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German Pages 332 Year 2014
Asokan Nirmalarajah Gangster Melodrama
Film
Für meine Familie, für Legantha
Asokan Nirmalarajah (Dr. phil.), Film-, Fernseh- und Kulturwissenschaftler, promovierte an der Universität zu Köln in der Englischen Philologie. Seine Forschungsschwerpunkte sind kulturelle Verhandlungen von Gender, Genre und Ethnizität.
Asokan Nirmalarajah
Gangster Melodrama »The Sopranos« und die Tradition des amerikanischen Gangsterfilms
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Inhalt
Dank | 7 Gangster Melodrama. Einleitung | 9 T HE SOPRANOS und die Genre-Tradition(en) | 31
Ein Genre in der Identitätskrise: Der amerikanische Gangsterfilm | 32 Ein Gangster in der Identitätskrise: THE SOPRANOS als amerikanisches Melodram | 45 Relektüre eines ›Männergenres‹: (Re-)Konfigurationen von Genre und Gender | 51 Der Gangster im Male Melodrama: Krisendiskurs ›Mann‹ | 61 Der Gangster im Family Melodrama: Krisendiskurs ›Familie‹ | 73 Der Gangster im Immigrant Melodrama: Krisendiskurs ›Ethnizität‹ | 83 THE SOPRANOS auf HBO: »Quality Television«, Intermedialität, Cultural Studies | 97 Korpus: Texte und Kontexte des amerikanischen Gangstergenres | 114 Der Männlichkeitsdiskurs des amerikanischen Gangstergenres: T HE S OPRANOS als Male Melodrama | 123
Identifying with the Gangster: Kindsköpfe und Leidensfiguren | 138 Reforming the Gangster: Die Therapeutin, die Hausfrau und das Biest | 146 Desiring the Gangster: Begehrte Männlichkeit, versehrte Männlichkeit | 157 Disturbing the Gangster: Homosozialität, Homosexualität und Homophobie | 169 Disposing the Gangster: Alternative Lebensmodelle, neue (Genre-)Horizonte | 177 Der Familiendiskurs des amerikanischen Gangstergenres: T HE SOPRANOS als Family Melodrama | 185
Die Krise des Patriarchats: action melodrama goes domestic | 196 Das Frauenbild des Gangsters: The Mother, the Whore and the Horse | 208 Die Leiden der Ehefrau: ›Mrs. Soap‹ | 218 Die Bindung zur Schwester: ›The Double‹ | 224 Die Loyalität der Tochter: ›Daddy’s Little Girl‹ | 231
Der Ethnizitätsdiskurs des amerikanischen Gangstergenres: T HE SOPRANOS als Immigrant Melodrama | 235
The Monstrous/Familiar Other: Ethnische Stereotypen | 247 The Italian/American Self: Assimilation und Ent-Assimilation | 257 A Comedy of Manners: Die Mafia als Schamkultur | 267 An Immigrant’s Tale: Opferdiskurse amerikanischer Ethnien | 272 Doing Ethnicity: Ethnizität durch Konsum | 281 Schlussbetrachtung | 289 Filmverzeichnis | 297 Literaturverzeichnis | 305 Anhang | 323
THE SOPRANOS – Episodenverzeichnis | 323 THE SOPRANOS – Personenverzeichnis | 325 Abbildungsnachweis | 327
DANK Die vorliegende Studie wurde im Wintersemester 2010/11 von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen. An dieser Stelle danke Ich all denen, die zu ihrer Entstehung beigetragen haben. Mein größter Dank gilt meiner Betreuerin Prof. Dr. Claudia Liebrand, ohne deren Zuspruch, Kritik und Ermutigung diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Ich danke meinem Referenten Prof. Dr. Hanjo Berressem für das Interesse an meinem Projekt und seine Unterstützung. Mein Dank gilt auch den über die Jahre wechselnden TeilnehmerInnen an Prof. Liebrands Doktorandenkolloquium und meinen KollegInnen an ihrem Lehrstuhl für die zahlreichen wertvollen Beiträge zu meiner Arbeit. Sehr bedanken möchte ich mich bei der Studienstiftung des deutschen Volkes für die ideelle und finanzielle Förderung, die mir während der Promotionszeit zuteil wurde, sowie bei meiner Vertrauensdozentin Prof. Dr. Barbara Dauner-Lieb für ihr Vertrauen in meine Zusicherung, die Arbeit in drei Jahren fertig zu stellen. Für die Hilfe bei der Einrichtung bedanke ich mich bei meinem Lektor bei transcript, Jörg Burkhard. Mein besonderer Dank gilt meiner Familie, meinen Eltern Velautham und Puvanna Sunthary Nirmalarajah, meinen Schwestern Gayathri und Abitami Nirmalarajah, und meinen zahlreichen Verwandten im In- und Ausland. And last but certainly not least, danke ich Legantha Subramaniam, die im stressigen letzten Entstehungsjahr der Arbeit in mein Leben getreten ist. Sie hat nicht nur meine Welt auf den Kopf gestellt, sondern mir auch einen Grund gegeben, die Arbeit alsbald fertig zu schreiben. Asokan Nirmalarajah, Herbst 2011
Gangster Melodrama Einleitung
»This«, resümiert Rebecca Traister 2004 über die US-amerikanische Fernsehserie THE SOPRANOS (1999-2007),1 »is real women’s television«.2 Die renommierte Medienkolumnistin des Internetmagazins salon.com beruft sich bei ihrem Befund auf den Tenor der ersten Beiträge zu dem sich damals aus den angloamerikanischen Television Studies differenzierenden Forschungsfeld der SOPRANOS Studies.3 Demnach handle es sich bei den SOPRANOS um
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THE SOPRANOS, USA 1999-2007, Series Creator: David Chase, HBO. Bei Werktiteln von Filmen und Fernsehprogrammen wird in der Arbeit wie folgt verfahren: Falls es sich nicht aus dem Zusammenhang ergibt, steht bei der ersten Nennung das Erscheinungsjahr im Haupttext in Klammern hinter dem Titel mit Angaben zum Herkunftsland und dem Regisseur oder Series Creator in den Anmerkungen. Bei jeder weiteren Nennung wird aber auf die Jahresangabe verzichtet, insofern es nicht von unmittelbarer Wichtigkeit für die Argumentation ist. Rebecca Traister: »Is ›The Sopranos‹ a chick show?«, in: salon.com, unter: http://www.salon.com/mwt/feature/2004/03/06/carmela_soprano/index.html, letzte Abfrage: 01.03.11. Hervorhebung im Original. Es gilt, wenn nicht anders angegeben: Hervorhebungen in Zitaten stammen von den jeweiligen Verfassern. Die SOPRANOS Studies wurden erstmals 2006 von David Lavery in der Einleitung zu einer Anthologie zum Forschungsgebiet umrissen (»Introduction: Can This Be the End of Tony Soprano?«, in: ders. (Hg.): Reading the Sopranos. Hit TV from HBO, New York: I.B. Tauris 2006, S. 3-14, hier S. 7-13). Ungeachtet einer Fülle an Aufsätzen, Monographien und Anthologien, mag man bei der Serie aber noch nicht von einem Kulturphänomen sprechen, das auch zum Forschungsphänomen avanciert ist. Gerade im Vergleich zu den weit profilierteren BUFFY Studies, die sich mit der Serie BUFFY THE VAMPIRE SLAYER (USA 1997-2003, C: Joss Whedon, The WB/UP) befassen, befinden sich die SOPRANOS Studies wohl noch am Anfang. Das akademische Interesse, das den SOPRANOS zur Zeit der Erstausstrahlung beschienen war, hält zumindest auch nach ihrer Einstellung an: Die jüngste Anthologie ist für Mitte 2011 angekündigt: The Essential Sopranos Reader, hg. v. Paul Levinson, David Lavery und Douglas Howard, Lexington: Kentucky UP.
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eine Serie, die die männlich semantisierten Konventionen ihres filmischen Herkunftsgenres augenscheinlich reproduziere, bei näherem Blick aber einer weiblich konnotierten Subversion unterziehe. Die Serie stünde zwar eindeutig in der Tradition des amerikanischen Gangsterfilms, auf den sie sich wiederholt intertextuell bezieht, problematisiere aber in ihrer selbstreferentiellen, ironisierenden Umschrift der Genre-Konventionen ebenso die patriarchalen Bedeutungsstrukturen eines klassischen ›Männergenres‹. Diese televisuelle ›Effeminierung‹ einer filmischen Genre-Tradition wird in der Regel zwei räumlichen Umschriften innerhalb der SOPRANOS zugeschrieben.4 Zum einen verschiebt die Fernsehserie den zentralen Handlungsort des Gangsterfilms vom urbanen Ghetto des Gangsterprotagonisten in das neue, suburbane Haus seines mittlerweile der Upper-Middle-Class angehörenden Clans. Zum anderen besteht die Ausgangsprämisse der Serie darin, dass ein Gangster aufgrund von Panikattacken die Praxis einer Psychotherapeutin aufzusuchen hat. Beides sind Bewegungen, die ihn in unbekannte, in der gendertopographischen Ordnung der Serie dezidiert weiblich konnotierte Räume führen, derer er sich nicht mehr durch seine kriminellen Transgressionen bemächtigen kann, sondern deren ganz eigenen Bedeutungsstrukturen er sich fortan unterzuordnen hat. Verlangt die Therapie die Verbalisierung und Anerkennung seiner intimsten Gedanken und Gefühle, definieren sich die Fernsehformate der Soap und der Sitcom, deren Sujet in der Regel familiär-persönliche Probleme im heimischen Privatraum bilden, über eine Dramatisierung beziehungsweise Parodisierung dieser Innerlichkeit. Dies habe in dem zeitgenössischen Genretext nicht nur eine ungewohnt starke Präsenz weiblicher Figuren und eine Vermengung klassischer Genremuster mit traditionell weiblich semantisierten Genre-Konventionen zur Folge. Es führe auch zur Männlichkeitskrise des für gewöhnlich souverän inszenierten, in den SOPRANOS aber erstmals zur selbstkritischen Introspektion ›genötigten‹ Gangsters. So überzeugend und richtig diese genderorientierte Lesart zunächst auch klingen mag, sie basiert auf einer nicht ausreichend differenzierten, reduktiven Lesart einer viel komplexeren amerikanischen Genre-Tradition. Begreift sie den Gangsterfilm doch weiterhin implizit als ein Genre, das sich in erster Linie über die provokante Darstellung extremer Gewalt und Sexualität konstituiert, hauptsächlich ein männliches Publikum adressiert und lediglich zur
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Vgl. u.a. Kim Akass/Janet MacCabe: »Beyond the Bada Bing!: Negotiating Female Narrative Authority in The Sopranos«, in: David Lavery (Hg.): This Thing of Ours. Investigating the Sopranos, NY: Columbia UP 2002, S. 146-161, hier S. 147; Cindy Donatelli/Sharon Alward: »›I Dread You‹?: Married to the Mob in The Godfather, Goodfellas, and The Sopranos«, in: Lavery: This Thing of Ours (2002), S. 60-71, hier S. 65; Glen Creeber: »›TV Ruined the Movies‹: Television, Tarantino, and the Intimate World of The Sopranos«, in: Lavery: This Thing of Ours (2002), S. 124-134, hier S. 127. Für eine eingehendere Diskussion dieser Forschungsposition vgl. »Relektüre eines ›Männergenres‹. (Re-)Konfigurationen von Genre und Gender« im zweiten Kapitel der vorliegenden Arbeit.
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kulturellen Reflektion und Festigung männlicher Hegemonie dient. Folglich bedarf das konzeptionell so begrenzte Filmgenre auch erst einer anspruchsvolleren Umschrift, um in Gestalt einer selbstreflexiven Fernsehserie an ihrer von der Fernsehkritik und der neueren angloamerikanischen Fernsehforschung wiederholt hervorgehobenen ›Innovation‹, ›Intelligenz‹ und ›Qualität‹ zu gewinnen.5 Beim amerikanischen Gangsterfilm handelte es sich aber immer schon um ein Genre, das eine derart unterkomplexe Auslegung seiner ungleich facettenreicheren Verhandlungen6 von (nicht nur) Gender-Semantiken transgrediert hat und dementsprechend auch einer Lektüre7 bedarf, die genrehistorisch wie genretheoretisch differenziertere Maßstäbe anwendet. Im Folgenden wird die These aufgestellt, dass es sich bei den SOPRANOS nicht zwingend um eine genrehistorisch radikale, ›weibliche‹ Umschrift eines ›Männergenres‹ handelt, sondern um einen postmodernen Genretext, der die konventionell weiblich kodierten, in der Regel kaschierten Themenkom-
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Für eine kritischere Auseinandersetzung mit der nobilitierenden Kategorisierung der SOPRANOS innerhalb der angloamerikanischen Television Studies als ein Vorzeigeexemplar für »US Quality Television« vgl. auch »THE SOPRANOS auf HBO: ›Quality Television‹, Intermedialität, Cultural Studies« im zweiten Kapitel. Der Verhandlungsbegriff geht zurück auf das Wort »negotiations«, mit dem Stephen Greenblatt, Theoretiker des New Historicism, in Shakespearean Negotiations. The Circulation of Social Energy in Renaissance England (Oxford: Clarendon 1988) die textuellen Interdependenzen, den historischen Austausch zwischen literarischen und anderen kulturellen Texten beschreibt. Zur allgemeinen Rezeption des Gangsterfilms als typisch amerikanische Verhandlungsform und für eine Diskussion des exklusiv amerikanischen Textkorpus dieser Arbeit vgl. »Korpus: Texte und Kontexte des amerikanischen Gangstergenres« im zweiten Kapitel. Die These von ›lesbaren‹ Filmen und Fernsehserien geht auf den erweiterten, zeichentheoretisch begründeten Textbegriff der angloamerikanischen Cultural Studies zurück. Vgl. zum Lektürebegriff dieser Arbeit: »THE SOPRANOS auf HBO: ›Quality Television‹, Intermedialität, Cultural Studies« im zweiten Kapitel. Vgl. zum Textbegriff der Cultural Studies u.a. John Fiske: Understanding Popular Culture, NY: Routledge 1989; ders.: Reading Popular Culture, London: Routledge 1989; Stephen Greenblatt: »Kultur«, in: Moritz Baßler (Hg.): New Historicism: Literaturgeschichte als Poetik der Kultur, Frankfurt a.M.: Fischer 1995, S. 48-59; Andreas Hepp: Cultural Studies und Medienanalyse. Eine Einführung, Wiesbaden: VS 2004²; Dominic Strinati: An Introduction to Studying Popular Culture, NY: Routledge 2000; John Storey (Hg.): What Is Cultural Studies? A Reader, London: Arnold 1998³; Graeme Turner: »Cultural Studies and Film«, in: John Hill/Pamela Gibson (Hg.): The Oxford Guide to Film Studies, Oxford: UP 1998, S. 195-201; Gertrud Lehnert: »Kulturwissenschaft als Gespräch mit den Toten? Der New Historicism«, in: Iris Därmann/Christoph Jamme (Hg.): Kulturwissenschaften. Konzepte, Theorien, Autoren, München: Fink 2007, S. 105-118.
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plexe und Darstellungskonventionen des Gangstergenres8 präzisiert. So besteht die eigentliche ›Leistung‹ der Fernsehserie darin, sich durch einen höheren Grad an Selbstreflexivität einen diskursiven Verhandlungsraum zu erschließen, in dem eine intermediale, metareflexive Relektüre eines Filmgenres möglich wird, anhand derer sich seine wichtigsten Diskurse und Konventionen besser bestimmen und beschreiben lassen. Dabei wird zum einen deutlich, dass das amerikanische Gangstergenre – nicht erst, aber spätestens seit seiner klassischen Periode – hauptsächlich die Identitätsprobleme seiner Hauptfigur verhandelt, die aus dem prekären Verhältnis des Gangsterprotagonisten zu seiner männlichen Geschlechtsrolle, zu seiner Familien- beziehungsweise Bandenzugehörigkeit und zu seinem ethnischen Selbstverständnis resultieren. Und zum anderen, wie sich das Genre für die oft hochemotionale Verhandlung dieser Identitätsdiskurse eines traditionsträchtigen amerikanischen Erzähl- und Darstellungsmodus bedient – »[a mode of representation which has always been] first a drama of identity«9 –, des Melodrams. Der Melodrambegriff in seinem modernen Gebrauch für ein Drama, das sich in Dramaturgie und Figurenzeichnung einer musikalischen Akzentuierung und Vermittlung bedient (griech. melos: Lied, drama: Handlung), wird in der Regel auf Jean-Jacques Rousseau zurückgeführt, der ihn erstmals gebrauchte, um die formale Innovation seines Theaterstücks Pygmalion (1770) hervorzuheben. Rousseaus Verbindung aus Pantomime, Soliloquien und orchestraler Begleitung gilt heute als eines der frühesten Experimente, zu einer neuen, affektorientierten Ausdrucksform für die populäre Bühne der Zeit zu finden.10 Diese Definition, die sich noch an den formalen Besonderheiten des Melodrams ausrichtete, geriet mit der Zeit etwas in Vergessenheit und wurde von einem zweiten, eher inhaltlich orientierten Verständnis abgelöst, das auf die affektive Wirkung der Geschichten selbst verwies und so zu einer ästhetisch-qualitativen Gleichsetzung des Melodrams mit dem sentimentalen Rührstück beitrug.11 Dieser Wandel bedingte ab Ende des 19. Jahrhunderts eine Abwertung des Melodrams gegenüber der Tragödie und eine Trivialisierung des Melodramatischen neben neueren, vermeintlich ›anspruchs-
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Um einer undifferenzierten Begriffsverwendung des Filmgenres ›Gangsterfilm‹ vorzubeugen, benutzt die vorliegende Arbeit den Oberbegriff ›Gangstergenre‹ für alle Gangsternarrative, unabhängig davon, ob ihre medialen Träger nun Literatur, Film oder Fernsehen sind, von ›Gangsterromanen‹ bis hin zu ›Gangsterserien‹. 9 Robert Lang: American Film Melodrama: Griffith, Vidor, Minnelli, Princeton, New Jersey: Princeton UP 1989, S. 8. 10 Vgl. Peter Brooks: The Melodramatic Imagination. Balzac, Henry James, Melodrama, and the Mode of Excess, New Haven: Yale UP 1976, S. 14. 11 Vgl. Ursula Vossen: »Melodram«, in: Thomas Koebner (Hg.): Reclams Sachlexikon des Films, Stuttgart: Reclam 2002, S. 377-381, hier S. 377.
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volleren‹, da ›realistischeren‹ Darstellungsformen.12 Die seitdem selten einheitliche Verwendung des so populären wie umstrittenen Begriffs – mal für ein altmodisches, affektorientiertes Gestaltungsprinzip darstellender Kunst, mal für ein thematisch-motivisch fixiertes, dezidiert nicht-realistisches Narrativ – findet sich im Anschluss dann auch in filmwissenschaftlichen Debatten über die Wirkmacht melodramatischer Gestaltungsstrategien und Erzählmuster der populären Bühne auf Form und Inhalt des US-Mainstreamfilms. Im Mittelpunkt einer melodramatischen Inszenierung, sei sie nun für die Bühne, die Leinwand oder auch den Bildschirm, steht ein »Bild des Schweigens der Empfindung«,13 ein hochdramatisches Tableau, in dem die Gefühle der Figuren nicht mehr sprachlich adäquat kommunizierbar sind und das aus verschiedenen Gründen gehemmte Begehren der still leidenden Figuren dem Zuschauer, der Zuschauerin14 anhand anderer Mittel vermittelt werden muss. Dieser Topos der Unsagbarkeit, die oft gesellschaftlich auferlegte ›Stummheit‹15 der verzweifelt mitteilungsbedürftigen, von ihren Gefühlen überwältigten Figuren führt im Melodram zu der semantischen Überdeterminierung der Musik, der visuellen Gestaltung des Handlungsraums und des Mienenund Gestenspiels der Schauspieler.16 Melodramatische Momente konstituieren sich also stets über einer Inszenierung des Unsagbaren und den simultanen Bemühungen der Form, das empfindsame, ›laute‹ Schweigen der Figuren durch Affektbilder von hyperbolischer Bedeutungsdichte auszugleichen: »[There is] an irrevocable gap between the plane of representation and the plane of signification: the former cannot necessarily be made perfectly to embody the latter.
12 Vgl. Frank Kelleter/Ruth Mayer: »The Melodramatic Mode Revisited. An Introduction«, in: dies./Barbara Krah (Hg.): Melodrama! The Mode of Excess from Early America to Hollywood, Heidelberg: Winter 2007, S. 7-18, hier S. 10. 13 Hermann Kappelhoff: »Das Privattheater der Hysterikerin und die Szene der melodramatischen Heroine. Zur ›psychischen Infektion‹ des weinenden Publikums«, in: Mirjam Schaub/Nicola Suthor/Erika Fischer-Lichte (Hg.): Ansteckung. Zur Körperlichkeit eines ästhetischen Prinzips, München: Fink 2005, S. 186-197, hier S. 187. 14 Zur besseren Lesbarkeit wird im Folgenden das generische Maskulinum für beide Geschlechter verwendet. Mit Nennung der männlichen Funktionsbezeichnung ist also, sofern nicht anders markiert, stets auch die weibliche Form mitgemeint. 15 Für Peter Brooks ist diese ›Stummheit‹ ein wichtiges, genrekonstitutives Charakteristikum: »the different kinds of drama have their corresponding sense deprivations: for tragedy, blindness, since [it] is about insight and illumination; for comedy, deafness, since comedy is concerned with problems in communication, misunderstandings and their consequences; and for melodrama, muteness, since melodrama is [all] about expression« (Brooks: Melodramatic Imagination, S. 57). 16 Vgl. Laura Mulvey: »Melodrama Inside and Outside the Home«, in: dies. (Hg.): Visual and Other Pleasures, London: Palgrave 1989, S. 63-77, hier S. 74.
14 | G ANGSTER M ELODRAMA There is a constant effort to overcome the gap, which gives a straining, a distortion, a gesticulation of the vehicles of representation in order to deliver signification.«17
Wenn diese ›formalen Bemühungen‹ den Rezipienten aber zu sehr von der Handlung ablenken, wenn die Fülle an ›semantischen Alternativen‹ zur Repräsentation des Nichtverbalisierbaren18 der internen Plausibilität einer fiktionalen Handlungswelt entgegenwirkt, spricht die Forschung vom genrekonstitutiven Exzess des Melodrams. In der Filmwissenschaft erhielt das Konzept des ›ästhetischen Exzesses‹ vor allem in Abgrenzung zum »classic realist text« des Hollywoodfilms Aufmerksamkeit. Sei dieser bemüht, die Elemente der Mise-en-scène (wie zum Beispiel Kameraeinstellungen, Montage, Ausstattung, Kostüme, Musik, Lichtgebung) – »through techniques of continuity and ›invisible‹ storytelling«19 – zu integrieren und einer ›eindeutigen‹ Narration und Figurengestaltung unterzuordnen, schenke das Melodram gerade diesen Elementen viel Aufmerksamkeit, »[thus] offering a second level of representation through which to interpret the themes and characters«.20 Die Erwägung der filmischen Form als eine nicht allein ästhetisch ›wirkende‹, sondern auch symbolisch aufschlussreiche Größe führte Anfang der 1970er Jahre zu einer nobilitierenden Relektüre des als triviales und affektorientiertes ›Frauengenre‹ markierten Melodrams. Im Zentrum dieser rückblickenden Würdigung standen die als subversiv und ideologiekritisch zelebrierten Familienmelodramen Douglas Sirks aus den 1950ern.21 Unter dem Einfluss der von den Kritikern der französischen Filmzeitschrift Cahiers du cinéma angeregten, ab den 60ern in den USA von Andrew Sarris als »auteur theory« ausgearbeiteten Annahme, künstlerisch ›gehaltvollen‹ Filmen könne man die Handschrift des Regisseurs nachweisen,22 wurde dem – diesem Befund eifrig zustimmenden – deutschen Filmemacher Hans Detlef Sierck (der
17 Brooks: Melodramatic Imagination, S. 199. 18 Vgl. Mulvey: Inside and Outside the Home, S. 73. 19 David Bordwell/Janet Staiger/Kristin Thompson: The Classical Hollywood Cinema. Film Style & Mode of Production to 1960, NY: Columbia UP 1985, S. 3. 20 Philippa Gates: »The Maritorious Melodrama: Film Noir with a Female Detective«, in: Journal of Film and Video 61.3 (2009), S. 24-39, hier S. 28. Vgl. hierzu auch Geoffrey Nowell-Smith: »Minnelli and Melodrama«, in: Christine Gledhill (Hg.): Home is Where the Heart Is, London: St. Edmundsbury 1987, S. 70-74, hier S. 74. 21 Vgl. Sue Thornham: Passionate Detachments. An Introduction to Feminist Film Theory, London: Arnold 1997, S. 46. Gemeint sind als ›klassische‹ HollywoodMelodramen besprochene Liebes- und Familiendramen Sirks wie MAGNIFICENT OBSESSION (1954), ALL THAT HEAVEN ALLOWS (1955), WRITTEN ON THE WIND (1956), THE TARNISHED ANGELS (1958) und IMITATION OF LIFE (1959). 22 Vgl. Andrew Sarris: »Notes on the Auteur Theory in 1962«, in: Leo Braudy/Marshall Cohen (Hg.): Film Theory and Criticism. Sixth Edition, Oxford: Oxford UP 2004, S. 561-564, hier S. 563.
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sich in Hollywood zu Douglas Sirk umbenannte) attestiert, er würde die distanzierenden Verfremdungseffekte des expressionistischen wie Brechtschen Theaters benutzen, um die ideologischen Widersprüche im amerikanischen, patriarchal-kapitalistischen Familienbild der konservativen Eisenhower Ära offen zu legen.23 Mit dieser wertenden Redefinition ging aber auch eine qualitative Einteilung des Filmgenres in naiv-affirmative, emotional berührende und intelligent-subversive, ironisch distanzierende Melodramen einher, wobei letztere zwar dasselbe Massenpublikum ansprächen wie die weniger reflektierten Genrefilme, dem aufmerksamen Zuschauer aber eine kritischere Sicht auf Handlung, Figuren und das dargestellte Milieu eröffneten: »[Thus] the critical response to the movie melodrama covers a wide and contradictory range, [mostly d]epending upon the source and historical perspective«. 24 Die retrospektive Konstatierung eines neuen Genres, die auteurzentrierte Reduktion des Melodrams auf das sophisticated family melodrama der 50er etablierte einen Genrebegriff ähnlich dem film noir der 40er und 50er.25 Beide Genres wurden rückblickend von Filmkritikern begründet, auf eine historische Periode begrenzt und erhielten aufgrund der symbolträchtigen und als ideologiekritisch deutbaren Mise-en-scène ihrer meistgenannten Exemplare gesonderte Beachtung.26 Nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil sich nach der Prämisse der Auteur-Theorie gerade in der formalen Gestaltung eines Films die Handschrift eines Regisseurs innerhalb der standardisierten Hollywoodproduktion am deutlichsten zeige.27 Zu den von Sirk – und anderen berühmten Regisseuren klassischer Hollywood-Melodramen wie Vincente Minnelli
23 Vgl. Barbara Klinger: Melodrama and Meaning. History, Culture, and the Films of Douglas Sirk, Bloomington/Indianapolis: Indiana UP 1994, S. xii. Für eine besonders ausführliche rezeptionsgeschichtliche Rekapitulation und genreorientierte Revision von Douglas Sirk und seiner ›Auteur‹-Reputation vgl. ebd., S. 1-35. 24 Thomas Schatz: Hollywood Genres: Formulas, Filmmaking and the Studio System, New York: Random House 1981, S. 225. 25 Vgl. Christine Gledhill: »Rethinking Genre«, in: dies./Linda Williams (Hg.): Reinventing Film Studies, London: Arnold 2001, S. 221-243, hier S. 224. 26 Filme beider Genres ließen sich daher auch zum »progressive genre« zählen, das sich Barbara Klinger zufolge ebenso darüber definiert, dass es die Konventionen anderer Genrefilme und ihrer Genrewelten als Ideologien ausstellt, indem es sich dem classic realist text widersetzt: »This formal dynamic embodies a challenge to the conventional means of representing reality in the cinema in such a way as to expose those means as practice, as a product of ideology, and not as a manifest replication of reality. The progressive generic text is, in this sense, antirealist, as it rattles the perfect illusionism transmitted by a major sector of classic cinema« (»›Cinema/Ideology/Criticism‹ Revisited: The Progressive Genre«, in: Barry K. Grant (Hg.): Film Genre Reader, Austin: Texas UP 1986, S. 74-90, hier S. 78). 27 Vgl. Sarris: Auteur Theory, S. 562.
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und Nicholas Ray28 – verwendeten Strategien filmischer Distanzierung wurden neben der musikalischen Emphase von Szenen folgende ›Regieeinfälle‹ gezählt: »displacements and discontinuities in plot construction, contradictions in characterization, ironic use of camera-positioning and framing«.29 Die Frage, inwiefern diese Inszenierungsstrategien nun im Dienst einer – das fiktionale Geschehen nicht so sehr kommunizierenden als kommentierenden – Mise-en-scène stünden, durch die der ›Auteur‹ seine Weltsicht vermittelt, oder bloß die Darstellungskonventionen eines jeden Filmmelodrams konstituieren und es dem jeweiligen Rezipienten überlassen ist, ob man aus einer Sirk’schen Intensivierung der Genre-Konventionen eine distanzierende Ideologiekritik30 liest, führte ab Ende der 70er dazu, dass die Strukturmerkmale des Melodrams selbst in den Mittelpunkt der Forschung rückten.31 Dabei wurde vor allem eine konzeptionelle Schwäche in den bisherigen Überlegungen zum Filmmelodram der 50er problematisiert: die strenge Trennung von Form und Inhalt, das oft als gespannt und unvereinbar konzeptualisierte Verhältnis zwischen der ›eigentlich trivialen‹ Handlung und dem formalästhetischen ›Anspruch‹ des ›intelligenten‹ Filmmelodrams, das den Blick des Zuschauers auf die ideologischen Brüche einer Gesellschaftsschicht lenke. Dieser Lesart widersprach etwa Laura Mulvey als sie mit Bezug auf den in den Familienmelodramen der 50er recht offen geführten Diskurs über innerfamiliäre Spannungen und dysfunktionale patriarchale Machthierarchien schrieb: »Ideological contradiction is actually the overt mainspring and specific content of melodrama, not a hidden, unconscious thread to be picked up only by special critical processes.«32 Und der sich seit den 1980ern in der Filmforschung durchsetzende Befund, dass der filmische Exzess einer ›realistischen‹ Darstellung fiktionaler Handlungswelten nicht zwingend zuwider läuft, sondern dass man eine je nach erzählter Geschichte und dargestelltem Milieu verschieden stark ausgeprägte melodramatische Rhetorik jedem Genre des klassischen Hollywoodkinos nachweisen kann, warf auch die Frage
28 Zu Minnellis bekanntesten Melodramen gehören THE BAD AND THE BEAUTIFUL (USA 1952), THE COBWEB (USA 1955) und HOME FROM THE HILL (USA 1960). Zu Rays meistbesprochenen Regiearbeiten zählen JOHNNY GUITAR (USA 1954), REBEL WITHOUT A CAUSE (USA 1955) und BIGGER THAN LIFE (USA 1956). 29 Thornham: Passionate Detachments, S. 46. 30 Vgl. Paul Willemen: »Distanciation and Douglas Sirk«, in: Laura Mulvey/Jon Halliday (Hg.): Douglas Sirk, Edinburgh: Edinburgh Film Festival 1972, S. 2329, hier S. 26. 31 Vgl. Thornham: Passionate Detachments, S. 46. 32 Laura Mulvey: »Notes on Sirk and Melodrama«, in: dies.: Visual and Other Pleasures (1989), S. 39-44, hier S. 39. Vgl. für eine ähnliche Forschungsposition auch Christine Gledhill: »The Melodramatic Field: An Investigation«, in: dies.: Home is Where the Heart Is (1987), S. 5-39, hier S. 9.
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auf, inwieweit es noch sinnvoll sei, das Melodramatische als subversiv-kritische Störung des normierten »classic realist/narrative text« zu verstehen?33 Angesichts der historisch differenten Rezeption, Interpretation und Wertung des Melodramatischen muss man also zunächst festhalten, »[what kind of] dynamic impact history has on the meanings of melodrama, that is, its role in constantly reshaping the genre’s ideological function over time«.34 Im Folgenden wird im Anschluss an neueren Überlegungen auf dem Gebiet der Melodramforschung von einem weiten Begriff des Genres als ein grundlegendes Erzähl- und Darstellungsmodus ausgegangen, der sowohl den engeren Begriff für Narrative wie das Familienmelodram einschließt, als auch die melodramatischen Gestaltungskonventionen des amerikanischen Mainstreamfilms berücksichtigt. Wichtige Impulse für diese konzeptionelle Ausweitung des Begriffs lieferte Peter Brooks 1976 mit seiner vielzitierten Studie The Melodramatic Imagination. Balzac, Henry James, Melodrama, and the Mode of Excess, in der er das Melodramatische als ein weit verbreitetes Substrat eines historisch dynamischen Wahrnehmungs- und Ausdrucksmodus versteht, »[i.e.], as a certain fictional system for making sense of experience, as a semantic field of force«.35 In Bezug auf Texte vor allem amerikanischer Populärkultur mit ihrer Affinität fürs Melodramatische heißt das: »[…] the noun melodrama functions as a basic mode of storytelling. The term indicates a form of exciting, sensational, and, above all, moving story that can be further differentiated by specifications of setting or milieu (such as society melodrama) or genre (such as western melodrama). It is this basic sense of melodrama as a modality of narrative with a high quotient of pathos and action to which we need to attend if we are to confront the most fundamental appeal of movies. […] Melodrama should be viewed, then, not as an excess or an aberration but in many ways as the typical form of American popular narrative in literature, stage, film, and television.«36
In dieser Auslegung bezeichnet das Exzess-Konzept in Bezug auf das narrative Modell des klassischen Hollywoodfilms somit keine radikal ›antirealistische‹ Größe, sondern eine je nach Genre different »geregelte Dysfunktion, die im Raum der Diegese einen Bereich des Nicht-Sagbaren, des Nicht-zuErzählenden signifiziert«.37 Das Melodramatische verweist so auf »a competing logic, a second voice«, das hinter den ›realistischen‹ Konventionen des
33 Vgl. Gledhill: Melodramatic Field, S. 12f.. Vgl. hierzu auch Klinger: Progressive Genre, S. 88f. 34 Klinger: Melodrama and Meaning, S. xiv. 35 Brooks: Melodramatic Imagination, S. xiii. 36 Linda Williams: »Melodrama Revised«, in: Nick Browne (Hg.): Refiguring American Film Genres. Theory and History, Berkeley, CA: Berkeley UP 1998, S. 42-88, hier S. 51, 50. 37 Vgl. Hermann Kappelhoff: Matrix der Gefühle. Das Kino, das Melodram und das Theater der Empfindsamkeit, Berlin: Vorwerk 8 2004, S. 19.
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Hollywoodkinos weitestgehend zurücktritt, in den ›hysterischen‹ Momenten des Textes aber, in Sequenzen von filmischem Exzess – »[like u]nmotivated events, rhythmic montage, highlighted parallelism, overlong spectacles« – umso deutlicher auf sich als zugrunde liegender Modus des Textes aufmerksam macht.38 Anders gesagt: Dem kontinuierlich ausgestellten Anspruch des klassischen Hollywoodkinos auf Realismus unterliegt der melodramatische Impetus, den Zuschauer bestmöglich in das persönliche Schicksal der Figuren und den genrespezifischen Dynamiken ihrer Handlungswelt zu involvieren,39 ob nun durch Momente voll ergreifendem Pathos, mitreißender Action oder einer Verbindung aus beiden: »[Hence the] supposedly realist cinematic effects – whether of setting, action, acting or narrative motivation – most often operate in the service of melodramatic affects.«40 Und wenn man sich die ursprüngliche Charakterisierung des Melodrams – »[as] a dramatic narrative in which musical accompaniment marks the emotional effects«41 – ins Bewusstsein ruft, dann handelt es sich auch bei dem mittlerweile standardisierten Gebrauch von Hintergrundmusik in audiovisuellen Medien um eine altbewährte melodramatische Inszenierungsstrategie, »[that is], to provide a formal aural dimension and an emotional punctuation to its [storytelling]«.42 So macht es durchaus Sinn, das Melodram ähnlich der Komödie als ein eigenständiges Genre mit konkreten, historisch dynamischen Konventionen zu begreifen. Aber wie bei der Komödie ist es letztlich doch sinnvoller, von einem Modus, einem formalästhetischen Prinzip auszugehen, dessen Flexibilität es ihm gestattet, eine größere Fülle an Hybridisierungen mit anderen Genres einzugehen und sich so auch ein breiteres Spektrum kultureller Konflikte zu erschließen. »[Thus, m]elodrama, as an organizing modality of the genre system, works at western culture’s most sensitive cultural and aesthetic boundaries, embodying class, gender, and ethnicity in a process of imagi-
38 Vgl. Rick Altman: »Dickens, Griffith, and Film Theory Today«, in: South Atlantic Quarterly 88.2 (1989), S. 321-359, hier S. 346f. Vgl. dazu auch Gledhill: Melodramatic Field, S. 9. 39 Thomas Elsaesser führt den Gedanken folgendermaßen aus: »Since the American cinema, determined as it is by an ideology of the spectacle and the spectacular, is essentially dramatic […], the creation or re-enactments of situations that the spectator can identify with and recognize […] depends [largely] on the aptness of the iconography (the ›visualization‹) and on the quality (complexity, subtlety, ambiguity) of the orchestration for what are transindividual, popular mythological (and therefore generally considered culturally ›lowbrow‹) experiences and plot structures. [It] depends on the ways ›melos‹ is given to ›drama‹ by means of lighting, montage, visual rhythm, décor, style of acting, music […]« (»Tales of Sound and Fury: Observations on the Family Melodrama«, in: Barry Keith Grant (Hg.): Film Genre Reader II, Austin: Texas UP 1995, S. 350-379, hier S. 362f.). 40 Williams: Melodrama Revised, S. 42. 41 Elsaesser: Family Melodrama, S. 358. 42 Schatz: Hollywood Genres, S. 221.
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nary identification, differentiation, contact, and opposition.«43 Die Attraktivität und weit reichende Popularität eines Modus ergibt sich aus seiner Fähigkeit, die unterschiedlichsten zeitgenössischen Diskurse aufzugreifen und für seine – meist affektorientierten – Zwecke zu instrumentalisieren. Beim Melodram handelt es sich um die radikale Internalisierung und Personalisierung von komplexen sozialen und ideologischen Konflikten, die vorwiegend von einem emotionalen und psychologischen Standpunkt aus betrachtet und hinsichtlich ihrer moralischen und ethischen ›Richtigkeit‹ beurteilt werden.44 »[Thus, the] emblematic types of melodrama lead not outward to society but inward to where social and ideological pressures impact on the psychic«.45 In Bezug auf den prominenten Identitätsdiskurs der SOPRANOS sowie des amerikanischen Gangsterfilms lassen sich nun folgende Beobachtungen machen: Als ein Genre, das die Persönlichkeitskrisen vermeintlich souveräner, aber letztlich handlungsunfähiger männlicher Protagonisten dramatisiert und sie meist als traurige Leidens- und Opferfiguren inszeniert, ist der Gangsterfilm zuerst als Male Melodrama zu begreifen. Mit der Verortung der Identitätskonflikte des Gangsters in seiner biologischen wie beruflichen ›Familie‹ und dem Erzählfokus auf den intimen, konfliktreichen Interaktionen mit den Mitgliedern seiner zwei ›Banden‹ ähnelt das Gangstergenre auch dem Family Melodrama. Und schließlich zeigt das Genre den Gangster wiederholt als prototypischen Amerikaner, als (kriminellen) Immigranten, der sich eine individualistische, amerikanische Identität zu konstruieren versucht, ohne sich jedoch von seiner rückblickend idealisierten ›ethnischen Herkunft‹ und deren archaischen Gemeinschaftsstrukturen lösen zu wollen, noch zu können. Das macht den Gangsterfilm zudem noch zu einem der wenigen Genres des Hollywoodkinos, das sich als Immigrant Melodrama perspektivieren lässt. Das US-Gangstergenre steht somit in drei prominenten, sich in den Einzeltexten in der Regel überschneidenden Diskurstraditionen des amerikanischen Melodrams, denen in der Forschung bislang auch eine unterschiedlich intensive Betrachtung zuteil wurde. Während der Begriff des ›Family Melodrama‹ bereits in den 70ern durch Thomas Elsaessers wirkmächtigen Aufsatz »Tales of Sound and Fury« popularisiert wurde,46 bedürfen das im Hollywoodkino nicht weniger prominente Male Melodrama und das doch etwas
43 Gledhill: Rethinking Genre, S. 238. 44 Vgl. Brooks: Melodramatic Imagination, S. 15. 45 Christine Gledhill: »Signs of Melodrama«, in: dies. (Hg.): Stardom. Industry of Desire, London/New York: Routledge 1991, S. 207-229, hier S. 209. 46 Vgl. Thomas Elsaesser: Tales of Sound and Fury (vgl. Anm. 39). Elsaesser hat seinen vielzitierten Aufsatz in zwei späteren Beiträgen abermals problematisiert, mit: »Melodrama: Genre, Gefühl oder Weltanschauung?«, in: Margrit Frölich/ Klaus Gronenborn/Karsten Visarius (Hg.): Das Gefühl der Gefühle. Zum Kinomelodram, Marburg: Schüren 2008, S. 11-34; und: »›Zu spät, zu früh?‹: Körper, Zeit und Aktionsraum in der Kinoerfahrung«, in: Matthias Brütsch/et al. (Hg.): Kinogefühle. Emotionalität und Film, Marburg: Schüren 2005, S. 415-440.
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speziellere Immigrant Melodrama noch einer vergleichbaren Positionierung in der Melodramforschung. Die vorliegende Untersuchung soll – ausgehend vom Gangstergenre – der Forschung in dieser Richtung neue Impulse geben. Angesichts der Fülle an kulturellen Diskursen, in die sich THE SOPRANOS und der Gangsterfilm – »[arguably] the most hypercoded of all the Hollywood genres«47 – mit ihrem Identitätsdiskurs um den Gangsterprotagonisten einschreiben, verortet sich die vorliegende Studie sowohl an der Schnittstelle der Film, Television und Genre Studies, als auch zwischen den Masculinity, Family und Ethnicity Studies. Die sich einander bedingenden Konfigurationen kultureller Matrices wie zum Beispiel Gender, Class, Nationality, Religion, Age als auch Ethnicity, die man im Gangstergenre in einer besonderen Komplexität vorfindet, erfordern das »sine qua non jeglicher Kulturwissenschaft«, eine interdisziplinär ausgerichtete Lektüre, die sich der zahlreichen kulturellen, sozialen Wissens- und Bedeutungskontexte medialer Texte bewusst ist und die Fernsehserie als auch das Filmgenre nach dem Erkenntnisziel des New Historicism historisch, genauer: kulturhistorisch verortet.48 Mit der Relektüre des Gangsterfilms als eine populäre Genreausformung eines nicht nur auf fiktionale Texte zu beschränkenden Erzähl- und Darstellungsmodus amerikanischer Medien,49 verortet sich die Arbeit auch in einer jüngeren Tendenz in der Forschung zum US-Melodram. Dort wird seit den 90ern, »unter dem Eindruck der ›Cultural Studies‹, […] das Melodramatische als diskursives Aggregat begriffen, das sich in unterschiedlichen Künsten und Medien realisiert und als ein grundlegendes Dispositiv westlicher Populärkultur zu begreifen ist«.50 In ihrer Auffassung des Gangsters als eine komplexe Reflexionsfigur51 der US-Gesellschaft versteht sich die vorliegen-
47 Pellegrino D’Acierno: »Cinema Paradiso: The Italian American Presence in American Cinema«, in: ders. (Hg.): The Italian American Heritage, New York/ London: Garland 1999, S. 563-702, hier S. 656. 48 Vgl. Lehnert: Gespräch mit den Toten, S. 106f., 118. 49 So schreibt Linda Williams etwa mit Bezug auf die melodramatischen Inszenierungen in der Berichterstattung über die Olympischen Spiele von Atlanta im Jahr 1996 auf amerikanischen Fernsehsendern: »Today, the heritage of moving picture melodrama shapes not only fictional films and television but the media representation of war, athletic competitions, and courtroom trials. These diverse forms of melodrama have moved American readers and audiences throughout the last century and a half of American popular culture to feel for the virtue of some and against the villainy of others.« (Playing the Race Card. Melodramas of Black and White from Uncle Tom to O.J. Simpson, Oxford, Princeton: UP 2001, S. 13). 50 Kappelhoff: Matrix der Gefühle, S. 18. 51 Der Begriff ›Reflexionsfigur‹ wird in der Arbeit im Sinne eines wirkmächtigen, (inter-)textuellen Typus verwendet, der zeitgenössische Diskurse sowohl reflektieren als auch auf sie Einfluss nehmen kann. In Analogie zu Tony Bennetts und Janet Woollacotts kulturwissenschaftlicher Auffassung der Kultfigur James Bond als einen flottierenden Signifikanten lässt sich auch über die noch traditionsträch-
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de Studie also als ein weiterer Beitrag zu dem von Christof Decker erklärten Erkenntnisziel neuerer kulturwissenschaftlicher Arbeiten zum ästhetischen Programm, zu der impliziten Affektstruktur amerikanischer Populärkultur: »American culture as a whole should be reinvestigated from a perspective acknowledging the importance of the melodrama as a mode of representation […]. [Treating] the melodrama as a mode of cultural representation transcoding individual genres [underlines] its importance as an aesthetic and rhetorical form that has shaped American popular culture in various, often ambiguous and contradictory, ways.«52
So resultiert die diskursive Verdichtung der drei oben genannten Narrative – Male, Family und Immigrant Melodrama – eben auch in einem transmedialen Genre, das sich über die Identität ihrer ambivalenten und widersprüchlichen Hauptfigur konstituiert. Und als ein langjähriges Fernsehdrama, das oft Soap- und Sitcom-Konventionen derart hybridisiert, »[that even] at its most serious, [it] never stops being funny«,53 greifen THE SOPRANOS auf die traditionellen Diskurse des Filmgenres zurück und verhandeln sie an dem Gangsterprotagonisten erstmals über einen längeren Zeitabschnitt und damit auch in einer größeren tragisch-komischen Breite. Der für seinen rastlosen Tatendrang berühmte klassische Filmgangster wird dadurch als eine pathetische, unfreiwillig komische Leidensfigur auslegbar und deutlicher in der Tradition des US-Melodrams verortet, »[whose] key feature [is the] sympathy for another grounded in the manifestation of that person’s suffering«.54 Da er in seinem patriarchalen, repressiven und (überwiegend homo)sozialen Umfeld keinen geeigneten Raum findet, seine konfliktreiche Innerlichkeit zu verbalisieren, hat auch der Gangster wie die Hauptfiguren klassischer HollywoodMelodramen seine Identitätssorgen immer zu verdrängen: »[For] melodrama represents a struggle against, or within, the patriarchy, and what seeks release and definition is a repressed identity«.55 Und wie im Melodram kehren die von den Protagonisten unterdrückten Emotionen und die ideologischen Ambivalenzen ihrer Handlungswelten auf der formalästhetischen Ebene der
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tigere Figur des Gangsters konstatieren, »[that if he] has functioned as a ›sign of the times‹, it has been as a moving sign of the times, as a figure capable of taking up and articulating quite different and even contradictory cultural and ideological values, sometimes turning its back on the meanings and cultural possibilities it had earlier embodied to enunciate new ones« (Bond and Beyond. The Political Career of a Popular Hero, Basingstoke, Hampshire: Macmillan 1987, S. 19) Christof Decker: »›Unusually Compassionate‹: Melodrama, Film and the Figure of the Child«, in: Kelleter/Mayer/Krah: Melodrama! (2007), S. 305-328, hier S. 305 [Meine Hervorhebung]. Ellen Willis: »Our Mobsters, Ourselves«, in: Lavery: This Thing of Ours (2002), S. 2-9, hier S. 7. Williams: Race Card, S. 16. Lang: American Film Melodrama, S. 4.
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Medientexte, in ihrer exzessiven, ›symptomatischen‹ Mise-en-scène56 wieder, nicht nur, aber wohl am deutlichsten beim finalen psychischen und oft auch physischen Kollaps des Gangsters, in der spektakulär gestalteten Szene seines erwarteten Todes. THE SOPRANOS beginnen nun nach einem solchen, hier psychosomatisch begründeten physischen Kollaps: In der Serie begibt sich ein Gangster in die Analyse, um im Unbewussten nach den verdrängten Ursachen für sein körperliches Leiden, seine Angstattacken zu forschen. Parallel hierzu begibt sich auch die Fernsehserie gewissermaßen in das ›Unbewusste‹ des Gangsterfilms, um sich mit der ambivalenten Faszination des Gangsters auseinanderzusetzen. Wenn der für gewöhnlich blind wütende oder sehr verschlossene Filmgangster in THE SOPRANOS beginnt, über sich selbst zu reflektieren und die Analyse seiner ebenso einnehmenden wie abstoßenden Persönlichkeit zu gewähren, dann entfaltet sich auch erstmals die selten zuvor in dieser Intensität zur Diskussion gestellte Attraktivität dieser komplexen Medienfigur für die amerikanische Populärkultur des 20. und 21. Jahrhunderts. So handelt es sich beim Gangsterprotagonisten, wie er von der Filmwissenschaft bislang begriffen wurde, nicht nur um einen Prototyp des dynamischen Protagonisten des klassischen Hollywoodfilms.57 Er figuriert – wie es THE SOPRANOS erneut, wenn auch mit einer selten zuvor in der Komplexität gesehenen Mischung aus emotionaler Identifikation und ironischer Distanzierung hervorheben – auch als ein grotesk-komischer soziokultureller Außenseiter und rührend-sentimentales Opfer widriger Umstände. Wichtig ist: In beiden Fällen erfährt der Gangster eine melodramatische Ausgestaltung als bizarre Unschuldsfigur, deren ›moralischer Wert‹ als ein ebenso empathiefähiges wie empathiewürdiges Subjekt58 sich erst in ihrem finalen, als ›tragisch‹ kodierten Scheitern zeigt. »[For] melodrama typically, not only employs virtue persecuted as a source of its dramaturgy, but also tends to become the dramaturgy of virtue misprized and eventually recognized. It is about virtue made visible and acknowledged, the drama of a recognition«.59 Doch das im Melodram dramatisierte und oft ergebnislose Streben nach einer genauen Zuschreibung von abstrakten Kategorien wie ›gut‹ und ›böse‹ und sozialen Positionen wie ›Opfer‹ und ›Täter‹ stößt bei der ambivalenten
56 Vgl. Thornham: Passionate Detachments, S. 48. 57 Der Gangsterprotagonist erfüllt »[m]it seinem ausgeprägten Individualismus, seinen klaren Zielvorstellungen und einem starkem Handlungsimpuls […] die Rollen-Funktion des ›Helden‹ im Modus des ›protagonist-driven story film‹ Hollywoods geradezu ideal« (Britta Hartmann: »Topographische Ordnung und narrative Struktur im klassischen Gangsterfilm«, unter: http://home.snafu.de/britta.hart/ gang.html, l.A.: 01.03.11). Vgl. zum »goal-oriented« amerikanischen Filmhelden vor allem Bordwell/Staiger/Thompson: Classical Hollywood Cinema, S. 16. 58 Vgl. Steve Neale: »Melodram und Tränen«, in: Christian Cargnelli/Michael Palm (Hg.): Und immer wieder geht die Sonne auf. Texte zum Melodramatischen im Film, Wien 1994: PVS, S. 147-166, hier S. 158. 59 Brooks: Melodramatic Imagination, S. 26f.
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Figur des Gangsters unweigerlich an seine Grenzen. Wenn die Funktion des melodramatischen Modus – »[as] the best example of American culture’s (often hypocritical) notion of itself as the locus of innocence and virtue«60 – von Anfang an darin bestand, dass man seine Emotionalisierungsstrategien dazu benutzen konnte, nahezu jede Figur als Opfer ihres jeweiligen sozialen Umfelds, als Unschuldsfigur zu perspektivieren, dann stellt sich die Frage, was der Modus noch alles inkorporieren kann? Wo sind die konzeptionellen Grenzen, wenn sich theoretisch jede/r auf den Leidensdiskurs berufen kann? So schreibt Christine Gledhill mit Bezug auf die konventionell benachteiligte Protagonistin des US-Melodrams, die im Laufe der Handlung den traditionellen Weg vom leidenden Opfer einer Gesellschaft zur moralischen Kritikerin derselben zurücklegt: »If the ideological conditions and signs of cultural verisimilitude allow, any ›body‹ can occupy these positions. Significant are those […] occasions when the mantle of victim-survivor-savior is passing from the white [woman to other minorities]«.61 Wie verhält es sich dann aber mit den Ambiguitäten, die unweigerlich auftreten, wenn man versucht auch den Gangster, eine (dezidiert anti-)soziale Randfigur, die in der Regel über ihre besondere Brutalität definiert wird, sentimental zu gestalten, »[that is], to push audiences’ emotional empathy with certain types of characters who are normally considered villains«?62 Besteht die metareflexive Fragestellung des Gangstergenres, die implizite Versuchsanordnung der Beispieltexte also darin, ob sich auch eine so ambivalente Figur wie der amerikanische Gangster, der mitunter sogar diabolische, ja monströse Züge annehmen kann, in das Zentrum eines melodramatischen Opferdiskurses stellen lässt? Indem sie die stoische Männerfigur des Gangsters in eine Therapie schicken, in der er als ein traumatisiertes ›Opfer‹ seiner Kindheit und Erziehung zuweilen von der Täterrolle entbunden wird, greifen THE SOPRANOS die melodramatische Basiskonfiguration des Gangsterfilms auf, schreiben sie in einem neuen medialen wie gesellschaftlichen Kontext um und spitzen sie zu. Die Psychologisierung, die die Figur damit erfährt, löst den traditionell mythologisierenden, eher handlungsorientierten als zur psychologischen ›Tiefe‹ neigenden Gestus des amerikanischen Melodrams63 sowie des Gangsterfilms aber nicht zwingend auf. Hatte der melodramatische Modus doch schon immer eine besondere Affinität für die Psychoanalyse – »as a systematic realization of the melodramatic aesthetic, applied to the structure and dynamics of the mind«64 – und für ihre traditionellen Erzählmuster. Sind psychoanalytische Fallstudien, die in der Regel von der rückblickenden Auseinandersetzung mit einem für traumatisch befundenen Verlust kindlicher Unschuld er-
60 Williams: Melodrama Revised, S. 50. 61 Gledhill: Rethinking Genre, S. 240. 62 Martin Scorsese zitiert in Ian Christie/David Thompson: Scorsese on Scorsese, London: Faber & Faber ³2003, S. 202. 63 Vgl. Elsaesser: Family Melodrama, S. 351. 64 Brooks: Melodramatic Imagination, S. 201.
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zählen, doch bereits grundlegend melodramatisch und stellen dem Modus so einen weiteren Opferdiskurs bereit.65 So wird zwar älteren Filmmelodramen attestiert, sie arbeiteten noch mit einer relativ schlichten Gegenüberstellung einseitig ›guter‹ und ›böser‹ Figuren ohne psychologischer Komplexität und moralischer Ambiguität, um zu einer emotional ›authentischen‹ Darstellung und Vermittlung moralischer Richtigkeit und sozialer Ordnung zu finden.66 Wohingegen über neuere Melodramen seit den 50ern geschrieben wird, dass sie »dann nicht mehr, wie noch in den 30er Jahren, märchenhaft, mythologisierend überhöht [verfahren], sondern […], von einem freudianischen Alltagswissen geleitet, Konflikt und Sujet [psychologisieren]«.67 Doch mit psychologischen Narrativen und Figurenbindungen hat das Identitätsdrama des Melodrams eigentlich immer schon gearbeitet. Der nicht selten ironisch gebrochene und selbstkritische psychologische Diskurs der SOPRANOS markiert dabei lediglich den historischen Moment »einer von Psychologie erschöpften« Kultur durch »eine halb komische Darstellung des absurden und bitteren Endes der heutigen endlosen Enthüllungen des Innen- und Privatlebens, die [alle] Bemühungen neutralisieren, richtig und falsch zu unterscheiden«.68 Vor allem dann, wenn mit der Psychoanalyse versucht wird, sogar für einen Gangster Empathie und Verständnis zu entwickeln, der sich nicht unbedingt von seinem pathologischen Hang zur Kriminalität ›kurieren‹ lassen möchte. Dana Polan, eine der wenigen kritischen Stimmen innerhalb der SOPRANOS Studies warnt in einer Monographie jüngeren Datums, im Unterkapitel »Against Interpretation«,69 den psychoanalytischen Diskurs, den THE SOPRANOS über sich und über ihren Gangsterprotagonisten führen, lediglich zu reproduzieren. Man begebe sich dadurch nur in die Gefahr einer Überinterpretation ›irrelevanter‹ oder zu ›offensichtlicher‹ Szenen, »[that since the show] wears its meaning on its sleeve, […] often the academic critics seem to be simply repeating what the show has already said«.70 Polan macht damit indirekt auf zwei ineinander greifende ›Interpretationsprobleme‹ bei der Analy-
65 Vgl. Brooks: Melodramatic Imagination, S. 204. 66 Vgl. Williams: Melodrama Revised, S. 77. Vgl. dazu auch Brooks: Melodramatic Imagination, S. 16. 67 Kappelhoff: Matrix der Gefühle, S. 248. 68 Lee Siegel: »Das Abstoßende kann sehr anziehend sein. Über Gewalt, Amerika und ›Die Sopranos‹«, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 59.1 (2005), S. 477-490, hier S. 481. 69 Das ist ein Untertitel, der wohl an den berühmten gleichnamigen Aufsatz der USKulturkritikerin Susan Sontag aus dem Jahre 1966 erinnern soll, in der sich Sontag gegen die Hermeneutik, gegen das angestrengte Herausarbeiten eines sekundären Inhalts hinter einem primären Textinhalt und stattdessen für eine »erotics of art«, einer Zuwendung zu den formalästhetischen Qualitäten eines Kunstwerks ausspricht. Vgl. Susan Sontag: »Against Interpretation«, in: dies. (Hg.): Against Interpretation and Other Essays, New York: Picador 2001 [1966], S. 3-14. 70 Dana Polan: The Sopranos, Durham/London: Duke UP 2009, S. 113, 115.
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se eines sehr selbstreflexiven Textes wie den SOPRANOS aufmerksam, Probleme, die auch bei der Behandlung von reflektierteren Beispielen des Melodrams oder des Gangstergenres greifen. Zum einen stellt sich die Frage, wie sich der Genreforscher gegenüber einem Text positioniert, der seinen intertextuellen Dialog mit der Genregeschichte bereits ›hinreichend‹ herausstellt und kommentiert, ohne dass man auf die Bezüge nochmals hinweisen muss. Zum anderen nimmt der Text die Tätigkeit des Interpreten bereits durch das melodramatische Prinzip vorweg, »[which] draws attention to the fault lines in family and community life, [making] overt what is usually covert«.71 Anders gesagt: Muss man der Aussagekraft von melodramatischen Szenen, deren Mise-en-scène bereits ›ausreichend‹ symbolträchtig ist und beständig die psychologische Verfassung der Figuren indiziert, eigentlich noch etwas beipflichten?72 Zumal man die populärkulturelle Bedeutung des damals für ein ungebildetes Theaterpublikum entwickelten Melodrams73 – gleich ob es mit seinen Erzähl- und Darstellungsmitteln konservative oder progressive Ideen verfolgt – stets in seinem ursprünglichen Impetus gesehen hat, die verdrängten Bedeutungen repressiver Gesellschaftssysteme so ›klar‹ wie möglich, also nicht auf sprachlicher, sondern auf emotionaler Ebene offen zu legen?74 Hierauf lässt sich antworten: Eine Arbeit, die die melodramatischen Affektstrukturen des US-Gangstergenres auszuloten beabsichtigt, hat den stärker psychologisch ausformulierten Diskurs der SOPRANOS zwar zwangsläufig wieder aufzugreifen. Allerdings nicht, um ihn zu reproduzieren oder seine Ergebnisse ohne weiteres zu bestärken, sondern ihn als eine weitere rhetorische Strategie zu perspektivieren, um die sich im Melodram stets in Bewegung befindlichen Opfer- und Täterrollen zu fixieren und zu dramatisieren. Theoretisch fußt die vorliegende Studie daher auch auf den psychoanalytischen Schriften Sigmund Freuds, genauer: auf der Anwendung, die sie in
71 Jay Parini: »The Cultural Work of The Sopranos«, in: Regina Barreca (Hg.): A Sitdown with the Sopranos, New York: Macmillan 2002, S. 57-87, hier S. 80. 72 Exemplarisch hierfür ist die von der Forschung häufig anzitierte Szene aus Sirks ALL THAT HEAVEN ALLOWS (1955), in der die ›Gefangenschaft‹ der Protagonistin, der alleinstehenden Witwe Cary Scott, in den repressiv-konservativen amerikanischen Suburbs durch den hauseigenen Fernseher Ausdruck findet, in dessen Bildrahmen sie ihr tragisches Spiegelbild reflektiert sieht. Oder die Fülle an expressionistischen ›X‹-Markierungen und abstrakten Schattenbildern, die die Mise-en-scène von Howard Hawks’ Gangsterfilm SCARFACE (1932) zu verschiedenen Gelegenheiten dominieren und Attentate auf Gangster antizipieren oder kommentieren. Und im Fall der SOPRANOS zum Beispiel die Szene, in der der Gangsterprotagonist zum Schluss einer Folge über die grotesken Paradoxien väterlicher Pflichten und mafiöser Prinzipien ›zufällig‹ folgende Worte Nathaniel Hawthornes erblickt: »No man can wear one face to himself and another to the multitude without finally getting bewildered as to which may be true« (s01e05: »College«). 73 Vgl. Mulvey: Inside and Outside the Home, S. 73. 74 Vgl. Brooks: Melodramatic Imagination, S. 15, 4.
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der poststrukturalistischen Subjekttheorie Jacques Lacans75 und in der psychoanalytischen Filmwissenschaft erfahren haben. Das ist nicht nur sinnvoll, weil sich die Arbeit vor allem mit den Identitätsfragen beschäftigt, die sowohl in den SOPRANOS, im Gangstergenre, als auch im Melodram wiederholt aufgeworfen werden. Lacans Konzept einer phallisch ausgerichteten symbolischen Ordnung, die um die prohibitive wie sinnstiftende Position einer paternalen Autorität (»non/nom-du-pére«) gebaut ist und die kulturellen Konventionen einer Gesellschaft determiniert wie legitimiert, zeigt sich auch besonders unverhohlen im patriarchalen System organisierter Verbrecherbanden wie sie im Gangstergenre Darstellung finden. Definieren sich diese exklusiven Männerbünde doch über phallozentrische Macht und über den panischen Ausschluss weiblich kodierter Mängel.76 Und wie die HollywoodMelodramen der 1950er dramatisieren auch THE SOPRANOS und der Gangsterfilm oft die Identitätsnöte, die aus der destabilisierenden Abwesenheit einer gesetzgebenden und damit auch Bedeutung und Identität sichernden Vaterfigur resultieren, oder die durch die Erosion der paternalen Funktion im Generationenwechsel entlang größerer soziokultureller Umbrüche entstehen. Im Folgenden geht es darum, wo und wie sich der melodramatische Modus in den Einzeltexten des Gangstergenres bemerkbar macht, und auf welche Erzähl- und Darstellungskonventionen des Melodrams die Texte rekurrieren. Dabei kommt ein Melodrambegriff zum Tragen, der nicht streng zwischen den prominenten Narrativen ›maskuliner‹ Action und ›femininem‹ Pathos differenziert,77 sondern beide als sich einander ergänzende Ausformungen eines melodramatischen Spektrums begreift.78 Während die von Actionund Gewaltszenen bestimmte Dramaturgie der frühen Gangsterfilme bereits so viel Beachtung gefunden hat, dass die Forschung grundlegend davon ausgeht, »[that] ›gangster film‹ implies action melodrama«,79 wurde eine dem
75 Vgl. Jacques Lacan: Écrits. A Selection, übers. von Alan Sheridan, New York: Norton 1982. 76 Laura Mulvey fasst es so prägnant zusammen: »[T]he paradox of phallocentrism in all its manifestations is that it depends on the image of the castrated woman to give order and meaning to its world. An idea of woman stands as lynch pin to the system: it is her lack that produces the phallus as a symbolic presence, it is her desire to make good the lack that the phallus signifies« (»Visual Pleasure and Narrative Cinema«, in: Gerald Mast/Marshall Cohen (Hg.): Film Theory and Criticism. Introductory Readings, Oxford: UP 1985, S. 746-757, hier S. 746). 77 Wie zum Beispiel die von Michael Walker vorgeschlagene Differenzierung zwischen männlich semantisierten »Action melodramas« wie der Abenteuerfilm, Piratenfilm, Kriegsfilm oder der Western und weiblich konnotierten »Melodramas of passion« wie den Woman’s Film und das Familienmelodram. Vgl. »Melodrama and the American Cinema«, in: Movie 29/30 (1982), S. 2-38, hier S. 16f. 78 Vgl. Williams: Race Card, S. 38. 79 Raymond Durgnat: »The Gangster File: From the Musketeers to Goodfellas«, in: Monthly Film Bulletin 58.687 (April 1991), S. 93-96, hier S. 93.
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Genre ebenfalls eigene Form des Melodramatischen, die intimeren Momente großer Figurenemotionen, wie sie genrehistorisch auch zunehmend an Bedeutung gewinnen, bislang noch nicht ausreichend berücksichtigt. Die vorliegende Studie soll dazu beitragen, den Blick auch auf diese konventionell weiblich konnotierten Emotionalisierungsstrategien des Genres zu lenken. In diesem Punkt erweisen sich THE SOPRANOS als ein ausgesprochen anschlussfähiger Ausgangspunkt, versucht die Serie die melodramatische Rhetorik, die intim-persönlichen Momente des Gangsterfilms doch nicht mehr mit einer Emphase der Actionszenen zu kuvrieren wie die klassischen Genretexte, sondern fokussiert sie nachdrücklich, indem sie der affektiven Wirkung ihrer (relativ seltenen) Gewaltszenen die introspektive Intensität ihrer (zahlreichen) Familien- und Therapieszenen gegenüberstellt. Die Serie hybridisiert damit gleich zwei traditionell geschlechtlich konnotierte Tendenzen des Melodrams: »The taciturnity of masculine realism is [used as] the seedbed of melodramatic emotion, while the talk that characterises women’s cultural forms threatens to dissipate melodrama in analytic discourse.«80 Den Hauptgegenstand der vorliegenden Arbeit bilden THE SOPRANOS mit ihren sechs Staffeln, die aus insgesamt 86 Folgen bestehen.81 Die einzelnen Folgen werden dabei weder im Detail, noch in chronologischer Reihenfolge besprochen, sondern je nach Schwerpunkt der Analyse zur Diskussion von Genre-Versatzstücken herangezogen. Parallel dazu wird die Geschichte des amerikanischen Gangsterfilms durchlaufen, um eine Genealogie der Gangsterfigur im US-Mainstreamfilm zu rekonstruieren, die ihn als sentimentale, pathetische Leidensfigur auslegt. Dabei geht es weniger darum, eine Rekonstruktion der zeitgenössischen Wahrnehmung der Filme zu leisten,82 in der sie womöglich als Melodramen verstanden wurden, sondern darum, das melodramatische Bedeutungs- und Affektangebot auszuloten, dass diese Filme mit Blick auf die Genre-Umschriften der SOPRANOS dem Publikum anbieten. Wirkmächtige Texte in der Gestaltung und ständigen Ausdifferenzierung der Gangsterfigur werden in dieser Arbeit sowohl auf ihre Einflüsse hin be-
80 Gledhill: Rethinking Genre, S. 236. 81 Eine Staffel der SOPRANOS besteht aus 13 mehr oder weniger einstündigen Folgen, bis auf die letzte Staffel, deren insgesamt 21 Folgen in Etappen ausgestrahlt wurden: »Part I« mit 12 und »Part II« mit 9 Folgen. Im Appendix dieser Arbeit findet sich ein komplettes Episodenverzeichnis mit Angaben zum Titel und Regisseur jeder Folge, sowie zum Zeitpunkt der Erstausstrahlung. Für einen Episodenführer siehe: http://www.hbo.com/the-sopranos/episodes, l.A.: 01.03.11. 82 Zumal dies bereits ausführlich geleistet wurde, unter anderem etwa von David E. Ruth: Inventing the Public Enemy. The Gangster in American Culture, 19181934, Chicago: Chicago University Press 1996; Nicole Rafter: Shots in the Mirror: Crime Films and Society, New York: Oxford UP 2000; Chris Messenger: The Godfather and American Culture. How the Corleones Became »Our Gang«, New York: New York UP 2002; und von George De Stefano: An Offer We Can’t Refuse. The Mafia in the Mind of America, New York: Faber & Faber 2006.
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fragt, als auch einer rückblickenden Relektüre auf Basis der SOPRANOS unterzogen. Das Filmkorpus der Arbeit umfasst daher auch Beispiele vom frühen Stummfilm bis zum aktuellen Hollywoodfilm, mit speziellem Fokus auf den frühen Kurzfilm THE MUSKETEERS OF PIG ALLEY (1912),83 auf die Klassiker LITTLE CAESAR (1931),84 THE PUBLIC ENEMY (1931)85 und SCARFACE (1932),86 auf die Familiensaga der GODFATHER-Trilogie (1972/74/90),87 dem zentralen Intertext der SOPRANOS, wie auch auf die postmoderne Milieustudie GOODFELLAS (1990),88 dem unmittelbaren konzeptionellen Vorläufer der Serie. Dass es sich bei den Figuren in diesen Genretexten oft um italoamerikanische Kriminelle, um Mitglieder der Cosa Nostra89 handelt, schärft den Blick der Arbeit zudem auf das sich historisch wandelnde Porträt dieser ethnischen Gruppe im amerikanischen Gangstergenre. Das ist insofern interessant, als dass das italoamerikanische Kino, wie es Pellegrino D’Acierno an der populärkulturellen Bedeutung der GODFATHER-Reihe belegt, vor allem dadurch besticht, dass es im Unterschied zu den Filmkulturen anderer amerikanischer Ethnien über keine positive ethnische Selbstdarstellung von vergleichbarer kultureller Wirkmacht außerhalb des Gangstergenres verfügt.90 Die Lektüre des amerikanischen Gangstergenres als Gangster Melodrama, so die Ausgangsthese der vorliegenden Studie, wird zum einen ermöglicht durch die expliziten Bezüge der SOPRANOS auf die Tradition des amerikanischen Gangsterfilms und seine konstitutiven Diskurse. Zum anderen basiert diese Auslegung auf das Inbezugsetzen mit anderen, weniger augenfälligen Texten durch den Verfasser – ausgehend von der Annahme, dass sie in ihrer zwischentextlichen Bindung zum Ausgangstext diesen um weitere Bedeutungsschichten bereichern, durch neue Kontexte in seinen Bedeutungen
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THE MUSKETEERS OF PIG ALLEY, USA 1912, R: D.W. Griffith. LITTLE CAESAR, USA 1931, R: Mervyn LeRoy. THE PUBLIC ENEMY, USA 1931, R: William A. Wellman. SCARFACE, USA 1932, R: Howard Hawks. THE GODFATHER I/II/III, USA 1972/74/90, R: Francis Ford Coppola. GOODFELLAS, USA 1990, R: Martin Scorsese. Die Begriffe ›Cosa Nostra‹ und ›Mafia‹ werden mittlerweile synonym benutzt, aber ursprünglich diente ›Cosa Nostra‹ als Bezeichnung für den italoamerikanischen Ableger der sizilianischen ›Mafia‹. Unter Mafiosi wird oft die wörtliche Übersetzung »this thing of ours« als Euphemismus für ihr kriminelles Geschäft benutzt. Vgl. Pellegrino D’Acierno: »Cultural Lexicon: Italian American Key Terms«, in: ders.: The Italian American Heritage (1999), S. 703-766, hier S. 719. In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff ›Mafia‹ weitestgehend synonym mit organisierten Verbrecherbanden verwendet, unabhängig von ihrer Ethnizität. 90 »[It] remains the most symptomatic, if not the most central, cultural text of the Italian American experience [with] no other generational narratives [in] the Hollywood canon – no ROOTS [1977, C: Alex Haley, ABC], no AMERICA, AMERICA [1963, R: Elia Kazan], and with respect to antidiscrimination, no GENTLEMAN’S AGREEMENT [1947, R: Elia Kazan]«. D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 569f.
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beeinflussen können.91 Eine intertextuell wie intermedial92 argumentierende Lektüre, die nicht nur aufzeigt, wie die Serie ihre filmischen Prätexte zitiert, deren Genre-Konventionen und -Innovationen aufgreift, mit ebenso viel Pathos wie Komik kommentiert und umschreibt, sondern auch Texte miteinander in Kontakt bringt, die nicht explizit aufeinander Bezug nehmen, sich in ihren Bedeutungsmechanismen aber ähneln und dadurch Aufschluss über den jeweils anderen geben können,93 ermöglicht so zwei produktive Lesarten. Zum einen lässt sich über die historische ›Tiefe‹ des Filmgangsters die Figur in ihrer neuen TV-Inkarnation genauer umreißen, zum anderen lassen sich die Umschriften, Verschiebungen und Verdeutlichungen latenter Signifikanzen des Filmgenres durch die Fernsehserie auf eine Relektüre der Prätexte anwenden. Es handelt sich hier folglich um eine intertextuelle Modellierung im Sinne einer »reziproke[n] Textbeziehung, […] bei welcher nicht nur der spätere Text vom früheren her gelesen wird«,94 sondern der spätere Genretext auch den früheren einer Lektüre ›unterzieht‹. Mit dieser invertierten genrehistorischen Blickrichtung wird der Gegenstand der SOPRANOS, ihr psychologischer Identitätsdiskurs, als das selten problematisierte, aber wirkmächtige melodramatische Programm des US-Gangsterfilms bestimmbar.
91 Vgl. Hans-Jost Frey: Der unendliche Text, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1990, S. 19, 22. 92 Als eine Familienserie, die sich intermedial auf Exemplare eines Filmgenres, des Gangsterfilms bezieht, operieren THE SOPRANOS also mit Verweisen »auf ein bestimmtes Produkt eines anderen Mediums oder auf das andere Medium qua semiotischem System bzw. auf bestimmte Subsysteme desselben, also bestimmte Genres oder Diskurstypen, die konventionell dem fraglichen Medium zugeordnet werden« (Irina O. Rajewsky: Intermedialität, Tübingen: Francke 2002, S. 16f.). 93 Vgl. Frey: Der unendliche Text, S. 20. 94 Ebd.
THE SOPRANOS und die Genre-Tradition(en)
Die Wahl der SOPRANOS als genrehistorischer Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit ist eine, die, wie in der Einleitung ausgeführt, nicht zwingend die Blickrichtung der intertextuellen Signifikationsprozesse determiniert, die im Mittelpunkt der Studie stehen. Sie ist aber in anderer Hinsicht von Interesse. Ungeachtet der Komplexität, mit der die Fernsehserie in den Dialog mit ihren (nicht allein) filmischen Intertexten tritt, ist wichtig, wie sie als postmoderner Genretext zeitgenössische Hybridisierungstendenzen – fernab von essentialistischen Annahmen über Identitäts- und Analysekategorien – reflektiert und verhandelt. So problematisiert die Serie in ihrer wiederholten Konstruktion und Dekonstruktion kultureller wie medialer Konventionen nicht nur Zuschreibungen von Gender und Ethnicity, sie stellt auch konventionalisierte Befunde über mediale und generische ›Grenzen‹ sowie über high und low culture zur Diskussion. Zudem lassen sich an einem seriellen Text wie den SOPRANOS, der über einen Zeitraum von insgesamt acht Jahren gesendet wurde (1999-2007), und an fast einem Jahrhundert amerikanischer Gangsterfilmgeschichte (ab 1912)1 auch die sich historisch wandelnden soziokulturellen Kontexte aufzeigen, mit denen sich Identitäts- und Analysekategorien in ihren Bedeutungseffekten verändern können. In dieser Beziehung erweist sich die Hybriditätskategorie auch als ein hilfreiches Mittel zur Analyse postmoderner Genretexte. Erlaubt sie doch theoretisch die Erfassung von Gegenständen, »[die] aus entgegengesetzten Strukturen, Logiken, Dynami-
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Filmhistorische Überblicksdarstellungen zum (amerikanischen) Gangstergenre beginnen, wenn nicht mit dem frühen Tonfilm der späten 1920er/frühen 1930er Jahre, dann in der Regel mit den Vorformen des Genres aus der Stummfilmzeit: mit dem Kurzfilm THE MUSKETEERS OF PIG ALLEY (USA 1912, R: D.W. Griffith) und/oder dem Film REGENERATION (USA 1915, R: Raoul Walsh). Einige Chroniken gehen sogar zurück bis zum in vielerlei Sicht wirkmächtigen Kurzfilm THE GREAT TRAIN ROBBERY (USA 1903, R: Edwin S. Porter), in dem eine Bande von Outlaws einen Zug ausraubt, aber keine urbanen Gangster zu sehen sind. Dieser Kurzfilm wird ebenso oft als ein frühes Beispiel für den Western oder für den Crime-Film angeführt. Vgl. Anm. 5 und 6 in diesem Kapitel.
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ken, Funktionen [bestehen]. […] Die Hybriditätskategorie macht den Blick für Mischformen, Übergänge, Zwischendinge und Zwischenräume frei.«2 Die folgenden Seiten führen die in vielerlei Form bestehende ›Zwischenraumstellung‹ der SOPRANOS weiter aus und kehren auf die in der Einleitung angesprochenen Punkte im Detail zurück. Sie beginnen mit einer Begriffsbestimmung des ›Gangsterfilms‹ in Abgrenzung zu den weiteren Subgenres des amerikanischen Crime-Films. Darauf folgt eine genretheoretische Erörterung der Effekte, die eine – auf den SOPRANOS basierende – Relektüre des Filmgenres als Gangster Melodrama mit sich bringt, das auf formale und inhaltliche Muster des Male Melodrama, Family Melodrama und Immigrant Melodrama rekurriert. Die Arbeit kommt dabei auf die jeweiligen Definitionen dieser Narrative und ihre Traditionslinien im Gangsterfilm, im Filmmelodram und in der Fernsehsoap und -sitcom zu sprechen, um die sich in diesen Genres und Formaten kulturhistorisch wandelnden Diskurse über Männlichkeit, Familie und Ethnizität zu skizzieren. Daran fügen sich dann weitere Überlegungen zur kulturwissenschaftlichen Herangehensweise an ein Genre amerikanischer Populärkultur und an ein oftzitiertes Beispiel für so genanntes »Quality Television«. Hierbei werden vor allem die »Möglichkeiten und Funktionen intermedialer Verfahren der Bedeutungskonstitution«3 am Beispiel einer Serie erörtert, die sich laufend zwischen den Konventionen traditioneller Filmgenres und Fernsehformate verortet und dabei wiederholt nach der affektiven Dichte hochkultureller Literatur strebt. Den Schluss des Kapitels bildet die Begründung des ausschließlich amerikanischen Filmkorpus.
E IN G ENRE IN DER I DENTITÄTSKRISE : D ER AMERIKANISCHE G ANGSTERFILM »[I]t is notoriously difficult to say«, so Joe Sieder in der Einleitung zu einer Bibliographie des British Film Institutes zum Gangsterfilmgenre, »what exactly constitutes a ›gangster film‹ or whether it can be called a ›genre‹ in its own right«.4 So stimmen zwar ältere5 wie neuere6 Studien zum Genre
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Yasar Aydin: Zum Begriff der Hybridität (=Sozialökonomischer Text Nr. 105), Hamburg: Universität für Wirtschaft und Politik 2003, S. 69. Rajewsky: Intermedialität, S. 25. Joe Sieder: »Introduction«, in: BFI: Gangsters, unter: http://www.bfi.org.uk/ filmtvinfo/publications/16+/pdf/gangsters.pdf, l.A.: 01.03.11. Vgl u.a. Colin McArthur: Underworld USA, London: Secker & Warburg 1972; Jack Shadoian: Dreams and Dead Ends. The American Gangster Film, New York: Oxford UP 2003² [1977]; George Seeßlen: Der Asphalt-Dschungel: Eine Einführung in die Mythologie, Geschichte und Theorie des amerikanischen Gangster-Films, München: Roloff & Seeßlen 1977; Carlos Clarens: Crime Movies. An illustrated history of the gangster genre from D.W. Griffith to Pulp Fic-
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darin überein, den Gangsterfilm als ein Subgenre des Crime-Films aufzufassen, in dem der Gangster meist als Hauptidentifikationsfigur fungiert. Nicht selten tendiert die Forschung aber auch dazu, den Gangsterfilm synonym mit anderen Crime-Subgenres zu besprechen. So zählt etwa John Gabrees umfangreiche Aufzählung von »wesentlichen Faktoren, die einen Film zum Gangsterfilm werden lassen«,7 noch zu der strukturalistischen Praxis von Genrestudien, Gangsterfilme anhand ihrer prägnanten Ikonografie zu bestimmen, an der genrespezifischen Kontextualisierung der Kleidung, der Waffen, der Fahrzeuge, der Kommunikationsmittel, des urbanen Handlungsraums sowie der Sexualität des Gangsters, und nicht zuletzt an den berühmten Schauspielern des Genres und ihren Paraderollen.8 Weil man diese hoch konventionalisierten Elemente, zu denen auch die starke Typisierung der Figuren zu zählen ist,9 aber mehr oder weniger prägnant in allen CrimeFilmen des Hollywoodkinos findet, die in einer urbanen Unterwelt spielen, wurden zahlreiche Filme mit kriminellen Hauptfiguren automatisch und relativ undifferenziert als ›Gangsterfilme‹ bezeichnet. »[Thus, i]n its narrow sense, ›gangster film‹ [might suggest] a genre, though without the rigid rules often imputed to genres. It shades through grey areas into other genres, notably crime, noir«.10 Martha P. Nochimson hat in jüngerer Zeit versucht, das Gangstergenre von der begrifflichen Gleichsetzung mit den weiteren Subgenres des CrimeFilms, wie etwa Noir-Detektivfilmen,11 Couple-on-the-run-Filmen,12 Heist-
tion, New York: Da Capo 1997² [1980]; sowie auch John Gabree: Der klassische Gangster-Film, übers. v. Bernd Eckhardt, München: Heyne 1981. 6 Vgl u.a. Douglas Brode: Money, Women, and Guns: Crime Movies from Bonnie and Clyde to the Present, NY: Citadel 1995; Fran Mason: American Gangster Cinema. From Little Caesar to Pulp Fiction, New York: Palgrave Macmillan 2002; John McCarthy: Bullets Over Hollywood. The American Gangster Picture from the Silents to »The Sopranos«, Cambridge: Da Capo Press 2004; Jonathan Munby: Public Enemies, Public Heroes. Screening the Gangster from Little Caesar to Touch of Evil, Chicago: Chicago UP 1999; Marilyn Yaquinto: Pump ‘Em Full of Lead. A Look at Gangsters on Film, NY: Macmillan 1998. 7 Gabree: Der klassische Gangster-Film, S. 16. 8 Vgl. ebd., S. 16-35. Vgl. auch Colin McArthur: »Iconography of the Gangster Film«, in: Alain Silver/James Ursini (Hg.): Gangster Film Reader, New Jersey: Limelight 2007, S. 39-44. 9 Vgl. Richard Slotkin: Gunfighter Nation: The Myth of the Frontier in TwentiethCentury America, Norman: Oklahoma UP 1998, S. 264. 10 Durgnat: Gangster File, hier S. 93. 11 Der Individualismus und Selbsterhaltungstrieb des Gangsters findet sich fortgesetzt im autarken Wesenszug des resoluten Privatdetektiven, der seine Fälle in der schmalen Grauzone zwischen Gesetzeshütern und Kriminellen bearbeitet, aber nach einem stärkeren Ehrenkodex operiert als seine Gegner. Zu den populäreren Beispielen zählen THE MALTESE FALCON (USA 1941, R: John Huston),
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Filmen,13 Polizeifilmen,14 Gefängnisfilmen,15 und Hood-Filmen16 zu lösen. Nochimson stellt drei notwendige Distinktionsmerkmale für den ›Gangsterfilm‹ vor: 1. eine ungewöhnliche Empathie für kriminelle Protagonisten zu
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MURDER, MY SWEET (USA 1944, R: Edward Dmytryk) und THE BIG SLEEP (USA 1946, R: Howard Hawks), sowie SHAFT (USA 1971, R: Gordon Parks). Im Zentrum dieser Filme steht ein antisoziales Liebespaar, das sich in der Gesellschaft nicht niederlassen will oder kann und stattdessen raubend und/oder mordend durch die ländliche USA zieht. Inspiriert von den historischen Vorbildern Bonnie Parker und Clyde Barrow, die mit ihrer Barrow Gang während der amerikanischen Weltwirtschaftskrise als Volkshelden zu Popularität gelangten, entstanden Filme wie YOU ONLY LIVE ONCE (USA 1937, R: Fritz Lang), THEY LIVE BY NIGHT (USA 1948, R: Nicholas Ray), GUN CRAZY (USA 1950, R: Joseph H. Lewis), sowie auch BONNIE AND CLYDE (USA 1967, R: Arthur Penn). Der Organisationscharakter dieser Crime-Filme beschränkt sich auf die einmalige Planung und Durchführung eines großen Raubüberfalls, dessen unmittelbaren und langfristigen Folgen oft katastrophale Ausmaße für die beteiligten Profikriminellen haben, seien sie nun physischer, psychischer oder sozialer Natur: siehe etwa THE KILLERS (USA 1946, R: Robert Siodmak), CRISS CROSS (USA 1949, R: Robert Siodmak), THE ASPHALT JUNGLE (USA 1950, R: John Huston) sowie THE KILLING (USA 1956, R: Stanley Kubrick). Eine besonders populäre Variante dieses Genre-Typus ist der Caper-Film, der Comedy-Elemente inkorporiert und für gewöhnlich vergnügt ausklingt: z.B. TOPKAPI (USA 1964, R: Jules Dassin) oder OCEAN’S ELEVEN (USA 2001, R: Steven Soderbergh). Der Polizist, oft ein ebenso von seinen Prinzipien getriebener und kompromissloser Individualist wie der von ihm gejagte Kriminelle, von dem er sich in seinem Vorgehen kaum noch unterscheidet, ist in diesen Crime-Filmen die Hauptfigur, die sich meist auch gegen die Korruption in den eigenen Reihen durchzusetzen hat. Bekannte Beispiele dafür wären THE BIG HEAT (USA 1953, R: Fritz Lang), THE FRENCH CONNECTION (USA 1971, R: William Friedkin), DIRTY HARRY (USA 1971, R: Don Siegel) und HEAT (USA 1995, R: Michael Mann). Die ortsgebundene Knasthierarchie, die internen Machtkämpfe zwischen inhaftierten Kriminellen und ihren skrupellosen, korrupten Wärtern, die mehrfachen Ausbruchsversuche der Gefangenen und die anschließenden Nöte der Geflohenen in der Außenwelt stehen im Zentrum dieser Filme, zu denen man I AM A FUGITIVE FROM A CHAIN GANG (USA 1932, R: Mervyn LeRoy), EACH DAWN I DIE (USA 1938, R: William Keighley), BRUTE FORCE (USA 1947, R: Jules Dassin) und ESCAPE FROM ALCATRAZ (USA 1979, R: Don Siegel) zählt. Handlungsort dieser Filme sind meist die schwarzen Ghettos von Los Angeles, in denen afroamerikanische Jugendliche populären Gangsterfiguren nacheifern, sich in Straßengangs organisieren und schwer bewaffnet ihre Wohnviertel patrouillieren. Hierzu werden in der Regel sozialkritische Milieudramen wie BOYZ N THE HOOD (USA 1991, R: John Singleton), STRAIGHT OUT OF BROOKLYN (USA 1991, R: Matty Rich), JUICE (USA 1992, R: Ernest R. Dickerson), sowie auch MENACE II SOCIETY (USA 1993, R: Allen und Albert Hughes) gezählt.
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Lasten gesetzestreuer Randfiguren, 2. eine soziologisch dichte Milieustudie, von der indirekt auf die moralischen Werte der sie umgebenden Gesellschaft zu schließen ist, und 3. eine Handlung, die wiederholt von den grundlegenden Spannungen zwischen Individuum und Kollektiv, zwischen dem Gangster und seiner Familie, der Gang oder der Gesellschaft per se bestimmt ist.17 Diese wichtige Entwicklung hin zu einer begrifflichen Eingrenzung des Gangsterfilms beugt jenen Versuchen vor, die immer wieder neue Genreausformungen ›feststellen‹, um Filme über organisierte Kriminalität vom Oberbegriff des Crime-Films zu trennen. So bemüht Alessandro Camon etwa den Begriff des ›Mafiafilms‹, mit dem er die postmodernen, narrativ unorthodoxen Genrefilme von dem konventionalisierten Rise-and-Fall-Erzählmuster des klassischen Gangsterfilms loslöst, nach dem ein Gangster durch sein kriminelles Handeln erst rasant in seinem Milieu aufsteigt (rise), um dann zum Ende hin ebenso abrupt den prädestinierten Tod zu sterben (fall).18 Anders als das von Genrehistorikern als kanonische Gründungswerke19 angesehene Triumvirat LITTLE CAESAR, THE PUBLIC ENEMY und SCARFACE erlaube der ›Mafiafilm‹ dem Zuschauer: »all the exhilaration and wish-fulfillment of the classic gangster genre, without necessarily dampening it with the violent death of the protagonist, […] a powerful mythology of immigration, and a provocative commentary on ›the business of America‹«.20 Camons Ansatz, den jüngst auch George S. Larke-Walsh indirekt untermauert hat,21 erinnert dabei nicht zufällig an die Praxis filmhistorischer Analysen, Genres in individuelle ›periods‹, ›phases‹, ›cycles‹ oder ›stages‹ einzuteilen, um so ihre in-
17 Vgl. Martha P. Nochimson: »Waddaya Lookin’ At? Re-reading the Gangster Genre Through ›The Sopranos‹«, unter: http://www.filmquarterly.org/issue_5602 _right.html, l. A.: 16.02.08. 18 Vgl. Robert Warshow: »The Gangster as Tragic Hero«, in ders. (Hg.): The Immediate Experience: Movies, Comics, Theatre, and other Aspects of Popular Culture, Cambridge: Harvard UP 2001² [1962], S. 97-103, hier S. 102. 19 Die 1930er gelten als die wichtigste Dekade der Filmindustrie, »[as] the founding decade for many if not most of the specific forms that are now identified as ›Hollywood movie genres.‹ The musical comedy, the gangster film, the screwball comedy […], and the hard-boiled detective film had no real equivalents in the silent era. And though the Western, the ›swashbuckler,‹ the war film, and the Bible epic existed before 1929, their characteristic story-forms and iconography were radically revised after 1932« (Slotkin: Gunfighter Nation, S. 258). 20 Alessandro Camon: »The Mafia and the disappearing father«, in: Salon, unter: http://dir.salon.com/story/ent/feature/2005/03/08/mafia, l.A.: 01.03.11. 21 George S. Larke-Walsh vertritt wie Camon die These, THE GODFATHER habe eine neue Ära im Gangsterfilm eingeläutet, indem er die Gang zum neuen Zentrum des Genres mache (vgl.: Screening the Mafia. Masculinity, Ethnicity and Mobsters from The Godfather to The Sopranos, Jefferson, NC/London: McFarland 2010, S. 1). Die Behauptung ist aber als genrehistorisch schief zu werten, ging es im Gangsterfilm doch neben dem Gangster immer auch um seine Gang.
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ternen Evolutionen zu fixieren. Dabei wird nicht selten auf ein augenfälliges Drei-Phasen-Modell zurückgegriffen, in dem ein Genre zunächst eine ›experimentelle Gründungsphase‹, anschließend eine ›klassische Etablierungsphase‹ und schließlich auch eine ›barocke Reflexionsphase‹ durchlaufen muss.22 Wenn auch eine ›organologische‹ Genre-Modellierung dieser Art durchaus sinnvoll sein kann, um übergreifende Lernprozesse in der sich beständig ausdifferenzierenden Beziehung zwischen Genrefilmen und ihrem Publikum zu skizzieren, greift sie immer zu kurz, wenn Filme in den Blick genommen werden, die unabhängig von genrehistorischen Tendenzen über traditionellere oder subversivere Versatzstücke verfügen. So lässt sich beim klassischen Gangsterfilm beobachten, wie sich bereits innerhalb der drei meistgenannten Beispieltexte die Evolution – »from transparency to opacity – from straightforward storytelling to self-conscious formalism«23 – vollzieht, die Thomas Schatz als repräsentativ für die meisten Hollywoodgenres bezeichnet hat. So gilt LITTLE CAESAR (1931) als der bedeutendste ›Gründungstext‹ des amerikanischen Gangstergenres, »filled [as it is] with emblematic scenes, with crucial iconography, and stock characters. Indeed, the very conventions of the genre come together in this film«.24 Gilt THE MUSKETEERS OF PIG ALLEY (1912) als der erste Leinwandauftritt der Gangsterfigur, so liegt mit LITTLE CAESAR, der Verfilmung von R.W. Burnetts gleichnamigem Roman, erstmals so etwas wie ein ›Genreraster‹ vor, auf dem sich, so die Forschung, alle folgenden Genrefilme anordnen ließen: »[In a sense, the film] provides a ›poetics‹ of the gangster film.«25 THE PUBLIC ENEMY (1931), nach John Brights Roman Beer and Blood, nutzt ein halbes Jahr später das historischbiographische Narrativ,26 eine differenziertere Milieuschilderung und erhöht das Identifikationspotential des Gangsters durch seine Verortung in vertrauten Familienstrukturen. Mit SCARFACE (1932), der Verfilmung von Armitage Trails gleichnamigem Roman, liegt schließlich die erste motivische Summation und eine formal barocke Überhöhung der Genremuster vor, die in ihrer grotesken Inszenierung der semi-monströsen Gangsterfigur nicht selten zur Selbstparodie gerinnt.27 Die selbstreflexive Verhandlung des Gangster-
22 Vgl. Thomas Schatz: Hollywood Genres: Formulas, Filmmaking and the Studio System, New York: Random House 1981, S. 37f. 23 Ebd, S. 38. 24 Richard Jewell: »DVD Audiokommentar«, in: LITTLE CAESAR, Warner Home Video 2005. 25 Shadoian: Dead Ends, S. 34. Vgl. auch Stuart M. Kaminsky: »Little Caesar and Its Role in the Gangster Film Genre (1972)«, in: Silver/Ursini (2007): Gangster Film Reader, S. 46-63, hier S. 47. 26 Für eine Analyse der zeitgenössischen Nobilitierungsversuche der HollywoodStudios, den Gangsterfilm auch als Historienfilm zu bewerben, vgl. J.E. Smyth: »Revisioning Modern American History in the Age of Scarface (1932)«, in: The Historical Journal of Film, Radio and Television 24.4 (2004), S. 535-563. 27 Vgl. Mason: American Gangster Cinema, S. 24f.
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mythos in SCARFACE wird dann im Anschluss zum Programm des postklassischen Gangsterfilms, der sich ab Mitte der 30er Jahre noch kritischer von einer unbedachten Romantisierung des Gangsters zu distanzieren versucht. Durch die damalige Selbstregulation der Hollywoodstudios, mit dem Inkrafttreten des sogenannten »Production Codes« (auch als »Hays Code« bekannt) ab 1934 erlebte der Gangsterfilm, der in seiner Empathie für antisoziale Figuren, der Schilderung krimineller Handlungen und der impliziten Kritik an amerikanischen Normen und Sitten gegen viele Code-Richtlinien verstieß, das wohl kürzeste ›classical period‹ eines Hollywoodgenres: »Its evolution was severely disrupted by external social forces, and its narrative […] splintered into various derivative strains.«28 Gilt der Zeitraum zwischen den Jahren 1930 bis 1933 gemeinhin als Hochzeit des Genres, so gab es über die Jahre viele Versuche in der Forschung, frühere und spätere Gangsterfilme in mehr oder minder schlüssige ›phases‹ einzuteilen.29 Diese Forschungspraxis hat aber auch mit dazu beigetragen, dass der Gangsterfilm zur Bezeichnung von Crime-Subgenres benutzt wurde, die er beeinflusst hat, in seiner Definition aber nicht einschließt. Für den genrehistorischen Ansatz der vorliegenden Studie ist es daher wichtig festzuhalten, dass sich der US-Gangsterfilm »im Unterschied etwa zum Western […] eindeutig auf einen oder mehrere dann retrospektiv als ›klassisch‹ bezeichneten Ausgangs- oder Ursprungstexte zurückführen [lässt], welche als ›canonical stories‹ für die spätere Entwicklung und Ausdifferenzierung des Genres fungieren und das Genrebewußtsein der Zuschauer prägen«.30
Auch Camons und Larke-Walshs Differenzierungsversuche sind also wenig aufschlussreiche Unterteilungen einer großen amerikanischen Genre-Tradition. Die beständige Konstatierung neuer Genreausformungen erübrigt sich, führt man den Begriff des ›Gangsterfilms‹ auf seine konstitutiven Diskurse zurück. Der US-Gangsterfilm, wie ihn die vorliegende Studie perspektiviert, zeichnet sich als ein Genre – von seinen Anfängen im Stummfilm, über die klassische Phase im frühen Tonfilm und die postklassische Wiederaufnahme im Mainstreamfilm, bis hin zu seiner medialen Fortführung im Fernsehen – vor allem dadurch aus, dass man ihn als eine historisch kohärente Größe beschreiben kann. Das ist eine Kohärenz, die aber nicht mit einer transhistori-
28 Schatz: Hollywood Genres, S. 82. Im Unterschied zu den weniger romantischen, vom Production Code für prosozial befundenen postklassischen Gangsterfilmen, wurde eine Wiederaufführung als ›antisozial‹ eingestufter klassischer Gangsterfilme ab 1935 sogar vom Hays Office ausdrücklich verboten (vgl. hierzu Smyth: the Age of Scarface, S. 559). 29 Durgnat zum Beispiel kommt in der Zeitspanne von 1912 bis 1990 auf insgesamt neun solcher ›phases‹, die der Gangsterfilm relativ zum jeweiligen kulturhistorischen Hintergrund durchlaufen haben soll (vgl. Gangster File, S. 94-96). 30 Hartmann: Topographische Ordnung, unter: http://home.snafu.de/britta.hart/ gang.html, l. A.: 01.03.11.
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schen Fixierung des Genres gleichzusetzen wäre. Es steht außer Frage, dass sich Genres in ihren Konventionen parallel zu kulturhistorischen Prozessen und ökonomischen wie medialen Rahmenbedingungen wandeln, wenn nicht gar wandeln müssen, um sich ihre Popularität beim sich stetig ausdifferenzierenden Publikum zu bewahren.31 Es wird hier lediglich davon ausgegangen, dass es sich bei den genrespezifischen Diskursen des Gangsterfilms um jene thematischen Fixpunkte handelt, um die sich Genre-Konventionen festigen, verändern oder vergehen können: »[For] a film genre is both a static and a dynamic system, […] a familiar formula of interrelated narrative and cinematic components, [that is continually redefined by] changes in cultural attitudes, new influential genre films, the economics of the industry«.32 Und die wirkmächtigsten Genretexte nach der klassischen Periode – die GODFATHER-Trilogie, GOODFELLAS oder THE SOPRANOS – bestechen eben auch dadurch, dass sie wieder an jene Diskurse des klassischen Gangsterfilms anknüpfen, die die thematische Kohärenz des US-Gangstergenres garantieren. Diese Diskurse, in deren Mittelpunkt die mythisch überhöhte Reflexionsfigur des Gangsters steht, dessen ungebrochene Popularität in der amerikanischen Populärkultur – »[as] one of the primary mythopoeic creations of the twentieth- and twenty-first centuries«33 – wohl nur mit dem Status des Westernhelden zu vergleichen ist,34 ließen sich in etwa wie folgt umschreiben:
31 »[It is the] movies’ constant tendency to create fixed dramatic patterns that can be repeated indefinitely with a reasonable expectation of profit. […] One goes to any individual example of the type with very definite expectations, and originality is to be welcomed only in the degree that it intensifies the expected experience without fundamentally altering it« (Warshow: Tragic Hero, S. 99f.). 32 Schatz: Hollywood Genres, S. 16. Vgl. auch die Differenzierung zwischen einer stabileren Genre-Syntax und ihren freier variablen semantischen Besetzungen, die Rick Altman anregt: »A Semantic/Syntactic Approach to Film Genre«, in: Grant: Film Genre Reader (1986), S. 26-39. Vgl. zur Diskussion des Genrebegriffs der Arbeit auch »Relektüre eines ›Männergenres‹« in diesem Kapitel. 33 Regina Barreca: »Introduction«, in: dies.: Sitdown with the Sopranos (2002), S. 1-10, hier S. 4. 34 Ein Vergleich, den die Forschung an Robert Warshows These anschließend, der Gangster und der Westerner seien »the two must successful creations of American movies«, immerzu betont haben (vgl. »Movie Chronicle: The Westerner«, in: ders.: The Immediate Experience, S. 105-124, hier S. 105). Der Gangsterfilm wird als urbane Fortführung des Westerns erfasst, die männliche Ermächtigungsphantasien weiterspinnt (vgl. Susan Hayward: Cinema Studies. The Key Concepts, London/NY: Routledge 2007³ [1996], S. 174), aber die Kehrseite des amerikanischen Traums Thema ist: »In this respect the gangster/thriller is most often poised between the western on the one hand and the horror film on the other« (Pamela Cook/Mieke Bernink: The Cinema Book, London: BFI 1999², S. 175). Vgl. zu den Ähnlichkeiten zwischen Westerner und Gangster »Korpus: Texte und Kontexte des amerikanischen Gangstergenres« in diesem Kapitel.
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Als ein Genre, das sich im Unterschied zu den meisten anderen Filmgenres in seiner Bezeichnung auf den männlichen Protagonisten bezieht,35 dreht sich der Gangsterfilm »immer um einen Mann […], der Dreh- und Angelpunkt des Geschehens ist, [und dessen] Empfindungen […] gewöhnlich […] den Stil [des] Film[s bestimmen]«.36 Das Gangstergenre konstituiert sich also über einen Männlichkeitsdiskurs um die Figur des Gangsters, der von der Forschung oft zu den letzten noch populären, dezidiert misogynen Kreationen einer patriarchal geprägten, westlichen Kulturgeschichte gezählt wird.37 In diesem aus einer vorwiegend männlichen Perspektive geführten Diskurs können weibliche Figuren wenn überhaupt nur in ihrer emotionalen, funktionalen oder materiellen Rolle für die männlichen Hauptfiguren an soziokultureller und so auch an narrativer Bedeutung gewinnen. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass die durch kriminelle Gewalt erworbene Identität des Gangsters, die zwanghafte Konstruktion seines ›hypervirilen‹ Selbstbildes jederzeit durchsetzt ist von einer hysterischen Panik vor einer Weiblichkeit, die in der Logik seiner repressiven Handlungswelt wenig mehr als Machtlosigkeit signifizieren kann.38 Diese strukturelle Schwäche tritt nicht nur, aber besonders deutlich in einem kapitalistischen System wie der Mafia zutage, in der ›männliche‹ (Diskurs-)Macht mit finanzieller Unabhängigkeit gleichgesetzt wird und somit theoretisch auch von einer Frau erlangt werden könnte. Finanzielle Abhängigkeit von anderen Personen oder Gesellschaftssystemen und die daraus resultierende Unmündigkeit wird im Gangstergenre als ›effeminierend‹ empfunden und muss um jeden Preis vermieden werden. Der Begriff des ›Gangsters‹ als ein amerikanischer Neologismus der urbanen Moderne, der durch die Presse und die Gangsterfilme der 1910er und 20er Jahre popularisiert wurde, »leitet sich her von der Gang, d.h. er ist Mitglied einer kriminellen Vereinigung professioneller Prägung und grenzt sich dadurch vom gewöhnlich allein arbeitenden Kriminellen ab«.39 Diese Definition ist wichtig, um den konstitutiven Organisations- und Milieucharakter des Genres hervorzuheben und der Forschungspraxis entgegenzuwirken, alle
35 Die wenigen Subgenres, die nach ihren Hauptfiguren benannt sind, ähneln dem Gangsterfilm darin, dass sie sich den Identitätsnöten der Protagonisten widmen, ob im Detektivfilm (KLUTE, USA 1971, R: Alan J. Pakula), Superheldenfilm (BATMAN, USA 1989, R: Tim Burton), Teenfilm (LUCAS, USA 1986, R: David Seltzer) oder auch Woman’s Film (JEZEBEL, USA 1938, R: William Wyler). 36 Gabree: Der klassische Gangster-Film, S. 111. 37 Vgl. Fred L. Gardaphé: »Fresh Garbage: The Gangster as Suburban Trickster«, in: Barreca: Sitdown with the Sopranos (2002), S. 89-111, hier S. 111. 38 Vgl. Joseph S. Walker: »›Cunnilingus and Psychiatry Have Brought Us to This‹: Livia and the Logic of False Hoods in the First Season of The Sopranos«, in: Lavery: This Thing of Ours (2002), S. 109-121, hier S. 117. 39 Hartmann: Topographische Ordnung, unter: http://home.snafu.de/britta.hart/ gang.html, l. A.: 01.03.11.
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Filme über kriminelle Figuren als ›Gangsterfilme‹ zu bezeichnen.40 Das gilt vor allem für Genretexte, in denen der Gangster von seinem bewährten Genre-Terrain in ein anderes wechselt oder nur eine untergeordnete oder ikonische Rolle spielt. So hat der Gangster – als eine Figur mit einem besonders großen Wiedererkennungswert – bereits in Filmen ›gastiert‹, die man weder als Gangsterfilme, noch als Crime-Filme bezeichnen kann.41 Als »dauerhafter, zweckorientierter und durch Regeln bestimmter Zusammenschluß Krimineller zur Erlangung größerer Effektivität und Durchsetzungsfähigkeit mit dem Ziel der Ertragssteigerung und des gegenseitigen Schutzes«42 entwickelt sich die Gang mit der Zeit auch zu einer homosozialen Ersatzfamilie für den Gangster. So mag er sich dort vor den privaten Spannungen in seiner biologischen Familie zurückziehen, lebt seine persönlichen Konflikte jedoch dann meist mit verheerenden Folgen in seinem ›Beruf‹ aus. Die gespaltene, pathologische Persönlichkeit des Gangsters wird im Gangstergenre somit als das Ergebnis zweier streng voneinander getrennter, aber einander mehrfach berührender dysfunktionaler ›Familien‹ inszeniert. Er hat ständig zwischen den zwei moralisch unvereinbaren, sich allerdings gegenseitig legitimierenden und zuweilen auf verstörende Art gleichenden Sphären seines Lebens zu vermitteln und muss dafür sorgen, dass sie sich nicht verhängnisvoll überschneiden. Damit steht der Gangster auch in einem modernen Diskurs über die Konstruktion und Dekonstruktion familiärer Strukturen, Hierarchien und Beziehungen innerhalb und außerhalb der traditionellen Familieneinheit. Die Männlichkeits- und Familiendiskurse des Gangstergenres schneiden sich ferner mit einem Ethnizitätsdiskurs, den man in der Prominenz und Regelmäßigkeit in keinem anderen Hollywoodgenre ausmachen kann.43 »[T]he
40 Vgl. Sieder: Introduction, unter: http://www.bfi.org.uk/filmtvinfo/publications/ 16+/pdf/gangsters.pdf, l.A.: 01.03.11. 41 Der Gangster als eine klassisch amerikanische Reflexionsfigur trat schon in den unterschiedlichsten Hollywoodgenres auf: in der Komödie (LADY FOR A DAY, 1933, R: Frank Capra), im Abenteuerfilm (HITLER – DEAD OR ALIVE, 1942, R: Nick Grinde), im Musical (GUYS AND DOLLS, 1955, R: Joseph L. Mankiewicz), im Sci-Fi-Film (DEATH RACE 2000, 1975, R: Paul Bartel), im Superheldenfilm (BATMAN, 1989, R: Tim Burton), im Vampirfilm (INNOCENT BLOOD, 1992, R: John Landis) und sogar auch im Animationsfilm (SHARK TALE 2004, R: Vicky Jenson, Bibo Bergeron, Rob Letterman). Diese Liste von Filmen ließe sich über nationale Grenzen hinaus fortsetzen: so zum Beispiel mit dem britischen Agentenfilm (GOLDFINGER, GB 1964, R: Guy Hamilton) oder dem europäischen Arthouse-Kino (DOGVILLE, Dänemark/u.a. 2003, R: Lars von Trier). 42 Hartmann: Topographische Ordnung, unter: http://home.snafu.de/britta.hart/ gang.html, l. A.: 01.03.11. 43 Das heißt nicht, dass Immigranten nicht schon in den unterschiedlichsten Hollywoodgenres thematisiert wurden. Während die Identitätsfragen und Schicksale von Immigranten zumeist in Sozialdramen (z.B. BLACK FURY, 1935, R: Michael Curtiz; I REMEMBER MAMA, 1948, R: George Stevens; AMERICA, AMERICA,
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gangster genre«, so etwa Pellegrino D’Acierno, »is the one Hollywood genre whose codification of Otherness mirrors and is symptomatic of [the immigrants’ as much as the ethnic artists’] outsiderness, of their own inscription within and estrangement from the American Dream«.44 So ließe sich an der Historie des in der Regel um thematische Aktualität und zeitgeschichtliche Authentizität bemühten Genres45 auch die sich geschichtlich wandelnde Rolle des Immigranten in der amerikanischen Gesellschaft nachzeichnen.46 Dabei teilt die Außenseiterfigur des Gangsters, der oft einer ethnischen Minderheit entstammt, mit dem nicht-kriminellen Einwanderer nicht nur die zunächst ärmlichen Verhältnisse und den Traum vom sozialen Aufstieg, finanziellen Wohlstand und von gesellschaftlicher Akzeptanz. Als ein aggressiver, aber unbeholfener Wanderer zwischen der host society und seiner society of origin dient der Gangster auch als tragisch-komische Reflexionsfigur für die Verhandlung der Identitätsfragen – meist europäischer – Immigranten, die ihr prekäres Selbstbild aus zwei sich mal gegenseitig ergänzen-
1963, R: Elia Kazan) oder in Komödien (z.B. der Kurzfilm THE IMMIGRANT, 1917, R: Charles Chaplin; MOSCOW ON THE HUDSON, 1984, R: Paul Mazursky; MY BIG FAT GREEK WEDDING, 2002, R: Joel Zwick) eine wichtige Rolle spielen, haben sich auch so unterschiedliche Filmgenres wie das Musical (z.B. MUSIC IN MY HEART, 1940, R: Joseph Santley; WEST SIDE STORY, 1961, R: Robert Wise/Jerome Robbins, SATURDAY NIGHT FEVER, 1977, R: John Badham) und der Sportfilm (z.B. ROCKY, 1976, R: John G. Avildsen; RAGING BULL, 1980, R: Martin Scorsese) der Immigrationsthematik angenommen. Für eine historische Überblicksdarstellung zum Bild des Immigranten im amerikanischen Mainstreamfilm vgl. Carlos E. Cortés: »Them and Us: Immigration as Societal Barometer and Social Educator in American Film«, in: Robert Toplin (Hg.): Hollywood as Mirror. Changing Views of »Outsiders« and »Enemies« in American Movies, Westport, Connecticut/London: Greenwood 1993, S. 53-73. 44 D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 692. 45 »[O]ne of the conventions of this genre, almost from its inception, has been its claim for authenticity, for its connection to the ›real‹« (Vera Dika: »The Representation of Ethnicity in The Godfather«, in: Nick Browne (Hg.): Francis Ford Coppola’s The Godfather Trilogy, Cambridge: UP 1999, S. 76-108, hier S. 80). 46 Zwar bezogen sich schon die klassischen Gangsterfilme der 30er auf die bereits vergangene Zeit der US-Prohibition, doch der Retro-Gangsterfilm, der in einem Amerika spielt, das Jahrzehnte zurückliegt, ist ein relativ neues Phänomen (z.B. ONCE UPON A TIME IN AMERICA, USA/Italien 1984, R: Sergio Leone; BUGSY, USA 1991, R: Barry Levinson; MILLER’S CROSSING, USA 1990, R: Joel und Ethan Coen). Die konzeptionelle Besonderheit eines Films wie GANGS OF NEW YORK (USA 2002, R: Martin Scorsese) besteht hingegen darin, die Geschichte des kriminellen US-Immigranten nicht weiterzuerzählen oder zeitnah zu rekapitulieren. Stattdessen wird sie von dem Film durch die Verortung der Bandenkonflikte unter Immigranten in der Mitte des 19. Jahrhunderts so weit zurückverfolgt, dass man schon von einem klassischen Historienfilm sprechen kann.
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den, mal ausschließenden westlichen Kulturen gewinnen. Der Gangster hadert oft mit den Paradoxien einer heterogenen Identität, die zwischen zwei Identifikationen oszilliert: einer für originär befundenen, individuellen ethnischen Identität, die er rückblickend betrauert und in seinem Gastland innerhalb einer (hier deutlich kriminell kodierten) Subkultur rekonstruiert, und einer kollektiven ›amerikanischen‹ Identität, an die er emphatisch Anschluss sucht. Das Gangstergenre ist folglich auch ein populärer Verhandlungsraum für: »[a] diaspora experience, […] defined, not by essence or purity, but by […] heterogeneity and diversity; by a [notion] of ›identity‹ which lives with and through, not despite, difference; by hybridity«.47 Die auffallende Prozessualität dieser »diaspora experience and its narratives of displacement«,48 zu denen man auch (nicht allein amerikanische) Gangsternarrative zählen kann, widerspricht dabei den lange Zeit dominanten Theorien zum soziokulturellen Phänomen US-amerikanischer Ethnizität innerhalb der Ethnic Studies. Abseits von starren, gradlinig nur zu einem Ergebnis führenden Assimilations- oder Melting-Pot-Modellen wie etwa der ›straight-line theory‹, nach der sich eingewanderte ethnische ›Minoritäten‹ an die soziokulturelle Norm der sozioökonomisch starken ›Majorität‹ der ethnischen Gruppe der WASPs (White Anglo-Saxon Protestants) angleichen oder sich trotz ihrer kultureller Heterogenität zu einem melting pot zusammenfinden,49 wird ethnische Identität von der Forschung mittlerweile als ein ungleich dynamischerer, mehrere Generationen überdauernder Prozess der ständigen Annäherung zum und Distanzierung vom US-Mainstream begriffen.50 Entscheidend für diesen Paradigmenwechsel war der Befund der Soziologie, dass sich soweit keine der in den USA existierenden Ethnien komplett aufgelöst hat und Teil eines homogenen Kollektivs geworden ist, noch laut der pluralistischen Ethnizitätstheorie vom US-Mainstream unberührt und ethnisch ›rein‹ geblieben ist.51 Die Krisenmomente im interkulturellen Drahtseilakt zwischen einem traditionellen, ethnisch exklusiven Einwanderer-Kollektiv und eines modernen
47 Stuart Hall: »Cultural identity and diaspora«, in: Jonathan Rutherford (Hg.): Identity: Community, Culture, Difference, London: Lawrence and Wishart 1990, S. 222-237, hier S. 235. 48 Ebd., S. 223. 49 Vgl. John D. Buenker: »Assimilation and Acculturation: A Three-tiered Model«, in: David Clearbaut (Hg.): New Directions in Ethnic Studies: Minorities in America, Saratoga, CA: Century 21 1981, S. 39-54. 50 Vgl. Vivian Sobchack: »Postmodern Modes of Ethnicity«, in: Lester D. Friedman (Hg.): Unspeakable Images, Urbana/Chicago: Illinois UP 1991, S. 329-352, hier S. 348. 51 Vgl. Patricia Boscia-Mulè: Authentic Ethnicities. The Interaction of Ideology, Gender Power, and Class in the Italian-American Experience, London/Westport, Connecticut: Greenwood 1999, S. 15. Vgl. hierzu auch Ellis Cashmore: »Pluralism«, in: ders.: Encyclopedia of Race and Ethnic studies, London/New York: Routledge 2004, S. 316-317.
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amerikanischen Individualismus zeigen sich an der Gangsterfigur dann auf dreierlei Art und Weise: in einer übersteigerten, prekären Performanz einer ideologisch sehr brüchigen und in ihrer ethnischen Alterität dezidiert nichthegemonialen Männlichkeit,52 in den mal sentimentalen, mal eher belastenden und somit hochambivalenten Bindungen zu einer konservativen (Großund Verbrecher-)Familie und in dem konfliktbeladenen Verhältnis zu einer fremden WASP-Kultur und den restriktiven Gesetzen der US-Gesellschaft. Der Begriff des ›Gangstergenres‹, der der vorliegenden Arbeit mit Rücksicht auf bisherige Differenzierungsversuche der Forschung und in Abgrenzung zu den übrigen Subgenres des Crime-Films zugrunde liegt, ist folglich einer, der den Identitätsdiskurs, den das Genre um seinen Gangsterprotagonisten spannt, zu seinem zentralen Distinktionsmerkmal erklärt. Das ist eine für die weitere Analyse notwendige Vorentscheidung, die sich darüber bewusst ist, dass sie mit dieser Genredefinition bestimmten Komponenten eines Textes größere Beachtung einräumt als anderen. »[For t]he members of any given category do not create, define, or constitute the category itself. A category primarily links discrete elements together under a label for cultural [and analytical, A.N.] convenience.«53 So wird im Folgenden auch nicht jeder Text, in dem ein Gangster eine größere oder kleinere Rolle spielt, als ein Beispiel des Gangstergenres besprochen, sondern ausschließlich die Texte, die vom Gangstertum handeln und die Gangsteridentität zentral verhandeln. Das dabei zum Ausdruck kommende Identitätskonzept ist eines, das sich der soziokulturellen Konstruktion von Identität, ihrer durch historische Dynamiken bedingten Prozessualität und der Performanz durch Individuen bewusst ist. Identitäten werden so – in den Worten des Kulturtheoretikers Stuart Hall – verstanden als: »something formed through unconscious processes over time […]. It always remains incomplete, is always ›in process‹, always ›being formed‹.«54 Somit lässt sich in Anlehnung an Judith Butlers Konzept von Gender als eine soziokulturelle Geschlechtskonstruktion – »[which] is not a performance that a prior subject elects to do, but [rather] performative in the sense that it constitutes as an effect the very subject it appears to express«55 – auch die Identität des Gangsterprotagonisten als ein oft ethnisch markierter, performativer »mode of being a man in contemporary American
52 Den Begriff der ›hegemonialen Männlichkeit‹ verdanken die Men’s Studies der Soziologin Raewyn Connell, die in ihrer Studie Masculinities (Cambridge: Polity Press 1995, S. 76) damit diejenige männliche Geschlechterperformanz bezeichnet, die das Patriarchat am besten verkörpert und ideologisch untermauert. 53 Jason Mittell: »A Cultural Approach to Television Genre Theory«, in: Cinema Journal 40.3 (Frühling 2001), S. 3-24, hier S. 5f. 54 Stuart Hall: »The Question of Cultural Identity«, unter: http://www.csuchico. edu/~pkittle/101/hall.html, l.A.: 08.02.08. 55 Judith Butler: Imitation and Gender Insubordination, in: Diana Fuss (Hg.): Inside/Out: Lesbian Theories/Gay Theories, New York: Routledge 1991, S. 13-31, hier S. 24.
