiden schienen etwas steife Knie zu sein, weshalb er ein wenig schleppend ging. Wenn er aber kerzengerade stillstand, wirkte er wie ein Mann, der eben sein 60. Lebensjahr vollendet hatte. Seine lederartige Gesichtshaut vermittelte den Eindruck, daß mongolisches oder indianisches Blut in seinen Adern flöß, so daß ein Bonner Witzbold ihm in den letzten harten Jahren seines Regiments den Spitznamen gab: „Häuptling Dunkle Wolke". Wenn er seine Umgebung mit kalter Herablassung betrachtete, fühlte man: Dies ist jemand, der von Natur aus zum Herrschen bestimmt ist. Man hat ihn wegen seiner Menschenverachtung, seines Zynismus und der Art, wie er mit Wahrheit und Lüge umging, mit den italienischen Fürsten der Renaissance-Zeit verglichen. Dieser Vergleich hinkt in einem entscheidenden Punkt: E r hat es, um seinen Willen durchzusetzen, nie nötig gehabt, Menschen einsperren oder gar umbringen zu lassen. Beispiele für seinen Zynismus und seine Menschenverachtung ließen sich in großer Zahl anführen, doch das sollen andere tun. Obwohl er ausgesprochen antiklerikal war, blieb er ein treuer Sohn der katholischen Kirche. Und obzwar er alles Preußische haßte, hatte er unbewußt in seinem Gebaren und seinem Handeln vieles von seinem Vater, dem königlich-preußischen Unteroffizier, geerbt. Warum ich anfangs seine Politik guthieß, mich aber später gegen sie auflehnte, wird den wesentlichen Inhalt der folgenden Kapitel ausmachen. Hier möchte ich nur auf mein persönliches Verhältnis zu ihm eingehen. E r beeindruckte mich, und ich hatte Respekt vor ihm. Dabei wußte ich, daß ich von seiner Seite mit keinerlei Sympathie rechnen konnte. Von Blankenhorn abgesehen, mit dem ihn eine gegenseitige Haßliebe verband, duldete er in seiner Umgebung nur Menschen, die ihn anhimmelten oder schrankenlos devot waren. Globke gegenüber machte er eine Ausnahme, weil dieser für ihn im ganzen Bundesgebiet eine raffinierte Personalpolitik betrieb. M i r indessen ist es nie gegeben gewesen, Politiker anzuhimmeln oder wenigstens devot zu erscheinen. Die zweite Hypothek, die mich in seinen Augen belastete, war mein liberales Preußentum, eine besonders schlimme Kombination. Und schließlich war ihm nicht verborgen geblieben, daß ich den Opfern des 20. Juli nahegestanden hatte. Den Uberlebenden gegenüber aber empfand er größtes Mißtrauen. Wer sich einmal an einer Verschwörung beteiligt hatte, könnte das wieder tun. E r verlangte „ Kadavergehorsam". Der Erfolg seines ersten Auftretens im Ausland übertraf die Erwartungen auch der Optimisten. E r bewegte sich mit schweigsamer, etwas starrer Würde und größter Zurückhaltung. Auch angesichts der großen Erfolge, die er in den folgenden Jahren erntete, habe ich auf seinem Gesicht nie den Ausdruck der Genugtuung, geschweige denn des Triumphes entdecken können Was ihm in den kommenden Jahren von den Vertretern aller befreundeten Mächte zugebilligt wurde, z.B. das Recht auf Vortritt für den Patriarchen, betrachtete er als den ihm gebührenden Tribut. Es entsprach dies ja auch der Haltung, die er gegenüber seinem eigenen Staat einnahm, den er als sein Patrimonium ansah, sowie gegenüber der Demokratie. Gewiß, diese wies gegenüber der Diktatur entscheidende Vorzüge auf, aber daß sie auch die M ö g lichkeit eines Rollenwechsels zwischen Regierung und Opposition vorsah, empfand er gewiß als schweren Fehler.
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Später einmal, bei einer anderen Konferenz, saß ich unmittelbar hinter ihm und konnte beobachten, wie er sich bei den Verhandlungen verhielt. Dabei muß ich vorausschicken, daß ich für solche sich über viele Stunden hinziehende Verhandlungen kaum die erforderliche Konzentration aufbrachte. Gewiß versuchte ich, aus der endlosen Reihe der Reden die wichtigen Punkte herauszupicken. Wenn aber nach meinen Erwartungen nun zum sechsten Mal das gleiche leere Stroh gedroschen wurde, hörte ich nicht mehr zu, merkte plötzlich, daß doch noch ein wichtiger Punkt diskutiert wurde und mußte mich flüsternd bei dem neben mir sitzenden Mitglied unserer Delegation erkundigen, worum es eigentlich gehe. Adenauer, der sich am Vormittag hin und wieder kurz an der Diskussion beteiligt hatte, paßte am Nachmittag anscheinend auch nicht mehr auf. Er malte mit seiner großen hölzernen Schrift, die seinem körperlichen Habitus entsprach, die Namen von Pariser Straßen und Plätzen auf ein Blatt Papier: Place de la Concorde, Rue Saint Honore usw. Als es aber den Anschein hatte, als wolle man die Verhandlungen beenden, meldete er sich überraschend zu Wort - und hielt gewissermaßen eine Manöverkritik ab. Sie wirkte simpel und war doch raffiniert, eine Kombination, die ich in meinem ganzen Leben nur bei ihm festgestellt habe. So sprach er zum Beispiel von „meinem Freund" de Gasperi44 und seinem „verehrten Kollegen" Schuman.45 Die Vertreter jedes Staates nahm er einen nach dem anderen vor und spendete ihnen Lob, aber natürlich nur in homöopathischer Dosis. Gleichwohl waren diese hochmögenden „Staatsmänner" so erleichtert, ja beglückt wie Primaner, deren Klassenlehrer sie wohlwollend in die Ferien endäßt. Die Behauptung, erst de Gaulle habe die deutsch-französische Verständigung verwirklicht, war eine von Adenauer in die Welt gesetzte Legende. Denn es war Schuman, der das Fundament hierfür gelegt hatte. Adenauer indessen empfand keine Sympathie fur ihn und seinen asketischen Katholizismus, das merkte man. Und ebensowenig dafür, daß Schuman gern erzählte, er habe im Ersten Weltkrieg auf deutscher Seite gekämpft. Er hatte auch kein Verständnis für den fast romantischen Idealismus, mit dem sich dieser stille, bescheiden wirkende Mann für eine deutsch-französische Freundschaft einsetzte. Am letzten Tag seines Besuchs machte sich Adenauer auf ein paar Stunden frei. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich einiges über seine persönlichen Abneigungen und Vorlieben. Die berühmten Pariser „flies" (Polizisten), die ihres Amtes ebenso elegant wie wirkungsvoll walten, fand er nicht „stramm" genug und dachte wohl dabei an einen Feldwebel, der seinen Dienst streng nach einer königlich-preußischen Vorschrift versah. Ebenso mißbilligte er die alten Kandelaber auf der Place de la Concorde. Dann aber besuchte er die klassischen Bilder im Louvre und nahm sich dabei Zeit. Die Franzosen sahen darin eine Geste, ein Sichverneigen vor ihrer Nation, der die Anhäufung all dieser Schätze zu danken war. Dem war aber nicht so: Alte Bilder waren nicht nur die Liebhaberei des Kanzlers - er verstand auch etwas davon. Der Generaldirektor führte ihn ehrerbietig durch die Säle, blieb vor dem Bildnis eines jungen Mannes stehen und sagte: „Dies ist ein Giorgione". Der alte Herr schwieg ein paar Sekunden und meinte: „Ein schönes Bild - aber ein Giorgione ist es nicht." Der Generaldirektor, halb überrascht, halb betreten, mußte zugeben, daß diese Zuweisung in der Tat umstritten sei. Ganz am Schluß, als wir alle schon etwas erschöpft waren, fragte Adenauer: „Und wo ist das kleine Bild von 152
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Rembrandt; mit dem Jungen und seiner roten Kappe und dem Hund? Sie wissen schon, was ich meine." Der Generaldirektor wußte indessen gar nichts und ließ den Abteilungsleiter rufen, der erklärte, das Bild befinde sich im Magazin, ob er es holen lassen solle. Worauf Adenauer, sich nun wieder ganz zu Hause fühlend und gewohnt, daß man jeden Wink, den er gab, folgte, lakonisch erwiderte: J a , dat tun Sie man." Im Sommer 1951 trat ein bedeutsamer Wechsel in meiner Laufbahn ein, vor allem aber hatte sich in Bonn etwas Entscheidendes ereignet. Adenauer hatte Hallstein zum Staatssekretär des Auswärtigen Amtes ernannt. Als ich Blankenhorn fragte, was er von dieser Ernennung hielte, sagte er, er begrüße sie. Hallstein könnte ihm viel Arbeit abnehmen, deren er ohnehin nicht mehr Herr werden könne. Dies war, wie sich bald herausstellte, das schwerste Fehlurteil, das Blankenhorn in seiner langen und erfolgreichen Karriere unterlaufen ist. Denn von nun an war Blankenborns Monopol bei Adenauer in Frage gestellt. Hallstein umkreiste wie ein zweiter Planet den Kanzler und war ihm bis zur Hörigkeit ergeben, auch wenn ihn dieser aus Tyrannenlaune quälte. Dies war fur den Außenstehenden ein peinlicher Eindruck. Für Adenauer war Hallstein mit der breiten Skala seines Wissens ein lebendes Lexikon. Daneben aber gelang es Hallstein auf Grund seiner enormen Arbeitskraft, den inzwischen zu einer großen Behörde angewachsenen Apparat des Auswärtigen Amtes bis in seine feinsten Verästelungen in die Hand zu bekommen, etwas, worum sich Blankenhorn nie bemüht hatte. Darüber hinaus verstärkte Hallstein seine Hausmacht, indem er einen Professor nach dem anderen in den Auswärtigen Dienst aufnahm oder wenigstens mit wichtigen Sonderaufgaben betraute. Einige von ihnen, z.B. Grewe46 und Carstens, erlernten nach einer Reihe von Jahren das diplomatische Handwerk und bewährten sich im Innen- wie im Außendienst. Aber noch heute treibt das legalistische Denken oft exotische und fiir uns keineswegs erfreuliche Blüten. Dafür nur ein Beispiel aus den Jahren nach meinem Rücktritt: Auf dem Höhepunkt ihrer Freundschaft 1962, als ich schon außer Dienst war, schlug de Gaulle dem Kanzler eine gemeinsame Erklärung vor, die der Welt das Ausmaß der französisch-deutschen Ubereinstimmung deutlich machen sollte. Es war, wie die Angelsachsen sagen würden, eine ernstgemeinte, aber juristisch unverbindliche „declaration of intent". Kaum bekamen unsere Völkerrechder den Text in die Hand, merkten sie an, diese Erklärung müsse in einen verbindlichen Vertrag umgewandelt werden, der der Ratifizierung bedürfe. Als es dann im Bundestag zu einer Debatte über den Vertrag kam, verlangte eine Mehrheit, daß dem Vertrag eine Präambel vorangestellt würde, was auch geschah. Die Präambel besagte, daß unser Verhältnis zur Nato und den anderen Verbündeten durch diesen Vertrag nicht berührt werde. De Gaulle tobte, denn seine „declaration of intent" sollte ja gerade der erste Schritt sein, die Bundesrepublik langsam aus der engen Bindung zur Nato und zu den angelsächsischen Mächten herauszulösen und als Juniorpartner seiner eigenwilligen Außenpolitik zu gewinnen. Dies war mißlungen. Auf der anderen Seite aber hatte der General nun einen Vertragstext in der Hand, mittels dessen er der Bundesrepublik ständig Vorhaltungen machen konnte. Unsere Völkerrechtler hatten es also durch ihren Perfektionismus zuwege gebracht, daß wir laufend in Querelen mit Frankreich verwickelt wurden. 153
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Im Sommer 1951 war die Montanunion, die auf dem Schuman-Plan beruhte, praktisch unter Dach und Fach. Dafür lag bereits ein neuer Verhandlungsvorschlag auf dem Tisch, diesmal nicht in Luxemburg, sondern in Paris. Es handelte sich um den sogenannten Pleven-Plan, einen amerikanisch-französischen Kompromiß. Auf einer Konferenz in New York, bei der es um die deutsche Aufrüstung ging, waren die Amerikaner und Franzosen heftig aneinandergeraten. Schließlich einigte man sich auf die Schaffung einer „Europäischen Verteidigungsgemeinschaft", kurz E V G genannt.47 In ihr sollten Soldaten der sechs westeuropäischen Verbündeten möglichst weitgehend zu einer Einheit zusammengeschlossen und dadurch uns Westdeutschen die Möglichkeit genommen werden, auf eigene Faust Krieg zu fuhren! Mir hatten andere Formen unseres Verteidigungsbeitrages vorgeschwebt. Am liebsten wäre mir eine hochtechnisierte Berufsarmee in Stärke von etwa 100000 Mann gewesen. In jeder Abteilung des Verteidigungsministeriums und jedem Divisionsstab hätten amerikanische Kontrolloffiziere sitzen können; vor allem aber hätte eine solche Armee einem starken zivilen Verteidigungsminister unterstellt werden müssen, um nicht wieder, wie einst die Reichswehr, einen Staat im Staate zu bilden. Aber natürlich wußte ich, daß in unserem damals und bis heute schwachen Staat ein solcher Plan nicht realisierbar war. Die Offiziere hätten sich automatisch zu einer Elite entwickelt, ein Begriff, der zur Zeit auf unsere linksextreme Jugend wie ein rotes Tuch wirkt, obwohl sie selber alle Privilegien einer Elite für sich in Anspruch nimmt. Meine andere Vorstellung bewegte sich in entgegengesetzter Richtung: Könnten wir nicht im Vorbereitungsstadium die Aufstellung möglichst vieler Divisionen planen, um uns dann von Moskau die Hälfte oder zwei Drittel abhandeln zu lassen gegen entsprechende Konzessionen Moskaus in der Frage einer schrittweisen Wiedervereinigung? Wie dem auch sei, da der Pleven-Plan nun einmal vorlag, mußten wir Westdeutschen versuchen, das Beste daraus zu machen. Allerdings habe ich mich von Anfang an dagegen gewehrt, ihn zu einem Credo emporzustilisieren. Wir mußten immer danach trachten, eine Alternative als Trumpf in der Hand zu behalten. Mit dieser Auffassung, soweit ich sie auch nur vorsichtig äußerte, geriet ich in der Folgezeit in einen schwelenden Konflikt mit Bonn. Denn dort wurde immer wieder die These vertreten: „Zur E V G gibt es keine Alternative!" Damit spielten wir den französischen Gegnern der E V G , d.h. insbesondere den Gaullisten und Kommunisten, einen Trumpf zu. Sie brauchten nur die E V G scheitern zu lassen - wegen nicht ausreichender Konzessionen unsererseits - , dann war die deutsche Aufrüstung erneut ad calendas graecas vertagt. Ich muß allerdings sagen, daß meine Kritik an der These „Keine Alternative" erst später einsetzte, als die E V G bereits auf ihre erste Krise zusteuerte. Zunächst einmal aber mußte ich mich der Praxis widmen, denn im Juni erschien Theo Blank48, der unsere Delegation leiten sollte, mit ein paar Begleitern in Paris. Ich werde Theo Blank immer ein gutes Andenken bewahren. Er war Mitglied des Bundestages und gehörte dem Gewerkschaftsflügel der C D U an. Sein Außeres entsprach dem Bild, das ich mir von einem westfälischen Arbeiter machte: untersetzt, grobknochig und von unbändiger Vitalität 154
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und Energie. Er war stolz auf seine Herkunft, von größter Integrität, steuerte bei Verhandlungen die Probleme direkt an, boxte sie durch und ließ sich bei allem Verhandlungsgeschick nie auf zweifelhafte Tricks ein. Ich bin immer gut mit ihm ausgekommen und ich glaube, daß auch er mich durchaus schätzte trotz seines grundsätzlichen Mißtrauens gegen alle Diplomaten. Allerdings mußte man darauf gefaßt sein, daß er hin und wieder einen „Koller" bekam, weil er sich aus irgendeinem unerfindlichen Grund überspielt oder hintergangen fühlte, was niemandem aus seiner Umgebung eingefallen wäre. Es gab aber ein sehr einfaches Mittel, mit einem derartigen Koller fertig zu werden: Man mußte einfach aus dem Zimmer gehen, dann war sein Zorn nach einer Stunde vergessen und verraucht. Zu seiner nächsten Umgebung zählten die Obersten Fett49 und Kielmansegg.50 Mit dem letzteren duzte ich mich seit Jahren, weil er in dem gleichen Internat im Unstruttal gewesen war, und ich als stolzer Student ihn, den Oberprimaner, dort kennengelernt hatte. Aber auch mit Fett, einem fast genial einfallsreichen Offizier, verband mich bald ein enges, kameradschaftliches Verhältnis. Ich habe nie verstanden, warum er nicht in die Bundeswehr übernommen wurde; dort hätte man Offizieren seines Typs dringend bedurft. Lagen fur diese Ablehnung wirklich gewichtige Gründe vor, oder handelte es sich um eine bloße Intrige des Bonner Vipern-Nestes? Als dritter wäre Geheimrat Roediger51 zu nennen; er sollte als Vertreter des Auswärtigen Amtes an den Verhandlungen teilnehmen. Gutaussehend, mit einem durchgeistigten Gesicht war er ein Jünger Wilhelm von Humboldts, allseitig gebildet und von analytischem Intellekt. Doch er paßte nicht in unsere Runde, in der es nicht um Analysen, sondern um Aktivitäten ging, die unter Blanks Leitung oft handfest, ja drastisch waren. Roediger tat mir leid, denn man lächelte über ihn oder überging ihn. Welch eine absurde Personalpolitik, ihm diesen Auftrag zu erteilen! Es vergingen denn auch nur einige Wochen, bis er nach Bonn zurückgerufen wurde; gleichzeitig erhielt ich die Weisung, mich bei Hallstein zu melden. Mir schwante Böses, was auch zutraf: Hallstein eröffnete mir, ich solle Vertreter von Blank werden und gleichzeitig die Interessen des Amts bei den Verhandlungen wahren. Als ich ihm sagte, das sei ja ein „Himmelfahrtskommando", war er schockiert. Andererseits sah ich keine Möglichkeit, diesen Posten abzulehnen. Meine Prognose erwies sich sowohl fur den internen Bereich, also unsere Delegation, wie auch für den außenpolitischen Bereich, also die Verhandlungen, als zutreffend. Um den Zustand der Delegation, als ich im November 1953 in Richtung Washington abreiste, vorwegzunehmen: Sie bestand damals aus fast zweihundert Personen. Es handelte sich um die Vertreter der verschiedensten Ressorts, von denen einige nichts Besseres zu tun wußten, als sich zu streiten, ja zu bekämpfen. Der Schlimmste von allen war der Vertreter des Finanzministeriums. Er war unbeschreiblich fleißig und arbeitete immer bis in die tiefe Nacht hinein; doch war sein Fleiß von jener Art, die den Ausländern an uns so oft mißfällt. Einmal in der Woche hielten Blank und später ich eine Chefbesprechung ab. Die Leiter unserer Vertretung in den verschiedenen Komitees, z.B. Militär, Wirtschaft, Finanzen, Justiz und Verwaltung kamen zu einem ausfuhrlichen Meinungsaustausch zusammen. Es war eine Arbeit des Herkules, diesen Haufen einigermaßen in Ordnung zu halten, vor allem, 155
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als Blank nach der Unterzeichnung des Vertrages nur noch ganz selten und kurz nach Paris kam. Im großen Ganzen benahmen sich die deutschen Vertreter zurückhaltend und taktvoll, doch mußte ich sie immer wieder vor ihrer Emsigkeit warnen. Wenn ich ins Palais de Chaillot kam, wo die Konferenz tagte, und auf dem Flur zwei Männer mit dicken Aktentaschen unter dem Arm eifrig diskutierend traf, wußte ich, daß es sich nur um Deutsche handeln konnte. Kein Vertreter einer anderen Nation hätte das getan. Ich brachte das in den Chefbesprechungen vor und bat die Anwesenden, sie und ihre Mitarbeiter sollten keine Akten auf den Korridoren mit sich schleppen und ihre Diskussionen im Büro fuhren. Einmal wies mich auch der Chef der Belgischen Delegation auf folgendes hin: Wenn beschlossen worden sei, über ein Problem in den nächsten drei Wochen eine detaillierte Studie anzufertigen, vergingen keine drei Tage, bis die Deutschen ihren Partnern eine Studie von fast hundert Seiten auf den Tisch knallten; das möge man nicht. Immer wieder, wenn ich meine Rolle als Blanks Stellvertreter oder de facto Leiter der Delegation überdachte, war ich bedrückt. Während die anderen Ressorts eine Gruppe ihrer Beamten nach Paris abgeordnet hatten, stand ich allein da. Nur einen persönlichen Referenten hatte mir das Amt zugebilligt, und mit einer wirksamen Rückendeckung durch dessen Spitze konnte ich nicht rechnen. Wenn ich trotzdem in den fast zweieinhalb Jahren einigermaßen über die Runden gekommen bin, so habe ich das nur den Soldaten zu danken, unter ihnen vor allem ihrem Chef Speidel. Obwohl er älter und ranghöher war als ich, konnte ich mich bedingungslos auf seine Rückendeckung, seine Freundschaft verlassen. Da er auf die gesellschaftlich-protokollarische Seite des Lebens Wert legte und überaus verbindlich war, hegte ich, wie viele andere vor und nach mir, anfangs den Verdacht, er sei vielleicht ein Opportunist. Lernte man ihn aber näher kennen, so stellte man fest, daß sich hinter dieser glatten Fassade, die sich fur den Umgang mit Ausländern als nützlich erwies, ein nobler und starker Charakter verbarg. Dies bestätigten alle, die während des Krieges zu seiner engeren Umgebung gehörten. Aber auch mit den anderen Soldaten, meist im Rang von Obersten, stand ich mich kameradschaftlich, ja oft freundschaftlich. Sie waren keine wildgewordenen Militaristen oder Hurra-Patrioten, sondern traten in aller Nüchternheit fur diesen merkwürdigen Versuch einer europäischen Einigung ausgerechnet auf militärischem Gebiet ein. Als ich aber wieder einmal in Bonn war und das Bundeskanzleramt besuchte, wo neben Adenauer auch Blankenborn sein Büro hatte, stürzte ein Altersgenosse und Freund Blankenborns auf mich zu und beschwor mich, ich möge doch Blankenborns extremem Militarismus Einhalt gebieten. Ich versprach, mein Bestes zu tun, war ich doch gar nicht überrascht, daß Blankenborn ebenso wie sein Herr und Meister von militärischen „Masern" befallen war. In meinen Augen hatte schon der Militarist Adenauer einen schwerwiegenden Fehler begangen. Als 1950 klar war, daß die Amerikaner auf einer deutschen Aufrüstung, koste es, was es wolle, bestehen würden, hätte er die Initiative dazu den Amerikanern überlassen sollen. Wenn sie diese Forderung vorbrachten, hätte er sagen sollen, er habe sich wohl verhört. Nur fünf Jahre nach dem Krieg sollten wir wieder aufrüsten, das könne doch nicht wahr sein? Er müsse sich das lange und gründlich überlegen. Statt dessen machte er in unnötiger Hast den Amerikanern das Angebot der Aufrüstung. 156
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Statt mit Geduld etwas dafür einzuhandeln, trat er als Bittsteller auf. Als ich Blankenborns Büro betrat, sah ich als erstes hinter ihm eine große Karte der Bundesrepublik an der Wand hängen. Es dauerte nur wenige Minuten, dann erhob sich Blankenborn, um mir zu zeigen, in welche Gegenden unsere zwölf Divisionen disloziert werden sollten. Er liebte es, sich in Positur zu setzen, übrigens ganz spontan und naiv, so daß ich ihn deswegen necken konnte, ohne daß unsere Freundschaft darunter litt. Jetzt hieß seine Rolle: „Der geborene Feldherr". Aus sachlichen Gründen mußte ich ihm dies Vergnügen verderben und fragte ihn trocken, ob er denn nicht wisse, daß es zwei Jahre dauern werde, ehe der erste deutsche Soldat ein Gewehr schultern könne. Er explodierte und rief mit lauter Stimme, das könne doch nicht wahr sein. Ich war zwar selber in militärischen Fragen nicht sehr beschlagen, wies ihn aber unter Berufung auf Aussagen der Soldaten auf die Gesetzesmaschinerie hin, die erst einmal in Gang gesetzt werden, und auf Kasernen, die erst gebaut werden müßten. Nach etwa einer Viertelstunde hängte er, schlau und fix wie er war, die fiktive Feldherrnrolle vorerst einmal in einen fiktiven Schrank. Aber eine Garantie, daß er sie nicht nächste Woche wieder herausholen würde, konnte ich nicht übernehmen. Auf den vorhergehenden Seiten habe ich den Versuch gemacht, die vielfältigen und einander oft widersprechenden Eindrücke auf der deutschen Seite der Bühne, auf die ich von Hallstein hinaufkatapultiert worden war, einigermaßen geordnet zu schildern. Waren meine Bedenken schon an der deutschen Front groß, so schreckte ich bei dem Gedanken, auf einer internationalen Konferenz eine Rolle spielen zu müssen, vollends zurück. Denn da ich nie an den Tagungen des Völkerbundes teilgenommen hatte, fehlte mir jede Erfahrung, wie es auf einer Konferenz zuging. Zudem würde ich einer Gruppe von Diplomaten gegenübersitzen, die sich spätestens seit 1940 immer wieder am Konferenztisch getroffen hatten. Sie waren einerseits ausgekochte Taktiker, andererseits Kameraden, die sich oft beim Vornamen nannten. Obendrein beherrschten sie samt und sonders die beiden wichtigsten Sprachen, Französisch und Englisch, von denen die französische für die Mehrzahl sogar die Muttersprache war. Meine französischen oder englischen Sprachkenntnisse aber waren mangels Gebrauch eingerostet. Wie sollte ich über jedes dieser Hindernisse hinwegkommen und obendrein den völkerrechtlichen Text, in den das Ergebnis eines Ubereinkommens gekleidet war, verstehen und kritisch bewerten? Ich mußte mich da voll und ganz auf die Juristen in unserer Delegation verlassen. Die ersten Wochen der Konferenz verliefen allerdings weit über Erwarten positiv. Blank erwies sich als verhandlungstaktische Naturbegabung. Er steuerte direkt auf sein erstes Ziel zu: die absolute Gleichberechtigung der Bundesrepublik mit den anderen beteiligten Staaten. Er konnte polternd sein, aber nie verletzend, er ergriff oft die Offensive, ohne aggressiv zu wirken, er war anständig und unbedingt echt. Nach wenigen Tagen hatten die meisten Delegierten Respekt vor ihm. In den ersten Wochen saßen die Holländer nur als Beobachter am Konferenztisch, dann aber nahmen sie an der Konferenz teil. Ging es bei den Verhandlungen um einen besonders wichtigen Punkt, so entsandten auch die Amerikaner und Engländer einen oder mehrere Beobachter. 157
„Gegen Hitler und für ein anderes Deutschland"
War Blank abwesend, was anfangs häufig geschah und nach der Unterzeichnung die Regel war, oder mußte ich aus irgendeinem anderen Grund mit den Ausländern verhandeln, so legte ich mir äußerste Zurückhaltung und Vorsicht auf. Ich bewegte mich wie auf einer dünnen Eisschicht. Alphand, als Vertreter des Gastgeberlandes Präsident der Konferenz, versuchte, mir einen Fallstrick nach dem anderen zu legen. Eines Tages sah er auf die Uhr, stellte fest, daß wir noch fünfundzwanzig Minuten bis zur Mittagspause hätten, und schlug vor, noch einmal über den, sagen wir, Artikel XI, Paragraph zwei, dritter Absatz zu verhandeln. Das war eine Perfidie. Denn er wollte damit eines der heikelsten Probleme des ganzen Vertrages in wenigen Minuten über die Hürden jagen. Er blickte mich an und frage: „Welches ist die Meinung des Delegierten der Bundesrepublik Deutschland zu diesem Problem ?" Ich erwiderte lakonisch: „Ich habe keine Instruktionen aus Bonn zu diesem Thema". Er lief rot an, worauf ich hinzufugte, um nicht unnötig Zeit zu verlieren, könnten wir uns doch erst einmal die Meinung der Italiener, Belgier und Holländer zu diesem Punkt anhören. Der italienische Chefdelegierte, im Gegensatz zu manchem seiner Mitarbeiter eine Niete, brachte mit Pathos ein paar nichtssagende Phrasen vor. Dagegen zerrissen der Belgier und der Holländer, wie ich erwartet hatte, nicht nur das taktische Vorgehen Alphands, sondern auch den französischen Vorschlag zu besagtem Artikel in der Luft. Ich konnte beruhigt zum Mittagessen gehen. Nach der Pause meldete ich mich zu Wort, erklärte, ich hätte inzwischen Weisungen erhalten (was nicht stimmte), pickte mir aus den Reden des Belgiers und des Holländers diejenigen Argumente heraus, die mir zusagten, und gab dergestalt die Stellungnahme des deutschen Chefdelegierten ab. Ich konnte bald feststellen, daß der Belgier und der Holländer mir stets Flankenschutz boten und mich erforderlichenfalls gut berieten. Der Holländer, stellvertretender Generalsekretär der Nato, versorgte mich obendrein mit Informationen aus diesem Bereich, zu dem wir ja keinen Zutritt hatten, Informationen, die zur Beurteilung der Gesamtlage von Wichtigkeit waren. Mit dem Belgier de Staerke52 und dem Holländer van Vredenburch53 verbindet mich seit jener Zeit vor zwanzig Jahren eine enge Freundschaft. Ohne ihre Hilfe hätte ich meine Aufgabe kaum lösen können. Sie sangen obendrein, unerwartet für mich, da ich mich nur unsicher fühlte, überall mein Lob. Dieses drang auch nach Bonn und verstärkte meine Stellung. Im Frühjahr 1953 meinte ich, bei den Franzosen einen Klimawechsel zu spüren, und auch Speidel hatte Bedenken. Den Franzosen fiel der phönixhafte Aufstieg der Bundesrepublik auf die Nerven. Sie hatten in den Vertrag unzählige Fesseln und Kontrollen eingebaut und mußten jetzt furchten, daß diese sich auch gegen sie selber richten könnten. Zwar hatten sie sich bereits zu Anfang der Konferenz trotz der uns zugesagten Gleichberechtigung einige Privilegien gesichert. Während wir zum Beispiel alle Truppen der E V G unterstellen sollten, wogegen nichts einzuwenden war, verlangten sie die Freistellung einer Division außerhalb dieses Rahmens, um ihre überseeischen Interessen, d.h. die Verteidigung ihres Kolonialreiches wahrnehmen zu können. Einen besonders raffinierten Trick hatten sich die Franzosen für die Zeit nach der Unterzeichnung des Vertrages am [27. Mai 1952] ausgedacht. Sie verlangten und erreichten die Einsetzung eines besonderen Interimsausschusses, der durch 158
Paris
Klärung einiger zusätzlicher Fragen die Ratifizierung durch die französische Kammer sicherstellen sollte. Blank kam höchstens alle vierzehn Tage auf achtundvierzig Stunden nach Paris, so daß ich praktisch der deutsche Vertreter in diesem Ausschuß war, während Blank unter Assistenz von Heusinger 54 begann, das Verteidigungsministerium aufzubauen. Bislang hatte es nur eine „Dienststelle Blank" gegeben. In jener Spätphase der EVG-Verhandlungen kamen scharenweise Politiker aus Bonn angereist, um mich zu fragen, was man denn noch tun könne, um die Franzosen zu begütigen, so daß die Kammer den Vertrag ratifiziere. Meine Antwort war stets die gleiche: Der Vertrag sei außerordentlich günstig für die Franzosen; ich sähe nicht, was fur weitere Zugeständnisse wir ihnen machen könnten, es sei denn unbedeutende Kleinigkeiten. Diese Antwort befriedigte meine Gesprächspartner natürlich nicht. Im übrigen gab es noch einen Umstand, der mich überzeugte, daß der EVG-Plan scheitern werde: Der Vertrag war so kompliziert geworden, daß kaum jemand sich in ihm in seiner Gesamtheit zurechtfand, ich jedenfalls nicht. Er war eine Kompilation für Experten; das ist aber kein Fundament für ein Unterfangen von dieser Bedeutung. Natürlich konnte ich das ganze Ausmaß meiner pessimistischen Beurteilung der Lage gegenüber Bonn nicht zu erkennen geben, sondern beschränkte mich auf eine skeptische Haltung. Denn angesichts der dort herrschenden Nervosität hätte ich nichts anderes erreicht, als daß man mich, den Überbringer solch schlechter Nachrichten, für alles verantwortlich gemacht hätte. Nur einem einzigen Politiker sagte ich ganz offen meine Meinung: Franz Josef Strauß. 55 Er war damals viel beweglicher, gemäßigter und umgänglicher als heute. Angesichts seiner starken Stellung innerhalb der Unionsparteien und als Regierungsmitglied fühlte ich mich anläßlich eines seiner Besuche in Paris verpflichtet, wenigstens ihn von einem Festhalten an der Formel „Zur E V G gibt es keine Alternativen" abzubringen und zum Nachdenken über eine Art von Auffangstellung zu veranlassen. Zuerst fiel er, der mit vollen Segeln angereist war, aus allen Wolken. Nach einem intensiven, aber kurzen Gespräch hatte ich ihn überzeugt. Er dankte mir fast überschwenglich - auch noch viele Jahre später - und ich beschwor ihn, mich nicht zu verraten, was er zusagte und auch hielt. Obwohl meine Lage sich in beruflicher Hinsicht nicht verbesserte - die Verhandlungen über die E V G blieben, vor allem wegen der französischen Partner, ungemein schwierig - und obwohl ich von Bonn kaum Rückendeckung, geschweige denn Wohlwollen zu erwarten hatte, überkam mich in den letzten anderthalb Jahren in Paris die lang verschüttete Lebenslust. Ich brauchte mir, wie in den Schreckensjahren, keine Angst um Kopf und Kragen zu machen. In Westdeutschland erzeugte die Verbindung von Marshallplan und typisch deutscher Arbeitswollust jenen Aufschwung, der später als „Wirtschaftswunder" zur gängigen Formel wurde. Auch die Familie und die Freunde erfreuten sich im Vergleich zum vergangenen Jahrzehnt eines gewissen wirtschaftlichen Wohlbehagens. Da obendrein mein Gehalt aufgebessert worden war, beschloß ich, mein Leben wieder zu genießen. Statt mir eine angemessene Wohnung zu nehmen, verwandte ich das Geld für abendliches Ausgehen. Gesellschaftliche Verpflichtungen gab es nicht. Denn die Franzosen, ebenso wie die 159
.Gegen Hitler und für ein anderes Deutschland"
Italiener, laden auch in normalen Zeiten Bekannte so gut wie nie in ihre Wohnungen ein, sondern allenfalls mittags in ein Restaurant. Und abgesehen davon, daß auch die Diplomaten bei der Nato wenig gesellschaftlichen Verkehr pflegten, gehörten wir diesem Kreis ja noch nicht an. Ich konnte also über meinen Abend meistens frei verfugen. Mehrmals im Monat lud ich die „jungen Leute" von der EVG-Delegation und dem Generalkonsulat, soweit sie den politischen Abteilungen angehörten, nebst ihren Frauen zum Abendessen ein, was den Vorteil hatte, daß ich auch mit diesen in engeren Kontakt kam. Es wurde zu einem Sport, immer neue Restaurants, meist auf der „rive gauche", zu entdecken, wo man gut und nicht zu teuer essen konnte. In besonderer Erinnerung habe ich den „Coq d'Or", gegenüber der lie de la Cite. Wir saßen an einem langen Tisch und hatten durch die Fenster einen Blick auf die nächtlich angestrahlte Notre Dame. Von ganz anderer Art war ein in einer engen Seitenstraße des Boulevard St. Germain gelegenes kleines Restaurant mit nur wenigen Tischen. Man konnte deshalb dort eigentlich nur zu zweit essen. Ich erinnere mich an einen Abend mit Kielmansegg, der klug und überlegen genug war, mich Laien mit den strategischen Problemen, über die wir auf der EVG-Konferenz verhandelten, in allgemeinverständlicher Form vertraut zu machen. Öffnete man die Tür des Lokals, so sah man zuerst ein kugelförmiges Aquarium, in dem zwei oder drei Goldfische ihr Dasein fristeten. Davor lag ein großer schwarz-weiß gefleckter Kater mit wollüstig-gierigen Blicken und schlug ab und zu mit einem überdimensionalen Schweif auf den Bartisch, ab und zu aber auch auf den hinter ihm liegenden Butterklumpen. Daß gute Küche mit Hygiene zusammenhängt, halte ich für einen Wahn der Amerikaner. Jedenfalls aß man in dem kleinen Lokal für wenig Geld vorzüglich. Im übrigen brauchte man nur in die berühmten Cafes „Les Deux Magots" oder „Flore" zu gehen, soweit man in der guten Jahreszeit auf den Straßen sitzen konnte. Es genügte schon, die flanierende Menge zu beobachten, die langsam an den Tischen vorbeiging. Mein Entzücken waren die blumenhaft-zarten Indochinesinnen, die mit silber-weißen Brokatkleidern, deren enge Röcke einen Schlitz bis fast zur Hüfte hatten, aus ihren Luxuslimousinen stiegen und zu vorzüglichen Restaurants nebenan trippelten. Man brauchte nicht aktiv zu werden, um in jenen berühmten Straßencafes etwas zu erleben. Ich saß eines Abends mit einem Bekannten an einem kleinen Tisch, und wir unterhielten uns auf Deutsch. Da kam ein Kellner, der mich wohl schon als alten Kunden erkannte, zu uns und sagte in jenem klassischen Französisch, das in Paris auch der kleine Mann beherrscht, mit einem fröhlich-spitzbübischen Gesicht: „Na Euer Adenauer hat uns ja wieder einmal schön übers Ohr gehauen!" Wir lachten beide lauthals, und ich dachte mir: „Wenn doch dieser französische Kleinbürger mit seinem Humor Präsident unserer EVG-Konferenz wäre! Er könnte die gleichen Forderungen wie der arrogante Herve Alphand stellen, nur würde es mir ihm gegenüber ungleich schwerer fallen, diese Forderungen vom Tisch zu wischen." Eine weitere Bekanntschaft war ein Engländer, etwas jünger als ich. Man sah ihm sofort an, daß er zur Elite der englischen Public Schools gehörte, die durch Generationen den Nachwuchs des Britischen Empire herangezogen hatten, inzwischen aber anscheinend der weltweiten Tendenz zur Nivellierung zum Opfer gefallen sind. Ich sah ihn mir aus den 160
Paris
