Funktionen und Struktur der Rechtsprechung im demokratischen Rechtsstaat in normen- und systemtheoretischer Perspektive [1 ed.] 9783428498949, 9783428098941

In einer Welt, wo die Veränderungen kaum allgemeingültige normative Muster anerkennen lassen, wird das rechtstheoretisch

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Funktionen und Struktur der Rechtsprechung im demokratischen Rechtsstaat in normen- und systemtheoretischer Perspektive [1 ed.]
 9783428498949, 9783428098941

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PAULO ANTONIO DE MENEZES ALBUQUERQUE

Funktionen und Struktur der Rechtsprechung im demokratischen Rechtsstaat in normenund systemtheoretischer Perspektive

Schriften zur Rechtstheorie Heft 196

Funktionen und Struktur der Rechtsprechung im demokratischen Rechtsstaat in normenund systemtheoretischer Perspektive

Von Paulo Antonio de Menezes Albuquerque

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Albuquerque, Paulo Antonio de Menezes:

Funktionen und Struktur der Rechtsprechung im demokratischen Rechtsstaat in normen- und systemtheoretischer Perspektive / von Paulo Antonio de Menezes Albuquerque. - Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Schriften zur Rechtstheorie ; H. 196) Zugl.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1998/99 ISBN 3-428-09894-3

D6 Alle Rechte vorbehalten © 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0472 ISBN 3-428-09894-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier

entsprechend ISO 9706 θ

Geleitwort In Lateinamerika wie in Kontinentaleuropa hat die Entwicklung des rechtstheoretischen Denkens im Verlaufe der letzten Jahrzehnte gezeigt, daß es sich - entgegen einem verbreiteten Vorurteil - im Verhältnis von Europa und Iberoamerika nicht um eine Art Einbahnstraße der Geschichte handelt, bei der Europa im Zentrum, die staatlich organisierten Rechtssysteme in Lateinamerika jedoch an der Peripherie liegen. Im zeitgenössischen Rechtsdenken haben die wechselseitigen wissenschaftlichen Kontakte - in Anknüpfung an die jeweiligen Rechtstraditionen und an den regen Gedankenaustausch in Grundlagenfragen der Theorie, Philosophie und Soziologie des Rechts - zu sehr engen beiderseitigen Verbindungen und vielfältigen Formen eines rechtstheoretischen Dialogs geführt, dessen Entwicklungsstand und Qualität diese Untersuchung zeigt. Das Recht strukturiert heute in allen Rechtssystemen nicht nur die zwischenmenschlichen Interaktionen im gemeinschaftlich organisierten Zusammenleben, wie beispielsweise in Freundschaft, Ehe, Familie und Nachbarschaft; es reguliert auch die arbeits- und gewaltenteilig organisierten sozialen Aktivitäten der Staatsbürokratien und deren Miteinander. Die Rechtssysteme der modernen Gesellschaft gewinnen infolgedessen - aus der Perspektive einer Theorie sozialer Systeme betrachtet - ihre sozietale Identität aus der Verbindung von primären und sekundären sozialen Systemen, die insgesamt als Einheit angesehen werden können, welche sich mit Mitteln des Rechts strukturiert. Staaten sind somit bloß sekundäre Sozialsysteme, die mit dem Rechtssystem der Gesellschaft bzw. den primären Sozialsystemen nicht identifiziert werden dürfen. Der Autor dieser Untersuchung, der vor seinem Studien- und Forschungsaufenthalt als DAAD-Stipendiat in Deutschland (1994-1999) in seiner brasilianischen Heimat bereits in der Justizverwaltung, als Anwalt bei den Rechtsabteilungen der Stadt Fortaleza und der Bundesuniversität Cearâ sowie als Dozent am Fachbereich Recht der Universität Fortaleza und an der Rechtsfakultät der Bundesuniversität Cearâ tätig war, gehört zu der jüngeren Generation von Juristen, denen die Beschäftigung mit der Grundlagenforschung im Bereich des Rechts sowie die in der Informations- und Kommunikationsgesellschaft heute unerläßliche Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Techniken und Theorien des Rechts zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist. Dies rechtfertigte auch die Wahl des recht anspruchsvollen Themas. Es muß auffallen, daß Albuquerque in seinen Analysen staatlich organisierter Rechtssysteme und ihrer Einrichtungen den politischen Individualismus und Liberalismus, der das Recht rein ökonomisch zu begründen suchte, schlicht hinter sich läßt. Entsprechendes gilt für den moralphilosophischen

VI

Geleitwort

und/oder methodologischen Individualismus, für den die ,atomare' Struktur der Gesellschaft aus Individuen, d. h. bloß und nur aus Individuen bzw. Gruppen von Individuen besteht. Statt dessen gerät bei Albuquerque alles Recht als eine normative Struktur von Gesellschaft und das heißt zugleich und vor allem als ein Emergenzphänomen in den Blick. Indem der Verf. in seinen Analysen von Recht und Rechtsprechung von vornherein eine rechts- und sozialtheoretische Zugangsweise zum Recht wählt, kann die Rechtsprechung im politischen, kulturellem, wirtschaftlichen und sozialen Kontext der modernen staatlich organisierten Rechtssysteme auch auf ihre heimlichen, partiell verdeckten Funktionen befragt und ihr wirklicher Beitrag zur Behandlung und Bewältigung von Konflikten, insbesondere von rechtlichen Konflikten, realitätsgerecht ins Offene gebracht werden. Die Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät als mit dem höchsten Prädikat summa cum laude bewertete juristische Dissertation und von der Förderergesellschaft der Universität Münster mit dem Harry Westermann-Preis für die beste Dissertation 1999 ausgezeichnet. Münster, im Dezember 2000

Werner Krawietz

Vorwort Der moderne Verfassungs- und Rechtsstaat steht heute in den iberoamerikanischen Rechtssystemen vor ganz neuen Aufgaben. Sie machen, einmal abgesehen von der Vielzahl der zu bewältigenden rechtspraktischen Probleme, vor allem eine rechtstheoretische Standortbestimmung unter den Bedingungen und Besonderheiten dieser Regionalgesellschaften erforderlich. In den vorwiegend staatlich organisierten Rechtssystemen Kontinentaleuropas wurde und wird, ähnlich wie in einigen Staaten Lateinamerikas, ein zureichendes Verständnis der politisch-rechtlichen Herrschaftsstrukturen nicht selten erschwert durch die langjährige Existenz von Autokratien, Despotien und Diktaturen, die naturgemäß nicht auf die Schaffung und Erhaltung des Rechtsstaats, sondern in erster Linie und vor allem auf ihre eigene Macht bedacht sind. Auch erscheint nicht ausgemacht, ob die Modernisierung der Gesellschaft den zeitlichen Vorrang vor ihrer Demokratisierung haben soll oder eher umgekehrt. Ferner sind es in der Entwicklung lateinamerikanischer Regionalgesellschaften häufig gar nicht die rechtlichen, sondern eher die politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Probleme, die zu Fehlentwicklungen oder Rückschlägen bei der rechtlichen Regulierung und Demokratisierung der sozialen Strukturprobleme führen. Sie behindern den Aufbau und den Ausbau der rechtsstaatlichen Legalitätsmechanismen und die rechtliche Absicherung der erreichten Fortschritte. Wir haben uns daran gewöhnt, den modernen Staat einerseits als eine demokratische, auf maßgebender Beteiligung des Volkes und der Parteien basierende politisch-rechtliche Ordnung anzusehen, andererseits als eine hochgradig bürokratisierte, arbeitsteilig (»gewaltenteilig') fungierende Entscheidungsorganisation. Letztere wird im Verhältnis zu allen Bürgern und Rechtsgenossen nach Maßgabe und mit den Mitteln des staatlichen (oder doch vom Staate abgeleiteten) Rechts tätig. Dem kontinentaleuropäischen Beobachter muß es infolgedessen - auch wegen der weltweit bestehenden, regionalgesellschaftlichen Unterschiede - schwer fallen, die spezifischen Eigentümlichkeiten und die Funktionsweise lateinamerikanischer Rechtssysteme zu verstehen. Gibt es hier noch so etwas, wie einen staatsrechtlichen Paternalismus oder gar Patriarchalismus neuer Art? Es lag nahe, die anzustellenden Untersuchungen nicht auf die bloße Rekonstruktion der erreichten verfassungs- und verwaltungsrechtlichen Lage zu beschränken, sondern sie - im Hinblick auf die jeweils sozial wirksame Verfassung, das Recht und die zugehörige Staatsbildung dieser politischen Gemeinwesen - von vornherein auf genuin rechtsund gesellschaftstheoretische Analysen zu erstrecken und zu konzentrieren. Auch erschien der Ansatzpunkt der Analyse bei den rechtsstaatlichen Strukturen und Verfahrensweisen, insbesondere bei denjenigen der Rechtsprechung geeignet, ver -

Vili

Vorwort

gleichenden Untersuchungen der bereits etablierten politisch-rechtlichen Herrschaftsstrukturen den Weg zu ebnen. Die vorliegende Untersuchung analysiert die rechtsprechende Funktion vor allem im Hinblick auf ihre sozialen und rechtspolitischen Rahmenbedingungen. Die hier verfolgte Absicht besteht darin, die dynamisch-funktionalen normativen Merkmale, die jede derartige Tätigkeit mitprägen und die an ihre schon traditionellen, aber auch an die neuen sozialen Herausforderungen aller Rechtsprechung anknüpfen, eingehend zu beobachten und zu beschreiben. Nur so können die Ansatzpunkte für eine etwaige rechtspolitisch reflektierte strukturelle Veränderung gefunden werden. Der historische Augenblick mag vielleicht ein solches Unternehmen nicht begünstigen, vor allem angesichts einer ungewissen Zukunft regionaler, nationaler und internationaler Mitwirkung an diversen Rechtsorganisationen, wie den Europäischen Gemeinschaften und der Europäischen Union. Gerade deswegen stellt die Rechtsprechung jedoch ein wichtiges Referenzsystem dar, um nicht nur über die rechtlichen und methodologischrichtigen,kognitiven Schritte zu reflektieren, sondern auch die Konflikte und die ihnen vorausliegenden Sinndeutungen zu erforschen, die in der modernen Rechtsprechungspraxis zur Sprache kommen. Gerade die Rechtsprechung erscheint heute in der Lage, auf eine Rechtsordnung einzuwirken, die nicht nur auf „äußere" Umstände reagiert, sondern auch eine neue Identität des staatlich organisierten Rechtssystems stiftet und unterschiedliche Verknüpfungsformen mit anderen Subsystemen der modernen Gesellschaft, wie mit der Wirtschaft oder dem Religionssystem, benötigt und ermöglicht. In diesem Sinne verfolgt die Arbeit nicht nur ein rechtsdogmatisch vergleichendes, sondern auch ein aufklärendes Anliegen, das darin besteht, zwischen der Rechtswissenschaft und den modernen Sozialwissenschaften eine Brücke zu schlagen. Diese Absicht wird im folgenden verwirklicht durch eine Verbindung von normen- und sozialtheoretischer, insbesondere gesellschaftstheoretischer Betrachtungsweise. Ein derartiges Forschungsprogramm wirft eine Reihe von praktischen und theoretischen Problemen auf, die sich auf der normativen und der kognitiven Ebene der Rechtsbetrachtung überschneiden. Es geht einerseits um die Frage, welche Prozesse der Produktion und Reproduktion von normativen Strukturen des Rechts sowie der rechtsprechenden Tätigkeit sich als geeignet erweisen, die institutionellen und weitbezogenen Spielräume aller Rechtsprechung durch eine hinreichend realistische Betrachtungsweise aufzuklären. Die Plastizität der in den Texten des geltenden Rechts angelegten Normsätze ist auf keinen Fall inkompatibel mit der Suche nach einer soziologisch fundierten, rechtsoziologisch inspirierten Theorie des Rechts. Andererseits stellt der konstitutive Effekt der Rechtsprechung nur eine der vielen möglichen Leistungen des ganzen Rechtssystems dar. Unter dieser strukturellen Unbestimmtheit verfährt die gesamte Operationsweise des jurisdicere, d. h. alle normativen Kommunikationen, die über die Rechtsprechung laufen, können nur unter diesen normativen und faktischen Bedingungen realisiert werden. Es ist wichtig, festzuhalten, daß alle diese Etappen selbstverständlich nicht nur von der individuellen Person der Richter abhängen oder allein durch die hierarchischen

Vorwort

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Prärogativen der obersten Gerichte bedingt und begrenzt sind. Sie gehen weit darüber hinaus und erfassen alle institutionalisierten Ebenen der Beziehung von Staat und Gesellschaft. Die angesprochenen methodologischen Wege erscheinen - normativ und systematisch gesehen - geeignet, die Spezifität des Rechts im modernen demokratischen Rechtssystem zu untersuchen. Das Recht darf nicht irgendeinem „strategischen" Programm geopfert werden, sondern bietet Anlaß, die allen Rechtsvorschriften gemeinsamen normativen Strukturmerkmale in den jeweiligen (Regional-)Gesellschaften zu recherchieren. Es geht darum, Rechtsprechung zugleich als Teilsystem (Funktionssystem) der Gesellschaft und als normative Struktur menschlichen Erlebens und Handelns zu begreifen und ihre sozialen Funktionen zu untersuchen. Eine wichtige Unterstützung in dieser Richtung bietet die Analyse objektiver Entscheidungs- und Institutionalisierungsmechanismen, indem sie anders als üblich auch informale Normprogramme zur Geltung kommen läßt, so daß man von einer Symbiose des staatlichen und des gesellschaftlichen Rechts sprechen kann mit der Tendenz, daß das staatliche Recht - dank seines technisch höheren Rationalitätsgrades - einen dominierenden Einfluß auf alles übrige Recht ausüben kann, ohne daß beide miteinander identifiziert werden dürfen. Im ersten Abschnitt sind die grundlegenden Beobachtungen, analytisch-begrifflichen Unterscheidungen sowie die Institutionen- und systemtheoretischen Überlegungen zusammengefaßt, die zur weiteren normen- und rechtstheoretischen Untersuchung der demokratischen und rechtsstaatlichen Funktionen und Strukturen von Rechtsprechung benötigt werden. Die rechtliche Entscheidungspraxis sensu largo, insbesondere die genuin juristische und/oderrichterliche Praxis der Rechtsgewinnung im Einzelfalle dienen dabei - makrotheoretisch sowie mittel- bzw. langfristig betrachtet - als Ansatzpunkte einer genaueren Untersuchung der Entwicklung und Evolution von Recht. Auf diese Weise wird zugleich eine Einsicht in die Tiefenstruktur der Rechtsordnung und in die Erfordernisse des Aufbaus und Ausbaus von Rechtssystemen ermöglicht, die der relativen Autonomie, der normativen Bedeutung und den operativen Spielräumen aller Rechtsprechung (Ermessen, unbestimmte Gesetzes- und Rechtsbegriffe, richterliche Abwägung und Bewertung rechtlich geschützter Interessen o.ä.) gerecht zu werden sucht. Um die im Rahmen der Positivität allen Rechts in praktischer wie in theoretischer Hinsicht gewachsene systemische Relevanz und normative Bedeutung der Rechtsprechung sozialadäquat bestimmen zu können, müssen die Ambiguitäten und Aporien der vornehmlich subjektzentrierten dogmatischen Jurisprudenz und ihrer Methodenlehre, aber auch der insoweit komplementären Sozialwissenschaften, die gleichfalls nicht eben selten einen individualistischen Handlungsbegriff verwenden, ergänzt werden durch einen normen- und handlungstheoretisch erweiterten sozialen Handlungsbegriff. Diese Umorientierung des Rechtsdenkens, das sich in wachsendem Ausmaß an der sozialen Wirklichkeit allen Rechts, d. h. an den (Inter-)Aktionssystemen und Organisationen im Kontext der jeweiligen (Re-

χ

Vorwort

gional-)Gesellschaft zu orientieren sucht, wird begünstigt durch die gelegentliche Konfrontation institutionalistischer und systemtheoretischer Argumentations- und Denkansätze, von denen in dieser Untersuchung durchgängig die Rede ist. Ein bestimmtes Konfrontationspotential ergibt sich vor allem aus der Tatsache, daß einige institutionalistische Denkansätze nach wie vor in ihrem Selbstverständnis dem Rechtspositivismus verpflichtet sind, während andere eine Verbindung von Rechtstheorie und Moraltheorie betreiben wollen. Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit den rechtlichen Errungenschaften, den rechtspolitischen Voraussetzungen und den Umwälzungen, die die Einrichtungen des modernen Verfassungs- und Rechtsstaates mit sich gebracht haben. Leider muß festgestellt werden, daß manche Spezifikationen wichtige staatsorganisatorische und interaktionistische Momente ausblenden. Als besonders problematisch erweist sich dabei die Transplantation rechtlicher Institutionen auf andere Rechtssysteme. Sie wird bisweilen vorgenommen, ohne die eigenen systemspezifischen Elemente und Prozesse hinreichend zu berücksichtigen, die dem entgegenstehen können. Auf der anderen Seite kann man die Gemeinsamkeiten der heutigen weltgesellschaftlich organisierten regionalen Rechtsysteme nur verstehen, indem man die spezifische, tradierte Rechtslogik sowie ihre rechts- und handlungstheoretischen Voraussetzungen und die ihnen zugrunde liegenden Rationalitätsmuster unter dem Aspekt der rechtsstaatlichen Systembildung vergleicht. Im Verhältnis von Recht, Staat und Gesellschaft geht es hier vor allem darum, die Möglichkeiten einer strukturellen Kopplung und normativen Vernetzung der nationalen und internationalen Rechtsstrukturen und ihrer bürokratisierten Entscheidungsorganisationen auszuloten. Der dritte und letzte Abschnitt der Untersuchung ist der Analyse der zum Teil neuartigen Bedingungen gewidmet, unter denen die Rechtsprechung in der Informations· und Kommunikationsgesellschaft operiert. Ausgangspunkt ist hier die Überlegung, daß in den staatlich organisierten Rechtssystemen der modernen Gesellschaft weder dem Recht noch der Rechtsprechung zentrale Steuerungsfunktionen nach Art eines sogen. Judizentrismus zukommen, doch wäre es verfehlt, der Rechtsprechung deswegen einen bloß peripheren rechtspraktischen Stellenwert zuzuweisen. Ganz im Gegenteil! Dem Verf. ging es hier vor allem darum, fern jeder vordergründigen Polemik und ganz im Sinne der zeitgenössischen normativen Kommunikationstheorie, einer soziologischen Jurisprudenz und der Theorie und Soziologie des Rechts die normativen Funktionen der Rechtsprechung einer rechtsrealistischen Deutung und Rekonstruktion der von ihr regulierten sozialen Lebensverhältnisse zuzuführen. Die vom Verf. angestellten Studien wurden ermöglicht durch die Teilnahme an einem brasilianisch-deutschen Austauschprogramm. Seine Arbeit war von Anfang an getragen von dem Bestreben, sich bei der - fachsystematisch heterogenen - Erforschung der Grundlagen des modernen Rechts nicht von irgendwelchen, bei manchen Untersuchungen nicht eben selten im Vordergrund stehenden, „esoteri-

Vorwort

XI

sehen" Zügen eines Rechts in Übersee leiten zu lassen oder von Spekulationen über einen vermeintlich bestehenden staatsrechtlichen Paternalismus o.ä. Im Zentrum standen mit Blick auf die Rechtssysteme der modernen westlichen Welt von vornherein Fragen der heute unerläßlichen rechts- und sozialwissenschaftlichen Theoriebildung, die seit geraumer Zeit das Verhältnis und die Forschungen brasilianischer und deutscher Juristen und Rechtstheoretiker nachhaltig bestimmt haben. Die vorliegende Untersuchung, die von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster als Dissertation angenommen wurde, ist das Ergebnis eines über Jahre hinweg geführten Dialogs und einer kritischen Auseinandersetzung mit den Lehren des kürzlich verstorbenen Soziologen Niklas Luhmann (1927 — 1998), vor allem mit seiner Theorie und Soziologie des Rechts. Meine Auseinandersetzungen mit Systemtheorie haben freilich auch gezeigt, daß es die soziologische Systemtheorie als gleichsam vorliegendes Fertigprodukt gar nicht gibt, sondern ein ganze Reihe von systemtheoretischen Angeboten, die sich - sei es als Methode der Systemanalyse, sei es als Theorie sozialer Systeme - in ganz charakteristischer Weise voneinander unterscheiden. Auch ist bei allen systemtheoretischen Bemühungen zu berücksichtigen, daß eine sozialwissenschaftliche, insbesondere eine soziologische Theoriebildung allein nicht ausreicht, um dem überaus vielschichtigen Phänomen des Rechts hinreichend Rechnung zu tragen. Beide Aspekte haben in meiner Untersuchung dazu geführt, die heute unerläßlichen normen- und rechtstheoretischen Überlegungen von vornherein in einem integrativen rechtsund sozialtheoretischen Ansatz miteinander zu verbinden. Was die Integration von Rechtstheorie mit Gesellschaftstheorie, insbesondere mit der Theorie sozialer Systeme angeht, so nimmt diese Untersuchung gewisse Denkanstöße auf, wie sie im Bereich der Normen- und Systemtheorie der Münster'sehen rechtstheoretischen Schule entwickelt wurden. Letztere wird hier natürlich nicht verstanden im Sinne der Bindung an ein inhaltliches Credo oder gar an ein normatives Programm. Vielmehr geht es um eine genuin rechtsrealistische Orientierung an gewissen, der Intention nach bestehenden, gemeinsamen Erkenntnissen und Tendenzen innerhalb der zeitgenössischen Forschungsrichtungen moderner Rechtstheorie. Sie haben sich, wie im Detail dargelegt wird, niedergeschlagen in der Konzeption einer neuen institutionalistischen Normen- und Handlungstheorie, insbesondere im Aufbau einer Theorie normativer Rechtskommunikation, die im übrigen in Einklang steht mit dem deutschen Rechtsrealismus. Mein besonderer Dank gilt dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD), der meinen Forschungsaufenthalt als Stipendiat in Deutschland (19941999) in großzügiger Weise betreut und nachhaltig gefördert hat. Sehr herzlich danken möchte ich meinem Doktorvater, Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Werner Krawietz und den Mitarbeitern an seinem Lehrstuhl für Rechtssoziologie, Rechts- und Sozialphilosophie: Frau Andrea Freund, Herrn Assessor Andreas Schemann und Frau Assessorin Dr. Petra Werner, sowie den Studentischen Hilfskräften Christian Busse und Christoph Dolle. Sie haben mich nicht nur freundlich aufgenommen, sondern durch ihre stete Hilfsbereitschaft auch meine diversen Vorhaben unter-

XII

Vorwort

stützt. Mein ganz herzlicher Dank gilt ferner dem früheren Rektor, Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wilfried Schlüter, der nicht nur den Forschungsaufenthalt in Deutschland ermöglicht, sondern auch durch seine unverwechselbare gentillesse geprägt hat. Beiden Professoren, die meine Studien und Forschungen an der Universität Münster begleitet haben, ist es zu danken, daß mein zusätzliches MagisterLegum-Studium (LLM. Münster) und der Promotionsstudiengang zügig durchlaufen werden konnten. Die Rechtswissenschaftliche Fakultät hat die vorliegende Dissertation als zu dem Kreis der besten gehörig ausgezeichnet; die Fördergesellschaft der Universität Münster verlieh dem Verf. den Harry Westermann-Preis für die beste Dissertation 1999. Herrn Professor Dr. jur. h.c. Norbert Simon, dem Geschäftsführenden Gesellschafter des Verlags Duncker & Humblot, schulde ich besonderen Dank dafür, daß er in großzügiger Weise meine Untersuchung durch Aufnahme in die „Schriften zur Rechtstheorie" gefördert hat. Es ist mir ferner ein lebhaft empfundenes Bedürfnis, allen denen herzlich zu danken, die darüber hinaus mein Leben im Alltag auf die eine oder andere Weise hilfreich begleitet haben. Ich erwähne zuvörderst meine Frau Martha, meine Familie, und viele Angehörige der brasilianisch-deutschen Welt, wie namentlich Prof. Dr. Helmut Feldmann, Martonio Barreto, Maria Claudia D'Alge, Angelo Roncalli Brayner, Inés Sampaio, Anna Elisabeth Junge, Michael Redbrake, Francisco de Assis Bonnro Vianna, Stephanie Dahn, Germao Batesta und denke auch an viele andere, die hier namentlich ungenannt bleiben. Fortaleza, Brasilien, im Herbst 2000 Paulo Antonio de Menezes Albuquerque

Inhalt

Erster Abschnitt Recht und Rechtsprechung als normative Institutionen und soziale Systeme

§ 1 Recht als Struktur der modernen Gesellschaft

1

1

1. Integrationsfunktionen des Rechts

1

2. Rechtsrationalität und Rechtsprechung

7

3. Rechtsgewinnung im Einzelfall als institutioneller und systemischer Prozeß

§ 2 Positivität des Rechts, Rechtssystem und Rechtsprechungssystem

12

15

1. System und Systembildung im Recht

15

2. Positivität und Rechtsgrundlagen juridischer Entscheidungen

21

3. Dynamik der Rechtsgeltung

24

§ 3 Rechtsprechung als normative Kommunikation und Entscheidung

30

1. Organisatorische Aspekte der Rechtsentscheidung

30

2. Operative und strukturelle Spielräume der normativen Kommunikation von Recht

37

3. Modale Formen und Verfahren der Gewinnung von Recht im Einzelfalle

40

XIV

Inhalt Zweiter Abschnitt Verhältnis von Politik, Rechtsstaat und Rechtsprechung

§ 4 Gesellschaftliche und staatliche Basis des Rechts

44

44

1. Verfassung als Ausdruck der Autoritätsstruktur der Rechtsordnung

44

2. Rechtsstaatsprinzip und Rechtsstaatlichkeit

50

3. Formalität des Rechts und Variabilität der Rechtspraxis

53

§ 5 Beziehung von Politik und Recht als Grundlage der Rechtsprechung

58

1. Rechtsgewinnung als arbeitsteiliger Vorgang

58

2. Begründung und Legitimation richterlicher Entscheidungen

66

3. Moralische Legitimität als Zusatzbegründung des Rechts?

69

§ 6 Rechtsprechung in verfassungs- und rechtsstaatlich organisierten Systemen - peripher oder zentral?

72

1. Soziale Funktionen der Rechtsprechung

72

2. Aufgaben der Judikative - juristische Entscheidung oder operativer Ausgleich von Konflikten?

79

3. Demokratisches Credo, Verfassungsstaat und Rechtssouveränität

81

Dritter Abschnitt Kontingenz, normative Strukturen und Autonomie der Rechtsprechung im staatlich organisierten Rechtssystem

§ 7 Normativität und Eigenständigkeit der rechtsprechenden Funktion

86

86

1. Setzung normativer Maßstäbe durch die Rechtsprechung

86

2. Anschlußfähigkeit von Normen und Entscheidungen und rechtliche Begründungspflicht

91

3. Rechtskonkretisierung oder Richterrecht?

96

Inhalt § 8 Grundrechte und ihre verfassungsrechtliche Institutionalisierung - eine dung" gegen den staatlichen Machtmißbrauch?

XV „Erfin-

102

1. Rechtssouveränität und individueller Rechtsschutz

102

2. Systemische Funktionen der Grundrechte

104

3. Rechtsnormative Wertsetzung und institutionelle Grundrechtsgarantien

106

§ 9 Juridische Interpretation und Freiheit des Richters

110

1. Theoretischer Zugang zur Rechtskommunikation

110

2. Normative Rechtfertigung versus kognitive Erkenntnis?

113

3. Rechtsprechung und Rechtstheorie als Theorie der Interpretation und AnwendungvonRecht

118

Schrifttumsverzeichnis

121

Personen- und Sachwortverzeichnis

149

Erster Abschnitt

Recht und Rechtsprechung als normative Institutionen und soziale Systeme § 1 Recht als Struktur der modernen Gesellschaft 1. Integrationsfunktionen des Rechts Das Recht ist heute ein so selbstverständlicher Bestandteil des modernen Lebens, daß die Frage nach seiner sozialen Funktion nicht selten als überflüssig angesehen wird. Es erscheint in der Tat kaum möglich, an soziale Gestaltungen zu denken, die nicht auf dem Recht basieren oder zumindest rechtliche Konsequenzen mit sich bringen. Die Art und Weise, wie das Recht als ein notwendig soziales Element und Merkmal wahrgenommen wird, sagt viel aus über das erreichte Niveau der gesellschaftlichen Organisation und über die Fähigkeit zur sozialen Zusammenarbeit. Komplexer konstituierte Gesellschaften tendieren gewöhnlich dazu, dem Recht eine tragende Rolle einzuräumen. Es geht also darum zu erklären, wie man dazu gelangen konnte, das Recht als eine Selbstverständlichkeit zu verstehen und welche Voraussetzungen und Implikationen erfüllt sein müssen, damit dies geschieht. Schon in den alltäglichen Weltsichten und sprachlichen Konstrukten erscheint das Recht als eine wichtige Kommunikationsform. Dies ist auch dann der Fall, wenn keine eindeutige Kenntnis vorherrscht oder derartige Einsichten allenfalls in einer unreflektierten Weise vorkommen. Trotzdem ist deutlich, daß die gängigen sozialen Wahrnehmungen zugleich Elemente einer Tradition enthalten und wiedergeben, die an eine weit zurückliegende römische Rhetorik und Kunst (ars, techne) der überlieferten Jurisprudenz (iuris prudentia) anknüpfen.1 Sie agieren auf diese Weise als eine Art kollektives Bewußtsein, das sich als dynamisches Zusammenleben von unterschiedlichen, ständig neuen Kombinationen rechtlicher Formen entfaltet. Die Offenheit derartigen Argumentierens erscheint als ein notwendiger Bestandteil jedes modernen Rechtssystems, in dem Kontaktpunkte des „offiziellen", 1

Mario Bretone, Geschichte des römischen Rechts von den Anfängen bis zu Justinian, München 1992, S. 23; Dieter Wyduckel, Die Herkunft der Rechtsprechung aus der Jurisdictio, in: Norbert Achterberg (Hrsg.), Rechtsprechungslehre, Köln/Berlin/Bonn/München 1986, S. 247-270, 249 ff.; Gino Gorla, Giurisprudenza, in: Enciclopedia del Diritto, Bd. XIX, Varese 1970, S. 489-510,493, 498. 2 Albuquerque

2

§ 1 Recht als Struktur der modernen Gesellschaft

staatlich geformten Rechts mit anderen sozialen Formen zusammengeführt werden.2 Dabei liegt der maßgebende Aspekt des modernen Rechts in seiner Fähigkeit, normative Muster und Modelle als eigenständige Formen (Verfassungen, Gesetze) zu generalisieren, um die Gesellschaft selbst zu überformen und inhaltlich bestimmen zu können. Dem Recht obliegt die Erhaltung kongruent generalisierter Erwartungen, d. h. die Sicherung normativer Projektionen, die für alle Teilnehmer eines Rechtssystems in bestimmten Situationen gelten. Das geschieht, indem die Erwartungen von ihrem konkreten Ausgangspunkt in Einzelfällen in zeitlicher, sachlicher und sozialer Hinsicht auf eine Vielzahl von Fällen erstreckt und unter Berücksichtigung der jeweiligen dimensionalen Grenzen3 miteinander kombiniert werden. Dadurch werden die Ungenauigkeiten und Mängel von individuellen Erwartungen, die als solche nur eine begrenzte Tragweite besitzen, als rechtliche Einrichtungen sozial vermittelt und erforderlichenfalls kompensiert. Zugleich erfahren die potentiell auftretenden Konflikte zwischen den Individuen eine Entschärfung oder unterliegen einer gewissen Steuerung. Retrospektiv gesehen, scheint dieser Entwicklung ein relativ einfaches, klares Schema der Dichotomisierung (Recht /Nicht-Recht, Recht/Unrecht usf.) zugrunde zu liegen. Man darf diese Entwicklung aber weder herunterspielen noch idealisieren, etwa indem man sich vorstellt, daß das Recht nur „entdeckt" zu werden bräuchte. Tatsächlich besteht diese Umstellung zu einem modernen, abstrakteren Recht aus der Kumulation vieler kleiner Schritte, die zusammen einen eher unwahrscheinlichen Effekt des Ganzen hervorgerufen haben. Es gibt also keine einfache, geradlinige, gleichsam unilineare kausale Entwicklung und Darstellung dieses Prozesses. Deshalb gilt der funktionale Vergleich mit früheren, einfacheren gesellschaftlichen Formen als ein möglicher Zugang, die Rationalitätssteigerungen zu analysieren, unter Umständen als evolutionäre Errungenschaften zu deuten und alle derartigen Beobachtungsgewinne für die heutigen Gesellschaften nutzbar zu machen. Man kann bereits in der Antike beobachten, inwieweit das Recht von anderen Instanzen (Religion, Familie) abhängig war und nach den Bedürfnissen einer gemeinschaftsorientierten Wirtschaft bestimmt und gesteuert wurde. Die Idee einer autonomen, höchst variablen Rechtsordnung, wie wir sie heute kennen, stand nicht zur Verfügung. Dennoch konnte die Rechtsordnung eine relativ hohe Komplexität aufweisen. Sie war aber - im Vergleich mit den modernen Gesellschaften - durch auffällige organisatorische Mängel gekennzeichnet. Nur in funktional ausdifferenzierten Gesellschaften, in denen schon eine staatliche Organisation der Macht und eine entsprechende Mobilisierung zur Verfügung standen, die die große Mehrheit 2 Eingehend hierzu: Niklas Luhmann, Ausdifferenzierung des Rechtssystems, in: ders., Ausdifferenzierung des Rechts, Frankfurt am Main 1981, S. 35-52, 38, 39. 3 Vgl. Niklas Luhmann, Rechtssoziologie, 3. Aufl., Opladen 1987, S. 98 ff., der die „natürliche Inkongruenz der General isierungsmechanismen" hervorhebt.

