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German Pages 156 Year 2015
Natan Sznaider Gedächtnisraum Europa
2008-04-01 15-48-38 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 032c175016753556|(S.
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Natan Sznaider
Gedächtnisraum Europa Die Visionen des europäischen Kosmopolitismus. Eine jüdische Perspektive.
X T E X T E
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© 2008 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat: Kai Reinhardt, Bielefeld Satz: Justine Haida, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-692-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
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Inhalt Tel-Aviv: Einleitung | 7 Drohobych: Die Traumrepublik | 17 Königsberg: Alt-Neuer Kosmopolitismus | 25 Paris und Port Bou: Die letzten Europäer | 33 Moskau, New York und Prag: Vielsprachigkeit | 39 Frankfurt, Jerusalem, Offenbach, New York: Die Arbeit der »Jewish Cultural Reconstruction« | 45 Das europäische Nürnberg: Europa ohne Juden | 65 Zürich und Wilna: Die verallgemeinerte Schuld | 71 Zurück nach Nürnberg: Das neue kosmopolitische Europa | 77 Genf: Der europäische Geist | 87 Warschau: Osterweiterung als Kosmopolitisierung oder als Renationalisierung | 99 Luxemburg: Schuld und Sühne. Europäische Metaphysik und jüdische Vergebungsverweigerung | 103 Paris in Europa: Krieg und Frieden | 115
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New York, Nürnberg und Jerusalem: Kosmopolitisiertes Opfertum | 125 New York: Schlusskapitel – Neubeginn | 141 Literaturverzeichnis | 145
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Tel-Aviv: Einleitung | 7
Tel-Aviv: Einleitung
Wir leben in finsteren Zeiten – Zeiten, die das jüdische Problem zum Allgemeinproblem werden lassen. Sozialwissenschaftler haben angesichts der neuen Barbarei einen schweren Stand: Unser Handwerkszeug taugt nicht viel, wenn es darum geht, die heutigen Gefahren zu verstehen. So drehen wir uns im Kreis, versuchen die Welt in alten Kategorien zu verstehen, die wir alle noch so fleißig gelernt haben. Ob es nun um Europa geht oder um die Welt, ob es sich um Kosmopolitismus oder Globalisierung handelt. Man erfreut sich an der Vision eines kosmopolitischen Europas, das die Grenzen sprengt, und wundert sich gleichzeitig über die Wiederkehr der Tradition, des Eigenen, des Lokalen, der Kultur. Oft geht es dabei um einen fast schon heiligen Konflikt zwischen Christentum und Islam. Bei all diesen Debatten in Europa werden jüdische Stimmen jedoch nicht wahrgenommen. Das jüdische Gedächtnis ist aus dem europäischen Diskurs verschwunden. Und das trotz aller Rituale und Gedenktage! Oder vielleicht auch deswegen. Dieses ausgelöschte Gedächtnis wieder in das Zentrum der europäischen Debatte zu stellen, ist das Ziel dieses Essays. Dabei geht es aber nicht nur um Geschichte. Vielmehr stellt das Buch einen, wie der Leser rasch bemerken wird, schwierigen Versuch dar, ›die‹ Geschichte mit einzelnen Geschichten zu verbinden. Es werden Geschichten erzählt, die sich in Europa vor und nach der Vernichtung der jüdischen Menschen und ihrer Kultur abspielten. Wie eine Art Drehtür wird sich ›die‹ Geschichte um diese Geschichten drehen, wenn es darum geht zu zeigen, dass die Theorie des Kosmopolitismus nicht ohne die Praxis dieser kosmopolitischen Menschen erzählt werden
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8 | Gedächtnisraum Europa kann. Nicht Linearität steht dabei im Vordergrund, vielmehr schöpft unsere Verknüpfung von Geschichte und Geschichten aus Fragmenten eines ›Alten-Neuen‹ Europas, das heute Theorie und Praxis in einer Weise betreibt, als ob es die Juden nie gegeben hätte. Wir werden auf ehemalige europäische Juden treffen, die durch die Katastrophe eine neue jüdische Kosmopolitik betrieben – ja sie gleichsam unter Zwang erfunden und gelebt haben –, die sich vom europäischen Kosmopolitismus nicht nur abgrenzen muss, sondern auch abgrenzen soll. Es geht also ebenso um kosmopolitische Akteure. Aber nicht geht es dabei um die so genannte ›Anerkennung der Andersheit‹ – einen von den Sozial- und Kulturwissenschaften zu Tode getretenen Begriff, dessen Ursprünge schon lange nicht mehr klar sind. Auch geht es nicht um den von der Anthropologie gelehrten Kulturrelativismus, in dem die verschiedensten Sitten und Gebräuche in einer sich gegenseitig anerkennenden Welt integriert werden können, und weiterhin geht es nicht um den moralischen Gegensatz zwischen ›gutem‹ Universalismus und ›bösem‹ Partikularismus, zu dem auch die Soziologie beigetragen hat. Jüdisches Denken kann und konnte sich diesen Luxus des Universalismus nicht erlauben. Es bewegte sich immer schon zwischen diesen Polen. Das heißt aber nicht, dass das Denken in einem ausweglosen Essentialismus versinken muss. Es sind gerade die Debatten, die zwischen jüdischen Intellektuellen unter sich und zwischen jüdischen Intellektuellen und ihrer Umwelt geführt wurden, die diese Fragen als existenzielle Fragen ständig aufreißen. Es verwundert nicht, dass sich die Soziologie als Paradewissenschaft des Liberalismus mit Begriffen wie Feindschaft und Vernichtung schwer tut. Es scheint uns in der Tat einfacher zu fallen, gewohnte Kategorien noch mal und noch mal zu denken, als das radikal Neue verstehen zu wollen. Auch hier kann die jüdische Erfahrung des Kosmopolitismus, um die es auf den folgenden Seiten geht, aus der Sackgasse führen. Am Beginn der Moderne – angesichts des europäischen Krieges des 17. Jahrhunderts – hat der englische Theoretiker Thomas Hobbes die Todesangst als den ursprünglichen Trieb für moderne Institutionen angesehen. Es war dabei die Unterwerfung unter die Souveränität des Staates, welche das Recht auf Leben garantieren konnte: »Der alleinige Weg zur Errichtung einer solchen allgemeinen Gewalt, die in der Lage ist, die Menschen vor dem Angriff Fremder und vor gegenseiti-
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Tel-Aviv: Einleitung | 9 gen Übergriffen zu schützen und ihnen dadurch eine solche Sicherheit zu verschaffen, dass sie sich durch eigenen Fleiß und von den Früchten der Erde ernähren und zufrieden leben können, liegt in der Übertragung ihrer gesamten Macht und Stärke auf einen Menschen oder eine Versammlung von Menschen, die ihre Einzelwillen durch Stimmenmehrheit auf einen Willen reduzieren können. Das heißt so viel wie einen Menschen oder eine Versammlung von Menschen bestimmen, die deren Person verkörpern sollen, und bedeutet, dass jedermann alles als eigen anerkennt, was derjenige […] tun oder veranlassen wird, und sich selbst als Autor alles dessen bekennt und dabei den eigenen Willen und das eigene Urteil seinem Willen und Urteil unterwirft. Dies ist mehr als Zustimmung oder Übereinstimmung: es ist eine wirkliche Einheit aller in ein und derselben Person, die durch den Vertrag eines jeden mit jedem zustande kam. […] Ist dies geschehen, so nennt man diese zu einer Person vereinigte Menge Staat, auf lateinisch ›civitas‹. Dies ist die Erzeugung jenes großen Leviathan oder besser, um es ehrerbietiger auszudrücken, jenes sterblichen Gottes, dem wir unter dem unsterblichen Gott unsern Frieden und Schutz verdanken. Denn durch diese ihm von jedem Einzelnen im Staate verliehene Autorität steht ihm so viel Macht und Stärke zur Verfügung, dass er durch den dadurch erzeugten Schrecken in die Lage versetzt wird, den Willen aller auf gegenseitige Hilfe gegen auswärtige Feinde hinzulenken.« (Hobbes 1991: 120f.)
Dies ist der Beginn der Moderne und damit der Beginn der Souveränität als »sterblicher Gott«. Die Souveränität geht, so kann man hier sehen, der Nation voraus. Und die Religion wurde damit säuberlich vom Staat getrennt. Die Judenvernichtung, die Niederlage Deutschlands, die Nürnberger Prozesse und die Einbindung Deutschlands in eine westliche Moderne haben jedoch alle Folgen für die Hobbes’sche Formulierung der Souveränität: Es ist die Souveränität, die gebändigt werden musste! Und das ist auch der Hintergrund des heutigen europäischen Kosmopolitismus. Hier zeigt sich, dass sich hinter dem europäischen Kosmopolitismus nichts anderes als ein europäischer Partikularismus verbirgt. Das ist natürlich nichts Neues und steht in einer langem europäischem Tradition, die in der Aufklärung ihren Höhepunkt erreicht hat. Gerade die Aufklärung wollte und kannte den Begriff der Menschheit (gegen die später Verbrechen verübt werden konnten) und tat sich schwer gegenüber denjenigen, die sich der menschlichen Humanität nicht unterwerfen wollten. Tolerant war die Aufklärung nur gegen die Gleichgesinnten und denjenigen, die sich dem Begriff
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10 | Gedächtnisraum Europa der Menschheit unterwerfen wollten. »Den Juden als Nation muss man alles verweigern; als Individuen muss man ihnen alles zugestehen.«1 So hieß es in Frankreich nach der Französischen Revolution, und dieser Ausspruch wurde zum Inbegriff der gescheiterten jüdischen Assimilation in Europa. Denn letztendlich forderte er eine Konvertierung der Juden: Nur der Jude, der sich dem Prinzip der Staatsbürgerschaft unterwerfe, werde der neue gute Jude sein. Juden als Kollektiv sind ein Relikt einer vergangenen Geschichte. Das ist die Botschaft der Aufklärung an die Juden, wie sie am deutlichsten Nathan der Weise in der Lessing’schen Ringparabel ausspricht: »Wie kann ich meinen Vätern weniger, Als du den deinen glauben? Oder umgekehrt. – Kann ich von dir verlangen, dass du deine Vorfahren Lügen strafst, um meinen nicht Zu widersprechen? Oder umgekehrt. Das Nämliche gilt von den Christen. Nicht?« (Lessing 2000: 81)
Der Jude Nathan wurde seiner partikularen Geschichte beraubt und damit konnte er in die Universalität der Menschheit eintreten – ein Projekt, dass der Nationalsozialismus brutal unterlaufen hat. Aber dieses Projekt des europäischen Kosmopolitismus wurde nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in Angriff genommen. Die Versöhnung ehemaliger Feinde – das deutsch-französische Verhältnis gilt hier als exemplarisch –, die gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit und die gemeinsame Politik gegenüber dem Ostblock waren die konstituierenden Momente eines kosmopolitischen Europas mit universaler Mission, die in die Welt getragen werden sollte. Eine gemeinsame historische Erinnerung, die über die nationalstaatliche Erfahrung hinausgehen sollte, wurde zum Grundpfeiler des neuen Europas. Der Krieg als Schreckensereignis, in dem alle Menschen leiden, die Judenvernichtung eingebettet in die universale Erinnerung als Menschheitsverbrechen, in der alle Täter oder Opfer sein können, ja in gewissem Sinne die christliche Vereinnahmung der Judenvernichtung, in der Juden als Individuen, aber nicht als Nation gelten dürfen – all das trägt zu einem neuen kosmopolitischen Europa bei, in der Juden als Juden mit ihren spezifischen Erinne1 | So der Abgeordnete Stanislas de Clermont-Tonnerre in der Nationalversammlung von 1791.
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Tel-Aviv: Einleitung | 11 rungen keinen Platz mehr einnehmen können. Der heutige Kosmopolitismus sieht sich natürlich nicht mehr so homogenisierend wie seine Vorgänger im 18. Jahrhundert, jedoch ist die Spannung zwischen Universalismus und Partikularismus – wie wir im Folgenden sehen werden – immer noch nicht überwunden: Oft werden die eigenen Erfahrungen als universal eingestuft. Moralischer Universalismus stellt noch immer eines der begehrtesten europäischen Exportgüter dar, ohne dass dabei aber berücksichtigt wird, dass gerade die partikularen Erfahrungen der Kriegszeit der Grund dafür sind, dass die postnationale Konstellation heute als universale Botschaft in die Welt geführt werden kann. Das führt dazu, dass kosmopolitische Debatten unhistorisch geführt werden, ja geführt werden müssen, um partikulare Erfahrungen und Erinnerungen in eine universale Schablone einzupressen. In der Menschheit, so kann man sagen, gibt es keinen Ort für die Menschen in ihrer Besonderheit. Das Weiterbestehen und Weiterbestehenwollen von Partikularität wird nur noch als Rückschritt und Reaktion verstanden. Wenn man die europäische jüdische Erfahrung jedoch mit in die Analyse holt – und genau das ist unser Anliegen –, werden Universalismus und Partikularismus, das Allgemeine und das Besondere keine sich gegenseitig ausschließenden Begriffe mehr sein, sondern gelebte Praxis. Das ist historisch schwierig, denn diese gelebte Praxis, die jüdische kulturelle Existenz in Europa, existiert trotz der physischen Anwesenheit von Juden in Europa nicht mehr. Der gelebte jüdische Pluralismus existiert heute fast nur noch in den USA und in Israel, wo die meisten Überlebenden des Holocaust ihr Leben wieder aufnahmen. In Europa blieb kaum noch die Erinnerung zurück. Europa wurde für Juden zum schwarzen Loch, zu einem nicht definierbaren ›Dort‹, das nicht mehr existiert. Deutschland und Europa lebten weiter, die jüdische Kultur jedoch hat dort nicht überlebt und existiert nur noch im virtuellen Raum. Damit wird auch die Beziehung zwischen Erinnerung und Geschichte neu geschrieben. Es geht nicht mehr um Nationalgeschichte, sondern um Erinnerungsgeschichte (Diner 2003). In der Erinnerung können mehrere Geschichten – und damit auch Universalismus und Partikularismus, das Allgemeine und das Besondere – gleichzeitig existieren. Dies ist vor allem bei der Erinnerung an den Holocaust der Fall: War es ein Menschheitsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Juden? Ist das Verbrechen mit anderen vergleichbar? Muss eine besondere Sprache gesprochen werden, um über die Judenvernich-
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12 | Gedächtnisraum Europa tung zu reden? Sind dies moralische oder historische Debatten? Auf der einen Seite hat die Judenvernichtung Begrifflichkeiten der Aufklärung herausgefordert, ja sogar den Begriff der »Dialektik der Aufklärung« mitgetragen, auf der anderen Seite, fast schon auf paradoxe Weise, wurde die Judenvernichtung zur Quelle nicht nur der Kritik am Universalismus, sondern auch seiner Erfüllung durch Menschenrechte und Völkermordprävention. Beides wurde oft gleichzeitig von denselben Kritikern propagiert. Ich werde diesen Debatten nachgehen, sie historisch rekonstruieren, um auf diese Weise zu einer neuen Form des realistischen Kosmopolitismus durchzudringen, die jenseits von Universalismus und Partikularismus angesiedelt ist. Dieser Essay entsteht außerhalb Europas, zieht aber immer wieder nach Europa zurück. Eine zentrale Frage, die sich hierbei stellt, lautet: Gibt es universalistische Mindestvorgaben, auf die man sich einigen kann, ohne partikularistische Mindestvorgaben aufgeben zu müssen? Gerade jüdische Intellektuelle mussten diese Fragen nach dem Holocaust für sich neu verhandeln. Sie taten das sowohl ›unter sich‹ als auch in Auseinandersetzung mit ihrer nicht-jüdischen Umwelt. Wie wir sehen werden, diskutierten sie dabei unter wechselnden Voraussetzungen und vor dem Hintergrund unterschiedlicher Verständnisse der Problematik. Die Diskussion drehte sich oft um die europäische Vergangenheit und wie die jüdisch-europäische Vergangenheit in Israel und in den USA weitergelebt werden könnte. Dabei stand jedoch nicht nur das Debattieren im Vordergrund, vielmehr waren europäische jüdische Intellektuelle auch praktisch an einem Projekt beteiligt, in dem sie von den Nazis beschlagnahmte jüdische Kulturgüter von Deutschland und Europa nach Israel oder in die USA schafften. Man kann sagen, dass diese jüdischen Intellektuellen die Spannung zwischen dem Universalen und dem Partikularen aufrechterhalten und außerhalb Europas weiterleben wollten. Die damit verbundenen Schwierigkeiten und Probleme sowie ihre Unfähigkeit, weder ihre universalistischen Träume noch ihre ethnische Identität aufgeben zu wollen, waren jedoch nicht das Resultat von traumatischer Inkonsequenz und Exil, sondern stellen Überlegungen dar, die noch für heutige kosmopolitische Debatten hoch relevant sind – sie konstituieren die heutigen Debatten geradezu. Kosmopolitismus ist nicht nur ein nobles Ideal, das von menschlicher Größe ausgeht, sondern eine klare Herausforderung an unser Leben. Es geht darum, wie man nach der Katastrophe weiterleben kann. Wenn Kosmopolitismus in irgendeiner Form
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Tel-Aviv: Einleitung | 13 überhaupt Sinn macht, dann nur, wenn sowohl das Allgemeine als auch das Besondere bewahrt bleiben, ohne dass man Gefahr läuft, das eine auf das andere zu verkürzen. Es waren insbesondere die jüdischen Intellektuellen, mit denen wir uns im Folgenden beschäftigen werden, die diese neue nach-aufklärerische Form des Kosmopolitismus entwickelt haben. Sie mussten dies tun um weiterzuleben. Und sie taten es im Widerstreit mit ihrer Umwelt. Dieser neue Kosmopolitismus trägt die Tradition des alten und noblen Begriffs weiter, doch er entstand nach 1945 in der Auseinandersetzung mit der Katastrophe. Die allgemeine Menschrechtserklärung von 1948 ist nur ein Teil davon. Wenn sie in der Präambel davon ausging, dass »die Nichtanerkennung und Verachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei geführt haben, die das Gewissen der Menschheit mit Empörung erfüllen«2, dann war die in der Erinnerung noch frische Erfahrung der Katastrophe mitbestimmend für das kosmopolitische Grundrecht auf Leben. Fast gleichzeitig heißt es in der israelischen Unabhängigkeitserklärung: »Die Katastrophe, die in unserer Zeit über das jüdische Volk hereinbrach und in Europa Millionen von Juden vernichtete, bewies unwiderleglich aufs Neue, dass das Problem der jüdischen Heimatlosigkeit durch die Wiederherstellung des jüdischen Staates im Lande Israel gelöst werden muss, in einem Staat, dessen Pforten jedem Juden offenstehen, und der dem jüdischen Volk den Rang einer gleichberechtigten Nation in der Völkerfamilie sichert.«3
Hier findet sich dieselbe Katastrophe, jedoch mit anderen Konsequenzen, die heute schon fast als sich wechselseitig ausschließende betrachtet werden. Doch diese beiden Schlussfolgerungen sind nicht die einzigen, die aus der Katastrophe gezogen werden können. Beides – Universalismus und Partikularismus – kann gleichzeitig existieren. Unter anderem wurde dies von der jüdischen Intellektuellen Hannah Arendt gedacht, die in ihren Auseinandersetzungen mit ihrer jüdischen und nicht-jüdischen Umwelt beide Prinzipien zu vereinen 2 | Siehe die Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen. Für den Text vgl.: URL: www.unhchr.ch/ udhr/lang/ger.htm. 3 | Für den deutschen Wortlaut vgl.: URL: http://berlin.mfa.gov.il/ mfm/web/main/document.asp?DocumentID=12166&MissionID=88.
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14 | Gedächtnisraum Europa versuchte. Die politische Theorie – aber auch Praxis – von Hannah Arendt soll in diesem Essay exemplarisch für jüdisches Denken und Handeln vor und nach der Katastrophe stehen. Wie Kant wuchs Arendt in Königsberg auf. Die jüdische Gemeinschaft dort war wie viele anderen jüdischen Gemeinschaften zusammengesetzt aus orthodoxen Juden, aus Juden, die sich als deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens verstanden, aus Zionisten und aus radikalen Sozialisten. Es gab dort Juden, die aus Osteuropa kamen, und solche, die dort seit Jahrhunderten lebten. Es gab zudem getaufte Juden. Und auch für Arendts Mutter war es immer klar, dass sie als Juden in Königsberg lebten. Hier lernte Arendt durch ihre eigene Existenz die Pluralität der jüdischen Existenz an der Schnittselle zwischen West- und Osteuropa kennen (für Arendts Kindheit in Königsberg vgl. Young-Bruehl 1986). Arendt versuchte eine Form des Liberalismus zu entwickeln, der sowohl individuelle Freiheit als auch kulturelle Einbettung widerspruchsfrei integrieren kann. »Nur innerhalb eines Volkes kann ein Mensch als Mensch unter Menschen leben – wenn er nicht vor Entkräftung sterben will«, schrieb Arendt 1944 in ihrer Schlussbemerkung zu einem Essay über Kafka (Arendt 1976: 79). Arendt sah hier den Schlüssel zur verborgenen jüdischen Tradition und hat zeitlebens versucht, als Jüdin auch so zu leben. Sie hat damit versucht, den Kosmopolitismus vom Individualismus zu befreien und an das Partikulare anzubinden. Für Juden war dies, wie gesagt, lebensnotwendig. Es ist daher mehr als lebensnotwendig, kosmopolitische Debatten historisch einzubetten und zu verankern. Das gilt insbesondere für Diskussionen über kosmopolitische Gerechtigkeit, die über europäische Ansätze hinausgehen wollen und in denen es auch um die ›Tradition der Unterdrückten‹ geht. Jüdische Stimmen sind daher historisch und theoretisch notwendig – und werden durch die Erinnerung erweckt. Die Rekonstruktion dieser historischen Debatten dient dabei nicht nur antiquarischen Zwecken, sondern soll den Versuch darstellen, eine kosmopolitische Theorie durch Erfahrung zu untermauern. Die Zeit direkt nach dem Krieg ist daher der entscheidende historische Moment, auf die meine Analyse immer wieder zurückgreifen wird. Dies war die Zeit, in der die Grundlagen des neuen Europas aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs entstanden – die Geburtsstunde des kosmopolitischen Europas beginnt mit der Kapitulation Deutschlands. Doch war dies auch die Zeit, in der sich das jüdische Gedächtnis neu formieren musste
2008-04-01 15-57-16 --- Projekt: T692.x-texte.sznaider / Dokument: FAX ID 030d175017271660|(S.
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Tel-Aviv: Einleitung | 15 und in der jüdische Intellektuelle ihr Verhältnis zu Europa neu zu definieren hatten. In just dieser Zeit, in der das kosmopolitische Europa neu gegründet wurde, hat eine Gruppe jüdischer Intellektueller die letzten Überbleibsel jüdischer Kultur aus Europa herausgeschafft, um ihnen in Israel und in den USA eine neue Heimat zu geben. Aber das ist ein langer Weg, der uns von Königsberg über Drohobych und Port Bou nach New York und Jerusalem führen wird. Wir beginnen unsere Reise mit Bruno Schulz und einer gemalten Wand in Drohobych.
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Drohobych: Die Traumrepublik
Jenseits der östlichen Grenze des geeinten Europas, an einer der Stellen also, an denen die Europäische Union aufhört, liegt Drohobych. Dort ruht in einem Massengrab Bruno Schulz, Maler, Dichter und Schriftsteller. Schulz verbrachte sein Leben an einem Ort, der stets von wechselnden Herrschern regiert wurde. In ÖsterreichUngarn geboren, lebte er in Polen, war unter sowjetischer Besatzung und wurde von den Nazis als Jude dort ermordet. 1939 lebten in Drohobych 10.000 Polen, 10.000 Ukrainer und 15.000 Juden. Schulz sprach und schrieb auf Polnisch und Deutsch. Wahrscheinlich konnte er ein wenig Hebräisch und Jiddisch.4 Er war kein Kosmopolit. Er hasste es zu reisen und verbrachte den größten Teil seines Lebens in Drohobych in Ostgalizien, die einzige Bezeichnung für den Ort, die Sinn für Juden macht, während für andere ethnische Gruppen die geographischen und politischen Tatsachen (Österreich, Polen, Sowjetunion, Ukraine) natürlich entscheidend sind.5 Schulz war ein Phantom. Wie die Figuren in seinen surrealistischen Geschichten schwebte er über der Welt, war aber immer nur in Drohobych zu Hause. Wo ist er jetzt zu Hause? 1942 zwang Felix Landau, der kommandierende SS-Offizier, Schulz, die Wände des Schlafzimmers seiner Kinder in seiner Villa in Drohobych zu bemalen. Schulz malte Motive aus Grimms Märchen, Motive, die aus der deutschen Tradition und Folklore stammen. Kurz darauf, 4 | Als Beispiel sei nur die Mitte der 30er Jahre publizierte Erzählung »Die Zimtläden« genannt. 5 | Für die ostgalizianische jüdische Identität und wie sie sich mit ihrer Umgebung überkreuzt, vgl. Bartov (2007).
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18 | Gedächtnisraum Europa am 19. November, wurde Schulz von einem anderen deutschen Offizier – Karl Günther – auf offener Straße erschossen. An diesem Tage starben hunderte Juden in Drohobych. Der Ort wurde nach dem Krieg Teil der Sowjetunion und gehörte ab 1991 zur Ukraine. War Schulz Pole im Leben und Jude im Tod? War er Ukrainer? Wem gehört die Wand, die er 1942 bemalt hat? Diese Wand wurde 2001 von einem deutschen Dokumentarfilmer wiederentdeckt, war jedoch kurz darauf verschwunden, um daraufhin im Holocaust-Museum »Yad Washem« in Jerusalem wieder aufzutauchen. Sie wurde in Ostgalizien, einst eines der Zentren der jüdischen europäischen Kultur und heute eine Region, die kaum noch jüdisches Leben und jüdische Kultur beherbergt, abund in Jerusalem wieder aufgebaut. Die nachfolgende Debatte um die Legitimität dieser Aktion enthält im Kern das Thema dieses Essays. Das Holocaust-Museum in Jerusalem ging davon aus, dass Schulz ein von den Nazis ermordeter Jude war, dass damit Schulz in seinem Tod zu einem Opfer des Holocaust wurde und dass die Erinnerung an ihn im Museum in Jerusalem am besten aufgehoben sei. Das war der Grund, dass die Gesandten des Museums die Wand von den Hausbesitzern kauften, sie abbauten und nach Jerusalem brachten. Es geht um europäische Identität, um die europäische Vision einer kosmopolitischen Erinnerung, um die jüdische Erfahrung, die sich quer zu dieser Vision stellt. Dabei geht es nicht nur um Erinnerung, sondern auch darum, wie sich Erinnerung manifestiert, wie man Erinnerungen in Gegenstände oder Kulturschätze übersetzt. Und damit geht es auch ganz entscheidend darum, wer das Recht hat, für wen zu sprechen, zu intervenieren. Ist Kultur sprachlich definiert und Bruno Schulz folglich ein polnischer Dichter? Ist Kultur territorial definiert – ist Bruno Schulz ein ukrainischer Künstler? Ist Kultur ethnisch bestimmt? Oder durch die Erfahrung, ja durch den Tod? Dann ist Bruno Schulz ein jüdischer Künstler. Kann Schulz alles gleichzeitig sein? Gehört er gar allen? Das hört sich natürlich nobel an, doch stellen sich dann andere Fragen. Wem gehört die Kunst von Schulz? Und damit: Ist die jüdische Kultur Teil der europäischen Kultur oder ist sie autonom? Einige Tage nach der Ermordung von Schulz wurde der jüdische Historiker Simon Dubnow ebenfalls auf offener Straße in einem anderen Teil des besetzten Osteuropas in Riga in Lettland von den Nazis erschossen. Dubnow plädierte in seinen Werken für jüdische Autonomie. Er wollte einen jüdischen Nationalismus ohne jüdisches Territorium (vgl. Brenner 2006: 129-146) und
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Drohobych: Die Traumrepublik | 19 konzentrierte sich dabei auf jüdische Kultur und Kulturschöpfung. Für ihn waren die jüdischen Gemeinden nationale, kulturell autonome Enklaven. Der jüdische Kulturbegriff sollte sich nun zwischen dem territorial-nationalen Anspruchs Israels, dem universaljüdischem Ansatz von Bruno Schulz und dem national-autonomen Anspruch von Simon Dubnow bewegen. Schulz ist beileibe kein Einzelfall. Überall auf der Welt wird gegenwärtig Kulturbesitz neu verhandelt, da Kultur und Erinnerung – so tautologisch dies klingt – neu verhandelbar geworden sind. Wir leben nun einmal in einer Weltgesellschaft, in der die Vorstellung von geschlossenen Räumen fiktiv geworden ist. Niemand kann sich abschließen und zurückziehen. Die Folge: Die Gegensätze der Kulturen prallen aufeinander und die Selbstverständlichkeiten der Lebensmodelle müssen sich neu rechtfertigen. Diese Konflikte deuten darauf hin, dass wir in einer gemeinsamen Gegenwart leben, die keine gemeinsame Vergangenheit teilen kann. Es geht somit um kosmopolitischen Realismus. Das ist das große politische Anliegen der neuen Soziologie: Weltprobleme schaffen transnationale Gemeinsamkeiten, die weder auf Konsensus noch auf Harmonie beruhen. Ganz im Gegenteil: Transnationalität verschärft die Differenzen nur noch. Und dazu gehört auch, dass ethnische oder nationale Gruppen ihre Erinnerungen und Kultur einfordern.6 Spricht man von kollektiver Erinnerung, dann verweist dies wie kaum ein anderer Begriff auf den klassisch gedachten Nationalstaat und die darin gefasste Einheit und Homogenität von Raum, Zeit und Bevölkerung. Gegenwärtige Prozesse der Globalisierung und Europäisierung lassen diese Einheit jedoch fragwürdig werden, ohne dass dabei aber sinnvoll von einem Ende kollektiver Erinnerung gesprochen werden könnte. Vielmehr haben sich die Koordinaten kollektiver Erinnerung geändert. Aber die Frage bleibt trotzdem: Was bedeutet Besitz in diesem Zusammenhang? Kultur – wie im Fall von Bruno Schulz – wurde schon immer jenseits des Nationalstaats erzeugt, dort aber auch wieder angesiedelt. Dieser anscheinend reale Widerspruch drückt sich klar in der »Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut in bewaffneten Konflikten« der UNESCO aus dem Jahre 1954 aus. Diese Konvention stellt unter anderem eine Reaktion auf die Zerstörung von 6 | Für die internationale Fragestellung mit Bezug auf Afrika vgl. auch Appiah (2006).
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20 | Gedächtnisraum Europa Kulturgütern im Zweiten Weltkrieg dar. Dort heißt es, dass »jede Schädigung von Kulturgut, gleichgültig welchem Volke es gehört, eine Schädigung des kulturellen Erbes der gesamten Menschheit bedeutet, weil jedes Volk seinen Beitrag zur Kultur der Welt leistet«.7 »Kulturgüter« sind zwar Teil der gesamten Menschheit, gehören aber den territorial gebundenen Nationen. Nicht Künstler, sondern Völker leisten einen Beitrag zur Kultur der Welt. Diese Sichtweise, die einem kulturellen Nationalismus entspricht, wurde später in Zusätzen noch verstärkt, in denen die Ausfuhr von Kulturgütern untersagt wurde. Der »Schutz der Kultur« wurde in dieser Sichtweise zu einem Synonym für den Schutz der nationalen Interessen. Ist der italienische Nationalstaat der Nachfolger des imperialen Roms? Kann das heutige Griechenland sich als Eigentümerin klassischer griechischer Kultur betrachten? Gibt es jenseits des nationalen Blicks noch andere Kulturvisionen? Folgt man dieser Lesart, dann ist Bruno Schulz ein ukrainischer Künstler. Wie ein Großteil des globalen Diskurses heute, bewegt sich auch die Problematik des Kulturbesitzes zwischen dem Partikularismus der Nation und dem Universalismus der Welt. Aber dieser Essay will gerade zeigen, dass beide Kategorien für die jüdische Erfahrung nicht zutreffen. Sowohl kultureller Nationalismus als auch kultureller Kosmopolitismus können die jüdische Erfahrung nicht abbilden, treffen ihren Kern nicht. Nur wenn man diese Begriffe zusammen versteht, kann die jüdische Erfahrung als ein Teil der europäischen Kultur begriffen werden, die immer noch von vielen als Teil des christlichen Abendlandes verstanden wird. Wenn eine Konzeption des Kosmopolitismus sich vom Universalismus und vom Partikularismus abgrenzen will, dann kann sie das nicht begrifflich tun, sondern nur durch die Berücksichtigung konkreter historischer Erfahrung. So kann die Erfahrung des Holocaust entweder als eine jüdische Erfahrung oder als eine Katastrophe verstanden werden, die der Welt gehört. Genau so kann man auch Bruno Schulz als Künstler verstehen, der der Welt gehört, oder wenigstens der Welt von Osteuropa jenseits der Grenze zur Europäischen Union. Man könnte ein Museum oder eine Gedenkstätte an diesem Ort errichten und die Welt daran erinnern, dass es einst eine jüdisch-polnische-ukrainische Kultur in diesem Raum gab, in dem Menschen zusammenlebten – jedoch nicht wie in 7 | Für den gesamten Wortlaut siehe http://admin.ch/ch/d/sr/c0_ 520_3.html.
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Drohobych: Die Traumrepublik | 21 einer Art multi-kulturellem Straßenfest, sondern dass sie gemeinsam und getrennt ihr Leben in mehreren Sprachen führten. Diese Welt ist heute vergessen. Als die Wand von Bruno Schulz nach Jerusalem gebracht wurde, dann bedeutete dies auch, dass die Welt des ethnischen und religiösen Pluralismus endgültig aufgehört hat zu existieren. So lautete zum Beispiel das Argument einer Gruppe von amerikanischen Wissenschaftlern in einem offenen Brief an die »New York Review of Books« im November 2001. Aber für das Museum in Jerusalem ging es nicht mehr um den ethnischen und religiösen Pluralismus in Osteuropa, sondern um das jüdische Erbe des Holocaust. Die Ansatzpunkte haben sich verschoben. Schulz malte die Wand unter Zwang, und dieser Zwang war Teil der Vernichtung der europäischen Juden und ihrer Kultur. Die Wand symbolisiert daher nicht nur jüdischen Kulturbesitz, sondern auch das Böse der Judenvernichtung. Ohne den konkreten Kontext der Judenvernichtung wäre das Bild von Schulz nicht entstanden – so das Argument in einem Antwortbrief jüdischer und israelischer Wissenschaftler und Schriftsteller (New York Review of Books vom 23. Mai 2002).8 Ostgalizien wurde in der jüdischen Erinnerung ein Ort des Grauens, der Vernichtung, des Hasses. Von der ethnischen Vielfalt Österreich-Ungarns ist nichts mehr übrig geblieben. Der ethnische Nationalstaat hat sich über das multi-ethnische Imperium gesetzt. Von den einstmals 15.000 Juden, die in Drohobych lebten, ist die jüdische Präsenz auf 400 Personen geschrumpft. Das Kulturerbe von Schulz als Kulturerbe des Holocaust ist daher, so die Schlussfolgerung, am besten in Jerusalem aufgehoben. Es sind solche Debatten, die den Streit um einen realistischen Kosmopolitismus aufleben lassen. Gehört Kultur der Menschheit – ist der Holocaust ein Verbrechen gegen die Menschheit? Oder gehört Kultur einer territorial, ethnisch, sprachlich eingegrenzten Gruppe? Ist der Holocaust in erster Linie ein Verbrechen gegen das jüdische Volk? Wenn es um Kulturgüter und um die Forderung der Repatriierung von diesen Gütern geht, dann stellt sich die Frage nach der ›Patria‹,
8 | Anfang März 2008 einigten sich die Regierungen von Israel und der Ukraine auf eine Wunderformel: Die Wandmalereien werden als ukrainisches Kulturgut anerkannt und dem Museum »Yad Washem« für 20 Jahre ausgeliehen.
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22 | Gedächtnisraum Europa der Polis, dem Ort der Kulturschöpfung.9 Als man Israel beschuldigte, dass die Überführung der Wand mit den Gemälden von Bruno Schulz gängiges Völkerrecht verletze, hatte dies natürlich auch ironische Züge, wenn man bedenkt, dass hinter den völkerrechtlichen Bestimmungen des Schutzes von Kulturgütern die Idee steckte, das von den Nazis begangene Unrecht, wie die Plünderung jüdischer Kulturgüter aus den von ihnen besetzten Gebieten, wieder gutzumachen. Hier geht es um universale und partikulare Lehren, die man aus der Geschichte zieht. Und moralisches Recht sticht hier gegen Völkerrecht. Ostgalizien war auch nie eine multikulturelle Idylle, vielmehr fanden sich die ethnischen Gruppen der Polen, Ukrainer und Juden oft als Gegner wieder. In den verschiedenen ethnischen Erinnerungen der Region wird das eigene Leid gegen das Leid der anderen ausgespielt. So erinnern sich Ukrainer zwar an die von polnischer Seite gegen sie ausgeführten Massaker, wollen sich aber nicht an ihre Kooperation mit den Nazis bei der Judenvernichtung erinnern (vgl. Snyder 2004).10 Die polnisch-jüdische Verknüpfung der vergangenen 60 Jahre und die Erinnerung daran wird gewissermaßen von einem martyrologischen Wettbewerb mitgetragen, in dem gerade Polen versucht, sich auch als Opfer der Juden verstehen zu können. Heute lässt sich die Tendenz erkennen, die Beziehungen dieser ethnischen Gruppen rückwirkend zu kosmopolitisieren. Was tun also mit den deutschen Märchenmotiven, die unter Zwang von einem von den Polen gefeierten Künstler gemalt wurden, während der Künstler selbst – Zeit seines Lebens ›zu Hause‹ in seiner Heimat, die heute in der Ukraine liegt – als Jude von den Nazis ermordet wurde? Für Benjamin Geissler, den deutschen Filmemacher, der einen Film über Schulz drehte und die Wand auf diese Weise fand, ist es tragisch, Bruno Schulz nur als jüdisches Opfer oder nur als polnischen Schriftsteller zu sehen. Für Geissler, der den Stein mit seinem Fund ins Rollen brachte, ist Bruno Schulz: einfach Bruno Schulz.11
9 | Für die internationale Rechtslage in diesen Fragen vgl. Merryman (1986). 10 | Der größere historische Zusammenhang zu Bruno Schulz wird entfaltet in Powers (2003). 11 | Geissler wird so in einem New-York-Times-Artikel zitiert, der die Affäre auf seiner ersten Seite beschrieb: Celestine Bohlen: »Artwork by
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Drohobych: Die Traumrepublik | 23 Es ist gerade diese retroaktive Universalisierung jüdischen Lebens und jüdischer Erfahrung, die den heutigen Diskurs über Kosmopolitismus und ein kosmopolitisches Europa so ohne jeglichen historischen Zusammenhang verstehen will. Bruno Schulz wird damit zu einer europäischen Vision. Seine Kunst ist Teil des europäischen Modernismus, der nationalstaatliche Grenzen und ethnische Zugehörigkeit aufhebt. Schulz, dessen Biographie aus einem Ort besteht, der ständig die Herrscher wechselte, drückt alles Noble des Kosmopolitismus aus. Aber er ist auch ein Jude, der einfach so, weil er Jude war, in einer Zeit, in der Juden in Europa systematisch ermordet wurden, auf offener Straße erschossen wurde. Das ist auch Teil seines Kosmopolitismus. Die Zugehörigkeit von Schulz ist Teil seiner Existenz geworden. Der Abbau der Wand ist also auch gleichzeitig eine Anerkennung seiner Identität. Es ist diese Spannung zwischen Kosmos und Polis, zwischen Weltbürgertum, europäischer Vision und jüdischer Erfahrung und Wirklichkeit, die dieser Essay aufzuspüren versucht. Dabei wird unsere Reise weiter von Drohobych nach Wilna, von Heidelberg und Offenbach, Genf und Nürnberg nach New York, von Zürich nach Jerusalem, von Paris nach Port Bou gehen. All dies sind Orte, die Teil der europäischen Vision und der jüdischen Erfahrung sind. Dabei soll kein lineares historisches Narrativ erzählt werden. Vielmehr geht es darum, historische und theoretische Fragmente aufzuzeichnen und zu zeigen, wie europäische Vision und jüdische Erfahrung auf verschiedenen Gleisen fahren.