Augenwinkeln an: Sein Anzug wie sein Hemd waren vom allerbesten Schnitt, ohne auch nur im geringsten aufzufallen. Nur sein Schlips hing schief. Ich grinste vor mich hin, denn dieser schiefe Schlips war der Beweis eines hochgezüchteten Snobismus, der zum Gipfel der Eleganz gehört und den Eindruck einer „immaculate carelessness", einer blütenweißen Schludrigkeit, erwecken sollte. Irgendwie kamen wir ins Gespräch, und ich bewunderte wieder einmal das Raffinement englischer Umgangsformen. Sie erscheinen dem flüchtigen Beobachter als „ganz natürlich", ermöglichen aber jedem der beiden Gesprächspartner auch nach jahrelanger Bekanntschaft, sich ohne Kritik oder gar Feindschaft davonzuschleichen. Mein jüngerer „Freund" kam immer spät zu einem der Straßencafes und goß dann eilends Mengen von Whisky seine Kehle hinunter. Anschließend bot er, übrigens Mitglied der Britischen Botschaft, mir an, mich nach Hause zu fahren. Als er im Hundert-Kilometer-Tempo die Straßen hinunter- oder hinauffuhr, bat ich ihn, doch sein Tempo etwas zu mäßigen. Er erklärte seelenruhig, ich brauche mir keine Sorgen zu machen. Im Krieg habe er ein Torpedoboot kommandiert, ein Argument, das mich nicht gerade beruhigte. Einige Wochen später verlor ich ihn aus den Augen. Ein Treffpunkt besonderer Art war eine Bar an der Seitenfront der Kirche Saint Germain des Pres, ein kleines Lokal, genannt „L'Albaye", in dem zwei Amerikaner, ein Weißer und ein Neger, zur Gitarre sangen: Amerikanische Lieder oder Schlager jüngeren Datums, vor allem aber ältere englische Lieder und insbesondere, mit gutem Akzent, die klassischen, jahrhundertealten französischen Chansons. Die Besucher dieser Bar bildeten eine Art von Klub und man traf dort häufig Freunde, die auf nur 24 Stunden nach Paris gekommen waren und keine Zeit gehabt hatten, sich zu melden. Eines Abends verließ ich dies Albaye ein wenig angeheitert. Als mich die milde Luft einer Pariser Sommernacht umfing, war es mir, als seien die letzten 20 Jahre nur ein Alptraum gewesen, aus dem ich erwachte. Zum Himmel aufschauend fiel mir der „Kaufmann von Venedig" ein, und ich flüsterte vor mich hin: „Der Mond scheint hell in solcher Nacht wie dieser..." An einem der letzten Juni- oder ersten Julitage 1953 flog eine deutsche Delegation unter Leitung von Theo Blank nach Washington, um zum ersten Mal mit den Amerikanern in ihrer eigenen Hauptstadt militärische Fragen zu erörtern. Während Blank mit Heusinger, dem Bonner Partner des Pariser Speidel, sowie einigen Militärexperten und Ahlers56 als Pressereferenten von Köln aus nach New York flog, bestieg ich in Paris eine Maschine, um in New York zu unserer Delegation zu stoßen, und zwar als Vertreter des Auswärtigen Amts, was bei Blank erst einmal einen Koller hervorrief; ich sei als Spitzel ihm und seiner Delegation aufgezwungen worden. Ich nahm davon keine Kenntnis. Mein erster Flug über den Adantik hatte noch eine Prise von Abenteuer in sich. Ich habe bis heute nicht verstanden, welcher Vorteil darin liegt, daß man New York von Europa aus in sechs, statt früher in zwölf Stunden erreicht. „Natürlich, um Zeit zu sparen", heißt dann die Begründung. Dabei haben seit Menschengedenken Bekannte oder gar Freunde niemals so wenig Zeit gehabt, einander geduldig zuzuhören wie heute. Je schneller wir um den Erdenrund rasen, desto mehr verlieren 161
„Gegen Hitler und für ein anderes Deutschland"
wir die Möglichkeit, mit unseren Mitmenschen persönlichem Kontakt zu pflegen. Ich flog also gegen Abend von Paris nach Shannon, dem großen Flughafen an der Westküste Irlands. Dabei sah ich schon bei Dämmerung zu unserer Rechten Limmerick liegen, das offenbar der Ausgangspunkt für die unzähligen „Limmericks" war, deren witzige und oft handfest unanständigen fiiinfzeiligen Verse seit Generationen das Herz vieler Iren und ungezählter Angelsachsen amüsieren. In Shannon landeten wir bereits im nächtlichen Dunkel. Die Gebäude des Flughafens erinnerten an eine weitläufige Baracke. Während ich noch feststellte, daß wir uns offenbar in einem Land von höchst aggressivem Katholizismus befanden, weil in den Korridoren mit nur fünfzig Metern Abstand Plakate verkündeten, wann, wo und wie oft am Tage man die Messe besuchen könne (und müsse), stürzte an mir eine Kohorte von älteren Amerikanerinnen vorbei. In ihren Nerzpelzen und mit den blaugefärbten Ringellöckchen steuerten sie den zollfreien Laden an, offenbar in dem Glauben, sie könnten mit den neun Dollar, die sie an drei Flaschen „Scotch" oder „Bourbon" sparten, ihre dreiwöchige Europatour finanzieren. Uns, den anderen Passagieren, wurde auf Kosten der Fluggesellschaft ein gutes Abendessen serviert. Inzwischen hatte unsere Maschine aufgetankt und wir starteten zum Flug über den Adantik, fur mich trotz aller gegenteiligen Statistiken ein ungemütliches Unternehmen. In den ersten Morgenstunden Ortszeit landeten wir, um erneut aufzutanken, in Gander, einer amerikanischen Basis in Neufundland, also auf kanadischem Boden. In der armseligen Baracke räkelten sich ein paar „GIs" verschlafen auf harten Stühlen, andere spielten mißvergnügt Karten - es war trostlos. Als wir aber weiterflogen, erlebten wir einen grandiosen Sonnenaufgang und unter uns in der blauen See entdeckten wir weiße Punkte: kleine Eisberge. Wenige Stunden später landeten wir in New York. Ich war etwas durchgerüttelt, aber erleichtert, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. New York, wo wir nur kurz blieben, faszinierte mich, aber es erschreckte mich zugleich aufs Tiefste, ein Urteil, das sich auch in den folgenden Jahren nicht ändern sollte. Die Faszination beruhte nicht nur auf den herrlichen Museen oder der Fifth Avenue, die die durch Reisebüros oder Autofilialen entstellten Champs-Elysees oder die römische Via Veneto an Schönheit bei weitem übertraf. Auch eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Berlin der Zwanzigerjahre lag in der Luft. Aber der Schrecken überwog. Diese Stadt war ein Moloch, der alles fraß oder zertrampelte, um schließlich eines Tages an sich selber zugrunde zu gehen. Schon Bert Brecht sagt über „die langen Häuser des Eilandes Manhatten: „Von diesen Städten wird bleiben, der durch sie hindurchging, der Wind." 5 7 Und einige Jahre später hieß es im Düsseldorfer „Kom(m)ödchen" 58 : „Wir leben alle in Babel und bauen am Großen Turm." Am nächsten Tag flogen wir weiter nach Washington. Mir als Ostdeutschem gefiel die Weitläufigkeit der Stadt, die bauliche und gärtnerische Schönheit der „suburbs". Hier ließ es sich, vom teuflischen Klima abgesehen, gut leben. Andererseits hatte ich das Gefühl, Washington komme gerade aus der chemischen Reinigung und sei, in Cellophan verpackt, garantiert keimfrei. Das läßt sich vielleicht dadurch erklären, daß diese Stadt ohne Atmosphäre künstlich aus dem Boden gestampft worden war, und daß das Element der herrschenden Schicht aus ortsfremden Politikern journalisten, Beamten und deren Troß bestand. Inzwischen soll die 162
Paris
Atmosphäre sich verändert haben und zwar auf Grund der Rassenkrawalle - also keineswegs zum Besseren. Die Gespräche, die unsere Delegation im Pentagon mit der amerikanischen Generalität führte, verliefen reibungslos, da beide Seiten von den gleichen Zielen ausgingen: Einer festgefugten und gut funktionierenden EVG und als Rückendeckung fiir sie eine große Zahl von Nato-Divisionen. Aber unser Besuch sollte nicht ohne Überraschung vorübergehen. Denn zur gleichen Zeit hielten die Amerikaner, Engländer und Franzosen in Washington eine „Konferenz" ab. Diese Bezeichnung war falsch gewählt, heutzutage würde man präziser von einer „routinemäßigen Konsultation" sprechen. Aber in Bonn waren „alle Puppen am Tanzen", weil der „Alte Herr" es wieder einmal in seinem abgrundtiefen Mißtrauen gegenüber jedermann für möglich hielt, die drei Westmächte könnten uns fur irgendwelche Gegenleistungen Moskaus an den Osten verkaufen. In aller Hast entsandte er Blankenhorn nach Washington, der wie ein Fallschirmjäger auf dem Verhandlungstisch der drei Westmächte landete. Es scheint eine der vielbeschworenen Gemeinsamkeiten der Parteien in der Bundesrepublik zu sein, daß die Opposition der Regierung ungebührliche Hast vorwirft. Damals die SPD der regierenden CDU gegenüber dem Westen, heute die CDU der regierenden SPD/FDP-Koalition gegenüber dem Osten. Beide Vorwürfe sind in meinen Augen nicht unberechtigt. Es scheint dies eine grundsätzliche Schwäche in unserem Verhältnis zum Ausland zu sein. Wir hätten damals schon in aller Bescheidenheit einen konstruktiven Beitrag zur Außenpolitik der drei Westmächte gegenüber dem Osten leisten können. Statt dessen legten wir vorsichtshalber schon im voraus ein Veto gegen auch die leiseste Initiative des Westens gegenüber Moskau ein. Auf der anderen Seite ging uns die Integration des Westens mit weitgehender Supranationalität, d.h. dem Verzicht auf Souveränität, nicht rasch genug voran; fur uns ein Leichtes, da wir 1953 ohnehin über keinerlei Souveränität verfugten. Und obendrein engagierte Adenauer für die Bundesrepublik ständig einen Ausländer als „Außenminister", erst McCloy und Monnet 59 und später Bidault.60 Daß wir den beiden Erstgenannten Dank schulden, steht ebenso außer Frage wie, daß Bidault doppelzüngig war und uns übertölpeln wollte. Sich lamentierend und hastig vorzudrängein, keinerlei eigene Initiative zu entwickeln und gleichzeitig überall Verrat zu wittern, erschien mir als unserer unwürdig. Aber zurück zu Blankenhorn: er tummelte sich nicht nur charmant und munter auf dem internationalen Parkett, sondern hatte sich auch als treuer Freund entschlossen, das Scheinwerferlicht der Publicity auf meine Person zu lenken. Mit Stentorstimme erklärte er jedem, der es hören oder nicht hören wollte, in wenigen Wochen würde ich als Vertreter des Behördenchefs Krekeler mit dem Titel eines Gesandten nach Washington versetzt werden. Mir war dies in doppelter Hinsicht ungemütlich. Diplomaten in führender Stelle sollten immer dabei sein: Bei dem Entwerfen neuer Richtlinien der Außenpolitik, bei der Vorbereitung einer Konferenz wie bei der Konferenz selbst und erst recht bei Staatsbesuchen. Sie sollten ihre Auffassung energisch, ja „forsch" vertreten. Gleichzeitig aber sollten sie nach allen Seiten hin, vor allem der Presse gegenüber, im Halbdunkel bleiben. Mir behagte diese Publicity zugunsten meiner Person nicht, ich betrachtete sie überdies als voreilig. Denn seit 1938, seit Ribbentrop unser sogenannter RAM (Reichsaußenmini163
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ster) wurde, und ebenso unter dem Adenauer-Regime, hatte es für mich bei jeder Versetzung oder Beförderung Arger gegeben. Erst wenn ich den Zug, das Schiff oder das Flugzeug bestieg, war ich sicher, den mir zugedachten Posten auch wirklich antreten zu können. Doch ehe diese Entwicklung einige Wochen später akut wurde, galt es, so schnell wie möglich nach Paris zurückzufliegen; mein dortiger Schreibtischplatz durfte nicht allzu lange verwaist bleiben, sonst würden Adenauer und Hallstein rasch irgendwelche „Konzeptionen" entwickeln, die einer Kapitulation gegenüber zusätzlichen Forderungen Frankreichs gleichkamen. Wenige Tage später stellten einige führende Mitglieder unserer Delegation und ich fest, daß wir mit Adenauer und Hallstein Schulter an Schulter kämpften, allerdings aus diametral entgegengesetzter Zielrichtung. Nach Unterzeichnung des Vertrages hatten die Franzosen, wie schon berichtet, trotz dieses ungewöhnlichen Ansinnens die Errichtung eines „Interimsausschusses" beantragt und zugestanden erhalten. Der Ausschuß sollte die Zwischenzeit bis zur Ratifizierung des EVGVertrages durch das französische Parlament überbrücken. Er sollte - so die französische Version - einige „kosmetische Korrekturen" am Vertragstext vornehmen, um ihn den Abgeordneten gefälliger erscheinen zu lassen. Im Sommer 1953 ging die französische Delegation auf Weisung ihrer Regierung einen entscheidenden Schritt weiter. Sie forderte die Unterzeichnung von „Zusatzprotokollen" - wie viele es waren, weiß ich nicht, da ich im November 1953 meinen Posten in Washington antrat - die für die Ratifizierung durch die Assemblee Nationale unabdingbar seien. Diese, um es milde auszudrücken, merkwürdige Methode sollte uns die Schuld am Scheitern der EVG zuschieben. Wir brauchten nur eines dieser Zusatzprotokolle abzulehnen, dann würden die Franzosen das Projekt in die Luft fliegen lassen und uns die Schuld dafür in die Schuhe schieben. Zu Ehren der französischen Generalität und auch weit über diese Gruppe hinaus sei gesagt, daß gerade die wichtigsten unter ihren Vertretern sich dieser Taktik schämten und dies auch durchblicken ließen. Den Plan, uns den Schwarzen Peter des Scheiterns der EVG zuzuschieben, wollte ich den Franzosen, soweit es an mir lag, gründlich versalzen. Ich machte, früher in erster Linie auf Wahrung deutscher „Belange" bedacht, eine taktische Wendung um hundertachtzig Grad. Da eine Ratifizierung des EVG-Vertrages durch das französische Parlament so gut wie ausgeschlossen war, konnten wir sehr weitgehende Konzessionen machen, ohne Gefahr zu laufen, sie ratifizieren zu müssen. Die wichtigsten Mitglieder unserer Delegation stimmten dieser Taktik zu. Jeder, der die parlamentarische Lage in Frankreich im Sommer 1953 nüchtern analysierte, mußte erkennen, daß eine Ratifizierung durch die Assemblee Nationale bestenfalls eine minimale, aller Wahrscheinlichkeit nach aber keinerlei Chance hatte. Zwar erzählte Bidault, wie ein orientalischer Märchenprinz, in Bonn wieder und wieder, die Ratifizierung sei gesichert. Nur müßten wir eben, wie gesagt, an dem einen oder anderen Punkt kleine Korrekturen anbringen, was eine Unverfrorenheit war. Es war eine Ironie des Schicksals, daß Adenauer, Hallstein und ich, wenn auch aus diametral entgegengesetzten Motiven, plötzlich gemeinsam für die Unterzeichnung der Protokolle eintraten. Blank schien, obwohl er das nicht ausdrücklich 164
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sagte, meinem Motiv zuzustimmen. Wir sahen wenig von ihm, weil er sich in erster Linie dem Aufbau des Verteidigungsministeriums widmete. Dann aber trat ein, was ich befurchtet hatte: Blankenborns freundschaftliche Geste, mich in Washington in jeder Himmelsrichtung als den zukünftigen Gesandten, also als Vertreter von Krekeler, anzupreisen, machte rasch die Runde unter den westlichen Diplomaten. In diesem zahlenmäßig beschränkten Kreis spielten - und spielen auch heute - Personalveränderungen die Rolle eines Barometers, aus dem man Rückschlüsse auf die zukünftige Außenpolitik des Entsender-Staates glaubte ziehen zu können. Während die westlichen Diplomaten noch über meine Rolle in Washington diskutierten, hatte Adenauer plötzlich sein Veto, seinen „Bonnstrahl" gegen meine Versetzung geschleudert. Daß ihm meine Versetzung auf unseren, dank meines offensichtlich guten Verhältnisses zu Krekeler, wichtigsten diplomatischen Posten mißfiel, konnte ich gerade noch verstehen. Die perfiden Angriffe gegen meine Person und politischen Uberzeugungen versetzten mich in Wut. Auch dies kam binnen kurzem meinen ausländischen Kollegen in Paris zu Ohren und der britische Nato-Botschafter Steel61 äußerte gegenüber einem gemeinsamen Bekannten: „In Bonn haben sie dem Kessel einen schmutzigen Streich gespielt." Ich war wütend, nicht nur aus persönlichen Gründen, sondern weil meine Stellung gegenüber den ausländischen Verhandlungspartnern in der EVG-Konferenz ins Zwielicht geraten konnte, aber glücklicherweise nicht geriet. Wie aber sollte ich mich verhalten? Wenn ich jetzt aus dem Dienst ausschied, mußte dies als Schuldbekenntnis ausgelegt werden. Ich ergriff also die Initiative, fuhr nach Bonn und schlug bei Blankenhorn und Hallstein Krach, was insofern zu einem gewissen Erfolg führte, als man mich in Paris in Frieden ließ. Der Gedanke, den Dienst zu quittieren, ist mir damals und in den folgenden sechs Jahren oft gekommen. Zwar war ich, um es pathetisch auszudrücken, bereit, unsere rechtstaatliche Demokratie bis zum letzten Atemzug zu verteidigen, auch würde ich mich unserem sogenannten Staat gegenüber als Beamter absolut loyal verhalten. Aber das regierende CDU/CSU-Establishment schien mir auf nur zwei Säulen zu ruhen: einem devoten Verhalten gegenüber Adenauer und auf der dem Regime des französischen „Bürgerkönigs" Louis-Philippe (1830-1848) entlehnten Parole „Bereichert Euch". 62 Jede geschichtliche Tradition überließ Bonn dem Pankow-Regime. Statt auf die königstreuen, zugleich aber revolutionären Generäle von 1807-1815 zurückzugreifen, stellten wir Scharnhorst, Gneisenau,Yorckund andere dem Pankow-Regime zur Verfugung und als Ersatz für diese weggeschenkte Tradition erfand der Traumtänzer Baudissin63 die Parole von der „Inneren Führung", über deren Bedeutung sich die Theoretiker wie die Pragmatiker seit zwanzig Jahren streiten. Statt also den Abschied zu nehmen, widmete ich mich meiner Aufgabe in Paris mit eiserner Stirn, als sei nichts vorgefallen. Am 1 1 . November, in Frankreich in Erinnerung an den Waffenstillstand von 1918 zum Feiertag erklärt, ging ich als einziger in unser nur von einer „Stallwache" betreutes Bürogebäude. Plötzlich läutete das Telefon, und es meldete sich aus Bonn Pauls64, der damals persönlicher Referent von Hallstein war. Er teilte mir mit, ich solle am folgenden Tag, also am 12., in Bonn sein, um am nächsten Tag mit meinem neuen 165
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Chef abzufliegen. Als ich zurückfragte, wer es denn sei, erwiderte er mir, es handle sich um die Verwirklichung des lang erörterten Plans. Obwohl dies die Erfüllung meiner Wünsche bedeutete, konnte ich als Nachkomme einer seit Jahrhunderten mit Pferden und Vieh handelnden Familie nicht umhin, meine „Hand", wie es beim Pokern heißt, bis zum Letzten auszureizen, und erklärte Pauls folgendes: Ich sei ungemein dankbar für den mir angebotenen Posten, könne ihn jedoch nur antreten, wenn man mir erlaube, nach einem ein- oder zweiwöchigen Aufenthalt in Washington nach Paris zurückzukehren, um mich ordnungsgemäß von meinen ausländischen Kollegen, darunter vielen, denen ich zur Dankbarkeit verpflichtet sei, offiziell zu verabschieden. Wenn ich das nicht täte, würde es aussehen, als hätte ich silberne Löffel gestohlen. Pauls, ob dazu ermächtigt oder nicht, sagte mir dies zu. In Bonn fand ich rasch heraus, warum man den Kurs des Verhaltens mir gegenüber um hundertachtzig Grad geändert hatte. Der eben als Präsident gewählte Eisenhower 65 wollte mit Macmillan 66 ein Gespräch über die weltpolitische Lage führen. Als Staatsoberhaupt konnte er nicht nach London kommen, denn dann hätte sein Besuch der Königin gegolten. So kam er aus Courtoisie dem britischen Premier 67 ein Stück Weges entgegen und traf ihn auf den Bermuda-Inseln, also auf britischem Boden. Dies alles sah ich auf Grund der besonderen Beziehungen der beiden angelsächsischen Mächte als eine Sache der Routine an und empfand es keineswegs als ungewöhnlich oder gar beunruhigend. Aber diese „special relation" war den Franzosen ein Dorn im Auge; sie fühlten sich zurückgesetzt oder übergangen. Wahrscheinlich hatte Bidault es sich nicht nehmen lassen, das stets wache Mißtrauen des Kanzlers, vor allem wenn die Engländer mit im Spiel waren, gegen dieses Treffen auf den Bermudas anzuheizen. Und so entschloß sich Adenauer, mich blitzschnell nach Washington zu entsenden, um den Dingen auf den Grund zu gehen. Ich sollte also wieder einmal, wie zum ersten Mal im Jahre 1935 in Memel und zuletzt im Dezember 1958, wegen des Berlin-Ultimatums von Chruschtschow, als freiwillige Feuerwehr eingesetzt werden. Ich habe diese Aufgabe immer gern, wenn auch nicht ohne leisen Spott über meine Auftraggeber, übernommen. Denn sie erforderte wenig Büroarbeit, sondern nur das Ausstrahlen von Gelassenheit, die Mahnung zur Geduld und zu vorsichtigem Optimismus. Wenn Adenauer mich mit dieser Feuerwehr-Funktion betraute, sollte mir das nur recht sein, vor allem, weil damit meine Ernennung zum Gesandten, also zum zweiten Mann an unserer Vertretung in Washington verbunden war. Auf dem gemeinsamen Flug nach Washington diskutierten Krekeler und ich über das Treffen auf den Bermudas und alle seine Eventualitäten. Das Gleiche tat ich in Washington mit meinem treuen Freund Federer 68 und anderen Mitgliedern der Behörde. Ich befragte einige einflußreiche Amerikaner, denen ich von gemeinsamen Freunden in Paris empfohlen worden war, und vertiefte mich in die amerikanische Presse. Nach drei Tagen verfaßte ich ein langes und schönes Telegramm, womit ich meinen Fleiß bewies. Vom Lokalkolorit abgesehen, also dem diskreten Hinweis auf verschiedene vertrauliche Quellen, hätte ich die Substanz des Telegramms genauso gut von meinem Schreibtisch in Paris aus absenden können. Sie lautete: „Außer dem Bekenntnis zur beiderseitigen engen Freundschaft sind keinerlei 166
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wichtigen Entscheidungen zu erwarten." Dem Schluß des Telegramms, das Krekeler mit jenem unbedingten Vertrauen zu mir, das mir die kommenden Jahre verschönt hat, unterschrieb, fugte er folgenden Absatz hinzu: „Falls keine gegenteilige Weisung erfolgt, wird Kessel in drei Tagen nach Paris fliegen, seine dortigen Angelegenheiten so rasch wie möglich liquidieren und in etwa zehn Tagen seinen hiesigen Posten antreten." Ein Einspruch von Bonn erfolgte nicht, und ich flog, so vergnügt wie selten in meiner Laufbahn, nach Paris zurück. Mein Hab und Gut war rasch verpackt, denn es bestand aus zwei Koffern und vier oder fünf Kisten. Als ich 1941 endgültig nach Genf versetzt wurde, hätte ich nicht nur meine Berliner Wohnung, die Möbel, die Bücher, die Briefmarkensammlung und vor allem ein römisches Terracottarelief, sondern auch manches für unsere Familie bedeutsame Stück aus Schlesien ohne Schwierigkeiten in die Schweiz „auslagern" können. Aber ich war damals wie gelähmt und meinte, wenn der Himmel einstürze, seien alle Spatzen tot. Zwar stürzte für uns Deutsche der Himmel ein, aber die Spatzen, was ich als Landkind hätte wissen müssen, lebten munter wie seit eh und je weiter und vermehrten sich. Ich aber saß auf zwei Koffern und vier oder fünf Bücherkisten. Da ich nur wenige Tage in Paris blieb, fielen fast alle Abschiedsempfänge und -diners aus, die, wenn sie zwei oder drei Wochen lang abrollen, den Gefeierten in einen Zustand versetzen, der ihn sanatoriumsreif macht. Da ich diesmal mit der „Queen Elizabeth" von Cherbourg nach New York reisen wollte, fand sich auf dem Pariser Bahnhof, wo der Zug nach Cherbourg abging, eine kleine Gruppe zu meiner Verabschiedung ein. Als ich meinen Blick über sie schweifen ließ, war ich glücklich. Denn ich konnte feststellen, daß ich in den dreieinhalb mühseligen Jahren in Paris eine Anzahl von fast immer jüngeren Freunden für den Rest meines Lebens gewonnen hatte. Das war mir ungleich wichtiger als alle protokollarischen Ehren. Auf der Uberfahrt nach New York zog ich Bilanz meiner dreieinhalb Jahre in Paris. Vorausschicken muß ich allerdings, daß mein Bericht über diese Periode vielleicht den Eindruck erweckt, ich sei von Natur aus streitsüchtig und hätte in ständigem Konflikt mit Bonn sowie dem französischen „Establishment" gelegen. Dem ist nicht so. Denn wenn ich auch von Natur aus skeptisch bin und oft der Versuchung nicht widerstehen kann, die jeweils gültigen Tabus abzuklopfen, ob sie nicht vielleicht nur aus Gips bestehen, so neige ich, wenn mein Verdacht sich bestätigt, eher zum spöttischen Achselzucken als zum Abdrehen auf Kollisionskurs. Indessen ist es langweilig, seitenlang über Tage oder Wochen allgemeiner Harmonie zu berichten. Dabei braucht man nicht gleich in das Gegenteil zu verfallen nach dem Motto gewisser amerikanischer Journalisten: „Only bad news are news." Mein Verhältnis zu Bonn war ambivalent: Ich bejahte wie die Bundesregierung die Einigung Westeuropas, warnte aber vor Perfektionismus und Hast. Dabei verwies ich auf ein Beispiel aus unserer eigenen Geschichte: Vorläufer der Reichsgründung war der Deutsche Zollverein69, unter dessen Auspizien das spätere Reich geduldig und unauffällig heranwuchs. Ein Verziehen des politischen Fragments, wie es die „Paulskirche" betrieben hatte, war zum Scheitern verdammt. Und auch nach der Reichsgründung, dafür hat Bismarck gesorgt, behielten die 167
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Fürsten und Länder einen Großteil ihrer Rechte; ihre Souveränität wurde zwar beschränkt, aber nicht aufgehoben. Im Gegensatz zu Hallstein, wohl der bedeutendsten Persönlichkeit im Kreis der europäischen „Technokraten", war und bin ich der Ansicht, daß man die Dinge heranreifen und ihnen durch eine immer engere Verflechtung der nationalen Wirtschaften ein festes Fundament geben muß. Die „Supranationalität", d.h. den Verzicht auf nationale Souveränität, konnte Hallstein von den fünf anderen Regierungen leichthin fordern. Wir waren damals nicht souverän - und sind es auch heute nicht voll und ganz - und hatten von unserer tausendjährigen Geschichte einen schmählichen Abschied genommen. Die anderen Nationen waren zu einem solchen Opfer verständlicherweise nicht bereit. Ein „Europa der Vaterländer" schien mir auf kommende Jahrzehnte hinaus das richtige Ziel, allerdings ohne jene nationalistische Komponente, die nach dem Wunsch de Gaulles die Hegemonie Frankreichs verwirklichen sollte. Eine weitere Tendenz, die ich und mit mir Zehntausende meiner Landsleute mit größtem Mißtrauen beobachteten, wurde von ihren Verfechtern westlich des Rheins und vor allem südlich des Mains zwar streng geheimgehalten, blieb aber spürbar: Der Wunsch, die Bundesrepublik zu einem Rheinbundstaat unter der Aufsicht von Frankreich umzugestalten. Ein solcher Plan, dessen waren wir, meine Freunde und ich, sicher, könnte niemals Gestalt annehmen, aber schon sein Vorhandensein übte eine Bremswirkung auf unsere Außenpolitik aus. Trotz dieser Vorbehalte trug ich keine Bedenken, mich fur die Politik Adenauers, deren Ziel eine feste Bindung an den Westen war, einzusetzen. Erst nachdem sie erreicht war, konnten wir mit der Rückendeckung des Westens eine aktive Ostpolitik treiben. Auch mein Verhältnis zu Frankreich und den Franzosen war facettenreich. „Gott in Frankreich", der Titel, den Sieburg70 seinem erfolgreichen Buch gegeben hatte, war wie so vieles in Europa durch den Zweiten Weltkrieg vernichtet. Uberlebt hatte nur „La douce France" mit all seinen landschaftlichen Reizen und Schönheiten und seiner Bevölkerung, die bescheiden, aber zivilisiert im Grunde „vor sich hin lebte". In Paris jedoch merkte man kaum noch etwas von Heiterkeit und Charme, man stieß beim „Publikum" auf viele mürrische Gesichter. Und die Franzosen, mit denen ich zu tun hatte, meist Absolventen jener sagenhaften „Grandes Ecoles" sahen auf Grund des ständigen Concours (Wettbewerbs) im Nebenmann weniger den Kameraden oder gar Freund, sondern nur den unliebsamen Konkurrenten. Hinzu kam noch ein anderes Element, das natürlich von Ausnahmen abgesehen, das persönliche Klima der französischen Diplomaten untereinander vergiftete. Der eine behauptete, was sich schwer nachweisen ließ, er sei schon im Hochsommer 1940 auf Grund der Londoner Ansprache de Gaulles zur Resistance gestoßen, während seine Gesprächspartner sich doch wohl erst 1943 recht vorsichtig von der Vichy-Regierung Petains71 distanziert hätten. Dabei hatten Petain und seine Anhänger manchen Schrecken von Frankreich abgewendet. Mein belgischer Freund de Staerke lud mich eines Mittags zu einem gemeinsamen Essen mit Henri Spaak72 ein, der zu jener Zeit entweder belgischer Außenminister oder Regierungschef war. Spaak war einer der großen Europäer, verfügte aber im Gegensatz zu den 168
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meisten seiner europäischen Gesinnungsgenossen über ein untrügliches Augenmaß für das, was sich in absehbarer Zeit verwirklichen ließ. Am Schluß eines intensiven Gesprächs über die außenpolitische Weltlage stellte ich Spaak ganz unverblümt folgende Frage: Im Laufe der langwierigen Verhandlungen sei es mir gelungen, mit den Vertretern der vier anderen Mächte sowie Englands ein Klima auch menschlichen Vertrauens herzustellen. Nur die Franzosen seien von höflicher Eiseskälte und Distanz. Wenn er auf Grund seiner Erfahrungen und großen Übersicht mir einen Rat geben könne, wie ich zu einem besseren und persönlicheren Verhältnis zu den Franzosen kommen könne, wäre ich ihm außerordentlich dankbar. Mit einem etwas spöttischen Lächeln erwiderte er, das sei verlorene Liebesmüh. Belgien habe dem „Blitzkrieg" Hiders acht Tage lang widerstanden, ehe es kapitulierte; für ein so kleines Land eine achtbare Leistung. Die Franzosen dagegen, immer überzeugt von ihrer „grandeur", ihrer „gloire", hätten bereits nach drei Wochen die Waffen gestreckt. Das könnten sie sich nicht verzeihen und natürlich auch den Deutschen nicht. Nur der Ablauf der Zeit, und man müsse da mit langen Fristen rechnen, könne dieses Ressentiment heilen. Um auf die Bilanz der Pariser Jahre zurückzukommen: Ich hatte das Gefühl, zwar nicht die Sympathie der französischen Delegierten errungen zu haben, wohl aber einen gewissen Respekt. Bei den Leitern der anderen Delegationen, einschließlich den englischen und amerikanischen Beobachtern, stieß ich, wie mir von dritter Seite wiederholt versichert wurde, auf ein erhebliches Maß an Achtung und Sympathie, sowie, das sei nochmals betont, bei einer ganzen Reihe von Franzosen, mit denen mich eine Art von kameradschaftlicher Solidarität verband. Hinzugefugt werden muß, daß ich diese „Bilanz" niemals ohne das großzügige Vertrauen von Blank, die unverbrüchliche Freundschaft von Speidel und den pragmatischen Idealismus aller fuhrenden Delegationsmitglieder hätte erreichen können. Ich hatte, mich in Cherbourg einschiffend, zwar nicht das Gefühl, einen Lorbeerkranz errungen, aber auch nichts weggeschenkt zu haben. Ich konnte sozusagen in Ruhe auf diesem Riesenozeandampfer „Queen Elizabeth" schlafen gehen. Vielleicht kommt der eine oder andere Leser auf Grund meines bewußt persönlich gehaltenen Rechenschaftsberichtes über die dreieinhalb Pariser Jahre zu einem negativen Urteil über meine Darstellung. Er könnte meinen, ich habe aus Überheblichkeit oder Eitelkeit meinen Einfluß auf den Gang der Dinge überschätzt. Dem ist nicht so. Ich habe nie auch nur auf Stunden vergessen, daß ich im Gebirge der Macht nur ein kleiner Stein war. Indessen habe ich es Zeit meines Lebens als meine moralische Pflicht angesehen, bei entscheidenden Entwicklungen mein - meist minimales - Gewicht in jene Waagschale zu werfen, die meinen grundsätzlichen Überzeugungen entspricht. Ich habe dies ohne Pathos und ohne Berufung auf die heute so gängigen „Gewissenskonflikte" getan. Ob an meiner Stelle ein dem rechten Flügel der bayerischen C S U nahestehender Botschaftsrat in Paris73 erfolgreicher gewesen wäre als ich, vermag niemand im Ernst zu beurteilen. Denn die französische „Marianne" ist in meinen Augen ebenso charmant wie kapriziös. Je mehr wir Deutschen ihr zu Füßen liegen, desto mehr verlangt sie. Aber auch daraus will ich keine Ideologie konstruieren, sondern wäre froh, wenn ich mich irrte. 169
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Die Uberfahrt Cherbourg-New York auf dem riesigen Luxusdampfer „Queen Elizabeth", der ich mit Spannung und Vorfreude entgegengesehen hatte, erwies sich als eine Enttäuschung. Das Innere des Schiffes ähnelte einem zu Anfang des Jahrhunderts erbauten PalaceHotel in Interlaken oder Montreux. Um überhaupt an Deck zu kommen und dort die Weite der See zu erblicken, mußte man einen Fahrstuhl benutzen. Obendrein kam am zweiten Tag ein orkanartiger Sturm auf. In der Halle, den Salons und dem Speisesaal mußten Tische und Stühle festgezurrt werden. Alle Gesellschaftsräume waren nahezu leer; neun Zehntel der Passagiere blieben seekrank in ihren Kabinen. Wenn ich nicht zu diesen gehörte, sondern zu jeder Mahlzeit im Speisesaal erschien, bedeutete dies nicht, daß ich ein seefester Held war. Ich fühlte mich elend. Nur wußte ich aus Erfahrung, daß mein Magen das, was er sich einmal einverleibt hat, fast nie in verkehrter Richtung wieder von sich gibt - so sollte er auch mit dem, was ich ihm in diesen Tagen zuführte, fertig werden. Aber all diese Nebensächlichkeiten sollen nur den Rahmen abgeben für ein Erlebnis, dessen ich mich noch heute intensiv erinnere. Am zweiten oder dritten Tag begab ich mich trotz allen Widerstands des Sturms, denn die Tür nach außen war schwer zu öffnen und noch schwerer zu schließen, an Deck. Ich klammerte mich mit beiden Händen, um nicht weggefegt zu werden, dicht an die Geländer und Gitter der Kajütenwand. Der Himmel lastete, von einigen Wolkenfetzen belebt, bleischwer auf der schwarzen See, die durch die weißen Kämme der riesigen Wellen nur noch gespenstischer wirkte. Weit und breit kein Lebewesen, das diesem grandiosen Chaos gewachsen sein könnte. Plötzlich aber entdeckte ich weit draußen und ohne jede Anlehnung an unser Schiff eine einsame schneeweiße Möwe. Dieses winzige Lebewesen trotzte, nur auf sich gestellt, nicht nur der Urgewalt des Sturmes und der Wellen. Mit tänzerischer Leichtigkeit macht es den Orkan sogar seinem Zwecken dienlich. Ich blickte ihr entzückt nach, bis sie meinem Blickfeld entschwand. Dann begab ich mich, die anderen Passagiere nach Möglichkeit vermeidend, nachdenklich in die Einsamkeit meiner Kabine. In jener Zeit, als ich noch in Paris oder schon in Washington war, bekam ich neuen Kummer. Ein Kreis von guten Bekannten, die ich schätzte, ja mit denen ich freundschaftlich verbunden war, übte scharfe Kritik an mir, weil ich die nach Westen orientierte Politik Adenauers aktiv unterstützte. Es wurde mir sogar der emotionale Vorwurf gemacht, ich verriete meine preußische Herkunft und Heimat zugunsten der Rheinbundpolitik des Kanzlers. Wir sollten, so hieß es, die Wiedervereinigung Gesamtdeutschlands mit der Neutralisierung dieses Gebietes erkaufen. Auf meine Entgegnung, ein zwischen West und Ost wie ein Luftballon freischwebendes Gesamtdeutschland werde beim ersten politischen Unwetter zugrunde gehen, und das sei dann das endgültige „Finis Germaniae", wurde ich auf das österreichische Beispiel hingewiesen. Gewiß, ich habe die Österreicher bewundert, wie sie mit zäher Geduld und trotz amerikanischen Unbehagens ihren Staatsvertrag (1955) 74 durchgesetzt haben, was ihrem Land die Viermächte-Garantie seiner Neutralisierung einbrachte. Aber ein Vergleich zwischen Österreich und Deutschland war damals - und ist noch heute - unmöglich. Österreich liegt 170
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abseits im Schatten der Alpen. Seine Bevölkerung beträgt nur etwa 12 Prozent der unsrigen. Deutschland dagegen mit einer Bevölkerung von mehr als 70 Millionen, liegt am westlichen Ende der „Rollbahn" - man verzeihe mir die Verwendung dieses Begriffs aus dem Rußlandfeldzug, aber er ist ungemein bildhaft - , die in Wladiwostok beginnt und an der Kanalküste endet. Dies ist geographisch wie politisch gesehen eine tragische Lage, weil sie bedeutet, daß wir in jeden Konflikt zwischen Ost und West einbezogen werden. Unter diesen Umständen war es damals wie heute meine feste Uberzeugung, daß wir eine aktive Ostpolitik erst treiben könnten, wenn die Bundesrepublik fest im westlichen Bündnis verankert wäre. Daß ich aber schon damals die weitere Phase anvisierte, beweist ein kurzer Vermerk aus dem Jahre 1953, den ich kürzlich unter meinen Papieren fand und der offenbar für Blankenborn bestimmt war. Ich wies daraufhin, daß es Aufgabe unserer Außenpolitik sei, sich schon vor dem Enderfolg unserer Westpolitik Gedanken darüber zu machen, wie wir danach unser Verhältnis zur Sowjetunion und ihren Satelliten in vernünftiger Weise regeln könnten. Daß er damals und auch viele Jahre danach keine Resonanz fand, lag nicht an mir.
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nde November flog ich erneut nach Washington, um meinen Dienst als Gesandter an unserer „Diplomatischen Mission" definitiv anzutreten. Mein treuer Freund Federer holte mich am Flugzeug ab. Für ihn mußte die Entwicklung enttäuschend sein. Denn zu Anfang, als die Amerikaner uns nur die Errichtung eines „Generalkonsulats" in New York gestattet hatten, war er der Vertreter des Generalkonsuls Krekeler als „Geschäftsträger" gewesen. Jetzt, wo wir mit amerikanischer Genehmigung in Washington eine „Diplomatische Vertretung" mit Krekeler als Geschäftsträger eröffnen durften, hatte er die berechtigte Hoffnung gehegt, auch weiterhin der Vertreter des Behördenchefs zu bleiben. Statt dessen hatte man ihm, dem Botschaftsrat, mich als Gesandten vor die Nase gesetzt, weil ich der Dienstältere war, vor allem aber, weil Krekeler seit Jahr und Tag darauf bestanden hatte, ich sollte sein Vertreter werden. Ich habe mich bemüht, Federers Enttäuschung auszubügeln. Ich glaube, daß mir dies gelungen ist. Denn unsere Zusammenarbeit gestaltete sich vorzüglich, und zwar gerade wegen unserer so verschiedenen Temperamente. Wenn ich zu stürmisch vorgehen wollte, hielt er mich am Rockschoß fest, und wenn er sich allzusehr seiner schwäbischen Behäbigkeit hingab, munterte ich ihn auf.