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life«,56 als eine krisengeschüttelte Gangsterperformanz lesen. Und weil sich der Gangsterprotagonist seiner hypervirilen, heteronormativen Geschlechtsidentität anhand von wiederholten kriminellen Aggressionen und den phallokratischen Strukturen seiner Gang versichern muss, handelt es sich ebenso um eine sehr krisengefährdete Identität, »for what if it fails to repeat […]. If there is, as it were, always a compulsion to repeat, repetition never fully accomplishes identity.«57 Die Dramatisierung der unvermeidlichen Verfehlung in der ständigen (Re-)Konstruktion seines Selbstbildes im psychischen (und anschließend auch häufig tödlichen) Kollaps des Gangsters gegen Ende seiner kriminellen Laufbahn ist somit konstitutiv für das US-Gangstergenre.58 Mit der Verdichtung seiner drei zentralen, je nach Text unterschiedlich gewichteten Diskurse über die männlichen, familiären und ethnischen Identitätsnöte des Gangsters verhandelt das Gangstergenre also die per definitionem krisenhafte Identität des modernen, hier: amerikanischen Subjekts. Der Ansatz der vorliegenden Studie knüpft damit auch an den für die Gangsterfilmforschung wirkmächtigen Aufsatz »The Gangster as Tragic Hero« des US-Kulturkritikers Robert Warshow an. Schon 1948 hatte dieser den Gangster als ein trauriges Nebenprodukt der urbanen Moderne, als eine bedeutende amerikanische Leidensfigur seiner Entstehungszeit besprochen,59 die äußerlich als Aggressor auftritt und im Inneren mit psychischen und emotionalen Konflikten ringt: »[For i]n the end, it is the gangster’s weakness as much as his power and freedom that appeals to [the audience]«.60 Im Anschluss an Warshows Aufsatz kamen zahlreiche Untersuchungen zu dem Schluss, dass, so etwa Thomas Schatz, »[t]he ultimate conflict of the gangster film is not between the gangster and his environment nor is it between the gangster and the police; rather, it involves the contradictory impulses within the gangster himself«.61 Jenes »virtually nihilistic suffering of the American gangster«,62 das man dem zwanghaften Statuswunsch des Gangsters, der Vergeblichkeit aller seiner Handlungen und seiner Unfähigkeit, in der urbanen Gesellschaft zu (über)leben, ablesen kann, machte ihn nach Warshow zu einer tragischen
56 Gardaphé: Suburban Trickster, S. 93. 57 Butler: Imitation and Gender Insubordination, S. 24. 58 Vgl. Martha P. Nochimson: Dying to Belong. Gangster Movies in Hollywood and Hong Kong, Oxford: Blackwell 2007, S. 35. 59 Warshow: Tragic Hero, S. 99. Vgl. auch Slotkin: Gunfighter Nation, S. 260. 60 Warshow: The Westerner, S. 107. Obwohl »The Gangster as Tragic Hero« zu den meistgenannten Aufsätzen in der Genreforschung zählt, wird sein späterer Aufsatz »Movie Chronicle: The Westerner«, in dem er den Westerner und den Gangster als die zwei berühmtesten Figuren des amerikanischen Kinos gegenüberstellt und vergleicht, in Genrestudien häufiger direkt zitiert. Beide Abhandlungen sind 1962 zusammen im Band The Immediate Experience erschienen. 61 Schatz: Hollywood Genres, S. 85. 62 Nochimson: Dying to Belong, S. 18.
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Reflexionsfigur der modernen USA.63 So handelt es sich bei den klassischen Filmgangstern Rico Bandello (LITTLE CAESAR), Tom Powers (THE PUBLIC ENEMY) und Tony Camonte (SCARFACE) um in die USA eingewanderte europäische Katholiken, die ihrem ärmlichen Milieu nicht entkommen können und selbst auf dem kriminellen Umweg an sozialen Schranken scheitern.64
E IN G ANGSTER IN DER I DENTITÄTSKRISE : T HE S OPRANOS ALS AMERIKANISCHES M ELODRAM Robert Warshows Versuch, ein Hollywoodgenre »as an experience of art«65 zu nobilitieren, den Gangsterfilm in der Tradition klassischer Tragödien zu verorten und von der in der Regel abwertend verwendeten Bezeichnung des Melodrams zu trennen, wird in der vorliegenden Arbeit allerdings revidiert. Stattdessen wird mit Nochimson auf die Bezeichnung klassischer Gangsterfilme im Marketing der Hollywoodstudios als »gangster melodrama« rekurriert.66 So wird das Gangstergenre zwar von Kritik und Forschung oft als ein Hypervirilität und Brutalität ›zelebrierendes‹ Genre wahrgenommen, als ein »shoot-‘em-and-die blood circus«, dessen große Popularität man sich meist mit dem ›schonungslosen Realismus‹ und den spektakulären Männlichkeitsinszenierungen seiner Paradeexemplare erklärt, jedoch, so Nochimson, »any gangster entertainment that is purely that is doomed to oblivion«.67 Nochimsons freilich nicht minder nobilitierend formulierte Relektüre des Gangsterfilms als ein Subgenre des Crime-Films, bei dem es sich wiederum nur um eines der vielen möglichen Genreausformungen des melodramatischen ›Modus Operandi‹ des Hollywoodfilms handelt, folgt aus zwei Impulsen. Erstens aus der filmwissenschaftlichen Neubewertung des Melodrams als eine nicht nur um Realismuseffekte, sondern auch um emotional mitreißende ästhetische Affekte bemühte Ausdrucksform.68 Zweitens aus der konzeptionel-
63 Vgl. Warshow: Tragic Hero, S. 99. Und: »[T]he gangster’s story is [a] tragedy, [but] a romantic tragedy, based on a hero whose defeat springs with almost mechanical inevitability from the outrageous presumption of his demands: the gangster is bound to go on until he is killed« (ders.: The Westerner, S. 113). 64 Vgl. Gabree: Der klassische Gangster-Film, S. 16. Vgl. hierzu auch Shadoian: Dead Ends, S. 29. 65 Warshow: Tragic Hero, S. 100. 66 Vgl. Nochimson: Dying to Belong, S. 20. »[Back then, during the early 1930s], ›melodrama‹ meant ›thriller‹, and hence was used principally to describe and to label crime films, adventure films, war films, westerns and horror films« (Cook/Bernink: Cinema Book, S. 165). 67 Nochimson: Re-Reading, unter: http://www.filmquarterly.org/issue_5602_right. html, l. A.: 16.02.08. 68 Vgl. Williams: Melodrama Revised, hier S. 42.
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len Ausgangsprämisse der SOPRANOS, nach der ein Gangster eine Therapeutin aufsuchen muss,69 weil er sich seinem alltäglichen Stress psychisch nicht mehr gewachsen fühlt und sich von einer Gesellschaft entfremdet sieht, die selbst ihn in Sachen Egoismus weit überholt zu haben scheint.70 Der klassische Filmgangster der frühen 30er, der Ära der »Great Depression«, erfährt in einer Fernsehserie zu Beginn des 21. Jahrhunderts somit die Umschrift zu einem Gangster, der eine persönliche ›Great Depression‹ durchzustehen hat. Wenn der Gangster als eine kulturelle Reflexionsfigur dann in der Therapie beginnt, über sich zu reflektieren, bringt die Serie das ›textuell Unbewusste‹ des Genres ans Licht, indem sie metatextuell die implizite Lektüreanweisung der melodramatischen Form zur Dekodierung der metaphorisch besetzten und metonymisch versetzten Bedeutungen71 des ›Männergenres‹ in Szene setzt. Die Kriminalität des Gangsters dient dabei noch mehr als zuvor als eine Metapher für tiefergehende soziale und psychische Konflikte.72 Und hierin liegt auch eine von der Forschung wiederholt konstatierte Analogie begründet, »[the one] between the melodramatic mode of expression and the language of the unconscious which must speak through symptom, on the knife-edge between meaning and silence, demanding interpretation rather
69 So originell die Ausgangsprämisse der SOPRANOS für eine TV-Serie auch sein mag, mussten schon vorab oder zeitgleich Gangster im US-Film aufgrund seelischer Nöte Psychiater besuchen: in der Independent-Romanze MAD DOG AND GLORY (1993, R: John McNaughton), im Fernsehfilm THE DON’S ANALYST (1997, R: David Jablin), in der Hollywood-Komödie ANALYZE THIS (1999, R: Harold Ramis) und ihrem Sequel ANALYZE THAT (2002, R: Harold Ramis). 70 Series Creator David Chase, der bei der Pilotfolge »The Sopranos« (s01e01) sowohl die Regie führte, als auch des Drehbuch verfasste: »The kernel of the essential joke was: life in America had gotten so savage, […] basically selfish, that even a mob guy couldn’t take it anymore. […] he’s in therapy because the rest of the country has surpassed [even the Mafia].« David Chase/Peter Bogdanovich: »DVD Interview«, in: The Sopranos – Season One, HBO Video 2002. 71 Das Melodram ähnelt hierin der Freudschen »Traumarbeit«, die den manifesten Trauminhalt auf den latenten Traumgedanken zurückführt: »Just as in dreams certain gestures and incidents mean something by their structure and sequence rather than by what they literally represent, the melodrama often works […] by a displaced emphasis, by substitute acts, by parallel situations and metaphoric connections« (Elsaesser: Family Melodrama, S. 369). Vgl. hierzu ebenso Sigmund Freud: »Die Traumdeutung«, in: Psychologische Schriften. Studienausgabe. Bd. II, hg. v. Alexander Mitscherlich/et al., Frankfurt a.M.: Fischer 1972. 72 Thomas M. Leitch führt zur Kriminalität als Motiv aus: »Crime [has] different metaphorical valences in different criminal subgenres […] but is always metaphorical. Every crime […] represents a larger critique of the social or institutional order – either the film’s critique or some character’s. [So], criminality is used to focus the problematic relationship between individual and social power and justice« (Crime Films, Cambridge: Cambridge UP 2002, S. 14, 292).
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than a direct, unmediated understanding of what is said«.73 Die Fernsehserie bedient sich folglich nicht nur fortdauernd aller konventionell melodramatischen Erzählstrategien und Darstellungskonventionen des Gangstergenres, um die Fülle an kuvrierten Bedeutungen in einem repressiven (hier: kriminellen) Milieu herauszustellen. Sie erschließt sich auch einen (selbstreflexiven) Raum zur Analyse einer Subkultur und ihrer Mitglieder mit der Therapie, die dem Gangster erstmals die Option anbietet, Unterdrücktes und Kuvriertes ›ungestraft‹ auszusprechen. In ihrer Selbstreflexivität legen THE SOPRANOS also die im Genre immer schon vorhandenen unbewussten Dynamiken offen,74 und unterziehen damit ihre filmischen Prätexte einer Relektüre. Nochimson nutzt ihre produktive Redefinition des Gangstergenres vornehmlich dazu, den Gangsterfilm aus den USA und aus Hongkong als sozial- und konsumkritische Melodramen des 20. und 21. Jahrhunderts zu lesen, »[that] take[] place specifically on the terrain of social relativism, and emphasize[] the meaninglessness of the signs that modern consumerist cultures have created«.75 Auf dieser Basis widmet sich die vorliegende Studie jedoch einem anderen Aspekt des Melodrams, »[possibly the] most crucial element of the study of melodrama: its capacity to generate emotion in audiences«.76 Genauer: Sie befasst sich mit der Bedeutung und Funktion narrativer wie formaler Emotionalisierungsstrategien für die Verhandlung der weiter oben für konstitutiv befundenen Identitätsdiskurse des Gangstergenres, die auch den thematischen Nukleus für den »relentless rush of emotional fireworks«77 der SOPRANOS ausmachen. Der Begriff des ›Melodrams‹ ist dabei deshalb so treffend, »because it points, as no other word quite does, to a mode of high emotionalism and stark ethical conflict that is neither comic nor tragic in persons, structure, intent, [as well as] effect«.78 Hiermit einher geht auch eine von der neueren Forschung geforderte Nobilitierung des Melodrams als ein eigenständiger, wichtiger Modus auch moderner Kunst.79 Mit Bezug auf Brooks und dessen Konzept des Melodramatischen als eine historisch wirkmächtige, weil flexible Größe spricht Linda Williams von einem »ever-modernizing melodrama«, das heutigen Realitäts- und Plausibilitätsregeln nicht zwingend zuwiderläuft.80 Brooks, der das Melodram als Antwort einer säkularisierten Kultur auf den Verlust tragischer Konfliktsituationen in der Kunst
73 Mulvey: Inside and Outside the Home, hier S. 72. 74 Vgl. Nochimson: Re-Reading, unter: http://www.filmquarterly.org/issue_5602_ right. html, l. A.: 16.02.08. 75 Nochimson: Dying to Belong, S. 19f. 76 Williams: Melodrama Revised, S. 44. 77 Regina Barreca: »Why I Like the Women in The Sopranos Even Though I’m Not Supposed To«, in: dies.: Sitdown with the Sopranos (2002), S. 27-46, hier S. 30. 78 Brooks: Melodramatic Imagination, S. 12. 79 Williams: Race Card, S. 11f. 80 Vgl. ebd., S. 15.
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perspektiviert,81 verortet in dem Modus sogar: »a central fact of the modern sensibility […], in that modern art has typically felt itself to be constructed on, and over, the void, postulating meanings and symbolic systems which have no certain justification because they are backed by no theology and no universally accepted social code«.82 Betrachtet man das Melodram also als einen modernen, populären Verhandlungsraum für eine aufgeklärte westliche Kultur, »[which when f]aced with the decentred self, the evasiveness of language, [often] answers with excessive personalization, excessive expression«,83 dann wird im Gangsterfilm und an der widersprüchlichen Persönlichkeit des Gangsters der Diskurs der Moderne um die Krise des Subjekts auf einem populären Level weitergeführt, »[that] recognizes the provisionality of its created centers, the constant threat that its plentitude may be a void, the need with each new text and performance to relocate the center«.84 Zu den wichtigsten Emotionalisierungsstrategien des Gangstergenres gehört dabei die ambivalente Figurenzeichnung: Ob im Male Melodrama, Family Melodrama oder Immigrant Melodrama, in den drei zentralen Diskursen des Genres wird der oft bedrohlich auftretende Gangster meist als eine bedauerliche, leidende und Empathie erweckende Identifikationsfigur inszeniert, wie sie für den sentimentalen US-Mainstreamfilm typisch ist.85 Als ein »victim-hero [who is able to] gain[] an empathy that is equated with moral virtue through a suffering that can either continue [or be then] turn[ed] into action« war der Gangsterprotagonist somit immer schon »virtuous sufferer and active hero« und hybridisiert so konventionell weibliche wie männliche Figurenattribute.86 Nur der Schwerpunkt in der Figurenzeichnung war in der Genregeschichte unterschiedlich. So begriffen der Stummfilm und der frühe Tonfilm den Gangster meist als ein trauriges Produkt seines sozialen Milie-
81 Vgl. Brooks: Melodramatic Imagination, S. 15. Brooks führt diesen Gedanken an einer anderer Stelle der Studie wie folgt aus: »We might say that the center of interest and the scene of the underlying drama reside within what we could call the ›moral occult,‹ the domain of operative spiritual values which is both indicated within and masked by the surface of reality. The moral occult is not a metaphysical system; it is rather the repository of the fragmentary and desacralized remnants of sacred myth. It bears comparison to unconscious mind, for it is a sphere of being where our most basic desires and interdictions lie, a realm which in quotidian existence may appear closed off from us, but which we must accede to since it is the realm of meaning and value. The melodramatic mode in large measure exits to locate and to articulate the moral occult« (ebd., S. 5). 82 Ebd., S. 21 83 Gledhill: Signs of Melodrama, S. 218. Vgl. auch Williams: Race Card, S. 41. 84 Brooks: Melodramatic Imagination, S. 200. 85 Vgl. Williams: Melodrama Revised, S. 58. 86 Vgl. ebd., S. 66, 59. Vgl. auch Williams: Race Card, S. 24.
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us, das sich mit einer letzten selbstlosen Handlung wieder rehabilitiert.87 Im Tonfilm der frühen 30er Jahre, im klassischen Gangsterfilm war der Gangster dann der energische Held mit den verdrängten psychischen Problemen, der durch die Selbstzensur der Hollywoodstudios aber bald zu einem tragischen, irrationalen Relikt verkam.88 »Der Hays Code missbilligte jede glamouröse psychologische Entschuldigung der Gewalttätigkeit des Gangsters, [was] zu einer versimpelten Darstellung [führte]. Fast nirgends mehr zu finden waren nun die verlorenen und fast ergreifenden Muttersöhnchen, die töteten, um die feminine Seite ihrer Psyche zu unterdrücken.«89 Die Durchsetzung des Production Codes ab 1934 bewirkte dann, »[that, d]eprived of narrative centrality […], the gangster drifted to the margins of representation and, increasingly, surrendered his essential characteristics«.90 Im postklassischen Gangsterfilm ab Mitte der 1930er wurde die Vitalität und Individualität der Gangsterprotagonisten mal in Gangsterkomödien parodistisch überhöht,91 zum neuen Figurenattribut der Gesetzeshüter gemacht92 oder aber der Gangster selbst zu einer Figur, »who was coerced into crime by unfortunate circumstances and one who ultimately redeems himself by defeating a malevolent rival«.93 In den Noir-Filmen und anderen Crime-Subgenres der 40er
87 Zu dieser ›romantischen‹ Phase, in der den Gangsterprotagonisten oft die Möglichkeit geboten wird, durch die Liebe einer Frau resozialisiert zu werden, zählen u.a. THE MUSKETEERS OF PIG ALLEY (1912), REGENERATION (1915), Josef von Sternbergs mit George Bancroft besetzten Filme UNDERWORLD (1927) und THUNDERBOLT (1929), sowie CITY STREETS (1931, R: Rouben Mamoulian). 88 Die in den USA damals geführte Debatte um und die finale Abkehr vom populären Gangsterkult findet sich so in den Filmen THE PETRIFIED FOREST (1936, R: Archie Mayo), DEAD END (1937, R: William Wyler) ANGELS WITH DIRTY FACES (1938, R: Michael Curtiz) und HIGH SIERRA (1941, R: Raoul Walsh). 89 Siegel: Das Abstoßende, S. 483. 90 Richard Maltby: The Spectacle of Criminality, in: J. David Slocum (Hg.): Violence and American Cinema, New York: Routledge 2001, S. 117-152, hier S. 142. Vgl. hierzu auch Schatz: Hollywood Genres, S. 99. 91 Das animierte Spiel Edward G. Robinsons und James Cagneys fand den nahtlosen Übergang ins Comedy-Fach mit Filmen wie Roy Del Ruths LADY KILLER und THE LITTLE GIANT (beide von 1933) sowie Lloyd Bacons A SLIGHT CASE OF MURDER (1938), BROTHER ORCHID (1940) und LARCENY, INC. (1942). 92 Die populären Gangsterdarsteller Edward G. Robinson und James Cagney spielen in William Keighleys G-MEN (1935) sowie BULLETS OR BALLOTS (1936) aufrechte FBI-Agenten bzw. Polizeidetektive, doch ihre Gestik und Mimik unterscheidet sich nicht wesentlich von ihren bereits berühmten Gangsterrollen. 93 Catherine D. Diego: »Hits, Whacks, and Smokes: The Celluloid Gangster as Horror Icon«, in: Silver/Ursini (2007): Gangster Film Reader, S. 324-341, hier S. 335. Sowohl in ANGELS WITH DIRTY FACES (1938, R: Michael Curtiz), als auch in THE ROARING TWENTIES (1939, R: Raoul Walsh) gibt James Cagney zwar einen Gangster, stirbt aber in beiden Filmen zum Ende einen ehrenvollen
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und 50er Jahre wurde der Gangster dann allmählich all seiner einst einnehmenden Charakterzüge beraubt.94 Mit seinem anonymen, gesichtslosen Verbrechersyndikat agierte er nun nicht selten nur noch als ein eindimensionaler, kaltblütiger Antagonist für blasse, vorbildlich prinzipientreue Protagonisten.95 Mit den GODFATHER-Filmen der 1970er Jahre vollzog der Gangster schließlich seine Wandlung zurück zu der sentimentalen, zwischen ihrer Individualität und ihrer ›Familienzugehörigkeit‹ zerriebenen Leidensfigur, wie man sie noch aus den Genrefilmen zur Zeit der Weltwirtschaftskrise kannte. Dieses Bild blieb bestehen – bis sich der Gangster ab den 1990ern wieder in semi-dokumentarischen, ironisch gebrochenen Milieustudien96 als ein roher, brutaler Aggressor mit destruktiven Persönlichkeitsstörungen präsentierte. Mit Blick auf die sich kulturhistorisch wandelnden Inszenierungen des Gangsters im US-Mainstreamfilm kann man also konstatieren, »[that] the gangster figure ranks high among icons of ambivalence in American culture […], given the incessant counterpoint of negative and positive traits that make up his screen identity«.97 Bislang ist das Gangstergenre aber selten so weit in die Psyche des Protagonisten vorgedrungen, ohne im Komödiengen-
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Opfertod, indem er einen anderen Gangster (beide Male gespielt von Humphrey Bogart) davon abhält, einen gesetzestreuen Freunden zu töten, dessen progressiven, prosozialen Werten er sich so beugt. Für den postklassischen Gangsterfilm gilt somit: »the identificatory conflictual locus reorients itself around the clash between an ›old-school‹ criminal – characterized by loyalty to crew, (some) regard for human life and rugged individualism – and an impersonal, quasicorporate criminal organization. […] the old-style gangster becomes a nostalgically heroicized figure [ – for his] opposition to a machine-like bureaucracy whose ruthlessness is intensified […] by its depersonalization« (Barry Langford: Film Genre: Hollywood and Beyond, Edinburgh: Edinburgh UP 2005, S. 145). Die Gangsterenergie, die in der klassischen Periode noch zur Identifikation lud, wurde im post-klassischen Genrefilm nach dem II. Weltkrieg psychoanalytisch als manisch-depressive Störung ausgelegt: James Cagney, der als Tom Powers zuvor zwischen frechem Jüngling und Psychopathen oszillierte (vgl. Durgnat: Gangster File, S. 94), galt darauf in WHITE HEAT (1949, R: Raoul Walsh) und KISS TOMORROW GOODBYE (1950, R: Gordon Douglas) als ein ›reiner‹, abstoßender Psychopath (vgl. McArthur: Iconography of the Gangster Film, S. 40). Vgl. Langford: Hollywood and Beyond, S. 143. Hierzu zählen in erster Linie Filme wie KISS OF DEATH (1947, R: Henry Hathaway), KEY LARGO (1948, R: John Huston), NIGHT AND THE CITY (1950, R: Jules Dassin), THE BIG HEAT (1953, R: Fritz Lang), THE BIG COMBO (1955, R: Joseph H. Lewis) und THE PHENIX CITY STORY (1955, R: Phil Karlson). Zu diesen Filmen zählen unter anderem Martin Scorseses aufwendige Studiofilme GOODFELLAS (1990) und CASINO (1995) sowie Abel Ferraras IndependentFilme KING OF NEW YORK (USA 1990) und THE FUNERAL (USA 1996). Shadoian: Dead Ends, S. 14.
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re zu landen.98 Ein prominentes Beispiel hierfür ist ANALYZE THIS,99 der mit derselben Prämisse im selben Jahr veröffentlicht wurde wie THE SOPRANOS, aber in einem bedeutend komödiantischeren, weniger ›ernsthaften‹ Modus erzählt.100 Erst in der komplexeren Erzählstruktur einer mehrstündigen Fernsehserie wie den SOPRANOS, so scheint es, kann sich die Ambivalenz der Figur des Gangsters entfalten, »[since], with its extended, serialized televisual form, [it] is able to represent the full range of shifts in the problematic figure«.101 So ist der Gangster hier als ein hilfsbedürftiger Patient »immer wieder mal sympathisch, weil wir sein beschädigtes, ramponiertes, unruhiges Innenleben sehen«,102 mal abstoßend in seinem brutalen Gebaren als Mafioso und oft auch ungewollt komisch in seinen obsoleten Wertvorstellungen.
R ELEKTÜRE EINES ›M ÄNNERGENRES ‹: (R E -)K ONFIGURATIONEN VON G ENRE UND G ENDER Die Spannungen in der Inszenierung des Gangsters als mal aktivem Helden, mal passivem Opfer bestimmen auch die Pilotfolge der SOPRANOS. Im Vorspann zur Serie wird der Gangster zuerst in seiner charakteristischen Eigenart erfasst, »[in] his unceasing, nervous activity«.103 Eine hektische Montage wackliger, fragmentierender Nahaufnahmen und verzerrender Spiegelungen zu dem dynamischen Song »Woke Up This Morning« der Rockgruppe A3 zeigt, wie er von New York in die Suburbs von North Caldwell, New Jersey fährt. Der in dieser Sequenz überdeutliche Fokus auf den männlichen Protagonisten verortet die Serie also gleich zu Anfang in der phallozentrischen Tradition des Gangstergenres. Doch obwohl der Gangster in der viril bebil-
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In der skurrilen Krimikomödie THE AMAZING DR. CLITTERHOUSE (USA 1938, R: Anatole Litvak) ernennt sich ein Kriminologe selbst zum Boss einer Gangsterbande, um eine Studie über die Gangsterpsyche zu schreiben. In dem unfreiwillig komischen Film-Noir-Thriller BLIND ALLEY (USA 1939, R: Charles Vidor) und dessen Remake THE DARK PAST (USA 1948, R: Rudolph Maté) kann ein Psychiater einen Gangster, der ihn als Geisel nimmt, gar innerhalb weniger Stunden wieder ›kurieren‹. Weitere Beispiele unter Anm. 69 in diesem Kapitel. ANALYZE THIS, USA 1999, R: Harold Ramis. Für das Komödiengenre gilt: »Any serious implications are usually insulated or substantially reduced by the assurance that, as comedy, a film is ultimately ›just kidding‹« (Geoff King: Film Comedy, London: Wallflower Press 2002, S. 94). Martha P. Nochimson: »Tony’s Options: The Televisuality of the Gangster Genre«, in: Senses of Cinema, unter: http://www.sensesofcinema.com/2003/ feature-articles/sopranos_televisuality, l.A.: 01.03.11. Siegel: Das Abstoßende, S. 480. Warshow: The Westerner, S. 106
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derten Sequenz104 mit der Transgressivität105 seiner filmischen Genre-Vorläufer auftreten mag, deutet die formale Gestaltung des Prologs bereits auf die Unruhe hinter der so beängstigenden wie faszinierenden Fassade der Figur: »[It] distils [his] zeitgeist: the driving energy of the mobster, his angst, violence and comical crudeness.«106 Als Prolog zu einer Serie über den Einfluss der Analyse auf das Leben des Protagonisten – sowie auf die Gangsterfigur, auf das Gangstergenre und auf die amerikanische Kultur – ist die Sequenz ferner gespickt mit ›freudianischen‹ Motiven. So entsteigt der Gangster, eine phallisch hervorstechende Zigarre qualmend, mit seinem zuerst nur fragmentarisch eingefangenen Körper der ominösen Dunkelheit des Lincoln Tunnels und ist das erste Mal in einer kompletten Nahaufnahme seines großen Oberkörpers zu sehen, wenn er zum Ende des Prologs auf sein Anwesen fährt und aus dem Wagen steigt. Mit dieser Szenenfolge setzt der Vorspann gewissermaßen visuell den prekären Prozess einer Identitätskonstruktion in Szene, mit dem sich die Serie im Folgenden auch thematisch befassen wird. Die komplette Umschrift eines souveränen Filmhelden, der die Diegese ›beherrscht‹, in eine Fernsehfigur, die abrupt fremden Genre-Räumen ausgesetzt ist, findet sich darauf in der ersten Szene der Pilotfolge »The Sopranos« (s01e01).107 Diese gebietet seiner virilen Dynamik aus dem Vorspann abrupt Einhalt mit langen, ruhigen Einstellungen, die ihn in eine ungewohnte Bewegungsstarre versetzen.108 Der Gangster sitzt in einem kleinen Wartezimmer, im Bild eingerahmt (besser: gefangen) von den Beinen einer nackten, dunkelgrünen Frauenstatue, zu der er nicht wenig irritiert und forschend aufblickt wie ein Kind, das zu einer ihn überragenden maternalen Urgewalt aufschaut. Die in dieser ersten Einstellung weiblich semantisierte Dominanz des Raums durch »the figure of an empowered and austere woman«109 setzt sich fort, als sich die Tür zur Praxis öffnet: So ist der erste Satz, der in dieser Folge und damit auch in der relativ unorthodoxen Gangsterchronik der SO-
104 »[It] contains a mass of aggressively virile resonances, [as he] driv[es] through a maze of evocations of masculine power in America – bridges, highways, electric wires, and industrial sites. The sequence is shot through the driver’s POV, further emphasizing Tony’s dominance as he negotiates the twists and turns [on his way back home from his work in the big city]« (Nochimson: Re-Reading, unter: http://www.filmquarterly.org/issue_5602_right.html, l.A.: 16.02.08). 105 Diese Transgressivität äußert sich in dem vielbesprochenen Vorspann vor allem auch darin, dass der Gangster hier mehrere konkrete (Mautstelle) sowie symbolische Grenzen (Industriegebiet, Feuchtgebiete, Kleinstadt, Suburbs) überquert. 106 Nochimson: Tony’s Options, unter: http://www.sensesofcinema.com/2003/ feature-articles/sopranos_televisuality, l.A.: 01.03.11. 107 Für die Analyse einzelner Folgen in dieser Arbeit dient die folgende Schreibweise: »Titel der Folge« (Staffelnummer, Nummer der Folge in der Staffel). 108 Vgl. Nochimson: Tony’s Options, unter: http://www.sensesofcinema.com/ 2003/feature-articles/sopranos_televisuality, l.A.: 01.03.11. 109 Walker: Cunnilingus and Psychiatry, S. 111.
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gesprochen wird, die Frage einer souveränen Frau an einen unsicheren Mann: »Mr. Soprano?« Es ist die Begrüßung der Psychotherapeutin Dr. Jennifer Melfi, die ihren Patienten Anthony ›Tony‹ Soprano zum ersten Mal in ihre Praxis bittet und sich dabei nach dessen Identität erkundigt. Diese bedeutungsvolle Anfangsszene etabliert damit nicht nur die angespannte Frage-und-Antwort-Dynamik der späteren Sitzungen, in denen Dr. Melfi Tony nach seinen Identitätsproblemen fragen und er nur mit einiger Überwindung davon sprechen wird. Sie setzt auch die Genre-Umschrift durch konventionalisierte Gender-Räume fort, die in der Eingangssequenz begann: Im Vorspann fährt der Gangster nämlich aus seinem urbanen Handlungsraum110 in die Suburbs und bewegt sich so nicht nur von einem traditionell männlichen Arbeitsraum in einen konventionell weiblichen Privatraum,111 sondern auch von einem spezifischen Mediengenre (dem Gangsterfilm) in ein anderes (die Fernsehsoap). Diese mediale Neuverortung des Filmgangsters in dem populärsten Genre des Fernsehmediums, der weiblich semantisierten Soap, ist als Neugeburt inszeniert: Verheißt das Bild Tonys zwischen den Frauenbeinen der grünen Statue eine spirituelle Wiedergeburt des depressiven Oberhaupts einer italoamerikanischen Kleinfamilie und einer Mafia-Großfamilie mit der Therapie, ist seine Fahrt im Vorspann als Übergang zu lesen: von der dunklen Ungewissheit seines beruflichen Handlungsraums zu der Sicherheit, die das in der Abenddämmerung stehende, idyllische Familienhaus verspricht. Diese in den SOPRANOS Studies häufig diskutierte gendertopographische Umschrift des Gangsterfilms rekurriert indirekt auf die von Thomas Schatz empfohlene Unterscheidung zwischen Genres, die einen »contested space« oder einen »›civilized‹ space« für ihre Geschichten nutzen. Die erste Variante, die Schatz »rites of order« nennt, »center[s] on an individual male protagonist […] who is the focus of [the] dramatic conflicts«.112 Zu diesen Genres zählt er unter anderem den Western, den Detektivfilm und den Gangsterfilm, in denen der Protagonist die Widersprüche seines Milieus gewaltsam ausagiert und ihrer wiederhergestellten Sozialstruktur zum Ende den Rücken kehrt oder stirbt, sich so jedoch seine Individualität bewahrt.113 Die zweite Variante, die Schatz »rites of integration« nennt, zeichnet den Prozess nach, durch den die Hauptfiguren ›gesellschaftsfähig‹ werden: Im Zentrum dieser Filme stünde eine Familie oder ein Paar, »[whose] personal and social conflicts are internalized, translated into emotional terms, with their interpersonal antagonism eventually yielding to the need for a well-ordered community«.114 Zu dieser Spielart zählt Schatz unter anderem das Musical, das FamiPRANOS
110 »The gangster is the man of the city, with the city’s language and knowledge.« Warshow: Tragic Hero, S. 99. 111 Vgl. Traister: Chick show, unter: http://dir.salon.com/story/mwt/feature/2004/ 03/06/carmela_soprano/index. html, l.A.: 01.03.11. 112 Schatz: Hollywood Genres, S. 34. 113 Vgl. ebd. 114 Ebd.
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lienmelodram und die Screwball Comedy. Eines der konzeptionellen Innovationen der SOPRANOS würde demnach darin bestehen, diese zwei scheinbar unvereinbaren Genretypen zu hybridisieren, aus ihren narrativen Differenzen die Konflikte zwischen dem Individuum und dem Kollektiv abzuleiten und daraufhin in der Serie ad infinitum auszutragen. Ohne ein abzusehendes Dénouement, ob nun eine (tödliche) Flucht aus der Gesellschaft oder soziale Integration, hat sich der ungeduldige115 Gangster in der Fernsehserie intensiver mit sich selbst zu befassen und wird so in eine Erklärungsnot für seine Kriminalität und sein antiquiertes Weltbild gedrängt. Mit anderen Worten: »It is a problem with civilizing the male that taps into the American mythology of the action hero, an archetype that stretches from the frontiersman, through the westerner, to the urban gangster, and on to Tony Soprano. Repeated across American cinema history, and worked through in each single text, the narrative cycle creates an arc that takes the male hero from being un-socialized to the point of becoming civilized – with the formation of the couple and the promise of domestic stability and home which the union brings.«116
Der Legitimation durch die phallokratischen Strukturen seiner kriminellen Subkultur und seines filmischen Genrekontextes beraubt, vollziehe sich hier die Demontage einer weiteren, der bislang resistentesten männlichen Kultfigur der amerikanischen Populärkultur. Das würde auch die Umschrift eines ›Männergenres‹ durch traditionell weiblich semantisierte Soap-Konventionen bedeuten: »In other words, this is not your father’s gangster narrative: It’s your mother’s«.117 Soweit also der Tenor der SOPRANOS Studies. Trennt man sich aber von der strengen Grenzziehung zwischen traditionell ›männlichen‹ und ›weiblichen‹ Genres, dann würde man die Rekontextualisierung des Filmgangsters in der Soap (mit nicht wenigen Anleihen bei der Sitcom) nicht als eine Subversion, sondern als eine Konkretisierung der verschiedenen Genrevorgaben sehen, aus denen sich die Einzeltexte des Gangstergenres immer schon konstituiert haben. So handelt es sich nach der zeitgenössischen Genretheorie bei den SOPRANOS – wie bei jedem anderen Genretext – um einen hybriden Text, der sich aus unterschiedlichen, historisch dynamischen Genremustern zusammensetzt. Wie soziokulturell konstituierte Identitätskategorien sind also auch Genres als unabgeschlossene Prozesse zu verstehen, »[which] themselves change, develop, and vary by borrowing from,
115 Vgl. Kaminsky: Little Caesar, S. 51. 116 Akass/MacCabe: Female Narrative Authority, S. 150. Vgl. hierzu ebenso Mark Gallagher: »I Married Rambo: Spectacle and Melodrama in the Hollywood Action Film«, in: Christopher Sharrett (Hg.): Mythologies of Violence in Postmodern Media, Detroit: Wayne State University Press, 1999, S. 199-225. 117 Katherine Hyunmi Lee: »The Ghost of Gary Cooper: Masculinity, Homosocial Bonding, and The Sopranos«, in: The Scholar & Feminist Online, unter: http://www.barnard.edu/sfonline/hbo/lee_01.htm, l. A.: 01.03.11.
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and overlapping with, one another«.118 Dieses anti-essentialistische Konzept nimmt an, dass es sich bei Genres um keine ahistorischen, festen Einteilungen handelt, sondern um einen sich dauernd wandelnden Kriterienkatalog: »[with] an interaction between […] expectation, […] generic corpus, and […] the »rules« or »norms« that govern both. Each new genre film constitutes an addition to an existing generic corpus and involves a selection from the repertoire of generic elements available at any one point in time«.119 Die Versatzstücke eines Genres werden dabei nicht nur von einem Film oder von den Folgen einer Serie aufgerufen, sondern realisieren sich immer erst im Einzeltext, »[for] the elements and conventions of a genre are always in play rather than being simply replayed«.120 Wie sich also in menschlichen Subjekten Identitätskategorien wie etwa Gender, Class und Ethnicity erst in einem performativen Akt konkretisieren und auch mehr oder minder beliebig modifiziert werden können, verhält es sich auch in der komplexen Beziehung zwischen Einzeltext und Genre: Weil »Genre-Filme, die Genres in Szene setzen, nie mit den Genre-Konventionen eines einzelnen […], sondern immer mit einem (kleineren oder größeren) Bündel von Mustern diverser Genres« arbeiten.121 Daher geht auch »[n]icht das Genre […] der GenreHybridisierung voraus; ›vorgängig‹ ist vielmehr die Genre-Hybride – und die Fixierung einzelner Genres setzt eine simplifizierende Lektüre einer Konstellation voraus, die immer schon die Einzelgenres transgrediert«.122 Genres sind dabei auch »inherently temporal: hence, their inherent mutability on the one hand and their inherent historicity on the other«.123 So flexibel ein Genre also auch sein mag, so liegen doch stets diskursive Traditionslinien vor, anhand derer sich die Filme eines Genres intertextuell verbinden lassen. Folglich sind Genreanalysen stets »historisch anzulegen, verweisen doch Strukturveränderungen innerhalb der intertextuellen Reihe auch auf die sich verändernden Wissensbestände und Erfahrungshintergründe des Publikums und erbringen also Aufschluß über eine kulturelle Lerngeschichte«.124 Auch beim Gangstergenre handelt es sich um einen historisch dynamischen Wissens- und Regelkontext, mit dem der Zuschauer bestimmte Erwartungen verknüpft, die auf seinen vorherigen Erfahrungen mit ähnlichen
118 Steve Neale: »Questions of Genre«, in: Grant: Film Genre Reader II (1995), S. 159-183, hier S. 170. Vgl. ebenfalls Rick Altman: Film/Genre, London: BFI 1999, S. 70f. 119 Neale: Questions of Genre, S. 170. 120 Ebd. 121 Claudia Liebrand/Ines Steiner: »Einleitung«, in: dies. (Hg.): Hollywood hybrid. Genre und Gender im zeitgenössischen Mainstream-Film, Marburg: Schüren 2004, S. 7-15, hier S. 8f. 122 Ebd, S. 8. 123 Neale: Questions of Genre, S. 170. Vgl. auch Schatz: Hollywood Genres, S. 16. 124 Hartmann: Topographische Ordnung, unter: http://home.snafu.de/britta.hart/ gang.html, l. A.: 01.03.11.
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Genrefilmen und ihrer Vermarktung als bestimmte Genrefilme beruhen.125 Die Bedeutungsmomente eines Genrefilms erschließen sich dabei stets aus der produktiven Spannung zwischen den Konventionen der Intertexte, den kulturhistorischen und soziokulturellen Kontexten und dem jeweiligen Zuschauer, der zwischen seinem individuellem Genrewissen sowie den Regeln seiner eigenen Lebenswelt zu vermitteln hat.126 Für den Genreforscher bedeutet das, dass er allzu generalisierende Behauptungen über Filme vermeidet, die Fülle an möglichen Lesarten aufzeigt und auf genrespezifische Konfigurationen und Tendenzen verweist.127 »Herein, [then], lies the productivity of genre as boundaries are defined, eroded, defended, and redrawn. Genre analysis tells us not just about kinds of films, but about the cultural work of producing and knowing them.«128 Nur so konnte eine kulturhistorische Verortung von Genre-Prozessen im Gangsterfilm Robin Wood und Catherine D. Diego es ermöglichen, individuelle Gangsterfilme produktiven Lektüren als Slapstickkomödien129 oder als soziologische Horrorfilme130 zu unterziehen. Das zunehmende Genrewissen des kundigen Publikums findet auch ihre Analogie in der ›Referenzwut‹ postmoderner Texte auf die diversen GenreTraditionen, im Ausstellen der reflektierten Genregeschichten, »[that is], the genre system’s inevitable historicity, intensified by postmodernity, reinforces the revisiting and reworking of past practices and discourses«.131 Auch bei den SOPRANOS handelt es sich um einen Text, »supersaturated with intertextual references to literature, culture, television, and [especially the] gangster film, [which] are neither deeply embedded nor diffuse; they are obsessively foregrounded«.132 Damit würde die Serie auf dem ersten Blick an eine Reihe von Crime-Filmen der 90er Jahre anschließen, »that effect an ›involution‹ in the sense of rendering generic material more complex […], of dismantling and re-creating the genre by citation or by deliberately exhausting its codes and stylistic registers«.133 Zu diesen betont metareflexiven CrimeFilmen – »[which function as] interrogations of the figure of the mythic bigscreen gangster that call into question the cinematic fantasy that the American spectatorship has fetishistically attached to such figures« – zählen Pelle-
125 Vgl. Neale: Questions of Genre, S. 170. 126 Vgl. Hartmann: Topographische Ordnung, unter: http://home.snafu.de/britta. hart/gang.html, l. A.: 01.03.11. 127 Vgl. Gledhill: Rethinking Genre, S. 227. 128 Ebd., S. 222. 129 Vgl. Robin Wood: »Scarface (from Howard Hawks, 1968)«, in: Silver/Ursini: Gangster Film Reader (2007), S. 18-27. 130 Vgl. Anm. 93 in diesem Kapitel. 131 Gledhill: Rethinking Genre, S. 240. 132 David Pattie: »Mobbed Up: The Sopranos and the Modern Gangster Film«, in: Lavery: This Thing of Ours (2002), S. 135-145, hier S. 135. 133 D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 645. Vgl. auch Mark Winokur: Eating children is wrong, in: Sight and Sound, Vol. 1, Nr. 7, Nov. 1991, S. 10-13, S. 11.
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grino D’Acierno zufolge in erster Linie die sehr reflektierten, narrativ unorthodoxen Crime-Filme eines Abel Ferrara oder eines Quentin Tarantino.134 Der entscheidende Unterschied zwischen den Genre-Dekonstruktionen eines Tarantino-Films und denen der SOPRANOS liegt allerdings in den Realitätsbezügen der Texte.135 Während Tarantinos betont selbstironischen Filme maßgeblich aus Selbst- und Fremdbezügen bestehen und ihre Künstlichkeit und Fiktionalität wiederholt ausstellen, ist die Intertextualität der Serie eher ein Teil ihrer zahlreichen real- und kulturhistorischen Bezüge.136 Es ist die Konsequenz aus ihrem Anspruch auf ein ›authentisches‹ Zeitkolorit, dass ihre Figuren wie die Zuschauer mit einer Medienwelt konfrontiert sind, die sie in ihren Dialogen wiederholt verhandeln.137 Was oft zu amüsanten Kommunikationsproblemen führt, wenn das kulturelle Kapital mal kein geteiltes ist: In einer Szene der fünften Staffel wird ein verschuldeter Drehbuchautor von zwei Geldeintreibern aufgesucht und greift auf sein Genrewissen zurück, um in einem selbstreflexiven Moment auf die fast ›filmreife‹ Irrealität der angespannten Situation zu verweisen: »What is this, fucking PULP FICTION? Am I supposed to be afraid?« Worauf der in der fiktionalen Diegese der Serie als genuin kodierte, zum tätlichen Übergriff bereite Gangster nur unverständig antworten kann: »I don’t know, I didn’t see it.« (s05e07: »In Camelot«)
134 Vgl. D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 644. Beispiele wären Quentin Tarantinos RESERVOIR DOGS (USA 1992) und PULP FICTION (USA 1994), sowie Abel Ferraras KING OF NEW YORK (USA 1990) und THE FUNERAL (USA 1996). 135 Geoff King notiert: »Different kinds of texts are coded in different ways to suggest different degrees of reality or plausibility. […] Modality markers specific to the broader forms of comedy establish a sense of clear distance from reality or seriousness in any particular film or sequence, although subtle shades of variation and shifts of modality are possible« (Film Comedy, S. 9). Auf das Oeuvre Quentin Tarantinos bezogen bedeutet das, dass sich in seinen exzessiven Genre-Tributen PULP FICTION (1994), KILL BILL, VOL. 1/2 (2003/04) und INGLOURIOUS BASTERDS (2009) surreale, ironische Momente eher finden lassen als etwa in einem ›realistischeren‹ Crime-Film wie J ACKIE BROWN (1997). 136 Dana Polan sieht hingegen keinen Unterschied zwischen dem »depthless luxuriating in empty coolness«, das er den Filmen Tarantinos attestiert, und dem für ihn postmodernen, stark ironisierten Spiel mit Bedeutungen in THE SOPRANOS, das jede ernsthafte Interpretation unterlaufe (vgl. Polan: Sopranos, S. 101f.). 137 Vgl. Pattie: Mobbed Up, S. 137. Diese Grenzziehung zwischen der Intertextualität der SOPRANOS und der von Tarantinos Oeuvre lässt sich am deutlichsten an der Folge »D-Girl« (s02e07) zeigen, in der ein Mafioso versucht, sein Skript zu einem Mafiafilm an Jon Favreau und dessen Assistentin zu verkaufen, die auch für Tarantino gearbeitet hat und nach ›frischen Gangstergeschichten‹ sucht. Die Kreativen, die jede Anekdote des Mafioso mit einer Filmreferenz goutieren und sich sehr unbeholfen an seinem Straßenjargon versuchen, sind an ›Authentizität‹ interessiert, werden aber bald von seiner Unberechenbarkeit abgeschreckt.
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Zu den wichtigsten ›Regeln‹ eines Genres zählen seine Gender-Konventionen, die »reproduzier[t] und ›perforier[t werden]‹; zu konstatieren ist ein kompliziertes Wechselspiel von Gender(s) und Genres. Semantische Besetzungen von Gender verdanken sich medialen Limitationen; alternative Gender-Kodierungen erzwingen genrespezifische Innovationen«.138 In der Forschung wurde wiederholt konstatiert, wie der klassische Hollywoodfilm und ›Männergenres‹ wie der Gangsterfilm in der Regel einen männlichen Kinozuschauer139 und das Fernsehen und die Soap oft ein weibliches, häusliches Publikum140 ansprechen und konstruieren. Die Gangsterfigur, die die ›männlichen‹ Attribute des »active hero« und die ›weiblichen‹ Attribute des »impotent hero« in sich vereint, hat diese filmwissenschaftliche Trennung zwischen ›Männerfilmen‹ und ›Frauenfilmen‹141 aber schon immer unterlaufen. Eine Beschreibung dieser Figur verlangt nach einer differenzierteren Auslegung ihrer Genre-Tradition. Die in der vorliegenden Arbeit favorisierte Bezeichnung Gangster Melodrama soll im Folgenden verdeutlichen, dass sich das Genre über die Verortung einer exzessive Virilität verkörpernden Figur (Gangster) in einem emotionalen Exzess generierenden ›Frauengenre‹ (Melodrama) konstituiert. In dieser Lesart wäre es auch erst die dem Melodram wiederholt attestierte Genre-Effeminierung,142 die die exzessive, ›theatrali-
138 Claudia Liebrand: Gender-Topographien. Kulturwissenschaftliche Lektüren von Hollywoodfilmen der Jahrhundertwende, Köln: DuMont 2003, S. 20, Anmerkung 23. 139 Vgl. Mulvey: Visual Pleasure and Narrative Cinema; E. Ann Kaplan: »Is the gaze male?«, unter: http://allyn.faculty.tcnj.edu/film/Kaplan_isthegazemale.pdf, l.A.: 01.03.11; John Fiske: Television Culture, NY: Routledge 1994; Lynne Joyrich: »Critical and Textual Hypermasculinity«, in: Patricia Mellencamp (Hg.): Logics of Television. Essays in Cultural Criticism, Indianapolis: Indiana UP 1990, S. 156-172; Joanne Lacey: »One for the Boys? The Sopranos and Its Male, British Audience«, in: Lavery: This Thing of Ours (2002), S. 95-108. 140 Vgl. Lynne Joyrich: Re-Viewing Reception. Television, Gender, and Postmodern Culture, Indianapolis: Indiana UP 1996; Annette Kuhn: »Women’s Genres: Melodrama, Soap Opera and Theory«, in: Gledhill: Home is Where the Heart Is (1987), S. 339-349; Tania Modleski: »The Search for Tomorrow in Today’s Soap Operas«, in: Marcia Landy (Hg.): Imitations of Life. A Reader on Film & Television. Melodrama, Detroit: UP 1991, S. 446-465; Laura Mulvey: »Afterthoughts on ›Visual Pleasure and Narrative Cinema‹ inspired by King Vidor’s Duel in the Sun (1946)«, in: dies.: Visual and Other Pleasures (1989), S. 29-37. 141 Geoffrey Nowell-Smith bringt die Aufteilung wie folgt auf den Punkt »Broadly speaking, in the American movie the active hero becomes the protagonist of the Western, the passive or impotent hero or heroine becomes protagonist of what has come to be known as melodrama.« (Minnelli and Melodrama, S. 72). 142 »[T]he persistent identification with pathos, suffering and the ›point of view of the victim‹ […] give it a specific designation as a ›feminine‹ form« (Thornham: Passionate Detachments, S. 47). Ein anderes Genre, das seine Protagonisten in
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sche‹ Virilität zahlreicher melodramatischer ›Männergenres‹ hervorbringt. Da, so Lynne Joyrich, »[h]ypermasculinity [appears] as a response to such feminization, [as] the underlying structure of texts of male spectacle«.143 Das Melodram nimmt in der wissenschaftlichen Diskussion über Genres seit den 1990ern eine besonders prominente Funktion ein.144 Handelt es sich doch – wie zuvor in der Einleitung angesprochen – um eine Kategorie »with very fluid boundaries, many sub-generic offshoots and a complex relation to other forms and traditions«.145 Diese Prozessualität zeigt sich vor allem auch an seinen Gender-Markierungen: So macht Steve Neale in einer Studie über die Verwendung des Melodrambegriffs zwischen den Jahren 1925 und 1938 darauf aufmerksam, dass der Terminus in dieser Zeit im Marketing der Hollywood-Studios nicht etwa für ›Frauenfilme‹ mit viel Pathos und Romantik benutzt wurde, sondern für traditionell ›männliche‹ Genres wie den Kriegsfilm, Abenteuerfilm oder den Thriller.146 Diese Melodramen wurden mit Action, Abenteuer und einer rauen ›working-class‹-Männlichkeit assoziiert,147 also mit eben den Elementen, die von der Melodramforschung der 1970er in der Definition des ›Familienmelodrams‹ der 50er ausgeschlossen wurden.148 Im Zuge feministisch-psychoanalytischer Ansätze wurde das Melodram dann auf kulturell ›minderwertige‹, selten gewürdigte Hollywoodgenres wie den woman’s film und den weepie reduziert, die sich vor allem an die weiblichen Zuschauer wenden würden und die, wenn überhaupt, lediglich durch »the related ›excesses‹ of emotional manipulativeness and association with femininity«149 auf sich aufmerksam machen könnten. »[Hence, f]ilm studies established a rigid polarity: on the one hand, a bourgeois, classical realist, acritical ›norm,‹ and on the other hand, an anti-realist, melodramatic, critical ›excess.‹«150 Die Momente, in denen der um ›realistische‹ Effekte bemühte
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der Regel effeminiert, ist das Hollywood-Musical (vgl. Steve Neale: »Prologue: Masculinity as Spectacle. Reflections on men and mainstream cinema«, in: Ina Rae Hark/Steve Cohan (Hg.): Screening the Male: Exploring Masculinities in Hollywood Cinema, New York/London: Routledge 1993, S. 9-22, hier S. 18). Joyrich: Critical and Textual Hypermasculinity, S. 168. Vgl. Kelleter/Mayer: Melodramatic Mode Revisited, S. 8. Cook/Bernink: Cinema Book, S. 140. Vgl. Steve Neale: »Melo Talk: On the Meaning and Use of the Term ›Melodrama‹ in the American Trade Press«, in: Velvet Light Trap 32 (1993), S. 6689, hier S. 69. Vgl. Altman: Film/Genre, S. 72. Vgl. Williams: Melodrama Revised, S. 50. Vgl. dazu auch Gledhill: Melodramatic Field, S. 6. Williams: Melodrama Revised, S. 43. Vgl. hierzu auch Gledhill: Melodramatic Field, S. 34. Williams: Melodrama Revised, S. 44. Vgl. auch Gledhill: Signs of Melodrama, S. 207. Für eine längere Darstellung der Forschungsgeschichte zum Filmmelodram vgl. John Mercer/Martin Shingler: Melodrama. Genre, Style, Sensibility
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klassische Hollywoodfilm zum Melodramatischen tendierte, wurden als ästhetische Rückfalle in die Stummfilmzeit gewertet, war es dem ohnehin melodramatischen Stummfilm doch aufgrund technischer ›Limitationen‹ nicht möglich, den mit dem Tonfilm etablierten ›Realismus‹ zu konstruieren151: »These constraints placed an emphasis on gesture, dramatic action, and expression through visual meaning that is reminiscent of the theatrical melodrama. Even the tableau’s elongation of time is reflected in the cinematic convention of intercutting between looks and gestures within a scene, extending the possibilities for audience reading and interpretation. This cinematic style survived, along with musical accompaniment, expression through color and lighting and mise en scène so that the popular cinema is suffused with the traditions of melodrama far beyond the particular genre that has inherited its name.«152
Die positive Auslegung erfuhr der für den Woman’s Film vermeintlich spezifische Exzess erst – wie Linda Williams anhand einer historischen Überblicksdarstellung ausführt – »when excess could be deemed ironic and thus subversive of the coherence of mainstream cinema«.153 In einem auf Realismus großen Wert legenden Genre wie dem Gangsterfilm, der kriminelle wie persönliche Tabubrüche zum Sujet nimmt, entwickeln sich Momente formalen Überflusses (wie gerade im hochdramatischen, actionreichen klassischen Gangsterfilm) beziehungsweise Understatements (in der ruhigeren, bedächtigeren GODFATHER-Serie) aber nicht selten aus der Filmnarration. Das Melodramatische bewirkt in diesen Genretexten keine antirealistischen Effekte, sondern dient ihrem fortlaufend ausgestellten Realitätsanspruch: »[In genres such as these] melodrama lives inside of realism – it is part and parcel of the realist project rather than its radical other«.154 Diese historisch dynamischen Gender-Konnotationen des Melodrams illustrieren also wie frühere semantische Besetzungen an den Kategorien haften und mit neuen Definitionen in einen erhellenden Dialog treten können. »[Hence, by r]evealing patterns or usages lost to view, [the critic is able] to trace the movements of cultural history, carried forward or intruding into the present, revealing hidden continuities and transformations working under new or disguising names.«155 Aus der konstitutiven Hybridität und Historizität von Genretexten folgt allerdings nicht, dass man Genrekategorien als populäre und wissenschaftli-
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(Short Cuts), London/NY: Wallflower 2004; Jacky Bratton/Jim Cook/Christine Gledhill (Hg.): Melodrama. Stage, Picture, Screen, London: BFI 1994. Vgl. Gledhill: Melodramatic Field, S. 34. Vgl. dazu auch Williams: Melodrama Revised, S. 50. Mulvey: Inside and Outside the Home, S. 73. Williams: Melodrama Revised, S. 43. Kelleter/Mayer: Melodramatic Mode, S. 11. Vgl. hierzu auch Williams: Melodrama Revised, S. 59. Gledhill: Rethinking Genre, S. 227. Vgl. auch ebd., S. 232, 226f.
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che Orientierungseinheiten für überkommen erklärt. »[Because they] enjoy a level of prestige that cannot easily be matched by other concepts or terms. [Genre remains] a familiar, broad-based, sanctioned and therefore powerful term.«156 Stattdessen steht wie bei der Frage nach den soziokulturellen Ursprüngen und Funktionen von Gender-Konventionen im Subjekt157 die Erörterung des stets kulturhistorisch zu situierenden Zusammenspiels von Genre-Konventionen, ihrer Verwerfungen und Interdependenzen im Mittelpunkt neuerer Genrestudien.158 So liegt der Erkenntniswert der Bezeichnung eines Textes als ›Gangsterfilm‹, ›Melodram‹ oder auch als ›Gangster Melodrama‹, wie bei jedem Genrebegriff, »neither [in] its narrowness nor its inclusiveness; it [lies in] its ability to raise questions that illuminate its members: […] the question they raise is not whether or not a particular film is a member of a given genre, but how rewarding it is to discuss it as if it were«.159
D ER G ANGSTER IM M ALE M ELODRAMA: K RISENDISKURS ›M ANN ‹ Nur weil THE SOPRANOS den Einfluss feministischer Ideen auf die westliche Kultur reflektieren, indem sie ein größeres Ensemble von Frauenfiguren und weiblich konnotierte Genre-Konventionen ins Gangstergenre inkorporieren, ist noch von keiner Umschrift eines in seinen patriarchalen Strukturen maßgeblich misogynen Filmgenres zu sprechen.160 Kommen in den männerbündischen Sinnstrukturen der Mafia doch »tiefsitzende Ängste vor dem Weiblichen zum Ausdruck«,161 die sich auch bis weit hinein in das monolithische Selbstverständnis des Mafioso und in die Lebens- und Geschäftsprinzipien seiner Gang verästeln. Mit dem Rekurs der Serie auf den Gangsterfilm spielt die Serie somit weiterhin in einer archaischen, phallozentrischen Subkultur, »which subjects women, whether mobsters’ wives or not, to abusive relati-
156 Altman: Film/Genre, S. 71. 157 Judith Butler warnt ausdrücklich: »To claim that the subject is itself produced in and as a gendered matrix of relations is not to do away with the subject, but only to ask after the conditions of its emerge and operation« (Bodies That Matter: On the Discursive Limits of »Sex«, New York: Routledge 1993, S. 7). 158 Vgl. u.a. Liebrand: Gender-Topographien; dies./Steiner: Hollywood hybrid; Katrin Oltmann: Remake|Premake. Hollywoods romantische Komödien und ihre Gender-Diskurse, 1930-1960, Bielefeld: Transcript 2008. 159 Leitch: Crime Films, S. 17. 160 Vgl. Lee: The Ghost of Gary Cooper, unter: http://www.barnard.edu/sfonline/ hbo/lee_01.htm, l.A.: 01.03.11. 161 Bernd Widdig: »›Ein herber Kultus des Männlichen‹: Männerbünde um 1900«, in: Walter Erhart/Britta Herrmann (Hg.): Wann ist der Mann ein Mann?, Stuttgart/Weimar: Metzler 1997, S. 235-248, hier S. 235.
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ons, especially domestic ones«.162 Wie ihre Prätexte fokussiert also auch die Serie ihren Protagonisten163 und reproduziert das phallokratische Regelwerk der Gang, die in der Regel als »clear-cut, structured, male«164 repräsentiert wird. Der Gangster konstruiert sich seine Identität – nach der Begrifflichkeit Jacques Lacans – vor allem durch die phallokratische symbolische Ordnung, dem »big Other«: »[Since] being a gangster is a way of establishing an identity by incorporation into a group ([it] is intersubjective, requiring the approval of the Other: the crew, the boss […], and ultimately, the big Other constituted by the law of the Mob)«.165 In dieser soziokulturellen Ordnung wird das Weibliche zum Attribut des anderen Geschlechts, zum ›Abjekten‹ erklärt und auf Frauen projiziert, um das männliche Selbstbild, das erst mit der Akzeptanz des väterlichen Gesetzes hervorgegangen ist, nicht zu stören. Wie Julia Kristeva in ihrer Anwendung des Lacanschen Modells schreibt: »[L]aws [and] structures of meaning govern and condition [the subject]. [A]n Other who precedes and possesses [it], and through such possession causes [it] to be. A possession previous to [its] advent: a being-there of the symbolic that a father might or might not embody. […] [The abject] disturbs identity, system, order. [It] does not respect borders, positions, rules. […] [and] if someone personifies abjection without assurance of purification, it is a woman, ›any woman‹, the ›woman as a whole‹.«166
Die ›abjekte Gefahr‹ der Frau für die männliche Ordnung, wie es dieses psychoanalytische Modell konstruiert, hat den soziokulturellen Ausschluss des Weiblichen zur Folge, »[i.e.,] through the constitution of viable subjects and through the corollary constitution of a domain of unviable (un)subjects«.167 Im Gangstergenre konkretisiert sich dieses ungleiche Geschlechterverhältnis in der Herausbildung eines Männerbundes im Zentrum des Milieus (und des Genres), der nach einem traditionellen Männlichkeitsmodell zu handeln versucht, und der simultanen Ausgrenzung von Frauen und effeminierten Männern, die an dieses Ideal einer machtvollen Männlichkeit nicht heranreichen können. »[Accordingly,] sexual difference is ultimately a matter not simply
162 Donatelli/Alward: Married to the Mob, S. 67. 163 Seltener beachtete, weil wenige Ausnahmen bilden US-Gangsterfilme, in denen Frauen die Hauptrolle spielen: MARKED WOMAN (1937, R: Lloyd Bacon) oder LADY SCARFACE (1941, R: Frank Woodruff). Und bei LADY GANGSTER (1942, R: Robert Florey) handelt es sich trotz seines Titels um einen Gefängnisfilm. 164 Traister: Chick show, unter: http://dir.salon.com/story/mwt/feature/2004/03/06/ carmela_soprano/index.html, l. A.: 01.03.11. 165 D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 648. Vgl. dazu auch Langford: Hollywood and Beyond, S. 142f. 166 Julia Kristeva: Powers of Horror: An Essay on Abjection, übers. von Leon S. Roudiez, New York: Columbia UP 1982, S. 10, 4, 85. 167 Butler: Imitation and Gender Insubordination, S. 20.
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of denying the male’s ›similitude‹ to the female but of his risking feminization and hystericization in order to achieve mastery and control.«168 Der Mann konstituiert sich also seine Männlichkeit in der Differenz zum Weiblichen, muss aber fortwährend darum fürchten, diese Differenz in sich selbst wiederzufinden: »[This kind of] projected abjection that sponsors the othering of woman [stems from] a system of gender relations involving phobia, dominance and displacement«.169 Sie liegt in der kulturellen Auffassung der Frau als eine sexuelle Differenz begründet, deren Fehlen des männlichen Glieds dem männlichen Subjekt die Gefahr der Kastration andeutet,170 den Verlust des metaphorischen Phallus und seiner durch diesen primären Signifikanten gesicherten soziokulturellen Hegemonie. Die Darstellung von Frauen im Gangstergenre bedient deshalb auch die Madonna-Hure-Dichotomie: »of virgin (mothers, sisters) and femme fatale (sophisticated molls, ›broads‹ who ›put out.‹ […] Establishing the woman as inferior ›other‹ emerges as a generic necessity; for it is against her that the film gangster can define himself«.171 Von einer Subversion des Gangsterfilms durch THE SOPRANOS kann man also nur sprechen, würde man das »ideological project« des Genres mit dem des Horrorfilms gleichsetzen: »an attempt to shore up the symbolic order by constructing the feminine as an imaginary other that must be repressed and controlled in order to secure and protect the social order«.172 Die Männlichkeiten, die im Gangstergenre inszeniert werden, problematisieren diese Lesart aber. »[For it is] informed by the poststructuralist feminist definition as the almost-but-not-quite, an ideal that seems attainable yet is always out of reach«.173 Die vermeintlich kohärente Geschlechtsidentität des Gangsters wird immer wieder destabilisiert durch »depictions of the social constructed-ness of femininity and masculinity, and the conflicts, negotiations, performances, and power imbalances that these social constructions generate«.174 Im Gangstergenre sind es – in Ermangelung prominenter Frauenfiguren – also oft die Männer, die in Gefahr sind, als nicht vollwertig, als ›nicht männlich genug‹ von anderen ausgegrenzt zu werden. Die Hypervirilität des Gangsters ist demzufolge nur wenig mehr als der panische Versuch, sich mit Gewalt einer machtvollen, dezidiert ›männlichen‹ Diskursposition
168 Tania Modleski: Hitchcock and Feminist Theory, New York/London: Routledge 1988, S. 38. 169 Deborah Caslav Covino: »Abject Criticism«, in: Genders Online Journal, unter: http://www.genders.org/g32/g32_covino.html, l.A.: 01.03.11. 170 Vgl. Mulvey: Visual Pleasure and Narrative Cinema, S. 753. 171 Akass/MacCabe: Female Narrative Authority, S. 147. 172 Barbara Creed: »Horror and the Monstrous-Feminine: An Imaginary Abjection«, in: Barry Keith Grant (Hg.): The Dread of Difference, Austin: Texas University Press 1996, S. 35-65, hier S. 63. 173 Lee: The Ghost of Gary Cooper, unter: http://www.barnard.edu/sfonline/hbo/ lee_01.htm, l.A.: 01.03.11. 174 Ebd.
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zu versichern, was aber nicht selten zu einer hysterischen Genderperformanz voll übersteigertem Handlungswillen und exzessiver Gewalt führt. Die dabei symptomatisch erkennbar werdenden ideologischen Brüche formen das gemeinsame Sujet von zwei prominenten, unterschiedlichen Hollywoodgenres. »[For, on the one hand, the] exaggerated deployment of conventional gender signifiers offer […] fruitful ground for comedy, [using the comic departures from socio-cultural norms to] provide revealing insights into the underlying and often taken-for-granted assumptions of the society in question«.175 Und zum anderen ist es das Melodram, das thematisch an dem psychischen Exzess interessiert ist, der soziale Schranken stört. Entscheidend ist, dass der Exzess zu einer dramatischen Destabilisierung patriarchaler Denkstrukturen und so zu dem Kontrollverlust des vermeintlich souveränen Gangsters führt. Daher wird der Gangster in THE SOPRANOS – in einer Anfangsszene, die die patriarchalen Machtverhältnisse aus der ersten Szene in THE GODFATHER aufruft und invertiert, – auch nicht von ›Geschäftspartnern‹ oder hilfsbedürftigen Immigranten aufgesucht, sondern ist selbst derjenige, der sich hilfesuchend in die Obhut einer Therapeutin begibt. »They were depressed«, so Series Creator176 David Chase, geistiger Urheber der SOPRANOS, über die Mafiosi der GODFATHER-Reihe, »they needed therapy. And they never got it.«177 Mit ihrer therapeutischen Ausgangskonfiguration sei die Serie somit befähigt, »[to] strip[..] the mob myth of any residual romanticism. […] While lionizing family, and particularly fathers, had been the original effect of the Mafia genre, deconstructing the patriarchal model and exposing its every crack was now the genre’s new mission«.178 Dieser »original effect« gründet aber auf einer bisherigen Fehllektüre des Gangstergenres als Konsolidierung patriarchaler Strukturen. Eine Relektüre mit den SOPRANOS berichtigt diese Auffassung: Das Gangstergenre zeigt demnach ein phallokratisches System, das – selbst auf der Höhe der Macht – stets kurz vor einem Kollaps steht. Es ist eine Gesellschaftsordnung in beständiger Gefahr der Implosion durch die psychischen Schwächen der für ihr Fortbestehen verantwortlichen Männer, die sich in Form von Melancholie, Einsamkeit und Paranoia präsentieren. So ist das Gangstergenre, dessen düster-ironische Rhetorik und apokalyptisch-zynische Atmosphäre die Vermittlung positiver Werte erschwert,179 stets bestimmt von der Ohnmacht und dem Pathos seiner hysterischen Kri-
175 King: Film Comedy, S. 139, 17. 176 Mit ›Series Creator‹ wird der Erfinder einer Fernsehserie bezeichnet. Es ist keine genau definierte Berufsbezeichnung, da sie als Oberbegriff für diverse kreative Tätigkeiten in der Fernsehproduktion verwendet wird. So ist David Chase in erster Linie ausführender Produzent, aber mitunter auch Regisseur und Autor für THE SOPRANOS und bestimmt über den ›final cut‹ jeder einzelnen Folge. 177 Chase/Bogdanovich: DVD Interview, Season One. 178 Camon: The Mafia, unter: http://dir.salon.com/story/ent/feature/2005/03/08/ mafia, l.A.: 01.03.11. 179 Vgl. Klinger: Progressive Genre, S. 81.
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senmänner. »[Which correlates rather strikingly with t]he typical masochism of melodrama, with its incessant acts of inner violation, its mechanisms of frustration and overcompensation«.180 Das Gangstergenre handelte also immer schon von unsicheren Männern, die in vermeintlich heilsame Homosozialität, kurze kathartische Gewaltexzesse und blinde bacchantische Genusssucht fliehen, um sich die beunruhigend fragile Ordnung ihres kollabierenden Imperiums nicht einzugestehen. Das männerbündische Denken, das im Gangstergenre prominente Verhandlung findet, ist »zutiefst defensiv, seine Aggressivität und Kompromisslosigkeit speist sich aus dem Gefühl eines drohendes Verlustes von Identität und einer Endzeit-Stimmung«.181 Die Ironie besteht nun gerade darin, dass sich das System im Unterschied zum einzelnen Gangster regenerieren kann und von der folgenden Generation noch brutaler weitergeführt wird. Nicht die traurigen Männer, die eine Melancholie äußern, »[that] is central to those films and genres that depict male characters in the context of emasculation, masochism, repression and containment«182, und denen ein enormes Maß an Empathie entgegengebracht wird, stehen hier also am Pranger, sondern das System, das sie repräsentieren wollen und/oder müssen. Die Melancholie dieser Männergeschichten steht für »[…] ein Verhältnis des Mannes zum Patriarchat. Anders als die Hysterikerin [kann] der Mann dieses Verhältnis aber nicht als eines der Verweigerung ausgestalten. Männliche Erfahrungen der Kluft zwischen sich und dem Patriarchat erzeugen das typisch melancholische Leiden »an der Welt«, das deshalb so schwer zu dechiffrieren ist, weil es weder einem einfachen Verweigerungsverhältnis, noch einem bloßen männlichen Versagen entspringt, sondern einer diffusen, ambivalenten »Haß-Liebe« zu Macht, Herrschaft und Gewalt.«183
Das US-Gangstergenre lässt sich demnach als eine Chronik des Scheiterns patriarchaler Gesellschaftssysteme auslegen, die vom Untergang hegemonialer Männlichkeiten erzählt und sich dafür an bedeutenden soziokulturellen Umbruchspunkten amerikanischer Geschichte des 20. und frühen 21. Jahrhunderts verortet (Urbanisierung, Weltwirtschaftskrise, II. Weltkrieg, Kalter Krieg, Counterculture der 1960er und 70er, und Suburbanisierung). Wie das Melodram, das sich zeitgenössischer Probleme annimmt und sie personalisiert,184 problematisiert das Gangstergenre somit auch – »[by] bring[ing] the
180 Elsaesser: Family Melodrama, S. 374. 181 Widdig: Männerbünde, S. 235. 182 Mark Nicholls: Scorsese’s Men: Melancholia and the Mob, Melbourne: Griffin Press 2004, S. xii. 183 Edgar J. Forster: »Melancholie und Männlichkeit. Über männliche Leidensgeschichten«, in: Marie-Luise Angerer (Hg.): The Body of Gender. Körper, Geschlechter, Identitäten, Wien 1995: Passagen, S. 69-90, hier S. 71. 184 Vgl. Williams: Melodrama Revised, S. 53.
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plot to the brink of a social breakdown«185 – wiederholt die Fragilität des dezidiert patriarchalen Milieus, das es porträtiert, und metatextuell sein ideologisches Fortbestehen als ein konventionelles ›Männergenre‹. Die Hypervirilität des klassischen Filmgangsters wäre demnach auch als ein Beispiel für die hysterische Trotzreaktion des Mannes auf die Zersetzung seiner männlichen Hegemonie während der »Great Depression« zu betrachten.186 »[In so far as, a culture’s implicit] search for a transcendent, timeless definition of manhood is [most often symptomatic of] a sociological phenomenon [taking place] during moments of crisis, those points of transition when old definitions no longer work and new definitions are yet to be firmly established.«187 Auch THE SOPRANOS beteiligen sich als ein postfeministisches Male Melodrama an einem zeitgenössischen »Krisendiskurs ›Mann‹«, der sich nach Ines Kappert »seit den 1990er Jahren verstärkt […] in westlichen Industrieländern artikuliert«188 und den sie vor allem an amerikanischen Mainstreamfilmen um 2000 über männliche Identitätskrisen illustriert, wie zum Beispiel FIGHT CLUB189 und AMERICAN BEAUTY190. Der postmoderne, von seiner pas-
185 Hayward: Key Concepts, S. 147. 186 In John Steinbecks The Grapes of Wrath (1939), dem klassischen Roman über die Folgen der Weltwirtschaftskrise, vollzieht sich ebenso ein Machtwechsel in der zentral porträtierten Familie der Joads: Die ungleich willensstärkere Ma Joad übernimmt im Lauf der Handlung die Führung der Familie vom arbeitslosen Pa Joad und dominiert am Ende der epischen Geschichte auch die Handlung. 187 Michael S. Kimmel: »Masculinity as Homophobia. Fear, Shame, and Silence in the Construction of Gender Identity«, in: Harry Brod/Michael Kaufman (Hg.): Theorizing Masculinities: Research on Men and Masculinities, London: Thousand Oaks 1994, S. 119-141, hier S. 120. Vgl. dazu auch Siegfried Kaltenecker: Spiegelformen: Männlichkeit und Differenz im Kino, Frankfurt a.M.: Stroemfeld 1996, S. 20f. 188 Ines Kappert: »›Ja, ich gebe ihn auf.‹ Rekonfigurationen von normativer Männlichkeit«, in: Figurationen. Gender – Literatur – Kultur 3 [H.1] (2002), S. 4764, hier S. 48. Vgl. zum ›Krisendiskurs Mann‹ im US-Mainstreamfilm der 90er und 2000er: Nicola Rehling: Extra-Ordinary Men. White Heterosexual Masculinity in Contemporary Popular Cinema, Lanham, MD, Plymouth: Lexington 2009, sowie auch Kathrin Mädler: Broken Men. Sentimentale Melodramen der Männlichkeit im zeitgenössischen Hollywood-Film, Marburg: Schüren 2008. 189 FIGHT CLUB, USA 1999, R: David Fincher. In dieser kontrovers besprochenen Verfilmung von Chuck Palahniuks Roman spricht auch der schizophrene Protagonist Tyler Durden von einer existentiellen ›Depression‹ am Ende des Millenniums und dem frustrierenden Mangel einer ›ursprünglicheren‹, virileren Männlichkeit im postmodernen Amerika der 90er: »Man, I see in Fight Club the strongest and smartest men who’ve ever lived. I see all this potential, and I see squandering. God damn it, an entire generation – pumping gas, waiting tables – slaves with white collars. Advertising has us chasing cars and clothes, working jobs we hate so we can buy shit we don’t
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siven Rolle als Konsument oder der biederen Vorstadt ›effeminierte‹ Mann wird in diesen beiden Filmen zu einer tragikomischen Figur. Als ein vorläufiger (genre-)historischer Endpunkt, als ein ›Fin-de-Siècle-Gangster‹191 seines Genres und einer US-Subkultur reiht sich Tony Soprano, dessen erster Auftritt auch 1999 erfolgte, nahtlos in diese prominente Riege beängstigender wie komischer, mitunter anrührender Krisenmänner ein. Beunruhigend an diesen Männlichkeitstypen ist, dass sie auf die Effeminierung in traditionell weiblichen Rollen und Räumen mit extremer Gewalt reagieren. Amüsant ist ihre Nostalgie für eine vergangene Ära männlicher Hegemonie, die in der retrospektiven Kohärenz im Grunde nie existiert hat. Und bewegend ist ihr Eingeständnis eines Kontroll- und Identitätsverlusts, der sie emotional aufwühlt. Kappert zählt zu einem der »wesentlichen Merkmale des Krisendiskurses« die Klage des Mannes, die »von einer Rhetorik der Melancholie [getragen wird], die nicht selten ins Lamento kippt [und] jeweils einen Positions- und letztlich Machtverlust [artikuliert]«.192 Der Rhetorik bedient sich auch Tony Soprano in einer seiner ersten – ärztlich verordneten (»They said it was a panic attack. […] And they sent me here.«) – Therapiesitzungen: TONY SOPRANO:
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Nowadays, everybody’s gotta go to the shrinks and counselors, and go on Sally Jessy Raphael and talk about their problems. Whatever happened to Gary Cooper? The strong, silent type? That was an American. He wasn’t in touch with his feelings. He just did what he had to do. See, what they didn’t know is, once they got Gary Cooper in touch with his feelings, that they wouldn’t be able to shut him up. And then it’s dysfunction this, and dysfunction that, and dysfunction – va fungool!193
need. We’re the middle children of history, man. No purpose or place. We have no Great War. No Great Depression. Our Great War’s a spiritual war... our Great Depression is our lives. We’ve all been raised on television to believe that one day we’d all be millionaires, and movie gods, and rock stars. But we won’t. And we’re slowly learning that fact. And we’re very, very pissed off.« AMERICAN BEAUTY, USA 1999, R: Sam Mendes. Vgl. Ingrid Walker: »Family Values and Feudal Codes: The Social Politics of America’s Fin-de-Siècle Gangster«, in: Silver/Ursini (2007): Gangster Film Reader, S. 380-405. Kappert: Rekonfigurationen, S. 60. »Va fungool« ist ein sizilianischer Slangausdruck und bedeutet im Englischen soviel wie »go fuck yourself«. Diese und alle im Folgenden erläuterten italienischen Wörter und Redewendungen sind, falls nicht anders angegeben, aus folgenden Quellen: Greg Gagliano: »A Viewer’s Glossary for Italian, Southern Italian, Sicilian Dialect Phrases and Naughty Words«, in: GGJaguar’s Guitarium & Ampeteria, unter: http://www.ggjaguar.com/glossary.pdf, l.A.: 01.03.11.
68 | G ANGSTER M ELODRAMA DR. JENNIFER MELFI:
You have strong feelings about this. (s01e01: »The Sopranos«)
Der Gangster präsentiert sich hier als ein verunsicherter Mann, der sich über den ruinösen Zustand traditioneller Männlichkeit im zeitgenössischen Amerika empört. »Was einstmals als wahre Männlichkeit galt, wird nun vielerorts schlicht als pathologischer Zustand projiziert, der ursächlich ist für die Verrohung der Gesellschaft und alles Unglück der Welt.«194 Den Grund dafür sieht Tony in einer übermäßigen Beschäftigung mit dem Selbst, das von psychotherapeutischen Einrichtungen wie Dr. Melfis Praxis und Talkshows wie SALLY JESSY RAPHAEL195 genährt wird. »[Revering instead] the stoic, autonomous, and assuredly heterosexual male ideal embodied by Gary Cooper, [he derides] a culture that fetishizes victimhood and implicitly has become more feminized«.196 Zugleich ist sich Tony aber sehr wohl darüber bewusst, dass das hypervirile Ideal Coopers lediglich eine Emotionalität verdeckte, die stets drohte auszubrechen – wie es bei ihm selbst der Fall ist, als er sich gegen die Thematisierung seiner Innerlichkeit zu wehren versucht. Ein Mann hat sich Tony zufolge aber nicht mit sich selbst zu beschäftigen. Er soll seine ihm aufgetragene Aufgabe ausführen und nicht darüber reflektieren, er soll handeln und nicht reden. Dies gilt vor allem für den Mafioso, der sich dem Schweigegebot der Omertà197 verschrieben hat. Diese unmissverständliche ›Berufspflicht‹, die die Gangmitglieder dazu anhält, keine Aussagen über ihre Organisation zu machen, beschäftigt auch Tony: »Look, it’s impossible for me to talk to a psychiatrist.« Ein Mann, der sich zu vieler Worte bedient, um seine Handlungen zu rechtfertigen, ist für einen Mafioso kein ›richtiger‹ Mann. Und wenn er zu reden hat, dann hat er sich der lakonischen Rhetorik eines ›tough guys‹ zu bedienen, »[which] stands for selfsufficient confidence about expressing sensibility, having been taught that fine feelings are for women«.198 Als Dr. Melfi den Patienten daran erinnert,
194 Sabine Sielke: »›Crisis? What Crisis?‹ Männlichkeit, Körper, Transdisziplinarität, in: Jürgen Martschukat/Olaf Stieglitz (Hg.): Väter, Soldaten, Liebhaber. Männer und Männlichkeiten in der Geschichte Nordamerikas. Ein Reader, Bielefeld: Transcript 2007, S. 43-61, hier S. 45. 195 SALLY JESSY RAPHAEL, USA 1983-2002, NBC. 196 Lee: The Ghost of Gary Cooper, unter: http://www.barnard.edu/sfonline/hbo/ lee_01.htm, l.A.: 01.03.11. 197 Der Begriff »Omertà« stand ursprünglich für eine souveräne Form männlicher Selbstbehauptung wie sie auch heute noch im Süden Italiens gepflegt wird. In der Praxis realisiert sich diese antiautoritäre Einstellung des Einzelnen gegenüber fremden Machtsystemen in einer Verschwiegenheit und einem Misstrauen gegen allem außerhalb der Familieneinheit. Erst später entwickelte sich dieses Credo zum Grundprinzip der Mafia (vgl. D’Acierno: Cultural Lexicon, S. 743). 198 Rupert Wilkinson: American Tough: The Tough-Guy Tradition and American Character, Westport: Greenwood Press 1984, S. 13.
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dass er seinem Arzt anvertraut hatte, an Depressionen zu leiden, versucht er, seinen Gefühlen von Scham, Verletzlichkeit und Wut auszuweichen: »Melfi. What part of the boot you from, hon’?« Statt sich seine Probleme einzugestehen, beginnt er also die Beziehung zu der Psychiaterin trotz ihres Einspruchs (»Doctor Melfi.«) auf ihre gemeinsame italienische Herkunft hin zu sexualisieren und sie mit seinem aggressiven Charme zu entwaffnen: »My mother would’ve loved it if you and I got together.« Als sie darauf nicht reagiert und dieselbe Frage mehrmals wiederholt (»Do you feel depressed?«), bleibt ihm nur noch die Flucht aus der beklemmenden Enge der Praxis. Der Mafioso wird in der Serie so zu einem Mann »[who] begins to lose a traditional Italian sense of manhood by first talking about his work, and second by talking about it with a woman«.199 Sein Nachname scheint es Tony Soprano allerdings geradezu ›aufzuzwingen‹, offen über sich auf der höchsten Stufe der menschlichen Tonleiter zu ›singen‹. Schlimmer noch: Dr. Melfis unmittelbarer Befund, er habe »strong feelings about this«, weist ihm zudem eine sentimentale Sprechposition zu, deren agency sich in einer melodramatischen Rhetorik der Klage über seine persönlichen Unzulänglichkeiten und seiner Sehnsucht nach einer vermeintlich stabileren Vergangenheit erschöpft. Tony tritt dabei wie die sensiblen, leidenden Helden der Filmmelodramen der 1950er Jahre »in eine monologische Innerlichkeit zurück, die man sonst nur von den empfindsamen Heroinen des Melodramas kennt«.200 Der Patient verortet die Sehnsucht nach einer ›authentischeren‹ Form der Männlichkeit ausgerechnet in »a cinematic world where heroes had defined goals«201 und die um einen klassischen Hollywood-Star gebaut ist, der lediglich äußerst virile, individualistische Filmfiguren gespielt hat.202 Wenn über-
199 Gardaphé: Suburban Trickster, S. 100. Eine italienische Redensart lautet sogar: »Le parole sono femmine; I fatti sono maschi, [i.e., w]ords are feminine; actions are masculine« (ebd., S. 101). Die Situation wird dadurch verschlimmert, dass sein Hausarzt Dr. Bruce Cusamano über Tonys Schwächen zu einer Frau gesprochen hat, was Tony als homosozialen Verrat an seiner Person registriert. 200 Kappelhoff führt den Gedanken so aus: »Nicht, daß diese empfindsamen Helden ohne Vorläufer waren. Das Leiden gehört den männlichen Helden ebenso zu wie den weiblichen die Leidenschaft. Aber seine symbolischen Paradigmen sind nicht die Zeichen der stummen Empfindung – das verschwiegene Gesicht, die empfindungsvolle Geste –, sondern die physische Wunde, die Verletzung im Kampfgetümmel, der Schrei des Schmerzes und die dumpfe Melancholie am Ende einer verlorenen Schlacht.« Kappelhoff: Matrix der Gefühle, S. 251. 201 Akass/MacCabe: Female Narrative Authority, S. 152. 202 Gary Cooper war auf Figuren abonniert, die den Individualismus idealtypisch verkörpern, gleich in welchem Genre sie auftreten: ob in Frank Capras romantischen Komödien MR. DEEDS GOES TO TOWN (1936) und MEET JOHN DOE (1941) oder im Liebesmelodram THE FOUNTAINHEAD (1949, R: King Vidor). Seine berühmteste Rolle ist die des Marshals Will Kane, der im Western HIGH NOON (1952, R: Fred Zinnemann) stoisch und pflichtbewusst dem Showdown
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haupt müsste Coopers Performanz idealtypischer Männlichkeiten Tony also zu verstehen geben, »[that] gender is a performance that produces the illusion of an inner sex or essence or psychic gender core; it produces on the skin, through the gesture, the move, the gait (that array of corporeal theatrics understood as gender presentation), the illusion of an inner depth«. 203 Im Dialog mit seiner Analytikerin wird die Klage des Patienten über den Werteverlust der Mafia bald auch auf die gesamte Nation ausgeweitet (Tony: »It’s good to be in something from the ground floor. And I came too late for that, I know. But lately I’m getting the feeling that I came in at the end. The best is over.« – Dr. Melfi: »Many Americans, I think, feel that way.«). Wenn Dr. Melfi ihrem mafiösen Patienten versichert, seine persönliche Lebenskrise spiegele eine zeitgenössische Krisentendenz in der gesamten amerikanischen Gesellschaft, dann setzen THE SOPRANOS eine weitere Tradition des Gangstergenres fort, »[i.e., the] treatment of the Mob as an analogy for the American endeavor in its entirety«.204 Dieser Analogie bedient sich auch Tony, als er den Verlust hegemonialer Männlichkeit (»Whatever happened to Gary Cooper?«) mit einem Verlust amerikanischer Werte (»That was an American.«) gleichsetzt und seine im Vergleich defizitäre Performanz beklagt. »In typical gangster fashion, [then], Tony sees imperfect performance, the focus of which for him is his anxiety attacks, as his central dilemma«.205 THE SOPRANOS sind als ein melodramatischer Text geradezu durchsetzt von »stories of loss and of past(s), historical, personal, familial, imperial, mythic, and filmic that are no more«.206 Die »feelings of loss«, die Dr. Melfi Tonys elegischer Rhetorik entnimmt, gruppieren sich nicht ohne Grund um seinen toten Vater, dessen patriarchales Modell er unbeirrt fortzuführen versucht. Die Geschichte der Mafia war immer schon: »a history of fathers (or father figures), which starts with biblically powerful models and ends in crisis and extinction«.207 Tonys idealisierender Verweis auf Coopers ikonische Männlichkeit spiegelt sich in der melancholischen Beschwörung einer früheren Ära mafiöser Berufsethik, repräsentiert von seinem Vater, der, so Tony, zwar nie den mafiösen Status seines Sohnes erreichte, aber: »in a lot of
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entgegensieht. Zumindest wirkt es so nach außen hin, während Kane hinter seiner souveränen Fassade die gesamte Handlung hindurch mit seiner womöglich suizidalen Entscheidung hadert. Auf Gary Cooper und auf diese konkrete Rolle werden sich auch noch spätere Folgen der SOPRANOS wiederholt beziehen. Butler: Imitation and Gender Insubordination, S. 28. Walker: Cunnilingus and Psychiatry, S. 112. Nochimson: Dying to Belong, S. 192. Michael Calabrese: »From Troy to 95 Lincoln Place, Irvington, N.J.: A Virgilian Reading of The Sopranos Underworld«, in: Thomas Fahy (Hg.): Considering David Chase: Essays on The Rockford Files, Northern Exposure, and the Sopranos, Jefferson, NC: McFarland 2007, S. 196-212, hier S. 196. Camon: The Mafia, unter: http://dir.salon.com/story/ent/feature/2005/03/08/ mafia, l.A.: 01.03.11.
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ways […] had it better [because he at least] had his people [who] had their standards, they had pride. Today what do we got?« Während sich Tony mit der Klage einer Generation der Zuspätgekommenen ohne Werte anzugehören auf die Mafia bezieht, weiten THE SOPRANOS die Trauer über eine nachteilige historische Position selbstreflexiv auf ein Mediengenre aus, »that was once perhaps more morally stable and secure than it can ever be today«.208 Hierbei wird intermedial »über das aufgerufene System und dessen Regeln geredet oder reflektiert, oder aber Elemente und Strukturen des Systems [werden] reproduziert«209: So besteht ein nicht unwesentlicher Teil der mafiösen Machenschaften in der Serie darin, komplizierte Situationen und Rituale mit Bezug auf ähnliche Vorkommnisse in den GODFATHER-Filmen auf ihre Originalität und Richtigkeit zu prüfen, während die symbolträchtige Mise-en-scène der Serie berühmte Bildkompositionen des Gangsterfilms rekreiert. Was Neale für die Spätwestern Sam Peckinpahs konstatiert hat, trifft auch auf THE SOPRANOS und die Genre-Prätexte zu: »[They are] shot through with nostalgia, with an obsession with images and definitions of masculinity and masculine codes of behaviour, and with images of male narcissism and the threats posed to it by women, society, and the law.«210 Wenn also Männlichkeit, »existing at the threshold between fixity and annihilation, between identity and nonidentity«,211 in den SOPRANOS nach der Genre-Tradition zum Problem wird, das die Psychoanalyse nun entmystifizieren soll, dann werden dadurch auch die Gender-Konventionen des Mainstreamfilms invertiert, »[which] constantly take[s] women and the female image as its object of investigation [and] rarely investigated men and the male image in the same […] way: women are a problem, a source of anxiety, of obsessive enquiry; men are not. […] Masculinity, as an ideal, at least, is implicitly known. Femininity is, by contrast, a mystery.«212
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Creeber: TV Ruined the Movies, S. 125. Rajewsky: Intermedialität, S. 66 Neale: Masculinity as Spectacle, S. 15. Maurice Berger/Brian Wallis/Simon Watson: »Introduction«, in: dies. (Hg.): Constructing Masculinity, NY: Routledge 1995, S. 1-7, hier S. 1. Vgl. zum noch jungen Forschungsfeld der Men’s Studies: Claudia Benthien/Inge Stephan (Hg.): Männlichkeit als Maskerade. Kulturelle Inszenierungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln: Böhlau 2003; Harry Brod/Michael Kaufman (Hg.): Theorizing Masculinities: Research on Men and Masculinities, London: Thousand Oaks 1994; Anthony Easthope: What a Man’s Gotta Do: The Masculine Myth in Popular Culture, London: Paladin Grafton 1986; Walter Erhart/Britta Herrmann (Hg.): Wann ist der Mann ein Mann? Zur Geschichte der Männlichkeit, Stuttgart/Weimar: Metzler 1997; Peter Lehman (Hg.): Masculinity. Bodies, Movies, Culture, NY: Routledge 2001; Brett E. Carroll (Hg.): American Masculinities: A Historical Encyclopedia, Thousand Oaks, CA: Sage 2003. 212 Neale: Masculinity as Spectacle, S. 19.
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Mögen bislang benachteiligte Sozialgruppen die graduelle Zersetzung patriarchaler Strukturen als »the death of a certain kind of father, a sign that the stern, law-giving patriarch is passing from the scene« begrüßen, reagieren der Gangster und das Gangstergenre eher mit Ambivalenzen gegenüber der Vaterfunktion: »[thus it] is nostalgically eulogized, combatively propped up, or turned into comic/lurid fodder.«213 Prognosen von Kulturkritikern – nicht selten angeregt durch die Selbstdemontage der SOPRANOS –, wie etwa, dass das »Gangstergenre in Film, Fernsehen und Populärliteratur in den letzten Zügen« läge,214 sind allerdings mit Skepsis zu betrachten. Von einer »Vergreisung des Genres«, deren Beginn US-Kulturkritiker Lee Siegel historisch an der Veröffentlichung von Mario Puzos Roman The Godfather (1969) verortet,215 kann man nicht unbedingt sprechen. Es stimmt durchaus, »[that] an awareness of the end will color its future«,216 doch der entscheidende Punkt ist dabei: Der Abgesang auf patriarchale Strukturen war stets konstitutiv für ein Genre, dessen Nostalgie für zunehmend antiquierte Gesellschaftsstrukturen zu seinem melodramatischen Basisprogramm gehört. »[V]eranschaulicht [doch] die Rückwärtsgewandtheit des Melodramas zunächst, daß ein bestehendes Normgefüge in eine fundamentale Krise geraten ist und diese Krise eine kulturelle Suchbewegung angestoßen hat.«217 Wie kulturelle Objektivationen der USA in den späten 1960ern handelt das Gangstergenre von Krisenmännern, »who are wounded by their power, their responsibilities, and indeed, by patriarchy itself«.218 Das Familienmelodram, »[which], as a genre geared specifically to women, functions both to expose [and] ›educate‹ women to accept […] the constraints and limitations [of] the capitalist nuclear family«,219 adressiert im Kontext des Gangstergenres also Männer und lädt zur Identifikation mit Männerfiguren ein: »The gangster [is more often
213 Camon: The Mafia, unter: http://dir.salon.com/story/ent/feature/2005/03/08/ mafia, l.A.: 01.03.11. 214 Lee Siegel: Das Abstoßende, S. 477. 215 Vgl. ebd. 216 Camon: The Mafia, unter: http://dir.salon.com/story/ent/feature/2005/03/08/ mafia, l.A.: 01.03.11. 217 Kappelhoff: Matrix der Gefühle, S. 40. 218 Sally Robinson: Marked Men: White Masculinity in Crisis, New York: Columbia UP 2000, S. 130. Die von Robinson detailliert behandelten amerikanischen Texte umfassen Romane wie John Updikes Rabbit-Serie (1960-2001), John Irvings The World According to Garp (1978), Stephen Kings Misery (1987) und Philip Roths My Life as a Man (1974), sowie Filme wie DELIVERANCE (1972, R: John Boorman) und THE PRINCE OF TIDES (1991, R: Barbra Streisand). 219 Kaplan: Is the gaze male?, unter: http://allyn.faculty.tcnj.edu/film/Kaplan_isthe gazemale.pdf, l.A.: 01.03.11.
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than not] a family man [offering] a means of obliquely exploring family life, free from the stigma attached to emotions and ›women’s entertainment‹.220
D ER G ANGSTER IM F AMILY M ELODRAMA : K RISENDISKURS ›F AMILIE ‹ In den klassischen Hollywood-Familienmelodramen der 1950er, in Filmen wie EAST OF EDEN (1955)221, BIGGER THAN LIFE (1956)222 und WRITTEN ON 223 THE WIND (1956) leiden die innerlich zerrissenen, sensiblen Protagonisten stets an Identitätskonflikten, ihren sozialen Schranken und ihren familiären Abhängigkeitsverhältnissen, gegen die sie nicht selten in einem selbstzerstörerischen Gestus anlaufen. Am Ende scheitern sie dann am Patriarchat oder müssen ein mitunter ironisches, von einem großen persönlichen Verlust gezeichnetes happy ending innerhalb der bestehenden Strukturen ihrer Lebenswelt annehmen.224 Im Unterschied zu der traditionell weiblichen Hauptfigur des Familienmelodrams, die anfangs gegen die repressiven Strukturen ihres Milieus rebellieren mag, aber sich letztlich mit ihrer bewährten Position innerhalb derselben zufrieden gibt,225 neigt der Gangster wie die hysterischen Männerfiguren des Melodrams des Öfteren dazu, gegen diese Sozialsysteme mit blinder, exzessiver Gewalt anzugehen. Das melodramatische Scheitern des Gangsters endet dann meist mit seinem endgültigen Ausschluss aus der Gesellschaft, ob nun durch eine Haftstrafe oder seinen Tod. Die Ambivalenz des Gangsters gegenüber dem Kollektiv, die Unvereinbarkeit seiner sehr autarken Einstellung mit seiner Abhängigkeit von familiären und beruflichen Gemeinschaftsstrukturen ist bereits in seiner Bezeichnung als Gangster evident, ist seine Identität doch im Unterschied zu dem in der Regel auf sich al-
220 Nochimson: Re-Reading, unter: http://www.filmquarterly.org/issue_5602_ right.html, l.A.: 16.02.08. 221 EAST OF EDEN, USA 1955, R: Elia Kazan. 222 BIGGER THAN LIFE, USA 1956, R: Nicholas Ray. 223 WRITTEN ON THE WIND, USA 1956, R: Douglas Sirk. 224 Vgl. Neale: Melodram und Tränen, S. 152. 225 Das prominenteste, meist angeführte Beispiel hierfür ist Douglas Sirks GenreKlassiker ALL THAT HEAVEN ALLOWS (1955), in der die Heldin am Ende zwar ihre – gesellschaftlich geächtete – Liebe findet, aber mit einen Schicksalsschlag in die Rolle gedrängt wird, der sie zuvor verzweifelt zu entkommen suchte. Als ihr Geliebter einen Unfall erleidet und der Pflege bedarf, ist sie wieder dort, wo sie begann: in der Position einer aufopferungsvollen Mutterfigur. »The ›happy ending‹ of melodrama is therefore achieved only at the cost of the repression of (female) desire but the need for melodrama to conform to some degree with the demands of realism […] means that this repression cannot be acknowledged on the surface of the film.« Thornham: Passionate Detachments, S. 48.
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lein gestellten Westernhelden abhängig vom Machtgefüge einer Verbrecherorganisation.226 Eine Auslegung seiner Geschichte als Melodram schrumpft seinen rastlosen Tatendrang und seine extreme Brutalität zu dem, worum es sich dabei immer schon handelte: ein aussichtsloses, von Verlust gezeichnetes Aufbegehren gegen die als entmachtend, als ›effeminierend‹ empfundene Ohnmacht innerhalb repressiver Sozialstrukturen, seien es nun die der Familie, die der Gang oder auch die der größeren Gesellschaft. Wie die Filmmelodramen der 1950er, in der mit auffallender Regelmäßigkeit eine neue, gebrochene Männlichkeit ihr Gesicht zeigt, gestattet das Gangstergenre somit einen Blick auf Männer als tragische Opfer patriarchaler Machtstrukturen: »In den Melodramen der 50er Jahre wird die Krise der männlichen Identitätsfindung – der Legitimationsverlust der Väter, die Dominanz der Mutter, die Bedrohung durch eine neuartige Handlungsmächtigkeit der Frau – zum bevorzugten dramatischen Topos. [Im Unterschied zu den weiblich zentrierten Melodramen der 1930er Jahre] tritt nun die gescheiterte männliche Identitätsfindung in den Vordergrund, der in seinem Selbstbezug unsichere Mann des psychoanalytischen Familienromans.«227
Mit den sentimentalen, impotenten Protagonisten des amerikanischen Familienmelodrams teilen diejenigen des Gangstergenres somit: »an ambiguous and oppressed situation […] in relation to their class and family; men who are trapped, as women are, in a way they can neither grasp nor articulate«.228 Das Gangstergenre, »[as] an emotional laboratory where [the viewer] could find, try on, pine over, old-fashioned notions of family and masculinity«,229 verhandelt also patriarchale Systeme und dramatisiert den Kollaps derselben in Form von dysfunktionalen Familienbanden. Bemerkenswert daran ist, wie genau sich doch Elsaessers berühmte Definition des Familienmelodrams der 50er nicht nur auf den Familiendiskurs des Gangsterfilms, sondern auch auf eine gegenwärtige TV-Serie übertragen lässt, hat sich die mafiöse Subkultur doch seit den 1950ern strukturell und genderpolitisch nicht sehr verändert: »[D]ealing largely with […] Oedipal themes of emotional and moral identity, [the family melodrama] often records the failure of the protagonist to act in a way that could shape the events and influence the emotional environment, let alone change the stifling social milieu. The world is closed, and the characters are acted upon. Melodrama confers on them a negative identity through suffering, and the progressive self-
226 Vgl. Langford: Hollywood and Beyond, S. 141f. 227 Kappelhoff: Matrix der Gefühle, S. 248. Vgl. hierzu auch Mulvey: Notes on Sirk, S. 40f. 228 Laura Mulvey: »Fassbinder and Sirk«, in: dies.: Visual and Other Pleasures (1989), S. 35-48, hier S. 45. 229 Camon: The Mafia, unter: http://dir.salon.com/story/ent/feature/2005/03/08/ mafia, l.A.: 01.03.11.
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immolation and disillusionment generally end in resignation: they emerge as lesser human beings for having become wise and acquiescent to the ways of the world.«230
In diesem Kontext lassen sich Tony Sopranos Panikattacken als Symptome begreifen, die auf gestörte Bindungen zu seinen Angehörigen verweisen, vor allem zu seiner Mutter Livia.231 Spricht das Fehlen seines Vaters und Tonys Unfähigkeit, dessen Lebensprinzipien fortzuführen, dafür, »[that] the patriarchal mode of that world is weakening«, wird an der ungebrochenen Macht der Mutter innerhalb der Familie deutlich, »[that] its matriarchal foundation is surfacing«.232 In der Terminologie Lacans hält Livia ihren Sohn im Imaginären gefangen, versperrt ihm den Eintritt in die symbolische Ordnung des
230 Elsaesser: Family Melodrama, S. 363. 231 Ihr Einfluss auf Tonys Psyche und ihre ›Schuld‹ an seinen Identitätsnöten wird im ersten Bild der Pilotfolge deutlich, in der die Statue im Wartezimmer über ihn ragt: »a visual composition which is easily read […] as a symbolic foreshadowing of the program’s central drama of Tony’s conflict with his mother [and] a shorthand reference to the complex relations of birth, subservience, sex, fear, desire, and guilt which connect them, and which have essentially incapacitated Tony« (Walker: Cunnilingus and Psychiatry, S. 110). Zudem wird Tony zu Beginn jeder Folge in den Lyrics von »Woke Up This Morning«, der Titelmelodie der Serie, in jener ödipalen Trias situiert, mit deren identitätsprägenden Dynamiken er sich in seinen Sitzungen auseinandersetzen muss: Die männlichraue Stimme singt lakonisch von einem Knaben, der durch überhöhte maternale Erwartungen und paternale Vernachlässigung auf die schiefe Bahn gerät (»You woke up this morning/Got yourself a gun,/Your mama always said you’d be/ The Chosen One./She said: You’re one in a million […] Your Papa never told you/About right and wrong«). Der Song ruft folglich zu Anfang jeder Folge das psychoanalytische Sujet des US-Familienmelodrams auf, »[which] enacts, often with uncanny literalness, the ›family romance‹ described by Freud. [It is] concerned with the child’s problems of growing into a sexual identity within the family, under the aegis of a symbolic law which the Father incarnates« (Nowell-Smith: Minnelli and Melodrama, S. 73; vgl. auch Sigmund Freud: »Der Familienroman der Neurotiker«, in: ders.: Studienausgabe. Bd. IV, S. 223-226). 232 Gardaphé: Suburban Trickster, S. 101. Gardaphé führt die fehlerhafte Perspektivierung der italienischen Kultur als ein patriarchales statt matriarchales Sozialsystem auf die Inszenierung der Italiener im frühen Gangsterfilm zurück, »one of the greatest distortions [having been] the repression of the role of women in Italian culture and the replacement of the mother/son paradigm with the father/son paradigm« (ebd., S. 95). GodfatherAutor Mario Puzo hat auch erlärt, dass er die kluge, um das Wohl der Familie besorgte Figur des Paten nicht seinem Vater, sondern seiner Mutter nach gestaltet hat (vgl. Peter Biskind: »An American Family«, in: VanityFair [ursprünglich in: Vanity Fair 4 (2007), S. 234-286], unter: http://www.vanityfair.com/ culture/features/2007/04/sopranos200704?currentPage=1, l.A.: 01.03.11.
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Vaters und damit die Autonomie des Subjekts.233 Im Hinblick auf die GenreKonnotationen dieser Gender-Konfiguration »könnte [man] sagen, sie verwehr[e] ihm den Eintritt in die männlichen Genres des Kriminalfilms, des Western, des Abenteuerfilms und bann[e] ihn im Kreis des Melodramas, der verbotenen Wünsche und der Entsagungen. Der Held scheitert, bevor er die Bühne des Ödipus überhaupt betreten hat.«234 Dieser Konflikt zwischen einer drakonischen Mutterfigur und dem dieser Urgewalt hilflos ausgesetzten Sohn gilt als eines der prominentesten Figurenkonstellationen des Male Melodramas im amerikanischen Mainstreamfilm.235 In den SOPRANOS gestattet das matriarchale Machtverhältnis zu Anfang eine Sympathie für den Gangster als traumatisiertes ›Opfer‹ seiner Erziehung als auch eine Antipathie für die Mutter als ›Schuldige‹, was beiden Figuren nahezu archetypische Positionen in dem konventionell melodramatischen Narrativ der Serie zuspricht: »Characteristically the melodramatic plot turns on an initial, often deliberately engineered, misrecognition of the innocence of a central protagonist. By definition the innocent cannot use the powers available to the villain; following the dictates of their nature, they must become victims, a position legitimated by a range of devices which rationalize their apparent inaction in their own behalf. Narrative is then progressed through a struggle for clear moral identification of all protagonists and is finally resolved by public recognition of where guilt and innocence really lie.«236
Wie die klassischen Filmgangster lernt man auch Tony zunächst als brutalen Kriminellen kennen, der in einer seiner ersten Szenen in der Pilotfolge einen Schuldner anfährt und zusammenschlägt. Seine Gewaltbereitschaft wird in derselben Folge aber auch relativiert und problematisiert durch eine Szene, in der er mit kindlich-unschuldiger Freude und Faszination eine Entenfamilie in seinem Hauspool füttert und aufzieht. Es folgen darauf weitere Szenen, in denen er oft in einem unvorteilhaften Verhältnis zu seinen Familienangehörigen steht, die ihn im Unterschied zu seiner Crew237 meist als harmlosen Kauz belächeln. Der Werbeslogan zu der ersten Staffel – »Meet Tony Soprano. If one family doesn’t kill him… the other family will.« – verortet den Patriarchen entsprechend auch in einer nicht wenig ›amüsanten‹ Opfer-
233 Vgl. E. Ann Kaplan: Motherhood and Representation: The Mother in Popular Culture and Melodrama, New York: Routledge 1992, S. 47. 234 Kappelhoff: Matrix der Gefühle, S. 250. 235 Die Male Melodrama-Konfiguration der Mutter, die ihren hilflosen Sohn dominiert, findet sich so in Hollywoodfilmen wie EAST OF EDEN (1955, R: Elia Kazan), PSYCHO (1960, R: Alfred Hitchcock), BORN ON THE FOURTH OF JULY (1989, R: Oliver Stone), als auch in BOOGIE NIGHTS (1997, R: P.T. Anderson). 236 Gledhill: Melodramatic Field, S. 30. 237 Als »Crew« wird eine lokal begrenzte Gruppe mafiöser Handlanger (Soldaten als auch made guys) bezeichnet, die von einem caporegime angeführt wird.
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position, in der sein Leben nicht nur durch die Geschäfte der Mafia, sondern auch durch die alltäglichen Ansprüche seiner Kernfamilie in ›Gefahr‹ ist. Ungeachtet seiner machtvollen Position als Oberhaupt einer italoamerikanischen Großfamilie und des DiMeo/Soprano-Mafiaclans238 aus New Jersey wird Tonys Identität somit beständig destabilisiert durch die kritischen Perspektiven anderer Figuren auf seine Person, vor allem die seiner Mutter, deren manipulativen Verbalattacken er hilflos ausgeliefert ist. So besteht die Dramaturgie der ersten Staffel der Serie auch darin, dass sich Tony zu seiner schwächeren Position im Machtgefüge der Familie bekennen und die lange Zeit verleugnete destruktive Seite Livias erkennen muss. Diese spielt dann zum Ende die ihr zugewiesene Soap-Opera-Rolle der »villainess«239 aus, als sie die Ermordung ihres Sohnes einfädelt, weil er ihre maternale Machtposition gefährdet. Doch die Dämonisierung der übermächtigen Mutterfigur in der Soap kollidiert in den SOPRANOS mit der traditionellen Sentimentalisierung der Figur im Gangsterfilm. Aus diesen Genre-Verwerfungen bildet sich mit Livia im Gangstergenre eine besonders machtvolle weibliche Sprechposition heraus – unabhängig von der schwächelnden zentralen Männerfigur. So liegt der narrative Fokus der SOPRANOS, ihrem Titel entsprechend,240 auch nicht nur auf dem Protagonisten und seine Organisation, sondern auch auf den Randfiguren des Gangstergenres, den Figuren aus der nichtkriminellen Familie des Gangsters. Die individuellen Probleme von Tonys Ehefrau Carmela, Tochter Meadow, Sohn A.J. und anderer »Zivilisten«241 außerhalb der Mafia nehmen zusammengenommen einen mindestens ebenso großen, wenn nicht gar größeren Raum ein als die illegalen Machenschaften des Patriarchen. Dadurch erfüllt sich in der Serie eine Tendenz zur ›Effeminierung und Trivialisierung‹, die Robert Warshow 1962 in seiner Besprechung von ›Männergenres‹ wie dem Westernfilm antizipiert, »[that is, that] women and children are a little too much in evidence, threatening constantly to become a real focus of concern instead simply part of the given framework«.242 Als zeitgenössischer Krisenmann ist Tony zwar »kläglich, aber behauptet sich [zu Beginn der Serie] als alleiniger Sprecher im Klagelied. Andere Sprechpositionen werden konsequent ausgeblendet.«243 Mit dieser Diskurs-
238 Tony Sopranos Verbrecherorganisation trug bis zur seiner Machtübernahme im Jahr 1999 den Namen DiMeo – nach dem Begründer und ursprünglichen Boss der Familie, Ercole DiMeo, der seit 1995 eine lebenslange Haftstrafe absitzt. 239 Vgl. Modleski: Search for Tomorrow, S. 452. 240 So war einer von HBO favorisierter und in ihre engere Auswahl genommener Alternativtitel für THE SOPRANOS nicht ohne Grund auch: »Family Man«. 241 Im euphemistischen Sprachgebrauch der Mafia verstehen sich alle Mafiosi als ›Soldaten‹ in einem Straßenkrieg zwischen verfeindeten Familien, und Frauen und Kinder als darin nicht involvierte ›Zivilisten‹. Vgl. hierzu auch »The Italian/American Self: Assimilation und Ent-Assimilation« im fünften Kapitel. 242 Warshow: The Westerner, S. 117. 243 Kappert: Rekonfigurationen, S. 61.
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strategie steht der Gangster trotz aller kritischen Demontage seiner Männlichkeit weiterhin im Zentrum seines Milieus und dem seines Genres: »[For as a] male melancholic [he] is able to adopt an emotional stance historically seen as feminine yet retain his privileged position of power and authority.«244 Bei männlichen Krisengeschichten handelt es sich also um melancholische Verlustgeschichten, die ihm als ›Opfer‹ einer ambivalenten Machtposition Sympathie auf Kosten von subalternen Gruppen entgegenbringt.245 Es sind nicht selten Geschichten, in denen der Verlust »mit aller Virtuosität und Erhabenheit aktiv erlitten und mit den Stilmitteln der Rhetorik beschrieben werden; [wo] die Verlierer selbst noch als Gewinner hervorgehen«.246 Das Postulat einer ›Krise der Männlichkeit‹ hat also nicht unbedingt eine Suche nach einer Form nicht-patriarchaler Männlichkeit zur Folge, sondern mag sogar »der Nachhaltigkeit traditioneller Mannsbilder zugute« kommen, indem es sich permanent auf den Verlust essentialistischer Rollenbilder und auf tradierte Männlichkeitsfiktionen beruft.247 Auch im heutigen Diskurs um eine – in der Regel dem Feminismus angelastete248 – Männlichkeitskrise, die als Krisendiskurs »den Prämissen der Moderne und ihrer Suche nach Ganzheit, Identität, Authentizität und Wahrheit verhaftet bleibt«, äußert sich auch »das Begehren nach eben jener Authentizität, deren Verlust die postmoderne Kultur beklagt und die sie gleichzeitig beharrlich in Szene setzt«.249 Die Rhetorik der Krise ist in dieser Lesart rückwärtsgewandt und betont defensiv gegenüber dekonstruktivistischen wie konstruktivistischen Ansätzen, denen sie kulturell äußerst wirkmächtige Männlichkeitsikonen wie eben den ethnisch markierten Gangsterprotagonisten entgegensetzt. Als nicht selten eindimensionale und oberflächliche Idealtypen verlieren diese Konstrukte hegemonialer Männlichkeit allerdings auch zunehmend an ihrer früheren Überzeugungskraft und verweisen dadurch auf eine noch weit fundamentalere ›Krise der Repräsentation‹.250 »[Hence], however much male subjectivity may currently be »in crisis,« […] consider the extent to which male po-
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Nicholls: Scorsese’s Men, S. xv. Vgl. Robinson: Marked Men, S. 9-11. Forster: Melancholie und Männlichkeit, S. 72. Vgl. Sielke: What Crisis, S. 47. Die Strukturen patriarchaler Männlichkeit, so schreibt Edgar J. Forster, zerbröckeln in erster Linie deshalb von außen, »weil die Frau als sinnfälliges Medium, das dem Mann seine heterosexuelle Identität stützt, nicht länger zur Verfügung steht. Sie wird für den Mann gewissermaßen unberechenbar und damit bedrohlich. Gleichzeitig kann er sich nicht einfach von ihr losmachen, denn ein Ersatzobjekt steht nicht in Aussicht. Wer kann dem Mann seine männliche Identität sonst dermaßen garantieren?« (Melancholie und Männlichkeit, S. 87). 249 Sielke: What Crisis, S. 55, 46. 250 Vgl. ebd., S. 44f.
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wer is actually consolidated through cycles of crisis and resolution, whereby men ultimately deal with the threat of female power by incorporating it.251 Auch bei den SOPRANOS sollte es sich nach allem Anschein um eines jener populären Werke handeln, die Tania Modleski in ihrer Studie Feminism Without Women als solche moniert, »[which, although] proclaiming or assuming the advent of postfeminism, are actually engaged in negating the critiques and undermining the goals of feminism – in effect, delivering us back into a prefeminist world«,252 in diesem Fall: in das offenkundig aggressive, patriarchale Milieu einer Mafiafamilie. So folgert Mark Nicholls mit Rekurs auf Modleski über die Protagonisten der Gangsterfilme Martin Scorseses: »Where melancholia has been invoked, it is [often] used to validate and protect certain forms of male desire, cinematic or otherwise, particularly against claims of misogyny. This is to present the male melancholic as a mentally complex, profound and tortured rebel-outsider. By invoking […] melancholia, discourses of patriarchy have enabled its favorite sons to circumvent the disturbing conundrums of difference posed by feminist critics. Such readings rely upon and perpetuate the dominant cultural paradigm which appropriates notions of ›femininity‹ to justify the myth of male melancholia as a state of noble suffering and validated impotence. Thus discussions of melancholia have traditionally cast this affliction as an aesthetic of disempowerment – effectively, […] appropriating ›femininity‹ while oppressing women.«253
Die Serie reproduziert jedoch nicht nur den Opferdiskurs des Gangsters, des Krisenmannes, sie problematisiert ihn auch im »Familienmedium«254 Fernsehen mit den narrativen und formalen Konventionen der Soap. An die Stelle einer Identifikation mit dem männlichen Protagonisten – eine Grundregel des klassischen Hollywoodfilms255 – rückt die Identifikation mit einer Fülle an relativ gleichwertigen Figuren, die anders als im Film in mehreren Paral-
251 Tania Modleski: Feminism Without Women. Culture and Criticism in a »Postfeminist« Age, New York/London: Routledge 1991, S. 7. 252 Modleski: Feminism Without Women, S. 3. Der Opferdiskurs des Mannes verfügt über eine lange Tradition in der amerikanischen Literatur und ihrer Rezeption: In solchen Texten ist der männliche Held in der Regel weiblich semantisierten Figuren oder Räumen (ob nun der Zivilisation oder der Natur) ›ausgeliefert‹ und muss sich in ihnen behaupten. Beispiele hierfür sind James F. Coopers Leatherstockings-Reihe (1823-1841), Herman Melvilles Pierre: or, The Ambiguities (1852) als auch F. Scott Fitzgeralds The Great Gatsby (1925). Vgl. Nina Baym: »Melodramas of Beset Manhood: How Theories of American Fiction Exclude Women Authors«, in: American Quarterly 33.2 (1981), S. 123-139. 253 Nicholls: Scorsese’s Men, S. xiv. 254 Lothar Mikos: »Fernsehfamilien«, in: Helmut Scheurer/Claudia Heyde (Hg.): Familienmuster – Musterfamilien. Zur Konstruktion von Familie in der Literatur, Frankfurt a.M: Lang 2004, S. 201-224, hier S. 201. 255 Vgl Gledhill: Melodramatic Field, S. 8.