Holocaust Victim is Focus of Dispute«, New York Times vom 20. Juni 2001.
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Königsberg: Alt-Neuer Kosmopolitismus
Kosmopolitismus ist das neue Zauberwort. Es umreißt eine gute und große Idee. Allein das Wort lässt an bessere Zeiten denken, führt es doch zurück ins Zeitalter der Hellenen, des großen Alexander, des noch größeren Kant. Das Weltbürgertum, nirgendwo und überall zu Hause, hat den Hauch des Edlen und des Guten. Der Weltbürger steht über dem Nationalstaat und seine Solidarität ist mit den Verdammten dieser Erde. Nun behaupten heutzutage viele Soziologen, dass wir nicht mehr nur von einem Traum reden, nicht mehr nur von einer noblen Einstellung, sondern von einer neuen Wirklichkeit. Kosmopolitismus ist die neue Wirklichkeit und der Nationalstaat ist nur noch ein Hauch unserer Einbildung. Es ist in den Worten von Ulrich Beck ein »in die Wirklichkeit immigrierter Kosmopolitismus« (Beck 2004: 9). Die Welt ist transnational geworden, heißt es, und diese intellektuelle Einstellung, die sich soziologisch radikal gibt und nichts weniger als einen Epochenbruch deklariert, beginnt nun auch die Geschichtswissenschaft zu erfassen. Jede Studentin und jeder Student, die sich im ersten Semester befinden, kennt schon die klischeehaften Brüche von Tradition zu Rationalität, von mechanischer zu organischer Solidarität, von Stratifikation zur funktionalen Differenzierung, von statusabhängiger zur Vertragsgesellschaft, von Gemeinschaft zu Gesellschaft – wie sie auch alle heißen mögen. Nun gilt es einen neuen Epochenbruch zu verstehen: den Bruch zwischen Erster und Zweiter Moderne oder nationaler und kosmopolitischer Moderne – wie sie gerade in den letzten Jahren in der kosmopolitischen Soziologie von Ulrich Beck entwickelt wurde. Beck hat eine sozialwissenschaftliche Variante des Kosmopolitismus entwickelt, die sich mit
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26 | Gedächtnisraum Europa normativer Theorie nicht zufrieden gibt. Die Spannung zwischen Entgrenzung und Begrenzung liegt immer vor. Ihm ist der sozialwissenschaftliche Versuch gelungen, das Allgemeine und das Besondere gemeinsam verstehen zu können. Zu lange war Gesellschaft (und damit die Welt) in nationalen Kategorien gedacht, aus denen es nun auszubrechen gilt. Nur sollten wir nicht übersehen, dass die kosmopolitische Perspektive oftmals genauso normativ ist, wie die ihr scheinbar vorausgehende nationale Optik. Gerade bei Habermas wird das kosmopolitische zum Kant’schen Projekt, welches durch die Verrechtlichung internationaler Beziehungen gefestigt werden soll. Aber während Nationalisten relative Phänomene zu absoluten gemacht haben, arbeiten moderne Kosmopoliten mit umgekehrtem Vorzeichen – sie relativieren alles Absolute. Will man jedoch diese Prozesse historisieren (dies ist eines der Anliegen dieses Essays), dann muss man sich den Vorwurf gefallen lassen, dass nicht alles relativierbar ist und dass durch radikales Relativieren auch ein Stück Wahrheit verloren gehen kann. Ulrich Beck behauptet, dass der Kosmopolitismus keine Vernunftidee mehr ist und sich bereits auf den Weg in die Wirklichkeit begeben hat (vgl. Beck 2002, 2004 sowie Beck/Grande 2004).12 Damit bleibt jedoch noch die alles entscheidende Frage offen: Um wessen Wirklichkeit geht es hier? Beck schlägt in »Macht und Gegenmacht im Globalen Zeitalter« (Beck 2002) den »kosmopolitischen Staat« als Gegenmodell zum überkommenen Nationalstaat vor (vgl. insbes. S. 152-159). Dieser kosmopolitische Staat sollte auf dem Prinzip der nationalen Indifferenz gegründet sein. Beck schlägt hier einen historischen Bogen: Im Gefolge des Westfälischen Friedens, der die religiösen Bürgerkriege des 17. Jahrhunderts in Europa beendete, wurde der neue Staat auf der Trennung von Staat und Religion begründet. Hier liegen auch der Beginn des oben genannten Souveränitätsbegriffs von Hobbes und die damit zusammenhängenden Todesängste. Die Krise des christlichen Europas wird durch diese berühmte Trennung beendet. Beck möchte die neue Krise durch eine weitere Trennung überwinden – die Trennung zwischen Staat und Nation. Der kosmopolitische Staat
12 | Dieser Essay ist als weiterer Beitrag zu den Beck’schen Interventionen zum Kosmopolitismus und der Möglichkeit eines kosmopolitischen Europas zu verstehen. Ohne die Bereitschaft von Ulrich Beck, an diesem Essay über die Jahre hin mitzudenken, wäre er wohl nie entstanden.
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Königsberg: Alt-Neuer Kosmopolitismus | 27 müsse, so Beck, das Nebeneinander nationaler Identitäten durch das Prinzip der konstitutionellen Toleranz gewährleisten (ebd.: 153). Abgesehen davon, dass hier im Prinzip die normative Ordnung der Vereinigten Staaten beschrieben wird, handelt es sich bei diesem historischen Toleranzbegriff schon immer um religiöse Toleranz unter Protestanten. Dies wurde durch die Konfessionalisierung der Religion möglich, die den Toleranzgedanken sozusagen in den privaten Bereich überführte. Man sollte jedoch versuchen, diesen Kosmopolitismusansatz noch weiter zu radikalisieren und sich zu fragen, ob er auch außerhalb dieses historischen und christlichen Rahmens Sinn macht. Für die jüdische historische Erfahrung sind christliche Begriffe und Konzepte wie die Trennung von Staat und Religion nur bedingt relevant. Für diese Erfahrung bedeutet der Westfälische Friede keinen Einschnitt – ganz im Gegenteil. Dieser Friede war der Sieg des souveränen Staates, der auch Verbrechen gegen Juden verüben konnte. Bis zum Holocaust drehte sich die jüdische Erfahrung um Transnationalität als Alltagsform des Lebens. Nach dem Holocaust spielte sich jüdisches Leben in der Spannung zwischen Israel und den USA ab. Amerika war schon immer ein Land, in dem Staat und Nation voneinander getrennt waren. Das heißt, dass die USA dem Modell des kosmopolitischen Europas in der Tat am nächsten kommen. Auf der anderen Seite ist Israel als jüdischer Staat auf dem Grundsatz begründet, dass Staat und Nation untrennbar miteinander verbunden sind. Jüdisches Leben nach dem Holocaust bewegt sich zwischen diesen beiden Polen. Damit stellt sich die Frage, ob Nationalismus wirklich das Feindbild des Kosmopolitismus bleiben muss, oder ob der partikulare Nationalismus ein Vermittler zwischen den Individuen und der globalen politischen Existenz sein kann. Kosmopolitismus ist nicht das Gegenteil von Nationalismus. Gerade das amerikanische Modell ist hier für die jüdische Erfahrung ausschlaggebend. Amerika rückt als universelle Nation schlechthin in den Blick, und zwar in dem doppelten Sinne, dass die amerikanische Nation zum einen aus allen ethnischen und linguistischen Gruppen zusammengesetzt ist und dass es zum anderen in erster Linie um Freiheit und nicht um Gleichheit geht. Dies stellte ein kosmopolitisches Ideal dar, zu dem sich viele Juden hingezogen fühlten und das auch für Hannah Arendt bestimmend wurde. Die Frage, der ich hier nachgehen will, hängt mit den historischen Ursachen des neuen kosmopolitischen Bewusstseins zu-
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28 | Gedächtnisraum Europa sammen. Wo ist der Epochenbruch zu verorten? Gerade die deutsche Erfahrung ist hier von Bedeutung, das heißt, es geht um die immerwährenden Spannungen zwischen dem Vorher und dem Nachher, die Erfahrungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und die Erinnerung an die Zerstörung in der ersten Hälfte, man kann sagen: die Spannung zwischen der Erfahrung des Faschismus und die des ›guten Lebens‹ danach. Liegt hier der Bruch zwischen der Ersten und der Zweiten Moderne, zwei Denkkategorien, die in der kosmopolitischen Theorie von Ulrich Beck vorgedacht werden? Hier soll ein jüdischer, verwurzelter Kosmopolitismus vorgestellt werden, der sich angesichts der jüdischen Katastrophe zweifellos hat entwickeln müssen. Die jüdische Erfahrung stellt sich quer zu der Vision einer von Europa ausgehenden kosmopolitischen Welt – und das nicht zuletzt deshalb, weil diese Erfahrung in der kosmopolitischen Spannung zwischen Universalismus und Partikularismus angesiedelt ist. Die Nationalsozialisten versuchten, diese Erfahrung zu vernichten – und andere totalitäre Regime verneinten sie ebenso. Wir müssen also lernen, Kosmopolitismus nicht nur als Idee, sondern auch aus der konkreten Geschichte, der konkreten Erfahrung und Erinnerung konkreter Menschen heraus zu verstehen. Anhänger der universalen Aufklärung mögen solch eine Verwurzelung und praktische Einbettung des Kosmopolitismusbegriffs bezweifeln – sie mögen vielleicht nicht verstehen, inwiefern Erinnerungen an den Zivilisationsbruch Auschwitz zur Grundlage von kosmopolitischen Identitäten werden können, gerade wenn diese jüdischen Ursprungs sind. Uns mag dies als Ansporn dienen, eine Art anamnetisch gesättigten Kosmopolitismus herauszuarbeiten und zur Diskussion zu stellen. Wie wird nun Geschichte strukturiert? Ist die Geschichte in der Tat an die Mauern der Nation gekettet und damit für eine falsche Wiedergabe der Wirklichkeit verantwortlich? Sollten Politik, Gesellschaft, Identität, ja sogar der Staat selbst, Klassen, Recht, Demokratie, Gemeinschaft, Solidarität, Gerechtigkeit, Mobilität, Militär, Ehe, Liebe – sollten all diese Dinge nicht eher kosmopolitisch denn national gedeutet werden (Beck 2004)? Gilt das auch für ethnische Gruppen, für Minderheiten, für Verfolgte? Gibt es eine Tradition der Unterdrückten, durch die wir – in den Worten Walter Benjamins – lernen, den Ausnahmezustand als die Regel zu betrachten? Oder konkreter gefragt: Gilt dies auch für Juden, deren Leben, Kultur und Erfahrung 1945 aufgehört haben, Teil des europäischen
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Königsberg: Alt-Neuer Kosmopolitismus | 29 Wiederaufbaus zu sein? Wie kann man heute von einer europäischen kosmopolitischen Vision (Beck/Grande 2004) schwärmen, ohne die jüdische Erfahrung in Theorie und Praxis zu berücksichtigen? Es geht also auch darum, das Abwesende in den Visionen des kosmopolitischen Europas wieder anwesend werden zu lassen und damit der kosmopolitischen Theorie nicht nur historische Schärfe zu geben, sondern sie zudem zu kosmopolitisieren. Denn die Theorie des Kosmopolitismus ist ›nicht kosmopolitisch genug‹. Der universale Anspruch der Aufklärung wird hier also nochmals aus jüdischer Sicht in Frage gestellt, um damit dem Kosmopolitismus ein historisches Gesicht zu geben. Kosmopolitismus war immer mit einer Verwurzelung in ausschließendem Partikularismus verknüpft, ohne dies als Widerspruch formulieren zu müssen. Oft untergraben die Perspektiven von Minderheiten den nationalen Blick, und auch so genannte postkoloniale Perspektiven werden in die Debatten eingeführt. Aber gerade dabei wird die vor allem in Deutschland so signifikante jüdische Perspektive ausgeklammert. Insbesondere die deutsche Holocaust-Forschung konzentriert sich auf die Täterperspektive des Nationalsozialismus (man denke beispielsweise nur an die Dokumentationen eines Guido Knopp), wobei die Opferperspektive nur allzu oft ins Hintertreffen gerät – unter anderem deshalb, weil diese Kultur der Opfer samt ihren Sprachen so gut wie nicht mehr existiert. Das ist jetzt aber nicht zu verwechseln mit der deutschen Opferperspektive, die sich seit einigen Jahren im öffentlichen Erinnerungsdiskurs eingebürgert hat und in verschiedenen Ausprägungen und politischen Allianzen salonfähig wurde. Das Paradoxe daran ist, dass sich das Vorher und Nachher, der Epochenbruch also, einerseits ganz unmittelbar in der Erinnerung an die Vernichtung der Juden zeigt, jüdische Perspektiven auf der anderen Seite jedoch gerade aus der Konstituierung des Epochenbruchs ausgeblendet werden – als ob es zwischen Kant und der kosmopolitischen Moderne keinen Faschismus gegeben hätte. In diesem Zusammenhang schlägt Dan Diner vor, jüdische Geschichte als Universalgeschichte zu verstehen und zu betreiben: »Für eine jenseits des Nationalstaates signifikante Lebensform in imperialen Kontexten und die dort vorzufindende Affinität von Vormoderne und Nachmoderne ist die Geschichte der Juden paradigmatisch. Jüdische Geschichte oder genauer: die Geschichten der verschiedenen Judenheiten legen nämlich eine weite, jedenfalls eine weit über das Paradigma des
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30 | Gedächtnisraum Europa Nationalstaates hinausweisende historische Perspektive nahe.« (Diner 2003: 11; vgl. auch Diner 1988)13
Ohne die jüdische Perspektive kann heute kein Epochenbruch mehr definiert werden. Das heißt auch, dass die Vernichtung der europäischen Juden erinnerungsperspektivisch als ein Epochenbruch verstanden werden muss. Viele sehen das jedoch nicht so. Nicht hier – bei der Vernichtung der Juden – wird der Epochenbruch angesiedelt, sondern in der nationalen Moderne selbst. Das heißt in der Folge, dass die Judenvernichtung aus nicht-jüdischer Perspektive als ein Exzess der nationalen und aufklärerischen Moderne erinnert wird. Deutschland war daher erinnerungstheoretisch nicht die Ausnahme in einer liberalen europäischen Moderne, sondern das Extrembeispiel für eine gemeinsame Moderne. Auf diese Weise wird der Zweite Weltkrieg zu einer gemeinsamen europäischen Tragödie. Auch die so genannte kosmopolitische Zeit, die auf den Krieg folgte, stellt dann eine gemeinsame (west-)europäische dar. Die EU war nun die neue kosmopolitische Wirklichkeit. Die Zeit des Nationalsozialismus wird erinnerungsperspektivisch in ein nationales Europa eingebaut, und die gemeinsame Vergangenheit gibt der EU die Grundlage für eine gemeinsame Zukunft. Diese Verknüpfung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist zur Grundidee, zum zentralen Kern der erinnerten Zweiten Moderne geworden. Bei genauerem Hinsehen tauchen jedoch Ungereimtheiten auf. Dieses Bild kann nur stimmig sein, wenn Deutschland stellvertretend für die Moderne – in diesem Fall für die nationalstaatliche oder auch »Erste Moderne« – steht. Aber macht das historisch Sinn? Sind nationalstaatlich orientierte Nationen wirklich die besten Beispiele für eine Erste Moderne? Sind dann moderne Staaten wie die Vereinigten Staaten von Amerika, die als Einwanderungsland keinen ethnischen Nationenbegriff kennen, und Großbritannien, das am Vorabend des Zweiten Weltkriegs ein multiethnisches und multinationales Imperium war (und dies heute noch ist), die großen Ausnahmen der Ersten Moderne? Sind weder die USA noch Großbritannien modern? Das kann wohl kaum stimmen. Das heißt aber auch, dass der Bruch zwischen Erster und 13 | Für weitere Ansätze, die die jüdische Sichtweise in eine breitere theoretische Perspektive von Minderheiten einbeziehen wollen, siehe Lyotard (1990) und Mosse (1993).
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Königsberg: Alt-Neuer Kosmopolitismus | 31 Zweiter Moderne kaum als ein Bruch zwischen nationaler und kosmopolitischer Perspektive verstanden werden kann. Und deshalb muss die Frage, ob die europäische Judenvernichtung durch das Konzept der Moderne erklärt werden kann, klar verneint werden. Was sind die Alternativen? Ich schlage hier einen anderen Ansatz vor, der durchaus mit einem kosmopolitischen Ansatz der Erinnerung verbunden werden kann. Die Erfahrung der Judenvernichtung wird dabei nicht einer theoretischen Perspektive der Moderne untergeordnet, sondern erinnerungsperspektivisch aus der Sicht der Opfer selbst betrachtet, einer Sicht, die, wie wir sehen werden, gleichzeitig über die Erfahrung hinausgeht. Auf der einen Seite kann man durchaus behaupten, dass gerade die Katastrophe Europas zum Ausgangspunkt neuer grenzüberschreitender Solidarität wurde. Der Umgang mit dem Holocaust öffnet gleichsam exemplarisch unser Verständnis für neue Erinnerungskulturen in der Zweiten Moderne: Erinnerungen an den Holocaust wurden in einer Epoche ideologischer Ungewissheiten zu einem Maßstab für humanistische und universalistische Identifikationen (vgl. vor allem Levy/Sznaider 2007). Das soll als Zukunftsperspektive verstanden werden, aber nicht als eine Erklärung für die Vergangenheit. In diesem Essay gehe ich von einem von Dan Diner in Anlehnung an Hannah Arendt entwickelten Konzept aus, welches den Epochenbruch aus einer jüdischen Perspektive, und das heißt auch: aus jüdischer Erinnerung heraus definiert – und zwar den »Zivilisationsbruch«. In seinem 1988 von ihm herausgegeben Band »Zivilisationsbruch – Denken nach Auschwitz« formuliert Diner dies folgendermaßen: »Was auf den ersten Blick als blanke moralische Fassungslosigkeit aufscheint, erweist sich bei näherem Hinsehen als ein tiefer reichender, fundamentaler Einbruch. Das Ereignis Auschwitz rührt an Schichten zivilisatorischer Gewissheit, die zu den Grundvoraussetzungen zwischenmenschlichen Verhaltens gehören. Die bürokratisch organisierte und industriell durchgeführte Massenvernichtung bedeutet so etwas wie die Widerlegung einer Zivilisation, deren Denken und Handeln einer Rationalität folgt, die ein Mindestmaß antizipatorischen Vertrauens voraussetzt; ein utilitaristisch geprägtes Vertrauen, das eine gleichsam grundlose Massentötung, gar noch in Gestalt rationaler Organisation, schon aus Gründen von Interessenkalkül und Selbsterhaltung der Täter ausschließt. Ein sozial gewachsenes Vertrauen in Leben und Überleben als bedingte gesellschaftliche Re-
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32 | Gedächtnisraum Europa gelhaftigkeit wurden ins Gegenteil verkehrt: Regelhaft war die Massenvernichtung – Überleben hingegen dem bloßen Zufall geschuldet.« (Diner 1988: 7)
Und trotzdem: Auschwitz stellt sich nicht nur als jüdisches Schicksal dar, sondern als Menschheitsproblem, das heißt, als ein »Verbrechen gegen die Menschheit verübt an dem jüdischen Volk«, wie Hannah Arendt (1986: 393) dies formulierte (vgl. auch Diner 2007). Sowohl Arendt als auch Diner halten an beiden Perspektiven fest und können dadurch den Bruch mit der Zivilisation und der Moderne fokussieren. Die Nationalsozialisten sind nicht der Höhepunkt der Moderne, sondern deren Verneinung, in institutioneller und in moralischer Hinsicht. Dies gilt es nun erinnerungsperspektivisch ins Auge zu fassen, ohne dabei jedoch in soziologischen Gedanken verloren zu gehen, die den Holocaust als ein Labor der ungebremsten Moderne betrachten und damit in vereinfachter Form den Epochenbruch von nationaler und kosmopolitischer Moderne vollziehen können. Gleichzeitig zeigt sich hier eine Sichtweise der institutionellen Kontinuitäten, die in den Holocaust münden, danach jedoch von einer geläuterten Gesellschaft abgelehnt werden. Am Ende bleibt nur noch die Bauman’sche oder Foucault’sche Zivilisationskritik, die sich aber anamnetisch vom Gegenstand entfernt hat und nicht imstande ist, die nicht-rationale, ungezügelte Freiheit der Täter ins Auge zu fassen, die Juden als ›überflüssige‹ Menschen definierten (vgl. exempl. Bauman 1992). Bei der Vernichtung der Juden handelte es sich um eine von Nazi-Deutschland ausgehende anti-moderne Aufhebung von Individualität und die vollständige Integrierung des Einzelnen in die Volksgemeinschaft. Hier wird dann von einem Epochenbruch gesprochen, der sich jenseits aller partikularen Erinnerungskulturen herausbildet, die jüdische Perspektive aber nicht ausklammert. Diese Perspektive erinnert, dass es Juden waren (und nicht die Menschheit), deren Recht auf Leben genommen wurde. Dieses Recht auf Leben, ein aus der Moderne entstandenes Basisprinzip, wurde im Holocaust regelrecht abgeschafft.
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Paris und Port Bou: Die letzten Europäer
»Juden sterben in Europa und man verscharrt sie wie Hunde«, schrieb Hannah Arendt am 21. Oktober 1940 an Gershom Scholem in Jerusalem. Arendt informierte Scholem mit diesen Worten auch über den Selbstmord von Walter Benjamin. Benjamin hatte sich einen Monat zuvor das Leben genommen, als er auf der Flucht vor den Nazis nach Amerika wollte. Er wurde von spanischen Grenzbeamten abgewiesen, die ihn nach Frankreich zurückschickten. Arendt schrieb später über Benjamin: »Außerdem zog ihn nichts nach Amerika, wo man, wie er gelegentlich sagte, mit ihm wohl nichts anderes werde anfangen können, als ihn zu Ausstellungszwecken als letzten Europäer durch die Lande zu karren.« (Arendt 2006a: 64) Einige Monate später, im Mai 1941, kamen Hannah Arendt und Heinrich Blücher in New York an, und zwar auf dem selben Weg, auf dem Benjamin vorher gescheitert war. Das Leben hing vom Zufall ab: »Einen Tag früher wäre er anstandslos durchgekommen, einen Tag später hätte man in Marseille gewusst, dass man zur Zeit nicht durch Spanien konnte. Nur an diesem Tag war die Katastrophe möglich.« (Ebd.: 65) Dieses Gefühl der Zufälligkeit des Lebens und Tods sollte Arendt nicht mehr loslassen. In ihrem Gepäck brachte Arendt Benjamins letztes Manuskript »Über den Begriff der Geschichte« mit, ein Dokument des »letzten Europäers«, das in den USA eine erneute Kariere erleben sollte. 27 Jahre später veröffentlichte Arendt in New York dieses Benjaminische Manuskript zusammen mit anderen Schriften. Darunter finden sich auch Benjamins Überlegungen zu Kafka. Benjamin und Arendt sahen Kafka als Symbol für jüdische Identität, für Kosmopolitismus, für Deutschland und für Europa. Arendt dreht in ihrer
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34 | Gedächtnisraum Europa Argumentation antisemitische Vorurteile einfach um: »[s]owie er auch als einziger gewusst hat, dass ›Mauscheln‹ vielleicht nicht in deutschen Ländern, wohl aber im deutschen Sprachraum seinen legitimen Ort hatte und nichts anderes war als einer der vielen deutschen Dialekte« (ebd.: 78). Hier wird »mauscheln« oder »jüdeln« von einem antisemitischen Schimpfwort zum integralen Bestandteil der deutschen Tradition (vgl. auch Suchoff 2007). Die Vielsprachigkeit wird vom Rand der Gesellschaft in die Mitte geholt und weder als Hybridität noch als Beitrag der Minderheiten zum hegemonialen Diskurs verstanden. Vielmehr ist hier Vielsprachigkeit das, was Kultur ausmacht. In ähnlicher Weise schreibt Navid Kermani, ein deutscher oder iranischer oder deutsch-iranischer Schriftsteller in der Süddeutschen Zeitung vom 21. Dezember 2006, dass für ihn, den Muslimen Kermani, der Jude Kafka zum Inbegriff der deutschen Literatur wurde: »Sein Deutschland eint uns.« Die jüdische Sprache Kafkas wird zur Universalsprache. Im Juni 1921 erklärte Kafka seinem Freund Max Brod das Dilemma jüdischer Schriftsteller, das auch das Dilemma von Kermani sein kann: »Sie lebten zwischen drei Unmöglichkeiten: der Unmöglichkeit, nicht zu schreiben, der Unmöglichkeit, deutsch zu schreiben, der Unmöglichkeit, anders zu schreiben, fast könnte man eine vierte Unmöglichkeit hinzufügen, die Unmöglichkeit zu schreiben.« (Kafka 1975: 337f.)
Für jüdische Schriftsteller ist die Sprache daher immer eine Fremdsprache, wie auch für in Europa assimilierte Juden Hebräisch und Jiddisch Sprachen darstellen, die nicht nur fremd klingen, sondern zudem anders geschrieben werden. In der jüdischen und orthodoxen Kultur (besonders in Osteuropa) hielt man weiter an den hebräischen Schriftzeichen fest, auch wenn man Jiddisch geschrieben hat. Hebräisch ist wie eine Alternatividentität, die man meistern will (vgl. auch Alter 1991). Die Sprache wird anders herum geschrieben, von rechts nach links, oder von Osten nach Westen, wie dies der israelische Dichter Yehuda Amichai ausdrückte, während lateinische Sprachen von Westen nach Osten geschrieben werden. Sprache ist tief in der historischen Erfahrung verankert. Nicht nur Kafka hat versucht, diese Sprache zu meistern, wobei es an dieser Stelle nicht darum gehen soll, Kafka als jüdischen Schriftsteller zu charakterisieren, um damit eine jüdische Antwort zu finden auf Kafka, den universalen Modernisten. Genauso wenig
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Paris und Port Bou: Die letzten Europäer | 35 geht es darum herauszufinden, ob Kafka wie der populäre jiddische Schriftsteller Sholem Alechem oder wie der irische Modernist James Joyce schreibt. Der jüdische Nationalismus braucht nicht unbedingt eine Sprache (dies gilt trotz des Erfolgs des Zionismus, Hebräisch als Nationalsprache einzuführen). Wenn Herder als Kritiker der Aufklärung glaubte, dass Sprache den Menschen menschlich macht, aber dass Sprache auch Denken und Fühlen und damit Gemeinschaft erzeugt und dass damit – so Herder – universale Werte in einzigartiger Weise ausgedrückt werden können, so bricht die jüdische Vielsprachigkeit diese Schablone auf. Der Nationalismusforscher Ernest Gellner (1983) drückt dies mit einer Kunstmetapher aus: Für Gellner gibt es zwei ethnographische Landkarten. Die eine verweist auf eine vornationalistische Karte, die er mit Bildern von Kokoschka vergleicht. Man kann keine klaren Konturen im Detail erkennen, aber das Bild als Ganzes hat Kontur. Die einzelnen Teile des Bildes werden durch Pluralität und Verschiedenheit bestimmt. Verschiedene Gruppen, die sprachlich oder durch ihren Glauben miteinander verbunden sind, werden für Gellner zu einem Bild von Kokoschka. Die zweite ethnographische Karte gleicht einem Bild von Modigliani: Klare Linien und Farben, die deutlich voneinander getrennt sind, bestimmen ihr Erscheinungsbild. Auf dieser Karte sind Staat und Kultur deckungsgleich, Gesellschaft wird nur in staatlichen Schablonen verstanden. Diese Unterscheidung zeigt nur allzu deutlich, dass Kultur nicht unbedingt mit einer homogenen Sprache verstanden werden kann. Wir stoßen hier natürlich auch auf Fragen, die mit Bruno Schulz zu tun haben, geht es doch darum, Dichotomien zu vermeiden. Dabei sind es aber gerade diese Dichotomien, die den kosmopolitischen Diskurs noch bis heute, in die Gegenwart des beginnenden 21. Jahrhunderts hinein, mitbestimmen. Zwei Ideen sind dabei von zentraler Bedeutung: erstens die Idee, dass verschiedene Kulturen in verschiedenen Welten leben, und zweitens die Idee (die eigentlich nur eine Variante der ersten ist), dass wir in einem gemeinsamen Universum leben mit einer Geschichte, die alle anderen Geschichten zum Irrtum macht. Die Einen betonen die Polis, die Anderen den Kosmos, die Einen den Multikulturalismus, die Anderen den Universalismus.14 Gerade die jüdische Erfahrung ist
14 | Für diese Diskussion siehe die in den letzten Jahren erschienenen Bücher von Ulrich Beck. Für den amerikanischen Diskurs des Kosmo-
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36 | Gedächtnisraum Europa aber zu partikular, um universal zu sein, gleichzeitig aber zu universal, um partikular zu sein. Für sie trifft diese Dichotomie am wenigsten zu. Natürlich begibt man sich mit solchen Fragen aufs Glatteis, da man immer Gefahr läuft, dort zu essentialisieren, wo man ent-essentialisieren, Essentialismen aufbrechen will. Gibt es etwas, das alle Juden gemeinsam haben? Etwas Gemeinsames, das orthodoxe Juden, säkulare Juden, osteuropäische Juden, westeuropäische Juden, Juden aus dem Orient und jegliche Form von Juden auf dieser Erde verbindet? Das ist eine merkwürdige Frage, wenn man bedenkt, dass das, was eigentlich ›Jude sein‹ heißt, heute eines der umstrittensten Themen innerhalb der jüdischen Gemeinschaft selbst ist. Aber es geht nicht darum festzulegen, wer Jude ist, sondern was jüdische Existenz bedeutet, eine Frage, die nach der Judenvernichtung in Europa erneute Brisanz erhalten hat. Jüdische Identität hat nicht mehr nur mit den bekannten Dichotomien von Assimilation und Zionismus zu tun. Jüdische Identität hat auch nicht allein mit Lebensstil und Kultur zu tun, denen man sich bei Bedarf zeitweise hingeben könnte. Jüdische Identität ist nicht nur ein Produkt der nicht-jüdischen Umwelt, wie viele Juden oder Nichtjuden glauben. Man darf aber nicht den religiösen Aspekt vergessen, durch den klar wird, dass Jude sein bedeutet: auserwählt zu sein – wobei nicht Gott die Juden auserwählte, sondern umgekehrt: Abraham wählte Gott. Jude sein bedeutet in erster Linie, ›anders‹ zu sein. Aber dieses ›Anders sein‹ schreibt auch immer den Weg ins Innere der Kultur vor (vgl. insb. Hertzberg 2002). Gerade für Arthur Hertzberg ist die jüdische Geschichte etwas Unerklärliches und Mystisches. Die jüdische Existenz ist ihm nicht nur die Summe rationaler Entscheidungen, sie wurzle vielmehr in den verborgensten Winkeln der jüdischen Seele. Aus der Seele soll hier Tradition werden, wie dies auch bei Hannah Arendt heißen wird. In ihrem Essay »Die Verborgene Tradition« denkt sie unter anderem über Kafka nach. Die Sozialwissenschaften sprechen über Traditionen in der Regel nur als erfundene (vgl. Hobsbawm/Ranger 1992 sowie Anderson 1983). »Seele«, »Wesen«, »Mystik«, die »Unerklärbarkeit«: Aus diesen Begriffen besteht nicht das Handwerkszeug von ›uns‹ Wissenschaftlern, die Phänomene wie ›Jude sein‹ erklären wollen. ›Unser‹ Handwerkszeug sind die ›erfundepolitismus, der sich vom Multikulturalismus abgrenzen will, vgl. Appiah (2006).
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Paris und Port Bou: Die letzten Europäer | 37 nen Traditionen‹, die »imaginierten Gemeinschaften«, wie Benedict Anderson das nennt. ›Wir‹ wissen, wie man »Wesen« dekonstruiert, und Gott spielt sicherlich keine große Rolle in unseren soziologischen und historischen Überlegungen. Aber: Das Erzeugen von Identität bedeutet, dass man Differenzen schafft. Differenzen schafft man dadurch, dass man das ›Wesen‹ der eigenen Identität herausarbeitet, sozusagen erfindet und imaginiert – und das muss kein Widerspruch sein. Sicher sind die Sehnsucht nach territorialer Unabhängigkeit und die universale Botschaft der Diaspora keine spezifisch jüdischen Problemstellungen, sondern stellen gerade heute die Spannungsfelder dar, in denen sich Staatsbürgerschaft, Zivilgesellschaft und kulturelle Identitäten bewegen. Aber es ist die jüdische Erfahrung vor und nach der Katastrophe, die diese Problematik gleichsam zur Existenzbedingung macht. Juden leben bewusster in der Spannung zwischen Universalismus und Partikularismus, doch diese Spannung universalisiert sich von Tag zu Tag mehr. Nach Franz Rosenzweig leben Juden in zwei Dimensionen: im Jetzt und im Ewigen. Aber die jüdische Erfahrung der Temporalität außerhalb der Geschichte sprengt den jüdischen Rahmen. Die Erfahrung der Diaspora, das Leben im Exil ist zum Kontrapunkt des Lebens in der territorial geprägten Geschichte geworden. Diese Fragen sollten dann entscheidend werden, wenn Probleme des Kulturbesitzes diskutiert oder verhandelt werden. Was ist bzw. was bedeutet vor diesem Hintergrund eigentlich Kulturbesitz? Wem gehören Kultur und die Produkte der Kultur? Für Juden nach 1945 wurden diese Fragen in einem existenzialistischen Sinne zentral, da sie jüdische Identität nach dem Holocaust neu definierten.
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Moskau, New York und Prag: Vielsprachigkeit
Der in Berkeley lehrende Historiker Yuri Slezkine hat seine dramatische Reise in die Geschichte der Juden in Russland und der Sowjetunion (»Das Jüdische Jahrhundert«) mit den folgenden Worten eröffnet: »Das moderne Zeitalter ist das jüdische Zeitalter, und gerade das 20. Jahrhundert ist das jüdische Jahrhundert.« (Slezkine 2006: 1) Vor allem für Leser in Deutschland, die jüdische Geschichte immer noch aus der Perspektive der imaginären deutschjüdischen Symbiose begreifen und nach dem so genannten Beitrag der Juden zur deutschen Kultur suchen, wird Slezkines Blick aus dem Osten Europas frappierend neu sein. Er korrespondiert auch mit Benjamins und Arendts Blick auf den jüdisch-kosmopolitischen Kafka. Slezkine zeigt, dass die Tugenden der Moderne – soziale Mobilität, wirtschaftlicher Einfallsreichtum, intellektuelle Errungenschaften der Globalisierung – nichts anderes als jüdische Tugenden sind. Als ob das nicht genug wäre, beschreibt Slezkine die Gründe für die soziale Verknüpfung der Juden mit der russischen Revolution. Doch diese Revolution verriet die Juden in den dreißiger Jahren, denn auch sie verstand sich zunehmend als ein ethnisch-russisches Nationalprojekt, das für Minderheiten keinen Platz mehr hatte. Die Juden stehen in dieser Erzählung für eine kosmopolitische Moderne, die urban, mobil, gebildet, artikuliert, intellektuell und flexibel ist. Slezkine beschreibt eine Gesellschaft von Fremden, die ihre Entfremdung als Chance für Freiheit begreift. Aber das sollte und wollte nicht nur in der Sowjetunion verhindert werden … Damit sticht das Buch aus dem Gros der jüdischen Geschichtsschreibung hervor; es wird zur Universalgeschichte wie Kafkas jü-
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40 | Gedächtnisraum Europa dische Literatur zur Universalliteratur wird oder Arendts jüdische politische Theorie zur Universaltheorie. In ihrem Aufsatz zu Benjamin (und Kafka) aus dem Jahre 1968 zitiert Arendt auch Moritz Goldstein, der 1912 schrieb: »Wir Juden verwalten den geistigen Besitz eines Volkes, das uns die Berechtigung und die Fähigkeit dazu abspricht.« (Arendt 2006b: 77) Als Arendt beim Verleger Zalman Schocken in New York Ende der 40er Jahre als Lektorin zu arbeiten beginnt, wollte sie nichts weniger, als die europäische jüdische Kultur nach Amerika zu retten. Davor hatte Arendt 1944 zwei Essays über Kafka in den USA veröffentlicht, in denen sie ebenfalls Kafkas »verborgene Tradition«, die aus dem Judentum stammt, analysiert. Arendt liest Kafkas »Schloss« als den gescheiterten Versuch der Juden, sich an ihre Umwelt zu assimilieren: »K. ist ein Fremder, den man nirgends einordnen kann, weil er weder zum Volk noch zur Regierung gehört.« (Arendt 1976: 71)15 Arendt betont immer wieder, dass sie die Allgemeingültigkeit an Kafka interessiert, wobei sie gleichzeitig immer wieder dessen jüdische Problematik hervorhebt. Als sie diesen Aufsatz 1944 schrieb, wusste sie, dass die Zeit der Juden in Europa abgelaufen war: »Er [Kafka] schloss sich derjenigen Bewegung an, welche die Ausnahmestellung des jüdischen Volkes liquidieren, welche es zu einem Volk wie alle Völker machen wollte. Er, der vielleicht der letzte der großen europäischen Dichter war, konnte wahrlich nicht wünschen, ein Nationalist zu werden. Seine Genialität, ja seine spezifische Modernität waren es gerade, dass sein Vorhaben nur darauf ging, ein Mensch unter Menschen, ein normales Mitglied einer menschlichen Gesellschaft zu sein. Es war nicht seine Schuld, dass diese Gesellschaft keine menschliche mehr war und dass der in sie verschlagene Mensch, wenn er guten Willens war, wie eine Ausnahme, wie ein Heiliger, oder wie ein Irrsinniger wirken musste.« (Ebd.: 77f.)
Sie schließt ihr Essay über Kafka ab mit dem Bekenntnis: »Nur innerhalb eines Volkes kann ein Mensch als Mensch unter Menschen leben – wenn er nicht vor Entkräftung sterben will. Und nur ein Volk, in Gemeinschaft mit anderen Völkern kann dazu beitragen, auf der von uns
15 | Beide zuerst in den USA veröffentlichen Aufsätze wurden in leicht veränderter Form auf Deutsch in Arendt (1976) veröffentlicht. Die Zitate beziehen sich auf diese Ausgabe.