1. Integrationsfunktionen des Rechts

3

der Bevölkerung umfaßten, konnte eine Art von Recht entstehen, das nicht bloß kasuistisch funktionierte. 4 Erst nach und nach vermochten sich die Institutionen des Rechts in Richtung einer Kontrolle der Machtausübung einzurichten. Dies hatte eine Steigerung der Komplexität des Rechts in Form unterschiedlicher Ausprägungen von Sanktionsmechanismen zur Folge. Sie wurden weiter ausgedehnt und verbreitet, indem verstanden als Voraussetzungen der diversen Sanktionierungen - verschiedene Normierungsformen entwickelt wurden, die eine Stützung durch die Idee der Gleichmäßigkeit oder Rachekompensation nicht mehr benötigten. Auf die Dauer führte dies zu dem Bedürfnis nach einer immer spezialisierteren Kenntnis des Rechts und einem entsprechend trainierten, beruflich kompetenten Personal. Selbst die Nichtbeachtung von Vorschriften des geltenden Rechts gewinnt einen neuen Status. Sie kann sich fortan auf kalkulierbare Haltungen gegenüber der Rechtsordnung beziehen, ohne letztere strukturell zu ändern oder ihre Autonomie gegenüber anderen sozialen Formen menschlichen Verhaltens zu gefährden. Es wirkt hier vor allem die immanente Inanspruchnahme der staatlichen Sanktion, die nicht mehr - wie bei früheren Gesellschaftsformen - von der gesamten Gemeinschaft der Individuen oder von magischen, transzendentalen Autoritäten und Entitäten behauptet wird, sondern von geschichtlich-konkreten, gesellschaftlich auf Dauer gestellten rechtlichen Institutionen getragen und ausgeführt wird. Und wenn es auch paradox aussehen mag: Es entsteht auf diese Weise kein Primat der Gewalt, sondern eine neue Art sozialer Logik, die die Darstellung und Vorstellung der Gesellschaft von sich selbst mitprägen wird. Die reine Gewalt bleibt - strukturell gesehen - eine nicht vorhersehbare und nicht berechenbare unproduktive Vorkehrung, die Unsicherheit mit sich bringt und deshalb mit Mitteln des Rechts gezähmt werden muß.5 Im Gegensatz zu früheren, segmentär organisierten Gesellschaften oder zu vorneuzeitlichen Rechtskulturen entwickelt die moderne Gesellschaft Funktionssysteme, die sich in ihrem Verhältnis zueinander verselbständigen, wie Beruf und Familie, Wirtschaft und Kultur, Religion und Politik.6 Damit werden 4

Heute besteht Einigkeit darüber, daß erst seit der Gesellschaft Roms von solchen Tendenzen zu sprechen ist. So Talcott Parsons, Gesellschaften. Evolutionäre und komparative Perspektiven, Frankfurt am Main 1975, S. 12, 48. Der Autor bemerkt aber: „... das römische Imperium entwickelte keine zureichend integrierte gesellschaftliche Gemeinschaft, und es gelang ihm nicht, alle großen ethnischen, territorialen und religiösen Gruppen im Hinblick auf eine einzige, primäre, für die gesamte Gesellschaft und noch über der Autorität der Regierung Roms stehende normative Ordnung zu integrieren" (ebd., S. 49). 5 Dies wird schon in neuzeitlichen Werken wie beispielsweise denjenigen von Thomas Hobbes deutlich. Die Metapher des Leviathan deutet auf die Tatsache hin, daß selbst die soziale Bezugnahme auf die Gewalt andere Wege einschlagen muß. Eine historische evolutionäre Perspektive wird von Kurt Röttgers, Andeutungen zu einer Geschichte des Redens über die Gewalt, in: Ottheim Rammstedt (Hrsg.), Gewaltverhältnisse und die Ohnmacht der Politik, Frankfurt am Main 1974, S. 157-234, eingenommen. 6 Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 3. Aufl., Frankfurt am Main 1993, S. 96. Eine ausführliche evolutionistische Betrachtung bietet ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1997, S. 707 ff. 2*

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§ 1 Recht als Struktur der modernen Gesellschaft

neue, unüberschaubare Möglichkeiten von Eingriffen in die Natur geschaffen, ökonomisches Wachstum zu fördern, oder einfach die Möglichkeit, neue Lebensformen und Lebensstile zu führen. Aus diesen reichen Möglichkeiten für Interdependenzen und Interaktionen zwischen den sozialen Bereichen entstehen für das Funktionssystem Recht auch Bedingungen, die es ihm ermöglichen, die eventuellen Friktionen, die aus der Nichterfüllung von Normen resultieren, entweder durch die üblichen sekundären Mechanismen der Erhaltung normativer Erwartungen (Verschiebung, Übersehen oder Verneinen der Situation etc.) zu kanalisieren oder durch andere, spezifisch rechtliche Einrichtungen bearbeiten zu lassen. Das Individuum lernt, auf seinen Erwartungen zu beharren, auch wenn sie häufig nur auf einer rhetorischen Ebene verbleiben,7 und dies wird durch die Unübersichtlichkeit der rechtlichen Praxis auch irgendwie bekräftigt. Auf dem Niveau primärer sozialer Beziehungen wird das Beharren auf den eigenen Erwartungen durch die Einrichtung von sogenannten Referenzgruppen unterstützt, in denen das Individuum seine Identität am besten pflegen und vor der Anonymität und Indifferenz der Massengesellschaft schützen kann. Aber nur die rechtlichen Normen und ihre entsprechenden juridischen Apparaturen machen es möglich, eine Integration der verschiedenen sozialen Schichten und Gruppierungen auf ein abstrakteres Niveau zu bringen.8 Die Universalität des modernen Rechts macht es gleichzeitig höchst unwahrscheinlich, sich von unerwünschten Situationen gänzlich zu lösen und einfach an neue Gemeinschaften anzuschließen, die möglichst frei von bindenden, territorial fixierten Rechtsbestimmungen sein müßten. Der historische Prozeß der Autonomisierung des Rechts deutet konkret auf Beziehungen, die in bestimmten, durch eigene kulturelle Charakteristika gekennzeichneten Gesellschaften vorkommen. Diese Vielfalt verhindert es aber nicht, in allen Rechtsordnungen die Existenz normativer " Entlastungsmechanismen" vorzusehen. Sie dienen dazu, Zeit- und Energieaufwendungen für die Auswahl von Handlungen zu ersparen. Das Recht wirkt insoweit als eine normative soziale Struktur des menschlichen Erlebens und Handelns.9 Indem derartige normative 7 In den sogenannten Wachstumsgesellschaften, in denen ein Anspruch auf Rechtsänderungen herrscht, ohne daß es Möglichkeiten gibt, sie für alle zu erfüllen, folgt hieraus, daß das „Gesellschaftssystem infolge starker funktionaler und struktureller Differenzierung ein Übermaß an inkompatiblen Steigerungserwartungen produziert, die in der Zukunft erst reduziert und kombiniert werden müssen ... Die Selektion selbst wird in die Zukunft verschoben." Niklas Luhmann, Die Funktion des Rechts: Erwartungssicherung oder Verhaltenssteuerung, in: ders., Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Frankfurt am Main 1981, S. 73-91, 84. 8

Selbst die »Außenseiter" beziehen sich auf die rechtliche Ordnung in dem Maße, wie das Negieren der Norm auch eine Form ihrer Behauptung darstellt. Integration ist insoweit mit Luhmann eine Art Hinweis, wie man »Personen vorsieht und ihnen Plätze zuweist, in deren Rahmen sie erwartungskomplementär handeln können". Vgl. ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 6), S. 621. Voraussetzung dafür ist, daß eine minimale, effektive Chance an aktiver Teilnahme an den Institutionen und an der Inanspruchnahme von Rechten existiert. 9

Luhmann, Rechtssoziologie (FN 3), S. 8.

1. Integrationsfunktionen des Rechts

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Einrichtungen die Disponibilität des Rechts selbst begrenzen, werden zugleich weitere neue Kombinationsformen seiner Elemente geschaffen oder doch ermöglicht - selbst aus einem Vorrat „überholter" Normen können immer noch neue Deutungen abgeleitet werden.10 Deshalb liegt zwischen den geschichtlich getroffenen Unterscheidungen, wie derjenigen zwischen dem Normwiderspruch als solchem und der konkreten Person, die in unterschiedlichen sozialen Rollen tätig werden, unter Umständen ein großer, entscheidender evolutionärer Sprung.11 Die Abstraktion von konkreten Individuen und ihren Interessen drückt sich aus in den konzeptuellen, innersystematisch bearbeiteten Kategorien des Rechts, die die formell-abstrakten Rechte, Kompetenzen, Gebote, Verbote etc. näher charakterisieren. Diese Unterscheidungen kommen als bestimmende Züge des modernen Rechts vor. 12 Sie stehen als evolutionäre Errungenschaften in einem gewissen Kontrast zu ihrem von der modernen dogmatischen Lehre angegebenen, vermeintlich notwendigen Charakter. Die so gewonnene Anonymität und fehlende Persönlichkeit gegenüber den in „face-to-face"-Beziehungen involvierten Individuen mag kalt und unmenschlich wirken. Sie stellt jedoch eine unverwechselbare neue Dimensionen rechtlicher Freiheit dar. 13 Tatsache ist, daß dieses Abstraktionsvermögen ein großes Potential für die Einschließung unterschiedlicher Elemente in allgemeine Muster bildet. Dies ist nur möglich in Gesellschaften, in denen frühere Formen der Religion, Wirtschaftsoder Machtorganisation als überholt angesehen werden. Die konkreten Rechtsentscheidungen gewinnen infolgedessen eine wachsende Unabhängigkeit. Als historisches Szenario für die Evolution von Recht traten vor allem die europäischen Gesellschaften auf. In ihnen entwickelte sich seit der Neuzeit ein politischer Schutz gegen absolutistische Regierungen, an den später auch die Erzeugung neuer, dynamischer wirtschaftlicher Beziehungen anknüpfen konnte. Die politischen Umwälzungen, die mit den Machtübergängen assoziiert waren, konnten sehr weitgehend in friedlichen Formen abgewickelt werden, nämlich dadurch, daß das Recht als eigenständig vorausgesetzt werden konnte. Die von außerrechtlichen 10 Eine wichtige Stütze für dieses Geschehen liegt darin, daß die Entstehung von Normen eine Art Kompensation für „unangenehme Erfahrungen" darstellt: Gerade wegen der Nichterfüllung im Rahmen des faktisch Möglichen entsteht sie als Norm und wird als solche beibehalten. 11 So versteht Theodor Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, 4. Aufl., Berlin 1987, S. 116, das Prinzip der Talion als Bruch mit früheren Formen des persönlichen, individualisierten Sanktionierens. Ebenso Niklas Luhmann,, Evolution des Rechts, in: ders., Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1993, S. 239-296, 262. 12

Luhmann, Evolution des Rechts (FN 11), S. 263. Es bedarf freilich der Vermittlung durch rechtliche Formen und Konstrukte (oder selbst fungierende Fiktionen), wie man im Rahmen des Zivilrechts sehen kann, wo mit der Figur des Vertrags keine unbegrenzte Freiheit des Individuums zugestanden wird, sondern es als Rechtssubjekt erscheint, d. h. als jemand, der zu einer bestimmten Rechtsordnung gehört und deshalb an ihre normativen Vorkehrungen und an die laufenden Kommunikationsprozesse gebunden ist.

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§ 1 Recht als Struktur der modernen Gesellschaft

Kriterien bestimmte politische Ordnung wurde ersetzt durch eine formelle, selbstreferenziell konstituierte normative Ordnung des Rechts, deren politisches Gegenstück in der Existenz eines staatlich konsolidierten Territoriums und der hier anknüpfenden Ausübung von Kompetenzen erblickt wurde. Der entscheidende Wendepunkt war die Trennung von kanonischem und staatlichem Recht.14 Sie stellte die Basis für die zukünftige Unterscheidung von individuellen Rechten dar, die als status negativus gegenüber dem Staat gerechtfertigt werden können. Das soll nicht bedeuten, daß alle Elemente früherer sozialer Formen abgeschafft wurden oder daß im heutigen Recht keine persönlichen oder punktuellen, fallweise gewonnenen Entscheidungkriterien existieren können. Sie sind aber entweder evolutionär überholt und als längst überwundene Errungenschaften anzusehen, die funktional keine Rolle mehr spielen und im Rahmen des Rechtssystems nur einen marginalen Stellenwert besitzen, oder sie verbleiben als rhetorisches Instrument juridischer Argumentation unter Umständen in einem latenten Zustand. Jedenfalls gibt es sonst kein Hindernis für die Aufnahme früherer Rechtsformen, wenn eine interpretative Umgestaltung erfolgt, die sie den Regeln des aktuellen Rechtssystems unterordnet. Insoweit kann man sagen, daß es kein „reines Recht" gibt.15 In eben dieser Richtung erlangt die Institutionalisierung rechtsnormativer Erwartungen eine besondere Form als Interaktionssystem, das Verfahren. 16 Soziologisch gesehen, stellt es eine Entfaltung der in vorneuzeitlichen Gesellschaften schon bestehenden Figur des „unbeteiligten Dritten" dar, 17 d. h. ein Beobachter 14

Eine historische Analyse dieses Prozesses bietet Harold Berman, Recht und Revolution. Die Bildung der westlichen Rechtstradition, Frankfurt am Main 1991. Auch der brasilianische Jurist Raymundo Faoro hatte in Anlehnung an das Werk des portugiesischen Historikers Alexandre Herculano über das mittelalterliche Portugal schon gezeigt, wie das römisch-kanonische Recht bewußt uminterpretiert wurde, um der Macht den Weg der Autonomie zu bahnen und das Land Portugal als das erste in Europa mit einer hochentwickelten, von nichtfeudalen Zügen geprägten, staatlichen Struktur zu charakterisieren, in: Os donos do Poder. Formaçâo do patronato politico brasileiro, Bd. 1, 9. Aufl., Säo Paulo 1991 (1. Aufl. 1957), S. 12 ff., 18 ff. Dies führte gleichwohl nicht zu einem hoch ausdifferenzierten gesellschaftlichen System, sondern zu einer besonderen, noch familistisch geprägten und am Grundeigentum orientierten Form der Modernisierung - dem patrimonialistischen Staat, in dem die Rolle des persönlichen Einflußvermögens und das politische gegenseitige Gefalle zwischen den „Ständen" einen fundamentalen Faktor darstellte. Bei Gesellschaften, die nur partiell integriert sind, geht diese Tendenz bis zur Beeinträchtigung der Systemdifferenzierung, die sich im Verhältnis von Wirtschaft, Politik und Recht widerspiegelt. Siehe Marcelo Ν eves, Verfassung und Positi vi tät des Rechts in der peripheren Moderne. Eine theoretische Betrachtung und eine Interpretation des Falls Brasilien, Berlin 1992, S. 76 ff. Der Autor sieht die verfassungsrechtlichen Institutionen teilweise reduziert auf bloß symbolische Funktionen, die die Feststellung einer planmäßigen Zukunft behindern. Dafür benutzt er das Konzept einer Unterscheidung von Zentrum und Peripherie. Wir werden auf dieses Thema in § 6 zurückkommen. 16

Luhmann, Legitimation durch Verfahren (FN 6), S. 44 ff. Eine anthropologische Betrachtung der Rechtsprechungsfunktion in einfachen Gesellschaften bietet Andrea Holtwick-Mainzer, Der übermächtige Dritte. Eine rechtsvergleichende Untersuchung über den streitschlichtenden und streitentscheidenden Dritten, Berlin 1985. 17

2. Rechtsrationalität und Rechtsprechung

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tritt auf, der die Situation aus einer anderen, vermutlich auf kollektiven Interessen basierenden Position beurteilen kann. Wie bei allen anderen Evolutionsprozessen ist die Ausdifferenzierung von Verfahren durch Umwege und Diskontinuitäten geprägt. Obwohl selbst dann, wenn eine Gerichtsbarkeit errichtet wurde, es keine Garantie dafür gab, daß das Rechtssystem allein durch gerichtliche Entscheidung zunehmend an Rationalität gewinnen könne,18 markiert der Anschluß an richterliche Vorkehrungen und die Ausdifferenzierung von Gerichten dennoch eine neue Etappe. In ihr wirken die rechtlichen Veränderungen eher stabilisierend, statt soziale Umwälzungen zu provozieren.

2. Rechtsrationalität und Rechtsprechung Aus den in allgemeinen Zügen beschriebenen Merkmalen des modernen Rechts mag man folgern, es sei heute längst geklärt, daß seinen Rationalitätsvorstellungen und Überlegungen praktische, mit Bezug auf eine konkrete soziale Ordnung angestellte Tätigkeiten und Entscheidungen zugrunde liegen.19 Das ist aber durchaus nicht immer der Fall: In der theoretischen Betrachtung herrscht noch ein Einfluß von naturrechtlichen und positivistischen Konzeptionen, die einen Zugang zu den sozialen Prozessen erschweren. Dazu sind noch linguistische und diskursive Strömungen gekommen, die unterschiedliche Information und Kenntnisse einbeziehen und dadurch die Unübersichtlichkeit der Theorieangebote vergrößern. 20 Dies führt dazu, daß die rechtsdogmatischen und rechtstheoretischen Perspektiven nicht selten miteinander in Konflikt geraten, so daß die Desorientierung noch zunimmt. Indem sie eine apriorische, d. h. erfahrungsunabhängige Definition des Rechts fordern und befürworten, übersehen diese tradierten, aber wissenschaftlich schon überholten Sichtweisen und Tendenzen die effektiven sozialen Strukturen, in denen das Recht operiert. Ein derartiges Vorgehen steht auch nicht im Einklang mit der innerhalb der Dogmatik hoch entwickelten Fähigkeit an Komplexitätsbearbeitung, technischen Verfeinerung und mit den Möglichkeiten des Einblicks in die rechtspolitischen Zusammenhänge, in denen die Juristen ihre unterschiedlichen Aufgaben erledigen. Statt dessen bevorzugen sie Rechtsperspektiven, die entweder aus 18

Luhmann, Ausdifferenzierung des Rechtssystems (FN 2), S. 36. Im folgenden wird zwischen Rationalität (traditionell verstanden als Begründung von Rede und Handlung) und der mehr an soziale Arbeitsteilung und wirtschaftliches Wachstum gebundenen Rationalisierung unterschieden. Dabei darf man nicht das Zusammenspiel beider verkennen, wie auch das Verhältnis, das zwischen ihnen und den irrationalen Elementen des Handelns besteht. Siehe dazu Ota Weinberger, Rationales und irrationales Handeln, in: Friedrich Kaulbach/Werner Krawietz (Hrsg.), Recht und Gesellschaft. Festschrift für Helmut Schelsky zum 65. Geburtstag, Berlin 1978, S. 721 -744. 20 Werner Krawietz, Vernunft versus Rationalität des Rechts? Zur Theoriebildung in der Rechtswissenschaft, in: Herbert Haller/ Christian Kopetzki/ Richard Novak/Stanley L. Paulson /Bernhard Raschauer/Georg Ress/Ewald Wiederin (Hrsg.), Staat und Recht. Festschrift für Günther Winkler, Wien/New York 1997, S. 515-540,521,534.

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der „Menschennatur"21 oder aus Bemerkungen analytisch-methodologischer Art hergeleitet werden. Die auf diese Weise hervorgerufenen hermeneutischen Vorkehrungen bringen nicht selten zusätzliche Verwirrung in das Verhältnis zwischen Rechtsdogmatik und Rechtswissenschaft. Sie ignorieren die unterschiedlichen Rationalitätsstandards und das beiderseitige „Rationalitätsgefälle" sowie die unterschiedlichen institutionellen Probleme. Aus diesen Überlegungen ergibt sich die Notwendigkeit, die Theorie des Rechts auf eine Auseinandersetzung mit den Formen der Produktion und Reproduktion des Rechts einzustellen, insbesondere mit denjenigen, die im Rahmen der Normativierungs- und Entscheidungsprozesse vorkommen. Die soziologischen Beiträge sind dabei einzuschließen, denn es ist offensichtlich, daß selbst die dogmatischen Figuren geschichtlich-gesellschaftliche Variationen kennen, wie ζ. B. bei der Rolle des Gesetzes, das im vorigen Jahrhundert als herrschendes, sozusagen ideologisches Instrument der Rechtsanalyse diente und inzwischen durch andere Rechtskonstrukte und Argumentationsformen zwar nicht ersetzt, wohl aber in bestimmtem Sinne substituiert und ergänzt wurde. 22 Die technischen Fortschritte und die wirtschaftlichen Verflechtungen haben auch zu neuen Perspektiven geführt, die ungeahnte Verknüpfungen zwischen privaten und öffentlichen Rechtsbestimmungen zutage gebracht haben.23 Alle diese Umstände belegen die These, daß die Schwierigkeiten, einen Überblick über das gesamte heute geltende Recht zu gewinnen, nicht nur kognitiver Art sind. Sie entsprechen der Vielfalt der sozialen Differenzierung. Deshalb hilft es wenig, wenn manche Rechtstheoretiker in ihren Analysen die Betonung auf die „Krise des Rechts", auf „Gewißheitsverluste" oder ein „mangelhaftes Bewußtsein" in der Rechtswissenschaft legen.24 Nicht, daß solche Forschungen ohne Interesse sind; aber sie tendieren dazu, weitere konzeptuelle Verfeinerungen einzuführen und die Inflation von Rechtstheorien noch zu steigern, ohne den gesamten Prozeß besser darstellen zu können. Gerade deshalb muß man eine Stütze der Rechtstheo21 Das Naturrecht hat hier eine wichtige politische Rolle gespielt. Heute spürt man diesen historischen Einfluß noch in der Menschenrechtserklärung und in der Entwicklung der Theorie der Grundrechte. Aber in Gesellschaften, die Defizite auf dem Felde der Rationalität des Rechts aufweisen, fungiert es oft als rhetorisches Kompensationsmittel gegen politische Mängel der demokratischen Institutionen und der stets prekären Autonomie des Rechts, vor allem im Vergleich mit anderen Faktoren wie Macht, der eigenhändigen Durchsetzung des Rechts etc. 22 Siehe Robert Weimar, Der Bedeutungswandel des Gesetzes, in: Werner Krawietz/Emst Topitsch / Peter Koller (Hrsg.), Ideologiekritik und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, RECHTSTHEORIE Beiheft 4, Berlin 1982, S. 241 -261. 23 Dazu der Bericht der Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, betr. die Bewahrung und Veränderung demokratischer und rechtsstaatlicher Verfassungsstrukturen in der internationalen Gemeinschaft, 1966, S. 1-104. 24 So Görg Haverkate, Gewißheitsverluste im juristischen Denken. Zur politischen Funktion der juristischen Methode, Berlin 1977; Ν. E. Simmonds, The Decline of the Juridical Reason, Manchester 1984.

2. Rechtsrationalität und Rechtsprechung

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rie in gesellschaftlichen Analysen suchen, um das Recht auf die Bühne gesellschaftlicher Prozesse zu bringen und es besser verstehen zu können. Tatsächlich basiert alles Recht in jeder Perspektive auf unterschiedlichen Interessen. Dem muß auch die Rechtstheorie von Denkansatz her Rechnung tragen.25 Sie müssen aber auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden. Dies geschieht, indem die Rechtstheorie auf die tatsächlich im Rechtssystem ablaufenden Operationen rekurriert. Eine sozialadäquate Sichtweise des Rechts kann diesem nur dann gerecht werden, wenn sie sowohl seine institutionellen (gesamtgesellschaftlichen Beziehungen) wie seine systemischen Züge (Zusammenspiel struktureller und funktioneller Bestandteile, die auf dem Bestehen immanenter Grenzen basieren) zu erklären vermag.26 Man benötigt dafür eine Rahmentheorie des Rechts, die die verschiedenen Ansätze zu koordinieren sucht auf der Basis eines „mehrperspektivischen Zugangs zum Recht".27 Auch muß sie in der Lage sein, die Eigentümlichkeiten der verschiedenen juristischen Disziplinen zu beachten.28 Damit wird die Dialektik zwischen „inneren" und „äußeren" Elementen des Rechtssystems angesprochen, die im Brennpunkt aller theoretischen Diskussion steht.

Manche Indizien und Indikatoren, die in Richtung einer umfassenden Theorie des Rechts weisen, stehen schon heute als Bauteile einer derartigen Theorie zur Verfügung. Sie erscheinen in der Betonung der Komplementarität zwischen den fachspezifischen, auf dem Rechtssystem basierenden Handlungen und Verhaltensweisen und denen, welche die Dynamik der sozialen Interaktion hervorheben. Dies wurde erstmals von den rechtstheoretischen Strömungen des deutschen Rechtsrealismus thematisiert, die seit dem letzten Jahrhundert durch Autoren wie Rudolf von Ihering und Max Weber nachhaltig beeinflußt wurden. Sie stellten eine Reaktion auf die Debatten über die Rolle des Gesetzes und die Wahl derrichtigenjuristischen Methode dar, die über die Schulen der Freirechtslehre, der Interessen- und Wertungsjurisprudenz und einer soziologischen Jurisprudenz weit hinausgingen. In dieser Perspektive stand die Annahme fest, daß die laufenden Prozesse der Rechtspraxis beobachtet und beschrieben werden können und sollten.29 Dies spiegelte 25 Bernhard Peters, Rationalität, Recht und Gesellschaft, Frankfurt am Main 1991, S. 34 ff. 26 Siehe Werner Krawietz, Ansätze zu einem Neuen Institutionalismus in der modernen Rechtstheorie der Gegenwart, in: Juristen-Zeitung 40 (1985), S. 706-714. Man darf natürlich diese Frage nicht rein abstrakt behandeln, sondern man muß jeweils sehen, mit welchen Strukturvorgaben in dem entsprechenden Bereich (des jeweiligen Subsystems) vorgegangen wird. 27 Martin Schulte, Recht, Staat und Gesellschaft - rechtsrealistisch betrachtet, in: Aulis Aarnio/Stanley L. Paulson /Ota Weinberger/Georg Henrik von Wright /Dieter Wyduckel (Hrsg.), Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit. Festschrift für Werner Krawietz zum 60. Geburtstag, Berlin 1993, S. 317-332, 325. 28 Werner Krawietz, Recht ohne Staat? Spielregeln des Rechts und Rechtssystem in normen- und systemtheoretischer Perspektive, in: Danilo Basta/Werner Krawietz /Dieter Müller (Hrsg.), Rechtsstaat - Ursprung und Zukunft einer Idee. Symposium zum 150jährigen Bestehen der Belgrader Juristischen Fakultät, RECHTSTHEORIE 24 (1993), S. 81 -133, 100 ff. 29 Zum Rechtsrealismus: Werner Krawietz, Juristische Entscheidung und wissenschaftliche Erkenntnis. Eine Untersuchung zum Verhältnis von dogmatischer Rechtswissenschaft

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§ 1 Recht als Struktur der modernen Gesellschaft

sich in großer Intensität im Rahmen der Rechtsprechung wider, indem - ablesbar am juristischen Methodenstreit - auf die Grenzen der Rechtsfindung und den wissenschaftlichen Status des Richters reflektiert wurde. 30 Parallel dazu wurde auch der Versuch unternommen, einen realistisch-soziologischen Ansatz im Rahmen des Institutionalismus zu begründen. Ursprünglich entwickelt von Autoren wie Hauriou und Santi-Romano , hat sich der Institutionalismus - zunächst dem Einfluß naturrechtlicher wie rechtspositivistischer Denkansätze folgend - seit der Mitte des 20. Jahrhunderts im Rahmen der eher restaurativen Denkschulen des Naturrechts und des Rechtspositivismus weiterentwickelt.31 Weil aber ihre Forschungsinteressen und methodischen Ansätze den charakteristischen Merkmalen des Rechts nicht immer gerecht wurden, entstand im Laufe der Zeit - wie der Fall des erneut „auferstandenen" rechtspositivistischen Institutionalismus erkennen läßt - ein nicht unerhebliches Theoriedefizit. 32 Andererseits gab es auch auf der Seite rechtsrealistischer Strömungen, beispielsweise im nordamerikanischen und im skandinavischen Rechtsrealismus, ähnliche Schwierigkeiten mit der Beziehung von Recht und Macht und im Hinblick auf die Reflexion der eigenen sozialen Voraussetzungen und Implikationen.33 Diese Umstände verhinderten zunächst, daß sozialadäquate realistisch-soziologische Perspektiven zur Behebung des Theoriedefizits einwickelt wurden, die einen Ersatz für die mehr analytisch-begrifflichen, vor allem sprach- und rechtsphilosophischen Theorien des Rechts hätten bieten können. Gerade gegenüber jener Art von bloß sprachanalytisch-begrifflicher Theoretisierung vermochten sich in diesem Jahrhundert gänzlich neue, aber gleichwohl genuin institutionalistische Rechtstheorien durchzusetzen, die Anschluß an die Werke von Max Weber, Helmut Schelsky, Torstein Eckhoff u. a. entwickelt wurden. Vor allem Schelsky versuchte, das Zusammenspiel zwischen Normorientierung und menschlicher Handlung und Normorientierung zu erfassen. Er stellte darauf ab, daß die juridische Rationalität „kein individuell-solitär kognitiver Akt ist, sondern in einem bewußt nach Regeln veranstalteten Rollenkonflikt juridischer Institutionen entsteht".34 Von dem klassischen Institutionalismus unterscheidet sich der und rechtswissenschaftlicher Grundlagenforschung, Wien/New York 1978, S. 115 ff.; Eugene Kamenka/Robert S. Summers/William Twining (Hrsg.), Soziologische Jurisprudenz und realistische Theorien des Rechts, Berlin 1986. 30 Siehe Regina Ogorek, Richterkönig oder Subsumtionsautomat? Zur Diskurstheorie im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1986, S. 197 ff. 31 Werner Krawietz, Zur Korrelation von Rechtsfrage und Tatfrage in der Jurisprudenz, in: Norbert Achterberg (Hrsg.), Rechtsprechungslehre, Köln 1986, S. 517-553, 531. 32 Krawietz, Ansätze zu einem Neuen Institutionalismus in der modernen Rechtstheorie der Gegenwart (FN 26), S. 709 ff. Für den Institutionalistischen Rechtspositivismus (IRP) siehe die Werke von Ota Weinberger und Neil MacCormick. 33 Krawietz, Juristische Entscheidung und wissenschaftliche Erkenntnis (FN 29), S. 125. 34 Helmut Schelsky, Die juridische Rationalität, in: ders., Die Soziologen und das Recht, Opladen 1980, S. 34-76,41.

2. Rechtsrationalität und Rechtsprechung

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Neue Institutionalismus, wie er heute von Krawietz, Petra Werner, Schemann, Schröder, Veddeler u. a., aber auch von Chanos und Gromitsaris vertreten wird, vor allem durch seine nachpositivistische Perspektive.35 Die Institutionen stellen aus seiner Sicht kein absolutes, vom ,Wesen des Menschen* abhängiges Muster dar, sondern sie eröffnen Möglichkeiten für das soziale Handeln und den gesellschaftlichen Wandel. Sie reagieren auf die Tatsache, daß es bei sozialen Verhaltensweisen keine feste inhaltliche Bestimmung mehr gibt.36 Sie stellen allenfalls eine „leitende Idee" sozial auf Dauer, die den Assoziierten gemeinsam ist. Dadurch werden die Möglichkeiten für weitere Veränderungen nicht beeinträchtigt, sondern bleiben offen. Wegen ihrer ihre unermesslichen Variationen sind Handlungen auf zentrale Strukturen, Prozesse und Funktionen angewiesen, die ihnen Sinn als Orientierung dienen und sozialen Sinn verleihen. Sie lassen sich aber weder epistemologisch ableiten noch wissenschaftlich begründen und rechtfertigen, sondern allenfalls von irgendwelchen politischen Bekenntnissen und Zielen her steuern und legitimieren. Diese Feststellung bildet bei Schelsky die Brücke zur systemischen Dimension des Rechts. Vom Standpunkt seiner Institutionen- und Systemtheorie erscheint das Recht im ständigen Kontakt zu anderen sozialen Systemen, wie Medien, Kunst, Wirtschaft, Politik etc. Die Rechtsrationalität hat deswegen Pluralitätscharakter. Dies wird vor allem im Zusammenhang der Erwartungen im Rahmen von Konflikten zwischen verschiedenen Rechten deutlich.37

35 Eingehend hierzu: Werner Krawietz, Recht als Information und Kommunikation in der modernen Informationsgesellschaft - Normen- und Handlungstheorien im Übergang, in: Jürgen Brand /Dieter Strempel (Hrsg.), Soziologie des Rechts. Festschrift für Erhard Blankenburg zum 60. Geburtstag, Baden-Baden 1998, S. 175-206, 189 f. 36 Werner Krawietz, Über die Fachgrenzen der Soziologie hinaus: Helmut Schelskys „transzendentale" Theorie von Recht und Gesellschaft, in: Ota Weinberger/Werner Krawietz (Hrsg.), Helmut Schelsky als Soziologe und politischer Denker, Stuttgart 1985, S. 12-22, 17. 37 Andererseits bleibt das Problem offen, das an der Beziehung zwischen „sozialer Realität" und den symbolischen Elementen des Rechts, die eben die Anpassung an die ständig neue Wertorientierungen veranlassen. Das schließt rechtliche Rationalität nicht aus, sondern ist, um mit Niklas Luhmann zu sprechen, typisch für die moderne Gesellschaft mit ihrer ständigen Differenzierung und Erweiterung verschiedener Funktionssysteme. Es war die Suche nach einen „zentralen Punkt" des Universums (Gott, der souveräne Herrscher), in dem die naturrechtlichen Konzeptionen gipfelten. Vgl. ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 6), S. 171 ff., 178. Der Autor setzt sich für die Relativierung dieses Rationalitätskonzepts ein, in dem die Systemrationalität die Beschreibungsmöglichkeiten der Differenz von System/ Umwelt umschließt - aber nur im System.