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Als ich mich mit den Mitgliedern meiner neuen Behörde bekannt machte, hatte ich ein Erlebnis, das fur meine Jahre in Washington von Bedeutung war und heute noch ist. Ich begegnete einer Reihe von jüngeren Männern von etwa 30 Jahren, die zumeist als Legationssekretäre in der Politischen Abteilung unserer Behörde tätig waren. Als ich sie mir, einen nach dem anderen, ansah, empfand ich spontanes Mideid. Sie hatten jahrelang an den verschiedensten Fronten gekämpft und waren anschließend in Gefangenschaft geraten. Dann hatten sie, oft auf Dachböden oder in Kellern hausend, hungernd und in der schlechten Jahreszeit frierend, ihr Studium absolviert. Als nächste Etappe auf diesem dornenvollen Weg mußten sie sich beeilen, um genügend Kenntnisse fur das Aufnahme-Examen in den Auswärtigen Dienst zu erwerben und endlich festen Boden unter die Füße zu bekommen, nämlich eine gewisse finanzielle Sicherheit. Nach bestandener Prüfung wurden sie nur fur kurze Zeit im Auswärtigen Amt beschäftigt. Dann mußten sie erneut in Speyer, wo sich damals die Ausbildungsstätte für den Nachwuchs befand, die Schulbank drücken. Eine merkwürdige Art der Ausbildung; denn sie birgt die Gefahr in sich, den Typus des Klassen-Primus heranzuziehen statt weltläufige und gewandte junge Diplomaten. Was Wunder, daß viele dieser jüngeren Kollegen wie geprügelte Hunde wirkten. Ich sagte mir, es werde eine meiner wichtigsten internen Aufgaben sein, ihnen zu helfen und zu zeigen, daß es auch in unserer heutigen Welt human zugehen könne. Unbewußt befolgte ich damit ein Gebot, das meine Eltern mir von frühester Jugend an eingehämmert halten. Es lautete, später einmal werde es Menschen geben, die für mich arbeiteten, Menschen wie wir, meine Eltern und ich, auch wenn sie ärmer seien. Das bedeute eine große Verantwortung: Ich müsse mich persönlich um sie kümmern und für sie sorgen. 173
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Ich übertrug diese Lebensregel von schlesischen Landarbeitern auf „meine jungen Leute". Ich schenkte ihnen, was einer aus dieser Gruppe zwanzig Jahre später hervorhob, einen „Vorschuß an Vertrauen". Mir erscheint es nur als natürlich, daß, wenn man jemandem helfen will, Vertrauen die Vorbedingung ist. Es hat diese meine Uberzeugung auch nicht erschüttert, daß einer von diesen, etwa ein Dutzend zählenden jungen Mitarbeitern, ein einziger, in Bonn gegen mich intrigierte, ja mich denunzierte. Mich focht dieses sein Verhalten nicht an. Denn ich war überzeugt, daß er scheitern würde, was auch nach wenigen Jahren der Fall war. Um meinen jungen Mitarbeitern wirksam zu helfen, veranstaltete ich Diskussionsabende für die Mitglieder der Politischen Abteilung, soweit sie unter vierzig waren. Die Abende begannen mit einem einfachen, aber stilvollen Essen bei Kerzenschein und einer Blumendekoration auf dem Tisch: Sie mußten lernen, wie man Derartiges arrangiert, denn bisher hatten sie das ja noch nicht erlebt. Nach dem Essen fand in meinem Appartement eine ungezwungene und freie Diskussion statt. Ich bat Federer, den Vorsitz zu übernehmen oder, wie man heute sagt, als„Moderator" zu wirken, damit ich mich unbefangen an der Diskussion beteiligen könnte. Da es reichlich Alkohol gab, trat am ersten dieser Abende ein, was ich erhofft hatte: Die Beteiligten schütteten ihr Herz aus. Was dabei an Skepsis, Ratlosigkeit, ja Verzweiflung zum Ausdruck kam, war menschlich ergreifend. Am nächsten Morgen erschienen einige von ihnen und entschuldigten sich für den „Unsinn", den sie am Vorabend geredet hätten. Ich erwiderte ihnen lächelnd, genau dies sei ja der Sinn des Abends gewesen. Nur durch eine solche Aussprache sei es möglich, ihre schmerzlichen Erfahrungen zu überwinden und fuhr auf Englisch fort: „I want you to get these things out of your system." So rasch als möglich wies ich jedem ein eigenes Referat zu, etwa „Die USA und der Ferne Osten" oder „Die Neutralen" oder „Lateinamerika". Ich ließ manches Telegramm, manchen Schriftbericht durch, auch wenn er nicht ganz und gar meinen Auffassungen, meinem Stil entsprach. Ihnen das Gefühl zu geben, an einer für uns entscheidenden Aufgabe mitzuwirken, war mir wichtiger als der absolute Perfektionismus unserer Berichterstattung nach Bonn, wo man ihr im Zweifelsfall ohnehin nicht viel Beachtung schenken würde. Im übrigen gehörten zu dieser Gruppe auch vier weibliche Mitglieder, die vorzügliche Arbeit leisteten und mit denen mich bald das gleiche M a ß an freundschaftlichem Vertrauen verband wie mit ihren männlichen Kollegen. Das Wichtigste für das Funktionieren der Behörde aber war das unbegrenzte Vertrauen, das Krekeler mir schenkte. Schon bei unserem langen Gespräch in Paris war ich überrascht, daß er mit meinen Darlegungen einverstanden war, die in einigen Punkten von der von Bonn betriebenen Politik abwichen. Die Einigung Europas, eine Frage auf Leben und Tod, eine Hegemonie Frankreichs nach Art der preußischen Hegemonie im Bismarckreich. Gleichzeitig aber ein Bestehen auf unseren deutschen „Belangen", so wie die Bayern es für ihr Land von 1871 bis heute tun. Von da an hörte ich immer wieder, daß er darauf bestand, ich solle sein Vertreter werden, sobald unsere Behörde von New York nach Washington übersiedele.
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Und ich verdanke es sicher zum Teil seiner Haltung, daß ich den von mir angestrebten Posten antreten konnte. Beim näheren Kennenlernen kam ich bald zu der Uberzeugung, daß sich hinter seiner äußeren Fassade, die zuweilen an das formelhaft Banale grenzte, ein ungemein sensibler und daher auch verletzlicher Charakter verbarg, an den keinerlei Intrigen herankamen, von seiner Bescheidenheit ganz zu schweigen. In den folgenden mehr als vier Jahren bestand er darauf, jede Einzelheit unserer Berichterstattung und unseres Dienstbetriebes mit mir zu besprechen. Auch von ihm ging keine Zeile heraus, die er mir nicht vorher zeigte. Dies Verfahren kostete mich viel Zeit und erforderte, da er anfangs, wie nur natürlich, sehr umständlich war, auf meiner Seite ein Höchstmaß an Geduld. Aber er erlernte mit der Zeit unser Handwerk so gründlich und umfassend, daß, wer ihn heute hört, einen Karriere-Diplomaten großen Stils vor sich zu haben glaubt. Abschließend möchte ich zu diesen Interna sagen, daß von allen Auslandsbehörden, die ich in meiner langen Laufbahn kennenlernte, keine sich zu meiner Zeit an Zusammenhalt und politischer Ausstrahlung mit unserer Botschaft in Washington vergleichen ließ. Ehe ich zu einer Schilderung meiner Beobachtungen, Erfahrungen und politischen Aktivitäten übergehe, muß ich auf Beschränkungen, der sie unterworfen waren, hinweisen: Ich habe von den Vereinigten Staaten viel zu wenig gesehen. Von den eigentlichen Südstaaten lernte ich gar nichts kennen. Auch den sogenannten „Mittleren Westen", in dem, von den industriellen Zentren wie Chicago und Detroit abgesehen, die viel zitierte „schweigende Mehrheit", vor allem die Millionen von Farmern, lebt, habe ich kaum besucht. In San Francisco, der schönsten Stadt der USA, war ich nur drei Tage. Obwohl am weitesten von unserem Kontinent entfernt, erschien sie mir, von Boston abgesehen, europäischer als die Städte der Ostküste. Dazu könnten spanische Fundamente beitragen, vor allem aber das Fehlen der puritanischen Tradition des Ostens. Die Stadt am berühmten „Golden Gate" wirkt weltoffen und liberal, und es ist gewiß kein Zufall, daß die Mehrheit der deutschen Emigranten dort Asyl fanden. Und noch einen weiteren Vorbehalt allgemeiner Natur muß ich einflechten: Die Amerikaner haben die Neigung, sich etwa alle fünf Jahre einer neuen „Doktrin" mit Haut und Haaren zu verschreiben. Gegen Kriegsende und ein paar Jahre danach waren sie von der Kollektivschuld aller Deutschen überzeugt, bestanden auf der in sich selber unsinnigen „bedingungslosen Kapitulation" und behandelten oder vielmehr mißhandelten uns entsprechend den ein wenig gemilderten Richtlinien des Morgenthau-Plans. Als aber Roosevelt das Zeitliche segnete1, fur den „Uncle Joe" alias Stalin der am meisten geschätzte Verhandlungspartner war, änderte sich das Weltbild der Amerikaner schlagartig. Harry S. Truman, den ich wegen seines gesunden Menschenverstandes und seiner Zivilcourage geschätzt, ja bewundert habe, war nicht gewillt, die Einbeziehung weiterer europäischer Länder in den sowjetischen Machtbereich hinzunehmen. Es entstand die „Truman-Doktrin" 2 , die den Sowjets zu verstehen gab: „Bis hierhin und nicht weiter!" Als Moskau versuchte, sich mittels eines Bürgerkrieges auch Griechenland gefugig zu machen, leisteten die Amerikaner der legalen griechischen Regierung massive Hilfe bei der Niederschlagung des 175
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nordgriechischen Aufstands kommunistischer Prägung. Seither gehört Griechenland trotz der fast immerwährenden innenpolitischen Wirren zur freien westlichen Welt. Es war nur natürlich, daß die Truman-Doktrin auf ganz Westeuropa ausgedehnt wurde. Der Marshall-Plan diente dem Wiederaufbau der durch den Krieg zerschlagenen westeuropäischen Wirtschaft. Pläne zur militärischen Verteidigung gewannen an Gestalt. Der „Kalte Krieg" wurde zur beherrschenden politischen Idee, wie nach einer großen Zahl anderer Doktrinen heute „Die Entspannung". Ich führe das aus folgendem Grund an: Alles, was ich über „die Amerikaner" sage und schreibe, bezieht sich ausschließlich auf die Jahre 1953-58. Vieles ist konstant geblieben, anderes scheint sich teilweise oder grundlegend geändert zu haben. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Rassenfrage ist zwar noch nicht gelöst, doch hat die Integration der Neger in den seither vergangenen fünfzehn Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Und zum Schluß dieser langen Vorrede noch eines: Die Vereinigten Staaten, damals noch unbestritten die erste Weltmacht, waren rund um den Globus an allen politischen Problemen, Entwicklungen oder Konflikten irgendwie interessiert oder beteiligt. Da es aber nicht meine Absicht ist, einen Beitrag zur Geschichte jener Zeit zu liefern, beschränke ich mich auf die Schilderung einiger Ereignisse, die direkt oder indirekt für die Bundesregierung - und damit auch für die Botschaft - von besonderer Bedeutung waren. Ich will jedoch erst einmal versuchen, meine persönlichen Eindrücke von Amerika und den Amerikanern zu schildern.
Amerika und die Amerikaner Zu Beginn meiner Zeit in Washington glaubte ich, die Amerikaner seien im Grunde den europäischen Nationen sehr ähnlich und nur wie zufällig über den Ozean verschlagen. Je länger ich aber in den Vereinigten Staaten lebte, desto mehr wurde ich in weiten Bereichen ihrer grundsätzlichen Verschiedenheit, ja Fremdheit gegenüber uns Europäern gewahr. Dabei möchte ich den Begriff Fremdheit als wertneutrales Wort verstanden wissen. Da ich kein Essay über die Psychologie der Amerikaner zu schreiben beabsichtige und mir als Pragmatiker abstrakte Theorien wenig liegen, kann ich nur einige Beispiele aufführen, um meine Auffassung zu belegen. Eines Tages stand ich auf dem Kamm der Blue Ridge Mountains, die von Washington leicht zu erreichen waren und für mich eine leise Ähnlichkeit mit den Vogesen aufweisen. Ich blickte entzückt auf die grüne Hügellandschaft mit ihren weißen Farmhäusern unter roten Dächern hinab. Die Landschaft erschien mir heimatlich vertraut. Dann aber kam mir zu Bewußtsein, daß mir etwas fehlte, etwas im Tiefsten ganz anders war als in Mitteleuropa. Mit der Zeit glaube ich, den Grund fur dieses Fremdsein gefunden zu haben: In Amerika stehen die Menschen noch immer im Kampf mit der Natur. Das - wenigstens damals für uns Europäer vertraute - Zusammenleben von Mensch und Natur, das wir seit der Antike 176
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als „Idylle" bezeichnen, habe ich „drüben" nirgendwo angetroffen. Allerdings ist zuzugeben, daß die Natur in weiten Bereichen wild und menschenfeindlich ist, auch wenn man von Tornados, Hochwasserkatastrophen und Sandstürmen absieht. Um mit einer Kleinigkeit anzufangen: Eines Abends trat ich barfuß auf eine Wespe, die mich in den nackten Fuß stach. Ich maß dem keine Bedeutung bei, bis ich am nächsten Morgen feststellte, daß mein Bein bis in den Oberschenkel stark angeschwollen war. Ich suchte einen Arzt deutscher Herkunft auf, der mir lächelnd erklärte, ich sei von einer „Goldenen Jacke" (yellow jacket) gestochen worden. Dem könne mit einer Spritze abgeholfen werden; in wenigen Stunden werde wieder alles in Ordnung sein. Weit schlimmer ist der giftige Efeu (poisened ivy), eine hellgrüne einjährige Pflanze, die für unsere Begriffe mit dem immergrünen Efeu nichts zu tun hat. Teilweise kriecht sie am Boden entlang, teilweise erreicht sie eine Höhe von etwa 60 Zentimetern. Dieses unscheinbare Gewächs ruft, auch wenn man es nur leise berührt, schwere Allergien mit teilweise hohem Fieber hervor. Nur wenn man erst kurze Zeit in den Vereinigten Staaten verbracht hat, ist man immun, so daß der poisoned ivy mir nichts angetan hat. Ich konnte mich unbehelligt durch Gestrüpp oder Wälder bewegen. Aber selbst dort, wo die Natur dem Menschen nicht feindlich gegenübertritt, geht er brutal mit ihr um. Es gab für mich kaum etwas Deprimierenderes , als im Mittleren Westen Stunden über Stunden den sogenannten Weizengürtel (wheat belt) zu überfliegen. Ein rechteckiges Feld reihte sich an das andere ohne die leiseste Unterbrechung durch Walder oder auch nur Sträucher. Nur um die Farmhäuser erblickte man als Windschutz ein paar kümmerliche Bäume. Der Farmer, das hatten mir schon in Rom im Jahre 1944 während meiner Einzelhaft die „boys" aus den Südstaaten berichtet, hat zum Boden, den er bearbeitet, im Gegensatz zu unseren Bauern, keinerlei Bindung. Hat er Geld verdient, so tauscht er seine Farm gegen eine größere aus und verkauft das Haus mitsamt dem Mobiliar. Denn den Hausrat über weite Strecken auf dem Landweg zu befördern, wäre zu teuer. Außerdem kann er überzeugt sein, in dem neuen Farmhaus die gleichen genormten Möbel vorzufinden, die sein Vorgänger ihm aus den gleichen finanziellen Erwägungen hinterlassen hat. Der größte Unterschied zwischen den Amerikanern und uns Europäern besteht aber wohl auf soziologischem Gebiet: Es hat in den Vereinigten Staaten nie eine herrschende Klasse gegeben. Die sogenannten „Pilger-Vater"3 und die nachfolgenden Einwanderer entstammten dem Mittelstand und waren voller Ressentiments gegen die englische Aristokratie. Sie haben deshalb durch die Jahrhunderte das Entstehen einer solchen Oberschicht verhindert. Denn deren Auffassungen und Lebensstil hätten mit der Zeit fur die unteren Klassen vorbildlich und nachahmenswert werden können. Die Engländerinnen aus der Mittelschicht empfinden es als Kompliment, wenn sie als „ladylike" bezeichnet werden. Für die Amerikanerinnen war das undenkbar. Natürlich gibt es auch in der amerikanischen Geschichte große Herren wie Washington4 und Jefferson 5 oder die Adams6 und die alten Bostoner Familien, die nicht ohne Arroganz auf ihr „blaues Blut" verweisen. Und natürlich gibt es auch heute noch Gruppen, die sich als 177
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Elite empfinden, wie etwa die Offiziere, die die Militärakademie von Westpoint 7 besucht haben. Aber eine Gesellschaftsklasse konnte sich daraus nicht entwickeln. Das unumstößliche Dogma lautet: „All men are born equal", auch wenn uns Europäern dies Dogma im Land der seit Generationen dahinschwelenden oder ausbrechenden Rassenkonflikte als schizophren erscheint. „The American way of life", den die Amerikaner in ihrer Naivität den alten Nationen in Europa und Asien aufzupfropfen suchten, enthält neben ethischen Geboten doch zuviel Regeln des praktischen Verhaltens oder gar Gewohnheiten des täglichen Konsums, um bei allen Volkern eine tiefe Wirkung zu erzielen. Zu diesem Gebiet gehört auch die Aufforderung „to get things done". Die Empfehlung, man müsse die Dinge nur richtig anpacken, dann könne der Erfolg nicht ausbleiben, hat Amerikas Verbündete oft irritiert. Das Rezept ist auch nur dadurch zu erklären, daß den Amerikanern der Begriff der Tragik fremd war, während er uns und den Asiaten so geläufig ist wie der Wandel der Jahre. Wahrscheinlich wird ein entscheidendes Ergebnis des unglückseligen Indochina-Abenteuers sein, daß das amerikanische Volk lernt, mit Tragödien zu leben, d.h. politisch erwachsen zu werden. Eine weitere soziologische Eigenart der Amerikaner ist ihre auf weite Strecken matriarchalische Struktur. Sie geht zweifellos auf das Pionier-Zeitalter zurück, als die wenigen Frauen Seltenheitswert besaßen und auf ein Piedestal gehoben wurden, eine Stellung, die sie bis heute zäh zu verteidigen wußten. Das fangt schon in der Jugend an, wo die uns eher schockierende Regel gilt, daß „die Mädchen Jagd auf die Jungen machen." Die energischsten Vertreterinnen des Matriarchats traf man auf Gesellschaften in Gestalt älterer Damen, die kalten Auges und mit lauter rostiger Stimme ihren Anspruch auf Herrschaft zu erkennen gaben. Glücklicherweise bildeten sie im Kreis ihrer Geschlechtsgenossinnen eine Minderheit. Obwohl nicht zum Thema Soziologie gehörend, muß ich hier ein Loblied auf einen hohen Prozentsatz der männlichen Prominenz in den Vereinigten Staaten anstimmen. Wenn etwa eine kleine Gruppe deutscher Wirtschaftsfuhrer Washington besuchte, war es ein Leichtes, für diese eine Zusammenkunft mit dem Handelsminister (Secretary of Commerce) zu arrangieren. Ich konnte den Minister direkt anrufen und, wenn er gerade nicht im Büro war, sicher sein, daß er, soweit möglich, in kürzester Zeit zurückrufen würde. Ich berichtete ihm über die Anwesenheit der deutschen Gruppe und äußerte vorsichtig den Wunsch, sie mit ihm zusammenzubringen. Er erwiderte, am nächsten Tag sei er schon besetzt, schlug aber vor, daß wir uns am übernächsten Tag zu einem kurzen „Business-Lunch" im Metropolitan Club treffen könnten. Ob es nach diesem Lunch noch zu einer weiteren Zusammenkunft zwischen dem Minister und den Deutschen kam, die oft keine besonderen Anliegen hatten, war nicht so wichtig. Die Hauptsache war, daß sie zu Hause berichten konnten, sie hätten mit dem US-Handelsminister persönlich ein Gespräch führen können. Noch eindrucksvoller war es, wenn man zu einem Herrenessen eingeladen war, an dem führende Persönlichkeiten der amerikanischen Wirtschaft teilnahmen. Natürlich nicht alle, aber die meisten von ihnen schienen aus Neu-England zu stammen oder wenigstens an den 178
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drei berühmten Universitäten Harvard, Yale oder Princeton studiert zu haben. Sie wirkten bescheiden und zurückhaltend, hatten vorzügliche Manieren und sprachen wenig und leise. Sie verkörperten den Typ des „WASP" (White, yinglo-Saxon, Protestant). Keiner von uns Westdeutschen wäre auf den Gedanken gekommen, daß da Männer am Tisch saßen, die Kapital in Höhe von Milliarden Dollar kontrollierten. Wie ihre Partner von Rhein und Ruhr sich meist bei entsprechenden Anlässen benehmen, brauche ich nicht zu schildern. Mit der brutalen Seite der gigantischen Konzerne, die mehr und mehr auch die Amerikaner selber beunruhigt, kam ich nur einmal in Berührung. Krekeler hatte den damaligen Verteidigungsminister8 eingeladen, der vorher Vorstandsvorsitzender von General Motors gewesen war. Ein primitiver Mann, dem man anmerkte, daß ihm das bekannte Schlagwort „Was gut ist für General Motors, ist gut für die Vereinigten Staaten" eine Selbstverständlichkeit war. Doch damit nicht genug: Aus heiterem Himmel erklärte er, die französischen Kathedralen seien nichts anderes gewesen als ein Arbeitsbeschaffungsprogramm. Heute baue man statt dessen Cadillacs, und das sei doch vernünftiger. Ich sah das als einen grobschlächtigen Witz an und wollte laut loslachen, bemerkte aber dann am ernsten, angeekelten Gesichtsausdruck seines beamteten Vertreters, daß der Minister dies ernst meinte. Es wäre mir peinlich, wenn aus meinem Hinweis, daß es wesentliche Unterschiede zwischen den Amerikanern und uns Europäern gibt, der Eindruck entstünde, ich wolle den Amerikanern etwas am Zeuge flicken. Natürlich lassen sich bei einem solchen Vergleich kritische Randbemerkungen nicht vermeiden. Indessen wäre ich nur zu glücklich, wenn unsere westeuropäischen Staaten und Völker, statt verantwortungslos in Luxus und Trägheit zu versinken, sich die Amerikaner in lebenswichtigen Fragen zum Vorbild nähmen. Denn die Amerikaner verfugen nicht nur über fast unerschöpfliche Reserven materieller Natur, sondern sind auch bereit, in ernster Stunde große Opfer fur ihren Staat und ihr Volk zu bringen. So fanden sich im letzten Weltkrieg zahlreiche millionenschwere Wirtschaftsfuhrer bereit, unter Aufgabe ihrer Stellung in den Dienst des Staates zu treten - für ein Jahresgehalt von einem Dollar (the one Dollar men). Was würde wohl das Ergebnis sein, wenn Allensbach9 unter unseren Millionären eine Umfrage veranstaltete, ob sie unter ähnlichen Umständen bereit seien, ähnliche Opfer fur Staat und Volk zu bringen?
Niederlassung und Beginn der Arbeit
Bei meinem kurzen Aufenthalt Mitte November hatte ich mich nach der Möglichkeit, eine Wohnung zu finden, erkundigt. Das Angebot an Häusern war offenbar unbegrenzt. Aber was sollte ich als Junggeselle mit einem Haus anfangen, da gutes Personal, das bereit war, mit in das Haus zu ziehen, nicht aufzutreiben war, sondern nur Stundenhilfen, mit denen mir nicht gedient war? Ich suchte daher nach einem Appartementhaus mit gutem Service. Bis ich ein solches gefunden hatte, wohnte ich im Hotel Dupont Plaza, fünf Minuten von unserer in vier kümmerlichen, und nicht einmal nebeneinander liegenden Häusern unterge179
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brachten Vertretung. Obendrein lag sie in einer schlechten Gegend, in der sich proletarische Neger mehr und mehr breit machten. Am zweiten Tag hatte ich im Hotel noch ein drolliges Erlebnis. Ich bestieg mit einem amerikanischen Ehepaar und ihrem etwa fünfj ährigen Sohn den Lift. Der Junge schaute mich tiefernst von unten nach oben an. Da seine Eltern kleinen Wuchses waren und ich eher langgewachsen bin, schien er mich als Wesen aus einer anderen Welt zu betrachten und fragte mich, ob ich Präsident Eisenhower sei. Ich strich ihm über den Blondkopf und verneinte die Frage, während seine Eltern und ich uns vergnügt angrinsten. Am liebsten hätte ich geantwortet: „Gott sei Dank nicht." Dies wäre kein Votum gegen Eisenhower gewesen, sondern gegen das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten, wohl den unmöglichsten Posten, den es auf dieser Welt gibt. Denn die amerikanische Verfassung sieht vor, daß der Präsident alle wichtigen administrativen und politischen Entscheidungen, soweit sie die Vereinigten Staaten als Ganzes betreffen, höchstselbst treffen muß. Auch ist nur er selbst, wenigstens theoretisch, dem Kongreß verantwortlich. Dies bedeutet, daß auf seinen Schultern eine Last liegt, die übermenschlich ist, und daß er sich, da er von vielerlei Problemen naturgemäß nichts versteht, ganz auf seine persönlichen Berater verlassen muß. Wird er einmal auf eine längere Zeit schwer krank und gerät seine Vertretung durch den Vizepräsidenten ins politische Zwielicht, so droht der ganze administrative und politische Apparat zusammenzubrechen. Daher sind seit langem Erwägungen im Gang, das Amt des Präsidenten von diesem Ubermaß an Verantwortung und Arbeit zu entlasten. Dies aber würde eine Änderung der Verfassung bedeuten, der nicht nur eine qualifizierte Mehrheit des Kongresses zustimmen müsste, sondern auch alle Parlamente der 50 Einzelstaaten. Eine Verfassungsänderung lässt sich daher, auch wenn alle Einsichtigen sie befürworten, nur schwer verwirklichen. Die Wohnungsfrage war rasch gelöst: Ich zog in das „Westchester Apartment House" in einem Villenviertel, das etwas höher gelegen und daher dem mörderischen Klima im Zentrum ein wenig entrückt war. Meine große Drei-Zimmer-Wohnung war in Anlehnung an den Colonial-Style angenehm-neutral möbliert, so daß die wenigen Antiquitäten, die ich gerettet hatte, gut zur Geltung kamen. Sie lag zu ebener Erde und war nur wenige Meter von dem großen Restaurant entfernt, wo ich meine Gäste in einem weitestgehend abgeschirmten Nebenraum bewirten konnte. D a ein Deutscher das Restaurant leitete und die Küche fast gänzlich dirigierte, war das Essen vorzüglich. Und weil ich die Neger menschlich behandelte und mich nach ihrer Heimat und ihren Familienverhältnissen erkundigte, lasen sie mir jeden Wunsch von den Lippen ab und bedienten uns vorzüglich. Nach dem Essen gingen wir in mein Appartement zurück. Dort servierte uns mein Fahrer, ein junger ungarischer Aristokrat, Kaffee und Getränke. Am nächsten Tag hielt er Manöverkritik ab und berichtete mir, ob die Gäste sich gut unterhalten hätten und wer mit wem besonders intensiv gesprochen habe. In der Regel gab ich monatlich zwei bis drei Diners für zehn Personen. Acht Personen erscheinen mir zu wenig, da sich dann nicht zwei Kreise bilden können. Zwölf Personen waren aus Gründen der Sitzordnung protokollarisch schwierig. 180
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Auf der anderen Seite hatte ich den Eindruck, daß man zu meinen Zehn-Personen-Diners gern kam - man empfand diese als originell. Es waren etwa siebenhundert bis achthundert Personen, die ich jährlich zu Tisch bat, und ich habe in den viereinhalb Jahren kaum eine Mahlzeit allein eingenommen. Hatte ich sonst keine Verpflichtung, so lud ich eines der jüngeren Mitglieder unserer Vertretung zum Mittag- oder Abendessen ein. Gleichzeitig war ich immer darauf bedacht, mir am Wochenende genügend einsame Stunden zum Nachdenken vorzubehalten. Viele meiner Mitarbeiter waren der Ansicht, daß ich mich mit dieser breiten Gastlichkeit finanziell ruiniere. D a aber der Service im Mietpreis Inbegriffen war, entsprach dies nicht den Tatsachen. *
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Ehe ich mich mit der Tagesarbeit an unserer Vertretung befasse, will ich vorausschicken, was befreundete Nato-Diplomaten in Paris über die beiden wichtigsten Politiker in den Vereinigten Staaten, den Präsidenten Eisenhower und den Außenminister Dulles, zu berichten wußten. Sie bezeichneten Eisenhower, den sie als den ersten Oberkommandierenden der Nato kennengelernt hatten, als freundlich und besten Willens. Er sei nie pompös gewesen, habe sich nie in den Vordergrund gedrängt, sondern sich eher bescheiden im Hintergrund gehalten. Nie habe er jemanden verletzen wollen, sondern immer, was seine hervorstechende Gabe sei, zu vermitteln gewußt. Ob diese Gabe ausreichte, den schwierigsten Posten der Welt erfolgreich zu bekleiden, blieb im Raum stehen. Die viel schärfere Kritik der Soldaten und den von ihnen geäußerten Zweifel an Eisenhowers Führungsqualitäten vermochte ich weder zu akzeptieren noch zurückzuweisen. In den folgenden viereinhalb Jahren in Washington bin ich oft, und bei den AdenauerBesuchen auch in kleinem Kreis, mit Eisenhower zusammengekommen. Was die Äußerungen der Nato-Diplomaten über seine Liebenswürdigkeit und bescheidene Zurückhaltung anbelangen, so kann ich sie nur bestätigen. Dagegen empfand ich seinen Wunsch, sich bei jedermann beliebt zu machen, auf seinem Posten als Schwäche. Dies umso mehr, als er sich scheute, fur Zivilisten und Militärs, die sein Vertrauen genossen, energisch einzutreten, wenn sie zu Unrecht ins Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik gerieten. Ungeachtet der Neigung weitester Kreise in den Vereinigten Staaten, aus ihm eine mythische Heldengestalt zu machen, kann ich nicht umhin, Zweifel an der Stärke seiner Persönlichkeit zu hegen. Das Urteil der Nato-Diplomaten, als sie von der Ernennung von Dulles 10 zum Außenminister erfuhren, war apodiktisch: „Dulles, das ist der Krieg!" Zwar hielt ich damals, als die Vereinigten Staaten der Sowjetunion noch weit überlegen waren, einen amerikanischen Präventivschlag für nicht völlig ausgeschlossen, aber doch für äußerst unwahrscheinlich. Daß aber Präsident und Kongreß einen Außenminister akzeptierten, der direkt und ohne Alternative auf den Krieg zusteuerte, konnte ich nicht glauben. Ich war daher sehr gespannt, Dulles persönlich kennenzulernen. 181
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In den folgenden Jahren traf ich ihn oft aus Anlaß eines Besuches von Adenauer und Brentano, dann allerdings nur in größerem Kreis. Ab und zu, wenn Krekeler abwesend war, hatte ich indessen Gelegenheit, einen prominenten Gast aus Bonn, etwa Franz Josef Strauß, bei ihm einzuführen. Wir waren dann zu dritt. Wenn Dulles sich nach der Begrüßung wieder an seinen großen Schreibtisch setzte, stellte ich fest, daß er einen markanten Kopf hatte. Als er das Gespräch begann, blickten seine hellblauen Augen hinter starken Brillengläsern meist nach oben an die Zimmerdecke; auch blieb sein Mund, wenn er seine Ausführungen beendet hatte, oft ein wenig geöffnet. Seine Argumentation war brillant und eloquent, wie man es von einem Advokaten seines Ranges, denn er war ja jahrelang ein berühmter Rechts anwalt gewesen, erwarten konnte. Und doch blieb ich mir lange Zeit im Unklaren, was ich von ihm zu halten hätte. Dies war also der Mann, der in den ersten Jahren seiner Amtszeit mit seinen Parolen die Welt teils in Siegeszuversicht, mehr aber noch in Angst und Schrecken versetzt hatte? Er verkündete, er wolle „den Eisernen Vorhang zurückrollen", die osteuropäischen Staaten „befreien", ja eine Politik „hart am Abgrund des Krieges" treiben. Je länger ich ihn kannte, desto mehr überfielen mich Zweifel. War er vielleicht unsicher, von Zweifeln geplagt, und entsprachen seine lautstarken, ja kriegerischen Parolen dem Gesang eines Kindes, das damit im dunklen Wald seine Angst überspielen will? Ich will mit dieser, seinen Zeitgenossen als ausgefallen erscheinenden These kein endgültiges Urteil fällen, sondern sie nur zur Debatte stellen. Jedenfalls würde sie seine fast unbeschränkte Bewunderung, ja Verehrung für Adenauer erklären. Denn in diesem stand ihm ein Partner gegenüber, für den es Zweifel an seiner Person und seiner Rolle in der Welt nicht gab. Indessen war es erst einmal meine Aufgabe, mich um unsere Vertretung, ihre personelle Zusammensetzung und ihre Leistungen zu kümmern. Personell, das war mein erster Eindruck, der sich später noch verstärkte, war die Besetzung ausgezeichnet und ebenso das Verhältnis der Mitglieder untereinander, wozu Krekeler und Federer einiges beigetragen hatten. Und auch die Arbeit, die geleistet wurde, war quantitativ wie qualitativ mehr als ausreichend. Was mich überraschte, war die im Vergleich zu unserer Pariser Vertretung weitgehend unpolitische Art, mit der man der amerikanischen Außenpolitik gegenüberstand und über sie nach Bonn berichtete. Dabei waren die französischen Probleme und Tendenzen, über die es von Paris aus zu berichten galt, begrenzt: Das Verhältnis Frankreichs zur Bundesrepublik, zum Problem der europäischen Einheit, zur Nato, zu den Engländern und Amerikanern und letztlich zu Indochina und Algerien. Unsere dortige Vertretung unterrichtete Bonn laufend darüber und, wie man nachträglich feststellen kann, im großen Ganzen korrekt und sachkundig. Meiner Schätzung nach sandte die Vertretung in Paris pro Tag mindestens ein Telegramm außenpolitischen Inhalts nach Bonn und gab außerdem Nachrichten unverfänglichen Inhalts telefonisch durch. In Washington als der Kapitale der damals unangefochten stärksten Weltmacht war das anfallende Nachrichten-Material immens. Denn kraft ihrer Stellung waren die Vereinigten 182
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Staaten an allen politischen Ereignissen rund um den Erdball interessiert oder gar engagiert. Es galt also, Prioritäten zu schaffen und etwa 90 Prozent des anfallenden Materials von vornherein auszuschalten. Der verbleibende Rest aber mußte, gründlich analysiert und vorsichtig kommentiert, telegrafisch nach Bonn übermittelt werden. Im Gegensatz zu den wirtschaftlichen und kulturellen Fragen, für die der Schriftbericht die angemessene Form ist, spielte er im politischen Bereich die untergeordnete Rolle eines ständig ergänzten Nachschlagewerks für den Länderreferenten im Amt. Es erleichterte ihm die Arbeit, wenn ihm Aufzeichnungen für den Staatssekretär oder Minister abverlangt würden. Die telegrafische Beförderung war kein Hinweis auf die Eilbedürftigkeit, sondern auf die Wichtigkeit der Information. Wenn sie aber wirklich einmal eilig war, so wurde dem Text die Formel „citissime" vorangestellt. Es war mein Ehrgeiz, der von Krekeler geteilt wurde, unsere Berichterstattung trotz sachlicher Vollständigkeit stilistisch so zu komprimieren, daß der Minister oder Staatssekretär von seiner kostbaren Zeit nicht mehr als eine Stunde wöchentlich darauf zu verwenden brauchte, um sich über die amerikanische Außenpolitik und, soweit sie relevant war, auch Innenpolitik aus unserer Washingtoner Sicht zu informieren. Wie weit oder wie oft dies Ideal erreicht wurde, entzieht sich meinem Kenntnis. Indessen sandten wir trotz dieser selbstauferlegten Begrenzung täglich mehrere Telegramme politischen Inhalts nach Bonn. Nach anfanglicher Überraschung war die gesamte Belegschaft fasziniert; sie hatte das Gefühl, an einem Zentralpunkt der Weltpolitik wenigstens als Beobachter beteiligt zu sein. Noch wichtiger aber war es, wie ich bereits betont habe, daß ich jedem meiner „jungen Leute" ein geographisch begrenztes Gebiet, etwa Formosa (heute Taiwan) sowie seine dem Fesdand vorgelagerten Inseln Matsu und Quemoy und das Verhältnis zu Rotchina, als eigenes Referat zuteilte. Alle acht oder vierzehn Tage forderte ich den Referenten auf, mir über sein Sachgebiet, von dem ich wenig verstünde (was zutraf), einen kurzen Vortrag zu halten. Eine mehr als zwanzigjährige Routine erlaubte es mir, in diesem an sich guten Vortrag gewisse Lücken zu entdecken. Er gab mir recht, erklärte aber, darüber habe er bisher nichts erfahren können. Ich erwiderte: „Gehen Sie nachher aufs State Department und versuchen Sie, zusätzliche Informationen zu erhalten. Verarbeiten sie diese in ein Telegramm und legen Sie es mir gegen halb sechs vor. Ich werde es abzeichnen und dem Botschafter zur Unterschrift vorlegen, so daß es noch heute hinausgeht." Er zog höchst zufrieden von dannen. Diese Geschäftsordnung bewährte sich in doppelter Hinsicht. Durch das Delegieren der Arbeit schaffte sie mir Papierkram sekundärer Natur vom Hals, den Referenten aber gab sie das Gefühl, in eigener Verantwortung an der Lösung der uns gestellten Aufgabe beteiligt zu sein. Im übrigen ging ich mit der Zeit dazu über, diese jungen Leute als Mitglieder meines „Kindergartens" zu bezeichnen. Ich verfolgte damit einen doppelten pädagogischen Zweck: Einerseits sollten sie sich wohlwollend-väterlich betreut fühlen, auf der anderen Seite sollten sie vor dem „Höhenrausch" bewahrt werden, dem junge Diplomaten hin und wieder 183
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verfallen. Um einen etwaigen Verdacht von vornherein zu widerlegen: Diese Gruppe war in innenpolitischer Hinsicht keineswegs „gleichgeschaltet". Ein CSU-Mitglied gehörte ebenso dazu wie Sympathisanten der F D P oder SPD. Im übrigen folgte ich mit dieser Methode, was mir erst später einfiel, einem berühmten Vorgänger: dem Earl of Cromer (gestorben 1917) 1 1 , der, ohne den entsprechenden Titel zu fuhren, jahrelang praktisch der Regent von Ägypten war. Auch er sprach von seinem „Kindergarten", wobei er sich des deutschen Ausdrucks bediente, da es eine entsprechende englische Bezeichnung auf den britischen Inseln nicht gibt. In späteren Jahren galt es in England als eine Auszeichnung für jüngere Diplomaten, Mitglied des Cromerschen „Kindergartens" gewesen zu sein. Und für mich ist es die vielleicht größte Genugtuung meiner langen Laufbahn, daß zur Zeit ein Großteil der Spitzenstellungen in unserem Dienst von Mitgliedern meines damaligen Kindergartens besetzt sind. Eine Frage, die seit Jahrzehnten immer wieder gestellt wird, lautet: „Ist die Diplomatie heutzutage nicht ein überholter Beruf?" Ich will versuchen, zu ihrer Beantwortung einen summarischen Beitrag zu leisten, um später dieses Problem noch einmal ausführlich zu behandeln. Natürlich ist das Handwerk, das der Diplomat heute betreiben muß, von demjenigen seiner Kollegen vor fünfzig Jahren grundverschieden. Er würde sich lächerlich machen, wenn er mit der Fülle und der Schnelligkeit der Informationen, die die Massenmedien vermitteln, konkurrieren wollte. Auch gibt es nur sehr wenige Tatsachen, die wirklich geheim bleiben, etwa Einzelheiten über das Gespräch eines Botschafters mit dem Außenminister seines Gasdandes. Von dem von den Massenmedien produzierten Material kann der Diplomat, wie erwähnt, mehr als 90 Prozent von seinem Schreibtisch fegen; denn es gibt bereits Bekanntes in nur wenig veränderter Form wieder oder behandelt Fragen, die seine Regierung nicht interessieren. Den Rest allerdings muß er genau lesen und auswerten. Ein entsprechendes Telegramm lautet da etwa folgendermaßen: „Heutiger Artikel von Reston in Times enthält Andeutung: bei Fortdauer der Unstimmigkeiten könne US-Regierung bereit sein, ihre Haltung gegenüber dem XY-Regime zu überprüfen. Einem meiner Mitarbeiter gegenüber erklärte Reston, das Fallenlassen des XY-Regimes sei bereits beschlossene Sache; er habe dies aus Gründen der Diskretion und Loyalität noch nicht offen aussprechen wollen." Schluß des Drahtberichts. Ein anderes Telegramm von sekundärer Bedeutung lautete etwa folgendermaßen: „Militärisch versierter Beobachter besuchte kürzlich die direkt vor der Küste Rotchinas gelegenen, aber von Formosa beherrschten Felseninseln Matsu und Quemoy.12 Dortige Lage sei trotz schwerer rotchinesischer Bombenangriffe unverändert." Die schwierigsten und kaum zur Vollkommenheit zu lösenden Aufgaben waren Telegramme grundsätzlicher Art, wie „Sowjetische Weltpolitik nach Sturz Chruschtschows in amerikanischer Sicht" oder „Zunehmende Kritik an Frankreichs Europa- und Nato-Politik". Das Redigieren dieser Telegramme erforderte Tage, ja zuweilen ein oder zwei Wochen. Man mußte die vorliegenden Informationen und die eigenen Argumente für und wider abwägen. Außerdem durfte die Länge des Telegramms ohne Vernachlässigung der Nuancen drei 184
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Seiten nicht überschreiten. Denn das war das Höchstmaß an Lektüre, das man Adenauer zumuten konnte. Es war dies trotz aller Mühen diejenige Aufgabe, die mich in meiner mehr als vierjährigen Zeit in Washington am stärksten faszinierte, und ich war Krekeler dankbar, daß er diese Berichte nach eingehender Diskussion unverändert unterschrieb. Als Triumph aber empfand ich es, daß mir später von glaubhafter Seite folgender Ausspruch Adenauers berichtet wurde: „Die Telegramme von dem Kessel lese ich ja gern - aber seine politischen Ansichten!" Das Kompliment des ersten Satzes machte mir ausgesprochen Freude, die Kritik des zweiten Satzes aber beruhte seit etwa 1955 auf Gegenseitigkeit und störte mich deshalb wenig. Die meiste Zeit kosten dem Botschafter und seinem Stab heutzutage die Besucher, seien es einzelne oder Gruppen, aus der Heimat und vor allem die gründliche Vorbereitung des Besuchs des eigenen Außenministers. Das Auswärtige Amt stellt dann eine Liste der Fragen zusammen, die die Außenminister miteinander besprechen sollten. Die Botschaft kann sie ergänzen. Die gleiche Prozedur findet auf amerikanischer Seite statt. Die beiden Listen werden dann von den zuständigen Referenten verglichen und abgesprochen. Wichtig ist, daß keine Frage vergessen worden ist, noch wichtiger aber, daß die beiden Minister nicht etwa auf ein Problem zu sprechen kommen und sich darüber einigen, das noch gar nicht entscheidungsreif ist. Denn daraus kann sich eine beiderseitige Verstimmung entwickeln. Ein oder zwei Tage vor seiner Abreise nach den U S A wird dem Minister eine vom Amt und der Botschaft gemeinsam erarbeitete „Gesprächsmappe" vorgelegt. In dieser wird zu jedem bei den Gesprächen nur denkbar vorkommenden Thema präzise aber in Kurzform Stellung genommen. Die Experten können nur hoffen, daß der Minister die verschiedenen Aufzeichnungen auch wirklich liest, was leider nicht immer der Fall ist. Der Besuch selber wird meist zu einer schweren physischen und auch psychischen Belastung fur die Mitglieder der Botschaft. Denn sie müssen sich zwar im Hintergrund halten, aber trotzdem ständig dabei sein, es sei denn, daß die Minister sich zu einem Gespräch unter vier Augen zurückziehen. Und außerdem müssen sie, wenn die Minister schon schlafen gegangen sind, oft bis spät in die Nacht, das Programm fur den nächsten Tag überprüfen und das Schluß-Kommunique entwerfen. Man seufzt erleichtert auf, wenn der Minister wieder in sein Flugzeug steigt, ohne daß es bei dem Besuch zu Pannen gekommen wäre. Eine schwere Belastung fiir die Diplomatie, aber auch fur die westliche Außenpolitik überhaupt, ist die ständig weiter um sich greifende Mode, eine Konferenz nach der anderen abzuhalten. Die Termine dieser Konferenzen liegen viel zu dicht beieinander, wohl um der Öffentlichkeit Sand in die Augen zu streuen. Man habe sich zwar in gewissen Punkten - meist den entscheidenden - nicht einigen können, das sei aber nicht weiter schlimm. Denn die nächste Konferenz finde ja bereits in etwa vier Wochen statt. Hinzu kommt die Tatsache, daß die Dauer dieser Zusammenkünfte zu knapp bemessen ist, weil man sich vorJahr und Tag eine Frist gesetzt hat, bis zu der dies oder jenes Problem endgültig gelöst sein müsse. Deshalb rasen unsere Außenpolitiker im Flugzeug um den Erdball und stolpern von einer schlecht vorbereiteten Konferenz in die andere. Und es kommt dann, um die oben erwähnten Fristen
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einzuhalten, zu sogenannten Marathon-Sitzungen, die am Morgen des einen Tages beginnen und bis in die Morgenstunden des nächsten Tages dauern. Das Resultat ist entsprechend: Man einigt sich auf den geringsten gemeinsamen Nenner. Kommt dann der Minister total übermüdet und psychisch ausgelaugt in seine Hauptstadt zurück, so kann er sich nicht ausruhen und sich auch nicht an seinen Schreibtisch im Büro setzen, sondern muß aus parteipolitischen Gründen und mit Rücksicht auf seine „publicity" vor dem einen oder anderen Parlamentsausschuß Rechenschaft über die von ihm erzielten Verhandlungserfolge ablegen. Zu seinen „Hausarbeiten", der Erledigung der sich auf seinem Schreibtisch türmenden Akten, kommt er oft spät oder zuweilen gar nicht. Als Ergebnis dieser Methode werden nicht nur die Kräfte der westlichen Außenpolitiker sinnlos vergeudet, sondern die ganze Außenpolitik des Westens in einen Wirrwarr gestürzt, über den sich die Außenpolitiker in Moskau nur vergnügt die Hände reiben können, deren diplomatische Methoden den unseren weitaus überlegen sind. Nachträglich gesehen kann ich ohne Überheblichkeit feststellen, daß sich unsere Arbeit im großen Ganzen sehen lassen konnte und den Vergleich mit unseren Vertretungen in London und Paris nicht zu scheuen brauchte. Allerdings ist das diplomatische Handwerk stets ein mühseliges und nur zu oft enttäuschendes Geschäft. Das erste Ereignis von Bedeutung, mit dem ich mich befassen mußte, war im Dezember 1953 eine Konferenz der Amerikaner, Engländer und Franzosen auf den Bermudainseln13, nicht zu verwechseln mit der Begegnung von Eisenhower und Churchill am gleichen Ort im November.14 Man wollte darüber beraten, ob man die sowjetische Einladung zu einer Viererkonferenz in Berlin annehmen solle oder nicht. Man erwartete wenig oder nichts von einer solchen Konferenz, eine Prognose, die sich als richtig erwies. Gleichwohl entschlossen sich die Staatsmänner der drei Westmächte, die Einladung anzunehmen, und zwar mit Rücksicht auf die sogenannte „öffentliche Meinung". Ich habe damals wie heute diesem Begriff mit Skepsis gegenübergestanden. Gewiß gibt es eine öffentliche Meinung auf kommunaler oder regionaler Ebene in praktischen Fragen, die für die Mehrheit der Wähler in ihrer Bedeutung sichtbar und verständlich sind, wie der Bau eines Krankenhauses auf kommunaler oder die Gründung einer Universität auf Landesebene. Wie aber kann es eine „öffentliche Meinung" über einen ebenso hochkomplizierten wie weltpolitisch entscheidenden Vorgang wie die Beziehungen zwischen West und Ost geben? Parteipolitiker suggerieren dem ahnungslosen Wähler, er habe da ein Wort mitzureden, statt sich auf dessen Unterrichtung in großen Zügen zu beschränken. Die Geister, die der Parteipolitiker rief, wird der Staatsmann nicht los. Im übrigen tat Churchill auf der Bermuda-Konferenz eine Äußerung, die auch die Bundesrepublik unmittelbar betraf. Er setzte sich in scharfer Form fur die Ratifizierung der EVG ein. Er schilderte die Lage Europas in düsteren Farben, wenn die Ratifizierung scheitere, und fugte hinzu, daß man dann nach einer Alternativlösung suchen müsse. Uber diese Äußerung Churchills unterrichteten wir selbstverständlich unsere Regierung rasch und eingehend. Später erfuhren wir immer wieder, teils von Mitgliedern der Britischen Botschaft direkt, 186