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Moskau, New York und Prag: Vielsprachigkeit | 41 allen bewohnten Erde eine von uns allen gemeinsam geschaffene und kontrollierte Menschenwelt zu konstruieren.« (Ebd.: 79)
So hat Arendt schon 1944 einen Bezug zwischen dem Werk von Kafka und der Judenvernichtung angedeutet, wobei unerfindliche Schuld und die Existenz einer destruktiven Ordnung Schlüssel zum Verständnis des jüdischen Schicksals einerseits und einer destruktiven Moderne ohne ethnische Zuweisung andererseits werden (vgl. auch Traverso 2000). Das heißt, dass nach Arendt Elemente einer universalen Holocaust-Interpretation, die sich aber immer wieder auf jüdische Erfahrung bezieht, bei Kafka ihren Beginn nehmen. Dies wird auch für ihre eigene Holocaust-Interpretation entscheidend werden – und zwar gerade dann, wenn sie das Bild der Hölle für die Todeslager benutzen wird oder wenn sie in ihrer Totalitarismusanalyse versucht, die jüdische Erfahrung zu universalisieren. Universalismus oder Partikularismus? Diese Frage verweist nicht nur auf die Debatte um Kosmopolitismus, sondern auf das Herz des modernen jüdischen politischen Denkens. Jüdische Denker versuchten jenseits der monistischen Prinzipien des Liberalismus und Marxismus in Theorie und Praxis einen Weg des ›Sowohl-als-Auch‹ – aber nicht ein ›Sowohl-als-Auch‹ der Harmonie, sondern ein erkämpftes ›Sowohl-als-Auch‹, ein ›Sowohl-als-Auch‹ des ständigen Konflikts. Dabei geht es auch um klare Unterscheidungen zwischen jüdischer und nicht-jüdischer Erfahrung, die nicht einfach wegrationalisiert werden können, eben weil sie auf Erinnerungen und Emotionen beruhen. Bei jedem kosmopolitischen Projekt ist daher gleichzeitig die Anerkennung der Tatsache relevant, dass unterschiedliche Erinnerungen nicht überbrückbar sind. Nicht ›die Andersheit des Anderen‹ als intellektuelles Produkt steht hier im Mittelpunkt, sondern die konkrete historische Erfahrung. Des Weiteren geht es nicht nur um theoretische Debatten, sondern darum, wie Juden vor und nach dem Holocaust leben konnten. Das ist der Grund, warum Theoretiker wie Arendt und Benjamin wussten, dass man nicht ohne Dichtung und Literatur auskommen kann. Nur wenn man Geschichten erzählen kann, kann man durch die theoretischen Debatten der Zeit zu einem besseren Verständnis kommen. Für Arendt war Benjamin (wie Kafka) in erster Linie ein jüdischer Dichter, was bis heute oft nicht erkannt wird. In den Thesen über den Begriff der Geschichte, in diesem letzten Manuskript
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42 | Gedächtnisraum Europa Benjamins, das Arendt nach New York trägt, in diesem letzten Zeugnis eines sterbenden europäischen Judentums schreibt Benjamin: »Das wahre Bild der Vergangenheit huscht vorbei. Nur als Bild, das auf Nimmerwiedersehen im Augenblick seiner Erkennbarkeit eben aufblitzt, ist die Vergangenheit festzuhalten.« (Zit. in Arendt 2006a: 104) Hier findet sich der Ausdruck des Verlusts, den die europäischen Juden am eigenen Körper erleben mussten. Arendts Werk versuchte, diesem Huschen der Vergangenheit einen neuen Inhalt zu geben. Denn Assimilation bedeutete in erster Linie: sprachliche Assimilation. Man musste nicht zum Christentum übertreten, aber man musste als Jude die Sprache der jeweiligen Länder sprechen – und auch lesen – können. In diesem Aneignungsprozess von Sprache wurden die nationalen Klassiker, ob es sich nun um Goethe oder Puschkin handelte, auch Teil des jüdischen Bücherschrankes. Dadurch wurden Juden fast schon automatisch mehrsprachig. Das Jiddische ist natürlich als Kultursprache an kein Territorium gebunden und lag immer zwischen jüdischem Nationalismus, der Hebräisch spricht, und globalem Sozialismus, der sich klassischer europäischer Sprachen wie Deutsch, Französisch und Russisch bediente. Es ist gerade dieser heterogene Aspekt der Sprache, die von Juden in Europa gesprochen wurde, der den homogenen, auf einer einheitlichen Sprache beruhenden Kulturbegriff relativiert. Es ist diese Sprachvielheit, die Arendt und Scholem mit Kafka verbunden haben. Und auch das geht schon auf eine längere Tradition zurück. Im Jahre 1919 übersetzte Gershom Scholem einen Essay von Chaim Nachman Bialik, der in der Zeitschrift »Der Jude« veröffentlicht wurde. Bialik, ein 1873 in der Ukraine geborener hebräischer Schriftsteller und Dichter, versuchte in diesem Aufsatz die Kontinuität jüdischer Tradition in die Moderne zu retten, indem er unter anderem zeigte, wie Aggada (Legende) in der Halacha (Gesetz) eingebettet ist. Es ist die ›Ordnung der Strenge‹ gegenüber der ›Ordnung des Erbarmens‹. Es ist die Dialektik des ›Sowohl-alsAuch‹, die Bialik in der jüdischen Tradition bestimmt: versteinertes Beharren und Zwang gegenüber Erneuerung und Freiheit (Bialik 1919: 61). Bialik erwähnt auch eine gesetzliche Einzelheit, die ihre Schatten aus einer anderen Zeit in die Zukunft wirft. Es geht darum, ob man alle heiligen Bücher am Sabbath aus dem Brand retten kann (ebd.: 65ff.): »Sind sie aramäisch oder in irgendeiner anderen Sprache geschrieben – ägyptisch, persisch, elamisch oder griechisch –, so darf man sie aus dem Brand retten.« Und Bialik
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Moskau, New York und Prag: Vielsprachigkeit | 43 zitiert weiter: »Er, der sich offenbarte, um Israel die Thora zu geben, offenbarte er sich nicht in einer, sondern in vier Sprachen: hebräisch, lateinisch, arabisch und aramäisch.« (Ebd.: 66) Für Bialik hat dies die folgende Bedeutung: »Und so entfaltet sich aus dieser kleinen Einzelheit dem Betrachter unversehens eine große historische Gesetzlichkeit, die Entscheidung eines ganzen Volkes, das im Exil auseinandergerissen und -gestoßen wird, das seinen gesamten Besitz nicht zu retten vermag und doch nicht das Ganze herrenlos werden lassen will – was und wie soll es am Tag der Drangsal und Gefahr tun und handeln.« (Ebd.)
Die für Scholem und Arendt so wichtige »verborgene Tradition« des Judentums ist also eng mit der Vielsprachigkeit der jüdischen Schriften verknüpft. Und die Rettung aus dem Brand wird zum Symbol dieser Tradition.
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Die Arbeit der »Jewish Cultural Reconstruction« | 45
Frankfurt, Jerusalem, Offenbach, New York: Die Arbeit der »Jewish Cultural Reconstruction«
Die Mehrsprachigkeit der jüdischen Schriften ist einer der Schlüssel zum Verständnis einer wichtigen historischen Episode, in die ehemalige jüdische Intellektuelle wie Salo Baron, Gershom Scholem und Hannah Arendt verwickelt waren. Es ging dabei um nichts weniger als um europäische jüdische Kultur(güter) und ihren zukünftigen Ort. Wie bei Bruno Schulz handelte es sich hier um Fragen des Besitzes von Kultur und das Verhältnis von jüdischer Kultur zu Europa einerseits und zu Israel und den USA andererseits. Die nun folgende Geschichte spielt sich noch einige Jahre vor der Unterzeichnung des Reparationsvertrages zwischen Westdeutschland und Israel im Jahre 1952 ab: Nach Kriegsende fanden die Alliierten große Depots von jüdischen Bibliotheken und anderen Kulturgütern, die von den Nazis geplündert und nach Deutschland gebracht worden waren. Ein Großteil dieses Materials war nun ohne Erbe, da die Menschen und Institutionen, von denen es stammte, nicht mehr existierten. Jemand musste dieses Material beanspruchen, und Fragen nach der authentischen jüdischen Repräsentation nach dem Krieg waren akuter denn je. Jüdische Nachfolgeorganisationen mussten gegründet werden – Organisationen, die den damaligen völkerrechtlichen Rahmen sprengten, in dem nur Staaten die Souveränität zugestanden wurde, über kollektiven Besitz zu verhandeln. Nach dem Krieg und dem Versuch, die Juden in Europa zu vernichten, entstanden solche Organisationen, die die Nachfolge des jüdischen Kollektivs in Anspruch nahmen und in deren Namen auch mit
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46 | Gedächtnisraum Europa souveränen Staaten verhandelt wurde.16 Wem sollte der erblose Besitz nun gehören, nachdem ganze jüdische Gemeinden ausgelöscht worden waren? Noch war es nicht möglich, das jüdische Kollektiv als legale Körperschaft zu definieren, aber genau das war eine der Konsequenzen der versuchten Judenvernichtung durch die Nazis – die Anerkennung eines jüdischen Kollektivs als legale Körperschaft. So konnten sich Organisationen bilden, die das Recht hatten, erblosen jüdischen Besitz zu verwalten. Nach dem Krieg war es den überlebenden Juden bitter klar, dass nicht nur ihre Leben, ihre Gemeinden und Institutionen ausgelöscht worden waren, sondern dass das, was sich in Jahrhunderten an Kulturgütern angesammelt hatte, wohl für immer vernichtet war. Nur ein kleiner Bestand blieb übrig. Es war eine Nazi-Dienststelle (Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg – ERR), die für »Forschungszwecke« jüdische Bücher aus den von Deutschland besetzten Gebieten plünderte und ›heim ins Reich‹ verschickte. Dort sollten sie als Bibliotheksbestand dazu dienen, nach dem Krieg ›objektive Forschung‹ über die internationale Bedrohung des Judentums zu betreiben. Rosenberg gründete das »Institut zur Erforschung der Judenfrage« 1941 in Frankfurt am Main, das mit weiteren ähnlichen Einrichtungen konkurrieren musste. Für das Institut wurde unter anderem auch die Judaica-Sammlung der Frankfurter Stadtbibliothek beschlagnahmt. Rosenberg plante, am Chiemsee eine »Hohe Schule« zu gründen, die für die ideologische Grundlagenarbeit der Partei zuständig sein sollte. Etwa zur selben Zeit, als Hannah Arendt in den Vereinigten Staaten eintraf, versammelte man sich Ende März 1941 in Frankfurt im Bürgersaal des Römers zur feierlichen Eröffnung des »Instituts zur Erforschung der Judenfrage«.17 Diese Eröffnung war als europäische Veranstaltung gedacht, zu der viele Gäste aus Europa eingeladen wurden. Die »Judenfrage« wurde auf der Veranstaltung also ebenso dezidiert als europäische Frage behandelt, wie über eine »europäische Gesamtlösung der Judenfrage« diskutiert wurde.
16 | Für die Geschichte einiger dieser Nachfolgeorganisationen vgl. Zweig (2001). 17 | Zum Institut und den Eröffnungsfeierlichkeiten vgl. unter anderem Piper (2005) und Poliakov/Wulf (1983, das Eröffnungsprogramm befindet sich dort auf den S. 140-141). Zur ERR vgl. auch Manasse (1997), Collins/Rothfelder (1983) sowie Kirchhoff (2002).
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Die Arbeit der »Jewish Cultural Reconstruction« | 47 Die Teilnehmer der Konferenz waren sich einig, dass Juden in keinem europäischen Land leben könnten, da sie für alle Völker Europas »im gleichen Maße rassenfremd« (zit. in Piper 2005: 481) seien. Auch die europäischen Gäste stimmten sich auf eine gesamteuropäische Lösung ein. Den Höhepunkt der Veranstaltung stellte die Rede von Alfred Rosenberg dar, die den Titel »Die Judenfrage als Weltproblem« trug. Rosenberg verteidigte in seiner Eröffnungsrede die Aufgabe des Instituts: »Wenn unsere Gegner betonen, dass eine Forschung im wahren Sinne ja nicht geführt werden könne, da das politische Urteil und die staatlichen Gesetze die Unabhängigkeit der Prüfung schon unmöglich gemacht hätten, so äußert sich hier nun die eigentliche weltanschauliche, wissenschaftliche und charakterliche Schwäche des Liberalismus […]. Wir haben im Unterschied zu den Demokratien die Ergebnisse der Auswirkung des jüdischen Wesens und seiner letzten Periode besonders wirklich beobachtet, die Giftigkeit des jüdischen Blutes im Verlauf einer langen Geschichte streng erfahrungsgemäß festgestellt, wie man auch Gift in gewissen Pflanzen feststellt […].« (Zitiert in Poliakov/Wulf 1983: 143)
Es war dieses Rational, das Rosenberg dazu veranlasste, jüdische Bibliotheken und ihre Bestände europaweit plündern und nach Deutschland bringen zu lassen: »Es ist durch den Sieg der nationalsozialistischen Revolution und durch den Sieg der deutschen Wehrmacht im Jahre 1939/40 möglich geworden, auch frühe nicht bekannte Urkunden sicherzustellen und einer kommenden Forschung zuzuführen.« (Ebd.: 142) Rosenberg war mit diesen Bemühungen nicht alleine und musste mit anderen Einrichtungen der Partei – etwa der Zentralbibliothek des Reichssicherheitshauptamtes – um geplünderte Bücher konkurrieren. Die Plünderung von jüdischen Büchern und Bibliotheken, von jüdischem Kulturbesitz, aber auch von Bibliotheken der Freimaurer, Sozialisten usw., die diese Abteilungen in der Zeit des Zweiten Weltkrieges durchführten, gehören wohl zu den größten organisierten Kulturplünderungen der Geschichte (vgl. Grimsted 2005, 2006).18 Aus ganz Europa wurden Bücher und Manuskripte herangeschafft. Bis 1944 hatte der Stab von Rosenberg mehr als 200 jüdische Bibliotheksbestände 18 | Grimsted ist vor allen Dingen an der Restitution von geplündertem Gut aus der Ukraine interessiert, wobei sie jedoch am territorialen Prinzip der Restitution festhält.
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48 | Gedächtnisraum Europa und mehr als drei Millionen Bücher aus über 1000 Bibliotheken geplündert. Man wollte nicht nur die Menschen vernichten, sondern auch dafür sorgen, dass nichts mehr von ihrer Kultur an den Orten ihres früheren Lebens zurückblieb. Damit sollte die Kontrolle über die Erinnerung an die Vernichteten übernommen und der jüdische Kosmopolitismus endgültig ausgelöscht werden. Jüdische Bibliotheken existierten überall dort, wo Juden lebten. Dies umfasste Rabbinerseminare, Forschungsinstitute, jüdische Buchläden und natürlich auch individuelle Sammlungen. Keiner weiß heute mehr, wie viele Bücher vernichtet wurden. Allein in Polen existierten vor 1939 251 jüdische Bibliotheken mit einem Bestand von mehr als 1,6 Millionen Büchern. Nach dem Krieg saßen die amerikanischen Militärbehörden auf einem Fundus von Millionen von Bänden. Sie sammelten sie 1946 in einem Depot in Offenbach, das vorher der I.G. Farben gehörte. Gemäß internationalen Rechts wurden von diesem Depot aus in den folgenden drei Jahren ungefähr drei Millionen Bücher in verschiedenste Länder Europas, aus denen sie geraubt worden waren, versandt – eine der größten kulturellen Restitutionsoperationen in der Geschichte (vgl. Waite 2002, Kirchhoff 2002 und Raim 1997). Etwa zur selben Zeit wurde Alfred Rosenberg am 16. Oktober 1946 vom Nürnberger Tribunal zum Tode verurteilt und hingerichtet. In Offenbach lagerten jedoch auch Bücher in fast allen europäischen Sprachen, deren Ursprung und Besitzer nicht mehr zu identifizieren waren. Diese nicht mehr identifizierbaren und erblosen Bücher – es handelte sich um mehr als 500.000 Exemplare – bereiteten den amerikanischen Behörden die größten Schwierigkeiten. Das Einzige, was man von diesen Büchern wusste, war, dass es sich um jüdisches Kulturgut handelte. Es war genau diese Situation, die ehemalige jüdische Intellektuelle in den USA und in Palästina zum Handeln veranlasste. Vor allen Dingen der Historiker Salo Baron, der jahrzehntelang jüdische Geschichte an der Columbia Universität in New York unterrichtete, sorgte mit der von ihm gegründeten Organisation »Jewish Cultural Reconstruction« dafür, dass der Großteil dieses erblosen Materials in Bibliotheken in Jerusalem und den Vereinigten Staaten untergebracht wurde.19 Baron stammte aus Tarnow in Galizien, wo er 1895 als Habsburger Jude auf die Welt gekommen war. Er 19 | Über den Historiker Salo Baron vgl. Brenner (2006). Für eine ausführliche Biographie vgl. Liberles (1995).
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Die Arbeit der »Jewish Cultural Reconstruction« | 49 hatte in Wien studiert, als Tarnow im Ersten Weltkrieg polnisch wurde. 1926 ist er von dort in die Vereinigten Staaten umgesiedelt, wo er 1928 seinen paradigmatischen Aufsatz »Ghetto and Emancipation« (Baron 1928) veröffentlichte. Dieser Aufsatz, der zum Leitfaden aller seiner Bücher werden sollte, war eine Kritik der Moderne aus jüdischer Sicht. Während die jüdische Geschichtsschreibung die Moderne als Zeitalter der Emanzipation feierte, war Baron skeptischer. Für ihn war das Mittelalter eine Zeit, in der Juden als Kollektiv politisch aktiv sein konnten. Die Autonomie, durch die sich eine kollektive Gruppe auszeichnet, konnte auch Juden oft Schutz gewähren. Die Emanzipation, die von einem zentralen Staat ausging, verlangte von Juden die Assimilation, die sie im Endeffekt zu schutzlosen Individuen werden ließ. Baron war nicht unbedingt Zionist. Er glaubte, dass Juden durchaus als Kollektiv in der Diaspora leben konnten – nach 1945 kam allerdings auch für ihn Europa als Diaspora nicht mehr in Frage. Baron wollte eine aktive jüdische Minderheitenpolitik, die Gleichberechtigung ohne Assimilation und damit auch Autonomie forderte. Gewissermaßen als Lehre aus der jüdischen Geschichte sah er diese Autonomie als ein Mittel, die Macht des Staates in Schranken zu halten. Baron rekonstruierte die jüdische Geschichte vor der Französischen Revolution als eine Geschichte der Autonomie und des politischen Handelns. Es ging ihm nicht so sehr um gleiche Rechte als vielmehr um kulturelle Autonomie. Er dachte nicht, dass Gleichberechtigung eine politische Tugend sei, insbesondere in einer Welt, in der keine Gruppe wirklich gleiche Rechte hatte. Es ging ihm nicht um Universalität, sondern um Autonomie und Privilegien. Für Baron bedeutete die Zeit der Judenemanzipation kein goldenes Zeitalter. Seine Kritik an der so genannten ›tränenreichen‹ Version der jüdischen Geschichte war die Grundlage für seine politische und kulturelle Arbeit, wobei nicht das Territorium im Mittelpunkt seines Interesses stand, sondern die Juden als autonomes Kollektiv. Seine Sicht war die der kreativen Diaspora – ohne allerdings damit die Forderung zu verbinden, sich assimilieren zu müssen. Die jüdische Geschichte ist bei Baron immer die Geschichte eines transnationalen Kollektivs. Dies knüpft auch an den Autonomiegedankens des oben erwähnten Historikers Simon Dubnow an. Dieser historiographische Ansatz übernimmt den partikularen Kosmopolitismus der Juden als gelebte Erfahrung. In diesem Sinne kommentierte Baron 1935 die anti-jüdische Gesetzgebung der Nazis nicht als einen Rückfall ins Mittelalter, wie
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50 | Gedächtnisraum Europa viele andere Beobachter das taten, sondern als ein Produkt der Moderne und ein Problem, das die Macht des Staates in der Moderne verstehbar werden lässt (Baron 1935). Baron spricht von den Nürnberger Gesetzen als einer noch nie dagewesenen Rechtsstruktur – eine Konstruktion, die auch später von Arendt in ihrer Analyse verwendet werden wird. Sein Standpunkt war der eines mitteleuropäischen Juden, der diese Ideen in die Vereinigten Staaten mitnahm und sie dort wie viele andere auch am ehesten verwirklichen konnte. So gründete Baron dort mit einer Gruppe von jüdischen Intellektuellen eine Organisation, die es sich zur Aufgabe machte, die Konsequenzen der nationalsozialistischen Politik für die europäischen Juden zu erforschen. Als diese Gruppe 1935 ins Leben gerufen wurde, war man sich natürlich nicht darüber im Klaren, welche Konsequenzen sich zehn Jahre später wie ein Abgrund öffnen würden. Die Gruppe nannte sich »Conference on Jewish Relations«, und Baron wurde auch Herausgeber einer Zeitschrift »Jewish Social Studies«, die die jüdische Situation akademisch erforschen sollte. Die Gruppe um Baron gründete 1947 die »Commission on European Jewish Cultural Reconstruction«, die es sich zur Aufgabe machte, das erblose jüdische Kulturgut im Offenbacher Depot zu verwalten.20 Im Folgenden soll ein Blick auf die Geschichte dieser Organisation und der Personen, die sie lenkten, geworfen werden, da sie exemplarisch für die Konstitution kosmopolitischer Akteure steht. Das Zentrum jüdischen Lebens hatte sich mittlerweile in die Vereinigten Staaten verlagert und für Baron war das, was vom europäischen Judentum übriggeblieben ist, nun auf die Hilfe amerikani20 | Noch gibt es keine Gesamtgeschichte der »Jewish Cultural Reconstruction«. Es gibt hier und da Hinweise in verschiedenen, oben zitierten Aufsätzen und Büchern, aber ein Großteil des noch vorhandenen Materials befindet sich in verschiedenen Archiven und Sammlungen in den USA und Israel. Darunter die »Salo W. Baron Papers« (Stanford University, Manuscript Division, M0580) und die »Hannah Arendt Papers« (Manuscript Division, Library of Congress, Washington, DC). Darüber hinaus lassen sich noch verschiedene Sammlungen im New Yorker »Center for Jewish History« finden. In Israel selbst befinden sich das »Central Archives for the History of the Jewish People«, die »Jehuda Magnes Papers« und die »Gershom Scholem Collection«. In den »Jewish Cultural Reconstruction Papers« befindet sich der Briefwechsel zwischen Scholem und Arendt über ihre Tätigkeit bei der »Jewish Cultural Reconstruction«.
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Die Arbeit der »Jewish Cultural Reconstruction« | 51 scher Juden angewiesen. Baron schien gewusst zu haben, dass die neu formulierten Menschenrechte nicht in der Lage sein würden, Juden als Juden in der Zukunft beschützen zu können.21 Baron erinnerte in diesem Zusammenhang auch an die Minderheitenrechte, die in der Vergangenheit für die Juden als Kollektiv bestimmend waren. Als Hannah Arendt in die USA kam, lernte sie Salo Baron kennen. Er veröffentliche ihren ersten akademischen Aufsatz in den USA, der sich mit der Geschichte der Juden in Frankreich von der Dreyfusaffäre bis Vichy auseinandersetzte, in seiner von ihm herausgegebenen Zeitschrift. Dieser Aufsatz sollte später der Beginn ihres großen Totalitarismus-Buches werden (Arendt 1953).22 Die Dreyfusaffäre galt für Arendt als Ausdruck des Scheiterns des französischen Emanzipationsversprechens. Frankreich stand für die jüdische Emanzipation, Menschenrechte und den modernen Staat – und trotzdem ging der moderne Antisemitismus von dort aus. Für Arendt war Frankreich der Beginn der Krise der jüdischen Moderne, wie sie besonders in der Dreyfusaffäre symbolisiert wurde. Dreyfus wurde zum Symbol der gescheiterten Emanzipation. Diese Sicht teilte sie mit Theodor Herzl, der als Korrespondent einer Wiener Zeitung den Dreyfus-Prozess beobachtete und durch ihn zum politischen Zionismus kam. Aber Arendt zog aus dieser Affäre alternative jüdische Konsequenzen. Sie teilte mit Baron sehr viele intellektuelle Annahmen, was die Frage der Moderne und der Juden ausmachte. Beide waren skeptisch gegenüber der Emanzipation und deren Konsequenzen für die Juden als Kollektiv.23 Es ging ihnen dabei nicht zuletzt um die Unterschiedlichkeit, die die jüdische Existenz ausmachte und mit der jüdischen Existenz verbunden war. Beide waren davon überzeugt, dass die Aufklärung und die Judenemanzipation ein Pro21 | Baron formulierte diese Position in seinem 1945 veröffentlichten Aufsatz »The Spiritual Reconstruction of European Jewry«. 22 | Dieses Buch stellt den Versuch dar, den Holocaust in kosmopolitischer Form zu verstehen. 23 | Arendt veröffentlichte schon 1932 einen Aufsatz, der sich skeptisch mit der Emanzipation der Juden auseinandersetzte (Arendt 1932/ 1976). In vielerlei Hinsicht ist dieser Aufsatz das philosophische Pendant des historischen Aufsatzes von Baron. Dort zeigt Arendt interessante Sympathien für Herder als Kritiker des Universalismus. Diese Auffassung fließt auch in Arendts Biographie von Rahel Varnhagen ein (Arendt 1962).
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52 | Gedächtnisraum Europa blem für die jüdische Tradition und Geschichte (und damit auch für jüdische Kontinuität) darstellten, das durch gleichberechtigte Staatsbürgerschaft nicht gelöst werden kann. Sie teilten auch die Ansicht, dass die jüdische Geschichte nicht nur Leidensgeschichte war, sondern dass es eine verborgene Tradition des politischen Aktivismus gab, die es wieder zu entdecken gilt. Als Baron und seine Kollegen die »Commission on European Jewish Cultural Reconstruction« gründeten, stellte er Arendt als Forschungsleiterin ein. Dies sollte ihre erste volle Arbeitsstelle in den USA werden. Es war die Zeit, in der sich Arendt nach ihrer Ankunft in den USA mit jüdischer Politik auseinandersetzte. Sie schrieb eine Vielzahl von Aufsätzen in amerikanisch-jüdischen Zeitschriften und verfasste eine deutschsprachige Kolumne für die deutsch-jüdische Zeitung »Der Aufbau«.24 Dort forderte sie, da sich Juden als Juden verteidigen müssten, auch den Aufbau einer jüdischen Armee. Zwar ging es ihr dabei um jüdische Öffentlichkeit und die Rückkehr der Juden in die Geschichte – doch meinte dies mehr als nur territoriale Souveränität. Arendt versucht hier nämlich gerade den Raum zu artikulieren, der zwischen der partikularen Zugehörigkeit zur politischen Gemeinschaft und der Universalität der Menschenrechte liegt. Für sie begründet sich das jüdische Schicksal in der Spannung, die entsteht, wenn man zwischen diesen beiden Polen leben muss. Da assimilierte Juden aus ihrer Geschichte heraus keine kollektive Identität mehr besitzen, sind sie dem Antisemitismus schutzlos ausgeliefert. Arendt konnte und wollte nicht akzeptieren, dass kulturelle und ethnische Nationen nichts anderes als Illusionen sind. Sie wollte ihre jüdische Partikularität nicht auf dem Altar der universalen Gleichheit opfern. Gleichzeitig war sie eine scharfe Kritikerin an der partikularen Politik der zionistischen Bewegung. Gemeinsam mit einem Kollegen vom »Aufbau« (Josef Maier) gründete sie 1942 eine Gruppe, in der jüdische Politik diskutiert werden konnte – die »Jungjüdische Gruppe«.25 Diese 24 | Viele dieser Aufsätze sind nun auf Englisch in Arendt (2007) gesammelt. Ihre »Aufbau«-Kolumnen findet man in Arendt (2000). 25 | Josef Maier (1911-2002) stammte aus Leipzig, wo er 1911 in einer traditionell jüdischen Familie zur Welt kam. 1933 wanderte er in die USA aus, wo er sein Studium der Philosophie an der Columbia Universität begann und dort über Hegels Kritik an Kant promovierte. Maier begann am New Yorker Institut der Frankfurter Schule zu arbeiten. Gleichzeitig arbeite er beim »Aufbau«, wo er Arendt kennen lernte. Maier war auch bei den
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Die Arbeit der »Jewish Cultural Reconstruction« | 53 Gruppe, deren Sitzungen alle in deutscher Sprache abgehalten wurden26, traf sich einige Male in New York, um jüdische und zionistische Politik in den schwersten Zeiten für Juden in Europa zu diskutieren.27 In der ersten Sitzung hielten Josef Maier und Hannah Arendt ein Referat über die »Theoretischen Grundlagen der Politik«, in dem sie darlegte, dass jüdische Identität eine politisch historische Qualität hat: »Das Subjekt jüdischer Politik ist nicht irgendein willkürlicher Begriff oder irgendeine leere Definition von dem jüdischen Menschen, sondern einzig und allein das wirklich vorhandene jüdische Volk – jenes Volk, das seine Feinde vernichten wollen.«
Etwas später, am 7. April 1942, traf sich die Gruppe, um zionistische Ideologie kritisch zu diskutieren. In dieser Gruppe (wie auch in ihrem Artikel im »Aufbau«) zeigt sich Arendt als eine politisch denkende Jüdin, die sich weder zur Assimilation noch zum Zionismus hinwenden wollte und auf diese Weise einen dritten Weg jüdischer Politik in der Diaspora zu finden glaubte. Das jüdische Volk sollte sein Schicksal selbst in die Hand nehmen. So schrieb sie im April 1944 einen bewegten Artikel im »Aufbau«, der sich voller Stolz an den Aufstand der Juden, der ein Jahr vorher im Warschauer Ghetto stattfand, erinnerte. »Ehre« und »Ruhm« waren für sie neue politische Vokabeln, die für Juden in ihrer schwersten Stunde relevant seien (Arendt 2000: 129-132). Dort erwähnt sie auch ihre Einschätzung, dass die Kämpfer sich »als Juden für die Freiheit der Juden zu schlagen wünschen« (ebd.: 132).28 Nürnberger Prozessen als Teil des Verhörteams dabei. Später bekam er eine Anstellung als Soziologe an der Rutgers Universität in New Jersey. Über Maiers Leben und Werk vgl. Marcus (1999). 26 | So hieß es in der Einladung zum ersten Treffen am 11. März 1942: »Jungjüdische Gruppe lädt zu ihrem ersten Treffen diejenigen, die sich nicht nur als zufällige Opfer eines katastrophalen Geschehens, sondern als mitverantwortlich für die Zukunft des jüdischen Volkes fühlen«. Bei diesen Treffen sollte nach einer »theoretischen Neufundierung jüdischer Politik gesucht« werden. 27 | Die Protokolle der Jungjüdischen Gruppe liegen im Arendt-Archiv (»Hannah Arendt Papers«, Library of Congress, Washington). Vgl. auch Knott (2000). 28 | Dies soll dann auch als Kontrast zu ihrer Einstellung den
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54 | Gedächtnisraum Europa Hier wird deutlich, dass sie Baron wie gerufen für die Arbeit der »Jewish Cultural Reconstruction« kam, eine Arbeit, die in vielerlei Hinsicht eine praktische Umsetzung des jüdischen Kosmopolitismus war, den beide intellektuell entwickelten. Ihre erste Aufgabe war es, ein Inventar der jüdischen Kultur anzufertigen – just zu der Zeit, als sie über Kafka und die jüdische Sprache schrieb. Dieses Inventar wurde mit Hilfe eines Netzwerkes von europäischen Flüchtlingen in den USA, England und Palästina angefertigt. Die hieran beteiligten Forscher arbeiteten mit Interviews, Fragebögen sowie bereits publizierten Materialien und veröffentlichten ihre Ergebnisse zwischen 1946 und 1948 als eine »vorläufige Liste der jüdischen Kulturschätze in den von den Achsenmächten besetzten Ländern«.29 Diese Liste kann durchaus als ein Antidotum zur Plünderung der Rosenbergbehörde gesehen werden, da mit ihr jüdische Kulturschätze in ganz Europa rekonstruiert werden konnten. Den Verfassern dieser mehrere hundert Seiten langen und mehr als 3,5 Millionen Bücher umfassenden Liste war dabei bewusst, dass die aufgenommenen jüdisch-europäischen Kulturschätze neu verteilt werden mussten.30 Bei genauerem Hinsehen liest sich diese Liste wie ein gedruckter Aufbewahrungsort jüdischer Kultur in Europa: Unter den mehr als 700 Bibliotheken und Buchbeständen, die aufgeführt werden, finden sich zum Beispiel »schwachen« Juden gegenüber in ihrem Eichmann-Report fast 20 Jahre später dienen. Sie hatte nichts als Verachtung gegenüber diesen »Schwachen«. 29 | Diese Listen wurden unter diesem Titel (im englischen Original »Tentative List of Jewish Cultural Treasures in Axis-Occupied Countries«) zuerst als ein Addendum zu »Jewish Social Studies« (VIII, 1946) veröffentlicht. In den beiden folgenden Jahren erschienen noch zwei weitere Listen: »Tentative List of Jewish Periodicals in Axis-Occupied Countries« (Jewish Social Studies, IX, 1947) und »Addenda and Corriegienda to Tentative List of Jewish Cultural Treasures in Axis-Occupied Countries« (Jewish Social Studies, X, 1948). Für die Fragebögen vgl. »Salo Baron Papers« (Stanford University, Manuscript Division). 30 | Darüber hinaus enthält diese Liste auch eine Aufzeichnung der nationalsozialistischen Institutionen, die so genannte »Judenforschung« betrieben haben und zu diesem Zwecke Bücher aus jüdischen Beständen beschlagnahmten. Das Hauptaugenmerk liegt also in erster Linie auf beweglichen Gegenständen wie beispielsweise auf Büchern, Dokumenten oder Kulturgegenständen.
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Die Arbeit der »Jewish Cultural Reconstruction« | 55 jüdische Studentenbibliotheken in Wien, die Bibliothek des »Consistoire Israelite« in Sofia, die Gemeindebibliothek in Tallin, kleine Bibliotheken in Venedig, große Bibliotheken in Riga sowie Bibliotheken in Kaunas (wo sich die Mapu-Bibliothek befand, die mehr als 15.000 Bände enthielt).31 Beim Betrachten dieser Inventur jüdischen Kulturguts zieht die Vielfalt und Verbreitung von jüdischem kulturellem Leben in Europa gleichsam vor den Augen des Lesers vorbei – wobei dieses Leben mit dem Holocaust aufgehört hat zu existieren. Diese Listen32 stellen ein Testament für ein kulturelles Leben dar, welches mit grausamen Mitteln ausgelöscht worden ist. Mit ihrer Hilfe gelang es den Mitarbeitern der »Jewish Cultural Reconstruction«, jüdische Kulturschätze aus dem Offenbacher Depot sicherzustellen. Es ging dabei vor allem darum zu vermeiden, dass diese Bücher und andere Kulturgegenstände in die Länder zurückgeschickt wurden, aus denen sie kamen, was vor allen Dingen für Osteuropa galt, wo so gut wie keine Juden mehr lebten. Baron wollte, dass die »Jewish Cultural Reconstruction« die Körperschaft werden sollte, die das Recht hatte, diese nun erblosen Kulturschätze zu verwalten. Damit sind wir auch wieder bei der Diskussion, inwieweit Kulturbesitz territorial definiert werden kann. Die Liste zeigt den jüdischen Kulturbesitz nach Ländern auf, aber gleichzeitig war offensichtlich, dass das Band zwischen den Menschen und dem Territorium zerbrochen war. Wenn nun eine jüdische Organisation, deren Mitglieder zwar teilweise aus Europa stammen, aber dort nicht mehr leben, diesen Kulturbesitz nicht mehr territorial, sondern ethnisch deutet, sehen wir darin den Beginn, jüdischen Kosmopolitismus auch rechtlich festzulegen und die Kriterien des Kulturbesitzes neu zu definieren. 1949 wurde Arendt Geschäftsführerin der »Jewish Cultural Reconstruction«, eine Funktion, die sie bis etwa 1952 einnahm und in deren Rahmen sie ihre ersten Reisen nach Deutschland nach 31 | Allein die Liste für Polen ist mehrere Seiten lang. Aufgelistet als Posten Nr. 266 ist die jüdische Gemeindebibliothek von Drohobych. Unter der Leitung von Hannah Arendt wurde darüber hinaus auch eine Liste der jüdischen Erziehungseinrichtungen wie Schulen und Kindergärten angefertigt, wobei natürlich die Schulen in Osteuropa hervorstechen, weil dort jüdische Kultureinrichtungen nach dem Ersten Weltkrieg noch eine gewisse kulturelle Autonomie genossen. 32 | Es wurden noch weitere Listen von jüdischen Zeitschriften, Verlagen und Verlagshäusern angefertigt.
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56 | Gedächtnisraum Europa dem Krieg unternahm. Dass die »Jewish Cultural Reconstruction« die Verwaltung des europäischen jüdischen Erbes übernehmen konnte, war keineswegs selbstverständlich. Baron bat seinen Freund und Kollegen Jerome Michael, einem Juraprofessor an der Columbia Universität, die Rechtslage mit den amerikanischen Behörden zu klären. Im Sommer 1946 trat Michael in einen Briefwechsel mit dem amerikanischen Außenministerium, der die Rechtslage der Juden als Kollektiv entscheidend verändern sollte – wobei es auch um die Zukunft von jüdischem Leben in Europa nach 1945 ging.33 Michael betonte, dass die neuen Zentren jüdischen Lebens nun in den Vereinigten Staaten und Palästina seien, wo sich die Überlebenden hin geflüchtet haben. Die jüdischen Kulturgüter müssten deshalb aus Europa herausgeschafft werden und dürften niemals mehr dazu benutzt werden, Krieg gegen die Juden zu führen. Michael musste die Amerikaner davon überzeugen, dass alteingesessenes Eigentumsrecht hier nicht zutrifft. Die amerikanische Regierung akzeptierte diese Lösung bzw. diesen Vorschlag jedoch nicht auf Anhieb. Lange Verhandlungen folgten, in deren Rahmen Salo Baron und Jerome Michael unter dem New Yorker Gesetz 1947 eine eingeschriebene Organisation – eben die »Jewish Cultural Reconstruction« – gründeten. In deren Rahmen nahmen noch weitere jüdische Organisationen wie das »American Jewish Committee«, die »American Jewish Conference«, das »American Jewish Joint Distribution Committee«, der »Board of Deputies of British Jews«, der »Council for Protection of Rights and Interests of the Jews from Germany«, die Hebräische Universität in Jerusalem und der »Synagogue Council of America« teil.34 Die amerikanischen Behörden akzeptierten Anfang des Jahres 1949 nach einigen Klarstellungen die neue Rechtslage des jüdischen Kulturbesitzes und erlaubten der »Jewish Cultural Reconstruction« – wenn auch unter einigen Auflagen –, diesen zu betreuen. Die Organisation wurde damit beauftragt, als Treuhänderin für das jüdische Volk aufzutreten, das heißt, nicht identifizierbare Bücher, Archivmaterial, Dokumente, Kulturobjekte und anderes 33 | Der Briefwechsel zwischen Jerome Michael und dem Assistant Secretary of State General J.H. Hildring befindet sich in den Papieren der »Jewish Cultural Reconstruction« (»Salo Baron Papers«, Stanford University). Dazu auch Kurtz (2006: 155-159). 34 | Zu den Verhandlungen zwischen den einzelnen Organisationen vgl. die »Salo Baron Papers« (Stanford University).
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Die Arbeit der »Jewish Cultural Reconstruction« | 57 Kulturgut zu verwalten und dieses im Interesse des jüdischen Volkes zu verteilen. Die amerikanischen Behörden stellten zudem klar, dass die Organisation nicht mit anderen Ländern wie in Osteuropa in Verhandlung treten könne, sondern rechtlich auf die amerikanische Besatzungszone beschränkt sei. Das Depot in Offenbach sollte bis Ende 1949 geleert werden. Auf diese Weise wurden die Bücher Teil der großen Wanderung aus Europa.35 Die Hebräische Universität in Jerusalem schickte bereits im Sommer 1946 ihre Vertreter nach Europa, um die Lage der dort aufgefundenen Bücher zu erforschen. Das wohl bekannteste Mitglied dieser Gesandtschaft war Gershom Scholem, der aus Berlin stammende Forscher jüdischer Mystik und Geschichte (geb. 1897), der bereits 1923 nach Palästina auswanderte und zudem zu Walter Benjamins besten Freunden zählte. Scholem hielt sich einige Monate in Europa auf, unter anderem in Offenbach.36 Wie Baron und Arendt war auch er ein Kritiker der Assimilationsperspektive. Im Gegensatz zu diesen zog er daraus jedoch die zionistische Konsequenz. Das Verhältnis Scholem/Arendt stellt ein gelebtes Zeichen für zwei jüdische Intellektuelle aus Deutschland dar, die beide der Assimilation kritisch gegenüberstehen, die beide versuchen, einen bestimmten Weg des jüdischen Nationalismus zu finden, und die sich beide natürlich auch über den besseren jüdischen Weg nach dem Holocaust streiten. Beide wollten einen bestimmten Weg, eine 35 | Bernhard Haller, einer der vor Ort verantwortlichen Leiter der »Jewish Cultural Reconstruction«, beschreibt in seinem Feldbericht vom 25. Juli 1949 die langsame Auflösung des Depots. Dieser Feldbericht befindet sich gemeinsam mit den anderen Feldberichten – auch die von Arendt verfassten – im Archiv von Salo Baron (»Salo W. Baron Papers«, Stanford University). Dort berichtet er von der Arbeit mit deutschen Helfern, die bei der Sichtung und Registrierung des Materials mitgearbeitet haben. Haller betont, dass er in der Rückführung der geraubten Bücher durch deutsche Arbeiter eine Form der Restitution sieht. 36 | Scholem fertigte einen längeren Bericht an, der als »Report of Prof. G. Scholem on his mission to Europe concerning the libraries of the Diaspora« im Archiv der »Jewish Cultural Reconstruction« in Stanford vorliegt. Eine Kurzfassung dieses Berichts wurde von Scholem in der Zeitung »Haaretz« am 5.10.47 veröffentlicht (deutsch in Scholem 1994: 472478). Dazu vgl. auch Adunka (2002) sowie Schidorsky (2006). Zu Scholems erstem Besuch in Offenbach und eine fast schon abenteuerlich erzählte Geschichte vgl. Friedman (1990).