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§ 1 Recht als Struktur der modernen Gesellschaft 3. Rechtsgewinnung im Einzelfall als institutioneller und systemischer Prozeß

Unter diesen Aspekten kann man die Rechtsprechung durchaus als eine der wichtigsten Institutionen des modernen Rechts begreifen. In mancherlei Hinsicht steht sie heute - einmal abgesehen von den speziellen staatsrechtlichen Doktrinen des zeitgenössischen Verfassungsstaats - im Mittelpunkt der Rechtsbetrachtung. Dies geschieht vor allem in dem Maße, in dem sie zur Vermeidung und Lösung von sozialen Konflikten zu dienen vermag.38 Insoweit ist sie für jedes Rechtssystem konstitutiv, wie Jean-Louis Vullierme betont: „Une système de droit dépourvu des textes de loi est concevable . . . , aucune droit n'est possible sans jurisprudence". 39 Die Rechtsprechung richtet sich auf die methodisch angeleitete, zeitlich kontrollierbare Bearbeitung von Rechtsproblemen, die in enger Beziehung zur „Rechtskultur" und zur Dynamik der Institutionen einer Gesellschaft stehen. In der Tat: Von der alten, rechtspolitisch umfassenden römischen Form der Jurisdictio bis zur heutigen komplexen und arbeitsteilig organisierten gerichtlichen Kompetenzausübung hat die Rechtsprechung nur die Facette beibehalten, als letzte rechtliche Kontrolleinrichtung zu fungieren. Die dadurch geschaffene Verbindung zwischen „Makro"- und „Mikro"-Struktur, zwischen den allgemeinen Ordnungsbestimmungen und dem konkreten Fall mag den Anschein erwecken, daß sie eine kognitive Funktion des Rechts oder die Rolle eines „Richterkönigs" präjudiziert, kann aber nicht unabhängig von der Existenz von Entscheidungsprozessen und Entscheidungsakten analysiert werden, die es mit einer normativ organisierten teilweise abgestuften - Hierarchisierung und Kompetenzkoordination zu tun haben. Die Rationalität der Rechtsprechung drückt dieses Anpassungsbedürfnis aus. Sie bezieht sich zugleich auf die Bestrebungen und die Intentionen des gesellschaftlichen Subsystems Recht, seine permanente Fortsetzung unter allen Bedingungen zu betreiben.40 Methodisch hat sich dies seit Ende des vorigen Jahrhunderts in der Tendenz niedergeschlagen, für soziale und teleologische Überlegungen zu sorgen, aber auch in der Suche nach geeigneten, interpretativen „Canones". In gerichtlichen Verfahren zeigt sich dies konkret als eine ständige multireferenzielle, d. h. auf diverse Träger der öffentlichen (staatlichen) Gewalt gerichtete Bezugnahme von Normen und organisierten Prozessen. Sie formen ein unpersönliches, im zeitlichen Nacheinander voranschreitendes Verfahren zur Reduktion von normativ-faktischer Komplexität, das der Lösung des partikulären Falls dient. Dass Norbert Achterberg, Rechtsprechung als Staatsfunktion, Rechtsprechungslehre als Wissenschaftsdisziplin, in: ders. (Hrsg.), Rechtsprechungslehre, Köln 1986, S. 3-23, 7. 39 Jean-Loius Vullierme, L'autorité politique de la jurisprudence, in: Archives de Philosophie du Droit (1985), S. 95-103, 99, 100. Ein eindrucksvolles Beispiel für die auseinanderdriftenden Beziehungen zwischen Recht (Gerichtsbarkeit) und anderen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ereignissen und Funktionen während des Krieges zeigt Hans Wrobel, Verurteilt zur Demokratie. Justiz und Justizpolitik in Deutschland 1945-1949, Heidelberg 1989, S. 3.

3. Rechtsgewinnung im Einzelfall

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bei wird auch auf andere staatliche Funktionen rekurriert, wie beispielsweise auf das Zusammenspiel von Verfassungsgebung und Gesetzgebung. Vor allem zeigt sich dabei die Möglichkeit, daß in staatlich organisierten Rechtssystemen die Rechtsfälle und ihre Entscheidung nicht mehr an materielle »Ursachen* gebunden sind, sondern nach dem normativen Muster bestimmter Verhaltensprogramme und/oder Jurisdiktionsprogramme entschieden werden, unabhängig von den Ursachen, die dem Fall zugrunde liegen.41 Insoweit stellen die Kompetenzverteilung und die normativ programmierten Entscheidungen der Rechtsprechung (im Gegensatz zu den eher programmierenden Entscheidungen der Gesetzgebung) soziale Mechanismen dar, die durch wissenschaftliche Kritik auf einem bestimmten Niveau gehalten werden.42 Die Rechtsprechung gewinnt auf diese Weise eine relativ große Unabhängigkeit von Kriterien der Wahrheit, Legitimität etc., denn ausschlaggebend ist die Geltung/Nichtgeltung der jeweiligen Rechtsnormen. Die Ungewißheit bezüglich der Verfahrensergebnisse und die soziale Distanz des Richters gegenüber seiner eigenen Rolle innerhalb des Verfahrens werden so behandelt, daß sie - bestärkt durch soziale Mechanismen wie den richterlichen Entscheidungszwang und die institutionelle Gewährleistung einer nur begrenzten Folgenverantwortung - sich als operationelle Bedingungen des Rechtssystems darstellen. Sie begünstigen - verglichen mit der Dynamik anderer staatlicher Funktionen, wie der Legislative, Exekutive/Regierung und Verwaltung - eine zeitliche Verlangsamung des Entscheidungsgangs und dienen damit einer Kontrolle der Anpassungsbedürfnisse anderer sozialer Systeme. Wegen der Vielzahl möglicher Kontakte mit dem Subsystem der Rechtswissenschaft und den ihr zugrundeliegenden unterschiedlichen Niveaus der Rechtserkenntnis43 ist die Rechtsprechung genötigt, über das Recht zu reflektieren. Indem sie ihre soziale Funktion ausübt, die darin besteht, normative Erwartungen zu bestätigen oder zu negieren, macht sie sich (zumindest implizit) auch Rechtstheorien zunutze, die sie in den Stand versetzen, die Defizite der dogmatischen Lehren abzugleichen. Dieser Prozeß hält sich aber in Grenzen, wie es bei allen systemischen Reflexionen üblich ist, angesichts der bestehenden Immunität gegen Kritik, so vernünftig diese auch sein mag.44 Deshalb wird gegen reine Anerkennungstheorien angeführt, daß die Rechtsprechung auch dazu dient, Entscheidungen im Wege der 41 Werner Krawietz, On How to Accept a Legal Norm or a Legal Order and Different Rules of Recognition. Is a Reasonable Argumentation Legally Rational? In: Frank Fleerackers/ Evert van Leeuwen/Bert van Roermund (Hrsg.), Law, Life and the Images of Man. Modes of Thought in Modern Legal Theory, Berlin 1996, S. 521 -550,532. 42 Luhmann, Legitimation durch Verfahren (FN 6), S. 130-131. Auf der anderen Seite stehen die zweckprogrammierten Entscheidungen, die mehr nach wirtschaftlichen Rationalitätskriterien eingerichtet sind. 43 Siehe Krawietz, Recht ohne Staat? (FN 28), S. 100 ff., 107. 44 Luhmann, Legitimation durch Verfahren (FN 6), S. 131 ff.; ders., Kontingenzformel Gerechtigkeit, in: ders., Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1993, S. 214-238, 227 ff., 232, 236.

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Geltungserstreckung von generellen/individuellen Rechtsnormen fortzuführen, selbst wenn es dafür kaum Anerkennung gibt oder gar Widerstand geleistet wird, und dies selbst dann, wenn der Entscheidung eine ausreichende wissenschaftliche Begründung fehlt. Im Gegensatz dazu steht die leichter gewordene Möglichkeit der Abänderung von Entscheidungen.45 Für die Rechtsrationalität ist es schließlich entscheidend, die normativen Enttäuschungen insgesamt so gut zu verteilen, daß den Institutionen des Rechts bei dem laufenden gesellschaftlichen Wandel sozialer Verhaltensmuster mindestes eine in sich kohärente, organische Fassade erhalten bleibt. Die Rechtsprechung gilt nicht von ungefähr als eine wichtige Instanz, um die Darstellung normativer Erwartungen zu vermitteln und dadurch das soziale System als Ganzes zu stabilisieren.

45 Sie wird begünstigt durch die Möglichkeiten von Berufung, Revision oder andere Formen der Kassation von Entscheidungen. Insoweit werden die sozialen Konflikte durch Konflikte über die Darstellung institutioneller Prozesse bestimmt. Vgl. Peters, Rationalität, Recht und Gesellschaft (FN 25), S. 304.

§ 2 Positivität des Rechts, Rechtssystem und Rechtsprechungssystem 1. System und Systembildung im Recht Die Annahme, daß die Rechtsordnung systemischen Charakter besitzt, wurde oft in Verbindung gebracht damit, daß das Rechtsdenken ein hochentwickeltes Klassifikationsvermögen besitzt und deshalb imstande ist, in sein Begriffsgebäude auch feine und feinste Unterscheidungen aufzunehmen, die sekundär einen gesteigerten Systematisierungsbedarf zur Folge haben. Genau genommen, spricht dies aber nicht gegen die Variation des Systemkonzepts, das sich seit den relativ starren römischen Formeln der Rechtssprache im Verlaufe der Geschichte des Rechtsdenkens bis hin zu universellen philosophischen Gedankensystemen entwickelt hat. So kam es am Anfang der Neuzeit mit der Geburt der modernen Wissenschaft zu dem Bestreben, dem Recht durch das System eine Uniformität quasi naturwissenschaftlicher Art zuzuschreiben.1 Aber auch bei den traditionellen philosophischen Untersuchungen, die einen eigenen Zugang zu diesen Themen und Problemen haben, kam es nicht zu einer hinreichend präzisen begrifflichen Bestimmung des Systemkonzepts. Letzteres blieb ein Zusammenhang zwischen „Teilen" und einem holistisch verstandenen „Ganzen", dessen genauere Erklärung jedoch ausblieb, weil sie kognitiv nicht faßbar war. Die Kriterien für die Selektion von Recht und die hiermit korrespondierenden Systemvorstellungen blieben rein hermeneutisch-dialektischer Art, ohne als konkrete Operationen (Auswahl von Direktiven, Rechtshandlungen, Kommunikationen o. ä.) gedeutet zu werden. Anders der systemtheoretische Ansatz. Das Rechtssystem erscheint hier als ein sinnhaft geordneter Zusammenhang bzw. als eine Einheit von Normen und Handlungen oder normativ-faktischen Kommunikationen, die auf methodologisch kontrollierten Beobachtungen des sozialen Erlebens und Handelns basieren. Das Sy1 Das Systemkonzept hat - einer verbreiteten Meinung zufolge - seinen Ursprung in der Musiklehre und ist daraus in das Recht und später in die Philosophie übergegangen. Dabei drückte es die Suche nach einer Art „mathematischer" Harmonie aus, die man ungetrübt von „Diskontinuitäten", „Unstimmigkeiten" oder Widersprüchen glaubte aufzeigen zu können. In bezug auf das Recht kommentiert Mario Losano, Die elegante Hoffnung. Systembegriff und Systemdenken in der neueren Rechtsgeschichte. Hannoversche Vorlesungen 1997-98, Milano 1998, S. 2: „Die Geschichte des Systemdenkens in der Rechtswissenschaft ist also die Geschichte eines Strebens nach einem Ziel, das unerreicht blieb und sich trotzdem als durchaus fruchtbar erwiesen hat." Zur Genese des Systembegriffs im Recht vgl. ferner: Werner Krawietz, Recht als Regelsystem, Wiesbaden 1984, S. 50 ff., 65 ff., 74 f.

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stem wird als konkret existierend, d. h. als zur sozialen Realität gehörend angesehen. Die Direktiven und Normen, aus denen sich das Rechtssystem aufbaut, dienen der Produktion und Reproduktion des gesamten Rechtssystems. Letzteres wird charakterisiert durch die Differenz von System / Umwelt, die der Grenzziehung gegenüber anderen sozialen Systemen dient. Der Akzent wird dabei auf die Zurechenbarkeit der jeweiligen Operationen zum System gesetzt. Kognitive Selektionen stellen einen Typ von Operationen unter anderen dar, die zur Kommunikation im Rechtssystem gehören. Als elementare Einheit sozialer Systeme setzt die Kommunikation ihre eigenen " . . . Identitäten, Referenzen, Eigenwerte, Objekte ... - was immer die Einzelmenschen erleben, wenn sie damit konfrontiert werden" - fort. 2 Und die sozialen Systeme (Interaktionen, Organisationen) tun dies innerhalb der Besonderheiten und Eigenschaften der jeweiligen Regionalgesellschaften. Deshalb ist es überraschend für die Wissenschaft, wie es für die Rechtsdogmatik eine Binsenweisheit darstellt, festzustellen, wie die juridische Kommunikation über die nationalen Grenzen hinausgehen kann, ohne die Unterstützung einer im Rahmen der internationalen Ordnung des Rechts konsolidierten Weltgesellschaft zu besitzen - und dies bei steigender Komplexität der juristischen Fächer.3 Eine erste Überlegung, die sich daraus ableiten läßt, dürfte sein, daß die juristischen Konstruktionen nicht einfach auf rein wirtschaftliche oder sozial-politische »Ursachen' zurückgeführt werden können, denn es gibt im Rahmen der normativsinnhaften Geschichte des Rechts keine perfekte Deckung für kausale Erklärungen vom Typus „Unterbau-Überbau" oder gar point to pomi-Korrelationen - wie einflußreich die wirtschaftlichen Entwicklungen auch sein mögen. Schließlich haben die sozialen Systeme ihre eigene Dynamik und ihr eigenes internes Gefüge, wobei das Zusammenspiel zwischen „inneren" und „äußeren" Elementen und Faktoren nur nachträglich durch den Beobachter identifiziert und rekonstruiert werden kann.4 Jedes soziale System enthält also ein Maß an Selektivität der Beobachtung und trotzdem wird daraus normativer Sinn geschaffen. Tragende Säule sind dabei die Strukturen, die dem jeweiligen System sozialen Halt verleihen.

2

Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1997, S. 29. Zu den Schwierigkeiten, die darin bestehen, neue Institutionen aufzubauen, die geeignet sein könnten, die gesellschaftlichen Bedingungen und Umstände der sogenannten „Globalisierung" zu regulieren: Wolf-Dieter Narr/Alexander Schubert, Weltökonomie: die Misere der Politik, Frankfurt am Main 1994. Vgl. ferner: Niklas Luhmann, Die Weltgesellschaft, in: ders., Soziologische Aufklärung 2, Opladen 1975, S. 51-71, sowie ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 2), S. 806 ff. 3

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Die Bestimmung dieser Korrelation ist für Mary Douglas, Why Institutions Think, London 1987, S. 33, der Schwachpunkt der funktionalen Analyse. Aber dies betrifft vielleicht jeden Deutungsversuch, der die Gefahr einer Ontologisierung der verwendeten Kategorien nicht wahrnimmt. Wenn man diese Korrelation eher als Set von Operationen definiert, die das System ausmachen, läßt sich dieser Gefahr durchaus begegnen.

1. System und Systembildung im Recht

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Im Recht besteht ein Zusammenwirken von Rechtsnormen, Rechtsregeln, Direktiven und Normen, die den Verlauf der rechtlichen Kommunikation mitbestimmen. Auch individuelle Beiträge kommen dabei zur Geltung, denn das Rechtssystem schließt „das soziale System des Erlebens und Handelns" ein.5 Trotz struktureller Unbestimmheit6 lassen sich den Normen und Direktiven des Systems jedoch keine gänzlich willkürlichen Deutungen entnehmen, sondern alle rechtlichen/juristischen Deutungen zeigen eigene Ansprüche auf Kontinuität und rekursive Fähigkeit der Operationen. In diesem Sinne kann man von Recht als einem selbstreferenziellen System sprechen, in dem die Kriterien für den Aufbau seiner Elemente und Bestandteile dem System selbst entnommen und in ihm reflektiert werden.7 Auf dem ersten Niveau der Reflexivität, auf dem man gewöhnlich versucht, episodische, d. h. fallweise entstehende Rechtsfragen zu beantworten, kommt man falls sie überhaupt als Probleme identifiziert werden - meistens nicht sehr weit. Es erscheint überhaupt sehr schwierig, Fortschritte oder Veränderungen im Rahmen des Rechts zu identifizieren. Denn es geht dabei vor allem darum, sich von alten Erwartungen und Reaktionen zu lösen. Dazu kommen noch die Schwierigkeiten einer sozialadäquaten Deskription von Normierungen. Sie bestehen darin, daß das geschriebene" auch das „Beschreibende" hermeneutisch einschließt. Das neue Recht erscheint immer mit dem alten verflochten und wird vorangetrieben durch die autoreproduktiven Tendenzen normativer Haltungen. Deswegen bemerkt Krawietz, daß es sich im Rahmen der Rechtstheorie gewöhnlich gar nicht um »Revolutionen4 handelt, sondern eher um eine Theorieintegration, bei der Teiltheorien zusammengefaßt und miteinander verbunden werden, oder - seltener - um eine »Theoriesubstitution'.8 Andererseits ist die Wissenschaft mit ihren eigenen Wahrheitskriterien und Legitimationsprozessen beschäftigt und kann keine „Superkriterien" anbieten, sei es für die gesamte Gesellschaft oder auch nur für ihre Teilsysteme. Die Identifikation derartiger selbstreferenzieller Prozesse gibt einem System sein kennzeichnendes Merkmal. 9 Sie verpflichtet im Gegenzug die theoretische 5 Niklas Luhmann, Gerechtigkeit in den Rechtssystemen der modernen Gesellschaft, in: ders., Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Frankfurt am Main 1981, S. 374-418, 388. 6

Werner Krawietz, Rechtssystem und Rationalität in der juristischen Dogmatik, in: Aulis Aarnio/Ilkka Niiniluoto / Jyrki Uusitalo (Hrsg), Methodologie und Erkenntnistheorie der juristischen Argumentation, Berlin 1981, S. 299-335, 333. 7 Die jeweiligen Kombinationsmöglichkeiten stehen unter dem Einfluß der Umwelt, aber nur soweit sie nach Maßgabe der Strukturen des Systems als relevant ausgewiesen und bearbeitet werden können. In dieser Dynamik steckt zugleich die Einheit des Systems. Siehe Niklas Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1990, S. 30, 383. 8

Werner Krawietz, Theorieintegration oder Theoriesubstitution in der Jurisprudenz? In: ders., Recht als Regelsystem, Wiesbaden 1984, S. 158-202, 167 (Beispiele von Menschenrechten, Grundfreiheiten und einzelnen Rechtsvorstellungen), 169 (Dialektik zwischen Naturrecht und positivem Recht), 182 (Kelsens „Wende"), 196 („Selektion geeigneter Theorien folgt weder dem reinen Zufall noch ist sie theoriegesteuert"). 3 Albuquerque

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§ 2 Positivität des Rechts, Rechtssystem und Rechtsprechungssystem

Reflexion zu abstrakteren, umfassenderen Kriterien der Deskription. Dafür scheint die systemtheoretische Perspektive besser gerüstet zu sein, weil sie das Zusammenspiel zwischen System und Umwelt in sozialadäquater Weise abbildet. Sie unterscheidet sich eben dadurch von der traditionellen, subjektzentrierten Perspektive, die weder die Paradoxien der Beziehung zwischen Subjekt und Objekt aufzulösen vermag noch dazu fähig ist, die Interaktionen zwischen den verschiedenen sozialen Systemen realitätstreu zu beschreiben und zu erklären. Unter der Ägide des Primats sozialer Ausdifferenzierung der Gesellschaft wird das Beobachten „depersonifiziert"; es bedeutet keine Art individueller Leistung, sondern ist die bloße „Handhabung von Unterscheidungen".10 Diese Ansatzpunkte müssen auch für die historisch bekannten Variationen des Verstehens von Rechtssystemen gelten und sie in ihr Erklärungsfeld einbeziehen. Zunächst wurde der Begriff Rechtssystem nur im Sinne von Rechtsordnung verstanden,11 dem Glauben entsprechend, daß es für jede Sache einen Platz in der Welt gebe (wie sich aus der Theorie der ,»Natur der Sache" schließen lasse). Infolgedessen blieben solche Ideen bis hin zu Kant mit der Entwicklung der Naturwissenschaften eng verbunden12 als ein Versuch, der praktischen Vernunft des Rechts eine Autonomie vor der religiösen und politischen Bestimmung zu gewähren. Erst die modernen rechtspolitischen Bedingungen und die Entwicklung des zeitgenössischen Rechtsdenkens haben Möglichkeiten geschaffen, einen sozialadäquaten Zugang zum Rechtssystems zu schaffen, der den epistemologischen Anforderungen der heutigen Rechtstheorie gerecht wird. Dies kommt auch in den rechtstheoretischen Beschreibungen zum Ausdruck. Geschichtlich gesehen, hatte dabei schon die Erfindung des Buchdrucks zur Autonomisierung des Rechts oder doch des Rechtsdenkens in ganz erheblichem Maße beigetragen. Die juridische Reflexion gewann dadurch eine bis dahin ungeahnte Breite und Tiefe, zusammen mit der Differenzierung der juridischen Berufe und dem sozialen Einfluß der juristischen Zunft. Auch die Dogmatik vermochte sich zunehmend von der ursprünglichen, bloß metaphysisch-spekulativen Annahme sogen. „Universalien" abzulösen. Dies brachte ihr nicht nur größere Konsistenz ein und stärkte zugleich ihre Fähigkeit, Interferenzen anderer sozialer Systeme abzugleichen. Mit den Kodifikationen und verfassungsrechtlichen Kontrollen des 19. Jahrhunderts wurde auch ein erster historischer Höhepunkt erreicht. Von den Philosophen· Juri sten kam man nun zu den Juristen-Philosophen, die - unterstützt durch 9 Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft (FN 7), S. 271: „Wenn Operationen aneinander anschließen, entsteht ein System." Auch: ders., Soziale Systeme, 5. Aufl., Frankfurt am Main 1994, S. 59. 10 Luhmann, Soziale Systeme (FN 9), S. 63. 11 Krawietz, Rechtssystem und Rationalität in der juristischen Dogmatik (FN 6), S. 318 ff. 12 Ebd., S. 321, 324. Für Kant spricht immerhin noch die Tatsache, daß er im Rahmen seiner Kritiken nicht mehr dazu kam, über das tatsächlich existierende Recht zu schreiben. Die kantianischen Texte beziehen sich nur en passant auf das Recht, es sind eher moralische bzw. ethische Traktate.

1. System und Systembildung im Recht

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eine technisch verfeinerte, rhetorisch erneuerte und mit Mitteln der formalen Logik neu strukturierte juridische Sprache - eine weite soziale Anerkennung erlangten. Diese Entwicklung zeigt, daß es möglich ist, den inneren sozialen Systemaufbau relativ unabhängig von äußerlichen, „rohen Fakten" zu betrachten. So wurde die operative Unterscheidung zwischen Normen und Fakten aufgedeckt, die eine latente Vorgabe und Form für die Autonomie des Gerichtsverfahrens 13 als eines spezifischen sozialen Systems darstellt. Diese begriffliche Entfaltung von Rechtssystemen spiegelt sich auch in dem terminologischen Bestand und den Transformationen der Rechtsquellenlehre wider. Trotz dieser Feststellung und obwohl es noch im letzten Jahrhundert üblich war und in engeren Grenzen auch heute noch üblich ist, neben der Gesetzgebung und dem Gewohnheitsrecht auch die dogmatische Lehre/Rechtswissenschaft als „Rechtsquelle" anzusehen, wird über den Rechtsquellencharakter der Rechtsprechung nur selten gesprochen, selbst wenn man bedenkt, daß sie bei der Anerkennung von Gewohnheitsrecht eine wichtige Rolle spielt. In beinahe allen Gesetzestexten, die auf Interpretationskriterien Bezug nehmen, wird die Rechtsprechung zumindest expressis verbis nicht als „Quelle" erwähnt.14 Die Gründe für einen solchen Vorbehalt mögen noch in der Reminiszenz des frühmodernen politischen „Mißtrauens" gegen die Richter liegen, weil sie ständig mit der Verteidigung der mittelalterlichen Ständegesellschaft in Verbindung gebracht wurden.15 Methodologisch gesehen, gab es auch polemisch verfehlte Ansätze, wie im Fall der Freirechtslehre, 16 deren Kritiker ohne zureichenden Grund die Angst vor den Gefahren der Rechtsunsicherheit schürten. Wie auch immer die Rechtslage in Wirklichkeit beschaffen sein mag, so kann und soll deren Deutung und Erklärung nicht in irgendwelchen vermeintlich vorgegebenen Eigenschaften der Rechtsprechung gesucht werden, schon gar nicht in einem a priori definierten Status, sondern nur durch eingehende Untersuchung derrichterlichen Entscheidungsgrundlagen.17 13 Niklas Luhmann, Rechtssoziologie, 3. Aufl., Opladen 1987, S. 181. 14

Dies gilt selbst bei dem bekannten Beispiel des § 1 des schweizerischen ZGB (1912), das dem Richter eine ausdrückliche Erlaubnis zum Vollziehen lückenhafter Gesetze erteilte: „Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll der Richter nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die er als Gesetzgeber aufstellen würde. Er folgt dabei bewährter Lehre und Überlieferung." 15 Die Meinung von Robespierre (1790) erklärt die Haltung, die bis weit in das 19. Jahrhundert gegen die Rechtsprechung als Vorurteil geblieben ist: „Ce mot de jurisprudence des tribunaux, dans l'acception qu'il avait dans l'ancien régime, ne signifie rien dans le nouveau, il doit être effacé de notre langue. Dans un Etat qui a une constitution, une législation - la jurisprudence n'est autre chose que la loi, alors il y a identité de jurisprudence." Christophe Grzegorczyk, Jurisprudence: phénomène judiciaire, science ou méthode? In: Archives de Philosophie du Droit 30 (1985), S. 35-52,41. 16 Werner Krawietz, Freirechtslehre, in: Joachim Ritter (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 2, Basel / Stuttgart 1972, S. 1098-1102. 17 Jörn Ipsen, Richterrecht und Verfassung, Berlin 1975, S. 55.

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Die frühen rechtsrealistischen Betrachtungsweisen vermochten die überaus vielschichtige Problematik des Richterrechts nicht hinreichend aufzuklären. Auch konnte die von Ihering und Heck geschaffene und begründete, vor allem von Esser fortentwickelte Interessen- und Wertungsjurisprudenz allenfalls in methodischer, aber nicht in rechtstheoretischer Hinsicht Klarheit schaffen, da ihr ein hinreichendes sozi al wissenschaftliches Fundament fehlte. 18 Als Fazit der bislang angestellten Untersuchungen ist jedoch davon auszugehen, daß alle Rechtsprechung jedenfalls auch ganz eindeutige Rückwirkungen auf die Rechtsetzung ausübt und an der Systematisierung rechtlicher Erkenntnisse effektiv beteiligt ist. Die Rechtsprechung trägt damit in erheblichem Maße zur Flexibilität des gesamten Rechtssystems bei. Darunter fallen auch die eigenartige Form, in der sie sich auf das Gesetz bezieht, ihre Interaktion mit den übrigen Staatsfunktionen (Gesetzgebung, Regierung und Verwaltung), ihr Umgang mit den Formen inoffizieller Rechtsregulierung und Konfliktentscheidung etc. 19 Diese Umstände erfordern die Teilnahme der Rechtsprechung an der Rechtsetzung in dem Sinne, wie sie von Csaba Varga dargestellt wird: „Juristic activity is at the same time also of a constitutive effect in all its moments and aspects. It is constitutive in two senses. First, the existence of both facts or norms and relationships between facts and facts, facts and norms, or norms and norms can only be acknowledged within the law ... Second, there is in law no guarantee that any such establishment of the existence of facts or norms and/or of this relationship corresponds to any assessment concerning the same existence or relationship, made beyond the sphere of law ... eventually only what has been transformed into a component of law as the effect of the law is to be considered legal.. ." 2 0

Selbst wenn man über Art und Charakter dieser Rechtsetzung Zweifel hegt, steht eines fest: Die Kompetenz zur Bestätigung interpretativer Fragen obliegt institutionell letztlich der Rechtsprechung. Sie hat die Gegensätze und eventuellen Paradoxien des Rechtssystems letztinstanzlich zu verwalten.21 Leider ist in methodologischer wie in rechtstheoretischer Hinsicht noch weitgehend ungeklärt, wie das geschehen soll. is Eingehend hierzu: Werner Krawietz, lnteressenjurisprudenz, in: Joachim Ritter/Karlfiried Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 4, Basel/Stuttgart 1976, S. 494-514, 512. Ders., Rechtssystem und Rationalität in der juristischen Dogmatik (FN 6), S. 306, der mit Grund weiteren Forschungsbedarf anmahnt. 19 Hier helfen die Ausdrucksmöglichkeiten der deutschen Sprache, die Vieldeutigkeit zu vermeiden, die in den lateinischen Sprachen dazu führt, daß es für die Tätigkeit der Gerichte keinen besonderen Terminus gibt, um sie von der Rechtswissenschaft selbst zu unterscheiden ( Jurisprudenz/Rechtsprechung). 20 Csaba Varga, Judicial Reproduction of Law in an Autopoietical System? In: Werner Krawietz/Antonio A. Martino / Kenneth I. Winston (Hrsg.), Technischer Imperativ und Legitimationskrise des Rechts, RECHTSTHEORIE Beiheft 11, Berlin 1991, S. 305-313, 306. 2 > Dies ergibt sich auch daraus, daß durch die Flut von Gesetzen die Berechenbarkeit und Rechtssicherheit bei der Gesetzesanwendung schwindet, so daß der Bedarf an richterlichen Entscheidungen wächst. 3»

2. Positivität und Rechtsgrundlagen juridischer Entscheidungen

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Um diesen Punkt näher zu analysieren, wird im folgenden an die Existenz derjenigen Operationen angeknüpft, die es dem Rechtssystem ermöglichen, bei allem sozialen Wandel einen „Kern" feststehender Bedeutungen zu ermitteln, die es gestatten, die Identität des Rechtssystems zu gewährleisten. Hierzu wird es nötig sein, einige Vergleiche anzustellen und Parallelen zwischen den verschiedenen Rechtssystemen zu ziehen, um deren gemeinsame „Wachstumsprobleme" zu erörtern. 22 2. Positivität und Rechtsgrundlagen juridischer Entscheidungen Die Tatsache, daß das Rechtssystem sich aus änderbaren Bestandteilen zusammensetzt, entspricht nicht nur dem Bedürfnis nach Veränderung, sondern - genau umgekehrt - zugleich den Bedürfnissen nach Stabilität. Daß diese Änderungen in einer strukturellen Form (Gesetzesform, Vertragsform o. ä.) präsentiert werden, bringt eine neue Dimension in die Möglichkeiten der Sinndeutung. Sie veranlaßt die Ausdifferenzierung des Rechts oder, kurz gesagt, die Ausübung einer politischen Funktion. Je änderbarer das Recht wird, desto anpassungsfähiger wird es für das Entscheiden wie das Nichtentscheiden. Diese Fassung des Problems der Positivierung, d. h. der ständigen Änderbarkeit der Rechtsordnung, schafft einen wichtigen Ausweg zur Handhabung der Komplexität des modernen Rechts, indem die Möglichkeit einer variablen Einheit in Betracht gezogen wird. Je mehr die sozialen Interaktionen zunehmen, desto mehr wird dem Recht die Rolle eines Mediums zum Ausgleich von Interessenkonflikten abverlangt. Und indem diese Vorgänge formalisiert werden, bleibt das Recht prinzipiell für alle erreichbar. So besteht die Möglichkeit einer justiziellen Überprüfung von klagbaren Ansprüchen, die zugleich als ein Bestandteil der Sozialanschauungen angesehen werden können. Auch ihr Ergebnis wird formell gesichert, sei es durch die institutionelle Gewährleistung des Entscheidungszwangs oder durch die Figur der res judicata nach Erlaß des Urteils. 23 Aus diesen Umständen ist eine Reihe institutioneller Einrichtungen und dogmatischer Konstrukte hervorgegangen, die den Unterschied zwischen Anwendbarkeit und Durchsetzung des Rechts geformt haben. Die Rolle der staatlichen Einrichtungen ist dabei von großem Gewicht. In dem Maße, in dem das Recht durch offizielle Ämter angewandt und durchgesetzt wird, wird zugleich ein indirekter Bezug zum Gesetz etabliert, d. h. eine notwendige soziale Distanz geschaffen. Dies macht die Existenz unparteilicher Richter unausweichlich, die im Gegenzug dazu verpflichtet sind, den Fall konkret zu entscheiden, also das Recht auf eine juridisch begründete Weise anzuwenden. Die Positivität kann demnach verstanden werden als eine Ver22

Mirjan R. Damaska, The Faces of Justice and State Authority. A Comparative Approach to the Legal Process, New Haven/London 1986, S. 7. 23 Eingehend hierzu: Ekkehard Schumann, Das Rechtsverweigerungsverbot, in: Zeitschrift für Zivilprozeß 1968, S. 79-102.