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lelhandlungen gleichzeitig agieren.256 Das sich oft über mehrere Jahre erstreckende Panorama privater wie beruflicher Interaktionen zwischen den Generationen einer oder mehrerer Großfamilien in einer Soap257 findet in den SOPRANOS die Anwendung auf den weiteren italoamerikanischen, überwiegend mafiösen Familienkreis des Gangsters, »[thus] bring[ing] relativity to bear on a subject. We increasingly see Tony from a variety of perspectives, each of which has a truth equal to his, granting the viewer a prismatic, inconclusive view of all the characters.«258 So ist es auch eine Regel der Familienserie als »eine Erzählung von Gefühlskonstellationen«, dass alle Handlungen des Gangsters »erst in Beziehung auf die Familie Sinn machen«.259 Als Familienoberhaupt steht Tony zwar oft im Mittelpunkt seines Milieus und seiner Serie, figuriert aber auch als ein leeres Zentrum, um das das sehr große Figurenensemble in relativ unabhängigen Erzählsträngen fortwährend kreist. Wie in den Familienmelodramen Vincente Minnellis, Nicholas Rays und Douglas Sirks260 beanspruchen in den SOPRANOS bald alle Figuren ihren Teil am konstitutiven Opferdiskurs der Serie. Das Konfliktpotential dieser angespannten Familienkonfiguration wird noch durch den mitunter klaustrophobisch inszenierten Hauptschauplatz der Serie erhöht, den sie sich sowohl mit dem Filmmelodram, als auch mit der Fernsehsoap teilt.261 Im deutlichen Unterschied zum Familienmelodram der 1950er Jahre und Prime-Time-Serien wie DALLAS (1978-1991),262 die in dem parallelen Fokus auf die privaten und die geschäftlichen Probleme eines meist reichen Patriarchen männlicher semantisiert263 sind als sentimentalere Nachmittagsserien wie AS THE WORLD TURNS (1956––),264 kreisen die SOPRANOS-Folgen aber nicht selten um alltägliche Fragen wie Inneneinrichtung, Essenszubereitung, Wäsche, Krankheiten, Ehekrach oder die Schulprobleme der Kinder. In diesen Szenen werden die Konventionen sowohl der Mafia, als auch des Gangsterfilms vorübergehend außer Kraft gesetzt265 und die Serie erinnert in ihrer sitcomhaften Dar-
256 Vgl. Modleski: Search for Tomorrow, S. 448, 450f. Vgl. dazu auch Fiske: Television Culture, S. 219. 257 Vgl. Modleski: Search for Tomorrow, S. 462, 466. 258 Nochimson: Tony’s Options, unter: http://www.sensesofcinema.com/2003/ feature-articles/sopranos_televisuality, l.A.: 01.03.11. Vgl. dazu auch Creeber: TV Ruined the Movies, S. 131. 259 Mikos: Fernsehfamilien, S. 214, 206f. 260 Vgl. Elsaesser: Family Melodrama, S. 372. 261 Donatelli/Alward: Married to the Mob, S. 64. Vgl. dazu auch Joyrich: Reviewing Reception, S. 52. 262 DALLAS, USA 1978-1991, C: David Jacobs, CBS. 263 Vgl. Jane Feuer: »Melodrama, Serial Form, and Television Today«, in: Horace Newcomb (Hg.): Television: The Critical View, New York: Oxford UP 1994, S. 551-562, hier S. 552. 264 AS THE WORLD TURNS, USA 1956––, C: Irna Phillips, NBC. 265 Vgl. Messenger: Our Gang, S. 274.
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stellung suburbanen Familienlebens an populäre Familienserien der 1950er Jahre266 wie zum Beispiel LEAVE IT TO BEAVER (1957-1963)267 oder FATHER KNOWS BEST (1954-1960).268 Eine Standardsituation solcher Serien präsentierte die Heimkehr des berufstätigen Familienvaters aus der Großstadt, der sich in seinem suburbanen Heim dann mit den häuslichen Problemen seiner Ehefrau und seiner Kinder auseinandersetzen muss und dabei mitunter auf seine beruflichen Kompetenzen zurückgreift.269 Die Familie bildet in diesen Serien den »gesellschaftsfreie[n] Raum, der durch intakte Beziehungen und die Perfektion der häuslichen Ordnung mit klar verteilten Geschlechtsrollen gekennzeichnet ist«.270 Es ist ein Raum, in den sich auch Tony Soprano als ein altmodischer Familienvater zurücksehnt: Als in »Nobody Knows Anything« (s01e11) die aufgeklärte Tochter das Thema Sex am heimische Frühstückstisch diskutieren will (»It’s the 90s. Parents are supposed to discuss sex with their children!«), beharrt ihr Vater: »Yeah, but that’s where you’re wrong. You see, out there it’s the 1990s, but in this house it’s 1954«.271 Die Prominenz der Familie in den SOPRANOS ist jedoch kein Genre-Phänomen ohne Präzedenz, hat die Familie doch immer schon eine bedeutende Rolle im Gangstergenre eingenommen. Im klassischen Genrefilm der frühen 30er Jahre werden die traditionellen Werte der bürgerlichen Familie mit den antisozialen Motiven des Gangsters kontrastiert, oft durch einflusslose Mütter und gesetzestreue Geschwister: »[D]er Sphäre des ›Gangsterhaften‹ (des ›Abweichenden‹, ›Geheimen‹, ›Abgeschlossenen‹, ›Anti-Sozialen‹) [steht] der Bereich des ›Bürgerlichen‹ (des gesellschaftlich ›Normalen‹, ›Anständigen‹, ›Öffentlichen‹, ›Prosozialen‹) gegenüber«.272 Der Gangster flüchtet in den Filmen aus der biologischen Familie, die in Ermangelung einer Vaterfigur allmählich auseinander bricht, aber bis zum Schluss die positiven Werte
266 Der Vorspann der SOPRANOS erinnert auch an berühmte Titelsequenzen amerikanischer Familiensitcoms wie ALL IN THE FAMILY (1971-79, C: Norman Lear, CBS), in der die Kamera von der chaotischen Urbanität New Yorks in den beschaulichen Außenbezirk von Astoria, Queens hinüberblendet, und THE SIMPSONS (1989––, C: Matt Groening, FOX), in der die Familie von außen heimeilt. 267 LEAVE IT TO BEAVER, USA 1957-63, C: Joe Connelly/Bob Mosher, CBS/ABC. 268 FATHER KNOWS BEST, USA 1954-1960, C: Ed James, CBS. 269 Vgl. Jay Parini: »The Cultural Work of The Sopranos«, in: Barreca: Sitdown with the Sopranos (2002), S. 57-87, hier S. 86. 270 Mikos: Fernsehfamilien, S. 220f. 271 So überrascht es auch nicht, dass 2007, nach der Einstellung der SOPRANOS, eine der erfolgreichsten Fernsehserien die vom ehemaligen SOPRANOS-Drehbuchautoren und -Produzenten Matthew Weiner kreierte Sendung MAD MEN (USA 2007––, AMC) wurde, die von dem amerikanischen Berufs- und Familienleben eines Werbefachmanns in den 1960ern erzählt, das sich nicht sehr von dem Berufs- und Familienleben der italoamerikanischen Mafia der 90er unterscheidet. 272 Hartmann: Topographische Ordnung, unter: http://home.snafu.de/britta.hart/ gang.html, l. A.: 01.03.11.
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der Gesellschaft verkörpert, und sucht eine neue Identität als ›Familienmitglied‹ einer Verbrecherbande. Als ein vom Gangsterdasein desillusionierter Antiheld des postklassischen Gangsterfilms sehnt sich der Gangster ab Mitte der 30er dann wieder nach der Geborgenheit einer Familie. Er versucht erfolglos Halt in einer anderen, idealisierten Familie zu finden oder familienähnliche Strukturen in seinem Leben zu etablieren, in die er sich vor seiner kriminellen Vergangenheit verstecken kann.273 Der emotional abgestumpfte, nihilistische Gangster der Noir-Ära der späten 1940er und 50er will die für ihn unmöglich gewordene Familie seiner moralisch integren Kontrahenten dann nur noch auslöschen.274 Der bedeutende Beitrag von THE GODFATHER (1972) war es dann, den Konflikt zwischen Gangstertum und Familientreue aufzulösen: »the gang’s chieftain is no longer like a patriarch, he is a patriarch; the gang no longer resembles a family but has become one«.275 Während der klassische Filmgangster zum Schluss in der Regel seine Familie(n) durch seinen eigenen Tod verliert, handelt es sich bei den Mafiosi um: »pillars of their society, their crimes and ›roots‹ mutually supportive. [The classical gangster films were] moralistic, denouncing the criminal as sub-man; The Godfather is – immoralistic? moral-relativistic? – about a family«.276 Im Genrefilm nach THE GODFATHER konnotiert ›Familie‹ in der Organisation: »both the group related by marriage and blood ties, and the larger group related by ethnicity and partnership in crime. What’s good for the first is, ideologically, the ultimate goal; but what’s good for the second is, pragmatically, the immediate priority. Context clarifies which of the two types of family one may be talking about in any conversation; yet a certain amount of overlap and ambiguity is there by design, as a constant reminder of their mutual necessity.«277
Durch seinen Familiendiskurs weist das amerikanische Gangstergenre einige Parallelen zu den männlich zentrierten Familienmelodramen eines Vincente Minnelli auf, »[which often] trace the search for the ideal family. Usually, he contrasts the protagonist’s ›natural‹ family with an artificial group from his professional environment.«278 Bei emotionsgeladenen Melodramen wie HOME FROM THE HILL (1960)279 oder THE COBWEB (1955)280 handelt es
273 So etwa in DEAD END (USA 1937, R: William Wyler) und HIGH SIERRA (USA 1941, R: Raoul Walsh). 274 So etwa in KISS OF DEATH (USA 1947, R: Henry Hathaway) sowie THE BIG HEAT (USA 1953, R: Fritz Lang). 275 William Pechter: »Keeping Up with the Corleones«, in: Browne: Coppola’s The Godfather Trilogy (1999), S. 167-173, hier S. 172. 276 Durgnat: Gangster File, S. 94. 277 Camon: The Mafia, unter: http://dir.salon.com/story/ent/feature/2005/03/08/ mafia, l.A.: 01.03.11. 278 Schatz: Hollywood Genres, S. 240. 279 HOME FROM THE HILL, USA 1960, R: Vincente Minnelli.
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sich wie bei vielen Gangsterfilmen um »[m]ale ›weepies, [which] trace[] the identity crisis of an individual whose divided domestic and occupational commitments provide a rational basis for confusion and anxiety«.281 Der oft wiederholte Grundsatz der Mafia in der GODFATHER-Reihe – »It’s not personal. It’s business.« – ist dabei geradezu exemplarisch für eine männliche Ablehnung des Weiblichen (assoziiert mit dem Persönlichen, Privaten, irrationalen Gefühlen und Kontrollverlust) und der bewussten Zuwendung zum Männlichen (zum Geschäftlichen, Öffentlichen, zur Rationalität und Selbstkontrolle). Doch spätestens seit der Emotionalisierung sämtlicher Figurenbeziehungen in den zwei ›Familien‹ durch THE SOPRANOS sollte es überdeutlich sein: it’s always personal. Kuvriert doch jedes Kapitalverbrechen, das im Gangstergenre prominent verhandelt wird, den Bruch eines Familientabus oder folgt sogar erst unmittelbar daraus. Der ethnisch spezifische Mikrokosmos der Mafia und der Handlungskontext des Gangstergenres steigern die Fallhöhe ehemals privater Individuen,282 die die innerfamiliären Konflikte bald schon im ›Familiengeschäft‹ austragen.283 »[This narrative course is] representative of the tradition of emotional displacement in this genre, […] protect[ing] the virility of the genre and giv[ing] the (male) viewers access to emotional situations they need not see in directly emotional terms«.284
D ER G ANGSTER IM I MMIGRANT M ELODRAMA : K RISENDISKURS ›E THNIZITÄT ‹ Den ersten Anhaltspunkt für den thematischen Fokus einer SOPRANOS-Folge liefert ihr Titel. Die letzte Folge, »Made in America« (s06e21), etwa nimmt den Gangster als eines von vielen typisch amerikanischen ›Erzeugnissen‹ in den Blick, die darin prominent erwähnt werden (wie etwa das FBI, die U.S. Army, Fernsehbilder vom zweiten Irakkrieg, Tankstellen und SUV-Geländewagen). Am Ende der Folge sitzt Tony Soprano dann auch nicht wie gewohnt in seinem italoamerikanischen Stammrestaurant Nuovo Vesuvio, son-
280 THE COBWEB, USA 1955, R: Vincente Minnelli. 281 Schatz: Hollywood Genres, S. 243. 282 »[W]e ultimately loose patience with family dramas, […] get to a point […] where you say: just fix it. Grow up. Do something. […] I think when the life outside is larger, real life and death every day, then […] we have more patience with all that bickering« (Chase/Bogdanovich: DVD Interview, Season One). 283 »They asked if I wanted to do ›The Godfather‹ as a TV series, and I said, ›No, but I have this idea. It’s a family drama and you could still have all the internecine warfare.‹« (Chase zitiert in Robin Dougherty: »Chasing TV«, in: Salon, unter: http://archive.salon.com/ent/int/1999/01/20int.html, l.A.: 16.02.08). 284 Nochimson: Re-Reading, unter: http://www.filmquarterly.org/issue_5602_ right.html, l. A.: 16.02.08.
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dern im Holsten’s, einem eleganten Diner in Bloomfield, New Jersey. Das nordamerikanische Ambiente des Diners resultiert dabei nicht nur durch die Ausstattung (eine lange Theke mit roten Barhockern, Tische mit roten Sitzbänken und Musikboxen, riesige Wandbilder von American Football-Spielern) und die aufgetragenen Speisen und Getränke (gebackene Zwiebelringe und Softdrinks). Auch die Gäste, unter anderem ein ergrauter Mann mit drei kleinen Pfadfindern, ein junges Liebespaar, zwei junge Afroamerikaner und ein korpulenter Trucker mit USA-Kappe, tragen zu der harmonischen Szenerie bei. Selbst der vom FBI ins Auge genommene Mafioso Tony Soprano macht in dieser Alltagsidylle den harmlosen Eindruck eines weiteren Amerikaners, der auf das Eintreffen seiner Familienangehörigen zum gemeinsamen Abendessen wartet. Als ein assimilierter Immigrantensohn der dritten Generation, der den amerikanischen Traum seiner mittellosen Vorfahren inzwischen in den wohlhabenden Suburbs von North Caldwell lebt, sucht Tony sich aus dem Musikangebot seiner Jukebox einen amerikanischen Song aus, der über der restlichen Sequenz zu hören sein wird: Statt einer Ballade des ebenfalls in der Musikbox geführten italoamerikanischen Sängers Tony Bennett entscheidet sich Tony für die sentimental-dynamische Rockhymne »Don’t Stop Believing« der US-Gruppe Journey. Es ist ein Song, der leicht melancholisch dazu anhält, trotz aller Sorgen an dem rauschhaften Erlebnis einer Nacht in der Großstadt, an dem amerikanischen Traum festzuhalten. Mit dieser Schlusssequenz schreibt sich THE SOPRANOS in einen Diskurs über den amerikanischen Traum ein, der für das US-Gangstergenre konstitutiv ist, jedoch erst in THE GODFATHER (1972) in einer größeren Komplexität ausformuliert wurde. Es ist fast so als würde der letzte Song der Serie metatextuell auf die ersten Sätze ›antworten‹, die in der Migrationssaga des Corleone-Clans zu vernehmen sind: »I believe in America. America has made my fortune.« Der Monolog des italoamerikanischen Bestatters Bonasera, der darauf folgt und mit dem der Film beginnt, etabliert auch sein zentrales Sujet: Aneignung und Verlust einer ›amerikanischen Identität‹.285 Im gedämpften Licht kommt das vor Wut und Empörung feurig flackerndes, südländisches Gesicht Bonaseras mit einer Halbglatze und dickem Schnurrbart langsam vor einem dunklen Hintergrund zum Vorschein, während er mit einem schweren italienischen Akzent von seinem Glauben an den amerikanischen Traum spricht. Von einem Glauben, der an dem Tag zerstört wurde, als seine ›amerikanisch‹ aufgewachsene italienische Tochter zwei amerikanischen Jugendlichen zum Opfer fiel, die sie brutal misshandelten. In seiner Not habe er sich an die Polizei gewandt: »like a good American«. Doch nach einigen ergebnislosen Versuchen, vom US-Rechtssystem ›sizilianische Gerech-
285 Vgl. Nochimson: Dying to Belong, S. 58 (Anm. 23).
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tigkeit‹, sprich: die sofortige Hinrichtung der Täter286 zu bekommen, habe er zu seiner Ehefrau gesagt: »For justice, we must go to Don Corleone«.287 In dem Moment, in dem Bonasera mit seiner leidenschaftlichen Rede inhaltlich zu der letzten (außer-)gesetzlichen Instanz gelangt, von der er sich die Erfüllung des bisher verwehrten ›väterlichen Rechts‹ erhofft, kommt die erste Kameraeinstellung von THE GODFATHER über der rechten Schulter des von ihm adressierten, schweigenden Don zum Stehen. »[So the shot] fades into an extreme close-up of Bonasera’s face only to reveal that the true subject of the shot is Vito Corleone«.288 Die Bewegung von Bonasera zu Corleone, die bildgewaltige Mise-en-scène dieser Szene – auf die die vorliegende Arbeit wiederholt zu sprechen kommt– setzt so en miniature die Wandlung des wütenden, hilflosen Immigranten zu dem in sich ruhenden, machtvollen Gangster in Szene, den Aufstieg von einem ethnisch markierten Außenseiter zu der selbsternannten Autorität einer eigenen Subkultur. Es ist eine gewaltsame Machtaneignung, die alle ethnisch markierten Hauptfiguren des Gangstergenres zurücklegen, »[the gangster used as a] symbol of transformation of the Italian American male from powerless worker to a broker of power, […] a parasite to the legal host of an economic system that had kept him trapped until he took his future into his own hands, along with his gun.«289 Die Bezeichnung ›Made in America‹ als Hinweis auf das Herkunftsland eines Produkts weckt im Kontext einer Serie über den Alltag eines Mafioso im heutigen Amerika also weitere Bedeutungen. Zum einen bezieht sich der Titel, der dem US-Pay-TV-Sender HBO auch als Werbeslogan für die Erstausstrahlung der letzten neun Folgen der sechsten SOPRANOS-Staffel diente, auf jene sprichwörtlich ›unbegrenzten Möglichkeiten‹, die die USA Immigranten verheißt, die ›es in Amerika zu etwas bringen‹ wollen (›who want to make it in America‹). Zum anderen wird das Wort ›made‹ für die Bezeichnung eines vollständig integrierten Mitglieds der Cosa Nostra benutzt. Ein ›made guy‹ hat sich der Mafia auf Lebenszeit verschrieben und genießt in ihr bestimmte Privilegien durch den Titel, den er beim ›getting made‹, der hochritualisierten Aufnahmezeremonie erhalten hat. »Made in America« verweist folglich auf die Konstruktion aller Identitäten, sei es nun die ethnisch unmarkierte Identität des US-Staatsbürgers oder auch die ethnisch
286 »It is […] the call for vendetta and the relapse into the tribal justice […]: soddisfazione (ritual satisfaction) in the form of death for those who have violated the honor of the family.« D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 576. 287 Der ›Don‹ ist der Mafia-interne Titel für einen Bandenführer, dessen Wort für seine Untergebenen Gesetz ist und in keinem Moment hinterfragt werden darf. 288 Glenn Man: »Ideology and Genre in the Godfather Films«, in: Browne: Coppola’s The Godfather Trilogy (1999), S. 109-132, hier S. 115. 289 Gardaphé: Suburban Trickster, S. 107. Vgl. hierzu auch Langford: Hollywood and Beyond, S. 139f.
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markierte Identität des Mafioso.290 Diesen beiden Lesarten liegt im Kontext einer Gangsterserie der amerikanische Traum vom ›self-made man‹ zugrunde, das Versprechen vom persönlichen Glück durch individuellen Eifer. Wie THE SOPRANOS, die mit einer Sequenz enden, in der sich Tony Soprano mit der Wahl des Lokals und des Songs eine amerikanische Identität ›erwählt‹, unterstreicht auch der Titel ›made guy‹ die konstitutive Performativität von Ethnizität, »the inauthenticity and theatricality of ›being American‹«.291 Es handelt sich dabei um eine postmoderne Auffassung der Identitätskategorie als keine feste, ›natürliche‹ Vorgabe der jeweiligen Herkunftskultur (descent), sondern als eine dauerhaft zu treffende kulturelle Entscheidung (consent) aus einem multikulturellen Angebot ethnischer Praxen und Symbole.292 Was in der vorliegenden Arbeit für die Identitätskategorie Gender und die soziale Institution der Familie konstatiert wurde, greift also auch für Ethnizität als eine soziokulturelle Konstruktion, als ein Produkt zahlreicher Diskursfelder, »[in as much as it constitutes] a changing set of historically diverse experiences situated within power relations«.293 Zeichnen sich ethnische Identitäten ebenso wie Genderidentitäten durch performative Flexibilität aus, so unterliegen sie als Fremd- und Selbstzuschreibungen jedoch auch sozialen Regulationssystemen.294 So lassen sich ›ethnische Gruppen‹,
290 Vgl. Jennifer Guglielmo/Salvatore Salerno (Hg.): Are Italians White? How Race is Made in America, New York/London: Routledge 2003. Der Prozess der forcierten Identitätsbildung, den »getting made« konnotiert, findet sich auch in zeitgenössischen Reality-TV-Serien wie zum Beispiel MADE (USA 2002––, C: Dave Sirulnick, MTV), in der sich Teenager eine gewünschte neue Identität und den damit verbundenen sozialen Status erkämpfen. In der Gangsterkomödie MADE (USA 2001, R: Jon Favreau) geht es ebenso um zwei unbeholfene Kleinganoven, die sich verzweifelt um Anerkennung bemühen. 291 Sobchack: Modes of Ethnicity, S. 332. 292 Vgl. Sobchack: Modes of Ethnicity, S. 334. Vgl. auch Steve Fenton: Ethnicity. Racism, Class and Culture, London/Basingstoke: MacMillan 1999, S. 11. Der Konflikt zwischen tradierten und postmodernen Ethnizitätskonzepten findet sich auch in den Dialogen zwischen dem Mafioso und der Therapeutin. Als er in »Down Neck« (s01e07) feststellt: »You’re born to this shit. You are what you are«, korrigiert ihn Dr. Melfi mit: »Within that there’s a range of choices. This is America.« Er ist nicht überzeugt und kontert sarkastisch: »Right. America«. Im Unterschied zur progressiveren Dr. Melfi, gilt für Tony: »there’s too much history, too much baggage, for anything to ever really change. There’s no way out.« (James Gandolfini zitiert in: Martin: Complete Book, S. 65). 293 Ella Shohat: »Ethnicities-in-Relation: Toward a Multicultural Reading of American Cinema«, in: Friedman: Unspeakable Images (1991), S. 215-250, hier S. 216. 294 Vgl. Fenton: Ethnicity, S. 12. Vgl. auch Ellis Cashmore: »Ethnicity«, in: dies: Encyclopedia of Race and Ethnic studies (2004), S. 142-146, hier S. 144.
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die in der – im US-Gangsterfilm wiederholt inszenierten – mafiösen Subkultur eine kriminelle Pathologisierung erfahren, in etwa wie folgt definieren: »[An] ethnic group is a group of persons who perceive themselves as sharing a common ancestry and a set of shared characteristics such as language, religion, territory, and sometimes race. […] ethnic groups can be real or imagined, originate with reference to relationships to other groups, and that awareness of being a member of an ethnic group changes through time and space.«295
Darum sind Genre- und Gender-Konfigurationen als bedeutungsgenerierende Funktionsstellen einer Gesellschaft, an denen sich »kulturelle und historische Differenzen ablagern, […] immer auch zu beziehen auf andere kulturelle Matrices (Class, Age, Race et cetera), […] in ihren Verwerfungen und den Interdependenzen mit anderen kulturellen Ordnungssystemen in den Blick«296 zu nehmen. Zu den sich untereinander bedingenden kulturspezifischen Charakteristika ethnischer Gruppen, die im Gangstergenre beständig re/inszeniert werden, gehören sowohl sprachliche, religiöse, territoriale als auch rassische Markierungen, die den Mitgliedern einer Gruppe ein Gefühl der Zugehörigkeit und ›Authentizität‹ vermitteln.297 Im Gangstergenre bildet die Ethnizitätskategorie eine besonders bedeutende kulturelle Matrix, schafft sie doch sowohl kulturelle Distanz, als auch emotionale Nähe zu den Figuren, die in einem modernen Amerika mit den traditionellen Werten ihrer ethnischen Identität hadern müssen. Die Gangsterfigur dramatisiert und persifliert den Migranten so als künftigen Amerikaner und als ethnisch markierten Fremden inmitten assimilierter, ethnisch nicht markierter ›Amerikaner‹.298 Die Ambivalenz in der Inszenierung des kriminellen Einwanderers geht zurück auf das widersprüchliche Selbstverständnis der gesamten amerikanischen Nation. Als ein Land, in dem die Migrationsgeschichte der Bürger einen großen Teil der nationalen Historie konstituiert, definieren sich die USA über eine besondere ›Hass-Liebe‹ zum Ethnizitätsbegriff, »[for] in America, ethnicity can be conceived as deviation and as norm, as characteristic of minorities and as typical of the country«.299 Die Gefahr, die sich bei einer Untersuchung ergibt, die zu trennscharf zwischen ethnischen Minderheiten und einer nicht-ethnischen, amerikanischen WASP-Kultur differenziert, ist, dass dadurch ›ethnischen‹ Subkulturen implizit »[a] ›special‹ allochronic, quasi-
295 Christopher A. Airriess/Ines M. Miyares: »Exploring Contemporary Ethnic Geographies«, in: ders. (Hg.): Contemporary Ethnic Geographies in America, NY: Rowman & Littlefield 2007, S. 1-26, hier S. 6. 296 Liebrand: Gender-Topographien, S. 8. 297 Airriess/Miyares: Ethnic Geographies, S. 6f. 298 Vgl. D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 609. 299 Werner Sollors: »Foreword: Theories of American Ethnicity«, in: ders. (Hg.): Theories of Ethnicity. A Classical Reader, NY: UP 1996, S. x-xlv, hier S. xi.
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anthropological status«300 verliehen wird, der komplexere Verhandlungsprozesse zwischen ethnischen Gruppen auf eine simple Dichotomie reduziert: »[Hence] the view that [only] certain groups are ethnic […]. The marginalization of ›ethnicity‹ reflects the imaginary of the dominant group which envisions itself as the ›universal‹ or the ›essential‹ American nation, and thus somehow ›beyond‹ or ›above‹ ethnicity. The very word ethnic, then, reflects a peripheralizing strategy premised on an implicit contrast of ›norm‹ and ›other,‹ much as the term minority often carries with it an implication of miner, lesser, or subaltern.«301
Die Ambiguität des Ethnizitätsbegriffs resultiert etymologisch aus dem griechischen Begriff »ethnos (nation, people), which was used to refer to people in general, but also to ›others.‹ In ›ethnicity‹, the double sense of general peoplehood (shared by all Americans) and of otherness (different from the ›mainstream‹ culture) lives on.«302 Auch wenn sich ethnische Minoritäten in der Regel über ihre Differenz zur ›weißen‹ Mehrheit der USA definieren, ist die exklusive Identifikation der kulturell dominierenden ethnischen Gruppe der WASPs als ›amerikanisch‹ weiterhin problematisch in ihren normativen Diskurseffekten. Um einer impliziten Hierarchie dieser Arbeit vorzubeugen, werden in der vorliegenden Arbeit alle in den besprochenen Texten ethnisch markierten Figuren oder Gruppen als ›ethnisch‹ bezeichnet, seien es nun Italoamerikaner oder WASPs. Ethnizität im Sinne einer kulturellen Identitätspraxis und als ein Begriff des frühen 20. Jahrhunderts303 ist dabei von der in der Forschung oft synonym verwendeten, negativ konnotierten, traditionell an physischen Attributen orientierten Kategorie Race zu trennen.304 »[For]
300 Shohat: Ethnicities-in-Relation, S. 216. 301 Ebd., S. 215. Für eine kritische Auseinandersetzung mit dem oft abwertend verwendeten Begriff ›minority‹, der die USA in zwei konkurrierende Gruppen aufteilt – ohne bedeutende Klassenunterschiede innerhalb der einzelnen Gruppen und ihre jeweiligen Größen zu berücksichtigen – vgl. Ellis Cashmore: »Minorities«, in: ders.: Encyclopedia of Race and Ethnic studies (2004), S. 278-279. 302 Sollors: Theories of American Ethnicity, S. xf. 303 Airriess/Miyares: Ethnic Geographies, S. 6. 304 Robyn Wiegman schreibt hierzu: »Where ethnicity provides the means for differentiations based on culture, language, and national origins, race renders the reduction of human differences to innate, biological phenomena, phenomena that circulate culturally as the visible ledger for defining and justifying economic and political hierarchies between white and non-white groups. […] Only when we are dealing with European immigrants and their descendants does ethnicity become the sole operative term […]. In all other instances, a racial fetishism of the corporeal is at least covertly, if not overtly, staged.« (»Race, Ethnicity, and Film«, in: John Hill/Pamela C. Gibson (Hg.): Film Studies. Critical Approaches, Oxford: Oxford UP 2000, S. 156-166, hier S. 159. Vgl. hierzu
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ethnicity is about group self-identification as ›Us‹ while race is oriented to categorizing the ›Other‹ and is almost always externally imposed.«305 In den Ethnic Studies konnten sich bislang drei prominente Theorien zu dem Phänomen ›Ethnizität‹ herausbilden. Die Vertreter der Assimilationstheorie argumentieren, dass sich ethnische Minoritäten im Laufe der Zeit an die angloamerikanische Gesellschaft assimilieren, »so that ethnically-derived patterns of association in work, residence, friendship, worship, recreation, politics, and marriage eventually disappear«.306 Melting-Pot-Theoretiker gehen hingegen davon aus, dass es in den USA nie so eine Kernkultur gegeben hat, sondern dass sich die verschiedenen Ethnien Amerikas mit der Zeit zu einem sich stetig wandelnden Kollektiv versammeln.307 Und das Modell der pluralistischen Gesellschaft argumentiert schließlich, dass es in Amerika zu keiner Vermischung der verschiedenen Ethnien kommen kann, sondern dass sie alle relativ unabhängig voneinander als (sub-)kulturelles Patchwork nebeneinander leben werden.308 Gemeinsam ist diesen drei Theorien die Gegenüberstellung eines amerikanischen Zentrums und einer ethnischen Peripherie, was die statische Sicht auf unabgeschlossene Identitätsprozesse nach sich zog. Die Forschung konstatiert heute, dass es sich bei der Migrantenidentität um einen dynamischeren Prozess handelt, um »stages or degrees of assimilation and acculturation, [with] individuals and groups proceed[ing] at different paces, [and] ethnic identity fluctuat[ing] over time in response to outside stimuli«.309 Mit der Hybriditätskategorie folgert man nun, »dass alle Kulturen unrein, gemischt und hybrid seien, und dass sich alle kulturellen Formationen in einem Prozess der kontinuierlichen Hybridität bzw. Hybridbildung befinden«, und ethnische Subkulturen hierfür beispielhaft sind310: »In forming subgroups, ethnics develop a culture pattern that is neither identical with that of the parent nor of the host society, but it is a new ›secondary‹ growth. […] Their subculture is not simply a refraction of the culture of the host society through the prism of that of the parent society. Not only the parent but also the host culture,
305 306 307 308
309 310
auch Fenton: Ethnicity, S. 3f.; Cashmore: Ethnicity, S. 143; und Sollors: Theories of American Ethnicity, S. xxixf. Airriess/Miyares: Ethnic Geographies, S. 10. Buenker: Assimilation and Acculturation, S. 40. Vgl. Michael Banton: »Assimilation«, in: Cashmore: Encyclopedia of Race and Ethnic studies (2004), S. 44-46, hier S. 44. Vgl. ebd. Vgl. auch Herbert J. Gans: »Symbolic Ethnicity: The Future of Ethnic Groups and Cultures in America (1979)«, in: Sollors: Theories of Ethnicity (1996), S. 425-459, hier S. 426, 442. Buenker: Assimilation and Acculturation, S. 41. Vgl. dazu auch Fenton: Ethnicity, S. 10, 19. Aydin: Begriff der Hybridität, S. 20.
90 | G ANGSTER M ELODRAMA and above all – despite all its seeming conservatism – the ethnic subculture, are constantly changing, at times converging, yet at other times diverging still further.«311
Der Italo-Amerikaner als so genannter hyphenated American, dessen kulturelle Distanz als ›halber‹ zum ›ganzen‹ Amerikaner in dem mitunter abwertend,312 mittlerweile immer seltener verwendeten Bindestrich zum Ausdruck kommt, gehört ebenfalls zu jenen »hybriden Subjekten, [die] die Spuren der Kulturen, Traditionen, Sprachen und Geschichten mit sich [tragen], durch die sie geprägt worden sind«.313 Im Selbstverständnis des Italoamerikaners, der im Unterschied zu anderen europäischen Migranten historisch nicht so eindeutige Bemühungen zur Assimilation und Akkulturation gezeigt hat,314 kollidieren und bedingen sich nach D’Acierno fortwährend die europäische »Old World« und die amerikanische »New World«, die tradierte via vecchia der italienischen Migrantenfamilie sowie die moderne via nuova der USA: »As a way of describing the attitude of third- and fourth-generation Italian American families, three mindsets might be seen as manifest in the 1990s: Acculturated families that maintain a modernized version of la via vecchia and cultivate an Italian American persona; assimilated families that have completely Americanized themselves and liberated themselves from la via vecchia, perhaps preserving the traces of Italianness through foodways; and conflicted families that identify themselves with the Italian American cultural identity but are at odds with the regime of la famiglia and the strictures of la via vecchia, thereby enacting family life as a psychodrama, one that repeats a modified version of the second-generation conflict.«315
311 E.K. Francis: Interethnic Relations. An Essay in Sociological Theory, New York: Elsevier 1976, S. 223f. 312 Vgl. Shohat: Ethnicities-in-Relation, S. 216. 313 Aydin: Begriff der Hybridität, S. 30. 314 Daniel Sembroff Golden schreibt hierzu: »[U]rban anthropologists and sociologists point to the consoling centripetal isolation of the Italian-American family and neighbourhood to explain the Italian-Americans’ slow rate of assimilation into the suburban, materialistic, and ethnically homogenized American middle class. Compared to most other ethnic groups, Italians more tenaciously resisted such assimilative activities as intermarriage, the pursuit of higher education, and the movement out of center city areas« (»The Fate of La Famiglia: Italian Images in American Film«, in: Randall M. Miller (Hg.): The Kaleidoscopic Lens. How Hollywood Views Ethnic Groups. Englewood, NJ: Ozer 1980, S. 73-97, hier S. 74 f). 315 D’Acierno: Cultural Lexicon, S. 758. D’Acierno weiter: »Its cautionary attitude is reflected in the Sicilian proverb: Chi lascia la via vecchia vecchia per la nuova, sa quell perde e non sa quell che trova (Whoever forsakes the old way for the new knows what he is losing but not what he will find)« (ebd.) Vgl. auch Dika: Representation of Ethnicity, S. 88, und Golden: La Famiglia, S. 75.
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Die Dramatisierung des von D’Acierno zuletzt angeführten Konfliktes findet sich im amerikanischen Gangstergenre von seiner klassischen Phase bis hin zu seiner televisuellen Ausgestaltung mit den SOPRANOS. Ihm liegt dabei ein Ethnizitätsdiskurs zugrunde, der die Auslegung des Gangstergenres als Immigrant Melodrama gestattet. Dabei kommt es auch nicht von ungefähr, dass »the immigration theme’s familiar ideal of suffering virtue«316 gerade im melodramatischen Modus Ausdruck findet, »[for this mode] has always lent itself to stories of power struggles and to enactments of socio-cultural processes of marginalization or stratification«.317 Gilt doch das Melodram nicht nur als der ›favorisierte‹ Ausdrucksmodus vom Patriarchat unterdrückter Frauen, »[but equally as] the preferred mode of the newly arrived, the already excluded, the ambitious, the outsider, and the socially conscious«.318 Als ein Genre, das in einer Welt abseits der US-Mainstreamkultur spielt, erzählt der Gangsterfilm somit stets von einer in sich geschlossenen Subkultur, die die symbolischen Strukturen und gesellschaftlichen Dynamiken der Außenwelt reproduziert und auf vielerlei Art konkretisiert. Dem Publikum wird dadurch die Möglichkeit geboten, persönliche und familiäre Konflikte aus der versetzten Perspektive einer kriminellen Subkultur zu sehen, »[that is, in employing] the Mafia as a dark and distorting glass through which the image of southern Italian culture can be viewed, as a kind of ›crazy mirror‹ that inverts, displaces, and parodies the family: its codes of honor and its kinship structures«.319 Die ethnisch als ›anders‹ kodierte Mafiafamilie dient als ein positive wie negative Exzesse inszenierendes Spiegel- und Kontrastbild zu der konventionellen WASP-Kernfamilie, die in der amerikanischen Gesellschaft zugleich zunehmend an der ideologischen Stabilität verliert.320 Während sich die Hollywood-Melodramen der 1950er Jahre und die USFernsehsoaps in der Regel den Problemen der sozial höher gestellten Gesellschaftsschicht der WASPs zuwenden, erzählt das amerikanische Gangstergenre meist von ethnisch abgegrenzten Immigranten und sozialen Außenseitern. Für den in seiner Assimilation an die amerikanische Kultur und Gesellschaft ungleich fortgeschritteneren Soprano-Clan gilt im Unterschied zum Corleone-Clan der GODFATHER-Reihe allerdings, dass er inzwischen der USMiddle-Class angehört, »but [still] maintains an Old World sense of structure and obligation that separates it from the neighbors.«321 D’Acierno benutzt in diesem Kontext den italienischen Begriff ›la famiglia‹, um die exotisierte Darstellung italoamerikanischer Familien und ihrer katholischen Rituale im Hollywoodfilm, vor allem im post-GODFATHER-Gangsterfilm aufzuzeigen:
316 David Denby: »The Two Godfathers«, in: Browne: Coppola’s The Godfather Trilogy (1999), S. 173-180, S. 177. 317 Kelleter/Mayer: Melodramatic Mode, S. 9. 318 Messenger: Our Gang, S. 175. 319 D’Acierno: Cultural Lexicon, S. 737. 320 D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 622f. 321 Gardaphé: Suburban Trickster, S. 101.
92 | G ANGSTER M ELODRAMA »Italian American life is represented as a spectacle, as a mode of emotional, culinary, and melodramatic excess. La famiglia is [seen] as the strong family – the hypercoded family – that at once requires a degree of fidelity and provides an order of pleasure that are both alien to the economy of the typical WASP family. […] pictured as a regressive depository of traditions and arbiter of gendered sexuality, [it] is the primary unit of the stereotyping, negative [and] positive, of the Italian American identity.«322
Das Gangstergenre eröffnet also einen geradezu ethnographischen Blick auf das italoamerikanische Milieu (wie auch auf die Milieus anderer krimineller ethnischer Formationen),323 »[with r]eferences to religion, food, and language creat[ing] an exotic cultural context in which to embed the [plot]«.324 Für Richard Maltby ist einer der Gründe dafür, dass LITTLE CAESAR, THE PUBLIC ENEMY und SCARFACE von Kritik und Forschung als Klassiker geführt und andere Genrefilme aus derselben Produktionsphase Hollywoods (19301931)325 ignoriert werden, »that their protagonists’ performances are conspicuously marked by signs of ethnic identity«.326 Rico Bandello, Tom Powers und Tony Camonte sind die ersten Filmgangster »[who] played out the violent dilemma of living in two worlds and yet not belonging fully to either, [thereby occupying a] suspended or ›split subject‹ status«.327 Mit dem klassischen Filmgangster wird erstmals eine ethnische Randfigur zum Protagonisten des US-Mainstreamfilms, mit den damit verbundenen Vorteilen (wie etwa die mythische Verhandlung realer Nöte amerikanischer Migranten) und Nachteilen (wie die Dämonisierung des Immigranten als das kriminelle Andere). Doch ist die Verortung des Irischamerikaners Powers im ethnischen Milieu dem Anspruch des Films auf Authentizität geschuldet, ist die ethnische Herkunft der Italoamerikaner Bandello und Camonte ein wichtiger
322 D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 591. 323 So war es konsequent, dass der für seine Milieustudien bekannte Martin Scorsese seinen ethnografischen Blick in der Edith-Wharton-Adaption THE AGE OF INNOCENCE (USA 1993) auf die auch hochritualisierte, nicht-mafiöse High Society New Yorks um 1870 warf. Vgl. hierzu Robert Casillo: Gangster Priest. The Italian American Cinema of Martin Scorsese, Toronto: UP 2006, S. 395f. 324 Carla Gardina Pestana: »Catholicism, Identity, and Ethics in The Sopranos«, in: Barreca: Sitdown with the Sopranos (2002), S. 129-148, S. 133. 325 Vgl. Maltby: Spectacle of Criminality, S. 125f. In dieser Zeit erschienen Filme, in denen Gangster nicht von ›ethnischen‹ Charakterdarstellern, sondern von attraktiven Stars wie Lew Ayres, Gary Cooper, Jack Holt und Clark Gable verkörpert wurden. Zum selben Produktionszyklus gehören seltener diskutierte Filme wie THE DOORWAY TO HELL (1930, R: Archie Mayo), A FREE SOUL (1931, R: Clarence Brown), CITY STREETS (1931, R: Rouben Mamoulian) sowie THE SECRET SIX (1931, R: George W. Hill). Als unabhängige Produktion von Howard Hughes handelt es sich bei SCARFACE (1932) eher um einen Genre-Nachzügler. 326 Maltby: Spectacle of Criminality, S. 132. 327 Munby: Public Enemies, S. 20.
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Aspekt in der filmischen Konstruktion ihrer ›Alterität‹. Und während durch die Assimilation der Iren an den US-Mainstream im Laufe des 20. Jahrhunderts der irischamerikanische Film das ›Ghetto‹ des Gangsterfilms bald hinter sich ließ,328 nimmt der Gangsterfilm in der Betrachtung des italoamerikanischen Kinos noch immer einen großen Platz ein: »[ it] continues to serve as the primary vehicle with which to represent Italianness in mainstream commercial cinema«.329 Fred L. Gardaphé stellt drei historische Stadien in der filmischen Inszenierung der italoamerikanischen Gangsterfigur heraus: »The first is gangster portrayal as minstrelsy. Like the blackface minstrelsy of the nineteenth century, the early use of the gangster figure was a means of exploiting and controlling a variant culture through performance. [In the] second stage […], Italian Americans begin to use the figure […] to historicize the Italian immigrant brought to American culture. […] The third stage takes place when Italian Americans begin to parody and renounce the figure as a means of gaining control of their own stories.«330
Die Geschichte des amerikanischen Gangstergenres ließe sich somit parallel zur Theoriegeschichte der Ethnic Studies lesen. Der klassische Gangsterfilm wäre folglich die kulturelle Objektivation einer »hegemonic national imaginary, [which] projects (North) America as constituted by an Anglo-American core, subsequently supplemented by ethnic ›accretions‹«.331 Diese Perspektivierung spiegelt sich in der Tendenz von Ethnizitätsstudien, »[who by f]ocusing on character stereotypes and social mimesis […] have tended to pit an isolated minoritarian group against a fixed, white-American power
328 Ohne irischamerikanischen Gangsterfilmen wie etwa ANGELS WITH DIRTY FACES (1938, R: Michael Curtiz), MILLER’S CROSSING (1990, R: Joel und Ethan Coen), A HISTORY OF VIOLENCE (2005, R: David Cronenberg) und THE DEPARTED (2006, R: Martin Scorsese) ihre genrehistorische Bedeutung abzusprechen, muss man feststellen, dass es auch abseits des Gangstergenres irischamerikanische Filme von ähnlicher Wirkmacht gibt: u.a. YANKEE DOODLE DANDY (1938, R: Michael Curtiz), GOING MY WAY (1944, R: Leo McCarey), A TREE GROWS IN BROOKLYN (1945, R: Elia Kazan) und THE QUIET MAN (1952, R: John Ford). Allen L. Woll und Randall M. Miller erklären sich das geringe Interesse von Film und Fernsehen an irischamerikanischen Geschichten mit einer kulturhistorisch schnelleren Akzeptanz der Iren als Amerikaner in den Medien: »[Thus, for w]hile Irish characters certainly remain on both television and film, their irishness is rarely one of the major points of the story« (Ethnic and Racial Images in American Film and Television, NY/London: Garland 1987, S. 271). Vgl. zur Geschichte des ›irischamerikanischen Kinos‹ auch Dennis Clark/William J. Lynch: »Hollywood and Hibernia: The Irish in the Movies«, in: Miller: The Kaleidoscopic Lens (1980), S. 98-113. 329 D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 643. 330 Gardaphé: Suburban Trickster, S. 94. 331 Shohat: Ethnicities-in-Relation, S. 216
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structure«.332 Mit dem Ende der klassischen Periode – »[with] its clinging to some essentially WASP definition of ›true‹ or ideal Americanness«333 – beginnt eine Phase, in der nicht nur der Gangster in anderen Crime-Subgenres zu einer Randfigur wird, seine Ethnizität spielt auch eine weniger wichtige Rolle: »In keeping with Hollywood’s practice of generalizing stereotypes to avoid offending any specific group, gangsters were rendered ethnically indeterminate«.334 So ist die Wirkmacht von THE GODFATHER (1972) auch damit zu erklären, »[that it was not only] an elaborate return […] to the old-style gangster film, one complete with the criminal as a central character, [but also, importantly], with the convention of the Italian-American criminal«.335 Ist die Ethnizität der Protagonisten in LITTLE CAESAR und SCARFACE ›evident‹ ohne direkt problematisiert zu werden,336 wird sie in den GODFATHERFilmen thematisiert – ohne auf die geläufigen Filmklischees in der Inszenierung von Italoamerikanern zu rekurrieren, »reveal[ing instead more] subtexts about immigration and assimilation – issues that transcend the organized crime underworld«.337 Zu dieser zweiten Phase, in der auch italoamerikanische Künstler das Gangstergenre nutzen, um Ethnizität zu verhandeln, gehören neben Francis Ford Coppolas GODFATHER-Filmen auch die CrimeFilme Martin Scorseses. Um einiges mehr an die amerikanische Kultur assimiliert als frühe Filmgangster, verorten sich die Protagonisten von MEAN STREETS (1973)338, GOODFELLAS (1990) und CASINO (1995)339 in: »a hybrid world largely cut off from the core society and in which Old World Italian and mainstream American influences and habits are strangely mingled«.340 Diese Genrephase ist auch wichtig, so D’Acierno, da man Ethnizität nun nicht mehr nur ›symptomatisch‹ aus den Texten herauslesen musste – wie es noch bei den melodramatischen Werken italoamerikanischer Regisseure wie Frank Capra und Vincente Minnelli der Fall war, die man als ethnische Sig-
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Ebd., S. 217. Munby: Public Enemies, S. 45. Maltby: Spectacle of Criminality, S. 143. Dika: Representation of Ethnicity, S. 82. Messenger: Our Gang, S. 248. Marlisa Santos: »Leave the Gun; Take the Cannoli: Food and Family in the Modern American Mafia Film«, in: Anne L. Bower (Hg.): Reel Food. Essays on Food and Film, New York: Routledge 2004, S. 209-218, hier S. 209. Zu den Gangsterfilmen, die die ethnische Markierung ihrer italoamerikanischen Figuren herausstellen und dabei auf ethnische Klischees zurückgreifen, gehören u.a. THE BROTHERHOOD (USA 1968, R: Martin Ritt), ACROSS 110TH STREET (USA 1972, R: Barry Shear), THE GANG THAT COULDN’T SHOOT STRAIGHT (USA 1971, R: James Goldstone), sowie THE VALACHI PAPERS (USA 1972, R: Terence Young) und THE DON IS DEAD (USA 1973, R: Richard Fleischer). 338 MEAN STREETS, USA 1973, R: Martin Scorsese. 339 CASINO, USA 1995, R: Martin Scorsese. 340 Casillo: Gangster Priest, S. 384.
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nifikanzen kuvrierende, »displaced versions – ›soft operas,‹ as it were – of the Italian American mode of melodramatic excess« ansah –, sondern als ihr eigentlicher Gegenstand erkennen konnte.341 Die dritte Phase wird schließlich von den SOPRANOS repräsentiert, die in ihrer Inszenierung suburbaner Italoamerikaner den aktuellen Stand ethnischer Identitätsprozesse reflektieren. Wie die Gangsterfilme der 1980er und 90er Jahre handelt auch die Serie von »second – or third-generation gangster[s] born into the middle, upper or wealthy classes«, deren Verbrechen nun nicht mehr ihrer Armut geschuldet ist, sondern ihrem noch prekären Selbstverständnis als Italo-Amerikaner.342 »[So the] series sets out in broad strokes a complex portrait of a mob fully entrenched in American capitalism. Marginalized only by their transparent class-climbing ambition, the Sopranos have nearly achieved a suburban ability to ›pass.‹ [They] express a direct relevance to contemporary American life. [Furthermore,] unlike Vito Corleone, the Sopranos don’t worry about becoming legit – as far as they are concerned, they are legit. In many ways, Tony Soprano and his family are middle America.«343
Die Wandlung vom ethnischen Großstadtgangster zum assimilierten Amerikaner der Vorstadt wird auch in Tonys Fahrt in seinem Chevrolet Suburban vom urbanen New York ins suburbane New Jersey im Vorspann zur Serie deutlich.344 Diese berufliche Pendlerfahrt wird für den Einwanderersohn auf der Suche nach seinem amerikanischen Traum zu einem täglichen Ritual, »a reenactment of a choice«.345 Die Sequenz inszeniert demnach en miniature: »the long march (but short distance) earlier immigrants took from the now grim, older factory towns in a new migration to a suburban frontier«.346 Die Fahrt Tony Sopranos über Bundesstaatsgrenzen, vorbei an New Jerseys Industrie und ethnischen Kleinläden verläuft ebenso entlang entsprechender Klassenschranken, die der Gangster bereits hinter sich gelassen hat: So reflektiert die symbolträchtige Auffahrt zu seinem imposanten Anwesen den Wohlstand, der sich aus der Arbeiterklasse speist, durch deren Gebiet er täg-
341 D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 609. 342 Vgl. Casillo: Gangster Priest, S. 384; Nochimson: Dying to Belong, S. 188; Winokur: Eating children, S. 10. Zu diesen selbstironischen US-Gangsterkomödien zählen so etwa PRIZZI’S HONOR (1985, R: John Huston), MARRIED TO THE MOB (1988, R: Jonathan Demme), THE FRESHMAN (1990, R: Andrew Bergman), MY BLUE HEAVEN (1990, R: Herbert Ross) und GOODFELLAS (1990). 343 Walker: Fin-de-Siècle Gangster, S. 384, 390. 344 Vgl. Fred L. Gardaphé: From Wiseguys to Wise Men. The Gangster and Italian American Masculinities, New York: Routledge 2006, S. 152. 345 E. Anthony Rotundo: »Wonderbread and Stugots: Italian American Manhood and The Sopranos«, in: Barreca: Sitdown with the Sopranos (2002), S. 47-74, hier S. 47. 346 Messenger: Our Gang, S. 283.
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lich fährt, von der er sich geographisch bereits entfernt hat.347 »[Hence Tony] has come to signify the postmodern American who struggles to fashion an identity that reconciles an ethnic past with a multicultural present.«348 Die Popularität des Gangstergenres im amerikanischen Mainstreamfilm mag den Eindruck erwecken, italoamerikanische Filmemacher wie Coppola, Scorsese, Chase und die zahlreichen Autoren und Regisseure der SOPRANOSFolgen müssten immer auf diesen beliebten Genrekontext zurückgreifen, um ihre ethnisch spezifischen Lebenserfahrungen an ein größeres, ethnisch vielseitiges Publikum zu kommunizieren.349 Doch angesichts des großen Publikumserfolgs der SOPRANOS könnte man auch positiv gewendet konstatieren, »that the Italians have finally, after more than 100 years of living in [the States], assimilated sufficiently enough to warrant a prime-time cable show about life in suburbia«.350 Wie man die Serie in der Darstellung mehr oder weniger assimilierter, krimineller wie nichtkrimineller Italoamerikaner auch letztlich beurteilen mag, in Bezug auf das Gangstergenre vollzieht sich hier eine genrehistorische Entwicklung, die man für die amerikanische Kulturgeschichte als charakteristisch bezeichnen kann, und die die melodramtheoretische Ausgangsfragestellung der vorliegenden Arbeit noch einmal aufgreift: »The destiny of generic popular forms is finally to be domesticated and turned back to the American public in the most comprehensive cycling through bourgeois values and their interrogation on television. […] The question becomes then: what narratives cannot be absorbed by the American middle class if the mob boss becomes just another tired, befuddled guy driving home to suburbia every evening?«351
347 Nochimson: Tony’s Options, unter: http://www.sensesofcinema.com/2003/ feature-articles/sopranos_televisuality/, l.A.: 01.03.11. 348 Gardaphé: Suburban Trickster, S. 109. 349 Die Beiträge zum Band Beyond the Godfather: Italian American Writers on the Real Italian American Experience (hg. v. Jay Parini/A. Kenneth Ciongoli, New England: UP 1997) würden diesem Urteil beherzt widersprechen, aber sich mit ebenso wirkmächtigen Alternativen abseits des Gangstergenres schwer tun. 350 Gardaphé: Suburban Trickster, S. 99. Anders formuliert dies der Ethnizitätsforscher Herbert J. Gans: »The recent upward social, and centrifugal geographic, mobility of ethnics, particularly Catholics, has finally enabled them to enter the middle and upper-middle classes, where they have been noticed by the national mass media, which monitor primarily these strata. In the process they have also become more noticeable to other Americans« (Symbolic Ethnicity, S. 430). 351 Messenger: Our Gang, S. 254f., 282f.
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T HE S OPRANOS AUF HBO: »Q UALITY T ELEVISION «, I NTERMEDIALITÄT , C ULTURAL S TUDIES Bei der Lektüre einer Fernsehserie hinsichtlich ihrer Traditionsbezüge zu einem Filmgenre besteht die Schwierigkeit, zwei prinzipiell distinkt wahrgenommene Medien zu vergleichen, die sich von Anfang an in einem komplizierten Konkurrenz- und Austauschverhältnis befinden. Als Erzählformen in Bild und Ton mögen sich Film und Fernsehen weitestgehend ähneln, als historische Größen zeichnen sie sich allerdings durch narrative und stilistische Eigenheiten aus, die aus den jeweiligen produktionstechnischen, rezeptionskontextuellen und ökonomischen Rahmenbedingungen resultieren. Wie eine Handlung audiovisuell vermittelt wird, ist nicht selten auch davon abhängig, welcher Produktionsaufwand betrieben, für welchen Vertriebsmarkt produziert und was für ein Zielpublikum angesprochen werden soll. Somit handelt es sich auch bei den Metaverweisen der SOPRANOS auf den Gangsterfilm um »ein Verfahren der Bedeutungskonstitution, nämlich den (fakultativen) Bezug, den ein mediales Produkt zu einem Produkt eines anderen Mediums oder zum anderen Medium qua System herstellen kann. Das Medienprodukt verwendet also über seine ›normalen‹ Verfahren der Bedeutungskonstitution hinaus […] Verfahren intermedialer Natur und konstituiert sich so in Relation zu einem anderen medialen System bzw. zu einem […] Produkt eines anderen Mediums. [D]as kontaktgebende Medienprodukt oder mediale System [wird] in seiner Differenz und/oder Äquivalenz ›mitrezipiert‹ […]. [Es werden folglich] Elemente und/oder Strukturen eines anderen, konventionell als distinkt wahrgenommenen Mediums mit den eigenen, medienspezifischen Mitteln thematisiert, simuliert oder, soweit möglich, reproduziert.«352
Die sukzessive Angleichung der Rahmenbedingungen von Film und Fernsehen in den letzten Jahrzehnten hat allerdings zu einer Verwischung der Mediengrenzen geführt. Film und Fernsehen sind mittlerweile dazu in der Lage, die ästhetischen und erzählerischen Eigenheiten des jeweils anderen Mediums zu reproduzieren. So fehlt es heutigen Fernsehgroßproduktionen nicht mehr an dem höheren Materialaufwand und der längeren Entwicklungszeit von Hollywoodepen,353 während Fernsehsendungen nun nicht mehr nur im gewohnten 4:3-Bildformat (Seitenverhältnis 1.33:1), sondern auch im 16:9Format (Seitenverhältnis 1.78:1) gesendet werden, das sich an den meistbenutzten Seitenverhältnissen moderner Kinofilme (1.85:1, 2:39:1) orientiert. Im Gegenzug tendieren zeitgenössische Filmreihen dazu, mit Parallelhand-
352 Rajewsky: Intermedialität, S. 17. 353 Beispiele sind epische, sehr aufwendig produzierte HBO-Produktionen wie z.B. BAND OF BROTHERS (2001, C: Steven Spielberg, Tom Hanks), JOHN ADAMS (2008, R: Tom Hooper), ROME (2005-2007, C: Bruno Heller, John Milius, William J. MacDonald) und BOARDWALK EMPIRE (2010––, C: Terence Winter).
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lungen, langen, intimen Nahaufnahmen, einer längeren Erzählzeit und weit detaillierterer Figurenzeichnung zu erzählen.354 Trotz dieser Entwicklung zu medienhybriden Texten, lassen sich beide Medien noch immer an den ästhetischen und narrativen Konventionen, die das Publikum mit dem jeweiligen Medium historisch verbindet, in Abgrenzung voneinander bestimmen. Auch innerhalb der SOPRANOS Studies wird je nach Standpunkt beobachtet, »[how within the series], televisual aesthetics are frequently employed to break up and fragment the narrative’s more traditionally ›cinematic‹ images and techniques«,355 oder wie im finanziell und zeitlich engeren Produktionsrahmen einer Fernsehserie versucht wird, die ›hochwertigere‹ Ästhetik aufwendiger Mainstreamfilme zu reproduzieren.356 Der oft geäußerte Anspruch von Series Creator David Chase, keine dialoglastige Fernsehserie machen zu wollen, sondern die Folgen als relativ eigenständige, einstündige ›Filme‹ anzulegen,357 spricht für die Ambition der Serie, sich mit den Mitteln des Fernsehmediums der Ästhetik der Genrefilme anzunähern. Die Kritik, die Chase am Fernsehen übt, fordert von der Serie zum einen intermediale Bemühungen, die es an ihre ästhetischen ›Grenzen‹ bringen. Zum anderen werden damit die narrativen Möglichkeiten des Films durch die längere Laufzeit einer Serie erweitert, »[in the process], ironically produc[ing] a complex and sophisticated narrative structure that simultaneously denigrates and celebrates its own inherent potential and artistic possibilities«.358 Es entsteht somit eine selbstreflexive Medienhybride aus Film und Fernsehen, »[which] implicitly forces the viewer to confront the very means by which the narrative is produced, contained and finally received«.359 In der narrativ komplexen Struktur der SOPRANOS, die sowohl Strategien der Reproduktion wie der televisuellen ›Überwindung‹ filmischer Darstellungskonventionen verbindet, anstatt die zwei Konkurrenzmedien zu hierarchisieren, gehen diese Medien somit
354 Kristin Thompson notiert: »the tendencies toward adaptations of stories among media, toward sequels, and toward seriality are all part of a general stretching and redefinition of narrative itself. In particular, the notion of firm and permanent closure to any given narrative has loosened across media« (Storytelling in Film and Television, Cambridge/London: Harvard UP 2003, S. 105). Siehe etwa THE LORD OF THE RINGS (NZ/USA/D 2001-2003, R: Peter Jackson), THE MATRIX (USA 1999-2003, R: Larry und Andy Wachowski), HARRY POTTER (USA/GB 2001-11, R: Chris Columbus, Alfonso Cuarón, Mike Newell, David Yates), und im Umkehrschluss die sitcomhaften, dialoglastigen amerikanischen Komödien eines Judd Apatow (THE 40 YEAR OLD VIRGIN, 2005; KNOCKED UP, 2007) oder eines Kevin Smith (CLERKS., 1994; CHASING AMY, 1997). 355 Creeber: TV Ruined the Movies, S. 132. 356 Nochimson: Tony’s Options, unter: http://www.sensesofcinema.com/2003/ feature-articles/sopranos_televisuality/, l.A.: 01.03.11. 357 Vgl. Chase/Bogdanovich: DVD Interview, Season One. 358 Creeber: TV Ruined the Movies, S. 125. 359 Ebd., S. 134.
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»eine Verbindung ein, deren Resultat etwas nicht an sich Fassbares ist, sondern immer nur zwischen ihnen existiert, im prozeßhaften, im vergänglichen und nicht wiederholbaren Akt ihres Zusammenspiels. […] [I]n diesem Sinne generiert die Kombination der Medien einen Moment des Intermedialen, […] einen Ort, eine Befindlichkeit, einen ›bewegten Zustand‹, der zwischen den Medien […] ist – keine Synthese der Medien, was ein Aufgehen des einen im anderen voraussetzen würde, sondern immer und fortwährend oszillierendes, vergängliches ›Dazwischen‹.«360
Der mediale Zwischenraum, den THE SOPRANOS besetzen, spiegelt sich auch im Namen des Fernsehsenders, der die Serie produziert und ausgestrahlt hat. Das Akronym HBO steht für »Home Box Office« und markiert damit einen medialen Grenzort, der die ortsgebundene sowie konventionell geschlechtlich konnotierte361 Trennung von Fernsehen/Heim und Film/Kinokasse verwischt. Doch im Unterschied zu den SOPRANOS wird nicht die kulturelle Hierarchie zwischen Film und Fernsehen zugunsten einer neuen, hybriden Form abgelöst, sondern forciert. Das im Sendernamen implizite Versprechen, ein filmästhetisches Erlebnis im ›gewöhnlichen‹ Fernsehprogramm anzubieten, wird auch durch den Slogan unterstrichen, mit dem der amerikanische PayTV-Sender seit 1997 für sich wirbt: »It’s not TV. It’s HBO.« Beim intertextuellen, nicht selten genrehistorisch revitalisierenden Rückgriff ambitionierter HBO-Eigenproduktionen auf sehr populäre, aber mitunter für antiquiert befundene Genres des US-Mainstreamfilms, wie den Polizeifilm (THE WIRE, 2002-2008),362 den Western (DEADWOOD, 2004-2006),363 den Monumentalfilm (ROME, 2005-2007)364 und den Gefängnisfilm (OZ, 1997-2003)365 liegt also stets ein exemplarischer Fall von Intermedialität vor, bei dem »das Bezugssystem [indirekt erwähnt wird], […] indem bestimmte seiner Komponenten reproduziert werden, die ihrerseits auf das ihnen zugehörige System verweisen, das so als Bezugssystem des Hypertextes erkennbar wird.«366 Dieser qualitative, durch einen beständig ausgestellten formalen und inhaltlichen Anspruch hergestellte Bezug auf das kulturell angesehenere, weil bereits etablierte Medium Film, den HBO bereits vor den SOPRANOS gepflegt hat, »allows speculation about the class dynamics of the Soprano family’s televised representation and also speaks to both melodrama and cable television’s altering of TV viewing patters and their analogies to movie going«.367 So handelt es sich bei HBO nicht nur um den wohl reichsten Fernsehsender der Welt, sein exklusives Bezahlfernsehen wird auch nur von einem oft als
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Rajewsky: Intermedialität, S. 22. Vgl. Mulvey: Inside and Outside the Home, S. 63. THE WIRE, USA 2002-2008, C: David Simon, HBO. DEADWOOD, USA 2004-2006, C: David Milch, HBO. ROME, USA 2005-07, C: B. Heller, John Milius, William MacDonald, HBO. OZ, USA 1997-2003, C: Tom Fontana, HBO. Rajewsky: Intermedialität, S. 67. Messenger: Our Gang, S. 284.
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›elitär‹ bezeichneten Viertel der amerikanischen Haushalte genutzt, die Network-Fernsehen empfangen.368 Als Abonnementfernsehen ist der Sender zudem auch nicht auf eine Finanzierung durch Werbung angewiesen und kann daher auf Werbeunterbrechungen seiner Programme verzichten sowie unabhängig von der staatlichen FCC-Behörde operieren, die für die Regulierung der amerikanischen Medienkanäle und ihrer Zensur verantwortlich zeichnet. Die daraus resultierende ›kreative Exklusivität‹ des Senders und die Sonderstellung, die er als Pay-TV genießt, das explizitere, im Fernsehen tabuisierte Inszenierungen von Gewalt, Sex und Vulgärsprache ausstrahlen darf, wird von HBO auch in der Vermarktung seiner anspruchsvolleren und kontroverseren Sendungen wiederholt betont.369 THE SOPRANOS gelten in dieser Beziehung nach der besonders brutalen Gefängnisserie OZ und der sehr offenherzig-verspielten Sitcom SEX AND THE CITY (1998-2003)370 als beispielhaft. Inzwischen ist die qualitative ›Monopolstellung‹ HBOs allerdings zu relativieren aufgrund von Basic cable-Sendern wie etwa FX und AMC, die im Unterschied zu HBOs Premium cable-Programm kostenlos zu empfangen sind und über geringere Budgets für ihre Produktionen verfügen, aber in den vergangenen Jahren mit von der Kritik ebenso gefeierten und auch beim Publikum erfolgreichen Fernsehserien auf sich aufmerksam machen konnten.371 HBO und THE SOPRANOS als ihre bekannteste Produktion stehen mit dem Anspruch, ›mehr‹ zu bieten als Network-Fernsehen (wozu Senderketten wie ABC, NBC, CBS und jüngere Rundfunkgesellschaften wie etwa FOX und The CW gehören) auch im Zentrum einer Forschungsdebatte372 um den Terminus ›Quality Television‹, das sich nach Robert J. Thompson ebenfalls am besten ex negativo definiere: »It is not ›regular‹ TV.«373 ›Quality TV‹ als ein ›Fernsehgerne‹374 zeichne sich dadurch aus, dass es sich von dem kultu-
368 Vgl. ebd. 369 Vgl. Janet McCabe/Kim Akass: »Sex, Swearing and Respectability. Courting Controversy, HBO’s Original Programming and Producing Quality TV«, in: dies. (Hg.): Quality TV. Contemporary American Television and Beyond, London/ New York: Palgrave Macmillan 2007, S. 62-76, hier S. 69. 370 SEX AND THE CITY, USA 1998-2004, C: Darren Star, HBO. 371 Siehe THE SHIELD (2002-2008, C: Shawn Ryan, FX), RESCUE ME (2004––, C: Denis Leary/Peter Tolan, FX), DAMAGES (2007––, C: Todd A. und Glenn Kessler/Daniel Zelman, FX), MAD MEN (2007––, C: Matthew Weiner, AMC). 372 Die Sammelbandreihe »Reading Contemporary Television« des Verlags »Palgrave Macmillan« und die »Essential Readers in Contemporary Media and Culture Studies« der Kentucky University Press sind in diesem Zusammenhang für die derzeit florierenden American Television Studies besonders zu erwähnen. 373 Robert J. Thompson: Television’s Second Golden Age: From Hill Street Blues to ER, New York: Continuum 1997, S. 13. 374 »[I]t may have originally been used just to describe unusually good shows, [but] ›quality‹ in ›quality TV‹ has come to refer more to a generic style than to
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rell für minderwertig befunden Medium entferne und sich in seiner kompositorischen Dichte an der Literatur und in seiner audiovisuellen Opulenz am Film orientiere.375 Danach begann das Fernsehen seine Entwicklung – wie der Film vor ihm – zunächst als Abbildungsmedium, »[that is], not as an expressive form of its own but as nothing more than a transmission device«, das sich erst durch den höheren künstlerischen Anspruch an die eigene Form nobilitieren konnte: ›Qualitätsfernsehen‹ als Begriff ließe sich so als eine televisuelle Analogie zum Begriff des Kunst- oder Autorenfilms verstehen376: »American quality television programmes tend to exhibit high production values, naturalistic performance styles, recognized and esteemed actors, a sense of visual style created through careful, even innovative, camerawork and editing, and a sense of aural style created through the judicious use of appropriate, even original music. This moves beyond a ›glossiness‹ of style. Generally, there is a sense of stylistic integrity, in which themes and style are intertwined in an expressive and impressive way.«377
Diese ›Integrität‹ wird in den angloamerikanischen Television Studies in der Regel – in Analogie und Abgrenzung zum Regisseur als Auteur, als zentrale kreative Instanz eines Films – auf den ›Schöpfer‹ und ausführenden Produzenten der Serie, auf den ›Series Creator‹ zurückgeführt.378 Doch ebenso wie die Filmproduktion ist auch die Fernsehproduktion eine Kollaboration vieler Künstler und Handwerker, weshalb die Praxis der SOPRANOS Studies, David Chase als Series Creator zum zentralen, wenn nicht gar einzigen ›Autor‹ der Serie zu erklären,379 meist zu kurz greift. Mit der Zuschreibung wird auch in der Fernsehforschung die Frage nach der Intention eines ›Autors‹ aufgeworfen, den man in der Kulturwissenschaft – trotz seiner Popularität in der Melodramforschung der frühen 1970er Jahre – als letzte Instanz der ›Textaussage‹ mittlerweile entkräftet hat. Schließlich kann es der Fall sein, dass dem
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an aesthetic judgment. […] [By] the 1990s ›quality TV‹ has become a genre in itself, complete with its own set of formulaic characteristics.« Ebd., S. 13, 16. Ebd., S. 15. Lynne Joyrich meint, dass es sich bei dem erklärten Anspruch von ›Quality TV‹ ebenso um den Versuch handelt, sich von dem weiblich semantisierten Fernsehmedium zu distanzieren und die hochwertigere ›maskuline‹ Position des Films anzustreben. Vgl. Joyrich: Textual Hypermasculinity, S. 166. Vgl. Thompson: Second Golden Age, S. 20, 16. Sarah Cardwell: »Is Quality Television Any Good? Generic Distinctions, Evaluations and the Troubling Matter of Critical Judgment«, in: McCabe/Akass: Quality TV (2007), S. 19-34, hier S. 26. Vgl. Michael Kackman: »Quality Television, Melodrama, and Cultural Complexity«, in: Flow TV, unter: http://flowtv.org/?p=2101, l.A.: 01.03.11. Vgl. Maurice Yacowar: The Sopranos on the Couch: Analyzing Television’s Greatest Series, New York: Continuum 2005³, S. 18-20; Thomas Fahy (Hg.): Considering David Chase (2007); Richard Greene/Peter Vernezze (Hg.): The Sopranos and Philosophy: I Kill Therefore I Am, Chicago: Open Court 2004.
102 | G ANGSTER M ELODRAMA »Autor beim Schreiben aber seine ›Intention‹ nicht recht bewusst [war], möglicherweise sind seine Äußerungen ›ex post‹ durch das ›kontaminiert‹, was die Psychologie ›Rückschaufehler‹ nennt, möglicherweise sind die Autor-Selbstausdeutungen nicht weniger interpretationsoffen als das Oeuvre, auf das sie bezogen sind. [So ist] eine komplexe kulturelle Objektivation nicht auf das zurück[zu]rechnen, was der Autor […] ›damit sagen wollte‹ […]. Das heißt nicht, dass die ›Intentionskategorie‹ ganz aus den Literatur- oder auch Filmwissenschaften verschwunden ist: Im Blick sollte aber auch sein, dass die ›Intention‹ dem Text (im Sinne von kultureller Objektivation) nicht vorausgeht, sondern sich als sein performativer Effekt beschreiben lässt.«380
Die Verlagerung der Aufmerksamkeit des Forschers von der ›Intention‹ eines Textes zu seiner spezifischen Sinnproduktion führte in den film studies seit dem Ende der 1970er Jahre zu einem wissenschaftlichen »shift[..] from the signified of films to the practice of signification, from what a film means to how it produces meaning«,381 kurz: vom Auteurbegriff zum Genrebegriff. Methodisch bedeutet dies für die vorliegende Arbeit, dass Kommentare von David Chase – und von anderen Künstlern in der Produktion der besprochenen Filme und SOPRANOS-Folgen – zu den Texten nach ihrer jeweiligen Gültigkeit berücksichtigt werden. Es wird aber nicht danach gefragt, inwiefern THE SOPRANOS Chases Handschrift trägt, seine von der Kritik oft angesprochene Biographie widerspiegelt oder was er mit seiner Serie ›sagen‹ wollte. Chase selbst hat sich vor Interpretationen dieser Art gesträubt und die Serie als einen offenen, ambigen Verhandlungsraum erfasst: »I think there should be visuals on a show, some sense of mystery to it, connections that don’t add up. […] there should be dreams and music and dead air and stuff that goes nowhere. There should be, God forgive me, a little bit of poetry«.382 THE SOPRANOS erfüllt Thompsons umfangreichen, vor dem kommerziellen Siegeszug von ›Quality Television‹ und HBO ab den späten 1990er Jahren aufgestellten Kriterienkatalog in vielerlei Hinsicht. Die Serie kombiniert Komik und Tragik, verhandelt oft kontroverse Themen, nimmt eine liberalhumanistische Position ein, arrangiert zahlreiche Parallelhandlungen um ein großes Figurenensemble, ist stets um Plausibilität und ›Realismus‹ bemüht, und dabei doch oft: »self-conscious, [making o]blique allusions to both high and popular culture, but mostly to TV itself [so as to] distance [itself] from the stigmatized medium and to announce that [it is] superior to the typical trash available on television«.383 Darüber hinaus greift die Serie auch auf populäre Filmschauspielern und -genres zurück, hybridisiert letztere und un-
380 Liebrand: Gender-Topographien, S. 20 (Anm. 23). 381 Barry Keith Grant: Introduction, in: ders.: Film Genre Reader II (1995), S. XVXX, hier S. XVIf. 382 David Chase, zitiert in: Heather Havrilesky: »The Sopranos« hits its darkest note, in: Salon.com, unter: http://dir.salon.com/story/ent/tv/review/2004/03/05/ sopranos/index.html, l.A.: 01.03.11. 383 Vgl. Thompson: Second Golden Age, S. 15.
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terzieht sie einer Umschrift, die mit den Konventionen der Ursprungsgenres bricht.384 Im Unterschied zu den von Thompson besprochenen ›Quality TV‹Serien der 80er und frühen 90er Jahre, die sich als frühe Kritikererfolge erst zu soliden Quotenerfolgen mauserten,385 waren THE SOPRANOS nicht nur ein prompter Kritiker- und Quotenerfolg in den USA, sondern entwickelten sich auch zu einem vielzitierten Popkulturphänomen.386 Ein weiteres wichtiges Charakteristikum von ›Qualitätsfernsehen‹ ist der reflektierte, kritische Bezug auf die aktuelle Kultur, der sich nicht in den ›banalen‹ Alltagssituationen ›gewöhnlicher‹ Soap- und Sitcom-Serien erschöpft: »[Instead Quality TV suggests] that they may be read symbolically, reflexively or obliquely in order that broader truths about life or society might be found«.387 Mit anderen Worten: Der Zuschauer wird angeregt, vermeintlich unbedeutende Details und triviale Zusammenhänge auf ihren konnotativen Reichtum hin zu prüfen,388 dem Geschehen mit einer besonderen Aufmerksamkeit zu folgen, wie man sie weder mit dem TV-Medium, noch mit der Soap verbindet.389 Das ist ein Bedeutungsanspruch, der auch an den impliziten Sinngehalt erinnert, den Brooks dem Melodram attestiert, »[i.e.], a rhetoric that can infuse the banal and the ordinary with the excitement of grandiose conflict«.390 Die Besonderheit des Melodrams resultiert somit aus einer Rhetorik, die aus dem Alltäglichen und dem Persönlichen ihre besondere Dramatik bezieht: »[In most melodrama], significant things and gestures are necessarily metaphoric in nature because they must refer to and speak of something else. Everything appears to bear the stamp of meaning, which can be expressed, pressed out, from it. [Hence] the seeming paradox that the total expressivity assigned to gesture is related to the ineffability of what is to be expressed. Gesture is read as containing such meanings because it is postulated as the metaphorical approach to what cannot be said.«391
384 Ebd., S. 13-15. 385 Ebd., S. 14f. 386 Für eine etwas zu zynische, aber facettenreiche Analyse dieses Phänomens vgl. Polan: Sopranos, S. 143-196. 387 Cardwell: Any Good, S. 26. 388 Vgl. ebd., S. 28. 389 Vgl. Kuhn: Women’s Genres, S. 341. Dieser Anspruch wird auch von sich ändernden Rahmenbedingungen in der Rezeption von TV-Serien begünstigt: Die Möglichkeit, Sendungen auf DVD und im Internet zu sehen oder mit dem Festplattenrekorder TiVo zusammenzustellen, hat zu einer steigenden Komplexität und Serialisierung von Serien geführt, um ein oft kleines, aber loyales Kultpublikum zu erreichen, das sich ihre Lieblingsserien häufig auch mehrere Male ansieht. Vgl. dazu Jason Mittell: »Narrative Complexity in Contemporary American Television«, in: The Velvet Light Trap 58 (2006), S. 29-40, hier S. 31. 390 Brooks: Melodramatic Imagination, S. 40. 391 Ebd., S. 10f.
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Das Filmmelodram der 50er ist beispielhaft für diesen Bedeutungsanspruch an die Form, »[in which] what one might call an intensified symbolization of everyday actions, the heightening of the ordinary gesture and a use of setting and décor [is used] to reflect the characters’ fetishist fixations [on the material world around them]«.392 Der klassische Hollywoodfilm wurde von der Forschung als ein ›männliches‹, wirklichkeitsnahes Erzählkino angesehen, das in seinem – durch den Tonfilm und die von den Figuren gesprochenen, statt in Zwischentiteln eingeblendeten Dialoge – gesteigerten Anspruch auf Realität seine frühere Melodramatik und das wild gestikulierende Spiel der Akteure zu naturalisieren sucht. Wohingegen das stilisierte Familienmelodram und der Woman’s Film als ›feminin-triviale‹ Rückfalle auf den semantisch überladenen Unsagbarkeitstopos des Stummfilms gelesen wurde. »Recovery of realism and tragedy at the turn of the century as categories demarcating high from popular culture coincided with a re-masculinisation of cultural value. Realism came to be associated with (masculine) restraint and underplaying. It eschewed flamboyant characterization in favor of psychological analysis, carried in verbal discourse and dialogue. The gestural rhetoric of melodramatic acting was displaced by ›naturalist‹ performance styles. Tragedy and realism focused on ›serious‹ social issues or inner dilemmas, recentring the hero and claiming tragic value for the failure of heroic potential. Sentiment and emotiveness were reduced in significance to ›sentimentality‹ and exaggeration, domestic detail counted as trivia, melodramatic utopianism as escapist fantasy and this total complex devalued by association with a ›feminized‹ popular culture.«393
Aufgrund der ›bedeutungsschweren Stummheit‹ der Figuren ist die Überdeterminierung ihrer Gesten394 besonders wichtig für die Sinnproduktion des Filmmelodrams. »What is truly modern about melodrama, then, is its reliance on personality – and on the revelation of personality through body and gesture – as the key to both emotional and moral truth.«395 Die Mimen greifen auf »das grundlegende Muster melodramatischer Schauspielkunst [zurück]. Der körperliche Ausdruck stellt ein Leid vor Augen, das sich sprachlich nicht artikulieren kann.«396 Galt in den Stummfilmmelodramen der 10er und 20er wegen medialer Limitationen mehr noch als in den Filmmelodramen der 50er die melodramatische Grundregel, »[that g]esture reveals what words conceal«,397 so wird im klassischen Hollywoodfilm das Mienen- und
392 Elsaesser: Family Melodrama, S. 366. 393 Gledhill: Melodramatic Field, S. 34. Vgl. auch Kelleter/Mayer: Melodramatic Mode Revisited, S. 10; Williams: Melodrama Revised, S. 50; Mulvey: Inside and Outside the Home, S. 74f. 394 Vgl. Gledhill: Signs of Melodrama, S. 224. 395 Williams: Race Card, S. 40f. 396 Kappelhoff: Privattheater der Hysterikerin, S. 187. 397 Gledhill: Signs of Melodrama, S. 210.
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Gestenspiel als unmittelbarer Ausdruck des Innenlebens einer Figur verstanden: »[It] emphasizes action, ›the outward expression of inner feeling,‹ the litmus test of character consistency. Even a simple physical reaction – a gesture, an expression, a widening of the eyes – constructs character physiology in accordance with other information.«398 So gibt es im klassischen Gangsterfilm nicht wenige Figuren, deren Persönlichkeit fast nur durch mehrmals wiederholte Sätze, Gesten und Mienen zum Ausdruck kommt,399 so etwa die Eigenart eines Gangsters in SCARFACE in allen seinen Szenen immer wieder eine Münze hochzuwerfen und aufzufangen, bis sie ihm bei seiner Ermordung aus der Hand fällt. Auch für den durch das Schweigegebot der Omertà intensivierten Alltag der SOPRANOS und das semantisch und emotional aufgeladene, von konventionell italienischer Expressivität400 geprägte Spiel der SOPRANOS-Darsteller gilt das, was Hermann Kappelhoff für die Bedeutungsproduktion der Melodramen der 1950er schreibt: »die schauspielerische Aktion [geht zuweilen] ins Ausdruckshaft-Gestische über, während die Handlung sich zur gleichnishaften Konstellation verdichtet. Aufgeladen mit Bedeutsamkeit, kippt die szenische Figuration in ein parabolisches Tableau.«401 Das Schlussbild einer emotional oder narrativ sehr wichtigen Szene in den SOPRANOS erinnert dabei weniger an die emotional überladenen Nahaufnahmen der Soap in Folge einer überraschenden Handlungsentwicklung und kurz vor einer Werbeunterbrechung als an das konventionelle Schlusstableau des Bühnenmelodrams, in denen die Akteure auf der Höhe ihrer Emotionen für einen bedeutungsvollen Moment in ihren Bewegungen verharren: »In stage melodrama, the moment of recognition is often the classic theatrical tableau used at the ends of scenes to offer a concentrated summing up of and punctuation for the tensions of the whole act. […] In such theatrical tableaux the actors would move into a held »picture,« sometimes self-consciously imitating existing paintings or engravings. The tableau was used theatrically as a silent, bodily expression of what words could not fully say. It was also a way of crystallizing the dramatic tensions within a scene and of musically prolonging their emotional effects.«402
Eine zentrale Rolle in diesen ›stummen‹ Szenen spielt die Musik, das melos im Melodram, das die Stimmung eines Films oder einer Folge früh etabliert und die emotionale Verfassung der Figuren – in der Regel extradiegetisch – vermittelt und kommentiert. Die Verwendung von Musik im Stummfilm –
398 Bordwell/Staiger/Thompson: Classical Hollywood Cinema, S. 15. 399 Vgl. ebd. 400 »[That is], Italians as extroverted and gregarious people of the pagan spectacle […] Italian Americans are perpetually characterized as the primitive people of the body [and t]heir proper language is body language: the language of gesture and the self-display of the spectacle« (D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 604). 401 Kappelhoff: Matrix der Gefühle, S. 247. 402 Williams: Race Card, S. 30.
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»the kind of clear identity it provided for character and incident, the rigorous necessity it conferred on mode and meaning«403 – wird im Film- und Fernsehmelodram so wieder aufgegriffen und intensiviert. Auch im Gangstergenre gilt – egal ob es sich um die romantisch-elegischen Kompositionen eines Nino Rota und Carmine Coppola für die GODFATHER-Trilogie oder um die Verwendung populärer Songs in THE PUBLIC ENEMY, GOODFELLAS und den SOPRANOS handelt – die Regel: »the music [is] mainly chosen for the rhythm and emotion of each scene«,404 appelliert so als Teil der melodramatischen Form an die Gefühle der Zuschauer und regt sie so zu privilegierten Lektüren einzelner Szenen und Figuren an.405 Ein weiterer ›stummer Bedeutungsträger‹ melodramatischer Texte ist die Platzierung von und der Umgang mit Essen innerhalb der Diegese.406 In den SOPRANOS sieht man in nahezu jeder Szene mindestens eine Figur beim Verzehr, bei der Herstellung oder dem Transport von Nahrungsmitteln und in jedem der Handlungsräume stehen mit zahlreichen Bedeutungen konnotierte Gerichte und Getränke zum Konsum bereit. Thomas Fahy zieht eine produktive Analogie zwischen dem Einsatz von source music – populäre Musik, die nicht eigens für den Film oder für die Serie komponiert wurde – und von Essensszenen in der Serie: »chewing, drinking, and passing around dishes establish a distinct rhythm. These aspects of eating punctuate conversation, [d]raw attention to what the characters aren’t saying – what they are holding back from each other. The rhythm (or time spent consuming a meal) and the harmonies (or exchanges that occur when sharing food) reflect the characters’ state of mind, […] their anxieties, desires, and resentments.«407
In der Forschung zur Inszenierung von Nahrungsmitteln gilt Essen als eines der selten bewusst wahrgenommenen, aber wichtigen semiotischen Systeme der Bühne und des Films für eine soziokulturell ›authentische‹ Darstellung der handelnden Figuren408 – nicht zuletzt in melodramatischen Texten: »[as] a polysemous signifier that articulates in concrete terms what is very often
403 Brooks: Melodramatic Imagination, S. 14. 404 Scorsese zitiert in: Christie/Thompson: Scorsese on Scorsese, S. 161. 405 Thomas Fahy: »›You Don’t Have to Eat Every Dish of Rigatoni‹: Food, Music, and Identity in the Works of David Chase«, in: ders.: Considering David Chase (2007), S. 74-92, hier S. 78. 406 Gaye Poole: Reel Meals, Set Meals. Food in Film and Theatre, Sydney: Currency 1999, S. 4. 407 Fahy: Rigatoni, S. 75. 408 Vgl. Anne L. Bower: »Watching Food: The Production of Food, Film, and Values«, in: dies.: Reel Food (2004), S. 1-17, hier S. 10. Vgl. auch Thomas Fahy, der zusammenfassend feststellt: »Food […] tends to reflect a set of cultural and personal values. It is associated with social status, class, ethnic identity, body image, and feelings of belonging and alienation.« (Dish of Rigatoni, S. 81f).
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internal, vague, abstract. Food provides a matrix, a language«.409 Der an die Sinne adressierten, oft opulenten Darbietung von Gerichten und der Materialität von Nahrung als bedeutungsstiftende Requisiten im Handlungsraum wird dabei eine affektive, fast vor-symbolische Intensität zugesprochen.410 Wie das Filmmelodram der 50er Jahre widmen auch THE SOPRANOS den Großteil ihrer Zeit »[to] a serious attention to the drama of the ordinary«,411 die Folgen werden selten vom Plot, sondern von den schrulligen Persönlichkeiten der Figuren bestimmt. Das ist eine Konvention, auf die auch das amerikanische Qualitätsfernsehen mit seiner Affinität für die komplexe Dramaturgie und die komplizierten Figurenbeziehungen der Fernsehsoap412 regelmäßig zurückgreift, um neue Entwicklungen gegen das kollektive Gedächtnis der Serie und ihrer Zuschauer auszuspielen. Anders gesagt: »Quality TV has a memory.«413 Und als typische Soap werden THE SOPRANOS von einem »behäbige[n], langsame[n] Handlungsablauf [bestimmt, in der die] reichlich vorhandene Zeit [dazu] genutzt [wird], um ausgiebig die emotionalen Reaktionen der Charaktere ins Bild zu setzen«.414 Entsprechend gemächlich und bedächtig auch das Erzähltempo der Serie, deren Folgen gefüllt sind mit alltäglichen Ereignissen und Figurennuancen, die sich über zahlreiche Folgen oder Staffeln zu bedeutenden Handlungssträngen verdichten oder jedoch abrupt verlaufen können.415 Wie im Hollywood-Melodram der 1950er Jahre, »[there is more often than not an] acute sense of claustrophobia in decor and locale [which] translates itself into a restless and yet suppressed energy surfacing sporadically in the actions and the behavior of the protagonists […], with hysteria bubbling
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Poole: Reel Meals, S. 2. Vgl. ebd., S. 3. Vgl. auch Bower: Watching Food, S. 10f. Brooks: Melodramatic Imagination, S. 13. »As the Golden Age of television […] – a time stretching roughly from 1947 to 1960 when serious people could take TV seriously – […] was rooted in the legitimate stage, quality dramas [from the Second Golden Age] were rooted in the soap opera.« Thompson: Second Golden Age, S. 35, 11. 413 Thompson: Second Golden Age, S. 14. 414 Hans J. Kleinsteuber: »Die Soap Opera in den USA. Ökonomie und Kultur eines populären Mediums«, in: Irmela Schneider (Hg.): Amerikanische Einstellung. Deutsches Fernsehen und US-amerikanische Produktionen, Heidelberg: Winter 1992, S. 136-156, hier S. 146. 415 Das meistdiskutierte Beispiel für die Praxis der Serie, Handlungsstränge zu keinem konventionellen Ende zu bringen, findet sich in der Folge »Pine Barrens« (s03e11). Die Frage, ob ein im Wald in den Kopf geschossener Russe überlebt hat, wurde in der Serie nie geklärt und beschäftigte die Zuschauer so sehr, dass sich David Chase dann selbst zu Wort meldete: »They shot a guy. Who knows where he went? Who cares about some Russian? This is what Hollywood has done to America. Do you have to have closure on every little thing? Isn’t there any mystery in the world?« (zitiert in Martin: Complete Book, S. 181).
108 | G ANGSTER M ELODRAMA all the time just below the surface. The feeling that there is always more to tell than can be said leads to very consciously elliptical narratives, proceeding often by visually condensing the characters’ motivation into nonessential sequences of images, seemingly lyrical interludes not advancing the plot.«416
Das Figurenensemble der SOPRANOS zeigt in der Regel ein passiv-aggressives Verhalten, bei der lang gehegte Antipathien unvermittelt in offene Gewalt ausbrechen können.417 »[As in the film melodrama], the characters’ behavior is often pathetically at variance with the real objectives they want to achieve. A sequence of substitute actions creates a kind of vicious circle in which the close nexus of cause and effect is somehow broken and – in an often overtly Freudian sense – displaced«.418 Das ironisch-tragische Ausmaß an bewusster wie unbewusster Fehlkommunikation zwischen allen Figuren der Serie,419 über das sich nur der Zuschauer bewusst sein kann,420 trägt bedeutend zur Unberechenbarkeit und Melodramatik der Serienhandlung bei, die wie die Soap von den Spannungen lebt, die die Bewahrung und folgenschwere Eröffnung von Geheimnissen mit sich bringt.421 Selbst der ›gesellschaftsfreie‹ Reflexionsraum der Psychotherapie, in der im besten Fall alles Verdrängte und Verschwiegene ausgesprochen werden sollte, ist in den SOPRANOS nicht frei von Betrug und Selbstbetrug. So fragt Dr. Melfi gleich in der ersten Sitzung nach Tony Sopranos Berufsalltag und bekommt eine euphemistische Schilderung der Ereignisse, die dem Zuschauer in einer Rückblende in ihrer ganzen Brutalität vor Augen geführt wird. In ihrer Narration ist die Serie so der Soap als Hybride aus den Erzählformen der series und serial verpflichtet, Spielarten seriellen Erzählens also, die sich voneinander insoweit differieren, als die series von Folge zu Folge von denselben Figuren erzählt, diese aber zwischen den Folgen keine große Entwicklung durchmachen und von einer in sich abgeschlossenen Folgenhandlung zur nächsten
416 Elsaesser: Family Melodrama, S. 361. 417 »Network TV is all about people saying exactly what’s on their minds. … This show is about people not saying what’s on their minds, and then acting in very passive-aggressive ways.« (David Chase zitiert in Douglas L. Howard: »›Soprano-Speak‹: Language and Silence in HBO’s The Sopranos«, in: Lavery: This Thing of Ours (2002), S. 195-202, hier S. 195). 418 Elsaesser: Family Melodrama, S. 365. 419 »Everything that everybody says is untrue: complete falsehoods, self-justifications, rationalizations, outright lies, fantasies and miscommunications.« David Chase zitiert in Gwen Symonds: »Show Business or Dirty Business? The Theatrics of Mafia Narrative and Empathy for the Last Mob Boss Standing in The Sopranos«, in: Lavery: Reading the Sopranos (2006), S. 127-137, hier S. 134. 420 Vgl. Elsaesser: Family Melodrama, S. 377. Vgl. hierzu auch Neale: Melodram und Tränen, S. 154. 421 Vgl. Modleski: Search for Tomorrow, S. 461.
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übergehen, während die serial einen zusammenhängenden Plot über mehrere Folgen erzählt und sich oft auf Ereignisse vergangener Folgen bezieht422: »A prototypical serial, […] a soap opera, necessitates a large amount of background knowledge on the [viewer’s part], whereas an episodic series, for which [one] has to be familiar with the general set-up and the character constellation, does not require [it]. [In a series], each episode can be considered a ›text‹ of its own; with respect to shows in which serialization is of greater importance, however, it is important to discuss individual episodes in the context of preceding or following episodes.«423
Da man die series und die serial in der Praxis nur sehr selten in ihrer Reinform antrifft, wird in der Forschung oft der Begriff series als ein Oberbegriff für sämtliche hybriden Formen seriellen Erzählens verwendet.424 So verfügen auch THE SOPRANOS über erzählerisch relativ in sich abgeschlossene Folgen, deren Ereignisse allerdings in späteren Folgen oder Staffeln mit unerwarteten Konsequenzen und innerhalb neuer Kontexte wiederkehren können.425 Damit steht die Serie auch in der Tradition von »Quality TV«-Serien, deren Komplexität auf einer medienspezifischen Erzählart beruht: »[i.e.], the slow layering of events, character traits, and other visual and dramatic details over the entire run of the series. [These are more often than not] slowly accruing stories [which can] only be told in the serial form [and, more importantly,] on television.«426 Was von Martin Scorsese also als das narrative Prinzip von GOODFELLAS bezeichnet wurde – »You take the tradition of the American gangster film and deal with it episode by episode, but start in the middle and move backwards and forwards.«427 –, entfaltet sich folglich erst im komplexen Soapnarrativ der SOPRANOS, das sich an den Schicksalen einzelner Figuren statt an übergreifenden Handlungsverläufen orientiert.428
422 Vgl. John Fiske: Television Culture 1994, S. 150. 423 Gaby Allrath/Marion Gymnich/Carola Surkamp: »Introduction: Towards a Narratology of TV Series«, in: dies. (Hg.): Narrative Strategies in Television Series, New York: Palgrave Macmillan 2005, S. 1-46, hier S. 9f. 424 Vgl. ebd., S. 6. Robin Nelson macht sich hingegen für seine Bezeichnung »flexi-narrative« stark, den er für die hybriden Formen zwischen series und serial verwendet (vgl. TV Drama in Transition, New York: St. Martin’s 1997, S. 37. 425 Während die Folge »College« (s01e05) eine relativ eigenständig Geschichte erzählt und deshalb nur geringes Vorwissen voraussetzt und über wenige relevante Handlungselemente für die übrige Staffel und Serie verfügt, gibt es auch solche Folgen wie »Pine Barrens« (s03e11) und »Irregular Around the Margins« (s05e05), deren zentraler Konflikt zunächst verdrängt wird, um später aber als eine Art return of the repressed in der Psyche aller Beteiligten wiederzukehren. 426 Thompson: Second Golden Age, S. 35. 427 Zitiert in Christie/Thompson: Scorsese on Scorsese, S. 151. 428 Vgl. Henriette Riegel: »Soap Operas and Gossip«, in: The Journal of Popular Culture 29.4 (Frühling 1996), S. 201-209, hier S. 201, 204.
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Das ›deutlichste‹ Qualitätsmerkmal von Artefakten der Hochkultur, ihre wiederholt ausgestellte ›Undeutlichkeit‹, ihre zu verschiedenen Lektüren anregende Ambiguität wird auch den SOPRANOS zugeschrieben. In den SOPRANOS Studies gilt die Serie daher sogar als eines der Fernsehsendungen, »[to] mark[..] the moment when pop-culture television entertainment became high culture«.429 Ahistorischen Werturteilen und Qualitätsvergleichen dieser Art ist allerdings mit einiger Skepsis zu begegnen, wurden doch bereits frühere Gangsterfilme dafür gefeiert, dass sie das Genre zur Hochkultur ›erhebten‹. So ist zum Beispiel in einer Variety-Kritik vom 01.01.1931 über den klassischen Gangsterfilm THE PUBLIC ENEMY zu lesen: »It’s low-brow material given such workmanship as to make it high-brow.«430 Und Robert Durgnat nimmt später die Unterscheidung vor: »Scarface is a melodrama; The Godfather has the finesse of a drama.«431 Die qualitativen Vergleiche mit ›hoher‹ Literatur, mit Werken kanonisierter Autoren wie etwa Shakespeare und Dickens, wie man sie auch in Forschungsbeiträgen zu THE SOPRANOS findet, werden durch die intermedialen Bezüge der Serie auf Artefakte der Hochkultur nicht nur angeregt, die nobilitierenden Bezüge werden auch ironisch unterlaufen, zum Beispiel432 als Carmela Flauberts Madame Bovary (1857) empfohlen wird und sie nach der Lektüre gestehen muss, »[that the] story’s very slow. Nothing really happens. I think he could’ve said what he has to say with a lot less words« (s05e06: »Sentimental Education«). Oder als Dr. Melfi eine literarische Analogie zu der »mémoire involontaire« ihres Patienten zieht, die durch den Verzehr eines rohen Stück Schinken initiiert wurde: TONY: DR. MELFI:
All this from a slice of capocollo? Kind of like Proust’s madeleines. […] Proust wrote a sevenvolume classic, Remembrance of Things Past. He took a bite of a madeleine. […] And that bite unleashed a tide of memories of his childhood and ultimately of his entire life.
429 Vgl. Ben Macintyre: The Sopranos: Every Inch a Shakespearean drama, in: The Times Online, unter: http://www.timesonline.co.uk/tol/comment/columnists/ ben_macintyre/article1934775.ece, l.A.: 01.03.11. 430 Vgl. Variety Staff: Rez.: »The Public Enemy« (01.01.31), in: Variety, unter: http://www.variety.com/review/VE1117794209.html, l.A.: 01.03.11. 431 Durgnat: Gangster File, S. 94. 432 Es lassen sich noch viele ähnliche Beispiele in der Serie finden, in der die hochkulturell wenig bewanderten Figuren auf kanonisierte Kunst verwirrt reagieren. So klingt für Tonys Ohren der Titel von Giuseppe Verdis Oper Aida wie »I-eather« (s03e09: The Telltale Moozadell) und Onkel Junior schläft beim Anschauen von Federico Fellinis LA DOLCE VITA (Italien 1960) ein und beschwert sich darüber, dass man gleich zu Beginn das Amateurhafte daran festmachen könne, dass die per Hubschrauber über Rom transportierte Jesusfigur offenkundig kein Schauspieler war: »You could tell it was a dummy!« (s05e08: »Marco Polo«).
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TONY:
This sounds very gay. I hope you’re not saying that. (s03e03: »Fortunate Son«)
Mit Tony und Dr. Melfi trifft eine relativ ungebildete, rohe ›Low Culture‹Figur, die derart ›vergeistigte‹ Interpretationen ihrer Alltagserfahrung als zu ›queer‹, als zu seltsam ablehnt, auf eine kultivierte Akademikerin, die – wie die Serie selbst – die Psyche einer Kultfigur des US-Mainstreamfilms einer ›High Culture‹-Lektüre unterziehen will. »[On] a more literary plane, Tony basically explains the world of epic heroism to Melfi, while she explains to him the proper psychological role of the hero in a modernist novel. The two discourses are incompatible and clash on a fault line of intent as well as genre.«433 Damit wendet sich die Serie als typisches ›Quality TV‹, wie Robert J. Thompson, Jason Mittell und Dana Polan argumentieren, nicht nur an ein gehobeneres, gebildeteres Publikum, das mehr mit Dr. Melfi als mit Tony gemeinsam hat, und sich in der Regel für keine Fernsehserie erwärmen würde,434 sondern persifliert es auch.435 Die Konstellation zwischen der Therapeutin und dem Gangster ist nicht zuletzt auch in ihrer Gender-Inversion erfrischend, insofern Massenkultur – »[which] has often been figured as feminine and denigrated for its supposed threat to the stability of the (masculine) dominant order of high art«436 – in den SOPRANOS von einer Männerfigur und Hochkultur von einer Frauenfigur ›repräsentiert‹ wird. In ihren Sitzungen löst Dr. Melfi Tonys Erfahrungen aus dem populären Genrekontext des Gangsterfilms und stellt sie in den Kontext (oft literarischer) Artefakte der Hochkultur: »they speak across a wide gulf of accrued cultural capital. […] As a professional ›reader‹ of patients as texts«437 setzt sie also den Anspruch der Serie um, eine Reflexionsfigur der Massenkultur, eine ethnisch markierte, kriminelle Außenseiterfigur als interessante Sprechposition438 zu legitimieren, selbst wenn sie diesen Anspruch kontinuierlich unterläuft439:
433 Messenger: Our Gang, S. 271. 434 Vgl. Thompson: Second Golden Age, S. 14; Polan: Sopranos, S. 53; Mittell: Narrative Complexity, S. 31. 435 Vgl. Polan: Sopranos, S. 14f., 125. 436 Joyrich: Reviewing Reception, S. 22. 437 Messenger: Our Gang, S. 270. 438 »These people aren’t necessarily articulate, but they do have enormous insight« (David Chase zitiert in Martin: Complete Book, S. 160). 439 Als Tony nach einer besonders anstrengenden Sitzung in »Unidentified Black Males« (s05e09) erschöpft feststellt: »You know, sometimes what happens in here is like taking a shit«, korrigiert ihn Dr. Melfi: »Yes, okay. Although, I prefer to think of it more like child birth.« Worauf Tony auf der Herabsetzung der ›höheren‹ Form einer analytischen ›Seelenreinigung‹ an einen materiellen, körperlichen Akt der Abjektion festhält: »Trust me: It’s like taking a shit.« Knapp gefasst: Es ist die Reaktion ›männlich‹-grotesker Körperlichkeit auf die ›weib-
112 | G ANGSTER M ELODRAMA »The narrative of analysis combines powerful aspects of both elite fiction and criticism (multileveled plot and theme, complex characterization, ›hidden meaning‹) with popular fiction (sensational revelations, sexual and violent action at root of human behavior, family ›romance‹ in early childhood at the core of personality and character beyond historical, political, and economic referents). [And through this], The Sopranos brilliantly exposes how analysis plays both elite and popular narrative roles.«440
Auch wenn THE SOPRANOS regelmäßig als ein weiteres Beispiel in einer langen Reihe von Qualitätsprogrammen441 angeführt und besprochen werden, problematisiert die Serie in ihrer Verhandlung von Hoch- und Trivialkultur also oft ihre eigene Kategorisierung als »Quality TV«. So handelt es sich bei dem Begriff, wie Sarah Cardwell aus ihrer Erwägung von »Quality Television« schließt, nicht selten um eine wissenschaftliche Apologie, um sich ohne jegliche kulturkritischen Vorbehalte mit »good television«, mit hochwertigen, ›diskussionswerten‹ Werken der Populärkultur zu beschäftigen.442 Populärkultur, wie John Fiske noch Ende der 1980er feststellt, wurde und wird in akademischen Diskursen immer noch für keinen wissenschaftlich ›wertvollen‹ Gegenstand gehalten, »[because it] tends to the excessive, its brush strokes are broad, its colors bright. This excessiveness invites its denigrators to attack it as ›vulgar,‹ ›melodramatic,‹ ›obvious,‹ ›superficial,‹ ›sensationnal,‹ and so on«.443 Die Fernsehsoap ist dabei als das Beispiel für ein ›Low-
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liche‹ Einsicht in seine Psyche. Vgl. zu diesem Gender-Verhältnis »Reforming the Gangster: Die Therapeutin, die Hausfrau und das Biest« im dritten Kapitel. Messenger: Our Gang, S. 265. Die von Robert J. Thompson in seiner Studie Television’s Second Golden Age: From Hill Street Blues to ER skizzierte amerikanische »Quality TV«-Geschichte beginnt mit HILL STREET BLUES (1981-1987, C: Steven Bochco/Michael Kozoll, NBC), ST. ELSEWHERE (1982-1988, C: Joshua Brand/John Falsey, NBC) und ließe sich ab 2000 fortsetzen mit Serien wie SIX FEET UNDER (2001-2005, C: Alan Ball, HBO) und DEADWOOD (2004-2006, C: David Milch, HBO). Vgl. Cardwell: Quality Television Any Good, S. 32f. Robert J. Thompson schreibt zu der Strategie: »most of the shows considered good by critics and scholars are usually judged as such based on criteria established in older, more traditional arts. For the most part, whenever TV begins to resemble any other medium but itself – film, the stage, the novel – positive critical attention seems to follow. The common refrain that a show was ›too good for TV‹ suggests a grudging respect for what was an obvious exception in a disdained medium. In the eyes of many serious viewers, TV can only aspire to art when it’s pretending to be something else.« (Second Golden Age, S. 20). Fiske: Understanding Popular Culture, S. 114. Steven Berlin Johnson hat mit seinem populärwissenschaftlichen Bestseller Everything Bad is Good For You. How Today’s Popular Culture Is Actually Making Us Smarter (London: Lane 2005) dieser Meinung bereits entschieden widersprochen und auf die steigende
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Culture‹-Genre eines ›Low-Culture‹-Mediums zu werten,444 das schon begrifflich – »the name suggest[ing] the filiation to melodrama via grand opera«445 – die Unterscheidung von Hoch- und Populärkultur zugleich persifliert und verwirft.446 Die Fernsehsoap versteht sich dabei als eines der exemplarischen melodramatischen Genres amerikanischer Massen- und Populärkultur, die, wie unter anderem die Kulturhistorikerin Ann Douglas in ihrer vielzitierten Studie The Feminization of American Culture (1977)447 ausgeführt hat, spätestens seit Mitte des 19. Jahrhunderts auf einer Rhetorik beruht, die zu einer kulturell als feminin konnotierten Sentimentalität tendiert: »[Tracing] the long process by which a rigorous Calvinist morality was supplanted by what she views as a cheaply sentimental ›feminization‹ of American culture carried out by ministers and lady novelists […], Douglas argues that a wholesale debasement of American culture took place in the idealization of feminine qualities of piety, virtue, and passive suffering. [She thus] opposes a popular literature of ›excessive‹ feminine sentimentalism to a high canonical literature – Melville, Thoreau, Whitman – that was masculine and active but never fully popular. Her study of the feminization of nineteenth century American culture is a study of how a masculine ›high‹ culture was feminized and degraded. Douglas thus blames the increased anti-intellectualism and consumerism of American culture on a facile cultural feminism.«448
Die nur selten wertfreie und wissenschaftlich deshalb wenig ergiebige Bezeichnung der SOPRANOS und anderer Fernsehsendungen als »Quality Television« lässt sich jedoch vermeiden, nähert man sich der Serie – wie es die vorliegende Arbeit auch unternimmt – unter dem Forschungsziel der Cultural Studies. In Anlehnung an (post)strukturalistische Überlegungen, die davon ausgehen, das alles Wahrnehmbare aus Zeichen und konventionalisierten, kontextuellen Bedeutungen besteht, wird in den Cultural Studies jede Repräsentation als kulturelle Objektivation erfasst, die sich lesen und deuten lässt. Dabei werden nicht nur literarische Texte, sondern unter anderem auch Filme und Fernsehsendungen als kulturelle Texte aufgefasst, an denen sich Verhandlungen kultureller Matrices wie Age, Ethnicity, Class oder Gender ›ablagern‹ und damit lesbar werden. Die kulturwissenschaftliche Perspektive bietet sich für Beispiele von Qualitätsfernsehen an, »[for it not only] airs questions about genre and gender, ethnicity, [but also about] ›high‹ culture versus popular and mass culture«.449 Oder wie Claudia Liebrand ausführt:
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Komplexität populärkultureller Artefakte und die aufregenden kognitiven Herausforderung hingewiesen, vor der sie den Rezipienten unweigerlich stellen. Vgl. Modleski: Search for Tomorrow, S. 447. Brooks: Melodramatic Imagination, S. 204. Vgl. Kleinsteuber: Soap Opera in den USA, S. 145. Vgl. Ann Douglas: The Feminization of American Culture, NY: Knopf 1979. Williams: Race Card, S. 19. Bower: Watching Food, S. 10.
114 | G ANGSTER M ELODRAMA »Kulturwissenschaft nobilitiert sich, konzeptualisiert man sie […] im Sinne der Cultural Studies, nicht durch die Wahl ihrer Gegenstände, sondern zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich kulturellen Objektivationen, die nicht zur etablierten Kultur gerechnet werden […], mit derselben Akribie und Skrupulosität zuwenden, die für den Umgang mit kanonisierter, so genannter Hoch-Kultur […] ganz selbstverständlich ist.«450
Auf den Begriff der ›Interpretation‹ wird bei diesem Forschungsansatz bewusst verzichtet, da es bei kulturwissenschaftlichen Lektüren dieser Art gerade nicht darum geht, »den ›Sinnhorizont‹ eines filmischen ›Werkes‹ hermeneutisch aus[zu]leuchten«, sondern vielmehr darum, »dekonstruktiv informierte«, also Bedeutung erst ausstellende Lesarten »einzelne[r] Problemkonfigurationen [anzufertigen], [die] in ihren Auffächerungen und Aporien verfolgt« und erörtert werden müssen.451 So handelt es sich bei dem Lektüreansatz der vorliegenden Studie auch nur um eine von mehreren denkbaren, historisch und kontextuell verschieden verorteten Lesarten, die einem konkreten Erkenntnisgewinn dienen. In diesem Fall geht es um die Reevaluation des Gangstergenres als die Objektivation eines grundlegenden Bedürfnisses amerikanischer Populärkultur nach einer Emotionalisierung komplexer, historischer Zusammenhänge, »[thus] insisting that other structures of experience (those of suffering, for instance) are more in keeping with reality«.452
K ORPUS : T EXTE
UND K ONTEXTE DES AMERIKANISCHEN G ANGSTERGENRES
In der angloamerikanischen Genreforschung fand der Gangsterfilm früh Beachtung als eine Dramatisierung der für ›uramerikanisch‹ befundenen Spannung zwischen einer kulturellen Romantisierung eigenwilliger Formen des Individualismus und einem gleichzeitigen Insistieren auf soziale Ordnung.453 Die Möglichkeit, das finale Scheitern des Gangsters als eine implizite Parodie auf den amerikanischen Traum zu lesen, machte den Gangsterfilm so zu einem Genre, »most readily identified as an American [one]«.454 Die kriminelle Pervertierung, die der positive nationale Grundgedanke von der Realisierung des Individuums im Gangster erfährt,455 wurde oft zum raison d'être
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Liebrand: Gender-Topographien, S. 10. Ebd., S. 11. Elsaesser: Family Melodrama, S. 354f. Vgl. Shadoian: Dead Ends, S. 6. Hayward: Key Concepts, S. 145. Vgl. auch Warshow: Tragic Hero, S. 100. Nahezu ebenso häufig werden in der Forschung zum Hollywoodfilm der Western und das Filmmusical als charakteristisch amerikanische Genres perspektiviert. 455 Vgl. Schatz: Hollywood Genres, S. 85.
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des Genres erklärt und der ambivalenten Hauptfigur damit eine Kommentarfunktion über die brutale Kehrseite des amerikanischen Traums zugewiesen: »gangster[s] violently articulated the disturbing possibility that the quintessentially American values encapsulated in the ›Horatio Alger myth‹ – the poor boy who makes good through his own determination, hard work, dedication to achieving his goals and so forth – might actually prove destructive, both to [them] and to the wider society, if left uncurbed. [They] share[] the Alger myth’s attractive qualities of vitality, vigour and determination; but […] expose[] their dark underbelly: recklessness, selfishness, sadism and an ultimately self-defeating spiral of violent self-assertion.«456
Neben dem Western gilt der Gangsterfilm als »[one of] the uniquely American morality plays, [as one of] the stories that in broad, basic terms most effectively define [American] culture [and] sensibility«.457 Der Fokus der vorliegenden Studie auf amerikanische Gangsterfilme ruht ebenso auf der Idee, dass es sich beim Gangster um eine dezidiert amerikanische Reflexionsfigur handelt, um »a reflective site of contemporary social antagonism«, 458 das ein Jahrhundert amerikanischer Kulturgeschichte durchlebt und zeitgenössische Diskurse gleichermaßen gespiegelt wie beeinflusst hat. Dem Gangstergenre ist es dabei aber nicht unbedingt um die ›authentische‹ Darstellung krimineller Subkulturen. »[Instead, as] is usually the case in American cinema, [its] power lies less in analysis than in recreating the feel and climate of certain experiences«.459 Amerikanische Zeitgeschichte erfährt im Gangstergenre also eine für das Melodram und den Hollywoodfilm schlechthin charakteristische Mythologisierung, »[where] history [is] unknowable apart from its effects upon individual characters«.460 Hollywood-Epen wie der GODFATHERReihe geht es nicht so sehr um ihr wiederholt ausgestelltes Zeitkolorit, sondern darum, Geschichte als »battleground for moral issues« zu inszenieren, »shaped by individuals and psychology, rather than by economic and social forces – [which] is perfectly in tune with [the] melodramatic/operatic sensibility underlying these films«.461 Somit besteht der melodramatische Gestus des Gangstergenres auch im Herausloten der kuvrierten Wünsche einer Ära,
456 Langford: Hollywood and Beyond, S. 138. 457 Brode: Crime Movies, S. 105. Als eine Serie, die sich der Westerntradition des Gangsterfilms bewusst ist und oft auf die Traditionslinie anspielt, kommen THE SOPRANOS in der Folge »The Legend of Tennesse Moltisanti« (s01e08) zu einem ähnlichen Schluss in den Worten des Studenten Jason LaPenna, Dr. Melfis Sohn, der unaufgeregt argumentiert: »[A]t this point, in this country, in our cultural history, mob movies are classic American cinema, like Westerns.« 458 Smyth: Age of Scarface, S. 536. 459 Naomi Greene: »Coppola, Cimino: The Operatics of History«, in: Landy: Imitations of Life (1991), S. 388-397, hier S. 390. 460 Bordwell/Staiger/Thompson: Classical Hollywood Cinema, S. 13. 461 Greene: Operatics of History, S. 390.
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»[that is, the] double acknowledgement of how things are in a given historical conjuncture, and of the primary desires and resistances contained within it«.462 Das amerikanische Gangstergenre wäre so in erster Linie zu verstehen »[als] eine[.] Metapher, [ein] ironische[r] Kommentar zu einer verborgenen sozialen Dynamik, zu dem gangsterartigen Elan, der dem vitalen Ehrgeiz Amerikas zugrunde liegt. […] Die Welt des Gangsters [hat folglich immer schon] einen enormen Einfluß auf die Selbstwahrnehmung der Amerikaner aus[geübt] – als Unternehmer, als Kunden und Konsumenten, als von Begierden getriebene Wesen und verführt von Amerikas Versprechen absoluter Befriedigung an so ziemlich allen Fronten.«463
Wie beim Western-Outlaw handelt es sich beim Gangster demnach um eine kriminelle Randfigur der Gesellschaft, die paradoxerweise zu einer zentralen kulturellen Reflexionsfigur derselben avanciert ist. Damit wird der Gangster zum einen dazu verwendet, »[to] represent fringe behavior against which the center of society can formulate its values and identity«.464 Zum anderen fungiert die Figur als alternative, außerhalb der Gesellschaft stehende Perspektive, die zu einem späteren Punkt in der Kulturgeschichte den ambivalenten Dialog der Outlawfigur mit den ideologischen Widersprüchen des amerikanischen Traums fortführt.465 Der moderne Gangster-Mythos verlangt wie der Outlaw-Mythos zudem eine ›Spaltung‹ in der Identifikation der Rezipienten, »between the center of narrative interest, the individual outlaw/gangster, [as well as] the center of moral interest, the official community«.466 Dieses für das Gangstergenre konstitutive »split subjectivity« hat Rick Altman einmal zu einem wichtigen Teil von »genre spectatorship« per se erklärt: »One side continues to judge as the culture has taught us to judge, while the other bases its judgments on generic criteria, often diametrically opposed to cultural norms.«467 Der klassische Gangsterfilm gilt darum auch als eines der exemplarischen Hollywoodgenres, »[which keep replaying] seemingly eternal dichotomies between the values of individualism and the values of civic responsibility [and resolves] antagonisms between individualism and community, and rebellion and conformity, without disturbing the status quo«.468 Im tragischen Scheitern des urbanen Gangsters am Milieu – kann er doch nicht vor der Zivilisation fliehen wie etwa der Westerner, benötigt er für seine kriminellen Handlungen doch gerade die Anonymität der Großstadt – habe das
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Gledhill: Melodramatic Field, S. 38. Siegel: Das Abstoßende, S. 485f., 479. Gardaphé: Suburban Trickster, S. 91. Vgl. Cook/Bernink: Cinema Book, S. 175. Vgl. zu diesem Aspekt auch Hannes Böhringers Studie Auf dem Rücken Amerikas: Eine Mythologie der neuen Welt im Western und Gangsterfilm (Berlin: Merve 1998). 466 Munby: Public Enemies, S. 13. 467 Altman: Film/Genre, S. 146. 468 Munby: Public Enemies, S. 13.