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58 | Gedächtnisraum Europa bestimmte Richtung des europäisch-jüdischen Kosmopolitismus entwickeln. Die Katastrophe hat hier, so kann man sagen, den kosmopolitischen Akteur geschaffen. Man kann sehen, dass die Aktivisten der »Jewish Cultural Reconstruction« durch ihre Tätigkeit bestimmten, wie das jüdische Volk konstituiert wird, wie jüdischer Kulturbesitz definiert wird, was jüdisches Kulturgut eigentlich bedeutet und wie das Verhältnis der jüdischen Kultur zu ihrer europäischen Umgebung geregelt ist. Gleichzeitig wird eine jüdische Politik geschaffen, die klare Forderungen stellt – und zwar als Kollektiv. Es ging nicht mehr um gleiche Rechte, sondern um partikulare Ansprüche innerhalb des jüdischen Kollektivs. Arendt und Scholem reisten nicht als ehemalige deutsche Juden nach Deutschland, sondern als Juden, die gegenüber den Deutschen als Vertreter eines Kollektivs auftraten. Hier war auch ein völkerrechtlicher Durchbruch im Spiel, der die kollektiven Ansprüche der Juden anerkannte – die Katastrophe hatte aus dem jüdischen Volk eine Rechtseinheit gemacht.37 Scholems Reise trug melancholische Züge. Ebenso wie Hannah Arendt beklagt er in seinem Bericht an vielen Stellen den Verlust der jüdischen Kultur in Europa. Über der gesamten Aktion lag gewissermaßen die Atmosphäre der europäischen Leere. So schreibt Arendt am 20. Mai 1946 in einem Brief an Scholem: »Sie sind wohl schon in Frankfurt. Die Traurigkeit in Paris muss ein Albtraum gewesen sein. Ich wünschte, ich hätte mit Ihnen sein können – was auch nichts geholfen hätte. Aber manchmal hilft ein Zeuge vergangener Tage wenigstens über die Irrealität der Melancholie hinweg.«
Zu der Zeit, als Arendt in Deutschland verhandelte, war sie schon keine deutsche Staatsbürgerin mehr, aber auch noch keine Amerikanerin (erst 1951 wurde sie zu einer amerikanischen Staatsbürgerin). Sie verhandelte vielmehr als staatenlose Jüdin. Die Berichte, auf die wir uns hier beziehen, sind ein gutes Beispiel für das selbstbewusste Auftreten Arendts, die im Auftrag des jüdischen Volkes mit deutschen Bibliothekaren und Museumsverwaltern verhandelte. Sie wusste, dass sie auf den guten Willen dieser Menschen angewiesen ist, denn nach dem Krieg tauchte viel jüdisches 37 | Arendt schrieb mehrere vertrauliche »Feldberichte« über ihre Tätigkeit. Diese Berichte sind bisher unveröffentlicht geblieben und finden sich in den »Salo Baron Papers« (Stanford University).
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Die Arbeit der »Jewish Cultural Reconstruction« | 59 Kulturgut in eben diesen deutschen Institutionen auf. Und sie wusste auch, dass diese Bibliotheken nicht gerade enthusiastisch auf Appelle reagieren würden, dieses Kulturgut der »Jewish Cultural Reconstruction« zur Verfügung zu stellen.38 Der heikelste Teil der Arbeit drehte sich um das Verhältnis zu den neu entstandenen jüdischen Gemeinden in Deutschland. Arendt glaubte nicht, dass diese Gemeinden in der Tat kulturelle Bedürfnisse haben. Sie sah vielmehr eine deutliche »Gefahr« darin, dass die Bücher in deren Hände fallen könnten. Allen Beteiligten in der »Jewish Cultural Reconstruction« war daran gelegen, dass dies unter allen Umständen zu vermeiden ist.39 Die meisten Juden innerhalb und außerhalb Deutschlands waren zu dieser Zeit davon überzeugt, dass die jüdische Präsenz hier nur noch vorübergehend existieren würde. In der Korrespondenz zwischen allen Beteiligten ist diesbezüglich immer wieder von »Geistergemeinden« die Rede. Die Gemeindemitglieder selbst wurden von Arendt auch wiederholt zur Zusammenarbeit mit der »Jewish Cultural Reconstruction« aufgefordert – unter anderem deshalb, weil sie laut Arendt mit dem vielen Material nicht wirklich etwas anfangen könnten. Lebendige Tradition könne es nur da geben, so ihre Argumentation, wo auch Juden lebten. Entsprechend wurden diese Gemeinden von den jüdischen Nachfolgeorganisationen außerhalb Deutschlands erst gar nicht als solche anerkannt. Noch einige Jahre zuvor beschrieb Arendt Kafkas Landvermesser K. mit den Worten, dass es nicht seine Schuld sei, dass diese Gesellschaft keine menschliche mehr war und dass der in sie ver38 | Entsprechend besorgt zeigte sich Arendt im Dezember 1949, als sie von ihren Verhandlungen mit dem Direktor der Frankfurter Stadt- und Universitätsbibliothek berichtete, dass etwa 100.000 Bücher nicht-jüdischen Inhalts, die aus ehemaligem jüdischen Besitz stammten, dem hessischen Kultusministerium übergeben worden sind, um sie an deutsche Bibliotheken weiter zu verteilen. 39 | Arendt berichtet in diesem Zusammenhang von einem Treffen, das sie im Januar 1950 mit dem bayerischen Landesverband der Jüdischen Gemeinden zusammenführte. Es scheint dabei zu einer Art Übereinkunft gekommen zu sein, anhand derer die Gemeinden der »Jewish Cultural Reconstruction« das gesamte Material zur Verfügung stellen, für das sie keine Verwendung haben. Auf der anderen Seite wird der Landesverband die »Jewish Cultural Reconstruction« informieren, worin genau seine kulturellen Bedürfnisse liegen.
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60 | Gedächtnisraum Europa schlagene Mensch, wenn er guten Willens war, wie eine Ausnahme, wie ein Heiliger oder wie ein Irrsinniger wirken musste. In dieser Hinsicht war die Arbeit der »Jewish Cultural Reconstruction« ständig auf den guten Willen anderer angewiesen. Arendts Kollege Scholem glaubte weniger an diesen guten Willen. In diesem Zusammenhang schrieb Arendt im Februar 1950 an ihn: »Misstrauen ist durchaus am Platze, aber es gibt auch ein Misstrauen, dass so blind sein kann, wie blindes Vertrauen. […] Anders ausgedrückt, man kann sich auf den Standpunkt stellen, alle lügen, alle verbergen, keiner ist guten Willens – aber dann ist man auch am Ende nicht nur des Gesprächs, sondern auch aller möglichen Aktionen.«40
Für Arendt hieß jüdische Politik nach dem Holocaust, als Jude gleichberechtigt mit den Deutschen reden zu können. Scholem stimmte ihr durchaus zu. Auch er glaubte, dass »Juden gerade als Juden zu den Deutschen sprechen, im vollen Bewusstsein des Geschehenen und ohne Grenzverwirrung« (Scholem 1962: 20). Die einzige Antwort auf das, was geschehen ist, blieb kollektives jüdisches Handeln. Nur so konnte man das Judentum von der Last der Geschichte befreien. Arendts Bemühungen um die Rettung jüdischer Kultur war auch eine jüdische Antwort auf den Zionismus, der forderte, dass jüdisches Leben nur im zukünftigen Israel möglich sei. Jüdischer Kulturbesitz war nun nicht mehr an Territorium oder Staatlichkeit gebunden, sondern an transnationale Religion und Ethnizität. Man konnte jüdische Kultur nicht mehr einfach in Länder zurückschicken, in denen es kein jüdisches Leben mehr gab. Arendt und Scholem waren sich einig, dass die Zeit der jüdischen Kultur und Politik in Europa vorbei sei und sich nun in der Spannung zwischen Israel und den USA weiterentwickelt. Beide konnten sich ein Wiederaufleben jüdischen Lebens in Europa nicht vorstellen. Die an der »Jewish Cultural Reconstruction« arbeitenden Juden beschlossen, dass 40 Prozent des Materials nach Jerusalem, 40 Prozent in die USA und der Rest in die westliche Welt geschickt werden sollten. Dies geschah in Übereinstimmung mit dem Ge40 | Dieser Brief ist Teil der Korrespondenz zwischen Arendt und Scholem im Rahmen der »Jewish Cultural Reconstruction«, die sich im »Gershom Scholem Archiv« der Hebräischen Universität in Jerusalem befindet: »Jewish Cultural Reconstruction« 4-793-288.
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Die Arbeit der »Jewish Cultural Reconstruction« | 61 fühl, dass sich das jüdische Leben nach dem Krieg in diese neuen Zentren verlagert hatte. Ebenso konnte jüdisches Leben nicht mehr nach dem alten Gleichheitsprinzip organisiert werden. Weder die Repatriierung der Menschen noch die ihrer Kultur war möglich. Natürlich sollte man nicht vergessen, dass sich die »Jewish Cultural Reconstruction« nur um einen kleinen Bruchteil der jüdischen Kulturgüter kümmern konnte. Der Großteil der Millionen und Abermillionen von Büchern war – wie die Menschen und ihre Kultur – für immer aus Europa verschwunden. Die »Jewish Cultural Reconstruction« konnte lediglich einige hunderttausend Bücher retten. Obwohl die Berichte von Arendt nie veröffentlicht wurden, gab es doch eine andere Form des Berichts, den Arendt 1950 in der amerikanisch-jüdischen Zeitschrift »Commentary« veröffentlichte (Arendt 1950).41 Dieser Artikel, in den sie wohl ihre Erfahrungen mit der Arbeit der »Jewish Cultural Reconstruction« einarbeitete, ohne sie je zu erwähnen, stellt ihre persönliche Abrechnung mit Deutschland dar. Über Europa liegt ein Schatten tiefer Trauer, schreibt sie, aber sie könne nicht glauben, dass niemand über die Tragödie reden will. Sie stellt eine abgrundtiefe Gleichgültigkeit fest, eine Herzlosigkeit angesichts der Tragödie und eine brutale Weigerung, sich dem Geschehenen zu stellen. Kein Mitgefühl für die ermordeten Juden finde sich hier, sondern eine wehmütige Reaktion, die wohl in den nächsten Jahrzehnten symptomatisch für die judenlose europäische Erinnerung werden wird: »Warum muss die Menschheit immer nur Krieg führen?« (Ebd.: 45) Sie macht eine Selbstverliebtheit mit der Ohnmacht und ein Scheitern des Entnazifizierungsprogramms aus. Über dem gesamten Text liegt ein Mantel verzweifelter Traurigkeit, eine Traurigkeit, die direkt an ihr Essay über Kafka und den Landvermesser K. anschließt, der seiner Umwelt gegenüber guten Willen zeigte. Aber es ging um mehr als das. Arendt war überzeugt davon, dass die Judenvernichtung nicht in normale historische Konzepte eingeordnet werden kann. Darüber sprach sie auch 1964 in einem Fernsehinterview mit Günter Gaus: »Das ist der eigentliche Schock gewesen. Vorher hat man sich gesagt: Nun ja, man hat halt Feinde. Das ist doch ganz natürlich. Warum soll ein Volk 41 | Dieser Aufsatz liegt in deutscher Übersetzung als »Besuch in Deutschland« vor in Arendt (1999a: 43-70).
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62 | Gedächtnisraum Europa keine Feinde haben? Aber dies ist anders gewesen. Das war wirklich, als ob der Abgrund sich öffnet. Weil man die Vorstellung gehabt hat, alles andere hätte irgendwie noch einmal gutgemacht werden können, wie in der Politik ja alles einmal wieder gutgemacht werden kann. Dies nicht. Dies hätte nie geschehen dürfen. Und damit meine ich nicht die Zahl der Opfer. Ich meine die Fabrikation der Leichen und so weiter – ich brauche mich darauf ja nicht weiter einzulassen. Dieses hätte nicht geschehen dürfen. Da ist irgendetwas passiert, womit wir alle nicht fertig werden. Über alle anderen Sachen, die da passiert sind, muss ich sagen: Das war manchmal ein bisschen schwierig, man war sehr arm, und man war verfolgt, man musste fliehen, und man musste sich durchschwindeln und was immer; wie das halt so ist. Aber wir waren jung. Mir hat es sogar noch ein bisschen Spaß gemacht. Das kann ich gar nicht anders sagen. Dies jedoch, dies nicht. Das war etwas ganz anderes. Mit allem andern konnte man auch persönlich fertig werden.« (Arendt 1996: 59f.)42
Worin bestehen die Konsequenzen, wenn sich jüdische und nichtjüdische Erinnerung an den Holocaust nicht überschneiden können? Wie kann der ethnisch eingestellte Blick des Opfers für das ›entortete‹, sich globalisierende und damit letztlich kosmopolitische Gedächtnis geöffnet werden? Und was geschieht, wenn sich die Opfer dieses Blicks verweigern? Welche Rolle spielen dabei die seit einiger Zeit zu beobachtenden Prozesse der politischen Vergebung? Die in den letzten Jahren zu beobachtende globale Politik sowie der (globale) Diskurs über Schuld und Vergebung können dabei Schlüssel für ein solches Verständnis von nicht geteilter Vergangenheit sein. Damit wird die lineare Zeitfolge des Nationalstaates durchbrochen. Ein skeptisches Geschichtsnarrativ betont plötzlich das vergangene Unrecht der eigenen Nation. Man wird sozusagen ›schuldig‹. Dies sind Prozesse, die schon früh von Kafka aufgegriffen und von Arendt weiterentwickelt wurden. Das heißt auch, die Geschichte (und die Erinnerungen) des ›Anderen‹ anzuerkennen und in die eigene Geschichte zu integrieren. Dies heißt aber nicht, dass es zu einer gemeinsamen Geschichte kommen muss. So schreibt Scholem 1962:
42 | Natürlich hat Arendt dies in ihren Schriften auch theoretisch ausformuliert. Vgl. insbesondere ihre Studie über den Totalitarismus (Arendt 1955).
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Die Arbeit der »Jewish Cultural Reconstruction« | 63 »Nachdem sie als Juden ermordet worden sind, werden sie nun in einem posthumen Triumph zu Deutschen ernannt, deren Judentum zu betonen ein Zugeständnis an die antisemitischen Theorien wäre. Welche Perversion im Namen eines Fortschritts, der den Verhältnissen ins Auge zu schauen nach Möglichkeit vermeidet.« (Scholem 1962: 22)
Ironisch ist hierbei, dass dies insbesondere für Arendt der Fall war, dieselbe Arendt, die zwei Jahre nach der Veröffentlichung von Scholems Essay Kafkas jüdisches Mauscheln als Teil der deutschen Literatur anerkannt hat. Aber zu diesem Zeitpunkt sprachen Scholem und Arendt nicht mehr miteinander. Ihr Verhältnis war zu Beginn der 60er Jahre über die Frage des jüdischen Partikularismus in die Brüche gegangen. Mehr als zehn Jahre zuvor noch haben sie beide gemeinsam an dem großen Projekt der »Jewish Cultural Reconstruction« gearbeitet.
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Das europäische Nürnberg: Europa ohne Juden
Nach dem Krieg, als Arendt von ihrem ehemaligen Lehrer und Doktorvater Karl Jaspers gefragt wurde, ob sie nicht nach Deutschland zurückkehren und an der Zeitschrift »Die Wandlung« mitarbeiten wolle, antwortete sie ihm am 29. Januar 1946: »Sie werden mich nicht missverstehen, wenn ich ihnen sage, dass es für mich nicht ganz leicht ist, an einer deutschen Zeitschrift mitzuarbeiten. Sehen Sie, ich bin sicher unglücklich genug über die verzweifelte Entschlossenheit der Juden, Europa zu verlassen […]. [I]ch bin auch verängstigter als ich sagen möchte über die drohende Möglichkeit weiterer Katastrophen, vor allem in Palästina, angesichts des Verhaltens anderer Regierungen und unserer eigenen Selbstmordneigungen in der Politik. Eines aber erscheint mir klar: wenn Juden in Europa bleiben sollen können, dann nicht als Deutsche oder Franzosen etc., als ob nichts geschehen sei. Mir scheint, keiner von uns kann zurückkommen (und Schreiben ist doch eine Form des Zurückkommens), nur weil man nun wieder bereit scheint, Juden als Deutsche oder sonst was anzuerkennen, sondern nur, wenn wir als Juden willkommen sind […].« (Arendt/Jaspers 1985: 68f.)
Das ist eine klare Antwort an Jaspers, der versucht hat, Arendt davon zu überzeugen, als Mensch zu schreiben: »Ob Sie für uns [Jaspers meint hier die Zeitschrift »Die Wandlung«; Anm. d. Verf.] einen Aufsatz schreiben möchten? […] Worüber, das stände bei Ihnen. Ob Sie etwas aus dem schreiben könnten, was uns – ich meine Amerikaner und Europäer und darunter auch Deutsche – wirklich über die Schranken hinweg verbindet.« (Ebd.: 62)
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66 | Gedächtnisraum Europa Arendt wollte nicht mehr über die Schranken hinweg verbunden werden. Die Aufklärung war gescheitert, und der neue politische Kosmopolitismus musste davon ausgehen. Aber auch Jaspers war sich dessen bewusst. Er war mit einer jüdischen Frau verheiratet. Diese so genannte »Mischehe« hat ihm in der Nazi-Zeit seine Stellung und beinahe sein Leben gekostet. Nach dem Krieg wurde er zu einem der führenden Intellektuellen Deutschlands, der nicht nur versuchte, die Universitäten wieder ans Licht zu führen, sondern den langsamen Weg der intellektuellen Westanbindung Deutschlands begann. Und das, obwohl er sehr bald in die Schweiz auswandern sollte. Jaspers präsentiert, so kann man hier sagen, den neuen europäischen Kosmopolitismus, dem wir im Verlauf dieses Essays bereits begegnet sind und auch weiterhin begegnen werden. Arendt versuchte Jaspers zu erklären, dass Versöhnung, Vergebung und Kosmopolitismus nach dem Holocaust nur über die Anerkennung dessen, dass Juden keine Deutsche mehr sein können, funktionieren kann. Es geht nicht mehr um Herrn K., der in das Schloss eingelassen werden will und vor Erschöpfung stirbt. Juden müssen als Juden anerkannt werden. Zwei Jahre vor diesem Brief schrieb Arendt über Kafka: »Er schildert das wirkliche Drama der Assimilation und nicht ihr verzerrtes Widerspiel. In ihm kommt jeder Jude zu Wort, der wirklich nichts will als sein Menschenrecht: Heim, Arbeit, Familie, Mitbürgschaft. Er wird geschildert, als gäbe es ihn nur ein einziges Mal auf der Welt, als wäre er der einzige Jude weit und breit, als wäre er wirklich ganz allein.« (Arendt 1976: 72)
Die Vernunftprinzipien der Aufklärung haben Juden als Juden die Aufnahme in eine universale Menschheit verweigert. Sie mussten alleine bleiben und waren damit auch schutzlos. Nach dem Holocaust war dies nicht mehr möglich – und jüdische Intellektuelle wie Arendt haben das erkannt. Das heißt auch, dass diese postaufklärerischen Versöhnungsprozesse immer ein Risiko sein können, sie können fehlschlagen und abgelehnt werden, ja sogar die Gegner mobilisieren. In der nationalstaatlichen Moderne war die Unterscheidung zwischen der Tätererinnerung und der Opfererinnerung ein wichtiger Aspekt des gegenseitigen Unverständnisses und diente der Abgrenzung voneinander. In der globalen Moderne nun entsteht die Perspektive eines Kompromisses, der von der Aner-
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Das europäische Nürnberg: Europa ohne Juden | 67 kennung der Geschichte des jeweils Anderen getragen wird. Dieser Akt der Versöhnung wird mitsamt den damit verbundenen Konflikten zum zentralen Erinnerungserlebnis. Die Vereinnahmung des Anderen entschärft die Unterscheidung zwischen den Erinnerungen der Täter und der Opfer. Somit entstehen in der globalen Moderne aus Kommunikation und Interdependenz eine neue moralisch-politische Verantwortung sowie, darüber hinausgehend, neue kosmopolitische Sensibilitäten. Die Globalisierung dieser Norm und die Kosmopolitisierung der Holocaust-Erinnerung sind mittlerweile zu einem integralen Bestandteil der europäischen Politik und Zivilgesellschaft geworden. Die Erinnerung an den Holocaust wird zu einer europäischen Erinnerung, die Europa dazu verhelfen kann, ein eigenes (wenn auch negatives) Wertesystem zu entwickeln. Europa steht damit vor einer völlig neuen Situation: In Europa fand der Holocaust statt. In der gesamteuropäischen Erinnerung nimmt der Holocaust einen zentraleren Stellenwert ein als all die anderen Ereignisse des Zweiten Weltkrieges. Im Zweiten Weltkrieg kämpften Staaten gegeneinander, und Deutschland wurde von den Alliierten besiegt. Im Holocaust waren es der deutsche Ethno-Nationalismus und seine Verbündeten, die die jüdische ›staatenlose‹ Kultur ausrotten wollten. Nach dem Krieg sahen sich die meisten Europäer aus opportunen Gründen als Widerstandskämpfer gegen die Nazis. Die Nürnberger Prozesse verstärkten nur noch das Nachkriegsbewusstsein für den Kampf der Menschlichkeit gegen die Auswüchse des deutschen Chauvinismus, des Nationalsozialismus. Aber diese, von den Alliierten ›von oben‹ aufgedrängte, kosmopolitische Interpretation wurde durch den Kalten Krieg unterbrochen. Jener drängte Europa und die Verbündeten in ein Ost-West-Gefälle hinein, in dem der Holocaust verortet wurde. Die Erinnerung wurde sozusagen renationalisiert. Das Ende des Kalten Krieges hat die Parameter der Nachkriegszeit grundlegend verändert und die Schaffung eines entorteten und kosmopolitischen Wertesystems möglich gemacht, welches dann auch außerhalb Europas zum Tragen kommt. Und die Erinnerung an den Holocaust stellt einen wesentlichen Aspekt dieser Entwicklung dar. Es handelt sich dabei allerdings nicht um eine Erinnerung, aus der vergangenheitsbezogene, formative Gründungsmythen geschaffen werden, es geht hier vielmehr um zukunftsweisende Erinnerungen. Diskussionen um neue postnationale Gemeinschaften konzentrieren sich meist auf die Zukunft, wobei die Kernfrage lautet: Wie können Risiken einge-
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68 | Gedächtnisraum Europa schränkt werden? Die Möglichkeit postnationaler Solidarität beruht zumeist auf der politischen Anerkennung und medialen Vermittlung von grenzüberschreitenden Risiken sowie auf zivilgesellschaftlichen Initiativen gegen diese. Durch die neuen Kriege kommt jedoch ein neues, weiteres Risiko dazu: Völkermord. In diesem Zusammenhang besinnt sich Europa der Vergangenheit des Holocaust. Kosmopolitismus schafft somit auch den Raum für eine Moralisierung der Politik, die sich nicht mehr allein auf das nationale »Wir« berufen kann. Dies eröffnet wiederum den Raum für kosmopolitische Erinnerungen. Der Holocaust ist das Ereignis, welches diesen Wert der kosmopolitischen Erinnerung am besten ausdrückt, da das Ereignis selbst ein transnationales Verbrechen und daher ein Angriff auf den Kosmopolitismus war. Bezeichnenderweise gewinnt dieser Prozess gerade in dem Augenblick an Zuspruch, da einzelne europäische Staaten nicht mehr umhin können, sich mit ihrem eigenen Verhalten während des Zweiten Weltkrieges auseinanderzusetzen. Im globalen Zeitalter muss man sich nicht nur nach innen, sondern ebenso nach außen legitimieren. Aber all diese Entwicklungen entfernen sich von den jüdischen Opfern des Holocaust, die in dieser kosmopolitischen Perspektive im Nahmen der »Menschheit« nochmals geopfert werden. Es handelt sich dabei um eine radikale christliche Vereinnahmung der jüdischen Katastrophe, die sich aber gleichzeitig als fortschrittlich und frei von ethnischen Bindungen präsentiert. Der Satz »Nie wieder Auschwitz« ist im Laufe der letzten drei Jahrzehnte zu einer nationenübergreifenden Gewissheit geworden. Der Holocaust wurde zum Inbegriff des Bösen, und die Bekämpfung von Verbrechen gegen die Menschheit vor dem Hintergrund von allgemeinen Menschenrechten zum neuen Credo der »zivilisierten« Welt. Im Zuge dieser Deutung ist der Holocaust zu einem entkontextualisierten Ereignis geworden, zu einer Ikone, die von ihren temporalen und räumlichen Kontexten getrennt und zu einem Symbol für Menschenrechtsverbrechen schlechthin gemacht wurde. Die Zukunft des Holocausts (und nicht seine eigentliche Vergangenheit) wird jetzt in universalen Kategorien verstanden. Der Holocaust wird zu einem holocaust, und so zu einem entkontextualisierten Symbol. Genozid, ethnische Säuberungen und der Holocaust werden zu einem a-politischen und a-historischen Ereignis. Diese Übertragung von Holocaust-Erinnerungen auf Menschenrechtsverbrechen im Allgemeinen hat dazu beigetragen, das Nürnberger Konzept von »Verbrechen gegen die Menschheit« in
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Das europäische Nürnberg: Europa ohne Juden | 69 eine globale Arena zu tragen. Wenn Menschenrechte überhaupt etwas tun, dann beschränken sie die Macht, die die Regierenden über ihre eigenen Bürger haben. Der eigentliche Grund ihrer Existenz liegt in der Annahme, dass Regierungen die eigentlichen Verbrecher sind. Durch Menschrechtskonventionen befreien sich Individuen also auch von der souveränen Herrschaft ihrer Staaten. Die aus dem nationalen Container befreite Geschichte betont im Gegensatz zur althergebrachten Ruhmesgeschichte das in der Vergangenheit geschehene Unrecht. Die kollektive Erinnerung als eine Erinnerung an Schuld – einst das Monopol der westdeutschen Nachkriegsgeschichte – wird immer mehr zu einem Faktor in der internationalen Politik. Dies lässt sich besonders gut an der Bereitschaft von Nationen beobachten, ihre eigene Schuld anzuerkennen. Gleichzeitig wird von ehemaligen Opfern »Vergebung« eingefordert. »Schuld und Sühne« werden sozusagen aus ihrem theologischen Rahmen gerissen und zu einem Politikpfeiler der globalen Moderne gemacht. Das Schuldbekenntnis allein weist auf einen gewissen Verlust der Staatssouveränität hin. Die durch den Holocaust kosmopolitisierte Erinnerung ist eine Voraussetzung für diese Dynamik und bietet die Gelegenheit, ein kosmopolitisches Gedächtnis zu schaffen, das über jeden Konflikt erhaben ist. Dies zeigt sich auch darin, dass das Infragestellen und Leugnen des Holocaust eine Straftat darstellt, die entsprechend verfolgt wird. Die Affinität zwischen der kosmopolitischen Erinnerung und den unterschiedlichen Forderungen, vergangenes Unrecht anzuerkennen, besteht vor allem darin, die Geschichte (und die Erinnerungen) des ›Anderen‹ zu respektieren. Politische Eliten und weite Teile der Bevölkerung akzeptieren heute die Selbstanklage und die Schuld ihrer Nation als einen moralischen Standard. Diese Perspektive, in deren Zusammenhang die Vergebung von Schuld eine große Rolle spielt, drängt das Narrativ der selbstgerechten Nation in den Hintergrund. Versöhnung wird zum politischen Ziel – nicht zuletzt deshalb, weil sie umstritten ist.
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Zürich und Wilna: Die verallgemeinerte Schuld
Die Diskussion über die Problematik von Schuld und Versöhnung begann unmittelbar nach den Ereignissen des Holocaust. Karl Jaspers und Hannah Arendt versuchten, einen Zusammenhang zwischen der politischen Verantwortung eines Kollektivs und persönlicher Schuld herzustellen (Arendt 1976: 35-49; Jaspers 1946).43 Jaspers wollte aus den Deutschen ein universales Volk von Pariahs machen, während Hannah Arendt den Partikularismus der Juden betonte. Beide Sichtweisen stellten mehr oder weniger notwendige Konsequenzen aus der Erfahrung des Holocaust dar, beide waren sich einig, dass es kein gemeinsames Gedächtnis mehr geben konnte. In der Folge versuchten sie, persönliche Erfahrung und politische Analyse miteinander zu verknüpfen. Jaspers’ »Die Schuldfrage« (1946) ist ein zutiefst europäisches Buch. Es verallgemeinert die Schuld und war damit auch ein Faktor der Verwestlichung und Amerikanisierung Deutschlands nach dem Krieg. Jaspers nahm an den Debatten um individuelle Schuld und kollektive Verantwortung teil, wobei er insbesondere rechtliche und moralische Grundbegriffe der Schuld in den deutschen Diskurs einbrachte. Sein Buch handelt dabei zwar von deutscher Schuld, von Juden und deren Vernichtung handelt es jedoch nicht. Wie konnte ein Buch, das sich so offen mit der Schuld der Deutschen auseinandersetzt, die jüdischen Opfer völlig ignorieren? Arendt blieb das nicht unverborgen, weshalb sie am 17. August an Jaspers schrieb, dass »[…] ein solches Übernehmen der Verantwortlichkeit, 43 | Vgl. hierzu auch den Briefwechsel von Arendt und Jaspers aus dem Jahre 1946 (Arendt/Jaspers 1985).
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72 | Gedächtnisraum Europa das ja eine Vorbedingung für die Weiterexistenz des Volkes (nicht der Nation) ist, mit einer positiven politischen Willenserklärung an die Adresse der Opfer verbunden sein müsse […]« (Arendt/Jaspers 1985: 89). Sie schildert auch, wie ein kosmopolitisches Deutschland nach dem Krieg auszusehen hätte: »[…] dass wir in einer künftigen deutschen Republik unsere Abkehr vom Antisemitismus in Erinnerung dessen, was durch Deutsche dem jüdischen Volk geschehen ist, konstitutionell festgelegen werden, etwa so, dass jeder Jude, gleich wo er geboren ist, jederzeit, wenn er will, und allein auf Grund seiner jüdischen Nationalität gleichberechtigter Bürger dieses Republik werden kann, ohne darum aufzuhören, ein Jude zu sein« (ebd.).
Aber davon ist bei Jaspers Schuldessay nichts zu finden. Es bleibt ein innerdeutscher Diskurs, der in späteren Schuldanalysen zum Paradigma wurde: Jaspers’ Unterscheidung von krimineller, politischer, moralischer und metaphysischer Schuld sind heute gängige Schuldzuweisungen. Dieses Buch kann durchaus als ein Gründungsdokument der Bundesrepublik angesehen werden, da es unter anderem die Legitimität der Nürnberger Prozesse anerkannt hat und damit Deutschland den Weg nach Europa und der zivilisierten Welt ebnete. Ein Beispiel dafür, wie die Erinnerungen und Erfahrungen auseinander liefen, stellt das PEN-Treffen europäischer Schriftsteller und Dichter in Zürich im Jahr 1947 dar, auf dem Deutschland um seine Wiederaufnahme in diese internationale Organisation bat. Bei diesem Treffen waren auch jüdische Teilnehmer anwesend, die, wie der Dichter Abraham Sutzkever, der das Ghetto von Wilna überlebte, als jüdische Delegierte auftraten. Sutzkever war vielleicht einer der berühmtesten jüdischen Dichter seiner Zeit, der in Jiddisch schrieb – ein echter Mauschler im Sinne von Kafka und Arendt.44 Er sagte auch als Zeuge im Namen der russischen und litauischen Juden in Nürnberg aus. Zudem versuchte er, so viel jüdisches Kulturgut wie möglich aus der Sowjetunion zu retten und wanderte schließlich nach Israel ein, wo er versuchte, die jiddische Dichtkunst weiter zu pflegen. Für ihn galt (vielleicht im Gegensatz zu Adorno), dass man nach Auschwitz nicht nur Gedichte schreiben 44 | Über Sutzkever vgl. Hirsch (1986), Roskies (1984) sowie Wisse (1983). Auf Deutsch erschien bei Suhrkamp die Prosasammlung »Grünes Aquarium« (Sutzkever 2002).
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Zürich und Wilna: Die verallgemeinerte Schuld | 73 kann, sondern dass diese Gedichte eine Quelle der Gegenmacht zur Barbarei darstellen. Gleichzeitig kämpfte er im Untergrund. Nach dem Krieg, etwa zur gleichen Zeit, als Arendt und Scholem jüdisches Kulturgut aus Deutschland herausschafften, war Sutzkever damit beschäftigt, jüdische Kulturgüter im Rahmen des Instituts für Jüdische Forschung (YIVO – Yiddischer Visenschaftlecher Institute), welches 1925 in Wilna von Max Weinreich gegründet wurde und nach dem Krieg in New York bis heute seine Tätigkeit fortsetzt, von Wilna nach New York zu schmuggeln. Weinreich war derjenige, der Jiddisch nicht nur als Sprache erforschte, sondern als Forschungssprache durchsetzen wollte. Auch er wanderte später in die USA aus, wo er seine Tätigkeit fortsetzte.45 Als die Nazis Wilna 1941 eroberten, war der Stab von Alfred Rosenberg damit beschäftigt, die jüdischen Kulturschätze des Instituts zu sammeln und nach Deutschland zu verfrachten. Sutzkever schmuggelte mit seinen Freunden so viel wie möglich aus den Händen der Nazis heraus und brachte das Material in Sicherheit. Sie nannten sich die »Papier-Brigade« (vgl. Fishman (1998) – ihnen gelang es, etwa 5000 der wertvollsten Bücher zu verstecken. Die meisten ihrer Mitglieder wurden später von den Nazis ermordet.46 Nach der Befreiung des Ghettos von der Roten Armee planten Sutzkever und andere ein Museum, in dem die vor den Nazis geretteten Materialien gezeigt werden sollten. 25.000 jiddische und hebräische Bücher sowie 10.000 weitere, die in fast allen europäischen Sprachen verfasst waren, befanden sich unter diesen Schätzen. Dazu kamen noch 600 Säcke, die mit Dokumentationsmaterialien gefüllt waren. Die Sowjets waren jedoch an solch einem partikularen jüdischen Museum nicht interessiert. In der Folge gelang es Sutzkever, einige der geretteten Bücher in den Westen zu schmuggeln, während der Großteil des Materials in einem Magazin der litauischen Nationalbibliothek verschwand, in der es 1986 wiederentdeckt und von dort in den 90er Jahren ins 45 | Weinreich ist außerhalb seiner linguistischen Forschungen vor allem wegen seines Buches »Hitler’s Professors« bekannt, welches 1946 gleich nach dem Krieg auf Jiddisch und Englisch erschien. Das Buch liegt in Neuauflage vor (Weinreich 1999). Weinreich legt als Erster eine Studie über die Akademiker vor, die die Judenvernichtung ideologisch mitgetragen haben. 46 | Vgl. auch im größeren Zusammenhang zu Wilna und Litauen Davidowicz (1989).
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74 | Gedächtnisraum Europa YIVO-Institut nach New York gebracht wurde. Dort wurde das Material photokopiert und im Anschluss daran teilweise wieder nach Litauen zurückgeschickt. Ein Großteil der jüdischen Bibliothek ist nun in New York wieder aufgetaucht. Auch die amerikanisch-jüdische Historikerin Lucy Dawidowicz, die einige Zeit vor dem Krieg in Wilna verbrachte und nach dem Krieg nach Deutschland fuhr, um mit jüdischen Überlebenden zu arbeiten, erzählt von ihrer Arbeit im oben genannten Offenbacher Depot im Jahr 1947.47 Sie berichtet, dass sie in diesem Depot 347 Kisten mit Büchern und Dokumenten gefunden hat, die sie klar als jüdischen Besitz aus Wilna identifizierte. Sie berichtet von ihren Erinnerungen aus Wilna und der Erleichterung, die die Rettung einiger Bücher in ihr auslöste und mit der ihre Gefühle der Schuld und Leere etwas gelindert werden konnten. Nur 4000 Juden überlebten den Holocaust in Litauen, 90 Prozent der litauischen Juden wurden ermordet – aber Teile ihres kulturellen Erbes fanden den Weg nach Israel oder in die USA. Es ist gut möglich, dass sich Sutzkevers Wege mit denen von Arendt und Scholem nach dem Krieg nie gekreuzt haben, aber sie alle waren damit beschäftigt, die Reste der jüdischen Erfahrung und Sprache aus Europa zu retten. Das mag erklären, warum Sutzkever gegen die Wiederaufnahme deutscher Schriftsteller in den PEN-Klub war. Er und andere jüdische Kollegen wurden daraufhin von einer Mehrheit der PEN-Kongressteilnehmer als Versöhnungsverweigerer abgestempelt. So warf einer der deutschen Teilnehmer, Ernst Wiechert, der selbst im Lager Buchenwald inhaftiert war, den Juden vor, dass sie nicht versöhnungsbereit seien. Man kann hier also sehen, dass der heutige Versöhnungsdiskurs, den wir später näher erläutern werden, unmittelbar nach dem Krieg begann – und zwar in der gelebten Praxis jüdischer und nicht-jüdischer Intellektueller. Nach dem Plädoyer von Thomas Mann, der dort einen Vortrag über Nietzsche gehalten hatte, Deutschland doch wieder in den PEN-Klub aufzunehmen, stimmten 19 Teilnehmer dafür, neun enthielten sich. Die einzige Gegenstimme kam vom Jiddischen und
47 | Dawidowicz, die später zu einer der wichtigsten Historikerinnen des Holocaust in den USA werden sollte, erzählt davon in ihren Memoiren (Dawidowicz 1989: 299ff.). Vgl. dazu ihr Buch »The War against the Jews« (Dawidowicz 1986), das ein Standardwerk der so genannten intentionalistischen Schule darstellt.
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Zürich und Wilna: Die verallgemeinerte Schuld | 75 Hebräischen PEN-Center.48 Der PEN-Klub sollte auf Antrag der jüdischen und hebräischen Schriftsteller seine Unterstützung für die Staatsgründung Israels bekunden, was dieser jedoch aus politischen Gründen ablehnte. Die Intellektuellen und Schriftsteller votierten stattdessen für eine internationale Zusammenarbeit, die den Frieden erhalten soll. Über die Judenvernichtung selbst wollten jedoch nur die jüdischen Teilnehmer debattieren. Wie in der Schuldschrift von Jaspers, die sich an die Deutschen und Alliierten wandte, wurde die jüdische Erfahrung aus der intellektuellen Neuordnung Europas ausgeklammert. Deutschlands Schuld und die Neuordnung Europas wurden akzeptiert. Sutzkever gründete vor diesem Hintergrund in Israel die jiddischsprachige Zeitschrift »Die goldene Kette«, die dafür sorgen sollte, dass auch weiterhin in dieser Sprache gedichtet werden konnte – nicht zuletzt, um der Barbarei zu trotzen. Aber wie in Jaspers’ Schuldschrift, die Deutschland Europa näher bringen sollte und gleichzeitig Europa an Deutschland heranbrachte, so war die Veranstaltung des PEN-Klubs im Jahre 1947 ein Zeichen dafür, dass sich das jüdische und europäische Gedächtnis nicht nur nicht annäherten, sondern sich schon zu Beginn der unmittelbaren Nachkriegszeit weit voneinander entfernten. Die Folge war, dass ein kosmopolitisches Europa ohne Juden entstand.
48 | Für den Ablauf der Sitzung vgl. auch die zeitgenössische Tagespresse, etwa: »PEN builds for Peace: Authors Association Meets in Switzerland«, Christian Science Monitor vom 23. Juni 1947. Vgl. auch Wilford (1979).