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teils vom State Department, daß man in London über eine Alternativlösung nachdenke. Wir spielten diese Informationen bewußt herunter, um zu verhindern, daß Adenauer, der den Engländern ohnehin alles Böse zutraute, bei einem Scheitern der E V G London dafür verantwortlich machen könne. Wir berichteten wahrheitsgemäß, die britische Regierung betrachte nach wie vor die E V G als Ideallösung. Lediglich auf der Ebene der Experten prüfe man Alternativ-Vorschläge im Falle ihres Scheiterns. Wie sehr sich das Blatt seit damals gewendet hat, geht daraus hervor, daß die Sowjetunion auf Beteiligung Rotchinas an der Berlin-Konferenz drängte, später allerdings diese Forderung fallen ließ. Damals wirkte der Gedanke einer Teilnahme Chinas auf die Amerikaner wie ein rotes Tuch; heute, zwanzig Jahre später, würde diese den gleichen Effekt auf die Sowjetunion haben. Was mich aber bedrückte, war die Umständlichkeit, mit der sich die drei Westmächte bewegten. Sie vergeudeten zwei oder drei Wochen, ohne zu einem festen Entschluß zu gelangen, ja, es hieß sogar zeitweise, sie wollten noch eine zweite „Bermuda"-Konferenz in Paris abhalten. Das erinnerte auf peinliche Weise an einen Ausspruch des französischen Moralisten Rivarol 15 , der vor den „Sansculotten" der französischen Revolutionsarmee geflüchtet war und als Emigrant in Hamburg lebte. Uber die Gegner der französischen Armee schrieb er: „Die Verbündeten waren immer um ein Jahr, eine Armee, einen Feldzug im Rückstand." Aus Bonn war zu erfahren: Bidault 16 erkläre nach wie vor, die Ratifizierung des Vertrages durch die Nationalversammlung sei grundsätzlich gesichert; wir müßten nur ein wenig Geduld haben. Gleichzeitig, so hörten wir, lasse er Andeutungen über britische Intrigen fallen. Er war also dabei, sich, seine Regierung und die Nationalversammlung von aller Schuld an dem Scheitern der E V G reinzuwaschen und den Engländern den „Schwarzen Peter" zuzuschieben. In ihrem beschränkten Rahmen tat die Botschaft ihr Möglichstes, den Kanzler vor dieser bewußten Irreführung zu bewahren. Wenige Monate später lösten die Amerikaner - wie schon früher oder seither - ein Gewitter aus. Die Freunde der Amerikaner waren verstört, die ganze Welt beunruhigt: Ein bisher kaum bekannter Senator, Joe McCarthy 17 , setzte zum Sturm auf die amerikanische Demokratie an. Diese Episode, denn dabei blieb es gottlob, ist gewiß von zahllosen Publizisten und Historikern analysiert und bewertet worden. Ich kann daher über sie und den Eindruck, den sie auf mich machte, nur aus der Froschperspektive berichten. Zu Anfang empfand ich das Ganze als den zum Scheitern verurteilten Plan eines politischen Abenteurers. Niemals würde es ihm gelingen, den demokratischen Rechtsstaat aus den Angeln zu heben und sich an die Spitze eines faschistischen Regimes zu setzen. Bald aber stellte ich mit Erschrecken fest, daß Millionen von Anhängern zwischen New York und San Francisco ihm frenetischen Beifall zollten. Ich legte mir die bange Frage vor, ob das demokratisch-rechtsstaatliche Bewußtsein vielleicht doch nicht wie ein „rocher de bronze" etabliert sei. Für den Außenstehenden war es beunruhigend, mit anzusehen, wie angsterfüllt viele Mitglieder des State Departements auf dem Höhepunkt der McCarthy-Kampagne waren. Einer von ihnen wollte wissen, ob McCarthy eine Art von Hitler sei. Ich konnte ihn 187
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mit der Bemerkung beruhigen, ohne sieben Millionen Arbeitslose, d.h. zehn Prozent der Gesamtbevölkerung, wäre Hitler bei uns nie an die Macht gekommen. Solange die amerikanische Wirtschaft floriere, sei nichts zu befürchten. Andere Freunde und Bekannte erzählten mir entsetzt, ihre Kinder seien fanatische Anhänger McCarthys. Dann aber beging dieser einen kapitalen Fehler: Er griff das Militär an. Das aber konnte Eisenhower, der bisher in peinlicherWeise Untergebene und gute Bekannte im Stich gelassen hatte, nicht hinnehmen: Als Feldherr und Kriegsheld mußte er die Soldaten in Schutz nehmen. Dies aber brachte die Dinge ins Rollen. McCarthy mußte sich einem „Hearing" im Senat stellen, das vom Fernsehen übertragen wurde. Am Abend war er politisch ein toter Mann. In den folgenden Tagen erzählten mir die erwähnten Freunde und Bekannten, ihre Kinder seien entsetzt gewesen und wollten von McCarthy nichts mehr wissen. Es war das erste Mal, daß ich den politischen Einfluß des Femsehens zu spüren bekam, das denjenigen von Presse und Rundfunk bei weitem übertrifft. Und ich frage mich, was mit Hider geschehen wäre, wenn er sich 1932, also vor der Machtergreifung, mit seinen psychopathischen und widerlichen Reden dem Fernsehen hätte stellen müssen. - Insofern war die McCarthy-Episode fur mich von grundsätzlicher Bedeutung. Es muß um jene Zeit gewesen sein, daß mir ein Mitglied der britischen Botschaft folgendes erklärte: Seine Regierung betrachte nach wie vor die E V G als die ideale Lösung. Sollte sie aber am Widerstand der Franzosen scheitern, so werde seine Regierung die Initiative ergreifen. Man denke daran, den Brüsseler Pakt auf die Bundesrepublik auszudehnen. (Daraus entstand später die Westeuropäische Union, die „WEU".) Außerdem solle man dann die Bundesrepublik direkt in die Nato aufnehmen. Ich war ungemein erleichtert, daß endlich eine konkrete Alternative zur E V G sichtbar wurde. Andererseits empfand ich ein gewisses Unbehagen, da wir der Nato unmittelbar beitreten sollten. Wir würden in die militärische Frontlinie geraten und damit die Härte der Sowjetunion uns gegenüber noch verstärken. Seit Beginn des neuen Jahres (1954) beschäftigte uns das Indochina-Problem in zunehmendem Maße und fand in unserer telegrafischen Berichterstattung seinen Ausdruck. Ganz Indochina befand sich in Aufruhr gegen den französischen Kolonialherren. Eine nach Genf einberufene Indochina-Konferenz scheiterte.18 Im März/April handelte es sich nur noch darum, ob die Franzosen ihr Heerlager, ihre Festung Dien Bien Phu, gegen die angreifenden Vietminh verteidigen könnten. Der Fall von Dien Bien Phu war eine Art von kleinem Stalingrad des französischen Kolonialismus.19 Die Amerikaner waren angesichts dieser Entwicklung hin- und hergerissen. Der Antikolonialismus war fiir sie ein fast zweihundertjähriges Dogma. Auf der anderen Seite waren und sind die Franzosen, was auch immer sie tun mögen, fur die Amerikaner die beliebteste aller Nationen. Auch der Gedanke, es wäre schmählich, wenn eine weiße Nation von einer farbigen endgültig geschlagen würde, mochte, wenigstens im Unterbewußtsein, eine Rolle spielen. Im April 1954 erklärte mir einer der höchsten Beamten im State Department, Dien Bien Phu sei von den Franzosen nur noch eine Woche zu halten. Die Niederlage der Franzosen sei auch als amerikanische Niederlage anzusehen. 188
Washington
In Washington gab es zwei Parteien: Die „Falken" verlangten die Entsendung von amerikanischen Divisionen nach Indochina, um die Franzosen „herauszuhauen"; die „Tauben" warnten vor jedem militärischen Engagement. Mit dem Einverständnis von Krekeler stellte ich mich in unserer telegrafischen Berichterstattung nachdrücklich auf die Seite der „Tauben". Amerikanische Divisionen würden genau so wie die französischen vom Dschungel verschlungen werden. Die nachfolgenden zwei Jahrzehnte haben mir recht gegeben. In den ersten Monaten des Jahres 1954 berichtete die Vertretung laufend über politische Fragen, die ich schon in großen Zügen erwähnt habe: den meteorhaften Aufstieg und jähen Absturz McCarthys, das Scheitern der Genfer Indochina-Konferenz und die fur die Franzosen katastrophale militärische Entwicklung in Indochina. Dagegen leisteten die Amerikaner zu dem Thema „Die E V G und ihre eventuelle Alternative" keinen produktiven Beitrag. Die Ursache hierfür war, daß die Amerikaner, wie sie es selber ausdrücken, „one trade minded" sind. In eingleisiger Uberzeugung glauben sie so lange an eine politische Entwicklung, die ihren Wünschen entspricht, bis das Gegenteil eintritt. Erst dann werfen sie das Ruder in kürzester Frist herum, und zwar bis zu neunzig, ja hundertachtzig Grad, was ihre Freunde und Verbündeten verwirrt, ja erschreckt. Im Frühsommer hörte ich im State Department, es lägen Anzeichen über eine zunehmende Entfremdung zwischen Moskau und Peking vor. Für die Chinesen würde die ideologische Gemeinsamkeit von dem Gefühl beeinträchtigt, die Sowjetrussen gehörten trotz allem zur weißen Rasse. Um die gleiche Zeit mußte in Paris die Regierung Laniel 20 zurücktreten, in jener Epoche der französischen Republik kein aufsehenerregendes Ereignis. Wichtig war allerdings, das Bidault als Außenminister in der Versenkung verschwand. Die neue Regierung wurde von Mendes-France 21 gebildet, dem ich seit meiner Pariser Zeit Achtung entgegenbrachte, obwohl ich wußte, daß er der E V G ablehnend gegenüberstand. Die amerikanische und die britische Regierung boten ihren ganzen Einfluß auf, um ihn zu einer positiven Haltung gegenüber diesem Vertrag zu bewegen. Mendes-France aber nahm sich erst einmal ein paar Wochen Zeit. Dann aber ließ er am 30. August das EVG-Projekt auffliegen, tat dies jedoch mit französischer Subtilität. Er legte den Vertrag der Nationalversammlung nicht etwa zur Ratifizierung vor, die diese bestimmt verweigert hätte, sondern setzte die Ratifizierungsdebatte einfach von der Tagesordnung ab. Dies wirkte weniger lautstark, der Effekt aber blieb der gleiche. Ich hatte das Scheitern der E V G seit Jahr und Tag vorausgesehen, konnte aber die vollendete Tatsache nicht mit Gleichmut hinnehmen. Gegenüber denjenigen Mitgliedern des Pariser Establishments, die, im Gegensatz zu Mendes-France, der aus seiner Ablehnung der E V G nie ein Hehl gemacht hatte, uns mit gezinkten Karten an der Nase herumgeführt hatten, konnte ich ein Gefühl der Verbitterung, ja Empörung nicht unterdrücken. Für die Bundesrepublik gab es, wie schon erwähnt, eine erträgliche Alternative: Die Aufnahme in die Westeuropäische Union und die unverzügliche und unmittelbare Mitgliedschaft in der Nato. Dies aber stand in keinem Zusammenhang mit der Einigung Europas. 189
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Die katastrophalen Folgen des Scheiterns der E V G für die europäische Idee habe ich damals unterschätzt. In allen sechs Teilnehmerstaaten herrschte von 1949 an bis August 1954 wahre Begeisterung, vor allem auch in der Jugend, für ein geeintes Europa. Dann kam der große Schock, die Unterstützung der breiten Masse fiel aus. Das Thema ist heute nicht mehr populär und wird nur mit Achselzucken beantwortet. Gewiß basteln auch heute Regierungen, Politiker und Experten an diesem Projekt, aber damit es realisiert werden kann, bedarf es, wie bei Revolutionen und Freiheitskriegen, einer begeisterten und opferbereiten Menge. Davon ist heute, zwanzig Jahre danach, nichts mehr zu spüren, und es fragt sich, ob es in Zukunft neu zu beleben ist oder ob der 30. August 1954 22 nicht der Todesstoß für ein geeintes Europa war. Unmittelbar nach Bekanntwerden des Ereignisses erhielt ich die telegrafische Weisung, nach Köln-Wahn zu fliegen und von dort aus mit dem Auto nach Baden-Baden zu fahren, wo sich die unmittelbare Umgebung Adenauers und die Experten aufhielten, während der Kanzler selber zur Kur auf der Bühlerhöhe weilte. Es erfüllte mich natürlich mit Genugtuung, daß man meine Meinung hören wollte. Das Amt oder, besser gesagt, unser Freundeskreis, funktionierte hervorragend: Braun holte mich auf dem Flugplatz ab und informierte mich eingehend über den Stand der Dinge. Ich setzte ihn in Bonn ab und fuhr nach Süden weiter. Der Kreis, zu dem ich mich in Baden-Baden gesellte, wirkte wie ein Volk aufgeschreckter Hühner. Ich sagte, es sei ja bekannt, daß die Engländer eine Alternative ausgearbeitet hätten, die für uns recht günstig sei. Im übrigen sollten wir nicht nervös sein und die Geduld nicht verlieren. Genau das aber war beim Bundeskanzler nicht der Fall. Er verkündete lautstark: „Der Mendes, der muß wech" und stellte Forderungen in fast ultimativer Form an die französische Regierung. Der amerikanischen und britischen Regierung wurde das zuviel, und so erhielten der amerikanische Hohe Kommissar Conant23 sowie der britische Hohe Kommissar Hoyer Miliar24 die Weisung, Adenauer auf der Bühlerhöhe aufzusuchen und ihm gleichlautende Noten zu übergeben. Der deutsche Dolmetscher gab uns hinterher folgende Schilderung vom Ablauf dieses Ereignisses. Als erster sei Conant erschienen und habe in seiner schulmeisterlichen Art — von Diplomatie hat er nie einen Hauch verspürt - die Note Wort für Wort langsam vorgelesen. Kaum hatte der Dolmetscher den Satz übersetzt, zerfetzte ihn Adenauer sarkastisch in der Luft. Schließlich habe sich Conant fast schlotternd verabschiedet und seinen britischen Kollegen, der gerade auf dem Flugplatz von Baden-Baden landete, vor dem Groll und der mangelnden Einsicht des alten Herrn gewarnt. Hoyer Miliar, einer jener berühmten britischen Amateur-Diplomaten, die mit Fingerspitzengefühl und Humor jeder Situation gewachsen sind, eröffnete das Gespräch mit dem alten Herrn folgendermaßen: „Ist es nicht gräßlich, diese Franzosen verpatzen einem ja jedes Vergnügen? Ich wollte morgen nach Schottland fliegen, um dort Moorhühner (grouse) zu schießen." Er erging sich dann in einer Schilderung, wie aufregend diese Jagd und wie schön Schottland sei und obendrein könne man dort Lachse angeln. Zu diesem ganzen Thema vermochte Adenauer nichts beizutragen, er war zum Zuhören verdammt. Dann aber stand Hoyer Miliar auf, sagte, er wolle die Zeit des Kanzlers nicht über Gebühr in Anspruch neh190
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men, fischte die Note aus seiner Tasche und sagte, er habe hier ein Papier, das Adenauer ja schon kenne, und war, ehe sich der alte Herr von seiner Überraschung erholte, bereits verschwunden. Es war das einzige Mal in den langen Jahren, die ich Adenauer beobachtet habe, daß er sich Emotionen hingab. Auf Grund der Demarche der beiden Hochkommissare wurde ihm klar, daß er Gefahr lief, isoliert zu sein. Schon wenige Tage später war er wieder der kühle, distanzierte Staatsmann. In den Monaten zwischen Herbst 1953 und dem August 1954, in denen sich die westliche Welt dem Rätselraten darüber hingab, ob Frankreich den EVG-Vertrag ratifizieren werde oder nicht, warf ein anderes schwerwiegendes Problem seine Schatten voraus: Es ging um die Zukunft des Saargebietes. Adenauer hatte seine Entscheidung schon vorab kundgetan. Sie lautete, das Saargebiet solle „europäisiert" werden. Diese etwas rätselhafte Formel konnte unter den damaligen Umständen nur bedeuten, daß das Saargebiet der Substanz nach eine Art von französischem Protektorat sein und bleiben solle. Im State Department war man mit diesem Vorschlag zufrieden, entband er doch die USA von schwierigen Vermittlungs-Pflichten. Immerhin erklärte man, wir sollten - es war im Frühjahr 1954 - diese Trumpfkarte nur aus der Hand geben, wenn Frankreich den E V G Vertrag ratifiziert habe. Wie es dann doch, und zwar auf Betreiben von Paris, zur Volksabstimmung im Saarland kam und welche Gründe die Franzosen für ihre Haltung hatten, ist mir nicht mehr erinnerlich. Denn unsere Vertretung in Washington hatte nur am Rande - gewissermaßen als Beobachter - mit diesem Problem zu tun. Die Volksabstimmung im Saarland erbrachte, wie zu erwarten, eine starke Mehrheit zugunsten einer Zugehörigkeit zu Deutschland. Mich interessierte vor allem die Haltung Adenauers in dieser geschichtlichen Phase. Es verging kaum ein Monat, in dem er sich nicht lautstark fur das Selbstbestimmungsrecht unserer zwischen Oder und Elbe lebenden Landsleute einsetzte. Dabei wußte er sehr wohl, daß die Gewährung dieses Rechts nur mit der Neutralisierung Gesamtdeutschlands und der totalen Trennung von unseren Verbündeten und Freunden im Westen erkauft werden konnte, ein Preis, der von neunzig Prozent unserer Wähler abgelehnt worden wäre. Diese seine Forderung war also, wie die Amerikaner es bezeichnen würden, ein reines „Schattenboxen". Den Saarländern dagegen, die sich als Deutsche fühlten und dem westdeutschen Rumpfstaat beitreten wollten, versuchte er, das Selbstbestimmungsrecht zu verweigern; welch ein deutscher Patriot! Im November erhielt ich die telegrafische Weisung, in Montevideo an einer Konferenz unserer Missionschefs in Lateinamerika teilzunehmen. Sie wurde von Hallstein geleitet, der zu einer UNESCO-Konferenz in die Hauptstadt von Uruguay gekommen war. Es befriedigte mich natürlich, daß man damals, wie beim Scheitern der E V G und später u.a. vor der Reise Adenauers nach Moskau, an meiner Beurteilung der Lage interessiert war. Allerdings weigerte man sich, die von mir daraus gezogenen politischen Konsequenzen auch nur zu überdenken, was ich auch heute noch bedaure. 191
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Eines Mittags flog ich von New York ab und landete am späten Nachmittag auf dem Flughafen von Caracas, der am Meeresufer liegt. Auf einer Terrasse sitzend genoß ich die laue Luft jener Tagesstunde. Dieser venezolanische Flughafen schien eine Art Drehscheibe fur ganz Südamerika zu sein. Denn es wimmelte von breitnackigen, geschäftigen Deutschen. Aus ihren laut geführten Gesprächen konnte man entnehmen, daß sie in die verschiedensten Himmelsgegenden Mittel- und Südamerikas ausreisten oder von dort zurückkamen. Sie taten an ihrer Person dar, warum man uns gleichzeitig bewundert und unerträglich findet. Andererseits hatte ein etwa sechsjähriger deutscher Junge von einer Dame, die aus Rio kam, ein Luftgewehr geschenkt bekommen. Nun erlebte dieser blonde, blauäugige Knirps die großen Stunden seines jungen Lebens. Er stand stramm, präsentierte das Gewehr und machte Parademarsch die ganze Restaurant-Terrasse entlang, ein offenbarer Beweis fur die heute so umstrittene These, daß der Deutsche als Soldat geboren wird. Von Caracas ging es wieder über den Wolken in etwa 13 Stunden nach Rio de Janeiro. Kurz vor der Ankunft öffnete sich der Blick auf eine Hügellandschaft, das Tal voll leuchtend roter Äcker, auf den Höhen im Winde wehende Palmenwälder, von einzelnen weißen Blütenbäumen umstanden. Auf dem Flughafen gab es seltsame Tropengewächse mit scharfen Konturen, schwarzgrün und bösartig in den milchigen Morgenhimmel starrend. Buntes lautes Volk lief planlos-geschäftig durcheinander, und im Tor einer über die Straße liegenden Kaserne spielte eine Mischung von Bettler und Polizist zur Freude seiner Kollegen um 10 Uhr morgens auf einer Ziehharmonika Tango. Verschiedene der mitreisenden Nordamerikaner blickten halb verloren, halb bestürzt um sich und wollten wissen, wann wir weiterflögen. Die für den Aufenthalt vorgesehene Stunde sei doch längst verstrichen. Ich versuchte ihnen klar zu machen, wir seien hier im Süden, daher hätten unsere Zeitmaße ihre Gültigkeit verloren. Wir würden trotzdem einigermaßen pünktlich in Buenos Aires ankommen, was in der Tat der Fall war. Erst beim Weiterflug entrollte sich die paradiesische Lage von Rio vor unseren Augen. Romantisch-wilde Höhenzüge stießen auf das Meer zu, schön geschwungene Buchten aussparend, die untereinander nur durch schmale Streifen am Strand oder zwischen den Bergen verbunden waren. In ihnen lag die Riesenstadt herrlich an das überblaue Meer hingebettet. Der weitere Flug bot wenig Bemerkenswertes. In der Umgebung von Montevideo wie eine Stunde später in derjenigen von Buenos Aires blickte man auf fruchtbares, gepflegtes Land herab, Gemüsefarmen, die an Entsprechendes am Niederrhein oder Holland erinnerten. Nach 30 Stunden Flugzeit landete ich etwas mitgenommen in Buenos Aires, einer Riesenstadt mit schönen Parkanlagen am La Plata, der hier bereits 80 bis 100 Kilometer breit ist. Die Stadt war sauber, aber wie ihre Bewohner farblos. Die zahllosen Plakate mit dem Bild des Diktators Perön und seiner schönen, durch ihren vorzeitigen Tod zur Nationalheiligen gewordenen Frau Evita 25 , Spruchbänder und anderes mehr, das alles erinnerte an das faschistische Rom Anfang der dreißiger Jahre. Doch die allgemeine Korruption milderte hier wie einst in Italien die Härten des Regimes. Im übrigen „stellte" der verwitwete Perön seine pädagogische Fähigkeit „unter Beweis", indem er vor einiger Zeit die Schirmherrschaft über 192
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die „Ordensburg" fur den weiblichen Partei-Nachwuchs übernommen hatte. Auffallend war damals - heute mag es anders sein - , wie sehr die Einwanderer über Generationen hinweg ihre nationalen Eigenheiten bewahren konnten. Ein jüngeres Mitglied unserer Botschaft, Jörg Kastl26, mit dem ich von Paris her befreundet war, führte mich erst in ein italienisches Restaurant, wo nach Ende der Stoßzeit der Koch mit seiner Mütze auf dem Kopf aus der Küche heraufkam und als echter Neapolitaner Arien in die Gegend schmetterte. Später in einer Bar fühlte ich mich in das Berlin um 1930 versetzt. Ein deutscher Jude saß am Klavier und spielte in jener einmaligen Mischung aus Präzision und verhaltener Sentimentalität die Schlager jener Jahre, und da alle Anwesenden deutsch waren oder deutsch sprachen, kam ich mir vor wie einer, der einen Film oder ein Schauspiel sieht, die ihn vor 25 Jahren fasziniert haben - das alles aber nicht ohne einen makabren Beigeschmack. Nach zwei Tagen flogen wir - es waren schon einige Botschafter und Gesandte zu uns gestoßen - mit einem dicken, alten Flugboot englischer Bauart nach Montevideo. Obwohl die Stadt südlich laut und nicht gerade sauber war, machte alles einen gemütlichen, bürgerlichen Eindruck. Seither hat sich dies auch durch das Auftreten von Terroristen zum schlechteren gewandt, dort wie überall in den letzten zwanzig Jahren. Unsere Tagung war unter Hallsteins lehrhafter Leitung mit vielen Vorträgen besetzt. Die meisten unserer Missionschefs machten auf mich einen eher dürftigen Eindruck. Wie die Wirtschaft litt auch der Auswärtige Dienst an einem Mangel geeigneter Persönlichkeiten, man merkte in allen Bereichen den Blutzoll des erst vor neun Jahren zu Ende gegangenen Krieges und des nun plötzlich einsetzenden „Wirtschaftswunders". Da eine ganze Anzahl der Missionschefs sich mit ihren Gastländern identifizierte, fuhr ihnen mein kurzer Vortrag über das Verhalten der U S A zu Lateinamerika schrecklich in die Glieder. Ich legte nämlich dar, daß die U S A nur denjenigen Staaten helfen würden, und auch das nur in beschränktem Umfang, die selber etwas zur Beseitigung ihrer Nöte beitrügen. Bei den anderen Missionschefs, wie zum Beispiel bei demjenigen Mexikos, und allen anderen Mitgliedern der Delegation fiel mein Vortrag auf fruchtbaren Boden; ich erntete viel Beifall. Nach einem dreitägigen Aufenthalt in Santiago de Chile flog ich nach Washington zurück, erlebte über Süd-Peru einen unbeschreiblichen Sonnenuntergang; in kühler Nacht landeten wir in Guayaquil, dem Hafen von Quito; die Landung in Panama überschlief ich. In Miami mußte ich etwa drei Stunden auf den Anschluss nach Washington warten, wo wir am 27. November gegen 13 Uhr eintrafen. Auf dem Rückflug fragte ich mich, was an politischen Einsichten ich auf dieser zwölftägigen Reise gewonnen hätte? Ich hütete mich, mir ein Urteil über diesen Kontinent anzumaßen. Indessen waren sich alle Teilnehmer an der Konferenz in Montevideo darin einig, daß der Flugverkehr die Verhältnisse in Südamerika umstürzend verändert hatte. Das zweite, was ich erkannt zu haben glaubte, war, daß der boshafte Ausspruch zutraf: „Südamerika ist ein Kontinent der Zukunft und wird es noch lange bleiben." Trotz aller Schätze und Möglichkeiten mangelte es an Menschen, sowohl zahlen- wie vor allem bildungsmäßig. 193
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Ober- und Mittelschicht waren hauchdünn, und arbeiten tat sympathischerweise niemand gern. Zuschüsse aus den Vereinigten Staaten sollten die Arbeit ersetzen, „leider" aber sahen die Yankees den Wert dieser Methode nicht ein. Als Privatmann allerdings hätte ich lieber eine Zeitlang in Santiago verbracht als in Washington. Denn in Lateinamerika nahm im Gegensatz zu den U S A niemand den eigenen Staat ganz ernst. Leichtlebig, charmant und mit Resten traditionellen Stilgefühls bekannten sich diese Südländer zum „Leben und L e benlassen". Im Herbst 1954 hielt uns ein Problem in Atem, das den Kanzler in eine Wolke des Mißtrauens und Zorns hüllte. Admiral Radford 27 hielt den Zeitpunkt für gekommen, Europa nur noch „peripher" zu verteidigen und die amerikanischen Divisionen von unserem Kontinent abzuziehen. Er verfugte mit dieser These über einen beträchtlichen Anhang im Pentagon. Er besuchte Eisenhower, der sich zum Urlaub in Denver aufhielt, um ihm seine Ansichten vorzutragen. Andere Militärs wie General Ridgway28, damaliger Oberbefehlshaber der Nato, widersetzten sich dem aufs heftigste. Vor allem aber erschien Dulles mit einem ausgedehnten Stab von Mitarbeitern, um die These Radfords29 im Namen des State Department zu bekämpfen, und zwar mit Erfolg. An unserer Vertretung herrschte einhellig die Meinung, die Vorschläge Radfords seien zum Scheitern verurteilt, das Ganze sei eine uninteressante Episode. Nicht so Adenauer. Für ihn gab es nicht nur Thesen eines Admirals, sondern einen geheimen Plan der amerikanischen Regierung, sich militärisch von Europa abzusetzen. Freunde im State Department, die bestens informiert waren, versicherten ungefragt, ein solcher Plan existiere nicht. Ich hatte keinerlei Anlaß, dieser Versicherung zu mißtrauen, und unsere Vertretung berichtete entsprechend. Das erzürnte Adenauer und verstärkte sein Mißtrauen gegen mich. Aber es sollte noch schlimmer kommen. Politiker aus der Bundesrepublik, die ständig Washington besuchten, fragten mich nach dem Radford-Plan, der ja in Bonn soviel Wirbel erzeugt habe. Ich antwortete ihnen, meiner Überzeugung entsprechend, einen solchen Plan gäbe es nicht, sondern nur den Vorschlag Radfords, der aber verworfen worden sei. Legitimerweise gaben diese Politiker meine Äußerung weiter, die auch dem Kanzler zu Ohren kam. Seine Reaktion darauf konnte ich mir, was meine Person betraf, vorstellen. Blieb der Radford-Vorschlag nur eine Episode, so schlug der Kennan-Plan eines Disengagements -Abzug der sowjetischen wie der amerikanischen Truppen aus ganz Europa - hohe Wellen. Auf Einzelheiten brauche ich mich hier nicht einzulassen, sondern den Plan nur in großen Zügen wiederzugeben: Die sowjetischen Divisionen sollten sich in ihr eigenes Land zurückziehen, die amerikanischen über den Atlantik heimfliegen. Ganz Europa sollte neutral, oder, wie man heute sagen würde, „blockfrei" bleiben. Das freie Europa würde nicht nur von der sowjetischen Westgrenze bis zu den Pyrenäen reichen, sondern mit der Zeit zwangsläufig auch vom Nordkap bis an die Dardanellen, wobei zu verhindern wäre, daß es auf dem Balkan zu blutigen Aufständen gegen die bisherigen kommunistischen Diktaturen käme. Die naheliegende Ablehnung dieses Plan besagte, die sowjetischen Divisionen brauchten - wie bereits erwähnt - sich nur um eine verhältnismäßig kurze Strecke zu Lande 194
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zurückziehen, die amerikanischen Divisionen dagegen müßten über viele Tausende von Kilometern nach den USA fliegen. Dem konnte man entgegenhalten, daß sich, solange die USA auf dem Gebiet der Kernwaffen den Sowjets eindeutig überlegen waren, letztere hüten würden, in Europa einzumarschieren und so Gefahr zu laufen, daß ihr eigenes Land atomar in Schutt und Asche gelegt würde. Natürlich würde es langer, vielleicht jahrelanger Verhandlungen mit der Sowjetunion über diesen Plan bedürfen, deren Chancen gering sein würden. Sollten sie jedoch erfolgreich sein, so würde Europa dafür jähre- wenn nicht jahrzehntelang der Sowjetunion alljährlich Milliarden von Industrie- und Konsumgütern umsonst liefern müssen. Der Plan verhieß also keineswegs, daß den Westmächten das große Los in den Schoß fallen würde. Aber wenn auch die Chancen fur einen Erfolg noch so gering waren, mußte der Versuch gemacht werden, die von Roosevelt seinem „Freunde" Stalin zugestandene Teilung Europas wieder gutzumachen. Diese Auffassung teilten die meisten meiner westeuropäischen [Kollegen]30 in Washington mit mir, und die Botschaft berichtete entsprechend, wenn auch vorsichtig nach Bonn. Adenauer aber reagierte darauf mit einem Wutanfall; wer von da an auch nur das Wort disengagement in den Mund nahm, galt als illoyal. Auch im persönlichen Bereich bekam ich Arger wegen des disengagement-Problems. Der CDU-Abgeordnete Kurt Georg Kiesinger31 - der spätere Bundeskanzler - war zu Besuch in Washington. Er hatte offenbar das Interesse amtlicher Kreise an ihm als dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses überschätzt und begann, da er einen Aufenthalt von einer ganzen Anzahl von Tagen eingeplant hatte, sich zu langweilen. Er sagte mir deshalb, er habe von den hochinteressanten Diskussionsabenden gehört, die ich mit den jüngeren Mitgliedern der Botschaft veranstaltete, und fragte mich, ob er an einem solchen teilnehmen könne. Obwohl bisher nie ein Außenstehender an einem solchen Abend teilgenommen hatte, damit gerade die Jüngeren ihre persönliche Meinung ohne jede Rücksicht vortragen konnten, lud ich in einem Augenblick der Verblendung Kiesinger zur Teilnahme ein. Aber damit nicht genug: Ich verhinderte nicht, daß ausgerechnet an diesem Abend das disengagement-Vmb\e.m diskutiert wurde, wobei die Jüngeren sich einhellig mit Verve für den Versuch eines disengagements einsetzten. Einem jüngeren Mitglied der Botschaft gegenüber äußerte sich Kiesinger bei der Fahrt in sein Hotel dahingehend, es sei ein faszinierender Abend gewesen. Auch am nächsten Morgen brachte er mir gegenüber, was nur fair gewesen wäre, keine Bedenken wegen der Diskussion gerade über dieses Thema vor, Bedenken, die ich leicht hätte zerstreuen können. Statt dessen denunzierte er mich, nach Bonn zurückgekehrt, als Neutralisten, der Zellen (!) bilde und die Politik der Bundesregierung zu unterwandern suche. Als ich bald danach nach Bonn kam, stellte mich Brentano zur Rede. Ich erwiderte ziemlich scharf, es sei absurd, mich als Neutralisten zu bezeichnen. Denn selbst in meiner Privatkorrespondenz mit mir bekannten Politikern und Publizisten legte ich immer wieder dar, weshalb ich eine Neutralisierung Gesamtdeutschlands fur lebensgefährlich hielte und ablehne. Im übrigen habe das disengagement-Vmbltm nur an einem Abend zur Diskussion gestanden. Ein andermal sei die Rückwirkung des Scheiterns der EVG auf die Einigung 195
„Gegen Hitler und für ein anderes Deutschland"
Europas das Thema gewesen. Brentano war offenbar von meiner Darstellung überzeugt, der Zwischenfall beigelegt. Im Januar 1955 fuhr ich mit dem britischen Botschaftsrat Adam Watson32, mit dem ich befreundet war, auf dessen Einladung nach Princeton, um George Kennan33 zu besuchen. Princeton war eine stille Landstadt, eine Zugstunde südlich von New York. Villen aus weiß gestrichenem Holz lagen unter alten Bäumen, ein Erinnern an die vornehmen Außenviertel von Potsdam glitt vorüber. Die Universität, die in ihren zurückhaltend neugotischen Dormitorien etwa 3000 Studenten beherbergte, machte einen für unsere Begriffe ebenso wohlhabenden wie gediegenen Eindruck. Die Studenten selber wirkten, im Gegensatz zu der Vorstellung, die man sich von ihnen und den Besuchern der beiden anderen berühmten Universitäten, Harvard und Yale, machte, wenig einheitlich. Neben Aristokraten aus Neu-England sah man intellektuelle Juden aus New York - also fand der kleinkarierte Antisemitismus hier keinen Eingang. Auch waren einige gangsterhafte Typen zu sehen, denen ich nachts ungern in Chicago begegnet wäre. Die großen Sporthallen, vor allem aber das wunderbare moderne Bibliotheksgebäude, waren das Ergebnis von privaten Stiftungen. Das mußte einen Deutschen nachdenklich stimmen, bei uns flöß das private Geld in egoistische Bahnen [...]. 34 Bereits mittags begannen Kennan, Watson und ich lebhaft über politische Prinzipien zu diskutieren und streiften dabei auch die Grenzbereiche der Religion. Es begann sich schon jetzt - abends und am nächsten Tag sollte das noch deutlicher werden - eine merkwürdige Situation fur mich abzuzeichnen. Meine beiden Partner maßen dem deutschen Volk nicht nur im geistigen, sondern auch im politischen Bereich einen höheren Rang, eine wichtigere Vermittlerrolle zu, als ich es ihm zuzubilligen oder von ihm zu erwarten geneigt war. Für diesen Amerikaner und fur diesen Engländer sowie manch andere Angelsachsen, das sollten viele, teils lebhafte, teils nachdenkliche Gespräche in den nachfolgenden Jahren erweisen, waren die Deutschen noch immer das Volk Goethes, Hölderlins, Hegels und Bismarcks, begnadet weit mehr als verdammt, und ein unentbehrlicher Katalysator zwischen dem amerikanischen und dem russischen Koloß. Ich war erschrocken und verlegen, weil ich fürchtete, daß dieses mein Volk nicht die „heilige Nüchternheit" (Hölderlin) besitzen werde, dieser Rolle gerecht zu werden und weil ich mir voll Scham bewußt war, daß man daheim nur noch an eines glaubte, an den brutalen Materialismus, das „Wirtschaftswunder". Nachmittags besuchte ich Ernst Kantorowicz35, der in seinen jungen Jahren das heroische Staufer-Epos, den „Friedrich den Zweiten", geschrieben hatte, ein Buch, das uns bei seinem Erscheinen fasziniert und zu lebhaften Debatten angeregt hatte. Ich traf einen etwas preziösen Juden an, dem ich mir aufgetragene Grüße bestellte. Das Gespräch war angenehm, aber unverbindlich: Er wollte meine Meinung über Deutschland, das er alljährlich besuchte, erfahren, und ich stellte Fragen über die amerikanische Jugend. Der von ihm gebrauchte Ausdruck „seelenlos" rief meinen Widerspruch hervor, und ich machte ihm den Vorschlag, dies Urteil durch die Adjektiva „gefühlsarm, amusisch, unerotisch" zu ersetzen. Denn ich hatte Bedenken dagegen, wenn die Deutschen und neuerdings auch viele der nach Amerika emigrierten deutschen Juden die „Seele" mit musischer und erotischer Begabung gleichsetzen. 196
Washington
Abends ein Essen bei Kennans mit drei weiteren Gästen, die Atmosphäre wie in einem preußischen Gelehrtenhaus. Kennan und Watson „schlidderten" ungewollt in den Austausch von Erinnerungen an das Winterhalbjahr 1944/45 hinein. Sie nahmen damals in untergeordneter Stellung an den Verhandlungen in Moskau über - oder besser gesagt - um das Gebiet von den Pripjet-Sümpfen bis an die Elbe und von Reval bis an die Tore von Konstantinopel teil. Es ging wie immer, wenn Männer sich gemeinsam verbrachter Jugendzeiten" (Jugend ist in diesem Falle alles, was mehr als fünf Jahre zurückliegt) erinnern, nicht ohne Gelächter und Anekdoten ab. Dahinter jedoch stieg, den beiden Erzählern bewußt, aber von den anderen Anwesenden kaum gespürt, das Grauen auf. Das Grauen darüber, wie verantwortungslos, mit welch billigem Optimismus und mit welch lächerlicher Selbstgerechtigkeit die bourgeoisen Staatsmänner des Westens ganz Osteuropa, den Balkan und mehr als die Hälfte unseres Landes den sowjetischen Machthabern zugespielt hatten. Es war gespenstisch zuzuhören, wie dort im Kreml nächtelang um nichtige Formalitäten „gerungen" wurde, und sich bewußt zu sein, daß um die gleiche Stunde schon wieder eine neue Welle der Roten Armee tiefer in das Abendland einbrach. Macht ist, wie Jacob Burckhardt sagt, in sich selber böse; sie gehört aber nach der Lehre der katholischen Kirche zur „Erbsünde", d.h. zu den dem Menschen eingeborenen Trieben. Diese Triebe aus Bequemlichkeit oder aus jenem Zwei-Groschen-Optimismus, der auf Rousseau zurückgeht, nicht sehen zu wollen, ist eine weitere Sünde - die sich leider zumeist an Unschuldigen rächt. Kennan war, ebenso wie Kantorowicz und der „Atom"-Oppenheimer 36 , Mitglied des „Princeton Institute for Advanced Studies", jener großartigen Institution, an der die Gelehrten, von materiellen Sorgen befreit und von der Pflicht zu Vorlesungen entbunden, ihren Studien nachgehen können. In jenem Institut haben wir zu dritt am nächsten Tag die Weltlage ernsthaft durchgesprochen. Kennan, bis zu einem gewissen Grad von Watson unterstützt, vertrat die These, die Bundesrepublik müsse sich rechtzeitig vom Westen und aus der N A T O lösen. Nur dann bestehe Hoffnung auf Wiedervereinigung, deren Verwirklichung allein den Frieden sichern könne. Ich verfocht die Meinung, die Deutschen brauchten und wünschten unbedingt die enge Anlehnung an den Westen. Nur dies könne ihnen das Gefühl geben, politisch gesichert und - sehr wichtig für ein von Komplexen geplagtes Volk - „gesellschaftlich" akzeptiert zu sein. Uber unseren Verteidigungsbeitrag müsse man nach Ratifizierung der Verträge, aber vor der Aufstellung der zwölf Divisionen mit Moskau in ein Gespräch zu kommen versuchen. Ich entwickelte eine Art von „Österreich"-Lösung, zwar freie Wahlen und Einsetzung einer Reichsregierung in Berlin, aber ohne den sofortigen Abzug der fremden Truppen, die noch drei Jahre im Land bleiben könnten. Kennan hielt diese These immerhin für erwägenswert. Auch bei Kennan glaubte ich übrigens, wie bei so vielen Außenpolitikern unserer Tage, ein Überwiegen theoretischer und legalistischer Erwägungen zu entdecken. Auch er war nicht, wie Churchill und Adenauer (und später Chruschtschow) eine primär politische Natur. Die Wurzel des Politischen ist das Spiel, aus der Intuition hineinwachsend in das erfahrene Können, daher mit dem Wort „Spiel" nicht das Roulette meinend, das den politischen 197
.Gegen Hitler und für ein anderes Deutschland"
Abenteurer auszeichnet, sondern auf den olympischen Sieger und den großen Dirigenten hinweisend. Später revidierte ich bis zu einem gewissen Grade dies Urteil über Kennan: Seine Bescheidenheit verbot ihm, sich auf seine Intuition zu „berufen", und sein derzeitiger „Beruf' eines Professors legte ihm nahe, die aus dem Unmittelbaren gespeiste Auffassung mit Theorien und juristischen Argumenten abzustützen. Schon bei jener ersten Begegnung empfand ich ihn als eine Gestalt von hoher menschlicher Bedeutung. Er verband das optimistische Wohlwollen der Amerikaner, den „good will" auf hoher Ebene, mit der Geistigkeit Europas und insbesondere Deutschlands. Er formte daraus ein Einheitliches, das er gelassen und in christlicher Schlichtheit ausstrahlte. Nach diesem Besuch in Princeton riß die Verbindung zwischen Kennan und mir nicht ab, wenn wir uns auch nur selten sahen, da er ja in Princeton lebte und, wenn überhaupt, nur kurz nach Washington kam. Sagte er sich einmal gegen Abend zu einem Besuch in meinem Appartement an, so blieb es ungewiß, ob er überhaupt kommen würde, denn ihm mangelte jedes Gefühl für Zeit. Einmal, als er ganz ausfiel, rief ich seine reizende norwegische Frau in Princeton an, ob ihm etwas zugestoßen sei. Sie erwiderte lachend, George sei also wieder einmal verlorengegangen, das sei häufig der Fall; er werde schon irgendwann bei mir aufkreuzen, und in der Tat erschien er am nächsten Abend. Es war für mich immer eine Freude, ihm zuzuhören, wenn er, auf meinem Sofa sitzend, leise, bescheiden und nachdenklich seine politischen Ideen entwickelte. Im State Department genoß er bei allen, die ihn näher kannten, größtes Ansehen. Dabei waren seine politischen Konzeptionen denjenigen von Dulles diametral entgegengesetzt. Dulles trieb, wie bereits erwähnt, im Grunde eine defensive Politik, denn er sprach von containment (in Schranken halten), verbrämte dies aber mit wilden Redensarten wie „den Eisernen Vorhang zurückrollen". Kennan dagegen vertrat mit leiser Stimme seine Politik des disengagement, die zu einem Rückzug der sowjetischen Divisionen aus Europa führen sollte, also zwar friedlicher, aber politisch offensiver Natur war. Ein abendliches Gespräch mit Kennan ist mir noch heute in lebhafter Erinnerung, denn ich lernte dabei etwas, was ich auch später zuweilen beobachten konnte: Sehr intelligente Menschen wissen zwar meist sehr viel, verlieren dabei aber jede Naivität. Wirklich kluge Menschen aber bewahren eine fast kindliche Naivität, die ihnen zwar hin und wieder den Blick auf die Realitäten trübt, aber gleichzeitig eine große Kraft verleiht. Kennan begann das Gespräch mit einer Schilderung, wie er 1941 als Geschäftsträger - der Botschafter war bereits vorher abberufen worden - mit dem gesamten Stab der Botschaft irgendwo, ich glaube, es war in Oberursel im Taunus, den Austausch der beiderseitigen Diplomaten abwarten mußte. Ohne sich zu beklagen, ließ er durchblicken, daß diese monatelange Internierung keinesfalls angenehm gewesen sei. In dieser langen Zeit hätten ihn nur zwei Telegramme des State Departement erreicht. Das eine besagte, die Auslandszulage zu ihrem Grundgehalt sei gestrichen, das zweite, wenn sie nach Washington zurückkehrten, hätten sie keinen Anspruch auf Urlaub. Dies hätte man ihnen ja auch nach der Heimkehr eröffnen 198
Washington
können. Ich erwähne diese Episode nur, weil die Verwaltungsabteilungen der Außenministerien rund um die Welt nach der Parole „Streng, aber gerecht" zu verfahren scheinen. In Washington zurückgekehrt, so fuhr Kennan fort, sei er nicht nur vom Außenminister, sondern auch von vielen anderen Prominenten empfangen worden, Sie alle hätten wissen wollen, wie es in Nazideutschland aussehe. Er habe sie weitgehend enttäuschen müssen, denn von den Intemierungslagern aus habe man wenig erfahren oder beobachten können. Dann aber habe er diejenigen, die entscheidenden Einfluß auf die Gestaltung der amerikanischen Außenpolitik gehabt hätten, gefragt, ob sie ein geeintes Europa anstrebten. Alle hätten diese Frage emphatisch bejaht. Daraufhin habe er ihnen auseinandergesetzt, daß dies[es] Europa in praxi bereits bestehe. Es reiche zur Zeit von der Wolga bis an die Pyrenäen, vom Nordkap bis nach Nordafrika. Natürlich müsse man dies geeinte Europa auf die Kernlande beschränken, auch müsse man die Nazigrößen je nach Schwere ihrer Verbrechen entweder sofort erschießen oder vor ein Kriegsgericht stellen. Auf keinen Fall aber dürfe man auf die deutschen Sachverständigen und die Zehntausende von unschuldigen Offizieren verzichten, sondern man müsse sie unter alliierter Kontrolle weiterarbeiten lassen. Denn nur auf Grund des genialen Organisationstalents der Deutschen könne man das Fundament fur ein geeintes Europa legen. Man habe seinen Plan kategorisch abgelehnt, ohne sich die Mühe zu machen, auch nur darüber nachzudenken. Ich äußerte mich nicht dazu, sondern erwog nur, wieviel Leid der Menschheit erspart geblieben wäre, wenn man diesen Plan, und mochte er noch so naiv sein, auch nur als Marschroute akzeptiert hätte. Statt dessen habe man sich zwei Jahre später in Casablanca auf die hirnverbrannte Formel von der „bedingungslosen Kapitulation" Deutschlands festgelegt. Und ich dachte daran, daß dieser Kennan, der immer wieder seine Sympathie fur uns Deutsche kundtat, von Adenauer, Hallstein und ihrem Anhang als unser Feind verteufelt wurde.