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fiigung (Direktive, Disposition) über das Recht, die zugleich die Bedingungen der Annahme dieser Disposition regelt. 24 Diese Entwicklung kann - geschichtlich gesehen - auf die stets prekäre Beziehung zwischen Politik und Recht zurückgeführt werden, nämlich auf die unvermeidlichen Konflikte um die Kontrolle der staatlichen Apparaturen unter Einschluß von Rechtsetzung und Rechtsprechung. Als ihr Resultat wurde die Politik juridifiziert und das Recht politisiert oder doch zumindest disponibel gemacht und wurde damit selbst gegen die Eliten anwendbar. Dies sollte im Prinzip dem allgemeinen und gleichen Zugang zum Recht dienen. Nicht von ungefähr trifft infolgedessen das Errichten von Gerichtsordnungen zeitlich mit der Ausdifferenzierung des modernen Rechts zusammen.25 Sie stellte die Garantie des rechtlichen Vollzugs getroffener Vereinbarungen dar und machte damit zugleich den Weg frei für komplexere Formen sozialer Organisation. Die Ersetzung des alten Rechts durch verfahrensmäßige Formen bezieht die Möglichkeit der Abwicklung ständiger Enttäuschungen über das Recht mit ein und mußte deshalb von den Individuen zunächst einmal gelernt werden. Insoweit wurde die Gesellschaft zunehmend verrechtlicht und gleichzeitig auch informal, da die Wahrscheinlichkeit von Konflikten soweit wie irgend möglich an den Rand des Rechtssystems geschoben wurde, d. h. im Rahmen der privaten Autonomie oder eines „spontanen" Rechts auch fallweise behandelt und gelöst werden konnte. Dies bedeutete auf der anderen Seite die praktische Übernahme des Richterrechts als „Rechtsquelle".26 Im Gegenzug kann man aber das Bedürfnis, die Teilnahme einzelner an den offiziellen Verfahren zu gewährleisten, als optimale Bedingung für die soziale Generalisierung des Rechts ansehen.27 Dafür mußten die Regeln des Rechtssystems in die Entscheidungsformeln aufgenommen werden. Dies wäre allein mit Hilfe der Prinzipien des Naturrechts und der Gerechtigkeitsprinzipien nicht möglich gewesen, weil diese ihre Existenz selbst bloß der symbolischen Bezugnahme auf nicht hinreichend spezifizierte normative Erwartungen verdanken.28 Nur das Klarstellen operativer Rechtsregeln macht es möglich, Erwartungen mit hinreichender Bestimmtheit normativ zu erwarten. Rechtsregeln sind infolgedessen für das Individuum auch nicht so disponibel.29 24

Luhmann, Rechtssoziologie (FN 13), S. 257. Niklas Luhmann, Die Stellung der Gerichte im Rechtssystem, in: ders., Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1993, S. 297-337, 334. 26 Luhmann, Rechtssoziologie (FN 13), S. 202. 2 ? Ebd., S. 212. 2 8 Obwohl ihre Formulierung gewisse Chancen zur Veränderung des Rechts eröffnete zumindest im Vergleich mit früheren rechtshistorischen Gestaltungen - beinhalten beide wohl eher eine immanente Ordnung von religiösen und/oder moralischen bzw. ethischen Werten. 25

29 Eingehend hierzu: Johan Galtung, Expectation and Interaction Process, in: Inquiry 2 (1959), S. 213-234.

2. Positivität und Rechtsgrundlagen juridischer Entscheidungen

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Aus dieser Perspektive gesehen, bietet der institutionelle Zwang zur Entscheidung Anlaß, die normative Programmierung des Rechts in Gang zu setzen. Das bedeutet, daß der Richter - egal wie schwer dies auch sein mag - seine Lösung des Falls mit Hilfe des Schemas gewinnen muß, das er einem Normsatz zu entnehmen hat. Dieses Erfordernis setzt aber bereits ein hochgradig organisiertes Normengefüge voraus: Ohne die reife Entwicklung einer verfassungsrechtlichen, rechtsstaatlichen Struktur ist die Sicherheit einer ungestört funktionierenden justiziellen »Verwaltung1, letztere hier verstanden im Sinne einer administration of justice eher unwahrscheinlich. Dies ist in der heutigen Welt durchaus keine Selbstverständlichkeit. Insoweit kann man sagen, daß die Positivität des Rechts eine kognitive Offenheit und eine operative Geschlossenheit mit sich bringt. Das Zusammenspiel von normativen und kognitiven Erwartungen findet vor Gericht eine Bühne, auf der beide miteinander korreliert werden können.30 Operationen findet dieser Prozeß statt vor dem Hintergrund der Codierung zwischen Recht / Unrecht, die im Rahmen des juridischen Entscheidens einen Raum für Interpretationen nicht ausschließt. In diesem Sinne erfüllt die Rechtsprechung für das Rechtssystem eine auf Anpassung, aber auch auf Widerstand per viam negationis angelegte Funktion, indem sie auf eine chiffrierte Weise große thematische Systembrüche verhindert und Enttäuschungen, die aus der Politik stammen, abwehrt und umleitet. Alles kann Recht (oder Unrecht) sein und was der Fall ist, kann nur nach Maßgabe der rechtlichen Verhaltensprogramme oder Jurisdiktionsprogramme entschieden werden, die ihrerseits zuerst einmal gefunden und gedeutet werden müssen, bevor sie im Einzelfalle angewandt werden können. Die rechtsprechende Gewalt ist - zumindest formell gesehen - eine eigenständige Rechtstätigkeit, die im Verhältnis zu sich selbst einer ständigen Kohärenzpflicht ausgesetzt ist. Die Begrenzung der möglichen Vielfalt von juristischen Deutungen wird ebenfalls mit einer derartigen Pflicht gegen sich selbst begründet. Dafür macht der Code Recht /Unrecht die verschiedenen methodologischen oder logischen Ansätze und Prozeduren miteinander kompatibel. Daß die Rechtsprechung praktisch ein Monopol auf die Verwendung dieses Codes hat, macht es möglich, die Banalisierung der Beziehung Recht / Unrecht zu verhindern.31 Sie bleibt - wie es für das ganze Rechtssystem der Fall ist - ständig in Bezug zur Umwelt, denn es gibt es kein a priori bestehendes Recht oder Unrecht. Wenn der Richter somit zwischen Recht und Nichtrecht entscheiden muß, um sodann über Recht/Unrecht zu befinden, stellt die Positivität des Rechts ihm Mit30

Die Institutionalisierung von Legitimität wird von Luhmann in einer ähnlichen Weise definiert, nämlich durch die normative Festsetzung von Entscheidungen, deren Normativität von den Betroffenen kognitiv angenommen wird. Luhmann, Rechtssoziologie (FN 13), S. 261. 31 Niklas Luhmann, Codierung und Programmierung, in: ders., Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1993, S. 165-213.

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tel zur Verfügung, die - methodologisch und institutionell gedeutet - als Schranken verstanden werden können. Sie markieren Wege, die die Existenz eines sekundären Richterrechts unter Umständen als „ungewollten" Effekt der Positivierung ausweisen können.32 Genau gesehen, bleiben beide aber aufeinander bezogen: Das staatliche Durchsetzungsvermögen und die geltende Durchsetzungspflicht hängen von sozialen Voraussetzungen und Bedingungen ab, die im Konzept der Rechtsgeltung vorkommen oder doch impliziert sind.

3. Dynamik der Rechtsgeltung Die Existenz von Institutionen basiert auf der sozialen Kristallisation von Handlungsmustern, die sich als zu befolgende behauptet haben. Sie sind also eine Art Reservoir, das unter bestimmten Voraussetzungen und Bedingungen verwirklicht werden kann oder gar muß. Für Richard Münch, der sich insoweit an Durkheim anlehnt, basiert dieses normative Faktum auf der Vergemeinschaftung, d. h. auf der Solidarität und dem Konsens innerhalb von Rechtsgemeinschaften.33 Bliebe man bei einer nur auf Individuen bezogenen Perspektive, ohne den gesamten systemischen Zusammenhang zu berücksichtigen, auf dem das konkrete Milieu beruht, dann würde diese nicht ausreichen, um der Rolle der Institutionen gerecht zu werden. Eher würde es irreführend wirken, weil Institutionen auch in organisatorischen, mit Berufsrollen und Ämtern besetzten Zusammenhängen integriert werden, um den ständig wachsenden Entscheidungsbedarf in arbeitsteiliger Form zu bewältigen. Deshalb ist die bloße Idee von Institutionen, die nur aus Individuen bestehen, wenig hilfreich, wenn es darum geht, die komplexer gewordene Gesellschaft zu verstehen. Die Suche nach gegenseitiger individueller Anerkennung, auf die in diesem Zusammenhang gern rekurriert wird, kann als typisch gelten für den Code der »Achtung und Mißachtung", der die moralische Kommunikation prägt.34 Retrospektiv gesehen, ist immer dann, wenn man im Rahmen des Rechtsdenkens ähnliche Maßstäbe einsetzen wollte, dies zugleich ein Symptom für Krisen und politische Unsicherheiten gewesen, die durch die Inanspruchnahme hochrangiger und deshalb überlegener, transzendentaler Kriterien absorbiert werden sollten. Tatsache ist aber, daß es bis heute nicht gelungen ist, derartige juridische Kriterien zu bestimmen. Selbst das Naturrecht hat nie als einzige oder gar universale, monolithische Rechtsperspektive gegolten. Andererseits macht die Existenz sozialer Strukturvorgaben des Rechts, nämlich die von Organisation von Gesellschaft stricto sensu, d. h. als 32

Luhmann, Rechtssoziologie (FN 13), S. 254. 33 Richard Münch, Zwischen Handlungstheorie und Systemtheorie: Die Analyse von Institutionen, in: Gerhard Göhler (Hrsg.), Grundfragen der Theorie politischer Institutionen, Opladen 1987, S. 173-187, 184. 34 Niklas Luhmann, Paradigm lost: Über die ethische Reflexion der Moral, Frankfurt am Main 1990, S. 18.

3. Dynamik der Rechtsgeltung

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umfassendes soziales System,35 es schwer, eine einheitliche Erklärung für das Recht zu finden. In der heutigen Gesellschaft, in der die sozialen Systeme eine weitgehende Abkoppelung von den wertsetzenden Instanzen und Einrichtungen und eine Reihe von internen Abwehrmechanismen gegen Angriffe ab extra entwickelt haben, erscheint eine Zentralinstanz kaum denkbar, die in der Lage wäre, die gesamte Gesellschaft von einer Spitze (oder auch nur von einem idealiter gedachten Zentrum) her zu steuern. Tatsache ist, daß im Rahmen des Rechtssystems Selektionsmöglichkeiten bestehen, die auch normativ wirksam werden, d. h. die Rechtsordnung kann operativ verstanden, aber zugleich in einem weiteren, dekomponierenden Schritt kognitiv aufgefaßt werden. Dies macht sie relativ unabhängig von anderen sozialen Kriterien, die die Rechtsanwendung mitbestimmen mögen. Anerkennung allein ist jedenfalls, wie schon erwähnt, kein zureichendes Kriterium - und dies nicht nur, weil damit die Möglichkeiten und Grenzen eines funktionsgerechten Normierens überschritten werden, sondern weil dies eine Verschiebung des Problems darstellt. Wo sich abzeichnende Problemlösungen freiwillig anerkannt werden, bedarf es keiner Normierung, weil die Setzung von Direktiven und Normen überflüssig erscheint. Andererseits kann eine einmal erteilte Anerkennung von Recht auch jederzeit widerrufen werden, so daß die gesetzten Direktiven des Rechts in ihrer Geltung geschwächt werden, wenn man sie - über die institutionellen Erfordernisse einer verfahrensmäßigen Erzeugung von Recht hinaus - zusätzlich noch von der Anerkennung (durch wen auch immer) abhängig macht. Erfreulicherweise müssen nicht alle sozialen Beziehungen verrechtlicht werden. Auch ist die Wahrscheinlichkeit, daß ein Problem überhaupt die Justiz beschäftigen wird, gering. Im Prinzip können jedoch alle Themen des sozialen Lebens als potentielle Rechtsfälle angesehen werden, die auch einem Gericht unterbreitet werden könnten (welches wegen des im Rechtsstaat geltenden Justizverweigerungsverbots entscheiden müßte). Schon diese Möglichkeit verleiht der Rechtsprechung eine maßgebende Rolle im Rechtssystem. Diese kann nicht mittels bloßer Deduktion aus gesetzlichen Vorgaben erfüllt werden. Münch versucht, diese Lücke in seiner diskursiven Erklärung zu kompensieren, indem er darauf abstellt, daß die Rechtsprechung als Übergangsphase zwischen Diskurs und Entscheidung angesehen werden kann.36 In der Tat zeigt sich der Abstand von rein diskursiven Einstellungen schon darin, daß der Richter amtlich entscheiden muß. Er muß passende rechtliche Wege finden, damit eine Brücke zwischen den institutionellen Vorgaben und den durch das Recht geschützten Werten geschaffen werden kann, um diese im Rahmen der Normstrukturen des geltenden Rechts zu berücksichtigen. Das muß nicht immer explizit gemacht werden. Die Regeln des Verfahrens und der or-

35 Nach Luhmann gehört die Gesellschaft, neben Interaktion und Organisation, zu den drei Typen sozialer Systeme. Luhmann, Soziale Systeme (FN 9), S. 16. 36 Münch, Zwischen Handlungstheorie und Systemtheorie (FN 33), S. 185.

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§ 2 Positivität des Rechts, Rechtssystem und Rechtsprechungssystem

ganisationelle „Esprit de Corps" verhindern bisweilen eine direkte Kontrolle dieses Vorgangs. Wenn man die normative Geltung von individueller Anerkennung abhängig machen wollte, wird man sogleich mit dem Widerspruch konfrontiert, daß einem Individuum nicht überlassen werden darf, über die Geltung/Nichtgeltung der gesamten Rechtsordnung zu entscheiden. Anders ist es bei der „allgemeinen Anerkennungstheorie". Egal, ob man Anerkennung hier als Prozeß sozialer Legitimation begreift oder als abhängig von irgendwelchen offiziellen Instanzen sieht, ist es unvermeidlich, die soziale Anerkennung irgendwann mit den juridischen Rationalisierungsprozessen in Verbindung zu bringen. Die Frage ist dann, ob dieses Verständnis von Geltung auf die ganze Rechtsordnung erstreckt werden kann - und in diesem Falle ginge es mehr in Richtung einer faktischen Anerkennung - oder ob es nur nachträglich um die Frage nach der Effektivität bestimmter, konkreter Normen geht. In diesem Sinne stellt die Rechtsprechung eine Art Barometer der gesellschaftlichen Konflikte dar, obwohl die meisten Individuen wahrscheinlich nie in ein Rechtsverfahren verwickelt werden.37 Sie elaboriert systemische Eigenschaften, die, wie Blankenburg bemerkt, die Beobachtung auf ein Niveau der Wirkung 38 bringen, auf dem sich die Frage stellt, „wie weit soziale Beziehungen verrechtlicht sind oder wie weit sie informellen Regelungen folgen". 39 Hier wird auch ein Zustandekommen neuer Werte oder die Legitimation neu entstandener Rechtsmaßstäbe geprüft. Zugleich wird dabei die Verbindlichkeit von Normen jedesmal neu bestätigt. Die Rechtsgeltung kann auf diese Weise ganz pragmatisch erklärt werden: Durch den Richter wird mit Hilfe des normativen Konzepts von Geltung, das sich an den Vorschriften des Rechts orientiert, und dem bloß Faktischen unterschieden, d. h. er stellt eine Korrelation her zwischen (i) den normativ vorgeschriebenen (gebotenen, verbotenen, erlaubten usf.) Verhaltensweisen und (ii) dem entsprechenden tatsächlichen menschlichen Verhalten (Handeln, Unterlassen). So spielen die orga37 Schon wegen des illokutionären Effekts, den die rechtsprechenden „Rituale" besitzen, imitieren auch andere Entscheidungsverfahren das Modell derrichterlichen Beurteilung. Es hat den Vorteil, durch zeitliche Terminierung und Begrenzung einen Raum für Verhandlungen zu schaffen. Auch zeigen sich Tendenzen, im Rahmen des Finanz- und Strafrechts „Verständigungen" zwischen Staat und Angeklagtem herbeizuführen, die eine bessere Aufklärung von Delikten ermöglichen sollen, um den Preis mildernder Bedingungen für die Vollstrekkung der Strafe oder eben der Schuldvergebung. 38 Arnaldo Vasconcelos, Teoria da Norma Juridica, 2. Aufl., Säo Paulo 1993, S. 224 ff., gliedert die normative Geltung auf in zwei Instanzen: Juridicidade (Rechtlichkeit) und Positiv idade (Positivität), darunter fällt auch die Wirkung. Das Problem ist dann aber, wie die beiden sich aufeinander beziehen. Ähnliches gilt für Versuche, „einen dritten Weg" (der den Code Recht /Unrecht ausschließt) zu finden. Vgl. Luhmann, Codierung und Programmierung (FN 31), S. 181. 39 Erhard Blankenburg, Über die Unwirksamkeit von Gesetzen, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 63 (1977), S. 31-58, 37.

3. Dynamik der Rechtsgeltung

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nisierte Formrichterlicher Arbeit, die Gerichte, die wichtigsten „Umschaltungsstationen" zwischen der sozialen und der juristischen Geltung.40 Dem Richter obliegt es, die innere Beziehung von Sein und Sollen zu realisieren. 41 Das Recht steht vor ihm als ein informationelles Programm und Verfahren, einerseits konditioniert durch den Zwang zu entscheiden und andererseits bestimmt durch die Begründungspflicht, die eine gewisse Freiheit nicht ausschließt.42 Dies haben die allgemeinen Denkansätze mit ihren universalistischen Kriterien, die den Geltungstheorien des 19. Jahrhunderts zugrunde lagen, gewöhnlich übersehen, weil sie die längst konsolidierte Trennung von Moral und Recht unterschätzten. Um es noch einmal zu betonen: Es macht eigentlich keinen Sinn, von Anerkennung als Bedingung für das Entstehen von Rechtsnormen oder Rechtsregeln zu sprechen; weder in ihrer individuellen Form, die zur Zurückweisung der ganzen, demokratisch legitimierten Rechtsordnung führen könnte, noch in dem Versuch, Begründungssätze oder Prinzipien zu finden, aus denen sich das Rechtssystem rechtfertigen ließe,43 weil dies ein Minimum an institutionalisierten Bedingungen und Verfahren voraussetzt. Man könnte sagen, daß der Bezug auf die Rechtsgeltung enge Beziehungen zur sozialen Semantik erkennen läßt. Die rechtliche Kommunikation verknüpft im menschlichen Erleben und Handeln die Vorkommnisse des Alltags, indem die Individuen durch bewußte Kommunikation einen Orientierungsrahmen herstellen, mit den bürokratisch-administrativen Vorkommnissen, die sich der Erfahrung des einzelnen und seiner bewußten Informationsverarbeitung weitgehend entziehen. Dies schließt die Bildung intrasystemischer Unterscheidungen jedoch nicht aus. Hierzu gehört auch die Einsicht, daß der Begriff der Rechtsgeltung in engem Zusammenhang zur „Systematizität" des Rechts steht und über sie zumindest symbolisch disponiert.44 Wenn die rechtlichen Geltungsbestimmungen im staatlich organisierten Rechtssystem den Rechtsorganen 45 anvertraut werden, dann nur, weil die Positivität des 40 Hans Welzel, An den Grenzen des Rechts. Die Frage nach der Rechtsgeltung, Köln 1966, S. 17. Für den Autor, der sich damit als Vertreter der Anerkennungstheorie ausweist, gewinnt die einzelne gerichtliche Entscheidung nur juristische Geltung, wenn sie „die rechtliche gewollte und verbindliche anerkennt" (Anm. 54). 41

Luhmann, Rechtssoziologie (FN 13), S. 80. Ders., Die Stellung der Gerichte im Rechtssystem, (FN 25), S. 304. 43 Welzel, An den Grenzen des Rechts (FN 40), S. 16. 44 In vielen Gesellschaften erscheint die Rechtsgeltung unter Einschluß der verfassungsrechtlichen Struktur gleichsam symbolisch aufgeladen. Dies hat kompensatorische Mechanismen zur Folge, die auf die mangelnde Autonomie des Rechts gegenüber Mitteln, wie Macht, Geld etc., verweisen. Siehe Marcelo Neves, A constitucionalizaçâo simbòlica, Säo Paulo 1994. Vgl. auch: ders., Symbolische Konstitutionalisierung, Berlin 1998. In der Tat setzt die Autorität des Rechts Macht voraus, aber nur eine Macht, die nach den Regeln des Rechts ausgeübt wird. 4 5 Werner Krawietz, Anerkennung als Geltungsgrund des Rechts in den modernen Rechtssystemen, in: Gerhard Haney/Werner Maihofer/Gerhard Sprenger (Hrsg.), Recht und Ideo42

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§ 2 Positivität des Rechts, Rechtssystem und Rechtsprechungssystem

Rechts das „Problem der Geltung" umgestellt hat in dem Sinne, daß die Beziehung Rechtssystem / Umweit anders ausfällt als bei früheren Regulierungen der Geltungsniveaus. Es geht nicht mehr darum, die Umwelt in das Rechtssystem einzubeziehen, sondern die Grenzen für die gegenseitigen Einwirkungen herzustellen. Deshalb faßt Krawietz zusammen, daß die Geltung als eine Form der operativen und normativen strukturellen Kopplung46 fungiert und nur so sozialadäquat verstanden werden kann. Dies würde in der Tat die scheinbaren Unstimmigkeiten zwischen den normativen Erwartungsstrukturen und denjenigen kognitiven Vorgängen lösen, die mit der rechtlichen Kommunikation assoziiert werden. Alle Rechtsprechung betreibt somit eine Selbstbeobachtung des Rechtssystems: „Geltung ist in der Tat nichts anderes als die rekursive Selbstreferenz des Rechts."47 Die Art und Weise, in der über die Geltung disponiert wird, 48 setzt die Rolle des Experten voraus, der über Geltung/Nichtgeltung des Rechts zu entscheiden hat. Von der Rechtsgeltung ist die Frage nach der Wirksamkeit der existierenden Normen zu unterscheiden, die es mit den intendierten Effekten zu tun hat.49 Man muß sich darüber im klaren sein, daß im geltenden Recht zwischen Motiven und Begründungen nicht immer mit der wünschenswerten Eindeutigkeit unterschieden werden kann. Je vielschichtiger die Motive sind, umso schwerer fällt es, ihre Voraussetzungen (Interessen, Ziele, Zwecke, Werte) auf das normative Niveau zu übertragen. Selbst die Durchsetzung beabsichtigter Zwecke kann nicht die Effekte und Folgewirkungen hervorrufen, die ursprünglich intendiert waren. Dies macht das Problem der Steuerung besonders schwierig und nur unter ständigem Bezug auf die politischen und organisatorischen Bedingungen des Rechtssystems bestimmbar. Der Versuch, verschiedene Stufen der Rechtswirkung zu unterscheiden, erscheint demgegenüber eher künstlich.50 Schließlich wird es operativ immer wieder logie. Festschrift für Hermann Klenner zum 70. Geburtstag, Freiburg/Berlin 1996, S. 104146, 129 ff. 46 Werner Krawietz, Staatliches oder gesellschaftliches Recht? Systemabhängigkeiten normativer Strukturbildungen im Funktionssystem Recht, in: ders./Michael Welker (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt am Main 1992, S. 247-301, 264. Ders., Zur Einführung: Neue Sequenzierung der Theoriebildung und Kritik der allgemeinen Theorie sozialer Systeme, in: ebd., S. 14-42, 18. Über normative strukturelle Kopplung siehe im gleichen Bande auch den Beitrag von Andreas Schemann, Strukturelle Kopplung. Zur Festlegung und normativen Bindung offener Möglichkeiten sozialen Handelns, S. 215-229. Luhmann, Rechtssoziologie (FN 13), S. 358. Luhmann, Die Stellung der Gerichte im Rechtssystem (FN 25), S. 310. Hierzu auch: H. F. Zackers, Ratifizierung und Normenkontrolle, in: Deutsches Verwaltungsblatt 1955, S. 649-653, 650. In Art. 20 Abs. 3 des deutschen Grundgesetzes ist die Rede von der Bindung der Verwaltung und Rechtsprechung an Gesetz und Recht, doch werden beide nicht definiert. 4 9 Blankenburg, Über die Unwirksamkeit von Gesetzen (FN 39), S. 31 - 58, 41, der zwischen Geltung, Wirksamkeit und Auswirkungen unterscheidet. 48

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neues, ex post geltendes Recht geben. Historische Beispiele der Relevanz dieser Fragen, wie das Gewohnheitsrecht, verlieren immer mehr an Bedeutung, weil sie wenig normative Sicherheit und mangelnde interpretative Flexibilität bieten. Eine Art funktionaler Äquivalenz findet sich allenfalls im internationalen Recht. Selbst in diesem Fall geht die Entwicklung jedoch eher in Richtung staatlicher Selbstbegrenzungen der jeweiligen Souveränitäten als um supranormative Geltungskriterien. Dies bestärkt die Vermutung, daß das zeitgenössische Denken über Rechtskommunikation das Verständnis der modernen Gesellschaften in ein neues Licht setzen könnte.

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Hierzu vor allem: Adam Podgórecki, Dreistufen-Hypothese über die Wirksamkeit des Rechts (Drei Variablen für die Wirkung von Rechtsnormen), in: Ernst E. Hirsch/Manfred Rehbinder (Hrsg.), Studien und Materialien zur Rechtssoziologie, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie (Sonderheft 11), 2. Aufl., Köln 1971, S. 271-283.

§ 3 Rechtsprechung als normative Kommunikation und Entscheidung 1. Organisatorische Aspekte der Rechtsentscheidung Die Institutionalisierung organisatorisch und verfahrensrechtlich gesicherter Entscheidungsmöglichkeiten ist eine Erfindung und evolutionäre Errungenschaft der modernen Gesellschaften gegen die qualitative und quantitative Zunahme von Koordinationsproblemen und Konflikten. Dabei ist eine neue Verteilung rechtlicher Kompetenzen entstanden, die dafür sorgt, daß die Wiederherstellung der normativen Erwartungen auch in unübersichtlichen Situationen durchgeführt werden kann.1 Sie treten im Rahmen der Rechtsprechung als selektive Mechanismen auf, die sich zwischen normativer und kognitiver Ebene bewegen und sich, um die Entscheidungen plausibler zu machen, als „technisch" und/oder „wissenschaftlich" darstellen.2 Dabei lassen sich die Entscheidungen differenzieren (i) nach der Stellung des jeweiligen Organs in der rechtsprechenden »Hierarchie4 sowie danach, ob (ii) der Einzelrichter entscheidet oder Gerichte, die als Kollegialgerichte auftreten. 3 Während die einen den persönlichen Kontakten mit den Parteien stärker ausgesetzt und in ihren Entscheidungen relativ frei von allgemeinen rechtspolitischen Richtlinien sind, müssen die anderen sehr viel stärker der Pflicht Rechnung tragen, dem Fall 1

Mirjan R. Damaska, The Faces of Justice and State Authority. A Comparative Approach to the Legal Process, New Haven/London 1986, S. 3, klassifiziert die rechtsprechende Organisation der kontinentalen und angelsächsischen Rechtssysteme als Modelle, die sich an Konflikt und Koordination orientieren. Daraus resultieren Eigenschaften, die unterschiedlichen Fähigkeiten sozialer und kognitiver Ordnung entsprechen. In der Praxis muß es schwerfallen, die beiden Kriterien auseinanderzuhalten, denn innerhalb der Konflikte selbst, vor allem bei verfahrensrechtlichen Konflikten, zeigen sich koordinative Tendenzen, die dank der Figur des unbeteiligten Dritten zustande kommen. 2

Siehe Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1997, S. 517 ff. Über neue Entwicklungen im Recht: Hubert Rottleuthner, Recht und Technik in entwicklungstheoretischen Perspektiven, in: Eugene E. Dais/Stig J0rgensen/Alice Erh-Soon Tay (Hrsg.), Konstitutionalismus versus Legalismus? Geltungsgrundlagen des Rechts im demokratischen Verfassungsstaat, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Beiheft 40, Stuttgart 1991, S. 132-140. 3

Über die historischen Wandlungen des Konzepts siehe: Ernst-Wolfgang Böckenförde, Organ, Organismus, Organisation, politischer Körper, in: Otto Brunner/ Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4, Heidelberg 1978, S. 519-622. Vgl. ferner: Werner Krawietz, Körperschaft, in: Joachim Ritter/Karlfried Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 4, Basel / Stuttgart 1976, Sp. 1101 -1134.

1. Organisatorische Aspekte der Rechtsentscheidung

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ein institutionelles vorletztes oder gar letztes Wort zu widmen. Letztere haben deswegen die Tendenz, bei sozialen Kontakten während des Verfahrens sehr zurückhaltend und selektiv vorzugehen. Während dieser Kontakte kommen argumentative Mittel und kommunikative Grundeinstellungen zur Geltung, die Unterstützung durch die normativen Befugnisse bekommen. Methodologisch gesehen, orientieren sie sich nach dem Modell der Selbstbindung an frühere Rechtsprechung - oder, um es mit Michel van de Kerchove zu formulieren, an der Institutionalisierung ihrer Rolle.4 Obwohl dieser Kohärenz mit früheren Judikaten (und damit auch der Selbstkohärenz der Gerichte) nicht immer leicht zu folgen ist, weil sie interpretationsabhängig (und damit offen für Kontakte mit anderen sozialen Systemen) bleibt, gelten ihre Unterstellungen doch als eine unentbehrliche Bedingung für das Ingangsetzen des „Rechtspiels",5 d. h. für das spielerische Geschehen im Rechtsalltag und die sozialen Interaktionen nach den Regeln des Rechts, und für die hieraus resultierenden Bindungseffekte und Rechtswirkungen. Luhmann schließt hier einen gewissen Grad von Akzeptanz der Entscheidungen nicht aus, aber sie bleibt von zweitrangiger Bedeutung, denn Kriterien, die an Konsens gebunden sind, tauchen in der Kommunikation als Formen der Handlungszuschreibung auf, d. h. sie werden nachträglich ,gefunden4. Der Akzent wird bei ihm statt dessen auf den organisatorischen Aspekt gelegt, nämlich auf eine weitere Ausdifferenzierung der staatlichen Funktionen, insbesondere was die Beziehung Exekutive/Rechtsprechung angeht.6 Ähnliche organisatorische Konzepte teilt Michel Crozier mit: In der modernen Gesellschaft ereignen sich Konflikte auf eine zufällige Weise und können deswegen nicht ohne weiteres in eine hierarchische Darstellung eingefügt werden, sondern nur durch Spezialisierung weiterer normativer Organe erfaßt und bearbeitet werden.7 Hierarchien sind infolgedessen eher eine administrative und intrasystemische, vor allem arbeitsteilige Ordnung, ohne eine materielle Ausgrenzung oder Rangordnung zwischen den staatlichen Organen her4 Michel van de Kerchove, Jurisprudence et rationalité juridique, in: Archives de Philosophie du Droit 30 (1985), S. 207 - 242, 249. 5 Der Ausdruck lehnt sich an Max Weber an. Siehe dazu den Kommentar von Werner Krawietz, Droit et jeu. Le point de vue de la théorie des systèmes, in: François Ost/Michel van de Kerchove (Hrsg.), Le jeu: un paradigme pour le droit, Paris 1992, S. 218-235. 6 Niklas Luhmann, Interesse und lnteressenjurisprudenz im Spannungsfeld von Gesetzgebung und Rechtsprechung, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 12 (1990), S. 1-13, 11. Mehr in Richtung einer Transformation der Rechtsprechungsfunktion und einer „Personalisierung der Entscheidung" (ohne die von dem Autor selbst referierte „rationalité globale" zu erklären): François Ost, Juge-pacificateur, juge-arbitre, juge-entraîneur. Trois modèles de justice, in: Philippe Gérard / Michel van de Kerchove/François Ost (Hrsg.), Fonction de juger et pouvoir judiciaire. Transformations et déplacements, Brüssel 1983, S. 1 70, 39. 7 Michel Crozier, Le problème de la régulation dans les sociétés modernes, in: F. Chazel / J. Commaille (Hrsg.), Normes juridiques et régulation sociale, Paris 1991, S. 131-135, 134 ff.