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Zurück nach Nürnberg: Das neue kosmopolitische Europa
Das kosmopolitische Europa, das auf den Trümmern des Zweiten Weltkriegs entstand (vgl. Beck 2004: 252ff.), wurde von Politikern und Intellektuellen bewusst als Antithese zum nationalistischen Europa und seiner moralischen und physischen Verwüstung aus der Taufe gehoben. Für Ulrich Beck ist das der Schlüssel des neuen kosmopolitischen Europas, das damals unter anderem mit Hilfe von Karl Jaspers und seinem berühmten Buch entstand. Beck bemüht hier den britischen Kriegspremier Winston Churchill, der 1946 inmitten der Trümmer des zerstörten Kontinents ausrief: »Wenn Europa dereinst geeint wäre, […] dann würde es keine Begrenzung geben für das Glück, den Wohlstand und den Ruhm seiner 400 Millionen Menschen.« (Zit. in Beck 2004: 252) Und weiter heißt es: »Es sind die charismatischen Staatsmänner der westlichen Demokratien und bezeichnenderweise auch die Personen und Gruppierungen des aktiven Widerstandes, die über die nationalen Gräben und Massengräber hinweg im bewussten Rückgriff auf die europäische Geistesgeschichte Europa neu erfunden haben. Das kosmopolitische Europa ist ein Projekt des Widerstandes. Dieses zu konstatieren ist wichtig, weil darin zweierlei zusammentrifft: Zum einen entzündet sich der Widerstand nicht an dem Zusammenbruch (das wäre zu einfach), aber an der erfahrenen Pervertierbarkeit, Perversität der europäischen Werte. Den Ausgangspunkt bildet demgemäß gerade nicht der Humanismus, sondern der Anti-Humanismus, nämlich die bittere Einsicht, dass totalitäre Regime sich immer auf
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78 | Gedächtnisraum Europa eine Idee des ›wahren Menschen‹ gestützt haben, um so jene Menschen, die sich diesem Ideal nicht fügen wollten, auszusondern, auszuschließen, umzumodellieren oder zu vernichten. Wenn es aber nicht mehr die humane Substanz ist, die es zu retten gilt, wenn wir es mit einem dezentrierten Quasi-Subjekt zu tun haben, von dem man nicht mehr sagen kann, was es ist, was es will und was an ihm überhaupt noch unantastbar ist – was gilt es dann zu bewahren? Im Namen wessen kann man garantieren, dass es nicht verschleppt, gefoltert, getötet wird? Genau hier werden die Quellen des öffentlichen Protestes und Widerstandes wichtig, in denen sich die Bedingungen des erfahrenen Mitleidens und der verteidigten menschlichen Würde spiegeln. Das kosmopolitische Europa ist das Europa, das moralisch, politisch, ökonomisch, historisch um Versöhnung ringt. In einem entschiedenen Bruch mit der Vergangenheit sollen 1500 Jahre europäische Kriegsgeschichte definitiv beendet werden. Von Anfang an wird diese gleichsam grundlose Versöhnung weniger idealistisch gepredigt, als materialistisch verwirklicht: Das ›Glück ohne Grenzen‹, das Churchill erahnte, heißt zunächst Markt ohne Grenzen. Es soll ganz profan als Kreation von Interdependenzen in den Politikfeldern der Sicherheit, der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Kultur verwirklicht werden. Das Adjektiv ›kosmopolitisch‹ steht für diese Offenheit, begrenzt durch die Kritik des Ethnonationalismus, die für die Anerkennung der kulturellen Differenz und Diversität streitet.« (Beck 2004: 252f.)
Hier wird die kosmopolitische Position Jaspers’ akzeptiert, ein aufgeklärtes Europa ohne partikulare Interessen zu schaffen. Ethnonationalismus, wie er zur gleichen Zeit zum Beispiel in Israel entstand, wird als Barbarei der Vergangenheit abgelehnt. Dabei wird klar, dass sich in der Erinnerung an den Holocaust die Dilemmata eines institutionalisierten Kosmopolitismus zeigen. Wenn man fragt, in welchen Dokumenten und Verhandlungen dieser Ursprung studiert und dokumentiert werden kann, dann stößt man auch auf den Nürnberger Prozess, der gegen die Verantwortlichen des deutschen Nazi-Terrors geführt wurde. Der Nürnberger Prozess war der erste internationale Gerichtshof. Bemerkenswert ist, dass es die Schaffung von Rechtskategorien sowie eines Gerichtsprozesses jenseits nationalstaatlicher Souveränität erlaubte, die historische Ungeheuerlichkeit der staatlich organisierten, systematischen Judenvernichtung überhaupt in rechtliche Begriffe und gerichtliche Verfahren zu gießen, die als eine zentrale Quelle des neuen europäischen Kosmopolitismus entschlüsselt werden können – und müssen. In Artikel 6 der »Charter of the
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Zurück nach Nürnberg: Das neue kosmopolitische Europa | 79 International Military Tribunal« finden sich drei Verbrechensarten – »crimes against peace«, »war crimes« und »crimes against humanity« –, auf deren Grundlage die Nazi-Verbrechen und -Verbrecher verhandelt und verurteilt wurden. Interessanterweise setzen »crimes against peace« und »war crimes« nationalstaatliche Souveränität voraus, gehorchen also dem nationalen Blick, während im Gegensatz dazu der Begriff »crimes against humanity« die nationale Souveränität aufhebt und den kosmopolitischen Blick in Rechtskategorien zu fassen sucht. Es ist wohl kein Zufall, dass die Staatsanwälte und Richter des Nürnberger Tribunals mit der historisch neuen Kategorie »crimes against humanity« dann letztlich wenig anfangen konnten. Wird hier doch nicht nur ein neues Gesetz oder ein neues Prinzip, sondern auch eine neue Logik des Rechts eingeführt, die mit der bisherigen nationalstaatlichen Logik des Völkerrechts bricht. Heute wird an »Nürnberg« gerade wegen seiner Verhandlungen über die »Verbrechen gegen die Menschheit« erinnert … Der Prozess selbst handelte kaum von der Judenvernichtung. Er war – im Gegensatz zum Eichmann-Prozess in Jerusalem oder den Auschwitz-Prozessen in Frankfurt – kein Holocaust-Prozess. Genauso hatte Jaspers’ Versuch, diesen Prozess als legitim anzuerkennen, nichts mit der Judenvernichtung zu tun. Nürnberg gilt als Anfangspunkt einer neuen Zivilisationsstufe, in der die Rache einer neuen Gerechtigkeitsauffassung weicht. Auch die damalige Kritik an der ›Siegerjustiz‹ schwingt in den heutigen Auseinandersetzungen um internationale Rechtsprechung mit. Aber diese Kritik übersieht häufig, dass es sich auch um ›Opferjustiz‹ handeln kann. Die Urteile von Nürnberg – sowie die zukünftigen Urteile eines internationalen Gerichtshofes – können zeigen, dass nicht ein Volk schuldig geworden ist, dass also »Kollektivschuld« als Begriff der Vergangenheitsaufarbeitung historischen Unrechts nicht als analytisches Instrument taugt, sondern dass die Schuld einzelnen Personen zufällt. Diese Einsicht hat vielleicht in Nürnberg dazu geführt – und kann auch in Zukunft dazu führen –, dass die Leiden der Opfer anerkannt und damit der Kreislauf der Rache aufgebrochen und beendet werden kann. Im Rückblick gilt Nürnberg als Beginn des Bewusstseins über Menschheitsverbrechen. Der Artikel 6c der »London Charter« definiert diese Verbrechen folgendermaßen:
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80 | Gedächtnisraum Europa »Crimes against humanity: namely murder, extermination, enslavement, deportation and other inhumane acts committed against any civilian population, before or during the war; or persecutions on political, racial or religious grounds in execution of or in connection with any crime within the jurisdiction of the Tribunal, whether or not in violation of domestic law of the country were perpetrated.« (»Verbrechen gegen die Menschlichkeit: nämlich Ermordung, Ausrottung, Versklavung, Verschleppung oder andere an der Zivilbevölkerung vor Beginn oder während des Krieges begangene unmenschliche Handlungen; oder Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen in Ausführung eines Verbrechens oder in Verbindung mit einem Verbrechen, für das der Gerichtshof zuständig ist, unabhängig davon, ob die Handlung gegen das Recht des Landes, in dem sie begangen wurde, verstieß oder nicht. Anführer, Organisatoren, Anstifter und Teilnehmer, die an der Fassung oder Ausführung eines gemeinsamen Planes oder einer Verschwörung zur Begehung eines der vorgenannten Verbrechen teilgenommen haben, sind für alle Handlungen verantwortlich, die von irgendwelchen Personen in Ausführung eines solchen Planes begangen worden sind.«)49
In der Formulierung »before and during the war« werden die Verbrechen gegen die Menschheit klar von Kriegsverbrechen getrennt. Damit wird eine Verantwortlichkeit der einzelnen Täter außerhalb des nationalen Rechts vor der Gemeinschaft der Nationen, vor der Menschheit geschaffen. Wenn der Staat zum Verbrecherstaat wird, muss der Einzelne, der ihm dient, mit der Anklage und der Verurteilung seiner Taten vor einem internationalen Gerichtshof rechnen. Die Formulierung »any civilian population« hebt das nationale Prinzip auf, nach dem die Verpflichtung innerhalb einer Grenze total und die Entpflichtung jenseits der Grenze ebenso total ist, und ersetzt dieses durch das Rechtsprinzip der kosmopolitischen Verantwortung. Der kosmopolitische Rechtsgrundsatz, der mit dem nationalstaatlichen Recht bricht, schützt die Zivilbevölkerung nicht nur vor der Gewalt anderer, feindlicher Staaten (das ist bereits enthalten in dem Begriff der »Kriegsverbrechen«), sondern viel weitergehender und provokativer vor den willkürlichen Gewalttaten, die souveräne Staaten gegen ihre eigenen Bürger begehen. Schließlich wird hier im Sinne einer kosmopolitischen Rechtsmo49 | Vgl. Charter of the International Military Tribunal, »Nuremberg Trial Proceedings«, in: URL: www.yale.edu/lawweb/avalon/imt/proc/imt const.htm.
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Zurück nach Nürnberg: Das neue kosmopolitische Europa | 81 ral die Priorität vom Kopf auf die Füße gestellt: Die Grundsätze des kosmopolitischen Rechts brechen das nationale Recht. Verbrechen gegen die Menschheit können weder mit nationalstaatlichem Recht legitimiert noch nationalstaatlich verhandelt und abgeurteilt werden. Zusammengenommen hebt in diesem Sinne das historische Novum »crimes against humanity« die Prinzipien der nationalstaatlichen Rechtssetzung und Rechtsprechung auf. Im kosmopolitischen Europa kommt daher moralisch, rechtlich und politisch ein genuin europäischer Selbstwiderspruch zur Sprache. Sind die Traditionen, aus denen der kolonialistische, nationalistische und genozide Horror entstammt, europäisch, so sind es auch die Wertmaßstäbe und Rechtskategorien, an denen gemessen diese Taten als Verbrechen an der Menschheit weltöffentlich verhandelt werden. Die Sieger hätten die verantwortliche Elite des Nazi-Terrors einfach standrechtlich erschießen können, wie es zunächst Stalin und Churchill forderten. Oder man hätte sie vor nationale Richter stellen und nach nationalem Recht aburteilen können (wie dies im Eichmann-Prozess in Jerusalem oder den Auschwitz-Prozessen in Deutschland geschah). In der Folge bleibt hier kein Platz für die ethnische Identität der Opfer, wie sie Scholem oder auch Arendt einforderten. Es gibt noch ein weiteres Interpretationsmuster des Holocaust; und es ist natürlich kein Zufall, dass dieses Narrativ seinen Ursprung in Europa hat: Der Täterbegriff der Nazis wird aufgelöst in Metaphern, nach denen die wahren Schuldigen keine konkreten Menschen sind, sondern »die Moderne«, »die Bürokratie« oder gar »der Mensch«. Es ist die postmoderne Kritik an der Aufklärung, die den Holocaust als ›Beweis‹ für das Scheitern der Moderne anführt. Die sozialwissenschaftliche Reflexion des Holocaust hat mit guten Gründen einen Verzweiflungsdiskurs hervorgebracht. Nach Horkheimer und Adorno ist es die Aufklärung selbst, deren Dialektik die Perversion hervortreibt. Diese Kausalitätsvermutung von Modernität und Barbarei wirkt auch in Zygmunt Baumans Buch »Die Dialektik der Ordnung« (1992) fort. Aber ein verzweifelter Abschied von der Moderne muss nach dieser kosmopolitischen Auffassung nicht das letzte Wort sein. Ja, er ist sogar blind dafür, dass und wie mit der Europäischen Union ein Ringen um Institutionen mit dem Ziel beginnt, dem europäischen Horror mit europäischen Mitteln und Werten zu begegnen: Die Alte Welt erfindet sich neu. Moderne und Postmoderne ergänzen sich hier. Beides sind europäische Projekte, die auf europäische Erfahrungen und Erinnerung zurück-
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82 | Gedächtnisraum Europa greifen. Beide sehen in der jüdischen Erinnerung nichts anderes als das Überbleibsel einer überwundenen Moderne. Im neuen kosmopolitischen Europa wird die Erinnerung an den Holocaust zu einem Mahnmal an die allgegenwärtige Modernisierung der Barbarei und nicht zum institutionalisierten Hass gegen die Juden. Für Beck ist die Negativität der Moderne und ihr europäisches Bewusstsein keine bloße Attitüde, keine Ideologie des Tragischen (vgl. Beck 2004: 255). Darin drückt sich die historische Erfindung der national und staatlich entgleisten Moderne aus, die das moralische, politische, ökonomische und technologische Katastrophenpotenzial wie im Schreckensbilderbuch des Reallabors ohne Erbarmen und Rücksicht auf Selbstzerstörung entfaltet hat. Kosmopolitismus wird über die Holocaust-Erinnerung zur Kritik des europäischen Pessimismus der Modernität und der Postmoderne, die die Verzweiflung auf Dauer stellt. Für Beck heißt dies dann auch, dass es eine paradoxe Koalition zwischen dem nationalen und dem postmodernen Europa gibt, weil die Theoretiker der Postmoderne die Möglichkeit und die Wirklichkeit leugnen, den Horror der europäischen Geschichte mit mehr Europa, dem radikalisierten kosmopolitischen Europa zu bekämpfen: »Die nationale ebenso wie die Postmoderne macht europablind. Europäisierung heißt Ringen um institutionelle Antworten auf die Barbarei der europäischen Moderne – und damit Abschied der Postmoderne, die genau dieses verkennt. Das kosmopolitische Europa ist in diesem Sinne die institutionalisierte Kritik des europäischen Weges an sich selbst. Dieser Prozess ist unabgeschlossen, unabschließbar. Ja, er hat mit der Folge: Aufklärung, Postmoderne, kosmopolitische Moderne erst angefangen. Und sie ist das Erfolgsgeheimnis, das das selbstkritische Europa so attraktiv macht im Wettstreit um die Definition der Zukunft und der Modernität in der einen Welt. Das kosmopolitische ist das in seiner Geschichte verwurzelte, mit seiner Geschichte brechende und die Kraft dafür aus seiner Geschichte gewinnende, selbstkritische Experimentaleuropa. Es ist damit das Europa der reflexiven Modernisierung, in dem die Grundlagen, Grenzen und Leitideen der nationalstaatlichen Politik und Gesellschaft zur Disposition stehen. Die radikal selbstkritische europäische Erinnerung an den Holocaust zerstört nicht, sondern konstituiert die Identität Europas. Sie kann Europa dazu bringen – paradox formuliert –, seine Kontinuität im Bruch zu finden.« (Ebd.: 256)
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Zurück nach Nürnberg: Das neue kosmopolitische Europa | 83 Diese Kritik am Postmodernismus ist richtig und der Kosmopolitismus hat hier dazu beigetragen, sich von der Postmoderne abzugrenzen. Aber um welchen Preis? Der eurozentrische Diskurs der Nachkriegszeit hatte schon fast keine andere Wahl, als einen Kosmopolitismus zu erfinden, der jenseits von ethnischen Gruppen angesiedelt ist. Dies verfolgt Europa bis heute. Europäisierung hieß damals Wiederaufbau Europas mit einem befriedeten Deutschland in der Mitte – zu einer Zeit, in der sich außerhalb Europas die USA und die Sowjetunion die Waage hielten. So konnte auch die Schulddebatte Jaspers’ zum Paradigma für allgemeine europäische Debatten werden. Eine grenzenlose Welt wurde vorgedacht – eine Welt, kantianisch vereint, Brücken schlagend, ein Modell für die Anderen. Dieses Bild von Europa als Modell, das aus seiner Schuld gelernt hat, wurde zum Inbegriff eines urdeutschen und damit ureuropäischen Kosmopolitismus, wie er unter anderem von Jürgen Habermas vertreten wird, der in dieser Hinsicht die kosmopolitische Linie von Jaspers weiterführt. So schreibt Habermas in Protest gegen die amerikanische Außenpolitik (gemeinsam mit Derrida) ein Manifest für ein geläutertes Europa: »Das heutige Europa ist durch die Erfahrung der totalitären Regime des zwanzigsten Jahrhunderts und durch den Holocaust – die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden, in die das NS-Regime auch die Gesellschaften der eroberten Länder verstrickt hat – gekennzeichnet. Die selbstkritischen Auseinandersetzungen über diese Vergangenheit haben die moralischen Grundlagen der Politik in Erinnerung gerufen. Eine erhöhte Sensibilität für Verletzungen der persönlichen und körperlichen Integrität spiegelt sich unter anderem darin, dass Europarat und EU den Verzicht auf die Todesstrafe zur Beitrittsbedingung erhoben haben. Eine bellizistische Vergangenheit hat einst alle europäischen Nationen in blutige Auseinandersetzungen verstrickt. Aus den Erfahrungen der militärischen und geistigen Mobilisierung gegeneinander haben sie nach dem Zweiten Weltkrieg die Konsequenzen gezogen, neue supranationale Formen der Kooperation zu entwickeln […].« (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31. Mai 2003)
Hier sehen wir einen geschichtslosen Kosmopolitismus, der sich jedoch historisch gibt und die Tradition von Jaspers weiterführt, und der aus der Vergangenheit eine Schule für Sensibilität – was oft damit ausgedrückt wird, dass man die richtigen Lehren aus der Vergangenheit gezogen hat – geschaffen hat. Man kann erkennen,
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84 | Gedächtnisraum Europa dass die selbstkritische Auseinandersetzung nichts mehr mit den Opfern zu tun hat. Das kosmopolitische Europa wird dadurch zu einer Illusion, die sich wie ein kafkaeskes Schloss vor denjenigen aufbaut, die andere Lehren aus der Vergangenheit ziehen wollen, so wie das unter anderem Arendt und Scholem taten. Dieser farbenblinde Kosmopolitismus relativiert und ist daher enger am Postmodernismus angesiedelt, als er es wirklich will und wahrhaben kann, was vielleicht auch die Gemeinsamkeit von Habermas und Derrida erklärt. Der Zweite Weltkrieg wird zur europäischen Katastrophe (die in der Tat sensibilisiert) – so wie die Nachkriegszeit zur Geburt des kosmopolitischen Europas wird. Aber dieses kosmopolitische Europa ist nichts anderes als ein zollfreier Nationalstaat, in dem mehrere Sprachen gesprochen werden. Dies ist nicht die Vielsprachigkeit, die Kafka, Benjamin und Arendt vor Augen hatten, als sie jüdische Literatur als deutsche Literatur verstanden. Hier wird nicht mehr gemauschelt, sondern mehrsprachig-einsprachig für ein Europa ohne Juden und jüdische Kultur gesprochen. Die partikulare Erinnerung, die von Arendt in ihrem Briefwechsel mit Jaspers eingefordert wurde, hält die Erinnerung an die Opfer wach. Arendt forderte in diesem Briefwechsel mit Jaspers die Anerkennung ihrer jüdischen Identität ein. Etwas anderes war für sie – insbesondere nach dem Holocaust – nicht mehr möglich. Arendt betonte das nochmals in ihrer Lessingpreis-Rede, die sie am 28. September 1959 in Hamburg hielt. Dort hob sie nochmals ihr Judentum als politische Realität hervor und betonte ganz ausdrücklich ihre Zugehörigkeit zu den aus Deutschland vertriebenen Juden. Dezidiert setzt sie sich von der aufklärerischen Tradition Lessings ab: »Ich hätte sicher die Haltung, die im Sinne – nicht im Wortlaut – des Nathan auf die Aufforderung: Tritt näher, Jude! mit einem: Ich bin ein Mensch, antwortete, für ein groteskes und gefährliches Ausweichen der Wirklichkeit gehalten.« (Arendt 1999b: 32)
Sie verweigerte sich der Gleichsetzung von Jude und Menschheit, wie das auch in Nürnberg und der heutigen kosmopolitischen Illusion vertreten wird: »Ich meinte mit meinem Ein Jude noch nicht einmal eine geschichtlich belastete oder ausgezeichnete Realität, sondern nichts als die schlichte
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Zurück nach Nürnberg: Das neue kosmopolitische Europa | 85 Anerkennung einer politischen Gegenwart, die eine Zugehörigkeit diktiert hatte, in welcher gerade die Frage der personalen Identität im Sinne des Anonymen, des Namenlosen mitentschieden war.« (Ebd.: 32-33)
Auch in Hamburg musste sie sich als Jüdin mitteilen – und nicht als Humanistin, wie es eigentlich vorgesehen war. Mehr noch, sie geht in diesem Text auf die so genannte »Weltlosigkeit« der Juden ein. Der Zwischenraum der Welt, so Arendt, sei durch die Verfolgung verschwunden. Und es war genau dieser Zwischenraum, den sie auf ihrer Suche nach einem verwurzelten Kosmopolitismus finden wollte. Die Antwort von Lessings Nathan auf die Aufforderung »Tritt näher, Jude!« mit einem »Ich bin ein Mensch« hält Arendt für grotesk und zur sentimentalen Rationalität des 18. Jahrhunderts gehörend. Für sie gelten als eine einzige Antwort auf die Frage: »Wer bist du?« die Worte: »Ein Jude«. Das ist exakt der Punkt in der Rede, an dem Arendt die abstrakte Ebene der ›Menschlichkeit‹ verlässt und ›persönlich‹ wird: »[I]ch plaudere aus einer Schule, in die sie nicht gegangen sind und deren Lektionen sie nicht betreffen.« (Ebd.: 33) Erinnerungen können eben nicht kompatibel sein – oder man universalisiert sie bis zur historischen Unkenntlichkeit. Was sie auch in ihrer Korrespondenz mit Jaspers immer wieder darzulegen versuchte und was für sie die Konsequenz ihrer Arbeit in der »Jewish Cultural Reconstruction« war, ist zu zeigen: dass die Aufklärung eben nicht die gemeinsame, geteilte Geschichte von Juden und Deutschen sei. Arendt suchte eine radikalere Form der Aufklärung.
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) vakat 086.p 175017271900
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Genf: Der europäische Geist
All dies ist nicht neu. Zu der Zeit, als Jaspers und Arendt über jüdische Identität debattierten, wo es um Kants Universalismus oder jüdischen Partikularismus ging, in der Zeit, wo Arendt, Scholem, Sutzkever und viele andere damit beschäftigt waren, jüdische Kulturgüter aus Europa herauszubringen, und kurz nachdem Jaspers sein Schuldessay veröffentlichte, fand Anfang September 1946 in Genf auf Einladung der »Rencontres Internationales« eines der ersten Treffen europäischer Intellektueller statt, die unter dem Motto »Europäischer Geist« das neue Europa diskutieren wollten.50 Der einzige geladene deutsche Vertreter war Karl Jaspers, dessen Beitrag mit Spannung erwartet wurde. Der Ort der Versammlung befand sich unweit des Sitzes des ehemaligen Völkerbunds, das vielleicht deutlichste Symbol eines schon einmal gescheiterten Kosmopolitismus. Die Konferenz wurde auch jenseits des Atlantiks wahrgenommen. Das »Time Magazine« veröffentlichte am 23. September 1946 einen längeren Artikel, der den bezeichnenden Titel »Hope in a Moonlit Graveyard« trug. Der Friedhof war Europa, die Hoffnung ihre Intellektuellen. Für den amerikanischen Journalisten war es wichtig zu betonen, dass zum ersten Mal nach dem Krieg Sieger und Besiegte zusammentrafen, um die gemeinsame Zukunft zu diskutieren. Man war beeindruckt davon, dass die Delegierten die kollektive Verantwortung für die europäische Kata50 | Die gesamten Beiträge dieser Konferenz sind gesammelt in Benda et al. (1946). Der Band liegt nur auf Französisch vor. Einzelne Beiträge sind in deutscher Sprache erhältlich und wurden in anderen Publikationen veröffentlicht.
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88 | Gedächtnisraum Europa strophe übernahmen. Die Rednerliste liest sich wie eine intellektuelle Prominentenveranstaltung dieser Tage. Man wollte das geistige Leben in Europa wiederherstellen: Julien Benda, der französische Rationalist, Francesco Flora, Jean de Salis, Jean Guehenno, Denis de Rougemont, Stephen Spender, der die UNESCO vertrat, Georges Bernaros, Karl Jaspers sowie der von vielen erwartete Georg Lukacs, der alle Teilnehmer daran erinnern sollte, dass Europa bald in West- und Osteuropa geteilt werden wird, dass der Kalte Krieg bevorsteht und dass es außer dem kantschen Kosmopolitismus auch einen marxistischen gibt. Die Veranstaltung begann mit einem Vortrag von Julien Benda gegen den Nationalismus in Europa. Er plädierte für ein postnationales Europa, denn in seinen Augen hat so etwas wie ein europäisches Bewusstsein nie existiert. Für ihn sollte Europa ein zivilisierender Faktor in der Welt werden. Jahrzehnte später haben Habermas und Derrida seinem Vortrag im Prinzip nichts mehr hinzuzufügen. Der europäische Geist setzte sich in Genf mit den beiden Kosmopolitismen, dem kantschen und dem marxistischen, auseinander, wobei hier die beiden Vorträge von Jaspers und Lukacs exemplarisch behandelt werden sollen.51 Diese beiden Beiträge stellen den Beginn des kulturellen Kalten Krieges dar, teilen Europa und drücken zwei verschiedene Spielarten des universalen Kosmopolitismus aus. Die eine gibt sich individualistisch, liberal, christlich und auf Freiheit bedacht, stellt also Autonomie in den Vordergrund. Die andere lässt sich als kollektivistisch, sozialistisch, säkular und auf Gleichheit bezogen beschreiben, hebt also auf Totalität ab. Jaspers und Lukacs hielten ihre Vorträge in deutscher Sprache, das heißt, sie entzogen sich der Universalität der französischen Sprache, was von einigen Teilnehmern auch schmunzelnd wahrgenommen wurde, für die als kosmopolitische Sprache Europas nur Französisch in Frage kam (vgl. Stubbe-da Luz 1981). Ironischerweise zogen sich die Teilnehmer am Abend zurück, um Beethovens »Fidelio« zu lauschen, eine Oper, die 1805 in Wien genau zu dem Zeitpunkt uraufgeführt wurde, an dem die Stadt von Napoleons Truppen besetzt war. Wie im neuen Beck’schen Kosmopolitismus ist für Jaspers ausschlaggebend, dass das, was Europa hervorgebracht hat, auch geistig von Europa selber überwunden werden muss. Und es ist 51 | Der Vortrag von Lukacs kann auf Deutsch in Lukacs (1984) eingesehen werden, der Vortrag von Jaspers in Jaspers (1947).
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Genf: Der europäische Geist | 89 wohl kein Zufall, dass Jaspers als deutscher Teilnehmer das klarste Europa-Konzept vorlegt. Für ihn war diese Konferenz eine Befreiung aus dem nationalsozialistischen Gefängnis, und voller Enthusiasmus schreibt er am 18. September 1946 an Hannah Arendt: »Es war wie ein Traum, wieder leibhaftige Fühlung mit der geistigen Welt zu haben […]. Das Thema war: europäischer Geist. Und mancher entwickelte so etwas wie einen europäischen Nationalismus.« (Arendt/Jaspers 1985: 93) Jaspers konnte nicht wissen, dass Arendt just zu dieser Zeit damit beschäftigt war, eine Liste der jüdischen Kulturschätze in den von den Nazis besetzten Gebieten zusammenzustellen. Während sich also ein europäischer Nationalismus entwickelte, haben jüdische Intellektuelle ihre Kulturschätze inventarisiert und damit begonnen, sie aus Europa herauszubringen. Karl Jaspers begann seine Ausführungen mit der Frage, wo der »europäische Geist« nach den Enttäuschungen der beiden Weltkriege anzusiedeln ist. Er will tief in die geschichtlichen Ursprünge eindringen. Das neue kosmopolitische Europa ist für Jaspers nicht nur ein geographischer Ort – es ist ein Ort der Werte. Der Ursprung liegt nicht nur in Europa, sondern ebenso in China und Japan. Jaspers erkannte, dass in der Zeit zwischen 800 bis 200 vor der Zeitrechnung alle Weltreligionen ihren Anfang nehmen – die »Achsenzeit«, die das Ende des Mythos bedeutet und den Beginn der Geschichte einläutet. Es ist auch der Beginn des transzendentalen Denkens, das ein höheres Gesetz einfordert, und gleichzeitig beginnt die bis heute anhaltende Spannung zwischen der hiesigen und der dortigen Welt, eine Spannung, die Freiheit erlaubt und von totalitären Gesellschaften abgeschafft werden will. Die Achsenzeitreligionen – das Judentum, die griechische Kultur, der Hinduismus, der Buddhismus, der Konfuzianismus und das Christentum – haben diesen Prozess der Abspaltung von der mythischen Zeit vollzogen, in der das Heilige und Profane noch als Einheit galten. Die Moderne entwickelt sich in verschiedenen Formen, aber sie alle teilen dieselbe Spannung.52 Mit dieser Argumentation versuchte Jaspers natürlich die Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Feinden zu finden. Die Westanbindung Deutschlands besitzt hier kulturelle Wurzeln: 52 | Für eine soziologische Leseweise dieses Jasper’schen Projekts vgl. vor allen die Arbeiten des israelischen Soziologen Shmuel N. Eisenstadt (hier vor allem Eisenstadt 1987).
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90 | Gedächtnisraum Europa »Europa: das ist die Bibel und die Antike. Europa ist Homer, Äschylus, Sophokles, Euripides, ist Phidias, Plato, Aristoteles, Plotin, Vergil, Horaz, Dante, Shakespeare, Goethe, Cervantes und Racine und Moliere, Lionardo, Raffael, Michelangelo, Rembrandt, Velasquez, Bach, Mozart, Beethoven, ist Augustin, Anselm, Thomas, Spinoza, Pascal, Kant, Hegel, Cicero, Erasmus, Voltaire.« (Jaspers 1947: 9f.)
Ebenso wie beim PEN-Kongress, der einige Monate später stattfinden wird, wird Deutschland hier durch die europäische Kultur wieder eingegliedert – und die jüdische Erfahrung und Erinnerung ausgeschlossen. Diese europäische Kultur ist zusammengesetzt aus Freiheit, Geschichte und Wissenschaft, doch greift Jaspers hier auch neuere kosmopolitische Grundvorlagen auf: die Subjektivität des Einzelnen, die Existenz. Jaspers gibt seiner kosmopolitischen Theorie eine existenzielle Grundlage, ebenso wie er die Schuld letztlich existenziell verstanden hat. Alles, was entsteht, muss auch scheitern. An dieser Stelle geht Jaspers zudem auf die Tragik der europäischen Kultur ein: »Dies Scheitern selber ist in einer europäischen Polarität Symbol geworden: in dem griechischen tragischen Bewusstsein, das den Sinn im Scheitern und den Drang zum echten Scheitern kennt – im christlichen Kreuz, durch das das tragische Bewusstsein überwunden oder von vornherein gar nicht betreten ist, das den Sinn des Leidens in einer transzendentalen Versühnung kennt.« (Ebd.: 13)
Juden werden in Jaspers’ Ausführungen nur kurz und metaphorisch erwähnt: »Die Juden haben die Verlorenheit des Menschen erfahren und zum Bewusstsein gebracht im Mythus vom Sündenfall.« (Ebd.: 14) Jaspers führt nicht weiter aus, was er damit meint. Auch die spätere Idee eines kosmopolitischen Kerneuropas findet sich hier bereits in Grundzügen wieder. Jaspers differenziert zwischen Europa auf der einen Seite und den Siegenden über Deutschland – Russland und Amerika – auf der anderen Seite: »Russland ist uns räumlich nah und geistig fern […]. Amerika ist uns räumlich fern und geistig so nah, dass wir uns fast selber darin wiedererkennen.« (Ebd.: 18) Diese ›kosmopolitische‹ Vorgabe, Russland und Amerika außerhalb der europäischen Zivilisation ansiedeln, soll im späteren kosmopolitischen Diskurs zu einem definierenden Moment werden. Das aus gemeinsamen Wurzeln schöpfende kosmopolitische
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Genf: Der europäische Geist | 91 Europa ist in der Tat die Antithese zu den nationalistischen Staaten Europas und ihrem zerstörerischen Potenzial. Europa wird zum Kulturprojekt, das sich auf seine griechischen und christlichen Ursprünge besinnt und Teil der Rettung der Aufklärung wird, an der auch Deutschland teilgenommen hat. Die neue Weltordnung sollte sich nicht Imperien wie Russland oder Amerika unterwerfen, sondern aus gegenseitig abhängigen Staaten bestehen, die sich alle denselben europäischen Werten verschreiben. Jaspers glaubte an ein religiöses Europa, das nicht unbedingt christlich war, aber doch mit christlichen Vorlagen verbunden ist, ein Europa der transzendentalen Werte der Freiheit und des Individuums, ein Europa des eigenen Gottes, das als Gegengift gegen jeglichen Totalitarismus dienen kann. Oder anders formuliert: ein Europa des unabhängigen Geistes und der Einzelnen. Jaspers schließt seinen Vortrag mit folgenden Worten: »Wir werden Europäer unter der Bedingung, dass wir eigentlich Menschen werden – das heißt Menschen aus der Tiefe des Ursprungs und des Zieles, welche beide in Gott liegen.« (Ebd.: 31) Hannah Arendt war in Genf nicht anwesend. Sie antwortete jedoch auf Jaspers’ Thesen in vielen Briefen, aber auch in einigen Essays, die sie über ihn veröffentlichte. In ihren Diskussionen über Jaspers’ Achsenzeit betonte sie immer wieder die Politik und die Polis und nicht nur den Kosmos, sie betonte den Ort und die Verortung, und versuchte damit, Jaspers’ Kosmopolitismus Wurzeln zu geben.53 Sie stimmt mit Jaspers überein, dass die Menschen in der Moderne eine gemeinsame Gegenwart haben, die aber nicht auf einer gemeinsamen Vergangenheit beruht. Wenn es überhaupt Solidarität gäbe, dann nur negative. Die neue kosmopolitische Solidarität ist jedoch negativ und beruht auf der Möglichkeit der Katastrophe. Jaspers hatte einen direkten Gegenspieler in Genf – Georg Lukacs. Dieser gehörte in Ungarn zur Elite der Partei und wurde als einer der vielleicht wichtigsten marxistischen Theoretiker seiner Zeit nach Genf geladen, um die marxistische Alternative ins Feld zu führen. Lukacs präsentierte eine andere Form des Kosmopoli53 | Ein gutes Beispiel dafür sind ihre beiden Aufsätze über Jaspers in Arendt (2001), die 1957 bzw. 1958 erschienen sind. Dort traf sie auch die Unterscheidung zwischen Philosophie, die über die Menschheit redet, und Politik, die von konkreten Menschen und historischen Voraussetzungen handelt.
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92 | Gedächtnisraum Europa tismus, die gerade für viele Juden eine Alternative anbot. Nicht der existenzielle Freiheitsbegriff, sondern Gleichheit wird hier zum Ideal. Auf Jaspers’ Vortrag, der indirekt das sozialistische Denken in Verbindung mit Totalitarismus bringt, antwortet Lukacs, dass es der bürgerliche Pessimismus ist, der für den Faschismus verantwortlich ist. Er wollte der bürgerlichen Philosophie ihre Mitverantwortung für den deutschen Faschismus vor Augen führen.54 Lukacs schlägt ein Bündnis zwischen sozialistischen und fortschrittlichen Kräften unter Führung der Sowjetunion vor, welches Europa vor dem Aufflammen des neuen Faschismus retten kann. Der kulturelle Kalte Krieg hat auch hier begonnen und mit ihm verschiedene konkurrierende Formen des Universalismus, die keinen Platz mehr für Kosmopolitismus sahen. Einige Monate vor der Konferenz, wir schreiben den März 1946, hielt Churchill in Fulton, Missouri seine berühmte Rede über den »Eisernen Vorhang«. »Es scheint, dass von Stettin in der Ostsee bis Triest im Mittelmeer ein eiserner Vorhang herunter über den Kontinent kam«, lauteten Churchills Worte.55 Lukacs sowie alle anderen Teilnehmer waren sich wohl im Klaren über die Konsequenzen dieser Rede. Einige der Teilnehmer der Konferenz (wie zum Beispiel de Salis und de Rougemont) schlugen nicht weniger vor, als die Sowjetunion aus der europäischen Kultur auszuschließen. Auch Jaspers wollte das. Lukacs versuchte in seiner Rede jedoch den Spieß umzudrehen und zu zeigen, dass die wahren Feinde der Demokratie die bürgerlichen Individualisten sind. Bei dieser Konferenz ging es in der Tat um die Vergangenheit und um die Zukunft Europas. Jaspers’ Achsenzeittheorie wird von Lukacs als aristokratische 54 | Ausführlich macht Lukacs das in seinem 1954 veröffentlichten Buch »Die Zerstörung der Vernunft« klar. Dort wird Jaspers im selben Kapitel wie Heidegger behandelt (das den bezeichnenden Titel »Der Aschermittwoch des parasitären Subjektivismus« trägt). Lukacs geht weder auf die Unterschiede zwischen Jaspers und Heidegger ein, noch erwähnt er, dass Jaspers mitverantwortlich dafür war, dass Heidegger nach dem Krieg seine Lehrtätigkeit nicht mehr aufnehmen durfte. Er erwähnt nur kurz, dass Jaspers aus »privaten Gründen« (Lukacs 1954: 416) nicht zum Hitlerismus gekommen war. Lukacs sollte eigentlich wissen, dass zwischen 1933 und 1945 die »Mischehe« mit einer Jüdin kaum als privater Grund bezeichnet werden kann. 55 | Für den Wortlaut der Rede vgl. URL: www.hpol.org/churchill.
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Genf: Der europäische Geist | 93 Theorie bezeichnet, ja sogar als parasitärer Subjektivismus. Sein ganzer Vortrag war darum bemüht, die ›wahre‹ demokratische Theorie gegen die ›falsche‹ aristokratische Theorie zu verteidigen. In Genf sah es so aus, als ob die Welt sich zwischen Marxismus und Existenzialismus zu entscheiden hätte, oder wie es einer der Teilnehmer in Genf, Francois Bondy, auf den Punkt brachte: »Die große Frage hier ist Autonomie oder Totalität.« (in Benda 1946: 261) Lukacs schrieb einige Jahre später über Jaspers Folgendes, wobei er den Vortrag von Genf wohl noch gut in Erinnerung hatte: »Bei Jaspers steigert sich diese Tendenz zum äußersten Philistertum: nur beim ›innerlich‹ gewordenen, rein auf sich gestellten Individuum (im intellektuellen Philister, der jedes öffentliche Leben ablehnt) ist nach seiner Auffassung Wahrheit, Echtheit und Menschlichkeit zu finden; jeder Einfluss der Massen erscheint – in echt deutsch-spießbürgerlicher Art – als Unwahrhaftigkeit, als Barbarei.« (Lukacs 1954: 413; Hervorhebung im Original)
In Genf saßen sie sich nun gegenüber: zwei Philosophen mit unterschiedlichen Verständnissen von Kosmopolitismus. Lukacs betonte immer wieder, dass zwar die Militärmacht des Faschismus besiegt sei, aber dass sie ideologisch noch weiterlebe. Damit steht für ihn nichts weniger als die »Vernichtung der geistigen und moralischen Wurzeln des Faschismus« (Lukacs 1984: 198) auf dem Spiel. Lukacs entwickelt in diesem Zusammenhang vier Punkte: die Krise der Demokratie, die Idee des Fortschritts, die des Glaubens an die Vernunft und die des Humanismus. Man kann fast schon sagen, dass Lukacs die messianische Idee des Judentums in den Sozialismus übertragen hat. Es war vor allen Dingen der Glaube an den Fortschritt, der Glaube an eine bessere Welt, der Glaube an die Richtigkeit des historischen Prozesses, der sich gegen jede Form von bürgerlichem und defätistischem Kulturpessimismus stellte, den Lukacs als aristokratisch und im Endeffekt als faschistisch einschätzte. Hier findet sich ein Judentum, das sich aus den Fesseln des ethnischen Partikularismus befreien wollte und dies mit der Befreiung der Menschheit verknüpfte. Wir haben es hier mit einem Messianismus zu tun, der gleichzeitig säkular und theologisch ist: säkular deshalb, weil er eine jüdische Identität sucht, die jenseits von orthodoxer Religion angesiedelt ist, und theologisch aus dem Grund, weil er viele der jüdischen Glaubensinhalte in sich aufsaugt, die Welt völlig umstürzen will und »das
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94 | Gedächtnisraum Europa Prinzip Hoffnung« als eine neue politische Kraft versteht (vgl. Rabinbach 1985). Hier verbergen sich sowohl die Idee der Revolution als auch die Verachtung aller bürgerlichen und liberalen Politik. Es sind vor allen Dingen Walter Benjamin und dessen oben genannter Essay »Über den Begriff der Geschichte« sowie das berühmte Bild »Der Engel der Geschichte« von Paul Klee, die dieses Denken symbolisieren.56 Denn jüdische Erlösung ist im Gegensatz zum christlichen Erlösungsbegriff, der privat und individuell bleibt, immer historisch und apokalyptisch gedacht. Auch diese Differenz konstituierte einen unterschwelligen Gegensatz zwischen Lukacs und Jaspers. Diese besondere Form eines jüdischen Kosmopolitismus kann man bereits auf Karl Marx zurückführen – und sie war immer schon die Quelle antisemitischer Stereotype. Doch in erster Linie ging es Lukacs darum, die kulturelle Vorherrschaft des Sozialismus zu retten. Lukacs beschwört gegen den beginnenden Kalten Krieg (der sich nicht zuletzt in der Weigerung der eingeladenen sowjetischen Gäste, an der Konferenz teilzunehmen, zeigte) das demokratisch-sozialistische Bündnis von 1941. Das ist seine Vision des kosmopolitischen Europas, mit der er seine Rede beendet: »Und von der Demokratie hängt es ab, ob sie in diesem Bündnis von 1941 erfolgreich für ein neues Europa kämpfen wird, ob sie dadurch eine glanzvolle Wiedergeburt der Demokratie herbeiführen wird oder sich wieder zum ohnmächtigen Zuschauer eines neuen München herabwürdigt.« (Ebd.: 223)
Aus Lukacs sprachen, wie man hier sehen kann, der junge Marx und Rousseau, aus ihm sprachen die Französische Revolution und die Oktoberrevolution. Aus ihm sprach aber auch der Sieg über den Faschismus. Den Teilnehmern fiel nicht auf, ja vielleicht konnte es ihnen nicht auffallen, dass in den Diskussionen um den »Europäischen Geist« die Juden abwesend waren. Auch waren keine amerikanischen Teilnehmer eingeladen. Die Juden wurden weder als Europäer gefeiert, noch wurde ihre Vernichtung betrauert. Benda konnte mit Recht sagen, dass ein europäisches Bewusstsein nie existier56 | Benjamin hat dieses Bild von Paul Klee Gershom Scholem vermacht. Nach Scholems Tod 1989 hat seine Witwe das Bild dem Israel Museum in Jerusalem vermacht.