199
Lebenslauf
1902
Am 6. November in Oberglauche/Schlesien geboren als Sohn des preußischen Offiziers, Fideikommißherrn und Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses und der Gesetzgebenden preußischen Landesversammlung Kurt von Kessel, und Theodora von Kessel, geb. von Bethmann Hollweg
1922
Abitur an der Klosterschule in Roßleben
1926-1926
Studium der Rechtswissenschaften in München und Breslau
1926
Referendarexamen in Breslau
1927
Eintritt in den Auswärtigen Dienst
1930
1 1 . April: Dienstantritt an der Deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl in Rom
1932
28. September: Dienstantritt am Generalkonsulat Kattowitz; ab Oktober 1934 als Vizekonsul
1935
Januar bis April: Kommissarische Beschäftigung zunächst im Auswärtigen Amt, dann von April bis Oktober als Vizekonsul am Generalkonsulat Memel
1935
19. November: Dienstantritt als Legationssekretär an der Gesandtschaft Bern
1937
19. Februar: Dienstantritt zunächst im Protokoll des Auswärtigen Amtes Berlin, dann Einsatz im Büro Staatssekretär
1938
7. Dezember: Abordnung zum Präsidenten des Geheimen Kabinettsrats, Reichsminister Konstantin von Neurath
1939
3. April: Ernennung zum Legationsrat und Übersiedlung nach Prag zusammen mit Neurath, der seit 18. März Reichsprotektor in Böhmen und Mähren war 1. Oktober: Rückkehr ins Auswärtige Amt; Dienstantritt im Büro Staatssekretär 201
„Gegen Hitler und für ein anderes Deutschland"
1940
13. Januar bis 20. Mai: Kommissarische Beschäftigung als Konsul am Generalkonsulat Genf 22. Mai: Dienstantritt im Auswärtigen Amt
1941
3. Februar: zunächst kommissarische Beschäftigung, am 12. Februar Ernennung zum Konsul am Generalkonsulat Genf
1943
20. Juli: Dienstantritt, am 6. August Ernennung zum Gesandtschaftsrat an der Deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl in Rom 28. Dezember: Ernennung zum Gesandtschaftsrat 1. Klasse
1946
Rückkehr nach Deutschland; zunächst Hilfsarbeiter beim Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Deutschlands in Stuttgart, dann Herausgeber der .Außenpolitischen Briefe"
1950
2. Juli: Dienstantritt im wiedereingerichteten Generalkonsulat (seit Juli 1951 Diplomatische Vertretung) Paris als Leiter der Konsularabteilung 20. Oktober: Ernennung zum Vortragenden Legationsrat
1951
6. September: Stellvertretender Leiter der deutschen Delegation bei der Konferenz für die Organisation einer europäischen Armee (später Interimsausschuß der Konferenz fur die Organisation einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft) in Paris
1953
20. November: Dienstantritt, ab 22. Dezember Gesandter an der Diplomatischen Vertretung (seit Mai 1955 Botschaft) Washington
1958
Rückkehr ins Auswärtige Amt Bonn, Abteilung 7 (Ost)
1959
14. August: auf eigenen Antrag Versetzung in den einstweiligen Ruhestand
1959-1976
freier Publizist
1976
15. April: verstorben in Bonn
202
Anmerkungen
Albrecht von Kessel (1902-1976) ι Teil Rom dieses M S ; vgl. dazu auch die editorischen Vorbemerkungen; neben dem Privatnachlaß Albrecht von Kessels (Familienbesitz - im Text abgekürzt als N L AvK) sind als Primärquellen ein weiterer Teilnachlaß mit insbesondere dienstlichen Handakten Kessels im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin (PA-AA) sowie die Personalakte Kessels, ebenfalls im Politischen Archiv, herangezogen worden. Die bisherige Literatur über Albrecht von Kessel ist knapp. Sein Name findet sich in den einschlägigen Werken zum 20. Juli 1944 vor allem im Zusammenhang mit den Auslandskontakten des Widerstands. (Vgl. insbes. Peter Hoffmann, Widerstand, Staatsstreich, Attentat. Der Kampf der Opposition gegen Hitler, München 1969; Klemens von Klemperer, German resistance against Hitler. The search for allies abroad 1938-1945,
Oxford 1993; Ulrich Schlie, Kein Friede
mit Deutschland. Die geheimen Gespräche im Zweiten Weltkrieg, München 1992). Allerdings fehlt Kessels Name auch in Joachim Fests populärem Buch Staatsstreich. Der lange Weg zum 20.Juli (Berlin 1994). In den biographischen Sammelwerken zum Widerstand sucht man ein Portrait Kessels vergeblich: [Rudolf Lill, Heinrich Oberreuter (Hgg.), 20. Juli 1944· Portraits des Widerstands, Düsseldorf 2 i 995; Ger van Roon, Widerstand im Dritten Reich, München 4 i 987; Klemens von Klemperer, Enrico Syring, Rainer Zitelmann (Hgg.), Für Deutschland, Berlin 1994; Peter Steinbach, Johannes Tuchel (Hgg.), Lexikon des Widerstandes 1933-1945,
München 2 i998].
Kessel ordnete sich weder bei den christlichen Demokraten gegen Hider ein (Günter Buchstab, Brigitte Kaif, Hans-Otto Kleinmann (Hgg.), Christliche Demokraten gegen Hitler. Aus Verfolgung und Widerstand zur Union, Freiburg 2004), noch gehörte er zum sozialdemokratischen Flügel. Am nächsten stand er den Kreisauern (vgl. dazu Helmuth James von Moltke, Briefe an Freya 1939-1945,
hg. von Beate Ruhm von Oppen, München
1988; Ger van Roon, Neuordnung im Widerstand. Der Kreisauer Kreis innerhalb der deutschen Widerstandsbewegung, München 1967), konnte jedoch aufgrund seiner Auslandsverwendungen nur selten an deren Treffen in Berlin und auf Gut Kreisau teilnehmen. Neben einer biographischen Einleitung zu der 1992 herausgegebenen Verborgenen Saat von Peter Steinbach ist als einzige größere Studie Harald Vockes Biographie Abrecht von Kessel. Als Diplomatfür Versöhnung mit Osteuropa zu nennen. Vockes Studie ist indes unvollständig, da dieser seinen Schwerpunkt auf Kessels Tätigkeit im Auswärtigen Amt in der Nachkriegszeit setzt und - von einigen rückschauenden Bemerkungen abgesehen - die frühen Jahre und die Anfänge der Karriere im Auswärtigen Dienst, die Zeit von 1902 bis 1943 nahezu ausklammert (Harald Vocke, Albrecht von Kessel. Als Diplomat für Versöhnung mit Osteuropa. Freiburg, Basel, Wien 2001). Die bislang ausfuhrlichste Würdigung von Kessels Rolle im Widerstand gegen Hider findet sich bei Detlef Graf von Schwerin (Detlef Graf von Schwerin, JJann sind's die besten Köpfe, die man henkt". Diejunge Generation im deutschen Widerstand, München 1991). 2 Marion Gräfin Dönhoff, „ Um der Ehre willenErinnerungen
an die Freunde vom 20. Juli, Berlin 1994, S. 1 9 1 .
3 Kessel an Paul Frank, 23. Juli 1 9 7 4 , N L AvK. 4 Marion Gräfin Dönhoff, Mm der Ehre willen" (wie Anm. 2), S. 175. 5 Richard von Weizsäcker, Vier Zeiten. Erinnerungen, Berlin 1 9 9 7 , 8 . 1 1 6 . 6 Vgl. im Teil „Prolog" dieses Buches, S. 3 iff. 7 Albrecht von Kessel, Das stille Gut, Würzburg 2004, S. 67. 8 Ebd., S. 29. 9 Albrecht von Kessel, Verborgene Saat. Aufzeichnungen aus dem Widerstand 1933—1945, hg. von Peter Steinbach, Berlin, Frankfurt 1992, S. 5 7f. 10 Kessel, Verborgene Saat, S. 69. 1 1 Ebd., S. 82. 12 Ebd., S. 1 1 4 .
203
„Gegen Hitler und für ein anderes Deutschland" 13 Ebd., S. 102. 14 Eugen Gerstenmaier, Streit und Friede hat seine Zeit. Ein Lebensbericht, Frankfurt/M. u.a. 1981,8.430. 15 Die Weizsäcker-Papiere 1919-1932,
hg. von Leonidas Hill, Berlin, Frankfurt, Wien 1 9 8 2 , 8 . 2 1 1 .
16 Vgl. insbes. Rainer Blasius, Für Großdeutschland - gegen den großen Krieg. Ernst von Weizsäcker in den Krisen um die Tschechoslowakei und Polen, Köln, Wien 19 81; zu einer anderen Einschätzung der Herausgeber der Weizsäkker-Papiere, Leonidas Hill (wie Anm. 15). 17 Aufzeichnung Ernst von Weizsäckers vom November 1945, PA-AA, Bd. 1028a, Deutsche Botschaft beim Heiligen Stuhl; siehe auch Kessel, Verborgene Saat, S. 164. 18 Ebd., S. 78f. 19 Ebd.,S. 2oof. 20 Klemens von Klemperer, Nationale oder internationale Außenpolitik des Widerstands, in: Jürgen Schmädeke und Peter Steinbach (Hgg.), Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Die deutsche Gesellschaft und der Widerstand gegen Hitler, München, Zürich 1985, S. 639. 21 Kessel, Verborgene Saat, S. 89. 22 Ebd., S. 56. 23 Ebd., S. 69. 24 Ebd., S. 9if. 25 Ebd.,S. 55f. 26 Ulrich Schlie, Kein Friede (wie Anm. 1), S. 1 1 5 . 27 Albrecht von Kessel, Der Weg in die Katastrophe. 25.-31. August J939> ' n : -dus der Schule der Diplomatie. Festschrift zum 70. Geburtstagvon PeterH. Pfeiffer, Düsseldorf 1965, S. 565fr, Zitat auf S. 574. 28 Ulrich Schlie, Kein Friede (wie Anm. i),bes. S. 1 1 3 - 1 3 9 . 29 Weizsäcker an Krauel, 4. Januar 1940, PA-AA, Akten Büro Staatssekretär, Politischer Schriftwechsel des Herrn Staatssekretärs mit Beamten des Auswärtigen Dienstes, Bd. 5. 30 Krauel an Weizsäcker, 9. Januar 1940, ebd. 31 Kessel, Verborgene Saat, S. 184. 32 Willem A. Visser't Hooft, Die Welt war meine Gemeinde, München 1972, insbes. S. i82ff. 33 Kessel, Verborgene Saat, S. 184.fi. 34 Aufzeichnung „Switzerland", 18. Janvier 1940, P R O FO371/24387/C 1 5 1 2 . 35 Aufzeichnung Barbey, „Extrait dune conversation avec M . Burckhardt, ex-Haut Commissaire de la S D N ä Danzig", 30. Janvier 1940, Schweizerisches Bundesarchiv Bern, Ε 27,9708. 36 Helmuth J. von Moltke, Briefe an Freya 1939-1945,
(wie Anm. i),S. 104.
37 Vgl. auch Kessels eigene realistische Einschätzung seiner Position innerhalb des Freundeskreises: Verborgene Saat, S. 13 if. 38 Bescheid der Landesgruppe der A O der N S D A P in der Schweiz, 13. September 1943, PA-AA, Personalakte Kessel, Bd. 1. 39 Kessel, Verborgene Saat, S. 240. 40 Emst von Weizsäcker, Erinnerungen, München, Leipzig, Freiburg 1950, S. 346. 41 Vgl. den Teil „Rom" dieses Buches, S. 5 gff. 42 Weizsäcker, Erinnerungen (wie Anm. 40), S. 322. 43 Weizsäcker, unveröffentlichtes M S Erinnerungen o. D. [1944], S. 127. Kopie im Besitz des Verfassers. Zu den Abweichungen der verschiedenen Fassungen vgl. Leonidas Hill, The genesis and interpretation of the memoirs of Ernst von Weizsäcker, in: German Studies Review 20,1987, S. 443fr. 44 Kessel an Hentig, i7.Mai I903,NL AvK. 45 Hubert Jedin, Lebensbericht, Mainz 1984, S. I38f. 46 Über Adam von Trott sind mehrere Biographien und Quellensammlungen erschienen: Christopher Sykes, Adam von Trott. Eine deutsche Tragödie, Köln 1969; Henry Malotie,Adam von Trott. Werdegang eines Verschwörers
204
Anmerkungen /909-/9J9, Berlin 1986; Giles Mac Oonogh, A good German. Adam von Trott zu Solz, London, New York 1989 ; Ciarita von Trott zu So\x,Adam von Trott zu Solz. Eine Lebensbeschreibung, Berlin 1994. 47 Kessel, Verborgene Saat, S. 2 5 of. 48 Ebd., S. 252. 49 Die Substanz seiner Gespräche erschien zunächst anonymisiert in der ersten Nachkriegsausgabe von Foreign Affairs 1945; vgl. dazu auch den Bericht des britischen Verbindungsoffiziers: William Frend, Ein Beweis der tiefen Uneinigkeit. Ernst von Weizsäcker, die deutsche Botschaft und der englische Geheimdienst im Rom des Jahres 1944, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12. Juli 1995. 50 »Auszugsweise Abschrift meines Rundbriefs von Ende Oktober 1944", datiert Vatikanstadt, den 6. Januar 1945, NLAvK. 51 Ebd. 52 Aufzeichnung Ernst von Weizsäckerjuni 1945, PA-AA, Akten der Botschaft beim Heiligen Stuhl, Bd. 1028a. 53 Vgl. den Teil „Besetztes Deutschland" dieses Buches, S. 13 iff. 54 Tagebuchnotizen 8. September 1947,NL AvK. 55 Tagebuchnotizen 29. November 1947, N L A v K . 56 M S „Der Papst und die Juden", 1963, veröffentlicht in: Die Welt vom 3. Juni 1963. 57 Tagebuchnotizen 4. September 1947, N L AvK. 58 Ebd. 5 9 Tagebuchnotizen 29. September 1947, N L AvK. 60 Wilhelm Hausenstein, Pariser Erinnerungen. Ausfünf Jahren diplomatischen Dienstes 1950-1955,
München 1961,
S. 26f. 61 Hans Speidel.^uj unserer Zeit. Erinnerungen, Berlin 1977, S. 298. 62 Kessel an Margret Boveri, 30. September 1 9 5 2 , N L A v K . 63 Vgl. Hasso von Etzdorf. Ein deutscher Diplomat im 20. Jahrhundert, hg. von Rainer A. Blasius, Zürich 1994. 64 Vgl. den Teil „Paris und Vorspiel" dieses Buches, S. 137fr. 65 Kessel an Günter Diehl, 3 1 . August 1956, N L AvK. 66 Ansprache an Herrn von Kessel in der Pressekonferenz Botschaft Washington am 7. Mai 1958, N L AvK. 67 Kessel an Otto Heinrich von der Gablentz, 9. Januar 1957, N L AvK. 68 Gespräch des Herausgebers mit Hans von Herwarth, Mai 1994. 69 Kessel an Eugen Gerstenmaier, 2. Dezember 195 8, N L A v K . 70 Kessel an Unbekannt, Düsseldorf, r 1. Mai 1962, N L AvK. 71 Denkschrift „Möglichkeiten und Grenzen der deutschen Außenpolitik - ein Versuch", München Herbst 1958, unpubliziertes MS, S. 39, N L AvK. 72 Gedicht „Die Jagd", o. D., N L AvK. 73 Eine Ausnahme bilden seine Jugenderinnerungen Das stille Gut, die er als „ganz gelungen" empfand. 74 Kessel an Paul Frank, 23. Juli 1974, N L AvK.
Einführung in die Edition 1
Albrecht von Kessel, Verborgene Saat. Aufzeichnungen aus dem Widerstand 1933-1945, Berlin 1992.
hg. von Peter Steinbach,
Prolog ι
Die Klosterschule Internat Roßleben im Nordthüringer Unstruttal ist eine der ältesten und traditionsreichsten Schulen Deutschlands. Im Zuge der Reformation im Kurfürstentum Sachsen hatte der damalige Schirmvogt
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„Gegen Hitler und für ein anderes Deutschland" Heinrich von Witzleben auf Wendelstein 1549 den Schüler Melanchtons und Rektor der Fürstenschule Sankt Afra, Georg Fahricius, mit der Einrichtung einer Knabenschule in dem aufgelösten Kloster beauftragt. Sie besteht seitdem mit kurzer Unterbrechung im 18. Jh. infolge eines Brandes bis heute. Die traditionell christlichhumanistischen Wertvorstellungen an der Schule vertieften sich als Folge des Ersten Weltkriegs und führten zu einer kritischen Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus. Verschiedene ehemalige Schüler und Absolventen sowie ein Familienmitglied der Stiftungsträger waren aktiv am Widerstand gegen Hitler beteiligt und wurden nach dem gescheiterten Staatsstreich vom 20. Juli 1944 hingerichtet: Erwin von Witzleben, Peter Graf Yorck von Wartenburg, Ulrich-Wilhelm Graf Schwerin von Schwanenfeld, Egbert Hayessen, Heinrich Graf LehndorfF-Steinort, Nikolaus Christoph von Halem, Wolf Heinrich Graf Helldorf. Albrecht von Kessel hatte hier 1922 Abitur gemacht. 2 Heinrich WölfBin (1864-1945), Schweizer Kunsthistoriker, 1 9 1 2 - 1 9 2 4 Professor an der Universität München; sein kunsthistorischer Ansatz wird als Formalismus bezeichnet, da er Kunstwerke vor allem nach ihrer äußeren Form, also ihrem Stil, betrachtete. 3 Kurt von Kessel ( 1 8 6 2 - 1 9 2 1 ) , Rittmeister a. D., Gutsbesitzer, Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses (Deutschkonservative Fraktion) und der gesetzgebenden preußischen Landesversammlung. 4 Friedrich von Kessel (1896—1975), Gutsbesitzer, nach der Vertreibung aus Schlesien 1 9 5 1 - 1 9 5 7 Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Niedersachsen und 1955-1958 Parteivorsitzender des Gesamtdeutschen Blocks. 5 Theodor von Kessel (1894-1947), Gutsbesitzer. 6 Name des väterlichen Gutes in Schlesien, im Katzengebirge nördlich von Breslau gelegen, das seit 1646 im Familienbesitz war. 7 Johann Wolfgang von Goethe, Torquato Tusso, 1. Aufzug, 1. Auftritt, Zeile 106, zitiert nach: Reclams Universalbibliothek, Stuttgart 2003, S. 7. 8 Josef von EichendorfF,vi2« dem Leben eines Taugenichts, Leipzig o.J. 9 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, hg. von Wilhelm Weischedel, 2 Bde, Frankfurt/M. 1968. 10 Christoph Wilhelm von Zeutsch (1705-1786), Gutsherr auf Raake/Oels in Niederschlesien, war Hofmarschall am Hofe Augusts III. in Dresden. 1 1 Die Familie Kessel stammte ursprünglich aus Keßlar und war ab 1380 auf dem Hof in Zeutsch bei Rudolstadt, Saaletal ansässig. 12 Theodora von Bethmann Hollweg (1871-1944). 13 Moritz August von Bethmann Hollweg (1795-1897), Großvater Theodoras, 1858-1862 preußischer Kulturminister, Begründer der konservativ-liberalen Wochenblattpartei und Gegenspieler Bismarcks in den 1850er Jahren. 14 Leopold von Gerlach ( 1 7 9 0 - 1 8 6 1 ) und Ernst Ludwig von Gerlach (1795-1877), konservativer Politiker, 1877 MdR. 15 Freda Gräfin von Arnim (1842-1916), heiratete i87oTheobald von Bethmann Hollweg (1856—1921), Reichskanzler von 1 9 0 9 - 1 9 1 7 . 16 Harry Graf von Arnim-Suckow ( 1 8 2 4 - 1 8 8 1 ) , Diplomat, verheiratet mit Sophie Adelheid von Arnim, der Schwester Freda von Arnim-Bethmann Hollwegs; führte 1871 die Friedensverhandlungen mit Frankreich, ab Anfang 1872 Botschafter in Paris. 17 Der Tatbestand des Vertrauensbruchs im Auswärtigen Dienst, der sogenannte Arnim-Paragraph, wurde aufgrund eines historischen Vorfalls normiert. E r ist 1876 als § 353a in das Strafgesetzbuch eingeführt worden. Harry Graf von Arnim-Suckow hatte 1873 als Botschafter in Paris mehrere Anweisungen von Reichskanzler Bismarck ignoriert und die Monarchiebewegung in Frankreich gegen die amtierende Regierung unterstützt. Bismarck gelang es erst 1874, den deutschen Kaiser Wilhelm I. von der Notwendigkeit der Ablösung Arnims zu überzeugen und ihn als Gesandten nach Konstantinopel zu versetzen. Im Zuge einer zwischen Arnim und Bismarck in der Presse ausgetragenen Auseinandersetzung räumte Arnim ein, Akten der Botschaft Paris mitge-
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Anmerkungen nommen zu haben. Er wurde wegen „Vergehen wider die öffentliche Ordnung" verhaftet und zunächst zu drei, im Revisionsverfahren zu neun Monaten Gefängnisstrafe verurteilt, der er sich durch Flucht in die Schweiz entzog. Der Arnim-Paragraph ist bis heute Bestandteil des StGB. 18 Bismarck, Gedanken und Erinnerungen, München, Berlin 1990, S. 393fr ['1898]. Die Kesseische Zählweise des „26. Kapitels" berücksichtigt nicht, daß Bismarck seine Gedanken und Erinnerungen in drei Bücher mit jeweiligen Unterkapiteln unterteilt hatte. Das hier gemeinte 15. Kapitel des 2. Buches trägt die bezeichnende Überschrift „Intrigen". 19 Dietrich von Bethmann Hollweg (1877-1933), 1902 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1903-1909 verheiratet mit Renata Gräfin von Harrach (1882-1961), 1 9 1 1 - 1 9 1 3 Botschaftssekretär an der Botschaft Wien. 20 Gerhard von Mutius (1872—1934), Vetter von Theodora von Bethmann Hollweg, Diplomat. 21 Theobald von Bethmann Hollweg (1856—1921), 1905 preußischer Innenminister, 1907 Staatssekretär des Reichsamts des Innern und zugleich Vizepräsident des preußischen Staatsministeriums, 1 9 0 9 - 1 9 1 7 Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident. Albrecht von Kessel datiert im M S irrtümlich die Wahl zum Reichskanzler auf das Jahr 1 9 1 1 . 2 2 Bethmanns Frau Martha, geb. v. Pfiiel, starb am 1 1 . Mai 1914. 23 Friedrich von Bethmann Hollweg (1890-1914), ältester Sohn Theobald von Bethmann Hollwegs. 24 Felix von Bethmann Hollweg (1898-1972), verheiratet mit Marie Louise Gräfin von Revendow. 25 Bethmann Hollwegs Abgang im Juli 1 9 1 7 erfolgte, nachdem sein vorsichtig auf Parlamentarisierung im Inneren und - aus der Einsicht, daß der Krieg nicht mehr zu gewinnen sei — auf Kompromißfrieden im Äußeren setzender Kurs in zunehmenden Gegensatz zur Obersten Heeresleitung unter General Ludendorff geraten war. Der Rücktritt Bethmann Hollwegs vom Amt des Reichskanzlers war das Eingeständnis, daß er den Machtkampf gegen Ludendorff verloren hatte und sein Rat bei Kaiser Wilhelm II. immer weniger galt. (Vgl. Tagebucheintragung Kurt Riezlers vom 25.6.[1917] ff, in: Kurt Riezler, Tagebücher, Aufsätze, Dokumente, hg. von Karl Dietrich Erdmann, Göttingen 1972, S. 439fr.) 26 Der Hamburger Historiker Fritz Fischer hatte zunächst in einem Fachaufsatz (Historische Zeitschrift 1959), sodann in seinem Hauptwerk ( G r i f f nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland
1914/18,
Düsseldorf ' 1 9 6 1 ) sowie in weiteren Büchern (Weltmacht oder Nieder gang. Deutschland im ersten Weltkrieg, Frankfurt/M. 1965; ders., Krieg der Illusionen. Die deutsche Politik von 1911-1914,
Düsseldorf 1969; ders., Bündnis
der Eliten, Düsseldorf 1979; ders.,Juli 1914, Reinbek 1983) seine vielbeachtete These von der Alleinschuld des Deutsches Reiches am Kriegsausbruch 1 9 1 4 vertreten und dadurch die nach ihm benannte große wissenschaftliche Historikerdebatte (Fischer-Kontroverse) insbesondere innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaft ausgelöst. Zu deren zentralen Thesen zählt die Behauptung, daß die Reichsleitung unter dem angeblich machiavellistisch handelnden Reichskanzler Bethmann Hollweg, um Weltmacht zu werden, zunächst nach der britischen Neutralität gestrebt habe und sodann im sogenannten Septemberprogramm 1 9 1 4 mit ausladenden Kriegszielvorstellungen nach der Hegemonie auf dem europäischen Kontinent gegriffen habe. Als Zusammenfassung der Fischer-Kontroverse vgl. Gregor Schöllgen, Griff nach der Weltmacht? J J Jahre Fischer-Kontroverse, in: HJb 106 (1986), S. 386-406. 27 Paul Valery, JL.a crise de l'esprit", 2 Briefe, zuerst veröffentlicht auf Englisch in: Athenaeus Nr. 4 6 4 1 , 1 1 . April 1 9 1 9 und Nr. 4644,2. Mai 1919. 28 Ernst von Weizsäcker (1882-1951), 1900 Eintritt in die Marine als Seekadett, 1919 Marineattache in Den Haag, 1920 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1937 Politischer Direktor des Auswärtigen Amtes, 1938-1943 Staatssekretär im Auswärtigen Amt, 1943-1945 Botschafter beim Heiligen Stuhl, im Wilhelmstraßenprozeß 1949 zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt, 1949 Revision des Urteils (5 Jahre Gefängnis), 1950 vorzeitige Entlassung. 29 Eugenio Pacelli (1866-1958), 1930-1939 Kardinalstaatssekretär, von 1939-1958 Papst Pius XII. 30 Anna von Kessel (1892-1960), verheiratet mit Alexander von Buch (1886-1960), Regierungs-Assessor, Landschaftsrat a. D. 31 Wilhelm von Bode (1845-1929, geadelt 1914), Kunsthistoriker, gilt als der Mitbegründer des modernen M u -
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«Gegen Hitler und für ein anderes Deutschland" seumswesens, 1883 Direktor der Gemäldegalerie in Berlin, 1904 Begründer des Kaiser-Friedrich-Museums (heute Bodemuseum) in Berlin, 1905-1920 Generaldirektor der Berliner Museen. 32 Renata Gräfin von Harrach (1882-1961), in erster Ehe (1903-1909) verheiratet mit Dietrich von Bethmann Hollweg (1877-1933), kaiserlich-deutscher Botschaftsrat in Wien, Rittmeister a. D., geschieden 1909,1η zweiter Ehe verheiratet mit dem Diplomaten Carl von Schubert (1882-1947), Enkel des Großindustriellen von Stumm, 1924-1930 Staatssekretär des A A , 1930-1932 Botschafter in Rom. 33 Helene von Pourtales (1849-1940), Hofdame der Kaiserin Auguste, verheiratet mit Ferdinand Graf von Harrach auf Sägewitz bei Breslau, lebte als Witwe in Oberhofen am Thuner See. 34 Mit dem Vertrag von Paris (26. Mai 1857) verzichtete der preußische König Friedrich Wilhelm IV. endgültig auf seine Rechte am Fürstentum Neuenburg (Neuchätel). 35 Frederic von Pourtales (1779-1861), Offizier in preußischen Diensten; trat 1806 in französische Dienste über, Stallmeister der Kaiserin Josephine; 1831 königlich-preußischer Oberzeremonienmeister und Staatsrat in Berlin. 36 placide (Frz.) = gelassen, friedfertig. 37 Blüemlisalp, manchmal auch Blümlisalp geschrieben, stark vergletschertes Bergmassiv im Berner Oberland. Ihre drei Gipfel sind das Blüemlisalphorn im Westen (3664 m über NN), die Wyssi Frau in der Mitte (»Weiße Frau«, 3650 m) und das Morgenhorn im Osten (3627 m). 38 Johann Wolfgang von Goethe, Torquato Tasso, 1. Aufzug, 1. Auftritt, Zeile 38/39, zitiert nach: Reclams Universalbibliothek, Stuttgart 2003, S. 5. 39 Das Interview Wilhelms II. mit dem Londoner Daily Telegraph am 28. Oktober 1908 wurde unter der Uberschrift »Der deutsche Kaiser und England" veröffentlicht und in Britannien als diplomatischer Affront bewertet. Reichskanzler Bernhard von Bülow hatte das Interview trotz der darin enthaltenen, gänzlich undiplomatischen, unverblümten Beschimpfungen der Briten passieren lassen. Von der durch den Artikel ausgelösten innen- und außenpolitischen Krise und dem damit beim Kaiser und in der deutschen Politik verbundenen Ansehensverlust erholte sich Bülow nicht mehr. 40 Gottfried (Gogo) von Nostitz-Drzewiecki (1902-1976), 1927 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1934 Legationssekretär Gesandtschaft Wien, 1938 Versetzung in die Zentrale, 1940 Legationsrat Konsulat Genf, 1947 Referent im Zentralbüro des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen, 1950 Einberufung in die Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten, 1952 Rückkehr ins A A als Vortragender Legationsrat, 1953 Botschaftsrat in Den Haag, 1957 Generalkonsul in Säo Paolo, 1964 Botschafter in Santiago de Chile. 41 Richard Muther, Geschichte von der Malerei, 3 Bde, Berlin '1909. 42 Raoul H. France u.a. (Hgg.), Das Leben der Pflanze, 8 Bde, Stuttgart 1906-1913. 43 Arven = Zirben/ Zirbenkiefern (lat. pinus cembra). Wegen ihres seltenen Vorkommens im Hochgebirge steht die Arve heute unter Naturschutz. 44 Frz.: „Sie gehören nicht zur .guten Gesellschaft', weil es in Deutschland gar keine ,gute Gesellschaft' gibt." 45 Friedrich Hölderlin, Lebenslauf, in: Lebensalter, Gedichte, gesammelt von Peter Härtling, München 2003.