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Filmgenre wiederholt den amerikanischen Traum und die ihm innewohnende Tugend autarken Handelns als ein illusorisches Ideal problematisiert.469 »[Hence the gangster film] actually played out the familiar oppositions that had come to structure much of traditional American (western) mythology: country (smalltown) versus city, individualism versus community, self-interest versus social responsibility, corruption versus virtue, desire versus deferment of gratification, leisure versus work, sexual expression versus moral rectitude. [So], the terms of the [gangster]’s entry into mass representation were initially determined and shaped by long-established metaphors held to be more definitive of Americanness than any lived reality.«470
Die frühe Gestaltung des Filmgangsters hat konventionelle Motive des Westerns471 mit biographischen Details und Persönlichkeitszügen realgeschichtlicher Vorbilder vermengt, nicht zuletzt Dank der enormen Medienpräsenz von Al ›Scarface‹ Capone im Chicago der späten 1920er: »The gangster was America’s new lone hero, the Chicago rackets the new American motherlode, and Chicago the wildest and most lawless of Western cities«.472 Bei den ersten Gangsterfilmen Hollywoods handelte es sich um Filme aus einer Reihe von sozialkritischen Dramen des Warner Bros.-Studios, die sich um ein möglichst ›authentisches‹ Zeitkolorit bemühten und mit dem Slogan »Snatched from Today’s Headlines« beworben wurden.473 Die Texte haben diesen
469 Schatz: »the civilization which the Westerner held at bay now overwhelms the gangster-hero; the cowboy’s distant fears have become the gangster’s daily angst. The very buildings in which [he] hides, the cars that he uses for murder and escape, the clothes, […] and other tools of his trade – all are emblems of a social order which eventually must destroy him.« (Hollywood Genres, S. 85). 470 Munby: Public Enemies, S. 26. 471 Typische Westernsituationen finden sich im klassischen Gangsterfilm zuhauf: In SCARFACE trotzt Camonte dem Cop, zündet sich am Sheriffstern ein Streichholz an und wird dafür niedergehauen. In THE PUBLIC ENEMY liefert sich Powers einen typischen Western-Showdown mit seinen Rivalen im Salon. In postklassischen Gangsterfilmen wird ein solches Benehmen mehr mit mangelnder Ernsthaftigkeit assoziiert. So inszeniert sich der psychotische Mafioso Tommy DeVito in GOODFELLAS gerne als Outlaw bei Raubüberfällen und wird von seinem Capo dafür stark kritisiert: »He’s a cowboy. He’s got too much to prove.« 472 Smyth: Age of Scarface, S. 551. Vgl. auch Ruth: Public Enemy, S. 118. Capone diente als Vorbild sowohl für Rico Bandello (LITTLE CAESAR) als auch für Tony Camonte (SCARFACE), während Tom Powers (THE PUBLIC ENEMY) angeblich von Earl ›Hymie‹ Weiss, Capones Chicagoer Konkurrenten, inspiriert war (vgl. Schatz: Hollywood Genres, S. 84). Für den DiMeo/Soprano-Mafiaclan diente die DeCavalcante-Gang aus New Jersey als Vorlage. Vgl. zur ›Authentizität‹ der Serie die Doku THE REAL SOPRANOS (GB 2006, R: Thomas Viner). 473 Vgl. Durgnat: Gangster File, S. 94; sowie Clarens: Crime Movies, S. 53.
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Anspruch auf journalistischen Realismus und die Bekanntheit des Gangsters als massenmediale Figur aber vornehmlich genutzt, um einen romantisierten Gangsterhelden und eine stilisierte Genrewelt zu kreieren, »[that] render[s] the genre’s connections with reality rather tenuous and complex«. 474 So entstand das Gangstergenre als Reaktion auf historische Figuren, »but it rapidly became a metaphor«.475 Als eine intertextuell prominente Filmgestalt wurde der Gangster bald, so schreibt Warshow, »[to] a creature of the imagination [whose genre] created its own field of reference«.476 Wenn überhaupt hatten Filmgangster über die Jahre mehr Einfluss auf Aussehen, Gestik und Mimik realer Gangster als es umgekehrt je der Fall war.477 Exemplarisch hierfür ist der als »Godfather of the 80s« und »Teflon Don« berühmt gewordene John Gotti, der sehr medienaffine Anführer der New Yorker Gambino-Familie.478 Als eine populäre Fernsehfigur, »figuratively embod[ying] problems facing American society«,479 steht auch Tony Soprano in dieser melodramatischen Tradition des US-Kinos, komplexe sozialhistorische Zusammenhänge zu emotionalisieren und zu personalisieren. Was sehr früh für den Gangsterfilm galt, trifft demnach auch für die vielen Zeitbezüge der SOPRANOS zu, die »[vor allen Dingen] eine Geschichte von Kriminellen benutz[en], um einen kathartischen, moralischen, sogar romantischen Kasus über die verborgenen Eigenschaften [des US-amerikanischen] Alltagslebens vorzutragen. Aber was viele als die von den Sopranos vorgenommene Normalisierung des Gangsters ansehen, war von Anfang an ein Charakteristikum des Kriminalfilms, der wie der Cowboyfilm niemals wirklich von seinem Gegenstand handelte. Sein Gegenstand war immer etwas anderes.«480
Die im Detail behandelten Filme der vorliegenden Studie gelten allesamt als ausgewiesene Klassiker des Genres. Ob es sich dabei nun um den als ersten
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Vgl. zum Gangsterfilm als eine Ausformung des sozialen Melodrams der 30er auch Christof Decker: Hollywoods kritischer Blick. Das soziale Melodrama in der amerikanischen Kultur 1840-1950, Frankfurt a.M.: Campus 2003, S. 240f. Schatz: Hollywood Genres, S. 82. Shadoian: Dead Ends, S. 5. Thomas Schatz führt diese Idee so aus: »[A]ny film story is derived from certain ›real-world‹ characters, conflicts, settings, [but] once [it] is repeated and refined into a formula, its basis in experience gradually gives way to its own internal narrative logic« (Hollywood Genres, S. 36). Warshow: Tragic Hero, S. 100f. Vgl. Gardaphé: Suburban Trickster, S. 95-98. Vgl. Alessandro Camon: »The Godfather and the Mythology of Mafia«, in: Browne: Coppola’s The Godfather Trilogy (1999), S. 57-75, hier S. 71. Die Mafia-Laufbahn Gottis wird in dem TV-Film GOTTI: THE RISE AND FALL OF A REAL LIFE MAFIA DON (USA 1996, R: Robert Harmon) chronologisiert, der bereits in seinem Titel mit dem Authentizitäts- und Biographiengestus operiert. Gardaphé: Suburban Trickster, S. 110. Siegel: Das Abstoßende, S. 482.
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Gangsterfilm betrachteten Kurzfilm THE MUSKETEERS OF PIG ALLEY (1912), um die klassischen Gangstergeschichten LITTLE CAESAR (1931), THE PUBLIC ENEMY (1931) und SCARFACE (1932), um die New Hollywood-Gangsterserie THE GODFATHER (1972/74/90) oder das postmoderne Milieuporträt GOODFELLAS (1990) handelt, alle sind sie bedeutende Genretexte und wurden deshalb auch intensiv von der Forschung rezipiert. Trotz Publikationen zu weniger bekannten Genrebeiträgen481 stehen diese Filme im Zentrum der bisherigen Forschung und fungieren auch als zentrale Prätexte der SOPRANOS. Die Wahl dieser Filme als Gegenstand der Arbeit ergibt sich aus dem Vorhaben, das Melodramatische als ein Grundgestaltungsprinzip des Gangsterfilms herauszuarbeiten und vor allem die Klassiker des angeblichen ›Männergenres‹ als sentimentale Melodramen zu (re-)perspektivieren. Die close readings der Filme sollen gerade bewusst machen, dass Film- wie Kulturgeschichte nach den Prämissen des New Historicism »keine kohärenten Epochen aus[bildet], die organisch oder logisch aufeinander folgen, [sondern] von Brüchen und Widersprüchen bestimmt [wird]. Jeder Text, jedes Kunstwerk, jede kulturelle Praxis entsteht auf der Schnittstelle divergenter, ja antagonistischer Impulse.«482 Deshalb wird in den Filmlektüren »die Anekdote favorisiert, de[r] charakteristische[] Einzelfall, de[r] Ausschnitt, der in dichter Beschreibung eine Vielzahl von Deutungen ermöglicht«,483 und der in dieser Perspektivierung auch eine große Fülle an intertextuellen Bedeutungseffekten freilegt. Der Fokus der Untersuchung auf amerikanische Genretexte leugnet dabei weder die Existenz noch Bedeutung nichtamerikanischer Genretexte. So gibt es neben dem von der Forschung schon in den Blick genommenen britischen,484 japanischen485 und chinesischen486 Gangsterfilm auch noch den re-
481 Vgl. u.a. die sehr aufschlussreichen Beiträge zu den Anthologien Mob Culture. Hidden Histories of the American Gangster Film, hg. v. Lee Grieveson, Peter Stanfield und Esther Sonnet (NJ: Rutgers University Press 2005) und Gangster Film Reader, hg. v. Alain Silver und James Ursini (NJ: Limelight 2007). 482 Lehnert: Gespräch mit den Toten, S. 112. 483 Ebd., S. 112f. 484 Cockney-Gangsterfilme wie BRIGHTON ROCK (1947, R: John Boulting), GET CARTER (1971, R: Mike Hodges), THE LONG GOOD FRIDAY (1980, R: John Mackenzie) und SEXY BEAST (2000, R: Jonathan Glazer). Vgl. u.a. Steve Chibnall/Robert Murphy (Hg.): British Crime Cinema, London: Routledge 1991. 485 Siehe Yakuza-Filme wie TOKYO DRIFTER (1966, R: Seijun Suzuki), BRANDED TO KILL (1967, R: Seijun Suzuki), BATTLES WITHOUT HONOR AND HUMANITY (1973, R: Kinji Fukasaku), SONATINE (1993, R: Takeshi Kitano), DEAD OR ALIVE (1999, R: Takashi Miike). Vgl. u.a. Mark Schilling: The Yakuza Movie Book: A Guide to Japanese Gangster Films, Berkeley, CA: Stone Bridge 2003. 486 Triaden-Gangsterfilme wie A BETTER TOMORROW (HK 1988, R: John Woo), AS TEARS GO BY (HK 1988, R: Wong Kar-Wai), SHANGHAI TRIAD (China/F 1995, R: Yimou Zhang) und ELECTION (HK 2001, R: Johnny To). Vgl. Lisa Odham Stokes: City on Fire: Hong Kong Cinema, London/NY: Verso 1999.
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lativ unerschlossenen indischen487 und südkoreanischen488 Gangsterfilm. Zudem sollten Gangsternarrative über andere Ethnien wie etwa Afroamerikaner489 oder Hispanics490 nicht unerwähnt bleiben. Dies gilt auch für weitere Fernsehsendungen über Gangster. Zum einen suchen THE SOPRANOS den intertextuellen Dialog aber vor allem mit amerikanischen Gangsterfilmen, und zum anderen gab es vor und nach der Serie nur wenige Sendungen, die zentral die Mafia verhandeln. WISEGUY (1987-1990)491 und CRIME STORY (19861988)492 sind interessante Vorläufer, aber mehr aus der Perspektive der polizeilichen Verfolger erzählt und in ihrem Porträt mafiöser Subkulturen noch sehr an ethnischen Klischees gebunden. Im Fahrwasser der SOPRANOS wurden mit BROTHERHOOD (2006-2008),493 THE BLACK DONNELLYS (2007)494 und KINGPIN (2003)495 dann Serien über irische und mexikanische Gangsterfiguren produziert, die sich aber in gängigen Klischees des Genres erschöpfen. Vielversprechender dagegen wirkt die soziologische Dichte, mit der THE WIRE die afroamerikanische Drogenmafia von Baltimore, Maryland perspektiviert, oder das Homosozialität und Homosexualität verhandelnde Gefängnisdrama OZ, wo internierte Ethnien um die lokale Vorherrschaft kämpfen, oder die mafiösen Praktiken des L.A.-Polizisten Vic Mackey und seiner Polizei-Spezialeinheit in THE SHIELD (2002-2008).496 Diese Serien erhalten hier aber nur Erwähnung als Werke, die aus den intermedialen Innovationen der SOPRANOS profitieren konnten und bedürften einer eigenen, ähnlich intensiven Auseinandersetzung. Dabei sollte nicht zuletzt auch von Interesse sein, wie sich THE WIRE im Vergleich etwa zu OZ, THE SHIELD und den SOPRANOS von melodramatischen Erzählkonventionen zu distanzieren und sich einem ›nüchternen‹ Erzählstil anzunähern versucht, der auf seine Nähe zum litera-
487 Siehe hierzu Filme über indische Gangs aus Bombay wie unter anderem DON (1978, R: Chandra Barot), NAYAKAN (1987, R: Mani Ratnam), THALAPATHI (1991, R: Mani Ratnam) oder auch COMPANY (2002, R: Ram Gopal Varma). 488 Siehe etwa die Welle der sogenannten ›JoPok‹-Crime-Filme aus Südkorea nach 2001, u.a. MY WIFE IS A GANGSTER (2001, R: Cho Jin-gyu), FRIEND (2001, R: Kwak Kyung-Taek) und MARRYING THE MAFIA (2002, R: Jeong Heung-sun). 489 Wie in zeitgeschichtlich spezifischen Filmen wie THE COTTON CLUB (1984, R: Francis Ford Coppola), NEW JACK CITY (1991, R: Mario Van Peebles), HOODLUM (1997, R: Bill Duke) und AMERICAN GANGSTER (2007, R: Ridley Scott). 490 Hierzu gehören so unterschiedliche amerikanische Crime-Epen wie SCARFACE (1983, R: Brian De Palma), AMERICAN ME (1992, R: Edward James Olmos) und BLOOD IN BLOOD OUT…BOUND BY HONOR (1993, R: Taylor Hackford). 491 WISEGUY, USA 1987-1990, C: Stephen J. Cannell/Frank Lupo, CBS. 492 CRIME STORY, USA 1986-1988, C: Chuck Adamson/Gustave Reininger, NBC. 493 BROTHERHOOD, USA 2006-2008, C: Blake Masters, Showtime. 494 THE BLACK DONNELLYS, USA 2007, C: Paul Haggis/Robert Morosco, NBC. 495 KINGPIN, USA 2003, C: David Mills, NBC. 496 THE SHIELD, USA 2002-2008, C: Shawn Ryan, FX.
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rischen Naturalismus diskutiert wurde. Doch auch diese Serie rekurriert auf die emotional bewegenden ›Opferhelden‹ und Erzählmittel des Melodrams.
Der Männlichkeitsdiskurs des amerikanischen Gangstergenres THE SOPRANOS als Male Melodrama
In der ersten Sequenz der Pilotfolge »The Sopranos« (s01e01), die nicht im therapeutischen Reflexionsraum von Dr. Melfis Praxis, sondern im unmittelbaren Handlungsraum des Fernsehgangsters spielt, kommt Tony Soprano in einem Morgenmantel die Einfahrt zu seinem suburbanen Anwesen heruntergeschlendert und holt sich seine Zeitung. Fasst man THE SOPRANOS, wie es die vorliegende Studie forciert, als eine fast nahtlose Fortführung, als televisuelle Serialisierung einer bis dahin vor allem filmischen Verhandlung von Gangstertum im Amerika des 20. und 21. Jahrhunderts auf, dann beginnt die Serie mit der Sequenz dort, wo der wohl letzte Filmbeitrag zum Gangstergenre von vergleichbarer Wirkmacht endet: in der gutbürgerlichen ›Einöde‹ der amerikanischen Suburbs. In der Schlussszene von GOODFELLAS (1990) tritt der frühere Mafia-Handlanger Henry Hill, der vor Gericht gegen seine ehemaligen Komplizen ausgesagt hat und nun Anfang der 1980er Jahre im Zeugenschutzprogramm des FBI, in einer anonymen Vorstadt lebt, ebenfalls in einem Morgenmantel gehüllt aus der Haustür und holt sich seine Zeitung. Dabei hört man ihn etwas desillusioniert und wehmütig aus dem Off klagen: HENRY HILL:
And that’s the hardest part. Today, everything’s different. There is no action. I have to wait around like everyone else, can’t even get decent food. Right after I got here, I ordered some spaghetti with marinara sauce, and I got egg noodles and ketchup. I’m an average nobody. Get to live the rest of my life like a schnook.
Henrys schmerzlicher Verlust seines Gangsterdaseins wird nicht nur in dem verwässerten Geschmack, in der amerikanischen Kommodifizierung seines italoamerikanischen Essens evident. »[His] demise […] is [equally] symbolized through costume«, trägt er doch zum Schluss seiner Chronik nicht den charakteristischen Herrenanzug des Filmgangsters, sondern: »the uniform of
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a loser, a nobody, a garment that is not just ordinary, but one that frequently signifies a character who cannot be bothered to get dressed«.1 Henrys letzter Auftritt in GOODFELLAS – der auch als Auftritt inszeniert ist, betritt er doch als Chronist seiner kriminellen Laufbahn ein letztes Mal die Diegese, blickt dabei direkt in die Kamera und verschwindet darauf von dieser ›Bühne‹ im Dunkeln des Hausinneren2 – endet also nicht mit dem konventionellen Leinwandtod klassischer Filmgangster. »[But, as] has been typical of the gangster film, the last frames find the protagonist clearly staring into the void«.3 Die prominenteste Schließungsfigur des klassischen Gangsterfilms, der finale Tod des Gangsters wird hier aus der strikten Rise-and-Fall-Kausalität des Genres herausgelöst und als Metareferenz wieder hinten angehängt4: In den letzten Minuten von GOODFELLAS ist Tommy DeVito (Joe Pesci) zu sehen, ein bereits ermordeter Mafioso, der gekleidet im klassischen Gangsteranzug der 1930er Jahre samt Filzhut – eine altmodische Tracht, die er in der zeitgenössischen Handlung des Films (von den 1950ern bis 80ern) in keiner einzigen Szene trägt – mit einer Pistole mehrmals Richtung Kamera schießt. Die visuelle Referenz auf das berühmte Schlussbild von THE GREAT TRAIN ROBBERY (1903)5 und das ikonische Kostüm des Gangsters, dessen Schüsse den autodiegetischen Erzähler Henry Hill ebenso wenig treffen können wie den Zuschauer, steht hier sowohl für Hills figurativen Tod als Gangster, für seinen ›tragischen‹ Verlust einer attraktiven, ›filmischen‹, ›erzählenswerten‹ Identität als Gangster als auch für das Ende einer Identifikation des ›normalen‹, weil gesetzestreuen Zuschauers mit dem kriminellen, und dadurch ›exzeptionellen‹ Gangster.6 Konstituiert sich der klassische Filmgangster als eine mythisch überhöhte Filmfigur doch vor allem über seine teure, statusver-
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Stella Bruzzi: Undressing Cinema: Clothing and Identity in the Movies, London: Routledge 1997, S. 86. Bereits in der Gerichtsszene, die der Szene unmittelbar vorausging, durchbricht Henry die ›vierte Wand‹ des Films und eröffnet sich einen theatralen Raum, indem er aus der Fiktion vortritt und durch die Kamera die Zuschauer adressiert. Nochimson: Dying to Belong, S. 136. Vgl. D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 649. THE GREAT TRAIN ROBBERY (USA 1903, R: Edwin S. Porter). In dem Stummfilmwestern schießt am Ende aber kein Gangster, sondern eine ältere kriminelle Kultfigur, ein schnurrbärtiger Bandit mit Cowboyhut, in Richtung der Kamera. Von der Läuterung eines Kriminellen kann man hier also nicht sprechen – was der Song, der über den unmittelbar an die Szene folgenden Abspann spielt, ferner unterstreicht: eine verzerrte Punkrock-Coverversion von »My Way«, dessen bekanntester Interpret der italoamerikanische Sänger Frank Sinatra ist, und der über diese, amerikanischen Individualismus feiernden Lyrics verfügt: »Regrets, I’ve had a few/But then again, too few to mention/I did, what I had to do/And saw it through without exemption/I planned each chartered course/Each careful step along the highway/And more, much more than this/I did it my way«.
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leihende Kleidung.7 So erlebt der verschmitzt-melancholisch in die Kamera blickende, bereits domestizierte und so ›effeminierte‹ Henry zwar nicht den physischen Kollaps seiner Vorgänger, aber stattdessen etwas viel Schlimmeres: die Desintegration seines dynamischen Selbstbildes in der lethargischen Männlichkeit (»no action«, »wait around«) und im suburbanen Einerlei bürgerlich-konformer Durchschnittsamerikaner (»a schnook«, »an average nobody«). So wäre zu folgern: »In a sense, he has died and gone to suburbia.«8 Die von Hill zu Beginn der 1980er geäußerte Entfremdung von seinem mafiösen Umfeld und der damit assoziierten Hypervirilität des italoamerikanischen Gangsters ist für Tony Soprano Ende der 1990er zu einer Alltagserfahrung geworden. Zwar konnte er sich bei seinem sozioökonomischen Aufstieg in die Suburbs von North Caldwell seine ethnischen Identitätsbereiche weitestgehend erhalten, aber als ein wohlhabender Sohn der italoamerikanischen Arbeiterklasse wirkt Tony, der mit seinem Morgenmantel dann anschließend noch in den heimischen Pool steigt, um eine wilde Entenfamilie zu füttern, trotzdem irgendwie deplatziert, »literally a duck out of water in relation to the upper-middle-class lifestyle he leads«.9 Wie die klassischen Filmgangster, die mit ihrer auffallend kleinen (Rico Bandello, Tom Powers) beziehungsweise großen Statur (Tony Camonte) nicht bloß aus ihren ethnischen Unterschichtsgruppen, sondern auch – nach ihrem sozialen Aufstieg – aus ihrem ethnischen WASP-Umfeld herausstechen, fällt Tony Soprano zuerst auch durch seine ›Körperlichkeit‹ auf. Sein im Bild wiederholt akzentuiertes Übergewicht, das vom Körperideal der US-Middle-Class deutlich abweicht,10 und die Kleidung, die seinen mächtigen Brust- und Bauchumfang
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Vgl. Bruzzi: Undressing Cinema, S. 71. Robert Castle: »Average Nobodies. The Dark Knights of Goodfellas«, in: Bright Lights Film Journal, unter: http://www.brightlightsfilm.com/32/goodfellas.html, l.A.: 01.03.11 [Meine Hervorhebung]. Während des Films äußert sich Henry Hill auch so über das Leben eines Gangsters und das Leben eines Durchschnittsamerikaners: »To us, those goody-good people who worked shitty jobs for bum paychecks and took the subway to work every day, worried about their bills, were dead. They were suckers, they had no balls. If we wanted something, we just took it.« [Meine Hervorhebung] 9 Avi Santo: »›Fat fuck! Why Don’t You Take a Look in the Mirror?‹: Weight, Body Image, and Masculinity in The Sopranos«, in: Lavery: This Thing of Ours (2002), S. 72-94, hier S. 79. 10 Körperliche Fülle ist ein Distinktionsmerkmal von Sitcom-Helden aus der USWorking-Class: von Ralph Kramden, Archie Bunker bis zu Roseanne Conner in ROSEANNE (1988-1997, C: Matt Williams, ABC) und Doug Heffernan in THE KING OF QUEENS (1998-2007, C: David Litt, Michael J. Weithorn, ABC). Sitcom-Protagonisten aus der Middle- oder Upper-Middle-Class sind in der Regel schlank, wie etwa in FAMILY TIES (1982-1989, C: Gary David Goldberg, NBC), SEINFELD (1989-1998, C: Larry David, Jerry Seinfeld, NBC) oder THE COSBY SHOW (1984-1992, C: Bill Cosby, Ed Weinberger, Michael J. Leeson, ABC).
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nur selten ganz kaschiert, »emphasize[] his reluctant relationship to his class position and indicate his diminished status within it. Quite simply, Tony is a slob, and his appearance is at odds with the visual grandeur of his surroundings«.11 Der im Gangsterfilm der 1930er Jahre noch als Gesellschaftskomödie über Klassenschranken inszenierte Versuch des Gangsters, seinem sozialen Milieu, dem ethnischen Ghetto zu entfliehen und Anschluss an den Lebensstandard der mächtigsten ethnischen Gruppe Amerikas, den WASPs, zu finden,12 mag ihm also inzwischen gelungen sein. Doch der ersehnte Reichtum hat Tony auch um ein sicheres Selbstbild als Gangster gebracht, um ein stoisches, transgressives Männlichkeitsmodell, wie es das Genre-Publikum gemeinhin mit seinen filmischen Vorläufern und ihrer Kleidung verbindet. Während klassische Filmgangster durch ihr neues soziales Umfeld recht bald die ›Genregrenzen‹ zur Komödie einrissen, wird Tony Soprano gleich in einen anderen medialen Kontext, in eine dezidiert televisuelle Ahnenriege komischer Männlichkeitsentwürfe verortet: »No matter how rich his scams or complete his power grabs, [his] harried personal life is reminiscent of a long lineage of TV working schlubs«.13 Die Inszenierung Tonys, der unentwegt zwischen den widersprüchlichen Männlichkeitsmodellen des brutalen, kühl kalkulierenden Mafiosos und des fürsorglichen, nachsichtigen Familienvaters oszilliert, ohne je die eine oder die andere Rolle komplett auszufüllen, erinnert nicht selten an sich autoritär gebärdende und bornierte, aber am Ende einer Serienfolge oft einsichtige, wohlwollende und liebenswerte amerikanische Sitcom-Protagonisten wie Ralph Kramden aus THE HONEYMOON14 15 ERS (1955-1956) oder Archie Bunker aus ALL IN THE FAMILY (1971-1979) . »[All of them being, at times], blustery, opinionated, comic, serious, conservative, liberal, interested in children, wanting to do the right things, occasionally absurd, always loved by the family«.16 Wie diese im amerikanischen Fernsehen Kultstatus genießenden Männerfiguren aus der Arbeiterklasse ist auch Tony als ein unfreiwillig komisches ›Opfer‹ soziokultureller Wandlungen inszeniert, mit denen sein patriarchal-reaktionäres Welt- und Selbstbild
11 Santo: Body Image, S. 79. 12 Das Streben klassischer Filmgangster nach sozialer Mobilität war bald der Impetus für Komödien über Klassenfeindschaften wie THE LITTLE GIANT (1933, R: Roy Del Ruth), A SLIGHT CASE OF MURDER (1938, Lloyd Bacon) und THE WHOLE TOWN’S TALKING (1935, R: John Ford). Henry Hills Leben in Suburbia diente auch als Vorlage für die Komödie MY BLUE HEAVEN (1990, R: Herbert Ross), in der ein exzentrischer Mafioso unter biederen WASPs untertaucht. 13 Oliver Wang: Rez.: »The Sopranos« (12.04.2004), in: PopMatters, unter: http:// www.popmatters.com/tv/reviews/s/sopranos-2004.shtml, l.A. 01.03.2011. 14 THE HONEYMOONERS, USA 1955-1956, R: Frank Satenstein, CBS. Der beliebte Komiker Jackie Gleason und die von ihm gespielte Figur Ralph Kramden wird in der 5. SOPRANOS-Staffel noch zu einer Referenzfigur für Tonys Selbstbild. 15 ALL IN THE FAMILY, USA 1971-1979, C: Norman Lear, CBS. 16 Messenger: Our Gang, S. 284.
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nicht mithalten kann. Konnte sich der trottelige Busfahrer Kramden in den 1950ern trotz bizarrer Gewaltandrohungen selten gegen seine resolute Gattin Alice durchsetzen,17 handelte es sich bei Bunker um einen engstirnigen, reaktionären Familienvater, der den identity politics ethnischer und sexueller Minoritäten der späten 1960er und frühen 70er Jahren skeptisch gegenüberstand. Stellten doch die Bürgerrechtsbewegungen dieser Zeit, die zu seinem Verdruss auch noch daheim von der rebellischen Tochter und dem liberalen Schwiegersohn unterstützt wurden, die tradierte patriarchale Machtbasis Archies als weißer, heterosexueller Mann der Arbeiterklasse abrupt in Frage.18 Wie bei diesen komischen korpulenten Figuren zeigen sich auch bei Tony, der von dem sich – im Gegensatz zu seiner altmodischen ethnischen Enklave – wandelnden amerikanischen Umfeld oft überfordert ist, »the tensions of modern life in the very malleability and vulnerability and awkwardness of bodily posture, facial expression, and movement«.19 Jene so dramatischen, qualvollen »gangster shocks of recognition«20 also, von denen Martha P. Nochimson in Bezug auf die letzten tragischen Lebensmomente klassischer Filmgangster spricht, in denen der als naiver Trotzkopf dargestellte Protagonist zu einer überwältigenden Selbsterkenntnis findet, werden in den SOPRANOS auf rührend-komische Affekte hin umgeschrieben. Die sitcomhaften Nahaufnahmen, in denen sich auf Tonys sprachlosem Gesicht eine neue Einsicht über sich und seine Lebenswelt abzeichnet, gestatten eine Lektüre des antiquierten Männlichkeitsmodells des Gangsters als sowohl bedrohlich und tragisch, als auch unfreiwillig komisch und seltsam bemitleidenswert. Im Unterschied zu den Filmgangstern der 1930er, die bald nach ihrer destabilisierenden Selbsterkenntnis durch den eigenen Tod ›erlöst‹ wurden, hat der Fernsehgangster der Jahrtausendwende mit der psychischen ›Last‹ seiner neuen Erkenntnisse von Folge zu Folge, von Staffel zu Staffel weiterzuleben. Das erste Bild, das wir von Tony außerhalb der Therapie sehen, ist somit auch eines, in dem die Kamera von oben auf ihn herabblickt, wie er – im Gegensatz zu seinem sehr dynamischen, geradezu ›filmreifen‹ Auftreten im Serienvorspann – ohne jegliche Form von agency, mit nacktem Oberkörper auf seinem Bett liegt und lethargisch in die Leere starrt. »For Tony, contemporary suburban life breeds middle-class ennui«21: Als Gangster hat er Ende der 90er Jahre das Problem, dass er nicht nur die Rolle des suburbanen Familienvaters zu spielen hat, sondern sich auch einer souveränen Männlichkeitsperformanz bedienen muss, wenn er sich in seine ›Geschäftswelt‹ begibt. »But Tony is not always in control of that persona. Often he is suffused
17 Ralph Kramdens bizarre Androhung häuslicher Gewalt gegen seine sture Ehefrau Alice erlangte sogar Kultstatus: »One of these days, Alice, one of these days. POW! Right in the kisser! Bang! Zoom! To the moon, Alice, to the moon!« 18 Vgl. Robinson: Marked Men, S. 2. 19 Polan: Sopranos, S. 111. 20 Nochimson: Dying to Belong, S. 37. 21 Walker: Fin-de-Siècle Gangster, S. 385.
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by an intractable subconscious reality that he can neither dominate nor fully understand.«22 Immer dann, wenn er seine widersprüchlichen Männlichkeitstypen nicht mehr in ein Selbstbild vereinen kann, »when the center fails to hold, the result is panic, then – as Melfi probes the cracks – depression, selfhatred, sexual collapse, and engulfing, ungovernable anger [emerge]«.23 Das ins Unbewusste Verdrängte kehrt als psychischer Exzess wieder, das return of the repressed äußert sich als physische Störung einer konventionalisierten Genderperformanz,24 bei Tony Soprano in Form von Panikattacken, die sein männlich konnotiertes Handlungsvermögen hindern. Die anfängliche Unerklärlichkeit und die spätere Interpretation seiner körperlichen Symptome in der Therapie geht dabei konform damit, wie sich Verdrängtes wieder ›sinnhaft‹ auf der formalen Ebene des Melodrams zeigt, und wie es oft von kundigen Figuren (Ärzten, Priestern, Analytikern, Großeltern oder gebildeteren Kindern) zum Anlass genommen wird, die Probleme der leidenden Hauptfiguren für diese (sowie für die Zuschauer) psychologisch auszuformulieren: »[At first], it returns as ›excess‹, as the heightened emotionality which is expressed through music and mise-en-scène. The melodramatic text functions, then, like the body of the patient suffering from hysteria: it exhibits as symptoms what has been repressed from conscious discourse. The ›hysterical‹ moment of the text can be identified as the point at which realist conventions break down, and [its] ideological contradictions are revealed. The interest […] therefore lies in its ›ideological failure‹.«25
Die erste Angstattacke, die Tony in der Pilotfolge erleidet, der Kollaps seines männlichen Selbstverständnisses als Oberhaupt seiner Familie(n) ist entsprechend als der Sturz einer souveränen Figur aus großer Höhe inszeniert. Anfangs blickt die Kamera hoch zu seinem Oberkörper, der einen auffallenden Teil des Bildes einnimmt, während sich Tony sichtlich zufrieden in der Rolle des stolzen Patriarchen wähnt. Seine tradierte Machtposition wird mit einem ironisch überhöhten Bild vermittelt, in dem er eine Zigarre rauchend auf der Geburtstagsfeier seines Sohnes Fleisch für seine Familie zubereitet, den Grill bedient: Nicht ohne Grund heißt es im Amerikanischen: ›manning the grill‹. Das »ideological failure« dieser nach außen gefestigten Subjektposition, die ›Kastration‹ Tony Sopranos vollzieht sich darauf in einer Einstellung, in der die Kamera zu den wehmütigen Klängen der Soprano-Arie »Chi il bel sogno di Doretta« aus dem ersten Akt von Puccinis Oper La rondine (1917, fr. »Die Schwalbe«) um ihn kreist. Als die von ihm so liebevoll umsorgte Entenfamilie ihr Nest, seinen väterlichen Pool verlässt und davonfliegt, fällt Tonys phallisch konnotierte Zigarre aus seinem Mund, bevor der seiner gefiederten Familie – die hier für seine zwei anderen Familien steht –
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Nochimson: Dying to Belong, S. 191. Willis: Our Mobsters, S. 6. Vgl. Butler: Gender Insubordination, S. 28. Thornham: Passionate Detachments, S. 48.
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und damit seiner väterlichen Funktion beraubte Patriarch selbst ohnmächtig zu Boden fällt. Die spätere Lektüre dieser physischen Symptome im Dialog mit seiner Analytikerin in einer mit Schuss-Gegenschuss-Aufnahmen formal eher schlicht gestalteten Therapieszene am Ende der Folge – in Verbindung mit der Deutung eines Kastrationstraums, in dem Tony seinen abgefallenen Penis an einen Wasservogel verliert, der damit wegfliegt – legt sowohl ihm als auch dem Zuschauer eine psychoanalytische Deutung der melodramatischen Entenflugszene nahe. »Those goddamned ducks«, flucht Tony und resümiert unter Tränen der Erkenntnis: »I’m afraid I’m gonna lose my family like I lost the ducks. That’s what I’m full of dread about. It’s always with me.« Inwieweit das nun eine Interpretation ist, die zutrifft oder weiterer Differenzierungen bedarf – bleibt hier doch unklar, von welcher ›Familie‹ er eigentlich spricht –, wird die weiteren sechs Staffeln der Serie beschäftigen. Zunächst muss man aber festhalten, dass THE SOPRANOS mit der Wiederholung, Fortschreibung und psychoanalytischen Auslegung der GOODFEL26 LAS-Schlussszene zu Anfang der ersten Staffel in zweierlei Hinsicht zu einer televisuellen Gangstergeschichte after the fall werden. Die Serie beginnt nicht nur mit dem tatsächlichen Fall des Protagonisten, sondern sowohl nach dem Kollaps eines kriminellen Ehrenkodex, dem Schweigegebot der Omertà durch den Verräter Hill,27 als auch nach dem Kollaps einer filmischen Genre-Tradition durch die ernüchternde Genre-Dekonstruktion von GOODFELLAS. »[The show, then, is] in some sense about the exhaustion of the gangster film«.28 Während das Wissen um seine nachteilige Position als der (vorläufige) historische Endpunkt einer kriminellen Tradition die Wehmut Tonys bestimmt, werden seine Minderwertigkeitsgefühle in den intertextuellen Verweisen der Serie auf die vermeintlich stabileren Strukturen des Gangsterfilms vor GOODFELLAS deutlich. »[Hence], most of the references to Mafia movies are best understood, not as examples of postmodern self-referentiality per se, but as a symbolic framework within which [most of the] characters […] attempt to find a meaning and justification for their lives«.29
26 Die schnell ikonisch gewordene Szene, in der sich Tony die morgendliche Zeitung, den Star-Ledger New Jerseys holt, ist ein (all)tägliches Ritual, das sich so ähnlich, mit einigen signifikanten Variationen, in jeder weiteren Staffel findet. 27 Als ein Gehilfe, aber kein vollwertiges Mitglied der Mafia, war Hill nicht dazu ›verpflichtet‹, dem Schweigegebot zu folgen. Aber wie Jimmy Conway ihm bereits früh im Film sagt: »Never rat on your friends and always keep your mouth shut.« Es ist auch selten, dass die Hauptfigur die Gang verrät. In der Regel sind Verräter im Genre Nebenfiguren, die für ihren Verrat auch bald getötet werden. 28 Steven Hayward/Andrew Biro: »The Eighteenth Brumaire of Tony Soprano«, in: Lavery: This Thing of Ours (2002), S. 203-214, hier S. 211. 29 Pattie: Mobbed Up, S. 137.
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Deshalb werden von Tony und seiner Crew auch die als vorbildlich auslegbaren Gangsterhelden der ersten zwei Teile der GODFATHER-Reihe30 bewundert und wörtlich zitiert, während sich die Serie als ein inoffizielles Sequel zu Martin Scorseses nüchternerer Milieustudie GOODFELLAS versteht,31 die drastischer und unangenehmer zwischen dem glamourösen Schein und dem alltäglichen Sein des Gangsters oszilliert, »[thereby] allowing [its audience] to simultaneously experience excitement and revulsion at the criminal subculture«.32 Und wie die melancholischen, schwarzhumorigen Gangsterfilme Scorseses und die Melodramen Douglas Sirks – »[as] examinations of communities or societies unknowingly on the verge of breakdown«33 – handeln auch THE SOPRANOS von dem graduellen, tragisch-komischen Zerfall einer Parallelgesellschaft und von einnehmenden, aber gewissenlos handelnden Figuren »[with] no long-term strategy, no detachment, and no sense of community; their activities and even their lives [being] as contingent«.34 Als ein postmoderner Fernsehgangster mit obsoleten Wertvorstellungen, »[as a figure] inhabit[ing] the post-Godfather condition«,35 beklagt Tony in einer seiner ersten Therapiesitzungen auch den gegenwärtigen Verlust mafiöser ›Prinzipien‹: »I have to be the sad clown. Laughing on the outside, crying on the inside, things are trending downward. […] Nowadays, no values.«36 Statt sich der Loyalität seiner Crew sicher zu sein, muss er befürch-
30 »[The first two GODFATHER films, more often than not, offer their audience] an image of the Mafia that is romantic, heroic, and above all stable; even though the times might change, the organization’s need for a strong central male figure and the desirability of adhering to the old standards (omerta, the […] traditional family) is never seriously questioned.« Pattie: Mobbed Up, S. 141. 31 Chase hat oft auf GOODFELLAS als unmittelbare Inspiration für THE SOPRANOS verwiesen. So wurden die Rollen von Tony und Carmela Soprano zunächst Ray Liotta und Lorraine Bracco angeboten, die bereits die Hauptrollen in Scorseses Film spielten. Neben Bracco tauchen viele Mimen, die in GOODFELLAS als Nebendarsteller oder Statisten zu sehen sind, ebenso in der Serie auf, u.a. Michael Imperioli, Vincent Pastore, Frank Vincent, Tony Sirico, und Suzanne Shepherd. 32 Brode: Crime Movies, S. 167. Vgl. auch Casillo: Gangster Priest, S. 268. 33 Jon Halliday: »All That Heaven Allows«, in: dies./Mulvey: Douglas Sirk (1972), S. 58-66, hier S. 62. 34 Pattie: Mobbed Up, S. 143. 35 Hayward/Biro: Brumaire, S. 207. 36 Die Entrüstung über den Verlust tradierter Werte und sozialer Gepflogenheiten wird in der Serie jedoch auch von Nicht-Mafiosi und Repräsentanten marginalisierter Männlichkeiten geteilt: Tonys bester Freund Arthur Bucco, ein Gastronom, regt sich in »Boca« (s01e09) über einen Gast auf, der mit einer Baseballkappe in einem feinen Restaurant sitzt: »It’s values today. Standards are crumbling.« Tony tritt daraufhin zu dem Gast und bringt ihn mit seiner imponierenden Körperlichkeit dazu, seine Kappe abzusetzen – worauf sich der Kellner bei ihm für diese ›Ermahnung an die Restaurantetikette‹ mit einem Wein bedankt.
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ten, wie er einmal aufgebracht in der Pilotfolge feststellt, »[that they will] go Henry Hill [on him]«, und dem realen Gangster nachahmen werden, der dadurch berühmt wurde, dass er Mitglieder des New Yorker Lucchese-Clans ans FBI verriet und anschließend seine Mafiazeit zu einem Teil amerikanischer Populärkultur machte.37 Und statt von seinen Schuldnern aus der Ferne gefürchtet zu werden wie die distinguierten Mafia-Dons der GODFATHERFilme38 muss Tony als zweitrangiger capo39 zu Beginn der Serie und später auch als street boss40 selbst handgreiflich werden, um sich bei seinen Zweiflern das Ansehen der früheren Bosse zu holen (»You tell people I’m nothing compared to the people who used to run things!?«). Er wäre gerne, aber ist kein »uomo di rispetto«, ein Mitglied des italoamerikanischen und sizilianischen41 Milieus, dem der Respekt seiner männlichen Zeitgenossen sicher ist, »that is, a man who exacts respect by a glance, a gesture, or a word; in Mafia-speak, a Mafioso«.42 Bei dieser Männerfigur handelt es sich, wie das hysterische Beispiel Tony zeigt, um ein Phantasma viriler, narzisstischer Männlichkeit, das Tony zu konstruieren, zu imitieren versucht, ohne sich bewusst zu werden, dass es sich erst über Imitationen konstituiert, ein Iterationsphänomen ohne Original ist.43 Wie für die Filmgangster der 1930er, die sich in ihrer forcierten Identitätskonstruktion an dem Vorbild erfolgreicher Gangs-
37 Henry Hills Erinnerungen an seine Mafiakarriere dienten als Grundlage für das Buch Wiseguy (1986) des Crime-Journalisten Nicholas Pileggi und für Martin Scorseses Filmadaption GOODFELLAS (1990), die wie die GODFATHER-Trilogie zu einem vielzitierten Text der US-amerikanischen Populärkultur avancierte. 38 Während sich der Einfluss realer Mafiosi selten über die Stadtgrenzen erstreckt, in der sie arbeiten, ist die gefährliche Reputation des Paten in THE GODFATHER einem Hollywoodfilmproduzenten bekannt und in den folgenden Teilen sogar auch im Ausland ein Begriff: in Havana (PART II) und im Vatikan (PART III). 39 Der capo, kurz für: caporegime, ist der vom Mafiaboss ernannte Anführer einer kleinen Gruppe von Mafia-Fußsoldaten. Er ist derjenige, der seine eigene Crew kommandiert und ihren Verdienst prozentual an den Don weitergeben muss. 40 Ein street boss, auch bekannt als underboss oder acting boss, ist für das Tagesgeschäft einer Mafiafamilie verantwortlich und trifft auch in Abwesenheit des eigentlichen, aber nicht im Straßengeschäft aktiven Bosses die Entscheidungen. 41 Tony fällt auch in diesem Punkt ein wenig aus dem Rahmen, da seine Vorfahren aus Avellino, einer Provinzstadt in der Nähe von Neapel stammen und also auch keine Sizilianer sind, die eher mit der Mafia assoziiert werden. Vgl. Gagliano: Glossary, unter: http://www.ggjaguar.com/glossary.pdf, l. A.: 01.03.11. 42 D’Acierno: Cultural Lexicon, S. 756. 43 Berühmt ist Judith Butlers konstruktivistische Perspektivierung: »[T]he naturalistic effects of heterosexualized genders are produced through imitative strategies [reclaiming] a phantasmatic ideal of heterosexual identity. [Thus] the ›reality‹ of heterosexual identities is performatively constituted through an imitation that sets itself up as the origin« (Gender Insubordination, S. 21).
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ter orientieren,44 ist für Tony die Identität des Gangsters vor allem eins: »the myth or ideal he both constructed and strives to live up to«.45 Seine erfolglosen Versuche, an antiquierte, erst durch Fiktionen wie den Gangsterfilm erzeugte Männerbilder anzuknüpfen, machen nochmals deutlich, dass es sich bei Männlichkeit um eine der »Kategorien einer herrschaftlichen Repräsentation [handelt], in der sich die Subjekte tagtäglich ideologisch wieder finden, [eines jener] Phantasmen, die sich in und durch Repräsentationen situieren«,46 und auch die Identitätsprojekte (post)moderner Subjekte noch weiter bestimmen. Im selben Moment belegen die vielen kulturellen und medialen Traditionslinien, in denen Tony steht, dass nie bloß ein Männlichkeitsmodell dominiert, »[that m]anhood is neither static nor timeless; it is historical [and so] means different things at different times to different people«.47 Als das emotionale Male Melodrama eines konservativen Gangsters artikulieren THE SOPRANOS folglich »the anxiety brought by a frightening new world in which the traditional patterns of moral order no longer provide the necessary social glue«48, in der dem Mann nicht unbedingt die Machtposition, aber doch deren Legitimation immer mehr abhanden gekommen ist. Dabei ist die von Tony in der Serie geäußerte Nostalgie, um eine Beobachtung, die Steve Neale über John Fords Spätwestern THE MAN WHO SHOT LIBERTY VALANCE (1962)49 macht, auf THE SOPRANOS zu übertragen, »not just for an historical past, for the [urban crime world, A.N.], but also for the masculine narcissism that [the gangster persona, A.N.] represents«.50 Die ironische Inkongruenz, die unweigerlich vorliegt, wenn diese Melancholie ausgerechnet von einem Patriarchen geäußert wird, der die verloren geglaubten Werte einer Mafiafamilie betrauert, bricht dabei nicht unbedingt mit der sentimentalen Rhetorik der Ausgangssituation. Die amüsanten Brüche im Leidensdiskurs des Gangsters, auf die die Serie mit einer ironisierenden Mise-en-scène, einer vieldeutigen Figurengestaltung und einander widersprechenden Figurenpositionen verweist, erlauben zwar oft eine kritische Distanz zum komischen Pathos des Protagonisten, schmälern aber weder die Intensität seiner Gefühle, noch das melodramatische Affektpotential seines Opferdiskurses.51
44 Beispielhaft ist Rico Bandellos Bewunderung für den berühmten Gangsterbosses ›Diamond Pete‹ Montana in LITTLE CAESAR (1931), von dem Rico erst aus der Zeitung erfährt und um dessen medialen Ruhm, sozialen Status und luxuriösen Lebensstil er ihn vor allem beneidet. Vgl. auch »Disturbing the Gangster: Homosozialität, Homosexualität und Homophobie« in diesem Kapitel. 45 Bruzzi: Undressing Cinema, S. 71. 46 Kaltenecker: Spiegelformen, S. 18. 47 Kimmel: Masculinity as Homophobia, S. 120. 48 Brooks: Melodramatic Imagination, S. 20. 49 THE MAN WHO SHOT LIBERTY VALANCE, USA 1962, R: John Ford. 50 Neale: Masculinity as Spectacle, S. 15. 51 Hiermit wird auch Dana Polans Ansatz widersprochen, der die ironischen, postmodernen Momente der Fernsehserie überbewertet, wenn er behauptet, »that an
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Henry Hills bittersüße wie amüsant-groteske Melancholie aus der letzten Sequenz von GOODFELLAS bestimmt also auch Tonys Verlusterlebnis. »This [is an] aesthetic of impotence, [that] portrays the melancholic as wounded, emasculated, alienated and as the sufferer of a profound loss«, und dadurch dem Gangsterprotagonisten die traditionelle Subjektposition der melodramatischen Heldin zuweisen mag, hadert er doch auch erfolglos mit den repressiven patriarchalen Strukturen seiner beklemmenden Lebenswelt, »[u]nlike the heroine, however, the melancholic appears to have the ability to lose his struggle and still retain power and privilege«.52 Auch Tony Soprano nimmt mit seinen im Laufe der Serie immer deutlicheren Bedenken gegenüber seinen tradierten Männlichkeitsrollen an einem »Melancholiediskurs« teil, der, so Edgar J. Forster, »jenen machtvollen Raum [entfaltet], der die Konstruktion von heterosexueller Männlichkeit strukturiert«.53 Forster dazu weiter: »Die Melancholie bildet gewissermaßen [ihre] Grenze […]. Es zeigen sich dort die Grenzen der Männlichkeit, das Leiden an der männlichen Geschlechtsidentität, am patriarchalen Diskurs. Männlichkeit ist auf die Probe gestellt, aber innerhalb der bestehenden patriarchalen Ordnung. Risse und Brüche im Leben von Männern werden sichtbar – und damit läßt sich rekonstruieren, was Männer zu Männern macht.«54
So wird der wehmütige Abgesang der Pilotfolge auf die Mafia als eine geheime, in sich geschlossene und intakte Subkultur der amerikanischen Gesellschaft und als ein populäres Milieu des Gangsterfilms in der ersten regulären Folge der SOPRANOS, »46 Long« (s01e02), auch bis zu einem gewissen Grad wieder korrigiert. Wie bei jedem neuen Gangsterfilm wird auch in der Serie das Milieu trotz einer beständigen Endzeitstimmung, »[despite an] aura of fatalism that runs through [the genre]«55 mit einer obligatorischen, fast nahtlosen Wiederherstellung patriarchaler Machtverhältnisse weitererzählt. In der einzigen Sequenz, die jemals vor dem Vorspann einer Folge zu sehen ist, sitzt Tony Soprano, umgeben von seiner Crew, in einem Hinterzimmer und zählt Geldscheine. Die Männer schwelgen geradezu in ihrer Homosozialität, essen, rauchen, lesen Zeitung, schauen fern, heben Gewichte und reden über den Klatsch aus den Nachrichten. Im Fernsehen läuft ein Interview mit dem Ex-Mafioso Vinzent Rizzo. Auf die Frage »What’s the situation on
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ironic perspective […] runs through the show and insinuates itself into all simplistic attitudes and interpretations« und »[that the series] operates in the register of farcical deflation, reiterating that there may be something both sad and laughable about the destiny of seriousness in ironic times« (Sopranos, S. 44, S. 71). Denn trotz ihrer Metareflexivität und Ironie ist die Serie immer noch ein klassisches Melodram, das den Gefühlen seiner Figuren viel Platz einräumt. Vgl. Nicholls: Scorsese’s Men, S. xiv [Meine Hervorhebung]. Forster: Melancholie und Männlichkeit, S. 70. Ebd. [Meine Hervorhebung]. Hayward: Key Concepts, S. 147.
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the ground today, right now, in the mob?«, erwidert Rizzo: »Confusion, instability, vacuum at the top.« Seine pessimistische Einschätzung wird ironisiert im Bild mit einem Geldsack, der auf dem Tisch vor Tony geleert wird. Verstimmt von den Endzeitprognosen des Mafia-Experten (Rizzo: »But you know, the heyday? You know, the golden age or whatever of the mob. That’s gone. And that’s never coming back and they have only themselves to blame«) – die von nicht wenigen der in dieser Szene Anwesenden geteilt werden, aber unausgesprochen bleiben –, fordert Tony seinen consigliere56 Silvio ›Sil‹ Dante auf, ihn aufzumuntern. Darauf steht Silvio auf und spielt eine Szene aus THE GODFATHER, PART III nach, in der ein gealterter Michael Corleone – wie schon unzählige geläuterte postklassische Filmgangster vor ihm – die Unmöglichkeit beklagt, aus der Mafia auszusteigen: »Just when I thought I was out, they pull me back in.« Mit seiner spontanen Vorstellung verspottet Silvio hier nicht nur das männliche Pathos, das im letzten GODFATHER-Film mit einer solchen Offenheit artikuliert wird, dass sich Michael Corleone nicht mehr als der stoische, souveräne Held der ersten zwei Teile der Reihe auslegen lässt. Silvios Auftritt verdeutlicht auch, dass die Figuren in der Serie oft mehr sind als nur »consumers and subjects of gangster film history; they are performers of it«.57 Vor allem Silvio, der mit seinen grotesken Grimassen, seiner undeutlichen Aussprache, auffallenden Pompadourfrisur und seinem Faible für Edelanzüge58 wie eine Parodie auf die ikonische Gangsterfigur wirkt, persifliert hier eben jene narzisstische Ich-Bezogenheit und Theatralik des Gangsters, die stets einen großen Teil seiner Faszination als ein selbsterklärtes Opfer seines soziokulturellen Umfelds bestimmt hat.59 Es ist gerade so, als würden sich die Fernsehgangster über die melodramatische Rhetorik älterer Gangsterfilme amüsieren, »[about what] melodrama at heart represents, the theatrical impulse itself: the impulse toward dramatization, heightening, expression, acting out«60 – ohne sich aber darüber bewusst zu werden, dass auch sie an dem Opferdiskurs des amerikanischen Gangstergenres partizipieren. »[Since] they can betray themselves as no less prone to complaint, tremulous quivering, and emotional vulnerability«.61 Silvio wiederholt seine Imitation ein weiteres Mal zum Schluss der Sequenz als unmittelbare Antwort auf die letzten, prophetischen Worte Rizzos: »You’re always gonna have organized crime. Always as long as the human being has certain appetites for gambling, pornography, or whatever. Someo-
56 Der consigliere ist die rechte Hand des Dons, mit der sich der Boss vor jeder wichtigen Entscheidung berät und der in dessen Abwesenheit die Familie leitet. 57 Symonds: Dirty Business, S. 133. 58 »46 Long« (s01e02), der Titel der Folge, verweist bezeichnenderweise auch auf die Kleidungsgröße für einen gestohlenen Designeranzug, den sich Silvio Dante in der Folge anzieht, um vor einem Spiegel abermals Al Pacino zu imitieren. 59 Vgl. Symonds: Dirty Business, S. 133. 60 Brooks: Melodramatic Imagination, S. xi. 61 Polan: Sopranos, S. 44.
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ne’s always gonna surface to serve these needs. Always.« In diesem Prolog geschieht somit zweierlei: Zum einen fungiert die Sequenz als eine narrative Anbindung an die dramaturgisch relativ eigenständige Pilotfolge, zur Serialisierung einer ursprünglichen Idee für einen anderthalbstündigen Independent-Film,62 »as a bridge, a transition which redefines a potentially closed narrative as part of a larger whole«.63 Zum anderen fordert die darin vorgestellte These, organisierte Kriminalität sei die Konsequenz niederer menschlicher Bedürfnisse, die Zuschauer implizit dazu auf, den Gangster weiterhin als eine bedeutende kulturelle Reflexionsfigur ernst zu nehmen. Mit anderen Worten also: Just when we thought we were out (of the gangster genre), they (THE SOPRANOS) pull us back in. Zudem wird hier Tony durch seine Machtposition in seiner Gang wieder ein stabiles männliches Selbstbild zuerkannt, die ihn zu einer Figur macht, »whose power is guaranteed by a network of patriarchal frames [and which is] a corrective to the passive, anxiety-ridden Tony of the waiting room scene and, in fact, of much of the first episode.«64 Abbildung 1: Gangsterperformanzen, Gangsterparodien
Quelle: THE SOPRANOS – SEASON ONE. DVD. HBO Video 2007 Mit dieser, der ersten regulären Folge vorangestellten Sequenz wird ein beständiger Prozess der Konstruktion und Dekonstruktion männlicher Identität wieder in Bewegung gesetzt, der nicht nur für die narrative Struktur der Serienfolgen und -staffeln, sondern auch für die Dramaturgie des Genres konstitutiv ist.65 Gangsternarrative folgen oft demselben Muster, beginnen und
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Vgl. Chase: DVD Interview, Season One. Walker: Cunnilingus and Psychiatry, S. 113. Ebd. Die Frage, die sich angesichts der besonders facettenreichen Verhandlung von Gangstermythen in den SOPRANOS stellt, ist die, wie sich der Gangsterfilm nach
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enden mit dem Kollaps eines patriarchalen Machtsystems: Zu Anfang endet die Herrschaft eines älteren, trägen und harmoniewilligen Gangsters und die eines jungen, ambitionierteren und skrupelloseren Konkurrenten fängt an.66 Der Gangsterboss wird ersetzt, die Struktur, die diese Figur erst ermöglicht hat, bleibt aber bestehen. Dieses Prinzip mafiöser Machtverschiebungen findet ihren Ausdruck in einem Narrativ, »that creates internal correspondences (and a sense of cyclical recurrence)«.67 Wie das klassische Filmmonster ist folglich auch der Gangster dazu ›verdammt‹, immer wieder ›wiederzukehren‹, »[as] the ›undead‹ of social pariahs.«68 Das Gangstergenre setzt so sowohl die Konsolidierung als auch die Desintegration patriarchaler Machtsysteme und ihrer phallozentrischen Repräsentationen fortlaufend in Szene.
der Serie revitalisieren wird. Auffallend ist zumindest, wie sich amerikanische Genretexte ab 2000 wieder verstärkt irischen Gangs widmen (z.B. THE DEPARTED, 2006, R: Martin Scorsese; A HISTORY OF VIOLENCE, 2005, R: David Cronenberg) oder den Retro-Gangsterfilm wiederbeleben (z.B. AMERICAN GANGSTER, 2007, R: Ridley Scott; PUBLIC ENEMIES, 2009, R: Michael Mann, BOARDWALK EMPIRE (2010––, C: Terence Winter, HBO). Allen diesen Genre-Texten ist gemein, dass sie sich von der italoamerikanischen Mafia deutlich distanzieren, als hätten THE SOPRANOS das Milieu vorerst ›ausgeschöpft‹. So spricht Regisseur David Cronenberg im Audiokommentar zu A HISTORY OF VIOLENCE, in dem die italienischen Figuren der Romanvorlage als irische Gangster auftreten, diesbezüglich auch vom »Sopranos Syndrome« (vgl. »DVD Audiokommentar«, in: A HISTORY OF VIOLENCE, Warner Home Video/New Line 2006). 66 Für den Protagonisten des klassischen Gangsterfilms gilt: »as soon as he wishes to rest on his gains, he is on the way to destruction« (Warshow: The Westerner, S. 106). So warnt der ehrgeizige Rico Bandello bereits früh den Bandenführer in LITTLE CAESAR: »You’re slipping, Sam«, während die Verschwörer Johnny Lovo und Tony Camonte in SCARFACE über ihren früheren, nun toten Anführer folgendermaßen sinnieren: Johnny: »Costillo slowed down too much.« – Tony: »Yeah. And now he come to a dead stop.« Der arrogante Emporkömmling Sollozzo, der kein Verständnis für die altmodischen Moralprinzipien von Don Vito Corleone hat, der das lukrative Drogengeschäft mit ihm ausschlägt, folgert auch in THE GODFATHER, »[that the] Don was slipping; in the old days I could never have gotten to him.« Der Machtwechsel in der Gang ist also konstitutiv für viele Gangsternarrative, die dadurch auch der narrativen Struktur klassischer Genrefilme folgen: »[i.e.], the triad ›order/disorder/order-restored‹. The beginning of the film puts in place an event that disrupts an apparently harmonious order […] which in turn sets in motion a chain of events that are causally linked. Cause and effect serve to move the narrative along. At the end the disorder is resolved and order once again in place« (Hayward: Key Concepts, S. 45). 67 Mason: American Gangster Cinema, S. 25. 68 Diego: Horror Icon, S. 338. Vgl. zum Gangster als monströse Figur ebenso »The Monstrous/Familiar Other: Ethnische Stereotypen« im fünften Kapitel.
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»Für eine filmtheoretische Erkundung geschlechts- und begehrensspezifischer Repräsentationsformen scheint demnach immer eine doppelte Aufklärung vonnöten. Zum einen sind die ideologischen Strategien zu erhellen, über die sich das männlich-heterosexuelle Subjekt in idealer Weise erfinden und seine symbolische Machtposition festigen kann. Und zum anderen sind jene diskursiven Brüche auszuloten, in denen sich die krisenhafte Realität patriarchaler Identitätskonstruktionen offenbart […].«69
Das vorliegende Kapitel führt im Folgenden aus, wie sich diese ›diskursiven Brüche‹ im Männlichkeitsdiskurs des amerikanischen Gangstergenres durch eine Lektüre der SOPRANOS als Male Melodrama aufzeigen lassen. Der dabei forcierte intertextuelle Traditionsbezug der Serie auf Bedeutungsstrukturen klassischer Filmmelodramen – »[which] as ›texts of muteness‹ […] strive to articulate a voice repressed within patriarchal culture«70 – soll dazu dienen, neben der weiblichen auch die männliche Sprechposition als ›Opferposition‹ im Patriarchat zu lesen. Denn auch wenn die Melancholie des Krisenmannes nicht unbedingt zu einem Kollaps patriarchaler Systeme führt, kann sie doch immer auch »ein[en] Grenzzustand, [eine] Position der Unentschiedenheit, des Noch-nicht, […] den Moment vor der Entscheidung, gewissermaßen die Zeit der aufgeschobenen Entscheidung« markieren, in der »sich das Feld der Möglichkeiten [öffnet] und […] Optionen zu[lässt]«.71 Um den Gangster als einen an sich und an seiner Geschlechtsrolle zweifelnden Protagonisten zu begreifen und ihn von der unreflektierten Rolle als ohnehin verdächtig eindimensionalen Repräsentanten idealtypischer Männlichkeit zu trennen, setzt sich die Arbeit im Weiteren mit den ideologischen Widersprüchen in der Figur und in dem homosozialen Milieu auseinander, aus der sie hervorgeht. Oberflächlich betrachtet mag das Genre vom patriarchalen Machtkampf rivalisierender Männer(bünde) handeln. Die Auslegung als Melodram zeigt aber, dass das Genre auch das differenziertere Bild einer versehrten und dadurch zur kritischen Selbstreflexion befähigten Männlichkeit zeichnet, die in den SOPRANOS zu der Erkenntnis gelangt, dass es durchaus von Vorteil sein kann, über seine persönlichen Probleme zu sprechen. So steht Tony am Ende der Pilotfolge umringt von seiner Crew am hauseigenen Grill und holt die Geburtstagsfeier seines Sohnes nach. Auf eine Nahaufnahme der brutzelnden Würstchen auf dem Grill – die unmittelbar auf eine Therapiesitzung zu dem Kastrationstraum folgt und die vorläufige Überwindung seiner Männlichkeitskrise impliziert – zitiert Tony weder die Regeln der Mafia, noch des Gangsterfilms, sondern die Worte seiner Analytikerin, als er seinen emotional aufgewühlten Freund Arthur ›Artie‹ Bucco, an dessen Kummer er ironischerweise nicht gerade unschuldig ist, umarmt und ihm liebevoll zuspricht: »Y’know what I’m figuring out lately? Talking helps! […] Hope comes in many forms.« Der Rekurs des zur Diskretion angehaltenen, aber zur Offen-
69 Kaltenecker: Spiegelformen, S. 23f. 70 Modleski: Feminism Without Women, S. 8. 71 Vgl. Forster: Melancholie und Männlichkeit, S. 89.
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heit ratenden Mafioso auf Melfis ärztlichen Rat gestattet nicht nur, »[for] a feminine voice to penetrate into a generic text that has traditionally excluded it«.72 Der sentimentale, ironisch gebrochene Krisendiskurs der Serie macht auch deutlich, dass das Gangstergenre seine hypervirilen Protagonisten oft in einem Opferdiskurs verortet, wie man ihn bisher nur dem Familienmelodram und dem Woman’s Film mit solcher Bestimmtheit nachgewiesen hat.73 Die folgenden Seiten widmen sich den Emotionalisierungsstrategien, die den Gangsterprotagonisten als eine ansprechende Identifikationsfigur gestalten. Untersucht wird dabei, wie THE SOPRANOS mit dem psychoanalytischen Setting diese Strategien sowohl als melodramatisch ausstellen, als auch im Hinblick auf die ihnen zugrunde liegenden Gender-Konnotationen dramatisieren. Darauf folgt eine Lektüre von Gangsternarrativen als Dramatisierung (post)moderner Identitätsprojekte, in der konkurrierende Männlichkeitsmodelle aufeinander prallen. Hieran schließt eine Betrachtung des homosozialen Männerbundes, deren internen Gender-Konflikte in der Regel die Handlung der Genretexte determinieren. Von besonderem Interesse ist hierbei die Verhandlung von Homosexualität innerhalb der heteronormativen Grenzen der Gang. Der letzte Punkt des Kapitels wendet sich den Schließungsfiguren des Genres zu, die den Gangster mit den Grenzen seines virilen Selbstbildes und dem nahenden Ende seines Identitätsprojektes konfrontieren. Näher betrachtet werden dabei die Versuche der Figuren, dem repressiven Milieu der Mafia zu entfliehen, sich alternativen Lebensmodellen zuzuwenden und sich damit der melodramatischen Kausalität des Gangstergenres zu ›entziehen‹.
I DENTIFYING WITH THE G ANGSTER : K INDSKÖPFE UND L EIDENSFIGUREN Brett Martin resümiert in The Sopranos: The Complete Book, »[that] the joy and the paradox of the gangster genre, […] the delicate balancing act that has defined The Sopranos« in der Schwierigkeit bestünde, »[h]ow to make [the audience] root for, laugh with, and identify with these characters while never losing sight of the fact that they are often doing truly heinous things«.74 Auch Britta Hartmann spricht von einem »merkwürdig ›changierende[n]‹ Element«, das bereits in der »Modellwelt des klassischen Gangsterfilms« zum Tragen kommt, die im Grunde »einem einfachen Dualismus zu gehorchen scheint«, die immer zwischen den ›guten‹, gesetzestreuen und den ›bösen‹, kriminellen Figuren und den ihnen jeweils zugeordneten Hand-
72 Akass/MacCabe: Female Narrative Authority, S. 153. 73 Vgl. Flo Leibowitz: »Apt Feelings, or Why ›Women’s Films‹ Aren’t Trivial«, in: David Bordwell/Noel Carroll (Hg.): Post-Theory: Reconstructing Film Studies, Wisconsin: Wisconsin UP 1996, S. 219-229, hier S. 220. 74 Martin: Complete Book, S. 127.
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lungsräumen differenziert, aber durch die »Ambivalenzen in den Wertorientierungen und Handlungsmustern der Figuren« häufig aufgehoben wird.75 Die implizite Fragestellung des Gangstergenres könnte somit lauten: »Welche möglichen Positionen kann der Zuschauer zum abgebildeten Normsystem und zur Bewegung zwischen den normativen Bereichen einnehmen?«76 Die Forschung erklärte sich die besondere Popularität der Gangsterfigur in den USA mit ihrer radikalen Verkörperung eines der prominentesten Attribute ›amerikanischer Identität‹, dem Individualismus.77 Der Gangsterprotagonist sei trotz seiner Kriminalität, Brutalität und Antisozialität deshalb so faszinierend, weil er mit seiner Energie und seinem Glamour den Amerikaner als kraftvoll-energischen self-made man als auch kindlich-unschuldigen Egoisten allegorisiere.78 Auch die Popularität Tony Sopranos beim Fernsehpublikum wird meist seinen positiveren Qualitäten zugesprochen: »[He] can do a lot of bad things and make all kinds of mistakes […] so long as he’s always the smartest guy in the room and he’s good at his job. That’s what we ask of our heroes.«79 Beim Gangster lässt sich somit von einem jener fähigen und zur Identifikation einladenden männlichen Filmhelden sprechen, dessen Popularität man sich mit Laura Mulveys filmtheoretischer Auslegung eines psychoanalytischen Theoriemodells Jacques Lacans, der identitätsstiftenden »mirror stage«80 in der psychischen Entwicklung des Subjekts erklären könnte. Die glamouröseren Attribute des Gangsters wären demzufolge: »[…] those of the more perfect, more complete, more powerful ideal ego conceived in the original moment of recognition in front of the mirror. The character in the story can make things happen and control events better than the subject/spectator, just as the image in the mirror was more in control of motor coordination.«81
Beispielhaft hierfür sind in erster Linie die dynamischen Gangsterhelden der 1930er Jahre, die als schnell handlungsbereite Männer voll grotesker Kühnheit auftreten, »[their] vitality of motion [suggesting] the American sense of affirmation, dynamism, and spontaneous expression«.82 Mit ihrer sehr ange-
75 Vgl. Hartmann: Topographische Ordnung, unter: http://home.snafu.de/britta. hart/gang.html, l. A.: 01.03.11. 76 Ebd. 77 Vgl. Gabree: Gangster-Film, S. 14. 78 Vgl. Denby: Two Godfathers, S. 179. Vgl. zum Begriff des ›self-made man‹ zudem auch John G. Cawelti: Apostles of the Self-Made Man. Changing Concepts of Success in America, Chicago/London: Chicago UP 1965. 79 David Chase zitiert in: Martin: Complete Book, S. 10. 80 Vgl. Jacques Lacan: »The Mirror Stage as Formative of the Function of the I as Revealed in Psychoanalytic Experience«, in: ders. (Hg.): Écrits: A Selection, übers. von Alan Sheridan, New York: Norton 1982, S. 1-8. 81 Mulvey: Visual Pleasure, S. 751. 82 Kaminsky: Little Caesar, S. 52.
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spannten Mimik, aggressiven Körpersprache und kämpferischen Rhetorik83 setzen sie sich sowohl von den eleganten Gentleman-Kriminellen der 20er84 als auch von den traurigen Ex-Gangstern der späten 30er und 40er85 ab. Rico Bandello ist der Prototyp des rastlosen, profitorientierten Gangsters, »[one of his] most distinguishing traits [being] the way he makes immediate, cold, irrevocable decisions, and carries them out unhesitatingly in pitiless actions«.86 Die große Affinität des Gangsters zur Bewegung, der fast manische Tatendrang aller klassischer Filmhelden87 ist darauf noch frappierender im lebhaften Spiel des ausgebildeten Tänzers James Cagney,88 dessen Gangsterdarstellung aufgrund tänzerischer Einlagen, flotten, eleganten Körperbewegungen und expressiven Gesten im Unterschied zu Edward G. Robinson und Paul Muni mehr kindlich-verspielte als monströs-clowneske Züge trägt. Wichtig ist, dass die überzeichnete Männlichkeitsperformanz klassischer Filmgangster mit der davor und danach eher romantisierten Inszenierung der Gangsterfigur bricht, »contain[ing] the seeds of its own parody. The oh-yeah tough-guy mannerisms are essentially comic rather than romantic«.89 Selbst wenn die Figur also »in ihrer Energie, Durchsetzungsfähigkeit und Gewaltbereitschaft die Bewunderung des Zuschauers auf sich ziehen und als Gegenstand empathischer Bindung fungieren« mag, wird sie »durch die karikierenden Momente zugleich immer wieder auf Distanz gebracht«: Fungiert
83 Als der zum Chef avancierte Rico Bandello in LITTLE CAESAR (1931) zum Beispiel auf der Straße überfallen und angeschossen wird und lediglich am Arm verletzt wird, ruft er seinen Attentätern trotzig hinterher: »Fine shots you are!« 84 Zu dieser frühen ›romantischen Periode‹ des Gangsterfilms gehören u.a. die mit George Bancroft in der Hauptrolle besetzten Genretexte UNDERWORLD (1927) und THUNDERBOLT (1929) des österreichischen Filmemachers Josef von Sternberg. Vgl. dazu auch: Andrew Sarris: »Big Funerals: The Hollywood Gangster, 1927-1933 (1977)«, in: Silver/Ursini: Gangster Film Reader (2007), S. 84-95. 85 Zu dieser ›spätromantischen Periode‹ des amerikanischen Gangsterfilms gehören die mit Humphrey Bogart besetzten, sozialkritischen Crime-Dramen DEAD END (1937, R: William Wyler) und HIGH SIERRA (1941, R: Raoul Walsh). 86 Nochimson: Dying to Belong, S. 114. 87 Für den klassischen Hollywoodfilm wie für den US-amerikanischen Gangsterfilm gilt die Regel, »[that] the hero was defined dynamically, as the center of a continuous movement, often both from sequence to sequence as well as within the individual shot, […] focusing to the point of exaggeration on the drive, the obsession, the idée fixe [and] concentrati[ng] on the purely kinetic mechanical elements of human motivation« (Elsaesser: Family Melodrama, S. 366f.). 88 Vgl. Kaminsky: Little Caesar, S. 52. James Cagney, der in THE DOORWAY TO HELL (1930) den besten Freund des Gangsters gibt, war auch in THE PUBLIC ENEMY zuerst in dieser Nebenrolle besetzt, bevor sich das Studio angesichts seiner vitalen Leinwandpräsenz im Laufe der Dreharbeiten dazu entschied, ihm stattdessen die Hauptrolle zu geben. 89 Sarris: Big Funerals, S. 88.
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sie doch auch als »Zielscheibe des herablassenden Spotts aus einer bürgerlichen und patriarchalischen Position heraus«, die sie wiederholt als »›unfertigen‹ Mensch, als ›Kindskopf‹ mit Trotzverhalten« verspottet.90 Das kriminelle Milieu des Gangsters erscheint oft wie ein geradezu präsozialer Raum, als ein regressiver Gegenentwurf und parodistisch überhöhter Zerrspiegel zu der ›legitimen Erwachsenenwelt‹,91 in dem sich die Kriminellen wie unsozialisierte Kinder betragen, die sich wie etwa in LITTLE CAESAR auf einem eleganten Bankett zu Ehren des Bosses eine spontane Essensschlacht liefern. Handelte es sich bei den Gangstern aus den ersten beiden Beispieltexten des klassischen Genrefilms bereits um oft unfreiwillig komische Figuren, ist SCARFACE der erste Gangsterfilm, der sich mit seiner Vielzahl an komischen Szenen ohne weiteres auch als Komödie kategorisieren ließe.92 Sind die mit schweren italienischen Akzenten sprechenden Gangster des Films doch allesamt ethnische Stereotypen, deren fehlende Bildung und schlechter Einfluss auf das amerikanische Gesellschaftssystem sich vor allem in ihrer ›Gewalt‹ an der englischen Landessprache, in ihren zahlreichen Malapropismen zeigt. Zudem wird der Hauptfigur Tony Camonte in Gestalt von Angelo (Vince Barnett) jemand an die Seite gestellt, den er nicht nur dope (engl. »Idiot«) nennt, sondern der sich auch als ein Gehilfe mit noch weit schlechteren Englischkenntnissen und undeutlicherer Aussprache erweist. Mit seinem grotesk geformten Gesicht samt abstehenden Ohren, Halbglatze, schmalem Schnurrbart und einer drolligen Mimik und Gestik, die an die Slapstickroutinen eines Oliver Hardy erinnern, gilt Angelo als einer der ersten Beispiele für eine stereotype italienische Figur des Hollywoodfilms: »the brutish, dim-witted sidekick, the fesso«,93 der im Anschluss auch zu einem sehr beliebten Typus der Musical Comedy avancieren würde.94 Angelo erfüllt die Charakteristika des fesso (ital. »Tölpel«) – »an individual who is ignorant of the reality that surrounds him«95 – deshalb so genau, weil er den Film hindurch mit einem Alltagsproblem hadert, das seine völlige Aufmerksamkeit erfordert. Berufen als »Mr. Camonte’s secretary«, kann er zwar weder richtig schreiben noch lesen, verzweifelt aber vor allem daran, das neue Kommunikationsmittel des Chefs, das Telefon zu bedienen, ohne aus Frustration über respektlose Anru-
90 Vgl. Hartmann: Topographische Ordnung, unter: http://home.snafu.de/britta. hart/gang.html, l. A.: 01.03.11. Vgl. dazu auch Munby: Public Enemies, S. 56. 91 Vgl. King: Film Comedy, S. 77. Vgl. dazu auch Wood: Scarface, S. 22, 27, 19; Munby: Public Enemies, S. 56. 92 Vgl. Wood: Scarface, S. 19. 93 Jonathan J. Cavallero: »Gangsters, Fessos, Tricksters, and Sopranos: The Historical Roots of Italian American Stereotype Anxiety«, in: Journal of Popular Film and Television 32.2 (Sommer 2004), S. 50-63, hier S. 56. 94 Vgl. ebd. Die von Jonathan J. Cavallero aufgeführten Exemplare sind die von Erik Rhodes verkörperten Italoamerikaner in Mark Sandrichs klassischen Musical Comedies THE GAY DIVORCEE (USA 1934) und TOP HAT (USA 1935). 95 Cavallero: Fessos, S. 56.
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fer auf den Hörer zu schießen. Später versucht er sogar inmitten eines Bandenanschlags in einem Lokal, unter dem Geknatter von Maschinenpistolen, im Hintergrund der Actionszene zwischen erschossenen Gästen unbeirrt einen Anruf anzunehmen. In der klassischen Periode wurde der Filmgangster somit auch »zu einer stereotypen komischen Figur«,96 die noch heute ihren Platz als schrulliger Klischee-Bösewicht in Hollywood-Komödien innehat.97 Die absurde Komik dieser deutlich karikierenden Szenen erhält zum Ende von SCARFACE allerdings eine unerwartet bittere Note, als es dem bereits tödlich verwundeten Angelo doch noch gelingt, einen Anruf korrekt anzunehmen, an seinen Anführer weiterzuleiten und darauf mit einem triumphierenden Lächeln zu sterben. »[So, suddenly], his illiteracy, his unquestioning devotion to Tony, his funny clothes, his total childlike inadequacy in coping with his environment are no longer in the least funny, and we are left with a sense of terrible waste«.98 Die Inszenierung des Gangsters als ein impulsiver Kindskopf schafft also nicht nur Distanz zu seiner brutalen Persönlichkeit,99 sondern auch Nachsicht für die Naivität und Unschuld, auf die man aus seinen gewissenlosen, in ihrer Tragweite oft unbewussten Handlungen schließen mag.100 Wie das Komödiengenre verortet sich das Gangstergenre so in: »a space somewhere in between, offering a shifting balance between implication in the experiences of central characters – a modality in which we are encouraged to ›care‹ about what happens to them, to follow their fortunes with a degree of emotional investment in the outcome – and the more distanced perspective from which we can sit back without emotional consequence to enjoy the comedy of their incapacities and set-backs as well as their often unlikely triumphs.«101
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Siegel: Das Abstoßende, S. 485. Siehe THE FRESHMAN (USA 1990, R: Andrew Bergman), SISTER ACT (USA 1992, R: Emile Ardolino), BULLETS OVER BROADWAY (USA 1994, R: Woody Allen), GET SHORTY (USA 1995, R: Barry Sonnenfeld), MICKEY BLUE EYES (USA 1999, R: Kelly Makin) und GUN SHY (USA 2000, R: Eric Blakeney). 98 Wood: Scarface, S. 23. 99 Vgl. Dika: Representation of Ethnicity, S. 101. 100 In GOODFELLAS bekommt diese Unschuld mitunter sogar groteske Züge als ein Gangster ein Blutbad anrichtet und sich dann wie ein Kind bei seinem verdutzten Gangsterfreund entschuldigt: »I didn’t want to get blood on your floor.« 101 King: Film Comedy, S. 9.
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Dass der klassische Gangsterfilm für eine einnehmendere Darstellung102 des Gangsters auf komische Repräsentationsmittel rekurriert, überrascht nicht, gehört der kalkulierte Regelbruch doch zum raison d’être des Genres, »[that is], the freedom vicariously to enjoy departures from the norm […] Comedy can be seen as a form of disruption«.103 Die kriminellen Aggressionen werden dadurch abgemildert und zu den aufregenden Actionszenen einer heiteren Nummernrevue, in der an Stelle von Slapstick-Gags nun brutale Übergriffe als physische Kunststücke in einem rasanten Tempo aufeinander folgen. Die Komik hat dabei einen so subversiven wie affirmativen Effekt: Das kindliche Verhalten des Gangsters macht ihn zu einer komischen, primitiven Figur, die zwar fortlaufend soziale Konventionen unterläuft und dadurch in Frage stellt,104 deren Fauxpas aber auch die Gültigkeit derselben bestärken. Auch die Mafiosi der SOPRANOS sind – getreu der Tradition des Gangsterfilms – nicht nur mal abstoßend, mal sympathisch,105 sondern nicht selten auch unfreiwillig komisch – »at once menacing figures and clowns«.106 Die Ambivalenz gegenüber der kindlichen Unschuld klassischer Gangster greift also auch für ›das große Kind‹ Tony Soprano, »[who] betrays a human frailty that, beyond engendering sympathy, practically makes him endearing«.107 Dass sich diese Unschuld bei ihm vor allem in Tonys Bindungen zur Natur
102 Diese Sympathie gilt nicht für alle Gangster, benötigen doch auch die zur Identifikation ladenden Helden des Genres ihrer weniger charmanten Antagonisten: Neben unschuldig-verspielten, gemütlich-jovialen Gangstern wie etwa Costillo, der zu Anfang von SCARFACE auf seiner Party erschossen wird, gibt es ebenso zwielichtige Figuren wie Gaffney (gegeben von Boris Karloff, der zuvor als die Kreatur von FRANKENSTEIN (USA 1931, R: James Whale) berühmt wurde), der zwar ebenso gewissenlos handelt wie die Hauptfigur Tony Camonte, aber keinen kindlich-naiven Eindruck macht, sondern kaltblutig und diabolisch auftritt. 103 King: Film Comedy, S. 7. 104 Vgl. ebd., S. 87, 8. 105 Auffällig ist, dass die brutalsten Mafiosi, die designierten Killer der Familie im Gangsterfilm oft als drollige, einnehmende Persönlichkeiten eingeführt werden. Capo Clemenza lernt man auf der Hochzeitsfeier in THE GODFATHER als jovialen, enthusiastisch tanzenden Mann kennen, der von Paulie (den Clemenza für den Verrat an der Familie später ermorden wird) herzlich in die Backen gekniffen wird. Einen anderen capo, Tessio, der später seinen Don Michael verraten wird, sieht man im Film zuerst als alten Mann, der ein kleines Mädchen liebevoll auf seinen Füßen balanciert. Und den Vollstrecker Luca Brasi sieht man erst beim Einstudieren der Glückwünsche, die er dem Paten überbringt und dabei von spielenden Kindern gestört wird, die durch das Büro des Dons laufen. 106 D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 637. 107 Wang: Sopranos, unter: http://www.popmatters.com/tv/reviews/s/sopranos-20 04.shtml, l.A. 01.03.2011.
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und zu Tieren zeigt, ist dabei charakteristisch für das gestörte Verhältnis des Genres zum vormodernen, oft romantisch konnotierten Raum der Natur.108 Erzählte der klassische Gangsterfilm für gewöhnlich vom fall from grace seiner Hauptfigur, die vom Land in die Stadt flüchtet und dadurch ein für die amerikanische Mythologie zentrales Narrativ umsetzt, »that of the loss of a ›virgin state‹ or Eden«, und dramatisierte der postklassische Gangsterfilm oft die Stadtflucht des Gangsters, »[in search for] the virtues of a premodern (prelapsarian) moral landscape«,109 befinden sich THE SOPRANOS mit ihrem suburbanen Setting110 auf der melodramatischen Suche nach der verlorenen Unschuld ihres Protagonisten, die jenes fall from grace des klassischen Gangsterfilms umzukehren versucht: »The violation and spoliation of the space of innocence stands as a recurrent representation of the dilemma confronting innocence [that] must wander afflicted until it can find and establish the true signs in proof of its nature.«111 Die ›Zeichen‹ seiner ›wahren Natur‹ äußern sich bei Tony wie bei seinen filmischen Vorläufern im zärtlichen, körperbetonten Umgang mit Familie und Freunden,112 und der emotionalen Bindung zu Tieren, die ihm meist Verlustgefühle bereiten: die Entenfamilie aus der Pilotfolge, der er selbst in späteren Folgen und Staffeln noch nachtrauert, das Rennpferd aus der vierten Staffel, das bei einem Stallbrand stirbt,113 und der Hund in »In Camelot« (s05e07), den er als Kind besaß und von dem er in seiner Naivität annahm, sein Vater hätte ihn aus Altersschwäche auf eine Hundefarm gebracht – worüber seine Schwester nur verwundert den Kopf schütteln kann: »And he’s so cynical about everything else.« Die prominentesten Zeichen seiner ›unschuldigen Natur‹ sind allerdings Tonys Angstattacken,114 die als hysterische Symptome unterdrückter Affek-
108 Vgl. Nochimson: Dying to Belong, S. 191. Vgl. hierzu auch Schatz: Hollywood Genres, S. 83. 109 Munby: Public Enemies, S. 45f. Vgl. hierzu ebenso Richard W.B. Lewis: The American Adam: Innocence, Tragedy and Tradition in the 19th Century, Chicago: UP 1967. 110 Vgl. Gardaphé: Wiseguys to Wise Men, S. 155. 111 Brooks: Melodramatic Imagination, S. 30. 112 Nochimson: Re-Reading, unter: http://www.filmquarterly.org/issue_5602_ right.html, l. A.: 16.02.08. 113 Nachdem Tony sein Rennpferd Pie-O-My in einem Stallbrand verloren hat, ist er besonders entsetzt, als er erfährt, dass sich Chris unter Drogen aus Versehen auf den Schoßhund seiner Freundin gesetzt und es umgebracht hat: »You killed little Cosette! I oughta suffocate you, you little prick!« Als ihn der Entzugsberater warnt, nicht allzu emotional zu werden, erwidert Tony sauer: »That’s ’cos I know what it’s like to lose a pet!« (s04e10: »The Strong, Silent Type«). 114 Der Psychoanalytiker Glen O. Gabbard schreibt, dass Tony Sopranos Attacken insofern unüblich sind, da er das Bewusstsein verliert, während ein Patient, der unter solchen Panikattacken leidet, sich in der Regel lediglich davor fürchtet, ohnmächtig zu werden, aber nur selten sein Bewusstsein verliert (vgl. The Psy-
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te im Melodram konventionell weiblich konnotiert sind und so den männlichen Protagonisten effeminieren,115 kann sich seine Subjektivität wie in der Leidensszene melodramatischer Heroinen doch lediglich als ›Weiblichkeit der Seele‹ personifizieren.116 Die »stereotype Gleichförmigkeit« dieser »melodramatischen Szene[n]« folgt dabei »keinem ästhetischen Schematismus. Die wiederkehrende Leidensszene der melodramatischen Heroinen hält vielmehr eine affektive Konstellation fest, in der die Erfahrung des geschlechtlichen Körpers zum entscheidenden Bezugspunkt geworden ist.«117 Dieser Szene abhanden gekommen ist der Glaube an das Eingreifen einer höheren Macht, an einen sein Leiden beendenden Deus ex machina der Tragödie.118 Die Protagonisten des Melodrams und des Gangstergenres sind geradezu verdammt zum ewigen Leiden, weil sie bereits aus einer sakralen Ordnung ›gefallen‹ sind, die sich nicht mehr wieder herstellen lässt. Im dritten GODFATHER-Film besucht ein diabetischer, durch einen Schlaganfall geschwächter Michael Corleone einen Kardinal, der ihn nach einem weiteren Schwächeanfall darum bittet, sich in einer Beichte das Gewissen zu erleichtern. Wie Dr. Melfi führt der Kardinal die physischen Symptome des Hilfesuchenden auf dessen psychische Lasten zurück: »The mind suffers and the body cries out.« Michael, der sich bereits für »beyond redemption« hält, bereut er seine Handlungen doch nicht, gesteht daraufhin den Mord an seinem Bruder, worauf der Kardinal zu dem moralisch souveränen Schluss kommt: »Your sins are terrible, and it is just that you suffer. Your life could be redeemed, but I know that you don’t believe that. You will not change.« Die Kirche zeigt sich hier – im Unterschied zu ihrer Rolle im postklassischen Gangsterfilm der 1930er und 40er Jahre, wo sie Ex-Kriminellen verständnisvoll und vergebend zur Seite stand – mit dem Urteil, einem reuelosen Kriminellen bliebe nichts als das Leiden, unnachgiebig. Sie entzieht sich dem späteren Versuch der Psychoanalyse als eine sekuläre, nicht-urteilende Form der Beichte,119 die ihm noch einen Ausweg aus dem Milieu zu weisen versucht, überzeugt davon, dass seine Fähigkeit zum Leiden auf einen noch immer vorhandenen Kern von Unschuld hinweist. Was Linda Williams über die bewegenden Szenen aus Hollywood-Melodramen wie PHILADELPHIA120 und SCHINDLER’S LIST (beide 1993)121 konstatiert, in denen bis zu dem Zeitpunkt besonders souveräne Protagonisten erstmals ihre Verwundbarkeit zei-
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chology of the Sopranos: Love, Death, Desire and Betrayal in America’s Favorite Gangster Family, New York: Basic Books 2002, S. 24. Vgl. Mulvey: Fassbinder and Sirk, S. 45. Vgl. auch Williams: Race Card, S. 29. Vgl. Kappelhoff: Privattheater der Hysterikerin, S. 190. Ebd., S. 196. Vgl. ebd., S. 189f. Vgl. Brooks: Melodramatic Imagination, S. 201f. Vgl. hierzu auch Parini: Cultural Work, S. 85. PHILADELPHIA, USA 1993, R: Jonathan Demme. SCHINDLER’S LIST, USA 1993, R: Steven Spielberg.
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gen – wenn etwa der an AIDS erkrankte Staranwalt Andrew Beckett seinen immungeschwächten Körper dem Gericht offenbart oder der wohlhabende Industrielle Oskar Schindler ob seines Versäumnisses, mehr Juden zu retten, zusammenbricht – greift auch für Tony Sopranos Anfälle und für die zu späten Momente der Selbsteinsicht klassischer wie postklassischer Filmgangster: »[They] are pathetic [and] reveal their heroes in instants of weakness and vulnerability that become emblematic of their moral goodness, [asking] other[s to] recognize and bear witness to a goodness that is inextricably linked to suffering.«122 Während klassische Filmgangster einsam und verlassen sterben, stehen postklassischen Filmgangstern eine liebevolle Frau oder ein moralischer Freund bei, deren Trauer dem Tod des Antihelden eine letzte tragische Note verleiht. Die Figuren, die Zeugen von Tony Sopranos »moral goodness« werden, sind nicht nur die hilflosen Mitglieder seiner Großfamilie und seiner Gang, sondern auch die Heilung versprechende Therapeutin. Abbildung 2: Bearing witness to ›goodness linked to suffering‹
Quelle: THE SOPRANOS – SEASON SIX, PART I. DVD. HBO Video 2007
R EFORMING THE G ANGSTER : D IE T HERAPEUTIN , DIE H AUSFRAU UND DAS B IEST Der Titel der ersten Folge der zweiten SOPRANOS-Staffel lautet »Guy Walks Into a Psychiatrist’s Office…« (s02e01). Der ironische Selbstverweis reduziert nicht nur das Ausgangskonzept der Serie auf die gängige Anfangsformel eines Witzes. Auch in seinen traditionellen Gender-Konnotationen birgt der Titel durchaus Komisches: Würde sich doch ein ›echter‹ »guy«, also: ein selbstbewusster ›Kerl‹ niemals freiwillig in die Praxis eines Psychiaters be-
122 Williams: Melodrama Revised, S. 54.
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geben, geschweige denn ein hyperviriler Mafioso, einer jener italoamerikanischen »tough-guy gangster«, in die helfenden Hände einer Psychiaterin.123 Der »tough guy«, so Rupert Wilkinson in einer historischen Studie zu dem prominenten Männertypus der US-amerikanischen Kultur, »[is] the stand-up guy, a living reproach to the approval-seeking and plastic soothings of modern social life«.124 Als der idealtypische Repräsentant einer möglichst autonomen Männlichkeit hat er immer und überall souverän, handlungsfähig und vor allem standhaft zu sein, »[taking h]is styles […] from ethnic and lowerclass idiom«.125 Das Klischee des italoamerikanischen Machos, der sich demonstrativ zwischen die Beine greift, ist die parodistische Steigerung dieser Figur, »[thereby displaying his] breathtaking audacity, courage born of anger and defiance«.126 Auch der Lebensraum Tony Sopranos ist geschmückt mit grotesken Emblemen seiner Virilität, wie etwa die Privatyacht »The Stugots« – italoamerikanische Variation von »sto cazzo«, ital. »this penis«.127 Der komische Effekt, »the comic frisson« – den sich THE SOPRANOS auch mit der Komödie ANALYZE THIS (1999) teilen128 – entsteht dann durch das Wissen der Zuschauer um die Gender-Normen des italoamerikanischen Milieus und des Gangsterfilms und um das Ausmaß der Abweichung von diesen symbolischen Systemen.129 In der Serie geschieht dies bereits in der ersten Einstellung der Pilotfolge durch die groteske Neuverortung des Gangsters in der Praxis seiner Therapeutin. Semantisch besetzt mit »rituals of me-
123 124 125 126 127 128
Vgl. Chase zitiert in: Gabbard: Psychology of the Sopranos, S. 24f. Wilkinson: American Tough, S. 7. Ebd. Rotundo: Wonderbread and Stugots, S. 52. Vgl. Gardaphé: Suburban Trickster, S. 104. In »Guy Walks Into a Psychiatrist’s Office…« (s02e01) können THE SOPRANOS auch nicht umhin, ihre narrative Ähnlichkeit zu ANALYZE THIS (1999) metatextuell zu kommentieren. Als sich Dr. Melfi für eine Zeit weigert, Tony zu empfangen, sucht dieser unter einem Pseudonym einen anderen Psychiater auf, der ihn folgendermaßen abweist: »I watch the news like everyone else. I know who you are – and I saw Analyze This. I don’t need the ramifications that could arise from treating someone like yourself.« Worauf Tony leicht irritiert und amüsiert erwidert: »Analyze This? Come on, it’s a fucking comedy.« Die Distanzierung des renommierten HBO-›quality drama‹s von einer eher ›albernen‹ HollywoodKomödie spricht für die ›höheren‹ Ansprüche der Produzenten der HBO-Serie. 129 Vgl. King: Film Comedy, S. 68.Geoff King weiter: »[C]omedy tends to involve departures of a particular kind – or particular kinds – from what are considered to be the ›normal‹ routines of life of the social group in question. In order to be marked out as comic, the events represented – or the mode of representation – tend to be different in characteristic ways from what is usually expected in the non-comic world. Comedy often lies in the gap between the two, which can take various forms, including incongruity and exaggeration.« Ebd., S. 5.
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dical care, gender roles, [and] sexual anxiety«, 130 vermag der vom Gangstergenre weitestgehend unerschlossene topographische Raum der Psychoanalyse, der in seiner Stille und Ordnung im merklichen Kontrast zum Lärm und Chaos der urbanen Unterwelt steht, den Gangster sehr zu irritieren. Die Komik der SOPRANOS folgt also aus der Inkongruenz in der Inszenierung des Gangsters in persönlichen, traditionell weiblich semantisierten Situationen. Entscheidend für die SOPRANOS Studies ist, dass der Gangster dabei nicht mehr durch den konventionell männlichen Blick des Gangsterfilms als Held seines Milieus wahrgenommen wird, sondern durch den konventionell weiblichen Blick der Fernsehsoap, den sich in der Serie zwei starke Frauenfiguren teilen: Carmela und Dr. Melfi, die als moralische Instanzen ihrer jeweiligen Handlungsräume dem Gangster die Überwindung seiner Identitätskrise mittels der Herausbildung einer neuen männlichen Identität versprechen.131 So zeigt sich etwa Carmela in der Pilotfolge unbeeindruckt von Tonys ›Unschuld‹, registriert seine kindliche Faszination für Enten mit Skepsis (»Him, with these ducks«) und zweifelt an seiner sentimentalen Rhetorik (»Here he goes with the nostalgia«). Im Unterschied zu den für gewöhnlich verspielten Männern des Gangstergenres nehmen die Frauen in den Beispieltexten also die traditionelle Rolle der ›Spielverderber‹ ein,132 »[acting] as sources of repression or oppression, as representatives of dull conformity with the norms of ›civilization‹«.133 Carmela und die anderen Ehefrauen in der Mafia versuchen, ihre Männer zum Umdenken zu animieren und zeigen kein Verständnis für deren festgefahrenes Selbstbild: Als das FBI Carmela und Tony das Angebot unterbreitet, die Mafia endgültig zu verlassen und ein neues Leben in ihrem Zeugenschutzprogramm zu beginnen, scheitert die davon begeisterte Carmela einmal mehr am kindischen Egoismus Tonys, der nicht so identitätslos enden will wie einst Henry Hill (s01e12: »Isabella«). Beim gemeinsamen Videoabend reagieren die Ehefrauen mit einem kollektiven Seufzer auf die Nennung von THE GODFATHER, sehen Parallelen zwischen dem Protagonisten von CITIZEN KANE (1941),134 dem reichen self-made man auf der Suche nach seiner verlorenen Kindheit, seiner Unschuld, und ihren eigenen Männern (als eine von ihnen resümiert, »[that] the man had all that stuff, but he died, y’know, alone with nothing and nobody,« erwidert Carmela bissig: »Good. Prick.«, s05e02: »Rat Pack«). Zudem lässt sich der schnell reizbare Mafia-Don Tony auch nur daheim Kritik gefallen, von der Frau (»I can’t tell if you’re old-fashioned, you’re paranoid, or just a fucking asshole.«, s01e10:
130 Walker: Cunnilingus and Psychiatry, S. 111. 131 Vgl. Akass/MacCabe: Female Narrative Authority, S. 149. Vgl. dazu auch Gardaphé: Suburban Trickster, S. 102; Donatelli/Alward: Married to the Mob, S. 68; McCabe/Akass: Feminism, S. 45; sowie Willis: Our Mobsters, S. 6. 132 Vgl. Warshow: The Westerner, S. 107. 133 King: Film Comedy, S. 94. Vgl. dazu auch Rotundo: Wonderbread and Stugots, S. 61. 134 CITIZEN KANE, USA 1941, R: Orson Welles.
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»A Hit is a Hit«) und von der Schwiegermutter (»The man’s got two speeds, moping or yelling – when he’s here.«, s03e07: »Second Opinion«).135 Die Therapie eröffnet dem Gangsterboss indes nicht nur einen ›weiblich‹ konnotierten Genre-Zwischenraum für Reflexionen über seine ›männliche‹ Handlungswelt, »[a] space for narrative assessment and control, functioning not only to shed light on what has happened, but also to affect the outcome of future events through offering a series of coping strategies«.136 Diese beiden Kontexte, der häusliche Schauplatz der Sitcom/Soap und der analytische Ort der Gesprächstherapie, entfernen sich dabei deutlich von der handlungsorientierten Action früherer Genrefilme und rekurrieren auf konventionelle Darstellungsmittel des Fernsehmediums, »[with an] emphasis […] on dialogue, close-ups, and human interaction«.137 In der italoamerikanischen Analytikerin findet Tony dabei auch ein ideales Transferobjekt, auf das er – vor allem in seinen Alpträumen – die Ambivalenzen projiziert, die er den Frauen in seinem Leben gegenüber nicht ohne Konsequenzen äußern kann, von seiner Mutter bis zu seinen comares (ital. »Mätressen«) und den vielen anderen Frauenfiguren, von denen er bemuttert und/oder verführt werden will. Doch die infantile Position, die Tony in Beziehung zu den Frauen in seinem Leben einnimmt, vor allem dann, wenn er die Hoheit über seinen Körper verliert und unvermittelt auf ihre Fürsorge angewiesen ist, sei es nun in Carmelas ehelichem Schlafzimmer, »[where] he spends a disproportionate amount of time in his bed, like a baby in his crib«,138 oder in Dr. Melfis Praxis, »[with its] calming tones and womblike curves«,139 kompliziert auch das in der Serie in Szene gesetzte Projekt einer Umerziehung eines altmodischen Männertyps. Sind die Frauen doch nicht immer immun gegen seinen Lausbubencharme, der bei ihnen sowohl mütterliche wie sexuelle Gefühle weckt. Weil Carmela und Dr. Melfi in der melodramatischen Tradition von Karen Hills »empowering point-of-view« stehen,140 die sich immerhin den OffKommentar zu GOODFELLAS mit ihrem kriminellen Gatten Henry teilt, und
135 Carmelas Mutter Mary De Angelis wird von Suzanne Shepherd verkörpert, die bereits in der Rolle von Karen Hills Mutter den für sie unmöglichen Lebenswandel ihres kriminellen Schwiegersohnes Henry Hill in GOODFELLAS angriff. 136 Akass/MacCabe: Female Narrative Authority, S. 149. 137 Creeber: TV Ruined the Movies, S. 132. Vgl. hierzu auch Modleski: Search for Tomorrow, S. 461. 138 Nochimson: Re-Reading, unter: http://www.filmquarterly.org/issue_5602_ right. html, l. A.: 16.02.08. In »Amour Fou« (s03e12) sieht Carmela Jusepe de Riberas Gemälde The Mystical Marriage of St. Catherine in einem Museum und ist gerührt von Jesus als »[a] beautiful, innocent, gorgeous little baby«. Als ihre Tochter einwirft, »She’s marrying a baby? Good luck.«, erwidert ihre Mutter leicht betrübt: »We all do.« 139 Martin: Complete Book, S. 109. 140 Vgl. Donatelli/Alward: Married to the Mob, S. 65. Vgl. auch Akass/MacCabe: Female Narrative Authority, S. 148.
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die Mafia aus der Sicht der Frauen schildert, reflektieren sie auch die Faszination, die Karen für die brutale Hypervirilität ihres Gangstergatten empfindet. Karen, die am Ende des Films vergeblich versucht, sich vor dem FBI als unwissende Ehefrau zu präsentieren, führt keinen sonderlich feministischen Diskurs über die Misogynie innerhalb der Mafia, sondern schildert vorwiegend ihre sexuelle Lust an der Gewaltbereitschaft Henrys, solange sich diese Gewalt nicht gegen sie selbst richtet, und an dem luxuriösen Leben, das sein ungewöhnlicher ›Beruf‹ ihr ermöglicht – wofür sie sich hin und wieder auch mal mit etwas spontanem Oralverkehr in ihrer ausladenden Küche bedankt. Auch Carmela Soprano spricht von Tony mit derselben Faszination und ist wie nicht wenige andere Frauen angezogen von seinem Bad Boy-Charme (über ihre Romanze sagt sie: »My husband can be very magnetic, y’know, bigger than life. And I was so young. It was very exciting.«, s05e04: »All Happy Families…«). So wie die klassischen ›tough guy‹-Gangster Camonte und Powers ihre Frauen mit ihrer Vitalität und den phallischen Emblemen ihres Erfolgs für sich gewinnen, ist es vor allem der ›alpha male‹-Status Tonys, der die Frauen anzieht: Tony Camonte muss erst mit der Maschinenpistole vor der von ihm umgarnten Poppy erscheinen, um ihre volle Aufmerksamkeit zu erhalten, während es die in Tony Soprano ruhende Brutalität ist, zu der sich Frauen wie seine Freundin Gloria Trillo sehr hingezogen fühlen. Auch Dr. Melfi ist dem gefährlichen Charme des Gangsterpatienten verfallen. Was sich in der Psychoanalyse Gegenübertragung nennt – die emotionalen Reaktionen des Therapeuten auf den Patienten –, wird in der Serie zu einer Erklärung dafür, die ungewöhnliche und auch unglaubwürdige Therapiesituation der Serie aufrecht zu erhalten. Nachdem sie am Ende der ersten Staffel ›abtauchen‹ musste, um sich vor den Mafia-Rivalen ihres Patienten zu schützen, weigert sich Dr. Melfi in »Guy Walks Into a Psychiatrist’s Office…« (s02e01) den Gangster weiter zu sehen, der die Behandlung anderer Patienten unmöglich macht (ein Patient nahm sich in ihrer Abwesenheit sogar das Leben). Dass sie seine Therapie dann einige Folgen später dennoch wieder aufnimmt, erklärt sie sich (und dem Zuschauer) mit Schuldgefühlen, von denen sie in ihren Alpträumen verfolgt wird. »He is my responsibility«, stellt sie fest und antwortet auf die Frage ihres eigenen Therapeuten, ob sie womöglich sexuelle Gefühle für den Gangster habe, mit: »No. I have feelings. On a personal level. He can be such a little boy sometimes« (s02e05: »Big Girls Don’t Cry«). Jede Rationalisierung der psychisch mühsamen, sie bald zum Alkoholkonsum vor den Sitzungen verleitenden Entscheidung als »professional and ethical responsibility«, jede Ambition »[to] not wanting to judge but to treat« (Melfi in »From Where to Eternity«, s02e09) ist aber von vornherein zum Scheitern verurteilt durch die unüberlegte Bereitschaft, sich dem Gangster und seinem schillernden wie abstoßenden Milieu zu widmen. Wie nicht wenige Analytikerinnen in Film und Fernsehen vor Dr. Melfi, »[who] are almost always portrayed as effective professionals whose ›ina-
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dequacy as women‹ emerges as a central theme«,141 fühlt sich auch die geschiedene, in ihrem Liebesleben unerfüllte Dr. Melfi angezogen von ihrem männlichen Patienten. Und auch wenn sie mit ihrer kühlen Rhetorik und ihrer Brille (im Woman’s Film der 1930er und 40er ein konventionelles ›Zeichen‹ für Intellektualität und Frigidität bei einer Frau) für die nötige Distanz zu ihrem Patienten sorgt und seine zahlreichen Annäherungsversuche stets abblockt, kann sie nicht leugnen, dass auch sie sich von ihm und seiner politisch inkorrekten Rhetorik gereizt fühlt: »At times fascinated and repulsed, she wants to be seduced by language.«142 Die für viele Fernsehserien wichtige sexuelle Spannung zwischen zwei Hauptfiguren, die das Publikum trotz unzähliger Widerstände gerne vereint sehen würde, deren Vereinigung aber auch das Ende der Serie bedeuten würde,143 besteht so auch zwischen Tony und Dr. Melfi, konkretisiert sich aber nie zu einer sexuellen Beziehung. Tony wird stattdessen durch das psychoanalytische Wissen, das er sich in den Sitzungen aneignet, zu einem besseren Mafioso mit einer höheren Sensibilität für die psychologischen Dynamiken in seinem Umfeld. Und Melfi avanciert zu einem consigliere für Don Tony, der ihr immer mehr über sein Geschäft anvertraut, weil sie ihm unfreiwillig dabei hilft, es weiter zu erhalten. Die ›On-Off-Beziehung‹ zwischen Therapeutin und Patient erreicht ihren Krisenpunkt in »Employee of the Month« (s03e04). Von den Einwänden ihres Ex-Mannes Richard (»After a while, finally you’re gonna get beyond psychotherapy with its cheesy moral relativism. Finally, you’re gonna get to good and evil – and he’s evil!«, s01e08: »The Legend of Tennessee Moltisanti«) und ihres Therapeuten überzeugt, beschließt Dr. Melfi, die Therapie Tony Sopranos zu beenden. Als sie zu dieser Zeit – in einer ungewohnt langen und der einzigen Gewaltszene der Serie, die sich abseits der Mafia ereignet und gegen eine ›Zivilistin‹ richtet144 – einem brutalen Triebtäter zum Opfer fällt, der wegen eines Verfahrensfehlers der Polizei wieder freigelas-
141 Glen O. Gabbard/Krin Gabbard: Psychiatry and the Cinema, Chicago: UP 1987, S. 21. Zu den Hollywood-Produktionen, in denen Analytikerinnen sich in ihre Patienten verlieben, zählen u.a. SPELLBOUND (1945, R: Alfred Hitchcock), SEX AND THE SINGLE GIRL (1964, R: Richard Quine), THE MAN WHO LOVED WOMEN (1983, R: Blake Edwards), MR. JONES (1993, R: Mike Figgis) und TIN CUP (1996, R: Ron Shelton). In »Two Tonys« (s05e01) sieht Tony Soprano zufällig im Fernsehen Barbra Streisands THE PRINCE OF TIDES (1991) und identifiziert sich dabei mit der versehrten Männlichkeit des Filmhelden Nick Nolte, der sich in die Therapeutin seiner Schwester verliebt. Als Tony darauf seinen forciertesten Annäherungsversuch wagt, wird er von Melfi erneut abgewiesen. 142 Bruce Plourde: »Eve of Destruction: Dr. Melfi as Reader of The Sopranos«, in: Lavery: Reading the Sopranos (2006), S. 69-76, hier S. 70. 143 Ähnliche Figurenbeziehungen finden sich ebenso in THE X-FILES (USA 19932002, C: Chris Carter, Fox), BUFFY THE VAMPIRE SLAYER (USA 1997-2003), sowie MOONLIGHTING (USA 1985-1989, C: Glenn Gordon Caron, ABC). 144 Barreca: Why I like the Women, S. 43.
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sen wird, steht Dr. Melfi plötzlich vor der Wahl, ob sie es Tony erzählt und damit seine unkontrollierbare Wut freisetzt. Täte sie das, würde sie nicht nur einer Rachephantasie aus ihrem Albtraum nachgeben (dort beschützt sie ein italienischer Rottweiler und tötet den Triebtäter), und die Therapiefortschritte Tonys unterminieren. Sie würde sich auch einem Narrativ beugen, in der die von einem Mann misshandelte Frau sich die Genugtuung nur durch einen anderen Mann holen kann. Dr. Melfi, die in »Boca« (s01e09) noch die patriarchale Selbstgerechtigkeit Tonys in Frage stellte (»Why do you think, you, Anthony Soprano, always has to set things right?«), wäre hier gezwungen, sich bei ihm die Stärke und den Schutz holen, die ihr hysterischer Sohn und ihr weicher Ex-Mann ihr nicht geben können (die Serie betont das durch einen Schnitt von den verkrampften kleinen Fäusten Richards zu den mächtigen, axtschwingenden Händen Tonys). Dass sie es dann doch nicht tut – in der letzten Szene dieser Folge, in der sie kurz die Fassung verliert, als Tony unerwartet einwilligt, die Therapie zu beenden, und sie sich dadurch wieder gefährdet sieht – ist eine Entscheidung, deren enorme Melodramatik sich in der extremen Nahaufnahme ihres stummen, verwundeten Gesichts konzentriert. Ihr finales »No.« auf seine Frage, ob er ihr denn helfen könne oder sie ihm was erzählen wolle, ist als eine Unterbindung der Kausalität klassischer Genretexte zu lesen, in der nicht das unkontrollierte Aufbegehren gegen widerfahrenes Unrecht, sondern das empfindsame Leiden daran bedeutend ist: »[i]n melodrama, violence, the strong action, the dynamic movement, the full articulation, and the fleshed-out emotions so characteristic of the American cinema become the very signs of the characters’ alienation and thus serve to formulate a devastating critique of the ideology that supports it.«145 Abbildung 3: Schweigen zur Unterbindung ›männlicher‹ Kausalität
Quelle: THE SOPRANOS – SEASON THREE. DVD. HBO Video 2007
145 Elsaesser: Family Melodrama, S. 372.
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Robert Warshow schreibt: »the gangster’s pre-eminence lies in the suggestion that he may at any moment lose control«.146 Die Möglichkeit, dass der kindliche Charme des Gangsters jederzeit in unvermittelte Gewalt umschlagen kann, ist für das Männlichkeitsbild des Genres ebenso entscheidend wie für das der SOPRANOS. So pfeift Tony Camonte bei seinem ersten Auftritt als mordende Schattenfigur in SCARFACE eine Passage aus der »Lucia Sextet«Melodie von Donizettis Oper Lucia di Lammermoor, die darauf zu einer Erkennungsmelodie für das Publikum wird, die er vor jedem Mord wiederholt: »Chi mi frena in tal momento« (dt.: »Was hält mich in einem solchen Moment zurück?«). Auch die Pilotfolge der SOPRANOS schließt mit einem Song über einen stets drohenden Kontrollverlust (des Mannes), Nick Lowes melancholische Ballade »The Beast in Me«, die über einer Einstellung zu spielen beginnt, in der die Sopranos mit ihren Geburtstagsfeiergästen ins Haus gehen und einen mit Wasser gefüllten, aber menschen- und vor allem entenleeren Swimmingpool im Bild zurücklassen: »The beast in me/Is caged by frail and fragile bonds/Restless by day/And by night, rants and rages at the stars/God help, the beast in me«. Die Inszenierung von Männlichkeitskrisen im Gangstergenre rekurriert somit auf ein Vokabular, das für die Identitätskrisen filmischer als auch literarischer Männerfiguren immer schon konstitutiv war und von Sally Robinson mit dem sexuell konnotierten Gegensatzpaar »blockage and release« beschrieben wird.147 Demnach funktioniert das Schema männlicher Identitätskrisen stets nach dem gleichen Grundprinzip: Die weiblich kodierten Gefühle werden solange verdrängt, bis sie unkontrolliert hervorbrechen und sich in exzessiver und so wieder männlich kodierter Gewalt artikulieren. Mit der neu gewonnen Handlungsfähigkeit entzieht sich der Mann so dem effeminierenden Diskurs über männliche Versehrtheit.148 In »House Arrest«(s02e11) erhält Tony Soprano von seinem Anwalt den Rat, sich von den üblichen Versammlungsorten seiner Crew – wie etwa dem Stripclub Bada Bing! oder der Metzgerei Satriale’s – fernzuhalten, um seine Angriffsfläche für das FBI zu verkleinern. Stattdessen soll sich Tony in den Büros eines seiner legitimen Unternehmen wie der Müllabfuhrfirma Barone Sanitation regelmäßig sehen lassen. Bei seiner Ankunft ist ein wild bellender Hund zu sehen, der vor der Firma angekettet ist, das jenes beast in me, caged by frail and fragile bonds symbolisiert, zu dem Tony in dieser Folge wird. Gelangweilt vom Büroalltag vertreibt er sich die Zeit mit Sportwetten und geradezu animalischem Analsex mit der Sekretärin in einer Szene, bei der im Hintergrund der wild bellende Hund zu hören ist, oder schaut wie der deprimierte suburbane Familienvater in AMERICAN BEAUTY daheim aus dem Fenster, während seine Frau geschäftig ihrem Alltag nachgeht. Tony erleidet dann auf einem Golfclub-Lunch, auf dem er sich zwischen blassen WASPGeschäftsmännern sehr unwohl fühlt, eine Panikattacke und als er den Ma-
146 Warshow: The Westerner, S. 110. 147 Vgl. Robinson: Marked Men, S. 12. 148 Vgl. ebd., S. 131f., 137.
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fioso, der seine Schwester heiraten wird, aus dem Fenster eines suburbanen Heims ihm zuwinken sieht, kann er nur atemlos über den Mann, der sich an Tonys amerikanischem Leben orientiert, flüstern: »Oh, you poor bastard.« Als er die Therapeutin auf seine große Rastlosigkeit anspricht, folgert diese: DR. MELFI:
TONY: DR. MELFI:
There’s a psychological condition known as alexithymia. Common in certain personalities. The individual craves almost ceaseless action. Which enables them to avoid acknowledging the abhorrent things they do. […] What happens when these antisocial personalities aren’t distracted from the horrible shit they do? They have time to think about their behavior. How what they do affects other people. About feelings of emptiness and selfloathing haunting them since childhood. And they crash. (s02e11: »House Arrest«)
Die mangelnde Selbstbeherrschung, die die Virilität klassischer Filmgangster charakterisierte, wird für Tony also zur psychischen Last, die ihm seinen Familien- wie Berufsalltag erschwert, denn so Dr. Melfi: »Depression is rage turned inward«. Deshalb nimmt er sich auch nicht die hysterischen Filmgangster der frühen 1930er zum Vorbild, sondern die süditalienischen Mafiosi, die in THE GODFATHER eine idealtypische Inszenierung erfahren: »[W]e forget that in the old days, the ones that came over, that started this thing, they didn’t get mad. They just smiled and nodded, and made sure you got it later. That’s the whole beautiful point« (s05e10: »Cold Cuts«). Vito und Michael Corleone folgen diesem ethnisch markierten Männlichkeitsmodell und bewahren sich eine Männlichkeitsmaske, die ihre Innenwelt kuvriert149: »The description of the ideal southern Italian male is a creature of control, »un uomo di pazienza« (a man of patience), a man who holds his body erect, but composed, his face impassive, and who plans, waits, and then acts. He is not a man of brash impulse, or of too many, or of ill-chosen, words. Nor is he a man of public romantic or sexual display. What’s more, this Sicilian level of control, this machismo, is far from being an indicator of vacuity, or of a shallowness of feeling. It is, in fact, its opposite. The depth of passion is here controlled and then directed, and so results in power.«150
Mit Michaels Bruder Sonny wird den zwei geruhsamen Dons Vito und Michael eine jähzornige, hypervirile Figur gegenübergestellt, die – als handle es sich bei ihr um ein Relikt des klassischen Gangsterfilms – nicht fähig ist, ihre Gefühle zu kontrollieren, sich zu verstellen und deshalb auch als erstes Mitglied der Corleone-Kernfamilie sterben muss.151 Für Tony Soprano, der
149 D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 583. 150 Dika: Representation of Ethnicity, S. 89. 151 Vgl. Kaminsky: Little Caesar, S. 54. Vgl. auch Golden: La Famiglia, S. 87.