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Genf: Der europäische Geist | 95 te. Das Vokabular der Katastrophe als jüdische Katastrophe war einfach nicht vorhanden. Hätte Benda die jüdische europäische Kultur gekannt, wäre ihm dieser Satz schwerer gefallen. Lukacs und Jaspers stritten sich beide um die Seele Europas, aber sie trauerten nicht um die europäische jüdische Vergangenheit. Das blieb anderen vorbehalten, denn diese Vergangenheit wehrt sich gegen die Versöhnung, das gemeinsame Narrativ und ein judenloses kosmopolitisches Europa. Der von der Sowjetunion ausgehende nationale Sozialismus sollte bald nach dieser Konferenz und im Rahmen des Kalten Krieges mit seiner anti-kosmopolitischen Kampagne beginnen, die sich im Großteil gegen Juden richtete (vgl. Luks 1999).57 So formulierte Stalin 1947 in einem Gespräch mit sowjetischen Schriftstellern: »Wenn man unsere durchschnittliche Intelligenzija betrachtet, […] so sieht man bei ihr eine völlig unbegründete Verehrung der ausländischen Kultur. Sie alle sehen sich als unreife […] ewige Schüler an. Dies ist eine rückständige Tradition […]. Sind wir etwa schlechter? Wir müssen diesen Geist der Selbsterniedrigung bekämpfen.« (Zitiert in Luks 1999: 217)
Eine Kampagne zur Ausmerzung kosmopolitischer Einstellungen begann. Das bedeutete dann auch, dass die Judenfeindschaft in der Sowjetunion als »Kampf gegen den Kosmopolitismus« benannt wurde. Juden wurden nun als »wurzellose Kosmopoliten«, gleichzeitig aber als bürgerliche Nationalisten beschimpft und verfolgt, da viele sowjetische Juden den 1948 gegründeten Staat Israel begrüßten. Während der Zeit des Zweiten Weltkriegs nutzte die Sowjetunion die internationalen Verknüpfungen jüdischer Intellektueller und gründete 1942 das »Jüdische Antifaschistische Komitee« (vgl. Redlich 1995), das vor allem in den USA Unterstützung für die Sowjetunion suchte. Viele ihrer Mitglieder wollten nach dem Krieg an einer Dokumentation über den Holocaust arbeiten und unterstützten auch die israelische Staatsgründung. Die Dokumentation über den Holocaust auf sowjetischem Territorium wurde zwar von Ilya Ehrenburg und Wassily Grossman herausgegeben, von den Sowjets jedoch als besonderes Hervorheben jüdischen Leids ange-
57 | Für den stalinistischen Antisemitismus vgl. unter anderen auch Slezkine (2006) sowie Koenen (2004).
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96 | Gedächtnisraum Europa prangert. Sie fiel der Zensur zum Opfer und wurde erst 1946 teilweise in den USA veröffentlicht.58 Sutzkever, der oben bereits genannt wurde, war an diesem Schwarzbuchprojekt beteiligt und schrieb einen Bericht über das Ghetto in Wilna. Hannah Arendt war mit der Veröffentlichung vertraut und hat das Buch 1946 ausführlich in der jüdisch-amerikanischen Zeitschrift »Commentary« besprochen (Arendt 1946). Dort bemüht sie auch das Bild der »Hölle«, welches sie so zentral in ihrer späteren Holocaust-Analyse verwenden wird. Sie wirft den Autoren und Herausgebern jedoch vor, dass sie die Ereignisse in einem Chaos der Einzelheiten verschwinden lassen – aber genau das war die Absicht der Herausgeber. Sie wollten die Judenvernichtung dokumentieren, ein Erinnerungsmahnmal schaffen. Arendt zeigte keine Geduld für diese Details (so wie sie 15 Jahre später in ihrem Bericht über den Eichmann-Prozess keine Geduld für die einzelnen Zeugenaussagen zeigt). Arendt schreibt hier einige Jahre vor der Veröffentlichung ihrer Totalitarismusanalyse, dass die Judenvernichtung jenseits allen herkömmlichen Verständnisses liegt. Die Spannung zwischen besonderem und allgemeinem Verständnis wird hier in einer innerjüdischen Debatte ausgetragen – wie wir sehen werden, wird das nicht das letzte Mal so sein. Die Verfasser des Schwarzbuches versuchen dies im Rahmen der innersowjetischen Debatte zu bewerkstelligen, in der es auch um Universalismus und Partikularismus geht. Arendt antwortet darauf im innerjüdischen amerikanischen Kontext, in dem diese Debatten im Kontext einer pluralistischen Gesellschaft geführt werden. Arendt betont in ihrer Besprechung (wie auch an anderen Orten), dass es sich um ein Menschheitsverbrechen gehandelt hat, aber dass dieses Menschheitsverbrechen an den Juden begangen wurde. Sie konnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, dass das Schwarzbuch in der Sowjetunion nicht veröffentlicht werden kann. Einer der beiden Herausgeber des Schwarzbuches, Ilya Ehrenburg, bekannte sich gleich nach der israelischen Staatsgründung wieder zum sozialistischen Universalismus: »Der Bürger einer sozialistischen Gesellschaft betrachtet die Einwohner aller bürgerlichen Staaten, auch die Bürger Israels, als Wanderer, die in einem dunklen Wald herumirren.« (Zitiert in Luks 1999: 227) Ehrenburg 58 | Das Buch erschien 1994 auf Deutsch (Grossman/Ehrenburg 1994). Auf Russisch erschien das Buch zuerst 1980 in Israel und dann 1990 in Russland.
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Genf: Der europäische Geist | 97 hatte sich zwei Jahre davor geweigert, an der »Rencontres Internationales« in Genf teilzunehmen. Er hielt sie für überflüssig. Wenigstens war die »jüdische Weltverschwörung« keine kommunistische mehr. Die Konferenz in Genf hatte wohl ihre kulturellen Konsequenzen, deren Echo bis in die heutigen Debatten um Kerneuropa hineinreicht (dies gilt jedoch, wenn auch unter anderen Voraussetzungen, ebenso für den Osten Europas). In den nachfolgenden Versöhnungsdebatten und deren Praktiken wird es ebenso um das Allgemeine und das Besondere gehen. Altbekannte Fragen tauchen wieder auf: Wer ist schuldig? Wer kann vergeben? Worin besteht der Unterschied zwischen universaler und partikularer Erinnerung? Die nächsten Orte, an die wir uns begeben werden, um unsere Geschichte fortzuführen, und an denen auch, wie sich zeigen wird, diese Fragen virulent werden, sind Warschau und Luxemburg.
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Osterweiterung als Kosmopolitisierung oder als Renationalisierung | 99
Warschau: Osterweiterung als Kosmopolitisierung oder als Renationalisierung
In der Erinnerung an den Holocaust gewinnt der Bruch mit der Vergangenheit Macht für die Zukunft. Es geht gerade darum, gegen nationale Kriegs- und Gründungsmythen zukunftsweisende Erinnerungsformen einer kosmopolitischen Selbstkritik Europas zu etablieren. Dies wird aktuell in der Osterweiterung der Europäischen Union deutlich, und darum steht auch Bruno Schulz am Beginn dieses Essays. Die politischen Prozesse der Erinnerung richten sich in Osteuropa in erster Linie gegen die Verbrechen der Stalinisten, müssen sich aber zudem der Kollaboration mit den Nazis stellen. In Polen zum Beispiel ist das Verhältnis zur eigenen Geschichte und die mit ihr verbundene Erinnerungspolitik von einer dreifachen Vergangenheitsbewältigung bestimmt. Diese bezieht sich auf die eigene Opferrolle zum einen unter dem Nationalsozialismus, zum anderen unter dem Stalinismus. Schließlich ist in vergangenen Jahren die politische Kollaboration mit den Nazis auch Bestandteil öffentlicher Auseinandersetzungen geworden; die Jedwabne-Debatte ist hierfür bezeichnend. Am 10. Juli 2001 kehrten die Juden nach Jedwabne zurück. Dort wurden sie auf den Tag genau vor 60 Jahren von ihren polnischen Nachbarn zusammengetrieben und ermordet.59 Nun waren sie wieder da. Sie alle kamen nach Jedwab-
59 | Die Debatte begann mit der Veröffentlichung von Gross (2001). Dieses Buch, welches in mehreren Sprachen veröffentlicht wurde, hat eine
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100 | Gedächtnisraum Europa ne zurück und zusammen mit der postkommunistischen politischen Elite Polens unter der Führung des Präsidenten Aleksander Kwasniewski gedachte man der von ihren polnischen Nachbarn ermordeten Juden. Der Zweite Weltkrieg war für Polen traumatischer und folgenreicher als für viele andere vom Krieg betroffene Nationen. Polen wird sich nie davon befreien können, dass Auschwitz, Majdanek, Belzec, Chelmo und Treblinka polnische Orte sind. Polen und der Holocaust gehören zusammen. Auch Polen war nach dem Krieg zerstört und ausgeplündert, seine Eliten ermordet, vom Westen an Stalin verraten. Das Einzige, was dem Land trotz Stalinismus blieb, war ethnische Homogenität. Und mit der ethnischen Homogenität ging ein Bewusstsein vom unschuldigen Opfer einher. Die von ihren polnischen Nachbarn ermordeten Juden bringen nun alles durcheinander. Die ethnischen Gedächtnisse der Polen und der Juden haben in der Vergangenheit schon immer unterschiedliche Pfade eingeschlagen. Für ethnische Polen war der Zweite Weltkrieg der Krieg, in dem Millionen nicht-jüdischer Polen von den Nazis ermordet und weitere Millionen Polen von den Sowjets verschleppt und ermordet wurden. Der Warschauer Aufstand war nicht der Aufstand des jüdischen Ghettos von 1943, sondern der Aufstand von 1944, bei dem hunderttausende Polen den Tod fanden. Polen und Juden hatten trotz gemeinsamer polnischer Staatsbürgerschaft jeweils einen anderen Krieg erlebt. Das ist nun nach Jedwabne nicht mehr möglich. Widerstand ist hier natürlich vorprogrammiert, wobei sich insbesondere die katholische Kirche schwer tut. Die heutigen Reaktionen und Gegenreaktionen, die sich in den Debatten um die deutschen Vertriebenen zeigen, sind unter anderem als Antwort auf diese wohl zu schnell fortgeschrittene Kosmopolitisierung zu sehen. Die in den letzten Jahren zu beobachtende globale Politik und der Diskurs der Schuld und Vergebung stellen Zeichen für ein neues historisches Bewusstsein dar, das sich aus den Grenzen (um nicht zu sagen: Fesseln) des Nationalstaats löst. In der Vergangenheit wurde die Bereitschaft der Vergebung und der Wiedergutmachung häufig als ein Zeichen der Schwäche und somit als ein Hindernis für realpolitische Zwecke verstanden. So wurde auch der polnische Widerstand gegen das Eingestehen der Verbrechen in Jedwabne interpretiert. Doch die Tatsache, dass der großen Debatten um Polens Vergangenheit ausgelöst – auch über die Landesgrenzen hinaus.
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Osterweiterung als Kosmopolitisierung oder als Renationalisierung | 101 man überhaupt gegen ›die Gefahr der Vergebung‹ auf- und antreten muss, deutet auf ihre zunehmende normative und politische Bindungskraft hin. Gerade in Polen wird das heutzutage sehr deutlich. Kollektive Erinnerung als Erinnerung an Schuld – einst ja das Monopol der westdeutschen Nachkriegsgeschichte – wird immer mehr zu einem politischen Faktor in der internationalen Politik. Vielleicht lässt sich damit auch das mit Jedwabne verbundene Unbehagen mancher deutscher Beobachter erklären. Der Holocaust wird nun zu einem europäischen und nicht nur zu einem deutschen Problem. Ein neues europäisches Gedächtnis ist im Entstehen begriffen, welches sich an Europas Vergangenheit als ›dunklen Kontinent‹ erinnert. Und trotzdem bleibt die Frage: Wer kann eigentlich vergeben? Wer kann um Vergebung bitten?
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Europäische Metaphysik und jüdische Vergebungsverweigerung | 103
Luxemburg: Schuld und Sühne. Europäische Metaphysik und jüdische Vergebungsverweigerung
Im September 1952 unterzeichneten im Rathaus in Luxemburg Vertreter Israels und Deutschlands das so genannte Luxemburger Abkommen, welches Westdeutschland dazu verpflichtete, den jüdischen Opfern und dem Staate Israel Entschädigung für die von den Nazis begangenen Verbrechen zu bezahlen. Damit war natürlich auch eine Schuldanerkennung nötig. Die universale Erinnerung spielt die Täterrolle herunter, da in ihr und durch sie alle zu potenziellen Opfern gemacht werden. Sie korrespondiert mit Jaspers’ Begriff der metaphysischen Schuld. Während Jaspers in seiner Schuldschrift von »metaphysischer Schuld« sprach, die in authentischer Buße abgebaut werden sollte, betonte Arendt immer wieder den politischen Aspekt der Verantwortung, der ohne »Authentizität« auskommen kann. Diese Unterscheidung ist wichtig, da viele der Restitutions- und Versöhnungsdebatten von der Frage geleitet werden, ob die ehemaligen Täter es wirklich ›ernst‹ mit ihrer Reue meinen. Jaspers ging es um die Läuterung der ehemaligen deutschen Täter, Arendt aber um das zerstörerische Potenzial des Totalitarismus, der in der Zukunft eingedämmt werden sollte. Dabei stehen nicht ›Schuldgefühle‹ im Vordergrund, sondern Arendts Argument dreht sich um politische Verantwortung. Sie lehnt moralische Gefühle wie Mitleid, Schuld, Liebe und Güte als politische Prinzipien ab. Betroffenheit kann für sie kein politisches Prinzip sein, und
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104 | Gedächtnisraum Europa auch ihr politischer Vergebungsbegriff ist nicht sentimental. Für Arendt bedeutet Vergebung vielmehr ein Heilmittel gegen Unwiderruflichkeit. Sie erkennt die christlichen Ursprünge der Vergebungslehre, sieht sie aber dennoch als allgemeingültig und relevant für politisches Handeln. In diesem Sinne kann auch Globalisierung durchaus als Folge der Diffusion von ehemals christlichen Wertstrukturen wie der Aufklärung verstanden werden. Arendt vergisst jedoch den jüdischen Standpunkt nie. Die Vergebung kommt als Gegenpol zur Rache, sie ist nicht vorhersehbar, bedeutet einen neuen Anfang, einen Akt der politischen Schöpfung. Aber nicht auf christlicher Liebe soll dieser politische Prozess beruhen, sondern auf Respekt, der der Nähe und Intimität nicht bedarf. Die Alternative zur Vergebung ist Strafe, und Arendt betont, dass diejenigen Vergehen, die unbestrafbar sind, auch nicht vergeben werden können. Für sie war der Holocaust exakt solch ein Vergehen, wie sie in den späten 50er Jahren in ihrem wohl ›universalsten‹ Buch geschrieben hat (Arendt 1958). Jaspers hat einige Jahre nach seiner Genfer Rede – und wohl auch in Auseinandersetzung mit Arendt – seine Position zu jüdischen Fragen revidiert. In einem Grußwort, welches er zur Plenartagung des Fünften Jüdischen Weltkongresses im August 1966 schickte, schrieb er: »Zunächst ein Wort über das, was unmöglich ist. Verzeihen ist der menschliche Akt, der zwar nicht imstande ist, eine Tat ungeschehen zu machen, wohl aber eine gemeinsame Zukunft zu begründen, als ob sie nicht geschehen sei […]. Aber nun die Unmöglichkeit: ein Jude, der überlebt hat, kann für seine Person vielleicht verzeihen, was ihm angetan ist. Wer aber kann den Massenmord der sechs Millionen verzeihen? Ein Recht dazu hätten nur die Ermordeten selber. In ihrem Namen kann niemand sprechen, kein Mensch und kein Staat und keine religiöse Organisation.« (Jaspers 1967: 112)
Das Beispiel der so genannten »Wiedergutmachung« verdeutlicht das kosmopolitische Potenzial, das diesem Verfahren innewohnt. Die deutschen Reparationszahlungen in den 50er Jahren sind in vielerlei Hinsicht zum Präzedenzfall geworden, an dem sich mehr und mehr auch transnational die Rhetorik einer Politik der Vergebung und einer entsprechenden Rechtsprechung orientiert. So analysiert Elazar Barkan (2002) diese Entwicklung als »Neue Schuld der Nationen«. Er beschreibt eine neue internationale Mora-
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Europäische Metaphysik und jüdische Vergebungsverweigerung | 105 lität, die nicht nur durch das Anklagen anderer, sondern vor allem durch die Bereitschaft von Nationen, ihre eigene Schuld anzuerkennen, gekennzeichnet ist. Die nationale Katastrophe des Holocaust wird aus ihrem historischen Kontext herausgerissen und unter globalen Voraussetzungen neu formuliert. Wenn heute Opfer die Schuld der Täter einfordern und diese Schuld sich in materieller Sühne ausdrückt, dann sind der Holocaust und die Wiedergutmachung, die jüdischen und deutschen Erinnerungen, die Vorlagen, die diesem globalen Phänomen ihren institutionellen Rahmen liefern. Auf einen wesentlichen Unterschied sei hier jedoch hingewiesen. Bei den deutschen Reparationszahlungen handelte es sich darum, geraubtes Geld und vernichtete Gemeinden wiederherzustellen. Zusätzlich wurde das Geld auch dazu benutzt, dem Staat Israel wirtschaftlich zu helfen. Bei Versöhnung geht es eigentlich um ein anderes Thema, drehen sich doch heutige Versöhnungsprozesse vielmals um ehemals nationale Auseinandersetzungen, um Unterdrückung oder so genannte »ethnische Säuberungen« – und nicht um den Versuch, eine andere ethnische Gruppe zu vernichten und auszulöschen. Trotz seines europäischen Ursprungs und der Dominanz des Westens wäre es falsch, diese Entwicklungen als eine neue Form des ›moralischen Imperialismus‹ zu verstehen. Der Wiedergutmachungsdiskurs basiert nicht auf einer absoluten, universalistischen Ethik, sondern entsteht durch kulturelle Verhandlungen mit dem jeweils Anderen. Dieser kulturelle Dialog beinhaltet auch eine Neubestimmung der in der Moderne vorherrschenden dichotomen Vorstellungen von Lokalität und Globalität sowie des Gegensatzes von Universalismus und Partikularismus. Der Wiedergutmachungstrend der letzten Jahre geht gerade nicht von einer allgemeingültigen, legalen Vorstellung aus, sondern eher von einem minimalen gemeinsamen Nenner, der lokale partikularistische Besonderheiten mit einbezieht. Es ist also nicht irgendein abstraktes und universelles Rechtsgefühl dafür verantwortlich, sondern die gegenseitige Anerkennung stellt die Basis der Versöhnung her und bietet somit das Fundament für eine gemeinsame Erfahrung und Erinnerung. Es handelt sich hier mit anderen Worten nicht um eine universelle Moralität, wie sie die Aufklärer der Moderne anvisierten. Stattdessen sind wir Zeugen der globalen Genese von Maßstäben und Konditionen der Vergebung, die sich durch die Akzeptanz und im Dialog mit dem Lokalen überhaupt erst herausschälen.
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106 | Gedächtnisraum Europa Es ist oftmals eine Ad-hoc-Konzeption der Gerechtigkeit, in der unter Einbeziehung einer globalisierten Menschenrechtskultur in den jeweiligen Verhandlungen partikularistische lokale Ansprüche mit universalen Erwartungen verschmolzen werden. Der Begriff »Restitution« wird hier nicht im Sinne einer juristischen Kategorie, sondern als ein kulturelles Konzept verstanden, das nicht nur die Rückerstattung geraubten Eigentums und die Entschädigung persönlicher Schäden, sondern auch die Entschuldigung für historische Verbrechen umfasst. Die Antwort auf die Frage nach dem Wesen eines historischen Verbrechens ist oftmals bereits Teil jenes Verhandlungsprozesses zwischen den »Opfern« und »Tätern«. Während also bei bestimmten historischen Verbrechen den Zeitgenossen und gelegentlich sogar den Tätern auch nach damaligen moralischen Standards ihr Handeln als verbrecherisch erschien, verhielt sich dies in anderen Fällen, etwa bei der Sklaverei, aber ebenso bei den gewaltsamen Vertreibungen (die in den jeweiligen Verhandlungen nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg als staatlich sanktionierte »Bevölkerungstransfers« betrachtet wurden und heute »ethnische Säuberungen« genannt werden) nicht unbedingt so. Wiedergutmachung löst diese Ambivalenz auf. Es handelt sich in erster Linie um ›verhandelte Geschichte‹, in der verschiedene durch ein ›historisches Verbrechen‹ über nationale Grenzen und Gräben hinweg verknüpfte Gruppen auf der Suche nach einem gemeinsamen Narrativ den Konflikt zu bewältigen suchen. Damit verändern sie zugleich auch ein Stück weit ihre Identität und eröffnen neue politische Handlungschancen. Erst Vergebung, argumentiert Hannah Arendt, befreit das politische Handeln von den Folgen seiner Verstrickung und eröffnet neue Handlungshorizonte. Doch hier ist Vorsicht angebracht: Ein gemeinsames Narrativ ist, wie schon gesagt wurde, kein gemeinsames in dem Sinn, dass beide Seiten dieselben Geschichten erzählen, sondern dass es hier im Kern um die Anerkennung gerade auch der verschiedenen Narrative geht. Die Wiedergutmachung, die zum Beispiel von Deutschland an die Opfer gezahlt wurde, hat bekanntlich nicht zu einem gemeinsamen Narrativ geführt. Gerade hier sollte man die Stimmen berücksichtigen, die sich der Versöhnung verweigern. Und dennoch stellen diese Thesen ein Plädoyer für eine ›Neue Aufklärung‹ dar. Gemeint ist damit die Einbeziehung bislang ausgeschlossener Gruppen in die liberalen Grundrechte, wobei die in der klassischen liberalen politischen Theorie auf das Individuum beschränkten Rechte nunmehr um Gruppenrechte erweitert wer-
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Europäische Metaphysik und jüdische Vergebungsverweigerung | 107 den. Mit anderen Worten: Die Individualisierung wird auch auf Gruppen bezogen. Da »Wiedergutmachung« im Medium von Verhandlungen einen Ausgleich für historisches Unrecht herstellt, könnte sie in der Tat zum Instrument des Ausgleichs zwischen multi-ethnischer Gesellschaft und Nationalstaat bzw. zum Modell der Konfliktlösung in solchen Fällen werden, in denen die traumatisierenden Wirkungen historischer Verbrechen die Beziehungen zwischen Völkern bzw. verschiedenen Gruppen nachhaltig belasten. Für ehemalige Opfer bedeutet materielle Restitution auch eine Strategie der Sinnschöpfung vergangenen Leids. Natürlich kann man dem entgegenhalten, dass der materielle Austausch von Gütern ebenso den Geist der Verpflichtung in sich trägt. Das Geld, welches in der materiellen Restitution ›ausgetauscht‹ wird, kann nicht vom ›Geldgeber‹ getrennt werden. Gerade hier liegt der Zusammenhang zwischen »moralischem« und »ökonomischem Kosmopolitismus«. Politische Kontroversen, die sich um historische Schuld und Verantwortung drehen, unterstellen nicht selten, dass es sich bei diesen Konzepten in erster Linie um ›authentische‹ Absichten und die moralische ›Qualität‹ der Reue handelt. Schuld und Verantwortung laufen im Widerspruch zwischen Individualität und Kollektivität oft im Kreis: Wie sollen sich Gruppenmitglieder mit der Schuld ›ihres‹ Kollektivs auseinandersetzen, wenn es gerade das ›Kollektiv‹ ist, welches nun neu bestimmt wird und sich neu definieren muss? Inwieweit sollen (und können) moralische Gefühle wie ›Liebe‹, ›Güte‹, ›Mitleid‹ oder ›Gewissen‹ Teil des politischen Handelns werden? Kann es einen Kosmopolitismus ohne Gefühle geben? Kann es Gefühle ohne Erfahrung geben? Kann diese Erfahrung – wie das Gedächtnis auch – ›entliehen‹ werden? Der materielle Aspekt der Wiedergutmachung spielt hier eine große Rolle, wie auf allgemeiner Ebene die parallele Beziehung von Risiko und Versicherung zeigt. Geld ist äußerlich und kann gemessen werden, Schuld nicht. Darüber hinaus erfüllt Geld eine weitere Funktion: Es bietet die Möglichkeit, aus einem politischen Ausnahmezustand banalen Alltag herzustellen. Am Ende wird eine Entschädigung ebenso gezahlt, wie man eine Versicherung bezahlt, nur dass es sich in diesem Falle um eine Versicherung gegen das Böse, um die Transformation der Leidenschaft der ethnischen und nationalen Kriege hin zum kosmopolitischen Frieden handelt. Genau das ist es, was Entschädigung erreichen kann. Sie muss nicht zwangsläufig zu einem gemeinsamen Narrativ der ehemali-
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108 | Gedächtnisraum Europa gen Opfer und Täter führen – das wurde bei Arendt und Jaspers sehr klar. Versöhnung ist daher auch immer Risiko. Sie muss nicht zu einem gemeinsamen ›Wir‹ führen, sondern bezieht die Möglichkeit mit ein, dass Politik unversöhnliche Pluralität voraussetzen kann. Es handelt sich also weder um ›kommunikative Geschichte‹ noch um Diskursethik, sondern um historische Konflikte, die auch ›unkommunikativ‹ sein können – oder dies sogar sein müssen. Damit war es nicht nur die rationale Einsicht in die Vernunft, die zu einer Kosmopolitisierung des Bewussteins führte (wie es die alten Aufklärer noch glaubten), sondern ebenso die Erfahrung der Katastrophe, die den Holocaust zu einem negativ legitimierenden Gründungsmoment globaler Gerechtigkeit werden ließ. Wie heißt es so deutlich in der Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die uns zu Beginn dieses Essays bereits begegnet ist: »[…] da die Nichtanerkennung und Verachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei geführt haben, die das Gewissen der Menschheit mit Empörung erfüllen […]« – und es war klar, was damit im Jahre 1948 gemeint war: Der Holocaust wird zum Sinnbild der Barbarei. Und dennoch liegt hier der Kern bzw. der Motor einer Universalisierungsmaschine. In diesem Diskurs gibt es keine Juden und keine Deutschen mehr. Es gibt nur Menschen und Menschheit, wie sich das auch im Begriff der »Verbrechen gegen die Menschheit« und der Entstehung eines moralischen und rechtlichen Kodex gegen »Völkermord« widerspiegelt. Eines der Prinzipien der globalen Moralität ist nun auch durch die Folgen der Universalisierung des Holocaust konkretisiert worden, das Prinzip nämlich, dass ehemalige Opfer erwarten können, von ehemaligen Tätern entschädigt zu werden. Geld ist eines der abstrakten (und entorteten) Mittel, die Besserung versprechen können. Damit werden jedoch die Zusammenhänge zwischen Vergebung und Geld problematisch. Kann man Vergebung kaufen? Sicherlich nicht. Aber in einer auf Gleichheit beruhenden bürgerlichen Welt können finanzielle Entschädigungen ehemalige Opfer und Täter zu Vertragspartnern machen, deren Zukunft anders, neu geregelt wird. Die Verbreitung und Privatisierung der Wiedergutmachungspolitik deutet auf einen schrumpfenden nationalen Orientierungsrahmen hin, wobei jedoch der symbolische Wert der Restitution nicht unterschätzt werden sollte. Geld stellt nicht nur konkrete Hilfe für ehemalige Opfer dar. Die Abstraktionsleistung des Geldes liegt vielmehr ebenso in der Voraussetzung, unpersön-
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Europäische Metaphysik und jüdische Vergebungsverweigerung | 109 liche Beziehungen herstellen zu können. Wenn es Geld gibt, können Verpflichtungen anonymisiert und in Dienstleistungen umgewandelt werden. Insofern fördert Geld die Vorstellung von der Gleichheit der Menschen, da die Wahrnehmung von Ungleichheit sich nur noch auf persönliche Eigenarten stützen kann. Ehemalige Opfer und Täter können durch Geld in denselben phänomenologischen Raum eintreten und ihre Identitäten kosmopolitisieren. Für ehemalige Opfer bedeutet materielle Restitution darüber hinaus eine Strategie der Sinnschöpfung vergangenen Leids, wie auch das liberale Grundrecht auf Eigentum in diesem Fall historisch in die Erinnerung an vergangenes Leid, das zugefügt wurde, integriert wird (Sznaider 2001). Dies sind zugleich die Grenzen der Vergebung. Vergebung bedeutet daher ebenso wenig Vergessen, wie Restitution nicht bedeutet, dass die Vergangenheit damit abgeschlossen ist. Sie wird neu verhandelt. Zum Schlussstrich kann es gar nicht kommen, auch wenn er von verschiedensten Menschen und Gruppen eingefordert wird (vgl. Heinlein/Levy/Sznaider 2005). In jedem Vergebungsgesuch ist ein Risiko mit eingebaut. Es kann – ja, muss sogar – manchmal abgelehnt werden. In den südafrikanischen »Wahrheits- und Versöhnungskommissionen« war man sich dessen immer bewusst. In keiner anderen Institution sind die Spannungen zwischen Recht, Gerechtigkeit, Vergebung und Versöhnung so aufeinandergeprallt. Aber was bedeutet das für die Holocaust-Erinnerung? Auch in dieser Erinnerung spielen ja gerade die Begriffe der »Wiedergutmachung« und der Vergebung eine große Rolle. Eine Politik der Vergebung kann einen Raum öffnen, der von Rechtssystemen, die nur die Unterscheidung von Schuld und Unschuld kennen, geschlossen wurde. Eine neue moralische Sprache wird dadurch möglich. Hannah Arendt hat schon sehr früh erkannt, dass eine globale ethische Sprache, die sich jenseits des Nationalstaats und nationaler Rechtsysteme ansiedelt, notwendig geworden ist. Die Kriege des 20. Jahrhunderts haben die neue Kategorie der Staatenlosen – und damit Rechtlosen – geschaffen. Diese konnten beraubt, gedemütigt und ermordet werden. Niemand garantierte ihr Recht. Rechte, wie zum Beispiel jenes, nicht ermordet oder gefoltert zu werden, können nicht mehr auf abstrakten Prinzipien beruhen, die von souveränen Staaten garantiert werden. Rechte machen sich negativ fest. Am Ende stehen wir also vor einer klassischen modernen Problematik, auf die Vergebung eine Antwort finden muss, da hier »Verbrechen gegen die Menschheit« zentral behandelt werden. An die-
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110 | Gedächtnisraum Europa ser Stelle setzt Derridas Vergebungstheorie an: an der Selbstanklage des Menschen, die in dem Begriff »Verbrechen gegen die Menschheit« aufgehoben ist (Derrida 2000).60 Er sieht Vergebung als absolut jenseits der Souveränität und jenseits der politischen Logik (ähnlich wie es auch in dem mit Habermas verfassten Aufruf der Fall ist61). Nur das Unverzeihbare kann vergeben werden. Auch für ihn ist die Vergebungspolitik global, aber er zieht sie wieder ins Metaphysische hinein. Es geht damit um eine nicht-religiöse Religion, in der wir alle gleichartig und gleichwertig sind. Im Angesicht Gottes sind wir als Menschen und Menschheit, als Individuum und Kollektiv geschaffen. Der Ausdruck »Verbrechen gegen die Menschheit« ist auch ein tief religiöses Konzept, da es nur über den einen Gott verstanden werden kann, der Menschheit überhaupt erst möglich macht. Vergebung kann in dieser Auffassung also kein Austauschsystem sein. Wenn »Menschheit« nicht heilig wird, kann sie kein Subjekt von Verbrechen werden. Aber: Sind Moralprinzipien nicht ebenso Gruppenprinzipien, wie wir sie aus der Soziologie her kennen? Bedeutet Moralität nicht gleichzeitig auch Identität und Identität nicht gleichzeitig Differenz? Und herrscht nicht jenseits davon ein moralischer Heroismus, der soziologisch gar nicht mehr einzufangen ist? Oder in unserem Zusammenhang gefragt: Können Juden den Holocaust überhaupt vergeben?62 Die jüdischen Stimmen, die sich der Vergebung verweigern, sind daher Sand im Getriebe der universalen Versöhnungsmechanismen. Menschen sind unterschiedlich. Das ist die Grundlage von Identität. Menschen umzubringen, weil sie einer Gruppe angehören, bedeutet folglich, Menschen aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit umzubringen. Damit ist der Angriff auf die Unterschiedlichkeit gleichzeitig ein Angriff auf unsere Menschheit – und genau hier kommt eine weitere Paradoxie des Kosmopolitismus in den Blick, die durch Vergebung nie aufgelöst werden kann: Die rationale Aufklärung sagt uns einerseits, dass wir ontologisch alle gleich als Menschen und Teil der Menschheit sind – und damit handelt es sich hier also um westlichen Universalismus. Gleichzeitig liegt jedoch ein Aufklärungsideal im einzigar60 | Dies ist eine kurze Zusammenfassung der Vorlesungen Derridas über das Vergeben (»Pardon et Parjure«). 61 | Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31. Mai 2003. 62 | Für die Frage, ob der Holocaust ›vergeben‹ werden kann, vgl. unter anderem Amery (1967), Jankelevitch (1993) und Wiesenthal (1998).
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Europäische Metaphysik und jüdische Vergebungsverweigerung | 111 tigen Individuum. Die Aussage dieses Individualismus lautet, dass wir alle einmalig und unersetzbar sind. Damit ist sowohl das Lokale und Konkrete gemeint als auch unser verwundbarer und leidender Körper. Liest man diese beiden widersprüchlichen Aussagen und Forderungen zusammen, dann sind wir bei dem Kosmopolitismus, der im Herzen unserer Debatte liegt. Diese Spannung zwischen dem Lokalen und Globalen macht den Kern dessen aus, wie Gesellschaften heute mit historischem Unrecht umgehen. Sie müssen andauernd zwischen lokalen Anforderungen und globalen Sensibilitäten vermitteln, übersetzen, ausgleichen. Vergebung und Restitution stellen dabei die vermittelnden Konzepte dar, die zur gleichen Zeit jedoch – und hier liegt die Spannung – nicht vermittelt werden können. Die jüdischen Stimmen, die sich der Vergebung verweigern und damit in Verbindung mit dem oben erwähnten jüdischen Dichter Sutzkever stehen, der sich beim PEN-Kongress der Vergebung verweigert hatte, sind daher keine Feinde des Kosmopolitismus. Ganz im Gegenteil – gerade Arendt, Amery und Jankelevitch machen uns darauf aufmerksam, dass es unmoralisch wäre, den Holocaust zu vergeben. Die Vergebung starb im Lager. Genau das sind die Aporien, mit denen globale Gerechtigkeit umgehen muss, ja mit der sie herausgefordert und getestet wird. Diese Opfer versuchen nicht, die Irrationalität des Bösen mit der Omnipotenz der Liebe zu versöhnen. Die Opfer wollen ihr Recht auf Unversöhnlichkeit bewahren. Es sind die überlebenden Opfer, die es als ihre Aufgabe sehen, nicht zu vergeben. Das heißt natürlich nicht, dass damit ›Versöhnung‹ unmöglich ist, vor allem in einer Zeit, in der die Anzahl der Überlebenden immer geringer wird. Aber es stellt sich die Frage nach den Grenzen der Versöhnung, die es ins Bewusstsein zu heben gilt. Es geht hier nicht um globale Erlösung, sondern um konkrete Menschen in ihren verschiedensten politischen Zusammenhängen. Gleichzeitig gilt es, die Grenzen der Holocaust-Erinnerung für eine globale Moral aufzuzeigen. Damit werden auch die Unterschiede, die zwischen der Judenvernichtung, anderen Genoziden und politischen Verbrechen bestehen, nicht verwischt. Gerade die Stimme derer, die sich der Versöhnung verweigern, zeigt die Grenzen der Universalisierung auf. Jankelevitchs Stimme zum Beispiel ist eine tote und unversöhnliche Stimme, sie setzt sich jenseits des Zeitgeistes der Versöhnung über diese hinweg und bleibt bei einem lauten Nein, einem Nein zur Wiedergutmachung, einem Nein zur Ver-
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112 | Gedächtnisraum Europa söhnung zwischen Juden und Deutschen, einem Nein zur aktuellen Universalisierung der Holocaust-Erinnerung, einem Nein zum Verzeihen. Wie Jean Amery (vgl. Brudholm 2008), Primo Levy, Imre Kertesz und auch weitere Autoren behält sich Vladimir Jankelevitch, dessen Familie aus Odessa stammte, der im französischen Widerstand kämpfte und an der Sorbonne Philosophie lehrte, sein Recht auf Ressentiment und will seine Unversöhnlichkeit nicht als Pathologie verstanden wissen, die einer globalen Harmonie im Weg steht. Diese jüdischen Stimmen wehren sich gegen die Traumatisierung der Geschichte, in der alle leiden und Opfer sind. Es geht ihnen dabei nicht um ›Heilung‹, ›Frieden‹ und ›Wahrheit‹, sondern um eine historisch eingebettete Gerechtigkeit. Damit steht kein universalisiertes Trauma im Vordergrund, sondern partikulare Erinnerungen.63 Jankelevitch ist daher gegen Versöhnung. Er traut den Eliten und weiten Teilen der Bevölkerung nicht, die die Selbstanklage und die Schuld ihrer Nation als moralischen Standard akzeptieren wollen. Versöhnung wird heutzutage in einer gewissen Weise zum globalen politischen Ziel, wobei die Vergebung von Schuld eine große Rolle spielt. Die Diskussion über diese Zusammenhänge begann, wie viele andere Debatten auch, unmittelbar nach den Ereignissen des Holocaust (man denke nur an den Briefwechsel zwischen Karl Jaspers und Hannah Arendt, an die Konfrontation von »metaphysischer Schuld« und authentischer Buße mit dem politischen Aspekt der Verantwortung, der ohne »Authentizität« auskommt). Jankelevitch ist eine weitere Stimme der jüdischen Erinnerung, die sich einer universal-kosmopolitischen Erinnerung widersetzt. Er glaubt nicht an die deutsche Reue. Er nimmt die deutschen Täter in ihrer Leidenschaft, den Juden das Recht auf Existenz zu nehmen, ernst. Die Ausrottung der Juden ist für ihn Ausdruck einer ontologischen Bosheit. Das Verzeihen ist wohl das Einzige, was die Bosheit ertragbar machen kann. Ohne das Verzeihen wird es im wahrsten Sinne des Wortes unmenschlich. Ohne Verzeihen wird das Böse in der Tat ontologisch. Und das ist genau das, was Jankelevitch will. Die Verbrecher sind für ihn keine Fanatiker oder blinde Doktrinäre, und sie sind sicher nicht banal. Vom Standpunkt des Opfers kann das Böse nicht banal sein. Sie sind ›Monstren‹. Und für Monstren kann es 63 | Siehe auch das Modell der südafrikanischen »Wahrheits- und Versöhnungskomitees«.