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§ 3 Rechtsprechung als normative Kommunikation und Entscheidung

zustellen.8 Selbst die eigenen Kompetenzen können im Notfall im Wege der Kompetenz-Kompetenz umgedeutet werden. So werden die stets prekären, unter Umständen höchst spannungsreichen Situationen, die wegen der unterschiedlichen sozialen Interessenkonflikte auftauchen können, durch ihre institutionelle Bearbeitung gelockert. Dabei ist das Tempo der staatlichen Antwort und Reaktion von Bedeutung, denn allein der zeitliche Vorteil kann sich schon als Ausschluß oder Benachteiligung von Interessen auswirken.9 Dies ist heute - anders als im letzten Jahrhundert - nicht mehr eine reine Angelegenheit der individuellen Initiative oder Durchsetzungsfähigkeit des einzelnen (Privatautonomie), denn das fiktive Konstrukt des »Durchschnittbürgers' ist durch die komplizierten Fragen nach den Zuständigkeiten und bürokratischen (Um-)Wegen längst überholt. Sie dienen heute allenfalls als Abschreckungsmittel gegen zu häufige Inanspruchnahme der Justiz. Marc Galanter sieht in diesen Mechanismen, was den Verlauf von Konflikten angeht, eine dilatorische Rolle der Gerichte: „Thus Courts not only resolve disputes: they prevent them, mobilize them, displace and transform them."10 Diese Bemerkung muß aber innerhalb des Systems selbst differenziert werden. Bei verfassungsrechtlichen Entscheidungen spielt allein die Thematisierung von Rechten eine große Rolle für ihr eigenes Weiterbestehen. Sie werden in dem Maße geführt, wie die Individuen informiert bzw. (durch öffentlich-rechtliche Mittel) organisiert sind. Deshalb kann das traditionelle Denken, das der Verteilungsrationalität allein nach Maßgabe von Rechtsgütern einen Weg bietet, um ein gerechtes Leben zu sichern, diese Realität nicht hinreichend erfassen. 11 Der Versuch, die Gerechtigkeit zum unmittelbaren Leitprinzip richterlichen Entscheidens zu erheben, scheitert schon an den unterschiedlichen Präferenzen der Individuen und an der normativen Tatsache der Existenz von Institutionen, die diese Auswahl bedingen und begrenzen. In der Tat werden Gerechtigkeitsideen gewöhnlich nur dann aufgegriffen, wenn die institutionellen und organisatorischen Bedingungen für ihre Erhaltung bereits 8 Ähnliches passiert mit dem Prinzip der Grundnorm oder mit der Suche nach einem „Ursprung" der Normen im Rechtssystem. 9 Dazu die Studien von Mario Cappelletti /Brian Garth (Hrsg.), Access to Justice: A World Survey, Mailand 1978. Über die Probleme der Justiz in Ländern mit starken sozialen Unterschieden José Eduardo Faria, Justiça e Conflito. Os juices en face dos nevos movimentos sociais, 2. Aufl., Säo Paulo 1992. 10

Marc Galanter, Justice in Many Rooms: Courts, Private Ordering, and Indigenous Law, in: Journal of Legal Pluralism and Unofficial Law 18 (1981), S. 1 - 47, 11. 11 Solche ökonomischen Visionen stellen einen Unterschied zwischen kommutativen und distributiven Funktionen der Justiz dar, wenn es darum geht, die rechtlichen Güter proportionell oder rein arithmetisch zu verteilen. Sie setzen aber ihre eigenen normativen Strukturen voraus, ohne über die politisch-wirtschaftlichen Bedingungen ihrer Umsetzung zu sprechen. Siehe dazu Torstein Eckhoff, Justice. Its Determinations in Social Interaction, Rotterdam 1974.

1. Organisatorische Aspekte der Rechtsentscheidung

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geschaffen sind.12 Sie werden von den Organisationen aufgenommen, sofern sie mit ihren eigenen Einstellungen kompatibel sind. In diesem Sinne können die inter· und intrapersonellen Beziehungen immer noch einen entscheidenden Effekt bewirken, indem sie die Strukturen vermitteln und deuten. Dies hatte schon Peter Noll im Hinblick auf die Rolle des Anwalts für das Funktionieren der Justiz bemerkt: Ein schlechter Anwalt kann entscheidender für den Fall sein als ein guter Richter.13 Ähnliches gilt für die Ordnung der Gerichtsbarkeit stricto sensu14: Sie stellt eine „Schaltstelle" dar, 15 die auf andere soziale Erlebnisse einwirken kann. Die Zunahme der Fähigkeit, mit unterschiedlichen Arten von Konflikten umzugehen, ist ein Merkmal institutioneller Flexibilität, denn die Kommunikation hängt ab von der sozialen Systemreferenz, die zum Tragen kommt.16 Andererseits besitzen die formalen Organisationen die einmalige Eigenschaft, sich selbst als Zweck zu setzen und auch weiter reproduzieren zu können. Solche bürokratischen Merkmale erleichtern es, eine Ausgewogenheit zwischen „externem" und „internem" Druck oder genauer gesagt, zwischen dem Verhältnis System / Umwelt - zu finden. Deshalb bleiben Entscheidungen von Organisationen meistens strukturabhängige komplizierte Prozesse, deren jeweiliger Abschluß trotz der Unbestimmtheit und »Porosität4 des geltenden Rechts (H. L. A. Hart) und die Unwahrscheinlichkeit einer endgültigen Normerzeugung gefunden werden muß („Paradoxie des Entscheidens"). Sie leben sozusagen von den Problemen, die sie lösen sollen. Dies kann auch dazu führen, daß sie eine Symbiose mit ihnen eingehen, wie die Dualitäten von Polizei / krimineller Welt, Kirchen / sekulare Praktiken belegen. Die Erklärung dafür liegt darin, daß Organisationen „zusätzlich die Möglichkeit [besitzen], mit Systemen in ihrer Umwelt zu kommunizierenohne dadurch gefährdet zu werden.17 Den einzelnen bringt dies den Vorteil, daß sie Bedingungen dafür schaffen, unpersönliche und unparteiische Entscheidungen zu treffen, die 12 Mary Douglas, How Institutions Think, London 1987, S. 122. 13 Peter Noll, Gesetzgebungslehre, Reinbek bei Hamburg 1973, S. 12. 14 Gerhard Zimmer, Funktion, Kompetenz, Legitimation. Gewaltenteilung in der Ordnung des Grundgesetzes. Staatsfunktionen als gegliederte Wirk- und Verantwortungsbereiche - Zu einer verfassungsgemäßen Funktions- und Interpretationslehre, Berlin 1979, S. 288, zitiert den verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt der Auslegung des Art. 20 II 2 GG, um festzustellen, daß es genauer ist, über Gerichte statt über Richter als Organe der Judikative zu sprechen, obwohl er selbst die Abhängigkeit der Gerichte von den Richtern einräumt, ebd., S. 296, Fn. 41. Man kann darüber hinaus sagen, daß bei kleinen, isolierten Gemeinden der Einfluß des Einzelrichters noch sehr viel bedeutender ist. 15 Athanasios Gromitsaris, Normativität und sozialer Geltungsgrund des Rechts. Zur Revision und Reformulierung der Normentheorie von Theodor Geiger, Berlin 1992, S. 120. 16 Ders., Symbolische und soziale Generalisierung von Erwartungen als Strukturelemente gesellschaftlichen Sinns, in: Werner Krawietz / Michael Welker (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt am Main 1992, S. 133-146, 140. 17 Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 2), S. 834, 842. 4 Albuquerque

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§ 3 Rechtsprechung als normative Kommunikation und Entscheidung

anderenfalls für sie zu vielen Belästigungen und Inanspruchnahmen führen würden. Im Unterschied zum allgemeinen Begriff des sozialen Handelns verweisen juristische Entscheidungen gewöhnlich auf ihre eigene Kontingenz,18 d. h. die Tatsache, daß sie unter Umständen auch anders hätten ausfallen können, wird in der Entscheidung selbst argumentativ verwertet und damit ein Teil ihrer Begründung. Darin liegt zugleich ein Beweis dafür, daß Organisationen die Fähigkeit besitzen, sich ständig an die sich veränderbaren Bedingungen ihrer Umwelt anzupassen. Sie entwickeln gleichsam eine Art institutionellen „Instinkt" für das Weiterbestehen, das gerade durch ihr ständiges Oszillieren zwischen innerer Kohärenz („Treue") und der Darstellung nach außen veranlaßt wird. 19 Es müssen schon sehr extreme Bedingungen eintreten, damit die Reproduktion des organisationeilen Systems blokkiert wird oder gar aufhört. Meistens tendieren Organisationen dazu, ihre Tätigkeit von Fall zu Fall, d. h. immer „weiter" fortzusetzen. Organisationen können sich auch individuelle Selektionen zu eigen machen. Die persönliche Identifikation der handelnden Akteure mit der Organisation ist eine wichtige Voraussetzung für die optimale Teilnahme an ihren Aktivitäten. Deshalb kann man mit Luhmann auch über die Gerichte sagen, daß bei ihnen Organisation und Profession als funktional äquivalent zusammenfallen. 20 Sie sind damit zugleich geschützt gegen äußere frontale Eingriffe, die sogar dazu beitragen können - wie bei formellen Organisationen üblich21 - , das Beharren auf alten Ansichten und Vorkehrungen zu sichern. An den Grenzen kann dies jedoch zu einer rein ornamentalen Ausübung der Autorität führen, also den Verlust von Legitimität nach sich ziehen. Wenngleich die ständige Gefahr des „Untergangs der Welt", die darin bestehen würde, für jedes Problem Entscheidungen zu treffen, wenn die Rechtsprechung überhaupt angesprochen wird, nicht so drohend ist, wie es auf den ersten Blick scheinen mag, so ist nur deshalb der Existenz juridischer Vorbedingungen und Risiken, die die Inanspruchnahme der Rechtsprechung erschweren. Diese Bedingungen gehören zum »Gedächtnis4 des Rechtssystems, das im übrigen auf der Orientierung an Texten basiert, die von Juristen und für Juristen produziert werden, um die diversen Rollendivergenzen und Organisationszugehörigkeiten informationell zu überbrücken.22 Dafür werden spezifische Befugnisse und Milieukenntnisse benötigt. 18

Gromitsaris, 19 Ebd., S. 147.

Normativität und sozialer Geltungsgrund des Rechts (FN 15), S. 139.

20 Niklas Luhmann, Die Stellung der Gerichte im Rechtssystem, in: ders., Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1993, S. 297-337, 330. 2 1 James G. March/Herbert A. Simon, Organizations, 2. Aufl., New York 1959, S. 39 (Kommentare zu Mertons Theorie des „decision-making"). 22 Niklas Luhmann, Die Profession der Juristen: Kommentare zur Situation in der Bundesrepublik Deutschland, in: ders., Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Frankfurt am Main 1981, S. 173-190, 189.

1. Organisatorische Aspekte der Rechtsentscheidung

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Für sich gesehen, haben institutionell-systemische Mechanismen durchaus zirkuläre Tendenzen. Nur ein gewisser „äußerlicher" Druck schafft die Bedingungen, die dazu dienen, eine Anpassung zu bewerkstelligen, die aber immer intern geformt wird. So besteht die Tendenz zu einer Präsenz „hybrider" Formen, d. h. einer Mischung von Strukturen aus traditionellen und neu eingeführten Elementen, die in der heutigen Justiz durchaus üblich sind.23 Je bedeutsamer sie sind, umso nachhaltiger müssen die Neuheiten in der Tradition und Semantik des jeweiligen Systems adaptiert werden. Man kann deshalb gar nicht genug betonen, ζ. B. daß manche Lösungen, die in einem Land entwickelt wurden und eine durchaus produktive Funktion entfalten, nach ihrer „Transplantation"24 und Verpflanzung in andere kulturelle Rechtsräume durchaus disfunktionale oder unvorhersehbare Effekte haben können. Auch in diesen Fällen werden immer irgendwelche Konsequenzen gezogen, d. h. es wird gelernt, wie zukünftige Inkonsistenzen vermieden oder gar nicht erst geschaffen werden. Latente Prozesse kommen ans Licht und signalisieren durch eine Art „negative Dialektik", wie das System irrationale Entwicklungen vermeiden oder funktionale Äquivalente zur Behebung institutioneller Mängel vorhandener Einrichtungen schaffen kann.25 Auch die Form, in der eine Personalrekrutierung erfolgt, stellt ein wichtiges Merkmal des Organisationssystems dar. 26 Für manche Organisationen ist dies wichtig, denn sie benötigen den Einsatz der ganzen Persönlichkeit, eine hohe Identifikation mit der Berufsrolle oder dem Amt und dies bedeutet zugleich, das klare Grenzen für die (Selbst-)Kritik am eigenen Geschäft gezogen werden. Deswegen wird über den Richter gesagt, daß von ihm eine bestimmte Art von „Loyalität" erwartet wird. 27 In diesem Aspekt zeigt ein rechtshistorischer Vergleich gewisse Ähnlichkeiten mit dem theologischen Rang früherer Herrschaft, in der die Richter als Schutzengel einer unteren Ordnung bezeichnet wurden.28 In einer solchen Me-

23 Damaska, The Faces of Justice and State Authority (FN 1), S. 18. 24 Der Ausdruck stammt von Alan Watson, Legal Transplants, in: ders., Society and Legal Change, Edinburgh 1977, S. 98 -114. 25 In diesem Sinne zeigt Marcelo Neves, Verfassung und Positivität des Rechts in der peripheren Moderne. Eine theoretische Betrachtung und eine Interpretation des Falls Brasilien, Berlin 1992, S. 80, 93, wie Gesellschaften trotz mangelhafter normativer Strukturierung einen hohen Grad an Komplexität erreichen können, obwohl damit das gesamte Sicherungsvermögen des Rechts beeinträchtigt wird. Es mangelt in solchen Fällen offenbar nicht an der Komplexität möglicher Lösungen, sondern an hinreichender Selektivität des Rechts und der Fähigkeit, operative Schließungen des Rechtssystems durchzuführen, d. h. es fehlt an adäquater Strukturierung der Komplexität. 26 Über die Richterwahl und die Debatte über mögliche demokratische Kriterien, siehe Günther Hennies, Richterwahlausschuß, Wege und Irrwege, in: Deutsche Richterzeitung 1972, S. 410-414. Zu den politischen Implikationen: Rolf Lamprecht, „Bis zur Verachtung": Verfassungsrichterwahlen am Rande der Legalität, in: Neue Juristische Wochenschrift 39 (1995), S. 2531-2533. 27 Zimmer, Funktion, Kompetenz, Legitimation (FN 14), S. 300. 28 Damaska, The Faces of Justice and State Authority (FN 1), S. 26. 4*

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§ 3 Rechtsprechung als normative Kommunikation und Entscheidung

taphorik kann man auch die direkte Verbindung zu einer anderen, „höheren" Beobachtungsposition erblicken in dem Sinne, daß je höher die Position in dieser Hierarchie ist, desto höher auch ihr Wissen bzw. desto anspruchsvoller auch ihre ordnungshütenden Aufgaben anzusehen sind. Die Richter sind aber nun einmal weder Engel noch „Olymp ohne Macht".29 Ihre Vorgehens weisen prägen auf eine ganz eindeutige Weise die rechtliche Praxis, und dies nicht nur wegenritueller oder symbolischer Bedeutungen, die sie im übrigen auch besitzen, sondern wegen der Notwendigkeit einer näheren Bestimmung und Konkretisierung der normativen Programme (Verhaltens-, Entscheidungs-, Juri sdiktionsprogramme) des geltenden Rechts und der daraus entstandenen Rechtsetzungseffekte. Die Richter nehmen an diesen Operationen nicht teil um den Preis einer „zweitrangigen Einordnung" in das Rechtssystem, sondern sie fungieren dadurch als Schutz für das System selbst.30 Andererseits nimmt die rechtsprechende Tätigkeit auch an der reflexiven Selbstreferenz des Rechtssystems teil. Der Richter besitzt damit eine Funktion, die in der kybernetischen Kommunikationstheorie dem „normativen Sprecher" entspricht.31 Infolgedessen kann der Bezug auf eine „Hierarchie" auch anders erklärt werden: Individuelle richterliche Entscheidungen können die obere Instanz beeinflussen und einen Einfluß ausüben, der zur Umkehrung der Rechtsprechung führt. In diesem Stück persönlicher Unabhängigkeit liegt die Möglichkeit für den Richter, als Sinnstifter einzugreifen. Dies gibt ihm eine relativ überschaubare Rolle, die - unabhängig von der mittlerweile schon weit fortgeschrittenen Zersplitterung der juristischen Berufe - eine genuin normative Funktion darstellt. Damit können die Richter - trotz der eigenen bürokratischen Kontrollmechanismen des Gerichtssystems - zu Entscheidungen kommen, die relativ frei von politischem Druck sind. Die Rechtsprechung ist sogar in der Lage, unpopuläre Maßnahmen zu treffen, was im demokratischen Rechtsstaat gar nicht so selten der Fall ist. Solche Eigenschaften werden vor allem dann deutlich, wenn es zu kritischen Momenten kommt, wie dies in „hard cases" der Fall ist. Dabei wird die Bindung der Judikatur an ihre eigene Rechtsprechung getestet. Die Erfahrung zeigt, daß sich dabei auch neue Interpretationen entwickeln, die die klassischen Kompetenzen staatlicher Rechtsprechung ausweiten. Dies ist auch ablesbar an der Theorie der Präjudizienrechtsprechung, in deren Rahmen die Gerichte ihren Entscheidungen den Anschein einer gewissen Vorhersehbarkeit zu geben versuchen, an den außergesetzlichen Bestimmungen von Grundrechten, an der Verteilung von Kompetenzen an Fachgerichte32 etc. Im Hinblick auf diese realen Vorkehrungen der rechtli29 Ebd., S. 29. 30 Wir werden auf dieses Thema in § 6 zurückkommen. 31 Tércio Sampaio Ferraz Jr. , Kommunikationstheorie und Rechtsnormensystem, in: RECHTSTHEORIE 15 (1984), S. 515-523, 516. 32 Über das Problem der Grenzfestlegung von Gerichtsbarkeitsansprüchen und Normenkontrolle, die vom Bundesverfassungsgericht in bezug auf die Fachgerichte praktiziert wird,

2. Operative und strukturelle Spielräume der normativen Kommunikation

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chen Praxis übt Helmut Schelsky Kritik an dem blinden Beharren auf dem Unterschied zwischen programmierenden und programmierten Entscheidungen, der natürlich nicht gleichgesetzt werden darf mit den durch die staatsrechtliche Gewaltenteilung gezogenen Grenzen zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung. Wie hier dargelegt wurde, findet eine rechtliche Erzeugung von (individuellen) Normen auch im Rahmen der rechtsstaatlichen / staatsrechtlichen Rechtsprechung statt, deren normativer Gehalt über die Grenzen des jeweiligen Falls hinaus durchaus generalisierungsfähig erscheint.33 Es bleibt die klassische Frage, wie die Rechtsprechung sich auf ihre eigenen Beschränkungen einstellt. Darauf weist implizit auch Gerhard Zimmer hin, wenn er zwischen Legitimation der Rechtsprechung als Institution, den Gerichten und den einzelnen Entscheidungsprozessen unterscheidet.34 Diese Unterscheidung stellt verschiedene Aspekte desselben Phänomens dar, nämlich das Problem zu erkennen, wie Variation und Selektion von Recht gleichzeitig möglich sind. Da diese Prozesse auf eine neue Zusammensetzung der Elemente der Systembildung hindeuten, lassen sie sich besser untersuchen, wenn man von vornherein auf eine Betrachtung ihrer systemischen Implikationen abstellt.

2. Operative und struktureile Spielräume der normativen Kommunikation von Recht Den unterschiedlichen Auffassungen von Recht, hier verstanden als soziales System in den Dimensionen von Interaktions-, Organisations- und Gesellschaftssystem,35 stehen bisweilen laufende Kommunikationsprozesse entgegen, die sich nicht nur als Unstimmigkeiten oder gegenläufige Wertbezüge artikulieren, sondern auch als Ausdruck von Konflikten, die ihrerseits andersartige Selektionen und Lösungen der Probleme ermöglichen. Auf diese Weise kann es zu „normativen Galaxien" kommen, die sich voneinander entfernen und verselbständigen. Das damit andererseits auch verbundene Schaffen von Redundanz gibt dem Recht seine eigentümliche Art, sich zugleich auf die mögliche Ausübung von Gewalt, auf die Entfaltung individueller Freiheit oder auf rhetorische, konsensschaffende Mittel beziehen zu können.

siehe Wolf-Rüdiger 1987, S. 18, 23,25.

Schenke, Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, Heidelberg

33

Helmut Schelsky, Die juridische Rationalität, in: ders., Die Soziologen und das Recht, Opladen 1980, S. 34-76, 54. 34 Zimmer, Funktion, Kompetenz, Legitimation (FN 14), S. 303. Eine Analyse dieser Selbstabgrenzung führt Wilfried Schlüter, Das Obiter Dictum: Die Grenzen höchstrichterlicher Entscheidungsbegründung, dargestellt an Beispielen aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, München 1973, durch. 35

Niklas Luhmann, Soziale Systeme, 5. Aufl., Frankfurt am Main 1994, S. 16.

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§ 3 Rechtsprechung als normative Kommunikation und Entscheidung

Diese Realität erlaubt es, nach Erklärungen zu suchen, die über die traditionellen hermeneutischen Deutungen hinausgehen. Es muß in Rechnung gestellt werden, daß das Recht in verschiedenen episodischen Formen auftaucht, die von vorübergehenden individuellen Einstellungen getragen werden und im Zeitpunkt der Entscheidung juristische Relevanz besitzen, bis hin zu strukturellen Kopplungen sozialer Systeme (Beispiel: Verfassung, die im Verhältnis von Politik und Recht wirkt). Es geht also nicht nur um die Existenz des (sekundären) staatlichen Rechtssystems, sondern auch um sonstige (nichtstaatliche) rechtliche Primärsysteme, die ebenfalls zu dieser Realität gehören.36 Dabei muß die normative Kommunikation von Recht als die letzte operative Einheit (unit) angesehen werden, aus der sich das Rechtssystem durch laufende operative Verkettung von Direktiven und Normen aufbaut. Nicht die reinen Formen des sprachlichen Ausdrucks, sondern die symbolisch vermittelte, sprachliche Kommunikation und Kombination von Sinn sowie sonstigen handlungsbewertenden Bedeutungen bestimmt die rechtliche Systembildung. Deshalb ist es wichtig, die unterschiedlichen Formen der rechtlichen Kommunikation sowohl empirisch als auch analytisch-begrifflich voneinander zu trennen, d. h. die rechtstheoretische Kommunikation von derjenigen in der alltäglichen Praxis des Rechts zu unterscheiden, da es sich um verschiedene Systemleistungen handelt. Während die einfachsten Formen sich mit recht allgemeinen Vorstellungen begnügen können, bleiben andere Reflexionen an die terminologische Konsistenz und Beachtung der operativen Regeln des Systems gebunden. Dieser Unterschied belegt die These, daß die rechtliche - wie übrigens auch jede andere (politische, wirtschaftliche, religiöse o. ä.) - Kommunikation die eigenen Handlungszuschreibungen im zugehörigen Teilsystem (Subsystem) der Gesellschaft bestimmt. Handlungen sind aus dieser Sicht nur ein Teil der Kommunikationen, die durch Attribution getroffen werden.37 Es gibt dabei keine transzendentalen Kriterien; sie existieren nur, sofern sie in der Kommunikation thematisiert werden. Für die Rechtsdogmatik ist diese Feststellung längst selbstverständlich. Man braucht nur zu beobachten, wie sich die Juristen in ihren Gutachten oder ihrer prozessualistischen „Taktik" auf die verschiedenen Deutungen des Falls einrichten. Dabei wird rasch deutlich, daß in den unterschiedlichen rechtlichen Kommunikationssystemen ein unterschiedlicher Grad an Konsistenz und Rationalität auftreten kann.38 36 Werner Krawietz, Recht als Information und Kommunikation in der modernen Informationsgesellschaft - Normen- und Handlungstheorien im Übergang, in: Jürgen Brand/Dieter Strempel (Hrsg.), Soziologie des Rechts. Festschrift für Erhard Blankenburg zum 60. Geburtstag, Baden-Baden 1998, S. 175-206, 181. 37 Luhmann, Soziale Systeme (FN 35), S. 228. 38 Ein anderer, hieraus zu ziehender Schluß ist die Feststellung, daß dialogische Prozesse allein ungeeignet sind, normative Muster einzuführen. So die Kritik von Enrique P. Haha, Standortbestimmung zeitgenössischer Rechtstheorie - Rawls, Dworkin, Habermas und andere Mitglieder der „Heiligen (Rede-)Familie", in: RECHTSTHEORIE 27 (1996), S. 277-327.

2. Operative und strukturelle Spielräume der normativen Kommunikation

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Die Ordnungsbezogenheit des Rechts bleibt jedoch wichtig, da sie für die Ablösung unerträglicher Konflikte zwischen den unterschiedlichen Erwartungen nötig ist. Oder anders gesagt: Sie ist von großer Bedeutung für das Strukturieren von Erwartungen über Erwartungen anderer. Weil diese Erwartungen im nachhinein durchaus meßbar sind, gewinnt das Recht eine maßgebende Entscheidungsfunktion. Recht ist das bestehende und/oder noch zu schaffende Recht, das sich im Rahmen der aktuellen kommunikativen Prozesse entwickelt - unabhängig von idealen Maßstäben. Die Rechtskommunikation umfaßt drei Selektionsschritte, die eine operative und strukturelle Einheit bilden, nämlich Information, Mitteilung und Verstehen.39 Die Organisationen können dabei viele nebeneinander oder sogar teilweise konkurrierende Kommunikationssysteme veranlassen. In seiner langen geschichtlichen Entwicklung hat das Recht ein operatives Vermögen entwickelt, das in der sprachlichen Fähigkeit, sich „bestimmten Umwelten auszusetzen oder sich ihnen zu entziehen", zum Ausdruck gelangt.40 Die Orientierung der rechtlichen Kommunikation an bestimmten sozialen Systemen, Ämtern und Rollen spricht dafür, daß die normativen Erwartungen nicht in chaotischer Weise entwickelt, sondern immer nach erlernten Mustern produziert und reproduziert werden. Man muß aber zwischen dem Recht als Medium und dem Recht als Form unterscheiden. Während die rigide Form von Rechtsnormsätzen auf die Existenz von Grenzen innerhalb des kommunikativen Kreislaufs wie des sozialen Systems verweist, stellt das Recht als Medium - genauer gesagt: als generalisiertes symbolisches Medium - einen „lose gekoppelte(n) Zusammenhang von Elementen, der für Formung verfügbar ist", dar. 41 Dieser Unterschied ermöglicht es, genauer zu erkennen, wie sich im Recht Tradition und Mobilität gleichzeitig miteinander verbinden lassen: Eigentlich sind die Funktionen von Form und Medium konvertierbar. (Beispielsweise konnten die römischen Wortrituale, die zunächst buchstäblich genau für den Gang des Prozesses ausgesprochen werden mußten, mit der Zeit eine mehr zweckeingerichtete Deutung gewinnen. Umgekehrt verhielt es sich mit den mittelalterlichen Beweismitteln, die sich auf Gottes Willen bezogen und dabei unvorhersehbaren Deutungen ausgesetzt waren, die aus den Überschneidungen von religiös-politischen Ordnungsmotiven stammten.) Dabei haben die rechtlichen Konzepte immer noch Formeln und unbestimmte Begriffe zur Verfügung, die rhetorischen Appellcharakter besitzen und Unbestimmtes offen lassen, so daß man annehmen kann, darüber gesprochen und sich geeinigt zu haben, wenn das in der Tat nicht geschehen ist. 39 Niklas Luhmann, Was ist Kommunikation? In: ders., Soziologische Aufklärung 6, Opladen 1995, S. 113-124, 115 ff.; Krawietz, Recht als Kommunikation und Information in der modernen Informationsgesellschaft (FN 36), S. 180 f., 183 f. Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 2), S. 211. Ders., Soziale Systeme (FN 35), S. 222. 41 Niklas Luhmann, Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1990, S. 53; ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 2), S. 195 ff. Nichts steht entgegen, daß auch Formen im Laufe der Evolution als Medium wirken können und umgekehrt.

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§ 3 Rechtsprechung als normative Kommunikation und Entscheidung

Wie unterschiedlich die individuellen Motive auch sein mögen, das Recht ist nur an der effektiven, kongruent generalisierten normativen Kommunikation von hinreichend bestimmbaren Rechtsnormsätzen und ihrer Bedeutung interessiert. Dafür gibt es eine Reihe juridischer Schematisierungen, die der Klassifikation des rechtlich relevanten Verhaltens dienen, wie beispielsweise: erlaubt/nicht erlaubt, geboten / verboten, ermächtigt, freigestellt etc. Jene modalen Formen des Rechts, von denen weiter unten noch die Rede ist, lassen sich teilweise miteinander kombinieren, wie die allgemeinen Überlegungen zur Codierung von Rechtmäßigkeit/ Rechtswidrigkeit zeigen. Für Luhmann deuten diese Prozesse auf die Tatsache hin, daß es bei der Reproduktion rechtlicher Elemente nicht mehr nötig ist, daß die Beteiligten alles erkennen können. Nur die Begrenzung der Formbildungen ist von zentraler Bedeutung.42

3. Modale Formen und Verfahren der Gewinnung von Recht im Einzelfalle Die sogen. Autologie des Rechtssystems scheint bestätigt zu werden, wenn man erkennt, daß Rechtsentscheidungen, d. h. Direktiven und Normen, dazu tendieren, ein Netz zu formen - ungeachtet ihrer kognitiven Tendenz, zugleich normative Information und Wissen über die Welt zu vermitteln. Unsere Aufmerksamkeit und eine bewußte Informations- und Problemverarbeitung bezüglich der Normen und Regeln des geltenden Rechts wird nur in bestimmten Momenten und jeweils von Fall zu Fall gefragt. Im übrigen laufen die rechtlichen Beziehungen gewöhnlich reibungslos. Auch Inkongruenzen in sozialen Erwartungszusammenhängen sind normalerweise nicht so beschaffen, daß jede mangelnde Übereinstimmung einen rechtlichen Konflikt nach sich zieht, der durchrichterliches Urteil entschieden werden müßte. Dies geht so weit, daß auch ineffiziente Regierungen und eine zögerliche Verwaltung die staatliche Routine ohne nennenswerte Rechtsänderungen weiter betreiben können. Das Bestehen des Rechtssystems oder der Rechtsfrieden brauchen deswegen nicht gefährdet zu werden. Anstelle einer universell ausdehnbaren Form des Dialogs etablieren die institutionellen Mechanismen, die der rechtlichen Kommunikation zugrunde liegen, sich hauptsächlich durch die ständige Ausgrenzung nichtgewollter Effekte. Dies zeigt sich freilich nur bei einer rechts- und sozialtheoretischen Durchleuchtung und Rekonstruktion des Rechtsgeschehens. Es gibt noch immer Versuche, die bestehenden institutionellen und systemischen Grenzen zu transzendieren. Ein Beispiel dafür liefert, wenn ich recht sehe, Béla Pokol Er versucht, eine gleichsam ideale Durchsichtigkeit des Rechts durch Einsichtnahme in dessen Wesen einzuführen mit Hilfe einer Art „institutionell-strukturell geprägten Umwelt", die vorgeblich ah extra Normen und Werte („Wertungsgebiete") zur Verfügung stellen soll.43 Sein Ver42 Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 2), S. 206.