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mehr mit der impulsiven Lebenslust eines Sonny Corleone als mit der kalkulierten Beherrschtheit Vitos und Michaels gemein hat, ist der Weg in die Therapie der Versuch, eine idealtypische Form von Männlichkeit wiederzugewinnen, die sich über patriarchale Macht und die Kontrolle ihres Umfelds definiert.152 Tony, der durch eine Störung seiner Impulskontrolle auf emotionale Konflikte meist mit brutalen Kurzschlusshandlungen reagiert, gibt seiner Therapeutin bereits früh zu verstehen, das Ziel der Therapie sei für ihn in erster Linie seine Macht und Wut gegen die Menschen in seinem Leben zu richten, die es verdient hätten und dabei doch immer »in total control« zu sein (s02e05: »Big Girls Don’t Cry«). Metatextuell perspektiviert wünscht er sich also die konventionelle Kontrolle über Körper und Milieu, die Laura Mulvey den Protagonisten des klassischen Hollywoodfilms zuschreibt. Diesen Wunsch kann Tony Soprano aber auch nur formulieren, weil ihm mit der Therapie zu einer reflektierten Selbstwahrnehmung verholfen wird, die klassischen Filmgangstern meist fehlte. Da ihnen »das rhetorische Mittel der Ironie als Ausdrucksregister nicht zugänglich«153 ist, werden die narzisstischen Selbstbilder dieser Gangsterprotagonisten stets ironisch unterlaufen von anderen Figuren und den unvorteilhaften Situationen, in denen sie sich in den Filmen wiederfinden. Rico Bandello etwa muss sich ob seines maßlosen Machthungers den ironischen Spitznamen ›Little Caesar‹ gefallen lassen und wird meist zwischen bedeutend größeren Männern inszeniert.154 Erst der Tod bringt für diese Gangster die Erkenntnis, dass das virile Selbstbild nicht das hält, was es ehemals versprach: »I ain’t so tough« gesteht sich Tom Powers ein und fällt darauf im strömenden Regen ebenso in die Gosse wie der sterbende Rico, der verdutzt von sich in der dritten Person spricht: »Mother of mercy. Is this the end of Rico?« Den Wissensstand den die Hauptfiguren in diesen Momenten endlich erreichen, haben die Zuschauer dieser Gangster-Melodramen ihnen voraus, »[for they] can exercise pity only by reading and evaluating signs inaccessible to the dramatis personae«.155 Das Melodram – »[with] its affinities with infantile narcissism, its indulgence in selfpity and grandiose emotional states«156 – handelt also – im Unterschied etwa zur Tragödie – nicht so sehr von tragischen Helden, die sich ihres Schicksals zum Schluss bewusst werden und ihre eigenen Fehler einsehen, sondern von Figuren, für die dieser Moment nicht möglich ist, weil er zu spät kommt.157
152 Vgl. Michael Kaufman: »Men, Feminism, and Men’s Contradictory Experiences of Power«, in: ders./Harry Brod (Hg.): Theorizing Masculinities, London: Thousand Oaks 1994, S. 142-163, hier S. 142. 153 Hartmann: Topographische Ordnung, unter: http://home.snafu.de/britta.hart/ gang.html, l. A.: 01.03.11. 154 Vgl. Shadoian: Dead Ends, S. 41. Vgl. auch Kaminsky: Little Caesar, S. 48. 155 Gledhill: Melodramatic Field, S. 30. 156 Brooks: Melodramatic Imagination, S. 35. 157 Mulvey: Notes on Sirk, S. 41.
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Erst das schmerzliche Bewusstwerden psychischer Probleme anhand von physischen Symptomen auf dem leiblichen Körper führt im Melodram zur späten Erkenntnis. So wird sich Michael Corleone in THE GODFATHER, PART II und PART III des Verrats durch seinen Bruder Fredo und den sich ihm gegenüber als Ersatzvater inszenierenden Altobello jeweils in Szenen bewusst, in der ihn sein Körper zu den erschütternden Erkenntnissen zwingt. In PART III zum Beispiel stellt Michael prophetisch fest, »[that] our true enemy has not yet shown his face«, nur um dann durch einen diabetischen Schlaganfall zusammenzuklappen, bei dem er wütend die Namen des Verräters Altobello und des bereits ermordeten Fredos ausruft. Diese Szenen – »[which can be best described as the] melodramatic moment of astonishment[,] a moment of ethical evidence and recognition«158 – werden in den SOPRANOS zu längeren Sequenzen oder nehmen mitunter ganze Folgen ein, in denen Tonys Körper ihn solange durchschüttelt, bis er sich endlich die Wahrheiten eingesteht, die er unbewusst immer schon geahnt hatte. In »Funhouse« (s02e13), einer Folge, in er aufgrund einer Lebensmittelvergiftung an maßlosem Erbrechen und Durchfall leidet, trifft er in einem Fiebertraum Silvio, der in Michaels Kostüm aus der Anfallsszene von PART III auftaucht und ihn zitiert: »Our enemy has yet to reveal himself.« Erst als sich Tony eingesteht, dass sein Feind sein bester Freund Sal ›Big Pussy‹ Bonpensiero ist, der in der Staffel für das FBI als Spitzel arbeitet, ist er gesundheitlich, wenn auch nicht moralisch auf dem Weg zur Heilung. Für Tony, der sich ein unreflektiertes Leben ersehnt, gilt somit auch das was für die Protagonisten von Douglas Sirks Filmen gilt: »Sirk’s most impressive characters are never up to the demands that their lives make on them, though some are sufficiently sensitive, alive, and intelligent to feel and know about this inadequacy of gesture and response. It gives their pathos a tragic ring, because they take on suffering and moral anguish knowingly, as the just price for having glimpsed a better world and having failed to live it. A tragic selfawareness is called upon to compensate for lost spontaneity and energy.«159
Dr. Melfi wird in der Folge »The Second Coming« (s06e19) mit der Frage konfrontiert, ob ihre Vorstellung, ihren Gangsterpatienten von seiner Kriminalität ›kurieren‹ zu können, vielleicht doch etwas zu naiv gewesen sei. Als ihr eigener Therapeut sie auf »The Criminal Personality«, einen Aufsatz von Samuel Yochelson und Stanton Samenow verweist, in dem die Gesprächstherapie für Kriminelle und soziopathische Persönlichkeiten als unbrauchbar eingestuft wird, reagiert sie so frustriert wie es ihr Patient zuvor selbst mehrmals war, als er den Sinn seiner Therapie in Frage stellte. Dr. Melfi fährt ihren Therapeuten an: »What are you saying? My whole work with Tony Soprano, all these years, it’s all been a waste of time?« Als Dr. Melfi dann in der nächsten Folge (s06e20: »The Blue Comet«) von weiteren Kollegen er-
158 Brooks: Melodramatic Imagination, S. 26. 159 Elsaesser: Family Melodrama, S. 378.
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fährt, dass sich Therapeuten in ihrer Behandlung von Kriminellen von Allmachtsphantasien (»Rescue fantasy. They think they can fix them.«) und deren trügerischer Opferrhetorik beeinflussen ließen (»They even mimic empathy, they blubber and cry.«), und sie darauf selbst den fraglichen Aufsatz liest – die Sätze »The criminal’s sentimentality reveals itself in compassion for babies and pets.«, »The criminal uses insight to justify heinous acts.«, »Therapy has potential for noncriminals; for criminals it becomes one more criminal operation.« erscheinen dabei in extremer Großaufnahme –, zweifelt sie immer mehr an ihrer therapeutischen Zuwendung zu einem Gangster, auf den alle diese Anmerkungen zutreffen. In der daran anschließenden Sitzung reagiert Dr. Melfi auf Tonys gewohnten Opferdiskurs erst gereizt und beendet dann abrupt die Therapie, indem sie ihn auffordert, für immer zu gehen. Dass sie ihn dabei dafür kritisiert, dass er ein Grillrezept aus einem ihrer Warteraummagazine gerissen hat, ohne Rücksicht zu nehmen auf ihre anderen Patienten, stellt einen intratextuellen Bezug zu der weiter oben erwähnten Grillszene zum Schluss der Pilotfolge her und negiert die dort geäußerte Hoffnung, den Gangsterprotagonisten könnte man reformieren. Melfi knallt darauf die Tür zu ihrer Praxis – in einer Aufnahme, die die vorletzte Einstellung in THE GODFATHER zitiert und invertiert, in der einer von Michael Corleones Leibwächter die Tür zu Michaels Büro schließt und damit seine Frau aus dem homosozialen Machtgefüge der Mafia ausschließt – hinter Tony zu, Damit wird nicht nur der Mann aus dem weiblich kodierten Serienraum der Psychoanalyse gebannt, der für ihn die letzte Hoffnung einer ›Erlösung‹ von den inneren Konflikten seiner Gangsteridentität und des Gangstergenres versprach, die Ausgangskonfiguration der Serie – eine sentimentale Umschrift der hypervirilen Männerfigur des Gangsters durch die Frauen in seinem Leben und die Konkretisierung der melodramatischen Rhetorik des Gangstergenres – wird auch als ergebnislos aufgegeben. Als Carmela, die sich in der Pilotfolge noch darüber freute, dass ihr Mann den plötzlichen Weg der ›Redekur‹ einschlug, vom endgültigen Ende der Therapie erfährt, zeigt sie sich ungerührt, hat sie sich doch als die andere positive Frauenfigur der Serie bereits damit abgefunden, dass sich der Gangster in ihrem Leben nicht ändert.
D ESIRING THE G ANGSTER : B EGEHRTE M ÄNNLICHKEIT , VERSEHRTE M ÄNNLICHKEIT Filmhistoriker verorten den ersten Leinwandauftritt der Gangsterfigur 1912 in einem One-Reeler des Filmemachers D.W. Griffith, in dem siebzehnminütigen Stummfilmmelodram THE MUSKETEERS OF PIG ALLEY. Es handelt sich bei dem Bandenführer Snapper Kid (Elmer Booth) zwar noch nicht um den eindeutigen Protagonisten des Films und um keinen der irisch- oder italo-amerikanischen Schutzgelderpresser, um die racketeers der 20er und 30er Jahre, die bald eine ganze Stadt terrorisieren. Doch als brutaler Anführer einer Straßengang, die ein jüdisches Ghetto der Manhattaner Lower East Side
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unsicher macht, trägt er in seiner Tracht, Gestik und Mimik bereits die typischen Züge klassischer Filmgangster. Zum einen nimmt er mit seinem locker ansitzenden Anzug mit Krawatte, einem schräg auf dem Kopf platzierten Hut und einer Zigarette, die lässig aus seinem Mundwinkel hängt, den so stilvollen wie grotesk-komischen Kleidungsstil seiner Nachfolger vorweg. Zum anderen antizipiert er mit der verspielten Mimik und den extravaganten Gesten, die ihn deutlich von dem restlichen, etwas konventionelleren Figurenpersonal des Films abheben, die vitale Theatralik späterer Filmgangster. Darüber hinaus wird seine exzentrische Persönlichkeit auch wiederholt als eine überdeterminierte Performanz hyperviriler Männlichkeit ausgestellt,160 mit der er sich wie spätere Gangster seine Machtposition im Milieu sichert. Snapper Kid teilt die Handlung seines Films mit zwei weiteren Figuren, »who were threatened innocents cut from Victorian cardboard«.161 Als ›The Musician‹ und ›The Little Lady‹ spielen Walter Miller und Lillian Gish paradigmatische Rollen in einem Film, der mit den traditionellen Erzählstrategien des Stummfilmmelodrams operiert: »to enhance the victims’ virtuous suffering: long camera takes, ponderous narrative pacing, frequent close-ups of the anxious heroine (usually with eyes cast heavenward), [and also] somber musical accompaniment«.162 Um ihrer beklagenswert dargestellten Armut zu entkommen, muss das zentrale Paar des Films aus ihrer kargen Einzimmerwohnung hinaus auf die von Immigranten überfüllte Straße, und damit in das Herrschaftsgebiet Snapper Kids – »New York’s Other Side«, wie es auf dem ersten Zwischentitel des Films zu lesen ist – begeben, um außerhalb des Ghettos Geld zu verdienen. Oder anders gewendet: »Snapper came straight from the street life of 1912 to invade the Dickensian universe of the hero and heroine.«163 Bereits in den Figuren findet sich also die konventionelle Opposition des Gangstergenres zwischen dem anarchischen Raum der Großstadt und dem Heim als letzte Bastion der Zivilisation. Dieser Gegensatz äußert sich im Film zugleich in einem Konflikt der Darstellungsformen, wenn der theatrale Raum in der ersten Einstellung von THE MUSKETEERS OF PIG ALLEY außerhalb der Wohnung des Paares durch dynamischere Einstellungen, detailreiche Straßenszenen und unorthodoxe Nahaufnahmen negiert wird: »the entire film [is devised] in terms of the dialectical oppositions of depth and flatness, street and home, space as milieu and space as limit«.164 Der Hauptkonflikt des Kurzfilms (und auch des Gangstergenres im Allgemeinen) ist allerdings der zwischen verschiedenen Männlichkeitsmodellen. Der große Musikant wird zu Beginn des Films als vermeintlicher Prota-
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Vgl. Nochimson: Dying to Belong, S. 36. Clarens: Crime Movies, S. 16. Schatz: Hollywood Genres, S. 222. Clarens: Crime Movies, S. 16. Ebd., S. 18. Vielzitiert in der Forschung ist die Einstellung, in der zwei Gangs sich durch enge Gassen verfolgen und Snapper Kid dabei an einer Wand langsam entlang Richtung Kamera geht und sein Gesicht bald das halbe Bild füllt.
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gonist eingeführt. Er verschwindet aber bald von der Bildfläche und lässt die Frau zurück, um seinem Beruf nachzugehen. In seiner Abwesenheit wird der Film vom kleinen Snapper Kid dominiert, »a strutting rooster, turn[ing] life into a performance, in contrast to The Musician, a well-mannered innate gentleman, who performs only within the space socially allotted for such things«.165 Verspricht sich der Musikant von seiner musikalischen Performance das finanzielle Überleben seiner Familie, dient dem Snapper Kid die ›Gangsterperformanz‹ dazu, seinen Status und sein Überleben auf der Straße zu garantieren. Sein etwas kräftiger gebauter Begleiter mag im ersten Moment beängstigender und im Vergleich zum Snapper Kid weit weniger verspielt wirken. Dennoch besteht kein Zweifel darüber, dass der stets nervöse ›Snapper‹ Kid durch seine Unberechenbarkeit, sein Potential ›to snap‹ (auszurasten) sein Milieu so beherrscht wie spätere Film- und Fernsehgangster. Die Pfade der zwei unterschiedlichen ›Performer‹ kreuzen sich dreimal im Laufe der Handlung: Als der Musikant mit dem Lohn zurückkehrt, lauert ihm Snapper Kid auf, schlägt ihn bewusstlos und klaut das Geld. Als Snapper Kid später von einem Bandenkonflikt abgelenkt ist, kann sich der Musikant sein Geld wiederbeschaffen. Zur finalen Konfrontation kommt es dann, als Kid bei der Frau auftaucht und sie darüber aufklärt, dass er sie zuvor vor einem zwielichtigen Verehrer, einem rivalisierenden Gangster beschützt hat, als dieser sie auf dem gangster’s ball mit einem präparierten Getränk gefügig machen wollte. Das habe zu eben dem Bandenkrieg geführt, aus dem er gerade gekommen sei, um sie als Preis für sich als ihr früherer Retter-in-derNot zu beanspruchen. Als sie ihm seine virile Heldenfiktion aber zerstört, indem sie ihm erklärt, dass es sich bei dem Musikanten um ihren Ehemann handle, durchläuft Snapper Kid binnen weniger Sekunden eine ganze Palette an Gefühlen: Schock, Eifersucht, Wut, Verwirrung, Akzeptanz, Wohlwollen und Unverständnis. Schließlich baut er sich herausfordernd neben dem Musikanten auf, rückt sich seinen Anzug zum Vergleich zurecht, um darauf mit einem spöttischen Kopfschütteln und einer abwertenden Handbewegung aus der Wohnungstür zu verschwinden.166 Etabliert Snapper Kids Verhaltensko-
165 Nochimson: Dying to Belong, S. 36. 166 Im Unterschied zum selbstmitleidigen Gestus des kläglichen, machtlosen Protagonisten des Stummfilmmelodrams, hier des Musikanten, der in seiner letzten Einstellung mit der Hand zum Himmel weist und seiner Frau damit eine bessere Zukunft außerhalb des von Kriminellen überrannten Ghettos verheißt, bleibt Snapper Kid trotz neuer Einsichten – wie etwa, dass er in seinem Milieu die gefürchtete Größe sein mag, aber seinen Willen einer starken Frau nicht aufzwingen kann – am Ende des Films immer noch seinem Milieu verhaftet. In seiner letzten Szene, nachdem die Frau ihm – gegenüber einem Polizisten – ein Alibi verschafft und er sich von diesem verabschiedet hat, bleibt Kid eine Zigarette rauchend und in Gedanken alleine zurück. Zwei Hände reichen ihm dann vom rechten Bildrand einen Geldschein und zeigen in die Richtung, in die der Polizist gegangen ist. Anstelle der moralisierenden Schlussszenen von Griffiths be-
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dex, der ihn zur Rettung derselben Frau bewogen hat, der er sich zu Anfang noch selbst forsch anzunähern wagte, »a tantalizing whiff of relativism«167 zwischen den ›guten‹ (der Musikant und die junge Frau) und ›bösen‹ Figuren des Films (die Gangster), reduziert die finale Konfrontation den im Bandenkrieg ausgetragenen Konflikt, den Kid mit einem anderen Verehrer der Frau hatte, zu dem was Gangstertum im Genre immer allegorisiert: ein mal brutaler, mal komischer Wettstreit konkurrierender Männlichkeitsentwürfe. Diese kurze Szene, in der sich Snapper Kid dem direkten Vergleich mit dem Musikanten stellt und danach dessen Männlichkeitsmodell amüsiert abtut, antizipiert sowohl den narzisstischen Selbstbezug der klassischen Filmgangster, als auch ihr sadomasochistisches homoerotisches Begehren für all jene Männer in ihrem Umfeld, an denen sie sich bevorzugt messen wollen. So mustert Rico Bandello in LITTLE CAESAR die elegante Kleidung, die teuren Juwelen und Accessoires von ›Diamond Pete‹ Montana, einem Gangsterboss, den er bisher nur aus der Zeitung kannte. Ganz hingerissen von dem Mann, der er selbst gerne sein würde, schweift Ricos lustvoll kodierter Blick in Form von Nahaufnahmen über Montanas prunkvoll behangenen Körper. Im Folgenden wird Rico, der sich zwischen seinen Gewalttaten ständig seine Haare kämmt (»Rico continued to take care of himself, his hair and his gun – with excellent results.«, so ein beißender Zwischentitel des Films), rivalisierende Gangster für ihren schlechten Geschmack kritisieren (»Nothing phony about my jewelry.«), sich Mode-Tipps bei seinen Handlangern holen (»You know, Otero was telling me I don’t look good in a derby. What do you think?«) und immerzu um die Aufmerksamkeit anderer Männer buhlen. In Anlehnung an die Medienaffinität Al Capones, der an seinem eigenen Mythos mitschrieb, indem er ein sehr freundliches Verhältnis zu der Chicagoer Presse unterhielt und sich für die Fotografen in machtvolle Posen warf, ist auch Rico, der sich zehn Zeitungen auf einmal kauft, sollten sie über ihn berichten, an seiner Wahrnehmung in den Nachrichtenmedien interessiert.168 Sein bereits früh im Film formuliertes Credo lautet nicht umsonst: »be somebody. Look hard at a bunch of guys and know that they’ll do anything
kannteren Filmen (THE BIRTH OF A NATION, USA 1915; INTOLERANCE, USA 1916; oder BROKEN BLOSSOMS, USA 1919) sprechen THE MUSKETEERS OF PIG ALLEY auf dem letzten Zwischentitel des Films von den »Links in the System«, von den kapitalistischen Transaktionen (hier vermutlich zur Bestechung der Polizei), die das kriminelle Milieu um Snapper Kid weiter erhalten werden. 167 Nochimson: Dying to Belong, S. 37. 168 Was Dana Polan als einen zentralen Diskurs des postklassischen Gangsterfilms ANGELS WITH DIRTY FACES (1938) bezeichnet, die Thematisierung des Gangster-Mythos als mediale Konstruktion, lässt sich ähnlich auch über alle Gangsternarrative konstatieren: Sie handeln nicht bloß von Gangstern, sie verhandeln mit der Bekanntheit des Gangsterprotagonisten unter jungen Kriminellen durch der Medien ebenso die mediale Konstruktion von ›Gangsterhelden‹ (vgl. »DVD Audiokommentar«, in: Angels with Dirty Faces, Warner Home Video 2005)
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you tell them. Have your own way or nothing.« Diesen Status verspricht er sich in erster Linie von der symbolischen Legitimität, die ihm das gedruckte Wort garantieren soll, »[i.e., through his] relationship to the text, the document, the stand-in for history, [as] one of both collaborator and critic«.169 Gangster inszenieren sich im Gangsterfilm also nicht selten als die von ihrem Umfeld mit einer gefährlichen Mischung aus Furcht und Respekt zur Kenntnis genommenen Stars der Unterwelt, »[like] proletarian aristocrats[s,] allow[ed] access to spaces that others are not able to enter«.170 Nicht selten sieht man sie einen Raum betreten wie etwa Jimmy Conway in GOODFELLAS: »in a sort of glowing modesty; his body language say[ing], ›no applause, please‹«.171 Die publicityscheuen Mafiosi der GODFATHER-Serie betrachten zuviel Aufmerksamkeit eher als Hindernis für das kriminelle Geschäft: Die erfolgreichsten Gangster sind hier die, die vorgeben ein biederes Leben zu führen, und nicht wie etwa der nach dem Medien-Don John Gotti gestaltete Mafioso Joey Zasa in PART III, der sich zu gerne mit der Presse umgibt. Auch für den Mafioso Tony Soprano ist Ruhm eher hinderlich: »How come every piss I take is a fuckin’ news story?« (s02e05: ›Big Girls Don’t Cry«). Im Unterschied zu den vorsichtigen, pressescheuen älteren Gangsterbossen Pete Montana in LITTLE CAESAR, Don Barzini in THE GODFATHER oder Hyman Roth in THE GODFATHER, PART II sind es in erster Linie die jüngeren Gangster, die für ein gefestigtes Selbstbild einer großen medialen Aufmerksamkeit bedürfen. Das Streben nach symbolischer Legitimität zeigt sich in den SOPRANOS wohl am deutlichsten an dem jungen, aufbrausenden Christopher ›Chris‹ Moltisanti, der zu Beginn der Serie als Tonys Fahrer und Laufjunge arbeiten muss. Dabei wünscht sich Chris nichts sehnlicher als ein vollwertiges Mitglied der Organisation, ein »made guy« zu werden. Wie frühere Filmgangster versucht er sich die Gangsteridentität mit der Ermordung rivalisierender Gangster oder FBI-Spitzeln zu ›verdienen‹ (»Clipping a famous rat would put me a cunt hair away from being made.«, s01e05: »College«). Die tödlichen Schüsse, mit denen er in der Pilotfolge einen anderen Gangster niederstreckt, sind so auch nicht nur von Bo Diddleys ironischem BluesSong »I’m a Man« über die gehaltlose Prahlerei eines 21jährigen über seine sexuelle Potenz unterlegt.172 Die dabei im Bild zu sehenden Nahaufnahmen der an der Wand der Soprano-Metzgerei Satriale’s hängenden Bilder ikonischer Gangsterdarsteller (Edward G. Robinson, Humphrey Bogart) sowie
169 Smyth: Age of Scarface, S. 541. 170 Mason: American Gangster Cinema, S. 148. Vgl. dazu auch Slotkin: Gunfighter Nation, S. 264, 171 Roger Ebert: Rez.: »Goodfellas« (24.11.02), in: Chicago Sun-Times, unter: http://rogerebert.suntimes.com/apps/pbcs.dll/article?AID=/20021124/REVIEW S08/211240301/1023, l.A.: 16.02.08. 172 Die Lyrics des Songs lauten: »I’m a man,/I spell m-a-n... man./All you pretty women,/Stand in line,/I can make love to you baby,/In an hour’s time. […] The line I shoot,/Will never miss,/The way I make love to ‘em,/They can’t resist.«
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eines Italoamerikaners, der mit einem populären Männerbund berühmt wurde (Dean Martin, Mitglied des legendären »Rat Packs«),173 verweisen auch auf die illustre filmische und kulturelle Tradition, in die sich Chris mit seinem Mordanschlag aus Eigeninitiative einzureihen gedenkt. Seine Frustration über eine Gangsteridentität, die sich trotz solcher Anstrengungen nicht so recht einstellen will, steigert sich in »The Legend of Tennessee Moltisanti« (s01e08) zu einer schweren Lebenskrise. In seinen Träumen von dem Mordopfer aus der Pilotfolge verfolgt, deprimiert es ihn sehr, dass sein ermordeter Komplize Brendan Filone in den Nachrichten posthumen Ruhm als »associate«, als Mitarbeiter der DiMeo-Familie erhält, während niemand über ihn spricht, der daheim an einem Drehbuch über seine Erlebnisse in der Mafia verzweifelt. Doch das Projekt scheitert daran, dass sich sein unspektakuläres Leben nicht in die traditionelle Dramaturgie des Gangsterfilms betten lässt – wie er Paulie ›Walnuts‹ Gualtieri, einem älteren Mafioso,174 erklärt: CHRIS: PAULIE: CHRIS:
PAULIE:
You ever feel like nothing good was ever gonna happen to you? Yeah, and nothing did. So what? I’m alive. I’m surviving. That’s it. I don’t wanna just survive. Says in these movie-writing books that every character has an arc. […] Like everybody starts out somewheres and, and, then they do something or something gets done to them, it changes their life. That’s called their arc. Where’s my arc? […] I got no identity. Even Brendan Filone’s got an identity, he’s dead. I got no arc either, kid. I was born, grew up, did a few years in the army, a few more in the can, and here I am, a half a wiseguy. (s01e08: »The Legend of Tennessee Moltisanti«)
Als dann nicht einmal der junge Angestellte einer Bäckerei ihm den ›gebotenen‹ Respekt erweist und ihn auf seine Bestellung warten lässt, verliert der in seiner Männlichkeit gekränkte Chris endgültig die Fassung (»Do I look like a pussy to you?«) und verschafft sich mit der vorgehaltenen Pistole die erwünschte Bestätigung – und dazu noch seine bestellten Backwaren.175 Zur
173 »Rat Pack« war die Bezeichnung für eine Gruppe von Entertainern, die in den 1960ern die amerikanische Unterhaltungskultur dominierten, und von den populären Italoamerikanern Frank Sinatra und Dean Martin angeführt wurde. Die auf der Bühne und im Film gefeierte Homosozialität dieses Männervereins fungiert in der danach benannten SOPRANOS-Folge »Rat Pack« (s05e02) als ideales Spiegelbild für die ungleich trügerischere Homosozialität der Sopranos-Crew. 174 Ein anderer, älterer Mafioso, Salvatore ›Big Pussy‹ Bonpensiero, kann über die verzweifelte Sinnsuche des jähzornigen Emporkömmlings Christopher Moltisanti nur höhnisch lachen und scherzen: »You know who had an Ark? Noah!« 175 Wenn Christopher seinem Opfer zum Abschied noch in den Fuß schießt, ist das nicht nur eine Referenz auf eine ähnliche Szene in GOODFELLAS, in der Schauspieler Michael Imperioli, der Chris gibt, 1990 einen Mafia-Laufjungen spielte,
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endgültigen Überwindung der Sinnkrise kommt es folglich auch erst als sein Wunsch nach medialem Ruhm, den er mit Rico Bandello teilt, am Ende der Folge in Erfüllung geht: Sein Name findet in einem Zeitungsartikel in Verbindung mit der Mafia Erwähnung – was ihn veranlasst, aus seiner Depression zu kommen und sich gleich mehrere Ausgaben der Zeitung zu klauen. GOODFELLAS, die Chronik eines Jungen, der sich in das aufregende Milieu der Mafia verliebt, das er von seinem Zimmer aus auf der gegenüberliegenden Straßenseite seines Wohnviertels erspäht, rekurriert am Anfang auf Rico Bandellos lustvollen Blicke aus LITTLE CAESAR. Der Blick des jungen Henry Hills durch die heimischen Jalousien hindurch auf die schillernde Parallelwelt der Straße ist als eine ›Urszene‹ inszeniert,176 bei der die Kamera zu Tony Bennetts romantischer Ballade »From Rags to Riches« sehr verführerisch über die prunkvollen Embleme der Männlichkeit der Gangster gleitet, »caress[ing] these guys, pay[ing a meticulous] attention to the shines on their shoes and the cut of their clothes«.177 Dieses homoerotisch konnotierte Begehren der Gangster ist sehr unkonventionell für das amerikanische Kino. So führt Steve Neale in Anlehnung an die Ausführungen Laura Mulveys über die patriarchale, heterosexuelle Blickordnung des klassischen Hollywoodfilms, in der die Beobachterposition innerhalb der filmischen Diegese und im Zuschauerraum konventionell männlich, wohingegen die Objektposition weiblich konnotiert ist,178 aus, »[that in contexts like these], the male body cannot be marked explicitly as the erotic object of another male look: that look must be motivated in some other way, its erotic component repressed«.179 Dieser Blick ist in einer heteronormativen Blickordnung nur gestattet, wenn ihm eine sadomasochistisch markierte erzählerische oder psychologische Motivation zugrunde liegt, etwa in spektakulären Kampfszenen, die männliche Rivalität zur Schau stellen und in denen sich die Männer gegenseitig für ihre Blicke bestrafen, einander verwunden.180 Doch die in stilisierten Nahaufnahmen inszenierten Blicke der Gangster in den angeführten Beispielfilmen drücken nicht wie üblich Angst, Hass oder Wut aus,181 sondern offenes Begehren. Denn anders als in den meisten anderen Genres des klas-
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der von einem ähnlich neurotischen Gangster mit Minderwertigkeitskomplexen in den Fuß geschossen wurde. »[This scene also ends up r]eversing the usual conundrum – the artist who writes what he cannot achieve in life – Christopher here lives what he cannot write.« Yacowar: Sopranos on the Couch, S. 55. Vgl. D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 648. Vgl. zum Begriff der ›Urszene‹ auch Sigmund Freud: »Aus der Geschichte einer infantilen Neurose (1918 [1914])«, in: ders.: Studienausgabe, Bd. IV, S. 223-226. Ebert: Goodfellas, unter: http://rogerebert.suntimes.com/apps/pbcs.dll/article? AID=/20021124/REVIEWS08/ 211240301/1023, l.A. 16.02.08. Vgl. Mulvey: Visual Pleasure, S. 750. Neale: Masculinity as Spectacle, S. 14. Vgl. Neale: Masculinity as Spectacle, S. 16 Vgl. ebd., S. 18.
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sischen Hollywoodfilms, so Stella Bruzzi, werden im Gangstergenre in Ermangelung prominenter Frauenfiguren meist die Männer objektiviert, »[as] the primary objects of spectacle and fetishisation«.182 Bruzzi hierzu weiter: »To counter the potential passivity of this reduction to pure spectacle, men in cinema often adopt aggressive postures or ostentatious display mechanisms; thus resuming the active role by seizing the initiative and showing themselves off […]. [Gangsters appear to] have both cultivated an aggressively masculine image and are immensely vain, and whose sartorial flamboyance, far from intimating femininity or effeminacy, is the most important sign of their masculine social and material success […].«183
In den SOPRANOS, die in der Tradition der GODFATHER-Filme mit markanten Männergesichtern und übergewichtigen Männerkörpern gefüllt sind,184 wird zuviel Dandyismus mit einer ›weichen‹ Männlichkeit gleichgesetzt, »[since] ›real men‹ are not supposed to be narcissistically preoccupied with their clothes and appearance«.185 Die konventionelle Tracht des westlichen Mannes, der für seine Stabilität und Funktionalität geschätzte Anzug hat Selbstbeherrschung, Rationalität und Konformismus zu vermitteln, nicht maskulinen Exzess.186 Die Inkompetenz der hübscheren, durchtrainierten und modebewussten jüngeren Gangster der Serie, sich an die Regeln der Mafia zu halten, wird meist auf ihren Egoismus und ihr homoerotisch kodiertes Verhalten zurückgeführt. In »Full Leather Jacket« (s02e08) werden zwei Laufjungen der Soprano-Crew mit großer Sehnsucht nach der Aufmerksamkeit und Anerkennung anderer, hyperviriler Gangster (Matt: »To kick upstairs to Tony Soprano would be an honor.« – Sean: »He the man.«) zuerst von einem ungleich virileren Geldeintreiber Tonys als Homosexuelle gedemütigt, als er sie in Unterwäsche in ihrem gemeinsamen Appartement beim Drogenkonsum antrifft. Und als sie später die Nähe zu ihrem Boss auf einer Männertoilette suchen, verschrecken sie Tony mit ihrem unbeholfenen, als homosexuellen Annäherungsversuch auslegbaren Benehmen. Als sich der junge Chris in »Two Tonys« (s05e01) darüber beschwert, ständig für das Essen ihm höher gestellter Mafiosi aufkommen zu müssen, erklärt ihm Tony: »It’s tradition. It’s like in ancient times, the samurais, they had these pages. Young boys that did their errands, washed their clothes, shit like that. It’s a sign of
182 Bruzzi: Undressing Cinema, S. 85. 183 Ebd., S. 85, 70. 184 Für eine noch eingehendere, genderorientierte Untersuchung der body politics in der Serie vgl. auch Santo: Body Image, S. 72-94. 185 Bruzzi: Undressing Cinema, S. 68. 186 Vgl. ebd, S. 69.
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respect.« Von den homosexuellen Affären, die die Samurai in der Regel mit ihren hübschen Knaben unterhielten, weiß Tony ironischerweise nichts.187 Der aggressive, exzessive Selbstbezug des Gangsters, »[which is a] trait that distinguishes [him] from the majority of other masculine archetypes«,188 vereint nicht nur die widersprüchlichen Männermodelle des tough guys und des dandys.189 Es ist auch ein wichtiger Charakterzug, der »regelmäßig mit dem Elend der jeweiligen Figuren endet oder ihren Hang zur Perversion belegen soll«.190 Der finale Sturz Rico Bandellos zurück ins Ghetto, seine Verletzlichkeit und Machtlosigkeit zeigen sich dann in erster Linie auch an seiner dreckigen Kleidung und dem schäbigen Obdachlosenheim, in dem er gegen Ende des Films schläft.191 Und seinen Tod findet Rico auch nur weil er sich durch einen rufschädigenden Zeitungsbericht aus der schützenden Anonymität der Gosse locken lässt, um die Darstellung seiner Person ›richtig zu stellen‹. Auch Chris, der seine Sucht nach Ruhm mit Versuchen im Filmgeschäft Fuß zu fassen, zu stillen versucht, entscheidet sich in der Folge »Long Term Parking« (s05e12) dafür, für das luxuriöse Gangsterdasein seine langjährige Freundin, die sich als FBI-Informantin herausstellt, töten zu lassen, statt mit ihr ins Zeugenschutzprogramm und so in die biedere Existenz Henry Hills zu wechseln. In der nächsten Staffel verliert er dann selbst die Gunst seiner Gang, als er als genesender Alkoholiker nicht mehr mit ihrem exzessiven Lebensstil als Gangster mithalten kann (s06e17: »Walk Like a Man«). Der Eintritt in die Mafia ist für diese ungebildeten, aber ambitionierten Männer aus der Arbeiterklasse, die sich keine anderen, legitimen Wege zum Wohlstand erschließen konnten, oft ein letzter, verzweifelter Versuch, sich ihrer Männlichkeit zu versichern, »[since b]ecoming a member of the mafia […] is not unlike joining the military; rather than an exercise of power it is a reflection of economic necessity«.192 Entsprechend melancholisch erzählen sie zuweilen von dem Leben, das sie hätten leben können, wie zum Beispiel Ralph Cifaretto in »University« (s03e06): »I had to quit school when I was in 11th grade. Help my mother. Supposed to be an architect.« Die ›männliche‹ Autonomie, die sich die meisten Gangster wünschen, scheitert aber daran, dass sie in der Hierarchie der Mafia nur gewöhnliche Arbeiter sind, die an die Männer über ihnen einen Teil ihrer Gewinne abgeben müssen, um so sich Schutz zu erkaufen. Deshalb versucht der Gangster auch unentwegt, in
187 Ein Film, der Homosexualität im in einem hypervirilen Männerbund, demjenigen der Samurai zum Thema hat, ist Nagisa Oshimas GOHATTO (Japan 1999), in der mehrere Samurai um die Gunst eines besonders schönen Pagen kämpfen. 188 Bruzzi: Undressing Cinema, S. 67. 189 Vgl. Wilkinson: American Tough, S. 13. 190 Kappelhoff: Matrix der Gefühle, S. 241. 191 Bruzzi: Undressing Cinema, S. 93. 192 Lisa Johnson: »The Stripper as Resisting Reader: Stripper Iconography and Sex Worker Feminism on The Sopranos«, in: The Scholar & Feminist Online, unter: http://www.barnard.edu/sfonline/hbo/johnson_01.htm, l.A.: 01.03.11.
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dieser ›Hierarchie der Männlichkeit‹ aufzusteigen. Die emotionale Distanz, die die Zuschauer zu den kriminellen Taten in der GODFATHER-Trilogie haben konnten, griffen die Gangsterbosse doch selten selbst zur Waffe, wird in einer Serie wie den SOPRANOS und in Filmen wie GOODFELLAS aufgehoben. Die konventionelle Blickrichtung des Gangstergenres in der Organisation ist in diesen Genretexten auf den Kopf gestellt. Es sind nicht mehr nur die Bosse, ihre brillanten Strategien und groß angelegten Machtkämpfe, die hier die Handlung bestimmen, sondern die Konflikte in den mittleren Schichten der Organisation, zwischen den capos, soldiers und associates.193 Wie die Familienmelodramen der 1950er Jahre handeln die Texte von der ›Middle-Class‹ ihrer ›Familienorganisation‹: »The characters are neither the rulers nor the ruled, but occupy the middle ground, exercising local power or suffering local powerlessness, within the family«.194 Auch Ralph Cifaretto ist als Mann letztlich ein Melancholiker, »der auf die Macht schielt, mir ihr sympathisiert und sich nichts sehnlicher – und vergeblich – wünscht, als die aufgebrochene Kluft zwischen ihm, dem Mann, und dem Patriarchat wieder geschlossen zu sehen«.195 Er greift dafür regelmäßig auf eine exzessive Männlichkeitsperformanz zurück, »[i.e., he is] peddl[ing] his aggressive masculinity to improve his social position«,196 indem er sich in extremen Gewalttaten und beleidigender Rhetorik gegenüber schwächeren Männern innerhalb und Frauen außerhalb der Hierarchie übt, und hypervirile Männlichkeit vermittelnde Sätze aus dem Film GLADIATOR (2000)197 zitiert. Es sind dies groteske Versuche, bei den Geschlechtsgenossen Anerkennung zu finden, »[for m]asculinity is a homosocial enactment. We test ourselves, perform heroic feats, take enormous risks, all because we want other men to grant us our manhood«.198 Die hypervirile Männlichkeit, derer sich die Gangster durch die Anbindung an eine Gang versichern, ist im Gangstergenre also nicht nur identitätsstiftend, sondern nimmt sie ebenso in eine repressive Hierarchie auf, »[in] a violent, Darwinian, hypermasculine system in which many men are made to feel quite vulnerable and feminized«.199 Dass im Patriarchat nicht alle Männer dieselbe Machtposition innehaben, darauf hat die Soziologin R.W. Connell hingewiesen. Connell macht darauf aufmerksam, dass man zu keinem Zeitpunkt in der Kulturgeschichte nur von einer universellen Männlichkeit sprechen kann, die überall identisch ist, sondern eher von einer Multiplizität
193 Vgl. Castle: Average Nobodies, unter: http://www.brightlightsfilm.com/32/ goodfellas.html, l.A.: 01.03.11. 194 Nowell-Smith: Minnelli and Melodrama, S. 71. 195 Forster: Melancholie und Männlichkeit, S. 71. 196 Johnson: Resisting Reader, unter: http://www.barnard.edu/sfonline/hbo/johnson _01.htm, l.A.: 01.03.11. 197 GLADIATOR, USA/GB 2000, R: Ridley Scott. 198 Kimmel: Masculinity as Homophobia, S. 129. 199 Johnson: Resisting Reader, unter: http://www.barnard.edu/sfonline/hbo/johnson _01.htm, l.A.: 01.03.11.
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an historisch dynamischen Männlichkeiten ausgehen muss, die sich je nach den sexuellen, sozialen, kulturellen, nationalen als auch ethnischen Bedeutungskontexten unterscheiden, innerhalb derer sie konstruiert und durch die sie wahrgenommen werden.200 Auch Tony Soprano wird die Serie hindurch mit nicht-identischen Männlichkeitsmodellen kontrastiert, die immer in Relation zu seiner Männlichkeitsperformanz Beurteilung finden. Wie etwa sein Onkel Corrado Junior Soprano, der während seines mehrjährigen Gerichtsverfahrens unter Hausarrest steht und dabei ein »electronic bracelet«, einen FBI-Armreifen zur Überwachung seiner Person tragen muss und sich so neben seinem ungleich machtvolleren Neffen ebenso wenig männlich fühlt, wie Robert ›Bobby Bacala‹ Baccalieri, der als Juniors ›Mädchen-für-alles‹ arbeitet. Wegen seines extremen Übergewichts hat sich Bobby von seinem nur etwas schmaleren Boss Tony abfällige Kommentare gefallen zu lassen, »[for] Tony’s fatness is not ridiculed because he has the class status necessary to prevent this«.201 Weil er sich neben seiner Ehefrau keine Geliebte hält, wird der treue Bobby von anderen Mafiosi belächelt. Und seine Unfähigkeit, mit den Wutanfällen seiner Frau umzugehen, wird ihm von Tony vorgehalten: »How many times I gotta tell you? Get control of your wife!« (s05e10: »Cold Cuts«). Doch seine einnehmende Sanftheit, Sensibilität und Schüchternheit endet dann, wenn er in »Pie-O-My« (s04e05) seinem ›Beruf‹ nachgeht und einem Gewerkschaftsvertreter ebenso sensibel mit dem Tod droht. Junior und Bobby müssen aufgrund ihrer abweichenden Männlichkeiten nicht selten als Comic-Relief-Figuren in der Serie auftreten. So auch Tonys langjähriger Schulfreund und Restaurantbesitzer Artie Bucco, dessen Nachname sich vom italienischen Wort bocco (dt. »Einfaltspinsel«) ableitet. Artie, der im Unterschied zu den meisten anderen Männern der Serie einen altmodischen Schnurrbart trägt, als müsse er sich dadurch seiner Männlichkeit versichern, nimmt in dieser Männerwelt eine ebenso randständige Rolle ein. Als einer der wenigen italienischen Männerfiguren der Serie, die nicht in der Mafia involviert sind, aber ständig von den Mafiosi aus Tonys Crew umgeben ist, erscheint Artie im Vergleich zu ihnen als ein gewöhnlicher Arbeiter, als ›effeminierter‹ Koch. Während sich Tonys Hypervirilität an seinen zahlreichen außerehelichen Affären ablesen lässt, zeigt sich Arties ›schwächere‹ Männlichkeit in seinen vielen unerfüllten außerehelichen Gefühlen für seine wechselnden Hostessen. Seine kläglichen Versuche, den jüngeren Frauen zu imponieren, lassen ihn immer wieder unfreiwillig komisch erscheinen neben den sexuell aggressiveren, treulosen Ehemännern der Mafia. Darüber wird er sich selbst durchaus bewusst: »What am I, a joke?« In diesen Momenten bedarf es meist des Zuspruchs seiner moralisch gefestigteren Frau Charmaine, die Tonys Männlichkeitmodell ablehnt: »Oh, Artie, when’re you gonna learn, huh? Be happy in thine own self.« (s03e05: »Another Toothpick«)
200 Vgl. Connell: Masculinities, S. 76f. 201 Santo: Body Image, S. 82.
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Doch auch Tony und seine Crew verkörpern nicht überall eine hegemoniale Form der Männlichkeit. Ihre Minderwertigkeitsgefühle äußern sich dabei geographisch202: Im Kontrast zu den meisten Gangsterfilmen, die in einer Großstadt, vor allem Chicago oder New York spielen, ist der Schauplatz der SOPRANOS »the Garden State of New Jersey«. Neben New York als die größte, einwohnerstärkste Stadt der USA und als eine politisch, wirtschaftlich und kulturell wirkmächtige Weltstadt gilt das nahe gelegene New Jersey als einer der kleinsten, bevölkerungsdichtesten Bundesstaaten auf der anderen Ufernseite des Hudson Rivers, »[a] wannabe city [and] sort of the ugly stepsister.«203 Weil sie sich nicht auf die illustre Tradition der New Yorker ›Familien‹, auf jene sagenumwobenen »Five Families« berufen können, hat die DiMeo/Soprano-Mafiafamilie mit dem Vorurteil fremdstädtischer Krimineller zu kämpfen, keine gleichermaßen anerkannte Organisation zu sein. Während Gangster, die ihren »made«-Status durch die Aufnahme in eine New Yorker ›Familie‹ erlangt haben, innerhalb der nationalen Mafia als sogenannte »originals« gelten, handelt es sich bei der Soprano-Crew im Umkehrschluss um Kopien mit fehlender ›Authentizität‹. Für den Boss der Lupertazzi-Familie aus Brooklyn, Carmine Luppertazzi, sind die Sopranos keine richtige »family«, eher: »a glorified crew« (s04e12: »Eloise«). Das Setting der Serie in der unmittelbaren Nähe, aber doch außerhalb New Yorks, ›auf dem anderen Ufer‹ der City weist ihren Hauptfiguren eine eher nachteilige queer-Position zu. Während sich die New Yorker Gangster als die ›Könige des Milieus‹ inszenieren, die auf die korrekten mafiösen Gepflogenheiten bedacht sind, verhalten sich die Sopranos wie die unwissenden Bauern. Tony muss sich zuweilen sogar gefallen lassen, von Carmine wegen seiner Garderobe bei Grillfeiern zurechtgewiesen zu werden. »A Don doesn’t wear shorts«, wird er von dem älteren Don ermahnt und wie ein irritiert dreinblickender Schuljunge im Bild zurückgelassen (s04e01: »For All Debts Public and Private«). »[Accordingly,] the characters in question are so far down the glamour scale from the decorous racketeers created by Puzo and Mr. Coppola – the Corleones being our Kennedys; the Sopranos, our Simpsons.«204
202 Vgl. Julie Conason: Rez.: »The Sopranos« (01.09.03), in: Television Heaven, unter: http://www.televisionheaven.co.uk/sopranos.htm, l.A.: 20.02.08. 203 Steven Van Zandt, Darsteller von Silvio Dante, und SOPRANOS-Drehbuchautor Terrence Winter, zitiert in: Martin: Complete Book, S. 140f. 204 Bill Tonelli: »A ›Sopranos‹ Secret: Given the Choice, We’d All Be Mobsters«, in: The New York Times, unter: http://www.nytimes.com/2001/03/04/arts/ 04TONE.html, l.A.: 16.03.09.
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D ISTURBING THE G ANGSTER : H OMOSOZIALITÄT , H OMOSEXUALITÄT UND H OMOPHOBIE »[T]he real romanticism of war and gangster films«, so Carlos Clarens, »[is supplied by] the strength of the male bond.«205 Wird in typischen ›Männergenres‹ homosoziale Intimität zwischen heterosexuellen Männern in Form von Sympathiebekundungen, Umarmungen und Küssen inszeniert, ist der in den Dialogen der Männer unterdrückte oder mit Humor adressierte Schatten homoerotischen Begehrens nicht gerade weit. Steve Neale fasst es wie folgt zusammen: »Male homosexuality is constantly present as an undercurrent, as a potentially troubling aspect of many films and genres, but one that is dealt with obliquely, symptomatically, and that has to be repressed«,206 Die Regel greift auch für die Inszenierung sentimentaler Männerfreundschaften im klassischen Gangsterfilm. Denn den Protagonisten sind stets Jugendfreunde an die Seite gestellt, »von denen sie sich zunehmend entfremden und deren individuelle Entwicklung ihre eigene Biographie perspektiviert«.207 Bei diesen Sidekicks handelt es sich in der Regel um geradlinigere, konventionell attraktivere Männer, die im Unterschied zu den oft unfreiwillig komischen Hauptfiguren keine wilden, grotesken Grimassen schneiden und damit in einem ähnlichen Verhältnis zu ihnen stehen wie die blasseren straight men zu den albernen Comedy-Stars der 1930er.208 Die straight men verlieben sich in einer Nebenhandlung des Films und brechen für ihre Frauen mit der Homosozialität der Gang und damit auch mit dem besten Freund, »[choosing instead] the more traditional values of marriage, home, and family«.209 Ist ihnen die Bindung zur Gang und zur Kriminalität doch hinderlich in ihren heterosexuellen Beziehungen. Deutlich wird dies in einer Szene aus LITTLE CAESAR, als Rico Bandellos bester Freund Joe Massara, der mit ihm die ethnische und soziale Herkunft teilt, sich aber für eine Karriere als Showtänzer entscheidet,210 seine Tanzpartnerin Olga umarmt. Sie spürt beim
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Clarens: Crime Movies, S. 64. Neale: Masculinity as Spectacle, S. 19. Kappelhoff: Matrix der Gefühle, S. 242. Eines der berühmtesten Beispiele dafür ist Zeppo Marx, der straight man in den Marx Brothers-Komödien, der sich im Gegensatz zu den infantilen Comedians verliebt, Liebeslieder singt und am Ende mit seinem Mädchen glücklich wird. 209 Schatz: Hollywood Genres, S. 93. 210 Wenn Joe und Olga zum Schluss des Films zu einem erfolgreichen Song-andDance-Team werden, springen sie damit von einem populären Genre der Warner Bros.-Studios (dem Gangsterfilm) in ein anderes (das Musical) (vgl. Schatz: Hollywood Genres, S. 87). Joe Massaras Geschichte basiert angeblich auf dem Werdegang George Rafts, der als Tänzer und Schauspieler Karriere machte und Verbindungen zu Gangstern unterhielt (vgl. Jewell: DVD Audiokommentar). In der Komödie LADY KILLER (1933) spielt James Cagney später einen Gangster,
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Körperkontakt die Pistole in seiner Weste und bittet Joe darum, sich seines künstlichen Phallus an der anatomisch ›falschen Stelle‹ zu entledigen, verlangt sie doch seinen ›richtigen‹ Phallus. Die Entscheidung zwischen Rico und Olga ist für Joe im klassischen Gangsterfilm somit die Wahl zwischen der ›sterilen‹, destruktiven und unterdrückten Homosexualität der Gang und der ›fruchtbaren‹, produktiven und ›gesellschaftstauglichen‹ Heterosexualität der Frau. Denn auch wenn die »Triebfeder männerbündischer Aktivität« kein Geselligkeitstrieb ist, sondern eine den Männern innewohnende Homoerotik,211 können sie im hypervirilen Umfeld der Gang dennoch nicht so offen nach dem Phallus eines anderen greifen, wie es hier noch die Frau kann: »It is as if the genre sadistically plays with the ambiguity of the hero’s constructed masculinity and then becomes threatened by its possible implications – lest that homosexual play becomes too free, such that the hero will revolt against its generic creature and actualize the homosexuality he is being forced to repress. In the end, heterosexuality (or sexual abstinence […]) always triumphs, and homosexuality remains but a subtext to be analyzed and proven with only painstaking measures.«212
Bereits im klassischen Gangsterfilm liegt eine grundlegende Spannung zwischen ausgestellter, gefeierter Homosozialität und implizierter, verurteilter Homosexualität vor. Die Melodramatik, mit der die zentrale Männerfreundschaft dieser Filme inszeniert ist, weist in ihrer großen Emotionalität häufig »Züge einer Liebesbeziehung« auf,213 die von der Hauptfigur aber stets verdrängt und mit konventionell männlichen Werten wie Loyalität und Brüderschaft rationalisiert wird. So beginnt LITTLE CAESAR etwa mit einer Szene, die die harmonische Zweisamkeit von Rico Bandello und Joe Massara ausstellt, nach der sich vor allem Rico bei seinem skrupellosen Aufstieg in der Unterwelt immer wieder sehnen wird, aber die er nicht mehr haben kann. In der nicht eingestandenen Panik vor seinen homosexuellen Gefühlen ersucht er sich eine soziale Hierarchie, in der er seine Männlichkeit gegenüber anderen Männern unentwegt unter Beweis stellen muss: »You know, this game ain’t for guys that’s soft«, hört man ihn erklären. Mit seiner Performanz hyperviriler Männlichkeit konstruiert er sich folglich nicht nur eine machtvolle Gangsteridentität, sondern auch die Deckgeschichte für ein tabuisiertes Be-
der in Hollywood als Akteur Karriere macht. »Showbusiness und die Unterwelt waren schließlich die beiden Orte im amerikanischen Leben, wo Leute, die nicht in die Gesellschaft passen, in einem Paralleluniversum gedeihen können.« Siegel: Das Abstoßende, S. 483. Vgl. auch Seeßlen: Asphalt-Dschungel, S. 66. 211 Widdig: Männerbünde um 1900, S. 237. 212 Andrew Grossman: »Homosexual Men (and Lesbian Men) in a Heterosexual Genre: Three Gangster Films from Hong Kong«, in: ders. (Hg.): Queer Asian Cinema. Shadows in the Shade, NY: Haworth 2000, S. 237-271, hier S. 238. 213 Hartmann: Topographische Ordnung, unter: http://home.snafu.de/britta.hart/ gang.html, l. A.: 01.03.11.
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gehren, das er still mit sich herumträgt. Rico, der zwar gerne phallische Zigarren raucht, aber im Unterschied zu anderen Gangstern weder an Alkohol, noch an Frauen interessiert ist, tritt als ein Hysteriker auf, der auf ›männliche‹ Härte bei sich und seinen Männern beharrt (»There’s nothing soft about me. Nothing yellow. I don’t quit.«). Sein Umgang mit anderen Männern, vor allem mit Joe, trägt dabei auch nicht selten sadomasochistische Züge, ist für Rico doch nur derjenige ein ›echter‹ Mann, der gleichsam austeilen wie einstecken kann. Als Joe einmal die Mitarbeit verweigert, bekommt er von Rico somit auch zu hören: »You’re gonna be in on this, and you’ll like it.« Auf der Höhe seiner Macht in der Unterwelt ist es Joe, den Rico alleine zu sich in sein luxuriöses Apartment bestellt, um an die verschworene Zweisamkeit anzuknüpfen, die sie zu Anfang des Films noch teilten. Unter dem Vorwand, Joe von der Loyalität zur Gang zu überzeugen und ihn von einem bürgerlichen, ›unmännlichen‹ Dasein als Tänzer abzubringen (Rico: »It ain’t my idea of a man’s game«), fleht Rico ihn in dieser dramatischen Szene an, bei ihm zu bleiben: »You’re my pal. […] I need you, Joe.« Die Szene präfiguriert in ihrer angestauten Emotionalität die homosexuellen Liebesszenen aus zeitgenössischeren Filmen wie BROKEBACK MOUNTAIN (2005)214, in denen homoerotisches Begehren ähnlich unvereinbar ist mit den soziokulturellen Strukturen, in denen die Protagonisten leben. Die unterdrückte Homosexualität, die Ricos Devianz auch innerhalb der bereits ›devianten‹ Strukturen der Gang215 unterstreichen soll, ist zugleich auch der Aspekt, der die Figur humanisiert: Sein fall als Gangster beginnt erst, als er seine Emotionen nicht mehr unter Kontrolle hat, als er erstmals seine hypervirilen Prinzipien nicht selbst durchsetzen kann.216 »Love! Soft stuff!«, schimpft Rico und findet die Schuldige für sein Dilemma in der ›Liebesrivalin‹ Olga, die er aufsucht, um sie zu töten. Joe stellt sich ihm dabei in den Weg und fordert den eifersüchtigen Rico auf, stattdessen ihn zu erschießen. Wie unzählige Male zuvor tritt Rico auch diesmal entschlossen auf seinen Gegner zu, kann es jedoch nicht fertig bringen, seinen geliebten Joe zu töten. Sein neuer Assistent Otero, der im Milieu für Rico zeitweise Joe ersetzt, zeigt sich angewidert: »You’re get-
214 BROKEBACK MOUNTAIN, USA 2005, R: Ang Lee. 215 Andrew Grossman schreibt über die Legalität von Homosexualität in der Mafia: »the argument of homosexuality’s legality is enacted within the already illegal, antisocial underworld of criminals: here, homosexuality is meta-criminality. It is taboo, or ›illegal,‹ both in legal society and the illegal gangster society that exists within (or beneath) it. Theoretically, legal society’s equation of criminality with homosexuality might allow (male) homosexuality to exist more freely in an already transgressive (criminal) society populated by outcasts who may be sympathetic to homosexuals. [However], […] organized crime systems react against the anarchic possibilities of absolute illegality and erect quasilegal statutes of their own similar in form (if different in content) to the social laws they oppose, thus creating an antisocial law« (Homosexual Men, S. 239). 216 Vgl. Jewell: DVD Audiokommentar.
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ting soft, too!« Nach einem Schuss Oteros, der durch Ricos Eingreifen seinen Joe nur streift, flüchten die Gangster vor den Schüssen der Polizei. Otero stirbt auf der Flucht durch einen Schuss in der innigen Umarmung Ricos, der dann wehmütig feststellt: »This is what I get for liking a guy too much.« Wie in LITTLE CAESAR sind es in THE PUBLIC ENEMY auch die hübschen, aber in der Regel unsympathisch gestalteten Frauen, die zwischen dem Protagonisten und seinem besten Freund stehen. Auch Tommy und Matt finden sich im Film wiederholt in Situationen wieder, in denen Matt an der Gesellschaft von Frauen interessiert ist, und Tom ihn an ihre ›geschäftlichen‹ Verpflichtungen ermahnen muss. Immer dann, wenn sich eine innigere heterosexuelle Bindung außerhalb der Männerbeziehung anbahnt, ziehen die zwei Männer abrupt los, um Gewaltakte zu verüben, die fast wie Liebeserklärungen an ihre Zweisamkeit anmuten. In einer dieser Szenen will Matt die Verlobung zu seiner Freundin Mamie feiern und wird von Tom darauf aufmerksam gemacht, dass sich Putty Nose, der Bandenführer, der sie früher einmal betrogen hat, ebenfalls im Nachtclub aufhält. Als beide losziehen, um Rache an ihm zu nehmen, versucht Mamie ihren Verlobten aufzuhalten. Das Paar steht sich dabei gegenüber und Tom, für den sich Matt letztlich entscheidet, steht in mehr als einer Beziehung zwischen ihnen im Bild. Die anschließende Ermordung von Putty Nose ist für Tom und Matt auch nur vorgeblich ein Racheakt. Unbewusst ist es eine Projektion homoerotischen Begehrens auf eine andere, feminin auftretende Männerfigur, die für diese Gefühle bestraft wird.217 Oder es wird, wie im Falle eines feminin auftretenden Schneiders, der sich von Tommy angezogen fühlt, die Differenz zwischen dem Gangster und dieser sissy-Figur218 betont, indem Tom deren Bewegungen mockiert. Sterben alle klassischen Filmgangster, weil ihre besten Freunde die homosozialen Bindungen zu ihnen und ihren Gangs abbrechen, führt ein solcher Verrat in den SOPRANOS zu einer ähnlich gravierenden Destabilisierung des männlichen Selbstverständnis der Gangster. Sie äußert sich häufig in der aggressiven Rhetorik der Mafiosi, deren Fluchwörter meist sexuell konnotiert sind. »Pussy«, erinnert sich Paulie Walnuts in »…To Save Us All From Satan’s Power« (s03e10) an seinen besten Freund und den von ihm selbst in der vorherigen Staffel getöteten FBI-Informanten Sal ›Big Pussy‹ Bonpensiero, »I loved that cocksucker like a brother, and he fucked me in the ass.« Die Reproduktion heteronormativer Sexualitäten in der Mafia wird also ironischerweise immer wieder von den homosexuellen Konnotationen ihrer eigenen tough-guy-Sprache unterlaufen. Die Männer werden sich auch dar-
217 Vgl. Mason: American Gangster Cinema, S. 21. 218 »Sissies oder fairies stellen in den ersten drei Dekaden des 20. Jahrhunderts in den USA zwar nicht die einzige, aber die dominante, weil sichtbarste Form von ›Homosexualität‹ (genauer: Nicht-Heterosexualität oder – in der Terminologie des zeitgenössischen Diskurses – ›sexual inversion‹) im kulturellen Repräsentationsrepertoire auch in Hollywoods Visualisierungsverfahren dar.« Oltmann: Premake, S. 122f. Für eine Geschichte des Sissy im US-Kino vgl. ebd., S. 121f.
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über unfreiwillig bewusst, als sich unerwartet herausstellt, das ein Mitglied ihrer Gang, Vito Spatafore, tatsächlich homosexuell ist. Wie etwa als Tony seiner Therapeutin erzählt, »[that] this guy that got outed, look, the guys that work for me are askin’ for head… his head, what the fuck« (s06e06: »Live Free or Die«). Gerade die Hysterie und Rachsucht, mit der sich die Homophobie der Gangster auf die Homosexualität einer ihrer ›Brüder‹ ausdrückt, »[…] expose heterosexuality as an incessant and panicked imitation of its own naturalized idealization. That heterosexuality is always in the act of elaborating itself is evidence that it is perpetually at risk, that is, that it ›knows‹ its own possibility of becoming undone: hence, its compulsion to repeat which is at once a foreclosure of that which threatens its coherence.«219
Auch der acting boss der New Yorker Lupertazzi-Familie Phil Leotardo, der Cousin von Vita Spatafores Ehefrau, verlangt von seinem Geschäftspartner Tony Soprano wiederholt, dass Vito für seine Transgression heteronormativer Rollenbilder mit dem Tode bestraft wird. Doch während sich Phil dabei die ihm widerfahrene Schande beruft, gibt es mehrere Indizien dafür, dass er, der 20 Jahre im Knast gewesen ist, und dort womöglich sexuellen Kontakt mit anderen Männern hatte, seinen Selbsthass wie die klassischen Filmgangster auf Vito projiziert, der seine ›deviante‹ Sexualität ausgelebt hat.220 In der Szene, in der Vito später von seiner Crew zusammengeschlagen und getötet wird, kommt Phil bildlich »out of the closet«, als er aus dem Wandschrank von Vitos Motelzimmer tritt und seinen Cousin überrascht. Wie in THE PUBLIC ENEMY, wo sich der Mord an Putty Nose außerhalb der Diegese abspielt, während die Kamera das schockierte Gesicht Matts zeigt, sind auch hier die Tritte und Schläge, die Vito erfährt, nur zu hören, während sich die Kamera auf Phils verbittertes Gesicht und seine verkrampften Hände fokussiert (s06e11: »Cold Stones«). Nach dem Mord liegt Phil schlaflos in seinem Bett neben seiner Gattin, die von den homosexuellen Gefängniserfahrungen vermutlich nichts weiß. Wie sich in dieser Folge herausstellt, ist auch seine Frau Patty und nicht Phil die treibende Kraft hinter dieser Ermordung Vitos: PATTY LEOTARDO: I’ve got a meeting of concerned Catholic mothers. To tell you the truth, I almost want to not go to the meeting. PHIL LEOTARDO: Here we go. A gay in our own family? […] I’m so embarrassed in front of PATTY: Father. Father told me, if Vito doesn’t renounce that lifestyle, he’s damned. I know. PHIL:
219 Butler: Gender Insubordination, S. 23. 220 Phil Leotardo wird gespielt von Frank Vincent, der zuvor noch in GOODFELLAS einen grauen Mafioso und Ex-Häftling gegeben hat, der nach seiner Rückkehr über seine Manneskraft so prahlt: »I fucked kids like that in the can in the ass.«
174 | G ANGSTER M ELODRAMA PATTY: PHIL: PATTY:
Father put it so well last week. ›There’s nothing gay about hell‹, he said. That’s good. One thing I do know: Vito has to be made to face his problems squarely. (s06e11: »Cold Stones«)
In den SOPRANOS sind es also nicht nur die Gangster, die die homoerotischen Konnotationen ihrer Männerbünde verdrängen. Auch ihre Ehefrauen haben ein Problem mit der trügerischen Intimität des exklusiven boys club. Diese Intimität zeigt sich vor allem dann, wenn die Mafiosi ihre Frauen und Kinder ›zur Sicherheit‹ daheim einschließen und miteinander in den Krieg gegen andere Männerbünde ziehen. Was sich im Gangstergenre »going to the mattresses« nennt, weil die im ›Kriegsdienst‹ stehenden Männer nicht zum Schlafen heimkehren, sondern immer einsatzbereit auf unbezogenen Matratzen liegen, gestaltet sich in Filmen wie THE GODFATHER als ein gemeinsamer Männerurlaub – fernab von ihren häuslichen Verpflichtungen als Ehemänner und Väter. Die Männer sammeln sich in leer stehenden Häusern und überbrücken die Wartezeit auf den nächsten Anschlag oder Gegenanschlag, indem sie miteinander kochen und essen, rauchen und trinken, Karten oder Musik spielen, fernsehen oder Kreuzwortpuzzles lösen, »[all of which] promote[s] the humanity and warmth of the male-dominated social system«.221 In »Eloise« (s04e12) ist Carmela Soprano in Furio Giunta, den Fußsoldaten und Fahrer ihres Mannes Tony, verliebt.222 Als Furio wie jeden Morgen Tony mit dem Auto abholt, hört sich Carmela gerade den Schulaufsatz ihres Sohnes A.J. über Herman Melvilles berühmte Erzählung Billy Budd an (posthum 1924 veröffentlicht). Als A.J. laut vorliest, die Intention des Autors sei es seiner Meinung nach gewesen, »to show how mean humans can be to each other, especially when living in cramped conditions«, sagt seine Mutter zum Klingeln der Haustür, »Whoa, hold that thought«, und eilt rasch aus der Küche, um Furio zu empfangen. Bei der Anweisung Carmelas handelt es sich um die implizite Anweisung an das Publikum, die folgenden Interaktionen zwischen Carmela und Furio, die sich in den »cramped conditions« ihres sozialen Umfeldes aufhalten und sich deshalb ihre Liebe nicht offen eingestehen können, auf ihre Parallelen zu Melvilles klaustrophobischen Seefahrergeschichte zu lesen. Aus Carmelas Blickperspektive sieht man darauf auch den schönen Mafia-›Soldaten‹ Furio, als A.J. vom »handsome Billy« spricht, und den trägen Tony, als im Aufsatz vom tyrannischen Officer Claggart die Rede ist. Später provoziert Carmela am Essenstisch eine hitzige Debatte mit ihrer Tochter über den homoerotischen Subtext von Billy Budd:
221 Bell-Metereau: Eating and Drinking, S. 101. 222 Eine detailliertere Diskussion dieses Handlungsstranges findet sich im vierten Kapitel der vorliegenden Arbeit, unter »Die Leiden der Ehefrau: ›Mrs. Soap‹«
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CARMELA: A.J.: CARMELA: MEADOW: CARMELA:
Oh, that is ridiculous. […] That was written when, in the 19th century? Yeah, I didn’t even know they had fags back then. […] Billy Budd is the story of an innocent sailor being picked on by an evil boss. (Schnitt auf den desinteressierten ›Boss‹ Tony) …who is picking on him out of self-loathing caused by homosexual feelings in a military context. Oh, please! […] This stuff is pervading our educational system, not to mention movies, TV shows. […] This gay nonsense they are teaching. I am sorry, but Billy Budd is not a homosexual book! (s04e12: »Eloise«)
Aus Carmelas hysterischem Widerstand gegen eine mögliche queer-Lektüre von Billy Budd spricht eine Homophobie, die sich gegen den Männerbund ihres Mannes richtet. Musste sie in dieser Staffel bereits untätig hinnehmen, wie sich ihr Cousin Brian Cammarata von den Geschenken ihres Mannes zu einer Allianz mit ihm verführen ließ (s04e07: »Watching Too Much Television«), fürchtet sie sich hier um die Heterosexualität des ›jungen Soldaten‹, des in ihren Augen ›unschuldigen‹ Furio Giunta, in den sie sich verliebt hat. In den SOPRANOS wird Homosozialität oft als eine identitätsstiftende Sozialpraxis der Mafiosi inszeniert, die sich trotz ihrer vielen Frauengeschichten am wohlsten doch in der Gesellschaft anderer Männer fühlen. Als Tony in »House Arrest« (s02e11), wie weiter oben erwähnt, auf Anweisung seines Anwalts die Nähe zu seiner Gang meidet, fühlt er sich sehr unwohl, ist gelangweilt und erleidet sogar eine Panikattacke. Am Ende der Folge kehrt er fröhlich zu seiner Crew zurück, die sich im Hinterzimmer von Satriale’s sitzend die Zeit mit Smalltalk, einem Kartenspiel und Zigarren vertreibt: »This peaceful domestic tableau looks for all the world like the standard Victorian parlor portrait, with family members amusing themselves and each other in quiet, unspoken affection.«223 Als sich dann an der Kreuzung vor der Metzgerei ein Autounfall ereignet, eilen sie raus, freuen sich über die Abwechslung und treten als Ordnungsinstanzen der Nachbarschaft auf. Währenddessen taucht FBI-Agent Dwight Harris auf, um Tony einen neuen Partner vorzustellen und über die neuesten Sportergebnisse zu reden. Männliche Homosozialität macht im Gangstergenre also auch vor Gesetzesgrenzen nicht Halt. Peter Brooks schreibt, die Dominanz einer relativ überschaubaren Zahl von Genres in der modernen Mainstream-Unterhaltung ließe sich damit erklären, »[that] these offer the clearest possible repertories of melodramatic conflict. They provide an easy identification of villains and heroes (who can often be recognized simply by uniform), of menace and salvation.«224 In der Tat kann man beobachten, dass im Gangstergenre sowohl die Kriminellen,
223 Rotundo: Wonderbread and Stugots, S. 65. 224 Brooks: Melodramatic Imagination, S. 204.
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als auch die Gesetzeshüter gegensätzliche moralische Positionen repräsentieren sollen, »[which are often] expressions of personality, externalised in a character’s physical being, in gesture, dress and above all in action«.225 Diese klare Einteilung wird allerdings bereits im klassischen Gangsterfilm dadurch unterlaufen, dass es sich bei den Gangstern wie bei den Polizisten um Männer in dunklen Anzügen und Hüten handelt, die mit denselben aggressiven Posen ins Bild marschieren und auf dieselbe kämpferische Rhetorik zurückgreifen wie die sich bekriegenden Gangster. Und am »Ende triumphiert zwar der Vertreter des Gesetzes über den Gangster, jedoch nicht durch Gebrauch der legalistischen (und bürokratischen) Mittel der bürgerlichen Welt, sondern auf Art des Gangsters: Er erschießt den Gegner.«226 Bei den Polizisten im Gangstergenre handelt es sich, anders perspektiviert, also oft um die Jungs auf dem urbanen Spielplatz, die nicht in den exklusiven boys club der Gangster aufgenommen wurden und sich deshalb gegen die Gang stellen. Auch für den korrupten Polizisten Vin Makazian in den SOPRANOS, der für Tony als Spitzel arbeitet, um sich finanziell übers Wasser zu halten, gilt die Regel: »The gangster’s lifestyle induces in the restricted, underpaid cop feelings of impotence, frustration, fatigue, and impatience and creates the desire for revenge (sometimes sharpened by envy) as well as for justice«.227 Die Grenze, die zwischen den Repräsentanten des Gesetzes und den Gangstern verläuft, ist dann in der Regel eine ethnische: Die meist irischen oder angloamerikanischen Polizisten lassen in ihrem unterkühlten Auftreten die Wärme und Herzlichkeit ihrer italienischen Kontrahenten vermissen.228 Im Laufe der SOPRANOS wird allerdings auch dieses Unterscheidungskriterium eingerissen aufgrund von italoamerikanischen FBI-Agenten wie etwa Dwight Harris, »who often look and sound like mobsters«.229 Auch bei dem FBI handelt es sich um einen Männerbund, der gerne untereinander über attraktive Frauen, vorzugsweise ihre Kolleginnen redet, um sich untereinander ihrer Heterosexualität zu versichern. Es ist auch keine Seltenheit, dass FBIAgenten und Gangster in Abwesenheit ihrer jeweiligen ›Gangs‹ untereinander Parallelen erkennen und dann über die sich ähnelnden Hierarchien ihrer jeweiligen Organisationen klagen (s02e12: »The Knight in White Satin Armor«). In der letzten Staffel der Serie konkretisiert sich dann schließlich die
225 Gledhill: Signs of Melodrama, S. 210. 226 Hartmann: Topographische Ordnung, unter: http://home.snafu.de/britta.hart/ gang.html, l.A.: 01.03.11. 227 Shadoian: Dead Ends, S. 9. 228 Nochimson: Re-Reading, unter: http://www.filmquarterly.org/issue_5602_ right.html, l. A.: 16.02.08. Ein Film, dem dieser Gegensatz als Ausgangspunkt für eine fish out of water-Komödie dient, ist MY BLUE HEAVEN (USA 1990), in der ein exzentrischer italoamerikanischer Mafioso einem biederen FBI-Agenten zu mehr Lebensfreude verhilft, indem er ihm den Merengue zu tanzen lehrt. 229 Rotundo: Wonderbread and Stugots, S. 56. Vgl. dazu auch Yacowar: Sopranos on the Couch, S. 126.
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Kollaboration, die sich im Grunde immer schon angedeutet hatte, als Harris Tony mehrmals vor möglichen Anschlägen rivalisierender Gangster gegen seine Crew warnt (s06e12: «Kaisha«; s06e20: »The Blue Comet«) und man erstmals einen Einblick in das ähnlich konfliktreiche Privatleben dieses beruflich wie privat untreuen FBI-Agenten erhält. So sieht man Harris in »Made in America« (s06e21) dann in derselben Situation wieder, in der man für gewöhnlich seinen neuen Kumpanen Tony Soprano zu sehen bekommt: mit nacktem Oberkörper, nach dem außerehelichen Sex mit einer anderen Frau. Als Harris später gegen Ende der Folge die Nachricht bekommt, ein Erzrivale Tonys sei durch seine Information ermordet worden, schreit er spontan seine große Freude über seinen ›Kriegsbeitrag‹ heraus (»Damn! We’re gonna win this thing!«) –zur allgemeinen Verwunderung seines FBI-Kollegen.
D ISPOSING THE G ANGSTER : ALTERNATIVE L EBENSMODELLE , NEUE (G ENRE -)H ORIZONTE Als die prominenteste Schließungsfigur des Gangsterfilms nach seiner klassischen Periode gilt der finale Tod des Gangsterprotagonisten – »[a convention] often cited as a decisive break and an indication of the classic gangster’s breakout into modernity from the residual Victorianism of the silent era«.230 Ist die Rehabilitation des Gangsters – wie sie noch im Stumm- und frühen Tonfilm möglich schien in der klassischen Ära doch undenkbar geworden. Nicht mehr die durch christliche Nächstenliebe plausibilisierte Vergebung und Reintegration des schuldbewussten Kriminellen in die Gesellschaft sorgt für »die Wiederherstellung der bürgerlichen Ordnung«, sondern die »Eliminierung des ›öffentlichen Feindes‹«, wie sie die damaligen Zensurbehörden – um die eindeutige Botschaft vom ›Verbrechen, das sich nicht auszahlt,‹ an die Zuschauer zu vermitteln – sowie die Modernität der klassischen Genretexte forderte.231 Dabei handelt es sich um ein ebenso abruptes, wie vorhersehbares Ende,232 das die Filme vorab an vielen Stellen der Handlung signalisieren. So beginnen LITTLE CAESAR und SCARFACE mit dem Tod einer Figur durch die Hand des Protagonisten und erinnern dann mit jedem weiteren Tod daran, dass auch er einmal zum Opfer eines anderen Gangsters und damit seines eigenen, oft gepredigten Berufsprinzips werden wird.233
230 Langford: Hollywood and Beyond, S. 138. Vgl. hierzu u.a. auch Cook/Bernink: Cinema Book, S. 178; sowie Boaz Hagin: Death in Classical Hollywood Cinema: Basingstoke, Hampshire/New York: Palgrave Macmillan 2010, S. 26f.. 231 Vgl. Hartmann: Topographische Ordnung, unter: http://home.snafu.de/britta. hart/gang.html, l.A.: 01.03.11. 232 Vgl. Cook/Bernink: Cinema Book, S. 178. 233 In SCARFACE belehrt Tony Guino: »In this business, there’s only one law you gotta follow to keep outta trouble. (formt mit der Hand eine Pistole) Do it first,
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In THE PUBLIC ENEMY deutet der neugierige Blick, den Tom und Matt in den offenen Sarg eines jungen Mittäters werfen, ebenfalls auf das Ende hin, das ihnen später bevorsteht. Die Unfähigkeit, diese Signale richtig zu deuten und sich vom (selbst)destruktiven Männlichkeitsmodell des Gangsters zu lösen, besiegelt bereits früh ihr Schicksal. Was den klassischen Filmgangster mit den Krisenmännern der Jahrtausendwende eint, die auch wiederholt daran scheitern, ihrem jeweiligen kulturellen Geschlechtsideal gerecht zu werden, weil sie so verzweifelt wie unbeirrt an ihm festhalten, ist »das emphatische Handeln gegen die eigenen Interessen [und] die suizidale Prädisposition, [die] jenen männlichen Masochismus [illustrieren], der in der Diskussion um die ›Krise der Männlichkeit‹ immer wieder problematisiert wird«.234 Als letztes und längstes ›Kapitel‹ der SOPRANOS beginnt die sechste Staffel der Serie mit einer langen Sequenz – montiert zum Song »Seven Souls« der Musikgruppe Material, in dem der Schriftsteller William S. Burroughs aus seinem Romanwerk The Western Lands (1987) liest –, die in der Tradition des Gangsterfilms Handlung und Ende der Staffel verknappt vorwegnimmt. Während in der Sequenz die Protagonisten der weiteren Serienstaffel einzeln vorgestellt werden, verweist Burroughs’ Monolog über den Glauben im antiken Ägypten an die »sieben Seelen« auf die zwei zentralen Themen der noch verbleibenden Folgen der Serie: Tod und Wiederauferstehung.235 Mit dem Ende der Serie droht also auch das Lebensende Tony Sopranos, dem in der sechsten Staffel ein letztes Mal die Möglichkeit einer ›Erlösung‹ aus seinem Gangstermilieu in Form von einschneidenden Erlebnissen geboten wird, die – nicht nur ihn, sondern auch viele andere Figuren der Serie – mit den Grenzen der eigenen Identität und des eigenen (Genre-)Handlungsraums konfrontieren. Gleich mehrere vertraute Figuren der Serie versuchen in der Staffel, aus dem Milieu der Mafia auszusteigen und sich in anderen, fremden (Genre-)Kontexten eine humanere Existenz, eine neue Identität zu erschließen – nur um schließlich wieder gewaltsam zurückgeworfen zu werden. Handelt es sich beim Melodram doch um dasjenige Genre, das dadurch weiter existiert, »dass Wünsche, Sehnsüchte und Phantasien letztlich unerfüllt bleiben«.236 Ein unerwartetes Erbe (Eugene Pontecorvo), ein unfreiwilliges Coming-Out als Homosexueller (Vito Spatafore), ein den eigenen Horizont erweiternder Europatrip (Carmela) oder auch ein albtraumhafter Komatrip an die Grenzen der eigenen Subjektivität (Tony) – trotz all dieser Erfahrungen bleiben sämtliche Figuren der Serie letztlich im Milieu gefangen, kehren unzufrieden zurück oder müssen für den Versuch der Flucht sterben.
do it yourself, and keep on doin’t it.« In LITTLE CAESAR wirft Flaherty am Ende Rico vor, dass er seinen eigenen Idealen nicht gerecht wurde: »Little Caesar contradicted his oft-repeated boast that he could dish it out and take it too.« 234 Sielke: What Crisis, S. 58. Vgl. hierzu auch Kappert: Rekonfigurationen, S. 57. 235 Vgl. Martin: Complete Book, S. 168. 236 Mikos: Familienmuster, S. 223.
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Die Hindernisse sind hier wie so oft im Melodram sozialer Natur, resultieren »aus bestimmten Familienverhältnissen oder den restriktiven Konventionen der Gesellschaft (einer Gesellschaftssicht)«.237 Für die Mitglieder der Soprano-Familie(n) gilt somit wie für die Figuren einer Fernsehsoap: »[those] who leave the protection of the family are unequivocally punished«.238 So scheitert jede Erweiterung der persönlichen Horizonte wie im Melodram immer wieder an den Bindungen der Figuren zu den identitätsstiftenden als auch beengenden Strukturen ihres Milieus. Carmela gewinnt mit ihrem Urlaub in Paris einen besseren Sinn für Kultur und Geschichte,239 und erkennt wie unbedeutend ihre alltäglichen Sorgen vor einem möglichen Ende ihres ausschweifenden Lebensstils als Mafioso-Gattin durch den stets drohenden Tod Tonys im Verhältnis zur Geschichte der Menschheit sind. Nur um dann bei ihrer Rückkehr doch wieder ihrer täglichen Arbeit als Hausfrau nachzugehen und die Wäsche eines weit weniger kultivierten Mannes zu waschen, der sie ständig betrügt (s06e11: »Cold Stones«). Auch für den Mafioso Vito Spatafore, der seine in der Mafia nicht überlebensfähige homosexuelle Identität wie Rico Bandello in LITTLE CAESAR dadurch sublimiert, dass er in den ersten Folgen der Staffel noch beherzt nach der Führungsposition des Dons greift, erschließt sich eine mögliche neue Existenz abseits der Mafia. Seine Flucht nach einem unglücklichen Outing führt Vito fernab vom industriellen New Jersey in das ländliche Dartford, New Hampshire, einer beschaulichen Gemeinde mit freundlichen Einwohnern und toleranterer Atmosphäre, getreu ihrem Staatsmotto: »Live free or die«. In diesem neuen (Genre-)Handlungsraum, der in seiner Idylle für den Mafioso fast surreal wirkt, kann sich Vito in einen anderen Mann verlieben und seine Homosexualität zum ersten Mal offen leben. Handelt es sich doch bei Dartford in Bezug auf das Gangstergenre um eins jener heterotopen Räume im Sinne Michel Foucaults, um »in jeder Kultur, in jeder Zivilisation [gegebene] wirkliche Orte, wirksame Orte, die in die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichnet sind, sozusagen Gegenplazierungen oder Widerlager, tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können. Weil diese Orte ganz andere sind als alle Plätze, die sie reflektieren oder von denen sie sprechen, nenne ich sie im Gegensatz zu den Utopien die Heterotopien.«240
237 Neale: Melodram und Tränen, S. 155. 238 Modleski: Search for Tomorrow, S. 452. 239 Von Carmelas verträumten Blick auf die Pariser Skulpturen schneidet die Folge ins schmutzige, postindustrielle New Jersey, wo Silvio das Bada Bing!-Bild einer Stripperin säubern lässt: »Make sure you clean that shit off her tit!«. 240 Michel Foucault: »Andere Räume«, in: Karlheinz Barck/et al. (Hg.): Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig: Reclam 1992, S. 34-46, hier S. 38.
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Die auf einmal offen gelebte Homosexualität bringt es jedoch auch mit sich, dass sich das homoerotische Begehren keine Umwege mehr über besonders intensive Männerfreundschaften nehmen muss. Enttäuscht muss Vito feststellen, dass er sein früheres Leben in der Gang nicht in diese Welt hinüberretten kann, in seinen neuen homosozialen und auch homosexuellen Freundeskreis, der es lieber vorzieht, frühen Feierabend zu machen (Vito: »Back where I come from the night’s just started«, s06e10: »Moe n’ Joe«). Mit der Beziehung zu dem attraktiven Koch und Feuerwehrmann Jim versucht sich Vito wie einst die besten Freunde klassischer Filmgangster sich anstatt des skrupellosen Genusslebens des Gangsters einem bürgerlichen Leben zuzuwenden und einer regulären Arbeit als Handwerker nachzugehen. Doch wie bereits Tony Blundetto, der als Ex-Häftling in der fünften Staffel versucht, den exzessiven Lebensstil des Mafioso mit der mühsamen Routine einer Arbeitsstelle zu vereinbaren, scheitert auch Vito daran, sich von seinen früheren Gewohnheiten zu trennen. Nachdem er versucht, sich an seine Vergangenheit zumindest auf kulinarischem Wege zu erinnern, indem er für Jim ein italienisches Essen zubereitet (»Fucking miss this shit, I gotta say!«), bricht er am nächsten Morgen unter Tränen nach New Jersey auf, um dort zu seinem früheren Leben zurückzukehren. Bevor man ihn und sein typisch melodramatisches Schicksal aber zu sehr bemitleidet, erinnert die Serie den Zuschauer noch einmal daran, dass es sich bei ihm trotz all seiner emotionalen Identitätsprobleme immer noch um einen kaltblütigen Mörder handelt. Auf dem Weg in seine Vergangenheit fährt Vito mit seinem Auto einen anderen Wagen an und, um jegliche Unannehmlichkeiten zu vermeiden, erschießt er den Besitzer von hinten in den Kopf. Als er Jim später von Jersey anruft, wo er vorgibt, wieder heterosexuell zu sein, die »Krankheit« überwunden zu haben, und wieder Anschluss an seine Familie und an seine Crew sucht, stellt Jim schließt ganz richtig: »It was the fucking life you couldn’t live without. The gambling, the money, who knows what else?« (s06e11: »Cold Stones«). Ein Motiv, das sich in fast all diesen ›Reisen ins Ich‹ findet, ist ein Licht am Horizont, das sich verlockend wie bedrohlich von rechts nach links bewegt. In »Join the Club« (s06e02) erscheint das Licht erstmals am Horizont von Costa Mesa als das Signal eines Leuchtturms in Tony Sopranos Komatrip, in den er nach einem fehlgeschlagenen Mordanschlag auf seine Person fällt. Tony imaginiert sich darin als ein gewöhnlicher Geschäftsmann, der in einer Bar seinen Arbeitskoffer versehentlich mit dem Koffer eines anderen Mannes vertauscht. Der Identitätsverlust, den er dadurch erleidet, befanden sich im Koffer doch alle seine lebenswichtigen Ausweis- und Geschäftspapiere (»My life’s in that case.«), wird durch einen späteren Alzheimerbefund verschlimmert, der ihm nach einem Treppensturz diagnostiziert wird (»I’m not going to know myself soon. […] I’m lost.«). Seine verzweifelte Suche nach seinem unbekannten Doppelgänger führt Tony in eine Identitäts- und Sinnkrise (»I mean, who am I? Where am I going?«), die ihn auch nach seinem Erwachen aus dem Koma beschäftigt. In seinen Gesprächen im Krankenhaus mit einem pensionierten Physiker, der ihm mit der Schrödingerglei-
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chung erklärt, dass alles miteinander verbunden sei und es kein Ereignis und keine Daseinsform losgelöst von ihrem Umfeld geben könne, findet Tony zu einer umfassenderen Weltsicht, die ihn zumindest anfangs von dem selbstdestruktiven Egoismus klassischer Filmgangster befreit. Mit der Entlassung aus dem Hospital entscheidet er sich für ein neues, besseres Leben: »From now on, every day is a gift« (s06e04: »The Fleshy Part of the Thigh«). Doch bereits wenige Folgen später, in »The Ride« (s06e09), gesteht Tony der Therapeutin: »You know my feelings. Every day is a gift. It’s just… does it have to be a pair of socks?«. Nach einem aufregenden Raubüberfall, an dem er zu Anfang der Folge unerwartet teilnahm, fühlt er sich besonders gelangweilt von seinem Alltag als suburbaner Familienvater. Der Wein, den er beim Überfall geklaut und der ihm darauf ganz wunderbar gemundet hatte, schmeckt ihm schon einige Tage später daheim nicht mehr so gut: »I was just thinking, it lost some of its, I don’t know, pop.« Er vertreibt sich darauf die Zeit damit, seiner Kaffeemaschine beim Mahlen zuzuschauen und wundert sich über die vielen Menschen, die es lieben, auf »rides,« auf Kirmeskarussells zu steigen, um ihrem drögen Alltag zu entkommen: »All these people are lined up for this shit, the kids, adults, families […] they pay money so they can almost puke. They scream, they yell. […] They’re bored.« Auch Tony vermisst immer mehr die Aufregung, die Abwechslung und das Gefühl von Abenteuer, das er auf seinen ›rides‹ als Gangster findet, und bei sich daheim vermisst. Am Anfang von »Live Free or Die« (s06e06) versucht er noch die Stille seines heimischen Gartens zu genießen, wird dabei aber von dem ständigen Rattern einer defekten Belüftungsanlage gestört. Er versucht zuerst ruhig und lächelnd, das Problem zu lösen, verliert aber nach mehreren Versuchen seine Geduld und wird gewalttätig gegen die Maschine. Die Szene, die in ihrer wortlosen Komik an den Slapstick Oliver Hardys erinnert, ist die erste von mehreren Situationen, in der Tony versuchen wird, ein bewussteres, sanftmütigeres Leben zu führen, aber sich von den kleinen Irritationen des Alltags davon oft abbringen lässt, weil, so Tony, »regular life’s got a way pickin’ away at it. Your house. The shit you own. It drags you down.« Tony versucht sich darüber hinaus auch in maßvoller Zurückhaltung und Enthaltsamkeit in seinem Konsumverhalten und seiner Untreue gegenüber seiner Frau (Dr. Melfi: »You don’t have to eat every dish of rigatoni. You don’t have to fuck every female you meet.«, s06e12: »Kaisha«), nur um dann kurze Zeit später doch wieder in seine alten Gewohnheiten zurückzufallen als unersättlicher Konsummensch. Schlimmer noch, er wird zu dem »degenerate gambler«, der ihm stets verhasst war und vor dem ihn sein Vater immer gewarnt hat (s06e16: »Chasing It«). In den letzten Folgen der Serie verspielt er mit seinem immer jähzornigeren und brutaleren Verhalten dann auch die Sympathien der Figuren, die ihm bislang relativ loyal zur Seite standen, von seiner Therapeutin bis zu seinem jüdischen Ratgeber Hesh. Die Paranoia, die Michael Corleone in THE GODFATHER, PART II herumtreibt, belastet auch Tony, der die Loyalität seiner Untergebenen zunehmend in Frage stellt: »I don’t know. I look at my key guys. Paulie, Chris, my bro-
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ther-in-law, what’s number one on their agenda, you know? They’re all fuckin’ murderers for chrissakes.« (s06e16: »Chasing It«). Er erwägt die Ermordung eines womöglich untreuen ›Familienmitglieds‹, weil er dessen Eigenarten nicht mehr ausstehen kann und weil er für ihn zu sehr die Vergangenheit verkörpert, von der sich Tony inzwischen zu lösen versucht (Paulie in »Remember When«, s06e15). Er erteilt einem anderen Untergebenen einen Mordauftrag, um ihn verletzlicher zu machen vor dem Gesetz (Bobby in »Soprano Home Movies«, s06e13). Und schließlich bringt er in »Kennedy and Heidi« (s06e18) seinen eigenen drogenkranken Neffen Christopher um, als ihm sich bei einem Autounfall dafür eine unverhoffte Möglichkeit bietet. Das Licht am Horizont aus seinem Costa-Mesa-Komatrip erscheint am Anfang und am Ende von der Folge »Kennedy and Heidi« (s06e18) wieder. Tony sieht es das erste Mal, als er nach seinem Mord an Chris von dem Autowrack in einer Straßengrube sitzend hochblickt und das grelle Licht eines vorbeifahrenden Wagens sieht, das sich von rechts nach links bewegt. Das zweite Mal erscheint ihm dieses Licht, als er im Drogenrausch in der Wüste von Nevada steht und bei seinem Blick in die untergehende Sonne ein Flackern darin zu erkennen glaubt, das ihn an jenes Licht aus Costa Mesa erinnert. Jubelnd und weinend schreit er darauf: »I get it. I get it.« Tony glaubt nun zu wissen, was die ›Signale‹ bedeuten, die er die Staffel über zu sehen bekam. Er hält sich für unverwundbar, für ein Glückskind. Doch, wie so oft, handelt es sich um eine Fehllektüre. Alle metaphysischen und auch intertextuellen ›Zeichen‹ deuten auf seinen nahenden Tod in der letzten, bereits vielerorts in der Forschung detailliert besprochenen Szene von »Made in America« (s06e21).241 Die Frage ist also nicht, ob Tony Soprano mit dem ›tödlichen‹ Schnitt zum Schwarzbild, mit der die Serie endet, stirbt, sondern was die Ambiguität der letzten Szene über die Genre-Hybridität der Serie sagt. Wenn auch sich das Figurenensemble der SOPRANOS wie »in der Familienserie dynamisch entwickelt, gewissermaßen entlang der Handlungen der Protagonisten und ihrer Serienbiographie«, ist sie wie »in den Sitcoms [als] statisch« zu beschreiben, »d.h. die Personen sind auf wenige, oft gegensätzliche Charakterklischees festgelegt, aus deren Spannung sich die einzelnen Episoden ergeben«.242 Nur wenige der Figuren machen über die sieben Staffeln der Serie nachhaltige Veränderungen durch, »[most of them entrapped in] modes of behavior and attitude they can never really get out of«.243 Während man das Erwachsenwerden der Soprano-Kinder, ihre vielen physischen
241 Für die umfassendste Zusammenstellung der inter- und intratextuellen ›Signale‹ der Serie dafür, dass Tony Soprano am Schluss der Serie erschossen wird, vgl. die Anmerkungen auf http://masterofsopranos.wordpress.com/, l.A.: 01.03.11. Vgl. hierzu ebenso Frank Kelleter: »Populärkultur und Kanonisierung: Wie(so) erinnern wir uns an Tony Soprano?«, in: Matthias Freise/Claudia Stockinger (Hg.): Wertung und Kanon, Heidelberg: Winter 2010, S. 55-76. 242 Mikos: Fernsehfamilien, S. 207. 243 Polan: Sopranos, S. 60.
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und sozialen Veränderungen miterleben kann, werden die Erwachsenen der Serie zwar älter, aber nicht klüger. Wie in einer Soap begehen sie von Folge zu Folge Fehler, lernen etwas dazu, nur um dann in der nächsten Folge wieder denselben Fehler zu machen.244 Eine Entwicklung, wie sie der Protagonist im Rise-and-Fall-Narrativ des klassischen Gangsterfilms durchmacht, ist also nicht zu erkennen. Weshalb die Ankündigung HBOs von der letzten Staffel der SOPRANOS bei Kritik und Forschung auch die Frage aufwarf, wie die Fernsehserie, die strukturell weder ein Ende, noch einen Anfang hat,245 und weder von Tony Sopranos Aufstieg, noch von dessen Fall, sondern nur von seinem Alltag, von seinen kleinen wie großen Triumphen und Niederlagen handelte, im Verhältnis zu ihrem intermedialen Ursprungsgenre aufhören würde, ohne konventionell zu enden. Im klassischen Erzählkino Hollywoods nimmt das Ende eines Films eine besondere Stellung als letzter Kommunikationsakt eines Textes an seinen Rezipienten ein, »[that] allows for, or even demands, the viewer’s reconsideration of prior motifs or events, [serving as] a dynamic location for meaning acquisition and the testing of spectating assumptions«.246 Erst die retrospektive Lektüre des Films bringt so jene Textsignale in den Blick, die auf das Ende hindeuteten, und bestätigt oder unterläuft so die Erwartungen der Zuschauer.247 Ein Filmgenre, das sich der Konvention entzieht, ist neben dem Film Noir das Melodram, »[which has to] end in such a way as to ›refuse‹ closure, [for it] cannot contain the excess of meaning produced in the course of the film, cannot solve all the conflicts«.248 Auch für die Soap, die in dieser Tradition steht, gilt in der Regel: »the enigmas proliferate«.249 THE SOPRANOS gehören somit zu jenen Texten, »welche die Fiktivität des Abschlusses aufdecken und die Unabschließbarkeit in sich aufnehmen, sich damit abfinden, daß sie irgendwo irgendwie aufhören. Die in diesen Texten eingestandene Unmöglichkeit, alles in Ordnung zu bringen, rückt sie in die Nähe jener anderen, sich als fertig ausgebenden Texte, deren scheinbar endgültige Ordnung in der Textbeziehung gestört wird und als endlos herzustellende nie verfügbar wird, solange der Kontext wächst.«250
Mit ihrem offenen Ende literalisiert die Serie also das Gesetz der Serie, das auch den Genrefilm bestimmt: Jeder neue Genrebeitrag reinszeniert dieselbe Geschichte, dasselbe Milieu und/oder denselben Protagonisten. Das zu wi-
244 Thompson: Storytelling, S. 59. 245 Vgl. Fiske: Television Culture, S. 144f.. Vgl. hierzu auch Modleski: Search for Tomorrow, S. 461. 246 Richard Neupert: The End. Narration and Closure in the Cinema, Detroit: Wayne State UP 1995, S. 31. Vgl. dazu auch Hayward: Key Concepts, S. 46. 247 Vgl. Neupert: The End, S. 11, 31. 248 Klinger: Progressive Genre, S. 83. 249 Modleski: Search for Tomorrow, S. 448. 250 Frey: Der unendliche Text, S. 12
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dersprüchlichen Lesarten anregende Ende erhält nicht nur den Gangster als populäre Reflexionsfigur, sondern auch Tony Soprano als eine genrehistorisch bedeutende Fernsehfigur in der Tradition seiner filmischen Vorläufer.
Der Familiendiskurs des amerikanischen Gangstergenres THE SOPRANOS als Family Melodrama
Die letzte Folge einer SOPRANOS-Staffel endet in der Regel mit einer ›Familienszene‹. Alle wichtigen, noch lebenden Figuren der Serie, Mitglieder der Soprano-Kernfamilie, nicht selten aber auch Angehörige des weiteren italoamerikanischen, vornehmlich mafiösen Familien- und Freundeskreises werden ein letztes Mal zusammengeführt, ob nun zu einem Abendessen, einem Familienfest oder – keine Seltenheit in einem Mafiaclan – einer Beerdigung. Auf dem ersten Blick mag es sich bei diesen Schlusssequenzen wie bei den Staffelenden konventioneller US-Familienserien1 um das harmonische Beisammensein einer Familie handeln, die für einen Moment innehält, um sich von den gemeinsam durchgestandenen interpersonalen Konflikten der vergangenen Staffel zu erholen.2 Das Wissen der Zuschauer um die Zugehörig-
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Als einige von vielen möglichen Beispielen für populäre amerikanische Familienserien seien folgende Titel genannt: THE ADVENTURES OF OZZIE AND HARRIET (1952-1966, C: Ozzie Nelson, ABC), LITTLE HOUSE ON THE PRAIRIE (1974-1982, C: Ed Friendly, NBC), THE WALTONS (1972-1981, C: Earl Hamner, Jr., CBS) sowie THE BRADY BUNCH (1969-1974, C: Sherwood Schwartz, ABC). Im Unterschied zu neueren US-Fernsehserien mit ihrem Faible für finale überraschende Wendungen dient die Schlussszene einer SOPRANOS-Staffel selten als dramaturgischer Höhepunkt oder ›Cliffhanger‹, eher als Epilog zu ihrem jeweiligen story arc, das sich über mehrere Folgen oder gar Staffeln erstrecken kann. Der ›Cliffhanger‹ bezeichnet das offene Ende einer dramatischen Plotwendung, die erst in der nächsten Folge oder Staffel der Seriennarration aufgeklärt wird: eines der berühmtesten Cliffhanger der Fernsehhistorie ist die Frage »Who shot J.R.?«, die die Presse vor Beginn der 4. Staffel von DALLAS (1978-1991, C: David Jacobs, CBS) beschäftigte. Die Erzählstrategie wird in der Regel mit Soaps assoziiert, findet sich aber auch in zeitgenössischen, melodramatischen Actionserien wie ALIAS (2001-2006, C: J.J. Abrams, ABC) und 24 (2001-2010, C: Joel Surnow/Robert Cochran, FOX), deren Dramaturgie viele Cliffhanger aufweist.
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keit der Sopranos zu einer kriminellen Organisation, die nicht nur ihren Upper-Middle-Class-Wohlstand finanziert, sondern auch bedrohlich über ihre weitere Zukunft hängt, und die symbolträchtige Mise-en-scène, die dieses Wissen wiederholt aktiviert, verleihen den verdächtig belanglosen Familienszenen jedoch eine Bedeutungsebene, die das Familienglück merklich ironisiert. Wie die US-Familienmelodramen der 1950er endet die letzte Folge einer SOPRANOS-Staffel – bis auf zwei Ausnahmen3 – also auch mit einem trügerisch perfekten Familienporträt. Die über die vergangenen Folgen mitunter dramatisch ausgetragenen, hier nur noch subtil wahrnehmbaren Konflikte zwischen den einzelnen ›Familienmitgliedern‹, ihre mehrdeutigen Blicke, Gesten und Dialoge, ihre ›bedeutungsschwere‹ Verortung in der televisuellen Diegese und die kommentierende Montage der Bild- und Ton-Elemente durch den Einsatz eines Songs auf dem Soundtrack, der nicht ganz zu der idyllischen Szenerie passt, stellen die hochritualisierte Inszenierung einer intakten Gemeinschaft wiederholt kritisch in Frage. Wie im Filmmelodram, »[there is a] combination of »excessive« narrative problems encountered during the [narrative] and [a] manner in which elements of the mise-en-scène undercut the affirmative ending […], [which] disturb the harmonizing tendencies of closure. The strong sense of irony or desolation [of] these generic endings questions the achievement of ›containing‹ closure and imparts a rather hollow victory to this convention.«4
Als ›doppeltes Familienoberhaupt‹ steht Tony Soprano in der Regel im Mittelpunkt der Familientreffen, ist aber nur auf dem ersten Blick der souveräne Protagonist für den man ihn angesichts dieser happy endings halten mag. So stimmt es, dass die erste Staffel, die im Unterschied zu den folgenden, weniger gradlinig strukturierten Staffeln der Serie noch auf einer ursprünglichen Filmidee von David Chase basiert, in erster Linie erzählt, wie sich Tony von dem Einfluss seiner Mutter, von einer ›weiblichen‹ Irritation seiner Identität befreit und zu einem sicheren, ›männlichen‹ Selbstbild findet, »[i.e., that the show f]or all its radical elements, for all its revisionary moves, in the end […] cannot help but celebrate that most powerful of mythic figures: the male as coherent subject, the male as the self-validated hero of his own story«.5 Diese kritische Lektüre der Schlussszene von »I Dream of Jeannie Cusamano« (s01e13), der letzten Folge der ersten Staffel, in der Tony mit Frau und Kindern im Nuovo Vesuvio diniert und mit ihnen auf die seines Erachtens so seltenen und deshalb kostbaren Glücksmomente anstößt, nimmt aber nur die
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In der letzten Folge der 4. Staffel, »Whitecaps« (s04e13), ist die Soprano-Kernfamilie durch den Ehekrieg der Eltern innerlich so zerrüttet, dass Tony auszieht. In der letzten Folge der 5. Staffel, »All Due Respect« (s05e13), kehrt er wieder ins Familienhaus zurück, die profitorientierten Verhandlungen, die dazu geführt haben, sind allerdings nicht unbedingt ein Anlass für eine große Familienfeier. Klinger: Progressive Genre, S. 83. Walker: Cunnilingus and Psychiatry, S. 121, vgl. auch ebd. S. 114.
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Inszenierung einer intakten Familieneinheit durch ihre durchweg skeptisch blickenden Familienmitglieder wahr und nicht die sich in der formalen Gestaltung der Szene bereits abzeichnende Gefahr, die das kriminelle Geschäft des Vaters – vertreten durch die Mitglieder seiner Organisation, die ihn von den umliegenden Tischen grüßen – für seine so verehrte Kernfamilie birgt. Ist es in dieser Staffel noch ein geradezu prophetisch anmutender Sturm, der um das Lokal wütet und zum Stromausfall führt, bevor die dunklen, rastlosen Klänge von Bruce Springsteens schwermütig-ironischer New-JerseyHymne »State Trooper« über dem Abspann erklingen, ist zum Schluss der letzten Folge der zweiten Staffel, »Funhouse« (s02e13), bereits das korrupte Fundament zu erblicken, auf dem das Familienglück basiert. Zum Ende einer zu Keith Richards’ elegischer Rockballade »Thru and Thru« montierten Sequenz, in der eine aufwendige, ausgelassene High-School-Abschlussfeier im Soprano-Haus den illegalen Einnahmequellen dieser Familie gegenübergestellt wird, steht Tony wieder einmal sehr souverän im Wohnzimmer und raucht seine mächtige Zigarre. Doch die letzte Einstellung der Staffel, zu der die Folge von diesem Bild hinüberblendet, ist eine, in der die Wellen zu den pistolenschussgleichen Takten des Keith-Richard-Songs an die Atlantikküste von New Jersey prallen und unheilvoll an das ›Familienmitglied‹ ermahnen, das Tony für die doppelte familiäre Machtstellung kurz zuvor im Meer ›entsorgen‹ musste. In »Army of One« (s03e13) zeigen sich dann die ersten Risse im Familienbild, als eine ›geschäftspolitische‹ Entscheidung der Mafia zum Mord an einem Mitglied der ethnischen Enklave führt. Nach weiteren internen Konflikten löst sich die Kernfamilie am Ende von »Whitecaps« (s04e13) komplett auf, um dann in »All Due Respect« (s05e13) aus ökonomischen Gründen wieder zusammenzukommen. Die erste Hälfte der letzten Staffel endet schließlich mit einer prunkvollen, aber seltsam frostigen Weihnachtsfeier im Soprano-Haus (»Kaisha«, s06e12) und das Serienfinale »Made in America« (s06e21) mit einem gemeinsamen Abendmahl in einem Diner, in der die Bedrohung, der die Kernfamilie durch die kriminellen Taten des Vaters ausgesetzt ist, erstmals verdächtig konkrete Ausmaße annimmt. Trotz dieser ambivalenten Staffelenden scheint die eigentliche Stabilität der familiären Strukturen jedoch zu keiner Zeit in ernstlicher Gefahr: »[For] while the season-ending closeness of Tony and his immediate family may [be] ironic, [it is] no illusion: […] at least this family sits down to eat dinner together every night. And that goes for Tony’s work family too«.6 Regelmäßig durchgeführte Familienrituale wie das Zubereiten und der Verzehr von Essen nehmen als identitäts- und gemeinschaftsstiftende Alltagshandlungen7
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Joyce Millman: »We are family«, in: Salon, unter: http://archive.salon.com/ent/ col/mill/2000/01/14/sopranos/ index.html, l.A. 01.03.11. Vgl. Roland Hauri/Christoph Morgenthaler: »Familienrituale – theoretische Eckpunkte, in: dies. (Hg.): Rituale im Familienleben. Inhalte, Formen und Funktionen im Verhältnis der Generationen, München/Weinheim: Juventa 2010, S. 3748, hier S. 38f., 43, 45.
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also eine ›Kernrolle‹ im Familiendiskurs der Serie und des Gangstergenres ein, »providing a reliable form of ›social cement‹«.8 Mit Essen kommunizieren die Figuren ethnische Zugehörigkeit und familiäre Loyalität,9 vergewissern sich kultureller Traditionen und ethnischer Selbstbilder,10 bedienen aber zugleich auch das Klischee des Italoamerikaners im US-Mainstreamfilm als stereotypen Familienmenschen und sinnlichen Genussmenschen, der immer wieder beim Essen oder in der Nähe von Nahrungsmitteln inszeniert wird.11 Die örtlichen und zeitlichen Koordinaten dieser Rituale bilden dabei die imaginäre ›Bühne‹, auf der das ›doing family‹ anhand einer Anordnung von Körpern und der Kommunikation von Verwandtschaftshierarchien wie -verhältnissen durchgeführt wird.12 Diese rituelle Performanz der Familie durch ästhetisch und aisthetisch ausgerichtete Inszenierungen, die in ihrem »charakteristischen Bedeutungsüberschuß [jede] zweckrationale[] Ausrichtung« von Alltagspraktiken übersteigt,13 erfährt in der Darstellung italoamerikanischer Mafiafamilien in Film und Fernsehen eine weitere Steigerung, »[since the mob] dramatizes itself according to certain ritual scriptings of behavior and expresses itself in ›scenes,‹ it stands as the Other family – the exaggerated, hypercoded, ever-affiliating archfamily«.14 Den Familienfeiern kommt in der Handlungswelt der SOPRANOS zudem die soziokulturelle Funktion zu, die Familie als ein intaktes System zu perpetuieren: Die theatralen Feste mit ihren üppigen Banketts15 sollen über die tiefen Risse im perfekten Familien-
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Poole: Reel Meals, S. 3. Vgl. auch Bower: Watching Food, S. 7. Ein gestörtes Verhältnis zu ihrer italoamerikanischen Familie zeigt sich bei den Figuren der SOPRANOS daher meist in ihrer Abscheu gegenüber dem ethnischen Essen der Angehörigen, z.B. wenn die bulimische Tochter von Johnny Sack bei der Hochzeitsvorbereitung in »Mr. & Mrs. John Sacrimoni Request« (s06e05) klagt: »Jesus, can we ever talk about anything in this family besides food?« und wenn Chris, als er sich überlegt, die Mafia für eine vielversprechende Karriere in Hollywood zu verlassen, in »D-Girl« (s02e07) vor Tony, Carmela und Adriana das Restaurant verlässt und wütend schreit: »Enough! I’m so sick and tired o’ hearin’ you people talk about food, food, food! That’s all anybody ever talks about is proscuitto, cheese, and fuckin’ fava beans. I’m, I’m drownin’ here!« Vgl. Santos: Food and Family, S. 209f. Vgl. dazu auch Poole: Reel Meals, S. 1; und Fahy: Dish of Rigatoni, S. 75. Vgl. D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 592, 623. Vgl. hierzu auch Fahy: Dish of Rigatoni, S. 86. Vgl. Hauri/Morgenthaler: Familienrituale, S. 39, 42, 45. Vgl. dazu auch Murray Pomerance: »The Look of Love: Cinema and the Dramaturgy of Kinship«, in: ders. (Hg.): A Family Affair. Cinema Calls Home, London: Wallflower 2008, S. 293-303, hier S. 299. Vgl. Hauri/Morgenthaler: Familienrituale, S. 41-43. D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 622f. Vgl. ders.: Cultural Lexicon, S. 754. Gaye Poole historisiert das Theatralische familiärer Essenrituale: »[The] notion of meals as staged events and the performative aspects of the staging of dinners
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bild hinwegtäuschen und nach innen wie außen Einklang und Geschlossenheit vermitteln. Wie die in der Regel spektakulär gestalteten Familienszenen der GODFATHER-Trilogie sind auch die der SOPRANOS somit vor allem eines: »carefully ›staged,‹ painterly, […] designed to imprint themselves upon [the viewer’s] memory«.16 Die Szenen verweisen so nicht nur auf die Rolle, die die Familie, »as the primary locus of the passing on of culture traits from generation to generation«,17 in der italoamerikanischen Enklave spielt, sondern auch auf die Familie als Regelwerk und Legitimation für die Erhaltung ethnisch markierter Rituale und Traditionen, die für die mafiöse Subkultur eine nach innen einigende und nach außen abgrenzende Funktion erfüllen.18 Die Inszenierung und Wiederholung von Familienritualen, mit der sich die biologische Familie als eine soziokulturelle Funktionsgemeinschaft vergewissert, erheben die Familie in Film und Fernsehen zu einem »dramaturgical construct«, das in seiner Konstruiertheit mit anderen sozialen Gruppen vergleichbar ist, die sich aus unterschiedlichen Motiven zusammengeschlossen haben.19 Mit Verweis auf Jacques Lacan kann man die Familie als Anordnung symbolischer Positionen erfassen, die nicht an die Personen gebunden bleiben, sondern soziokulturelle und psychische Funktionen bezeichnen und Idealbilder kommunizieren, deren Erfüllung per Definition unmöglich ist.20 Soziokulturelle Positionen wie ›Vater‹, ›Mutter‹, ›Tochter‹ und ›Sohn‹ sind ›familiäre Signifikanten‹, die erst in der Reziprozität der Familienmitglieder bedeutend werden und dazu beitragen, den patriarchalen Diskurs der westlichen Kernfamilie zu perpetuieren.21 Die tragische Kluft zwischen diesen symbolischen Positionen und den jeweiligen Subjekten, die fortwährend daran scheitern müssen, diese auszufüllen, bildet das emotional-dramatische Zentrum des Familienmelodrams – »[which poses] the question of an entry into the symbolic order, or resistance and final capitulation to the Symbo-
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[derives from] the past where banquets were theatrical events with processions and non-dining spectators, and seating was on one side of the table only (the other open to enable diners to watch the performance)« (Reel Meals, S. 3f.). Greene: Operatics of History, S. 391. Irvin L. Child: Italian or American? The Second Generation in Conflict, New York: Russell & Russell 1970, S. 44. Vgl. hierzu auch Francis: Interethnic Relations, S. 230, sowie Cashmore: Ethnicity, S. 143. Vgl. Ferraro: Blood in the Marketplace, S. 180. Vgl. hierzu auch Camon: Mythology, S. 57. Vgl. Pomerance: Dramaturgy of Kinship, S. 294. Murray Pomerance versucht Film- und Fernsehfamilien ferner nach ihrer ›Glaubwürdigkeit‹ zu kategorisieren, »since family membership must be demonstrated in order to be in play« (ebd. S. 295). Doch die Konstruiertheit aller Familien macht eine Unterteilung in die »perfect«, »false« und »implicit family‹ (ebd. S. 295-301) oft redundant. Vgl. Katja Silverman: The Subject of Semiotics, Oxford: UP 1983, S. 182. Vgl. ebd. Und vgl. hierzu auch Hauri/Morgenthaler: Familienrituale, S. 41.
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lic«.22 Die restriktiven Rollenvorgaben und familiären Strukturen des Symbolischen finden dabei vor allem in der klaustrophobischen Mise-en-scène des Melodrams Ausdruck, in der das repressive Middle-Class-Familienhaus als eine Art soziales Gefängnis für die leidenden Figuren inszeniert wird23: »[Hence, in melodrama, the] social sphere of the family provides a ready-made dramatic personae of characters whose relations are by very definition overdetermined and overlaid with tension and contradiction, destined to act out Oedipal drama, generational conflict, sibling rivalry, the containment and repression of sexuality. The family is the socially accepted road to acceptable normality, an icon of conformity, and at one and the same time, the source of deviance, psychosis and despair.«24
Die graduelle Zersetzung der Mafiafamilie im Gangstergenre vollzieht sich wie die der bürgerlichen Familie in den Melodramen Douglas Sirks – »[with their] skepticism towards ›appearances‹ in life«25 – in der Wiederholung von immer mechanischeren, für die unglücklichen Familienmitglieder mühsameren Ritualen, »[since the family, as representative of the ruling class, is] sustained only by pretence, and therefore has to live by ritual.«26 Die ›natürliche‹ Inszenierung der Familie im amerikanischen Mainstreamfilm wird im Melodram somit als Inszenierung bloßgestellt und durch die defizitäre Performanz der Mitglieder ständig gefährdet.27 Das gilt ebenso für die SopranoFamilienszenen wie für die sich an derselben Stelle in ihrer sich ähnelnden Dramaturgie wiederholenden Familienfeiern der GODFATHER-Serie: »[They] punctuate[] and accent[] the sense of decline […]. The first scene showing a family united and at peace […] is the standard by which we judge, and lament, each successive reunion which reveals the growing decay in family bonds«.28 Das heitere, ausgelassene Hochzeitsfest, das die Kinoreihe eröffnet, ist trotz sich bereits abzeichnender Spannungen zwischen den Corleones
22 Lang: American Film Melodrama, S. 19. Vgl. dazu auch Nowell-Smith: Minnelli and Melodrama, S. 73. Das Melodram ließe sich insofern auch als GenreInversion der Gesellschaftskomödie lesen: »Whereas the characters of romantic or screwball comedies scoff at social decorum and propriety, in melodrama they are at the mercy of social conventions; whereas the comedies integrated the anarchic lovers into a self-sufficient marital unit distinct from their social milieu, the melodrama traces the ultimate resignation of the principals to the strictures of social and familial tradition.« Schatz: Hollywood Genres, S. 222. 23 Vgl. Mulvey: Inside and Outside the Home, S. 74. Vgl. hierzu auch Elsaesser: Family Melodrama, S. 371f. 24 Mulvey: Inside and Outside the Home, S. 73f. Vgl. hierzu auch Brooks: Melodramatic Imagination, S. 35. 25 Willemen: Distanciation, S. 29. 26 Halliday: All That Heaven, S. 65. 27 Vgl. Klinger: Progressive Genre, S. 81. 28 Greene: Operatics of History, S. 395.
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noch als sehr harmonisch zu beschreiben, »suffused [as it is] with rustic gemeinschaft [and] good-hearted peasants«.29 Die aufwendige, aber ungleich verkrampftere Kommunionsfeier, die am Anfang des zweiten Films steht, ist hingegen aber schon merklich belastet durch die innerfamiliären Konflikte, die auf den Mangel einer von allen Familienmitgliedern respektierten, vermittelnden paternalen Instanz zurückgeführt werden kann. Auf der Feier zur Verleihung des vatikanischen Ordens an das Familienoberhaupt, mit der der dritte Film beginnt, zeigt sich die stetig anwachsende Familie darauf wieder fröhlich und ungewohnt scherzhaft im Umgang, doch sie ist bereits in miteinander kämpfende Fraktionen zersplittert, die nur mit Mühe vom amtsmüden, seiner Legitimation beraubten Patriarchen zusammengehalten werden. Dieser thront nicht mehr auf dem väterlichen Sessel, sondern versinkt darin. Die Familienfeiern der GODFATHER-Reihe dienen wie im Familienmelodram der 50er auch dazu, die Familie als kapitalistische Arbeits- und Funktionsgemeinschaft darzustellen und interne wie externe Gefahren für ihr Bestehen vorzustellen.30 Sind Familienfeste doch stets auch Gelegenheit für die Mafiosi sich unter einem Vorwand zu organisieren und mit anderen ›Familien‹ Allianzen einzugehen, die dann die mafiösen Spannungen der Handlung bestimmen.31 Solange sich die Familien dabei wie bei der Hochzeitsfeier aus dem ersten Film in voneinander strikt getrennten Räumen aufhalten (konspiratorisch untereinander flüsternde Männer im geschlossenen Büro, singende Frauen und spielende Kinder im Garten), ist die Stabilität beider ›Familien‹ gesichert. Jede Reinszenierung läuft aber auch Gefahr, dass sich die Familien gegenseitig durchdringen werden. So wird im Anschluss an die Feier, mit der der zweite Film beginnt, Michael Corleones eheliches Schlafzimmer zu dem Tatort eines Mordattentats – eine undenkbare Transgression der mafiösen Trennung von Geschäft und Familie, von »business« und »personal«.32 Während sich im dritten Film die Störung bereits auf dem Fest ereignet, als
29 Peter Biskind/Barbara Ehrenreich: »Machismo and Hollywood’s Working Class«, in: Donald Lazere (Hg.): American Media and Mass Culture. Left Perspectives, L.A./Berkeley/London: California UP 1987, S. 201-215, hier S. 207. 30 Vgl. Schatz: Hollywood Genres, S. 227. Vgl. hierzu auch Nowell-Smith: Minnelli and Melodrama, S. 71. 31 Vgl. D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 578. 32 Michael zürnt in einer späteren Szene: »In my home! In my bedroom where my wife sleeps«, und fährt dann gefasster fort: »Where my children come and play with their toys. In my home.« Die Gleichsetzung seiner Person mit dem Haus, das er nicht schützen konnte, ähnelt einer Szene aus Sam Peckinpahs STRAW DOGS (USA 1971), in der die Hauptfigur ein ähnliches männliches Selbstverständnis formuliert: »This is where I live. This is me. I will not allow violence against this house.« Beide Szenen sind dabei nicht ohne Ironie: Während sich der Protagonist aus STRAW DOGS mit seinem Heim identifiziert, das ihm nicht gehört, ist Michael selbst derjenige, der sein Haus für die Gangster geöffnet hat, die es dann bedrohen und zu einem Gefängnis für seine Bewohner umgestalten.