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Europäische Metaphysik und jüdische Vergebungsverweigerung | 113 kein Verzeihen geben. Bestrafung wird angesichts der Verbrechen überflüssig. Was bleibt, ist das Ressentiment. Jankelevitch widersetzt sich der Gleichmacherei. Nicht um ein Massaker handelt es sich, nicht um stalinistischen Terror, nicht um Rassismus, es geht nicht um die Atombomben und nicht um die Bombenangriffe. Gerade die Ruinen von Berlin und Dresden sind für Jankelevitch das Mindeste, was man den Juden schuldet. Für Jankelevitch bedeutet Verzeihung Gleichgültigkeit, moralische Amnesie, ja Oberflächlichkeit. »Die deutsche Reue heißt Stalingrad […], sie heißt Niederlage«, erinnert er seine Leser in einem 1971 verfassten Essay über das Verzeihen (Jankelevitch 2006: 44). Das ist der wahre Grund, warum das Judenmorden sein Ende gefunden hat. Nichts kann wieder gutgemacht werden. Jankelevitch besteht auf sein Ressentiment als Protest gegen die moralische Amnestie. Er stört damit den Frieden, und genau darin sieht er seine Aufgabe. Diese jüdischen Stimmen bäumen sich auf gegen den globalen Trend der Versöhnung und den damit verbundenen Institutionen, Wahrheitskommissionen, Historikerkommissionen, Ausstellungen, Mahnmälern, sie bäumen sich auf gegen die globale Erinnerung an den Holocaust, in der Menschenrechtsverletzungen, Völkermord, Bombardierungen und Vertreibungen so bequem integriert werden. Verbrechen gegen die Menschheit kann man nur mit einer versöhnten Menschheit beantworten. Von Jankelevitch kommt das laute und deutliche Nein. Die jüdischen Stimmen erkennen, dass sich hinter diesen globalen Versöhnungszeremonien christliche Motive verbergen und wehren sich gegen diese christliche Vereinnahmung der jüdischen Katastrophe. Viele Leser wurden auch deshalb auf Jankelevitch aufmerksam, weil er den Gegenpol zur mittlerweile oft diskutierten These von Derrida zur Vergebung darstellt, in der, wie wir weiter oben gesehen haben, ebenso »Verbrechen gegen die Menschheit« zentral behandelt werden. Und wir haben auch gesehen, dass sich Amery und Jankelevitch gegen die Vergebung des Holocaust, die in ihren Augen unmoralisch ist, wenden: Wir Überlebenden sind es, die diese Bürde des Ressentiments weiter zu tragen haben, es ist unsere philosophische Aufgabe, nicht zu vergeben. Das bedeutet, sich leidenschaftlich zur Wahrheit zu bekennen, die Wahrheit der Ausrottung, der Erniedrigung, des Monströsen, des Horrors, die die Judenvernichtung über ihre Opfer und deren Nachkommen brachte. »Denn diese Agonie wird dauern bis ans Ende aller Tage.« (Ebd.: 62) Es scheint, als ob Jankelevitch eine Antwort auf Jaspers gefun-
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114 | Gedächtnisraum Europa den hat, der vorgeschlagen hatte, dass der Sinn des Leidens in der transzendentalen Versöhnung, ja im »eigenen Gott« liegt.64 Dieser Lösung setzten die Opfer ihre politische Unversöhnlichkeit entgegen. Zwischen diesen beiden eher unvereinbaren Gegensätzen, die auf der einen Seite ein versöhntes Europa entstehen ließen, in dem ehemalige Feinde als gleichgesinnte Partner politisch agieren konnten und können, auf der anderen Seite jedoch ein unversöhnliches jüdisches Gedächtnis hervorbrachten, das nicht in dieses kosmopolitische Modell integriert werden kann, zwischen diesen beiden Gegensätzen also gibt es ein weiteres Modell, das sich aus der historischen Erfahrung heraus entfaltet hat und das für Hannah Arendt bestimmend war.
64 | Für den »eigenen Gott« und seine soziologische Bedeutung vgl. Beck (2008).
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Paris in Europa: Krieg und Frieden | 115
Paris in Europa: Krieg und Frieden
Die Relevanz des Holocausts für das Vorhaben, die Konturen eines entstehenden ›kosmopolitischen Gedächtnisses‹ zu skizzieren, ist nicht nur auf seinen ikonenhaften Status beschränkt. Die Erinnerung an den Holocaust ist mit dem Schicksal und der Rolle der Juden verknüpft, die jedoch nicht nur als dessen Opfer, sondern ebenso als Personifizierung der Moderne und des Kosmopolitismus gelten. In der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg lebten Juden in der Spannung zwischen Universalismus und Partikularismus; sie waren, wie wir bereits gehört haben, zu universal, um partikular zu sein, und zu partikular, um universal zu sein. Diese Form von Politik will Arendt nun positiv wenden (so wie sie Kafkas Mauscheln positiv gewendet hatte). Juden waren anwesend, ohne wirklich dazu zu gehören. Dieses ›Nichtdazugehören‹ machte die Juden zu den Kosmopoliten Europas, aber zugleich zu wehrlosen Opfern der Nazis. Ort und ›Nicht-Ort‹ vermischten sich in ihrem Erfahrungsraum. Europäische Juden waren gleichzeitig assimiliert, orthodox, jüdisch und nicht-jüdisch, national und kosmopolitisch. Nur eines waren sie nicht: integraler Teil der nationalen Gesellschaften Europas. Sie waren es, die die zweite kosmopolitische Moderne innerhalb der ersten nationalstaatlichen Moderne vorlebten. Die kosmopolitische Erinnerung versucht daher, die jüdische Existenz vor ihrer Vernichtung ins Blickfeld zu rücken. Die Juden Europas stellten die drei Homogenitätsprämissen, die stets nationalstaatlich geprägt und begrenzt gedacht wurden, in Frage: »Homogenität von Raum und Zeit, Homogenität von Raum und Bevölkerung und die Homogenität von Vergangenheit und Zukunft.« (Beck/Bonß 2001: 22) Die Vernichtung der europäi-
2008-04-01 15-57-21 --- Projekt: T692.x-texte.sznaider / Dokument: FAX ID 030d175017271660|(S. 115-123) T01_12 kapitel 12.p 175017271956
116 | Gedächtnisraum Europa schen Juden stellte den fanatischen Versuch eines ethno-nationalen Deutschlands dar, die transnationalen jüdischen Kulturen und Gesellschaften im Herzen Europas auszumerzen. Die europäischen Juden repräsentierten im antisemitischen Bewusstsein der ersten, nationalstaatlich orientierten Moderne alles, was dem extremen Nationalismus gefährlich sein konnte: Sie galten als Repräsentanten des Universalen, des Wurzellosen, des Internationalen, des Abstrakten, das im krassen Gegensatz zu allem Lokalen, Verwurzelten und Konkreten stand. Eine an den Opfern des Holocaust orientierte Erinnerung sollte daher deren ›Entortung‹ mit in Betracht ziehen. Die Holocaust-Erinnerung kann sich entlang nationaler Linien entwickeln, sie kann aber auch entlang der von den Opfern personifizierten kosmopolitischen Einstellung entstehen. Ein solches Gedächtnis muss also keineswegs auf nationale oder ethnische Strukturen verzichten, sondern kann aus ihnen hervorgehen. Juden waren nicht Teil der ersten Moderne. Ganz im Gegenteil: Ihre Lebenswelten sind von der Vormoderne geprägt worden. Ihre Integration in die moderne Welt der Nationalstaaten ist gescheitert. Die jüdischen Gemeinschaften waren zu ihrer Entfaltung auf die Zwischenräume angewiesen, die sich ihnen in der multi-ethnischen Vielfalt der großen Imperien boten (Diner 2003). Waren es vielleicht auch aus diesem Grund so genannte »imperiale« Juden, die die moderne Idee der Menschenrechte kodifizierten, wie Hersh Lauterpacht, oder den rechtlichen Kosmopolitismus des römischen Reiches wiederbelebten, wie es Hans Kelsen in seinen Theorien tat? Auch der Begriff »Genozid« (Völkermord) wurde 1943 durch einen polnischen Juden namens Raphael Lemkin in die Welt gesetzt. Zweifelsohne diente der Holocaust als Auslöser für Lemkins Bemühungen, die Welt durch eine UN-Konvention vor der systematischen Vernichtung bestimmter Gruppen zu warnen. Der Begriff des Völkermords war jedoch keinesfalls synonym mit der Judenvernichtung. Wie aus seinem 1944 veröffentlichten Buch »Axis Rule in Occupied Europe« (das erste Mal, dass der Begriff »Genozid« im Druck erscheint) ersichtlich wird, benutzte Lemkin den Begriff des Völkermordes nicht als besonderes Merkmal der Judenverfolgung, sondern als allgemeine Referenz zur Besatzungspolitik der Nazis. Lemkin rechtfertigte sein Vorhaben mit Hinweisen auf Völkermordversuche vor und nach dem Holocaust. Gleichzeitig war er darum bemüht, den Holocaust nicht als eine ausschließliche Bedrohung für das europäische Judentum zu präsentieren, sondern konzentrierte sich auf die nationalsozialistische Un-
2008-04-01 15-57-21 --- Projekt: T692.x-texte.sznaider / Dokument: FAX ID 030d175017271660|(S. 115-123) T01_12 kapitel 12.p 175017271956
Paris in Europa: Krieg und Frieden | 117 terwanderung europäischer Rechtstraditionen. Obgleich er seine gesamte Familie im Holocaust verloren hatte, weigerte er sich, ihn als ein ausschließlich an den Juden vergangenes Verbrechen zu betrachten (Rabinbach 2005). Lemkin gilt als einer der Pioniere der kosmopolitischen Rechtsprechung und der Anerkennung von Völkermord als Verbrechen. Jeder, der sich heute bemüht, Verknüpfungen zwischen der Judenvernichtung und Völkermorden herzustellen, die an anderen Gruppen begangen wurden, beruft sich auf seine Arbeiten. Erst die moderne Nationalstaatsidee führte zur ethnischen Homogenisierung der bis dahin eher vage definierten Nationalitäten. Jüdische Religion kennt keine Einheit von Volk und Territorium. Der heutige Übergang in eine postnationale, multi-ethnische Gesellschaft ohne territorial festgeschriebenen Identitätskern war schon immer integraler Bestandteil jüdischer Lebenswelten. Es ist daher kein Zufall, dass der Begriff der Diaspora aus der jüdischen Theologie in die transnationale Kulturwissenschaft gewandert ist. Judentum ist weder durch Raum noch Zeit eindeutig definiert. Das macht die Verbrechen gegen das Judentum und die Juden paradigmatisch für eine sich kosmopolitisierende Erinnerung. Doch führt das, um diesen Punkt zu wiederholen, zu keinen gemeinsamen Erinnerungen, haben diese sich kosmopolitisierenden Erinnerungen schließlich nichts mehr mit konkreten historischen Erfahrungen zu tun. Der historische Wandel von Minderheitenrechten zu Menschenrechten ist in dieser Hinsicht paradigmatisch für die verschiedenen Erinnerungen, die es gibt. Menschenrechtspolitik wird heute oft als ein natürlicher Prozess, fast schon als Evolution gesehen. Dahinter steckt der Fortschrittsgedanke, der Menschen aus ihrer nationalen und ethnischen Unmündigkeit befreit und sie in universale Figuren verwandelt. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Verknüpfung zwischen Recht, Staat und Nation je aufgehoben wurde. Als am Ende des Ersten Weltkriegs die Imperien zusammenbrachen und ethnische Nationalstaaten auf ihrem Boden entstanden, entstand auch eine neue Kategorie von Mensch, eine Kategorie, die für die Juden entscheidend wurde – die Kategorie der ethnischen Minderheit. Das Problem der nationalen Minderheiten und insbesondere der jüdischen Minderheit war ein europäisches politisches Problem, das seinen Schatten bis in die heutige Gegenwart hinein wirft. Nicht dass die Juden die einzige Minderheit waren – dies war keineswegs der Fall, doch sie standen stellvertretend für die anderen Minderheiten, ja verschärften das Minderheiten-
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118 | Gedächtnisraum Europa problem auch deswegen, weil es ihnen an einem ›Mutterstaat‹ mangelte. Heute leben in Mittel- und Osteuropa kaum noch Juden, und wir haben in den vorherigen Kapiteln bereits die damit verbundene Erinnerungspolitik in Polen oder der Ukraine diskutiert. Die politischen Vereinbarungen nach dem Ersten Weltkrieg machten in Süd-, Mittel-, und Osteuropa aus 60 Millionen Menschen Staatsbürger, bei denen Territorium und Ethnizität zusammenfielen, während etwa 25 Millionen Menschen zu Minderheiten wurden. Viele wussten gar nicht, zu welcher Nationalität sie gehörten und identifizierten sich entlang religiöser Muster. Polen ist dafür das beste Beispiel. Mehr als ein Drittel der Menschen auf dem neuen Territorium – etwa acht Millionen – gehörten zu fünf nicht-polnischen Gruppen (Juden, Deutsche, Ukrainer, Weißrussen und Litauer). Neue Nationalstaatlichkeit hieß dann auch in erster Linie Integration und Assimilation, das heißt sprachliche Vereinheitlichung. Gleichheit vor dem Recht hieß dann oft auch, die gleiche Sprache sprechen und schreiben zu müssen (vgl. Levene 1993). Dies war für Juden in Westeuropa meist kein Problem, für osteuropäische Juden jedoch eine Hürde, die – wie gezeigt wurde – die Besonderheit von Bruno Schulz ausmacht. Gleichheit vor dem Gesetz konnte auch für viele gläubige Juden ein Problem sein, wenn der vom Staat verordnete Ruhetag ein Sonntag sein sollte. Der Sieg der Westmächte, die unter dem amerikanischen Präsidenten Wilson die nationale Selbstbestimmung garantieren und die westeuropäische Rechtsauffassung einheitlicher staatlicher Strukturen in den Osten exportieren wollten, stellte eine Herausforderung des traditionellen Lebensstils vieler osteuropäischer Juden dar. Ihr Leben musste in der Folge anders geregelt werden, wobei vor allem die Rechte auf eigene Sprache und Erziehung entscheidend waren. Diese Minderheiten sollten durch internationale Vereinbarungen und Institutionen geschützt werden. Da Juden keinen ›Mutterstaat‹ hatten, der für ihre Sicherheit aufkommen konnte, waren sie mehr als andere Minderheiten auf internationalen Schutz angewiesen. Dass diese Garantien zusammenbrachen und dass der Ort der Judenvernichtung dort stattgefunden hat, wo die Minderheitenschutzverträge hätten tragen sollen, ist heute natürlich Teil der jüdischen Erinnerung und begründet auch das Misstrauen dieser Erinnerung gegenüber internationalen Garantien.65 65 | In diesem Zusammenhang ist auch wichtig zu erwähnen, dass
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Paris in Europa: Krieg und Frieden | 119 Als sich die Siegermächte zwischen 1918 und 1919 in Paris zur Friedenskonferenz trafen, war bereits von den an den Juden in Osteuropa begangenen Massakern zu hören.66 Der Schutz der ethnischen Minderheiten wurde zu einem zentralen Thema der Konferenz, und das, obwohl die Balfour-Deklaration, die der zionistischen Bewegung die britische Bereitschaft für die Schaffung einer jüdischen Heimstätte in Palästina garantierte, einige Monate zuvor veröffentlicht wurde. Die Region versank in Chaos, sowohl Ungarn-Österreich als auch Russland hörten auf, als Imperien zu existieren. Trotzdem erwies sich der ethnische Nationalismus als die stärkste Kraft in dieser Region, ein Nationalismus, an dem sich in dieser Zeit auch der Zionismus orientierte, der durch die europäischen Verhältnisse entstand, seine Heimstätte dann aber außerhalb Europas suchte. Die Institution des Völkerbundes, die die ethnischen Minderheiten schützen sollte, erwies sich als unfähig. Die nationale Souveränität war stärker als internationale Garantien. Das Scheitern des Völkerbundes stellte eine der ausschlaggebenden Erinnerungen dar, die die Vereinten Nationen nach dem Zweiten Weltkrieg dazu veranlassten, Minderheitenrechte zu vernachlässigen und stattdessen Menschenrechte und ihren Schutz zu institutionalisieren. Das würde dann auch bedeuten, dass Minderheitenrechte und Menschenrechte in der historischen Erinnerung nicht zusammen verstanden werden können. Doch eigentlich ist das Gegenteil der Fall. Die Konzentration auf Menschenrechte nach dem Zweiten Weltkrieg war die korrekte Antwort auf das Scheitern der Minderheitenrechte und deren Schutz. In der Erinnerung derjenigen, die die neue Weltordnung nach dem Zweiten Weltkrieg ausarbeiteten, waren Minderheitenrechte die Verkörperung dessen, was die europäische Ordnung zusammenbrechen ließ. Hier waren es gerade die deutschen Minderheiten, die später als Faktor der Entstabilisierung galten. Das Scheitern der Pariser Verträge wurde mit dem Münchener Abkommen von 1938 symbolisiert, in dem die europäischen Mächte Hitler den Schutz der deutschen Minderheiten in der Tschechoslowakei zugestanden hatten. Für viele Beobachter war das der Beginn des Zweiten Weltkrieges. Sieben Milwährend des Ersten Weltkriegs der türkische Nationalismus versuchte, die Armenier zu beseitigen, ein Ereignis, welches heute als konstitutiv für das Völkermordsverbrechen verstanden wird. 66 | Für den größeren historischen Zusammenhang vgl. Mazower (2004).
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120 | Gedächtnisraum Europa lionen Juden lebten im damaligen Osteuropa. Nur wenige überlebten. In der jüdischen Erinnerung war daher nach dem Zweiten Weltkrieg Europa als Alternative kaum noch denkbar. Die beiden Alternativen bestanden entweder in der nationalen Souveränität Israels oder im ethnischen Pluralismus der USA. Für europäische Juden nach dem Ersten Weltkrieg gab es jedoch noch eine dritte Alternative, die im heutigen jüdischen Gedächtnis als gescheitert gilt, dort aber dennoch ihre Spuren hinterlassen hat. Ich meine damit die jüdische Minderheitsdiplomatie auf der Pariser Friedenskonferenz (vgl. die Studien von Fink 2004, Janowsky 1933 und Robinson et al. 1943 sowie die Zusammenfassung des Forschungsstandes bei Nesemann 2005). Hier operierten Juden als Diplomaten ohne Staat und versuchten, als ethnische Gruppe eine ent-territorialisierte Politik der Rechte für sich zu formulieren. Trotz des Scheiterns dieser Politik wurden damit doch bestimmte Grundhaltungen eines politisierten Judentums geschaffen, die besonders für jüdische Intellektuelle wie Baron oder Arendt entscheidend werden sollten. Es waren hier wiederum amerikanische Juden, die in Paris als Diplomaten ohne Staat agierten – es war eine Alternative jenseits von Zionismus und Assimilation geschaffen worden, das heißt, die Akzeptanz der kollektiven jüdischen Identität als eine politische Identität, die nicht nach nationaler Souveränität strebt, aber die ihr Judentum auch nicht als private Ergänzung zur jeweiligen öffentlichen staatsbürgerlichen Identität versteht. So erschien auf der Pariser Friedenskonferenz eine jüdische Delegation, die aus prominenten Juden aus verschiedensten Ländern zusammengesetzt war und dort spezifisch jüdische Forderungen stellte, die vor allen Dingen auf den Wunsch nach kultureller Autonomie hinausliefen. Die Delegierten teilten die Perspektive, dass das jüdische Volk als Kollektiv existierte. Sie versuchten, ethnische kollektive Identitäten aus der Zeit der Imperien in die Zeit der Nationalstaaten hinüberzuretten, was sich jedoch als so gut wie unmöglich erwies. Kulturelle Autonomie sollte jenseits von nationalen Grenzen durch internationale Verträge geschützt werden. Die jüdischen Delegierten forderten auch einen Sitz als Juden im Völkerbund, und zwar als universale, jedoch staatenlose Nation. Weiterhin war zudem ein europäisch-jüdischer Pass im Gespräch. Das Revolutionäre an diesen Forderungen bestand wohl in der gemeinsamen staatenlosen Staatsbürgerschaft und der damit zusammengehenden Forderung, dass ein Kollektiv der Juden als
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Paris in Europa: Krieg und Frieden | 121 unabhängiges und legales Subjekt in der internationalen Arena auftreten kann. Die Alliierten wollten und konnten das nicht akzeptieren und taten sich leichter damit, Juden entweder als nationalistische Zionisten oder als universalistische Sozialisten zu verstehen. Internationale Garantien konnten Juden weder vor der Verfolgung noch vor der Vernichtung retten. Dies wurde dann auch zu einem der Katalysatoren für die nach dem Zweiten Weltkrieg beginnende Menschenrechtspolitik, die jedoch nicht im Widerspruch zum Transfer von Bevölkerungen nach Kriegsende stand. Ethnische Homogenisierung sollte, so der dahinter stehende Gedanke, zur Stabilität beitragen. Erst im Laufe der Jahre wurde diesem Prozess der »ethnischen Säuberung« seine Legitimität entzogen. Davor jedoch waren Menschenrechte und ethnische Homogenität kein Widerspruch. Menschenrechte sollten die politische Antwort auf Minderheitenrechte werden. Minderheiten galten nach dem Zweiten Weltkrieg als potenzielle »Fünfte Kolonne« und Verräter. Man versuchte auch eine Form von Ordnung herauszuarbeiten und herzustellen, in der Menschenrechte ohne ethnischen oder nationalen Partikularismus verstanden werden konnten. Das bedeutete aber, dass Millionen von Menschen ihren Ort verlassen und sich woanders ansiedeln mussten. In Europa traf dies vor allem auf Menschen deutscher Abstammung in Osteuropa zu. Die jüdische Minderheitenpolitik ist jedoch ebenso wie die Zusammenarbeit deutscher und jüdischer Minderheiten im Rahmen des Europäischen Minoritätenkongresses nach dem Zweiten Weltkrieg in Vergessenheit geraten. Der Holocaust und die Gründung des Staates Israel lassen für diesen Abschnitt jüdischer Politik keinen Erinnerungsraum mehr zu. Die Minderheitenpolitik lebt in einem anderen Sinne außerhalb Europas in den USA weiter. Sie war ausschlaggebend für die Arbeit der »Jewish Cultural Reconstruction«, die verstanden hatte, dass diese Arbeit von nun an in Zusammenarbeit zwischen amerikanischen und israelischen Juden geleistet werden muss. Der imperiale Traum eines europäischen Judentums jenseits des europäischen Staatenbundes ist angesichts des Vereinten Europas nicht mehr denkbar. Sowohl für den kosmopolitischen Diskurs als auch den kosmopolitischen Realismus ist hier die Verknüpfung von Partikularismus und Universalismus als zwei sich ergänzende und nicht ausschließende Begriffe ausschlaggebend – und zwar nicht im Sinne eines theoretischen Konstrukts, sondern als gelebte Erfahrung. Diese Minderheitenpolitik wurde zusätzlich von der Hoff-
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122 | Gedächtnisraum Europa nung eines internationalen Regimes getragen, welches die Macht und die Legitimität besitzen sollte, diesen Schutz auch zu garantieren. Diese Hoffnung hat sich jedoch nicht erfüllt. Die Souveränität der Nationalstaaten erwies sich als stärkere Kraft, und diese Erfahrung hat das jüdische Gedächtnis bereits vor dem Holocaust entscheidend geprägt. Als die Ukraine 1919 zusammenbrach, waren die Juden Opfer grausamer Massaker, die zur gleichen Zeit wie die Pariser Friedenskonferenz stattfanden. Diese Massaker fanden in der Region statt, in der mehr als 23 Jahre später Bruno Schulz erschossen werden sollten. Der Völkerbund war machtlos – und wollte auch keine Macht ausüben. Im jüdischen Gedächtnis ist die Judenvernichtung eng mit dem Scheitern des internationalen Schutzsystems und dem Mangel an eigener Souveränität verknüpft, gerade auch deshalb, weil dasselbe Ereignis im nicht-jüdischen Gedächtnis die Forderungen nach internationalen Garantien noch mehr verstärkte. Es sind diese beiden Erfahrungen, die sich in der Spannung zwischen Nürnberg und Jerusalem abspielen. Auch hier taucht wieder diese eine Frage auf: Sollten Menschenrechte individuell oder kollektiv verankert werden? Die jüdische Forderung nach Gruppenautonomie musste sich nach dem Holocaust neu orientieren, und zwar zwischen New York und Jerusalem. Von der Verknüpfung zwischen individualrechtlichem Minderheitenschutz und Nationalitätenrecht, welches ein imperialer europäischer Traum war, blieb nach dem Zweiten Weltkrieg nichts mehr übrig. Der moderne Kosmopolitismus geht davon aus, dass innere Autonomie und Selbstbestimmung als Gruppe sich nicht gegenseitig ausschließen. Die jüdischen Diplomaten in Paris waren wegen der existenziellen Situation der Juden ihrer Zeit weit voraus. Sie forderten bürgerliche, religiöse und politische Freiheiten als Individuen und gleichzeitig das Recht, sich als nationales Kollektiv zu organisieren.67 Gleichheit und Verschiedenheit fungieren hier als sich ergänzende Prinzipien der Politik. Diese historische Verknüpfung kosmopolitischer Prinzipien aus dem europäischen historischen Zusammenhang zu verstehen, konkretisiert die Debatte und lässt sie nicht in einem historisch luftleeren Raum schweben, wie das heute bei vielen Debatten über das ›kosmopolitische Europa‹ der Fall ist. Kosmopolitische Politik ist immer auch eine Politik des Risikos. Sie ist nicht harmonisch, beruht nicht auf machtfreier Kommunikation, sondern oft auf 67 | Für den genauen Wortlaut vgl. Viefhaus (1960: 140ff.).
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Paris in Europa: Krieg und Frieden | 123 unüberbrückbaren Gegensätzen, die auf verschiedenen historischen Erfahrungen und Erinnerungen beruhen. Die jüdische Erinnerung und Erfahrung muss sich als partikulare Erfahrung quer zu einem rationalen und universalen Erfahrungsbild stellen. Jüdische Vertreter gehörten nach 1918 zu den großen Enthusiasten einer internationalen Ordnung, und zwar nicht nur wegen der Sicherheit, die dieses System garantieren sollte, sondern wegen ihrer existenziellen Ausgangsposition. Diese spezielle Kategorie von Juden als ethnische Gruppe, die durch die Katastrophe nur verschärft wurde, lief nach dem Zweiten Weltkrieg gegenläufig zu einem internationalen und insbesondere europäischen Trend, der vom Begriff der Menschenrechte bestimmt war. Der jüdische Partikularismus galt daher nach dem Krieg als rückschrittlich, obwohl diese Delegitimation unter anderem auch durch die jüdische Katastrophe verursacht worden war. Dies wurde besonders in der Zeit nach dem Krieg offensichtlich. Aber: Die Minderheitenpolitik in Paris hat die jüdische Politik nach dem Krieg vorbereitet. Nach der Katastrophe was es nicht mehr möglich, ihr die Legitimation zu entziehen.
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Kosmopolitisiertes Opfertum | 125
New York, Nürnberg und Jerusalem: Kosmopolitisiertes Opfertum
Worin drückt sich die Kosmopolitisierung der Erinnerung aus? In der Umkehrung der Opferperspektive! Während im Nachkriegsjahrzehnt in Deutschland zum Beispiel die Aufmerksamkeit hauptsächlich den deutschen Opfern zukam, rückten in den darauf folgenden Jahren die Opfer der Deutschen in den Mittelpunkt der Erinnerungspolitik. Die emotionale Solidarisierung mit Opfern der ›Anderen‹ schuf Ansätze einer kosmopolitischen Erinnerung. War das eine Illusion? War die Niederlage Nazi-Deutschlands von 1945 wirklich der Sieg der Opfer, wie es lange Jahre den Anschein hatte? Kann das so genannte »Jahrhundert der Barbarei« keine Unterschiede zwischen Täter und Opfer machen? Bei der Kosmopolitisierung der Erinnerung geht es nicht um die Einzigartigkeit des Holocaust, sondern um Verfolgung und Opfertum schlechthin. Der Holocaust wurde universalisiert und unter der allgemeinen Rubrik des Zweiten Weltkriegs behandelt. Auf den ersten Blick erscheint die Vergleichbarkeit als eine neutrale Frage nach einem methodischen Instrumentarium. Debatten über die Einzigartigkeit oder Vergleichbarkeit eines Phänomens betreffen auch das jeweilige Kräfteverhältnis von universalistischen und partikularistischen Identifikationsmustern und deren Erinnerungskorrelaten. Der Holocaust wird als einzigartiges Ereignis vergleichbar. Die partikulare Opfererfahrung der Juden kann universalisiert werden, muss es aber nicht. Der zeitliche Aspekt ist hier wesentlich. Für die Zukunft öffnet sich ein neuer Diskurs, der den Holocaust unter den Rubriken des Völkermords und der Menschen-
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126 | Gedächtnisraum Europa rechtsverletzungen global einordnet. Für die Vergangenheit heißt es aber, dass dieser Holocaust historisch verortet wird und die Taten der Deutschen und ihrer Kollaborateure als Teil eines grausamen Jahrhunderts verstanden werden. Soziologisch betrachtet hat die Öffnung transnationaler Erinnerungsräume ambivalente Folgen: So ist es zum Beispiel nun auch in Deutschland wieder möglich, die eigene Leidenserfahrung (seien es die Bombenopfer in den Städten oder die Opfer der Vertreibung) zu betonen. Transnationalisierung ermöglicht Renationalisierung. Während diese Themen bis vor Kurzem noch als Teil eines revisionistischen Geschichtsbildes vorgetragen wurden, werden sie jetzt in einem nationale Grenzen übergreifenden Diskurs eingebettet. Die Erinnerung an partikulares Leiden wird entgrenzt unter dem Gesichtspunkt eines Menschenrechtsdiskurses mit globalem Anspruch. Auf diese Weise greifen nationale und kosmopolitische Legitimationszwänge ineinander und stellen sich durch eine Europäisierung der Erinnerung wechselseitig in Frage. Aus dieser Perspektive kann auch der Jerusalemer EichmannProzess als Einschnitt für einen opferzentrierten Diskurs bewertet werden. In diesem Prozess, der 1961 stattfand, kamen die Opfer unter weltweiter Beachtung zu Wort. Und sie kamen in all den Sprachen zu Wort, die Juden in Europa gesprochen haben. Anders als in Nürnberg ging es hier nicht um »Verbrechen gegen die Menschheit«, sondern um Verbrechen gegen das jüdische Volk. In diesem Prozess stand – wie in den heute in manchen posttotalitären Ländern eingerichteten Wahrheitskommissionen – weniger die historische Wahrheit und die Verurteilung der Täter im Vordergrund als vielmehr die psychologische und emotionale Wahrheit der Opfer, das Heilen ihrer Wunden. Doch dass in den Befragungen durch Wahrheitskommissionen, ähnlich wie beim Jerusalemer Prozess, nur vermeintlich Subjektives zu Tage tritt, ist im globalen Zeitalter kein Zufall: Es geht darum, Zeugnis abzulegen. Das Opfer spricht und verlangt nach einer Reaktion, nach der Anerkennung seiner Lebensgeschichte. Vom moralischen Standpunkt aus gesehen sind die Nürnberger Prozesse und der Eichmann-Prozess keine Dichotomien, die einen vor den Zwang stellen, zwischen Universalismus und Partikularismus, zwischen Menschheit und Juden zu wählen. Sie sind vielmehr zwei Seiten derselben Medaille. Im Prinzip verband der Eichmann-Prozess in Jerusalem beides, die Sehnsucht nach territorialer Unabhängigkeit und die universale Botschaft der Diaspora, anders gesagt, die Juden als Kosmopoliten und
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Kosmopolitisiertes Opfertum | 127 als Volk – eine Spannung, aber kein Widerspruch. Auch dass der Eichmann-Prozess ein Schauprozess war, ist heute keine revolutionäre These mehr. Gut möglich, dass der Prozess dazu dienen sollte, der jungen Nation das, was man gemeinhin Identität nennt, zu vermitteln, den Legitimationsanspruch Israels zu verstärken und dem Gefühl, dass nur Israel Juden verteidigen könne, gerecht zu werden. Aber der Prozess hatte ebenso zur Folge, dass ehemalige Opfer in einer kollektiven Katharsis offen über ihre Erlebnisse sprechen konnten. Nicht nur heroische Stärke kam zur Sprache, sondern ebenso abgrundtiefe Schwäche. All dies wurde von Arendt abgelehnt. Diese Spannungen sind wie so oft in der Theorie und Praxis von Hannah Arendt wiederzufinden. In diesem Sinne beansprucht Arendt im kollektiven Bewusstsein der Juden im 20. Jahrhundert einen ähnlichen Ort wie Karl Marx im 19. Jahrhundert. Wie jüdisch ist ihr Denken? Als Marx 1843 sein Essay »Zur Judenfrage« veröffentlichte, in dem die Emanzipation der Juden von der Emanzipation der Menschen abhängig gemacht wurde, glaubten viele Beobachter, dass der Sozialismus die Antwort auf die »jüdische Frage« sei, während wiederum andere meinten, dass der Sozialismus zu einem der tragenden Feinde der Juden geworden ist. Als Arendt 1963 nach über 20-jährigem Aufenthalt ihr »Eichmann in Jerusalem« veröffentlichte, wurde sie ähnlicher Dinge wie Marx beschuldigt. Es ging um die Solidarität mit den Juden. Nach all den Jahren ihrer Tätigkeit in jüdischen Organisationen, nachdem sie jahrelang über jüdische Politik geschrieben hatte, nachdem sie ihr Totalitarismus-Buch eng an die Fragen des Antisemitismus und der totalen Herrschaft in den Konzentrationslagern angelehnt hatte, veröffentlichte sie nun ihr kontroversestes Werk. Es war auch genau dieses Buch, das ihr den Ruf einer Weltbürgerin einbrachte, einer Kosmopolitin, deren Judentum nichts mehr als ein Zufall ihrer Geburt ist. Es ist ihr Schicksal, das zentral für die jüdische Frage steht. Und hier knüpfen wir wieder an Arendts Sprachtheorie an, die wir schon oben im Zusammenhang mit ihrer Kafka-Interpretation und ihrer Arbeit bei der »Jewish Cultural Reconstruction« erwähnt haben. Für Arendt bedeutet Sprache in erster Linie Politik, wobei sie jedoch nicht ›machtfreie Kommunikation‹ meint, die die Form einer universalisierenden Moral annimmt, die immer um eine Versöhnung zwischen universalen Normen und demokratischer Politik bemüht sein muss. Mehr noch: In diesem Modell muss die demokratische Politik
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128 | Gedächtnisraum Europa den universalen Normen angepasst werden, was natürlich in den internationalen völkerrechtlichen Debatten als unumgänglich gilt. Ethnizität wird in der universalen Tradition als atavistisch und rückschrittlich gewertet. Staaten, die sich dieser internationalen Rechtsprechung entziehen wollen, gelten als Außenseiter und undemokratisch. Das setzt eine einzige normierte Sprache der Moral voraus. Auf diese Weise entsteht ein Dilemma, jedoch kein politisches, sondern ein Dilemma der Diskurstheoretiker (vgl. Benhabib 2006). Für Nationalisten existiert dieses Dilemma nicht, da für sie die Grenzen der Moralität auch die Grenzen der Gemeinschaft sind. Ebenso wenig gilt dieses Dilemma für Universalisten, da es aus ihrer Sicht solche Grenzen nicht gibt. Die an die Nation gebundene Politik muss sich universalen Normen unterordnen. Für verwurzelte Kosmopoliten ist diese Spannung jedoch immer anwesend und nicht überwindbar. Es ist somit auch Arendts jüdisches Dilemma, in dem Sprache zentral ist. Man kann eine universale Sprache sprechen, man kann eine nationale Sprache sprechen und man kann die verschiedenen jüdischen Sprachen sprechen, die jüdisch und vielsprachig sind: Es ist immer das Partikulare, das Sprache ausmacht. Wie wir an ihrer Arbeit für die »Jewish Cultural Reconstruction« gesehen haben, bedeutet kosmopolitische Politik für Arendt, immer wieder den kleinen, besonderen Raum mit Politik zu füllen. Diese Sprachtheorie diente ihr auch dazu, Eichmanns klischeebehaftete Sprache als das Ende der Politik zu sehen. Dies war die Zeit, in der sie sich theoretisch verstärkt mit der amerikanischen politischen Tradition auseinandersetzte und begann, das pluralistische Amerika als Lösung für die jüdische Frage zu sehen. Für Arendt war jüdische Identität nämlich immer auch politische Identität; und das Projekt der Aufklärung, das Juden gleiche Rechte ohne Rücksicht auf ihre Herkunft versprach, galt ihr als gescheitert. Politische Rechte können nur kontextuell eingefordert werden – genau das sind für Arendt die Lehren der Geschichte und die Konsequenzen für eine jüdische Kosmopolitik, die jenseits von Nationalismus und Universalismus angesiedelt ist. Sie glaubte immer an die politische Kraft und die Möglichkeit des Diaspora-Judentums. Mehr noch: Die weiterexistierende Existenz von Juden außerhalb Israels war für sie eine Garantie, dass der jüdische Nationalismus weiterhin mehrsprachig und kosmopolitisch sein konnte.68 Das 68 | Arendts Beiträge zum Zionismus können nun gebündelt in Arendt (2007) gelesen werden.