„Der Anfang vom Ende" - Das Protektorat Böhmen und Mähren 1
Datiert: Godesberg 1971.
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Ernst von Weizsäcker (1882-1951), 1900 Eintritt in die Marine als Seekadett, 1919 Marineattache in Den Haag, 1920 Eintritt in den Auswärtigen Dienst; 1937 Politischer Direktor des Auswärtigen Amtes, 1938-1943 Staatssekretär im Auswärtigen Amt, 1943-1945 Botschafter beim Heiligen Stuhl, im Wilhelmstraßenprozeß 1949 zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt, 1949 Revision des Urteils (5 Jahre Gefängnis), 1950 vorzeitig entlassen. 3 Herbert Siegfried (1901-1988), 1937-1943 Leiter des Büros des Staatssekretärs im Auswärtigen Amt, 19431945 Generalkonsul in Genf.
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Anmerkungen 4 Konstantin Freiherr von Neurath (1873—1956), 1901 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1917 Chef des Zivilkabinetts des Königs von Württemberg, 1919 Gesandter in Kopenhagen, 1922 Botschafter in Rom, 1930 Botschafter in London, 1932 Reichsaußenminister, 1939-1941 Reichsprotektor in Böhmen und Mähren, 1946 v o m I M T z u 15 Jahren Haft verurteilt, 1954 vorzeitig endassen. 5 Frz.: Nicht zuviel Eifer. 6 Albrecht Haushofer (1903—1945), Sohn des Professor-Generals Karl Haushofer, Dozent fur politische Geographie in Berlin, 1934-1936 freier Mitarbeiter beim „Büro" (später genannt Dienststelle) Ribbentrop, 1936/37 wiederholt inoffizielle Sondierung von außenpolitischen Aufträgen mit Kenntnis Hitlers, aber ohne Außenminister Neuraths, Beteiligung an den Vorbereitungen für den Britannien-Flug von Rudolf Heß in einer Doppelfunktion - nach außen hin fur Heß, in Wirklichkeit flir den deutschen Widerstand
stand seit dem Heß-Flug
unter ständiger Überwachung durch die Gestapo, 1944 verhaftet und unmittelbar vor Kriegsende, April 1945, von einem SS-Rollkommando in Berlin ermordet. 7 Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg (1902-1944), seit dem „Röhm-Putsch" 1934 Kontakte zum militärischen Widerstand, 1937 stellvertretender Polizeipräsident von Berlin, 1939 stellvertretender Oberpräsident von Schlesien, 1939 Kriegsteilnahme, nach dem 20. Juli 1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und hingerichtet. 8 Peter Graf Yorck von Wartenburg (1904-1944), 1938 Oberregierungsrat beim Reichskommissar fur die Preisbildung, nach dem 20. Juli 1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und hingerichtet, mit Albrecht von Kessel seit gemeinsamen Internatstagen in Roßleben befreundet. 9 Karl Hermann Frank (1898-1946), 1938 stellvertretender Gauleiter des Sudetenlandes,März 1939 Staatssekretär beim Reichsprotektor in Böhmen und Mähren, 1943 Staatsminister und SS-Obergruppenfuhrer, 1946 als Kriegsverbrecher vom I M T zum Tode verurteilt und hingerichtet. 10 Curt Ludwig von Burgsdorff (1886-1962), 1928-1933 Amtshauptmann in Löbau, Sachsen, 1 9 3 3 - 1 9 3 7 Ministerialdirektor im sächsischen Staatsministerium des Innern, 1938 Leiter des Amtes des Reichsstatthalters in Wien, 1939-1944 Unterstaatssekretär beim Reichsprotektor in Böhmen und Mähren, 1942/43 im Felde, 1943-1945 Gouverneur des Distrikts Krakau, 1948 vor dem Landgericht Krakau als Kriegsverbrecher angeklagt und freigesprochen. 1 1 Günter Lohse (geb. 1914), 1936-1939 Mitarbeiter in der Dienststelle Ribbentrop, Mitglied der N S D A P und der SS, 1939 Ubertritt ins Auswärtige Amt als Leiter des Referats Deutsche Presse in der Nachrichten- und Presseabteilung, 1943 Legationsrat 1. Klasse. 12 Marie Auguste Moser von Filseck (1875-1960), verheiratet mit Konstantin von Neurath seit 1901. 13 Hans Hermann Völckers (1886-1877), 1920 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1 9 3 3 - 1 9 3 7 Botschaftsrat in Madrid, 1937-1939 Gesandter in Havanna, 1939-1945 Dienststelle des Reichsprotektors in Böhmen und Mähren im Rang eines Ministerialdirigenten. 14 Reinhard Heydrich (1904-1942), 1936 Chef der Sicherheitspolizei und des SD, 1939 Chef des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), 1941 stellvertretender Reichsprotektor in Böhmen und Mähren, im Mai 1942 in Prag Opfer eines Attentats.
Rom 1
Martin Luther (1895-1945), seit 1933 im Büro Ribbentrop, 1936-1938 mit Ribbentrop in London, 1938 Legationsrat 1. Klasse, 1939 Leiter des Sonderreferats „Partei" des Auswärtigen Amtes, 1940-1943 als Ministerialdirektor mit der Amtsbezeichnung „Unterstaatssekretär" Leiter der Abteilung Deutschland und damit Verbindungsmann zu allen Partei- und SS-Einheiten, 1942 Teilnehmer der Wannseekonferenz, überwarf sich 1943 mit seinem Protektor Ribbentrop und wurde seines Amtes enthoben, ins K Z Sachsenhausen verbracht, wo er bis 1945 als privilegierter „Schutzhäftling" blieb.
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„Gegen Hitler und für ein anderes Deutschland" 2 Adam von Trott (1909-1944), seit 1940 auf Basis eines Dienstvertrages im Auswärtigen Amt, ab Juni 194t Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter in der Informationsabteilung — später Kulturpolitische Abteilung -, November 1943 Beförderung zum Legationsrat, nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 25. Juli wegen seiner engen Verbindung zu Stauffenberg verhaftet, vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und hingerichtet. 3 Lotte Rahlke, Sekretärin an der deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl. 4 Sigismund von Braun ( 1 9 1 1 - 1 9 9 8 ) , 1935 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1943-1945 Botschaftssekretär an der Botschaft beim Heiligen Stuhl, 1953 Wiedereintritt in den Auswärtigen Dienst, 1953—1958 Botschaft London, 1962-1968 Leiter der Beobachterdelegation bei den Vereinten Nationen in New York, 1968-1970 Botschafter in Paris, 1970-1972 Staatssekretär, 1972-1976 erneut Botschafter in Paris. 5 Gemeint ist Hitlers Hauptquartier „Wolfsschanze" bei Rastenburg in Ostpreußen. 6 Ulrich Doertenbach (1899-1958), 1926 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1940-1943 Gesandtschaftsrat an der Botschaft Rom (Quirinal). 7 Pietro Duca d'Aquarone (1890-1948), seit 1934 italienischer Senator, engster Vertrauter König Vittorio Emanueles III. bei der Vorbereitung des Staatsstreichs vom 25. Juli 1943. 8 A m 24. Juli 1943 bat der „Große Faschistische Rat" (mit 19 gegen 7 Stimmen) König Vittorio Emanuele III., den bei Kriegsbeginn am 10. Juni 1940 an Mussolini abgetretenen Oberbefehl über die italienische Wehrmacht wieder selbst zu übernehmen. 9 Hans Georg von Mackensen (1883-1947), Schwiegersohn Neuraths, 1 9 3 7 - 1 9 3 8 Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, 1938-1943 Botschafter in Rom (Quirinal). 10 Johannes Graf von Welczeck (1878-1972), 1936-1939 Botschafter in Paris. 1 1 Andre Fran^ois-Pon^et (1887-1978), 1 9 3 1 - 1 9 3 8 französischer Botschafter in Berlin, 1938-1940 französischer Botschafter in Rom. 12 August von Mackensen (1849-1945), seit 1915 Generalfeldmarschall im kaiserlichen Deutschland. 13 Otto Fürst von Bismarck (1897-1975), Enkel des Reichskanzlers gleichen Namens, verh. mit Ann-Marie geb. Tengbom, 1924 M d R (DNVP), 1927 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1928-1938 Gesandtschaftsrat (ab 1934 Botschaftsrat) in London, 1933 Eintritt in die NSDAP, 1937-1940 Dirigent in der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes, 1940-1943 Gesandter an der Botschaft Rom (Quirinal), 1944 einstweiliger Ruhestand. 14 Eugen Dollmann, SS-Standartenfuhrer und persönlicher Beauftragter Himmlers in Rom. 15 Nachdem die seit 1883 in Deutschland angeregte Gründung eines Historischen Instituts des Deutschen Reiches in Rom nicht zustande gekommen war, gründete der größte deutsche Bundesstaat, Preußen, 1888 eine eigene Einrichtung, die zunächst als „Historische Station", ab 1890 als „Institut" bezeichnet wurde, 1935 von Preußen an das Deutsche Reich abgetreten und dem Reichsinstitut für ältere deutsche Geschichtskunde (Monumenta Germaniae Historica) eingegliedert, 1937 Umbenennung in „Deutsches Historisches Institut in Rom", nach dem Zweiten Weltkrieg 1953 wiedereröffnet. 16 Ludwig Curtius (1874-1954), Archäologe und 1928-1930 Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom. 17 Das Deutsche Archäologische Institut, ältestes auswärtiges Kulturinstitut in Rom, wurde am 21. April 1829 von einem Freundeskreis aus Gelehrten, Künstlern und Diplomaten als »Institute di corrispondenza archeologica« gegründet, um die Denkmäler der antiken Kunst, der Epigraphik und der Topographie bekanntzumachen und zu erforschen. Die Schirmherrschaft hatte der preußische Kronprinz und spätere König Friedrich Wilhelm IV. übernommen, ab 1859 erfolgte die regelmäßige Finanzierung des Instituts durch Preußen, 1871 wurde es preußische Staatsanstalt, 1874 Reichsinstitut. Seine Forschungsgebiete sind bis heute die Archäologie und deren Nachbarwissenschaften in den Ländern der „Alten Welt" von Beginn der menschlichen Kultur bis etwa 800 n. Chr. 18 Henriette Hertz ( 1 8 4 6 - 1 9 1 3 ) vermachte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften den Palazzo Zuccari und eine kunsthistorische Bibliothek (Bibliotheca Hertziana). Seit 1920 gilt die Biblio-
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Anmerkungen theca Hertziana als eines der führenden kunsthistorischen Institute der Welt; seit 1952 ist sie Teil der MaxPlanck-Gesellschaft. 19 Vittorio Emanuele III. (1869-1947), 1900-1946 König von Italien. 20 Pietro Badoglio (1871-1956), 1 9 1 9 - 1 9 4 0 (mit Unterbrechungen) Chef des Generalstabs der italienischen Armee, nachdem Sturz Mussolinis von Juli 1943 bis Juni 1944 Ministerpräsident. 21 Das Achsenbündnis war mit dem Beitritt Italiens zum deutsch-japanischen Antikominternpakt im November χ 93 7 besiegelt, vgl. zur Entstehung der „Achse" Berlin-Rom nach wie vor: J. Petersen, Hitler-Mussolini. Die Entstehung der Achse Berlin-Rom 1933-193
6, Tubingen 1973.
22 Hassell hatte sich während seiner römischen Mission entschieden, letztlich aber erfolglos gegen die zunehmende Ideologisierung einer deutsch-italienischen Bündnisfront gewandt und statt dessen „für eine systemische, aber nüchterne Zusammenarbeit mit Italien" plädiert. (Ulrich von Hassell, Aufzeichnung zur Außenpolitik, Dezember 1937, zit. nach: Römische Tagebücher und Briefe 1932—1938, hg. von Ulrich Schlie, München 2004, S. 364). 23 Rudolf Rahn (1900-1975), 1928 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, August 1943-1945 Botschafter in Rom und Fasano bei der Italienischen Sozialen Republik, vgl. auch dessen Erinnerungen: Rudolf Rahn, Ruheloses Leben. Aufzeichnungen und Erinnerungen, Düsseldorf 1949. 24 Die Villa Wolkonsky in der Via Conte Rosso war bis zum Einmarsch der Allierten in Rom Juni 1944 Sitz der deutschen Botschaft in Rom (Quirinal). 25 Ulrich von Hassell ( 1 8 8 1 - 1 9 4 4 ) , 1909 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1 9 3 2 - 1 9 3 8 Botschafter in Rom (Quirinal); nach dem 20. Juli 1944 zum Tode verurteilt und hingerichtet. 26 Vgl. Tagebucheintragung Ernst von Weizsäckers am 7. Juli 1943, in: Die Weizsäcker-Papiere 1933-1950,
hg.
von Leonidas Hill, Berlin 1974, S. 339fr, sowie Actes et Documents du Saint Siege relatifs ä la seconde guerre mondiale, Bd. 7, Vatikanstadt 1977, S. 465,00k. 277. 27 Luigi KardinalMaglione (1877-1944), 1939-1944 Kardinalstaatssekretär. 28 Giovanni Battista Montini (1897-1978), seit 1922 im päpstlichen Staatssekretariat, 1937 Substitut unter Kardinalstaatssekretär Pacelli, 1963-1978 Papst Paul VI. 29 Domenico Tardini (1888-1961), seit 1935 im päpstlichen Staatssekretariat, 1937 Sekretär der Kurienabteilung für Außerordentliche Kirchliche Angelegenheiten. 30 Carl Diego von Bergen (1872-1944), 1895 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1 9 1 9 - 1 9 4 3 Gesandter (später: Botschafter) beim Heiligen Stuhl. 31 Fritz Menshausen (1885—1958), 1920 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1 9 3 1 - 1 9 3 6 Referatsleiter Vatikan, 1936-1943 Botschaftsrat an der Botschaft beim Heiligen Stuhl, 1943 einstweiliger Ruhestand. 32 Ernst Ludwig Wemmer (1909-1991), Ministerialrat und SS-Mitglied, seit 1. April 1943 an der Botschaft beim Heiligen Stuhl als „Aufpasser" der Parteikanzlei. 33 Gemeint ist das 800 Morgen umfassende Gut Klein-Totschen in unmittelbarer Nähe des elterlichen Gutes in Oberglauche, das Kessels Vater um 1 9 1 0 fur seinen dritten Sohn gekauft hatte; vgl. Albrecht von Kessel, Das stille Gut, Würzburg 2004, S. 65. 34 Karl Gustav Wollenweber (1904-1987), 1935 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1940-1945 Botschaft beim Heiligen Stuhl, 1950 Wiedereintritt in den Auswärtigen Dienst, 1969 Ruhestand (im Rangeines Botschaftsrats). 35 A m 22. Januar 1944 landete das 6. Korps der 5. US-Armee im Raum von Anzio und Nettuno südlich von Rom. Bis zum 29. Januar wurden rund 70.000 Mann an Land gebracht. Die Überraschung auf der deutschen Seite indes wurde nicht ausgenutzt, so daß der herangeführten deutschen 14. Armee eine allmähliche Umrandung des Landekopfes gelang. 36 Johann Baron von Plessen (i890-i96r), 1919 Eintritt in den Auswärtigen Dienstzeit 1935 Botschaftsrat, dann Gesandter an der Botschaft Rom (Quirinal), verheiratet mit Maria Immacolata, gen. Maritschy, geb. Gräfin von Wuthenau. 37 Hans-Joachim Ritter von Reichert ( 1 9 0 3 - 1 9 9 1 ) , 1928 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1938-1945 Bot-
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»Gegen Hitler und für ein anderes Deutschland" schaff Rom (Quirinal), 1945/46 französische Internierung, 1949 Referent im persönlichen Büro des Bundeskanzlers, 1951 Wiedereintritt in den Auswärtigen Dienst, r 96 8 Ruhestand. 38 An dieser Stelle wurde im handschriftlichen Ms. der Hinweis „Einrücken: der Versuch, die Juden in Rom zu retten - bereits schriftlich fixiert" eingefügt. Kessel meint damit vermutlich die Beschreibung der Rettung der Juden aus Rom, die er unter dem Titel „Der Papst und die Juden" am 6. April 1963 im Zusammenhang mit der Diskussion um RolfHochhuths Stück „Der Stellvertreter" in der Welt veröffentlicht hat. Da sich dieser Text auf Grund seines anderen Charakters nicht bruchlos in den Memoirentext einfügen läßt, folgt er an dieser Stelle in Auszügen: „[Weizsäcker] war einer der nachdenklichsten und, man verzeihe mir das große Wort, edelsten Männer, die mir in meinem langen und bewegten Leben begegnet sind. Er bedarf keiner Verteidigung. [...] Wer je als Diplomat unter einem totalitären und verbrecherischen Regime ausgeharrt hat - warum, steht hier nicht zur Debatte - , kennt verschiedene Stufen der Glaubwürdigkeit: 1. Schriftliche Äußerungen sollte man ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Taktik beurteilen. Sie bezwecken oft das genaue Gegenteil von dem, was der naive Leser in sie hineinlegt. So gab es etwa den Fall des Gefreiten in der Einheit eines meiner Freunde. Dieser Gefreite redete sich fast um Kopf und Kragen, wurde aber durch eine schriftliche Äußerung meines Freundes gerettet, er sei stets ein fanatischer Anhänger des „Führers" gewesen, worauf er auf Grund dieses Schriftstücks zwei Jahre später von den Amerikanern prompt als Obernazi eingesperrt wurde. Die Dokumente aus jener Schreckenszeit bestehen häufig, um es schlicht zu sagen, aus lauter Lügen. Man muß nach den Motiven forschen, aus denen heraus ein Schriftstück verfaßt wurde, anstatt umgekehrt die Motive aus dem Schriftstück herauslesen zu wollen. 2. Mündliche Äußerungen, soweit sie korrekt überliefert sind, was viel seltener der Fall ist, als der Laie glaubt, stehen unter dem gleichen Gesetz, daß sie sehr oft nur taktische Lügen enthalten. Nur wenn derjenige, der das Gespräch aufzeichnet, sehr präzise ist, die Lage in ihrer Vielschichtigkeit zu übersehen und sich in die Psychologie seines Partners hineinzuversetzen vermag, ist die Wiedergabe derartiger Unterhaltungen von Wert. In dieser Hinsicht ist das von Professor Carl J. Burckhardt aufgezeichnete Gespräch mit Attolico, dem italienischen Botschafter in Berlin, über die Haltung Weizsäckers ein geniales Dokument [...]." 39 Guerrazzi indes betont in seinem Aufsatz, daß ohne die aktive Kollaboration von Teilen der römischen Bürgerschaft, die sich vielfach am jüdischen Besitz bereicherte, es für die deutschen Besatzer ungleich schwieriger gewesen wäre, die Judenaktionen durchzuführen; vgl. Amedeo Osti Guerrazzi, Kain in Rom. Judenverfolgung und Kollaboration unter deutscher Besatzung 1943/44, in: V f Z 2/2006, S. 231fr. 40 Kessel schreibt irrtümlich in seinem Originalmanuskript „Farner". Gemeint ist jedoch der Schweizer Alfred Fahrener, der r943 in Rom Leiter des Instituts für Internationales Privatrecht des Volkerbundes war. 41 Im WWf-Artikel steht an dieser Stelle „Mit Einverständnis von Herrn von Weizsäcker suchte ich ihn noch am gleichen Abend in seiner Wohnung auf. Er übersah meine Lage und das Risiko, das ich einging...". 42 Kessel zählte ebenso wie Gogo von Nostitz und der später hingerichtete Adam von Trott zu der Gruppe jüngerer Diplomaten, deren Wirken im Widerstand Ernst von Weizsäcker als Vorgesetzter und väterlicher Freund nicht nur gegenüber den Parteikreisen im Auswärtigen Amt abschirmte, sondern auch nach Kräften forderte; vgl. Ulrich Schlie, Kein Friede mit Deutschland. Die geheimen Gespräche im Zweiten Weltkrieg 1939-1941,
Mün-
chen 1994, Marion Thielenhaus, Zwischen Anpassung und Widerstand. Deutsche Diplomaten 193 8-1941, Paderborn 1984. 43 Im Welt-Artikel schreibt Kessel weiter: „Hinzufügen möchte ich noch, daß alles, was ich in den Monaten der Nazi-Herrschaft in Rom getan habe - es war zu wenig, denn ich hatte Angst, von der Gestapo gefoltert zu werden und obendrein war es oft noch erfolglos
daß dies alles teils auf Anregung von Herrn von Weizsäcker
geschah, teils, soweit ich einen Einfall hatte, mit seinem ausdrücklichen Einverständnis. Es gab zwischen ihm und mir kein Geheimnis und auch nicht den Schatten einer Meinungsverschiedenheit." 44 Offene Stelle im Original Ms. der Memoiren. Die Razzia im jüdischen Ghetto in Rom am 16. Oktober 1943 war mit 1259 Verhaftungen die folgenreichste im Jahr 1943,1023 Personen wurden im Anschluß daran nach Auschwitz deportiert; vgl. dazu mit gutem Überblick über den Forschungsstand Thomas Schlemmer/Hans Woller, Der italienische Faschismus und die Juden 1922 bis 194$, in: V f Z 2/2005, S· 165-201, hier S. I93f, bes. Fn
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Anmerkungen 1 1 9 . Insgesamt wurden etwa 7700-7900 Juden deportiert, d.h. etwa 20 Prozent der jüdischen Bevölkerung in Italien. 45 Rolf Hochhuth, Der Stellvertreter. Ein christliches Trauerspiel. Dokumentarschauspiel, uraufgeführt am 20. Februar 1963 an der Freien Volksbühne West-Berlin, als Buch erschienen Berlin 1965, zur Diskussion um Hochhuths Beeinflussung durch die Stasi vgl. u.a. Michael F. Feldkamp, Hochhuths Quellen, in: Vatican 3/2007, S. 26-28; Werner Kaltefleiter, Die Kirche schlechtmachen: Papst Pius XII. als Ziel östlicher Geheimdienste, 3 Teile, erschienen am 5. und 7. Februar und am 8. März 2007 im Weblog „Allegro Andante" auf www.kath.de (http://blog.kath.de/kaltefleiter); „Zur Diskussion über die Rolle des K G B bei der Entstehung von Hochhuths .Stellvertreter'. Berechtigte Fragen, keine Antwort", in: Deutsche Tagespost vom 17. Februar 2007. 46 Im W£//-Artikel schreibt Kessel dazu: „Erwägungen, den Papst gefangen zu nehmen, ihm einen Zwangsaufenthalt im „Großdeutschen Reich" anzuweisen, haben bei ihm [Hitler, U.S.] vom September 1943 bis Juni 1944, also bis zum Einzug der Alliierten in Rom, immer wieder ein Rolle gespielt. Hätte sich der Papst, wie wir aufgrund eindeutiger Informationen erwarteten, dieser Aktion widersetzt, so war sogar mit der Möglichkeit zu rechnen, daß er „auf der Flucht erschossen" würde. Wir waren daher der Ansicht, es sei unsere oberste Pflicht, wenigstens dieses Verbrechen, das wiederum im Namen unseres Volkes begangen worden wäre, zu verhindern. Herr von Weizsäcker mußte also an zwei Fronten kämpfen: Er mußte dem Heiligen Stuhl, d.h. dem Papst, den Rat geben, keine unbedachten Aktionen zu unternehmen, d.h. Aktionen, über deren letzte, vielleicht tödliche Folgen man sich nicht im klaren wäre. Und ebensosehr mußte er die Nazis, d.h. Hitler, durch eine subtile Berichterstattung davon überzeugen, der Vatikan sei gutwillig, mithin in Hitlers Sicht schwach. Die zahllosen Einzelaktionen des Vatikans zugunsten der Juden seien so bedeutungslos, daß man sie nicht ernst zu nehmen habe." 47 Im Welt-Artikel ergänzt dies Kessel: „Pius XII., den ich schon als Staatssekretär und 12 Jahre später als Papst gekannt habe, war eine große Gestalt, die allerdings, das war damals meine Überzeugung und ist es auch heute, unter der Macht des Gewissens fast zusammenbrach. Er hat, ich weiß es, Tag für Tag, Woche fur Woche, Monat für Monat um die Antwort gerungen. Keiner konnte ihm die Verantwortung dafür abnehmen. Wer kann heute, 20 Jahre danach, behaupten, der Papst habe die falsche Antwort gefunden, als er dem Märtyrertum auswich? Und wer darf, selbst wenn die Antwort des Papstes wirklich falsch gewesen sein sollte, den ersten Stein auf ihn werfen?" 48 In den Adreatinischen Höhlen ließ am 24. März 1944 der deutsche Polizeichef von Rom, Obersturmbannführer Herbert Kappler, 335 Italiener, darunter auch Frauen und Kinder, als Repressalie für einen Bombenanschlag vom Vortag erschießen, bei dem in der Via Raselli 3 2 deutsche Soldaten einer Südtiroler Polizeitruppe und acht italienische Zivilisten getötet worden waren. Hitler hatte ursprünglich angeordnet, für jeden deutschen Toten 50 Geiseln zu erschießen, doch war es dem Oberbefehlshaber Südwest, Kesselring, gelungen, diese Zahl auf 10 zu reduzieren und als Opfer zum Tode verurteilte Häftlinge auszuwählen; vgl. dazu u.a. Joachim Staron, Fosse Adreatine Marzabotto: Deutsche Kriegsverbrechen und Jiesistenza". Geschichte und nationale Mythenbildung in Deutschland und Italien (1944-1999),
Paderborn 2002.
49 Herbert Kappler (1907-1978), seit Frühjahr 1939 Verbindungsbeamter zur italienischen Polizei in Rom, September 1943 Kommandant der Sicherheitspolizei (SiPo) und des S D in Rom, u.a. verantwortlich für die Deportation der Juden in Rom und das Massaker in den Adreatinischen Höhlen. 50 Albert Kesselring (1885-1960), 1 9 4 1 - 1 9 4 5 Oberbefehlshaber Süd (seit 1943: Südwest) im Mittelmeergebiet (Italien, Nordafrika), 1947 u.a. wegen des Massakers in den Adreatinischen Höhlen zum Tode verurteilt, 1952 begnadigt und entlassen. 51 Wilhelm Canaris (1887-1945), 1935 bis Februar 1944 Chef der Abwehr im Reichskriegsministerium (ab März 1938 Amt Ausland/Abwehr im O K W ) , zuletzt im Rang eines Admirals, 1944 wegen seiner Zusammenarbeit mit der militärischen Opposition gegen Hitler abgesetzt, inhaftiert, im April 1945 im Konzentrationslager Flossenbürg ermordet. 5 2 Die faschistische Italienische Soziale Republik (Refubblica Sociale Italtana - RSI) unter Führung des gestürzten italie-
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.Gegen Hitler und für ein anderes Deutschland" nischen Diktators Mussolini mit Sitz in Salö am Gardasee bestand zwischen September 1943 und der Kapitulation der deutschen Heeresgruppe C am 2. Mai 1945. Sie war auf das deutsche Besatzungsgebiet in Italien beschränkt und führte den Krieg als Verbündeter Deutschlands weiter. Nach dem Sturz Mussolinis in Rom am 25. Juli 1943 war auch die deutsche Botschaft beim Quirinal unter Botschafter Rahn an den Gardasee verlegt worden. 53 Gemeint ist das Führerhauptquartier „Wolfsschanze" bei Rastenburg in Ostpreußen. 54 Mrs. Virginia Harris Casardi, amerikanische Ehefrau des italienischen Diplomaten Casardi. 55 Bernhard von Tieschowitz (1902-1968), Kunsthistoriker, Militärverwaltungsrat, Leiter der photographischen Abteilung des Kunsthistorischen Instituts in Marburg, 1940 zunächst Stellvertreter des Kunstschutzreferenten beim Militärbefehlshaber in Frankreich, 1942 Kunstschutzreferent beim Militärbefehlshaber in Frankreich, 1943 Leiter zum Aufbau der Kunstschutzorganisation in Italien, 1944 Leiter in der Allgemeinen Verwaltung der Gruppe 2: Kultur- und Kunstverwaltungen (Kunstschutzreferat), nach dem Krieg im Auswärtigen Amt (Legationsrat I. Klasse). 56 Maximilian (Mucki) Prinz zu Windisch-Graetz (1914-1976), Sohn von Hugo Prinz zu Windisch-Graetz und Leontine zu Fürstenberg. 57 Friedrich Wilhelm Deichmann (1909-1993), Archäologe und Architekturhistoriker, von 1935-1975 am Deutschen Archäologischen Institut in Rom, zunächst als Referent, später als wissenschaftlicher Direktor; besondere Verdienste um das Institut erwarb sich Deichmann in der Endzeit des Zweiten Weltkriegs und in den ersten Nachkriegsjahren bis zu dessen Rückgabe nach der kriegsbedingten Enteignung des Instituts im Jahre 1953. 58 Cesare Orsenigo (1873-1946), 1896 Priesterweihe in Mailand, 1922-25 apostolischer Nuntius in den Niederlanden, 1925-30 in Ungarn, von 1930-1945 apostolischer Nuntius in Berlin als Nachfolger Eugenio Pacellis, des späteren Papstes Pius XII. Die Nuntiaturberichte sind nur bis 1939 für die wissenschaftliche Forschung zugänglich. 59 Gerhard Wolf (1896-1971), 1927 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, seit Ende 1940 deutscher Konsul in Florenz, dem es durch unermüdliche Anstrengungen gelang, Florenz in Zusammenarbeit mit Rahn vor größerem Bombardement und Zerstörungen durch die Wehrmacht zu bewahren, 1950 Wiedereintritt in den Auswärtigen Dienst, 1955 Ehrenbürger der Stadt Florenz für seine Verdienste um die Verhinderung der Zerstörung. 60 Erwin Rommel (1891-1944), 1941 Oberbefehlshaber des deutschen Afrika-Korps, 1942 Generalfeldmarschall, 1943 Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Β zur Verteidigung Italiens und Abwehr der Invasion, beging Selbstmord, nachdem ihn Hider wegen seiner Kontakte zu den Verschwörern vom 20. Juli vor die Alternative Freitod oder Anklage vor dem Volksgerichtshof gestellt hatte. 61 Kessel irrt, wenn er den Tod Rommels als Autounfall darstellt. Tatsächlich wurde Rommel während einer Inspektionsfahrt zur Front bei Vimontiers am 17. Juli 1944 durch einen Angriff alliierter Tiefflieger verwundet; zu Ernst Jüngers Gedanken über Rommel vgl. Ernst Jünger, Vorwort, in: Sämtliche Werke, Bd. 2: Strahlungen I, Stuttgart 1979, S. 18. 62 Rom erhielt damit zwar de jure einen neutralen Status, gleichwohl übten die Deutschen seit September 1943 die tatsächliche und vollständige Kontrolle aus. Rom selbst wurde Teil der von Mussolini ausgerufenen faschistischen R S I mit Sitz in Salö am Gardasee. 63 Leontine (Lotti) von Fürstenberg (1892-1979), Mutter von Maximilian (Mucki) zu Windisch-Graetz. 64 Im Originalmanuskript schreibt Kessel irrtümlich 1 9 4 1 : Hugo Prinz zu Windisch-Grätz, geb. 1914, Zwillingsbruder von „Mucki", starb indes 1942 bei einem Flugzeugabsturz. 6 5 Gemeint ist das Auswärtige Amt. 66 Gemeint ist die Mark Brandenburg. 67 Gustav Adolf Steengracht von Moyland (1903-1969), 1936-1938 Dienststelle Ribbentrop in London, ab 1938 im Auswärtigen Amt (Legationssekretär), 1940-1943 im Persönlichen Stab Ribbentrops, 1943-1945 Staatssekretär, im Wilhelmstraßenprozeß 1949 zu sieben Jahren Haft verurteilt, 1950 entlassen. 68 Eduard Brücklmeier (1903-1944), 1927 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1936 Legationssekretär an der Botschaft London, 1938 Ministerbüro, Γ939 Denunziation NS-kritischer Äußerungen und 1940 Entlassung
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Anmerkungen aus dem Auswärtigen Dienst, wegen seiner Teilnahme am Staatsstreich vom 20. Juli 1944 zum Tode verurteilt und hingerichtet. 69 Ulrich-Wilhelm Graf Schwerin von Schwanenfeld (1902-1944), Landwirt und Offizier, Mitglied des Kreisauer Kreises, 1941 Ende der UK-Stellung und Versetzung zum Stab des Oberbefehlshabers West, Generalfeldmarschall Erwin von Witzleben, 1943 im Stab der Division Brandenburg, χ 944 Passierscheinhauptstelle des Generalquartiermeisters Wagner, wegen seiner Teilnahme am Staatsstreich vom 20. Juli 1944 zum Tode verurteilt und hingerichtet. 70 Carl Friedrich Goerdeler (1884-1945), 1930-1937 Oberbürgermeister von Leipzig, zusammen mit dem ehemaligen Generalstabschef Ludwig Beck nach 1938 Kopf des konservativen Widerstands gegen Hider, im August 1944 verhaftet, zum Tode verurteilt und hingerichtet. 71 Claus Schenk Graf von Staufenberg (1907-1944), Berufsoffizier, 1926 Eintritt in die Reichswehr ins 17. Reiterregiment in Bamberg, 1936 Studium an der Kriegsakademie in Berlin, 1938 Generalstabsausbildung, 1940 nach dem Frankreichfeldzug Berufung in die Organisationsabteilung des OKH, 1942 Anschluß an den militärischen Widerstand, 1943 schwere Verwundung in Afrika, im Herbst Ernennung zum Stabschef des Allgemeinen Heeresamts in der Berliner Bendlerstraße, wodurch er Zugang zu den Lagebesprechungen in den Führerhauptquartieren erhielt, verübte am 20. Juli 1944 in Rastenburg das Attentat auf Hitler, in der Nacht zum 2 I.Juli 1944 in Berlin im Bendlerblock erschossen. 72 Peter Graf Yorck von Wartenburg und seine Frau Marion geb. Winter (1904-2007) wohnten in Berlin-Dahlem in der Hortensienstraße 50. 73 Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg (1902-1944), seit 1933 am Oberpräsidium in Königsberg, sodann Vertreter des Polizeipräsidenten von Berlin, Graf Helldorf, 1939 stellvertretender Oberpräsident von Ober- und Niederschlesien im Rang eines Regierungspräsidenten, aufgrund seiner Kontakte zum militärischen Widerstand um Ludwig Beck nach dem 20. Juli 1944 zum Tode verurteilt und hingerichtet. 74 Winston Churchill und Franklin D. Roosevelt verständigten sich am 24. Januar 1943 auf der Konferenz von Casablanca auf die Formel von der „bedingungslosen Kapitulation", die damit allfallige Sonderfriedensbemühungen des Deutschen Reiches aussichtslos machte und den stets mißtrauischen Weltkriegsalliierten Stalin gewogen stimmen sollte. 75 Hans Oster (1888-1945), seit der Ermordung seines ehemaligen Chefs Kurt von Schleicher 1934 erbitterter Gegner des Nationalsozialismus, 1939 Leiter der Zentralabteilung der Abwehr im OKW, einer der fuhrenden Köpfe des militärischen Widerstands gegen Hitler, März 1944 Verhaftung und Gestapo-Aufsicht, nach dem 20. Juli 1944 erneut verhaftet und im K Z Flossenbürg hingerichtet. 76 Friedrich Hölderlin, Hyperions Schicksalslied, zitiert nach Ludwig Reiners, Der ewige Brunnen, München 1990, S. 547. 77 Theodor Kordt (1893-1962), 1921 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1 9 3 1 - 1 9 3 4 Büro Staatssekretär, 1938/39 Botschaftsrat in London, 1939-1946 Gesandtschaft Bern, 1950 Wiedereintritt in den Auswärtigen Dienst, bis 1953 Leitung der Abt. III (Länder), 1953-1958 Botschafter in Athen. 78 Georg Federer (1905-1984), 1935 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1938/39 Botschaft London, 1940-1945 Gesandtschaft Bern, 1945-1950 Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Deutschlands in Stuttgart, 1952 Wiedereintritt in den Auswärtigen Dienst, 1952-1956 Botschaft Washington, 1958-1964 Generalkonsul in New York, 1964-1970 nacheinander Botschafter in Kairo und Brüssel. 79 Carl Jacob Burckhardt (1891-1974), Schweizer Diplomat, Historiker und Schriftsteller, 1937-1939 Völkerbundshochkommissar in Danzig, 1944-1945 Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), 1945—1949 Schweizer Gesandter in Paris. 80 Leon Battista Alberti (1404-1472), italienischer Humanist, Architekt und Architekturtheoretiker der Renaissance. 81 Richard Crossman (1907-1974), während des Zweiten Weltkriegs als Beamter im Bereich Psychologische Kriegführung unter Robert Bruce Lockhart tätig, später als stellvertretender Leiter dieses Bereichs bei SHAEF,
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„Gegen Hitler und für ein anderes Deutschland" 1945 einer der ersten britischen Offiziere, die das K Z Dachau betraten, nach dem Zweiten Weltkrieg M P (Labour Party) fur Coventry East, 1960/61 Labour-Parteivorsitzender. 82 Eitel Friedrich Moellhausen (1912-1988), 1939 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1940 beim Bevollmächtigten des A A beim Militärbefehlshaber in Frankreich, r 941 Begleitung von V L R Rahn bei dessen Sonderauftrag in Syrien, 1942/43 Begleitung des Gesandten Rahn bei dessen Sonderauftrag in Tunis, 1943-1945 Botschaft Rom (Quirinal) bzw. Dienststelle Fasano beim Bevollmächtigten des Großdeutschen Reiches bei der italienischen faschistischen Nationalregierung, nach 1945 Kaufmann in Mailand. 83 Karl Kuno Overbeck (1909-1972), 1934 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1944/45 beim Bevollmächtigten des Großdeutschen Reiches bei der italienischen faschistischen Nationalregierung in Fasano, zuletzt Außenstelle Mailand, 1945-1947 amerikanische Kriegsgefangenschaft, nach 1949/50 Bundeskanzleramt, Dienststelle fur Auswärtige Angelegenheiten, 1951 Wiedereintritt in den Auswärtigen Dienst, 1971 Ruhestand. 84 Wilhelm Günther von Heyden (1908-?), 1934 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1944/45 beim Bevollmächtigten des Großdeutschen Reiches bei der italienischen faschistischen Nationalregierung in Fasano, 1951 Wiedereintritt in den Auswärtigen Dienst, 1951/5 2 Generalsekretär der deutschen Delegation bei der Konferenz fur die Organisation einer E V G in Paris, 1953—1958 Bundespräsidialamt, 1958—1963 Botschaft Neu Delhi, 1968-1973 Generalkonsul in Hongkong. 85 Gerhard Gumpert (1910-1987), 1930 Ortsgruppenleiter in der NSDAP, 1939 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1943-1945 beim Bevollmächtigten des Großdeutschen Reiches bei der italienischen faschistischen Nationalregierung in Fasano. 86 Korrekt lautet das Zitat: «J'ai dit souvent que tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne savoir pas demeurer en repos dans une chambre.» (Blaise Pascal, Pensees sur la religion et autres sujets, in: CEuvres Completes, hg. von Jean-Robert Armogathe, Paris 1963, S. 516). 87 Commendatore Giovanni Belardo, bei Kriegsende im päpstlichen Staatssekretariat in der II. Sektion als einziger Laie tätig, seine zu Beginn der 1930er Jahre ausgeübte Aufgabe in den vatikanischen Archiven hatte er zum damaligen Zeitpunkt nicht mehr inne. 88 Bruno August Buyna (1908-?), Ausbildung als Funker bei der Reichspost, 1934-1938 bei der SS, 1938 Eintritt in den Auswärtigen Dienst als Funker an der Botschaft Washington (bis 1941), ab Herbst 1943 Funker und Chiffreur an der Botschaft beim Heiligen Stuhl im Rang eines Konsulatssekretärs, zuletzt in Rom Wahrnehmung der Geschäfte des Kanzlers, nach 1945 Wohnsitz in Rom. 89 Auf dem Hohen Asperg befand sich von 1945—1947 ein von der 7. US-Armee für nationalsozialistische Funktionäre eingerichtetes Internierungslager. 90 Johann Ludwig (Lutz) Graf Schwerin von Krosigk (1887-1977), 1932-1945 Reichsfinanzminister, Mai 1945 Reichsaußenminister in der geschäftsfuhrenden Regierung Dönitz, im Wilhelmstraßenprozeß zu 10 Jahren Haft verurteilt, 1951 entlassen. 91 Nikolaus von Halem (1905—1944), 1939 Reichsstelle fur Industrie in Berlin, zahlreiche Kontakte zu oppositionellen Gruppen, u.a. zum Kreisauer Kreis, nach Mitarbeit an Attentatsplänen 1942 verhaftet und 1944 hingerichtet. 92 Hans Bernd von Haeften (1905-1944), 1933 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, seit 1942 als Stellvertreter des Abteilungsleiters in der Informationsabteilung (seit 1943: Kulturpolitische Abteilung) des Auswärtigen Amtes, führendes Mitglied des Kreisauer Kreises, wegen seiner Teilnahme am 20. Juli 1944 vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und hingerichtet. 93 Im Morgengrauen des 6. Juni 1944 landeten rund 150.000 Amerikaner, Briten, Franzosen, Polen sowie Kanadier und weitere Commonwealth-Angehörige an fünf verschiedenen Stränden der Normandie. Gleichzeitig brachten Fallschirmjäger und Luftlandetruppen wichtige strategische Punkte im Hinterland unter ihre Kontrolle. A m 12. Juni gelang es rund 330.000 alliierten Soldaten mit 54.000 Fahrzeugen, die fünf Landungsköpfe zu einer zusammenhängenden Front von xoo Kilometern Länge und 30 Kilometern Tiefe zu verbinden.