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Connie sich anstrengt, es ihrer Mutter aus dem ersten Film gleichzutun und die ethnische Enklave mit dem italienischen Volkslied »Che la luna« zu einen – und dabei von einem Mafioso aus dem Takt gebracht wird, der es sich erlaubt, so auf die kriminellen Gäste in ihrer Mitte aufmerksam zu machen. Die ambivalente Darstellung der Familie in THE SOPRANOS ließe sich zurückführen auf das für die GODFATHER-Reihe konstitutive Oszillieren zwischen dem wehmütig-sentimentalen Tribut und der ironisch-distanzierenden Kritik an der ethnisch exklusiven Großfamilie. Es handelt sich dabei um eine Ambivalenz, die für das New Hollywood-Kino der 1960er und 70er Jahre,33 für das »›corrected‹ genre picture« als charakteristisch bezeichnet wurde, weil es die Konventionen klassischer Genretexte augenscheinlich befolge, dem aufmerksamen Zuschauer aber auch einen kritischeren, selbstreflexiven Blick auf die ideologischen Widersprüche innerhalb ihrer konventionellen Erzählmuster und Figuren eröffne.34 Nach diesem – nicht zufällig an die Melodramtheorie der frühen 70er Jahre erinnernden – Modell müsste es sich bei den SOPRANOS um einen weiteren ›korrigierenden‹ Beitrag zur Mythologie des Gangstergenres handeln. Produktiver jedoch ist der Rückbezug auf die Rhetorik und die Erzählkonventionen des Melodrams, die sowohl für die Fernseh- als auch die Filmserie greifen. Zwar durchleben die Sopranos aufgrund der sich voneinander unterscheidenden Zeitspannen einer Fernsehserie, deren Handlung samt Rückblenden von den 1960ern bis zu dem Jahr 2007 spielt, und einer Filmreihe, deren Handlung sich inklusive Rückblenden fast über das gesamte 20. Jahrhundert erstreckt, weniger drastische, tiefgreifende Veränderungen als der Corleone-Clan. Doch für beide Serien gilt: »[The melodrama] typically opens with a presentation of virtue and innocence, or perhaps more accurately, virtue as innocence. We see this virtue, momentarily, in a state of taking pleasure in itself, aided by those who recognize and support it. […] So that, in distinction to tragedy, we do not begin at the point of crisis, the moment at which […] the tragic mechanism ineluctably goes into action. Yet, typically, the first exchanges of the [fiction], or even the title, […] suggest mysteries or ambiguities hovering over the world, enigmas unresolved. And there swiftly supervenes a threat to virtue, a situation – and most often a person – to cast its very survival into question, obscure its identity, and elicit the process of its fight for recognition.«35
Die Handlung des Melodrams beginnt somit dann, wenn sich der Antagonist des unschuldigen Protagonisten in einem idyllischen Setting zum ersten Mal als Bösewicht zu erkennen gibt.36 In der ersten Staffel der SOPRANOS passiert
33 Vgl. Biskind/Ehrenreich: Machismo, S. 206f. Vgl. dazu auch Seeßlen: AsphaltDschungel, S. 222. 34 Vgl. Robert B. Ray: A Certain Tendency of the Hollywood Cinema 1930-1980, New Jersey: Princeton UP 1985, S. 327, 335f, 347. 35 Brooks: Melodramatic Imagination, S. 28f. Vgl. auch ebd., S. 29, 30f, 204. 36 Vgl. Williams: Race Card, S. 28.
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das zum Schluss der Pilotfolge, als sich Tony Soprano auf der sonnigen Geburtstagsfeier seines Sohnes AJ zufrieden äußert: »It’s a beautiful day. What could be bad?«, und darauf eine Nahaufnahme seiner schlecht gelaunten, in Schwarz gekleideten Mutter folgt, die von ihrem Schwager zu dem Familienfest gefahren wird: Aus ihrer Unterhaltung hört man heraus, dass sich ein Machtkampf zwischen Junior und Tony anbahnt, bei dem sie sich gegen ihren Sohn verschwören wird. Und das Melodram endet auch nur dann happy, wenn die Figuren zur idyllischen Ausgangsszene vor dem destruktiven Eingriff des Bösen zurückgekehrt sind und sich die symbolische Ordnung wiederhergestellt hat.37 Jede 13teilige Staffel der Serie funktioniert nach diesem Prinzip: Fungiert die erste Folge als Bestandsaufnahme der sich wandelnden internen Bindungen der zwei ›Familien‹, tauchen in der zweiten oder dritten Folge bis dahin sekundäre oder neue Figuren in prominenten Rollen auf und werden bald zu einer Belastung für Tonys Berufs-, Privat- und Seelenleben. Die Animositäten zwischen Tony und den jeweiligen Antagonisten, die immer etwas skrupelloser inszeniert werden als der nicht unbedingt schuldfreie Protagonist, brodeln dann einige Zeit vor sich hin – bis sich die familiären und mafiösen Konflikte in der 12. oder 13. Folge gewaltsam entladen und zum vorläufigen oder endgültigen Ausschluss des Antagonisten aus der Geschichte führen. Ist es in der 1. Staffel seine eigene Mutter, die als potentielle Kindsmörderin von Tony aus der Großfamilie gebannt wird, müssen in späteren Staffeln andere ›Familienmitglieder‹ für ihre individuellen Verstöße gegen die Gesetze der Familie(n) aus ihr flüchten oder mit ihrem Leben bezahlen. Die Serialisierung dieses melodramatischen Narrativs hat zur Folge, dass es sich bei jedem GODFATHER-Sequel und jeder neuen SOPRANOSStaffel nicht nur um ein ›Wiedersehen‹ mit bereits vertrauten Figuren handelt,38 an deren Schicksal der Zuschauer umso intensiver teilnimmt, weil er mit ihnen Erinnerungen an frühere Erlebnisse ›teilt‹ und weil die Besetzung die notwendige Kontinuität zu den früheren Kapiteln der fortlaufenden Geschichte besorgt.39 Die Fortsetzung einer abgeschlossenen Geschichte weckt auch typisch melodramatische Gefühle von Verlust und Nostalgie, »[for] it also recalls [an] absence, fostering a futile, nostalgic desire to reexperience the original aesthetic moment as though it had never happened«.40 Eine besondere Rolle spielt dabei das Fehlen wichtiger Figuren aus den Vorgängerfilmen oder aus früheren Serienstaffeln, über das sich sowohl die Figuren in der Diegese, als auch die Zuschauer meist schmerzhaft bewusst werden. Für die nostalgisch-melancholischen GODFATHER-Sequels, sowie für die SOPRANOS-Staffeln als reflektierte Serientexte gilt somit die Regel, »[that they re-
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Vgl. ebd. Vgl. hierzu auch Brooks: Melodramatic Imagination, S. 20. Vgl. Dika: Representation of Ethnicity, S. 99. Vgl. Berliner: Pleasures of Disappointment, S. 110. Ebd., S. 109.
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peatedly strive to] incorporate[.] into its plot the very nostalgia, dissatisfaction, and sense of loss that sequels traditionally generate in their viewers«.41 Über neuere Beiträge zum Gangstergenre wie den SOPRANOS wird meist konstatiert, dass sie sich der ›virilen‹ Dynamik des Gangstergenres entledigen oder sie dekonstruieren, indem sie den Gangster in privaten, häuslichen Handlungsräumen ›normalisieren‹, »[that is], deliberately slowing down the story’s narrative pace and transforming the generic spectacle of the modern gangster genre into an essentially domestic and intimate display«.42 Obwohl der klassische Filmgangster meist auf der Straße und selten daheim zu sehen ist, spielen doch einige der dramatischsten Szenen von THE PUBLIC ENEMY und von SCARFACE im Elternhaus des Gangsters. Eine deutlichere Domestizierung erfuhr der rastlose street gangster dann in THE GODFATHER, der das Actionfilm-Tempo des klassischen Genrefilms mit den langen, ruhigen Einstellungen des europäischen Arthouse-Films der 50er und 60er Jahre drosselt und auf jede Gewaltszene des Films eine idyllische Familienszene folgen lässt. Die hysterischen Gangster-Actionhelden der 30er Jahre erfahren dabei durch die in sich ruhende Figur des Don Vito Corleone eine Umschrift zu einem fürsorglichen Patriarchen.43 Und die wenigen Gewalt- und Actionszenen, die die Zensur dem klassischen Gangsterfilm noch erlaubte, der deshalb außerdiegetische Toneffekte und Gewaltakte verschleiernde Schnittfolgen verwendete,44 sind in der GODFATHER-Trilogie und den SOPRANOS zwar expliziter dargestellt, folgen aber derselben rituellen Logik, die den Familienritualen unterliegt. Verstehen sich diese Mafiosi doch zumeist traditionell als dem ›Familienwohl‹ verpflichtete ›Geschäftsmänner‹, die »keinen Hang zum Töten ha[b]en, die nur dann morde[]n, wenn es nötig [ist] und meist aus ökonomischen Gründen oder faktischer Machtverhältnisse wegen«.45
41 Ebd., S. 108. 42 Creeber: TV Ruined the Movies, S. 132. Vgl. hierzu auch D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 657f. 43 Vgl. Pechter: Keeping Up, S. 170. Das Bild vom Gangster als harmlosen alten Familienoberhaupt wird im zweiten GODFATHER-Film parodistisch überhöht in einer Szene, in der Michael Corleone den jüdischen Gangster Hyman Roth besucht, der in einem suburbanen Middle-Class-Haus im sonnigen Miami wohnt und sich als unscheinbarer assimilierter Amerikaner ein Footballspiel anschaut. 44 Vgl. für eine detailliertere Studie der historischen Evolution von Gewaltdarstellungen im klassischen Genre- und auch im Gangsterfilm: Stephen Prince: Classical Film Violence. Designing and Regulating Brutality in Hollywood Cinema, 1930-1968, New Brunswick, NJ/London: Rutgers UP 2003, hier S. 87-138. 45 Siegel: Das Abstoßende, S. 478. So ist man sich der ironischen Brüche in der euphemistischen ›Geschäftsrhetorik‹ der Gangster oft auch nicht sofort bewusst, wie etwa wenn in THE GODFATHER ein Gangster wie Sollozzo von sich selbst sagt: »I don’t like violence […] I’m a businessman. Blood is a big expense.« Oder wenn in THE SOPRANOS auf eine brutale Szene, in der eine Figur erdrosselt wird, eine lange Sequenz folgt, in der
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Bezüglich der Familienbilder westlicher TV-Serien schreibt Lothar Mikos: »Für die Repräsentation von Familien gilt, was Leo Tolstoi zu Beginn seines Romans Anna Karenina über Familien sagt: ›Alle glücklichen Familien ähneln einander; jede unglückliche aber ist auf ihre eigene Art unglücklich.‹«46 Familien oder familiäre Bindungen sind in allen Genres und in den Werken aller Filmkulturen prominent vertreten, wenn auch es sehr selten die glückliche Familie ist, die im Mittelpunkt steht.47 Das gilt vor allem für die zwei amerikanischen Genres, die die Repräsentation der bürgerlichen Familie zu ihrem raison d’être gemacht haben: das Filmmelodram und die Fernsehsoap. Geht es dem Filmmelodram um die Chronik der Implosion der bürgerlichen Familie, ist es das erzählstrukturelle ›Privileg‹ der Soap – verfügt sie doch weder über einen dramaturgischen Anfang, noch über ein sinnvolles Ende –, von der andauernden Störung der Familie zu berichten, die trotz interner Konflikte einander verbunden bleibt: »The equilibrium of a happy, stable family is constantly there in the background, but is never achieved.«48 Das vorliegende Kapitel widmet sich den Krisenmomenten im Familiendiskurs des Gangstergenres, die immer dann entstehen, wenn die Mitglieder gegen die tradierten, repressiven Rollenvorgaben der Familie verstoßen. Das Family Melodrama der SOPRANOS rekurriert dabei auf prominente Familiennarrative der Genre-Tradition, präzisiert sie oder invertiert sie. So wird die für das Gangstergenre konstitutive Krise des Patriarchats in der Serie und in ihren Genre-Prätexten anhand von Generationskonflikten zwischen väterlosen und damit haltlosen Söhnen und einer Vielzahl an zwielichtigen Ersatzvätern verhandelt, die die Funktion des ›symbolischen Vaters‹ nicht erfüllen können. Mit der Generationen übergreifenden Männlichkeitskrise der Protagonisten zeigt sich ihr traditionelles Frauenbild als angreifbar und unhaltbar. Im selben Moment kommt es zu einer Konkretisierung der psychosexuellen Macht, die die Frauenfiguren des Genres auf den oft unreifen Gangster ausüben. Hierzu zählt vor allem die scheinbar naive, ›harmlose‹ Mutter, die das
zwei Mafiosi als gewöhnliche Arbeiter das Opfer zerstückeln und entsorgen und dabei über Sinn und Unsinn von Nachwuchs und über elterliche Pflichten diskutieren (s04e09: »Whoever Did This«). Oder ein Gangster eine uneinsichtige ExFreundin mit einer vorgehaltenen Pistole bedroht und ihr verheißt, »It won’t be cinematic«, um dann in seiner nächsten Szene als biederer Familienvater aufzutreten, der auf seinem Mobiltelefon seine Frau über die Lebensmittel informiert, die er für die Familie eingekauft hat (s03e12: »Amour Fou«). 46 Mikos: Fernsehfamilien, S. 211. Der Tolstoi-Referenz bedienen sich auch THE SOPRANOS in der Folge »All Happy Families…« (s05e04), wobei sich der vieldeutige Titel hier sowohl auf die innerfamiliären Spannungen innerhalb des Soprano-Clans, als auch innerhalb einer Gang, hier: unter den New Yorker Lupertazzis bezieht. Vgl. zur Geschichte der Fernsehfamilienserie ebd., S. 220-222. 47 Vgl. Pomerance: Introduction, S. 5. 48 Fiske: Television Culture 1994, S. 180. Vgl. hierzu auch Mikos: Fernsehfamilien, S. 214, 216.
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Leben ihres Sohnes bedeutender beeinflusst als es im klassischen Genrefilm noch den Anschein hat. Durch das Schicksal der Ehefrau des Gangsters, die an den repressiven Strukturen der Familie leidet und sie schmerzlich durchbricht, nur um enttäuscht wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurückgeworfen zu werden, vollzieht sich in der Serie auch eine Perspektivverschiebung, mit der das Genre eine Umschrift zum Sirk’schen Frauenmelodram erfährt. Einen fähigeren, skrupelloseren, aber auch tragischeren Doppelgänger findet der Gangster in seiner Schwester, deren ähnlich große Lebenslust sich in einer sexuellen Lust mitteilt, die für inzestuöse Spannungen zu ihrem Bruder sorgt, die ihn zuweilen sogar in den Tod treiben. Die einzige Hoffnung auf ›Erlösung‹ in Frauengestalt verspricht hingegen die scheinbar unschuldige Tochter, die er vor sich und seinem Gangstermilieu zu bewahren versucht, die sich aber letztlich – der bitteren Ironie des Genres gemäß – als loyaler gegenüber ihrer Kernfamilie offenbart als es sich ihr Vater wünschen würde.
D IE K RISE DES P ATRIARCHATS : ACTION MELODRAMA GOES DOMESTIC Die Dramaturgie klassischer Gangsterfilme mit ihrem konventionellen Riseand-Fall-Narrativ spannt sich zwischen zwei prominenten Polen: der dynamischen Aneignung und dem abrupten Verlust einer Identität als Gangster. Der kriminelle Werdegang eines Gangsters beginnt mit einem Aufsehen erregenden Mord oder einem ähnlich skrupellosen Delikt, mit dem er sich als dynamischer Protagonist des Films vorstellt und zugleich um die Aufnahme in eine Gang wirbt, die ihm Schutz vor anderen Gangstern und dem Gesetz geben soll.49 Das Ende kommt dann mit der Desintegration seiner Gang und seinem eigenen Tod durch die brutalen Übergriffe anderer Gangster oder der Polizei. Im Mittelpunkt des Genres steht also ein Einzelgänger, der sich brutal und kühl kalkulierend eine Identität als Gangster aufbaut, es mit exzessiven Insignien seines neugewonnenen sozialen Status (die eleganteste Kleidung, die destruktivsten Waffen, die schnellsten, sichersten Automobile, die luxuriösesten Wohnräume) ausbaut und mit einer kompletten Einbindung in die Hierarchie einer Gang und der Akzeptanz eines kollektiven Berufsethos pflegt – bis ihm die erzwungene Identität zum Schluss seine psychische und physische Stabilität kostet. Im postklassischen Gangsterfilm sind jene Momente, in denen sich der Protagonist durch eine brutale Machtdemonstration die Gangsteridentität aneignet oder in denen sie ihm aufgrund von persönlichen Schwächen abhanden kommt, dann dramaturgisch unterschiedlich verortet und umgesetzt. So beginnen die Filme dann nicht mehr unbedingt mit der Gangsterwerdung des Protagonisten, noch schließen sie stets mit seinem Tod. Dennoch handeln amerikanische Gangstergeschichten meist von kind-
49 Vgl. Kaminsky: Little Caesar, S. 50. Vgl auch Messenger: Our Gang, S. 197.
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lichen Helden und ihrem recht naiven Streben nach dem Lebensmodell und dem Ansehen anderer Gangster (Rico Bandello, Tom Powers, Tony Camonte und Henry Hill) oder von dem Schicksal einiger, die wegen ihrer äußeren Umstände in dieses Leben gezwungen werden (Vito und Michael Corleone). Tony Soprano, der in die Mafia hineingeboren wurde, die unorthodoxe ›Familienideologie‹ seines Vaters aber auch bewusst akzeptiert hat, vereint beides: »For all his occasional concerns about the morality of his actions, [he] is, more often than not, fundamentally happy with his identity – and anxious that that identity be clearly recognized by those around him.«50 Der ideologische Rückgriff der Gangster auf ihre kriminellen Vorbilder und der Genretexte auf die Prätexte entlang der intertextuellen Reihe erlaubt so: »the easy and immediate identification of the composite screen gangster, a figure who wants recognition as a gangster and, as so many of them say, to stand out«.51 Mit dem postklassischen Gangsterfilm der 1930er Jahre, so John Gabree in Bezug auf William Wylers Sozialdrama DEAD END (1937), nimmt »eine Veranschaulichung ihren Anfang, die bekundet, daß der Gangster einem zerrütteten Elternhaus entstammt, in Armut aufwächst, von Eltern und Institutionen schlecht behandelt wird, daß kriminelle Umwelteinflüsse nur wieder kriminelles Verhalten hervorbringen können«.52 Die These greift nur bedingt. Es stimmt, dass die jugendlichen Protagonisten des Films, die fasziniert sind von der Legende eines gesuchten Gangsters (Humphrey Bogart), der in ihrem jetzigen und seinem früheren Viertel Zuflucht sucht, ein neues narratives Zentrum im Gangsterfilm bilden. Doch die Figur des rebellischen Jungen, der durch negative Umwelteinflüsse auf die schiefe Bahn gerät, ist bereits in THE PUBLIC ENEMY (1931) ein prominentes Motiv. Auch die Gewaltbereitschaft von Tommy Powers ließe sich mit seinem gespannten Verhältnis zum verständnislosen Vater und zum kritischen älteren Bruder erklären, die als gefühlskalte Instanzen der symbolischen Ordnung ihn unter dem Vorwand erzieherischer Maßnahmen wiederholt körperlich misshandeln. Bei seinem einzigen Auftritt im Film ist Tommys Vater – der der GenreKonvention gerecht danach nicht mehr zu sehen ist, wachsen Gangster doch oft in Abwesenheit paternaler Autoritätsfiguren auf53 – mit einem Polizeihut zu sehen, der ihn gleich doppelt als Repräsentant des (väterlichen) Gesetzes markiert, gegen das Tommy später als Gangster rebellieren wird.54 Während Toms Mutter in der Küche singt, beugt sich ihr erst ängstlicher, dann trotziger Sohn dem grausamen Erziehungsritual des Vaters und lässt sich mit dessen Gürtel schlagen. In Ermangelung positiv-konstruktiver Männlichkeitsmodelle – der kaltherzige Vater stirbt bald, sein älterer Bruder zieht in den I. Weltkrieg, der Familienfreund und Streifenpolizist Pat wird von ihm bei
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Walker: Cunnilingus and Psychiatry, S. 114. Bruzzi: Undressing Cinema, S. 71. Gabree: Gangster-Film, S. 68. Vgl. hierzu auch Shadoian: Dead Ends, S. 63. Vgl. Shadoian: Dead Ends, S. 8. Vgl. Slotkin: Gunfighter Nation, S. 262.
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einem Überfall angeschossen) sucht und findet Tom im Laufe des Films eine Reihe trügerischer Ersatzväter im Unterweltmilieu, die ihn entweder hintergehen und dafür durch seine Hand sterben müssen (Putty Nose) oder die daran scheitern, ihm den nötigen familiären Schutz zu bieten (Paddy Ryan). Bei Gangsternarrativen handelt es sich also meist um negativ gewendete Bildungsromane55 über die Entwicklung eines Jungen zum Kriminellen, um ein besonders viriles Coming-of-Age-Drama, »[which as one of m]any popular narratives dramatize[s] the ›boundary rituals‹ whereby a youth crosses into manhood«.56 Verbunden damit ist die Rebellion gegen den biologischen Working-Class-Vater, dessen Armut der Sohn mit einer defizitären Männlichkeit gleichsetzt und sich stattdessen virilere Vorbilder in den Anführern der symbolischen ›Familie‹ einer Gang sucht.57 Im Gangstergenre scheitern die unreifen, haltlosen Subjekte jedoch letztlich immer daran, die symbolischen Gesetze der jeweiligen Vater- und Mentorfiguren umzusetzen, »[who conventionally provide] the mirror in which [the son] discovers his own ideal identity – an image which defines him, even if it always exceeds him«.58 In »Down Neck« (s01e07) erlebt Tony Soprano einen ›Spiegelmoment‹ nach Lacan, als er sich vor seinem Badezimmerspiegel an seinen Vater Giovanni ›Johnny Boy‹ Soprano erinnert, der in Tonys Kindheit in ihrer Nachbarschaft als Geldeintreiber zahlungsunfähige Schuldner zusammenschlug. Erzählt Tony in der Therapie mit Stolz von seinem brutalen Vater, wünscht er sich für seinen Sohn A.J., dass er nicht wie er die kriminelle Karriere des Vaters fortführt. Denn in dem dysfunktionalen Vater-Sohn-Narrativ der Serie reichen die Väter nicht an ihre symbolischen Rollen in der Familie heran, sondern bereiten die Grundlage für das Scheitern ihrer Söhne. Tony und sein Sohn A.J., der als Anthony Junior nicht nur den Namen seines Vaters trägt, sondern auch einige Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen von ihm übernommen hat, erleiden beide Panikattacken, wenn sie sich in einer Situation wiederfinden, in der sie einen Einblick in die große Kluft zwischen sich und dem Patriarchat gewinnen. Was Katja Silverman über die dramatische Vater-Sohn-Geschichte eines klassischen Male Melodramas der 50er Jahre, REBEL WITHOUT A CAUSE schreibt, greift auch in den SOPRANOS: »All of the melodramatic energies of the film are generated by the failure of the father
55 »[Since, during the course of any gangster narrative,] each scene offer[s] a new opportunity for the protagonist to choose between right and wrong, innocence and experience, pastoral virtues and urban vice« (Altman: Film/Genre, S. 146). 56 Fiske: Television Culture, S. 200. 57 In GOODFELLAS wird die erste Inhaftierung des jungen Henry Hills von seiner Gangsterfamilie mit große Freude als eine Art ›Entjungferung‹, als Feuertaufe – literalisiert in einem Standbild, auf dem er vor dem Feuerball eines brennenden Autos wegläuft – zelebriert: »Oh, you broke your cherry.« Henry Hill findet in der Familie diejenige Anerkennung, die er in seiner Familie vermisst. Wenn die Nachbarskinder seiner Mutter helfen, dann, so Henry: »It was out of respect.« 58 Silverman: Subject of Semiotics, S. 145. Vgl. auch ebd., S. 134f.
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to achieve a perfect match between himself and the values which define the paternal function, a failure which he inevitably transmits to the son.«59 In »Fortunate Son« (s03e03) erinnert sich Tony Soprano an seine erste Panikattacke als Teenager, als er zum ersten Mal verstörende Verbindungen zieht zwischen dem Fleisch, das die Familie zu sich nimmt, der Gewalt, die sein Vater dafür gegen andere richtete, und der Verantwortung, die er selbst eines Tages im kriminellen Geschäft seiner Familie übernehmen müsste. In dieser Folge erleidet auch A.J. seine erste Panikattacke, als er sich der Verantwortung bewusst wird, die sein begeisterter Football-Trainer ihm als neu ernannten Mannschaftskapitän aufbürdet. Tony, der durch alte Freunde seines Vaters erfährt, das auch Johnny Boy an Panikattacken gelitten hat, stellt verbittert fest: »It’s in his blood, this miserable fucking existence. My rotten fucking putrid genes have infected my kid’s soul. That’s my gift to my son« (s06e17: »Walk Like a Man«). In einer der letzten Folgen der Serie, in »The Second Coming« (s06e19) versucht sich A.J. dann aufgrund von Depressionen das Leben zu nehmen und scheitert dabei. Als er einige Zeit später mit seinen Eltern bei seinem Therapeuten sitzt, wiederholt sich die Geschichte der Soprano-Familie zwischen den Generationen: Jetzt ist es nicht mehr Tony, sondern A.J., der seinen Eltern die Schuld an seinen psychischen Problemen gibt und es ist nicht mehr Livia, sondern Tony, der wie seine verstorbene Mutter damals seinen Nachwuchs kritisiert (und dabei doch im Grunde von sich selbst spricht): »It’s all your mother’s fault, isn’t it? Oh, poor you! […] You’re a mama’s boy.« Der dysfunktionale Kreis schließt sich schließlich, als A.J. in der letzten Folge »Made in America« (s06e21) im traditionellen weißen Unterhemd und Morgenmantel des Vaters die besorgte Mutter mit einem Ausruf abfertigt, den Tony zu seiner Frau in der Pilotfolge und Johnny Boy zu seiner Frau in »Down Neck« (s01e07) sagen: »Always with the drama.« Der ewigen Klage über die Mutter kann auch Tony sich in der letzten Folge der Serie nicht entziehen: Der neuen Therapeutin seines Sohnes beginnt er wieder von seiner schwierigen Mutter zu erzählen und erntet für seinen nimmer endenden Opferdiskurs zornige Blicke von seiner Frau. Die Identitätsnöte Tony Sopranos folgen wie die von Michael Corleone aus dem Mangel einer sinnstiftenden väterlichen Autorität. Während Tony seinen Vater Johnny Boy nachträglich idealisiert und die Schuld maßgeblich seiner Mutter zuschreibt, dominiert Vito Corleone die positiven, konstruktiven Familienereignisse der ersten zwei GODFATHER-Filme. Als jemand, der in der Lage ist, mit Mitteln der Täuschung und Verstellung, die an die Strategien höfischer Kommunikation um 1700 und 1800 erinnern,60 um Sprache
59 Silverman: Subject of Semiotics, S. 140. 60 Die Techniken der simulatio und dissimulatio, die im Gangsterfilm die Handlung prägen, der Rise-und-Fall-Plot der klassischen Beispiele, der Machtkampf zwischen verfeindeten Bandenführern und die Titulierung der Filme nach ihren Antihelden wurde in der Forschung früh zum Anlass genommen, Shakespeares Königsdramen (Macbeth, Richard III, Henry V) als »elevated gangster films« zu le-
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und Bedeutung nach Belieben zu manipulieren, figuriert Vito als ein idealtypischer Übervater: »an ideal paternal representation, [with] all the attributes of the mythically potent symbolic father: potency, knowledge, transcendental vision, self-sufficiency, and discursive power«.61 Das ist eine Macht, die sich nicht zuletzt auch in seinem Mafia-internen Ehrentitel »Godfather« äußert, der für die sakrale Steigerung der Autoritätsfigur der bürgerlichen Familie (»father«) durch den Bezug auf die größte patriarchale Autorität einer religiösen, im Gangstergenre für gewöhnlich katholischen Ordnung (»God«) steht. Damit repräsentiert Don Vito Corleone die Trilogie hindurch, und vor allem auch nach seinem Tod im ersten Film, »the Absent One«, »the Other« nach Lacan, die gesetzgebende symbolische Instanz, die sich in THE GODFA62 THER als »the speaking subject of the cinematic text« installiert. Diese Position wird dadurch gesichert, indem von einem hermetisch abgeschlossenen Milieu erzählt wird, »[where any outside law] is replaced by an authoritarian patriarchy where power and justice flow from the Godfather, and the only villains are traitors«.63 In seiner paternalen Funktion sichert der Don Bedeutung und Subjektivität, »[for] it is under the sway of the name of the father that symbolization begins«,64 und weil es einem konventionell männlichen Subjekt, das mit der ›abjekten‹ Mutter konfrontiert ist, nur möglich ist, »[to] release the hold of maternal entity [through] the autonomy of language«. 65 Der »mode of excess« des Melodrams – »the postulation of a signified in excess of the possibilities of the signifier, which in turn produces an excessive signifier, making large but unsubstantiable claims on meaning«66 – äußert sich somit auch immer erst, wenn die paternale Autorität im ödipalen Prozess der Subjektbildung daran scheitert, nach Freud das Inzestverbot und nach Lacan die Entsprechung von Signifikant und Signifikat zu garantieren:
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sen (Kaminsky: Little Caesar, S. 48). Der im Privaten wie im Öffentlichen ausgetragene Generationenkonflikt in einer dysfunktionalen ›royalen‹ Familie erinnert auch an King Lear (1623) oder Friedrich Schillers Don Karlos (1787). THE SOPRANOS rekurrieren in ihrer sich überlagernden familiären und mafiösen Figurenkonstellation und der Handlungsunfähigkeit des Helden an eine Tragödie William Shakespeares, an Hamlet (1601). Vgl. hierzu Dean DeFino: »The Prince of North Jersey«, in: Lavery: Reading the Sopranos (2006), S. 179-193. Katja Silverman: »On Suture [From: The Subject of Semiotics]«, in: Mast/Marshall: Film Theory and Criticism (1985), S. 199-209, hier S. 202. Ebd. Roger Ebert: Rez.: »The Godfather« (16.03.97), in: Chicago Sun-Times, unter: http://rogerebert.suntimes.com/apps/pbcs.dll/article?AID=/19970316/REVIEWS 08/401010321/1023, l.A. 29.08.09. Tina Chanter: »Viewing Abjection: Film and Social Justice«, in: Gender Cyber Archive, unter: http://www.women.it/cyberarchive/files/chanter.htm, letzte Abfrage: 01.03.11. Kristeva: Powers of Horror, S. 13. Brooks: Melodramatic Imagination, S. 199.
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»If this authority is too weak, if it breaks down, if, in other words, there is a failure of homogeneity, which [is] a failure to impose a single, ideal, unitary meaning, then there is a danger of a splitting apart of language into more than one significance. […] here is where abjection can burst through the surface of an orderly, structured language, presided over by the uncontested sovereign authority of the father.«67
In der GODFATHER-Trilogie mit ihrer epischen Geschichte einer patriarchalen Machtübergabe vom Vater zum Sohn ist der biologische Vater der Familie identisch mit dem symbolischen Vater der Gang. Entsprechend beginnt der erste Film mit einer Einstellung, die Vito Corleone als das den Blick der Kamera kontrollierende, zur Identifikation anregende männliche Subjekt des Films nach Laura Mulveys vieldiskutierter Blicktheorie etabliert. Das erste Bild von PART II, dessen zwei prominenten Erzählstränge sowohl chronologisch nach, als auch vor PART I spielen und den Film damit zu einem Sequel und einem Prequel zu dem Vorgängerfilm machen, führt Vitos Sohn Michael dagegen als das passive, und dadurch weiblich kodierte Objekt des filmischen Blicks ein. PART II schließt damit auch unmittelbar an die letzte Szene des ersten Films an, in der Michael Corleone auf einmal nicht mehr das dynamische Subjekt der Handlung ist, sondern ein der Mafia-Hierarchie völlig ausgeliefertes Objekt. Aufnahmen über der Schulter seiner etwas weiter entfernt stehenden Ehefrau Kay antizipieren hier bereits die spätere Entromantisierung und Verobjektivierung des Gangsterprotagonisten in PART II.68 Zusammen mit Kay als das neue Subjekt des filmischen Blicks wird der Zuschauer aus der Distanz Zeuge, wie Michael von seinen capos mit Handkuss in seiner neuen Rolle als Don akzeptiert wird. Der zweite Film beginnt dann mit Nahaufnahmen dieser Szene, die aber nicht minder distanzierend wirken: Michaels anmutiges Gesicht im Halbprofil, der ›päpstliche‹ Handkuss und ein melancholischer Don, der aus dem Bild geht und einen Sessel im Bild zurücklässt, über dem dann der Filmtitel erscheint. Der leere Sessel, in dem Michael sich bereits im ersten Film merklich unwohl fühlte, verweist nicht nur auf die Abwesenheit seines bereits verstorbenen Vaters. Er antizipiert auch die Krise des Patriarchats, die das Fehlen konstruktiver Vaterfiguren und die vielen destruktiven Ersatzväter der Reihe herbeiführen werden.69
67 Chanter: Viewing Abjection, unter: http://orlando.women.it/cyberarchive/files/ chanter.htm, l.A.: 01.03.11. 68 Vgl. Man: Ideology and Genre, S. 117. Vgl. hierzu auch Nochimson: Dying to Belong, S. 57. 69 Michaels Rivalen im Familiengeschäft sind in der Regel ältere Männer, die sich ihm gegenüber zunächst als wohlwollende Vaterfiguren inszenieren, aber sich im Geheimen stets gegen ihn verschwören: Von so sympathischen Onkelfiguren wie Tessio aus dem ersten THE GODFATHER-Film, der bei seiner Überführung sentimentale Töne anschlägt (»Tell Mike it was only business. I always liked him.«) und mit traurigen Augen noch einmal um Gnade bittet, und Pentangeli, der für seinen Verrat im zweiten Film den Freitod wählt, bis hin zu diabolischeren Figu-
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Dass Michael Corleone nach seiner furiosen Machtübernahme innerhalb der biologischen und mafiösen Corleone-Familie zum Ende des ersten Films in PART II wiederholt daran scheitert, dem Vorbild seines Vaters gerecht zu werden, wird vor allem durch die Parallelstruktur des Films betont, die die illegalen ›Familienbemühungen‹ von Vater und Sohn direkt gegenüberstellen. So beginnt die erste Rückblende von PART II zu den Anfängen von Vitos Gangsterkarriere unmittelbar nach der an die Handlung des ersten Films anschließenden Anfangsszene mit einer Texttafel, auf der nicht etwa Michael, sondern sein Vater Vito als »Godfather« benannt wird. Mit dem jungen Vito im Jahre 1901 wird das Motiv des vaterlosen Sohnes etabliert, das sich später in PART II von Michaels reichen, aber einsamen Sohn Anthony bis zu den armen, aber lebensfrohen Straßenkindern von Cuba zieht: Vito begleitet in seiner ersten Szene im Film als einziger männlicher Nachkomme mit seiner Mutter den Trauerzug des Vaters, der von einem Mafioso getötet wurde. Als auch der ältere Bruder kurz darauf tot aufgefunden wird, nimmt ihn die Mutter zu dem verantwortlichen Don und fleht an, ihr zumindest den letzten Sohn Vito zu lassen. Nachdem Vito dann auch Zeuge der Ermordung seiner Mutter wird, flüchtet er auf ihre Weisung hin in die USA. Das Trauma vom Verlust der Familie durch den Patriarchen eines Mafiaclans hat in der Trilogie die dramaturgische Funktion einer backstory wound, die nicht unbedingt dazu dient, Vitos Psychologie zu entfalten, sondern seine späteren Handlungen mit einer Motivation zu versehen, die seine extreme Gewalt relativiert.70 Es handelt sich dabei wieder um eine dezidiert melodramatische Konfiguration, »[for m]elodrama often operates through a great resentment, usually on the part of characters who feel hugely wronged, whether unlucky in love or in some injustice done to them by another person, a culture, a universe«.71 Auch als junger Mann im Immigrantenghetto New Yorks, der den Lebensunterhalt für seine Frau und seine Kinder mit einer Stelle in einem Lebensmittelladen bestreitet, erleidet Vito Unrecht durch einen Mafioso. Don Fanucci, der sich gern als eine gönnerhafte, nachsichtige Vaterfigur inszeniert, aber als Schutzgelderpresser gegen Vitos ausgeprägten Gerechtigkeitsund ethnischen Loyalitätssinn verstößt (»If he’s Italian, why does he bother other Italians?«), entfremdet Vito erst von seiner ehrlichen Anstellung und
ren wie Hyman Roth in PART II und Don Altobello in PART III, die sich als kranke, alte Männer den Tod des jüngeren Rivalen wünschen. Auch Tony Soprano ringt in den SOPRANOS wiederholt mit älteren Gangstern, die den jüngeren, erfolgreicheren Emporkömmling zu stürzen versuchen: etwa mit seinem Onkel Junior (Staffel 1), Richie Aprile (Staffel 2), Feech La Manna (Staffel 5) und Phil Leotardo (Staffel 5, 6). Tony selbst wird im Laufe der Serie zum diabolischen Ersatzvater für die Neffen Chris Moltisanti und Jackie Aprile Jr. 70 Vgl. Michaela Krützen: Dramaturgie des Films. Wie Hollywood erzählt, Frankfurt/Main 2006, S. 25-62. Vgl. hierzu auch Gardaphé: Wiseguys to Wise Men, S. 39; und Messenger: American Culture, S. 175. 71 Messenger: Our Gang, S. 176.
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einer anderen, positiveren Vaterfigur,72 und besteuert danach Vitos illegalen Schwarzmarkthandel. Als Vito mit seinen Geschäftspartnern beschließt, Fanucci mit dessen eigenen Mitteln, mit vorgespielter Freundlichkeit und abrupter Gewalt zu schlagen, erfährt die Tötungsszene Fanuccis eine Inszenierung als konsequente Gegenwehr Vitos, »[as] a brutally excessive, but exhilarating, act of displaced vengeance. With the years of controlled rage finally released, Vito’s action is experienced as a justifiable and liberating use of violence«.73 Bei seinem anschließenden Gang vom Ort des Verbrechens zu seiner Familie durch den festlichen Straßenzug von Little Italy zu Ehren eines Heiligen scheint es gerade so, als würden die Menschen um ihn herum seine Reifung zum Gangster, zum ›Mann‹ zelebrieren.74 Im Anschluss daran besetzt er selbst die autoritäre Position des symbolischen Vaters, der, so wie einst Don Ciccio von seiner Mutter, in New York von einer Witwe mit Kind um einen Gefallen gebeten wird und ihn durch seinen gefürchteten Ruf im Viertel für sie erbringen kann. Vitos furiose Wandlung vom passiven Objekt des domestic melodrama, das Unrecht über sich ergehen lässt und Zuspruch am Essenstisch seiner Frau sucht, zum handelnden Subjekt des action melodrama, das seine Frau mit der Tür aus seinen ›Geschäften‹ ausschließt und zur Waffe greift, um sich die ›Gerechtigkeit‹ selbst zu verschaffen, wird ihm somit – »[in] the great tradition of American rebels, self-reliant men who refuse to unjustly be bullied for others’ gain«75 – als Schicksal aufgezwungen. Die erste Gewalthandlung Vitos in PART II endet damit, dass er umgeben von seiner kleinen Familie auf den Stufen zu seiner Wohnung sitzt und seinem jüngsten Sohn liebevoll zuflüstert: »Michael, your father loves you very much.« Das kriminelle Erbe, das Vito seinem Sohn unfreiwillig vermachen wird, entfaltet sich indes im parallelen Handlungsstrang des Films, in dem ein passiver Michael im starken Kontrast zum vor Vitalität strotzenden Vito aus den in warmen Brauntönen fotografierten Rückblenden agiert. THE GODFATHER endete mit Michaels Eintritt in die Mafia, der so inszeniert ist, als würde er ohne seine frühere Lebensfreude und Unbeschwertheit, und für
72 Als sein untröstlicher Chef ihn gehen lassen muss, um den Neffen Don Fanuccis anzustellen, reagiert der junge Vito mit Verständnis: »You’ve always been good to me, ever since I came here. You looked after me like a father. I thank you, and I won’t forget it.« Und auch als er später vom Arbeitgeber einen Warenkorb als Entschädigung angeboten bekommt, lehnt Vito dankend ab, will er doch als ein selbstständiger Arbeiter seine Familie aus eigener Kraft versorgen. 73 Dika: Representation of Ethnicity, S. 88. 74 In PART III erfährt diese Szene eine kritische Neuinszenierung, als Vitos Enkel Vincent Mancini sich nicht mehr nur im Schutz des italoamerikanischen Straßenfestes eines rivalisierenden Gangsters entledigt, sondern mit der Ermordung Joey Zazas, der als moderner ›Mediendon‹ Parallelen zu Fanucci aufweist, auch Frauen und Kinder in Gefahr bringt und sogar die Statue der heiligen Maria auf den Boden wirft. Vgl. hierzu auch Dika: Representation of Ethnicity, S. 101. 75 Walker: Fin-de-Siècle Gangster, S. 388.
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immer emotional abgeschnitten von seiner Frau Kay, die im Unterschied zu ihm von Sonnenlicht umgeben ist,76 mit seiner Gang lebendig in seinem Büro begraben werden.77 PART II handelt nun von seinem Leben nach seinem ›Tod‹ in der Mafia. Selbst in hell beleuchteten Szenen immer von Dunkelheit und Schatten eingehüllt, umgibt sich der leichenblasse, in sich gekehrte, geradezu vampirgleiche Michael mit regungslosen, skrupellosen Auftragsmördern, von denen keiner über den drolligen Charme der Mafiosi aus PART I verfügt.78 Die symbolische Last seines Vaters, die mafiösen Strukturen der Corleone-Familie liegen schwer auf den stets gebückten Schultern Michaels, der trotz seiner früheren Rebellion gegen den allmächtigen Patriarchen, jenen abwesenden, heimlicher ›Fädenzieher‹ der Familie79 stets eines war: »A small cog caught in a predetermined plot.« 80 Dabei handelt es sich um eine der familiären Struktur innewohnenden Fatalität, die den Helden des Familienmelodrams die Souveränität über ihr eigenes Schicksal nimmt: »the individual seems impotent, caught in a web of destiny which encourages a kind of voluptuous pessimism«.81 Vito Corleone, im ersten Film besetzt mit einer populären Männlichkeitsikone der 50er Jahre (Marlon Brando), ist in Abwesenheit ebenbürtiger Autoritätsfiguren diejenige Instanz, die die männlichen Verhaltensregeln innerhalb der Trilogie festlegt.82 Mit seinem Tod und der ungleichen Übergabe seiner Macht an die drei leiblichen Söhne Sonny, Mi-
76 Diese Entwicklung wird in James Grays Polizistendrama WE OWN THE NIGHT (USA 2007) invertiert: Ein sich im kriminellen Milieu Brooklyns bewegender, ›verlorener Sohn‹ einer traditionellen Polizistenfamilie lebt anfangs das aufregende, sündige Leben eines Clubbesitzers. Nach dem Mord an seinem Polizistenvater kehrt er zu seiner Familie zurück, geht zusammen mit seinem Polizistenbruder gegen seine kriminellen Freunde vor und endet als dekorierter, aber seiner Freundin und seines früheren Lebens beraubter, unglücklicher Polizist. 77 In GOODFELLAS ist der Eintritt in die Mafia für Tommy DeVito als ›made guy‹ auch das endgültige Ende seines Lebens und nicht der Anfang eines neuen Daseins: Ihm wird bei seiner Aufnahmefeier von hinten in den Kopf geschossen. 78 Vgl. Berliner: Pleasures of Disappointment, S. 113. 79 Die Metapher des Dons als Puppenspieler findet sich so auch in den Titelkarten der Trilogie: So hängt der Titel »The Godfather« im Vorspann stets an den Fäden eines Kreuzes, das von der Hand einer unsichtbaren Figur gehalten wird. 80 Messenger: Our Gang, S. 147. 81 Greene: Operatics of History, S. 393. Vgl. hierzu auch Mulvey: Inside and Outside the Home, S. 73. 82 Deutlich wird dies gleich zu Beginn von THE GODFATHER, als Vito nicht bloß Außenseiter in die Rituale der Mafia unterweist, sondern auch seinen in Tränen aufgelösten Patensohn Johnny Fontaine – in einem seiner seltenen Momente, in der der Don die Fassung verliert und damit seinem consigliere ein nervöses Lächeln abringt – seiner Männlichkeit ermahnt und Johnny abrupt ohrfeigt: »You can act like a man! What’s the matter with you? Is this how you turned out, a Hollywood finocchio [ital. Slang für »Schwuchtel«] that cries like a woman?«.
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chael und Fredo, sowie Adoptivsohn Tom Hagen entfaltet sich anschließen eines der prominenten Sujets des New Hollywood-Kinos der 1970er Jahre: Männlichkeit in der Krise.83 Inszeniert wird somit der Übergang einer idealtypischen Männlichkeit, die sowohl ›bei der Familie‹, als auch ›auf der Arbeit‹ überzeugt, zu einer Multiplizität zu aggressiver oder zu passiver Männlichkeiten, die alle wie im Familienmelodram daran scheitern sich in Relation zu der Familie als machtvolle, also: ›männliche‹ Subjekte zu definieren: »[Showing a] subject struggling against, or for a place within, the Law, the melodrama seeks to reveal a moral universe in operation […]. [T]he melodrama investigates it, challenges it, […] articulates how it functions, and then in the narrative invariably comes down on the side of it, usually without much conviction. [The] »old order« is plainly irrecoverable, but since the form cannot envision a radically new order, the restoration of the [old one] (having been decisively discredited) is [seen] ironically.«84
Michaels Scheitern in der Funktion des Familienoberhaupts wird antizipiert durch Sonny Corleone, der im ersten Film einer Kurzschlusshandlung zum Opfer fällt, und Fredo, den Michael im zweiten Film selbst umbringen lässt, weil er sein eigenes Unvermögen reflektiert, einen sicheren Platz in der Familie zu finden, die ihm seiner Identität versichert. Als Fredo in einem seltenen Moment der Ehrlichkeit seine defizitäre Männlichkeitsperformanz im Verhältnis zu seinem Vater und zu seinem jüngeren Bruder Michael beklagt (»Sometimes I think I should have married a woman like you did. Like Kay. Have kids. Have a family. For once in my life, be more like Pop.«), versichert ihm Michael, der mit dem Modell seines verehrten Vaters selbst nicht glücklich ist: »It’s not easy to be his son, Fredo. It’s not easy.« Als sich anschließend herausstellt, dass Fredo ihn betrogen hat, versucht Michael seinen verstorbenen Vater um Rat zu bitten, indem er seine Mutter als ein Medium in die Vergangenheit seiner Familie benutzt: »Tell me something, Ma. What did papa think… deep inside his heart? He was being strong… strong for his family. But by being strong for his family, could he… lose it?« Die Frage, die er ihr stellt und die sie nicht ganz versteht, ist ob das patriarchale Recht, auf das sich der Vater stets berufen hat, um seine Familie vor externen Gefahren zu beschützen, es seinem Nachfolger auch erlaubt, diejenigen Mitglieder der Familie zu beseitigen, die der verbrecherischen Organisation der Familie, dem Quell ihres Wohlstands von innen heraus schaden. Nach dem Tod ihrer Mutter wird Michael von seiner Schwester Connie darum gebeten, Fredo zu vergeben und ihm jenen väterlichen Schutz zu ge-
83 Vgl. Biskind/Ehrenreich: Machismo, S. 207. Die Rückblenden in PART II in ihre Kindheit zeigen, dass das Scheitern der Söhne in ihren Persönlichkeitsstrukturen bereits angelegt war: der streitlustige Sonny wird von seiner Mutter beim Faustkampf und der oft kränkliche Fredo von seinem Vater besorgt beobachtet. 84 Lang: American Film Melodrama, S. 18.
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währen, den dieser – gleich den Frauen und Kindern in der Familie – benötigt, um zu überleben (Connie: »He’s so sweet and helpless without you.«). Im Anschluss an ihre Bitte inszeniert sich Michael auf der Totenwache der Familie zu Ehren der Mutter als gnädiger Patriarch, der auf seinen sitzenden Bruder zutritt und auf ihn herabblickt. Als der reumütige Fredo dann seinen Kopf in die Brust des jüngeren Bruders gräbt, den er so auch als Ersatzvater akzeptiert, blickt Michael auf und schaut in das Gesicht seines Leibwächters Al Neri, dem er zuvor aufgetragen hatte, Fredo vor dem Tod seiner Mutter nichts anzutun. Die hochdramatische Musik, die diese falsche Familienperformanz bis zu diesem Moment mit stetig steigender Intensität begleitet hat, kippt darauf um in die ominöse, konspiratorische Musik, die für gewöhnlich die illegalen ›Familiengeschäfte‹ der Serie begleiten. Mit dieser melodramatischen, gestellten ›Familienszene‹ kommuniziert Michael auf der Höhe seiner Macht in seinen zwei Familien also sowohl die Vergebung, als auch den Auftrag zur Ermordung seines Bruders Fredo, während sein ›lautes Schweigen‹ und die schmerzhaft geweiteten Augen auf sein inneres Leiden deuten: »The social pressures are such, the frame of respectability so sharply defined, that the range of ›strong‹ actions is limited. The tellingly impotent gesture, the social gaffe, the hysterical outburst replaces any more directly liberating or self-annihilating action, and the cathartic violence of a shoot-out or a chase becomes an inner violence, […] the characters turn against themselves. The dramatic configuration, the pattern of the plot, makes them, regardless of attempts to break free, constantly look inward, at each other and themselves. [They are] each others’ sole referent; there is no world outside to be acted on, no reality that could be defined or assumed unambiguously.«85
Michael scheitert auch, weil er die wohl wichtigste männliche Verhaltensregel missachtet, die sein Vater im ersten Film aufstellt: »A man who does not spend time with his family can never be a real man.« In PART II ist Michael zu einem rastlosen internationalen Geschäftsreisenden geworden, den es von Miami nach New York, von Cuba nach Las Vegas zieht, bevor er endlich zu seiner Familie heimkehrt. Im Unterschied zu Vitos triumphaler Heimkehr zu seiner Familie nach dem Mord an Don Fanucci in der unmittelbar vorangegangenen Szene, ist die bedächtige Heimfahrt Michaels inszeniert, als würde er den Tod in seinem schwarzen Cadillac mit sich bringen, der sich ominös durch das kalte, verschneite Lake Tahoe schleicht. In der traditionellen Montur des suburbanen Familienvaters, der heimkommt von seiner Arbeit in der Stadt (Hut, Mantel und Koffer), wird Michael von niemandem empfangen und wandert alleine über sein leeres Anwesen.86 Dabei wird er im Bild
85 Elsaesser: Family Melodrama, S. 364f. 86 »The golden-hued tones of immigrant life in Little Italy, where warmth fills the cramped apartments and people jostle one another in the teeming streets, glow even brighter in contrast with the snowclad landscape, drained of color and life, of the bleak family estate in Nevada.« Greene: Family Ceremonies, S. 153.
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von dem großen Fenster seines Arbeitszimmers mit sich überschneidenden vertikalen und horizontalen Linien gerahmt, das so wie in der Mise-en-scène Sirk’scher Melodramen seine ›Gefangenschaft‹ im domestic melodrama betont, das ganze (Genre-)Welten entfernt ist von dem action melodrama des ersten GODFATHER-Films, an dem Michael mit seiner eigenhändigen Ermordung Sollozzos noch teilhatte. Am Ende von PART II sitzt Michael dann einsam in seinem Garten in Lake Tahoe auf einem Stuhl wie auf einem Thron: der machtvolle Patriarch, der keine Familie hat, die ihn als Vater akzeptiert. Abbildung 4: ›Action hero‹ gefangen im ›domestic melodrama‹
Quelle: THE GODFATHER – PART II. DVD. Paramount Pictures 2002
Am Ende von »Two Tonys« (s05e01) sitzt Tony ebenfalls alleine im Garten seines Hauses und wartet mit einer qualmenden Zigarre im Mund und einer Maschinenpistole im Anschlag auf einen Bär, der in der Nachbarschaft sein Unwesen treibt. Nach der Trennung von seiner Frau zum Schluss der vorherigen Staffel ist er aus dem Familienhaus gezogen, das in seiner Abwesenheit viele Spuren der Verwahrlosung zeigt. In einer Montage von statischen Einstellungen, die an die Anfangssequenz von THE GODFATHER, PART III erinnert, in der das verlassene, heruntergekommene Corleone-Anwesen in Lake Tahoe nach der Zersplitterung von Michaels Familie zu sehen ist, werden zu Beginn der SOPRANOS-Folge prominente Gegenstände auf dem SopranoAnwesen fokussiert, mit denen der Serienzuschauer Erinnerungen aus früheren Staffeln verbindet. Neben dem Pool, dem Grill und dem Vogelfutterbehälter ist auch die Morgenzeitung zu sehen, die diesmal aber nicht von Tony aufgehoben, sondern von seiner Tochter mit dem verschmutzten Auto überfahren wird. Tony ist nicht mehr das für Ordnung sorgende Familienoberhaupt, sondern der Fremde, der sich zuweilen unangemeldet im Haus zeigt, »[mostly] looking for signs that his family needs him[,] to take solace in his
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role as the family’s provider and protector«.87 Wenn er sich zum Schluss der Folge, nach der Rückweisung einer Frau, die er zuvor noch energisch als eine mögliche neue Geliebte verfolgt hatte (Dr. Jennifer Melfi), vor dem Hintereingang seines Hauses platziert, dann ist das die tragisch-komische Flucht in das Männlichkeitsmodell des ›Hausherren‹, das ihm aber niemand mehr in seiner Familie bestätigen möchte. »It’s a powerful image, yet a false one. He watches over a house he doesn’t live in anymore, waiting in vain for an ursine intruder when in truth, the only hairy, lumbering threat is Tony«.88
D AS F RAUENBILD DES G ANGSTERS : T HE M OTHER , THE W HORE AND THE H ORSE Als Dr. Melfis Ex-Ehemann Richard LaPenna in »The Legend of Tennessee Moltisanti« (s01e08) erfährt, dass es sich bei ihrem neuen Patienten um einen Italoamerikaner handelt, folgert er spontan: »Ah, Italian male seeing a shrink. Let me guess, mother issues.« Tatsächlich nimmt die Mutter in einer Kultur, in der nichtfamiliäre Bindungen bloß von zweitrangiger Bedeutung sind und das Ansehen der Familie traditionell nicht unbedingt am Beruf des Vaters, sondern eher am intakten Haushalt der Mutter ermessen wurde,89 eine prominente Stellung ein. »The concept of the ›mama’s boy‹ is, in fact, a blind spot in Italian culture«,90 schreibt Pellegrino D’Acierno und verweist auf die in den kulturellen Objektivationen der Italiener und Italoamerikaner wiederholt verhandelte Hassliebe zwischen einer Mutter und ihrem Sohn. Das prominenteste Mutter-Sohn-Narrativ ist dabei das der alten Mutter, die fürchtet, ihren erwachsenen Sohn nicht mehr bekochen zu dürfen – weshalb sie versucht, ihn in einem infantilen Abhängigkeitsverhältnis zu sich zu halten. Die in diesem Narrativ deutliche Ambivalenz gegenüber der Mutter, deren aufopferungsvolle Liebe in eine nicht mehr so selbstlose, den Sohn in seiner individuellen Entscheidungsmacht beschneidende Kontrollsucht umschlagen kann, bestimmt auch die häufigsten stereotypen Ausformungen der
87 Havrilesky: Darkest note, unter: http://dir.salon.com/story/ent/tv/review/2004/ 03/05/sopranos/index.html, l.A.: 01.03.11. Als Meadows Freund ein Abendessen für die Familie bezahlt, ist Tony außer sich, hat dieser ihm doch die einzige ihm gebliebene Möglichkeit geraubt, für seine Familie zu sorgen: »No! When you have your own family, you pay!« (s05e09: »Unidentified Black Males«). 88 Wang: Sopranos, unter: http://www.popmatters.com/tv/reviews/s/sopranos20 04.shtml, l.A. 01.03.2011. 89 Vgl. D. Ann Squiers/Jill S. Quadagno: »The Italian American Family«, in: Charles H. Mindel/Robert W. Habenstein/Roosevelt Wright (Hg.): Ethnic Families in America, NY: Elsevier 1988, S. 109-127, hier S. 111. Vgl. auch Dika: Representation of Ethnicity, S. 90, sowie Child: Italian or American, S. 27. 90 D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 626f. Vgl. ebd., S. 627.
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Mutterfigur in der amerikanischen Populärkultur, »namely the all-sacrificing ›angel in the house,‹ the over-indulgent mother, satisfying her own needs, and finally the evil, possessive and destructive all-devouring one«.91 THE SOPRANOS beginnt nun mit einem klassischen Mutter-Sohn-Narrativ, in dem der italoamerikanische Sohn in seiner Mutter zunächst bloß die erste der drei genannten Figuren sieht und die anderen zwei unbewusst verdrängt, weil sie nicht in sein soziokulturelles Weltbild passen. Tony Sopranos ersten Szenen mit seiner Mutter Livia in der Pilotfolge könnten in ihrer Komik und Tragik dabei dem Hollywoodfilm MARTY (1955)92 entnommen sein, in dem ein unverheirateter, dicker italoamerikanischer Mann im Alter von 34 Jahren in der kleinen Wohnung seiner Mutter lebt und sich mit ihr an jedem Abend über das Essen streitet, das sie ihm zubereitet und er nur widerwillig akzeptiert, »[the thrust of the drama being] his mother’s loss of her role as nurturer (to have no one to cook for, the ultimate Italian tragedy of the domus) and her passage into old age.«93 Auch Livia Soprano bedient mit ihren blumigen Hauskleidern, fahrigen Handbewegungen und ihrem herb-maskulinen Gesicht die stereotype Inszenierung der ethnic mamma aus vielen früheren Hollywoodfilmen über italienische Einwanderer, »[often pictured] in the kitchen, brandishing a stirring spoon, and insisting that we eat, mangia«.94 Livias Rhetorik ist aber noch eine Spur kläglicher und beschuldigender. »You never let me feed ya!«, wirft sie dem ihr ›untreu‹ gewordenen Nachwuchs vor und quittiert Tonys Klage über ihre pessimistische Lebenseinstellung mit: »Oh, poor you!« Als Dr. Melfi ihn aber auf die manipulativen Seiten seiner Mutter anspricht, wehrt er ab und verteidigt ihr Verhalten mit dem nicht genügend erwiesenen Respekt, den sie sich als seine Mutter verdient habe: »She’s a good woman. She put food on that table every night. I’m the ungrateful fuck, ‘cause I come here and I complain about her« (s01e02: »Down Long«). Die Serie bricht aber mit dem traditionellen Bild italoamerikanischer Frauen, »[as] devoted to home and family, revered and protected for their support and self-sacrifice«,95 wenn sie wiederholt Mütter in Szene setzt, die die von ihnen liebevoll zubereiteten Gerichte mit derselben Skrupellosigkeit besetzen wie die Männer in der ›Familie‹ ihre Waffen, um viel geschickter andere zu manipulieren und subtiler eigene Ziele zu verfolgen.96
91 92 93 94
Kaplan: Motherhood and Representation, S. 48. MARTY, USA 1955, R: Delbert Mann. D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 626. Golden: La Famiglia, S. 83f. Vgl. hierzu auch Dika: Representation of Ethnicity, S. 84. 95 Baker/Vitullo: Screening the Italian-American Male, S. 214. 96 In »Full Leather Jacket« (s02e08) lädt Tony einen problemstiftenden Gangster zum Familienessen. Als er seiner Frau sagt, »I want him where I can see him«, stimmt sie ihm zu: »That’s what we mean when we say ›family.‹« Manipuliert sie in der Folge doch nach ihrem Belieben die College-Karriere ihrer Tochter.
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Als sich Tony Soprano in »I Dream of Jeannie Cusamano« (s01e13) dieser maternalen Macht erstmals in ihrem vollen Ausmaß bewusst wird, ist er sprachlos. Mit der forcierten Lektüre seiner Therapeutin erschließt sich für ihn eine undenkbare Tatsache: Seine Mutter hat die Staffel über versucht ihn umzubringen, weil er sich ihrer Macht zu entziehen versucht hat. Es ist ein Moment, der die symbolische Ordnung, an der sich die Psyche des Gangsterprotagonisten orientiert, zutiefst erschüttert, »[it is a] moment of abjection[,] a moment when all his prior assumptions come tumbling down, and he is faced with an abyss. He must re-negotiate his identity«. 97 Tony erkennt nun in Livia die post-ödipale phallische Mutter, die ihm zuvor noch in seinen Erinnerungen als diabolische Mutterfigur erschien, die in seiner Kindheit den Vater mit ihren hysterischen Wutanfällen manipuliert und dem jungen Tony damit gedroht hatte, mit der Gabel ins Auge zu stechen (s01e07: »Down Neck«). Es ist eine Einsicht, die sich in einer stummen melodramatischen Szene auf Tonys Gesicht schockiertem vollzieht, als ihm gegen Ende der ersten Staffel Tonbandaufnahmen des FBIs von den geheimen Intrigen seiner Mutter vorgespielt werden. »[This is] the ›unspeakable‹ truth revealed in the sensation scene[,] the revelation of who is the true villain, and who the innocent victim«.98 Diese charakteristisch melodramatische Schuldzuweisung identifiziert Tony (vorerst) als den hintergangenen Protagonisten seiner Geschichte, für dessen schwere Männlichkeitskrise Livia als die konventionell trügerische Mutterfigur des Male Melodrama verantwortlich ist, »[that is, mostly], by refusing to stay in her culturally sanctioned place«.99 Die selbstlose, hingebungsvolle Mutter, die sich Tony Soprano wünscht und für die er Livia anfangs noch hielt, meint er am Ende von »Proshai, Livushka« (s03e02), der Folge, in der sie stirbt, gefunden zu haben. Es handelt sich um Ma Powers, die in den Schlussszenen des klassischen Gangsterfilms THE PUBLIC ENEMY, den sich Tony in der Folge anschaut, fröhlich singend die Heimkehr ihres ›verlorenen Sohnes‹ Tommy erwartet: »I’ll get his room ready. I knew my baby would come home.« Doch während sie in Tommys früherem Kinderzimmer im oberen Stock dessen Bett frisch bezieht, wird er von einer gegnerischen Gang halbtot geschlagen vor der Haustür der Familie abgesetzt. Als Toms Bruder Mike die Tür öffnet, fällt der Gangsterprotagonist, der sich erst in der Szene davor entschieden hatte, sein anderes Leben auf der Straße aufzugeben und zurückzukehren ins Schoß der Familie, an eine Trage gefesselt ins Haus. Die Tränen Tonys, bewirkt von der Melodramatik der Sequenz, in der die sentimentale Hoffnung einer Rückkehr zur Familie zu spät ist, markieren und artikulieren wie so oft im Melodram: »die Abwesenheit der Mutter und den Wunsch nach ihrer Rückkehr, nach einem Zustand vor dieser fundamentalen Trennung. Aber Trennung und Verlust
97 Chanter: Viewing Abjection, unter: http://www.women.it/cyberarchive/files/ chanter.htm, l.A.: 01.03.11. 98 Williams: Race Card, S. 18. 99 Silverman: Subject of Semiotics, S. 140.
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haben sich immer schon ereignet. Tränen sind demnach auf zweierlei Weise das Zeichen für […] Ohnmacht. Es ist in Wirklichkeit immer zu spät.«100 Was Tony hier jedoch entgeht oder er unbewusst verleugnet, ist die Beobachtung, dass Ma Powers bei weitem nicht so naiv ist wie sie in THE PUBLIC ENEMY in Szene gesetzt wird. Immer wieder findet sie sich bei den Streitereien zwischen ihren beiden Söhnen, dem kriminellen Tom und dem rechtschaffenen Arbeiter Mike, im Bild hilflos zwischen ihnen positioniert. In der Abwesenheit ihres toten Gatten versucht sie vergeblich zwischen ihren Kindern zu schlichten, die beide einen Kopf größer sind als sie. Sie ähnelt damit weniger Tony Camontes moralisch gefestigter Mutter in SCARFACE, die das ›sündige‹ Dasein ihres Sohnes streng verurteilt, als an die liebevolle Mutter von Rico Bandellos panischem Fluchtwagenfahrer Antonio in LITTLE CAESAR, die ihren Sohn in einer Szene, untermalt mit romantisch-sentimentaler neapolitanischer Musik, an seine frühere Unschuld erinnert und ihn darum bittet, zur Beichte zu gehen, um sich das Gewissen zu erleichtern. Rico, der keine familiären Bindungen hat und Antonio auf den Stufen zum Kircheneingang erschießt, findet am Ende des Films das genaue Gegenstück zu dieser ›guten‹ Mutter in der ›bösen‹ Zigeunerfrau Ma Magdalena, die ihm zwar auf seiner Flucht vor der Polizei kurzzeitig Unterschlupf gewährt, aber nur sofern er sich ihr gegenüber unterwürfig zeigt und sie später für ihre Fürsorge bezahlt. Die Infantilisierung des Gangsterprotagonisten durch eine Mutterfigur ist auch evident zum Ende von THE PUBLIC ENEMY: Die Bandagen, die Toms Beweglichkeit und Freiheit verhindern, lassen ihn wie ein eingewickeltes Baby erscheinen und verweisen damit auf die Figur des Films, die ihn immer wieder als ihr »baby« bezeichnet: Ma Powers. Die Liebe, mit der diese ihren Sohn überschüttet, macht ihn arrogant, egoistisch und gar nicht gesellschaftsfähig – ideale Voraussetzungen also für einen Gangsterkarriere. Im Laufe des Films bewegt sich Tommy dann nicht nur zwischen zahlreichen Ersatzvätern, er rotiert auch ständig zwischen mehreren Frauen, die damit ›drohen‹, die Funktion seiner Mutter einzunehmen.101 Der ersten Frau, die für ihn Frühstück macht und sich um ihn sorgt, drückt er eine Grapefruit ins Gesicht (der in Romantic Comedies über Essensschlachten ausgetragene Gender-Konflikt wird im Kontext des Gangsterfilms also zu – damals schockiert rezipierter102 – häuslicher Gewalt). Der Geliebten seines Bandenführers schlägt Tom ins Gesicht, als er feststellt, dass sie ihn mit Drogen gefügig gemacht und ohne sein Wissen verführt hat. Erst in der selbstbewussten Gwen findet er eine ebenbürtige, wenn nicht gar fähigere Partnerin, »an impossible combination of whore and mother.«103 Im Unterschied zu den anderen Frauen versucht Gwen weder ein bürgerliches Leben mit ihm einzuge-
100 Neale: Melodram und Tränen, S. 162f. 101 Vgl. Slotkin: Gunfighter Nation, S. 263 f. Vgl. hierzu ebenso Shadoian: Dead Ends, S. 56. 102 Vgl. Slotkin: Gunfighter Nation, S. 262. 103 Ebd., S. 262.
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hen, noch Sex mit ihm zu haben. Sie spielt lieber mit ihrem »bashful boy«, manipuliert ihn und genießt ihre Macht über den gefürchteten Gangster. Für Tommy bleibt Gwen, die in ihrer kühlen Erotik die femme fatale der NoirFilme der 1940er und 50er Jahre vorwegnimmt, undurchdringlich: »I don’t go in for these long-winded things – but with me, it was always yes or no, and I could never figure you out.« Sie dagegen zeigt die analytische Kompetenz einer Dr. Melfi aus den SOPRANOS, wenn sie ihm seine infantile Persönlichkeit erklärt: »You’re a spoiled boy, Tommy. You want things, and you are not content until you get them.« In dieser Szene steht hinter Tommy, der sich über Gwen die Haare rauft, eine weiße Frauenstatue, die sowohl an die andere Frau in seinem Leben, an die Mutter erinnert, als auch eine intertextuelle Verbindung zu der Frauenstatue in Dr. Melfis Wartezimmer herstellt. Zum Schluss der SOPRANOS-Folge »Pine Barrens« (s03e11), vor der letzten Therapiesitzung der Folge ist eine Nahaufnahme dieser Statue zu sehen, die an die metaphysische Präsenz von Tonys Mutter ermahnt. In der Sitzung fragt Dr. Melfi ihren Patienten, was er an seiner jüngsten außerehelichen Affäre mit Gloria Trillo, die ihm mit ihren extremen Stimmungsschwankungen Sorgen bereitet, so reizvoll gefunden hat: »Depressive personality, unstable, impossible to please. Does that remind you of any other woman?« Tony Soprano schüttelt darauf erschöpft seinen schweren Kopf. Dabei ereilt ihn in der Serie dasselbe Schicksal wie Tom Powers: Immer wenn seine Freundinnen sich bemühen, ein gewöhnliches, häusliches Leben mit ihm zu etablieren, verliert er die Lust an ihnen oder es endet mit einer Katastrophe. Gloria wirft ihm in »Pine Barrens« (s03e11) vor Wut ein Steak an den Kopf und in »The Test Dream« (s05e11) verbrennt sich seine spätere Freundin Valentina beim Kochen eine Seite ihres Gesichts. Doch erst als Gloria sich in der Rhetorik seiner Mutter übt (»Oh, poor you!«), wird Tony bewusst: »I didn’t just meet you. I’ve known you my whole fuckin’ life. […] My mother was just like you. Bottomless black hole.« Er wird also immer wieder mit der Rückkehr seiner auch nach ihrem Tod noch sehr mächtigen Mutter konfrontiert, mit dem return of the repressed in den Frauen, die er sexuell attraktiv findet: DR. MELFI:
TONY: DR. MELFI:
Ask yourself, how did you recognize in Gloria, underneath all her layers of sophistication, this deeply wounded, angry being that would let you replicate, once again, your relationship with your mother? I don’t wanna fuck my mother. I don’t give a shit what you say. You never gonna convince me. Not ›fuck‹. Try to please her. Try to win her love. […] We need to repeat what’s familiar, even if it’s bad for us. (s03e12: »Amour Fou«)
In der fünften SOPRANOS-Staffel begegnet Tony dann ›zufällig‹ der früheren comare seines Vaters, Fran Felstein, einer eleganten, älteren Genre-Nachfolgerin der Figur Gwen aus THE PUBLIC ENEMY, die Tony ebenso virtuos und
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subtil manipuliert wie Gwen einst ihren »Tommy« (s05e07: »In Camelot«). Doch bevor er sich darüber bewusst wird, dass er auf ihr Spiel hereingefallen ist, erkennt Tony etwas anderes: Als Geliebte kann sie ihre Männer bloß mit ihrer Erotik, ihrer aufgesetzten Heiterkeit und ihren Anekdoten unterhalten, nicht aber die Art von Verständnis und Zuspruch zeigen, die er bei seiner Frau findet. Dr. Melfi spricht Tony darauf an, ob sich Livias dysfunktionale Persönlichkeit nicht auch damit erklären ließe, dass sie mit einem Mann verheiratet war, der sie regelmäßig hintergangen hat und selbst während einer Fehlgeburt nicht bei ihr, sondern bei Fran war: »Was there any blame on his part? This man you emulate? The lies? The betrayals with other women?« Doch Tony kann sich diese Fehler weder bei seinem Vater, noch bei ihm selbst nicht eingestehen und hält an der für ihn ›erwiesenen‹ Schuld seiner Mutter fest. Als er am Schluss der Folge im Striplokal Bada Bing! sitzt und Frans Anekdoten wiederholt, um sich bei seiner Crew Anerkennung zu verschaffen, knüpft er eine Männerfreundschaft zu seinem abwesenden Vater über die Verleugnung seiner Mutter und die Stilisierung von dessen Geliebten. Dass ihn aber die Ambiguität über die Schuld und Unschuld seiner Mutter innerlich aufwühlt wird durch eine Nahaufnahme seines nachdenklichen Gesichts deutlich, welches in der Serie wie im Melodram oft ein vertrauenswürdigerer Bedeutungsträger ist als die Selbstanalysen der Figuren. Auch die Handlungsorte der Serie sind für das komplexe Frauenbild der Gangster entscheidend. Die Hinterzimmer des Striplokals Bada Bing!104 und der Metzgerei Satriale’s sind die Schauplätze, an denen Tony Soprano und seine Crew ihre Männerfreundschaften pflegen. Beide Handlungsräume sind sich gendertopographisch ähnlich, regen doch beide Läden in der einen oder anderen Form ihre Kunden zur ›Fleischbeschau‹ an, ob nun in Form von für den Verzehr verarbeitetem Schlachtgut oder in Form von für den erotischen Blickfang trainierten Frauenkörpern.105 Wenn es sich bei rohem, ungekochtem Fleisch um ein Symbol für eine zivilisatorische Vorstufe, einen barbari-
104 Dieser Name ist Sonny Corleones Rede an Michael aus THE GODFATHER entnommen, in der der für seinen ausgeprägten sexuellen Appetit bekannte Sonny seinem Bruder den kopfnahen Schuss erklärt: »You gotta get ’em close like this and bada bing – you blow their brains all over your nice Ivy League suite!« Die Entladung von Gewalt wird in THE SOPRANOS dann mit der männlichen Ejakulation gleichgesetzt, werden die Buchstaben des Bada Bing! in dem Schriftzug über dem Lokal doch von den nackten Beinen einer erregten Frau umschlossen. 105 Vgl. Nochimson: Dying to Belong, S. 191. Die Stripperinnen bedienen so auch die heterosexuelle Blickordnung, die Laura Mulvey für die Begehrensordnung des Patriarchats und des klassischen Hollywoodfilms als konstitutiv bezeichnet hat: »In their traditional exhibitionist role women are simultaneously looked at and displayed, with their appearance coded for strong visual and erotic impact so that they can be said to connote to-be-looked-at-ness. Women displayed as sexual object is the leit-motif of erotic spectacle« (Visual Pleasure, S. 750).
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schen Zustand handelt,106 dann repräsentiert der fensterlose Stripschuppen, in dem es immer dunkel ist, im Verhältnis zu dem meist hell ausgeleuchteten Esszimmer der Soprano-Familie den Rückfall in eine primitive Vorstufe moderner Geschlechterbeziehungen. Der VIP-Bereich des Bing! potenziert diese beiläufige Erniedrigung der Frau in der Mafia noch dadurch, dass eine Tänzerin für den lukrativen Eintritt in den Raum den Türsteher mit Geld und Oralverkehr bezahlen müssen. Kann es doch sein, dass ein Mafioso Gefallen an ihr findet und sie zu seiner comare macht, was für sie den sozialen Aufstieg innerhalb des Milieus bedeuten würde. Die Männer rationalisieren sich ihre sexuelle Ausbeutung der Frauenkörper zum finanziellen Wohle der anderen, im familiären Verhältnis zu ihnen stehenden Frauen in ihrem Leben (Mütter, Ehefrauen, Töchter, Schwestern etc.) mit einer kapitalistischen Logik. So stellt Silvio Dante, der Betreiber des Bing!, einmal fest: »My daughter’s been givin’ me all this feminist shit about this place, how it ›objectifies women‹. Y’know, shit like that. These girls are pulling down 1500$ a week. This bears no weight with the principessa« (s01e07: »Down Neck«). Was sich den Gangstern selten erschließt, aber die Serie wiederholt ausstellt, sind die zahlreichen Parallelen zwischen den ›Madonnen‹ daheim und den ›Huren‹ in ihrem ›Geschäft‹. In »Boca« (s01e09) inszeniert sich Silvio neben den nackten Tänzerinnen als sorgender Vater (»It’s the kids that are important.«), während Tony zuerst die Fußballmannschaft seiner Tochter für ihr Spiel lobt (»Good job, girls!«), um dann in der direkt daran anschließenden Szene einen Besucher des Bing! zu ermahnen (»Don’t touch the girls!«). Feministische Lektüren der Serie haben oft darauf hingewiesen, dass es neben Dr. Melfi, die als einzige Frau in Tonys Leben nur Geld dafür bekommt, ihm zuzuhören, es vor allem die Stripperinnen sind, die sich gegenüber den Mafiosi eine gewisse Autonomie bewahren. Basiert die Bindung dieser sich wie animierte Requisiten im Hintergrund bewegenden Frauen zu den Männern doch allein auf der geschäftlichen Transaktion von Sex gegen Geld.107 In »University« (s03e06) kommt es aber zu einer Gefährdung der patriarchalen Dichotomie zwischen den ›anständigen‹ Frauen innerhalb und den ›unanständigen‹ Frauen außerhalb der Familie, als mit Tracee eine der Stripperinnen aus dem Hintergrund des Bing! tritt und Tony Sopranos Aufmerksamkeit nicht mit körperlichen Reizen, sondern mit selbstgebackenem Brot beansprucht. Tony – der von der Geste so überrascht ist wie der Zuschauer, der die Bing!-Tänzerinnen bisher nur in unfreiwillig komischen Momenten sprechen gehört hat108 – fühlt sich daraufhin genötigt, Tracee die Grenzen zu zeigen, die ihr ein familiäres, geschweige denn ein freundschaftliches Ver-
106 Vgl. Poole: Reel Meals, S. 1. 107 Vgl. Donatelli/Alward: Married to the Mob, S. 70. 108 Als eine Stripperin im Bing! von Jackie Aprile’s Tod hört, sagt sie: »I’ll never forget where I was this day« (s01e04: »Meadowlands«). Und als Tony in Sorge um seine Mutter vom Bing! zu ihr eilt, zeigen sich die nackten Tänzerinnen im Hintergrund ungewöhnlich besorgt: »Is your Mom ok?« (s01e02: »46 Long«).
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hältnis zu ihm unmöglich machen müssten: »I already got a family, y’know. They give me gifts. What we have is an employer-employee-thing.« Tracee präsentiert sich mit ihrer kindlich-unschuldigen Zahnspange und ihren unbeholfenen Gesten als ›verlorene Tochter‹, die zurück ins Schoß der Familie will. Als Kind von ihrer Mutter misshandelt und selbst gewalttätig gegen ihren Sohn, sucht Tracee das unterstützende Gespräch mit der einzigen Vaterfigur in ihrem Leben. Tony aber zeigt sich ihr gegenüber ebenso gleichgültig wie der Mafioso Ralph Cifaretto, als dessen comare sie jedoch weiterhin im Bing! arbeiten muss. Von Ralph muss sie sich nicht nur herumkommandieren und oft beleidigen lassen, er missbraucht sie auch als ›Geschenk‹, um Männerfreundschaften zu pflegen. »[A] metaphorical interpretation of class conflict as sexual exploitation and rape, […] important [to all] forms of melodrama«, findet sich dabei in einer Einstellung konzentriert, in der Tracee von Ralph dazu gezwungen wird, sich von ihm und einem Polizisten gleichzeitig von vorne und hinten penetrieren zu lassen. Als weibliche Opferfigur wird sie hier in mehrerlei Hinsicht vom (symbolischen) Gesetz ›gefickt‹. Doch in ihrer Naivität versucht Tracee unbeirrt mit Ralph, von dem sie ein Kind erwartet, das Familienleben zu leben, das sie nicht haben kann. Als sie sich in dessen Wohnung versteckt, taucht ihr Arbeitgeber Silvio auf, besteht auf die Zahlung ihrer Schulden und schleppt sie mit Schlägen zurück zum Bing! Ralph, von dem sie sich Schutz erhofft hatte, steht dabei nur tatenlos am Fenster und amüsiert sich im Drogenrausch über die Gewalt, die Tracee vor seiner Haustür erfahren muss. Sein hämisches Lachen in dieser Szene geht über in ein herzlicheres Lachen im Kreise seiner Familie in der nächsten Szene. Es ist einer von mehreren Schnitten in der Folge (wie auch in der Serie), die Parallelen und Ambiguitäten zwischen den beiden Lebensräumen der Mafiosi kreiert, die die Gültigkeit des jeweils anderen bedrohen. Eine weitere, wichtige Analogie, die die Folge durch ähnliche Bild- und Schnittkompositionen zieht, ist die zwischen Tracee und Meadow, die Tochter Tony Sopranos, die am College ihre ersten sexuellen Erfahrungen macht: »[Thus, t]he ›good‹ daughter becomes sexualized, as the ›bad‹ stripper seeks the legitimacy of love, marriage, and baby carriage«.109 Tracee, deren prekäre Gratwanderung zwischen Madonna und Hure in ihrem bevorzugten Stripsong »Living on a Thin Line« von The Kinks reflektiert wird, stellt mit ihrem unorthodoxen Verhalten die patriarchale Dichotomien in Frage, die das Selbstbild der sie umgebenden brutalen Männer strukturieren. Während sich Tony davon irritiert und desinteressiert zeigt, bringt Ralph sie für ihre ›Verstöße‹ schließlich um. Erst als Tony Tracee tot vor dem Bing! findet, erahnt er die Parallelen zwischen seinen zwei ›Töchtern‹: »20 years old, this girl.« Doch wie ist seine Trauer am Ende dieser Folge zu bewerten, wenn er in seiner Therapie Tracees Mord als tragischen »work-related death« bezeichnet, und sich danach kaum jemand in der Serie an Tracee erinnert außer den
109 Johnson: Resisting Reader, unter: http://www.barnard.edu/sfonline/hbo/johnson_01.htm, l.A.: 01.03.11.
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Tänzerinnen, die in der letzten Szene gelangweilt und routiniert ihrer Arbeit nachgehen? Ist der Mord an der ›unschuldigen‹ Frau nur dazu da, damit der Mann sein antiquiertes Frauenbild kritisch überdenkt, »a mere narrative alibi to get a crisis of masculinity going«?110 Oder wird hier nicht auch die patriarchale Gewalt ausgestellt, der viele Frauen weiterhin ausgesetzt sind, trotz der dominierenden Leidensrhetorik des Mannes? In dieser Hinsicht würden THE SOPRANOS eben jenen kulturellen Texten angehören, »[that] analyze[.] male power, male hegemony, with a concern for the effects of his power on the female subject and with an awareness of how frequently male subjectivity works to appropriate ›femininity‹ while [still] oppressing women.«111 Die Beobachtung greift auch für die GODFATHER-Reihe. So beginnt der erste Film nicht nur mit der Hochzeitsfeier der einzigen Tochter des Paten, sondern auch mit der verbitterten Klage eines Patriarchen über seine Unfähigkeit, die Misshandlung seiner Tochter zu vergelten. Die fröhliche, im unschuldigen Brautkleid tanzende, italienisch erzogene ›gute‹ Tochter Connie Corleone wird der amerikanisch erzogenen ›schlechten‹ Tochter Bonaseras gegenübergestellt, die er als sein wertvollstes ›Gut‹ beschreibt: »She was the light of my life. Beautiful girl. Now she will never be beautiful again.« Die von zwei amerikanischen Jugendlichen brutal zugerichtete Tochter Bonaseras hat für die Patriarchen also an Wert verloren, die ›familiäre Kapitalanlage‹ einer tugendhaften Tochter sehen Bonasera und Don Vito »ruiniert«. Bonaseras Rede von der Tochter, die von ihren Angreifern »wie ein Tier geschlagen« wurde, spiegelt sich später auch in der Geschichte, die der jüdische Hollywoodproduzent Jack Woltz über die »schöne, junge und unschuldige« Schauspielerin erzählt, die er sich als Schützling und Geliebte erwählt hatte. Als sich Woltz weigert, dem Patensohn des Paten zu helfen, der ihm sein hübsches Protegé gestohlen hat, wacht er eines Morgens in seinem Bett mit dem abgetrennten Kopf eines anderen Protegés auf, dem seines »schönsten« Zuchtpferdes. Die effeminierte Position, in der sich Woltz dann in seinen blutigen Laken wieder findet, ohne zu wissen, woher das Blut kommt – eine Szene, die als groteske männliche Menstruationsszene gelesen werden kann – etabliert die patriarchale Macht des Dons als eine, die all diejenigen Männer bestraft, die die ›unschuldigen‹ Töchter ausbeuten und verderben. Zugleich werden über das Leid dieser Frauen auch neue Männerfreundschaften geknüpft: So steht Bonasera fortan in Vitos Schuld. Woltz fügt sich dem Willen des Paten. In THE GODFATHER, PART II wacht ein weiterer korrupter Antagonist der Corleone-Familie, Senator Pat Geary in einem blutgetränkten Bett auf. Diesmal ist es jedoch kein totes Pferd, sondern – und hier wird die prominente Analogie im Gangstergenre112 zwischen Pferd und Frau
110 Polan: Sopranos, S. 117. 111 Modleski: Feminism Without Women, S. 7. 112 Diese Analogie findet sich auch im Westernfilm, wohl am deutlichsten in dem kontrovers rezipierten Western THE OUTLAW (USA 1943, R: Howard Hughes),
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besonders deutlich – eine Prostituierte, die Michael Corleone nach dem Beischlaf mit dem mächtigen Senator ermorden ließ, um sich damit seine Gunst zu erkaufen. Michaels Anwalt Tom Hagen sucht Pat Geary in dem Bordellzimmer auf und bietet ihm über der blutenden Frauenleiche eine Männerfreundschaft an: »This girl has no family. Nobody knows that she worked here. It’ll be as though she never existed. All that’s left is our relationship.« Eve Sedgwick hat in Anlehnung an die Theoretiker Claude Lévi-Strauss and Gayle Rubin dafür argumentiert, »[that] patriarchal heterosexuality can best be discussed in terms of one or another form of the traffic in women: It is the use of women as exchangeable, […] symbolic, property for the primary purpose of cementing the bonds of men with men«.113 Vor allem in dem hypervirilen Milieu des Gangstergenres ist es die grundlegende Konvention, »[that h]omosocial friendships must be [seen] in terms of rivalry (strength), not erotic love (weakness), the ostensible prize always being a normatively objectified woman (or money, which is the means to get women)«.114 Dies zeigt sich besonders deutlich etwa in dem klassischen Gangsterfilm SCARFACE, wo es für den Gangsterprotagonisten Tony Camonte selbstverständlich ist, dass er mit dem Revier seines früheren Anführers auch dessen Freundin ›übernimmt‹. In der ersten Szene, in der Tony auf Poppy, der reizvollen Freundin des amtierenden Gangsterbosses Johnny Lovo trifft, beneidet er zunächst Lovos Zigarre (»Expensive, huh?«), dann seinen Morgenmantel (»Silk. Expensive, huh?«) und schließlich auch seine Affäre (»She’s a very busy girl. Expensive, huh?«). Auch für Tonys Begierde nach Poppy gilt wie so oft im Genre, »[that] the choice of the beloved is determined in the first place, not by the qualities of the beloved, but by the beloved’s already being the choice of the person who has been chosen as a rival«.115 So werden Freundschaften zwischen Männern durch eine Frau als Kopula, als Bindeglied nicht nur ermöglicht, sondern auch sehr oft in Gefahr gebracht. Die vierte Staffel der SOPRANOS rekurriert explizit auf den Westernfilm, um eine noch deutlichere Analogie zwischen Frau und Pferd zu ziehen. Wie in der dritten Staffel, wo Tracee zwischen Tony und Ralph stand, steht hier Ralphs comare Valentina La Paz zwischen den zwei Gangstern. Tony geht eine kurze Affäre mit Ralphs Freundin ein, weist sie dann aber doch zurück mit den Worten: »For one thing, I already took his horse!« (s04e08: »Mergers and Acquisitions«).116 Es handelt sich dabei um das Rennpferd Pie-O-
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in dem zwei Revolverhelden um die Liebe einer Frau und um ein Pferd streiten, und sich beide schließlich lieber für das Tier als für den Menschen entscheiden. Eve Kosofsky Sedgwick: Between Men: English Literature and Male Homosocial Desire, New York: Columbia UP 1985, S. 25f. Grossman: Homosexual Men, S. 240. Sedgwick: Between Men, S. 21. In der fünften Staffel träumt Tony, dass er auf seinem Pferd in Carmelas Wohnzimmer sitzt. Sie ist nicht erfreut: »You can’t have your horse in here. […] The smell and shit all over the place.« Er erwidert: »I’ll clean up after her.« Aber sie
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My, das Ralph zu Beginn der Staffel kauft, und das nach und nach von Tony übernommen wird, der zu Ralphs Irritation großen Gefallen an dem Gaul, an ›ihrem Mädchen‹ findet (Tony: »How’s our girl?« – Ralph: »Our girl?«, s04e05: »Pie-O-My«). Als das Pferd in der Folge krank wird, gewährt Tony dem Tier den Schutz und die Aufmerksamkeit, die er Tracee nicht zukommen ließ. Während Dean Martins sentimentale Ballade »My Rifle, My Pony and Me« aus dem Western RIO BRAVO (1959)117 im Hintergrund spielt, sitzt Tony im strömenden Regen alleine bei ›seinem Mädchen‹, streichelt es und raucht seine Zigarre, während er zu ihr sagt: »Good girl. Trust me. It’s ok.« In »Whoever Did This« (s04e09) erfährt Tony beim Sex mit Valentina dann davon, dass sein Pferd bei einem Stallbrand gestorben ist. Als er Ralph in dessen heimischer Küche mit der Nachricht konfrontiert, zeigt sich dieser desinteressiert, worauf eine brutale Schlägerei zwischen ihm und Tony ausbricht, der ihn für den Tod von Pie-O-My verantwortlich macht. Während er Ralph auf dem Küchenboden würgt, wirft Tony ihm vor: »She was a beautiful, innocent creature. What did she ever do to you?« Dass sich Tony damit nicht nur auf das Rennpferd bezieht, das er nicht vor Ralphs Gier beschützen konnte, sondern auch auf Tracee, der er in der vorherigen Staffel nicht denselben Schutz vor Ralph anbieten konnte, wird am Ende der Folge deutlich. Nach der Beseitigung der Leiche besucht Tony erschöpft das Bing!, um seine Kleider zu entsorgen und zu duschen, und blickt dabei in den Spiegel in der Umkleide der Tänzerinnen. Unter den dort angebrachten Bildern befindet sich auch ein Bild von Tracee, die als Einzige angezogen ist. Als Tony das Bing! verlässt, tritt er von der Dunkelheit des Striplokals in das gleißende Tageslicht. Er hat sich von Ralph ›gereinigt‹. Tony hat den Tod seiner ›Tochter‹ – mit einiger Verzögerung – gerächt, indem er einen Mafioso umgebracht hat, »because he is sadistic, violent, abusive, and because he has killed impulsively. So he kills Ralph, sadistically, violently, and impulsively.«118 Die Ambiguitäten seines Frauenbildes bleiben aber weiter bestehen.
D IE L EIDEN
DER
E HEFRAU : ›M RS . S OAP ‹
In der zweiten Folge der vierten SOPRANOS-Staffel, »No Show« (s04e02), ist eine kurze Szene zu sehen, in der Carmela Soprano Misty Giaculo begegnet, einer Freundin ihrer Tochter Meadow, von der sie mit den Worten »Hi, Mrs. Sop!« gegrüßt wird. Interessant daran ist, dass das Kürzel »Sop« für »Sopra-
ist nicht überzeugt: »You always say that.« In Tonys Traum steht das Pferd für die comares, die in der vierten Staffel bis in sein Heim vorgedrungen sind und zur Trennung von Carmela geführt haben. Diese Szene aus »The Test Dream« (s05e11) präfiguriert somit die Szene aus der nächsten Folge, in der sie sich mit dem Versprechen seiner Treue vertragen und er wieder bei ihr einziehen darf. 117 RIO BRAVO, USA 1959, R: Howard Hawks. 118 Nochimson: Dying to Belong, S. 224.
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no« – in einem Serientext, der vor Koseformen dieser Art, wie zum Beispiel Mead(ow), Jun(ior), Ro(salie) oder Sil(vio), nur so überläuft – nur von dieser einen und in der Serie nur in dieser einen Szene zu sehenden Randfigur benutzt wird. Bemerkenswert ist zudem, das dieser Gruß – der aus Giaculos Mund klingt wie: »Hi, Mrs. Soap!« – gerade der ersten Szene vorangestellt ist, in der sich die zwei Protagonisten eines zentralen Handlungsstrangs der vierten Staffel zum ersten Mal in derselben gegenüberstehen werden. Denn bei dem vor der Haustür wartenden Mann mit der Pferdeschwanzfrisur, über den sich Misty in ihrer kurzen Szene wundert, handelt es sich um den italienischen Immigranten Fur(io) Giunta, dem Fahrer und Leibwächter Tonys, in den sich Carm(ela) im Verlauf der Staffel verliebt. Mit diesem Soap-OperaNarrativ über eine heimliche, verbotene Liebe, die über mehrdeutige Blicke, Gesten und Dialoge zwischen den zwei Figuren nicht hinausgeht, erfährt die Gangsterserie eine Umschrift zu jener Art von popular romance, für das der Melodrambegriff früher in der Regel Verwendung fand, »[those depicting] a virtuous individual (usually a woman) or couple (usually lovers) victimized by repressive and inequitable social circumstances, particularly those involving marriage, occupation, and the nuclear family«.119 Die große Aufmerksamkeit, die der Handlungsstrang über Carmelas Leiden an ihrer unerfüllten Liebe in den letzten Folgen der vierten Staffel erhält, und ihre privilegierte Positionierung im Text als die primäre Identifikationsfigur der Serie brechen dabei mit der traditionellen Inszenierung von Frauen im Gangstergenre als Lustobjekte des filmischen, konventionell männlichen Blicks.120 Stattdessen wird der Zuschauer durch den Perspektivwechsel veranlasst, mit der zentralen Frauenfigur zu leiden, ihre Machtlosigkeit innerhalb patriarchaler Strukturen nachzuempfinden und ihr weibliches Begehren für Furio zu teilen. Furio, den man in der zweiten SOPRANOS-Staffel noch als den brutalsten ›Soldaten‹ der Soprano-›Familie‹ kennen lernte, erscheint in den Szenen, in der die Kamera Carmelas Blickposition einnimmt als ein unmöglich schöner Adonis, der sich ihr gegenüber unerwartet freundlich, respektvoll und sensibel präsentiert. Das sind genau die Qualitäten, die Carmela bei ihrem Ehemann vermisst, der als der eigentliche Protagonist der Serie (und des Gangstergenres) hier nur die repressiven patriarchalen Strukturen repräsentiert, die der Liebe zwischen den beiden anderen Sympathieträgern dieser Staffel im Weg stehen. Der Moment, in dem sich Carmela der Liebe zu Furio bewusst wird, ist dabei von exemplarischer Melodramatik: Als sie beginnt mit ihrem Mann zu schlafen, er mit seinem ganzen Gewicht auf ihr liegt und dann sein Oberkörper ihren Kopf in der rechten Ecke des Bildes einschließt (s04e04: »The Weight«), blickt sie hoch, während sich ein drama of recognition auf ihrem Gesicht abspielt. Das italienische Musikstück, zu dem sie auf Furios Einweihungsfeier mit ihm getanzt hat, beginnt jetzt in ihrem Kopf zu spie-
119 Schatz: Hollywood Genres, S. 222. 120 Vgl. Mulvey: Inside and Outside the Home, S. 75.
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len. Über einer Nahaufnahme ihres halb verdeckten Gesichts, vermittelt das bedeutungsvoll-dramatisch verlangsamte Lied, das melos ihr inneres drama. Abbildung 5: Drama of recognition: drama through melos
Quelle: THE SOPRANOS – SEASON FOUR. DVD. HBO Video 2007
Ihr ›lautes Schweigen‹ über die ›schwer‹ auf ihr lastende Unzufriedenheit in ihrer Ehe und in ihrer immer weniger notwendige Mutterrolle, ihre kontinuierlich aufgeschobene Entscheidung zwischen dem reichen Gatten und ihrer heimlichen Liebe bildet eine populäre Konvention des Familiemelodrams: »At the narrative-thematic core, [it] is a metaphoric search for the ideal husband/lover/father who, as American mythology [has] it, will stabilize the family and integrate it into the larger community. Hollywood mythology tends to portray the husband and the lover in essentially contradictory terms: the woman’s dilemma is, [] she must opt for either socioeconomic security or emotional and sexual fulfillment.«121
Ohne explizit auf den Film als Prätext Bezug zu nehmen, weist die Liebesgeschichte zwischen Carmela und Furio einige Parallelen zu Douglas Sirks Liebesmelodram ALL THAT HEAVEN ALLOWS122 auf. Wie die wohlhabende Protagonistin des Films von 1955, die in den Suburbs wohnende Witwe Cary Scott, fühlt sich auch Carmela gefangen von den materiellen Gütern ihrer bürgerlichen Lebenswelt.123 Scott verliebt sich in den jüngeren Gärtner Ron Kirby und zieht damit den Groll ihrer sozialen Umgebung auf sich, die eine Liebe, die derart auffallende Alters- und Klassengrenzen durchbricht, nicht dulden will. Carmela, die sich angesichts eines meist abwesenden, chronisch
121 Schatz: Hollywood Genres, S. 235. 122 ALL THAT HEAVEN ALLOWS, USA 1955, R: Douglas Sirk. 123 Vgl. Halliday: All That Heaven, S. 61.
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untreuen Ehemannes nicht weniger einsam und verlassen fühlt als Cary, erblickt in Furio eine romantische Bindung zurück zur Natur, von der sie ihr materieller Wohlstand abgeschnitten hat. In »The Weight« (s04e04) besucht sie Furio – mit ihrem Sohn als unfreiwillige und ahnungslose ›Anstandsdame‹ – und trifft ihn bei der Gartenarbeit an. Wie Ron im Film schwärmt Furio, der als frischer Immigrant Italien vermisst, von der Natur, in dieser Szene von einer früheren Anstellung als Gärtner, von der glücklichsten Zeit seines Lebens, als er mit seinen Händen in der Erde wühlen und Oliven pflanzen durfte: »Sometimes, I get the smell of olives, in a restaurant, in the store maybe. It makes me very sad.« Dabei wird Furio ähnlich wie Kirby im verträumten Blick der Protagonistin erotisiert: mit seinem muskulösen, von der Arbeit schwitzenden Oberkörper und seinen langen, schwarzen Haaren sieht Furio aus, als wäre er soeben vom Titelbild eines romance novels gestiegen. Anders als Kirby wirkt er in diesen Szenen aber nicht effeminiert,124 sondern trotz der Sanftheit und Zurückhaltung ebenso viril und attraktiv wie in den Gewaltszenen, »[for] when he exercises self-control under the pressure of a fierce attraction to Carmela, he attains a nobility unique in Tony’s crew«.125 Der ähnlich muskulöse, aber weit sanftere Ron und seine Bäume verkörpern in ALL THAT HEAVEN ALLOWS die verlorenen Ideale Amerikas, »ideals which are now unattainable, [f]or, since the time when these ideals were established, the society has lost touch with its own past. It has become fossilized«.126 In der Serie steht Furio analog dazu für das italienische Herkunftsland, von dem Carmela im reichen Amerika getrennt ist, das in ihrem Inneren aber weiter als romantische Fiktion weiterlebt, »fighting for expression, which has to be revealed to her by her headaches and then by the doctor«.127 Doch dann ist es auch schon zu spät: Furio, der kurz vor der Wahl stand, Tony zu töten oder sich von Carmela fernzuhalten, entscheidet sich für die letztere Option und verschwindet. Als dann Carmela von seiner Abreise erfährt und sein Haus voller Panik aufsucht, bleibt ihr nur noch ein schockierter Blick durchs Fenster. Die Kamera fährt dabei von ihrem Gesicht zurück und suggeriert mit der Leere des Hauses auch die innere Leere, die Carmela in diesem Moment fühlt (s04e12: »Eloise«). Ihr Leiden wird im Anschluss noch dadurch verschlimmert, dass sie ihre Tochter um ihr unabhängiges Leben und um ihren neuen Freund Finn, der physische Ähnlichkeiten mit Furio teilt, zu beneiden beginnt. Carmela, die in der vorherigen Staffel noch ihre Tochter dazu angespornt hatte, mehr Zeit in der Kulturhauptstadt New York zu verbringen, statt in ihrer ethnischen Enklave in New Jersey zu bleiben, ist Meadows Erfolg plötzlich suspekt. Nachdem sie ihre Tochter dazu gebracht hatte, die Chancen zu ergreifen, die sie selbst nicht genutzt hat, um durch sie das Leben zu leben, das ihr verwehrt geblieben ist, will sie es auf einmal für
124 125 126 127
Vgl. Neale: Masculinity as Spectacle, S. 18. Nochimson: Dying to Belong, S. 231. Halliday: All That Heaven, S. 61. Ebd., S. 63.
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sich haben und sieht in Meadow eine Konkurrentin. In anderen Worten: Das Liebesmelodram der bisherigen Folgen der Staffel kippt um in ein maternal melodrama128: »[It] is the envy of one generation for the next [which] works in poetic counterpoint to the envy of the show’s male mafia generation for its predecessors«.129 Beklagen die Mafiosi also eine neuere Handlungsunfähigkeit des Mannes im Verhältnis zu der Vorgängergeneration, beklagen ihre Ehefrauen die neuere Handlungsfreiheit der folgenden Frauengeneration. Als Carmela in dieser empfindlichen Situation damit konfrontiert wird, dass ihr Mann sie trotz seiner Beteuerungen weiter mit anderen Frauen betrügt, verliert sie die Fassung und wirft ihn aus dem Haus (s04e13: »Whitecaps«). Sie widersetzt sich damit den patriarchalen Strukturen, die ihre Vorläuferinnen im Gangsterfilm bisher daheim gefangen gehalten haben: »[The gangster] move[s] freely, unimpeded and unintimidated, between different narrative spaces that he believes he commands, while the females, limited to particular interiors, are denied similar mobility.«130 Die erste Transgression dieser unsichtbaren Schranke zwischen dem Geschäftsraum der Männer und dem Privatraum der Frauen in der Mafia ist zum ersten Mal in THE GODFATHER zu sehen, als eine hysterische Connie Corleone in das Büro ihres Bruders stürzt und ihn wegen dem Mord an ihrem Ehemann zur Rede stellt. Als dann auch seine Frau Kay ihn fragt, ob die Anschuldigen stimmten, verweigert er zuerst als traditioneller italienischer Mann jegliche Aussagen über seine Geschäfte,131 und verliert erstmals in der Trilogie die Fassung, als Kay sich mit der Antwort nicht zufrieden gibt. Kann Michael sie hier letztlich überzeugen, verliert er das zweite Mal die Kontrolle über seine Männlichkeitsmaske, die er so virtuos in seinem ›Beruf‹ beherrscht, als sie ihn in PART II mit ihren zwei Kindern verlassen will. Machtlos im domestic melodrama der GODFATHER-Reihe, versucht er sie erneut mit vorgespieltem Verständnis zu überzeugen, bei ihm zu bleiben. Doch als er ihre Unzufriedenheit mit der Fehlgeburt ihres dritten Kindes erklärt, ist das eine Fehllektüre des brillanten Mafia-Strategen, die sie ihm sofort zurück an den Kopf wirft: KAY:
Oh, Michael! Michael, you’re blind! It wasn’t a miscarriage. It was an abortion. An abortion, Michael! Just like our marriage is an abortion. Something that’s unholy and evil! I didn’t want your son, Michael! […] It was a son, a son, and I had it killed because this must all end. […] There would be no way, Michael, no way you could ever forgive me. Not with this Sicilian thing that’s been going on for 2000 years…
128 Vgl. Linda Williams: »›Something Else Besides a Mother‹: Stella Dallas and the Maternal Melodrama«, in: Landy: Imitations of Life (1991), S. 307-330. 129 Regina Barreca zitiert in: Traister: Chick show, unter: http://dir.salon.com/ story/mwt/feature/2004/03/06/carmela_soprano/index.html, l.A.: 01.03.11. 130 Akass/MacCabe: Female Narrative Authority, S. 146. 131 Vgl. Dika: Representation of Ethnicity, S. 91.
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Als Michael seine Frau darauf ohrfeigt, ist das die einzige Gewalt, die er im gesamten Film verübt und die gegen die Person gerichtet ist, die die Familie repräsentiert, für deren Wohl er alle seine Handlungen rechtfertigt. Am Ende von PART II schließt sich wie zum Schluss des ersten Films eine Tür und sperrt Kay aus, damals aus der Mafiafamilie, diesmal aus ihrer Kernfamilie. Fügte sie sich dem ersten Ausschluss, zeigt Kay sich diesmal rebellisch, als Michael die Hintertür zum Haus schließt und seine Kinder damit von ihrer Mutter trennt. Durch den Ausschluss aus den patriarchalen Strukturen ihrer Familie erlangt Kay aber auch eine Unabhängigkeit und Freiheit, mit der sie in PART III überlegter und direkter ihren Ex-Ehemann in Frage stellen kann. Dass der Rauswurf des Patriarchen aus ihrem Wohnraum die patriarchalen Strukturen ihrer Lebenswelt nicht unbedingt verändert, darüber wird sich auch Carmela in der fünften Staffel der SOPRANOS bewusst, als sie versucht, ein relativ unabhängiges Leben, getrennt von ihrem Mann zu führen. Doch nicht nur ihr Sohn A.J., auch ihr eigener Vater Hugh De Angelis zeigt sich enttäuscht und wütend von der Abwesenheit des ›Hausherren‹ von ›dessen‹ Haus, als Carmela eine Geburtstagsfeier für De Angelis plant: »I’ve known the man for twenty-somethin’ years. It’s his house, how’s it gonna look?! […] I’m not comin’ if the man of the house isn’t there!!« (s05e08: »Marco Polo«). Später bedankt sich Hugh auch nicht bei seiner Tochter für die aufwendige Feier auf dem Soprano-Anwesen, sondern bei seinem Schwiegersohn: »Tony, thank you for having us at your home.« Auch die mangelnde Unterstützung, die Carmela von ihrer gebildeten Tochter erfährt, rekurriert auf eine Konvention des Familienmelodrams, »[for] children are to be seen not as the new generation, but as the imitators of the old, the perpetuators of tradition and repression, and thus both conservative and tragic«.132 Meadow, die ihrer Mutter die Serie hindurch wiederholt Vorwürfe dafür gemacht hat, dass sie bei ihrem untreuen, konservativen Mann geblieben ist (»Don’t drag me into whatever bullshit accommodational pretense you’ve got worked out with Daddy!«, s03e07: »Second Opinion«), zeigt sich, bestückt mit der Kreditkarte ihres Vaters, auch bei den Ausbruchsversuchen ihrer Mutter sehr ignorant: »Haven’t you ever thought beyond being dependent on some man?« (s05e09: »Unidentified Black Males«).Unmittelbar darauf erfährt Carmela, dass kein Scheidungsanwalt gegen ihren berühmt-berüchtigten Gangstergatten vor Gericht ziehen will. Als sie dann verbittert heimkehrt und Tony trotz ihres Verbots im heimischen Pool liegen sieht, erhält sie einen Anruf von ihrer Tochter, in der sie von dem Heiratsantrag ihres Freundes Finn schwärmt. Carmela blickt bei der Nachricht von ihrem Schlafzimmerfenster auf ihren Gatten im Pool und fängt an, leise zu weinen. Sie ist, war und wird gefangen bleiben. Die letzte Szene von »Unidentified Black Males« (s05e09) erinnert dabei an die letzte Szene aus dem klassischen Maternal Melodrama STELLA DALLAS (1937)133, in der die weibliche Hauptfigur ihr Glück für das
132 Halliday: All That Heaven, S. 61. 133 STELLA DALLAS, USA 1937, R: King Vidor.
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ihrer Tochter opfert. Doch das Narrativ wird hier invertiert, »[those] mixed messages – of joy in pain, of pleasure in sacrifice – that typically resolve the melodramatic conflicts of ›the woman’s film‹«134 werden komplett auf den Kopf gestellt. Denn Carmela weint nicht aus Freude über das neue Leben ihrer Tochter, sondern über das alte Leben, mit dem sie nicht glücklich geworden ist.135 Und im Unterschied zum Woman’s Film stellt sich beim Zuschauer keine Bewunderung für die weibliche Hauptfigur ein:136 Carmelas Kummer ist kein selbstloses, freiwillig erwähltes Leiden, sondern ein Leiden, das daher rührt, dass sie keinen Ausweg aus ihrer Ehe, aus ihrem Milieu findet, ohne dafür ebenso ihren Wohlstand und ihren Stellenwert in der Gemeinde aufzugeben. Zu einem kompletten Bruch mit ihren Gewohnheiten und ihrer vertrauten Umwelt ist sie dann doch nicht bereit. Als sie sich in »Long Term Parking« (s05e12) dann wieder mit ihrem Mann versöhnt und er wieder ins Haus zieht, dann basiert das nicht nur auf dem Versprechen, dass sich sein ›anderes Leben‹ nicht wieder eruptiv in seinem Familienleben zeigen darf. Als eine Gegenleistung für ihre häuslichen Pflichten erhält Carmela auch über eine halbe Millionen Dollar, damit sie sich als eine Immobilienmaklerin beweisen und ein Haus bauen kann. Doch selbst als Geschäftsfrau ist sie in der sechsten Staffel immer noch auf die Unterstützung ihres Mannes angewiesen und genießt weiterhin den Luxus, den das Mafia-Geschäft ihr ermöglicht. Am Ende der ersten Hälfte der sechsten Staffel sitzt sie mit ihrer Familie vor einem reich behangenen Weihnachtsbaum und zwischen vielen Geschenken in ihrem Wohnzimmer und bekommt von der Freundin seines Sohnes das Kompliment: »You have a gorgeous home.« Carmela Soprano, die wie Cary Scott in ALL THAT HEAVEN ALLOWS versucht hat, aus diesem materialistischen Leben auszubrechen, nur um wieder dort zu landen, wo sie am Anfang stand, nickt ihrem Gast selbstzufrieden zu und verdrängt dabei alle Kompromisse ihres Lebens: »Thank you. We do.« (s06e12: »Kaisha«)
D IE B INDUNG
ZUR
S CHWESTER : ›T HE D OUBLE ‹
Howard Hawks’ SCARFACE (1932) beginnt mit einer Einstellung, in der ein Hausmeister einen Club am Morgen nach einer Gangsterparty aufräumt und dabei aus einer Fülle an Konfettistreifen einen Büstenhalter fischt. Mit dem sexuellen Exzess des Gangstermilieus, den diese Szene etabliert, metaphorisiert der Film die maßlose Genusssucht seines Protagonisten. Das Begehren, das Tony Camonte im Gangstermilieu auslebt, erstreckt sich in seiner Fami-
134 Williams: Maternal Melodrama, S. 299. Vgl. hierzu auch Leibowitz: Apt Feelings, S. 222. 135 Vgl. McCabe/Akass: Feminism, S. 54. 136 »[In woman’s films, the heroine] is represented as doing what she has to do – hence our admiration. However, the protagonist presumably wishes that she did not have to do it – hence, also, the sorrow« (Leibowitz: Apt Feelings, S. 222).
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lie auf seine Schwester Francesca ›Cesca‹ Camonte, die er jedoch aus dem ›schmutzigen‹ Milieu fernzuhalten versucht. Cesca, die gleich mit ihrer ersten Szene, in der Tony sie beim Tête-à-tête mit einem Fremden im Flur zur Wohnung ihrer Mutter erwischt, als sehr sexualisierte Figur eingeführt wird, zieht es aber auch zu einer egozentrischen Befriedigung ihrer Wünsche ins Milieu. Dieselbe Aggressivität, mit der Tony der Gangsterbraut Poppy den Hof macht, charakterisiert auch die Eroberung seines Freundes Guino durch die laszive Cesca. Guino sträubt sich trotz seines notorischen Rufs als ladykiller vor Cescas Avancen und erkennt dabei Parallelen zu seinem Freund: »You’re like Tony when you go after something, hey?« Doch ebenso wenig wie Tony ebenbürtige Männer in der Gang neben sich dulden kann, ist er in der Lage, zu akzeptieren, dass seine Schwester mit anderen Männern so ungeniert umgeht wie er mit seinen Frauen. Wenn er sie dann dafür kritisiert, dass sie ihre Sexualität offensiv nach außen trägt, statt daheim bei der Mutter zu bleiben, wie er es ihr mehrmals mit Gewaltandrohungen aufgetragen hat, dann handelt er nicht so sehr als moralische Instanz, die den nicht vorhandenen Vater ersetzt, sondern vielmehr wie ein eifersüchtiger Liebhaber. Cesca aber fährt fort, sich seiner patriarchalen Macht zu widersetzen und irritiert ihn mit ihrer Wandlungsfähigkeit: Einem Chamäleon gleich wechselt sie im Laufe der Handlung von der ungehorsamen Tochter und rebellischen Schwester zu einem ›mannstollen Flittchen‹ und zur undurchdringlichen femme fatale, um gegen Ende dann ihre Bestimmung als fürsorgliche Haus- und Ehefrau Guinos zu finden. Ihr Bruder Tony findet hingegen kein anderes Ventil für seine unterdrückten, widernatürlichen sexuellen Empfindungen für seine Schwester als die brutalen Gewalttaten, die er den gesamten Film hindurch begeht.137 Seine Handhabung der Maschinenpistole wird so zu einer orgastischen Entladung anderer unbewusster sexueller Konflikte, »[a] displacement of another more pressing but unrepresentable image of the phallic spray of bodily fluids«,138 für den sexuellen Akt, den er mit der attraktiven Schwester nicht vollziehen darf. Seine Hypervirilität und exzessive Rastlosigkeit kuvriert seine ›Devianz‹. »[So, like the melodramas of Cukor and Minnelli, gangster narratives, A.N.]« focus on how ideological contradictions are reflected in the characters’ seemingly spontaneous behaviour – the way self-pity and self-hatred alternate with a violent urge toward some form of liberating action, which inevitably fails to resolve the conflict«.139 Zur finalen Tragödie kommt es dann nicht durch den Aufmarsch der Polizei oder der Intrige eines rivalisierenden Gangsters, sondern weil Tony wie die Protagonisten des Melodrams in seiner manischen Eifersucht zu schnell und unüberlegt handelt. Als er von seiner Mutter erfährt, Cesca sei in seiner Abwesenheit mit einem Mann zusammengezogen und lebe mit ihm ›in Sünde‹, eilt er zu ihrer Wohnung und pfeift dabei die Melodie, mit der er jeden
137 Vgl. Siegel: Das Abstoßende, S. 483. 138 Nochimson: Dying to Belong, S. 44f. 139 Elsaesser: Family Melodrama, S. 376.