3. Modale Formen und Verfahren der Gewinnung von Recht im Einzelfalle

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such, alltägliche Formen der Kommunikation in die kognitive Suche nach einem vorgegebenen Recht einzubeziehen, die alsdann durch professionelle Hilfe unterstützt werden könnte, läuft hinaus auf einen so nicht haltbaren Kognitivismus und auf die Renaissance eines juristischen Vernunft(natur)rechts, das den gesellschaftlichen Ort des Rechts zwangsläufig verfehlt. Es gibt, rechtsrealistisch betrachtet, keine apriorischen oder durch reine Vernunft erkennbaren Werte. Die Informationsbeschaffung für Außenstehende kann nur an bestimmten Stellen erfolgen. 44 Dies wirkt sich bei den Gerichten in der Verteilung der Kompetenzen nach Ort, Gegenstand und den jeweiligen Adressaten des Rechts aus. Damit werden die Spielräume für Entscheidungen vergrößert, indem sie - wenn nötig uminterpretiert werden können. Andererseits soll man die Rolle informaler Kommunikation innerhalb des Verfahrens selbst nicht vernachlässigen, denn schließlich herrscht im Zeichen der Zeitoptimierung und Vermittlungsaufgabe des Richters das Mündlichkeitsprinzip. Dabei kommt die alltägliche Kenntnis als eine Art Stütze des Verfahrens vor, die Kriele sehr mißverständlich als „Vertrauensformen der Alltagsvernunft" kommentiert. „Sie bringen die Rechtsverfahren überhaupt erst in Gang, lösen die Klageeinrichtungen aus und veranlassen damit die Rechtsentscheidungen."45 Sie müssen aber in der Sprache des Verfahrens formuliert werden, wenn sie eine Chance auf Erfolg haben sollen. Für den informationellen Anschluß an andere soziale Systeme spielt für den Spezialisten der technische Unterschied zwischen Rechtsnorm und Rechtssatz eine wichtige Rolle, wobei der Rechtssatz konkreter als die Rechtsnorm gefaßt wird, weil er die einfache Form der Schrift beinhaltet. Die Norm ihrerseits ist eine rein abstrakte Sinnverkörperung, die in mehreren Rechtsnormsätzen auftauchen kann und zumindest angedeutet werden muß.46 Die Rechtssätze lassen es als machbar erscheinen, interpretative Synthesen und Sinndeutungen mit Hilfe von Informationen aus anderen sozialen Systemen vorzunehmen. Methodologisch tritt eine derartige Anpassung schon im Rahmen des Vorverständnisses ein. Sie muß jedoch, wenn die Entscheidung erfolgt ist, aus Gründen der Konsistenz wieder in die Rechtsordnung eingefügt werden. Dies ist bei jeder Rechtsregel der Fall. 47 Die 43 Béla Pokol, Professionelle Institutionensysteme oder Teilsysteme der Gesellschaft? In: Zeitschrift für Soziologie 5 (1990), S. 329-344, 332. 44 Gromitsaris, Normativität und sozialer Geltungsgrund des Rechts (FN 15), S. 145. Mit Luhmanns Worten besitzen die Organisationen die für soziale Systeme einmalige Fähigkeit, mit Systemen ihrer Umwelt kommunizieren zu können, vgl. ders., Soziale Systeme (FN 35), S. 834, 842. 45 Martin Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung. Entwickelt am Problem der Verfassungsinterpretation, 2. Aufl., Berlin 1976, S. 162. 46

Gromitsaris, Normativität und sozialer Geltungsgrund des Rechts (FN 15), S. 20, will diesen Unterschied als „eine überflüssige Duplizierung der Rechtsnormgestaltung" charakterisieren. Für ihn reicht das Konzept des Rechtsverhältnisses aus, um jede rechtlich relevante soziale Beziehung zu erfassen. 47 Werner Krawietz, Staatliches oder gesellschaftliches Recht? Systemabhängigkeiten normativer Strukturbildungen im Funktionssystem Recht, in: Werner Krawietz / Michael Welker

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§ 3 Rechtsprechung als normative Kommunikation und Entscheidung

enge Form der rechtlichen Kommunikation setzt die normativen Bedingungen, welche die Reproduktion des Systems gewährleisten.48 Damit sind die Probleme, die die Positivierung des Rechts der Rechtsdogmatik eingebracht hat, noch nicht gelöst. Unter dem Gesichtspunkt neuer „Risiken" und „Gefährdungen" gibt es nur eine sehr geringe Garantie der Richtigkeit von Sinndeutungen.49 Dies zeigt sich bei der Inanspruchnahme von Rechtsstrukturen durch andere soziale Systeme, wie Wirtschaft oder Politik, die nicht selten zu Störungen der Funktionssysteme führen können. Bei starken soziostrukturellen Unausgewogenheiten und defizitärer Differenzierung des Rechtssystems können derartige Probleme zu erheblichen Störungen der Rechtsetzungsprozesse führen. Vor allem die Rolle des Geldes als Medium der Wirtschaft erscheint als ein wichtiger Faktor für die Zunahme und den Ausgleich sozialer Ungerechtigkeiten50 und mangelnder rechtlicher Sicherheit. So gesehen, stehen die Individuen inmitten einer unsicheren, höchst „unübersichtlichen Welt". Sie nehmen Positionen ein, in denen ihre Motivationen weitgehend differieren. 51 Diese werden im Rahmen rechtlicher Verfahren nur begrenzt wahrgenommen. Indem der ursprüngliche Konflikt isoliert und im Verfahren transformiert wird, entsteht eine informationelle Differenz zwischen den Beteiligten. Deshalb kann man mit Luhmann sagen, daß die strukturelle Ungewißheit über den Ausgang des Entscheidungsverfahrens ein ganz wichtiges Instrument des Rechts ist. 52 Die Begrenzung der Inanspruchnahme durch die Institution der Justiz hat ihr Korrelat in der Ausweitung informeller Rechtsetzung und entsprechender sozialer Kontrollen. Die Umkehr der traditionellen, an das erkennende Subjekt und Individuum gebundenen Analyse wird wegen der implizierten Begrenzungen dieses Ansatzes (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt am Main 1992, S. 247-301, 255. 48 Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 2), S. 196. 49 Werner Krawietz, Risiko, Recht und normative Verantwortungsattribuüon in rechtsethischer Perspektive, in: Volker Gerhardt/Werner Krawietz (Hrsg.), Recht und Natur. Beiträge zu Ehren von Friedrich Kaulbach, Berlin 1992, S. 147-187. 50 Niklas Luhmann, Gerechtigkeit in den Rechtssystemen der modernen Gesellschaft, in: ders., Ausdifferenzierung der Gesellschaft. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Frankfurt am Main 1981, S. 374-418, 380. 51 Die sozialen Integrationsprozesse laufen in den jeweiligen Rechtssystemen höchst unterschiedlich ab. In den angloamerikanischen Systemen, in denen eine größere Informalität herrscht, tendiert man dazu, dem Gemeinwesen eine wichtigere Rolle einzuräumen. So Werner Gephart, Gesellschaftstheorie und Recht. Das Recht im soziologischen Diskurs der Moderne, Frankfurt am Main 1993, S. 245. Dies wirkt in der Tat in Richtung einer Verstärkung von „Exklusionsregeln". Vgl. Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 2), S. 619 ff. Wir werden im nächsten Abschnitt darauf zurückkommen. 52 Niklas Luhmann, Legitimation als Verfahren, 3. Aufl., Frankfurt am Main 1993, S. 47 ff., und: Konflikt und Recht, in: ders., Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Frankfurt am Main 1981, S. 96-112, 107.

3. Modale Formen und Verfahren der Gewinnung von Recht im Einzelfalle

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weitgehend als überholt angesehen. Gunther Teubner geht noch einen Schritt weiter und will darin eine Ausbeutung des Individuums durch die sozialen Systeme erblicken.53 Er verkennt dabei die Tatsache, daß die Macht der Sanktionen gerade darin liegt, daß die Individuen sie auf das Handeln anderer projizieren. Man könnte auch sagen, auf diese Weise finde eine gewisse »Ausbeutung" des Rechtssystems durch die Individuen statt. Der homo juridicus fungiert nicht nur, wie der Autor meint, als eine negative Funktion, sondern stellt eine Art rechtliches Institut dar, das so nützlich oder entbehrlich erscheint wie andere argumentative Figuren. Andererseits muß man wohl sagen, daß die Abgrenzung rechtlicher Kommunikation von anderen sozialen Kommunikationen bisweilen nicht frei von Willkür verläuft. Im nachhinein gehört dazu die Feststellung, daß in der Kommunikation etwas über die Welt mitgeteilt oder nicht mitgeteilt wird. Eben darin liegt auch die Funktion von Konflikten. 54 Selbst das Negieren von Negationen wird möglich und als durchaus real betrachtet. Deshalb werden „negative" Erfahrungen von Enttäuschungen und Konflikten nicht durch das Recht ausgelöscht, sondern durch das Recht geradezu ermöglicht.55 Je wichtiger das Recht wird, um den Prozeß der weiteren sozialen Ausdifferenzierung zu orientieren, umso weniger darf die Existenz anderer kommunikativer Mittel ignoriert werden. Das Recht ist nur eine der vielen möglichen Strukturen und Formen sozialer Systeme. Immerhin erwachsen aus den tatsächlich existierenden rechtlichen Kommunikationsformen wichtige Indikatoren für den Grad sozialer Organisation.

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Michael Hutter/Gunther Teubner, Der Gesellschaft fette Beute. Homo juridicus und homo oeconomicus als kommunikationserhaltende Fiktionen, in: Peter Fuchs /Andreas Göbel (Hrsg.), Der Mensch - das Medium der Gesellschaft? Frankfurt am Main 1994, S. 110 -145. Diese Figur hat eine gewisse Verwandtschaft mit der Habermasschen Kritik der „Kolonialisierung" der Lebenswelt. 54 Luhmann, Konflikt und Recht (FN 52), S. 98. 55 Ebd., S. 104 ff.

Zweiter Abschnitt

Verhältnis von Politik, Rechtsstaat und Rechtsprechung § 4 Gesellschaftliche und staatliche Basis des Rechts 1· Verfassung als Ausdruck der Autoritätsstruktur der Rechtsordnung Die verfassungs- und rechtsgeschichtliche Entwicklung staatlich organisierter Rechtssysteme stellte sich gewöhnlich als Reaktion auf Umstände dar, die die Gesellschaft erschütterten. Nicht selten sind dies Ereignisse, die aus der mangelnden Stabilität der Gesellschaft herrührten oder aus politisch-rechtlichen und revolutionären Bedingungen, die Eingang in die kollektiven Erlebnisse und in das soziale Gedächtnis gefunden haben, wie beispielsweise die französische Revolution.1 So entstanden kontrafaktische, normative Mechanismen, die zugleich als Grenzbestimmungen für das Rechtssystem fungieren, indem sie die Erwartungen über Erwartungen institutionalisieren. Gleichzeitig blieb es immer notwendig, kommunikative Verbindungen zur umgebenden sozialen Welt und zu anderen sozialen Systeme zu unterhalten, denn kein System kann in splendid isolation bestehen. Es besitzt zwar Autonomie, aber dies führte nirgendwo zur Autarkie sozialer Systeme. Es stellt deshalb keinen Widerspruch dar, wenn behauptet wird, daß gerade jene systemischen Grenzen als Nährboden für evolutionäre Formen und Neuentwicklungen fungieren können. Jedenfalls kann die laufende Selektion, Variation und Stabilisierung normativer Strukturen des Rechts zugleich den take offiüx neue Entwicklungen bilden, denn nichts garantiert, daß sich bei der ständigen Produktion und Reproduktion von Recht der Kreis schließt.2 Was auf den ersten Blick als unorganisiertes Ereignis angesehen werden mag, kann für die genauere Beobachtung und Dekonstruktion als unerläßliche Neuerung des Systems erfahren werden. Die1

Gerald Stourzh, Vom Widerstandsrecht zur Verfassungsgerichtsbarkeit: Zum Problem der Verfassungswidrigkeit im 18. Jahrhundert, Graz 1974. Über den begrifflichen Unterschied zwischen Erleben, Bewußtsein und Handeln siehe Niklas Luhmann, Erleben und Handeln, in: ders., Soziologische Aufklärung 3, Opladen 1981, S. 67-80. 2 Niklas Luhmann, Evolution des Rechts, in: ders., Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Frankfurt am Main 1981, S. 11-34, 15, sowie das Kapitel mit gleichem Titel, in: ders., Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1993, S. 239-296, 277.

1. Verfassung als Ausdruck der Autoritätsstruktur der Rechtsordnung

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ser Übergang wird geschafft, wenn es gelingt, spezifische Differenzen in das System zu kopieren. Es ist wichtig zu sehen, daß die vermeintliche Einheit des gesamten Prozesses, die man ex post identifizieren mag, keinesfalls auch ex ante mit kognitiven Mitteln erfaßbar ist. Dem wissenschaftlichen Beobachter sind stets nur ,3ruchstticke" zugänglich. Infolgedessen kommt der Verfassung im Rahmen des Aufbaus von normativen Strukturen, vor allem bei der Schaffung der Autoritäts- und Herrschaftsstrukturen des geltenden Rechts, eine zentrale Bedeutung zu. Dies wirft die Frage auf, ob nicht die Verfassungen der modernen Rechtsstaaten oder gar die Positivität des Rechts überhaupt zu den evolutionären Errungenschaften gehört, hinter deren Schaffung die moderne Gesellschaft nicht mehr ohne weiteres zurückfallen kann. Die Rechtspositivierung kristallisiert einen bedeutenden Schritt im Prozeß der Entwicklung der modernen Gesellschaft, indem sie die Möglichkeit eröffnet, ständig Lösungen für Konflikte und Entscheidungen über Rechte zur Verfügung zu stellen, ohne im voraus ein Wissen über deren konkrete Inhalte zu besitzen. In diesem Sinne hat sie zur Schaffung einer neuen sozialen Semantik beigetragen allein schon dadurch, daß man sich nicht mehr auf rigide soziale Hierarchien (Stände, Klassen, Schichten) berufen kann, sondern sich auf die Individualisierung eigener Rechte einstellen muß, die in der Verfassung selbst »verkörpert4 sind.3 Von diesem Moment an erscheint der Dualismus von Verfassung und individuellen Rechten für die moderne Gesellschaft unvermeidlich.4 Genauso wie gesellschaftliche Systeme der Moderne sich von älteren Strukturen ablösten und neue Funktionen bekleideten, mußte auch die Macht neu definiert werden. Sie kann heute nicht mehr wie in früheren Gesellschaften entpolitisiert werden, d. h. als „natürlich" dargestellt werden, sondern muß sich einen eigenen sozialen Raum schaffen und den beherrschen, in den die politischen Entscheidungen auch eigens gerechtfertigt werden können und müssen. Dies entspricht im Rahmen einer Reflexion von Recht der Thematisierung der Beziehungen zwischen Gesellschaft, Staat und Recht.5 Die Ausdrücke „Bürgerliche Gesellschaft"6 und 3 Im Gegensatz hierzu steht das Naturrecht als ein „Fossil", das den Bezug auf eine frühere Gesellschaft in apriorischen Kategorien aufrechterhalten will, während das moderne Recht sich auf funktional ausdifferenzierte Gesellschaften einstellt, für die kein früher existierendes, transzendentales Recht anerkannt wird. Statt von »menschlicher Natur4 und kategorischen »Geboten' ist von Rechtssubjekten und subjektiven Rechten die Rede. Natürlich verhindert dies nicht die Möglichkeit, auf jenen frühen semantischen Formen zu beharren, die sich jetzt aber als rein kognitive Idealisierungen darstellen, anstatt die effektiven Kommunikationsformen der Gesellschaft abzubilden. 4 Siehe den Art. 16 der französischen „Déclaration Universelle des Droits de l'Homme et du Citoyen" von August 1789: „Toute société dans laquelle la garantie des droits n'est pas assurée et la séparation des pouvoirs déterminée, n'a pas de constitution." Die Verfassung gewinnt damit den Status der Selbstreferenzialität. 5 Manfred Riedel, Der Staatsbegriff der deutschen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts in seinem Verhältnis zur klassisch-politischen Philosophie, in: Der Staat 2 (1963), S. 41 -63.

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§ 4 Gesellschaftliche und staatliche Basis des Rechts

„Private Autonomie" erscheinen damit als Formeln für das Behalten der rechtlichen Initiative gegenüber dem Staat. Schon dadurch entstehen neue Räume für die Legitimation des Rechts, die sich von dem überkommenen „zentralen Glauben" ablöst. Die Eigenart der verfassungsrechtlichen Entscheidungsformen - die Ausübung von Kompetenzen, die mit verschiedenen Freiheiten zusammengebracht werden müssen und an ihnen ihre Grenzen finden - spiegelt in den modernen Reflexionen sich oft als eine quälende Suche nach einer „Verfassungswirklichkeit", einer optimalen Übersetzung der Gesellschaft in juristische Kategorien wider.7 Dabei wird die Tatsache ausgeblendet, daß es auch heute Gesellschaften gibt, die ohne Verfassung leben oder die der Verfassung keine koordinierende Rolle zuteilen.8 Wenn man die Kausalitäten in Rechnung stellt, die der gesellschaftlichen Evolution zugrunde liegen, so scheint die bekannte Metapher der Verfassung als die „Kleider" (Lassalle), die jedem sozialen Körper angepaßt werden müssen, selbst überholungsbedürftig. Um die Verfassung nicht mit dem Staat und diesen nicht mit der Gesellschaft zu verwechseln, braucht man nur deren Funktionen zu erforschen. Sie sind zu erblicken in der Art und Weise, wie der Verfassungsstaat auf die gesellschaftliche Ausdifferenzierung des politischen Systems reagiert hat.9 Es scheint so zu sein, daß damit disponible Ausgangswege erreicht werden sollten für den Fall, daß es zur Blockierung von Entscheidungen kommen würde. Solche Operationalisierungen tauchen immer wieder bei der Überschneidung von politischem System und Verfassungsrecht mit „dem übrigen Recht" auf. Hier vermag der besondere Status der Verfassung die notwendige Plastizität und Flexibilität gegenüber den gegenseitigen Bedürfnissen sozialer Systeme zu gewähren.10 Dies wird

6 Über Hegels Beitrag für das Konzept siehe Manfred Riedel, Der Begriff der bürgerlichen Gesellschaft" und das Problem seines geschichtlichen Ursprungs, in: Ernst-Wolfgang Böckenförde (Hrsg.), Staat und Gesellschaft, Darmstadt 1976, S. 77-108, 99 ff. 7 Wilhelm Hennis, Verfassung und Verfassungswirklichkeit. Ein deutsches Problem, Tübingen 1968, meint, diese Suche sei typisch für die deutsche Politikwissenschaft als eine Art Kompensation für die jahrhundertlange Verspätung der Bildung (nationaler) staatlicher Strukturen. 8 Dies wird vor allem über die englische Verfassung gesagt, die eigentlich nur als eine „kulturelle Haltung" gegenüber bestimmten Gesetzen erscheint. Siehe Werner von Simson, Das Common Law als Verfassungsrecht, in: Der Staat 1 (1977), S. 75-90, 86. Selbst im Rahmen der kontinentalen Tradition gibt es Beispiele von Defiziten in der verfassungsrechtlichen Institutionalisierung, wie von Marcelo Neves, A constitucionalizaçâo simbòlica, Säo Paulo 1993, mit Bezug auf die symbolischen Funktionen der Verfassungen dargestellt wird. Vgl. auch: ders., Symbolische Konstitutionalisierung, Berlin 1998. 9 Niklas Luhmann, Metamorphosen des Staates, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 4, Frankfurt am Main 1995, S. 101 -150, 112. 10 Christian Starck, Die Flexibilität rechtlicher Institutionen, in: Brigitte Nedelmann (Hrsg.), Politische Institutionen im Wandel, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 35, Opladen 1995, S. 41 -53.

1. Verfassung als Ausdruck der Autoritätsstruktur der Rechtsordnung

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nur möglich, indem die Verfassung die Funktion einer normativen strukturellen Kopplung erfüllt, d. h. indem sie die Möglichkeit der Strukturierung laufender Prozesse in beide Richtungen darstellt, d. h. beide sozialen Systeme aufeinander bezieht und miteinander integriert, ohne daß damit neue Strukturen gebaut werden müssen.11 Das Konsolidieren der sozialen Ausdifferenzierung verstärkt solche Tendenzen auch weiterhin. Dabei stellt die Entfaltung des Rechts ihrerseits eine wichtige Bedingung für die Entwicklung anderer sozialer Systeme dar. Außerdem können auf diese Weise eventuelle Überforderungen durch die Inanspruchnahme von Organisationen kompensiert werden. Dies verhindert selbstverständlich nicht die Existenz komplexer gesellschaftlicher Formen des Rechts außerhalb der staatlichen Institutionen, weil es ohne sie keinerichtigeTrennung zwischen Recht und Politik geben könnte.12 Aber gerade weil das staatliche Recht immer auch gesellschaftliches Recht ist (was umgekehrt nicht immer der Fall ist!), sind die Verknüpfungen zwischen beiden nicht leicht offenzulegen. Sie stellen Formen loser struktureller Kopplungen dar. Die formalen Charakteristika der Rechtspositivität besitzen dafür vor allem die Fähigkeit, die verschiedenen Agenten bei der Rechtsproduktion zu integrieren. 13 Die Verflechtungen unterschiedlicher sozialer Rechtserlebnisse implizieren die Überholung der alten liberalen Vorstellung einer Trennung von Staat und Gesellschaft. Die organisatorischen Formen des Rechts machen es möglich, im Rechtssystem staatliche und interaktionistische Analysen zu betreiben. Dies zeigt sich, wie Krawietz bemerkt, in der Komplementarität von primären und sekundären Rechtssystemen.14 Das heißt, daß die spontanen, meist unreflektierten Regeln des Alltags in Verbindung mit den staatlich orientierten Regeln bleiben - was ihnen aber keinen untergeordneten oder gar minderen Status verleiht. Dadurch entsteht ein ständiges Bedürfnis nach authentischer Interpretation, in deren Rahmen die verfas11

Über die Benutzung des Konzepts in bezug auf das Rechtssystem Andreas Schemann, Strukturelle Kopplung. Zur Festlegung und normativen Bindung offener Möglichkeiten sozialen Handelns, in: Werner Krawietz/Michael Welker (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt am Main 1992, S. 215-229. Außer den operativen und normativen Kopplungen hebt der Autor noch die Existenz hierarchischer Kopplungen hervor, die innerhalb des Rechtssystems auftauchen (ebd., S. 227). 12 Niklas Luhmann, Die Funktion des Rechts, in: ders., Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1993, S. 124-164, 144. 13 Es gibt deshalb kein „alternatives" Recht und auch keine „alternative" Rechtsprechung, sondern nur Demarkationslinien innerhalb der schon existierenden Strukturen. Wenn es beim Protest bleibt, so wird klar, daß man eine institutionelle Lösung erwartet, die von jemand anders getroffen werden muß. 14 Werner Krawietz, Recht ohne Staat? Spielregeln des Rechts und Rechtssystem in normen- und systemtheoretischer Perspektive, in: Danilo Basta /Werner Krawietz/Dieter Müller (Hrsg.), Rechtsstaat - Ursprung und Zukunft einer Idee. Symposium zum 150jährigen Bestehen der Belgrader Juristischen Fakultät, RECHTSTHEORIE 24 (1993), S. 81 -133,116.

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§ 4 Gesellschaftliche und staatliche Basis des Rechts

sungsbezogenen Konflikte durch eine spezielle Instanz der Rechtsprechung gelöst werden sollen, d. h. durch die Verfassungsgerichtsbarkeit. Die Verfassung entwickelt sich damit zu der Form, „mit der das Rechtssystem auf die eigene Autonomie reagiert". 15 Sie ist das Scharnier, das die kommunikative Verbindung zur sozialen Umwelt des Rechtssystems schafft und sich damit gleichzeitig selbst umformen kann. Darunter fallen auch verfassungsrechtliche Vereinbarungen, die durch den eigenen kulturellen Hintergrund geprägt werden und deshalb von dem Maß des „sozialen Engagements" und seiner Konkretisierungsform abhängig sind. Insoweit sind Verfassungen „Medien der Vermittlung".16 Sie fungieren als dynamische Förderung von Freiheiten, indem sie die Unterscheidung zwischen dem staatlichen und dem öffentlichen Bereich operationalisieren.17 Diese Facetten verfassungsstaatlicher Rechtsbetrachtung haben eine intime Beziehung zur historischen Entwicklung der westeuropäischen und nordamerikanischen Rechtserfahrungen. Sie haben trotz der Unterschiede zwischen den kontinentalen und den anglo-amerikanischen Rechtssystemen ähnliche Mechanismen der Beachtung des Primats der Verfassung geschaffen. 18 Sie sind so tief in die politische Kultur eingebettet, daß die Theorie der Verfassung selbst die moderne Gesellschaft auf eine ganz eindeutige Weise geprägt hat nachdem die revolutionären Geschehnisse des vorigen Jahrhunderts das letzte Erbe der persönlichen Herrschaft abgeschafft haben. Die Verfassung gewinnt damit die Rolle einer kontrollierenden Instanz bei der Selbsthierarchisierung der rechtlichen Ordnung.19 Verfassungsänderungen galten schon immer als ein Thermometer sozialer Krisen, zu denen man sich genauso präventiv wie ex post eingreifend verhielt (verfas15

Niklas Luhmann, Verfassung als evolutionäre Errungenschaft, in: Rechtshistorisches Journal 9 (1990), S. 176-220, 187. Fernando Galindo, Selbstreproduktion des Verfassungssystems? In: Werner Krawietz / Ernesto Garzón Valdés/Agustin Squella (Hrsg.), Neuer Konstitutionalismus und politische Herrschaftsstrukturen in vergleichender Perspektive - Iberoamerika und Europa im Dialog, RECHTSTHEORIE Beiheft 13, S. 301-312 (im Druck). 16 Manfred Lauermann, Der Nationalstaat - Ein Oxymoron, in: Jürgen Gebhardt/Rainer Schmalz-Bruns (Hrsg.), Demokratie, Verfassung und Nation, Baden-Baden 1994, S. 33-51, 34. 17 Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im demokratischen Sozialstaat der Gegenwart, in: ders., Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Frankfurt am Main 1991, S. 209-243,227.

Allerdings ist die formale normative Kontrolle ganz anders, wie Neil MacCormick, Der Rechtsstaat und die Rule of Law, in: Juristen-Zeitung 2 (1984), S. 65-70, 67, Fn. 8, einräumt. Im nordamerikanischen Fall sind die Gerichte immer Verwaltungsorgane gewesen, stark geprägt durch die an der Gemeinschaft orientierten Beziehungen. Die Verfassungsgerichtsbarkeit ist dann nicht Phänomen und Ausdruck der Souveränität des Rechtsstaats, sondern dient eher der Koordinierbarkeit verschiedener individueller Rechtsräume. 19 Stourzh, Vom Widerstandsrecht zur Verfassungsgerichtsbarkeit (FN 1), zeigt, daß es schon seit dem 17. Jh. in England einzelne Schritte in Richtung Kontrolle der Verfassungsgerichtsbarkeit (trotz der umstrittenen Geltung des Konzepts) gab.

1. Verfassung als Ausdruck der Autoritätsstruktur der Rechtsordnung

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sungsgebende oder verfassungsändernde Versammlungen), so daß Vorkehrungen gegen noch gravierendere Vorkommnisse getroffen werden konnten. Dabei liegt die entscheidende Innovation des verfassungsregierten Staates darin, daß die Realität einer Teilung zwischen Staat, Öffentlichkeit und dem privaten Raum je nach den Positionen der Rechtssubjekte unterschiedliche Gewichtung bekommen kann. Die Entstehung der Verfassungsgerichtsbarkeit ist repräsentativ für dieses Moment, indem sie nicht nur als rechtsnormative Kontrolle erscheint, sondern gleichzeitig als rechtsprechende Kontrolle der gesamte Judikative selbst. Die staatliche „Sphäre" erscheint so angelegt, daß sie ökonomische Interventionsformen, wie Planung oder Wirtschaftssteuerung, ergreifen kann, d. h. Elemente rechtlichen Handelns, die auch zu anderen sozialen Systemen - außerhalb des Staats - gehören. Damit trägt die Verfassung dazu bei, Verflechtungen, Symbiosen und Konflikte mit dem öffentlichen Raum und der privaten Rechtsordnung zu markieren. Dies bedeutet sicherlich eine gegenseitige Irritation der diversen Teilsysteme der Gesellschaft. Auch ist dieser Aspekt kein exklusives Phänomen von Gesellschaften, die institutionelle Defizite aufweisen, sondern ein Charakteristikum der modernen Gesellschaft überhaupt. Die Rechtssysteme unterscheiden sich durch ihre Fähigkeit, trotz kommunikativer Störungen ihre sozialen Kräfte zum Einsatz zu bringen. Schließlich gewinnen auch die sozialen Beziehungen innerhalb der staatlichen Gewaltenteilung selbst eine neue Bedeutung. Sie stellen institutionalisierte Formen einer organisierten Lebensbewältigung dar, die gegen die laufende Tendenz einer „Spaltung zwischen Interaktion und Gesellschaft" 20 wirken. Die staatlichen und sonstigen gesellschaftlichen Rechtseinrichtungen stehen heute eher in einer kooperativen als in einer konfliktträchtigen Beziehung zueinander.21 Das tradierte Konzept des liberalen Staates, der eine von Dieter Grimm näher charakterisierte „reaktive, punktuelle und bipolare" Struktur formte, erscheint daher weitgehend als überholt. Es war eine rein reaktive Antwort auf die Aktion eines „Störers" der staatlichen Ordnung.22 In dem Maße aber, wie die wirtschaftliche Entwicklung neue Unsicherheiten brachte, kam es in vielen sozialen Bereichen zu einem Staatsinterventionismus. Die Bedürfnisse nach einer konzeptionellen Erweiterung wurden erfüllt durch ein Konzept des Rechtsstaats, das auch innerhalb der Staatsorganisation und der zugehörigen Verfahren normative strukturelle Kopplungen vorsieht.

20 Niklas Luhmann, Soziale Systeme, 5. Aufl., Frankfurt am Main 1994, S. 585. 21 Helmuth Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat, Berlin 1984, S. 109. Für die Verflechtungen zwischen Verfassungsstaat und Völkerrecht siehe Peter Häherle, Der kooperative Verfassungsstaat, in: Friedrich Kaulbach / Werner Krawietz (Hrsg.), Recht und Gesellschaft. Festschrift für Helmut Schelsky zum 65. Geburtstag, Berlin 1978, S. 141 -177. 22 Dieter Grimm, Der Wandel der Staatsaufgaben und die Krise des Rechtsstaates, in: ders., Die Zukunft der Verfassung, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1994, S. 159-175, 165. 5 Albuquerque

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2. Rechtsstaatsprinzip und Rechtsstaatlichkeit Es besteht heute kein einheitliches Verständnis im Hinblick auf das Konzept des Rechtsstaats. Die juristische Prinzipienlehre leitet es üblicherweise sowohl aus der staatsrechtlichen Organisation der Gewaltenteilung ab oder auch unmittelbar aus dem demokratischen Prinzip. Dabei bleibt unklar, was im Rahmen der gesellschaftlichen Strukturen damit gemeint ist. Auch eine Unterscheidung formeller und materieller Charakteristika kann der sozialen Dynamik des Rechtsstaates nicht gerecht werden. Deshalb bemerkt Krawietz, daß es tatsächlich um etwas anderes geht: „Ursprünglich bloß als politische Leididee verstanden, wird das Rechtsstaatsprinzip heute - zumindest in der westlichen Welt - als maßgebendes soziales Strukturprinzip aller staatlich organisierten Rechtssysteme angesehen."23

Darin liegt die Annahme, daß der maßgebende und entscheidende Faktor des rechtsstaatlichen Konstrukts nicht allein in der Existenz von Schranken und Kontrollen der Macht und Autorität des Staates liegt, sondern daß es einen Zusammenhang zwischen den politischen und rechtlichen Beziehungen herstellt, d. h. die Interdependenz zwischen beiden Systemen reguliert. Andererseits ist festzustellen, daß das Rechtsstaatsprinzip in jüngster Zeit bestimmte Verlagerungen seiner Schwerpunkte und Grenzen erfahren hat. Dies betrifft hauptsächlich die überkommenen Vorstellungen der Volkssouveränität, aber auch die konsequente Entwicklung des Gedankens einer Rechtssouveränität, der das institutionelle Design moderner Rechtssysteme prägt.24 Hierzu gehört eine Reihe ausdifferenzierter Rechtstechniken und Praktiken. Sie haben, wie Ulrich Scheuner bemerkt, ihre Basis in der verfassungsrechtlichen Kultur, ohne die es keinen Rechtsstaat gäbe.25 Ein Beispiel ist die Funktionalität der Grundrechte, die in der Geschichte oft zum Gegenstand harter Kämpfe gemacht wurde. Erst spät kam es zu einer Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte.26 Hierzu kam die Garantie des effektiven Rechtsschutzes als untrennbares Kernstück des Rechtsstaatsprinzips.27 23 Werner Krawietz, Rechtstheorie und Rechtsstaatlichkeit, in: ders./Mihâly Samu/ Péter Szilâgyi (Hrsg.), Stabilität und Variabilität des Rechts im modernen Rechtssystem. Internationales Symposium der Budapester Juristischen Fakultät, RECHTSTHEORIE 27 (1995), S. 435461,441-442. 24

Üblicherweise wird das Prinzip in Artikel 20 Abs. 2 des Grundgesetzes verankert. Darin liegt eine semantische Reminiszenz an die Frühmoderne, die sich heute aber als problematisch darstellt. Siehe Niklas Luhmann, Das Volk steigt aus, in: Die politische Meinung 38 (1993), S. 91 - 9 4 ; Krawietz, Recht ohne Staat? (FN 14), S. 124 (Ausdehnung des Konzepts der Souveränität). 25 Scheuner, Begriff und Entwicklung des Rechtsstaates, in: Hans Dombois/Erwin Willkens (Hrsg.), Macht und Recht. Beiträge zur lutheranischen Staatslehre der Gegenwart, Berlin 1956, S. 76-88, 85. * Eingehend hierzu: Ekkehart Stein, Staatsrecht, 10. Aufl., Tübingen 1986, S. 156.