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Kosmopolitisiertes Opfertum | 129 Scheitern dieser Politik bedeutete für sie das Scheitern Europas. Ihr waren die permanenten Tatsachen der Geburt entscheidend. Wie am Beispiel von Hannah Arendt deutlich wird, ist Kosmopolitismus nicht nur eine noble Idee, sondern, wie bereits mehrfach betont wurde, eine Herausforderung an die jüdische Existenz – und das vor allem und gerade nach der jüdischen Katastrophe. Die Kontroverse, die ihr Eichmann-Buch auslöste, spricht sozusagen direkt zu dieser Herausforderung. Das Buch war ein Werk über den Holocaust, gleichzeitig aber eine Abhandlung über das universale Menschenrechtsbewusstsein, das nach dem Holocaust entstand, und die damit existierende Möglichkeit zukünftiger Völkermorde. Aber es war auch ein Buch über jüdische Verantwortung, was zum Stein des Anstoßes besonders bei ihren jüdischen Kritikern wurde. Arendt schrieb über Kollaboration und das Scheitern der offiziellen jüdischen Führung. Sie schrieb, als ob die Juden in den finstersten Zeiten ihrer Geschichte die Macht gehabt hätten, die sie so gerne für sich in Anspruch nahm. »Wenn man als Jude angegriffen wird, muss man sich als Jude verteidigen – nicht als Bürger der Welt oder der Menschenrechte«, sagte sie ihrem deutschen Interviewpartner Günter Gaus 1964 nur wenige Jahre nach dem Eichmann-Prozess. Es schien, als ob sie in diesem Buch den Juden den Vorwurf machte, sich nicht als Juden gewehrt zu haben. So haben sie auf jeden Fall ihre meisten jüdischen Leser verstanden. Sie betonte den bürokratischen Vorgang der Vernichtung und benutzte in diesem Zusammenhang natürlich auch die Formel von der »Banalität des Bösen«, welche für viele Juden unerträglich war – als ob man ihre Schreckenserinnerungen als banal abstempeln und gleichzeitig die Akzeptanz dieser Banalität von anderen erreichen wollte, die darin einen Schlüssel zu einem allgemeinen Verständnis des Völkermords fanden (Diner 1996). Es war plötzlich, als ob der Gegensatz universal/partikular mit dem Gegensatz ›banal/böse‹ vertauscht wurde. Natürlich glaubten gerade viele jüdische Intellektuelle, dass der Holocaust nicht universal zu verstehen sei und dass man sich klar und ohne Vorbehalte auf die Seite der Juden zu bewegen hätte. Die Wahrheit ist Identität, sagten ihr ihre Freunde, und ihr Buch verleugne diese Wahrheit. Sie lasen dies als eine Metapher für das Böse, das überall immer wieder geschehen kann. Dem partikularen Leid der Juden wurde dadurch der Boden unter den Füßen weg gezogen. Es war, als ob Arendt von den Juden forderte, sich in Beziehung zu universalen Werten zu definie-
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130 | Gedächtnisraum Europa ren (für die Auseinandersetzung gerade in New York siehe Rabinbach 2004). Der Eichmann-Prozess versuchte, sowohl das Menschheitsverbrechen als auch das Verbrechen gegen das jüdische Volk auszubalancieren. Es gab zudem einen ethnisch-jüdischen Nationalstaat Israel, der im Namen aller Juden über Eichmann zu Gericht sitzen wollte. Partikularistischer konnte dieser Ansatz kaum noch sein. Denn der Prozess versuchte beides: Eichmann als Verbrecher gegen die Menschheit und als Verbrecher gegen das jüdische Volk zu kennzeichnen. Arendt versuchte beides zu vereinen, sie wollte den Holocaust als Verbrechen gegen die Menschheit, der am Körper des jüdischen Volkes begangen wurde, begreifen. Bei dem Prozess ging es jedoch auch um die Legitimität Israels und sein Recht, nicht nur als jüdischer Staat zu existieren, sondern sich ebenso als Nachfolger der ermordeten Juden zu verstehen. All diese verschiedenen Fäden liefen in diesem einen Prozess zusammen. Man könnte fast meinen, dass hier die gesamte Kosmopolitismusdebatte des 20. und 21. Jahrhunderts zusammengeführt wurde. Arendts Versuch, sich durch diese Aporien durchzuarbeiten, ist daher stellvertretend für die Aporien der kosmopolitischen Theorie selbst zu sehen. Ihr Narrativ bewegt sich wie der Kosmopolitismus ständig zwischen Universalismus und Partikularismus als zwei sich gegenseitig anziehende Gegensätze. In ihren Stellungnahmen und Korrespondenzen, in denen sie sich immer wieder für das Buch rechtfertigen musste, arbeitete sie wohl ihre am besten formulierte Theorie des Kosmopolitismus aus. Es ist kein Zufall, dass die von ihr hervorgehobenen Aspekte variierten oder anders klangen, je nachdem, ob sie sich mit ihren jüdischen Freunden oder mit ihren deutschen Bewunderern auseinandersetzte. Als Arendt 1963 ihre Thesen in »Eichmann in Jerusalem« veröffentlichte und darin behauptete, Eichmann sei kein Bösewicht im klassischen Sinn gewesen, als sie den Juden ihre politische Passivität vorwarf, als sie den Gerichtshof als Spektakel bezeichnete und als sie Ben-Gurion vorhielt, den Holocaust für politische Zwecke zu missbrauchen, war die Empörung riesig. Dass sie die jüdische Kooperation mit den Nazis so betont hatte, lag indessen in erster Linie daran, dass sie nicht bereit war, Juden nur als hilflose Opfer zu sehen. Der stärkste Widerspruch kam von ihrem ehemaligen Mitstreiter in der »Jewish Cultural Reconstruction«, Gershom Scholem, in der Zeit wohl der wichtigste Forscher der jüdischen Mystik und zugleich einer der großen Kritiker der so genannten
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Kosmopolitisiertes Opfertum | 131 »deutsch-jüdischen« Symbiose. Der nun folgende Austausch zwischen Arendt und Scholem repräsentiert nicht nur das innerjüdische Gespräch nach dem Holocaust, sondern soll hier stellvertretend auch für die heutigen Dilemmata der kosmopolitischen Theorie stehen. Scholem beschuldigte Arendt, herzlos zu sein und keine Solidarität mit den Opfern zu zeigen. Er erläutert, was seiner Meinung nach wirklich zwischen ihnen steht:69 »Es gibt in der jüdischen Sprache etwas durchaus nichts zu Definierendes und völlig Konkretes, was die Juden ›Ahavat Israel‹ nennen, Liebe zu den Juden. Davon ist bei Ihnen, liebe Hannah, wie bei manchen Intellektuellen, die aus der deutschen Linken hervorgegangen sind, nichts zu merken.« (Zitiert in Krummacher 1964: 208)
Es ist merkwürdig, aber vielleicht auch zu verstehen, dass Scholem Arendt zur deutschen Linken zählt. Dort war sie in der Tat nie zu Hause. Und es mag sein, dass er in seiner Kritik an der deutschjüdischen Symbiose an Rosa Luxemburg hat denken müssen, die 1917 an ihre Freundin Mathilde Wurm schrieb: »Was willst du mit den speziellen Judenschmerzen? Mir sind die armen Opfer der Gummiplantagen in Putumayo, die Negerin in Afrika, mit deren Körper die Europäer Fangball spielen, ebenso nahe. Ich habe keinen Sonderwinkel im Herzen für das Ghetto […]. Ich fühle mich in der ganzen Welt zu Hause, wo es Wolken, Vögel und Menschentränen gibt.« (Luxemburg 1958: 13)
Das Zitat stammt aus dem Jahre 1917, und nicht einmal Lukacs hätte sich so eine Denkweise nach 1945 zugetraut. Aber genau das war der Ausdruck jüdischen universalen Denkens, das Juden in Verbindung mit dem Marxismus Hoffnung auf Erlösung gab. Arendt war von Luxemburg teilweise beeinflusst (besonders in ihrer Imperialismustheorie) und bewunderte sie auch, aber Luxemburgs Verständnis von Barbarei war vom Ersten Weltkrieg
69 | Scholems Brief an Arendt vom 23. Juni 1963 ist abgedruckt in der Textsammlung »Die Kontroverse: Hannah Arendt, Eichmann und die Juden« (Krummacher 1964). Arendts Antwort vom 20. Juli 1963 ist abgedruckt in Arendt (1996).
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132 | Gedächtnisraum Europa geprägt und nicht von der Judenvernichtung.70 Ironischerweise sieht Arendt Luxemburgs wahres Zuhause im jüdischen Milieu, welches nicht identisch war mit einem besonderen Vaterland (Arendt 1966: 41). Weiterhin beschreibt Arendt das jüdische Milieu von Luxemburg und ihren Genossen als ein Milieu der wahren vaterlandslosen Europäer. Das heißt, dass Arendts Kritik nicht nur den assimilierten Juden galt, die im Wahn lebten, gute Deutsche oder Franzosen zu sein, sondern auch internationalen Juden wie Luxemburg, die im in keiner Weise kleineren Wahn lebten, Europäer zu sein. Aus Arendts Sicht lag Luxemburg hier völlig falsch. Dass Scholem sie als Intellektuelle aus dem linken Milieu einschätzt, verkannte den jüdischen kosmopolitischen Nationalismus Hannah Arendts völlig. Scholem glaubte nicht, dass es nach dem Holocaust möglich sei, so einen radikalen Universalismus zu vertreten. Arendt hätte ihm da zugestimmt. Scholem wollte den Unterschied zwischen Universalismus und Kosmopolitismus und die damit zusammenhängenden Verpflichtungen gegenüber der eigenen Gruppe nicht verstehen: »Darüber aber in diesem so völlig inadäquaten Tonfall zu handeln, zum Benefit jener Deutschen, die zu verachten Ihr Buch stärkere Töne findet als dem Unglück der Juden gegenüber, das ist nicht der Weg, den wahren Schauplatz dieses Trauerspiels freizulegen.« (Scholem zitiert in Krummacher 1964: 209)
Scholem betont auch, dass er Arendt durchaus als Angehörige des jüdischen Volkes betrachtet, »und als nichts anderes« (ebd.: 208). Etwa einen Monat später antwortet Arendt sichtlich getroffen von den Vorwürfen ihres Freundes. Nachdem sie sich verbat, als linke Intellektuelle bezeichnet zu werden, antwortet sie ihm direkt auf die Frage der jüdischen Identität: »Es hat mich in der Tat merkwürdig berührt, dass Sie schreiben – ›Ich betrachte Sie durchaus als Angehörige dieses (nämlich des jüdischen) Volkes und als nichts anderes.‹ Tatsache ist, dass ich nicht nur niemals so getan habe, als sei ich etwas anderes, als ich bin, ich habe niemals auch nur die Versuchung dafür verspürt. […] Jude sein gehört für mich zu den unbezweifelbaren Gegebenheiten meines Lebens. […] Sie haben vollkommen Recht, dass ich eine solche ›Liebe‹ nicht habe, und dies aus zwei Gründen: 70 | Für Arendts Verhältnis zu Luxemburg siehe Arendt (1966).
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Kosmopolitisiertes Opfertum | 133 Erstens habe ich nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv ›geliebt‹, weder das deutsche noch das französische, noch das amerikanische, noch etwa die Arbeiterklasse. […] Ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zur allen anderen Liebe völlig unfähig.« (Arendt 1996: 30f.)
Wenn man sich Arendts Leben anschaut, dann kann man ihre Behauptung, sie liebe nur ihre Freunde, wohl eher als ironisch einschätzen. Dahinter verbirgt sich natürlich auch die Frage, ob Liebe ein politischer Begriff sei. Sicher ist die christliche Nächstenliebe universal und die jüdische »Ahavat Israel« bezieht sich auf eine partikulare Gruppe. Darum geht es ja bei diesem Streit. Arendt versucht hier, den Liebesbegriff ins Private zu übertragen, da er politisch keinen Sinn macht. Es war ihre Betroffenheit, sich von Scholem unverstanden gefühlt zu haben, mehr noch, dass Scholem sie als linke Universalistin verstanden hat, die sie dazu veranlasste, diese Bemerkung an ihn zu schreiben. Aber im Grunde geht es hier um die Ausformulierung eines jüdischen Kosmopolitismus, der sich, obwohl er wie seine Träger aus Europa stammt, nun zwischen Israel und den USA positioniert. Beide mussten sich mit dem deutsch-jüdischen Dilemma auseinandersetzen, beide mussten aus israelischer oder amerikanischer jüdischer Position ihr Verhältnis zu Europa neu bestimmen.71 Beide waren Kritiker des jüdischen Ethno-Nationalismus in Palästina und später Israel. Scholem war ein Kritiker von innen heraus, während Arendt ihre Position von Amerika aus formulierte. Für Arendt war zum Beispiel die jüdisch-arabische Zusammenarbeit eine Alternative zum europäischen Modell des souveränen Staates. Weder Scholem noch Arendt waren Universalisten, sie glaubten nicht an eine Form der liberalen Assimilation und wollten Anerkennung als Juden durch die nicht-jüdische Umwelt. Scholem war schon zur Zeit des Ersten Weltkrieges davon überzeugt, dass dieser Krieg ein europäischer Krieg sei, der mit den Juden nichts zu tun habe. Er wollte immer schon eine Trennung zwischen Europa und den Juden (vgl. Aschheim 2001: 26ff.). Arendt sah das anders – sie rezipierte Scholem auch anders. Dieser wiederum las Arendts Aufsätze zum Zionismus, die sie schon in den 1940er Jahren in Amerika veröffentlichte, sehr kritisch.72 Dabei ging es 71 | Für den Versuch, Scholem und Arendt eher gemeinsam als antagonistisch zu denken, siehe Eddon (2003) und Suchoff (1997). 72 | So veröffentlichte Arendt zum Beispiel 1945 einen kritischen
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134 | Gedächtnisraum Europa Arendt immer wieder um die Enge des jüdischen Nationalismus, der sich auf Formulierungen des 19. Jahrhunderts stützt. Scholem war über diese Form von Kritik nicht besonders erfreut und warf ihr Weltfremdheit vor: »Mein politischer Glaube ist, wenn er irgendetwas ist – anarchistisch. Aber ich kann es den Juden nicht übelnehmen, wenn sie auf progressive Theorien, die von niemand anderen praktiziert worden sind, keine Rücksicht nehmen.« (Scholem 1994: 310f.) Scholem versuchte Arendt davon zu überzeugen, dass föderative oder binationale Lösungsversuche (also universaler Kosmopolitismus) von der arabischen Bevölkerung in Palästina nie akzeptiert werden würden. Davor jedoch unterstützte Scholem die Idee eines binationalen Staates in Palästina, stimmte also einer kosmopolitischen Trennung zwischen Staat und Nation zu. Bei dem binationalen Gedanken handelt es sich um die Weigerung, die jüdische politische Existenz völlig zu normalisieren. Es war, als ob man die kosmopolitische Außenseiterexistenz in die politische Souveränität retten wollte. Scholem wandte sich schon in den frühen 1940er Jahren von dieser Idee ab – zu der Zeit, in der Arendt sich aus ihrer amerikanischen Erfahrung heraus mehr und mehr damit auseinandersetzte, dass der Zionismus als ethnonationales Modell nichts anderes als ein Import aus Europa geblieben sei und damit auch das jüdische Problem nicht lösen könne. Diese prinzipielle Meinungsverschiedenheit, die schon in den 40er Jahren begann und nach der Veröffentlichung von Arendts Eichmann-Buch weitergeführt wurde, hielt beide nicht davon ab, gemeinsam in der »Jewish Cultural Reconstruction« zusammenzuarbeiten. Dort ging es um jüdische Positionen gegenüber Deutschland und Europa. Obwohl Arendt und auch Scholem den europäischen klassischen Nationalismus ablehnten, waren sie beide keine Universalisten, sondern jüdische Patrioten und Kosmopoliten zugleich. Europa war kein Ort mehr für diese Ideen. Beide stellten sich nun die Frage, wo dieser Ort – wenn überhaupt – zu finden Aufsatz zum Zionismus und zu seinem ethnischen Souveränitätsmodell: »Zionism Reconsidered«. Der Aufsatz wurde in der jüdischen Zeitschrift »Menorah Journal« gedruckt und wie so oft führte Arendt darin einen innerjüdischen Dialog. Der Aufsatz wurde neu veröffentlicht in Arendt (2007: 343-374). Eine deutsche Fassung kann man in »Die Verborgene Tradition« (Arendt 1976) unter dem Titel »Der Zionismus aus heutiger Sicht« (S. 138-183) finden.
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Kosmopolitisiertes Opfertum | 135 wäre. Sie waren sich einig, dass der ent-territorialisierte Ort der jüdischen Politik eine solche Möglichkeit bieten könnte. Ethnische Kultur und politische Aktion sollten in verschiedenen Formen vereint werden, wodurch auch jüdische Traditionen, die zum Teil verborgen waren, fortgesetzt werden könnten. Wie sollten Juden politisch in der Welt nach dem Holocaust handeln? – Dies stellte genau die Frage dar, auf die beide sich einigen konnten. Die Antworten hierauf waren verschieden. 1948 besprach Arendt Scholems Buch über die jüdische Mystik in Amerika in einer jüdischen Zeitschrift (Arendt 1948). In Scholems Buch findet sie die verborgene Tradition jüdischer Politik, die aktiver war, als man weithin annahm. Nicht politische Passivität und Weltlosigkeit, sondern eine besondere Form des politischen Aktivismus kann sie bei Scholem ausmachen. Für Arendt wird Scholems Entdeckung bedeutend, dass Juden als Juden entscheidend zur europäischen Moderne beigetragen haben. Sein Buch versöhnt die jüdische partikulare Geschichte mit der Universalgeschichte. Hier wird natürlich wieder der Bogen sichtbar, den wir von Kafka zu Benjamin, Scholem und Arendt gezogen haben – wobei wir mittlerweile eine volle Wendung vollzogen haben. Es war das typische Dilemma des Kosmopolitismus und der jüdischen Existenz – nämlich das Verhältnis des jüdischen Partikularismus zur universalen Politik und Kultur. Dabei geht es auch um politische Schwäche und Stärke. Arendt kritisierte oft die »Weltlosigkeit« der Juden und ihren Rückzug von der aktiven Politik. Auf der anderen Seite bewunderte sie diese Weltlosigkeit, die Juden einen ethischen Standpunkt von außen ermöglichte. Aber am Ende war sie bereit, den Preis für die politische Freiheit zu zahlen. Sie hatte erkannt, dass die jüdische Weltlosigkeit mit der Gründung des Staates Israel ein Ende genommen hat.73 Aber nicht nur Juden haben dieses kosmopolitische Dilemma missverstanden. Nachdem »Eichmann in Jerusalem« 1964 ins Deutsche übersetzt wurde, konstruierten auch viele deutsche Intellektuelle Arendts jüdischen Kosmopolitismus als Universalismus. Der Begriff der »Banalität des Bösen« wurde zum Inbegriff dieser 73 | Im Interview mit Gaus formulierte sie das 1964 so: »Dieser Weltverlust, den das jüdische Volk in der Zerstreuung erlitten hat und der, wie bei allen Pariahvölkern, eine ganz eigentümliche Wärme zwischen denen erzeugte, die dazugehörten. Dies hat sich geändert, als der Staat Israel gegründet wurde.« (Arendt 1996: 64)
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136 | Gedächtnisraum Europa universellen Sichtweise.74 Dieselben Mechanismen, die für deutsche Intellektuelle so anziehend waren, wirkten für jüdische abstoßend: Diese Mechanismen versuchten, die Partikularität der Opfer und der Täter des Holocaust herunterzuspielen. Aus persönlichen wurden unpersönliche Kategorien. Es konnte immer wieder geschehen – in Vergangenheit und in Zukunft. Der Holocaust wurde zu einer Kategorie des Völkermordes – das universale Verbrechen gegen die Menschheit schlechthin.75 Das wird besonders in dem Briefwechsel klar, den Arendt Anfang 1965 mit einem Intellektuellen der neuen deutschen Linken führte. Es handelt sich um den damals gerade 35-jährigen Hans Magnus Enzensberger, der zu dieser Zeit eine Essaysammlung mit dem Namen »Politik und Verbrechen« (Enzensberger 1964) veröffentlichte. Der Band enthält auch ein Essay über den EichmannProzess, der den Titel »Reflexionen über den Glaskasten« trägt. Hier wird die ›offensichtliche‹ Anwendung von Arendts Argument betrieben. In erster Linie wird verglichen und nicht unterschieden. Die Angst vor dem nuklearen Holocaust wird von Auschwitz abgeleitet. In Enzensbergers Interpretation wird nicht nur dasselbe Wort »Holocaust« für die nukleare Katastrophe benannt, sondern es werden auch dieselben Mechanismen argumentativ angeführt. Enzensbergers Universalismus ist ein schlecht verstandener Kosmopolitismus. Der Holocaust wird seiner deutschen und jüdischen Besonderheit beraubt und der Unbesonderheit des allgemeinen Begriffs der Moderne untergeordnet. Enzensbergers Versuch, den Holocaust zu verallgemeinern, steht natürlich in einer langen Reihe solcher Versuche, deren Bedeutung für das europäische Selbstverständnis wir weiter oben schon ausführlich behandelt haben.76
74 | Für die Aneignung deutscher Historiker von Arendt vgl. Berg (2004). Für ein ähnliches Argument aus literaturwissenschaftlicher Perspektive vgl. Braese (2001). 75 | So wird der Holocaust in der 24. Auflage des Duden von 2006 als »Tötung einer großen Zahl von Menschen, bes. der Juden in der Zeit des Nationalsozialismus« definiert. 76 | Siehe auch den Briefwechsel zwischen Arendt und Hans-Jürgen Benedit aus dem Jahre 1967 (Arendt/Benedict 2008).
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Kosmopolitisiertes Opfertum | 137 Die Debatte, ob der Holocaust mit etwas vergleichbar sei, ist natürlich nie zum Ende gekommen. In dieser Hinsicht ist Arendts Reaktion auf Enzensberger mehr als lehrreich für eine neue kosmopolitische Theorie. Sie sollte sein Buch für die Zeitschrift »Merkur« besprechen – und weigerte sich. Sie verwehrte sich der negativen Einvernehmung von Auschwitz von der Neuen Linken, die sie öfters auch als »Felix Culpa« (Das Glück der Schuld) bezeichnete. Sie warf Enzensberger eine hoch kultivierte Form des Eskapismus vor, monierte vor allen Dingen jedoch seine Formel, nach der alle schuldig seien, was aus ihrer Sicht jedoch nur dazu führe, dass keiner schuldig ist: »Gerade das Spezifische und Partikulare ist wieder in der Sauce des Allgemeinen untergegangen. Wenn ein Deutscher das schreibt, ist es bedenklich. Es heißt: nicht unsere Väter, sondern alle Menschen haben das Unglück angerichtet. Was einfach nicht wahr ist. Außerdem, und gerade in Deutschland verbreitet und gefährlich: wenn Auschwitz die Konsequenz aller Politik ist, dann müssen wir ja noch dankbar sein, dass endlich einer die Konsequenzen gezogen hat. Oh, Felix Culpa.« (Arendt/Enzensberger 1965: 381)
Arendt ließ sich jedoch auf einen kurzen Briefwechsel mit Enzensberger ein, der in der Zeitschrift »Merkur« veröffentlicht wurde (Arendt/Enzensberger 1965). Am 25.1.1965 antwortete Enzensberger. In seiner Antwort verteidigt er in erster Linie seinen Marxismus und versucht dort, eine gemeinsame Linie mit Arendt zu finden. Aber Enzensberger ist nicht bereit, die Partikularität der Judenvernichtung zu akzeptieren: »Diesem argumentum ad nationem bin ich oft begegnet […]. Alles was er sagt, wird dann zum bloßen Appendix seiner Nationalität […]. Und ebenso – verzeihen Sie mir, ich kann nicht anders – ist mir an den Untaten der Deutschen das schlimmste nicht, dass Deutsche sie begangen haben, sondern dass solche Untaten überhaupt begangen worden sind, und dass sie wieder begangen werden können.« (Ebd.: 383)
Natürlich hatte Arendt damit kein Problem. Aber sie versuchte ihm zu erklären, dass er ihr Buch missverstanden habe und sie bestand darauf, dass es sich in erster Linie um ein deutsches Problem handelte:
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138 | Gedächtnisraum Europa »Nun ist es aber faktisch in Deutschland passiert und damit vorerst zu einem Ereignis deutscher Geschichte geworden, für das politisch, aber nicht moralisch, alle Deutschen heute die Haftung übernehmen müssen […]. Nur in Deutschland ist Auschwitz sogar eine innenpolitische Frage.« (Ebd.: 384)
Aber mehr als das: Sie wollte nicht mit ihm einverstanden sein, dass Auschwitz mit anderen Kriegshandlungen vergleichbar sei. Die Debatte von Arendt und Enzensberger nimmt also viele der nachfolgenden Debatten um die Vergleichbarkeit des Holocaust mit anderen grausamen Kriegshandlungen voraus. Für Arendt hatten der Krieg und die Vernichtung der Juden nichts gemein: »[K]urz gesagt, Hiroshima. Ich bin der Meinung, das ist ein Kurzschluss, der allerdings nahe liegt, weil beide Ereignisse nahezu gleichzeitig im Verlauf des Krieges eingetreten sind. Dabei wird übersehen, dass nur Hiroshima und das Städtebombardement (Dresden) mit der Kriegsführung zusammenhingen und in der Tat anzeigten, dass in einem mit modernen Mitteln geführten Krieg der Unterschied zwischen Krieg und Verbrechen nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Aber Auschwitz hatte mit Kriegsführung nichts zu tun.« (Ebd.: 385)
Das ist die jüdische Erinnerung, an die Arendt Enzensberger erinnern will. Die Auseinandersetzung Arendts mit Enzensberger (ebenso wie mit Scholem) geht auch ins Herz der Sprache und in das Herz der Frage, in welcher Sprache man über den Holocaust reden kann und soll. Arendt schrieb ihren Bericht in Englisch, aber die Auseinandersetzung mit Enzensberger führte sie auf Deutsch. Scholem und Arendt waren schon daran gewöhnt, miteinander in Englisch umzugehen. Der englischsprachige Diskurs über den Holocaust kann durchaus kosmopolitisch sein, nicht zuletzt deshalb, weil diese Sprache nicht vom Holocaust ›befleckt‹ ist. Mit der deutschen Sprache verhält es sich anders. Englisch ist die Sprache der Technologie, der Demokratie, des Fortschritts – und nicht die der Vernichtung. Die Missverständnisse über Arendts Buch hingen nicht zuletzt mit diesem Sprachenproblem zusammen. So schrieb sie noch 1947 in einer Zuneigung an Karl Jaspers: »Denn es fällt ja heute einem Juden nicht leicht, in Deutschland zu veröffentlichen, und sei er ein Jude deutscher Sprache. Angesichts dessen, was geschehen ist, zählt die Verführung, seine eigene Sprache wieder schreiben
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Kosmopolitisiertes Opfertum | 139 zu dürfen, wahrhaftig nicht, obwohl dies die einzige Heimkehr aus dem Exil ist, die man nie ganz aus den Träumen verbannen kann. Aber wir Juden sind nicht oder nicht mehr Exilante und haben zu solchen Träumen schwerlich ein Recht.« (Arendt 1976: 7)
Die Arendt’sche Ethik war an die Partikularität gebunden, was dann auch heißt, dass man als konkreter Mensch an sein konkretes Dasein mit konkreter Verantwortung gebunden ist. Und dazu gehören die Geburt und die Geschichte. Für Arendt kann es keine wertfreie Beschreibung des Holocaust geben: Das Sollen ist immer ans Sein gebunden. Alles, was in der Welt geschieht, hat moralische Bedeutung. Diese Verknüpftheit zwischen Moral und Identität ist Arendts Antwort darauf, wie man die Spannung zwischen Partikularismus und Universalismus aufrechterhält. Nicht alle Moralität beruht auf Identität, sondern die Identität, das heißt die Antwort auf die Frage, wer wir im Endeffekt sind, ist ein Bestandteil der Moralität, da sie so leidenschaftlich und Teil unseres Lebens ist. Das ist die Bedeutung des Kosmopolitismus, der sich vom Universalismus und vom Partikularismus verabschiedet. Wenn man keine Sonderwinkel im Herzen hat, dann hat man am Ende keine Winkel mehr. Universalmaximen sind ohne die Leidenschaft der Identität nur leere Phrasen. Arendt versuchte, sowohl Scholem als auch Enzensberger zu erklären, dass Universalismus und Partikularismus nicht im ›Entweder-Oder‹-Dilemma gefangen sind. Universalismus und Partikularismus sind beide ›sowohl als auch‹. Zu Scholem sagt sie: Nicht alles ist partikular. Die Wahrheit ist nicht partikular. Identität ist nicht alles. Und zu Enzensberger sagt sie: Nicht alles ist universal. Identität ist Teil unseres Lebens. Unsere Identitäten spielen eine Rolle, und unsere Identitäten als Juden und Deutsche spielen eine noch größere Rolle. Die Tatsache unserer Individualität koppelt uns nicht von unserem Kollektiv ab. Individualität ist ein soziales Produkt und als solches ein Produkt unserer Wurzeln und der Gefühle und Erinnerungen, die sozial und kollektiv erzeugt werden. Und nur so kann man auch die kosmopolitische Vielsprachigkeit von Arendt verstehen. Zu den Juden sagt sie: Nicht alle Moralität ist partikular. Wir haben eine universale Pflicht gegenüber der Menschheit. Und zu den Deutschen sagt sie: Nicht alle Moralität ist universal. Nicht jeder Diskurs ist machtfrei. Am Ende bleiben wir mit unseren Überzeugungen, die auf unserer Identität beruhen. Das ist ein verwurzelter Kosmopolitismus, der nicht mehr auf den
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140 | Gedächtnisraum Europa Theorien der Aufklärung beruht, sondern auf der Erfahrung der Katastrophe. Kosmopolitische Philosophie wird dann zur politischen Kraft, wenn sie in unserem Leben verankert ist. Es geht dabei darum, Denken und Fühlen, Moralität und Identität, das Sein und das Sollen kreativ miteinander zu verbinden. Arendt konnte diesen neuen Kosmopolitismus finden, weil sie von einer neuen Position aus schrieb. Und damit hört der jüdische Kosmopolitismus auf, ein ›jüdischer‹ zu sein, und wird ein jüdischer Beitrag zu einer allgemeinen Theorie. Der essentialistischen Erfahrung des Judentums wird dadurch die Essenz entzogen – und sie wird damit in der Tat auch kosmopolitisiert.
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New York: Schlusskapitel – Neubeginn | 141
New York: Schlusskapitel – Neubeginn
Arendt schrieb von den USA nach Israel und Deutschland und eröffnete damit eine neue kosmopolitische Perspektive. Sie war kein Flüchtling mehr. Sie bekam die amerikanische Staatsbürgerschaft und lebte in einer jüdischen Atmosphäre der Akzeptanz, die auf keine Erfahrung der Verfolgung zurückgreifen konnte. Amerikanische Juden mussten keine Marxisten sein, um einen universalen Traum der Gleichheit zu träumen. Und sie mussten keine Nationalisten sein. Es war der Erfolg, der sie zu politisch Gleichen machte. Amerika war für Arendt ein neues Modell des Kosmopolitismus, ein Modell, das jenseits von Europa und Israel einen neuen Raum für Juden bedeutet. Juden kamen in Amerika als Juden an. Dort wurden sie zu »Jewish-Americans«, wie eben andere Einwanderer zu Deutsch-Amerikanern, Italo-Amerikanern oder anderen ›Bindestrich-Amerikanern‹ wurden (vgl. exempl. Hertzberg 1998). Alle Einwanderer kamen in Amerika als Fremde an und gingen dann ihre separaten Wege. Wenn Einwanderer aus Drohobych kamen, der Ort, an dem Bruno Schulz 1942 ermordet wurde, kamen sie mit ihren ethnischen Identitäten. Sie kamen als Ukrainer, Polen und Juden. Jüdisch sein bedeutete in erste Linie eine politische Identität, so wie andere Nationalitäten eine politische oder ethnische Identität hatten und haben. Amerika wurde in den finstersten Zeiten für diejenigen, die es geschafft hatten, dorthin auszuwandern, ein sicherer Hafen. Das ist wohl einer der Gründe, warum Arendt Israel mehr und mehr als ein europäisches ethnonationales Projekt verstand, welches sie aus amerikanisch-kosmopolitischer Perspektive zu kritisieren wusste. Es gibt wohl keinen universalen Kosmopolitismus. Arendt hat Europa – aber auch Isra-
2008-04-01 15-57-22 --- Projekt: T692.x-texte.sznaider / Dokument: FAX ID 030d175017271660|(S. 141-144) T01_14 kapitel 14.p 175017271980
142 | Gedächtnisraum Europa el – hinter sich gelassen. Damit hat sie ebenso den europäischen Universalismus der europäischen Aufklärung und den ethnischen Partikularismus von Israel hinter sich gelassen. Aber hinter sich lassen heißt nicht aufgeben. Es heißt: neu beginnen. In diesem Sinne bedeutet Kosmopolitismus dann auch, universelle und lokale Werte, die Menschen emotional engagieren, von der Stufe der abstrakten Philosophie in die Emotionen der Menschen, ja ins Herz der Menschen zu tragen. Diese Werte werden zum Integral der persönlichen Identität des Einzelnen und dadurch politisch bedeutsam. Sie gewinnen und erneuern ihre Realität in Ritualen und schlagen gerade in postnationalen Gemeinschaften Wurzeln. Es sind die so genannten »amerikanischen Werte«, der amerikanische Pluralismus, die Spannung zwischen Umsetzbarkeit und ihre Grenzen, die Spannung zwischen Universalismus und Partikularismus, die Amerika definieren, die Spannung zwischen Machtausübung und Moralität, die die amerikanische Politik bestimmt, die Spannung zwischen der radikalen und konstitutionell verankerten Trennung zwischen Staat und Religion und der Gläubigkeit der amerikanischen Gesellschaft, die eine kosmopolitische Variante demonstriert, die vom kosmopolitischen Europa abweicht und die oft von deutschen und französischen Intellektuellen gar nicht als solche erkannt wird.77 So wird Amerika als Welthegemon missverstanden (Beck 2004: 199-205), auch im Sinne von Jaspers’ Vortrag in Genf von 1946. Es war genau dieser amerikanische Nationalismus, der in den Augen vieler Juden den kosmopolitischen Traum der Aufklärung erfüllte, ob es sich dabei um Naturrecht, individuelle Freiheit oder auch Toleranz handelte. Hier wird wie beim jüdischen Modell das Partikulare universalisiert. Wenn die Mehrzahl der Juden in Europa vor dem Holocaust noch 77 | Für die amerikanische Variante des Kosmopolitismus vgl. zwei vom Autor dieses Buches mit herausgegebene Sammelbände: Beck/Sznaider/Winter (2003) und Speck/Sznaider (2003). Es war auch Arendt selbst, die diesen Unterschied zwischen Europa und den USA in ihrem Buch »Über die Revolution« entwickelt hat (Arendt 1965). Dort analysiert sie die unterschiedlichen Revolutionsbegriffe in Frankreich und den USA aus dem 18. Jahrhundert und kommt zur Überzeugung, dass der amerikanische Revolutionsbegriff Freiheit und Pluralität betont, während der französische homogenisierend auf die Gleichheit achtet. Sie arbeitete an diesem Buch just zu dem Zeitpunkt, zu dem sie nach Jerusalem fuhr, um über den Eichmann-Prozess zu berichten.
2008-04-01 15-57-22 --- Projekt: T692.x-texte.sznaider / Dokument: FAX ID 030d175017271660|(S. 141-144) T01_14 kapitel 14.p 175017271980
New York: Schlusskapitel – Neubeginn | 143 daran glaubte, dass die Ideale der Aufklärung und Emanzipation mit denen eines Judentums verknüpft werden konnten, so sahen nun viele diese Möglichkeit in den USA zum Leben erweckt. Es war diese Form von Nationalismus, die in keinem Widerspruch zum Kosmopolitismus stehen konnte. Es war eine imperiale Form des Kosmopolitismus, die über den Nationalstaat europäischer Natur hinausgeht. Es war eine Wiederbelebung der imperialen Welt des 19. Jahrhunderts unter anderem Vorzeichen. Kosmopolitismus ist daher nicht automatisch Atheismus und Säkularismus. Die in die USA geflohenen Juden sind wie die meisten Amerikaner Pragmatiker, die zwischen Tradition und Moderne vermitteln müssen. Dabei geht es um Grenzen und Anerkennung. Nicht nur um Juden geht es hier, sondern um eine auf jüdischer Erfahrung beruhende Theorie des Kosmopolitismus, der Grenzen zieht und diese Grenzen dabei anerkennt. Das heißt dann, dass der auf historischer Erfahrung beruhende Kosmopolitismus kein universaler sein kann, gleichzeitig aber auch nicht die Anerkennung alles Anderen zum obersten Prinzip erklärt. Der jüdische Kosmopolitismus ist daher eine Antwort auf den Totalitarismus, der ihn auslöschen wollte. Jüdische Sprache, Kultur, Leben, Politik hat einen neuen Anfang gefunden. Aus Europa, aber nicht mehr in Europa können die letzten Europäer nun die ersten Kosmopoliten sein. Die Engel der Geschichte sind aber damit noch lange nicht zur Ruhe gekommen. Von Amerika aus wird nach Europa ein ›alt-neues‹ kosmopolitisches Verständnis gleichsam reimportiert, das produktiv mit vielen Identitäten und Minderheitenrechten umgehen will. Das mag gerade für Juden und Moslems in Europa angemessen sein, die sich beide produktiv gegen den christlichen Homogenisierungsdruck wenden können, der sich aufgeklärt und universal gibt. Sicher gibt es wieder europäische Juden. Aber diese können wahrhaftig keinen wirklichen dritten Raum jenseits von den USA und Israel für sich produzieren.78 Aber sie können an eine zerstörte Tradition anschließen und sie auch innerhalb Europas produktiv umarbeiten. Zwar mag es in Europa wieder eine Präsenz von jüdischen Menschen geben, aber eine jüdische Präsenz gibt es deswegen noch lange nicht. Die Tat78 | Dies wird vor allen Dingen von der italienischen Soziologin Diana Pinto vorgeschlagen. Für ihr europäisch-jüdisches Projekt vgl.: URL: www.paideia-eu.org/PintoAreThereJewishAnswersToEuropesQuestions. pdf.
2008-04-01 15-57-22 --- Projekt: T692.x-texte.sznaider / Dokument: FAX ID 030d175017271660|(S. 141-144) T01_14 kapitel 14.p 175017271980
144 | Gedächtnisraum Europa sache, dass Juden wieder an den Orten leben, wo sie einst vernichtet wurden, heißt nicht, dass der Holocaust aufgehoben werden kann. Minderheitenkultur allein garantiert noch keinen Kosmopolitismus. Kosmopolitismus ist nicht nur Folklore und jüdische Musik. Kosmopolitismus ist ein politischer Raum, der ohne Pluralismus nicht auskommen kann. Noch mehr: Ein in der historischen Erfahrung verwurzelter Kosmopolitismus ist gleichbedeutend mit Pluralismus. Amerika wurde in der Vision der Traum des gelebten jüdischen Kosmopolitismus. Auch Israel tut sich schwer mit einem jüdischen Kosmopolitismus. Aber in Europa sind die jüdischen Räume noch leer. Die Bücher, die man aus Europa herausschaffte, sind nun ›Texte‹ geworden, Texte, die jeder lesen kann. Sie gehören allen. Damit sind sie in der Tat kosmopolitische Texte geworden, deren Ursprünge schon nicht mehr zu erkennen sind. Vielleicht brauchen sie dieses Erkennen nicht mehr, und der neue Kosmopolitismus kann ohne diese ›Ursprünge‹ auskommen. Aber hier liegt vielleicht auch das Dilemma des kosmopolitischen Europas. Ohne sich der Vergangenheit zu stellen, kann man schwer vom Kosmopolitismus in seiner alten aufklärerischen Form reden. Die kosmopolitische Theorie muss sich dieser Vergangenheit stellen und ihre Tradition neu formulieren. Die Aufklärung und ihren historischen Begriff des rationalen und universalen Fortschritts als Grundlage des Kosmopolitismus zu akzeptieren, leugnet und verneint die jüdische Identität und Perspektive, auf die ein realistischer Kosmopolitismus aufbauen kann. »Fortschritt« war für Juden schon immer ein ambivalenter Begriff. Das haben Scholem, Arendt, Benjamin, Baron und andere immer schon verstanden. Damit tauchen natürlich wieder Fragen des europäischen jüdischen Kulturbesitzes auf, die nach dem Krieg von der »Jewish Cultural Reconstruction« anscheinend gelöst wurden. Und wir sind wieder am Anfang. Wie löst man die Spannung zwischen partikularer Identität und allgemeinen Werten? Wie jüdisch waren Kafka, Schulz, Benjamin und Arendt? Wer sich der Antwort auf diese Fragen verweigert, hat den jüdischen Kosmopolitismus verstanden.
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Literaturverzeichnis | 145
Literaturverzeichnis
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Werner Rügemer (Hg.) Die Berater Ihr Wirken in Staat und Gesellschaft 2004, 246 Seiten, kart., 21,80 €, ISBN: 978-3-89942-259-7
Volker Heins, Jens Warburg Kampf der Zivilisten Militär und Gesellschaft im Wandel 2004, 164 Seiten, kart., 16,80 €, ISBN: 978-3-89942-245-0
Peter Fuchs Das System »Terror« Versuch über eine kommunikative Eskalation der Moderne 2004, 120 Seiten, kart., 13,80 €, ISBN: 978-3-89942-247-4
Gunter Gebauer, Thomas Alkemeyer, Bernhard Boschert, Uwe Flick, Robert Schmidt Treue zum Stil Die aufgeführte Gesellschaft 2004, 148 Seiten, kart., 12,80 €, ISBN: 978-3-89942-205-4
Thomas Lemke Veranlagung und Verantwortung Genetische Diagnostik zwischen Selbstbestimmung und Schicksal 2004, 140 Seiten, kart., mit Glossar, 14,80 €, ISBN: 978-3-89942-202-3
Karl-Heinrich Bette X-treme Zur Soziologie des Abenteuerund Risikosports 2004, 158 Seiten, kart., 14,80 €, ISBN: 978-3-89942-204-7
Volkhard Krech Götterdämmerung Auf der Suche nach Religion 2003, 112 Seiten, kart., 12,80 €, ISBN: 978-3-89942-100-2
Volker Heins Das Andere der Zivilgesellschaft Zur Archäologie eines Begriffs 2002, 102 Seiten, kart., 12,80 €, ISBN: 978-3-933127-88-4
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