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seiner Mordanschläge dem Publikum ankündigt. Das Bild, das sich ihm bietet, als sich die Tür zu der Wohnung seiner Schwester öffnet, scheint für ihn eindeutig: Sein Freund Guino, der berüchtigte womanizer, hat auch die ›unschuldige‹ Schwester durch eine sexuelle Beziehung ›beschmutzt‹. Als Cesca ihren Bruder darüber aufklärt, das es sich dabei um eine ›legitime‹, also: eheliche Bindung handelt, ist es schon zu spät: Tony erschießt seinen besten Freund. Mit dieser Impulshandlung weckt Tony nicht nur die Aufmerksamkeit der Polizei, sondern versperrt der Schwester ironischerweise auch den Ausweg aus dem Milieu, aus dem er sie stets heraushalten wollte. »Having killed off […] the ›good‹ and ›natural‹ lover, there is no hope of a ›classical‹ resolution in the resanctification of the heterosexual couple.«140 Stattdessen finden Bruder und Schwester im hysterischen Actionfinale des Films in ihrer ›doppelten Kriminalität‹ zueinander, als Gangster und als inzestuöse Geschwister vereint im Kampf gegen zwei Gesetzesordnungen, gegen das der Gesellschaft, die von der Polizei vertreten ist, und das der Familie, die durch die Abwesenheit des Vaters geschwächt ist, der das Inzestverbot hätte aussprechen müssen. Wenn dann Cesca und Tony mit ihrer Wahl einer ›perversen‹ Allianz gegen das Familiengesetz im Kugelhagel sterben, darf der klassische Gangsterfilm seine ›moralische Intention‹ signalisieren, »and counteract accusations of nihilism by saying that it does indeed have some rules (in its conservative formula, deviant violence is better than deviant sex).«141 Auch Sonny Corleone muss in THE GODFATHER sterben, weil er sich in das Eheleben seiner Schwester Connie einmischt. Sonny, der, wie wir in einer Rückblende in THE GODFATHER, PART II sehen, der Schwester mit Carlo ihren zukünftigen Ehemann selbst vorgestellt hat, ist eine aggressive Männerfigur mit einem enormen sexuellen Appetit, den er sich mit zahlreichen außerehelichen Affären stillt. Carlo fühlt sich dagegen mit seiner Randposition in der Mafiafamilie (wenn die Männer über ihr ›Geschäft‹ reden, muss er alleine unter den Frauen in der Küche sitzen) in seiner Männlichkeit gekränkt und lässt die Frustration an seiner Frau aus. Als Sonny nach dem Sex mit einer seiner Geliebten zu seiner Schwester fährt und blaue Flecken in ihrem Gesicht findet, verprügelt er den Schwager auf offener Straße. Die in seinen Augen ›ungerechte‹ häusliche Gewalt (domestic violence), die seine Schwester ertragen muss, motiviert Sonny zu der ›gerechten‹ Straßengewalt (street violence) gegen Carlo. Wie Tony Camonte in SCARFACE ist es Sonny, der seiner Schwester ihren Zukünftigen vorstellt, und dann den Rivalen um die Liebe seiner Schwester bekämpft. Die einzige Frau, für die Sonny im Film als ›männlicher Beschützer‹ in den Kampf zieht, ist also nicht etwa seine betrogene Ehefrau, sondern Connie, die mit Carlo auch einen Mann geheiratet hat, der optisch gewisse Ähnlichkeiten mit ihrem Bruder aufweist. Carlo nimmt für die öffentliche Demütigung Rache, indem er Sonny in einen Hinterhalt lockt. Wurde Sonny vorher im Film noch von seiner Mutter
140 Munby: Public Enemies, S. 57. 141 Grossman: Homosexual Men, S. 244.
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belehrt, er solle nicht in den Streit zwischen Eheleuten eingreifen, stürmt er wieder einmal wutentbrannt los, als Connie sich telefonisch meldet und von weiterer Gewalt berichtet – und fährt damit übereilt in seinen sicheren Tod. Am Ende des Films wird Connies Gatte Carlo von ihrem Bruder Michael damit konfrontiert, dass er sich mit einem verfeindeten Mafiaboss gegen die Familie verschworen und dadurch Sonnys Tod herbeigeführt hat. Wenn dann Michael der Ermordung Carlos beiwohnt, lässt er nicht nur den Gatten seiner Schwester und den biologischen Vater seines Patenkindes töten, damit etabliert er sich auch als symbolischer Ersatz-Ehemann Connies und Ersatzvater ihres Kindes. Entsetzt über die Ermordung ihres Gatten widersetzt sich Connie zunächst den inzestuösen Bindungen, in die sie ihr Bruder Michael mit seinen Handlungen unbewusst zwingt, und präsentiert sich zu Anfang von PART II nicht mehr als die fügsame Mafiatochter des ersten Films, sondern als eine rebellische Genre-Nachfolgerin Cescas aus SCARFACE. Sie widersetzt sich der stereotypen Rolle der italienischen Frauen, indem sie mit mehreren Männern verkehrt, in der Welt herumreist und ihre eigenen Kinder vernachlässigt. Erst nach dem Tod der Mutter und Michaels Trennung von seiner Frau Kay kehrt Connie wieder ›geläutert‹ in den tröstlichen Schoß der Familie zurück: »her sexuality and independence collapse and she becomes an unsexed surrogate wife to Michael«.142 Doch die unterwürfige Position, in die sich gegenüber ihrem Bruder begibt, wenn sie ihm auf der Trauerfeier der Mutter Loyalität schwört und ihn erstmals als rechtmäßigen Patriarchen der Familie akzeptiert (er im Sessel, sie auf dem Boden neben ihm), ist nicht ohne List. Denn in PART III ist es Connie, die im Mafiageschäft der Familie zu einer neuen treibenden Kraft avanciert und sich anders als ihr ernüchterter Bruder in der Rhetorik ihres verstorbenen Vaters übt, als sie Michael melodramatisch zuruft: »Now they’ll fear you.« Worauf das scheinbare Oberhaupt der Familie spöttisch erwidert: »Maybe they should fear you.« In der Tat ist es Connie, die nicht nur ihren kränklichen Bruder pflegt und umsorgt, sondern in Abwesenheit des bettlägerigen Dons auch Mordaufträge erteilt, sich als Mentorfigur für die nächste Generation gibt und am Ende sogar einen rivalisierenden Gangster mit vergiftetem Süßgebäck, mit cannolis tötet. Die Machtstellung, die Connie am Ende der Trilogie in der Familie einnimmt, ist auch nur möglich, weil sie in der Familie bleibt und ihre Sexualität und Individualität dafür opfert. Sie akzeptiert die patriarchalen Strukturen, indem sie nicht wie ihre Mutter sich ihnen fügt, sondern auf die andere Seite wechselt und hilft, es zu forcieren. Als Tony Sopranos Schwester Janice ihren ersten Auftritt zu Anfang der zweiten Staffel der SOPRANOS hat, befindet sie sich in der Position von Connie zu Anfang von PART II. Janice, die seit ihrer Kindheit gegen ihre Mutter rebelliert und als Groupie durchs Land gezogen ist, kehrt als ein verantwortungsloses, arbeitsunfähiges Blumenkind und Buddhistin namens Parvati zurück. Ihr Sohn Harpo hat sich von ihr distanziert und sie ist auf der Suche nach einer neuen Rolle für ihre Person.
142 Donatelli/Alward: Married to the Mob, S. 62.
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Als Tonys ältere Schwester bildet sie einen extremen Kontrast zu seiner jüngeren Schwester Barbara Giglione, die als biedere Hausfrau und Mutter fernab der ethnischen Enklave lebt und daher nur sehr selten in der Serie zu sehen ist.143 Janice hingegen will nach der Macht im Milieu greifen, die ihr jüngerer Bruder besitzt. Wie Cesca und Connie vor ihr setzt auch Janice ihre Wandlungsfähigkeit und ihr manipulatives Geschick ein, um an ihr Ziel zu kommen. Und wie ihre Vorläuferinnen nutzt sie Weiblichkeit als eine Maske, die sie sich aufsetzt, um ihre eher maskuline Aggressivität und Skrupellosigkeit zu kaschieren. »Consequently, her performance emerges as a conspicuous appropriation of traditional femininity, a feminine masquerade.«144 In ihrer Irritation patriarchaler Weiblichkeitsentwürfe lässt sie sich vergleichen mit Marla Singer, jener Frau, die in FIGHT CLUB (1999) die Männlichkeitskrise des Protagonisten auslöst: »Sie kann nicht mehr stillgestellt, verobjektiviert werden. Mal ist sie ängstliche Kindfrau, mal kastrierter Mann, mal Guerilla, mal Junkie, mal beglückte Geliebte.«145 Erst versucht sie den Weg ihrer Mutter zu gehen und sich über die Manipulation ihres Verlobten Richie Aprile Macht zu verschaffen, indem sie ihn gegen ihren Bruder hetzt. Dafür legt Janice ihren buddhistischen Namen und Glauben ab, kleidet sich konservativer und verliert sich so in ›Ritualen‹ verschiedenster Ausprägung: JANICE:
CARMELA: JANICE: CARMELA: JANICE:
(bei der Anprobe ihres weißen Brautkleides vor einem Ganzkörperspiegel) Y’know, I’m only doing this for the presents. Well, I’m doing it for Richie. I mean, he says he’d rather go to Vegas, but you gotta do the ritual thing, right? […] I’m just being realistic, ‘cause in a year, tops, you’re gonna have to accept a comare. Yeah? I’d like to see a comare let him hold a gun to her head when they fuck. (überrascht) […] I thought you were a feminist. Usually he takes the clip out. […] It’s a ritual. It’s fetishistic. That’s all. (s02e12: »The Knight in White Satin Armor«)
Diese Spiegelszene, die sich mit Lacan als ein ›Spiegelmoment‹ lesen lässt, in der Janice eine neue Identität über die Identifikation mit ihrem veränderten Spiegelbild annimmt, stellt sich schon bald als trügerisch heraus. Als Ja-
143 Wie unbedeutend Tonys jüngere Schwester Barbara für die Handlung der Serie ist, zeigt sich nicht zuletzt auch daran, das sie die einzige Figur ist, deren Darstellerin später ausgetauscht wurde, ohne das es von Fans beanstandet wurde. 144 Valerie Palmer-Mehta: »Disciplining the Masculine. The Disruptive Power of Janice Soprano«, in: Lavery: Reading the Sopranos (2006), S. 56-68, hier S. 58. Vgl. zum Maskeradekonzept der Gender Studies auch: Joan Riviere: »Womanliness as Masquerade«, in: Anna Tripp (Hg.): Gender. Readers in Cultural Criticism, NY/Houndmills/Basingstoke/Hampshire: Palgrave 2000, S. 130-138. 145 Kappert: Rekonfigurationen, S. 55.
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nice und ihr Verlobter Richie später in der Folge beim Abendessen über seinen Sohn streiten, der Erfolge als Turniertänzer feiert und deshalb von den anderen Mafiosi für homosexuell gehalten wird, kommt es zum Eklat. Janice hört im Unterschied zu Connie im ersten GODFATHER-Film nicht auf zu reden, wenn ihr ein Mann befiehlt, sie solle ihre Meinung für sich behalten. Sie fährt fort, ihre liberale Position energisch zu verteidigen: »You shut up! Just because he’s a ballroom dancer, you think your son is gay. And what if he was gay? What difference does it make?« Der erzkonservative Gangster schlägt ihr darauf ins Gesicht. Damit verstößt er gegen eine Regel, die er einem jüngeren Mafioso gegenüber selbst in einer früheren Folge noch gepredigt hat (»I’m from the old school. You wanna raise your hand, you give her your last name«, s02e03: »Toodle-Fucking-Oo«) und an die Mama Corleone ihren Sohn Sonny auch in THE GODFATHER implizit ermahnt. Geschockt von der abrupten häuslichen Gewalt ihres Verlobten ruft Janice nicht wie Connie erst ihren Bruder um Hilfe, sondern erschießt ihren Verlobten selbst. Als sie ihn dann doch noch anruft, um die Leiche wegzuschaffen, vermutet der genrekundige Tony einen Hinterhalt ähnlich dem, in den Sonny damals rannte. Die inzestuösen Implikationen in der geschwisterlichen Beziehung zwischen Tony und Cesca Camonte aus SCARFACE, dem klassischen Prätext des Gangstergenres, konkretisieren somit den inzestuösen Subtext sowohl zwischen Connie und ihren Brüdern in der GODFATHER-Serie, als auch den zwischen Janice und Tony Soprano in den SOPRANOS. Dabei ist Richie für Tony nur der erste von mehreren Mafiosi aus seiner Crew, die er verabscheut und die sich seine Schwester darauf zu seinem Ärgernis als Liebhaber erwählt. Das Verhältnis von Cesca in SCARFACE zu Tony Camonte spiegelt sich hier in der Beziehung zwischen Janice und Tony Soprano: Beide sind rücksichtslose Genussmenschen mit einem großen Appetit für Essen, Drogen und Sex, mit schwacher Impulskontrolle und großem Kontrollbedürfnis. Janice dominiert alle ihre Beziehungen und manipuliert die Männer mit sadomasochistischem Verkehr und einer vorgespielten Unterwürfigkeit (Richie, Staffel 2) oder Dominanz (Ralph, Staffel 4). Schließlich richtet Janice ihr Interesse auf einen Gangster, der in der Serie meist sanftmütig und unschuldig dargestellt wird: Bobby Bacala. Als dessen Partnerin, die vorbildliche italienische Ehefrau und Mutter Karen Baccalieri bei einem Autounfall verstirbt, ist Janice sehr gerührt von seiner Trauer und setzt alles daran, ihn für sich zu gewinnen. Auch wenn sie dafür seine Kinder traumatisieren und ihn dazu bringen muss, den letzten, von Karen vor ihrem Tod zubereiteten Teller Pasta in einer nahezu kannibalistischen Szene in ihrer Anwesenheit zu verzehren.146 Als Ehefrau des nicht sonderlich virilen Bobby erntet Janice aber immer noch den Hohn ihres Bruders, der wie Sonny Grenzen überschreitet, als er in »Soprano Home Movies« (s06e13) alkoholisiert über Janices promiskuitive Vergangenheit in der Anwesenheit ihres Gatten scherzt. Der sonst so friedliche Bobby versetzt ihm dafür einen Schlag und es kommt zu einer Prügelei
146 Vgl. Palmer-Mehta: Disciplining the Masculine, S. 66.
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zwischen den beiden in der Mafia-Hierarchie ungleichen Gangster. Was sich hier in offener Gewalt manifestiert, Tonys inzestuös motivierte Rivalität mit den Liebhabern seiner Schwester, wurde vorab in der Therapie thematisiert: TONY:
DR. MELFI: TONY: DR. MELFI: TONY:
She was my older sister. I thought she was pretty cool. She gave it back to my mother. Let me tell you: that was some heroic shit. […] Guys her age were always buyin’ me ice cream, givin’ me baseball cards. Kissin’ my ass to get in good with her. […] [However,] no guy wants his sister to be the town pump. You weren’t sexually threatened? Oh, Jesus Christ! Will you make up your fuckin’ sick mind!?! First, it’s my mother, now, I wanna fuck my sister? It’s normal, not sick. That she functioned as the focus of your early sexual feelings. In fact, it was probably mutual. Oh, Jesus Christ! (s06e10: »Moe n’ Joe«)
Während sich Tony gegen eine Lektüre seiner ambivalenten Gefühle gegenüber seiner Schwester Janice als inzestuös sträubt, wird diese nicht wirklich glücklich mit dem Dasein als Hausfrau und Mutter, das ihr ihre ähnlich egozentrische Mutter prophezeit hatte (»Some day, I hope you have children of your own, and they treat you like this,« s02e02: »Do Not Resuscitate«). Von Bobby sexuell frustriert, von seinem niederen Status in der Mafia enttäuscht und selbst tyrannisch zu ihren Adoptivkindern ähnelt sie am Ende der Serie, ausgerechnet der Frau, gegen die sie ihr Leben lang rebelliert hat, aber mit der sie sich immer mehr identifiziert und deren destruktives Verhalten adaptiert: ihrer Mutter. In der letzten Folge »Made in America« (s06e21) besucht Janice mit ihrer leiblichen Tochter Domenica ihren an Alzheimer erkrankten Onkel Junior in der Nervenklinik, um ihn nach seinen Ersparnissen zu fragen. Dabei ›verwechselt‹ Junior Janice mit Livia und Domenica mit Janice. Wie bei den Männergenerationen in der Soprano-Familie, wie bei Tony, seinem Sohn A.J. und seinem Vater Johnny Boy wiederholt sich die Geschichte also auch im Generationenwechsel unter den Frauen der Familie. In ihrer letzten Szene mit Tony sitzt Janice dann auf ihrem großen Anwesen, zu dem nicht ihr inzwischen ermordeter Mann, sondern ihr Bruder ihr verholfen hatte. Ohne ihre untreuen Adoptivkinder, die nach dem Tod ihres Vaters nicht mehr bei ihr bleiben wollen, schmollt sie verbittert in einem Liegestuhl liegend über ihr Leben. Als er ihr ein mitgebrachtes Süßgebäck anbietet, amüsiert sie sich mit ihrem Bruder: »I need to watch my weight. I need to snag another husband.« Sie lachen, weil sie einander verstehen, weil sie wie viele Geschwisterpaare des Gangstergenres in derselben dysfunktionalen Familie aufgewachsen sind. Beide sind für einander pathologische Doppelgänger.
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D IE L OYALITÄT DER T OCHTER : ›D ADDY ’ S L ITTLE G IRL ‹ Bei THE GODFATHER, PART III, der im Gegensatz zu den ersten zwei Filmen der Trilogie nicht auf der Romanvorlage Mario Puzos beruht, handelt es sich um einen Epilog zur Familienchronik, dem Regisseur Francis Ford Coppola zunächst den Titel The Death of Michael Corleone geben wollte.147 Die Geschichte eines ursprünglich im Titel angekündigten Todes beginnt mit einer Sequenz, die das verlassene, heruntergekommene Corleone-Anwesen in Lake Tahoe, Nevada zeigt. Aus dem Off ist ein gealterter Michael Corleone zu hören, wie er davon spricht, wie wichtig ihm seine Kinder mittlerweile geworden sind, die er früher für seine Geschäfte so vernachlässigt hatte: »The only wealth in this world is children. More than all the money and power on earth.« Vor allem Mary, seine junge Tochter, nimmt eine wichtige Stellung für ihn ein, als die einzige Person, die die zerstrittenen Fraktionen der Großfamilie zusammenhält. Als sich Mary jedoch in den neuen Schützling ihres Vaters, ihren Cousin Vincent Mancini verliebt, bringt sie selbst die Familie aus dem Gleichgewicht. Michael, der das Schicksal seiner ersten Frau Apollonia für seine Tochter befürchtet, sollte sie auch einen Mafioso ehelichen, verlangt von Vincent, dass er sich von ihr, seinem Schwachpunkt als neuer Don fernhält (»When they come, they’ll come at what you love.«). Als Vincent Mary für die Führung des ›Familiengeschäfts‹ aufgibt, konfrontiert sie ihren Vater zum Schluss des Films auf den breiten Opernstufen in Palermo. Ihr Tod durch eine Kugel, die für ihren Vater gedacht war, wiederholt dann die Tragödie Michaels aus dem ersten Film, als Apollonia an der Autobombe starb, an der er hätte sterben müssen: »the stereotypical sacrificing of a young woman as ›innocent‹«.148 Der schrille Schrei, mit dem Michael Zeuge vom Tod Apollonias wurde, wird hier zu einem stummen Schrei, der die ihn umgebende Familie für einen Moment in ihren Bewegungen einfrieren lässt. In dieser hochdramatischen Schlussszene läuft die Melodramenhandlung von Pietro Mascagnis Oper Cavalleria rusticana (1890), die die Familie soeben auf der Bühne gesehen hat und deren Szenen auch in der Filmhandlung mehrfach zitiert werden,149 endgültig über in die filmische Diegese. Folgte auf Apollonias Ermordung Michaels symbolischer ›Tod‹ als ›Amerikaner‹ innerhalb der Mafia, folgt auf Marys Tod eine Abblende zu seiner im Titel angekündigten Todesszene – eingeleitet damit, dass seine Schwester Connie
147 Vgl. Francis Ford Coppola: »DVD Audiokommentar«, in: THE GODFATHER TRILOGY, Paramount 2001. 148 Donatelli/Alward: Married to the Mob, S. 67. 149 Vgl. D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 579f. Das Puppenspiel Baroness of Cantina, in dem ein Vater seine Tochter für die untersagte Liebe zu ihrem Cousin eigenhändig tötet und das sich Michael und Kay auf ihrem Corleone-Trip ansehen, antizipiert ebenfalls das tragische Ende des Films, den Tod beider Tochter.
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sich mit derselben melodramatischen Trauergeste ein Tuch über ihren Kopf zieht wie die Schauspielerin auf der Opernbühne zum Schluss der Mordszene in Cavalleria rusticana. Es beginnt darauf eine Montage von Szenen aus der Trilogie, in der Michael mit den drei zentralen Frauenfiguren in seinem Leben auf Familienfeiern tanzt, mit Mary, Apollonia und Kay. In der letzten Szene des Films sitzt dann ein alter Michael, der durch den Tod der Tochter den Kontakt zu seiner geliebten Familie nun endgültig verloren hat, einsam in einem Stuhl vor einer heruntergekommenen Villa in Sizilien und sackt tot zusammen. Die Orange, die ihm dabei aus der Hand fällt und die fruchtlose, staubige Umgebung, in der sich nur noch streunende Hunde aufhalten, symbolisieren den Ruin, in den ihn der Tod einer ›fruchtbaren‹ Tochter geführt hat: »he dies in the fashion of the great Italian curse, ›come un cane,‹ alone, as a dog, with no one to watch his death, no one to mourn his passing«.150 Abbildung 6: Der stumme Schrei des Michael Corleone
Quelle: THE GODFATHER. DVD. Paramount Pictures 2002
In den SOPRANOS sucht Tony Soprano diesem Szenario vom Tod der Tochter durch die Sünden des Vaters vorzubeugen, indem er sich für Meadow eine Zukunft wünscht, in der er und seine Familie keine große Rolle spielen: »the important thing is – she gets far away from me« (s03e13: »Army of One«). Mary ist als Ehrenvorsitzende der wohltätigen »Vito Corleone Foundation« und als Vincents Freundin sowohl an den legalen wie illegalen ›Familiengeschäften‹ ihres Vaters indirekt beteiligt. Meadow aber versucht sich zumindest zu Anfang der Serie, trotz ihrer Liebe und Loyalität zur Familie von ihrem Vater und seinem altmodischen Weltbild zu entfernen. Meadows Flucht und Rückkehr zu ihrer Familie äußert sich dabei unbewusst in der Wahl ihrer Liebesbeziehungen. Mit ihrem Kommilitonen Noah, einem afroamerika-
150 Gardaphé: Wiseguys to Wise Men, S. 41.
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nischen Juden, der die Sensibilität und Toleranz zeigt, die sie bei ihrem Vater vermisst, versucht sie sich in der dritten Staffel zuerst von ihrem rassistischen Vater loszusagen (»The rest of the world should work around his racist, retrograde fucking-asshole personality?«, s03e03: »Fortunate Son«). Als Noah sie verlässt, sucht sie wieder die Nähe zum Milieu und beginnt eine Beziehung zu Jackie Jr., dem Spross eines verstorbenen Mafioso, der ihr intellektuell nicht gewachsen ist, aber kulturell entspricht. Als er erschossen aufgefunden wird, macht sie das Milieu ihrer Familie dafür verantwortlich, ist allerdings entsetzt, wenn dieselbe Kritik von anderen in der Anwesenheit von Außenseitern der Enklave vorgebracht wird (s03e13: »Army of One«). Meadows Loyalität gegenüber ihrer Familie steigert sich dann im Laufe der Serie in einen sehr ethnozentrischen Gerechtigkeitssinn. Als ihr Freund Finn in der fünften Staffel unfreiwillig Zeuge einer Gewalttat in der Soprano-Crew wird und fassungslos darüber ist, zeigt sie sich solidarisch gegenüber ihrer Familie und erklärt sich das aggressive Verhalten der Männer kulturhistorisch: »The truth is, they bring certain modes of conflict resolution from all the way back in the old country. From the poverty of the mezzogiorno. Where all higher authority was corrupt« (s05e09: »Unidentified Black Males«). Meadow übernimmt damit unbewusst eine Selbstrationalisierung der Mafia, die sich auf das Lebensmodell der süditalienischen contadini, der Bauernfamilien des Mezzogiorno beruft, die ein Grundmisstrauen gegen alle Formen von Autorität außerhalb der Familie hatten und ein subversives Gesetz ausübten: »[those] early bands of mafiosi were protectors of the people against villains, the only recourse in a land ravaged by foreign invaders and feudal landlords«.151 In der nächsten Staffel zeigt sich Finn von ihren Rationalisierungen aber weniger überzeugt: »And don’t give me any of that ›poverty of the Mezzogiorno‹ bullshit. We’re in fucking Caldwell, New Jersey, and you’re on your high horse about justice?« (s06e06: »Live Free or Die«). In der zweiten Hälfte der sechsten Staffel trennt sich Meadow, die zwischen Medizin und Jura als ihr bevorzugtes Studienfach schwankt, von dem Zahnmedizinstudent Finn und beginnt eine Beziehung zu dem Anwalt Patrick Parisi. Mit ihrer Entscheidung für einen weiteren Sohn eines Mafiosos wird Meadow nicht nur innerhalb der Mafia-Hierarchie eine bedeutende Sozialschicht ›tiefer‹ heiraten, handelt es sich doch bei Patricks Vater Patsy um einen kleinen Geldeintreiber im Dienste von Gangsterboss Tony und nicht wie bei Jackie, Jr. um den ›Prinzensohn‹ eines verstorbenen Paten. Die damit einhergehende Entscheidung für eine Karriere als Anwältin wird von ihren Eltern etwas enttäuscht aufgenommen, vor allem als Carmela davon unterrichtet wird, dass Meadows Freundin aus der ersten Staffel und damaliger ›schlechter Einfluss‹ Hunter Scangarelo Medizin studiert (s06e21: »Made in America«). Für Tony ist es eher die gefährliche Nähe zum Milieu, die durch die Verbindung zu Patrick Parisi und den Anwaltsberuf bestehen bleibt, und
151 Dika: Representation of Ethnicity, S. 88. Vgl. hierzu auch D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 588.
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die ›amerikanische‹ Rehabilitation seiner Familie, die dadurch letztlich doch in weite Ferne rückt. Mit einiger Besorgnis hört er in der Folge der Rhetorik seiner Tochter zu, die den selbstgerechten Ethnozentrismus und die moralische Kompromissbereitschaft ihrer Familie verinnerlicht zu haben scheint: »You know what really turned me? Seeing the way Italians are treated. It’s like mom says… And if we can have our rights trampled like that – Imagine what it’s like for recent arrivers. […] If I hadn’t seen you dragged away all those times by the FBI, then I’d probably be a boring suburban doctor.« THE SOPRANOS endet schließlich mit einem weiteren Familienritual, einem gemeinsamen Abendessen der Soprano-Kernfamilie in einem amerikanischen Diner, und einer Einstellung, in der Tony Soprano von seinem Tisch aufblickt und vermutlich in das Gesicht seiner Tochter schaut, die zum Leuten der Türklingel durch die Vordertür des Diners tritt. Der abrupte Schnitt zum Schwarzbild, der darauf folgt, erinnert den intratextuell kundigen Zuschauer an den abrupten Schnitt, mit dem die Pilotfolge der Serie nach dem Vorspann beginnt und ebenfalls eine Einstellung zeigt, in der Tony aufblickt und in das Gesicht der nackten Frauenstatue im Wartezimmer seiner Therapeutin schaut. In beiden Szenen befindet er sich in einem Zustand besorgter Erwartung, in einem Fall auf das Eintreffern seiner verspäteten Tochter zum Familienessen, im anderen auf seine erste Sitzung bei einer ihm zugewiesenen, ihm unbekannten Psychotherapeutin. Lässt sich sein Blick auf die Frauenstatue, die in der Serie regelmäßig seine Mutter symbolisiert, als ein Blick in seine Vergangenheit als ein ethnisch markierter italienischer Gangsterprotagonist lesen, ist sein erwartungsvoller Blick nach der Tochter der Blick in die amerikanische Zukunft der Kernfamilie. »[This kind of stylistic b]racketing, [which] signals closure as a manifest narrational strategy«,152 positioniert Tony so zwischen zwei prominenten Frauenfiguren, deren Bindungen zu der zentralen Männerfigur des Genres ihn so wie Michael Corleone im Familiendiskurs, im domestic melodrama des Gangstergenres einspannen.
152 Neupert: Narrative and Closure, S. 21.
Der Ethnizitätsdiskurs des amerikanischen Gangstergenres THE SOPRANOS als Immigrant Melodrama
»To middle-class America, as it was to upper-class Victorian England«, resümiert Bill Tonelli 2001 in einem New York Times-Artikel, in dem er nach den Gründen für die große Popularität der SOPRANOS innerhalb der Vereinigten Staaten1 forscht, »being Italian is the most fun you can have and still be white«.2 Selbst wenn man sich der mafiösen Aspekte des exotischen Milieus entledigen würde, so folgert auch die TV-Kritikerin Joyce Millman, bestünde eine spezielle Attraktion der Serie – wie bei früheren italoamerikanischen Beiträgen zum Gangstergenre – »[in its ability to] open[] up, generously and vividly, a particular set of experiences (being Italian, growing up blue-collar […]) for the rest of us, and turn[] them into shared pop cultural history«.3 Zu diesen »rest of us« zählt Millman in erster Linie bereits assimilierte, ›weiße‹ Amerikaner der dritten und vierten Generation einstiger Migrantenfamilien, »grown beyond [their] ancestors’ ethnic identities, hometown loyalties and economic classes«, denen in den ›noch‹ ethnisch markierten Protagonisten des US-Gangstergenres populäre Identifikations- und Reflexionsfiguren be-
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In Deutschland aber entwickelte sich die Serie zu keinem großen Quotenerfolg, vielleicht weil sie den mythologisierenden Gestus der GODFATHER-Filme nicht beibehält, sondern ihn mit einem nüchternen, dem hiesigen Publikum in dieser Detailliertheit nicht bewussten Bezug auf die zeitgenössische Gesellschaft der USA erschwert. Michael Rohrwasser führt diesen Misserfolg auf das fehlende Genrewissen der deutschen Zuschauer und auf die ungewohnte Prominenz der Psychoanalyse im Familienporträt der Fernsehserie zurück (vgl. »Der Mob auf der Couch. Warum ›The Sopranos‹ in Deutschland erfolglos bleiben«, in: Jochen Vogt (Hg.): MedienMorde, München 2005, S. 145-160, hier S. 151, 154). Tonelli: Given the Choice, unter: http://www.nytimes.com/2001/03/04/arts/ 04TONE.html, l.A.: 16.03.09. Millman: Family, unter: http://www.salon.com/ent/col/mill/2000/01/14/sopranos/ index.html, l.A.: 01.03.11.
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reitgestellt werde, die sie an ihre eigene, ›verloren gegangene‹ Ethnizität erinnere.4 Beiden Erklärungsversuchen liegt folglich ein Begriff von Ethnizität als eine antiquierte, dezidiert rückwärtsgewandte Identitätskategorie zugrunde, derer sich ›nicht-ethnische‹ Amerikaner nur in einem kulturellen ›Rückwärtsschritt‹ gewahr werden könnten, »[since t]he word ethnic in contemporary parlance often evokes little more than sentimental traces of the customs and cuisine of the old country«.5 Für den italienischen Komparatisten Pellegrino D’Acierno gestaltet sich die Rolle, die Italoamerikaner seit dem Zweiten Weltkrieg in der US-Populärkultur spielen, aber ungleich komplizierter: »Unlike Jewish and African Americans, who exist in opposition relationship to the majority culture, they belong to majorities (White, Christian, Catholic, middle class) for which they represent the Other: the ›darkest‹ White man (the double of the stereotype that has afflicted the African American: those who sing and have rhythm, have ›Saturday Night Fever,‹ engage in self-display and violence, and possess sexual prowess) [as well as] the most blue-collar of the middle class, having come late to the education process. They are thus constituted as the other who is not an Other.«6
Die kulturelle Sonderstellung, das »twilight status« des Italoamerikaners innerhalb der USA seit Mitte des 20. Jahrhunderts besteht also darin, dass er sich weder als Teil der amerikanischen ›Majorität‹, noch einer dieser Norm entgegengesetzten ›Minorität‹ erfassen lässt, und so ständig zwischen diesen kulturellen Positionen oszilliert: »perceived as atavistic Whites – people of the (blue-collar) body, the last White ethnics […], they function as ›floating signifiers‹ for the majority culture, which voices its discontents through the mouthpiece of their stereotypes«.7 Der Italoamerikaner dient dem amerikanischen Mainstream also als eine ›noch‹ ethnisch markierte Reflexionsfigur, deren kulturelle Identität ›vertraut genug‹ ist, um sich mit ihr zu identifizieren, aber auch ›fremd genug‹, um sich – bei Bedarf – von ihr abzugrenzen. Bereits beim klassischen Gangsterfilm der 1930er Jahre handelte es sich um eins der wenigen Genres des Hollywoodkinos, das die Identifikation des Zuschauers mit einer ethnisch markierten, urbanen Randfigur der amerikanischen Gesellschaft zur Bedingung machte.8 So setzen sich zum Beispiel in LITTLE CAESAR (1931) die Familien der Gangster und ihre Gang aus europäischen Migranten der ersten und zweiten Generation zusammen,9 die Handlung spielt in den 20ern im sizilianischen Viertel einer nicht näher bestimm-
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Vgl. ebd. Shohat: Ethnicities-in-Relation, S. 216. D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 618. Vgl. hierzu auch Siegel: Das Abstoßende, S. 479. D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 619. Vgl. Munby: Public Enemies, S. 4, 44. Vgl. Kaminsky: Little Caesar, S. 57.
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ten Großstadt10 und die italienischen Einwanderer werden mit einigem Misstrauen von sozioökonomisch bereits etablierten Iren in Form von Polizisten, Beamten und dem Gangsterboss Pete Montana empfangen.11 Nach Jonathan Munby ist es diese ethnische Spezifizierung des Milieus, die die Originalität von LITTLE CAESAR ausmachte12 und die den klassischen Gangsterfilm nicht nur von den Gangsterfilmen der 10er und 20er Jahre, sondern auch von den post-klassischen Gangsterfilmen der 30er und 40er Jahre unterscheiden würde. Zwar verfügte ein in der Genreforschung selten beachteter Gangsterfilm zu Beginn der klassischen Periode wie THE DOORWAY TO HELL (1930)13 mit Louie Ricarno bereits über einen italoamerikanische Protagonisten. Er wurde aber mit dem unterkühlt agierenden, eher bubenhaften und konventionell attraktiven matinee idol Lew Ayres besetzt, »[whose] presence conveyed no real menace, no resonance, no depth. In place of a gangland executive with a Napoleonic complex, there was a cute collegian, who, when he talked about a killing, sounded and looked like a frat brother describing an initiation.«14 Erst die weit expressiveren Charakterdarsteller der klassischen Periode, wie etwa die renommierten Theatermimen Edward G. Robinson und Paul Muni, »[who were able to] ›pass‹ more easily as ethnic types«,15 konnten mit ihrem animierten Spiel die Figuren aus dem Großstadtghetto überzeugend verkörpern. Die ethnische ›Authentizität‹ klassischer Filmgangster war dabei auch den neueren Darstellungsmöglichkeiten des sich damals etablierenden Ton-
10 Obwohl es offensichtlich ist, dass die von Al Capones krimineller Laufbahn im Chicago der 1920er inspirierte Handlung von LITTLE CAESAR wie auch die Geschichte von SCARFACE in Chicago spielt. Vgl. dazu Jewell: Audiokommentar. 11 Vgl. Durgnat: Gangster File, S. 94. Dass Italiener in der Großstadt auf Iren treffen, lässt sich damit erklären, dass im Unterschied zu anderen Migranten, die katholischen Iren im urbanen Umfeld ihrer Kirchengemeinden, in den umliegenden Industriegebieten blieben (vgl. Francis: Interethnic Relations, S. 214). 12 Vgl. Munby: Public Enemies, S. 47. 13 THE DOORWAY TO HELL, USA 1930, R: Archie Mayo. 14 Clarens: Crime Movies, S. 54. 15 D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 595. D’Acierno spricht an dieser Stelle auch von dem bis zum Ende der 1960er häufigen Hollywood-Phänomen, nicht-italienische, jüdische Bühnenmimen wie Paul Muni, den »all-purpose ethnic« (ebd, S. 585), und Edward G. Robinson als italoamerikanische Gangster zu besetzen, die bei ihrem Spiel nicht selten auf ›jüdisch‹ konnotierte Mimik und Gestik zurückgriffen (vgl. hierzu das Kapitel »Hollywood, 1930. Jewish Gangster Masquerade« in: Rachel Rubin/Jeffrey Melnick: Immigration and American Popular Culture. An Introduction, NY, London: NY UP 2007, S. 17-48). Noch kurz bevor das ethnic revival, die landesweite Wiederentdeckung ethnischer ›Wurzeln‹ in den späten 1960er Jahren und der Erfolg von THE GODFATHER (1972) die Besetzung ethnisch markierter Figuren mit Filmschauspielern anderer ethnischer Herkunft erschwerte, durfte ein jüdischer, ›weißer‹ Hollywoodstar wie Kirk Douglas in THE BROTHERHOOD (1968) einen stereotypen Mafioso geben.
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films geschuldet: Die lärmenden Bild-und-Ton-Montagen der Gangsterfilme der frühen 1930er stilisierten den Gangster nicht nur zu einem Actionhelden der urbanen Moderne,16 erstmals war auch der auffallend akzentierte, urbane Straßenjargon der ›New Americans‹ im nationalen Kino zu vernehmen.17 Die postklassischen Gangsterfilme entzogen sich darauf dem kontrovers rezipierten, vom Hays Code missbilligten Ethnizitätsdiskurs und rekurrierten mit den von Humphrey Bogart gespielten Antihelden Duke Mantee (THE PETRIFIED FOREST, 1936)18 und Roy Earle (HIGH SIERRA, 1941)19 auf populäre, in der Presse als rebellische Volkshelden verehrte amerikanische Bankräuber, die zu Anfang der 30er, in der »Public Enemy Era« in hauptsächlich ländlichen Regionen auf Beutezug gingen.20 Der bekannteste rural gangster und das selbst äußerst medienaffine Vorbild für zahlreiche Filmgangster war John Dillinger, der mit einer kleinen Bande von Kriminellen durch das Land zog, die in ihrer Struktur allerdings nicht zu vergleichen ist mit den großen Verbrecherbünden aus dem Chicago der 1920er und 30er Jahre,21 »lacking the hierarchical, crypto-corporate aspect of the urban crime Syndicate«.22 Der prominente Ethnizitätsdiskurs des klassischen Gangsterfilms brachte es aber auch mit sich, dass in den retrospektiven Genrefilmen der 30er Jahre, »[those] semiconscious attempts to deal with the Depression and the public’s shaken confidence in American economics, politics, and myths of the self-made man«,23 der ›ethnische‹ Protagonist nicht nur die Realisierung des Individualismus, sondern auch die Korruption der Nationaltugend ›vertrat‹:
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Vgl. Mason: American Gangster Cinema, S. 4. Vgl. Munby: Public Enemies, S. 34, 41. THE PETRIFIED FOREST, USA 1936, R: Archie Mayo. HIGH SIERRA, USA 1941, R: Raoul Walsh. So stellt etwa in THE PETRIFIED FOREST (1936) ein von den rebellischen Banditen des Wilden Westens faszinierter Greis über Duke Mantee, der kriminellen Hauptfigur des Films, mit einiger Bewunderung fest: »He ain’t no gangster. He’s a real old-time desperado. Gangsters is foreigners, and he’s an American!« 21 Vgl. Munby: Public Enemies, S. 46 22 Langford: Hollywood and Beyond, S. 146. 23 Kaminsky: Little Caesar, S. 47. Vgl. ferner Richard Maltby, der schreibt, dass der klassische Gangsterfilm Teil einer größeren Repräsentationsstrategie in den Jahren der Weltwirtschaftskrise darstellte, »by which overtly retrospective accounts of the excesses of the previous decade were staged as melodramatic reenactments of the rise and fall of moral chaos. [In doing so], Hollywood participated in a more general cultural attempt to account for the crisis as an effect of the alleged permissiveness of the Jazz Age.« (Spectacle of Criminality, S. 119). Vgl. hierzu auch J.E. Smyth, der die klassischen Gangsterfilme historisch um einiges präziser verortet, wenn er herausstellt: »[A]s much as [these] stor[ies were] torn from the headlines, they were yesterday’s headlines. […] Capone’s era was ending. Many of the more famous gangsters were dead, in jail, or in court.« (Age of Scarface, S. 537f.).
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»By depicting [these screen characters] as different, as not quite American, the challenges that the films pose to American ideals are made less threatening to ›average Americans.‹ That is to say, because ethnic characters instigate a corruption of American ideals, non-ethnic Americans are afforded the opportunity to blame the failure of American myths during the Great Depression on the individual ethnic characters and their respective ethnic groups rather than on the failure of the myths themselves.«24
So erschien die Gangsterfigur nicht nur in einer Zeit der Landflucht, der Urbanisierung und des raschen Wechsels von einer Agrar- zu einer Industriewirtschaft zum ersten Mal in der Populärkultur, »this was also a time when immigration to the United States was at its highest and xenophobia was rampant«.25 Wenn ein rural gangster wie Rico Bandello, unzufrieden mit seiner sozialen Position, zu Beginn von LITTLE CAESAR beschließt, keine Tankstellen mehr entlang nächtlicher Landstraßen zu überfallen und sein ›professionelles‹ Glück in der Stadt zu suchen, »where«, so Rico, »things break big«, geht er somit nicht nur den entgegengesetzten Weg des zivilisationsscheuen Westernhelden.26 Rico betritt dadurch auch den Pfad ambitionierter ›weißer‹ Amerikaner, die zur selben Zeit versuchten, in die höheren Sozialschichten zu gelangen: »[Due to e]asier access to stylish consumption, through fancy dress and cars, […] the earlier lines that separated social class [increasingly blurred]. As street criminals began associating with the upper echelons of society, it became harder to tell the gangster from the corporate elite.«27 Die kriminelle Energie, die das Streben nach persönlichem Glück in den USA immer schon antrieb, wird im Gangsterfilm also unterdrückt und in die ethnisch markierte Figur des Gangsters projiziert. Dieser wird dadurch zum personifizierten Widergänger der verdrängten Phantasien einer puritanischrepressiven,28 von furchtlosen, genusssüchtigen Rebellen wie dem Gangster jedoch weiterhin faszinierten Gesellschaft, »satisfying a public need for both hero and villain«.29 So mag der Zuschauer zunächst Gefallen finden an dem
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Cavallero: Fessos, S. 53. Vgl. Gardaphé: Suburban Trickster, S. 96. Vgl. Kaminsky: Little Caesar, S. 51. Gardaphé: Suburban Trickster, S. 96. John D. Buenker charakterisiert WASPs so: »[The puritan, conservative culture of] this original ethnic group stressed the work ethic, material success as a proof of salvation, rationality, individuality, social and geographical mobility, freedom, the suppression of emotional extremes, man’s ability to master nature, the perfectability of man and society, and civic-mindedness. It was suspicious of pleasures of the flesh and recommended their official suppression, whatever the norm of private behavior« (Assimilation and Acculturation, S. 44). 29 Smyth: Age of Scarface, S. 537. Luciano J. Iorizzo erklärt sich organisierte Kriminalität historisch: »[Its] foundation […], with its emphasis on satisfying ›consumer‹ needs, rests on centuries of interactions between people who would circumvent the law to satisfy their de-
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Wagemut und der Lebenslust des Gangsters, die ›Bestrafung‹ seines antisozialen, amoralischen Handelns zum Filmende erlaubt es aber auch, sich von seiner Subversivität wieder zu distanzieren.30 Insofern scheint es »geradezu zwangsläufig, daß der Gangster unter den Bedingungen der Depression zum Volkshelden werden mußte, hatten sich doch die ›normalen‹ Wege zur Erlangung von Wohlstand in den Bereich des Utopischen verschoben«.31 Die Popularität des Gangsters in der Zeit der Weltwirtschaftskrise, seine mediale Stilisierung zum Volkshelden während der Prohibition markiert demzufolge einen jener historischen Momente, »in der die traditionellen kulturellen Ordnungs- und Legitimationssysteme versagt haben oder doch zumindest in eine schwerwiegende Krise geraten sind« und sich auf diese Art ein »starke[s] Bedürfnis nach Schutz, Erlösung und Rache« mitzuteilen versucht.32 So gewinnt der Gangster seine Attraktion als das entfesselte Sprachrohr einer vom amerikanischen Traum enttäuschten Gesellschaft vor allem auch durch seine nachteilige Position in einer kapitalistischen Klassengesellschaft, die er stets zu seinen Gunsten zu kippen versucht: »[Der Mafioso] erscheint als ein bürgerlicher Außenseiter wie der Bohémien. Er rebelliert nicht gegen die Verteilung des Reichtums und der Macht in der Gesellschaft, sondern gegen den zu geringen Anteil, der ihm selber zugemessen wurde.«33 So lässt sich wohl auch erklären, wie Jahre später THE GODFATHER (1972) mit seinen seltsam kleinbürgerlichen Mafiosi, die als »unregulierte Kapitalisten […] antisoziales Verhalten mit der äußerst konventionellen Tätigkeit des Geldverdienens« verbanden,34 unmittelbar an den zentralen Ethnizitätsdiskurs des klassischen Gangsterfilms anschließen und ihn noch weiter ausdifferenzieren konnte. Die beispiellose populärkulturelle Wirkmacht von Mario Puzos Bestseller-Roman The Godfather (1969) und seiner gleichnamigen Leinwandadaption ließe sich darauf zurückführen, dass sie in den späten 1960ern respektive frühen 70ern veröffentlicht wurden, zu einer Zeit also, »[that] correspon-
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sires. Unlike the criminal who forces victims to give in to his or her demands, organized crime figures usually find willing participants eager to avail themselves of the illegal services. This system developed from the colonists’ wish to justify actions against what they considered an irrelevant or oppressive rule from a distant mother country. In time, American society allowed for a dual existence, one that set ideal social and moral values, and another that permitted, unofficially, deviation from the code« (»Crime and Organized Crime«, in: Salvatore J. LaGumina/et al. (Hg.): The Italian American Experience: An Encyclopedia, London/New York: Garland 2000, S. 151-159, hier S. 152). Vgl. Leitch: Crime Films, S. 292. Vgl. hierzu ebenfalls Warshow: Tragic Hero, S. 107, 101f. Hartmann: Topographische Ordnung, unter: http://home.snafu.de/britta.hart/ gang.html, l. A.: 01.03.11. Vgl. Seeßlen: Asphalt-Dschungel, S. 11. Ebd., S. 67. Vgl. auch Langford: Hollywood and Beyond, S. 140. Vgl. Siegel: Das Abstoßende, S. 484. Vgl. auch Camon: Mythology, S. 61.
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d[ed] to the rise of a celebratory attitude toward ethnic identity«.35 Ethnizitätsforschern zufolge hatte das ethnic revival in den USA Anfang der 70er, die Abkehr der öffentlichen Meinung von der Utopie einer Assimilation aller amerikanischen Ethnien an eine homogene Majorität oder ihrer Übereinkunft in einem melting pot, und die gleichzeitige Hinwendung zu einer pluralistischen, multikulturalistischen Bewahrung individueller Minderheitskulturen ihren Ursprung in den schwarzen Bürgerrechtsbewegungen der 60er.36 Mit den Afroamerikanern besannen sich auch andere so genannte hyphenated Americans der nicht-amerikanischen ›Wurzeln‹ ihrer Vorfahren und beklagten den ›Verlust‹ einer originären, ›ethnischen‹ Identität vor einem sehr krisengeschüttelten Hintergrund amerikanischer Zeit- und Kulturgeschichte: »Much of the revival of interest in ethnicity [sprung] from a profound questioning of the values of urban-industrial life, [accelerating] a search for alternatives in ethnic culture«.37 Mit dem kulturpolitisch positiven New Ethnicity-Konzept ging auch der Wunsch nach differenzierteren Repräsentationen bisher tendenziell ignorierter oder stereotyp inszenierter Minoritäten einher, auf die seit den 70ern eine regelrechte Flut an populären Texten über Migranten und über Amerikaner mit auffallend ethnischen Merkmalen folgte.38 Der Wunsch kulturell marginalisierter Ethnien, ihre Erfahrungen und Erlebnisse in der US-Mainstreamkultur reflektiert zu sehen und sich damit der massenmedialen Konstruktion einer ›amerikanischen‹ WASP-Norm zu widersetzen, hat sich dabei nicht selten einer melodramatischen Rhetorik bedient: »[Since] melodramatic modality, personifying social forces as psychic energies and producing moral identities in the clash of opposites, is committed to binaries which bring the ›others‹ of official ideologies into visibility«.39 THE GODFATHER gilt in diesem Kontext als der erste Mainstreamfilm, »[which] signal[led] the arrival of the New Ethnicity in Hollywood«.40 Handelte es sich bei den Gangstern des klassischen Gangsterfilms um ethnisch markierte, jedoch kulturell nicht sehr differenzierte Figuren, »[with] enough cultural signature to be affixed as Italian, but little if anything of that ethnic group’s familial structures and codes of behavior and belief«,41 stellte Francis Ford Coppolas Epos in seiner detaillierten Studie einer ethnischen Paral-
35 Ferraro: Blood in the Marketplace, S. 191. 36 Vgl. Airriess/Miyares: Ethnic Geographies, S. 2. Vgl. dazu auch Banton: Assimilation, S. 45. 37 Buenker: Assimilation and Acculturation, S. 48. 38 Vgl. Cortés: Them and Us, S. 66. 39 Gledhill: Rethinking genre, S. 240. Die über nationale, kulturelle Grenzen hinweg reichende Popularität des US-Gangstergenres kann man auch als beispielhaft für die Tragweite melodramatischer Rhetorik werten, »[which] constructs a version of the ›popular‹ capable of producing recognition for a range of audiences from different classes, localities, and national groupings« (ebd., S. 230). 40 D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 568. 41 Golden: La Famiglia, S. 82. Vgl. auch Dika: Representation of Ethnicity, S. 84.
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lelwelt erstmals einen großen Fundus an ›typisch‹ italoamerikanischen Signifikanten bereit: Neben den Namen, den Akzenten, der Kleidung, den Frisuren der Figuren und der atmosphärischen, in sanften Braun- und Schwarztönen fotografierten Inszenierung ›typisch‹ italienischer Rituale, Redewendungen, Mienen, Gesten, Speisen und Musik fand sich auch die Einweisung in das halb fiktive Regelwerk der Mafia. THE GODFATHER, geschrieben und inszeniert von Italoamerikanern und vorwiegend ethnisch ›korrekt‹ besetzt,42 reagierte auf die Forderung nach ›authentischeren‹ Darstellungen ethnischer Gruppen folglich mit der filmischen Konstruktion eines »insider’s view«.43 D’Acierno bezeichnet diese Darstellungsstrategie als ein »›godfathering of the spectator‹, [which is] a virtual process of affiliation, one by which the mass audience is ›Italianized,‹ and, however unconsciously, made a ›subcultural‹ insider«.44 Diese ›ethnische Unterweisung‹ in die Mafia beginnt gleich in der ersten Szene von THE GODFATHER: Bonasera, ein in den streng choreografierten Ritualen und behutsam eingehaltenen Verhaltensweisen der Mafia unerfahrener Italoamerikaner bittet den königsgleichen Don um das ›gerechte‹ Eingreifen in einem privaten Fall, auf Wunsch auch gerne gegen Bezahlung. Don Vito Corleone aber zeigt sich von der Abwertung seiner ›ethnischen Loyalität‹ gegenüber einem italienischen Landsmann auf eine bloße Dienstleistung enttäuscht und tadelt den hilfesuchenden Mitbürger: »What have I ever done to you to make you treat me so disrespectfully?« Dann geschieht in der mythisch grotesk überhöhten »scena padre (›father scene‹)« zweierlei: Dem unwissenden Bonasera (und dem Zuschauer) wird nicht nur das auf ethnische Solidarität und Vertrauen aufbauende System der Mafia, »[that] elaborate system of affiliation and filiation by which la famiglia operates in a universe that it regards as hostile«,45 vorgestellt und erläutert. Der an die host society ökonomisch bereits assimilierte Bonasera wird auch seiner ethnischen Wurzeln ermahnt und zur ›Ent-Assimilation‹ aufgefordert46: VITO CORLEONE:
You never wanted my friendship. And you were afraid to be in my debt. […] I understand. You found paradise in America. You had a good trade, you made a good living. The police protected you. And there were courts of law. You didn’t need a friend like me. But now you come to me and you say, »Don Corleone, give
42 In der italoamerikanischen Besetzung des Films tummeln sich aber auch Marlon Brando, der deutsche und englische Wurzeln hat, und James Caan, der trotz deutsch-jüdischer Wurzeln zweimal zum »Italian of the Year« gekürt wurde – was die Beliebigkeit aller ethnischer Zuschreibungen noch einmal unterstreicht. 43 Vgl. Dika: Representation of Ethnicity, S. 79. 44 D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 584. 45 Ebd., S. 577. 46 Don Vitos implizite Aufforderung zur Ent-Assimilation antizipiert die Ent-Assimilation, die sein Sohn Michael, der Protagonist der Handlung, im Laufe des Films zu durchlaufen hat (vgl. »The Italian/American Self« in diesem Kapitel).
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me justice.« But you don’t ask with respect. You don’t offer friendship. You don’t even think to call me »Godfather«.
Als Bonasera den Weisungen des Don darauf Folge leistet und ihm den ›gebotenen‹ Respekt erweist, wird er vom Paten mit einer euphemistischen Einweisung in die feudal-archaische Ökonomie der sizilianischen Mafia verabschiedet, in der jeder Gefallen eine implizite Reziprozität, eine symbolische Schuld mit sich bringt47: »Some day, and that day may never come, I’ll call upon you to do a service for me.« Das moralisch derart klar geregelte, patriarchale und in seiner Ethnizität leicht entrückte, exklusive Milieu der Mafia bot in einer Ära US-amerikanischer Geschichte, als sich die Gegenkultur zunehmend von den Werten ihrer Vorgängergeneration distanzierte, ein privilegiertes, wenn auch irreales alternatives Lebensmodell, »[with the look and feel of a] romanticized, self-supporting commune«.48 Der antiautoritäre Gestus des Gangsters gegen die korrupten Instanzen der host society zur Zeit der Weltwirtschaftskrise wurde somit in einem neueren geschichtlichen Kontext abermals zu einer wirkungsvollen und populären Metapher für eine kulturelle Absage an das dysfunktionale ›Establishment‹,49 verhielten sich die Filmgangster »[doch] ebenso subversiv gegenüber law and order und konventionellen Werten wie zuvor die radikalen Teile der Studentenbewegung«.50 Für Richard Slotkin ist diese Popularität des Gangsterfilms in der Mainstreamkultur des 20. Jahrhunderts auch die kulturelle Absage auf den Frontier Myth, der zuvor als retrospektiv konstruierter Gründungsmythos für das nationale Selbstbild fungierte. Auch wenn nach 1800 nur wenige Amerikaner an der Erschließung des Westens beteiligt waren, diente das Frontier als ein identitätsstiftender Mythos für alle, die sich mit den darum gesponnnen Migrationsnarrativen identifizierten, »[for they] had close cognates in the experiences of mobility and displacement that belonged both to foreign immigrants and to internal migrants in an industrializing and urbanizing nation«.51 Woran es dem Mythos aber mangelte war eine die sozialen Verhältnisse der USA spiegelnde ethnische Diversität, wie Slotkin weiter ausführt:
47 Vgl. D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 577. 48 Ray: A Certain Tendency, S. 333. Vgl. dazu auch Walker: Fin-de-Siècle Gangster, S. 388. 49 Vgl. Ray: A Certain Tendency, S. 328f. Mit dem Gangster avancierten auch andere antiautoritäre Persönlichkeiten des Crime-Films zu Protagonisten systemkritischer New Hollywood-Produktionen wie das Verbrecherpärchen (BONNIE AND CLYDE, 1967; Terrence Malicks BADLANDS, 1973; Steven Spielbergs THE SUGARLAND EXPRESS, 1974), der Bankräuber (John Boormans POINT BLANK, 1967; Sidney Lumets DOG DAY AFTERNOON, 1975) oder auch der Streifenpolizist (Sidney Lumets SERPICO, 1973, und William Friedkins CRUISING, 1980). 50 Siegel: Das Abstoßende, S. 484. 51 Slotkin: Gunfighter Nation, S. 638.
244 | G ANGSTER M ELODRAMA »developed in reaction against racial and cultural heterogeneity to sanction an exclusive, völkisch definition of American nationality, [the Frontier Myth fostered] the idea that the Old West was an Anglo-Saxon preserve, just as they generally accepted WASP good looks as the standard for casting screen heroes. [However, the exclusion of other US ethnicities] from Westerns [turned out to be] crippling to the genre’s project of mythologizing [the American people’s] actual history and to its ability to address the polyglot, multicultural, multiracial folk of the modern United States.«52
Dass der Gangsterfilm als prominenteste Alternative für ethnisch markierte und vom ›weißen‹ Frontier Myth marginalisierte Immigranten dient, um ihre Geschichte zu reflektieren und in der nationalen Mainstreamkultur zu mythologisieren, mag der Immigrationsgeschichte des 20. Jahrhunderts immer noch einen unbedeutenden Platz in der Historie der USA einräumen oder sie als ein Grund für den fall from grace der Nation inszenieren.53 Doch ähnlich wie der amerikanische Indianer- und Outlaw-Mythos beklagt auch der Mafia-Mythos den Verlust einer vergangenen Ära kultureller Stabilität und Kohärenz, »[both proposing] nostalgia for an idealized pre-capitalist past as the basis of a critique of modern American society and culture«.54 Vor allem in der GODFATHER-Reihe kommt eine Nostalgie zum Ausdruck, die sich nicht nur in der sentimentalen Rhetorik der Figuren über ihre Vergangenheit, sondern auch in der filmischen Gestaltung zeigt. Der mit kargem Licht und tiefen Schatten arbeitende visuelle Stil des klassischen Gangsterfilms, den man als eine Zwischenstation zwischen der exzessiven Symbolik des deutschen expressionistischen Films der 1910er und 20er Jahre und der prononcierten Noir-Ästhetik des US-amerikanischen Crime-Films der 40er und 50er werten muss, wird in der GODFATHER-Serie mit ihren warm-goldenen Schwarz/ Braun-Schattierungen zitiert und um eine nostalgisch-sentimentale Note und den romantisch-elegischen Mandolinenklängen der Filmmusik angereichert. Die amerikanisch-urbanen und italienisch-ländlichen Räume, die die oft statuengleich im Bild verharrenden Mafiosi umgeben, sind Welten entfernt von den schmutzigen Gassen und den pompösen Luxussuiten klassischer Filmgangster. »[Instead, the] use of chiaroscuro lighting […] imparts the dignity of Rembrandt-like shadows to [these] men«.55 Der sich formal so präsentierende nostalgische Gestus der GODFATHER-Reihe reflektiert damit vor allem »melodrama’s larger impulse to reverse time, to return to the time of origins and the space of innocence that can musically be felt in terms of patterns of anticipation and return. The original pattern – whether of melody, key, rhythm, or of physical space and time – thus takes on a visceral sort of ethics [as] a form of somatic knowledge,
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Ebd., S. 638f. Vgl. ebd., S. 639f. Vgl. auch D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 570. Slotkin: Gunfighter Nation, S. 639. Donatelli/Alward: Married to the Mob, S. 62.
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felt as good. The ›main thrust‹ of melodramatic narrative, for all its flurry of apparent linear action, is thus actually to get back to what it feels like in the beginning.«56
Die Leistung des postmodernen Gangsterfilms bestand später darin, die von der GODFATHER-Serie etablierte ethnische ›Authentizität‹ in der Darstellung italoamerikanischer Gangster57 zu dekonstruieren. Gerade im US-Independentkino findet man eine Filmwelt, deren Hybridität nicht nur der Hybridisierung ihrer Prätexte und der Genre-Konventionen zuzuschreiben ist, sondern auch der Fülle an Ethnien, die sie bevölkern.58 In der regen Zirkulation kulturspezifischer Zeichen zwischen den Ethnien löst sich die zuvor als ›angeboren‹ theoretisierte ethnische Identität des klassischen Filmgangsters zunehmend auf59 und es entsteht so ein genauerer Blick auf die pluralistische Zusammensetzung der US-amerikanischen Gesellschaft anhand von Texten, »[that] make us aware of being both cultural insiders and outsiders, of being always provisionally positioned in a plurality of histories and societies«. 60 Mit ihrem ironischen Ethnizitätsdiskurs reflektieren auch THE SOPRANOS eine seit den 1980ern erkennbare Tendenz des postmodernen ethnischen Kinos, »[i.e., a rejection of] the totalizing force of master narratives that would homogenize the diversity of cultural experiences into a single and generalized myth such as American-ness.«61 Auch wenn die Serie, ihrer Genre-Tradition im Gangsterfilm getreu, den Verlust kultureller Identitäten in der ethnischen Homogenität des amerikanischen melting pots beklagt, verheißt die Rückkehr in die Heimat ebenso wenig eine Rekonstruktion ethnischer ›Authentizität‹ wie ihr nostalgischer Rekurs auf Genre-Prätexte. So reproduzieren die elegant bebilderten Szenen, in denen sich Tony und seine Crew ver-
56 Williams: Race Card, S. 35. 57 Pellegrino D’Acierno betrachtet dies kritisch: »[The rich ethnicity of the GODFATHER films] has lead to a massive folklorization of Italian American culture in the media, one that has extracted expressions from the folkloristic conception of the world originally embodied in contadino and immigrant culture and rendered them into picturesque formulas in a mass-mediated ethnic folklore that strips them of their semantic valencies« (Cultural Lexicon, S. 765). 58 Vgl. D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 670. Hierfür sind amerikanische Independentfilme wie PULP FICTION (1994) und KING OF NEW YORK (1990) sowie Jim Jarmuschs GHOST DOG: THE WAY OF THE SAMURAI (1999) exemplarisch. 59 Vgl. D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 656. 60 Sobchack: Modes of Ethnicity, S. 342. 61 Ebd., S. 349. In der Serie wird anders als in konventionellen Fernsehserien auf die pluralistische ethnische Textur der USA häufig aufmerksam gemacht, von turbantragenden Automechanikern bis hin zu Ärzten mit vielen verschiedenen ethnischen Hintergründen. In »The Fleshy Part of the Thigh« (s06e04) ist Tony dementsprechend überrascht als er zum ersten Mal eine ›weiße‹ Frau im Kittel sieht: »The other doctors around here, it’s like the United Colors of Benetton.«
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sammeln, zwar die Ästhetik der GODFATHER-Trilogie,62 verlieren sich dabei aber auch in der ethnisch unmarkierten, alltäglichen Farblosigkeit einer USFernsehserie. In der Pilotfolge experimentierte die Serie noch in Anlehnung an den US-Independentfilm mit gewagten Kameraperspektiven und grellen, satten Farben, entledigte sich aber schnell derart selbstreflexiver Stilblüten.63 Als ein traditionsaffiner wie postmoderner Genretext ist die Serie so sowohl um eine historisch und regional akkurate Inszenierung des Milieus, als auch um die Problematisierung der postmodernen Signifikanz von Ethnizität als eine den Lebensalltag mitformende Identitätskategorie bemüht, »[that is, to] parodically and ironically contest it, and critically engage it in a dialogue with its own past meanings so as to explicitly foreground both its current value and that value’s historical and cultural provisionality«.64 Deshalb handelt es sich bei den Italienern in THE SOPRANOS auch um ›ethnische‹ Figuren, die in einem italoamerikanischen Milieu geboren und sozialisiert wurden, deren Kenntnis von ethnischen und mafiösen Verhaltensregeln allerdings auch einem »godfathering of the spectator« geschuldet ist. Dies zeigt sich, wenn sie sich nicht auf die Gesetze der Mafia berufen, sondern auf instruktive Szenen aus THE GODFATHER. Dabei müssen sie oft einsehen, dass jene Standardsituationen sich nicht immer in ihren Alltag übertragen lassen.65 Wenn es sich also beim ethnischen Selbstbild des Gangsters um eine Identität handelt, die erlernt werden muss und über deren Grundsätze sich selbst Mafiosi nicht sicher sind, lässt sich auch Ethnizität analog zu Gender als eine soziokulturelle Konstruktion, als ihr Leben gestaltende, identitätsstiftende Fiktion fassen, durch die sich Subjekte kulturell, historisch und regional verorten (lassen). Die folgenden Seiten führen weiter aus, wie der Identitätsdiskurs amerikanischer Ethnien, vor allem der Italoamerikaner,66 im US-Gangsterfilm und
62 Vgl. Nochimson: Tony’s Options, unter: http://www.sensesofcinema.com/ 2003/feature-articles/sopranos_televisuality/, l.A.: 01.03.11. 63 Vgl. Martin: Complete Book, S. 163. 64 Sobchack: Modes of Ethnicity, S. 342. 65 In THE GODFATHER, oder »One«, wie der Film von den Mafiosi der Serie als ihr primärer populärkultureller Referenztext genannt wird, lernen wir die sizilianische Hochzeitsregel: »No Sicilian can refuse any request on his daughter’s wedding day.« Als sich Christopher auf einer Mafia-Hochzeitsfeier in »Mr. & Mrs. John Sacrimoni Request« (s06e05) daran erinnert und sie gegenüber Tony zitiert, ist sie für den Boss unpassend wie irrelevant für seine Verhandlungen. 66 Vgl. zur Darstellung des Italoamerikaners in der amerikanischen Populärkultur Peter Bondanella: Hollywood Italians: Dagos, Palookas, Romeos, Wise Guys, and Sopranos, NY/London: Continuum 2004; Anna Camaiti Hostert/Anthony Julian Tamburri (Hg.): Screening Ethnicity. Cinematographic Representations of Italian Americans in the United States, Boca Raton: Bordighera Press 2002; und Carlos E. Cortés: »The Immigrant in Film: Evolution of an Illuminating Icon«, in: Paul Loukides/Linda K. Fuller (Hg.): Beyond the Stars: Stock Characters in American Popular Film, Bowling Green: State UP 1990, S. 23-34.
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in THE SOPRANOS eine Inszenierung als Immigrant Melodrama erfährt. Gefragt wird danach, welcher ethnischer Stereotypen sich die Genretexte dabei bedienen, um kulturspezifische Identitäten zu kreieren, und in welche Rollen der Gangster von der Ethnizitätskategorie im Laufe des 20. und 21. Jahrhunderts gedrängt wurde. Auf der Basis eines Streifzugs durch die amerikanische Filmgeschichte wird gezeigt, wie die Inszenierung ethnisch markierter Gangsterprotagonisten ihren Anfang mit einer stereotypen Figur nahm, deren Monstrosität die sozialen Ängste der ›Amerikaner‹ vor neueren, kulturell fremden Einwanderern reflektierte, und auch Jahrzehnte später noch in der prekären Identitätsfindung eines assimilierten Italoamerikaners wie Tony Soprano eine bedeutende Rolle spielt. Darauf werden die tragikomischen Assimilationsversuche italienischer Krimineller in den Blick genommen, ihr Streben nach soziokultureller Akzeptanz und ›amerikanischer Legitimität‹, das jedoch an den nicht weniger korrupten höheren Sozialschichten und der Pluralität amerikanischer Identitäten ständig scheitert. Das ethnische Milieu versucht sich vor der Außenwelt abzuschirmen, die sein Selbstbild irritieren kann, indem es sich als ›urbanes Bauernvolk‹ organisiert und ein sich selbst regulierendes, vormodernes Rechtssystem pflegt. Als eine tradierte Schamkultur67 mit einem ausgeprägten Ehrbegriff entstehen Konflikte in der italienischen Enklave dann, so wie im repressiven Kleinstadt-Milieu des amerikanischen Melodrams, durch die Panik der Mitglieder, vor anderen ihr Gesicht zu verlieren. Hieran schließt eine Auslegung der Migrationsbewegungen des Film- und Fernsehgangsters zwischen der host society und der society of origin als gleichermaßen identitätsstiftende wie -irritierende Reisen in seine eigene Psyche, die auch nicht wenig über sein – von melodramatischen Verlust- und Opferdiskursen bestimmtes – ethnisches Selbstbild und seine meist ernüchternde Suche nach einer ›ursprünglichen‹ kulturellen Identität aussagen. Das kulturelle Oszillieren zwischen den societies findet ihren deutlichsten Ausdruck im Konsum ethnisch markierter Waren. Versicherten sich Ethnien früher noch ihrer kollektiven Identitäten mit ihrer Esskultur, hat ›ethnisches Essen‹ in der globalen Konsumkultur des postmodernen Amerikas das identitätsstiftende Privileg ethnischer Exklusivität jedoch längst eingebüßt.
T HE M ONSTROUS /F AMILIAR O THER : E THNISCHE S TEREOTYPEN In den Ethnic Studies wird in der Regel zwischen zwei großen Migrationsperioden der USA differenziert, zwischen den Immigranten der »old immig-
67 Der Begriff der mit dem Nahen und Fernen Osten verbundenen ›Schamkultur‹ geht im Vergleich zu der mit dem westlichen Abendland assoziierten ›Schuldkultur‹ zurück auf Ruth Benedicts 1946 publizierte Studie Chrysantheme und Schwert. Formen der japanischen Kultur (Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2009).
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ration«, nördlichen Europäern wie etwa Briten, Deutsche, Skandinavier und Iren, die vor dem Ende des Bürgerkriegs, der Re-Nationalisierung der USA und dem Beginn der Industriellen Revolution ins Land kamen und denen der »new immigration«, den Migranten aus dem Süden und Osten Europas, aus Asien und Russland, die zwischen den 1870er Jahren und dem Anfang des I. Weltkriegs nach Amerika übersiedelten.68 So wie es historisch nicht selten der Fall war, wurden die Neuankömmlinge zunächst als billige Arbeitskräfte für den Ausbau der Nation empfangen, aber bald von nativistisch gesinnten Gruppen aufgrund kultureller und religiöser Differenzen als unerwünschte, potentiell kriminelle Gefahr für die bestehende Gesellschaft diskriminiert.69 Der frühe Film der 1910er und 20er griff mit seinen ethnischen Stereotypen auf nativistisch motivierte Klischees über Italiener zurück, die damals bereits in der Presse, in der Literatur, im Theater und im Vaudeville kursierten, passte sie einem melodramatischen Narrativ an und trug so zur Popularisierung dieser Stereotypen auf nationaler Ebene bei.70 Als Repräsentant der damals umfangreichsten Einwanderergruppe vereint der Italoamerikaner die Klischees gleich mehrerer Ethnien, die ihm in den Vereinigten Staaten vorausgingen: »Like the earlier Irish immigrant, he was a fearsome symbol of the alien Roman church; like the Jew from Eastern Europe, his features were in radical physical contrast to the pervasive Anglo-Saxon profile.«71 Ein besonderes Merkmal italienischer Immigranten war die sprachliche Inkompetenz: »He is known as the fellow who ›maka da moosic‹ but ›no speaka da English‹.«72 Im Unterschied zu Immigranten jüdischer, irischer und afrikanischer Herkunft, die im frühen Film ebenso als Kriminelle auftraten, war der Italiener im Anschluss fast nur noch im Crime- und Gangsterfilm des Hollywoodkinos vertreten, »[hence] attach[ing] the image of the ›dark‹ immigrant to criminality in popular imagination«.73 Den ersten bedeutenden Referenz-
68 Vgl. Francis: Interethnic Relations, S. 214. 69 Vgl. Salvatore J. LaGumina: »Anti-Italian Discrimination«, in: ders./et al.: The Italian American Experience (2000), S. 16-19, hier S. 16f. Vgl. hierzu auch Iorizzo: Organized Crime, S. 151. 70 Vgl. Randall M. Miller: »Preface«, in: ders.: The Kaleidoscopic Lens (1980), S. i-xii, hier S. xii. 71 Golden: La Famiglia, S. 75. Vgl. hierzu auch LaGumina: Anti-Italian Discrimination, S. 16. 72 Child: Italian or American, S. 21. Vgl. auch Pellegrino D’Acierno, der darauf verweist, dass die Italiener, die in die USA zogen, nicht nur durch die amerikanische Sprache irritiert waren, sondern auch durch die vielen regionalen Dialekte, die damals in der italienischen Diaspora kursierten. Mit dem Problem haderten vor allem die contadini aus dem Mezzogiorno: »Their original estrangement from standard Italian was compounded by a second linguistic estrangement: the exile within their new mother tongue, English« (Cinema Paradiso, S. 588). 73 Woll/Miller: Ethnic and Racial Images, S. 278f. Hierbei spielte es keine Rolle, dass neben Italienern auch andere kriminelle Ethnien im Film zu sehen waren,
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punkt für die Inszenierung italienischer Immigranten im amerikanischen Kino bildet Thomas Inces Stummfilmmelodram THE ITALIAN (1915),74 ein für die Dramatisierung amerikanischer Identitätsprojekte von europäischen Einwanderern exemplarischer Film,75 der das tragische Schicksal eines italienischen Gondolieres im ethnischen Großstadtghetto der Metropole New York erzählt. Das in dem Film inszenierte Klischee des dunkelhäutigen, in seinem Herkunftsland fröhlichen, in seinem Gastland aufgrund ungerechter Behandlung und Ausbeutung aber zunehmend verbitterten italienischen Migranten, der kläglich daran zugrunde geht, den amerikanischen Traum für seine Familie zu realisieren, etabliert drei Klischees in der Darstellung des Italieners im US-Mainstreamkino: Naivität, Emotionalität und Brutalität.76 Diese Verknappung ungleich komplexer kultureller Identitäten und ›sozialer Realitäten‹ auf griffige filmische Codes, auf ›rassisch« determinierte und physiognomisch ›belegte‹, mit positiven oder negativen Bedeutungen versehene ethnische Attribute77 oszilliert zwischen zwei Figuren: der rückständig und bedauernswert inszenierten Identifikationsfigur des leidenden Migranten und der monströsen Gefahr für die symbolische WASP-Ordnung78 durch einen gekränkten Außenseiter.79 Im Gangstergenre gehen diese – dem Melodram und dem Horrorfilm eigenen – Stereotypen eine produktive Symbiose ein: »Gothic horror is the flip side of melodramatic pathos. In the American context the end of Calvinist moral and religious certainty about the power of God and the sinning
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und dass Al Capone, das realhistorische Vorbild für zahlreiche fiktionale Mafiosi, kein echtes Mitglied der Mafia, sondern der selbsternannte Boss einer multiethnischen Gang war, die ihren Anfang in Chicago und nicht in Italien hatte (vgl. Iorizzo: Organized Crime, S. 151). Vgl. auch Golden: La Famiglia, S. 78. THE ITALIAN, USA 1915, R: Thomas Ince. Vgl. Woll/Miller: Ethnic and Racial Images, S. 277. Zur historischen Beeinflussung des frühen Stummfilms durch die amerikanischen Immigrationswellen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts vgl. Cortés: Them and Us, S. 55. Vgl. Cortés: Them and Us, S. 55. Diese Klischees lassen sich vor allem an den pejorativen Begriffen zeigen, die der Italiener seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zu hören bekommt, wie etwa ›WOP‹ für den illegalen Migranten without papers, ›dago‹ für die ›bevorzugte‹ Waffe (dagger) des ›konventionell kriminellen‹ Italoamerikaners oder ›guinea‹, »[which] targets the swarthiness of the skin and the darkness of the hair and eyes, those physical features of the Mediterranean body taken as signifiers of a dark and ambiguous moral status« (D’Acierno: Cultural Lexicon, S. 758). Ganz im Sinne von Barbara Creeds Definition des Monströsen: »the function of the monstrous is to bring about an encounter between the symbolic order and that which threatens its stability« (Horror and the Monstrous-Feminine, S. 40). Vgl. Wiegman: Race, Ethnicity and Film, S. 159. Vgl. ebenso Lee Lourdeaux: Italian and Irish Filmmakers in America. Ford, Capra, Coppola, and Scorsese, Philadelphia: Temple UP 1990, S. 65.
250 | G ANGSTER M ELODRAMA nature of the human soul have given rise to a modern fascination with [the] spectacle of the good person who suffers [as well as] the evil person who creates suffering.«80
Im klassischen Gangsterfilm, der in seiner parallelen Entstehung zu den anderen klassischen Hollywoodgenres der frühen 1930er nicht nur Ähnlichkeiten zum backstage musical aufweist,81 sondern auch Austauschprozesse mit dem klassischen Horrorfilm einging, erfuhr der Gangster eine Ausgestaltung als ein über seine kulturelle Alterität, mangelnde Anpassungsfähigkeit und sexuelle Devianz definiertes, in ›realen‹ statt phantastischen Kontexten handelndes ›Monster‹.82 Anders als beim Irischamerikaner Tom Powers, dessen Korruption man von seiner Kindheit an beiwohnt und die sich eher auf Defizite in seinem sozialen und familiären Umfeld zurückrechnen lassen, kann man sich die Kriminalität der Italoamerikaner Rico Bandello und Tony Camonte weder mit traumatischen Kindheitserfahrungen ›erklären‹, noch mit dem gesetzestreuen, sprich: ›amerikanischen‹ Weg relativieren, den einer ihrer Verwandten wählt.83 Sympathisiert man von Beginn an mit Tom, der seinen kindlichen Charme selten ablegt, werden Rico und Tony gleich in ihren ersten Szenen als kaltblütige Killer ohne backstory eingeführt,84 als ominöse Schattengestalten, die im Schutze der Nacht ihre Opfer feig aus dem Hinterhalt erschießen. Die erste Aufnahme von Tony Camontes Gesicht in SCARFACE erinnert auch nicht zufällig an den ersten Leinwandauftritt des Monsters im klassischen Horrorfilms: Tony liegt in einem Friseurstuhl mit einem Handtuch auf seinem Gesicht, das er dann demonstrativ herunternimmt, um sein entstelltes ›Narbengesicht‹85 dem Sheriff und der Kamera zu präsentie-
80 Williams: Race Card, S. 20. 81 Vgl. Kaminsky: Little Caesar, S. 52. Vgl. auch Golden: La Famiglia, S. 78. 82 Die Monstrosität klassischer Filmgangster zeigt sich vor allem in ihrer sexuellen ›Abnormalität‹: Die Lebenslust des Gangsterprotagonisten wird als exzessives Symptom ›pervertierter‹ sexueller Neigungen wie Inzest (Tom, Tony) oder Homosexualität (Rico) erfasst (vgl. Slotkin: Gunfighter Nation, S. 259; Gabree: Gangster-Film, S. 26; Diego: Horror Icon, S. 325; Gardaphé: Suburban Trickster, S. 95). Dasselbe gilt für die inzestuösen Gefühle des Gangsters für die Mutter im postklassischen Genrefilm WHITE HEAT (USA 1949), der zudem prominente Motive des Sci-Fi-Horrorfilms der 1950er antizipiert: »A vindictive creature trashes civilization until, trapped, he is ›scientifically‹ eliminated, destroys himself, or eludes the forces that threaten his lone, unique existence, leaving behind the fearful notion that he may return« (Shadoian: Dead Ends, S. 173). 83 Vgl. Cavallero: Fessos, S. 54; Diego: Horror Icon, S. 327; sowie Woll/Miller: Ethnic and Racial Images, S. 266. 84 Vgl. Jewell: LITTLE CAESAR DVD Audiokommentar. 85 Wie Capone, der sich das scarface bei einer Prügelei holte, behauptet Tony, es stamme aus seiner Zeit im I. Weltkrieg (vgl. Smyth: Age of Scarface, S. 538). Seine Gangmitglieder vermuten aber, dass er sich die Narben bei einem Angriff auf eine Frau geholt haben muss, was seine Monstrosität weiter unterstreicht.
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ren. SCARFACE endet darüber hinaus mit einer Sequenz, die einige Parallelen mit James Whales zeitgleich entstandenem Horrorfilm-Klassiker FRANKEN86 STEIN (1931) gemein hat: Verfolgt und umzingelt von einer aufgebrachten, schwer bewaffneten Meute (dort: Dorfbewohner, hier: Polizisten), versteckt sich das ängstliche Ungeheuer (dort: Frankensteins Kreatur, hier: Camonte) in der obersten Etage eines mehrstöckigen Gebäudes und kämpft verzweifelt gegen die Angreifer an, bis es zur Strecke gebracht wird, indem es geblendet (dort: durch das Feuer, hier: durch Gasbomben) aus dem Gebäude stürzt. In LITTLE CAESAR und THE PUBLIC ENEMY finden sich auch ›Horrorszenen‹: Wenn Tom zum Ende des Films im strömenden Regen auf das Lager seiner Feinde zugeht, um den Mord an seinem Freund zu rächen, ist mit dem diabolischen Lächeln, mit dem er mechanisch auf die zurückweichende Kamera und in den sicheren Tod geht, jede Unschuld verflogen. Und wenn Rico mit derselben Bestimmtheit drohend auf den Verräter Joe tritt, um ihn zu töten, füllt sein vor Hass(liebe) zur Grimasse verzerrtes Gesicht das Bild. In diesen Szenen greift das, was Barbara Creed über Horrorfilmbilder schreibt: »[In these scenes], an unusual phenomenon arises whereby the suturing processes are momentarily undone while the horrific image on the screen challenges the viewer to run the risk of continuing the look. […] Strategies of identification are temporarily broken, as the spectator is constructed in the place of horror, the place where the sight/site can no longer be endured, the place where pleasure in looking is transformed into pain and the spectator is punished for his or her voyeuristic desires.«87
Die Instanzen, denen im klassischen Gangsterfilm die Aufgabe zufällt, anhand von impliziten Lektüreanweisungen auf die ›Abnormalität‹ hinter dem Glamour des Gangsterprotagonisten zu verweisen, sind Vertreter der Öffentlichkeit wie Polizei und Presse. Dabei kommt es vor Filmschluss selten zum offenen Konflikt zwischen dem Gangster und den Gesetzeshütern. Die Figur des Kommissars nimmt eher die Funktion eines griechischen Chors ein, der gelegentlich in der Handlung erscheint, um Aufstieg und Fall der Hauptfigur von ›offizieller Seite‹ zu verurteilen.88 Als in SCARFACE ein junger Polizist von Tonys urbanen Abenteuern als eine die Journalisten faszinierende »story« spricht und ihn als »colorful character« bezeichnet, reagiert der mit dem großen Sheriffstern und einer phallischen Zigarre als symbolische Autorität markierte Chief of Detectives mit einer kleinen Rede, die als moralisch ›korrekte‹ Lektüreanweisung ans Publikum und als Kritik an den melodramatischen Darstellungsstrategien der Presse und des Gangstergenres zu lesen ist:
86 FRANKENSTEIN, USA 1931, R: James Whale. 87 Creed: Horror and the Monstrous-Feminine, S. 57. 88 Vgl. Hartmann: Topographische Ordnung, unter: http://home.snafu.de/britta. hart/gang.html, l. A.: 01.03.11. Vgl. dazu auch Jewell: DVD Audiokommentar.
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CHIEF: Colorful? What color is a crawling louse? Say, listen, that’s the attitude of too many morons in this country. They think these big hoodlums are some sort of demigods. What do they do about a guy like Camonte? They sentimentalize him, romance, make jokes about him. They had some excuse for glorifying our old western bad men. They met in the middle of the street, high noon, and waited for each other to draw. But these things sneak up, shoot a guy in the back and then run away. […] (höhnisch) Colorful!
Verurteilt der Chief den modernen Gangster-Mythos als Fiktion, hält er ironischerweise weiterhin an dem traditionellen Outlaw-Mythos und der Fiktion des Westerngenres vom fairen Duell fest. Direkt an diese Szene schließt eine weitere, auf Weisung des Hays Codes nachträglich eingefügte Szene, in der Bürgerverbände einen Zeitungsherausgeber für dessen mediale Stilisierung des Gangsters angreifen. Dieser weist aber jegliche Kritik von sich und fordert seine Kritiker – sowie den Zuschauer, den er in einer Großaufnahme gleich mitadressiert –, auf, ein strikteres Waffen- und Deportationsgesetz zu verlangen: »These gangsters don’t belong in this country. Half of’em aren’t even citizens.« Zustimmung erhält der ›weiße‹ Redner von einem Mann mit stark italienischem Akzent, der sich von den Gangstern in seiner ethnischen Gruppe klar distanziert: »They bring nothing but disgrace to my people.« In dieser erzählerisch wie stilistisch vom restlichen Film apart stehenden Szene meldet sich also die ›legitime Gesellschaft‹ zu Wort und bewertet den Gangster als sozialen ›Abschaum‹, gegenüber dem sie sich abgrenzt, indem sie seine nicht-amerikanische Devianz betont. SCARFACE, der bei seiner späteren Veröffentlichung auch den stärker wertenden Titel SHAME OF THE NATION tragen würde, unterstreicht seine sozialkritischen ›Intentionen‹ auch – so wie LITTLE CAESAR und THE PUBLIC ENEMY – mit einführenden Texttafeln, die auf die damalige Rhetorik der Presse rekurrieren, die die Gewaltexzesse der Gangster gleichermaßen feierten wie kritisierten, und das ›ethnische Problem‹ des Gangsters dem Staat auftrugen.89 Paratextuelle Lektüreanweisungen dieser Art finden sich auch in Gangsterfilmen nach dem ethnic revival, als man darauf bedacht war, keine ethnische Gruppe zu beleidigen, um möglichen Protesten gegen die Filme zu entgehen.90 Als sich schließlich Tony Soprano in »Proshai, Livushka« (s03e02) THE PUBLIC ENEMY zu Gemüte führt, kann er bei der Texttafel zur Wiederaufführung des Klassikers –
89 Vgl. Maltby: Spectacle of Criminality, S. 119. 90 Wie die Texttafel, die einer aus den ersten zwei GODFATHER-Filmen chronologisch montierten, erweiterten TV-Miniserie vorangestellt wurde, die 1977 auf NBC lief: »The Godfather [A NOVEL FOR TELEVISION (R: Francis Ford Coppola)] is a fictional account of the activities of a small group of ruthless criminals. It would be erroneous and unfair to suggest that they are representative of any ethnic group.« Vgl. Cortés: Them and Us, S. 68. Weitere Exemplare wären die Texttafeln, mit denen SCARFACE (1983) über kubanische Gangster und YEAR OF THE DRAGON (1985, R: Michael Cimino) über chinesische Gangster starten.
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»Tom Powers in ›Public Enemy‹ and Rico in ›Little Caesar‹ are not two men, nor are they merely characters – they are a problem that sooner or later, we, the public, must solve.« – aber nur noch selbstironisch schmunzeln, ist das ›nationale Problem‹ des ethnisch markierten Gangsters, wie das Beispiel »Tony Soprano« belegt, doch auch Jahrzehnte danach nicht ›gelöst‹.91 Auch THE SOPRANOS greifen in der Dramatisierung der ethnischen Identitätsnöte ihres Protagonisten in einer angloamerikanischen Gesellschaft auf Muster des Horrorgenres zurück, besonders in der Inszenierung seiner Albträume.92 So imaginiert sich Tony Soprano in »The Test Dream« (s05e11) als Frankensteins Kreatur, das von einer rachsüchtigen Meute verfolgt wird. Und in »Calling All Cars« (s04e09) erscheint er als ein der englischen Sprache nicht sicherer italienischer Immigrant des frühen Films im traditionellen Unterhemd mit Hosenträgerhose, der wie einst sein Großvater, der als Steinmetz während der new migration aus dem Süden Italiens in die Vereinigten Staaten kam, für eine Anstellung ein weißes Landhaus aufsucht. Im Inneren wird Tony einer mysteriösen Frauengestalt im Schatten auf der Treppe gewahr, stellt sich vor und bietet ihr seine Handwerksdienste an. Als die Hausdame nichts darauf erwidert, tritt Tony zu ihr aufblickend, zum Knarren der Tür in der ominösen Stille herein, um plötzlich schweißgebadet und atemlos in einer Luxussuite in Miami aufzuwachen. Der abrupte Schnitt vom armen, unbeholfenen Migranten zum reichen, aber seiner kulturellen Identität noch unsicheren Gangster und der letzte Song der Folge, die nationale Partyhymne »Surfin’ USA« von den Beach Boys, illustrieren wie ethnische Stereotypen mit dem sozioökonomischen Fortschritt von Minderheitengruppen verschwinden,93 aber als monströse Fiktionen doch wiederkehren. Italoamerikaner werden zwar nicht mehr so offen diskriminiert oder karikiert wie noch
91 Als Carmela in derselben Folge Tony ohnmächtig auf dem Küchenboden findet und sich erkundigt, was passiert sei, ›spult‹ die Folge zu der Szene ›zurück‹, in der Meadow ein Video von THE PUBLIC ENEMY zurückspult – was selbstreflexiv unterstreicht, wie die Genretexte immer die gleiche Geschichte reiterieren. 92 Vgl. Nochimson: Dying to Belong, S. 200f. Auch die Alpträume anderer Italoamerikaner in der Serie tragen häufig eine spezifisch ethnische Dimension: Als Chris in »From Where to Eternity« (s02e09) aus dem Koma erwacht, berichtet er, dass die Hölle, die er in der Zeit besucht zu haben glaubt, von römischen Soldaten, Gangstern in klassischen Gangsteranzügen und von Iren bewohnt wird, die die Italiener im Würfelspiel schlagen: »The emerald piper, that’s our hell. It’s an Irish bar where it’s St. Patrick’s day everyday forever.« Und in dem Alptraum, den Dr. Melfi im Anschluss an ihre Vergewaltigung in »Employee of the Month« (s03e04) hat, steht sie vor einem hellrot glühenden Coca-Cola-Dosenautomaten und füllt diese Verkörperung amerikanischer Konsumkultur mit ungekochten Stücken Maccaroni, mit dem ethnischen Hauptmahl italoamerikanischer Migranten (vgl. D’Acierno: Cultural Lexicon, S. 747). In beiden Beispielen erscheint ihnen der Verlust ethnischer Identität äußerst verstörend. 93 Vgl. Miller: Preface, S. xii.
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im frühen und klassischen Gangsterfilm, die damaligen Stereotypen wirken aber noch als kulturelle Phantasmen, als historischer Ballast in immer neueren Abwandlungen im Unbewussten der ethnischen Gruppe und des Gangsters, ihrer prominentesten Reflexionsfigur, weiter.94 Tony steht am Ende eines Jahrhunderts, in dem die zuvor auf Angloamerikaner begrenzte normative Kategorie »white«95 im Zuge einschneidender soziokultureller Entwicklungen auch eine Ausdehnung auf Ethnien wie die Italoamerikaner erfahren hat, »[who] as post-World War II ethnic everymen [are now as v]ulnerable […] to peculiarly American varieties of loneliness, despair, and guilt«.96 Das weiße Landhaus mit der dunklen Frauengestalt, die in ihren Umrissen und Bewegungen nicht zufällig an Tonys Mutter Livia ermahnt, kehrt zu Beginn der sechsten Staffel in Tonys Komatrip wieder. In diesen Sequenzen imaginiert sich Tony als ein assimilierter Amerikaner ohne italoamerikanischem New-Jersey-Akzent, der mit der unfreiwillig angenommenen Identität eines Fremden namens Kevin Finnerty zum Inn at the Oaks fährt, um auf der dort stattfindenden Finnerty-Familienfeier den ›echten‹ Finnerty, seinen Doppelgänger zu finden. Aus dem festlich geschmückten, weißen Landhaus strömt italienische Musik und grelles Licht, als Tony auf der Auffahrt zum Anwesen von einem Mann aufgehalten wird, der seinem Cousin Tony Blundetto ähnelt (Steve Buscemi spielt beide Figuren), den Tony vor einem ähnlichen Landhaus in der vorherigen Staffel zum Wohle seiner Gang ermordet hat. Der Mann informiert Tony, seine Familie erwarte ihn im Haus, und besteht darauf, dass er dafür seinen Aktenkoffer, sprich: sein ›Geschäftsleben‹ aufgibt: »You can’t bring business in there.« Das weiße Landhaus, das nicht zuletzt auch an das weiße Strandhaus erinnert, das Tony für seine Familie in »Whitecaps« (s04e13) kaufen wollte, um ihnen eine neue Zukunft als ›Amerikaner‹ zu ermöglichen (damals sagte er seiner Frau: »When we were pisspoor, this was the biggest caviar wish we could come up with. Kind of re-
94 Umstritten ist heute die Reality-Show JERSEY SHORE (USA 2009––, MTV), die auf das Stereotyp des Guido, der Guidette rekurriert in ihrer Darstellung ungebildeter, roher italoamerikanischer Jugendlicher aus der Arbeiterklasse, die, oft eine große Gewaltbereitschaft und ein sehr aggressives Balzverhalten zeigen. 95 Die Unterteilung der ethnischen Bevölkerungsgruppen in White Americans, angelsächsische Protestanten aus dem Norden Europas, und Ethnics, ein Sammelbegriff für so diverse soziale Gruppen wie Iren, Juden und südländische Europäer), die sich im Verlauf der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts festsetzen würde, hatte in der amerikanischen Kultur hierarchisierende Effekte zwischen ›weißen‹, als solche ›nicht sichtbaren‹ und ›nicht-weißen‹, und dadurch ›sichtbaren‹ Bürgern (vgl. u.a. Airriess/Miyares: Ethnic Geographies, S. 6, 11; Robinson: Marked Men, S. 1; Richard Dyer: White, London/NY: Routledge 1997, S. 3.). 96 Golden: La Famiglia, S. 90. Vgl. dazu auch Wiegman: Race, Ethnicity and Film, S. 158; und Robinson: Marked Men, S. 4.
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minds you of the Kennedy compound, don’t it?«)97 – verheißt hier die ›amerikanisch-legitime‹ Rehabilitierung eines ›ethnisch-kriminellen‹ Gangsters98: »[It stands for a] promise of wholeness which Whiteness always holds out to the raced subject – a promise whose falsity stems from the fact that it offers to fill a ›lack‹ in the subject that does not really exist«.99 Seiner neuen Identität im Weg steht Tony bezeichnenderweise auch die italienische Frauengestalt in der Haustür als Symbol für seine ethnische als auch biologische Herkunft. Indes repräsentiert das Landhaus als ein stereotypes Symbol des Melodrams für Unschuld100 für ihn den Ort der Hoffnung und des Grauens, die melodramatische Option einer Rückkehr, so verlockend wie furchterregend. Als moralische Autorität für das Wachhalten bürgerlicher Moral werden Polizei und Presse in der Serie von Tonys italoamerikanischer Analytikerin abgelöst, »act[ing] as a kind of Greek chorus, fulfilling the role of both audience and commentator«.101 Dr. Melfi verurteilt ihn aber nicht so entschieden wie die damaligen ›Hüter der öffentlichen Moral‹, sondern versucht seine Devianz und damit auch das Klischee des italienischen Gangsters zu bre-
97
Der irisch-amerikanische Kennedy-Clan, der einen ikonischen Status als »America’s Royal Family« genießt, bildet den anderen Referenzpunkt für das Selbstbild der Mafiosi in der Serie neben der Corleone-Familie, die sich bereits an der nicht ganz legitimen Geschäftsfamilie Joseph P. Kennedys orientierte, die später durch JFK zur Präsidentenfamilie wurde: »It could have been the Kennedys. The whole idea of a family living in a compound – that was all based on Hiannisport« (Francis Ford Coppola zitiert in: William Murry: »Playboy Interview«, in: Browne: Coppola’s The Godfather Trilogy (1999), S. 180-182, hier S. 181). So besitzt Tony John F. Kennedys Segelhut und Junior schwört auf den Namen Kennedy (in »Second Opinion«, s03e07, vertraut er seinem Krebsarzt, weil er zufällig auch John Kennedy heißt) und vergleicht sich gern mit beliebten Präsidenten wie Teddy Roosevelt (»Another Toothpick«, s03e05). Sein sozialer Fall in Staffel 6 wird dann auch daran deutlich, dass er sich mit dem unpopulären Vizepräsidenten Dick Cheney vergleicht, dessen Jagdunfall er mit seinem wirren Mordanschlag auf seinen Neffen assoziiert (»Remember When«, s06e15). 98 Vgl. hierzu ebenso »The Italian/American Self: Assimilation und Ent-Assimilation« in diesem Kapitel. Als Tony wegen der Trennung von seiner Frau von dem Kauf des Familienhauses zurücktritt, weigert sich der Besitzer, der aalglatte WASP-Anwalt Alan Sapinsly, der nicht nur die Initialen mit Anthony Soprano teilt, sondern sich auch in Tonys hyperviriler Gangsterrhetorik übt, die Anzahlung zurückzugeben. Sapinsly verkörpert hier den ›legitimen Amerikaner‹, der Tony gerne sein würde. Als sich Sapinsly uneinsichtig zeigt, terrorisiert ihn Tony bald darauf ›kulturell‹ mit Songs des italienischen Sängers Dean Martin. 99 Chris Kocela: »From Columbus to Gary Cooper: Mourning the Lost White Father in The Sopranos«, in: Lavery: Reading the Sopranos (2006), S. 107-121, hier S. 112. 100 Vgl. Williams: Race Card, S. 28. 101 Plourde: Eve of Destruction, S. 70. Vgl. auch ebd., S. 74.
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chen. In »Denial, Anger, Acceptance« (s01e03) wird Tony von einem Rabbi – den Tony nach einem gemeinsamen Geschäft in einer Szene bedroht, in der er als dunkle, über den Rabbi ragende Schattengestalt fotografiert wird – in Anlehnung an die jüdische Legende als »living golem« verflucht. Als Tony darüber in seiner Therapie berichtet, fragt ihn Dr. Melfi, ob er sich denn auch so sehe: »A thing? Lacking human feelings?« Während Tony die Antwort schuldig bleibt, antwortet die Serie mit einem Schnitt zu einer Szene, in der er mit tränenden Augen dem Schulchorgesang seiner Tochter lauscht und damit die unschuldige Seite von Frankensteins ›Monster‹ reflektiert.102 Als assimilierte Amerikaner sind es nun die Italiener selbst, die den neuen Immigrationswellen skeptisch gegenüberstehen, die Russen, Mexikaner, Inder, Koreaner, Puertoricaner, Polen und Ecuadorianer in die USA bringen. Auf die mit Stolz rekapitulierte Migration ihrer Vorfahren folgt der Wunsch nach festeren Grenzen vor neuen Amerikanern, wie etwa in »Soprano Home Movies« (s06e13) als Bobby Bacala erklärt: »They oughta build a wall now, though.« Der Fremdenhass der Mafiosi, die, wenn überhaupt, nur dann über kulturelle Differenzen hinwegschauen, wenn sie mit anderen Ethnien ›Geschäfte‹ machen können, äußert sich auch in der Art von historisch begründeter Paranoia, in der sie ›ihr‹ Land von den Angriffen anderer, auch europäischer Länder bedroht sehen.103 Der Nationalstolz des ›ethnischen‹ Gangsters war bereits Thema im postklassischen Gangsterfilm, als er etwa in ALL THROUGH THE NIGHT (1941)104 und HITLER – DEAD OR ALIVE (1942)105 als ein stolzer Repräsentant der USA gegen die Feinde der Nation, gegen Nazis kämpfte. Die Sopranos üben sich in einem Nationalstolz, der auch im Schatten der Terroranschläge von 9/11 nicht frei von ideologischen Ambiguitäten ist (Chris: »You don’t listen to the president? We’re gonna mop the floor with the whole fucking world. The world’s gonna be under our control«, s05e05: »Irregular Around the Margins«). Die Inkompetenz der FBI-Agenten, die ihnen in ihrem ›Geschäft‹ nur recht ist, bereitet den Gangstern Sorgen im Hinblick auf den internationalen Terrorismus (Tony: »The government’s not doing shit.«, s05e10: »Cold Cuts«). Also lässt sich konstatieren: »Questioning the patriotism of Italians seems to be a thing of the past.«106
102 Auch THE GODFATHER rekurriert auf die Monstrosität und Unschuld von Frankensteins Kreatur: Großvater Vito spielt für den Neffen das Monster. Der kleine Junge ist erst verängstigt, erkennt dann aber das Schauspiel seines Großvaters als solches und jagt das ›Monster‹ mit der Wasserpumpe durch den Garten. 103 Paulie übt sich oft in Geschichtskunde: In »Pine Barrens« (s03e11) belehrt er Chris, als dieser meint, Russen seien verlässlich: »How about the Cuban missile crisis? Cocksuckers moved nuclear warheads into Cuba, pointed ‘em right at us.« In »Sentimental Education« (s05e06) warnt Paulie Walnuts vor Koreanern und verwechselt sie mit Japanern: »Word to the wise: remember Pearl Harbor!« 104 ALL THROUGH THE NIGHT, USA 1941, R: Vincent Sherman. 105 HITLER – DEAD OR ALIVE, USA 1942, R: Nick Grinde. 106 Cavallero: Fessos, S. 60. Vgl. auch Gans: Symbolic Ethnicity, S. 446.
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In der letzten Staffel der Serie machen die Sopranos Geschäfte mit zwei Arabern, die das Bing! frequentieren. Auf Anfrage von Agent Harris, der die Soprano-Crew einst beschattete und mittlerweile für die Anti-Terror-Einheit des FBI arbeitet, nach Informationen über Terroristen, zeigt sich Tony erst – in Erinnerung an Henry Hills Verrat – entsetzt von einer Kollaboration mit dem FBI, beschafft ihnen die Info dann aber doch – für eine Gegenleistung. Vertraut Chris auf die ›amerikanische Normalität‹ der Muslime (»Mohammad and his girlfriend have a dog, a springer spaniel«, s06e06: »Live Free or Die«), sind die FBI-Agenten ratlos über die neuen public enemies in ihrer Mitte. Dass die italoamerikanischen Gangster in der Serie eine ironische Inszenierung als nicht-staatliche, proletarische Verteidigungslinie vor der Terrorgefahr erfahren, zeigt sich auch symbolisch daran, dass Harris die Staffel hindurch an einem Virus leidet, den er sich in der Terroristenhochburg Pakistan eingefangen hat und den er dadurch abzumildern versucht, indem er sich öfters das Fleisch der italienischen Soprano-Metzgerei Satriale’s gönnt. Nur eins ist am Ende der Serie, am Anfang des 21. Jahrhunderts sicher: »At this point in time, it’s a little bit hard to take mobsters all that seriously.«107 Kurz: Die Sopranos sind schon soweit assimiliert, dass sie keine unmittelbare Bedrohung mehr für die USA, sondern nur noch für sich und die Mitglieder ihres ethnischen Milieus darstellen.108 So gehört es zu den vielen ironischen Pointen der Serie, dass sich Tony Soprano als stolzer Italoamerikaner in einer der letzten Folgen der Serie (»Chasing It«, s06e16) hinsichtlich des von seiner Crew produzierten Mafia-Slasherfilms (!) CLEAVER, einer höchst grotesken Genre-Hybride aus Horror- und Gangsterfilm derart kritisch äußern kann: »Honestly, it’s a very unflattering portrait of Italian-Americans.«
T HE I TALIAN /AMERICAN S ELF : ASSIMILATION UND E NT -ASSIMILATION THE GODFATHER hebt 1972 einen handlungstragenden Konflikt des klassischen Gangsterfilms auf: den Widerspruch zwischen Tradition (repräsentiert durch die ethnische Gemeinschaft der europäischen Familie, der der Gangster entstammt) und Modernität (verkörpert vom amerikanischen, profitorientierten Männerbund der Gang, in den der Gangster wechselt). Im klassischen Genrefilm versteht sich die amerikanische Gesellschaft – gemäß dem Assimilationsmodell – als ein ›offenes System‹, in dem sozioökonomischer Erfolg nur durch Individualismus und einer pragmatischen Verschiebung der Loyalitäten weg von der ›ethnischen‹ Großfamilie möglich ist.109 Vor allem
107 Chase/Bogdanovich: DVD Interview, Season One. 108 Vgl. Messenger: Our Gang, S. 282. 109 Vgl. Boscia-Mulè: Authentic Ethnicities, S. 13f. Vgl. auch Ferraro: Blood in the Marketplace, S. 178.
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der von Soziologen im Unterschied zu WASP-Familien als enger gewertete Familienzusammenhalt im italoamerikanischen Milieu110 gilt als hinderlich für die kulturelle Assimilation und den sozialen Aufstieg der Migranten.111 Für die ethnisch markierten Protagonisten des klassischen Gangsterfilms der 1930er, die den amerikanischen Traum nicht für sich umsetzen können und zum Ende von der Gang in ihre Familien zurückgeworfen werden,112 bedeutet das, dass »[n]icht ein Zuviel, sondern ein Zuwenig an Individualität […] hinter dem Pathos des gescheiterten Gangsters [steckt], der sich aus seinen einengenden Milieubindungen nicht hat herauslösen können.«113 Doch diese Spannung zwischen ethnischer Loyalität und amerikanischem Erfolg wird in THE GODFATHER – zumindest zu Anfang der Handlung – eben nicht bedient: »[For the narrative’s] largest fiction […] is that of enormous and unqualified American security and success: the fantasy of a self-reliant, upward mobility within a total identity in family. [Hence, initially, THE GODFATHER] decrees that, in America, one can achieve anything through force without denying origins or becoming legally or morally culpable. An immigrant can retain ethnic identity and yet succeed in America beyond relief in an open society without becoming »open« him- or herself.«114
Bei den Corleones handelt es sich – wie später auch bei den Sopranos – um eine italoamerikanische Familie, die trotz des sozioökonomischen Aufstiegs ihre ethnische Identität weiter pflegt und die komplette Assimilation an eine mehrheitliche WASP-Kultur bewusst verweigert.115 In der Corleone-Familie überkreuzen und erhalten sich somit zwei stereotype Fremd- und Selbstzuschreibungen über die italoamerikanische Familie: die ›gute‹, sprich: kompromissbereite italienische Familie, die sich an die Vorgaben des amerikanischen Traums hält, und die ›böse‹, sprich: kriminelle Familie, die den amerikanischen Traum für ihre eigenen, ›amoralischen‹ Motive umdeutet.116 Die ›moralisch richtigen‹ Lektüreanweisungen der Gesetzeshüter im klassischen Gangsterfilm erfahren ab diesem Punkt eine ethnozentrische Umschrift: Der Zuschauer schaut nun nicht mehr von einer ›moralisch integren‹ WASP-Po-
110 Vgl. Child: Italian or American, S. 28. 111 Vgl. Ferraro: Blood in the Marketplace, S. 178. Vgl. zudem Winokur, der behauptet, US-Gangsterkomödien wie MARRIED TO THE MOB (1988), COOKIE (1989, R: Susan Seidelman) und WISE GUYS (1986, R: Brian DePalma) handelten meist davon, wie Gangster vor ihrer Sippe flüchten (Eating children, S. 12). 112 Die Flucht klassischer Filmgangster vor ihrer Herkunftsfamilie endet stets daheim: So fällt Tom Powers halbtot von der Straße durch die Haustür zurück ins Familienhaus, Tony Camonte versöhnt sich unter Beschuss der Polizei mit seiner Schwester und Rico Bandello findet Halt bei einer monströsen Mutterfigur. 113 Kappelhoff: Matrix der Gefühle, S. 244f. 114 Messenger: Our Gang, S. 174. 115 Vgl. Cavallero: Fessos, S. 61. 116 Vgl. D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 569f.
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sition auf das exotische Gangstermilieu, sondern vom ›geborgenen Schoß‹ der ethnischen Großfamilie auf eine ihr fremde amerikanische Außenwelt, die den orthodoxen Prinzipien der Familie nicht gerecht wird.117 Die einzigen Gesetzeshüter, die im Film auftreten, sind korrupt, wie etwa der irische Polizeikapitän Mark McCluskey, oder stören als ungebetene Gäste die private Familienfeier (Sonny: »Goddamn FBI don’t respect nothing!«). Auch in THE SOPRANOS werden FBI-Agenten, »[who are] almost always presented without reference to their families or to any connections that are not official«,118 der Genre-Tradition gerecht als meist unsympathische Störungen des Familienglücks oder als unfreiwillig komische Peeping Toms inszeniert, die sich mit der oft ergebnislosen Überwachung des Alltags der Sopranos einer außergewöhnlich durchschnittlichen Upper-Middle-Class-Sippe widmen.119 Michael Corleone beginnt THE GODFATHER als eine Figur, die sich vom ethnozentrischen Weltbild ihrer Familie distanziert zu haben glaubt. Er lässt sich auf der Hochzeitsfeier seiner Schwester nicht nur – im Unterschied zu seinem Vater und seinen zwei Brüdern – in einer amerikanischen Soldatenuniform blicken, er führt mit Kay Adams auch eine WASP-Freundin an der Hand. Michaels Ruhm als Kriegsheld, seine Ivy League-Ausbildung und die New England-Schönheit Kay verheißen ihm eine amerikanische Zukunft abseits des Mafia-Clans.120 Nach einer außergewöhnlichen ›Familienanekdote‹ über die Brutalität seines Vaters versichert er seiner schockierten Partnerin: »That’s my family, Kay. It’s not me.« Doch Michael ist sich nicht bewusst, dass er sich stets auf der Grenze zwischen ethnischem Milieu und amerikanischem Mainstream bewegt, wenn er sie kurz darauf fragt, ob ihr denn auch die Lasagne schmecke. »[Since] he may as well be asking her, ›How do you like this world?‹ The lasagna [clearly] represent[s] the fruits of the family’s work [full of] blood and crime.«121 So mag er beim Familienfoto demonstrativ Kay ins Bild ziehen, um seiner Entscheidung für ein amerikanisches Leben Ausdruck zu verleihen, doch die zentrale Stellung, die er trotz all seiner Bemühungen in der Familie einnimmt, zeigt sich bereits bevor er im Film zu sehen ist. Als sich die Corleones das erste Mal zum Familienporträt versam-
117 Vgl. ebd., S. 571. Vgl. auch Dika: Representation of Ethnicity, S. 94. 118 Nochimson: Re-Reading, unter: http://www.filmquarterly.org/issue_5602_ right.html, l. A.: 16.02.08. 119 Jack Shadoian schreibt: »As […] opponents, the police are generally colorless and/or unsympathetic« (Dead Ends, S. 9). In »Pax Soprana« (s01e06) läuft über einer Szene, in der das FBI die Crew bespitzelt, das Instrumental des Rapsongs »Paparazzi«. In »Mr. Ruggerio’s Neighborhood« (s03e01) begutachten die Agenten den Hintern ihrer Zielperson beim Tennis. Und in »Mr. & Mrs. John Sacrimoni Request« (s06e05) bestehen sie darauf, den tränenden Vater der Braut vor der glücklichen Abfahrt der Tochter von ihrer Hochzeitsfeier zu verhaften. 120 Vgl. Messenger: Our Gang, S. 187. Vgl. hierzu auch Nochimson: Dying to Belong, S. 56. 121 Santos: Food and Family, S. 211.
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meln, fällt dem Paten auf, dass sein jüngster Sohn noch abwesend ist, und er besteht darauf, auf Michael zu warten. Auch für Vito verkörpert Michael die ›amerikanisch-legitime‹ Zukunft der Familie abseits der ›italienisch-kriminellen‹ Organisation, einen gesellschaftsfähigen Nachfahren. Später im ersten Film wird Vito es bedauern, dass gerade Michael diesen Weg nicht ging: VITO:
MICHAEL: VITO: MICHAEL:
I know that Santino was gonna have to go through all this. And Fredo… oh, Fredo was, well… but I never wanted this for you. I worked my whole life – I don’t apologize – to take care of my family. And I refused to be a fool, dancing on a string held by all those big shots. I don’t apologize. That’s my life, but I thought that,… that when it was your time, that you would be the one to hold the strings. Senator Corleone. Governor Corleone. […] Another pezzo da novanta. [ital. »big shot«, A.N.] Well, just wasn’t enough time, Michael. Wasn’t enough time. We’ll get there, Pop. We’ll get there.
So ist es nicht Michaels Flucht vor seiner dysfunktionalen Familie, sondern seine Ankunft in der funktionalen Familie, von der THE GODFATHER im Gegensatz zum klassischen Gangsterfilm erzählt. Michael, dessen amerikanischer Individualismus es fordert, dass er mit den Traditionen bricht, die sein italienischer Vater repräsentiert,122 kehrt als ›verlorener Sohn‹ in der größten Not zurück. Doch als er Vito nach einem Attentat auf dessen Leben vor weiteren Anschlägen beschützt und ihm seine Treue zusichert (»I’ll take care of you. I’m with you now. I’m with you.«), dann ist das im Vorausblick auf die verheerenden Folgen für Michael und seine Familie keine konstruktive, sondern eine destruktive Entscheidung. Die erste Handlung ›im Namen des Vaters‹, Michaels Ermordung Sollozzos, ist eine, die den heimgekehrten Soldaten wieder in den Krieg schickt, diesmal: »[as an] act of family piety, a way of accepting his father, his family past«.123 War er bisher nicht im ›Familiengeschäft‹ involviert und gehörte er wie die Frauen und die Kinder zu den wenigen männlichen »Zivilisten« des Clans (neben Fredo und Tom Hagen), muss er nun auf seine Kriegserlebnisse zurückgreifen, um für die Familie zu morden. Der Abschied von der Familie ähnelt so auch nicht zufällig der Abreiseszene eines in den Krieg ziehenden Soldaten aus einem Kriegsfilm: Michael wird umarmt und geküsst von seinen Brüdern, die den Frauen der Familie später von seiner Abreise erzählen wollen. Den Zuspruch, den Michael von seinen männlichen Verwandten für seinen Kriegsdienst für ihre Familie erhält, steht dabei im starken Kontrast zu dem Familienstreit aus der Rückblende, mit der das Sequel THE GODFATHER, PART II später schließen wird.
122 Vgl. Rotundo: Wonderbread and Stugots, S. 67. Vgl. ebenfalls Shadoian: Dead Ends, S. 8. 123 Denby: Two Godfathers, S. 175.
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Die Szene, die chronologisch vor der Handlung des ersten Films spielt, zeigt die Vorbereitungen für eine Geburtstagsfeier des Familienoberhaupts Vito am 7. Dezember 1941, dem Tag, an dem die Japaner die US-Militärbasis in Pearl Harbor angriffen und die USA damit in den II. Weltkrieg stürzten. Die fröhliche Stimmung zwischen den Brüdern am familiären Essenstisch kippt abrupt, als sich Michael mit Sonny in eine Grundsatzdebatte über die Männer versteigt, die sich am selben Tag freiwillig für den Kriegseinsatz gemeldet haben. Sonny, der sie als »[a] bunch of saps« beschimpft, »[who] risk their lives for strangers«, und wie sein Vater Vito auf Familienloyalität vor jeglicher Art von Nationalstolz besteht (»Country ain’t your blood. You remember that.«), wird von seinem jüngeren Bruder mit der Nachricht überrascht, dass er sich auch für den Dienst gemeldet habe. Nach einem kurzen Handgemenge wird Michael von den Verwandten alleine am leeren Essenstisch zurückgelassen. Die Tragik ist die, dass sein Dienst mit dem Willen als auch gegen den Willen seiner Familie ihn am Ende so einsam zurücklässt.124 In der sechsten Staffel der SOPRANOS versucht sich auch A.J. Soprano als ein Schulabbrecher ohne jegliche Perspektiven, im deutlichen Kontrast zum vielversprechenden Ivy League-Student Michael Corleone, an dessen Identitätsfindung aus dem ersten GODFATHER-Film zu orientieren. Als A.J. aber in »Johnny Cakes« (s06e08) versucht, seinem Vater Tony seine Virilität unter Beweis zu stellen, indem er seinen Großonkel Junior für dessen verwirrten Mordanschlag auf Tony mit einem Messer aufsucht, scheitert er spektakulär. Nachdem der Versuch, die Lieblingsszene Tonys aus THE GODFATHER – die Ermordung Sollozzos durch Michael – in seinem Leben umzusetzen, scheitert, ist A.J. gegen Ende derselben Staffel überzeugt davon, für Amerika als Soldat in den Irak ziehen zu müssen. Doch dann gibt er sich doch mit einem neuen Auto und einer neuen Stelle zufrieden, die ihm seine Eltern besorgen, und bleibt weiter einer der infantileren ›Zivilisten‹ in der Soprano-›Familie‹. Mit dem Kriegshelden, der für die Familie zum Gangster wird, setzt THE GODFATHER nicht nur ein Narrativ um, das sich in den SOPRANOS nicht mehr umsetzen lässt, es fiel im klassischen Gangsterfilm gar der Zensur zum Opfer. THE PUBLIC ENEMY endet mit einer Szene, in der sich der Kriegsveteran Mike Powers, der ältere Bruder des Gangsters Tom, nach dessen Ermordung mit einem wütenden Blick aus dem Bild bewegt. Was im Film anschließend fehlt, ist eine Szene, die auf Weisung des Hays Codes entfernt wurde: Mike geht in sein Zimmer, öffnet eine Truhe mit Handgranaten, die er aus seinem Aufenthalt in Frankreich mitgenommen hat, und der Film schließt mit einer Abblende über seinen Händen, die die Granaten in seine Uniformhose platzieren – vermutlich um sich an den Mördern seines Bruders zu rächen.125 Der Kriegsveteran, der für seine Familie in den Bandenkrieg zieht, hätte eine Ambiguität zu der für den Gangsterfilm typischen Kain-und-Abel-Ge-
124 Vgl. Messenger: Our Gang, S. 147. 125 Smyth: Age of Scarface, S. 550f.
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schichte126 von THE PUBLIC ENEMY zwischen dem ›guten Amerikaner‹ Mike und dem ›Staatsfeind‹ Tom gebracht, die der Film andernorts bereits andeutet. So ist die letzte Rückblende von THE GODFATHER, PART II nicht nur eine in die Vergangenheit des Corleone-Clans, sondern auch eine in die Tradition des Genres, vergleicht man die zwei langen Essenstischszenen der Filme. In THE PUBLIC ENEMY wird der Protagonist auch von seinem älteren Bruder in Bezug auf den freiwilligen Kriegsdienst für die ›eigene‹ Nation zurechtgewiesen. Statt eines Geburtstagskuchens für den abwesenden Vater steht hier ein riesiges Bierfass auf dem Tisch, in dem der von seinen Erfahrungen an der Front traumatisierte Mike die Kriminalität seines Alkohol schmuggelnden Bruders verkörpert sieht: »There’s not only beer in that keg, there’s beer and blood. The blood of men.«127 Als Mike, der nach dem Tod seines Vaters als Oberhaupt der Familie gilt, darauf das Fass vom Tisch wirft, beschuldigt ihn Tom, indem er den Kriegsveteranen mit dem Gangster vergleicht: »Your hands ain’t so clean. You killed and liked it.« In beiden Filmen wird also der Konflikt zwischen Tradition und Modernität, der Familie und der Bande in diversen Konstellationen am familiären Essenstisch ausgetragen, »[which as so often in ethnic cinema functions as] the locus of pain and cultural disillusionment, [where] issues and problems of assimilation [are confronted]«.128 Michael versucht zu Beginn von PART II den Wunsch seines Vaters nach einer ebenbürtigen Assimilation der italienischen Familie an die amerikanische Gesellschaft zu verwirklichen, indem er mit ihr in den Westen zieht: »a transition from the noir spaces of in-betweenness (Little Italy, the Corleone family compound, New York in general) to [one] of dazzling whiteness: the ›frontier[]‹ of Nevada«.129 Die Kommunionsfeier seines Erstgeborenen Anthony benutzt er allerdings auch als Vorwand für eine Familienfeier auf dem Corleone-Anwesen in Lake Tahoe, Nevada, zu dem nicht nur Italiener geladen sind, sondern auch WASPs wie Senator Pat Geary samt Gattin, die für die geladene Presse mit Michaels Kernfamilie posieren. Mit einem aufwendigen Showspektakel verkünden die Corleones 1958 also stolz ihre Ankunft im ›weißen‹ Establishment. Im Unterschied zu der Hochzeitsfeier des ersten Films bitten dabei nicht mehr nahe und entfernte Angehörige der Familie zu Gesang und Tanz, sondern ein anonymes Tanzpaar, blonde Chorknaben und eine amerikanische Showband ohne jede Kenntnis italienischer Volkslieder. Mit der Öffnung des ethnischen Clans zum amerikanischen Mainstream verblasst aber nicht nur das ›typisch‹ italienische joie de vivre der Familie, ihre Mitglieder ersuchen sich in der Tradition des klassischen Gangsterfilms auch ›weißere‹ Lebensgefährten außerhalb der ethnischen Enklave als Emb-
126 Vor allem in den postklassischen Gangsterfilmen der späten 1930er Jahre wie DEAD END, ANGELS WITH DIRTY FACES als auch MANHATTAN MELODRAMA (USA 1934, R: W.S. Van Dyke) liegt diese Plot-Konfiguration wiederholt vor. 127 Für eine ausführlichere Lektüre dieser Szene vgl. Shadoian: Dead Ends, S. 60. 128 Golden: La Famiglia, S. 92, 85. 129 Baker/Vitullo: Screening the Italian-American Male, S. 216f.