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Anmerkungen 94 Das „Unternehmen Wacht am Rhein", die deutsche Ardennenoffensive zwischen dem Hohen Venn und dem Nordteil Luxemburgs gegen die ι. US-Armee am 16. Dezember 1944, gelang zunächst als Überraschungsschlag, weil das schlechte Wetter (geschlossene Wolkendecke) das Eingreifen der alliierten Luftstreitkräfte gegen die rund 1.000 deutschen Panzer verhinderte. Mit Beginn der Ardennenoffensive wurde Antwerpen unter Beschüß von V i - und V2-Raketen genommen. Nach Aufklaren gelang der alliierten Luftwaffe vier Tage später die Beherrschung des Luftraums, und die letzte deutsche Offensive im Zweiten Weltkrieg war gescheitert. 95 Gemeint ist Hugh Robert Wilson (1885-1946), 1 9 2 7 - 1 9 3 7 amerikanischer Gesandter in der Schweiz. 96 Ernst Wilhelm Bohle (1903-1960), seit November 1931 ehrenamtliche Mitarbeit bei der N S D A P AO, 1932 Eintritt in die NSDAP, seit 1933 Leiter der AO, 1937 Staatssekretär im A A , 1945 amerikanische Kriegsgefangenschaft, 1949 im Wilhelmstraßenprozeß zu fünf Jahren Haft verurteilt, 1949 begnadigt. 97 Fritz Sauckel (1897-1946), von 1942 bis 1945 als Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz für die Rekrutierung von Zwangsarbeitern für die deutsche Rüstungsindustrie verantwortlich, in Nürnberg als Hauptkriegsverbrecher zum Tode verurteilt und hingerichtet, vgl. zu den Aktivitäten Sauckels u.a. die Aussagen Albert Speers über Sauckel im alliierten Verhör, abgedruckt in: Ulrich Schlie (Hg.), Albert Speer, Die KransbergProtokolle 1995· Seine ersten Aussagen und Aufzeichnungen (Juni-September), München 2003, S. 1 7 2 - 1 8 0 . 98 Otto Köcher (1884-1945), 1 9 1 2 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1937 bis Juli r 945 Gesandter in Bern, danach im amerikanischen Internierungslager Ludwigsburg, wo er am 27. Dezember 1945 Selbstmord beging. 99 Tatsächlich war ein Teil des Goldschatzes des Auswärtigen Amtes (ungefähr 14 Zentner Gold) heimlich nach Genf verbracht worden. Ende April 1945 hatte der seit längerem in amerikanischen Diensten stehende A A Angehörige Fritz Kolbe, Beamter des mittleren Dienstes, den damaligen Gesandten in der Schweiz, Otto Köcher, erfolglos bedrängt, ihm Näheres über den Goldschatz mitzuteilen. Aufgrund entsprechender Bemühungen Kolbes wurde Köcher, der eigentlich nach der Kapitulation in der Schweiz politisches Asyl erhalten wollte, noch im Juli 1945 nach Deutschland ausgewiesen. (Vgl. Lucas Delattre, Fritz Kolbe, München/Zürich 2005, S. 263fr.) Köcher erhängte sich am 2 7. Dezember 1945 im amerikanischen Internierungslager Ludwigsburg in seiner Zelle, noch bevor die Untersuchung über geheime Verbindungen des Deutschen Reiches mit der Schweiz während des Krieges abgeschlossen war. 100 Vgl. Christian Morgenstern, Das Knie, in: Galgenlieder, Leipzig o.J., S. 30. 101 Eduard Waetjen (1908-2000), Rechtsanwalt, enger Freund Trotts und Moltkes und Mitglied des Kreisauer Kreises, während des Zweiten Weltkrieges zusammen mit Gero von Gaevernitz ab 1943 Mitarbeiter des Residenten des amerikanischen Geheimdienstes OSS, Allen W. Dulles, in der Schweiz und Kontaktmann der Kreisauer zu den Anglo-Amerikanern. 102 Allen W. Dulles (1893-1969), 1916 Eintritt in den Auswärtigen Dienst der Vereinigten Staaten, 1926 Wechsel zur Anwaltskanzlei Sullivan Sc Cromwell, 1941 Einberufung in den amerikanischen Geheimdienst OSS, November 1942—1945 Resident des OSS in Bern, 1 9 5 1 - 1 9 6 1 Central Intelligence Agency (CIA), ab 1953 als Director. 103 Adelheid Gräfin Eulenburg (1916—2004), verheiratet mit Botho Ernst Graf Eulenburg (1904—1944). 104 Helmut Bergmann (1898-1945), seit 1940 in der Personal- und Verwaltungsabteilung des Auswärtigen Amtes, seit 1941 als deren stv. Leiter, 1945 in sowjetischer Haft verschollen. 105 Hier irrt Kessel. Im April 1946 erschien Weizsäcker im Kriegsverbrecherprozeß in Nürnberg als Zeuge für Großadmiral Raeder und kehrte anschließend nach Rom zurück. Weizsäcker blieb bis zum August 1946 im Vatikan, von dort aus begab er sich auf den Familienhof in Lindau am Bodensee. 106 Prälat Ludwig Kaas ( 1 8 8 1 - 1 9 5 2 ) , 1 9 1 9 Mitglied der Weimarer Nationalversammlung und anschließend M d R , 1921 Mitglied des preußischen Staatsrats, 1 9 2 8 - 1 9 3 3 Vorsitzender der Zentrumspartei, seit April 1933 als Sekretär der Kardinalskongregation von Sankt Peter im römischen Exil, 1934 apostolischer Protonotar, 1935 Domherr von Sankt Peter, 193 6 Ökonom an Sankt Peter und Leiter der Bauhütte, Mitarbeit an der Enzyklika „Mit brennender Sorge".
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„Gegen Hitler und für ein anderes Deutschland" 107 Kaas war dem seit 1 9 1 7 in München (und seit 1920 gleichzeitig in Berlin) residierenden Nuntius, Erzbischof Eugenio Pacelli, als kanonistischer Berater beigegeben. Das enge Vertrauens- und Freundschaftsverhältnis datiert aus dieser Zeit. Kaas wurde bereits 1 9 2 1 zum päpstlichen Hausprälaten ernannt. Pius XII. hatte Kaas bereits am Tag seiner Papstwahl sein Birett und die Mozzetta, die er als Kardinal getragen hatte, als Zeichen seiner Wertschätzung geschenkt und ihm den Schlüssel zu seinem persönlichen Fahrstuhl überreicht. 108 Reinhold von "Ihadden-Trieglaff (1891-1976), 1933 Mitglied der Bekennenden Kirche, nach 1945 Arbeit fur den Weltrat der Kirchen, 1948 Gründer des Deutschen Evangelischen Kirchentages, 1949-1964 dessen erster Präsident. 109 Apostolische Konstitution Pius XII. VacantisApostolicae Sedis vom 8. Dezember 1945. 1 1 0 Clemens August Graf von Galen (1878-1946), 1933 Bischof von Münster, Februar 1946 Kardinal, starb unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Rom an den Folgen eines Blinddarmdurchbruchs. Galen war einer der entschiedendsten öffentlichen Kritiker des Nationalsozialismus, der u.a. die Enzyklika „Mit brennender Sorge" (1937) von Papst Pius XI. in seiner Diözese verbreiten ließ und von der Kanzel aus z.B. das Euthanasieprogramm der Nazis als Mord verurteilte, vom Volk daher als „Löwe von Münster" bezeichnet, stand in Kontakt zu Widerstandskreisen um Carl Goerdeler. 1 1 1 Es sind allerdings einige an der Jahreswende 1944/45 entstandene Aufzeichnungen Ernst von Weizsäckers in seinem privaten Nachlaß sowie in den Akten des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes erhalten geblieben, so z.B. „Grundsätze für eine neue, demokratische Reichsverfassung" vom Herbst 1944 sowie eine Aufzeichnung „Die Agonie des III. Reiches" (Ohne Titel vom Juni 1945). 1 1 2 Veröffentlicht u.d.T. Die verborgene Saat, hg. von Peter Steinbach, Berlin 1993. 1 1 3 Veröffentlicht u.d.T. Das stille Gut, Würzburg 2 2004. 1 1 4 Nicht ermittelt. 1 1 5 Hermine Speier (1898-1989), Schülerin von Ludwig Curtius an der Universität Heidelberg, ab 1928 in Rom, wo sie bis 1934 das Photoarchiv des Deutschen Archäologischen Instituts aufbaute, von 1934-1967 baute sie an den Vatikanischen Museen als Kuratorin das dortige Photoarchiv auf, daneben Arbeiten als Archäologin an etruskischen und römischen Ausgrabungen, Autorin bedeutender archäologischer Fachbücher. 1 1 6 Pater Dr. Paul Augustin Mayer O S B (geb. 1 9 1 1 ) , ab 1939 Professor für Dogmatik an der Benediktinerhochschule Sant'Anselmo in Rom, von 1949-1966 als deren Rektor, 1972 Bischof, 1985 Kardinal, derzeit drittältester noch lebender Kardinal der römisch-katholischen Kirche. 1 1 7 Anspielung darauf, daß Pater Robert Leiber SJ, der persönliche Sekretär von Papst Pius XII. und Vertrauensmann des SD-Mitarbeiters Josef „Ochsensepp" Müller, im Winter 1939/40 zusammen mit Prälat Kaas die zentrale Persönlichkeit bei den Friedenssondierungen der deutschen Opposition gegen Hitler gewesen war. Müller handelte im Auftrag der Gruppe um Oster im Amt Ausland/Abwehr und mit Wissen von dessen Chef Canaris. Darüber hinaus gab es noch eine ganze Reihe anderer Verbindungen vatikanischer Kreise zur Abwehr und zum SD. So stand der Beuroner Benediktinermönch Hermann Keller (1905—1970) in den Diensten des SD, und der Abwehragent Wilhelm Möhnen zählte zu seinen regelmäßigen Informationsquellen neben Prälat Kaas und Pater Leiber SJ auch Pater Pancratius Pfeiffer, den Generalabt der Salvatorianer in Rom. Der Rektor des deutsch-ungarischen Priesterkollegs, der Anima, Bischof Alois Hudal, führte noch 1942 unautorisierte Friedensverhandlungen mit dem SS-Obersturmbannführer Dr. Waldemar Meyer. (Vgl. Hansjakob Stehle, Bischof Hudal und SS-Führer Meyer. Ein kirchenpolitischer Friedensversuch 1942/43, in: V f Z 37,1989, S. 299fr. 1 1 8 Hubert Jedin (1900-1980), 1924 Priesterweihe, 1925 Dr. theol. in Breslau, 1 9 2 6 - 1 9 3 0 Studienaufenthalt in Rom, 1930 Habilitation und Privatdozent in Breslau, 1933 Entzug der Venia legendi aus „rassischen Gründen", 1933-1936 Studienaufenthalt in Rom, 1936-1939 erzbischöflicher Archivar in Breslau, 1939-1949 Aufenthalt (Exil) in Rom (zur Abfassung der in 4 Bänden zwischen 1949 und 1982 publizierten Geschichte des Konzils von Trient), seit 1949 zunächst als außerordentlicher (ab 1 9 5 1 als ordentlicher) Professor für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte an der Universität Bonn.
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Anmerkungen
119 Ludwig Curtius, Deutsche undantike Welt, Stuttgart 1952. 120 Robert Murphy (1894-1978), amerikanischer Diplomat, 1943/44 politischer Berater von General Dwight D. Eisenhower, Teilnehmer an der Potsdamer Konferenz, politischer Berater im Nachkriegsdeutschland bis 1949. 121 Sigismund von Braun hatte zu diesem Zeitpunkt bereits drei Kinder: Carola (* September 1942 in Addis A b beba), Christina ("Juni 1944 in Rom) und Christoph Friedrich (* Dezember 1945 in der Vatikanstadt). 122 Die letzten beiden Sätze entstammen dem Kapitel „1946", das am Anfang wegen Redundanzen zum Kapitel „Rom" um zwei Absätze gekürzt wurde.
Besetztes Deutschland ( 1 9 4 6 - 1 9 4 7 ) 1
Bei dem nachfolgenden Text handelt es sich um eine Aufzeichnung Kessels, die zwar ursprünglich für die M e moiren bestimmt war, jedoch nicht mehr in das R o m - M S integriert werden konnte. Der Text wurde deshalb vom Herausgeber um zwei Absätze gekürzt, die zum Schluß des Kapitels „Rom" redundant waren.
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Gustav Struve (1899-1946), 1927 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1937- Juli 1939 Botschaft Warschau, 1940/41 Botschaft Budapest, seit 1941 Zweigstelle Vichy der Botschaft Paris, zuletzt, seit Oktober 1944 auf der Insel Mainau, von den Amerikanern 1945 interniert, 1946 an Polen ausgeliefert, in polnischer Haft verstorben.
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Ernst von Salomons Bestseller Der Fragebogen erschien erstmalig 1951 bei Rowohlt in Hamburg.
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A m 6. September 1946 erläuterte US-Außenminister James Francis Byrnes in seiner „Stuttgarter Rede" die Grundsätze der Besatzungspolitik der Vereinigten Staaten in Deutschland und leitete damit eine positive Wende in den deutsch-amerikanischen Beziehungen ein. Die U S A würden es nicht zulassen, daß Deutschland zum Armenhaus Europas werde; umfassende amerikanische Hilfe fur den Wiederaufbau sei geplant.
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Eugen Gerstenmaier gehörte, wie Albrecht von Kessel, zum Kreisauer Freundeskreis um Helmuth James von Moltke und Peter Yorck von Wartenberg. In der Nachkriegszeit entfernten sich beide gleichwohl voneinander (vgl. dazu Kapitel „Washington", S. 173f- sowie Eugen Gerstenmaier, Streit und Friede hat seine Zeit, Frankfurt/ M.u.a. 1981,5.430.
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Heinrich Rhomberg, Oberstleutnant, Besitzer des Landschlosses Rieden am Staffelsee bei Murnau. Im Originalmanuskript irrtümlich „Rhombach" geschrieben.
Paris 1
Die Neue Zeitung (München) erschien zwischen 1945 und 1955 zweimal wöchentlich in der amerikanischen Besatzungszone. Die amerikanische Besatzungsmacht als Herausgeberin ließ darin namhafte deutsche Journalisten, vielfach Exilanten, zu Wort kommen, u.a. Thomas und Heinrich Mann, Carl Zuckmayer, Hermann Hesse, Alfred Kerr, Erich Kästner. Die Neue Zeitung konnte sich auf dem wachsenden deutschen Zeitungsmarkt langfristig nicht durchsetzen und wurde eingestellt.
2
Gert „Nucki" Weismann, nach der Emigration Gert Whitman (1903-1970), 1933 Emigration aus Deutschland über die C S R und die Schweiz in die Vereinigten Staaten, 1947 deutscher Verbindungsoffizier im Stab des amerikanischen Hochkommissars in Deutschland j o h n McCloy, später als Bankier tätig.
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Robert Weismann (1869-1942), 1908 Staatsanwalt, später Oberstaatsanwalt in Berlin, 1920 preußischer Staatskommissar fur die öffentliche Ordnung, 1923-1932 Staatssekretär des preußischen Staatsministeriums und enger Berater des Ministerpräsidenten Otto Braun, 1932 nach dem „Preußenschlag" abgesetzt, 1933 Emigration über die C S R , Schweiz und Frankreich in die Vereinigten Staaten.
4
Hans Globke (1898-1973), 1929 Eintritt ins preußische Innenministerium, 1932-1945 Reichsinnenministerium mit Zuständigkeit für Staatsangehörigkeitsfragen und Mitverfasser des Kommentars zu den Nürnberger
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„Gegen Hitler und für ein anderes Deutschland"
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Rassegesetzen, 1949 Ministerialdirigent im Bundeskanzleramt, 1950 Ministerialdirektor, 1953-1963 Staatssekretär. John McCloy (1895-1989), 1940 Experte für Gegenspionage im amerikanischen Kriegsministerium, 19411945 Unterstaatssekretär im Kriegsministerium, 1945 als Leiter der „Civil Affairs Division" an der Besetzung Deutschlands beteiligt,Teilnehmer an der Potsdamer Konferenz, 1949-195 2 Hoher Kommissar der US-Regierung und Militärgouverneur in Deutschland. Ludwig Beck(i88o-i944), 1935 Generalstabschef des Heeres und General der Artillerie, 1938 Rücktritt während der Sudetenkrise und Abschied aus dem Heer, nach 1939 enge Verbindung zuWiderstandskreisen um Carl Friedrich Goerdeler, am 20. Juli 1944 nach dem gescheiterten Staatsstreich im Bendlerblock in Berlin erschossen. Erwin von Witzleben (1881—1944), seit 1935 enge Kontakte zum Widerstand in der Wehrmacht sowie zu Goerdeler, Hassell, Popitz, Bosch, 1940 Generalfeldmarschall, 1942 wegen politischer UnZuverlässigkeit in die Führerreserve versetzt, von den Verschwörern des 20. Juli als Oberbefehlshaber der Wehrmacht vorgesehen, nach dem gescheiterten Staatsstreich am 8. August 1944 vom Volksgerichtshof verurteilt und hingerichtet. Henning von Tresckow (1901-1944), ab 1939 als Generalstabsoffizier in Polen, Frankreich und an der Ostfront, seit 1942 mehrere erfolglose Attentatsversuche auf Hitler, plante 1944 zusammen mit Stauffenberg das Attentat, nach dem 20. Juli 1944 Selbstmord an der Ostfront. Hans Günther von Kluge (1882-1944), 1940 Generalfeldmarschall, verweigert sich verschiedenen Anwerbeversuchen eines Attentats auf Hitler, Juli 1944 Oberbefehlshaber West, nach dem 20. Juli 1944 der Mitwisserschaft verdächtigt und von seinem Posten abberufen, beging auf einer Fahrt zu Hitlers Hauptquartier Selbstmord, sein Abschiedsbrief enthielt Treuebekundungen zu Hitler. Karl-Heinrich von Stülpnagel (1886-1944), seit 1942 Militärbefehlshaber Frankreich in Paris, nach dem 20. Juli 1944 verhaftet und hingerichtet. Erwin Rommel (1891-1944), 1941 Oberbefehlshaber des deutschen Afrika-Korps, 1942 Generalfeldmarschall, 1943 Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Β zur Verteidigung Italiens und Abwehr der Invasion, beging Selbstmord, nachdem ihn Hitler wegen seiner Kontakte zu den Verschwörern vom 20. Juli vor die Alternative Freitod oder Anklage vor dem Volksgerichtshof gestellt hatte. Hans Speidel (1897-1987), bei Kriegsende Generalleutnant, April 1944 Chef des Stabes der Heeresgruppe Β unter Erwin Rommel, sowie, nach Rommels Verwundung, bei dessen Nachfolger Hans Günther von Kluge, versuchte beide für den militärischen Widerstand gegen Hitler zu gewinnen, im September 1944, nach Kluges Suizid, von der Gestapo verhaftet, aber nicht verurteilt, ab Ende 1950 militärischer Berater des Bundeskanzlers, 1951—1954 militärischer Chefdelegierter bei den Verhandlungen zur EVG, 1954/55 Vertreter der Bundesrepublik bei den Verhandlungen über den Eintritt in die Nato, 1955-1957 Leiter der Abteilung Gesamtstreitkräfte im BMVg, 1957-1963 Nato-Oberbefehlshaber COMLANDCENT der alliierten Landstreitkräfte Mitteleuropa. Herbert Blankenborn (1904-1991), 1929 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1948 Persönlicher Referent Adenauers, 1949 Leiter der Verbindungsstelle zur Alliierten Hohen Kommission, 1951 Leiter der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes, 1955-1959 erster deutscher Botschafter bei der Nato, 1960-1963 Botschafter in Paris, 1965-1970 Botschafter in London. Hermann Josef Abs (1901-1994), ab 1937 Aufsichtsratsmitglied der IG Farben, ab 1938 Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, nach 1945 kurzzeitig inhaftiert, im Entnazifizierungsverfahren als „entlastet" eingestuft, Finanzberater der britischen Besatzungsbehörde, nach 1948 Finanzberater Konrad Adenauers, 1952 Leiter der deutschen Delegation in den Verhandlungen für das Londoner Schuldenabkommen, ab 1952 wieder im Vorstand der Deutschen Bank, 1957-1967 Vorstandsvorsitzender. »Rocher de bronze - eherner Fels", vom preußischen König Friedrich Wilhelm I. auf die Macht der preußischen Krone gemünzt.
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Anmerkungen 16 Karl Dumont (1884-1961), 1 9 1 9 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1920-1935 Botschaft Paris, 1935-1945 verschiedene Inlandsverwendungen, 195 0 - 1 9 5 2 Auswärtiges Amt Bonn und Botschafter in Den Haag, 1952 Vertreter des Otto-Wolff-Konzerns bei der Hohen Behörde der Montanunion in Luxemburg. 1 7 Wilhelm Hausenstein (1882-1957), : 9 3 4 - I 9 4 3 Feuilletonredakteur bei der Frankfurter Zeitungbis zur fristlosen Entlassung „wegen politischer Unzuverlässigkeit", 1945 Mitbegründer der Süddeutschen Zeitung, 1950 Generalkonsul in Paris, nach der Umwandlung des Generalkonsulats 195 3-195 5 Botschafter in Paris. 18 Heinrich von Brentano (1904-1964), 1946-1949 Mitglied des Hessischen Landtags, 1948/49 Mitglied im Parlamentarischen Rat, anschließend MdB, 1 9 5 5 - 1 9 6 1 Bundesminister des Auswärtigen, 1949-1955 sowie 1961 bis zu seinem Tode Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. 19 Andre Fran9ois-Poncet (1887-1978), 1 9 3 1 - 1 9 3 8 französischer Botschafter in Berlin, 1938-1940 Botschafter in Rom, 1949-1953 Alliierter Hoher Kommissar Frankreichs in Deutschland, 1 9 5 3 - 1 9 5 5 Botschafter in Bonn. 20 Jean Sauvagnargues (1915—2002), zum Zeitpunkt der Befreiung Frankreichs Mitglied im Kabinett de Gaulle, in den frühen 1950er Jahren Deutschlandreferent im Quai d'Orsay, 1955 Botschafter in Äthiopien, 1970-1974 Botschafter in Deutschland, 1974-1976 französischer Außenminister. 21 Franfois Seydoux Fornier de Clausonne ( 1 9 0 5 - 1 9 8 1 ) , 1 9 3 3 - 1 9 3 6 französische Botschaft Berlin, 1936 Leiter der Deutschland-Abteilung im Quai d'Orsay, 1949-195 5 Leiter der Europaabteilung im Quai d'Orsay, 1956-1958 französischer Botschafter in Wien, 1958—1962 und 1965-1970 in Bonn, maßgeblich am Zustandekommen des Elysee-Vertrags beteiligt. 22 Herve Alphand (1907-1994), 1945 Leiter der Handels- und Finanzabteilung des Quai d'Orsay, 1950 französischer Nato-Botschafter, Präsident des Interimsausschusses fur die E V G und Vertreter Frankreichs bei der O E E C , 1951 Leiter der Konferenz über den Pleven-Plan zur Schaffung einer europäischen Armee, 1955 Botschafter Frankreichs bei den Vereinten Nationen, 1956-1965 Botschafter in Washington. 23 Hermann-Bernhard Ramcke (1889—1968). Bei Kriegsende einer von insgesamt 27 Trägern der Schwerter und Brillanten zum Ritterkreuz; von den Franzosen 1951 zu fünfeinhalb Jahren Haft wegen angeblicher Kriegsverbrechen als Kommandeur der Festung Brest verurteilt, jedoch 3 Monate später entlassen, hatte bei einem SS-TrefFen 1952 in einer Rede die Alliierten ihrerseites als Kriegsverbrecher bezeichnet. 24 Nicht ermittelt. 25 Vgl. Günther Gillessen,^w/"verlorenem Posten. Die Frankfurter Zeitung im Dritten Reich, Berlin 1986. 26 Friedrich Sieburg (1893—1967), 1 9 3 2 - 1 9 3 9 Auslandskorrespondent für die Frankfurter Zeitung in Paris, 1940 Einberufung in den Auswärtigen Dienst, 1942-1943 wieder für die Frankfurter Zeitung tätig, 1945-1948 von den Franzosen auferlegtes Berufsverbot, 1949 Mitherausgeber der Zeitschrift Die Gegenwart, 1956 Eintritt in die Frankfurter Allgemeine Zeitung. 27 Hasso von Etzdorf (1900-1989), 1928 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, ab September 1939 als Rittmeister der Reserve Verbindungsmann des Auswärtigen Amtes beim Chef des Generalstabs des Heeres, in engem Kontakt zu führenden Mitgliedern des Widerstands (Hasseil, E. Kordt u.a.), ohne an den Vorbereitungen zum 20. Juli 1944 beteiligt gewesen zu sein, Februar 1945 Generalkonsul in Genua, 1950 Wiedereintritt in den Auswärtigen Dienst und Verwendung im Bundeskanzleramt, 1953 stellvertretender Leiter der deutschen Delegation beim Interimsausschuß für die Europäische Verteidigungsgemeinschaft in Paris, 1955 stellvertretender Generalsekretär der W E U in London, 1961 Botschafter in London. 28 Franz Krapf (1911-2003), '93^ Eintritt in den Auswärtigen Dienst und Verwendungen in Moskau und Tokyo, 1945-1950 Tätigkeit in der Wirtschaft, 1950/51 Delegationsmitglied bei den Verhandlungen über den Schuman-Plan, 1951 Wiedereintritt in den Auswärtigen Dienst, 1 9 5 1 - 1 9 5 3 Konsul in Paris, 1955-1958 Botschaft bzw. Ständige Vertretung Nato in Paris, 1966-1971 Botschafter in Tokyo, 1 9 7 1 - 1 9 7 6 Botschafter bei der Nato (Brüssel). 29 Theodor Kordt (1893-1962), 1921 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1 9 3 1 - 1 9 3 4 Büro Staatssekretär, 1938/39 Botschaftsrat London, 1939-1946 Gesandtschaft Bern, 1950 Wiedereintritt in den Auswärtigen Dienst, bis 1953 Leiter der Abt. III (Länder), 1953-1958 Botschafter in Athen.
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»Gegen Hitler und für ein anderes Deutschland" 30 Nicht ermittelt. 31 Wilhelm Melchers ( 1 9 0 0 - 1 9 7 1 ) , 1925 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1939-1945 Zentrale, 1949 Bundeskanzleramt, 1951 Wiedereintritt in den Auswärtigen Dienst und Leiter des Referats Personal, 1953-1965 nacheinander Botschafter in Bagdad, Neu Delhi, Kathmandu und Athen. 32 Hans Heinrich Herwarth von Bittenfeld (1904-1999), 1927 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1 9 3 1 - 1 9 3 9 Botschaft Moskau, ab 1939 Kriegsdienst, 1945-1949 bayerische Staatskanzlei, 1949 Bundeskanzleramt, Leiter des Protokolls, Wiedereintritt in den Auswärtigen Dienst, seit 1951 Leiter des Protokolls und zugleich stellvertretender Chef des Bundespräsidialamtes, 1 9 5 5 - 1 9 6 1 Botschafter in London, 1 9 6 1 - 1 9 6 5 Staatssekretär und Chef des Bundespräsidialamtes, 1965—1968 Botschafter in Rom, 1968 Staatssekretär. 33 Heinz Ludwig Krekeler (1906-2003), Mitbegründer der FDP, 1947—1950 M d L (NRW), 1950/51 Generalkonsul in New York, 1951 Geschäftsträger (ab 1953 im Rang eines Botschafters), ab 1955 Botschafter in Washington. 34 Gemeint ist das Auswärtige Amt, das in Bonn seinen Sitz an der Koblenzerstraße, heute Adenauerallee, hatte. 35 Hans Heinrich Noebel (* 1921), 1950 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1950-1953 Generalkonsulat (später: Botschaft) Paris. Kessel hatte Noebel während dessen Studiensemester in Lausanne 1941 kennengelernt, als Kessel am deutschen Konsulat in Genf auf Posten war. Die Verbindung war dadurch zustande gekommen, daß Noebel in Berlin zum engeren Schülerkreis Albrecht Haushofers gehörte, der wiederum mit Kessel gut bekannt war. (Frdl. Mitteilung von Ernst Haiger, Berlin). 36 Paul Frank ('1918), 1950 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, zuerst als Persönlicher Referent des ersten deutschen Botschafters in Paris nach dem Zweiten Weltkrieg, Wilhelm Hausenstein, 1970—1974 Staatssekretär, 1974-1979 Staatssekretär und Chef des Bundespräsidialamtes. 37 Raymond Poincare (1860-1934), 1 9 1 3 - 1 9 2 0 französischer Staatspräsident, 1922-1924 Ministerpräsident und Außenminister, 1926-1929 Ministerpräsident und Finanzminister, in seiner Zeit als Ministerpräsident Exponent eines prononciert antideutschen Kurses und treibende Kraft hinter der Ruhrbesetzung. 38 Aristide Briand (1862-1932), 1921/22 französischer Ministerpräsident, 1 9 2 5 - 1 9 2 9 Außenminister, 1925 zusammen mit Stresemann und Austen Chamberlain Vater des Locarno-Vertrags und gemeinsam mit Stresemann Friedensnobelpreisträger 1929. 39 Walter Hallstein (1901-1982), 1930-1945 Juraprofessor in Rostock und Frankfurt/M., 1950 Leiter der deutschen Delegation fur die Pariser Schuman-Plan Konferenz, 1 9 5 1 Staatssekretär im Auswärtigen Amt, 1955 Proklamation der Hallstein-Doktrin zur Anerkennung der D D R durch fremde Staaten, 1958-1967 erster Präsident der EWG-Kommission in Brüssel, 1969-1972 M d B (CDU). 40 Giovanni Battista Montini (1897-1978), seit 1922 im päpstlichen Staatssekretariat, 1937 Substitut unter Kardinalstaatssekretär Pacelli, 1963-1978 Papst Paul VI. 41 Karl Carstens ( 1 9 1 4 - 1 9 9 2 ) , 1952 Habilitation (Jura), 1954 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1958-1960 Stellvertretender Leiter und kurz darauf Leiter der politischen Abteilung West I Europa, i960 Staatssekretär und Berufung zum Professor fur Staats- und Völkerrecht an der Universität Köln, 1967 Staatssekretär im Verteidigungsministerium, 1968/69 Staatssekretär und Chef des Bundeskanzleramtes, 1 9 7 2 - 1 9 7 9 M d B (CDU), 1972—1976 Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, 1 9 7 6 - 1 9 7 9 Bundestagspräsident, 1979—1984 Bundespräsident. 42 Die westdeutsche Schwerindustrie wurde seit April 1949 durch die Internationale Ruhrbehörde kontrolliert. Sie teilte die Kohle- und Stahlerzeugung des Ruhrgebietes unter Frankreich, Großbritannien, den U S A und den Beneluxländern auf. Der auf ein Projekt des Generalkommissars für den französischen Wirtschaftsplan, Jean Monnet, zurückgehende Schuman-Plan sah die Auflösung der Ruhrbehörde vor und eröffnete damit der Bundesrepublik die Möglichkeit, die alliierten Produktionsbeschränkungen zu beenden. Der Plan war somit ein Schritt auf dem Weg in die Souveränität Westdeutschlands. 43 Die Idee zur Bildung einer Europäischen Gemeinschaft fur Kohle und Stahl (EGKS)/Montanunion geht 1950 auf Jean Monnet, enger Mitarbeiter des französischen Außenministers Robert Schuman, zurück. Dem E G K S -
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Anmerkungen Vertrag schlossen sich die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien und die Beneluxstaaten an. E r trat am 23. Juli 1952 in Kraft und sah fur die Dauer von 50 Jahren die Schaffung eines gemeinsamen Marktes für die Kohle und Stahl erzeugende Industrie vor, die Abschaffung der Binnenzölle und Angleichung der Außenzölle. Erstmals wurden so nationale Hoheitsrechte auf eine supranationale Behörde übertragen. 44 Alcide de Gasperi (1861-1954), Mitbegründer der Democrazia Italiana (DI), 1944 Außenminister, 1945-1953 Ministerpräsident, 1946 kurzzeitig provisorisches Staatsoberhaupt in der neuen italienischen Republik, gemeinsam mit Adenauer und Schuman einer der Gründerväter der Montanunion, 1954 erster Präsident der Parlamentarischen Versammlung der E G K S . 45 Robert Schuman (1886-1963), 1945-1963 Mitglied der Nationalversammlung für die neugegründete republikanische Volksbewegung JVlouvement de Rassemblement Populaire" (MRP), 1946/47 Finanzminister, 1947/48 Ministerpräsident, 1948-1953 Außenminister. 46 Wilhelm Georg Grewe (1911-2000), als Völkerrechtsexperte Leiter der deutschen Delegation bei den Verhandlungen um die Beendigung der Besatzung durch die Alliierten (Deutschlandvertrag 1952), 1955-1958 Leiter der Politischen Abteilung im Auswärtigen Amt, 1958-1962 Botschafter in Washington, 1 9 6 2 - 1 9 7 1 Ständiger Vertreter beim Nato-Rat in Parisund Brüssel, 1 9 7 1 - 1 9 7 6 Botschafter in Tokio. 47 A m 24. Oktober 1950 gab der französische Ministerpräsident Rene Pleven den Plan einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft ( E V G ) bekannt: Die schon in der E G K S zusammengeschlossenen Staaten Frankreich, Italien, die Bundesrepublik und die Beneluxländer sollten ihre Truppen zu einer gemeinsamen Armee zusammenfuhren. Der Plan führte zu einem Abkommen über die Errichtung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft ( E V G ) , das von den Außenministern der sechs Länder am 27. Mai 1952 unterzeichnet wurde. Das Projekt scheiterte am 30. August 1954 an der Ablehnung in der französischen Nationalversammlung. 48 Theodor Blank (1905-1972), 1947 Mitglied im Frankfurter Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes. 1949 M d B (CDU), 1950 „Beauftragter des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen", in den folgenden Monaten Entstehung der sogenannten „Dienststelle Blank" unter Mitarbeit der Generale a.D. Adolf Heusinger und Hans Speidel, die sich der Frage der Wiederbewaffnungund der Aufstellung von neuen deutschen Streitkräften widmete, am 7. Juni 1955 erster Verteidigungsminister nach der Umwandlung der „Dienststelle Blank" in das Bundesministerium der Verteidigung. 49 Kurt Fett (1910-1980), bei Kriegsende Oberst i.G., 1951—1955 Gutachter und Angestellter der Dienststelle Blank und, später, des Bundesministeriums der Verteidigung, dabei 1951/52 und 1954 Leiter der Unterabteilung militärische Planung im „Amt Blank", Herbst 1951 bis Herbst 1953 Mitglied der deutschen EVG-Delegation und Senioroffizier der Militärdelegation beim Interimsausschuß der Konferenz für die Organisation der E V G in Paris, 1955 zur Übernahme in die Bundeswehr abgelehnt, 195 6 Direktor der Krupp A G . 50 Johann Adolf von Kielmansegg (1906—2006), bei Kriegsende Oberst i.G., 1950-1955 im „Amt Blank", 1955 Eintritt in die Bundeswehr im Rang eines Brigadegenerals, hohe nationale und internationale Funktionen bei Bundeswehr und Nato, zuletzt 1967/68 im Rang des Nato-Oberbefehlshabers C I N C E N T der Alliierten Streitkräfte Europa Mitte. 51 Conrad Frederick Roediger (1887-1973), bis Kriegsende Angehöriger des Auswärtigen Dienstes, 1951 Verhandlungsfuhrer (offiziell in Vertretung Hallsteins) der deutschen Delegation zu Beginn der Pariser PlevenPlan-Konferenz, danach bis 1956 Richter im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts. 52 Andre Marie Jules de Staerke (1913-2001), 1940-1951 im Stab des belgischen Premierministers, 1 9 5 1 - 1 9 7 5 in den belgischen Auswärtigen Dienst zu den Verhandlungen für den Nordadantikpakt und später zur Nato selbst abgeordnet, seit 1959 im Rang eines Botschafters. 53 Hendrik van Vredenburch (1905-1981), 1931 Eintritt in den niederländischen Auswärtigen Dienst, 1940-1943 Botschaft London, 1943-1946 Botschaft Washington, 1951 Leiter der niederländischen Delegation bei den Pariser Verhandlungen zur Schaffung der E V G , 1952 stellvertretender Generalsekretär der Nato, 1959-1962 Botschafter in Bonn, danach Botschafter in Rom.
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„Gegen Hitler und für ein anderes Deutschland" 54 Adolf Heusinger (1897-1982), bei Kriegsende Generalleutnant, 1948-1950 Organisation Gehlen, Abt. Auswertung, ab 1950 militärischer Berater Adenauers, 1951 Sachverständiger bei den Beratungen über die E V G , 1951-1955 Leiter der militärischen Abteilung im »Amt Blank", 1955 Eintritt in die Bundeswehr im Rang eines Generalleutnants und Vorsitzender des Militärischen Führungsrates im BMVg, 1957-1961 Generalinspekteur der Bundeswehr. 55 Franz Josef Strauß (1915-1988), 1949-1952 Generalsekretär der CSU, 1949-1978 MdB (CSU), 1952/53 Leiter des Ausschusses E V G im Deutschen Bundestag, 1955/56 Bundesminister für Atomfragen, 1956-1962 Bundesminister der Verteidigung, 1961-1988 Vorsitzender der CSU, 1966-1969 Bundesminister der Finanzen, 1978-1988 bayerischer Ministerpräsident. 56 Conrad Ahlers (1922-1980), 1951 Chef vom Dienst im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, 1952—1954 Pressereferent im »Amt Blank", 1954-1962 Arbeit als Journalist für verschiedene Zeitungen und Magazine, sein Artikel „Bedingt abwehrbereit" im Spiegel löste 1962 die „Spiegel-Affare" aus, 1966-1969 stellvertretender Leiter des Presse- und Informationsamtes, der Bundesregierung 1969-1972 dessen Leiter, danach bis 1980 Journalist. 57 Vgl. Bertold Brecht, Ballade vom armen B.B. (i92i),in: Bertold Brecht, Gedichte, Leipzig 1976,8.10. 58 Kom(m)ödchen: 1947 gegründetes politisch-literarisches Kabarett-Theater in Düsseldorf. 59 Jean Monnet (1888-1979), 1946-1952 Leiter des Planungsamtes im französischen Wirtschaftsministerium, 1950 Präsident der Pariser Schuman-Plan-Konferenz, 195 2-195 5 Präsident der Hohen Behörde der EGKS/Montanunion, 1955 Gründerund 1956-1975 Vorsitzender des Aktionskomitees für die Vereinigten Staaten von Europa. 60 Georges Bidault (1899-1983), 1949/50 französischer Ministerpräsident, 1951/52 stellvertretender Ministerpräsident und Verteidigungsminister, 195 3/54 Außenminister. 61 Sir Christopher Steel (1903-1973), 1927 Eintritt in den britischen Auswärtigen Dienst, 1936 britische Botschaft Berlin, 1945 Berater fur politische Fragen beim Oberkommando der alliierten Truppen in Europa (SHAPE), anschließend Leiter der Politischen Abteilung der Alliierten Kontrollkommission für Deutschland (Britische Zone), 1949 stellvertretender britischer Hochkommissar für Deutschland, 1950 Gesandter in Washington, 1953 Nato-Botschafter, 1956-1963 Botschafter in Bonn. 62 „Enrichissez-vous", der berühmte Ausspruch Guizots, mit dem er die Forderungen nach einer Wahlrechtsreform beantwortete, wurde zum Leitspruch der Ära des Bürgerkönigs Louis-Philippe, der nach der Juli-Revolution von 1830 die Herrschaft der Notabein begründete und den legitimistischen Adel aus der nationalen Politik weitgehend zurückdrängte, und mit dem die noch weitergehenden Forderungen der Anhänger der Liberalisierung des Wahlrechts auf wirtschaftlichen Fortschritt verwiesen wurden. 63 Wolf Graf Baudissin (1907-1993), 1951 Referatsleiter »Inneres Gefuge" im „Amt Bknk", 1955 Unterabteilungsleiter im Bundesministerium der Verteidigung, 1956 Übernahme in die Bundeswehr im Rang eines Oberst und Kommandeur einer Panzerbrigade, 1961-1967 Verwendungen bei der Nato, zuletzt ab 1965 Stellvertretender Chef des Stabes fur Planung und Operation beim Nato-Oberkommando Europa in Paris und später in Casteau/Belgien. 64 Rolf Friedemann Pauls (1915-2002), 1950 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1951 Vizekonsul in Luxemburg, 1952-1956 persönlicher Referent von Staatssekretär Walter Hallstein, 1956 Botschaftsrat in Washington, 1965-1980 nacheinander Botschafter in Tel Aviv, Washington, Peking und Nato (Brüssel). 65 Dwight D. Eisenhower (1890-1969), 1942 Kommandeur der in Europa stationierten US-Truppen, 1943-1945 Oberbefehlshaber der Allied Forces Europe, 1945-1947 Oberbefehlshaber der amerikanischen Besatzungstruppen in Deutschland und Militärgouverneur in der amerikanischen Besatzungszone, 1950-1952 erster Supreme Allied Commander Europe und damit Oberkommandierender der Nato-Streitkräfte in Europa, 1953-1961 34. Präsident der Vereinigten Staaten. 66 Harold Macmillan (1894-1986), 1954/55 britischer Verteidigungsminister, April bis Dezember 1955 Außenminister, 1956-57 Schatzkanzler, 1957-1963 Premierminister. 67 Hier irrt Kessel; Macmillan war zu diesem Zeitpunkt Verteidigungsminister und wurde erst vier Jahre später Premierminister.