2. Rechtsstaatsprinzip und Rechtsstaatlichkeit

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Niemand wird bezweifeln, daß ein solches Prinzip grundsätzliche Bedeutung für die gesamte rechtliche Ordnung hat, obwohl der Rechtsstaat als solcher - einmal abgesehen von Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG - nicht ausdrücklich im deutschen Grundgesetz festgeschrieben wird. Es wird als selbstverständlich angenommen, daß das Rechtsstaatsprinzip zu den anderen Rechtsprinzipien in einem ranghöheren Verhältnis steht, so daß letztere als von ihm abgeleitet angesehen werden können. Es stellt somit also ein Selbstbild für die ganze Rechtsordnung auf. Dabei handelt es sich um eine Art Paradoxie, wie Luhmann ausdrücklich feststellt: , Je nach Systemreferenz meint die Rechtsstaatsformel also Verschiedenes. Aber sie bringt das Verschiedene in einer Formel - oder wie man auch sagen kann: mit einem Schema zum Ausdruck und macht es dadurch möglich, auch dies noch zu bezeichnen, daß das politische System ebenso wie das Rechtssystem ohne das jeweils andere nicht das wäre, was es ist."28

Um sich gegen administrative Gründe oder gegen eine zu extreme bürokratisierende Tendenz zur Wehr setzen zu können, bekam das Rechtsstaatsprinzip eine weitere Qualifizierung - als demokratisches Rechtsstaatsprinzip. Dies setzt nicht nur die Möglichkeit politischer Opposition und die Disponibilität beiderseitiger institutioneller Mechanismen voraus, die es ermöglichen, die politischen und administrativen Ämter regelmäßig mit neuen Führungspersönlichkeiten zu bekleiden, sondern bringt auch die juristische Innovation der gerichtlichen normativen Kontrolle mit sich.29 Dies macht entsprechende theoretische Analysen erforderlich, um die verschiedenen Elemente des Grundrechtsschutzes integrieren zu können. In diesem Sinne bleibt das Rechtsstaatsprinzip in ständiger Erweiterung und realisiert damit die Überholung der traditionellen Gesichtspunkte einer Macht- und Autoritätsbegrenzung.30

27

Siehe Edzard Schmidt-Jortzig, Effektiver Rechtsschutz als Kernstück des Rechtsstaatsprinzips nach dem Grundgesetz, in: Neue Juristische Wochenschrift 40 (1994), S. 25692573. Nach Meinung von Uwe Diederichsens gehört sie zu den „äußeren Grenzen des Rechtsstaats". Eingehend hierzu: ders., Innere Grenzen des Rechtsstaats, in: Hans-Martin Pawlowski/Gerd Roellecke (Hrsg.), Der Universalitätsanspruch des demokratischen Rechtsstaates, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Beiheft 65, Stuttgart 1996, S. 129-149, 144. 28 Niklas Luhmann, Politik und Recht, in: ders., Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1993, S. 407-439, 426. Siehe auch Philip Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip. Überlegung zu seiner Bedeutung für das Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Tübingen 1986, S. 43, über die unterschiedlichen (und manchmal logisch widersprüchlichen) Funktionen des Prinzips. 29 Dieter Grimm, Reformalisierung des Rechtsstaats als Demokratiepostulat? In: Juristische Schulung 10 (1980), S. 704-709, 704. Im preußischen Reich hatte es schon im 18. Jh. Gesetze gegeben, die demokratisch geprüft und genehmigt wurden. So Herbert Schambeck, Vom Sinnwandel des Rechtsstaates, Berlin 1970, S. 14, der aber eine verfassungsrechtlich orientierte Praxis vermißt. Vgl. ferner: Scheuner, Begriff und Entwicklung des Rechtsstaates (FN 25).

5*

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Die Bindung der vollziehenden Staatsgewalt an Gesetz und Recht und die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung (Art. 20 Abs. 3 GG) begrenzen die Delegationsmöglichkeiten für den Gesetzgeber und machen die Observanz von Zuständigkeiten im Rahmen der Verwaltung erforderlich. Das ist wichtig, wenn über die Krise der politischen Repräsentation in der heutigen Politik diskutiert wird. Unter Verweis darauf kommentiert Ekkehardt Stein: „Die hohe Bedeutung des Gesetzes für die Verwaltung ergibt sich heute nicht nur aus dem Rechtsstaatsprinzip, sondern mehr aus dem demokratischen Prinzip."31

Diese Orientierung zeigt sich in der dem Publikum eingeräumten Verfügbarkeit des öffentlichen Dienstes. Die Verifizierung der verfassungsrechtlichen Vorränge obliegt den Gerichten (Art. 19 Abs. 4 GG). Aber auch politische Fragen müssen manchmal ins Rechtliche übersetzt werden (ζ. B. in Prozessen wegen politischer Delikte). Außerdem besteht die Gefahr „einer Überbetonung juristischer Aspekte auf Kosten aller Aspekte der staatlichen Funktionen ... Ihr läßt sich nur durch eine verantwortungsbewußte Zurückhaltung der Gerichte begegnen."32

Es wird in diesem Sinne versucht, mit Hilfe anderer Verweisungen, die sich ausdrücklich auf den Rechtsstaat beziehen, wie deijenigen des Artikel 28 GG („Homogenitätsklausel"), das Konzept des Rechtsstaats gleichsam staatsrechtlich zu begrenzen. Die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichts hat aber schon den offenen Charakter des Prinzips betont und ihn als ein „Mehr an Recht" gegenüber allem rein gesetzlichen Recht bestimmt. Dies wurde von vielen als eine „Absorbierung" des naturrechtlichen Denkens durch die heutige Verfassungstheorie verstanden, ist aber wohl eher die Behauptung der Notwendigkeit wechselseitiger Inkompatibilitäts- und Kontrollmechanismen zwischen den staatlichen Funktionen.33 Die Frage ist dann, inwieweit der Richter bei der Aktualisierung des Prinzips neue Ableitungen vornehmen kann. Manche Autoren sagen, daß Richter „neue Rechte, institutionelle Garantien und Prinzipien entwickeln" dürfen. 34 Aber selbst 30 Es ist üblich, über Staatsrechtsprinzipien in zweierlei Bedeutung zu sprechen: subjektiv und objektiv. Die eine bezieht sich auf den traditionellen Inhalt von Schranken („Checks and Balances"); die andere verweist auf die Aufrechterhaltung der Allgemeininteressen des Volkes und bezieht sich damit auf eine materielle Bedeutung: Albert Bleckmann, Staatsrecht I. Organisationsrecht, Köln/Berlin/Bonn/München 1993, S. 193. 31 Stein, Staatsrecht (FN 26), S. 166. Dies soll schon bei Kant als Bedingung für das gemeinsame Leben angemerkt worden sein. So Ingeborg Maus, Entwicklung und Funktionswandel der Theorie des bürgerlichen Rechtsstaats, in: dies., Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, München 1986, S. 11-82, 13. 32 Stein, Staatsrecht (FN 26), S. 172. 33 34

So ausdrücklich im GG die Artikel 40 Abs. 2; 94 Abs. 3; 55; 66; 80 Abs. 1; 137 Abs. 1. Bleckmann, Staatsrecht I (FN 30), S. 195.

3. Formalität des Rechts und Variabilität der Rechtspraxis

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wenn man ein hypothetisches Widerstandsrecht 35 zur Kompensation gegen die Gefahren des Machtmißbrauchs aufstellt, so stellt dies tatsächlich nur eine Verschiebung des Problems auf der Werteskala dar. Es wird heute immer schwieriger, zwischen der klassischen privaten Autonomie einerseits und den modernen staatlichen Aufgaben andererseits zu unterscheiden. Die Erhöhung der Zahl von Gesetzen in vielen Bereichen und die Delegation ehemals staatlicher Aufträge an die Privatwirtschaft sind Beispiele für ein Auseinanderklaffen des modernen Rechts. Ein Widerstandsrecht wird aber auch als Stützpunkt für die konkreten Rechtsetzungsformen benötigt, ohne neue Perspektiven für deren Abgrenzung zu bringen. Im Gegensatz zu totalitären Betrachtungen, die den verfassungsrechtlichen Status eines Rechtsprinzips annehmen können und sogar den Schutz von Grundrechten auf gesetzlicher Ebene vorsehen,36 besteht die Möglichkeit eines Funktionierens der institutionellen Dispositionen des Rechtsstaats vor allem in der Gewährleistung der individuellen Teilnahme am politischen Prozeß. Wie Krawietz bemerkt,37 werden im Konzept des Rechtsstaats drei verschiedene soziale Systembildungen miteinander korreliert, nämlich die Gesellschaft, der Staat sensu stricto, d. h. als bürokratisches Organisationssystem und die Aktionen der einzelnen, hier verstanden als Interaktionssysteme: „Es geht somit bei der Referenz auf den Einzelnen (Rechtsträger, personales System) um das jeweilige Rechtsverhältnis, das - vermittelt durch die normativen Erwartungszusammenhänge des jeweils geltenden, formalen Rechts - zwischen dem Rechtsstaat und jedem Einzelnen besteht."

Deswegen ist es wichtig, theoretische Instrumente zu entwickeln, um die hier implizierten Voraussetzungen und Strukturen des geltenden Rechts und dessen soziale Variabilität besser deuten und verstehen zu können.

3. Formalität des Rechts und Variabilität der Rechtspraxis Es gibt keinen direkten Zugang zur Gesellschaft. Sie ist nicht als ein Ganzes erfaßbar. Es gibt nun einmal keinen „äußerlichen Punkt", von dem aus sie als ganze beobachtet werden könnte. Nur durch die Perspektiven anderer sozialer Systeme wird es möglich, komparative Muster zu entwickeln und die entsprechenden Identitäten gleichsam indirekt zu erschließen. Die daran beteiligten Funktionssysteme sind an gesellschaftliche Kommunikation doppelt gebunden, zum einen, indem sie auf ihre Umwelt reagieren (Lernfunktion), zum anderen, wenn sie die eigene Existenz begründen (Gedächtnis des Systems). Dies ermöglicht es allen 35 Art. 20 Abs. 4 GG, Änderung durch das 17. Gesetz zur Ergänzung des GG vom 24. 06. 1968. Schambeck, Vom Sinnwandel des Rechtsstaates (FN 29), S. 26. 36 Wie hier: Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, München 1977, S. 608, am Beispiel von Carl Schmitt. 37 Krawietz, Recht ohne Staat? (FN 14), S. 85.

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sozialen Systemen, sich selbst zu verändern, oder sie besitzen, wie Werner Krawietz mit Bezug auf das Rechtssystem feststellt, die Fähigkeit zur Selbstsubstitution.38 Das Identitätsproblem verliert somit seine traditionell, essentialistische Deutung und wird anders gestellt, nämlich als Frage, wie die jeweiligen Systeme zur Variation der gesamten Gesellschaft beitragen und dabei ihre eigene Einheit und soziale Identität schaffen und bestimmen. Interne Begriffe, wie im Fall des Rechtssystems der Begriff Rechtsstaat, werden benötigt, um unter Bezugnahme auf das jeweils etablierte, schon staatlich organisierte Rechtssystem und dessen Strukturen jederzeit anwendbare begrifflich-klassifikatorische, aber auch normativ verwendbare Unterscheidungen zu treffen. Dies geschieht hier im Hinblick auf die tatsächlich beobachtbaren Verflechtungen von Recht und Staat durch ihre Kennzeichnung als normative strukturelle Kopplungen.39 Die Variabilität der Rechtspraxis ist in der Tat viel umfassender als die moralische/religiöse Kontrastierung von annehmbarem/nicht annehmbarem Verhalten erwarten läßt. Im Fall der Rechtsprechung erkennt man die Expansion an der verstärkten Bedeutung der Justiz und der laufenden Funktionssteigerung der Rolle des Richters.40 Sie ist charakteristisch für die moderne Suche nach Sicherheit, die durch den Bezug auf die soziale Varietät veranlaßt wird. 41 Gerade weil das Richterentscheiden immer wichtiger wird, schafft sich das Rechtssystem neue Ausbalancierungen zwischen den Teilsystemen, d. h. auch zwischen den neuen Grenzen dieser Systeme. Deswegen definiert Luhmann die Demokratisierung als einen Zustand, der höhere Komplexität der beteiligten Systeme fordert. 42 Dies macht konsequenterweise eine ständige Referenz auf andere Positionen (Rollen, Ämter) im Rechtssystem erforderlich. Sie dienen zugleich als Begrenzung, aber auch als Ansatzpunkte beliebiger Änderungen, die auf der Trennung von gesellschaftlichen und öffentlichen / staatlichen Aufgaben beruhen.43 Weil aber die individuellen Beobachtungen (sei 38 Werner Krawietz, Identität oder Einheit des Rechtssystems? Grundlagen der Rechtsordnung in rechts- und gesellschaftstheoretischer Perspektive, in: Mitsukuni Yasaki/Alois Troller/José Llompart (Hrsg.), Japanisches und europäisches Rechtsdenken - Versuch einer Synthese philosophischer Grundlagen, RECHTSTHEORIE 16 (1985), S. 233-277, 272. 39

Das heißt nicht, daß nicht auch andere, ungekoppelte Formen der Kooperation existieren können, wie der Fall einer unvollständigen sozialen Ausdifferenzierung zeigt. Dafür braucht man aber eine gesamtgesellschaftliche Operationsbasis. So Niklas Luhmann, Die Einheit des Rechtssystems, in: RECHTSTHEORIE 14 (1983), S. 129-154, 146. Krawietz bezweifelt, ob es überhaupt möglich ist, eine Beobachtung nur von außen zu führen. Vgl. ders., Identität oder Einheit des Rechtssystems? (FN 38), S. 235, FN 2. Der Unterschied zwischen „innen" und „außen" ist in der Tat sowohl empirisch als begrifflich vorzunehmen. 40 Niklas Luhmann, Rechtszwang und politische Gewalt, in: ders., Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Frankfurt am Main 1981, S. 154172, 155. Luhmann, Soziale Systeme (FN 20), S. 425. 42 Niklas Luhmann, Die Stellung der Gerichte im Rechtssystem, in: ders., Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1993, S. 297-337, 336.

3. Formalität des Rechts und Variabilität der Rechtspraxis

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es von »IndividuenShier verstanden als Interaktionssysteme, sei es von seiten sonstiger sozialer Systeme) immer neue Verflechtungen darstellen können, gibt es ein ständiges Zusammenspiel zwischen formaler und informaler Rechtsetzung innerhalb des „staatlichen" und/oder „gesellschaftlichen" Rechts. Die unvorhersehbaren Rechtsvariationen können auf sämtlichen Entscheidungsniveaus vorkommen. Man kann heute in den verschiedenen Rechtsordnungen eine deutliche Tendenz feststellen, daß auch die sogenannten informalen Instanzen vom Staat genutzt werden, um weitere Regulationen zu sparen. Die informalen Rechtsregulierungen stellen nicht unbedingt, wie Sousa Santos 44 fürchtet, eine „indirekte" Expansion des Staates dar, sondern sie laufen in Richtung einer strukturellen Kooperation von Staat und Gesellschaft. Das meint Krawietz, wenn er feststellt, daß der Grad der Komplexität des Rechtssystems am Anteil des staatlichen Rechts gemessen werden kann. Nichts spricht dagegen, die heutigen Staaten und ihre Beziehungen zueinander als normative Handlungs- und Entscheidungssysteme zu charakterisieren. 45 Nach Schulze-Fielitz ist es typisch für die (demokratische) „Gesetzmäßigkeit des informalen Verfassungsstaats, die starke Verbindlichkeit auch von politischen Absprachen" in Rechnung zu stellen.46 So entspricht es der Dynamik des Rechtsstaats, daß damit die Chancen zwischen den Individuen besser verteilt werden können. Auch können Inkompatibilitäten eingerichtet werden,47 die das Gleichgewicht der Staatsfunktionen bewahren helfen. Insoweit kann man sagen, daß die Bedingungen der Rechtskonkretisierung auch von anderen sozialen Systemen begünstigt werden, aber intrasystemisch reflektiert werden müssen. Die politische Dimension liegt dann in der Existenz von Rechtssubjekten, die die Initiative ergreifen. Dies sind nicht nur Individuen als konkrete Menschen, sondern auch Institutionen und Organisationen, die rechtlich genauso real sind wie sie. Dies bedarf weiter unten noch eingehender Erörterung. Die Informalität wird dadurch relativiert, daß sie auch in formalen Organisationen vorkommt. Es gibt dann eine ständige Transformation nicht staatlicher informaler Regeln in staatliche formale Rechtsregeln und umgekehrt.48 In beiden Fällen handelt es sich um soziale Normen, die sich nur durch den Grad und das Ausmaß der Formalisierung (durch rechtliche Normsatzformen) unterscheiden. Dies weckt im Rechtssystem das Bedürfnis nach neuen Kontrollmechanismen. Willke spricht 43 Böckenförde, Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft (FN 17), S. 231. 44 Boaventura de Sousa Santos, Modificaçôes recentes na natureza do poder do Estado nos paises capitalistas avançados, in: Revista Critica de Ciências Sociais 10 (1982), S. 9-39, 28 ff. 4 5 Krawietz» Identität oder Einheit des Rechtssystems? (FN 38), S. 260. 46 47 48

Schulze-Fielitz, Ebd., S. 69. Krawietz,

Der informale Verfassungsstaat (FN 21), S. 47.

Identität oder Einheit des Rechtssystems? (FN 38), S. 264.

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hier über eine „staatliche Aufgabe vierter Ordnung".49 Die Dialektik zwischen „Institutionalisiertem" und „Institutionaliserendem" erblickt Schulze-Fielitz in informalen Regelungen der Funktion, „Regeln in Schritten von ,trial and error'" zu testen. Gerade die institutionelle Flexibilität ermöglicht Versuche der Regelbegründung und das Beobachten ihrer Bewährung, ohne die sehr viel aufwendigeren Verfahren der Gesetzgebung oder Verfassungsänderung betätigen zu müssen.50 Die Rechtsprechung erscheint als mögliches Labor für Regeln, die in einzelnen Fällen getroffen wurden. Sie können später als generalisierte Gesetzesentwürfe angenommen werden oder sich, was üblicher ist, als ordnungsbestimmende, allgemeine Rechtsprinzipien entwickeln, wie im Falle des Verfassungsgrundsatzes der ,3undestreue"51 oder in den verschiedenen, aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten sonstigen Prinzipien. Die Intention besteht darin, die „Arbeitsbelastung" der Gerichte zu mindern, indem eine viel zu häufige Inanspruchnahme der Verfassungsgerichtsbarkeit institutionell in Grenzen gehalten wird 5 2 Es ist durchaus nicht so, daß alles, was sich die Form des Rechts einverleibt, auch tatsächlich Recht wird. Neue Rechtsprogramme ermöglichen neue Interpretationen. Das bloße In-Geltung-Setzen von Rechtsvorschriften garantiert jedoch nicht, daß die dem Recht zugedachten Wirkungen auch tatsächlich eintreten. Die Bildung unter Unterstützung des Rechts durch informelle Prozesse zeigt, daß die reine „Kultur der Form" nicht mehr ganz up to date ist. Die Existenz informaler Regeln entlastet den allgegenwärtig reglementierenden Staat. Die Möglichkeit gegenseitiger Blockierungen der Staatsapparaturen bleibt aber als unvermeidliches Risiko der heutigen Gesellschaft bestehen. In dem Maße, in dem die Aufträge dezentralisiert werden, müssen andere durch den Staat weiter delegiert, aber auch koordiniert werden. Die Beziehungen zwischen informaler und formaler Rechtsetzung basieren jedoch stets auf der Annahme formaler Regeln. Eine ab ovo „chaotische" Situation erscheint nicht einmal vorstellbar, zumal auch das Chaos selbst determiniert erscheint - zumindest für die Chaostheorien. Deshalb haben Inkompatibilitätsregeln nicht nur den Sinn von Begrenzung, sondern auch von Zwang zu Gemeinsamkeiten.53 Die Gefahr von Manipulationen (oder eben Korruption) wird durch andere Regeln, ζ. B. der Repräsentation und der demokratischen Kontrolle, die einen gleichmäßigen Zugang zu den rechtlichen Institutionen garantieren sollen, be49

Helmut Willke, Entzauberung des Staates. Überlegungen zu einer sozietalen Steuerungstheorie, Königstein/Ts. 1983, S. 56. 50 Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat (FN 21), S. 103. Ebd., S. 104. 52 In Brasilien kam es kürzlich zu Diskussionen über die Verbindlichkeit von Vorentscheidungen („sumula vinculante") des Supremo Tribunal Federal (das gerade nicht ein reines Verfassungsgericht ist, aber verfassungskontrollierende Funktionen ausübt) für die anderen Gerichte. 53 Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat (FN 21), S. 109.

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grenzt. Sie stellen aber auch neue Formen selbsterzeugter Abhängigkeiten organisatorischer Art her. 54 Daraus folgt, daß die informale Rechtsproduktion von der Rechtsprechung abzuweichen sucht, wie Schulze-Fielitz zusammenfaßt: „Dem informalen Verfassungsstaat ist so Distanz zur Verfassungsgerichtsbarkeit eigentümlich."55 Diese Tendenzen von Organisationen stehen ihrer beiderseitigen Einsehbarkeit und Berechenbarkeit entgegen. Sie stellen füreinander „black boxes" dar. Das Justizsystem ist in diesem Sinne zwar nicht gegen „katastrophale"56 Entscheidungen immun, aber es trifft, wie jedes Ordnungssystem, eine Art „lockere Überwachung". Die Dynamik des Bewußtseins seiner Teilnehmer schafft Schutz gegen eine gewisse „Leere", die zwischen dem Wahrnehmen und dem Nichtwahrnehmen entsteht.57 Die Politik wird nur dann gefragt, wenn es um die unerläßliche institutionelle Antwort geht, die allein in der Lage ist, allgemeine, bindende Entscheidungen zu treffen.

54 Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1997, S. 828. 55 Schulze- F ielitZy Der informale Verfassungsstaat (FN 21), S. 130. 56 Hierzu: Niklas Luhmann, Das Moderne der modernen Gesellschaft, in: ders., Beobachtung der Moderne, Opladen 1992, S. 11-49,48. 57 Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 54), S. 832.

§ 5 Beziehung von Politik und Recht als Grundlage der Rechtsprechung 1. Rechtsgewinnung als arbeitsteiliger Vorgang In den staatlich organisierten Rechtssystemen der modernen Gesellschaft bringt die Generalisierung des Rechts auch symbolisch die Unterworfenheit der Politik zum Ausdruck.1 Indem das Rechtssystem die laufende Produktion und Reproduktion allen Rechts nach Maßgabe der Verfassung reguliert, kann auch die politische Herrschaftsgewalt des Staates dem Regime des Rechts unterworfen werden. Darin liegt kein Urteil über etwaige mehrwertige Rangordnungen im Verhältnis von Politik und Recht, die zwischen den beiden bestehen könnten, sondern allein die Feststellung, daß Reflexionen über ihre Beziehungen im Verfassungs- und Rechtsstaat anders ausfallen. Sie werden in eine neue, polykontextualistische Dimension der Gesellschaft übertragen, die durch die weitere Entfaltung der ausdifferenzierten sozialen Systeme entsteht. Im Recht zeigt sich dies an den evolutionären Formen seiner Autonomie, die sich in Richtung Positivität bewegen, während die Politik die traditionellen „Herrschaftsformen", wie diejenige monarchischer Herrschaftsgewalt oder religiöser Sinnstiftungen, überholt und sich auf die politisch-rechtliche Vermittlung zwischen staatlichen Apparaten und Gesellschaft einstellt. Dies setzt freilich den konsequenten Aufbau und Ausbau einer arbeitsteilig organisierten Bürokratie voraus.2

1

Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1997, S. 321,

357. 2 Sie ist nicht identisch mit bürokratischer Herrschaft, denn es gibt nur „die bürokratische System /Umwelt-Beziehung und ihre Parasiten", so Niklas Luhmann, Staat und Politik. Zur Semantik der Selbstbeschreibung politischer Systeme, in: ders., Soziologische Aufklärung 4, Opladen 1987, S. 74-103, 97. Dies zeigte sich auf besondere Art in der portugiesisch-brasilianischen patrimonialistischen Justizorganisation der Kolonialzeit, die den Richter als den verlängerten Arm des Königs betrachtet. Vgl. Stuart B. Schwartz, Sovereignty and Society in Colonial Brazil. The High Court of Bahia and its Judges 1689-1751, Berkeley/Los Angeles/London 1973, S. XVI. Das Schaffen einer Organisation führte also nicht zu einer vollen Autonomie des Rechts von der Politik, sondern zu einer dazwischen stehenden, klientelabhängigen Form. Dies hängt damit zusammen, daß andere soziale Bereiche nicht gefördert wurden, wie z. B. Erziehung und Wissenschaft (Verbot der Gründung von Universitäten bis zur nationalen Unabhängigkeit 1822). Hinderlich war auch die zentralistische Machtausübung, die relativ große geographische Isolierung der Kolonie, die durch das Verhängen eines Handelsmonopols zugunsten der Krone zugespitzt wurde, und - „last but not least" - dank der Existenz einer in sich gespaltenen Gesellschaft von Herren und Sklaven mit wenig Raum für die Entwicklung einer unternehmenden Mittelschicht.

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Diese Linien einer Evolution von Politik und Recht stellen keinen Gegensatz dar, sondern sind eher komplementär. Sie deuten auf eine normativ-strukturelle Form sozialer Kopplung hin. Sie wurde schon durch die im Frühmittelalter einsetzende rechtspolitische und organisatorische Zentralisierung möglich gemacht, denn damit wurde die Zunahme von Kontakten zu anderen „Zentren" veranlaßt und auf diese Weise zur Autonomisierung der sozialen Systeme beigetragen. Ein Wendepunkt wurde mit der Differenz zwischen Politik und Wirtschaft erreicht.3 Er führte zur Intensivierung der Kontakte zwischen den Völkern und der dazu gehörenden Einführung innovativer Praktiken. Die familiale, an der Hauswirtschaft orientierte Dimension der Ökonomie führte - nach Überwindung dieser Anfänge des Wirtschaftens - zu einer höheren Rationalität in Wirtschaft und Recht. Der soziale Primat der Wirtschaft kommt dadurch zustande, daß sie „das menschliche Erleben und Handeln mit hoher Komplexität, Wahlfreiheit und Lernfähigkeit ausstattet".4 Ihr Code „Haben"/„Nicht-Haben" bekommt zugleich eine rechtliche Prägung und die Formen von Eigentum, Besitz und sonstigen Nutzungsrechten. Nicht von ungefähr waren die ersten juristischen Merkmale der Entstehung nationaler Staaten verbunden mit Dispositionen über „Hoheitsrechte": Kontrolle des Fiskus, des internationalen Handels und der völkerrechtlichen Beziehungen. Die damit geprägte politische Kultur strebte nach einer zunehmenden Kontrolle der Regierung, wobei sich die Juristen unentbehrlich machten.5 Zu diesen modernen Umständen gehören auch die prägenden Merkmale einer Individualisierung des Rechts, die sich in Richtung auf einen politischen „Humanismus" erstreckten und von der wachsenden Technisierung der Welt nur zugespitzt wurden. Sie bestimmten eine Politik, die auf diese Signale reagieren mußte, nämlich dadurch, daß der Weg zur Macht anders rationalisiert wurde, d. h. daß sie sich auf ihre eigenen Ermessensräume und Selbstbeschreibungen einstellen mußte6 und nicht mehr als Ausübung von „ Virtù " oder moralischen Werten gelten konnte, die mit der ständischen Gesellschaft assoziiert waren. Der Herrscher selbst konnte sich nicht mehr auf das eigene Wissen berufen, sondern mußte auf juridische Gründe zurückgreifen, die seine Macht begründen sollten. In diesem Zusammenhang 3 Niklas Luhmann, Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, in: ders., Soziologische Aufklärung 4, Opladen 1987, S. 67-73, 68. 4

Ders., Positivität des Rechts als Voraussetzung einer modernen Gesellschaft, in: ders., Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Frankfurt am Main 1981, S. 113-153, 152. 5 Dies geschah schon am Beispiel Englands mit der Magna Carta von 1215, die die Grundlage der modernen Verfassungen antezipierte und die Parlamentskontrolle einführte. Sie war entstanden nach der Fürstenrevolte gegen die unübersichtlichen Besteuerungsregeln. Ulrich Scheuner, Begriff und Entwicklung des Rechtsstaates, in: Hans Dombois/Erwin Wilkens (Hrsg.), Macht und Recht. Beiträge zur lutheranischen Staatslehre der Gegenwart, Berlin 1956, S. 76-88, 83, erinnert daran, daß dieser Prozeß der Begründung der „supremacy of Parliament" eigentlich seinen Ursprung in der Stellung des Parlaments als oberstes Gericht gehabt hat. 6 Kurt Röttgers, Spuren der Macht, Freiburg/München 1990, S. 22.

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entstanden zugleich Probleme der rechtstheoretischen Reflexion, die mit der Ausübung der politischen Gewalt zu tun hatten, wie diejenigen der Bestimmung der Rechtsadressaten oder das Problem der „Imperativität" der Norm. Bis dahin hatte es einen gesellschaftlich semantischen Stil gegeben, der sich auf Politik und Recht als Instrument einer ständischen Gesellschaft und ihrer Oberschichten bezog.7 Jetzt heißt es, daß die Individualisierung das Ende eines fraktionierten Individuums selbst vorantreibt. Letzteres wird als ganzes (d. h. mit den verschiedenen sozialen Rollen) einbezogen. Diese Situation konnte nur durch neue soziale Strukturen überwunden werden, d. h. durch Sätze normativer Erwartungen menschlichen Erlebens und Handelns, die ihrerseits erwartet werden können. Diese Trennung von Politik und Recht mußte naturgemäß eine Stärkung des Richters mit sich bringen.8 Er wurde zu einer Art „Priester" dieser neuen Ordnung - der bürgerlich-zivilen Religion - , der die Rolle eines unbeteiligten Dritten ausübt und eben deswegen an der rechtspolitischen Funktion beteiligt werden kann. Die modernen Gesellschaften erreichen damit den Zustand, der es ihnen erlaubt, normative Bedingungen des menschlichen Erlebens und Handelns festzulegen, sowie eine Fülle neuer Möglichkeiten der Teilnahme an den institutionalisierten Formen des politischen Lebens zu schaffen. Dies wird in der traditionell-liberalen Sichtweise als „Herrschaft des Gesetzes"9 dargestellt - eine Art semantische Ehrung früherer Zeiten, mit der die zunehmende Juridifizierung der Gesellschaft, die 7 Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 1), S. 721-722. Dies führte zur Existenz einer Noblesse de Robe, eines ausgebildeten Adels - einschließlich der Justiz - als Antwort auf das Bedürfnis nach qualifiziertem Verwaltungspersonal. Selbst die moderne Figur der „bouche de la loi", die von Montesquieu für die Charakterisierung der Rolle des Richters benutzt wurde, hängt mit diesen Umständen zusammen, denn sie bezieht sich auf die spätmittelalterliche politisch-theologische Körpermetapher, die die bestehenden sozialen Hierarchien einbezog (manche Autoren meinen darin eine ironische Haltung von Montesquieu gegenüber dem Absolutismus entdeckt zu haben, so Jan M. van Dunne, Montesquieu Revisited. The Balance of Power of Legislature and Judiciary in a National-International Context, in: Mikael M. Karlsson/Ólafur Pall Jónsson/Eyja Margrét Brynjarsdóttir (Hrsg.), Recht, Gerechtigkeit und der Staat, RECHTSTHEORIE Beiheft 15, 1993, S. 451-463, 455. Ausführlich über die zitierte Metapher Ernst H. Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, München 1990 (englische erste Auflage 1957). 8 Niklas Luhmann, Rechtszwang und politische Gewalt, in: ders., Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Frankfurt am Main 1981, S. 154172, 155. In dieser Materie hat es in der iberischen Erfahrung eine dramatische Koexistenz zwischen Staat und Kirche gegeben, die zu einer eigenartigen Gerichtsbarkeit führte. Sie zeigte sich im Einfluß der Inquisition, so Francisco Bethencourt, Les rites de l'Inquisition, in: Heinz Mohnhaupt /Dieter Simon (Hrsg.), Vorträge zur Justizforschung. Geschichte und Theorie, Bd. 1, Frankfurt am Main 1992, S. 135-152, 149 ff. In diesem Sinne hat Harold J. Berman, Recht und Revolution. Die Bildung der westlichen Rechtstradition, 2. Aufl. (Originalausgabe 1983), Frankfurt am Main 1991, S. 432, den Einfluß des kanonischen Rechts zu einseitig gesehen (siehe auch oben § 1, FN 14). 9 Über die historische Bildung des Wortes siehe Franz Neumann, Die Herrschaft des Gesetzes. Eine Untersuchung zum Verhältnis von politischer Theorie und Rechtssystem in der Konkurrenzgesellschaft, Frankfurt am Main 1980.