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leme ihres gesellschaftlichen Aufstiegs. Während sich die klassischen Filmgangster mit ihren grotesken, dunklen Gesichtszügen ihre Nähe zu den blonden, blassen Frauen, mit denen sie ihr Eintreffen in den höheren Schichten der Gesellschaft markieren,130 viel kosten lassen, gewinnt Michael seine alte College-Freundin Kay mit dem anfangs lauteren Versprechen von Liebe und Legitimität. Doch auch für Michael ist Kay letztlich nur ein key, ein Schlüssel zur amerikanischen Identität, an den er sich nach dem Tod seiner ersten, italienischen Frau Appollonia aus Sizilien gefühllos klammert.131 Die kulturelle Ignoranz gegenüber den Alltagsritualen der sizilianischen Familie, die die WASP-Lebenspartner Fredos und Connies am Essenstisch zeigen, wird von Mama Corleone als eine der letzten Überlebenden der Migrantengeneration mit Spott quittiert. Interessant ist, dass sie dabei auf Italienisch mit ihrem deutsch-irischen Adoptivsohn Tom über die ›Fremden‹ scherzt. Hagen beherrscht im Unterschied zu den neuen Familienmitgliedern nicht nur Italienisch, sondern erklärt in den ersten zwei Filmen Außenseitern die italienischen Gepflogenheiten der Familie(n). Er ist kein Sizilianer, was ihm seine Brüder manchmal vorhalten, steht aber als Anwalt der Familie für die legitime, weiße Verbindung zum amerikanischen Establishment, das in PART II vor allem von Senator Geary verkörpert wird. Geary ist in der Tradition des klassischen Gangsterfilms als »Vertreter des Status quo korrupt und charakterschwach dargestellt«132 und präsentiert sich ebenso gewissenlos wie Michael, den er höhnisch mit »Mr. Cor-le-ohné« anredet. Er ist von der Selbstinszenierung der Corleones als assimilierte Amerikaner nicht überzeugt und will Michaels Unternehmen hoch besteuern, weil er und seine Familie trotz
130 Vgl. Golden: La Famiglia, S. 81. Vgl. dazu auch Nochimson: Dying to Belong, S. 56f. 131 Vgl. u.a. Baker/Vitullo: Screening the Italian-American Male, S. 216; wie auch Leitch: Crime Films, S. 122. 132 Gabree: Gangster-Film, S. 60. In LITTLE CAESAR ist es der anonyme, kultivierte WASP-Geschäftsmann aus der Upper-Middle-Class, der vom Gangstertum der unteren Klassen profitiert und den seine kriminellen Untergebenen nur als »big boy« kennen. Als Rico so hoch in der Hierarchie aufsteigt, dass ihn sogar big boy zu sich holt, um ihm die Kontrolle über einen Teil der Stadt zu geben, ist Ricos Assistent Otero begeistert (»You’re getting up in the world, Rico.«) und besteht auf einen Smoking: »Now, you don’t want the big boy to think you ain’t got no class.« Doch Ricos Klassenunterschied zum big boy ist mehr als offenkundig bei ihrer Begegnung, als Rico in big boys Villa wie ein überforderter Bauer auftritt. Zum Schluss der Folge »Everybody Hurts« (s04e06) findet sich A.J. in derselben Situation wieder, als er seine WASP-Freundin Devin Pillsbury auf ihrem großen Anwesen besucht und sich vor ihrem Reichtum auf einmal ganz klein fühlt. Die Schulfreunde, die fasziniert sind von A.J.s ethnischer Herkunft aus einer Mafiafamilie und ihr Milieuwissen aus Filmen beziehen, wundern sich: »A.J., how come your dad doesn’t have that Don Corleone money?«
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ihres Wohlstandes für ihn letztlich nur Italiener bleiben – auch wenn er sich später öffentlich als ein Freund des italoamerikanischen Volkes inszeniert: PAT GEARY:
Because I intend to squeeze you. I don’t like your kind of people. I don’t like to see you come out to this clean country in your oily hair, dressed up in those silk suits and try to pass yourselves off as decent Americans. I’ll do business with you, but the fact is that I despise your masquerade, the dishonest way you pose yourself – yourself and your whole fucking family.
In der Tradition dieser arroganten Figur, die unter dem Mantel ihres sauberen All-American-Image mit Diktatoren, Gangstern und Prostituierten verkehrt, werden auch den Mafiosi in den SOPRANOS weiße US-Amerikaner der Middle- und Upper-Middle-Class gegenübergestellt, die angesehene Positionen in der Gesellschaft besetzen, jedoch moralisch ebenso korrupt sind wie die Mafia. Doch im Unterschied zu Tony, der mit seinen moralischen Kompromissen immerhin noch hadert, weisen die ›Amerikaner‹ Charakterfehler auf, die die Kriminalität des Gangsters zuweilen relativieren.133 Von einem sehr beliebten Fußballtrainer, der sich an einer seiner Spielerinnen vergreift (s01e09: »Boca«), einem sehr angesehenen Geschäftsmann, der seine Familie mit seinen Spielschulden in den Ruin treibt (s02e06: »The Happy Wanderer«), früheren Bürgerrechtlern, die mittlerweile vom Elend ihrer Schutzbefohlenen profitieren (s04e07: »Watching Too Much Television«), bis hin zu den zahlreichen unfreundlichen und gefühllosen Ärzten in der Serie, die die stets sehr emotional reagierenden Italiener oft mit abfälligen Blicken bestrafen134 – alle gehören sie zu dem nicht mehr ganz ›weißen‹, also hellhäutigen, aber doch moralisch fragwürdigen Establishment. Der einzige Repräsentant der Gesellschaft in der Serie, der Tony gegenübersteht, ohne mit ihm illegale Geschäfte einzugehen oder sich anderer Vergehen schuldig zu machen ist der Cop Wilmore, der ihm in »Another Toothpick« (s03e05) einen Strafzettel aufgrund überhöhter Geschwindigkeit ausstellt. Wilmore, der wie Tony eine als Sympathieträger inszenierte Figur aus der Working-Class ist, die an Depressionen leidet, lehnt darauf die Bestechungsversuche Tonys ab.
133 In GOODFELLAS sympathisiert man auch eher mit Henry Hill, der sich in einem von WASPs besuchten Strandclub deplatziert fühlt, als mit Bruce, dem UpperMiddle-Class-Nachbar seiner Freundin Karen, der es wagt, sich an ihr zu vergreifen und damit Hills Zorn auf sich zieht. Henrys brutale ›Bestrafung‹ problematisiert allerdings – wie später öfters in THE SOPRANOS – die Schuldfrage. 134 Wie z.B. in »Second Opinion« (s03e07), »Mayham« (s06e03) und »The Fleshy Part of the Thigh« (s06e04). In »Irregular Around the Margins« (s05e05) begegnet Tony einem selbtsgefälligen schwarzen Arzt, der beim geringsten Zweifel seine backstory reiteriert, um sich und seine Arztfamilie zu profilieren. Am Ende der Folge wird er aber in seinem Fachwissen von einem Ex-Häftling, Tony Blundetto, übertrumpft, der sich zu der Zeit zum Masseur ausbilden lässt.
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Die Integrität, die sich dieser aufrechte Afroamerikaner mit seiner Unbestechlichkeit bewahrt, steht im Kontrast zu den anderen schwarzen Figuren der Serie. So wird Chris in »A Hit is a Hit« (s01e10) dem ›Gangsta Rapper‹ Massive Genius vorgestellt, einem selbsterklärten Bewunderer der GODFATHER-Trilogie (sogar des in der Regel für nicht vollwertig befundenen dritten Teils: »a lot of people didn’t like it, but I think it was just misunderstood«), der sich nicht nur in der Musik, sondern auch in seinem Lebensstil an dem Medienimage der Mafia orientiert. Nur Chris weiß, dass die schwarzen Imitatoren italienischer Mafiosi ein prunkvolleres, weil öffentliches Leben führen: »Soprano crew. It’s always secret this, omerta that.« Als es zum Interessenkonflikt zwischen Massive Genius und der Soprano-Crew kommt, greift die großspurige Gangster-Imitation135 statt auf Waffen auf seine Anwälte zurück, was die Mafiosi wiederum irritiert (Paulie beim Ablegen einer kugelsicheren Weste: »What kind of melanzane are these? They call themselves gangstas«). Dass sich diese Afroamerikaner in ihrer Männlichkeitsperformanz an der Mimik und Gestik italienischen Filmgangster orientieren, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. So besteht im ersten GODFATHER-Film, den Massive Genius gar behauptet 200mal gesehen zu haben, ein Mafioso in Bezug auf das aufkommende Drogengeschäft: »In my city, we would keep the traffic in the dark people, the coloreds – they’re animals anyway, so let them lose their souls.« Und in PART III wird ein Mafioso sogar vom Milieu kritisiert, weil er unter anderem auch Schwarze beschäftigt. Dieser alltägliche Rassismus der Italoamerikaner gegen Afroamerikaner, der sich wohl damit erklären lässt, dass sie das ›andere Ende‹ des Rassenspektrums repräsentieren, von dem sich die Italiener als die ›weißen Neger‹ der amerikanischen Gesellschaft zu distanzieren versuchen, findet sich so auch oft in den SOPRANOS. So ist es Praxis bei den Mafiosi, bei Vergehen ihre Schuld »zwei unbekannten schwarzen Männern« zuzuschieben. Und als Tonys eigene Tochter Meadow in »Proshai, Livushka« (s03e02) einen afroamerikanischen Freund
135 Im Animationsfilm SHARK TALE (USA 2004) wir die Imitation der Gangsterfigur durch Afroamerikaner auf den Kopf gestellt: In der Unterseewelt des Films eignet sich ein anthropomorpher, italienisch konnotierter Haifisch die afroamerikanisch konnotierte Kultur eines Fisches an. Wie in dem Film und anders als etwa in Jim Jarmuschs GHOST DOG: THE WAY OF THE SAMURAI (1999) imitieren in den SOPRANOS in der Regel nur junge Italoamerikaner die Afroamerikaner und werden dafür auch von älteren Gangstern aus ihrer ethnischen Gruppe sofort zurechtgestutzt (Matt: »I’m not sayin’ anything against him. He’s my homie.« – Richie: »Your what?!?« – Matt: »He lives up near me.« – Richie: »Well, why didn’t you say that? If y’wanna talk like a fuckin’ mulignan [abfälliger Begriff für ›Schwarze‹], we’ll send you to slip-and-fall school.«, s02e08: »Full Leather Jacket). Die Figur des jungen Matthew Bevilaqua aus dieser Szene ist mit Lillo Brancato, Jr. besetzt, der zuvor in Robert De Niros A BRONX TALE (USA 1993) gerade durch seinen Kontakt mit ›Schwarzen‹ an Reife gewinnt. Vgl. hierzu auch Baker/Vitullo: Screening the Italian-American, S. 219f.
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ins Haus bringt, trifft dieser begeisterte Filmstudent, der über die Modernität des klassischen Gangsterfilms referiert, mit Tony plötzlich auf einen als ›real‹ in der Serie markierten Gangster, der sich von ihm wenig begeistert zeigt und es ihn auch wissen lässt: »You’re a ditsoon. […] Charcoal Briquette... a moolinyan. […] See, I got business associates who are black and they don’t want my son with their daughters and I don’t want their sons with mine.« Die Begegnung mit dem afroamerikanischen Freund der Tochter ist für Tony die Konfrontation mit einer Generation, die die ›ethnischen Grenzen‹ der italienischen Familie durchbricht, indem sie sich der ethnischen Pluralität Amerikas weniger vorurteilsbehaftet öffnet. Tony wünscht sich wie Vito Corleone mehr Karriereoptionen für seine Kinder, riskiert damit aber auch, dass Meadow sich mit besserer und höherer Bildung, ironischerweise finanziert durch die illegalen Quellen ihres Vaters, von ihren Eltern so intellektuell distanziert wie Vitos Sohn Michael im ersten GODFATHER-Film von seinem Vater. »Indeed, the real villains in Tony’s world are not so much American values and institutions as they are time and change.«136 Ungeachtet seines Beharrens auf Tradition und ethnischer Loyalität (»You stay with your own people!«, s03e05: Another Toothpick), suchen und finden Meadow und A.J. oft Beziehungen abseits der ethnischen Enklave. Doch während A.J.’s WASP-Freundin Devin Pillsbury in der dritten Staffel niemanden kümmert, ist Carmela entsetzt, als A.J. in »Kaisha« (s06e12) mit Blanca Selgado eine hispanische Sekretärin zur Weihnachtsfeier mitbringt: »She’s ten years older than him and she’s Puerto Rican!« Tony hingegen versucht sich eher in kultureller ›Schadensbegrenzung‹: »Dominican, maybe. Least she’s Catholic.« Als allein erziehende Mutter mit kleiner Wohnung genießt Blanca zwar den Luxus von A.J.s Elternhaus, stört sich aber bald an den Gebräuchen und Regeln des Clans: In »Stage 5« (s06e14) beschwert sie sich auf einem Empfang bei A.J. über ihren Hunger, während A.J.s Mutter Carmela im Hintergrund wie selbstverständlich losgeht, um ihrem Ehemann Tony einen Teller mit Essen zusammenzustellen. Als die Beziehung zwischen A.J. und Blanca vor allem aufgrund der unausgesprochenen kulturellen und sozialen Differenzen in die Brüche geht, versucht Tony seinen Sohn mit folgenden Worten zu trösten: »there’s millions of girls out there that are dying to meet a guy like you. […] You’re handsome, and smart, and a hard worker, and let’s be honest: white. That’s a huge plus nowadays« (s06e17: »Walk Like a Man«). Betrachtet Tony sich und seine Familie nun, wie sich hier zeigt als ›weiße‹ Amerikaner, erklärt sich auch A.J. die Trennung später mit dem Unterschied zwischen Amerikanern ›wie ihm‹ und Einwanderern ›wie ihr‹: »I think maybe it’s because we have way more money in my family than hers. They’re immigrants, and that might have scared her.« In manchen Aspekten hat sich die ›ethnische‹ Familie also durchaus ›geöffnet‹ und eine ambivalente Amerikanisierung erfahren, deren Grenzen immer wieder neu abgesteckt werden
136 Rotundo: Wonderbread and Stugots, S. 66.
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müssen. In anderen Aspekten wiederum hat sie noch die Strukturen ihrer society of origin behalten – was unter dem folgenden Punkt ausgeführt wird.
A C OMEDY OF M ANNERS : D IE M AFIA ALS S CHAMKULTUR Den Handlungsort des Filmmelodrams der 50er bildet in der Regel die amerikanische Kleinstadt, »[which] with its acute class-consciousness, its gossip and judgment by appearances, and its reactionary commitment to fading values and mores, represents an extended but perverted family«.137 Das Leiden der Protagonisten an den repressiven Strukturen ihres sozialen Umfelds äußert sich dabei vor allem in der Verlegenheit, mit der sie auf die wertenden und strafenden Blicke ihrer Sozialschicht reagieren. Auch im Blick der Kamera äußert sich nicht der konventionelle Voyeurismus des klassischen Hollywoodfilms, sondern das ›moralisch‹ besetzte Urteil der Gemeinde.138 Der Klatsch zwischen den Nebenfiguren über die Protagonisten eines Filmmelodrams (oder auch einer Fernsehsoap) nimmt für gewöhnlich zwei Funktionen ein: Zum einen vergewissert sich eine Gemeinde dadurch ihrer moralischen Werte und ächtet all jene mit übler Nachrede, die gegen sie verstoßen, zum anderen erfährt der Zuschauer so auch von den sich stetig wandelnden Beziehungen zwischen den Mitgliedern eines größeren Figurenensembles.139 In den SOPRANOS – »a local work, rooted in a specific time and place, and even parochial in the attitude of its characters to other worlds, other experiences«140 – bildet die ›ethnische‹ Großfamilie ein nahezu hermetisch geschlossenes Milieu, in dem der Klatsch zwischen den Mitgliedern wie in der Kleinstadt des Hollywood-Melodrams meist Handlungen generiert wie trägt, mit dem ›kleinen‹ Unterschied, dass die Mitglieder, die die Gesetze der Mafia missachten und etwa zu viele Gerüchte streuen, dafür auch ihr Leben lassen müssen. Diese brutal gewendete Provinzialität der italoamerikanischen Gemeinde in der Serie hat ihren strukturellen Ursprung in den ersten städtischen Siedlungen süditalienischer Bauern, die in der Ära zwischen 1880 und 1920 in die östlichen Großstädte Amerikas strömten und in der Neuen Welt die Nähe zu Freunden und Bekannten aus derselben Region oder aus demselben Dorf suchten.141 Diese sogenannten urban villagers pflegten in ihren ethnisch abgegrenzten Vierteln die Traditionen, Rituale und die Sprache ihres Heimatlandes, »[thus reproducing] cherished values – cooperation, loyalty, honor, and the supremacy of group interests over those of the individu-
137 138 139 140 141
Schatz: Hollywood Genres, S. 227. Vgl. Mulvey: Inside and Outside the Home, S. 75. Vgl. Riegel: Gossip, S. 202, 204. Polan: Sopranos, S. 93. Vgl. D’Acierno: Cultural Lexicon, S. 712.
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al«.142 Die größere Bedeutung, die den Interessen des Kollektivs über denen des Individuums im urbanen ›Dorf‹ zukommt, führte zu einer Reproduktion des engen sozialen Spannungsfeldes des Dorfes aus Italien und deren so genannter ›Schamkultur‹, in der – im Unterschied zur Schuldkultur – das Gewissen des Individuums auf der Anerkennung in seiner Gemeinde beruht.143 Auch im kleineren Verwandten- und Freundeskreis der Mafia spielt der stets drohende Gesichtsverlust vor den wenigen Mitgliedern des Sozialsystems eine bedeutende Rolle für die Psyche der Protagonisten.144 Die hysterische Panik der Mafiosi, aufgrund mangelnder Respekterweisung vor anderen, vor allem vor Männern, ihr Ansehen zu verlieren, wird mit ihrer aggressiven, ironischen, verletzenden Rhetorik gleichermaßen provoziert wie reguliert: »[It’s] the practice of ›busting one’s balls,‹ that is, asserting superiority by denigrating another’s masculinity, and what ensues is a masculine anxiety fest of sorts, a game of one-upmanship«.145 Dieses Männlichkeit sowohl sichernde wie verunsichernde ›Spiel‹ droht jedoch immer wieder aufs Neue aus dem Ruder zu laufen in einem kriminellen Männerbund, in dem man unentwegt auf die Einhaltung der Regeln der Gruppe insistiert, doch die mangelnde Impulskontrolle und Brutalität der Mitglieder dies unmöglich macht. In GOODFELLAS ist es Tommy DeVito, der seine Umgebung mit ›humoresken‹ Gewaltandrohungen ständig in Angst und Schrecken versetzt, aber selbst in dauernder Panik lebt, man könnte ihn bloßstellen. Als Tommy, der sich schon bei der Bewunderung, die seine Freundin für den schwarzen Entertainer Sammy Davis, Jr. äußert, nervös Sorgen macht, »[that] people get the wrong impression«, den Mafia-Laufburschen Spider wiederholt aufzieht, wird er von ihm unerwartet und sogar in Anwesenheit seiner Freunde beleidigt: »Why don’t you go fuck yourself, Tommy?« Während sich die Freunde von der Kühnheit Spiders beeindruckt zeigen und den zum ersten Mal genuin sprachlosen Tommy aufgrund der öffentlichen Kränkung lachend sticheln, zückt dieser abrupt seine Waffe und erschießt Spider. Tommys kalkulierter Kontrollverlust in dieser Szene, um sich mittels extremer Gewalt seiner in Frage gestellten Männlichkeit zu versichern, antizipiert bereits seinen späteren, ungleich verhängnisvolleren Kontrollverlust, als er mit Billy Batts einen in der Hierarchie der Organisation ihm höhergestellten und durch seinen Rang in der Mafia vor nicht zu rechtfertigenden Übergriffen dieser Art geschützten made guy für dessen herablassenden Kommentare ersticht – und damit bald seinen eigenen Tod und den Untergang seiner Crew herbeiführt. Wie die kanonisierten Autoren der Weltliteratur, denen Peter Brooks eine melodramatische Sensibilität nachweist, inszeniert das Gangstergenre al-
142 Rotundo: Wonderbread and Stugots, S. 47f. Vgl. hierzu auch Krause: Ethnic Neighborhoods, S. 199f. 143 Vgl. D’Acierno: Cultural Lexicon, S. 743. 144 Vgl. Rotundo: Wonderbread and Stugots, S. 50. 145 Johnson: Resisting Reader, unter: http://www.barnard.edu/sfonline/hbo/johnson _01.htm, l.A.: 01.03.11.
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so vor allem ein »melodrama of manners«: Die Texte Gogols, Dostojewskis, Balzacs, Prousts, Dickens’, James’ und Lawrences ›glänzen‹, so Brooks, vor allem durch: »their dual engagement with the representation of man’s social existence, the way he lives in the ordinary, and with the moral drama implicated by and in his existence«.146 THE SOPRANOS ließe sich insofern auch als eine »postmodern comedy of manners«147 beschreiben, unterliegen die Gepflogenheiten der Mafia doch einer beständigen Revision, gibt es doch keine gesetzgebende, Bedeutung garantierende Autorität wie noch in THE GODFATHER. David L. Hirst umschreibt das ursprünglich britische Genre wie folgt: »The subject of comedy of manners is the way people behave, the manners they employ in a social context; the chief concerns of the characters are sex and money (and thus the interrelated topics of marriage, adultery and divorce); the style is distinguished by the refinement of raw emotional expression and action in the subtlety of wit and intrigue. The comedy of manners is at its most expressive when all three of these aspects interact. But it is possible to have one without the others […].«148
Was als – vor allem satirische – Dramenform ihren Anfang nahm, »a dramatization of class conflict and an observation of the niceties of bourgeois behavior«,149 die auf subversive Art und Weise die oberen Schichten des britischen Klassensystem bloßstellen sollte, wo eine Wahrung des ›guten Stils‹ im grotesken Kontrast zu hochdramatischen Handlungswendungen steht, erstreckte sich im Laufe des 20. Jahrhunderts auf die eigentümlichen Rituale aller Klassen.150 Für die Stücke Oscar Wildes und Noel Cowards, allerdings auch für diejenigen Stücke Harold Pinters und David Mamets gilt demnach, »[that they are] acutely concerned with the mores of social living, [dealing] with the rational organization of man’s most basic drives, while [contrasting] the coolness of technique and the passionate or sordid nature of these human motives[,] which gives the plays their sharply ironic perspective«.151 Auch über THE SOPRANOS lässt sich feststellen, »[that they] always play with these gaps between the control and order of formal roles and the chaos of resentment and selfishness that threatens to topple them«.152 So begeht etwa Tony Soprano in »University« (s03e06) in seiner Wut über Tracees Tod den Fehler, dass er mit Ralphie Cifaretto einen made guy angreift und brutal zusammenschlägt. Zwei Folgen später, in »He Is Risen« (s03e08) zeigt sich Ralph entsetzt über den nicht zu entschuldigenden Regelbruch Tonys: »Ru-
146 147 148 149 150 151 152
Brooks: Melodramatic Imagination, S. 22. Messenger: Our Gang, S. 277. David L. Hirst: Comedy of Manners, London: Methuen 1979, S. 1f. Ebd., S. 116. Vgl. ebd. Ebd, S. 112. Havrilesky: Darkest note, unter: http://dir.salon.com/story/ent/tv/review/2004/ 03/05/sopranos/index.html, l.A.: 01.03.11.
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les are rules. Otherwise what? Fucking anarchy!« Auch Silvio macht Tony bewusst, »[that it] was a tragedy. [But t]he fact is, Tone, she was not related to you by blood or marriage. She was not your comare. Ralphie is a made guy, Tone. All things considered, he’s got legitimate beef.« In anderen Worten: Der Mord an einer Stripperin ohne ein Verwandtschaftsverhältnis oder dem ›Status‹ einer comare ist nicht Grund genug, feste Verhaltensregeln der Mafia zu missachten, so wie in der comedy of manners, »[wherein] the conventional moral standards are superseded by the criterion of taste, of what constitutes ›good form‹«.153 Ralph stimmt dem zu: »I could see if it was his daughter or a niece of his, but all this over some dead whore. He had to be fuckin’ her.« Die Optionen, die Tony noch blieben, wären, so Silvio: »Make him disappear or make nice.« Entscheidet er sich in dieser Folge noch dafür, Ralph am Leben zu lassen, bringt Tony ihn in der nächsten Staffel in einem Wutanfall um. Nicht ganz unironisch daran ist, dass er kurz zuvor noch einen anderen Zunftgenossen, Paulie Walnuts, davon abhält, Ralph zu ermorden, indem er ihn ihrer ›Berufsprinzipien‹ ermahnt: »You lay a hand on him, and you’re gonna have to answer to me. If you can quote the rules, you can fuckin’ obey them. […] This is a business« (s04e09: »Whoever Did This«). Die ›männliche‹ Rationalität, mit der die Mafiosi ihre unkontrollierbare ›weibliche‹ Emotionalität unterdrücken, ist dabei meist willkürlich und nicht immer logisch, wie etwa das Beispiel »Boca« (s01e09) zeigt, als durch den Klatsch der Frauen im Milieu Tony zu Ohren kommt, dass sein Onkel Junior dessen Freundin oral befriedigt. Diese Information ist für Junior rufschädigend in der Mafia. »The mobsters take cunnilingus as a sign of weakness because it is a man giving pleasure to a woman, a reversal of the ›proper‹ gender order.«154 Und vor allem weil es, so Junior, ihn als homosexuell markiert: »Because they think if you you’ll suck pussy, you’ll suck anything. […] What you’re gonna do? I don’t make the rules.« Auch wenn sich ihren Frauen, die wissen, dass alle ihre Männer es heimlich im Schlafzimmer tun, diese absurde heteronormative Logik völlig entzieht, endet der Klatsch traurig für Junior, der zum Schluss der Folge eine glückliche, 16 Jahre währende Beziehung zu seiner Freundin gewaltsam aufgeben muss und mit Tränen der Wut und Verzweiflung vor ihr davonläuft, »[for] a belief basic [to the comedy of manners is]: ›People would talk; we must keep up appearances‹«.155 Die Furcht der Mafiosi vor dem Gesichtsverlust in ihrer Gemeinde geht auf die Angst der Männer in der italienischen Schamkultur vor der sexuellen Revolution der 60er zurück, öffentlich als cornuto hingestellt zu werden, als ein Mann, dessen konventionell nach außen getragene Männlichkeit mit der Untreue seiner Frau plötzlich in Frage gestellt ist.156 Auf die erlittene Scham
153 Hirst: Comedy of Manners, S. 2. 154 Rotundo: Wonderbread and Stugots, S. 63. Vgl. auch Walker: Cunnilingus and Psychiatry, S. 117. 155 Hirst: Comedy of Manners, S. 2. 156 Vgl. D’Acierno: Cultural Lexicon, S. 718.
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folgt die Forderung nach Genugtuung, wie auch in Pietro Mascagnis Operneinakter Cavalleria rusticana (1890, dt. »Sizilianische Bauernehre«), in dem ein Bauer dem Liebhaber seiner Frau in sein Ohr beißt, um ihn so zum Duell zu fordern und die süditalienische Blutrache, die vendetta zu verlangen.157 In »The Weight« (s04e04) fordert im Amerika des 21. Jahrhunderts der underboss der New Yorker Lupertazzi-Familie Johnny ›Sack‹ Sacrimoni ebenso unumstimmbar Blutrache, als ihm durch den Klatsch in der Mafia zu Ohren kommt, dass Ralphie Cifaretto sich über das Gewicht seiner extrem übergewichtigen Gattin lustig gemacht haben soll. Während er bei seiner irrationalen Forderung, der made guy solle dafür hingerichtet werden, darauf beharrt, es ginge ihm um seine persönliche Ehre (»I’m talkin’ about my wife’s honor here, my honor.«), vertraut er seinem Freund Tony Soprano an, dass es ihm dabei doch vor allem um das Selbstwertgefühl der Frau geht, die er so liebt: SACK: She’s fighting a weight problem since the kids were born. Weight watchers, Richard Simmons, fasting. She works very fucking hard. TONY: You’re telling me how hard it is? (zeigt auf seinen eigenen Bauch) SACK: It’s different for women. Body image, self-esteem. I’ll tell you, though. I never had a problem with Ginny’s weight. To me she’s beautiful. Rubenesque. That woman is my life. To think she’s being mocked […] She’s the mother of my children. (s04e04: »The Weight«)
Die Sensibilität, die der rachsüchtige Mann hier im Privaten offenbart, steht im merklichen Kontrast zu der Brutalität, mit der er in der Mafia gegen denjenigen vorgeht, der seine Ehre befleckt habe. Sie steht auch im Kontrast zu der fehlenden Reife, die der jüngere Gangster Chris Moltisanti in »Irregular Around the Margins« (s05e05) zeigt, als im Milieu das Gerücht die Runde macht, sein ›Onkel‹ Tony habe einen Autounfall erlitten, weil Chris’ Freundin Adriana ihn bei der Fahrt oral befriedigt hat. In einer Montage von Telefongesprächen, wie man sie so traditionell nur zwischen Frauenfiguren aus der Fernsehsoap kennt, wird das Gerücht von den Mafiosi mit immer kreativeren, pikanteren Feinheiten ausgestaltet (Bobby: »And when the paramedics found them, she had his cock still in her mouth.« / Junior: »Apparently, he came all over the sun visor.«). Chris, der über ebenso wenig Selbstkontrolle verfügt wie Tommy DeVito in GOODFELLAS und dessen Hysterie über seine öffentliche Wahrnehmung teilt (Chris: »You know how this looks?«), reagiert auf den versteckten Spott hinter seinem Rücken, wie schon oft zuvor, mit extremer Gewalt: Er schlägt Adriana, schmeißt sie aus der gemeinsamen Wohnung und geht dann betrunken mit der Waffe auf seinen Onkel los (»Everybody knows about it. Everybody’s talkin’ about it!«). Selbst als ihm später vom behandelnden Notarzt erläutert wird, dass es nach den Prellungen seiner Freundin zu urteilen keinen Oralverkehr im Auto gegeben ha-
157 Vgl. ebd.
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ben kann, stellt Chris ernüchtert fest: »Even if it wasn’t true, it’s what people think. […] I got to live in the world. And now I look like Joe Jerk-off.« So kann auch erst die angestrengte Inszenierung von Harmonie zwischen Tony, Adriana und Chris beim Abendessen in dem Stammlokal des Milieus, vor den Augen der ethnischen Enklave, widerwillig unterstützt von Tonys in der Staffel getrennt von ihm lebender Ehefrau, über den erlittenen Gesichtsverlust hinweghelfen und dem potentiell tötlichen Klatsch – zumindest vorerst – Einhalt gebieten. Die ironische Pointe der Geschichte folgt dann aber gleich zu Anfang der nächsten Folge (s05e06: »Sentimental Education«), als der genesende Alkoholiker Chris einem anderen Gangster rät: »One thing I learned from recovery, other people’s definitions of you, sometimes they’re more about makin’ themselves feel better. You gotta define yourself!« Hier wie vielerorts im Genre dominiert also ein ethnisch markierter Opferdiskurs.
AN I MMIGRANT ’ S T ALE : O PFERDISKURSE AMERIKANISCHER E THNIEN In THE GODFATHER, PART II besucht Vito Corleone im Jahr 1917 ein Immigrantentheater, in dem ein italienischsprachiges Melodram für die Bewohner von New Yorks Little Italy aufgeführt wird. Der zweite Akt des Stücks mit dem Titel »Senza Mama« (dt. »ohne Mutter«) beginnt mit einem Paar, das sich frohgemut zu italienischer Musik von der rechten auf die linke Seite der Bühne bewegt. Mit dem Tanz vor einem Vorhang, auf dem links die in der Mitte einer grauen Industriestadt glänzende Freiheitsstatue, rechts der Berg Vesuv vom Golf von Neapel und in der Mitte der Atlantik abgebildet sind, rekapitulieren sie ihre transatlantische Migration von Italien nach Amerika. Abbildung 7: Staging an Immigrant’s Tale
Quelle: THE GODFATHER, PART II. DVD. Paramount Pictures 2002
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Darauf folgt eine männliche Ausgestaltung des klassisch melodramatischen Tableaus von der »›Frau, allein in einem Zimmer‹«, die von ihrem Geliebten betrogen wurde und deren Prozess der Erkenntnis ihrer Verlassenheit158 hier ein heimwehkranker italienischer Immigrant in einer kargen, dreckigen Stube im amerikanischen Großstadtghetto durchläuft. Auf Italienisch teilt er dem Publikum mit: »I left Naples. I left Mama – for a no-good tramp! Now here I am in America, in New York. Alone! Thinking of my mother, without news from home.« Als ihn darauf die schockierende Nachricht ereilt, die geliebte Mutter sei in der Heimat verstorben, schreit der Mann vor Verzweiflung auf (»Mama! Mamma mia!«) und stimmt das traurige Titellied »Senza Mama« über seine Entfremdung von der Mutter und seinem Heimatland an, während er sich, in einer suizidalen Geste, eine Pistole an die Schläfe führt. Abbildung 8: Der Immigrant im Opferdiskurs des Melodrams
Quelle: THE GODFATHER, PART II. DVD. Paramount Pictures 2002
Die Bühnensequenz ist ein melodramatisches Ausagieren der ersten – traumatischen – Migrationsbewegung der Film-Trilogie. Am Anfang der Corleone-Saga steht die Flucht des jungen Vito Andolini aus Sizilien, einem sehr verschlossenen, hageren Jungen, der sich in der ersten Rückblende des zweiten Films, getrennt von seiner getöteten Mutter und seinem Heimatland, einsam in einer Quarantänezelle auf Ellis Island wiederfindet und dann ein italienisches Volkslied anstimmt. Aus dem Fenster hat er den indirekten Blick auf die Freiheitsstatue, die er bei seiner Einreise ins Land auf einem Immigrantenschiff noch unmittelbarer zu sehen bekam. Der Bürokratieapparat der Einwanderungsbehörde, der die Neuankömmlinge wie Vieh durch die Reihen schleust, hat den jungen Vito als einen ›schädlichen‹, da an Pocken er-
158 Vgl. Kappelhoff: Privattheater der Hysterikerin, S. 187.
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krankten Eindringling markiert und ihn durch die Quarantäne zunächst von dem amerikanischen Traum abgetrennt, den die Freiheitsstatue symbolisiert. Die Trilogie hindurch wird Vitos italoamerikanische Familie nach dieser Statue, nach dem amerikanischen Traum greifen, aber dabei stets von ihr getrennt bleiben wie von der Kirche ihres italienischen Heimatdorfes Corleone, dem anderen bedeutenden wiederkehrenden Symbol des Films. Ähnlich wie der Monolith in Stanley Kubricks Science-Fiction-Film 2001: A SPACE ODYSSEY (1968)159 tauchen sowohl die Freiheitsstatue, als auch die Kirche des Dorfes Corleone an zentralen Wendepunkten der Handlung auf und verkörpern die zwei dunklen, undurchsichtigen Ordnungen, zwischen denen die Italo-Amerikaner des Films fortwährend oszillieren müssen, ohne sich ihnen ganz entziehen, noch sie komplett entschlüsseln zu können. Als ein ungeduldiger Grenzbeamte den redescheuen Vito Andolini irrtümlich als Vito Corleone registriert, und so den Namen des Vaters mit dem Namen seiner society of origin ersetzt, erfährt Vito Andolinis italienische Identität ferner auch eine amerikanische Umschrift. Mit dem Namen des von der Mafia kontrollierten Dorfes wird ihm seine Herkunft aus dem historischen Ursprungsland der Mafia eingeschrieben und sein zukünftiges Schicksal in derselben vorgeschrieben. Auch Vito wird als Erwachsener zur Pistole greifen: Nicht aber um sie wie der offen leidende Immigrant in dem Bühnenstück »Senza Mama« gegen sich selbst zu richten, sondern erst einmal zu schweigen, als erwachsener Mann dann in seine italienische Heimat zurückzukehren und blutige Rache an den Mördern seiner Familie zu nehmen. Im Gepäck hat er die Freiheitsstatue als Souvenirstück dabei und holt sich nach seiner vendetta im Namen der Familie, in der nächsten Szene die Absolution in der Dorfkirche. Die Tragik der Migrationsgeschichte besteht nun darin, das in einer Art Teufelskreis auch sein Sohn immer wieder zum Ursprungstrauma der Familie zurückkehren wird, »[in a futile attempt to] »reverse[] the original figure of immigration«.160 Jede nostalgische Reise zurück nach Sizilien endet dabei mit einem Gewaltakt: Im ersten Film stirbt Michaels italienische Ehefrau bei einem Bombenattentat, im zweiten Film erdolcht Vito den Mörder seiner Eltern und im dritten Film stirbt schließlich Michaels Tochter Mary bei einem weiteren Attentat auf sein Leben. Italien wird dabei als eine ländliche Kultur inszeniert, die sich zwischen Vitos Flucht und Michaels Rückkehr nicht sehr verändert zu haben scheint und auch Jahrzehnte später noch nach denselben primitiven Gesetzmäßigkeiten funktioniert: In Corleone, so lernt Michael in THE GODFATHER, sind die Männer aufgrund der Schamkultur der Gegend an vendettas gegen die Liebhaber ihrer Frauen und um die Erhaltung ihres Ehrgefühls wegen gestorben (sein Leibwächter Calo stellt nüchtern fest: »In Sicily, women are more dangerous than shotguns.«). Michael Corleones erste Reise nach Sizilien ließe sich dabei als eine Verhandlung des ethnic revivals in den USA der 70er Jahre perspektivieren. Einen bedeutenden Teil der eth-
159 2001: A SPACE ODYSSEY, GB/USA 1968, R: Stanley Kubrick. 160 D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 575.
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nischen Selbstvergewisserung an ihre host society bereits assimilierter Immigranten, was in den Ethnic Studies als ethnogenesis bezeichnet und als eine neue Form ethnischer Identitätsbildung verstanden wird,161 stellten ethnische Pilgerfahrten in die Heimat auf der Suche nach den ›authentischen‹ Erlebnissen und Ausgangsorten der nicht-amerikanischen Vorfahren dar. Diese Art individuell gewählter ethnischer Erfahrungen wird in Abgrenzung zu einem ›ethnischen Alltag‹, das vom unmittelbaren sozialen Umfeld reguliert ist, von Ethnizitätsforschern als eine Form von symbolic ethnicty erfasst.162 Michael als ein Immigrant der zweiten Generation, als ein assimilierter Amerikaner, der des Italienischen nicht mächtig ist, nutzt sein Exil in Italien (um dem Bandenkrieg daheim zu entgehen) dazu, sein neu erwachtes italienisches Selbstwertgefühl zu untermauern. Er, der sich nach dem Attentat auf seinen Vater von seiner WASP-Freundin Kay distanziert hat, akzeptiert mit der Wahl einer italienischen Ehefrau wieder das ihm vorgelebte Modell seines Vaters. Im Unterschied zu Kay, die stets das Gespräch sucht und Michael auffordert, ihr seine Liebe zu gestehen, kann seine italienische Frau Apollonia mit ihm nur mittels scheuer Blicke, Gesten und Lächeln kommunizieren, fehlt ihnen doch eine gemeinsame Sprachbasis. Michaels Rückkehr in die USA zu Kay nach Apollonias Tod ist entsprechend als Kompromiss inszeniert: Kay, die zu Beginn des Films sich im aufreizenden Rot präsentierte, begegnet Michael hier als eine im biederen Grau gekleidete Schullehrerin wieder. Er hingegen hat zu diesem Zeitpunkt bereits die Wandlung zum Mafioso vollzogen und bedient erstmals mit einem dunklen Nadelstreifenanzug samt Krawatte, Mantel und Filzhut das traditionelle Arbeitskostüm der klassischen Filmgangsters. Auch charakterlich hat sich Michael geändert: Wenn er um ihre Hand anhält, kann er Kay nun endlich das sagen, was sie immer schon von ihm hören wollte: »I love you.« Ohne seine einstige Wärme klingen die Worte aus Michaels Mund aber wie eine strategische Äußerung, um die Amerikanerin als Mutter seiner amerikanischen Kinder zurückzugewinnen. Erstreckte sich die Brautwerbung um Apollonia und ihre Hochzeitsfeier über mehrere Szenen, ist im weiteren Verlauf des Films weder die Hochzeit Michaels mit Kay, noch viel von ihrem gemeinsamen Eheleben zu sehen. In PART III versucht Michael ein zweites Mal mit einer Sizilienreise sein Schicksal zu verändern. Er, der die kirchliche Taufe seines Patenkindes gegen Ende des ersten Films als Alibi benutzte, während auf seine Anordnung andernorts Attentate auf rivalisierende Gangsterbosse ausgeübt wurden, versucht nicht nur sich selbst mit dem – durch großzügige Geldspenden erworbenen163 – Orden des Vatikans zu rehabilitieren. Mit seiner »Vito Corleone
161 Vgl. Airriess/Miyares: Ethnic Geographies, S. 7, 12. 162 Vgl. Boscia-Mulè: Authentic Ethnicities, S. 19f. Vgl. hierzu auch Gans: Symbolic Ethnicity, S. 427, sowie Airriess/Miyares: Ethnic Geographies, S. 12. 163 Auch Paulie Walnuts versucht in »From Where to Eternity« (s02e09) mit großzügigen Kirchenspenden sich den Weg in den Himmel zu erkaufen, muss aber einsehen, dass selbst die katholische Kirche ihm keinen Schutz zusichern kann.
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Foundation« versucht er auch sein Heimatland zu ›sanieren‹, von der kriminellen Vergangenheit zu säubern, die von seinem Vater Vito nach Amerika getragen wurde. Michael will absofort nichts mehr von den Machtkämpfen innerhalb der Mafia wissen und sucht seine Konflikte nun in der Geschäftswelt (»I don’t need tough guys. I need more lawyers.«) und sein Seelenfrieden in seiner bereits zersplitterten Kernfamilie. Er wird damit zu: »a kind of Gatsby, losing and finding his first love, trying to remake the past, attempting to undo the logic of an original crime«.164 Dass Michael auch dieses Mal daran scheitern wird, seine Familie und sich von der Mafia zu trennen, deutet sich bereits zu Anfang von PART III an, als er den unehelichen Sohn seines toten Bruders Sonny, Vincent Mancini wie im ersten Film noch Kay auf das Familienbild zieht. Die Analogie ist entscheidend: Damals zog er seine amerikanische Zukunft ins Bild, hier ist es die Zukunft seiner Mafiafamilie. Vincent wird für ihn zum Ersatz für seinen Sohn Anthony, der sich von seinem Vater so emanzipiert wie Michael es selbst im ersten Film versuchte. Anthony, der in jedem Film der Reihe einem Tod in der Familie unmittelbar beiwohnen muss (sein Großvater Vito stirbt beim Spielen mit ihm im Familiengarten, sein Onkel Fredo wird beim Fischen auf Lake Tahoe erschossen, nachdem er von ihm weggerufen wird, und seine Schwester wird vor einer Oper in Palermo getötet), lässt sich stattdessen zum Opernsänger ausbilden und erwählt sich damit eine positive, nicht-kriminelle Tradition italienischer Kultur.165 Mit dem dadurch ermöglichten Zugang zum Opernhaus eröffnet sich für den Corleone-Clan als Nachfahren von Bauern auch eine neue, höhere Schicht der italienischen Gesellschaft: »Michael and his now legitimate family are associated with Italian aristocratic settings, sprawling villas, expensive cars, majestic opera houses, and the Vatican itself.«166 Doch die Legitimität, die sich Michael durch einen Einkauf in die Aktiengesellschaft der Vatikanbank, »Immobiliare«, erwünscht, muss zwangsläufig an den mafiösen Strukturen scheitern, auf die er bei den Verhandlungen mit italienischen Politikern und Geschäftsmännern stößt. Wie der amerikanische Senator Pat Geary im zweiten Film, blockiert ihn hier der korrupte Vorsitzende der Vatikanbank, Don Lucchesi, ein unscheinbarer Bürokrat, der den Don mit dessen Mafia-Rhetorik konfrontiert: »It’s not personal. It’s only business. You should know, godfather.« Michael ist gekränkt und folgert: »Italian politics have had these kinds of men for centuries. They are the true Mafia.« Dabei übersieht er aber, dass er selbst mit jenen ausbeuterischen Mächten des Nordens kollaboriert, gegen die sich die Mafiabanden Süditaliens ursprünglich formiert hatten: die Kirche, die Politik und die reichen Geschäftsmänner.167 Bei der Ankunft in Italien wird Michael in PART III wegen seines päpstlichen Ordens mit »Benvenuto commendatore!« begrüßt. Als sich der gebür-
164 165 166 167
Ray: A Certain Tendency, S. 348. Vgl. D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 579. Dika: Representation of Ethnicity, S. 101f. Vgl. ebd., S. 100.
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tige Amerikaner Tony Soprano mit einigen seiner Gangmitglieder in »Commendatori« (s02e04) auf einen Geschäftstrip nach Neapel begibt, werden sie in ihrem italienischen Hotel ähnlich begrüßt. Paulie, der von der ›Authentizität‹ des Heimatlandes seiner Vorfahren fasziniert ist (»Look at this place. The mother country. Hey, here they make it real.«), sagt diese Form der Respekterweisung zu und er versucht sie darauf bei meist desinteressierten Italienern anzuwenden. Doch die ›ethnische Pilgerfahrt‹ auf der Ausschau nach den italienischen Wurzeln seiner Vorfahren entfremdet Paulie immer mehr von einem Land, wo ihm die Gerichte nicht schmecken, die Menschen sich unfreundlich benehmen und auch die Toiletten und die Prostituierten für den peniblen Genussmenschen untragbar sind: »Like many Americans, who ›return‹ to their families’ homelands, Paulie is reminded that he isn’t Italian; he’s American«.168 Unterdessen begegnet Tony im mother country wie Michael Corleone im ersten GODFATHER-Film einer jüngeren Inkarnation seiner eigenen Mutter: Annalisa Zucca, acting boss einer neapolitanischen Mafia-Organisation, die sich ähnlich wie Tony seinen Onkel Junior in New Jersey als offiziellen Boss seiner Gang hier ihren senilen, im Rollstuhl sitzenden Vater Zi Vittorio als vermeintlichen Boss bei sich behält und pflegt.169 Tony, der vor seiner Abreise nach Italien noch mit der Crew über THE GODFATHER, PART II spricht und von den darin zu sehenden, rustikalen sizilianischen Villen schwärmt, findet in Italien nicht nur hochmoderne, hochtechnisierte Häuser vor, durch deren Räume keine Mandolinenklänge, sondern italienische Rapmusik strömt.170 Die italienische Mafia zeigt sich auch genderpolitisch progressiver aufgestellt als die Organisation in den USA. Tony ist verblüfft: »A fucking woman boss? Would never happen in the States. Never.« Annalisa erklärt sich ihre Position mit der Liebe der Männer zu ihren Müttern und fährt fort, ihre Macht unter Beweis zu stellen, indem sie virtuos zwischen mehreren Frauenrollen springt – von der harten Geschäftsfrau zur liebevollen Mutter, vom gefährlichen Lustobjekt zur fürsorglichen Köchin – vor allem um Tony so in ihren Geschäftsverhandlungen zu manipulieren.171 Tony muss sich auf seiner Italienreise auch eingestehen, dass es in den USA an der männlichen Härte fehlt, die die ›Soldaten‹ der italienischen Ma-
168 Dunne: Brutality of Meat, S. 217f. 169 Zi Vittorio wird von Vittorio Duse verkörpert, der als Don Tommasino in THE GODFATHER, PART III als ein ebenso im Rollstuhl sitzender Mafioso zu sehen ist, der von Michael Corleone in seiner Villa in Sizilien besucht wird. Tony Sopranos ›Rückkehr‹ nach Italien wäre somit auch, wie nicht wenige Szenen der Serie, eine metatextuelle Rückkehr in die Genregeschichte des Gangsterfilms. 170 Die Folge hindurch prallt Jovanottis italienischer Rapsong »Piove« in den Szenen, die in Italien spielen, auf Andrea Bocellis klassisches Musikstück »Con te paritò«, das sich Carmela daheim in Amerika anhört und von Italien schwärmt. 171 Annalisa verkörpert so auch die weibliche Idealfigur, die sich Tony zuvor noch in »Isabella« (s01e12) als schöne italienische Austauschstudentin Isabella imaginierte. Beide Frauen invertieren seine destruktive italienische Mutter Livia.
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fia eindrucksvoll unter Beweis stellen, als sie nicht nur einen jungen Unruhestifter zusammenschlagen, sondern gleich auch seine Mutter, die ihm zur Hilfe eilt: »Lotta guys today, they become soft livin’ in America.« Später in seiner Therapie beklagt er sich darüber, dass er jetzt zu eben den Amerikanern gehört, die nur noch klagen, statt zu handeln: »all they’re doing is crying and confessing and complaining. A bunch of fucking pussies. Fuck’em. And now I’m one of them, a patient« (s02e06: »The Happy Wanderer«). In genrehistorischer Sicht bedeutet das, leicht anders perspektiviert: Er ist nicht mehr der dynamische Held seiner Geschichte wie noch der junge Vito Corleone in den Rückblenden von THE GODFATHER, PART II, der ›das tat, was er tun musste‹, sondern der wehleidig in einem Zimmer über die Trennung von seiner Mutter klagende Krisenmann wie einst der bemitleidenswerte italienische Migrant mit den suizidalen Gesten aus dem Melodram »Senza Mama«. Abbildung 9: Der Gangster im Opferdiskurs des Melodrams
Quelle: THE SOPRANOS – SEASON SIX, PART II. DVD. HBO Video 2007
Entsprechend angewidert zeigt sich Tony auch auf die Opferdiskurse amerikanischer Ethnien in »Christopher« (s04e03). Durch die Proteste von Native Americans gegen den alljährlichen Festzug der Italoamerikaner in New Jersey zu Ehren von Christopher Columbus entbrennt in dieser Folge ein hochsensibler Streit darüber, welche ethnische Gruppe historisch am meisten gelitten und dadurch das ›Recht zur Klage‹ habe. Die Mafiosi in Tonys Crew fassen den amerikanischen Nationalfeiertag Columbus Day als einen italienischen Feiertag auf (Silvio: »It’s anti-Italian discrimination. Columbus day is a day of Italian pride. It’s our holiday and they wanna take it away.«) und gehen brutal gegen die Protestler vor. Die einzigen Gewinner in dieser nicht selten hysterischen Debatte zwischen vielen hyphenated Americans (Native, Italian, African, Jewish, Cuban etc.) sind jene gemischtrassigen Amerikaner, die sich immer nur dann an ihre ethnische Herkunft erinnern, wenn sie ihnen dienlich ist, wie zum Beispiel der augenscheinlich ›weiße‹ Casino-Besitzer
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Doug Smith, der sich an einen weit entfernten Verwandten aus dem Stamm der Irokesen erinnert, um als Indianer Steuervergünstigungen zu bekommen. Eine Figur, die in THE SOPRANOS wiederholt italoamerikanische Ethnizität thematisiert und über all jene klagt, die den Ruf seiner Identitätsgruppe verunreinigen, ist Dr. Melfis Ex-Mann Richard LaPenna. Als ein gesetzestreuer US-Amerikaner in der Tradition des italienischen Bürgerrechtlers aus SCARFACE kritisiert Richard wie die Kommentatoren von ›offizieller Stelle‹ im klassischen Gangsterfilm oft die sentimentale Inszenierung italienischer Gangster im amerikanischen Film und Fernsehen: »I’m so fed up with people assuming I’m a thug ’cause my name ends in a vowel. Undershirts, yelling. Hollywood tries to give these sociopaths the tragic grandeur of Al Pacino« (s03e04: »Employee of the Month«). Die Ironie der Serie besteht darin, dass kriminelle Italoamerikaner wie die Soprano-Familie oft mit demselben Stolz von berühmten Italienern der Weltgeschichte (Michelangelo, Antonio Meucci und Francis Albert) sprechen wie Dr. Melfis nicht-kriminelle Familie (s01e08: »The Legend of Tennessee Moltisanti«). Und darin, dass Dr. Melfi am Ende derselben Folge mit ihrem Ex-Mann und ihrem Sohn einem Familientherapeuten gegenübersitzt, der im Unterschied zu Richard LaPenna überaus stolz darauf ist, das ein Verwandter früher mit dem Mafioso Louis Lepke zusammengearbeitet hat. »That was one tough Jew.«, stellt der jüdische Analytiker stolz fest und schöpft seinen ethnischen Stolz über einen unkonventionell ›harten‹ Juden aus eben der Quelle, durch die Richard seine Identitätsgruppe beschmutzt sieht. Richards Problem als gebildeter Italiener der amerikanischen Middle-Class ist vor allem, dass die massenmediale Inszenierung seiner Identitätsgruppe dem Klischeebild des ungebildeten Italieners aus der Working-Class verhaftet geblieben ist, in der die meisten der in die USA eingewanderten Migranten ihre amerikanische Erfolgsgeschichte beginnen. »In other words, ethnicity is largely a working-class style.«172 In den Ethnic Studies hat dies zu der impliziten Gleichsetzung von ›authentischer‹ Ethnizität mit der Working-Class in straight-line-Assimilationsmodellen geführt, wonach diese Stufe des Assimilationsprozesses als Basis genommen wird, von dem aus ein »irreversible ethnic decline« bei späteren, sozioökonomisch oft besser aufgestellten Generationen beobachtet wird.173 »The working class, [therefore, is seen as] a residual category, a cul-de-sac for those who couldn’t climb up and out«.174 Entscheidend für die Popularität des Working-Class-Italieners in den amerikanischen Medien war das ethnic revival der 1970er Jahre, »[during which] the (previously invisible) working class [became] a screen on which to project ›old-fashioned‹ male virtues that [were] no longer socially acceptable or professionally useful within the middle class«.175 Auch Tony Soprano als ein mittlerweile in den Suburbs
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Gans: Symbolic Ethnicity, S. 428. Vgl. auch Cashmore: Ethnicity, S. 145. Vgl. Boscia-Mulè: Authentic Ethnicities, S. 4. Biskind/Ehrenreich: Machismo, S. 207. Ebd., S. 206.
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lebender Sohn einer urbanen Working-Class-Familie repräsentiert mit seiner sich hyperviril gerierenden Gang für seine assimilierten Middle-Class-Nachbarn so etwas wie: »the mythical homeland of masculinity«.176 Als Tony in »A Hit is a Hit« (s01e10) von seinem Nachbar und Leibarzt Dr. Bruce Cusamano zum Golfspielen in einen exklusiven Country Club eingeladen wird, ist er skeptisch. Soll er mit einem »Americano« privat verkehren, dem man seine italienische Herkunft nicht mehr so richtig ansieht? Was würden seine Freunde denken, würde er sich mit einem »Wonderbread Wop«, sprich: einem assimilierten und somit ›verweichlichten‹ Italiener anfreunden? Tony, der sich für seine Therapeutin überhaupt nur entschieden hatte, weil sie Italienerin ist (»a paesan like me«, s01e06: »Pax Soprana«), merkt recht bald, dass diese ›Weißen‹, die über Börsengeschäfte ebenso konspiratorisch reden wie seine Crew über Raubüberfälle, an ihm in erster Linie als Gangster interessiert sind. Sie sind regelrechte Groupies, fasziniert von Fotografien ermordeter Krimineller (Cusamano: »It’s a fuckin’ beautiful hit.«) und auf der Suche nach den authentisch hypervirilen Erfahrungen des Gangsters, die ihnen nicht die Middle-Class, aber der Gangsterfilm gibt. »How real was The Godfather? I mean, in your opinion?«, wird Tony als vermeintlicher Experte befragt. Tony beginnt darauf, ihnen den Gangster vorzuspielen und eine groteske Anekdote über John Gottis Faszination für Speiseeis zu erzählen. Später wendet er das Genrewissen seines Nachbars gegen ihn, als er ihm eine geschlossene Kiste Sand gibt, mit der Bitte, er solle doch einige Tage darauf aufpassen. Cusamano, der sich wie der Zuschauer an die ähnliche Situation aus THE GODFATHER, PART II erinnert, in der Vito Corleones kriminelle Laufbahn damit beginnt, dass er von seinem Nachbar einen ominösen Beutel voll mit Pistolen akzeptiert, kann, mit seiner Frau in der Küche stehend, nur ängstlich auf das mysteriöse Paket starren, das seine heile MiddleClass-Umgebung unvermittelt aus den Fugen hebt. Das Beispiel Cusamano macht deutlich, wo generalisierende Beschreibungen ethnischer Mehrheiten oder Minderheiten zu kurz greifen. Zum einen ist es so, »[that they] treat the majority group as homogenous, as if all its members are equally assimilated or integrated, and [tend to] overlook the significance of social stratification within that group«.177 Zum anderen ist die ›minority group‹ ebenfalls: »extremely diverse, varying, for example, according to region and class«.178 Im Falle der Italiener ist es vor allem der Unterschied zwischen dem industrialisierten Norden und dem ländlichen Süden Italiens, »a fault line that runs through the collective and individual Italian consciousness [and which] has led to a vast system of stereotyping and self-stereotyping by which northern and southern Italians define themselves in terms of their territorial
176 Ebd., S. 202. 177 Banton: Assimilation, S. 45. 178 Child: Italian or American, S. 20.
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Other.«179 Als sich die Mafiosi in »Christopher« (s04e03) über die Proteste der Native Americans gegen den Columbus Day beklagen, gibt auch Furio Giunta zu Bedenken, dass es sich bei Christopher Columbus um einen hochnäsigen Norditaliener gehandelt hat, der einen Süditaliener wie ihn damals nur respektlos behandelt hätte. So waren die ersten Italiener, die um 1860 in die USA kamen, auch Künstler, Handwerker und Händler aus dem Norden des Landes, die damals als sogenannte »Teutonic Italians« noch für ›anpassungsfähig‹ gehalten wurden.180 Während die ungleich weniger ausgebildeten italienischen Arbeiter und Bauern, die zwischen 1880 und 1924 ins Land kamen, hauptsächlich aus dem ärmeren Süden Italiens, dem Mezzogiorno stammten, »and it was the generic southerner (Neopolitan, Sicilian, Calabrian, Abruzzian, Apulian) who would generate the image of Italian Americanness [in the US]«.181 Die süditalienischen Bauern, die contadini wurden von der im Norden gelegenen italienischen Regierung sogar zur Emigration bewogen, um endlich das »sizilianische Problem« der Nation zu lösen.182 Dass solche Klassendifferenzen in einer ethnischen Gruppe auch in der ethnischen Enklave der Neuen Welt noch bedeutende Nachwirkungen haben können, wird in »Marco Polo« (s05e08) evident. Da zu der Geburtstagsfeier von Carmelas Vater Hugh mit Dr. Russ und Lena Fegoli zwei »cultured Italians«, so Carmelas stolze Mutter Mary De Angelis, eingeladen sind, bittet sie ihre Tochter darum, ihren in der Staffel getrennt von ihr lebenden Mann bloß nicht einzuladen. Als Tony dann doch auftaucht, zeigt sich Mary peinlich berührt von ihrem Working-Class-Schwiegersohn gegenüber dem ehemaligen Botschafter Dr. Fegoli: »The off-color jokes, the sausage-twirling. […] This was a shock for them.« Doch Carmela, die Zeuge wird, wie der elitäre, unfreundliche Norditaliener Fegoli ihren im direkten Vergleich herzlichen süditalienischen Ehemann subtil beleidigt, erkennt in der Rhetorik ihrer Mutter, dass sie sich für die Herkunft ihres Schwiegersohnes schämt. Für Mary, die bereits bei Meadows Geburt darüber geklagt hatte, dass sie ein ›so dunkles‹ Kind geworden ist, bleibt Tony ein gavone, ein im Assimilationsprozess gescheiterter Italoamerikaner der früheren Working-Class, der noch sehr dem Klischee des ungehobelten, genussüchtigen Italieners verhaftet ist.
D OING E THNICITY : E THNIZITÄT
DURCH
K ONSUM
Die erste Hälfte der letzten Staffel der SOPRANOS beginnt mit einem Zitat des amerikanischen Kulturkritikers H.L. Mencken, der in den 1920er und frühen 1930er Jahren mit seiner Kritik am Demokratiemodell und der Konsumkul-
179 D’Acierno: Cultural Lexicon, S. 740. Vgl. hierzu auch Dika: Representation of Ethnicity, S. 79f. 180 Vgl. Lourdeaux: Italian and Irish Filmmakers, S. 65. 181 D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 616f. 182 Vgl. D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 616.
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tur Amerikas während der Prohibition zu einer kontroversen Berühmtheit wurde: »Nobody ever went broke underestimating the taste of the American public.« Dieser, der sechsten Staffel gewissermaßen als Motto vorangestellte Satz wird zu Anfang der Folge »Members Only« (s06e01) von dem FBIAgenten Ron Goddard geäußert und darauf von seinem Partner Dwight Harris nickend zur Kenntnis genommen. Dass sich Harris kurz darauf übergibt, ist vor allem metareflexiv zu lesen. Gilt der Gangsterfilm doch als dasjenige Genre, das immer schon als ein populäres Vehikel für und als ein kritischer Kommentar auf die amerikanische Konsumkultur verstanden wurde. Es ist das Genre, das die unterdrückte Kehrseite der Gesellschaft wieder zum Vorschein bringt, notfalls auch so eruptiv wie in dieser Szene. In der genussüchtigen Figur des Gangsters, »[who like the] melodramatic persona […] is totally committed to living out his or her dominant desires, despite moral and social taboo or inter-personal conflict«,183 hat das Gangstergenre bereits seit der klassischen Periode das exzessive Konsumverhalten der amerikanischen Bevökerung verhandelt. So beginnt THE PUBLIC ENEMY mit einer Montage historisch datierter Vignetten, die den ›amoralischen‹ Weg skizzieren, die zu der Prohibition in den 1920er und frühen 30er Jahren führte. In der Sequenz »1909« wird Bier an Kinder verkauft, die sich den Alkohol noch durch den »family entrance« der Kneipe holen. Während in der Sequenz »1920« sich das Volk am Vorabend der Prohibition mit Alkoholflaschen eindeckt, unter ihnen auch eine ›gehobene Dame‹ der Gesellschaft, die aus ihrem Wagen in die Gosse steigt, um ihren versehentlich verschütteten Alkohol zu retten, sowie ein Paar, das in einem Kinderwagen ihre Schnapsflaschen transportiert. Vor diesem sozialkritischen Hintergrund figuriert der Gangster nur als eine organisiertere Form des allgegenwärtigen Konsums: Wenn sie sich nicht um die Herstellung, den Raub oder den Vertrieb illegaler Konsumgüter bemühen, dann sieht man die Gangster beim Genuss und der rituellen Darbietung ihrer Gewinne, von ihren Wohnungen, Anzügen, Limousinen bis hin zu den Mädchen aus der high society: »Offensichtlich hat die Konsumkultur männliche Identität um den Aspekt der eitlen Selbstinszenierung erweitert«.184 Die hier so prägnant vorgeführte »Abhängigkeit des Durchschnittsmannes vom Konsum, seine Bloßstellung als Konsumjunkie« ist auch ein prominentes Thema im postmodernen Krisendiskurs ›Mann‹.185 So sieht man Tony Soprano wiederholt beim Essen oder beim maßlosen Konsum von Alkohol, Zigarren und Drogen verschiedener Art, mit denen er als hemmungsloser Suchtmensch186 seine innere Leere zu füllen sucht. Auch seine Einnah-
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Gledhill: Signs of Melodrama, S. 212. Kappelhoff: Matrix der Gefühle, S. 241. Vgl. Kappert: Rekonfigurationen, S. 50. Die Sucht nach dem high life des Gangsters kippt sowohl in GOODFELLAS, als auch in THE SOPRANOS in Drogensucht. So ist am Ende von GOODFELLAS Henry Hill gleichermaßen bemüht, die Sauce für sein Familienessen zu rühren und Kokain zu nehmen, zu verarbeiten und zu schmuggeln. Auch in den SOPRANOS
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men bezieht Tony aus der profitorientierten Kommodifizierung von ›Waren‹ wie Sex (Bada Bing!), Fleisch (Satriale’s) und Abfall (Barone Sanitation). In diesem Kontext sind auch die Leichen, die im ›Tagesgeschäft‹ der Mafia zuweilen anfallen, nur ein weiterer materieller Gegenstand, der verarbeitet, entsorgt oder sogar ›konsumiert‹ wird. Beliebten sich klassische Filmgangster wie Tony Camonte in SCARFACE mit überzeichnetem, kannibalistischem Gusto in ihre Mordanschläge zu werfen, nachdem sie der Küche im Restaurant noch den Auftrag gegeben hatten, die italienische Pasta für sie warm zu halten,187 zeigt sich die Kompetenz eines rundlichen Mafioso wie Clemenza aus THE GODFATHER vor allem in seinem Wissen über Gewalt und Essen. Clemenza ist in der Lage, diese sich im Film vielfach überschneidenden Elemente auseinander zu halten – nach einem Mord beordert er den Mörder, nicht das Süßgebäck im Wagen zu vergessen, das er seiner Frau mitbringen sollte: »Leave the gun. Take the cannoli.« – als auch metaphorische Verbindungen zwischen beiden zu ziehen. Als die kugelsichere Weste eines Auftragsmörders der Familie ins Corleone-Domizil geliefert wird, in der Fische eingewickelt sind, kann er daraus ableiten: »It’s a Sicilian message. It means Luca Brasi sleeps with the fishes.« Es ist auch Clemenza, der zunächst versucht, den ›Zivilisten‹ der Familie, Michael Corleone, im Kochen zu unterrichten, und ihn dann wenig später als Attentäter zum ›Soldaten‹ der Familie ausbilden muss. Die unmoralischsten Gangster des Genres sind dann im Anschluss meist diejenigen, die Clemenzas implizite Anweisung zur sinnvollen Abgrenzung von Gewalt (»Leave the gun.«) und Familie (Take the cannoli.«) nicht befolgen. So können in GOODFELLAS Jimmy Conway und Tommy DeVito gewissenlos einen anderen Gangster blutig schlagen, ihn in den Kofferraum ihres Autos legen und sich von Tommys Mutter zum späten Abendmahl in ihrer Küche überreden lassen. Hat der sensiblere Henry Hill große Probleme, mit dem zu Tode blutenden Opfer im Auto zu essen, und übergibt sich dann bei der anschließenden Zerstückelung der Leiche, kann der weit weniger moralische Tommy mit seiner Mutter unbeschwert herumscherzen und sich nach dem Mahl sogar ein Küchenmesser als handliches Mordwerkzeug mitnehmen. In THE SOPRANOS finden sich zahlreiche ähnliche Szenen, in denen Gangster nach besonders brutalen Morden ein besonders blutiges Steak essen, oder in denen die Fleischverarbeitungsmaschinen der Metzgerei Satriale’s dazu benutzt werden, Opfer der Soprano-Crew in leichter entsorgbare Einzelteile zu schneiden (Chris: »It’s gonna be a while before I eat anything from Satriale’s.«, s02e12: »The Knight in White Satin Armor«).
sind oft Szenen parallelmontiert, in denen Christopher Moltisanti sich dem Heroinkonsum hingibt, während sich Tony Unmengen von Speiseeis einverleibt. 187 In THE PUBLIC ENEMY wird etwa auch der fülligere Gangsterboss Paddy Ryan beim gierigen Verzehr von Chips gezeigt, als er den jungen Ganoven Tom und Matt den Alkoholschmuggel als ein lukratives Geschäft ›schmackhaft macht‹.
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In ihrer Inszenierung eines Milieus, »where middle-class masculinity has come to define itself not by what it produces but by what it consumes«,188 zeichnen THE SOPRANOS also das ernüchternde Bild postmoderner Italoamerikaner, die die Fähigkeit ihre Identitätsgruppe verloren haben, ›genuin‹ italienische Produkte herzustellen. So fühlt sich in »46 Long« (s01e02) Paulie Walnuts beim Betreten einer Filiale einer Kaffeehauskette á la Starbucks in seinem ethnischen Stolz gekränkt: »Fuckin’ Italian people. How’d we miss out on this?« Die Vereinnahmung und Kommodifizierung seiner Kultur im amerikanischen Mainstream, die er hier beklagt, erinnert dabei nicht zufällig an die Klage Henry Hills über seinen ethnischen Identitätsverlust zum Ende von GOODFELLAS. Dort wie hier sind die früheren italienischen Spezialitäten keine ›Originale‹ mehr, sondern zur ›geschmacklosen Massenware‹ geworden. Wenn Paulie sich darauf aus Rache eine Espressomaschine klaut, dann ist das ein so amüsanter wie verzweifelter Akt der ›Zurückgewinnung‹ ethnischer Identität, »[thereby expressing a] frustration and regret that Italians didn’t consider this avenue to ›legit‹ wealth«.189 Doch auch wenn sich Tony Soprano in der Pilotfolge darüber beklagen mag, dass niemand mehr die Integrität früherer italienischer Generationen besitzt, die als geschulte Handwerker mit ihren eigenen Händen ethnische Enklaven errichteten, »he himself contributes to the inexorable slide of neighborhoods into postindustrial degradation and decay«.190 So verkauft Tony in der letzten Staffel die in seinem Besitz befindlichen Läden seiner früheren Nachbarschaft an eine nationale Handelskette und stößt damit seine eigenen lokalen Geldeintreiber vor den Kopf, die die neuen Filialen in ihrer Nachbarschaft nicht mehr zur Zahlung von Schutzgeld bedrängen können. Der Gangster wird zu einem weiteren hilflosen Amerikaner, der melancholisch feststellt: »It’s over for the little guy« (s06e08: »Johnny Cakes«). Reiche Anführer wie Tony widmen sich indes dem Konsum von Sushi (s06e01: »Members Only«), um sich immerhin kulinarisch der Pluralität einer immer globaleren US-Kultur zu öffnen.191 Als suburbane American Italians, »[whose] shiny home is void of ethnic ensemble warmth or closeness, [the family] forever walking down stairways and entering doors into large brightly lit rooms dominated by a long sterile kitchen counter or a huge TV set or king-size bed«,192 ist es der Soprano-Fa-
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Santo: Body Image, S. 73. Barreca: Introduction, S. 8. Polan: Sopranos, S. 139. Vgl. Polan: Sopranos, S. 46. Messenger: Our Gang, S. 275. Jerome Krause unterteilt die sukzessiven Generationen von Italoamerikanern und ihrer sich über die Zeit wandelnden Lebensräume folgendermaßen: »The evolution of Italian American ethnic neighborhoods is presented most often as a series of stages roughly corresponding to periods of immigration: 1880-1930, 1930-1960, and post-1960, or to their thematic equivalent of immigrant generations: first-generation Italian-born (Italians), second-generation American-born of Italian parents (Italian Americans,
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milie nunmehr nur noch möglich, sich mittels ethnisch ›italienisch‹ markierten Essens und gelegentlichen Ausflügen in die früheren Wohngebiete ihrer Vorfahren einer kohärenten ethnischen Identität zu versichern. Im postmodernen Amerika unterliegt Ethnizität demnach der individuellen Wahl eines Einzelnen, der in einer ethnischen Enklave leben kann oder sie nur besucht, um seine Ethnizität auf ethnischen Straßenfesten wie etwa dem italoamerikanischen festa ›aufzufrischen‹.193 »The fact of ethnicity, then, does not lie in its content but in the importance that individuals ascribe to it.«194 Gerade das italoamerikanische festa, »[which] gradually transformed from an event that expressed a village’s or particular enclave’s identity into a depiction of southern Italian national ethnicity«, hat sich seit den 1980er Jahren auch zu einem großen kommerziellen Unternehmen gewandelt, in der religiöse Rituale keine große Rolle mehr innehaben.195 Dies wird in »The Ride« (s06e09) deutlich, als sich der neue puertoricanische Pfarrer wegen eines finanziellen Disputs mit den Mafiosi, die an den Veranstaltungen rund um den »Feast of St. Elzear« profitieren, weigert, den traditionellen Goldhut auf die Heiligenstatue zu legen. Auch New Yorks berühmtes Italienerviertel Little Italy hat zum Ende der SOPRANOS einiges an ›ethnischer Integrität und Authentizität‹ verloren, »now depleted by the egress of the third generation to the suburbs and the encroachment of the Chinese«.196 Was früher einmal ganze 40 Querstraßen umfasste, so eine Touristenführerin auf einem vorbeifahrenden Bus in »Made in America« (s06e21), ist nun nur noch eine Straße von Geschäften und Cafés, die so kurz geworden ist, dass sich in der Folge ein in ein Telefongespräch vertiefter italienischer Gangster plötzlich inmitten von Chinesen und asiatischen Läden wiederfindet und desorientiert zurückirren muss. Die erste Hälfte der sechsten und letzten SOPRANOS-Staffel endet mit einem Weihnachtsfest im Soprano-Haus, auf der der Heimfernseher eine Szene aus dem Filmklassiker CASABLANCA (1942)197 zeigt, in der ein Ober während des II. Weltkriegs mit europäischen Kriegsflüchtlingen auf ihre anstehende Flucht in die USA anstößt (s06e12: »Kaisha«). Dreimal erklingt dabei die Formel: »To America!« Der amerikanische Traum von Freiheit, Gleich-
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and third, or subsequent generations (American Italians). This provides a range of settings; from those of first-generation Italians in teeming ports of entry in 1880, […], to those of the third-generation residents living in ›idyllic‹ suburbs of the 1990s.« (Ethnic Neighborhoods, S. 200). Vgl. hierzu ebenfalls Alba: Assimilation, S. 43; und Airriess/Miyares: Ethnic Geographies, S. 9f. Vgl. Krause: Ethnic Neighborhoods, S. 203. Sollors: Theories of American Ethnicity, S. xviii. Vgl. hierzu auch Cashmore: Ethnicity, S. 144. Denise Mangieri DiCarlo: »Festa«, in: Salvatore J. LaGumina/et al.: The Italian American Experience (2000), S. 222-225, hier S. 222f. Vgl. auch D’Acierno: Cultural Lexicon, S. 727. D’Acierno: Cinema Paradiso, S. 618. CASABLANCA, USA 1942, R: Michael Curtiz.
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heit und Wohlstand, auf den die Filmfiguren hier trinken, ist in der Serie einem blinden, maßlosen Materialismus gewichen, den A.J. in der letzten Folge der Serie, »Made in America« (s06e21), in Frage stellt. Auf die Beerdigung seines Onkels Bobby Bacala, die man nur kurz und aus der Distanz auf den Überwachungskameras des FBI zu sehen bekommt, folgt ein plötzlicher Schnitt zu einer Großaufnahme des üppigen Banketts, über das die ›Trauergäste‹ in gedrängter Reihe und mit fast kannibalistischem Hunger herfallen. A.J. aber zeigt sich angewidert vom bacchantischen Konsumverhalten und trivialen Smalltalk seiner Sozialschicht. Der Junge, der sich nie große Gedanken über seinen eigenen Materialismus gemacht hat, fordert seine Familie nun zum Umdenken auf: »You people are fucked. You’re living in a dream. […] It’s like, America. […] This is still where people come, to make it. It’s a beautiful idea. And then what do they get? Bling? And come-ons for shit they don’t need and can’t afford?« Dass ausgerechnet A.J., nicht zuletzt aus privatem Liebeskummer, zu einem überzeugten Kritiker des materialistischen Lebensstils der Upper-Middle-Class der USA avanciert und ihr mithilfe eines Zitats aus W.B. Yeats Gedicht »The Second Coming« (1920) ein baldiges Ende prophezeit, ist nicht ganz ohne Ironie. Wird hier doch einer der ›dümmeren‹, von den anderen nicht ernst genommenen Figur der Serie die Kritik an Materialismus und Konsum in den Mund gelegt, die für das amerikanische Gangstergenre immer schon konstitutiv war. Später sitzt A.J. mit seiner Freundin in seinem SUV und hört sich Bob Dylans konsumkritischen Protestsong »It’s Alright, Ma (I’m Only Bleeding)« von 1965 an. Als der teure Wagen plötzlich in Brand gerät, kann sich das Paar vor den Flammen retten und wird Zeuge, wie das Auto anschließend explodiert und damit auch der Gesang und die USA-Kritik Dylans langsam erlischt. A.J. ist von diesem Erlebnis so durchgeschüttelt, dass er seiner Therapeutin gesteht, er fühle sich durch die Nahtoderfahrung ›irgendwie gesäubert‹. Die Neugeburt A.J.’s führt ihn aber nur zurück zu seiner früheren, unkritischen Lebenseinstellung: Mit einem neuen Auto, einem neuen Job und einer weißen Freundin kann er dann wieder unbekümmert am American Way of Life teilhaben. Auf der Trauerfeier in »Made in America« (s06e21) ist ein ›gehaltenes Bild‹ zu sehen, auf dem Carmela und Tony Soprano, sie sitzend und er neben ihr stehend vor dem großen Wandgemälde des Vesuvs, das Arthur Buccos Restaurant Nuovo Vesuvio ziert, in Stille zusammen das italoamerikanische Mahl zu sich nehmen. Das Nuovo Vesuvio, das der Italoamerikaner Artie eröffnen musste, nachdem das italienische Restaurant seines Vaters, Vesuvio, wegen eines Mafiakonflikts in der Pilotfolge abgebrannt ist, steht für eine neue amerikanisch-italienische Identität – made in America. Auch Tony mag beim Essen auf das Welten entfernt wirkende Wandbild Neapels schauen, das an das Bühnenbild aus der »Senza Mama«-Sequenz in THE GODFATHER, PART II erinnert, doch als American Italian ist er jetzt so weit von seinem ›Heimatland‹ entfernt, das jeder Versuch einer sentimentalen Rückkehr für ihn undenkbar geworden ist. Im Unterschied zu der klagenden Männerfigur aus »Senza Mama« scheint er sich jedoch damit abgefunden zu haben.
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Abbildung 10: (Re-)Staging an Immigrant’s Tale
Quelle: THE SOPRANOS – SEASON SIX, PART II. DVD. HBO Video 2007
Schlussbetrachtung
In einer der letzten Folgen der SOPRANOS sitzt Tony Soprano einmal mehr im Vorraum seiner Therapeutin und blickt wie in der ersten Einstellung der Pilotfolge zu der dunkelgrünen Frauenstatue hinüber, die in der gegenüberliegenden Ecke des Zimmers steht (s06e17: »Walk Like a Man«). Doch in seinem Blick ist nichts mehr von der Neugier und Verwunderung zu sehen, mit der er der nackten Statue mit den tiefen Augenhöhlen damals gewahr wurde. Nach unzähligen Therapiesitzungen, in denen er sein Unbewusstes nach den Ursachen für seine Schwächeanfälle erkundet hat, erweckt die Statue, die im Serienverlauf von einem Verweis auf den – selbst nach ihrem Tod noch bedeutenden – Einfluss seiner Mutter auf Tonys Psyche zu einem abstrakteren Symbol für das therapeutische ›Versprechen‹ individueller Selbsterkenntnis avanciert ist, nur noch Resignation und Abscheu. An die zwei Nahaufnahmen Tonys und der Statue, deren semantischer Mehrwert – wie bei vielen in der Arbeit diskutierten Beispielen – aus ihrer Repetition und Rekontextualisierung in der Seriennarration der SOPRANOS folgt, schließt eine Sitzung, in der Tony nicht zum ersten Mal versucht, die Therapie zu beenden: »Seriously, we’re both adults here, right? So after all is said and done, after all the complaining and the crying, and all the fucking bullshit, is this all there is?« Die Frage, die sich Tony nach fast siebenjähriger Behandlung stellt, ähnelt derjenigen, die sich die Serie am Ende ihrer Laufzeit auch stellen muss. Wenn Tony mit Zorn und Verzweiflung resümiert, dass ihm die Einsichten in seine widersprüchliche Persönlichkeit und in die Ambiguitäten seiner Lebenswelt letztlich nicht weitergebracht hätten, steht die Serie vor der Frage, zu welchen Ergebnissen sie über die weiterhin ungebrochene Popularität des Gangstergenres in der amerikanischen Kultur des 20. und 21. Jahrhunderts durch ihre Traditionsbezüge gelangt ist. Haben der psychoanalytische Blick auf den Gangster und die televisuelle Konkretisierung des Gangsterfilms als melodramatisches Identitätsdrama zu der – von Teilen der SOPRANOS Studies erhofften – reflektierten, feministisch-kritischen Aneignung und Entmystifizierung einer klassischen Männlichkeitsikone und eines traditionellen Männergenres geführt? Steht mit dem genrehistorisch doch innovativen Schritt zur Selbstreflexion, dem analytischen Dialog über die kuvrierten Signifikan-
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zen des Genres und des in ihm dargestellten Milieus zum Schluss ein besseres Verständnis postmoderner Männlichkeit(en), Familie(n) und Ethnie(n)? Die vorliegende Arbeit nahm die psychoanalytische Ausgangskonfiguration der Serie zum Ansatzpunkt für die Frage, inwiefern man bei amerikanischen Gangsterfilmen im Allgemeinen und bei den SOPRANOS im Besonderen von Texten sprechen kann, die sich in den Traditionslinien des US-Melodrams verorten. Problematisiert wurde dabei die Forschungsmeinung, bei dem Konzept vom ›Gangster-als-Patienten‹ handle es sich um eine radikale, subversive Genre-Umschrift, durch die These, dass der Opferdiskurs der Serie um den Gangster nicht neu, sondern konstitutiv für den Gangsterfilm ist. Die drei dominanten Diskurse des Genres, in der vorliegenden Studie als Male, Family und Immigrant Melodrama benannt, drehen sich stets um die Frage nach der ›ursprünglichen Unschuld‹ des Gangsterprotagonisten, nach dem Moment vor seinem fall from grace. Die Genretexte versuchen darauf, diese Unschuld in den menschlichen Schwächen ihrer Hauptfiguren zu finden und zu beklagen, motiviert vom raison d'être des Melodrams, »[i.e.] the hope […] that it may not be too late, that there may still be an original locus of virtue, and that this virtue and truth can be achieved in private individuals and individual heroic acts rather than […] in revolution and change«.1 In einer »völlig psychologisierten Kultur« wie der heutigen, so Lee Siegel mit Verweis auf THE SOPRANOS, ist »die moralische Konfusion […] allgegenwärtig. Das macht es der Kunst schwer, Tragödien zu schaffen, weil heutzutage die Darstellung des Innenlebens böser Menschen nicht zu einer kathartischen Offenbarung führt, sondern nur das allgemeine Chaos wiederholt.«2 Stattdessen, so kann man folgern, entsteht das Melodram: »by definition the retrieval of an absolute innocence and good in which most thinking people do not put much faith«,3 ein verzweifelter, da von vornherein für undenkbar gehaltener Versuch der Rekuperation einst sicher geglaubter moralischer und ethischer Grundsätze anhand von gefühlsorientierten (Re-)Inszenierungen eines vormodernen Ordnungs- und Gerechtigkeitssinns: »Within an apparent context of ›realism‹ and the ordinary, [then, melodrama] seemed in fact to be staging a heightened and hyperbolic drama, making reference to pure and polar concepts of darkness and light, salvation and damnation.«4 Als ein progressiv orientiertes Melodram über ein konservatives Milieu, das fortwährend auf die komische Inkongruenz ihrer Prämisse verweist, forcieren THE SOPRANOS eine selbstreflexive Beschäftigung mit der ›Unschuld‹ ihres kriminellen Protagonisten, die ihn trotz aller emotionaler Identifikation nicht zu entschuldigen, nicht zu erklären versucht: »Man kann solche Leute nicht interpretieren. Man muß über sie urteilen«,5 so verlangt Siegel. Die Pa-
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Williams: Race Card, S. 35. Siegel: Das Abstoßende, S. 480f. Williams: Melodrama Revised, S. 61. Brooks: Melodramatic Imagination, S. ix. Siegel: Das Abstoßende, S. 489.
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rallelen zwischen dem Gangster und dem Durchschnittsamerikaner erfahren stattdessen eine satirische Zuspitzung6: Die Serie führt nicht bloß die sentimentalen Erzähl- und Inszenierungsstrategien des Gangstergenres fort, »[in which] there shine through the Hollywood mobster’s villainous deeds the remnants of what his initial innocence might have been«.7 Sie versucht sich auch kritisch und zynisch-humorvoll mit der melodramatischen Konvention des Hollywoodfilms8 auseinanderzusetzen, den Gangster als eine schließlich doch Mitgefühl weckende Leidensgestalt zu inszenieren.9 Dafür konfrontiert sie sämtliche Figuren der Serie mit moralisch ambivalenten Szenarien, die konfligierende Lesarten provozieren.10 In »Calling All Cars« (s04e11) will Tony die Therapie beenden, gerade weil ihm diese Bedeutungsvielfalt zuviel wird: »Y’know, I ought to quit this fucking therapy. Maybe it’s this, maybe it’s that, maybe it’s va fangool!« Seinerzeit gibt ihm Dr. Melfi zu verstehen: »We can turn our attention to other sources of pain and truth?« Doch er antwortet darauf resigniert: »Pain and truth. Come on! I’m a fat fuckin’ crook from New Jersey!« Die Sinnsuche des Melodrams findet kein happy ending, weil es für den Modus ideologisch keins geben kann.11 Und auch wenn sich keine der Figuren der Serie auf ihre individuelle Genre-Tradition reduzieren lässt, sie kommen auch selten über stereotypische Rollenvorgaben hinaus: »Diese Fuge der gleitenden Bedeutung innerhalb einer jeden Figur geht immer weiter. Doch alle Bedeutung ist letztlich bedeutungslos. […] So lassen die Sopranos all unsere Interiorisierungen lustig und absurd aussehen. Darin besteht ihr Komödiencharakter. Und ihre Tragik ist ebenfalls demselben Fatalismus der Macht äußerer Umstände geschuldet – der Außenwelt von Handlungen und ihren Folgen, wo die Bösen, trotz all ihrer sogar liebenswerten Eigenschaften, dennoch böse sind. Wenn
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Vgl. ebd., S. 485. Nochimson: Re-Reading, unter: http://www.filmquarterly.org/issue_5602_right. html, l.A.: 16.02.08. 8 Linda Williams schreibt dazu: »If emotional and moral registers are sounded, if a work invites us to feel sympathy for the virtues of beset victims, if the narrative trajectory is ultimately more concerned with a retrieval and staging of innocence than with the psychological causes of motives and action, then the operative mode is melodrama. In cinema the mode of melodrama defines a broad category of [films] that move us to pathos for protagonists beset by forces more powerful than they and who are perceived as victims« (Melodrama Revised, S. 42). 9 Nicht-amerikanische Gangsterfilme haben oft versucht, die emphatische Identifikation mit besonders kaltblütigen Gangstern zu erschweren, wie zum Beispiel in GET CARTER (GB 1971, R: Mike Hodges), GRAVEYARD OF HONOR (Japan 1975, R: Kinji Fukasaku) oder jüngst in GOMORRA (Italien 2008, R: Matteo Garrone). 10 Vgl. hierzu auch Polan: Sopranos, S. 125. 11 Vgl. zu der ideologischen und strukturellen Unmöglichkeit von konventionellen happy endings im Melodram u.a. Brooks: Melodramatic Imagination, S. 17, 205; Williams: Race Card, S. 36; und Nowell-Smith: Minnelli and Melodrama, S. 73.
292 | G ANGSTER M ELODRAMA die Kamera uns in fast surrealer Weise Tony bedrohlich und zugleich isoliert in seinem Milieu zeigt, zeigt sie uns einen Menschen, der seinem Milieu auf Gnade und Ungnade ausgeliefert ist, und seine Innenwelt ist ohne Bedeutung.«12
Die Psychoanalyse, die dazu verwendet wird, »dem Menschen [zu zeigen], was er ist, indem sie ihn konfrontiert mit dem, was er nicht wissen will«, die »die Schichten der Selbsttäuschungen [zerstört], mit deren Hilfe die Gesellschaft die Risse in ihrem Fundament verhüllt«, und die »unsere sichersten Gewissheiten [erschüttern soll]«,13 wurde noch zu Beginn der SOPRANOS als ein vielversprechender Ansatz für eine ›Plausibilisierung‹ und Rekonfiguration des Filmgangsters vorgestellt. Die Pilotfolge »The Sopranos« (s01e01), wie im ersten Lektürekapitel der Arbeit angeführt, schließt mit der von Tony in Anwesenheit seiner Crew formulierten Einsicht, »[that] talking helps [and that] hope comes in many forms«. Martha P. Nochimson und Teile der SOPRANOS Studies zeigten sich überzeugt und kamen sehr früh zu dem Ergebnis, »[that o]nly Melfi’s psychiatry, with its ethical roots deeply anchored in a conscious connection with the beneficial aspects of the subconscious, [is able to] offer any hope of dealing with the attractions of the innocence (and power) of [the] gangster«.14 Doch bereits die letzte Folge der ersten Staffel, in der Tony aufgrund der sich schnell verbreitenden, lebensgefährlichen Gerüchte über seinen therapeutischen Bruch mit dem Schweigegebot der Mafia dazu genötigt ist, seiner Crew von seiner Therapie zu erzählen und ihnen zu versichern, das er bloß über ›Persönliches‹, nicht übers ›Geschäft‹ rede, negiert diese Hoffnung (s01e13: »I Dream of Jeannie Cusamano«). Während Paulie gesteht, er sei selbst mal beim Analytiker gewesen (auch wenn er Sil später anvertraut, er sei mit seinem Problem immerhin noch zu einem Mann gegangen!) und Chris desillusioniert aus dem Raum läuft, stellt Sil, den Tonys Probleme nur wenig überraschen,15 leicht resigniert fest: »Look, uh, this thing of ours, the way it’s going, it’d be better if we could admit to each other, uh, these are painful, stressful times – but it’ll never fuckin’ happen.« Sil wird mit der nüchternen Prognose, in der Mafia werde es niemals einen Platz für eine neue Form sensibler Männlichkeit geben, Recht behalten. Trotz aller Bemühungen der Mafiosi emotional klüger aufeinander zuzugehen,16 psychische Beschwerden als Krankheiten zu betrachten17 oder sich
12 Siegel: Das Abstoßende, S. 489, 482. 13 De Berg: Freuds Psychoanalyse, S. 4 14 Nochimson: Re-Reading, unter: http://www.filmquarterly.org/issue_5602_right. html, l.A.: 16.02.08. 15 In »Isabella« (s01e12) äußert Christopher gegenüber Sil Bedenken, der zuhause deprimiert im Morgenmantel herumwandernde Tony könne sich womöglich das Leben nehmen. Silvio aber versichert ihm: »A lotta top guys have dark moods«. 16 Als Chris in »The Legend of Tennessee Moltisanti« (s01e08) Anzeichen von Depression zeigt, versucht Tony ihm zu helfen, ohne dabei seine eigene Krankengeschichte zu gestehen. Der Kommunikationsversuch endet damit, dass sich beide
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einander ihre Schwächen offen einzugestehen,18 bleibt das Patriarchat intakt, weil die Männer es letztlich vorziehen, zu schweigen.19 So kritisiert Tony in »The Strong, Silent Type« (s04e10) etwa seinen weinenden Fahrer, er solle nun endlich über den Tod seines Vaters hinwegkommen und sitzt in der direkt daran anschließenden Szene unter Tränen vor Dr. Melfi und klagt über seine beengende Männlichkeitsmaske: »I gotta be the sad clown, a front for my friends, my family, y’know, a brave front.« Weder er, noch das Milieu verändert sich durch die ›Redekur‹. Ist die Analyse in der Serie doch »wirklich das […], was sich Psychoanalytiker von ihr erhoffen: endlos.«20 So wird der analytische Durchbruch der letzten zum Gemeinplatz dieser Woche, die großen Gefühle der letzten Sitzung werden vom Patienten in der folgenden wieder überspielt oder ignoriert.21 Wo ein Film im engen Erzählrahmen von durchschnittlich zwei Stunden der Dauer und Komplexität einer Psychoanalyse selten wirklich gerecht werden kann und daher oft auf die abrupte, dramatische ›Genesung‹ des Patienten, auf die dramaturgische Konvention des »cathartic cure« rekurriert,22 kann es in der Serie strukturell keine Lösung auf Dauer geben, ist die Serie doch per definitionem endlos. Es ist also nicht nur so, dass sich der regelmäßige Turnus und der besonders langsame, komplexe Prozess einer Therapie erst in der beachtlichen Länge einer mehrjährigen Fernsehserie entfaltet.23 Die Psychotherapie wird hier selbst auch zu ei-
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mit peinlich berührten Blicken über diejenigen amüsieren, die in Situationen wie diesen suizidale Tendenzen zeigen und sich kraftlos ihren Emotionen hingeben. Selbst Don Luppertazzi, Kopf der New Yorker Mafia, rät Tony, die Therapie zu nutzen: »It’s nothing to be ashamed of […] There’s no Stigmata these days. […] Why fuck around? Be a better friend to yourself.« (s03e03: »Fortunate Son«). Als Chris in »Walk Like a Man« (s06e17) von Tony dafür kritisiert wird, dass er sich nicht mehr so oft in der Crew zeigt, spricht Chris erstmals Klartext über sein Problem: »You know, you of all people should understand how hard it is for me to be around that place [Bada Bing!, A.N.]. […] ‘Cause you’re in therapy. You understand the human condition at least. […] Truth is, between the booze and the strippers over there, half of them are fucking cokeheads. It’s hard, y’know?« Vgl. hierzu auch Kimmel: Masculinity as Homophobia, S. 131. Siegel: Das Abstoßende, S. 481. In der letzten Therapiesitzung in »Funhouse« (s02e13) sitzt Tony bald nach dem Mord an seinem besten Freund Big Pussy selbstzufrieden im Stuhl, legt die Füße auf den Tisch und gibt vor seiner Therapeutin den unbekümmerten Patienten, der sich keiner Schuld bewusst ist. Doch Dr. Melfi glaubt ihm nicht und folgert: »After two years treating you I’ve learned things. And I pick up sorrow coming from you.« Er reagiert mit einer verbalen Attacke (»I had a dream I fucked your brains out. Right on that desk, and you loved it.«) und verlässt Melfi ›fröhlich‹ singend. Vgl. Gabbard: Psychology of the Sopranos, S. 19, 37. Vgl. Creeber: TV Ruined the Movies, S. 133. Die HBO-Serie, die die strukturellen Parallelen einer wöchentlichen Fernsehserie zu einer psychotherapeutischen Behandlung erkannt und zum narrativen Prinzip
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ner Soap, »[for] soap operas do not end. Consequently, truth [for the conventionally female protagonists and spectators] is seen to lie […] in expectation, not in the ›return to order,‹ but in (familial) disorder«.24 Die Therapiestunde wird für Tony Soprano so mal zu »an oasis in [his] week« (s06e16: »Chasing It«), mal zu einer ziellosen Realitätsflucht (»I don’t know where we were going. No place. We never seemed to get anywhere. Kind of like this therapy.«, s04e11: »Calling All Cars«) und bald zu einem regelmäßig einzuhaltenden Termin wie eben die wöchentliche Ausstrahlung einer Soap (»It’s Tuesday, three o’clock. So we gotta talk about something.«, s02e08: »Full Leather Jacket«). Nicht die melodramatische Konfiguration der Therapie in der Serie verändert also den Gangster, sondern der Gangster verändert die Analyse, indem er sie vor ein scheinbar unlösbares Problem stellt: »[K]ey here is melodrama’s investment in its immediate cultural environs, […] not just its formal play, but its engagement of cultural tensions, instabilities, and anxieties. In fact, it’s melodrama’s simultaneous invocation of, and inability to resolve, social tensions, that makes it such a ripe form for serial narrativization, and which makes it a central, and maybe even necessary, component of quality television.«25
In ihrer Melodramatik bilden THE SOPRANOS also einen wichtigen Referenzpunkt für eine neue Tendenz amerikanischen »Qualitätsfernsehens«.Im Anschluss an die Serie, die mit dem Gangster eine traditionsträchtige Filmfigur im Fernsehen in die Therapie geschickt und so als Opferheld des Melodrams rekonstruieren konnte, wurden auch andere populäre Serienhelden des Genrefilms in die Therapie geschickt oder fanden sich plötzlich in intimen, therapieähnlichen Situationen wieder, »[often] as a quick and easy way [for television shows to develop] character-developing stories for their lead performers«.26 Prominente Kultfiguren der amerikanischen Populärkultur wie zum Beispiel der Serienkiller,27 der Privatdetektiv28 und der Womanizer29 werden in der Analyse auf ihre ideologischen Widersprüche hin gebrochen, während besonders dynamische Actionhelden wie etwa der Spion30 oder der Polizist31
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erhoben hat, ist IN TREATMENT (2008-2010, C: Hagai Levi). Sie handelt von den Interaktionen eines Therapeuten mit seinen Patienten, die er jeden Tag abwechselnd zu einer einstündigen Sitzung trifft. Die Serie wird an fünf aufeinander folgenden Tagen der Woche gesendet. Am letzten Tag, am Freitag, geht der Therapeut dann zu seiner eigenen Therapeutin und klagt über sich und seine Patienten. Modleski: Search for Tomorrow, S. 449. Kackman: Cultural Complexity, unter: http://flowtv.org/?p=2101, l.A. 01.03.11. Jeff Hidek: »Shrink rap: TV characters love therapy«, in: msnbc.com, unter: http://today.msnbc.msn.com/id/25693764, l.A.: 01.03.11. DEXTER, USA 2006––, C: James Manos, Jr., Showtime. MONK, USA 2002-2009, C: Andy Breckman, USA Network. TWO AND A HALF MEN, USA 2003––, C: Chuck Lorre, Lee Aronsohn, CBS. ALIAS, USA 2001-2006, C: J.J. Abrams, ABC.
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an entscheidenden Punkten im Handlungsverlauf in kargen Räumen einem undurchsichtigen Interviewer gegenüber sitzen und ihm die kuriosen, eigenwilligen Dynamiken ihrer jeweiligen Lebenswelt im Detail erklären müssen. In diesen intimen, ›femininen‹ Genre-Zwischenräumen der Selbstreflexion werden diese idealtypischen Reflexionsfiguren actionorientierter Filmgenres auf das Persönliche begrenzt. Sie können sich dann nicht mehr allein über ihre dynamischen Handlungen definieren, sondern müssen sich eingehend mit ihren konfliktreichen Persönlichkeiten als die Ursache für ihre psychischen Probleme befassen.32 Die melodramatische Grundkonfiguration der SOPRANOS ließe sich demnach als ein prominentes neueres Charakteristikum postmoderner Genretexte deuten, die mit der Therapie einen seriellen Reflexionsraum für die Reperspektivierung populärer Genrehelden des Films bereitstellen. Was in der Forschung als eine Psychologisierung amerikanischer Populärkultur, als erzählerisch und formal komplexes »Quality TV« begriffen wird, wäre wohl treffender als eine neue Form des Melodramatischen zu beschreiben, »[as] we find melodrama modernizing and renewing itself with new objects of sympathy embedded within new social problems, new contexts for pathos and action, and new media«.33 Der generische Endpunkt der SOPRANOS als ein postmoderner, ebenso traditionsbewusster wie innovativer Genretext ist – und damit kann die Ausgangsthese der vorliegenden Studie belegt werden – trotz progressiver Umschriften, ironischer Selbstdemontage und der Konkretisierung ›unbewusster‹ Genre-Verhandlungen letztlich doch derselbe melancholisch-sentimentale Punkt, von dem sie aufgebrochen sind, der melodramatischen Genre-Tradition des amerikanischen Gangsterfilms.
31 THE SHIELD, USA 2002-2008, C: Shawn Ryan, FX. 32 Jeff Hidek erklärt sich die zeitgenössische Popularität der Therapie im amerikanischen Qualitätsfernsehen damit, dass Serienprotagonisten mit ihrer Behandlung einen grundsätzlich bewundernswerten und damit sehr zur Sympathie und Identifikation anregenden Pfad wählten, um sich zum Besseren zu verändern. Vgl. Hidek: Shrink rap, unter: http://today.msnbc.msn.com/id/25693764, l.A.: 01.03.11. 33 Williams: Race Card, S. 16.
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302 | G ANGSTER M ELODRAMA
WE OWN THE NIGHT (USA 2007, R: James Gray) WEST SIDE STORY (USA 1961, R: Robert Wise, Jerome Robbins) WHOLE TOWN’S TALKING, THE (USA 1935, R: John Ford) WISE GUYS (USA 1986, R: Brian De Palma) WRITTEN ON THE WIND (USA 1956, R: Douglas Sirk) YANKEE DOODLE DANDY (USA 1938, R: Michael Curtiz) YEAR OF THE DRAGON (USA 1985, R: Michael Cimino) YOU ONLY LIVE ONCE (USA 1937, R: Fritz Lang)
F ERNSEHSERIEN (USA) 24 (2001-2010, Series Creator: Joel Surnow/Robert Cochran, FOX) ADVENTURES OF OZZIE AND HARRIET, THE (1952–66, C: Ozzie Nelson, ABC) ALIAS (2001-2006, C: J.J. Abrams, ABC) ALL IN THE FAMILY (1971-1979, C: Norman Lear, CBS) AS THE WORLD TURNS (1956––, C: Irna Phillips, NBC) BAND OF BROTHERS (2001, C: Steven Spielberg/Tom Hanks, HBO) BLACK DONNELLYS, THE (2007, C: Paul Haggis/Robert Morosco, NBC) BOARDWALK EMPIRE (2010––, C: Terence Winter, HBO) BRADY BUNCH, THE (1969-1974, C: Sherwood Schwartz, ABC) BROTHERHOOD (2006-2008, C: Blake Masters, Showtime) BUFFY THE VAMPIRE SLAYER (1997-2003, C: Joss Whedon, WB/UP) COSBY SHOW, THE (1984-1992, C: Bill Cosby/Ed Weinberger/u.a., ABC) CRIME STORY (1986-1988, C: Chuck Adamson/Gustave Reininger, NBC) DALLAS (1978-1991, C: David Jacobs, CBS) DAMAGES (2007––, C: Todd A. und Glenn Kessler/Daniel Zelman, FX) DEADWOOD (2004-2006, C: David Milch, HBO) DEXTER (2006––, C: James Manos, Jr., Showtime) FAMILY TIES (1982-1989, C: Gary David Goldberg, NBC) FATHER KNOWS BEST (1954-1960, C: Ed James, CBS) GODFATHER, THE: A NOVEL FOR TELEVISION (1977, R: Francis Ford Coppola) HILL STREET BLUES (1981-1987, C: Steven Bochco/Michael Kozoll, NBC) HONEYMOONERS, THE (1955-1956, R: Frank Satenstein, CBS) IN TREATMENT (2008-2010, C: Hagai Levi, HBO) JERSEY SHORE (2009––, MTV) JOHN ADAMS (2008, D: Tom Hooper, HBO) KING OF QUEENS, THE (1998-2007, C: Michael Weithorn/David Litt, ABC) KINGPIN (2003, C: David Mills, NBC) LEAVE IT TO BEAVER (1957-1963, C: Joe Connelly/Bob Mosher, CBS/ABC) LITTLE HOUSE ON THE PRAIRIE (1974-1982, C: Ed Friendly, NBC) MAD MEN (2007––, C: Matthew Weiner, AMC) MADE (2002––, C: Dave Sirulnick, MTV) MONK (2002-2009, C: Andy Breckman, USA Network) MOONLIGHTING (1985-1989, C: Glenn Gordon Caron, ABC)
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OZ (1997-2003, C: Tom Fontana, HBO) RESCUE ME (2004––, C: Denis Leary/Peter Tolan, FX) ROME (2005-2007, C: Bruno Heller/John Milius/William MacDonald, HBO) ROOTS (1977, C: Alex Haley, ABC) ROSEANNE (1988-1997, C: Matt Williams, ABC) SALLY JESSY RAPHAEL (1983-2002, NBC) SEINFELD (1989-1998, C: Larry David/Jerry Seinfeld, NBC) SEX AND THE CITY (1998-2004, C: Darren Star, HBO) SHIELD, THE (2002-2008, C: Shawn Ryan, FX) SIMPSONS, THE (1989––, C: Matt Groening, FOX) SIX FEET UNDER (2001-2005, C: Alan Ball, HBO) SOPRANOS, THE (1999-2007, C: David Chase, HBO) ST. ELSEWHERE (1982-1988, C: Joshua Brand/John Falsey, NBC) TWO AND A HALF MEN (2003––, C: Chuck Lorre/Lee Aronsohn, CBS) WALTONS, THE (1972-1981, C: Earl Hamner, Jr., CBS) WIRE, THE (2002-2008, C: David Simon, HBO) WISEGUY (1987-1990, C: Stephen J. Cannell/Frank Lupo, CBS) X-FILES, THE (1993-2002, C: Chris Carter, Fox)
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I NTERNETSEITEN http://masterofsopranos.wordpress.com http://www.hbo.com/the-sopranos http://www.imdb.com http://www.organizedcrimefamily.com
ANHANG T HE S OPRANOS – E PISODENVERZEICHNIS 1. Staffel [Erste Ausstrahlung: 10. Januar bis 4. April, 1999]
s01e01: The Sopranos. R: David Chase. s01e02: 46 Long. R: Dan Attias. s01e03: Denial, Anger, Acceptance. R: Nick Gomez. s01e04: Meadowlands. R: John Patterson. s01e05: College. R: Allen Coulter. s01e06: Pax Soprana. R: Alan Taylor. s01e07: Down Neck. R: Lorraine Senna Ferrara. s01e08: The Legend of Tennessee Moltisanti. R: Tim Van Patten. s01e09: Boca. R: Andy Wolk. s01e10: A Hit is a Hit. R: Matthew Penn. s01e11: Nobody Knows Anything. R: Henry J. Bronchtein. s01e12: Isabella. R: Allen Coulter. s01e13: I Dream of Jeannie Cusamano. R: John Patterson. 2. Staffel [Erste Ausstrahlung: 16. Januar bis 9. April, 2000]
s02e01: Guy Walks Into a Psychiatrist’s Office…. R: Allen Coulter. s02e02: Do Not Resuscitate. R: Martin Bruestle. s02e03: Toodle-Fucking-Oo. R: Lee Tamahori. s02e04: Commendatori. R: Tim Van Patten. s02e05: Big Girls Don’t Cry. R: Tim Van Patten. s02e06: The Happy Wanderer. R: John Patterson. s02e07: D-Girl. R: Allen Coulter. s02e08: Full Leather Jacket. R: Allen Coulter. s02e09: From Where to Eternity. R: Henry J. Bronchtein. s02e10: Bust Out. R: John Patterson. s02e11: House Arrest. R: Tim Van Patten. s02e12: The Knight in White Satin Armor. R: Allen Coulter. s02e13: Funhouse. R: John Patterson. 3. Staffel [Erste Ausstrahlung: 4. März bis 20. Mai, 2001]
s03e01: Mr. Ruggerio’s Neighborhood. R: Allen Coulter. s03e02: Proshai, Livushka. R: Tim Van Patten. s03e03: Fortunate Son. R: Henry J. Bronchtein. s03e04: Employee of the Month. R: J. Patterson. s03e05: Another Toothpick. R: Jack Bender. s03e06: University. R: Allen Coulter. s03e07: Second Opinion. R: Tim Van Patten. s03e08: He is Risen. R: Allen Coulter. s03e09: The Telltale Moozadell. R: Dan Attias.
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s03e10: …To Save Us All From Satan’s Power. R: Jack Bender. s03e11: Pine Barrens. R: Steve Buscemi. s03e12: Amour Fou. R: Tim Van Patten. s03e13: Army of One. R: John Patterson. 4. Staffel [Erste Ausstrahlung: 15. Sept. bis 8. Dez., 2001]
s04e01: For All Debts Public and Private. R: Allen Coulter. s04e02: No Show. R: John Patterson. s04e03: Christopher. R: Tim Van Patten. s04e04: The Weight. R: Jack Bender. s04e05: Pie-O-My. R: Henry J. Bronchtein. s04e06: Everybody Hurts. R: Steve Buscemi. s04e07: Watching Too Much Television. R: John Patterson. s04e08: Mergers and Acquisitions. R: Dan Attias. s04e09: Whoever Did This. R: Tim Van Patten. s04e10: The Strong, Silent Type. R: Alan Taylor. s04e11: Calling All Cars. R: Tim Van Patten. s04e12: Eloise. R: James Hayman. s04e13: Whitecaps. R: John Patterson. 5. Staffel [Erste Ausstrahlung: 4. März bis 6. Juni, 2004]
s05e01: Two Tonys. R: Tim Van Patten. s05e02: Rat Pack. R: Alan Taylor. s05e03: Where’s Johnny? R: John Patterson. s05e04: All Happy Families…. R: Rodrigo Garcia. s05e05: Irregular Around the Margins. R: Allen Coulter. s05e06: Sentimental Education. R: Peter Bogdanovich. s05e07: In Camelot. R: Steve Buscemi. s05e08: Marco Polo. R: John Patterson. s05e09: Unidentified Black Males. R: Tim Van Patten. s05e10: Cold Cuts. R: Mike Figgis. s05e11: The Test Dream. R: Allen Coulter. s05e12: Long Term Parking. R: Tim Van Patten. s05e13: All Due Respect. R: John Patterson. 6. Staffel, Teil I [Erste Ausstrahlung: 12. März bis 4. Juni, 2006]
s06e01: Members Only. R: Tim Van Patten. s06e02: Join the Club. R: David Nutter. s06e03: Mayham. R: Jack Bender. s06e04: The Fleshy Part of the Thigh. R: Alan Taylor. s06e05: Mr. & Mrs. John Sacrimoni Request. R: Steve Buscemi. s06e06: Live Free or Die. R: Tim Van Patten. s06e07: Luxury Lounge. R: Danny Leiner. s06e08: Johnny Cakes. R: Tim Van Patten. s06e09: The Ride. R: Alan Taylor.
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s06e10: Moe n’ Joe. R: Steve Shill. s06e11: Cold Stones. R: Tim Van Patten. s06e12: Kaisha. R: Alan Taylor. 6. Staffel, Teil II [Erste Ausstrahlung: 8. April bis 10. Juni, 2007]
s06e13: Soprano Home Movies. R: Tim Van Patten. s06e14: Stage 5. R: Alan Taylor. s06e15: Remember When. R: Phil Abraham. s06e16: Chasing It. R: Tim Van Patten. s06e17: Walk Like a Man. R: Terence Winter. s06e18: Kennedy and Heidi. R: Alan Taylor. s06e19: The Second Coming. R: Tim Van Patten. s06e20: The Blue Comet. R: Alan Taylor. s06e21: Made in America. R: David Chase.
T HE S OPRANOS – P ERSONENVERZEICHNIS Die Familie Soprano1
Anthony ›Tony/Tone/T.‹ Soprano (James Gandolfini) Carmela Soprano (Edie Falco) seine Ehefrau Meadow Soprano (Jamie-Lynn Discala) seine Tochter Anthony ›AJ‹ Soprano, Jr. (Robert Iler) sein Sohn Giovanni ›Johnny Boy‹ Soprano (Joseph Sivaro) sein Vater Livia Soprano (Nancy Marchand) seine Mutter Janice Soprano (Aida Turturro) seine Schwester Barbara Giglione (Nicole Burdette/Danielle Di Vecchio) seine Schwester Corrado ›Uncle Junior‹ Soprano (Dominic Chianese) sein Onkel Christopher ›Chris‹ Moltisanti (Michael Imperioli) sein Cousin Tony ›Tony B.‹ Blundetto (Steve Buscemi) sein Cousin Robert ›Bobby Bacala‹ Baccalieri (Steven R. Schirripa) sein Schwager Die Mafia-Familie DiMeo-Soprano [New Jersey]
Corrado ›Junior/Uncle Junior‹ Soprano Anthony ›Tony/Tone/T.‹ Soprano Giacomo ›Jackie‹ Aprile (Michael Rispoli) Silvio ›Sil‹ Dante (Steve Van Zandt) Peter Paul ›Paulie Walnuts‹ Gualtieri (Tony Sirico) Sal ›Big Pussy‹ Bonpensiero (Vincent Pastore)
1
Capo/Boss Capo/Acting Boss Acting Boss Consigliere Capo Capo
Nur in der Arbeit erwähnte oder besonders wichtige Figuren sind hier aufgeführt. Das Figurenensemble, das in den SOPRANOS tragende Rollen spielt, ist schlicht zu groß, um es komplett aufzuführen. Vgl. auch http://www.hbo.com/sopranos/cast, l.A.: 17.02.11, sowie http://www.organizedcrimefamily.com, l.A.: 17.02.11.
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Richard ›Richie‹ Aprile (David Proval) Christopher ›Chris‹ Moltisanti Ralph ›Ralphie‹ Cifaretto (Joe Pantoliano) Vito Spatafore (Joe Gannascoli) Robert ›Bobby Bacala‹ Baccalieri Tony ›Tony B.‹ Blundetto Furio Giunta (Federico Castelluccio)
Capo Soldier/Capo Soldier/Capo Soldier/Capo Soldier/Capo Soldier Soldier
Die Mafia-Familie Sacrimoni-Lupertazzi [New York]
Carmine Lupertazzi, Sr. (Tony Lip) John ›Johnny Sack‹ Sacrimoni (Vince Curatola) Philip ›Phil/Philly‹ Leotardo (Frank Vincent)
Boss Underboss/Boss Acting Boss/Boss
Weitere Figuren innerhalb der Mafia/Familie
Annalisa Zucca (Sofia Milos) Gloria Trillo (Annabella Sciorra) Valentina La Paz (Leslie Bega) Ginny Sacrimoni (Denise Borino) Angie Bonpensiero (Toni Kalem) Adriana La Cerva (Drea de Matteo) Maria Nuccia Gualtieri (Frances Ensemplare) Tracee (Ariel Kiley)
Acting Boss (Neapel) Tony Sopranos comare Tony Sopranos comare John Sacrimonis Ehefrau Sal Bonpensieros Ehefrau Chris Moltisantis Freundin Paulie Walnuts Mutter Ralphie Cifarettos Comare
Figuren außerhalb der Mafia/Familie
Dr. Jennifer Melfi (Lorraine Bracco) Dr. Elliot Kupfberg (Peter Bogdanovich) Richard LaPenna (Richard Romanus) Arthur ›Artie‹ Bucco (John Ventimiglia) Charmaine Bucco (Kathrine Narducci) Svetlana Kirilenko (Alla Kliouka Schaffer) Father Phil Intintola (Paul Schulze) Dr. Krakower (Sully Boyar) Robert Wegler (David Strathairn) Ronald Zellman (Peter Riegert) Dwight Harris (Matt Servitto) Ron Goddard (Michael Kelly)
Tony Sopranos Therapeutin Jennifer Melfis Therapeut Jennifer Melfi’s Ex-Mann Tony Sopranos Schulfreund Arthur Buccos Ehefrau Livias Krankenschwester Carmelas Priester Carmelas Therapeut A.J.s Highschool-Lehrer Abgeordneter FBI-Agent FBI-Agent
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ABBILDUNGSNACHWEIS Abb.01:
Abb.02:
Abb.03:
Abb.04: Abb.05:
Abb.06: Abb.07: Abb.08: Abb.09:
Abb.10:
THE SOPRANOS – SEASON ONE, UK-DVD, Region 2, HBO Video, 19. November 2007 (Folge: »46 Long«, s01e02) THE SOPRANOS – SEASON SIX, PART I, UK-DVD, Region 2, HBO Video, 19. November 2007 (Folge: »Mr. & Mrs. John Sacrimoni Request«, s06e05) THE SOPRANOS – SEASON THREE, UK-DVD, Region 2, HBO Video, 19. November 2007 (Folge: »Employee of the Month«, s03e04) THE GODFATHER, PART II, D-DVD, Region 2, Paramount, 4. November 2002 THE SOPRANOS – SEASON FOUR, UK-DVD, Region 2, HBO Video, 19. November 2007 (Folge: »The Weight«, s04e04) THE GODFATHER, PART III, D-DVD, Region 2, Paramount, 4. November 2002 THE GODFATHER, PART II, D-DVD, Region 2, Paramount, 4. November 2002 THE GODFATHER, PART II, D-DVD, Region 2, Paramount, 4. November 2002 THE SOPRANOS – SEASON SIX, PART II, UK-DVD, Region 2, HBO Video, 19. November 2007 (Folge: »Walk Like a Man«, s06e17) THE SOPRANOS – SEASON SIX, PART II, UK-DVD, Region 2, HBO Video, 19. November 2007 (Folge: »Made in America«, s06e21)
Film Bettina Dennerlein, Elke Frietsch (Hg.) Identitäten in Bewegung Migration im Film Oktober 2011, 324 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1472-5
Tobias Ebbrecht Geschichtsbilder im medialen Gedächtnis Filmische Narrationen des Holocaust Februar 2011, 356 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1671-2
Dagmar Hoffmann (Hg.) Körperästhetiken Filmische Inszenierungen von Körperlichkeit 2010, 352 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1213-4
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Film Kay Kirchmann, Jens Ruchatz (Hg.) Medienreflexion im Film Ein Handbuch Februar 2012, ca. 404 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1091-8
Annette Simonis Intermediales Spiel im Film Ästhetische Erfahrung zwischen Schrift, Bild und Musik 2010, 230 Seiten, kart., zahlr. Abb., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1520-3
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Hans-Christian Mennenga Präödipale Helden Neuere Männlichkeitsentwürfe im Hollywoodfilm. Die Figuren von Michael Douglas und Tom Cruise April 2011, 258 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1797-9
Bettina Papenburg Das neue Fleisch Der groteske Körper im Kino David Cronenbergs Mai 2011, 208 Seiten, kart., zahlr. Abb., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1740-5
Elisabeth Scherer Spuk der Frauenseele Weibliche Geister im japanischen Film und ihre kulturhistorischen Ursprünge August 2011, 314 Seiten, kart., zahlr. Abb., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1525-8
Beate Weghofer Cinéma Indochina Eine (post-)koloniale Filmgeschichte Frankreichs 2010, 256 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1364-3
Februar 2011, 302 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1716-0
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
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