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Anmerkungen 68 Georg Federer (1905-1984), 195 2-195 5 Botschaftsrat an der Gesandtschaft Washington. 69 Der Deutsche Zollverein wurde 1834 gegründet, schuf einen einheitlichen Binnenmarkt und bereitete damit der Reichseinigung (Norddeutscher Bund 1867, Reichsgriindung 18 71) den Weg. 70 Friedrich Sieburg, Gott in Frankreich?, Frankfurt 1929. 71 Henri Philippe Petain (1856-1951), französischer Berufsoffizier, zuletzt (1931) im Rang eines Marschalls, 1934 Kriegsminister, 1939 Botschafter in Spanien, Mai 1940 Stellvertreter des Ministerpräsidenten Paul Reynaud, Juni 1940 nach der Niederlage Frankreichs und dem Waffenstillstand Ministerpräsident des nichtbesetzten Vichy-Frankreichs, 1944 Gefangennahme durch die Deutschen, 1945 Rückkehr nach Frankreich, von der provisorischen Regierung de Gaulle wegen Hochverrats angeklagt und zum Tode verurteilt, Umwandlung des Urteils in lebenslange Haft auf der Adantikinsel lie dYeu, wo Petain 1951 starb. 72 Paul Henri Spaak, 1950-1955 Vorsitzender des Internationalen Rates der Europäischen Bewegung, 1953—1954 Präsident der EGKS/Montanunion, wiederholt belgischer Außenminister, u.a. 1954-195 7 und 1 9 6 1 - 1 9 6 6 , 1 9 5 7 - 1 9 6 1 Generalsekretär der Nato. 73 Anspielung auf Hans Graf Huyn ("1930), 1955 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, mußte 1971 den Auswärtigen Dienst wegen einer Indiskretion im Zusammenhang mit der Ostpolitik von Außenminister Scheel verlassen, 1976— 1990 MdB (CSU). Kessel hatte Graf Huyn in einem Leserbrief im Sonntagsblatt vom 21. November 1965 unter der Überschrift „Graf Huyn - ein Legationsrat in Gewissensnot? Spitzeldienste fur Adenauer, Strauß und Guttenbeig: Leben wir in einem Kleinstaat?" scharf angegriffen und behauptet, Huyn sei als Spitzel für Adenauer und Strauß tätig, um Außenminister Schröder zu Fall zu bringen. Daraufhin wurde gegen Kessel von zwei Münchner Anwälten im Auftrag des CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß Klage aufWiderruf erhoben, anderenfalls hätte er sich darüber hinaus einem Strafantrag und der Privatklage wegen Verleumdung bzw. poliüsch übler Nachrede gegenübergesehen. Kessel lenkte ein und veröffentlichte im Sonntagsblatt am 26. Dezember 1965 eine entsprechende Korrektur; vgl. dazu Schreiben Dr. Günter Ossmann und Otto W. Müller, 25. November 1965, N L AvK. 74 Der „Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich" wurde am 15. Mai 1955 in Wien im Schloß Belvedere von Vertretern der Alliierten Besatzungsmächte U S A , UdSSR, Frankreich und Großbritannien und der österreichischen Regierung unterzeichnet und trat am 27. Juli 1955 offiziell in Kraft. Er beendete die Besatzungszeit nach dem Zweiten Weltkrieg, stellte die Souveränität Österreichs wieder her und verpflichtete das Land zur Neutralität.
Washington 1 2
Der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt verstarb am 12. April 1945. Vor dem Hintergrund großer, von Moskau aus gesteuerter innenpolitischer Schwierigkeiten und drohender Bürgerkriege in Griechenland und der Türkei hielt Präsident Truman am 12. März 1947 vor dem amerikanischen Kongreß eine Grundsatzrede. Demnach werde Griechenland, der Türkei und allen „freien Völkern", die vom Kommunismus bedroht seien, amerikanische Unterstützung zugesichert (Truman-Doktrin). Jede Nation, so Truman, müsse in Zukunft zwischen westlicher Demokratie und Kommunismus wählen - also zwischen einer Lebensweise, die sich auf den Willen der Mehrheit, freie Wahlen und Freiheit vor politischer Unterdrükkung gründe, und einer Lebensweise, die auf dem Willen einer Minderheit beruhe, welcher der Mehrheit durch Terror und Unterdrückung aufgezwungen werde.
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Auf der Flucht vor der englischen Staatskirche schifften sich am 16.September 1620 mehr als 100 „Pilgerväter" auf der „Mayflower" mit dem Ziel einer Überquerung des Adantiks ein, um in der nordamerikanischen Wildnis eine Kolonie zu gründen. Erst nach mehr als drei Monaten erreichten sie ihr Ziel; viele starben auf der Überfahrt oder kurze Zeit später an den Strapazen.
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George Washington (1732-1799), erster Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.
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Thomas Jefferson (1743-1826), dritter Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika (1801-1809), Mitver-
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„Gegen Hitler und für ein anderes Deutschland" fasser der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung und einer der Gründer der Republikanischen Partei der Vereinigten Staaten. 6 John Adams ( 1 7 3 5 - 1 8 2 6 ) , erster ( 1 7 8 9 - 1 7 9 7 ) Vizepräsident der Vereinigten Staaten und zweiter ( 1 7 9 7 - 1 8 0 1 ) Präsident der Vereinigten Staaten. John Quincy Adams, sechster Präsident der Vereinigten Staaten, war sein Sohn. 7 United States Military Academy ( U S M A ) , 1802 von Thomas Jefferson gegründet: Militärakademie der Vereinigten Staaten in West Point (US-Bundesstaat New York). Sie bildet einen Großteil des Offiziersnachwuchses der U S Army aus und gilt als eine der renommiertesten Hochschulen des Landes. 8 Charles Erwin Wilson ( 1 8 9 0 - 1 9 6 1 ) , seit 1 9 1 9 bei General Motors, seit 1941 als Vorstandsvorsitzender, 1953— 1957 amerikanischer Verteidigungsminister. 9 Gemeint ist das 1947 von Elisabeth Noelle-Neumann gegründete Institut fur Demoskopie Allensbach mit Sitz in Allensbach am Bodensee. 10 John Foster Dulles (1888-1959), 1953—1959 amerikanischer Außenminister. 1 1 Evelyn Baring, ist Earl of Cromer ( 1 8 4 1 - 1 9 1 7 ) , 1879 britischer Verwalter in Ägypten, 1 8 9 3 - 1 9 0 7 britischer Agent und Generalkonsul (Viceroy). 1 2 Chiang Kai-shek, im Machtkampf gegen Mao Tse-tung unterlegen, hatte sich 1949 nach Taiwan zurückgezogen. Die von Maos Truppen gehaltene Inselgruppe Jinmen (Chin-men, auch Kinmen oder Quemoy genannt) und die Insel Mazu (Ma-tsu), nur 8 Meilen vor der Küste des chinesischen Festlands gelegen, wurden von Chiangs Anhängern besetzt, um sie als militärische Basis für den Rückeroberungsfeldzug gegen das kommunistische China zu nutzen. 1950, und erneut 1954, provozierte Chiang Rotchina durch die Verlagerung großer Truppenkontingente auf die Inseln. Noch Anfang 1950 hatte der amerikanische Präsident Truman die amerikanische Neutralität im taiwanesisch-chinesischen Streit verkündet, dies änderte sich jedoch nach Ausbruch des Koreakrieges. Die Straße von Formosa (Taiwan) wurde von den Amerikanern fiir neutral erklärt und Taiwan unter Androhung militärischer Gewalt, einschließlich des Einsatzes von Atomwaffen, unter amerikanischen Schutz gegen das kommunistische China gestellt. Anfang 1955 eskalierte der Disput nach schweren Gefechten zwischen Rotchinesen und Taiwanesen auf Matsu, als die U S A öffentlich über den Einsatz von Atomwaffen im Quemoy-Matsu Gebiet nachdachten. Die Krise wurde beigelegt, als Ende April 1955 China die Bereitschaft zu erkennen gab, über den Status von Taiwan zu verhandeln und zudem klar wurde, daß die U d S S R , der Verbündete Rotchinas, nicht bereit war, sich in einen Krieg mit den Amerikanern einzulassen. 1 3 Vom 4. bis 8. Dezember 1953 traf sich der amerikanische Präsident Eisenhower mit dem britischen Premier Winston Churchill und dem französischen Staatspräsidenten Joseph Laniel jeweils in Begleitung ihrer Außenminister. 1 4 In der Datierung irrt Kessel. Churchill traf lediglich Eisenhower unmittelbar vor Beginn der offiziellen Bermuda-Konferenz am Freitag, dem 4. Dezember 1953, zum Mittagessen unter vier Augen. Churchill war bereits am 1. Dezember 1953 von London nach Bermuda geflogen und hatte, zusammen mit Außenminister Anthony Eden, Eisenhower und Dulles vom Flughafen abgeholt; vgl. Martin Gilbert, Never despair. Winston Churchill 1945-1965,
London 1988, S. 917.
15 Antoine de Rivarol ( 1 7 5 3 - 1 8 0 1 ) , französischer Schriftsteller und Satiriker, arbeitete während der Revolutionsjahre als Journalist, 1792 Flucht über Brüssel und London nach Hamburg ins Exil. 16 Georges Bidault (1899-1983), 1949/50 französischer Ministerpräsident, 1951/5 2 stellvertretender Ministerpräsident und Verteidigungsminister, 1953/54 Außenminister. 1 7 Joseph Raymond McCarthy ( 1 9 0 8 - 1 9 7 7 ) , US-amerikanischer republikanischer Politiker und Senatoren den frühen 1950er Jahren Initiator der Kampagne gegen eine vermutete Unterwanderung des Regierungsapparates der Vereinigten Staaten durch Kommunisten (McCarthy-Ära). 18 A u f der Vier-Mächte-Konferenz in Genf diskutierten seit dem 26. April 1954 die Außenminister der U S A , der Sowjetunion, Großbritanniens und Frankreichs die politische Zukunft Indochinas und Koreas. Der französische Plan der Wiedererrichtung einer Kolonie in Indochina war angesichts der sich abzeichnenden Niederlage
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Anmerkungen im Vietnamkrieg gescheitert. Am Ende des dreijährigen Koreakriegs herrschte zudem nur ein Waffenstillstand. Nach zweimonatigen Verhandlungen beschlossen die Konferenzteilnehmer am 21. Juli die vorläufige Teilung Vietnams entlang des 17. Breitengrades in die von der Viet Minh („Liga für die Unabhängigkeit Vietnams") kontrollierte „Demokratische Republik Vietnam" im Norden und die von Frankreich unterstützte „Republik Vietnam" im Süden. Nach zwei Jahren sollten Wahlen durchgeführt und das Land wiedervereint werden. Die ebenfalls zu Indochina gehörenden Königreiche Laos und Kambodscha wurden zu unabhängigen Staaten erklärt. In der Koreafrage konnten sich die Vier Mächte nicht einigen. 19 Am 7. Mai 1954 kapitulierten nach 55 Tagen erbitterter Kämpfe die französischen Truppen in der Festung von Dien Bien Phu. Knapp siebzig Jahre französische Kolonialherrschaft über Vietnam gingen damit zu Ende. 20 Der Mißerfolg der französischen Truppen im Indochinakrieg, die Unnachgiebigkeit der Sowjetunion auf der Genfer Konferenz, die statt zu einem Kompromiß zur französischen Niederlage in Dien Bien Phu führte, sowie in der Europapolitik ihre Aufgeschlossenheit gegenüber der E V G , diese Umstände führten letztlich zum Sturz der Regierung Laniel-Bidault im Juni 1954. 21 In seiner kurzen Amtszeit als Regierungschef vom 19. Juni 195 4 bis zum 5. Februar 1955 gelang es Pierre Mendes-France (1907-1982)^16 Indochinakrise und die Frage der Autonomie Tunesiens zu lösen. 22 Am 30. August 1954 scheiterte die Europäische Verteidigungsgemeinschaft durch die Abstimmungsniederlage in der französischen Nationalversammlung. 23 James Bryant Conant (1893-1978), Chemiker, 1933—1953 Präsident der Harvard University, 1953—1957 amerikanischer Hochkommissar und erster amerikanischer Botschafter in Deutschland. 24 Frederic Hoyer Miliar (1900-1989), 1922 Eintritt in den britischen Auswärtigen Dienst, 1947 Assistant UnderSecretary im Foreign Office, 1948 Gesandter in Washington, 1950 Stellvertreter des Britischen Vertreters im Ständigen Rat der Nato, 1952 Britischer Vertreter im Ständigen Rat der Nato in Paris, 1953 britischer Hochkommissar in Deutschland, 1955 erster britischer Botschafter in Bonn, 1956-1961 Permanent Under-Secretary im Foreign Office. 25 Juan Domingo Perön Sosa (1895-1974) Präsident Argentiniens von 1946-1955 und von 1973-1974. Eva Perön, genannt Evita, geborene Maria Eva Duarte (1919-1952), Primera Dama („First Lady") von Argentinien und die zweite Frau von Präsident Juan Domingo Perön. 26 Jörg Kastl C1922), 1950 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1952 Botschaft Paris, 1953—1957 Botschaft Buenos Aires und Asuncion, 1959-1961 Botschaft Moskau, 1961/62 Studienprogramm in Harvard, anschließend Botschaft Washington, 1975-80 Botschafter in Argentinien und Brasilien, 1983-1987 Botschafter in Moskau. 27 Arthur W. Radford (1896-1973), Admiral, Oberbefehlshaber der amerikanischen Pazifikflotte und 1953-195 7 Chef der Vereinigten Generalstäbe der amerikanischen Streitkräfte. 28 Matthew Bunker Ridgway (1895-1993), hochdekorierter US-General im Zweiten Weltkrieg und Koreakrieg, 1951 Oberbefehlshaber Fernost und Kommandeur der UN-Truppen, 1952 Supreme Allied Commander Europe ( S A C E U R ) in der Nachfolge von General Dwight D. Eisenhower, im Juli 1953 in die U S A zurückbeordert, 1955 vorzeitig pensioniert. 29 Der Radford-Plan von 1953 war das Ergebnis einer von Präsident Eisenhower in Auftrag gegebenen internen Studie, Einsparmöglichkeiten im Verteidigungshaushalt zu prüfen und amerikanische Truppenverbände aus Westeuropa abzuziehen, um damit die strategische Luftflotte auszubauen. Die ungewollte Veröffentlichung dieser internen Studie durch die New York Times löste einen Sturm der Entrüstung in Westeuropa aus, da er die Frage der Lastenteilung zwischen Amerika und seinen europäischen Partnern im Atlantischen Bündnis berührte. 30 Wort fehlt im MS. 31 Kurt Georg Kiesinger (1904-1988), 1935 Rechtsanwalt beim Kammergerichtin Berlin, 1940-1945 Dienstverpflichtung im Auswärtigen Amt, 1949-1958 und 1969-1980 MdB, 1958-1966 Ministerpräsident von BadenWürttemberg, 1966-1969 Bundeskanzler der Großen Koalition, 1 9 6 7 - 1 9 7 1 Vorsitzender der C D U Deutschlands.
227
«Gegen Hitler und für ein anderes Deutschland" 32 A d a m Watson ( 1 9 1 4 - 2 0 0 7 ) , Gründungsmitglied der „British school of international relations theory", 1 9 3 7 Eintritt in den britischen Auswärtigen Dienst. 1948 Mitglied des neu geschaffenen „Information Research D e partment" (IRD), 1 9 5 0 - 1 9 5 8 britischer Verbindungsoffizier für psychologische Kriegführung in Washington, 1958 Botschafter in Kuba, 1968 Austritt aus dem Auswärtigen Dienst und anschließende akademische Karriere in den Vereinigten Staaten. 33 George F. Kennan (1904-2005), 1 9 2 1 - 1 9 2 5 Studium der Geschichte in Princeton, 1926 Eintritt in den Auswärtigen Dienst der Vereinigten Staaten, 1 9 2 8 - 1 9 3 1 Studienaufenthalt u.a. an der Universität Berlin, 1 9 3 3 1937 Botschaft Moskau, 1 9 3 9 - 1 9 4 2 Botschaft Berlin, 1942/43 Botschaft Lissabon, 1944 Botschaft London, 1944/45 Gesandter an der Botschaft Moskau, 1 9 4 7 - 1 9 4 9 Leiter des Planungsstabes im Außenministerium und maßgeblicher Konzeptionär der amerikanischen Außenpolitik in der Truman-Zeit (Verfasser des X-Artikels in Foreign Affairs, maßgeblicher Anteil an der Formulierung des Marshall-Plans für Deutschland und der „Truman-Doktrin", Entwurf einer politischen Strategie für Nachkriegs-Japan), 1952/53 Botschafter in Moskau, 1953 Rückzug aus dem Staatsdienst, 1954 Professor am Institute for Advanced Studies in Princeton. 34 Im Original M S ein Halbsatz unleserlich. 35 Ernst Hartwig Kantorowicz ( 1 8 9 5 - 1 9 6 3 ) , Mediävist, ab 1920 Mitglied des Stefan-George-Kreises und Freund der Gebrüder Stauffenberg, 1 9 3 2 - 1 9 3 4 ordentlicher Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Frankfurt/M., 1939 Emigration in die U S A und Übernahme eines Lehrauftrags an der Universität Berkeley, nach seiner Weigerung der Unterzeichnung des antikommunistischen Loyalitätseids Entlassung und Wechsel an das von Robert Oppenheimer geleitete Institute for Advanced Studies in Princeton als Professor für Mittelalterliche Geschichte. Verfasser der «elbeachteten Biographie Kaiser Friedrich der Zweite (1927, Ergänzungsband Quellen und Nachweise, Berlin 1 9 3 1 ) . 36 Julius Robert Oppenheimer ( 1 9 0 4 - 1 9 6 7 ) , US-amerikanischer „Vater der Atombombe", 1927 Promotion bei M a x Born in Göttingen über ein Thema der Quantenmechanik, seit 1942 wissenschaftlicher Leiter des im geheimen Los Alamos National Laboratory in New Mexico stationierten sogenannten „Manhattan-Projekts", das die ersten NuklearwafFen entwickelte, Oppenheimer verurteilte ihren weiteren Einsatz, nachdem er die verheerenden Folgen in Hiroshima und Nagasaki gesehen hatte, 1947 Vorsitzender eines Beratungskomitees der amerikanischen Atomenergiebehörde (Atomic Energy Commission, A E C ) , Befürworter internationaler Kontrolle der Kernenergie und Gegner eines nuklearen Wettrüstens zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten, 1954 Verlust der politischen „Unbedenklichkeitsbescheinigung" wegen des Verdachts der Spionage für die Sowjetunion, danach Rückkehr ans Institute for Advanced Studies in Princeton als Hochschullehrer, 1963 Bemühen der US-Präsidenten Kennedy und Johnson um Rehabilitierung Oppenheimers durch Verleihung des Enrico-Fermi-Preises, jedoch keine Wiederherstellung seiner „politischen Unbedenklichkeit".
228
Abbildungsnachweis
Abb. 1 - 4 , 9 - 1 0 , 1 5 : Foto: Familienarchiv, Privatbesitz von Kessel. Abb. 5 - 7 , 1 6 : Foto: Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin. Abb. 8: Foto aus: Schlie (Hg.), Ulrich von Hassell, Römische Tagebücher und Briefe 1932-1938, München 2004. Abb. 1 1 : Foto aus: Eugen Dollmann, Dolmetscher der Diktatoren, S. 160. Privatarchiv Eugen Dollmann. Abb. 12: Foto aus: Schlie, Kein Friede mit Deutschland,München 1994, S. 193. Abb. 13: Foto aus: Wilhelm Hausenstein, Pariser Erinnerungen, München 1961, S. 81. Abb. 14: Foto: IMZ-Bildarchiv, Bundeswehr/BMVg.
229
Personenregister
Abs, Hermann Josef 140
Brecht, Bertolt 1 4 2 , 1 6 2
Adams J o h n 177
Brentano, Heinrich von 8 , 2 4 , 2 7 , 1 4 1 , 1 8 2 , 1 9 5 , 1 9 6
Adenauer,Konrad 2 3 , 2 4 , 2 5 , 2 6 , 9 2 , 1 1 6 , 1 3 8 , 1 4 0 ,
Brücklmeier, Eduard 1 1 , 1 3 , 8 6
146,150,152,153,156,160,163,164,165,166,168,
Buch, Wolfgang von 28
170,181,182,185,190,191,194,195,197,199
Bülow, Bernhard Wilhelm von 12
Ahlers, Conrad 161
Bonaparte, Napoleon I., Kaiser von Frankreich 41
Alphand, Herve 1 4 3 , 1 5 8 , 1 6 0
Burckhardt, Carl Jacob 1 6 , 3 3 , 9 0 , 1 9 7
d'Aquarone, Pietro Duca 61
Burgsdorff, Curt Ludwig von 5 2 , 5 3 , 5 4 , 5 6
Arnim, Freda Gräfin von 36
Buyna,August
21,102,103,129,132,133,210
Arnim, Harry Graf von 36 Canaris,Wilhelm 7 4 , 8 9 , 1 1 3 , 1 2 4 Badoglio, Pietro 64,66
Carstens, Karl 149,153
Bahr, Egon 27
Casardi, Virginia 74
Baring, Evelyn, 1. Earl of Cromer 184
Chamberlain, Neville 15
Baudissin, Wolf Graf 165
Chruschtschow, Nikita Sergejewitsch 1 6 6 , 1 8 4 , 1 9 7
Bayer, Karl 120
Churchill, Sir Winston 1 8 , 8 8 , 1 0 0 , 1 2 3 , 1 8 6 , 1 9 7
Beck,Ludwig 1 4 , 1 5 , 1 3 8
Clark, Mark Wayne 128
Belardo, Giovanni 100
Conant, James Bryant 190
Bergen, Carl Ludwig Diego von 67,68
Crossman, Richard 92
Bergmann, Helmut 1 1 4
Curtius,Ludwig 6 2 , 7 7 , 7 8 , 1 2 2 , 1 2 4 , 1 2 5
Bethmann Hollweg, Anna von 41,46 Bethmann Hollweg, Dietrich von 3 7
Deichmann, Friedrich Wilhelm 78
Bethmann Hollweg, Moritz August von 1 o, 3 5
Doertenbach, Ulrich 61,69
Bethmann Hollweg,Theobald von 10,37,38
Dollmann, Eugen 62,63,82,90,91
Bethmann Hollweg, Theodora von 10
Dönhoff, Marion Gräfin 9
Bidault, Georges 1 6 3 , 1 6 4 , 1 6 6 , 1 8 7 , 1 8 9
Dönitz, Karl 1 1 5
Bismarck, Annemarie Fürstin von 63
Dulles, Allan W. 1 1 3 , 1 9 4 , 1 9 8
Bismarck, Günther Fürst von 84
Dulles j o h n Foster 1 8 1 , 1 8 2
Bismarck, Otto Fürst von 1 0 , 3 6 , 3 8 , 4 1 , 6 2 , 6 3 , 6 9 ,
Dumont, Karl 141
106,123,142,167,196 Blank,Theodor 2 4 , 1 5 4 , 1 5 5 , 1 5 6 , 1 5 7 , 1 5 8 , 1 5 9 , 1 6 1 , 164,169 Blankenhorn, Herbert 2 4 , 2 5 , 1 4 0 , 1 4 1 , 1 4 6 , 1 4 7 , 1 5 1 , 153,156,157,163,165,171
Eisenhower, Dwight D. 1 8 , 1 6 6 , 1 8 0 , 1 8 1 , 1 8 6 , 1 8 8 , 194 Etzdorf, Hasso von 1 7 , 2 4 , 1 4 4 Eulenburg, Adelheid Gräfin 1 1 4
Bode, Wilhelm von 40,46 Bohle, Ernst Wilhelm 1 7 , 1 0 9
Faulhaber, Michael Kardinal von 1 1 8
Borghese, Pauline 104
Federer,Georg 9 0 , 1 6 6 , 1 7 3 , 1 7 4 , 1 8 2
Brandt,Willy 27,28
Fett, Kurt 155
Braun, Sigismund von 21,59,66, 6 8 , 7 2 , 7 6 , 1 0 2 , 1 0 3 ,
Fransois-Poncet, Andre 6 2 , 1 4 1 , 1 4 2
104,107, i n , 1 1 2 , 1 1 4 , 1 1 5 , 1 1 7 , 1 2 1 , 1 2 2 , 1 2 9 , 1 3 2 , 133,134,190 Bräutigam, Hans-Otto 28
Frank, Karl Hermann 52,53 Frank, Paul 9,148 Freisler, Roland 9
231
.Gegen Hitler und für ein anderes Deutschland" Gablentz, Otto Heinrich von der 26
Kessel, Friedrich von 34
Galen, Clemens August Graf von 1 1 8 , 1 1 9 , 1 2 0 , 1 2 1
Kessel, Kurt von 10,28,30
de Gasperi, Alcide 152
Kessel, Theodor von 34,46
de Gaulle, Charles 6 2 , 1 5 2 , 1 5 3 , 1 6 8
Kessel,Theodora von 10
Gerstenmaier, Eugen 9 , 1 2 , 2 6 , 1 3 3 , 1 3 4
Kesselring, Albert 74,82,83
Globke, Hans Josef Maria 1 2 7 , 1 3 8 , 1 5 1
Kielmansegg, Johann Adolf Graf von 155
Goebbels joseph 5 6 , 1 1 1
Kiesinger, Kurt Georg 195
Goerdeler, Carl Friedrich 87,89
Kluge, Hans Günther 138
Göring, Hermann 15,16,49,75,76
Köcher, Otto 1 1 1
Grewe, Wilhelm Georg 153
Kordt, Erich 1 1
Grey, Sir Edward 109
Kordt, Theodor 1 5 , 9 0 , 1 4 6 , 1 4 7 , 1 4 8
Gumpert, Gerhard 94
Krauel, Wolfgang 16 Krekeler, Heinz Ludwig 1 4 7 , 1 6 3 , 1 6 5 , 1 6 6 , 1 6 7 , 1 7 3 ,
Hächa, Emil 51
174,179,182,183,185,189
Haeften, Hans Bernd von 1 7 , 1 0 6 Halder, Franz 15
Laniel, Joseph 189
Halem, Nikolaus von 106
Lavergne, Hilde von 28
Hallstein,Walter 8 , 1 4 9 , 1 5 0 , 1 5 3 , 1 5 5 , 1 6 4 , 1 6 5 , 1 6 8 , 191,193,199 Harrach, Helene Gräfin 40
Lohse, Günter 54,55 Louis-Philippe, König von Frankreich 165 Luther, Martin 59
Hassell, Ulrich von 64 Hausenstein,Wilhelm 2 3 , 1 4 1 , 1 4 3 , 1 4 4 , 1 4 8
Mackensen, Hans Georg von 62,64
Haushofer, Albrecht 51
Macmillan, Harold 166
Herwarth von Bittenfeld, Hans Heinrich 1 1 , 1 4 6
Maglione, Kardinal Luigi 66
Heusinger, Adolf 1 5 9 , 1 6 1
Mann,Thomas 48
Heyden, Wilhelm Günther von 94
Mayer, Pater Paul Augustinus 57,123
Heydrich, Reinhard 1 5 , 1 6 , 5 6 , 5 7
McCarthyJoe 6 2 , 1 8 7 , 1 8 8 , 1 8 9
Himmler, Heinrich 16,59,6374
McCloy,John 1 3 8 , 1 3 9 , 1 6 3
Hider, Adolf 7 , 1 2 , 1 3 , 1 4 , 1 5 , 1 6 , 1 7 , 2 0 , 2 2 , 2 3 , 3 2 , 4 9 ,
Medina, Paul 144
50,51,56,60,63,64,69,71,72,74,78,79,83,85,
Melchers, Wilhelm 146
92,93,104,106,108,111,122,127,169,187,188
Mendes-France, Pierre 189,190
Hochhuth, Rolf 19,27,72,73
Menshausen, Fritz 67
Humboldt, Wilhelm von 124,155
Miliar, Frederic Hoyer 190
Huxley, Aldous 47,48
Moellhausen, Eitel Friedrich 94 Moltke, Freya von 17
Jedin, Hubert 1 9 , 1 2 4 , 1 2 6
Moltke, Helmuth James Graf von 17
Jefferson, Thomas 177
Monnet,Jean 163
John, Otto 9
Montini, Giovanni Battista (Papst Paul VI.) 66,67,
Josephine, Kaiserin von Frankreich 41 Jünger, Ernst 80
71,in,112,115,117,149 Murphy, Robert 128 Mussolini, Benito 14,15,62,63,64
Kaas, Prälat Ludwig 1 1 6 , 1 1 7
Mutius, Gerhard von 37
Kantorowicz, Emst Hartwig 196,197 Kappler,Herbert 74, 88,89,94 Kasd,Jörg 28,193 Kennan, George F. 196,197,198,199 Kessel, Christiane von 30
232
Neurath, Konstantin Freiherr von 15,29,49,50,51, 52,53.54,55.56,57.65
Noebel, Hans Heinrich 28,148 Nostitz, Gottfried (Gogo) von 1 1 , 1 4 , 1 5 , 4 4 , 9 0
Personenregister Oppenheimer, Julius Robert 197
Sieburg, Friedrich 144
Orsenigo, Ceasare 78
Siegfried, Herbert 1 1 , 4 9
Oster, Hans 89
Spaak, Paul Henri 168,169
Overbeck, Karl Kuno 94
Spaletti, Sandra 90 Speidel,Hans 2 4 , 1 3 8 , 1 5 6 , 1 5 8 , 1 6 1 , 1 6 9
Papen, Franz von 49
Speier, Hermine 1 9 , 1 2 3 , 1 2 4 , 1 2 5
Pauls, Rolf Friedemann 165
de Staerke, Andre Marie Jules 158,168
Perön, Evita 192
Stalinjoseph 6 0 , 9 2 , 9 5 , 1 0 0 , 1 1 4 , 1 1 7 , 1 3 7 , 1 7 5 , 1 9 5
Perön, Juan Domingo 192
Stauffenberg, Claus Schenk Graf von 87,93
Petain, Henri Philippe 168
Steel, Sir Christopher 165
Pius X L , Papst 1 1 6
Steengracht von Moyland, Gustav Adolf 86
PiusXII.,Papst 1 8 , 1 9 , 2 1 , 2 7 , 3 9 , 6 6 , 7 3 , n 6 , 1 1 8
Steltzer, Theodor 9
Plessen, Johann (Hansi) Baron von 69,85
Strauß, Franz Josef 1 5 9 , 1 8 2
Poelchau, Hermann 45
Struwe, Gustav 1 3 1
Pourtales, Albert 41
Stülpnagel, Karl-Heinrich von 138
Pourtales, Frederic von 41 Preußen, Friedrich Wilhelm IV., König von 35
Tardini, Domenico 19,67
Preußen, Friedrich II. (der Große), König von 41
Thadden-TrieglafF, Reinhold von 1 1 6
Preußen, Willhelm II., Deutscher Kaiser und König
Tieschowitz, Bernhard von 75,76
von 106
Tresckow, Henning von 138 Trott zu Solz, Adam von 1 7 , 2 0 , 5 9 , 7 2 , 9 1 , 9 2 , 9 3 , 1 0 6
Radford, Arthur W. 194 Rahlke,Lotte
Truman, Harry S. 175
21,59,102,103,123,125,126,129,133
Rahn,Rudolf 64,65,66,69,74,75,77,78,79,89,93, 94
Vredenburch, Hendrik van 158 Vissert't Hooft, Willem Adolf 16
Ramcke, Hermann-Bernhard 143
Vitzthum, Christa Gräfin 42
Reichert, Hans-Joachim Ritter von 69
Völckers, Hans Hermann 5 5
Reifenberg,Jan 27 Rhomberg, Ernst 135
Waetjen, Eduard 1 1 3
Ribbentrop,Joachim von 1 5 , 1 6 , 4 9 , 5 9 , 6 4 , 7 2 , 1 1 1 ,
Washington, Georg 177
112,114,142,163
Watson, Adam 196,197
Ridgway, Matthew Bunker 194
Weissmann (Whitman), Gert (Nucki) 13 8
Roediger, Conrad Frederick 155
Weizsäcker, Ernst von 1 1 , 1 2 , 1 3 , 1 7 , 1 8 , 1 9 , 2 1 , 2 2 , 2 9 ,
Rommel, Erwin 80
39.49.5°. 51.59.65,66,67,68,69,71,72,74,76,
Roosevelt,Theodore 8 8 , 1 3 7 , 1 7 5 , 1 9 5
78,84,86,89,91,92,94,97,98,102,103,107, i n , 112,114,116,117,121,125,129,139,146
Salomon, Ernst von 132
Weizsäcker, Richard von 10
Sauvagn argues, Jean 143
Welczeck, Johannes Graf von 62
Schönfeld, Hans 16
Wemmer, Ernst Ludwig 67,68
Schulenburg, Fritz-Dietlof Graf von der 51,87,88
Wessel, Horst 142
Schuman, Robert 152
Windisch-Graetz, Fritzi 82
Schwerin von Krosigk, Johann Ludwig (Lutz) Graf
Windisch-Graetz, Lotti (Leontine) Prinzessin, geb.
105,106 Schwerin, Ilse Grälin von 42 Schwerin von Schwanenfeld, Ulrich-Wilhelm Graf 10,14,86 Seydoux Fornier de Clausonne, Francois 143
Fürstenberg-Donaueschingen 81 Windisch-Graetz, Maximilian (Mucki) Prinz zu 75, 81,82 Witzleben, Erwin von 138 Wolf, Gerhard 78,89,90
233
„Gegen Hitler und für ein anderes Deutschland" Wölfflin, Heinrich 3 3 , 1 4 2 Wollenweber, Karl Gustav 68,69,70
234
Yorck von Wartenburg, Peter Graf 1 0 , 1 7 , 5 1 , 8 8 , 1 0 6 , 165
fi&m %
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ii
Horst Osterheld Ulrich Schlie (Hg.)
Horst O s t e r h e l d u n d s e i n e Zeit (1919-1998)
•
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2 0 0 6 . 170 χ 2 4 0 m m . 217 S . G b . ISBN 3-205-77475-4
Als außenpolitischer Berater der Bundeskanzler Adenauer, Erhard und Kiesinger hat Horst Osterheld zwischen i960 und 1969 maßgeblich den Kurs der deutschen Außenpolitik geprägt. Dem ersten Kanzler blieb er auch nach dessen Abgang aus dem Kanzleramt als enger Vertrauter verbunden. Horst Osterheld hat in mehreren Büchern Zeugnis von seinem Dienst an der deutschen Außenpolitik abgelegt. Er war Patriot im besten Sinne des Wortes. Adenauers Entscheidung fiir die feste Verankerung der Bundesrepublik im Westen war auch Osterhelds politisches Credo. Der Diplomat, der nach Kriegsdienst und Jurastudium 1951 in den Auswärtigen Dienst eingetreten war, verstand seinen Einsatz zeitlebens als Dienst an Deutschland.
Über den Herausgeber:
geb. 1965 in Nürnberg; Studium der Geschichte, Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Romanistik in Erlangen, Bonn und London (LSE); seit 2003 Vorsitzender des Kuratoriums Carl Jacob Burckhardt (Vinzel/Vd); lebt in Potsdam.
W I E S I N G E R S T R A S S E I, IOIO W I E N , T E L E F O N ( 0 1 ) 3 3 0 2 4 2 7 - 0 , FAX ( 0 1 ) 3 3 0 2 4 3 2
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Richard Bassett
Hitlers M e i s t e r s p i o n D a s Rätsel Wilhelm C a n a r i s Übersetzt a u s d e m E n g l i s c h e n v o n Marie-Therese Pitner u n d Susanna Grabmayr
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Mit e i n e m Vorwort v o n Ina Haag, Zeitzeugin u n d e h e m a l i g e Mitarbeiterin v o n Wilhelm C a n a r i s
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2007. 155 χ 2 3 0 m m . 3 0 9 S. 21 s / w - A b b . Gb. ISBN 978-3-205-77625-3
In einer bemerkenswerten und faszinierenden wahren Spionagegeschichte deckt Richard Bassett auf, wie die geheimdienstliche Tätigkeit des Admirals Wilhelm Canaris den Lauf des Zweiten Weltkriegs verändert hat. Ina Haag, enge Mitarbeiterin von Wilhelm Canaris und letzte lebende Zeitzeugin, erzählt in ihrem Vorwort über die Arbeit mit dem legendären Admiral und darüber, wie sie Pariser Juden Pässe aushändigte. Admiral Wilhelm Canaris, der Chef der deutschen Abwehr, wurde von seinen russischen Gegenspielern als der gefahrlichste Spion der Welt bezeichnet. Seine durch die kaiserliche deutsche Marine geprägte Loyalität galt jedoch einem älteren Deutschland, nicht der aggressiven, rassistischen Herrschaft von Adolf Hitler. Im Zuge der Verschwörung vom 20. Juli 1944 wurde Canaris verhaftet und von den Nationalsozialisten in der letzten Kriegswoche hingerichtet. Das Ausmaß seiner Beteiligung am Attentat auf Hitler blieb jedoch im Dunkeln. „Eine völlige Neubewertung des aktiven Widerstandes des militärischen Nachrichtendienstes gegen das NS-Regime und seiner Bemühungen um einen Waffenstillstand mit den West-Alliierten." (Dr. Peter Broucek)
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Bildatlas der österreichischen Zeitgeschichte 1918-1938 2007. 235 χ 290 m m . 231 S. mit zahlreichen s/w- u n d farbigen A b b . u n d Karten. Gb. I S B N 978-3-205-77230-9
Die Jahre von 1918 bis 1938 sind von den Zeitgenossen emotionalisiert worden wie keine Ära zuvor. Die Zwischenkriegszeit und der Vorabend des Zweiten Weltkrieges sind unterschiedlichst interpretiert worden; die damals angetretenen gesellschaftspolitischen Brüche und Verwerfungen greifen bis in die Gegenwart herein. Der populärwissenschaftliche „Bildatlas der österreichischen Zeitgeschichte" kann natürlich Defizite nicht ausgleichen, die im Geschichtsbewusstsein durch den Einfluss unterschiedlicher Perspektiven entstanden sind. Aber es ist allemal den Versuch wert, einer breiteren Leserschaft Schlaglichter der jüngeren österreichischen Geschichte zu offerieren, verständlich geschrieben, wertfrei und sachlich. Hier erweisen sich die üblicherweise belastenden historischen Zahlen und Daten als vorteilhaft. Sie ertauben nicht nur Zeit- und Mengenvergleiche, sondern wirken ernüchternd und schaffen Distanz zum Geschehen. Der Band bietet rasch Information in leichter Sprache des Journalismus, ungekünstelt, aber stets auf das Wesentliche bedacht. Der Text wird von einer Galerie kaum bekannter authentischer Bilder belebt und von eigens fiir den Band erstellten grafischen Darstellungen ergänzt. Entstanden ist ein Panorama einer der folgenreichsten Abschnitte der österreichischen Geschichte, der Zwischenkriegszeit. WlESINGERSTRASSE I, A-IOIO WlEN, TELEFON (+43 l) 3302427, FAX 3302432
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Alexander von Plato, Almut Leh,
HITLERS SKLAVEN
Christoph Thonfeld (Hg.)
Hitlers S k l a v e n Lebensgeschichtliche Analysen zur Zwangsarbeit im internationalen Vergleich 2 0 0 8 . 170 X 2 4 0
mm.
497 S. G b . ISBN 978-3-205-77753-3
Dieses Buch präsentiert die Ergebnisse eines einzigartigen
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