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typisch für die Moderne ist, zumindest angedeutet wird. Auch die Selbstreferenz der Gesellschaft wird auf eine umkehrbare Weise geprägt. Das kommt in den kulturpolitischen Vorstellungen zum Ausdruck, die die Verfassung als Bedingungen der Mitgliedschaft von Bürgern bestimmt. Das Recht wird für viele dieser Kompatibilitätsprobleme zwischen ausdifferenzierten sozialen Systeme aktiviert, „etwa als Eigentums- und Vertragsrecht für die Freiheitsnotwendigkeiten der Geldwirtschaft oder als öffentliches Recht für den Übergang zur religiösen Toleranz, und gewinnt gerade durch diese Dienstleistungen an Eigenständigkeit gegenüber der politischen Macht".10

Genauso aber, wie die Politik nicht länger ihre Umwelt kontrollieren kann - wie in der klassischen Antike - und sich auf die sozialen Systeme beziehen muß, ist es dem Recht nicht möglich, die anderen gesellschaftlichen Teilsysteme zu „bestimmen". Im Vergleich mit früheren Gesellschaften stellt dies eine Begrenzung der einzelnen Funktionssysteme dar. Andererseits werden damit die Gefahren einer exzessiven, zur Unordnung tendierenden Komplexität vermieden und neue Chancen für Interdependenzen und gegenseitige Interferenzen der verschiedenen sozialen Systeme gewonnen. Den sozialen Systemen bietet sich somit die ständige politisch-rechtliche Möglichkeit zu lernen, daß für jeden Konflikt oder Machtanspruch eine potentielle Lösung durch friedliche Formen zur Verfügung steht. Dies vermindert die sonstige Vergänglichkeit der Macht, indem das autonomisierte politische System Ausgangsformeln beinhaltet und Möglichkeiten anbietet, damit auch andere Parteien an die Macht gelingen können - vorausgesetzt, daß die Wähler dafür mobilisiert und davon überzeugt werden können.11 Dieses Potential geht also in der politischen Konstruktion moderner Gesellschaften auf und macht sie weniger zur Sache einer Regulierung der Gewaltausübung als vielmehr der Einführung neuer politischer Selbstverständlichkeiten. Was sich tiefgreifend ändert, das ist die Rekonstruktion der Identität des politischen Systems selbst.12 Demgegenüber steht das Recht zunächst einmal orientierungslos da. Es kann nur ex post die politischen Entscheidungen, die getroffen werden, intern umformen und darüber selbst disponieren: „Es muß den Juristen gesagt werden, was geschehen soll, bevor sie sagen können, ob es geht."13

10 Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 1), S. 713. 11 Dies schließt aber nicht die Möglichkeit anderer Formen politischer Kommunikation aus, wie beispielsweise den Protest. Er kann aber keine institutionalisierte Gestaltung anbieten und fungiert deshalb nur als Ausdruck von Unzufriedenheit der Individuen, ohne weitere Gemeinsamkeiten schaffen zu können. So Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 1), S. 847 ff., 853.

ι2 Luhmann, Staat und Politik. Zur Semantik der Selbstbeschreibung politischer Systeme (FN 2) S. 81.

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Der Versuch, die Politik zu reglementieren, erweist sich weitgehend als vergeblich. Dies wird an den vielen (gescheiterten) Versuchen deutlich, Verfassungen vorzuschreiben, so als ob damit eine Wiederholung diktatorischer Erfahrungen vermieden werden könnte. Der gesamte Katalog von Rechten ist demnach schon oft nicht am Mangel kognitiver Einstellungen gescheitert, die der jeweiligen Verfassung zugrunde lagen, sondern an der Mangelhaftigkeit der Institutionalisierung anderer sozialer Systeme - einschließlich derjenigen der Politik oder der Wirtschaft. 14 Wie Luhmann bemerkt, war es gerade die Politisierung des Rechts, die seine Manipulation durch Diktatoren ermöglicht hat. Hierzu in diesem Jahrhundert im Bereich der Rechtsprechung die radikalen Erfahrungen mit der „Politischen Justiz". Sie waren dadurch gekennzeichnet, daß der Veranstalter des Prozesses „die Normen wie auch die Information über die Tatsachen beschafft und durch dieses Monopol die Autonomie des Verfahren ausschaltet".15 So gestellt, findet der Primat der gesellschaftlichen Ausdifferenzierung auch seine Bestätigung in nicht westeuropäischen Gesellschaften, wenn auch in einer „negativen" Weise, indem das Funktionieren verfassungsrechtlicher Institutionen durch das Ingangsetzen gegenläufiger, manipulierbarer Mechanismen konterkariert oder, wie im Falle sogen. wicked systems, sogar „pervertiert" wird. In diesem Sinne stellen die staatlichen Funktionen (Legislative, Exekutive, d. h. Regierung/Verwaltung, Rechtsprechung) keine echte Spaltung der Macht und Aufteilung der staatlichen Herrschaftsgewalt dar, sondern sie sind Antworten auf die Dynamik des politischen Lebens.16 Sie tragen, wie schon früher erwähnt, kein rechtliches Monopol oder gar die Hegemonie des Staates vor der gesellschaftlichen Produktionsform des Rechts, sondern deuten auf eine permanente Rekursivität des 13

Niklas Luhmann, Politische Verfassungen im Kontext des Gesellschaftssystems, in: Der Staat 12 (1973), erster Teil: S. 1 -22, 20; zweiter Teil: S. 165-182. 14 Die brasilianische Verfassung von 1988 bietet dafür viele Beispiele. Vgl. z. B. die durch frühere historische Erfahrungen inspirierte Regelung des Art. 5 - XLIV („das Handeln bewaffneter ziviler oder militärischer Gruppen gegen die verfassungsmäßige Ordnung und das demokratische Staatswesen stellt weder eine kautionsfähige noch verjährbare Straftat dar"), in: Peter Michael Huf, Die brasilianische Verfassung von 1988. Originaltext mit deutscher Übersetzung, Köln 1991. 15 Niklas Luhmann, Rechtssoziologie, 3. Aufl., Opladen 1987, S. 182, Fn. 106. 16 So auch: Michael Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion. Grundlegung einer verfassungsrechtlichen Theorie der rechtsgestaltenden Rechtsprechung, Tübingen 1997, S. 70: " ... das Prinzip der Teilung ist hinter denfiligranen Zuständigkeits- und Kontrollbestimmungen des Grundgesetzes völlig in einen Zustand der praktischen Nonexistenz übergewechselt". Demgegenüber rekurriert Klaus Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, 4. Aufl., München 1997, S. 354-355, auf Montesquieu, um daran zu erinnern, daß das Wort „séparation" nur in bezug auf die Rechtsprechung gemeint war. Anders Luhmann, Politische Verfassungen im Kontext des Gesellschaftssystems (FN 13), S. 9, Fn. 24 (alter Sinn von „government" als Genre gemeint). Auf jeden Fall ist festzuhalten, daß Montesquieus Sorge der „Verteilung" der Macht galt - und dies in einem politischen, nicht in einem juridischen Sinn, so Panajotis Kondylis, Montesquieu und der Geist der Gesetze, Berlin 1996, S. 76 ff.

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Umgangs mit positiven und negativen Sanktionen hin. Dies impliziert nicht nur das ständige Einbeziehen staatlicher Strukturen, sondern auch die Entbehrlichkeit des Unterschieds Staat/Gesellschaft. Der Staat steht insofern in einem asymmetrischen Verhältnis zu den verschiedenen sozialen Prozessen unter Einschluß der politisch-rechtlichen Verfahren, in denen staatliche Herrschaftsgewalt praktiziert werden muß. Es mag ein Paradox darin liegen, daß die sogen. Gewaltenteilung eigentlich nur dann möglich ist und praktikabel bleibt, wenn sie nicht so oft in Anspruch genommen wird. 17 Das hat damit zu tun, daß Politik und Recht einander so nah sind, daß sie deutlich ausgeprägte institutionelle Hemmungen und Beschränkungen sowie sie trennende interpretative Figuren benötigen, wie z. B. im Fall der Rechtsprechung die Neutralität des Richters. Es gibt aber auch andere, durchaus effektive Prozesse, wie die Rollenübernahme und Rollenbindung, die an die beruflichen Tätigkeiten anknüpft und die persönliche Nähe zum „Vergessen" bringen kann, wenn sie wirklich sachgerecht ausgeübt wird. Die Laufbahnen von Politik und Recht bleiben nur insoweit voneinander getrennt, wie in Luhmanns Metapher der zwei Kegelbälle, die „einander zwar häufig gezielt anstoßen, aber eben deshalb dann getrennte Wege rollen". 18 Solche gegenseitigen Irritationen und möglichen Kopplungen konfigurieren auch neue, arbeitsteilige Beziehungen zwischen den Systemen und ihren Umwelten, die deshalb als eine „ökologische Form des Dominierens" bezeichnet werden.19 Immerhin werden die politische Gewalt wie die staatliche Herrschaftsgewalt durch die ihnen zur Verfügung gestellten Organisationsformen bestimmt. Für das Recht spielt dies eine bedeutende, nicht bloß symbolische Rolle, da es um die Fähigkeit geht, Überzeugungen zu schaffen und umzusetzen. Dafür steht die arbeitsteilig fungierende Ämterorganisation des Staates als Gefüge zur Verfügung, das „die Entscheidungsprobleme auf eine durchführbare Ordnung" reduziert. 20 Dies bringt das Problem der möglichen Ausübung der staatlichen Herrschaftsgewalt in eine zur Lösung geeignete Form, indem sie es als eine Art „zweiter Autonomisierung des Rechts" (Krawietz) behandelt, die in der Durchsetzungsmöglichkeit administrativer Kriterien zum Ausdruck gelangt. Diese Gründe besitzen den Vorteil, daß sie relativ unabhängig von politischen Umständen verfolgt werden können und damit eine Distanzierung von politischen Unruhen erlauben. Infolge der arbeitsteiligen Ausübung von Kompetenzen, Zuständigkeiten und Ermächtigungen kann die 17 Dies zeigt sich am Beispiel der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung, so Konrad Hesse, Verfassungsrechtsprechung im geschichtlichen Wandel, in: Juristen-Zeitung 6 (1995), S. 265-273, 268, 270. 18 Niklas Luhmann, Verfassung als evolutionäre Errungenschaft, in: Rechtshistorisches Journal 9 (1990), S. 176-220, 204. 19 Ders., Der Wohlfahrtsstaat zwischen Evolution und Rationalität, in: ders., Soziologische Aufklärung 4, Opladen 1987, S. 104-116, 110. 20 Ders., Metamorphosen des Staates, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 4, Frankfurt am Main 1995, S. 101 -150, 113.

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Ausübung der staatlichen Herrschaftsgewalt und Autorität fragmentiert, auf viele Stellen umgelegt und verteilt werden, so daß für jeden einzelnen Akteur nur ein kleines Stück Macht übrig bleibt. Zugleich können alle einzelnen Handlungsbeiträge durch die Vorschriften des Rechts miteinander verkettet werden, so daß sie sich in ihren faktischen Auswirkungen potenzieren. Offen bleibt dabei, ob und wie ein einzelner Akt über viele Entscheidungsstellen hinweg eine verstärkte Auswirkung auf eine Reihe anderer, kleinerer Entscheidungen erzielen kann. Erst der gesamte Prozeß bildet einen Machtkreislauf, der die demokratischen Kräfte einer Gesellschaft miteinander vereint. 21 Das Zirkulieren von Macht, die Ausübung staatlicher Autorität bis hin zur physischen Gewalt stützen sich auf die Existenz von Verfahren, wie politische Wahlen, den Erlaß von Regierungsbeschlüssen und Verwaltungsakten, die u. U. aufeinander bezogen werden. Dabei ist nicht nur entscheidend - im Gegenteil zur Vorstellung der Aufklärer und Verfassungsväter - , daß die Macht begrenzt wird, sondern vielmehr, daß politisch-rechtliche Mechanismen eingerichtet werden, um die wachsende Produktion von Macht mitgestalten zu können. Die Judikative stellt sich in diesem Bereich gleichsam quer, indem sie nur isoliert wirkende, zeitliche lokalisierte Effekte hervorruft. Das bedeutet nicht, das sie sich auf die Medien nicht einstellen oder Entscheidungen unter dem Druck der Öffentlichkeit und des Publikumsgeschmacks nicht treffen könnte.22 Selbst dann müssen die Richter die eigenen Kriterien ihres Subsystems beachten und können höchstens eine „literarische" Rechtfertigung zutage bringen, die deshalb jederzeit revidiert werden kann. Das Risiko eines derartigen Vorgehens besteht darin, daß solche Entscheidungen politische Reaktionen bei den anderen Staatsfunktionen auslösen oder gar den Verlauf der politischen „Willensbildung" stören. Die Gefahr der „Entgleisung" des Rechtsstaats ist ständig präsent und kann nur durch ausreichende Verteilung der Spannungen zwischen den Institutionen ausgeglichen werden. Die Judikative wird heute immer wieder aufgefordert, musterhafte Lösungen für die zunehmenden verfassungsrechtlichen Konflikte aufzustellen, hinter denen sich nicht selten politische Konflikte verbergen. Ein wichtiger Grund mag in den Schwierigkeiten liegen, unter denen die Politik auf ihre eigenen Probleme zu reflektieren hat, denn sie ist vornehmlich an den öffentlichen Interessen und an der öffentlichen Meinung orientiert. Deshalb werden Probleme so weit wie möglich auf das Recht bzw. auf die Rechtsprechung verschoben. Diese zumindest tendenzielle Politisierung des Rechts trifft auch die traditionelle, rein normativistische rechtstheoretische Perspektive, die die Abfolge von Regelsetzung und Regelbe21 Ders., Machtkreislauf und Recht in Demokratien, in: Zeitschrift für Rechtssoziologie 2 (1981), S. 158-167, 164. 22 Siehe Regina Ogorek, Recht, Moral, Politik: Zum Richterbild in der Mediengesellschaft, in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 1 (1997), S. 5-18. Hans H. Klein, Verfassungsgerichtsbarkeit in der Kritik, in: ders./Horst Sendler/ Klaus Stern (Hrsg.), Justiz und Politik im demokratischen Rechtsstaat, Karlsruhe 1996, S. 39-54.

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folgung als Ketten von Deduktionsfolgen darstellt. Wenn es aber tatsächlich zu den sogenannten „hard cases" kommt, zeigt sich gewöhnlich sehr rasch, daß die hier ersichtlichen Gesichtspunkte recht begrenzt sind und daß man weitere, systematisch reflektierende Analysen braucht. In diesem Kontext muß die Bemerkung von Krawietz, daß die Existenz rechtsstaatlich organisierter Rechtssysteme auch eine Form sozialer Herrschaft impliziert, 23 verstanden werden als eine Mindestanforderung, um politisch-rechtlichen Konsens aufbauen zu können. Eben deshalb, weil diese Erwartungen auch kontrafaktisch festgehalten werden können, braucht man keine rechtlichen oder politischen Begründungen, um nach dem Gemeinwohl, dem gemeinen Besten o. ä. zu suchen, denn selbst dies kommt innerhalb der schon existierenden normativen Strukturen vor. Es ist ferner einfach nicht zu übersehen, daß dem Recht ein gerütteltes Maß an Konflikt eigentümlich ist. Je offener dies erkannt wird, desto mehr kann sich eine Gesellschaft auf die Schaffung von Lösungsmechanismen einstellen. Die Macht der Richter ist in diesem Sinne eigenständig und an die Person des Richters gebunden. Sie kann, wie Ost hervorhebt, nicht in Abwesenheit ausgeübt werden: „Contrairement à Γ administrateur et à l'auteur d'une règle générale, le juge épuise son pouvoir en l'exerçant.. ." 2 4 Selbst wenn die Gerichte sich als nicht zuständig erklären, können sie damit auf aktive Weise die neue Verteilung der politischen Kräfte mitbestimmen. Dies zeigt sich vor allem daran, auch wenn nicht nur darüber entschieden wird, was von Verfassungs wegen nicht geht. In diesem Fall wird eine „Konvergenz von Negationsleistungen" angenommen. Juristische Entscheidungen kommen somit auch dadurch zustande, daß per viam negationis vorgegangen, d. h. Schritt für Schritt darüber befunden wird, was jedenfalls nicht gilt. 25 Hier wird in der Entscheidungsfindung und Begründung argumentativ von den im konkreten Falle auszuschließenden Möglichkeiten her operiert. Gewöhnlich ist die Praxis der Gerichte jedoch eine positive Tätigkeit, wie im Fall des BVerfG bei der verfassungskonformen Auslegung, der Unvereinbarkeitserklärung von Gesetzen in Rahmen der Normenkontrolle und bei den sogen. Appellentscheidungen.26 Es stellt sich deshalb die Frage, wie die Rechtsprechung ihre Rolle des Ausgleichs innerhalb der staatlichen Funktionen ausübt und worin hier der normative 23 Werner Krawietz, Verhältnis von Macht und Recht in staatlich organisierten Rechtssystemen, in: Paul Hofmann/Ulrich Meyer-Cording/Herbert Wiedemann (Hrsg.), Festschrift für Klemens Pleyer zum 65. Geburtstag, Köln/Berlin/Bonn/München 1986, S. 217-235,

220.

24 François Ost, Juge-pacificateur, juge-arbitre, juge-entraîneur. Trois modèles de justice, in: Philippe Gérard /Michel van de Kerchove/François Ost (Hrsg.), Fonction de juger et pouvoir judiciaire. Transformations et déplacements, Brüssel 1983, S. 1 -70,46. 25 Luhmann, Politische Verfassungen im Kontext des Gesellschaftssystems (FN 13), S. 165. 26 Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht (FN 16), S. 355.

6 Albuquerque

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Sinn zu erblicken ist. Um sie beantworten zu können, muß man die spezifische Organisationsform der Verteilung der staatlichen Herrschaft und der Eigenart der Gerichte im Rahmen der vor ihnen ablaufenden Begründungs- und Legitimitätsprozesse untersuchen.

2. Begründung und Legitimation richterlicher Entscheidungen Die modernen Gesellschaften konstituieren sich unter dem Aspekt, im Wege der Selbstorganisation und sozialen Kommunikation unter Einschluß derjenigen des Rechts Komplexität zu bearbeiten und schrittweise zu reduzieren. Die Existenz verschiedener Formen sozialer Kommunikation, die sich überschneiden können, kann sich nur bewähren durch das Festlegen von strukturellen Bedingungen ihrer Produktion und Reproduktion. Auch wenn dabei der tatsächliche Kommunikationsverlauf in seiner normativen Richtigkeit modifiziert oder in Frage gestellt werden kann, um sich in einem weiteren Schritt zu vergewissern, ob die Vorstellungen richtig oder nicht richtig, ethisch gut oder nicht ethisch gut sind, bleibt die Möglichkeit, neue normative Erwartungen einzuführen, durch die Eigenschaften des jeweiligen sozialen Systems selbst begrenzt. Dies zeigt sich auch bei der Suche nach dem Rezept einer idealen Gesellschaft, da deren Projektionen in ihrer eigenen Angemessenheit gewöhnlich nachlassen und meistens nur auf reaktiven Einstellungen basieren. Die Spezialisierung politischer und juristischer Entscheidungen ist eine praktisch notwendige Folge dieser Entwicklung. Auch kann sie Anspruch auf Richtigkeit nur erheben, wenn sie im Hinblick auf das Rechtssystem und seine sozialen Umwelten ständig neue Unterscheidungen aufbaut. Auch bestimmt der politische Kreislauf der Institutionen die Form ihrer eigenen Legitimation. Die Politik legitimiert das Recht, dieses das Handeln der Verwaltung und Bürger, die Bürger ihrerseits die Politik und so weiter. 27 Das schließt nicht aus, daß auch das Recht ein wichtiges Mittel der Legitimation von Politik wird, indem es Formen anbietet, die problematische Entscheidungen zudecken oder sie zumindest in kleinere Portionen zerlegen und „aufteilen". 28 Andererseits können auch die »restlichen Probleme4, die bestimmte soziale Systeme nicht zu lösen vermögen, wie ζ. B. diejenigen, die sich für die Rechtsprechung als zuriskanterweisen, an die Politik weitergeleitet werden und umgekehrt.29 Dies ist das Gegenstück zum Mißtrauen gegenüber der 27 Helmut Willke, Ironie des Staates. Grundlinien einer Staatstheorie polyzentrischer Gesellschaft, Frankfurt am Main 1996, S. 215. 2 » Manche Autoren, die freilich nicht zwischen Legitimation als dem Prozeß und Legitimität als dem Ergebnis unterscheiden, erblicken in diesem Prozeß eine Entpolitisierung und damit eine Vulgarisierung der Legitimität. So Paulo Bonavides, Die Entpolitisierung der Legitimität, in: Der Staat 35 (1996), S. 581 -598. So gesehen, kann aber das Problem auch an der Politik selbst liegen, denn sie verfährt immer selektiver.

Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 1), S. 850.

2. Begründung und Legitimation richterlicher Entscheidungen

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Politik, das gegen sie in den Vorstellungen einer „sauberen Welt" artikuliert wird. Ebenso, wie die individuelle Psyche sich gegen Enttäuschungen schützt, können auch sie eine konfliktreiche rechtspolitische Realität nicht ignorieren. Der Umgang mit den Darstellungsformen politischer Beziehungen wird auf traditionelle Weise von Heinrich Keller in drei Formen der Legitimation des Richters identifiziert: " . . . die ständische, bei der ein aus Richtern bestehender Richterrat oder ein Richtergremium die Richter beruft und befördert, die bürokratische, bei der die Justizverwaltung diese Entscheidungsbefugnis hat, und die demokratische, bei der das Volk oder seine Repräsentanten die Richter wählen".30

Dabei wird die Tatsache ausgeblendet, daß allein die Frage, ob in den heutigen Rechtssystemen Richter überhaupt existieren „sollen", d. h. Posten kreiert und bekleidet werden, im Hinblick auf die sich die Amtierenden zu Entscheidungen verpflichten, sehr viel mehr über die Legitimationskriterien sagt als die Formen, durch die sie ausgewählt werden. In der Tat liegt es nahe zu behaupten, daß diese Darstellungen bloß ideale Modelle sind, denn sie sind nirgendwo in reiner Form anzutreffen, sondern kommen in ein und derselben Gerichtsordnung gewöhnlich nur in Mischform vor. 31 Außerdem haben Gerichte eine limitierte Rolle an Variationen und teleologischen Entscheidungen schon dadurch, daß die Rechtsprechung - im Vergleich mit anderen rechtlichen Subsystemen - als ein ziemlich einfaches Sozialsystem erscheint.32 Im Gegensatz zu anderen Staatsfunktionen besteht ihre Tätigkeit gewöhnlich in der Inanspruchnahme durch Außenstehende, d. h. durch Geschädigte oder sonstige Dritte. Es gibt - abgesehen von bestimmten Offizialverfahren, die aber auch nicht durch gerichtliche Stellen in Gang gesetzt werden - keine amtliche, bürokratische Verfahrensinitiative seitens der Gerichte. Allein dies ist schon ein wichtiger Faktor für die Akzeptanz ihrer Entscheidungen. Es geht hier, wie gesagt, um eine normative Kommunikation sozialer Provenienz, denn sie ist weder bloß psychischer noch rein faktischer,Natur*. Die institutionelle Unterstellung von Akzeptanz spielt innerhalb der normativ-lernenden Struktur von Recht eine wichtige Rolle, die vor allem dazu dient, dritte Personen einbeziehen zu können.33 Wichtige Voraussetzungen dafür sind die tatsächlichen Zugangschancen zur Justiz, die auf die Existenz sozialer und wirtschaftlicher Barrieren hinweisen können. Der soziale Staat muß unter diesem Aspekt einen Ausgleich finden zwischen den Versprechungen und ihrer Verwirklichung - einschließlich der Möglichkeiten, ge30

Heinrich Keller, Die demokratische Legitimation des Richters, in: Michael Neider (Hrsg.), Festschrift für Christian Broda, Wien 1976, S. 121 -136, 135. 31 Siehe für die Bundesrepublik Deutschland Ernst Teubner, Die Bestellung zum Berufsrichter in Bund und Ländern. Entwicklung, Modelle, Analysen, Köln 1984. 32 Niklas Luhmann, Legitimation als Verfahren, 3. Aufl., Frankfurt am Main 1993, S. 139. 33 Ders., Rechtssoziologie (FN 15), S. 265. 6*

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§5 Beziehung von Politik und Recht als Grundlage der Rechtsprechung

richtliche Lösungen zu schaffen. Die gegenseitigen Beschuldigungen politischer Aktivitäten und Initiativen von und zwischen Ämtern gehören zu dieser Realität. Richter tendieren in diesem Kontext eher dazu, erst dann zu reagieren, wenn sie durch Kritik unter Druck gesetzt werden. Sie beklagen sich dann gewöhnlich wegen ihrer Überforderung. Nicht, daß diese tatsächlich nicht existiert; aber allein die Tatsache, daß dieses Argument gleichsam universell verwendet wird, sagt etwas aus über die bestehenden Unterschiede, die zwischen dem individuellen Bewußtsein des einzelnen und den amtlichen Legitimationsprozessen bestehen, die durch die oben schon erwähnte „Drei-Ämter-Struktur" (Schelsky) verwirklicht werden. In Gesellschaften mit defizitärer Sozialentwicklung wird diese Aufgabe noch schwieriger dank der mangelnden Fähigkeit wenn nicht gar der Untauglichkeit der Verwaltung, selbst eine demokratisch-bürokratische Rationalität zu verfolgen: „Looking next at the rule-adjudication process as a basis for the enforcement of control over bureaucracy, we realize that courts cannot be more effective than the laws they are given to enforce. ... Even if they could, they would not, for in the prismatic pattern the courts are a part of the bureaucracy, members of one of its functionally differentiated arms, under a ministry or a department of justice."34

Es ist andererseits angebracht, daran zu erinnern, daß die Organisation allein keine echte Garantie für die Rationalität der von ihr getroffenen Entscheidungen bieten kann. Sie kann auch - ungewollt - zur Irrationalität des politischen Handelns beitragen, denn sie kann schließlich ihre eigene motivationale Einbettung in die Rechtskultur nicht kontrollieren. 35 Dadurch entsteht eine zweite Modalisierung von Entscheidungen: Es kann entschieden werden, daß die Entscheidung zu einem späteren Zeitpunkt getroffen wird, in der Hoffnung, daß die Sache sich inzwischen von selbst erledigen wird. Man kann auch feine, quasi-scholastische hermeneutische Unterschiede einführen, die den Rahmen der bisherigen Sprachverwendungen sprengen und die Fortentwicklung der Kasuistik bei der Verwirklichung der Rechte fördern. Die oft zitierte Gesetzesflut bietet hierfür reichlich (und immer neue) Gelegenheiten. Im extremen Fall kann es freilich auch zu gegenseitigen Behinderungen kommen bis hin zur Blockade und vorübergehenden Lähmung der Funktion der Gerichte. Diese Beispiele zeigen, daß die kontrafaktische Struktur der Normativität es nicht verhindern kann, daß zwischen Politik und Recht ein Zusammenfallen der Deskription vorkommt. Zur Vorbeugung müssen deshalb auch andere soziale Bedingungen in institutionellen Lernprozessen gefördert werden. Nur so kann das Recht seine eigenen Programme befolgen und fortsetzen, die eine jederzeit mögliFred W. Riggs, Administration in Developing Countries. The Theory of Prismatic Society, Boston 1964, S. 235. 35 Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 1), S. 839. Ders., Die Funktion des Rechts, in: ders., Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1993, S. 124-164, 148. Optimistischer: Richard Pfaff, Planungsrechtsprechung und ihre Funktionen, Königstein/Ts. 1980.

3. Moralische Legitimität als Zusatzbegründung des Rechts?

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che andere Deutung ihrer »Ziele4 ermöglicht; demgegenüber stellt die Politik im Gegenzug auf Durchsetzbarkeit gegen äußere Widerstände ab. 36 Diese dem Recht mangelnde Möglichkeit wird - im Vergleich zur Politik - durch andere Mechanismen, wie das Einziehen von Strafen und Geldbußen, kompensiert.37 3. Moralische Legitimität als Zusatzbegründung des Rechts? Nach allem ist der Versuch, das Recht moralisch zu unterbauen, nur eine reine Konstruktion und Projektion, durch die ein Anschluß an frühere rechts- und moralphilosophische Thematisierungen hergestellt werden soll. Darin erschöpft sich auch der Unterschied, der von Habermas im Hinblick auf (moralphilosophische) Rechtsprinzipien und ihre Lesart gemacht wird. 38 Sie bekommen eine ontologische Fassade dadurch, daß die Porosität von Rechtsnormen und ihre auch durch Interpretation nicht zu schließenden Lücken mit Hilfe von „normativen Gründen" und „Hintergrundnormen" aufgefüllt werden.39 Die vorausliegenden Gründe für diese Gründe entfallen allem Anschein nach, werden aber dadurch kompensiert, daß sie durch „demokratische" Diskurse und Verfahren geprüft und erweitert werden können, einschließlich der Normenkontrolle selbst, die „abstrakterer" werden soll. Der »vernünftige* Diskurs dient dazu, „abweichende Stimmen zu Gehör zu bringen und formal gleiche Teilnahmerechte effektiv in Anspruch zu nehmen .. .". 40

Wie das konkret imrichterlichen Verfahren gemacht werden soll, bleibt ungeklärt. Was sich feststellen läßt, ist allein, daß hier versucht wird, das Problem der normativen Differenzierung durch Einbeziehen einer vernünftigen Wertordnung von dieser abhängig zu machen. Dadurch werden aber auch die bereits etablierten Rechts werte einem „Korrisionsprozeß" ausgesetzt.41 Der von Habermas postulierte, herrschaftsfreie vernünftige Diskurs vertagt in Wirklichkeit die nötigen Entscheidungen ad calendas graecas. Er stellt somit eine Verschiebung auf ein unbestimmtes Ende dar. Dies wirft erneut die Frage auf, die von Helmut Schelsky längst gestellt worden ist: Und was passiert danach, d. h. wenn der Konsens im Wege des Diskurses hergestellt worden ist? Soll er dann institionell auf Dauer gestellt werden? Andererseits können die Legitimationskriterien nicht nur ex post gewonnen werden, denn dann würden die Grenzen bloßer Willkür nahe kommen. Man kann sie 36 Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 1), S. 841. 37 Ders., Die operative Geschlossenheit des Rechtssystems, in: ders., Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1993, S. 38-123, 123. 38 Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, 4. Aufl., Frankfurt am Main 1994, S. 308. 39 Ebd., S. 325. 40 Ebd., S. 322. Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 1), S. 470.

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§ 5 Beziehung von Politik und Recht als Grundlage der Rechtsprechung

auch nicht rein methodologisch fixieren oder in den Zweckkriterien der richterlichen Tätigkeit erblicken, denn damit würden höchstens Nachsteuerungsdeskriptionen erreicht werden.42 Zwischen der Institutionalisierung von normativen und kognitiven Erwartungen steht der Einfluß der Rechtsprechung auf die juridischen Programme. Sie bauen auf den Aktivitäten des Gesetzgebers auf, der ständig neue Direktiven und Normen, d. h. Verhaltens- und Entscheidungsprogramme erläßt. Sie kommen jedoch nicht nur im Gesetzgebungssystem, hier verstanden als systema legum, vor, sondern auch als immanente Formen des Rechtsprechungssystems. Die rechtsprechende Tätigkeit fungiert in diesem Sinne auf eine „diskretere" Weise. Konkret steht jede Entscheidung unter der Ägide des Gesetzes, obwohl die Gewinnung der Rechtsnorm in jedem Einzelfalle erst noch erfolgen und ihre Begründung de lege lata gefunden werden muß. Die Richter müssen dem Recht ständig neue normative Bedingungen hinzufügen, die sie alsdann dem Rechtssystem selbst attribuieren. Indem die allgemeinen Regeln des Rechts befolgt werden, treibt das Subsystem Rechtsprechung zugleich seine Selbstreferenz voran. In diesem Sinne bestätigt sie erneut die Erwartungen, die primär auf dem Niveau der sozialen Interaktionen gehegt wurden und formt sie zu weiteren Möglichkeiten um. In jedem Fall bleibt aber die „Jurisdiktion" eine systeminterne Angelegenheit.43 Bei verfassungsgerichtlichen Entscheidungen kann dies eine besonders dramatische Form annehmen. Es ist deshalb nicht von ungefähr, daß das Bundesverfassungsgericht besonders prekäre Probleme aufgreifen muß, denn es ist das Scharnier, das Politik und Recht zusammenhält und durch seine Entscheidungen gleichzeitig die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden bindet (§ 31 BVerfGG). Es ist wichtig zu sehen, daß es hier nicht um die Systematisierung innerhalb eines sozialen Bereichs geht. Auch die Politik wirkt ihrerseits zurück auf andere soziale Systeme. Außerdem ist Politik nur ein Teil des „gesamten" Prozesses, denn die Gesellschaft ist insgesamt viel komplexerer als jedes einzelne ihrer Funktionssysteme. Erst die Gesamtheit und das - möglichst reibungslose - Zusammenspiel aller Teilfunktionen, die im Rechtssystem erbracht werden, schaffen den Effekt der Legitimation des Rechts, das auf diese Weise grosso modo alsrichtigeund gerechte Herrschaftsordnung erscheint. Die Legitimation des Rechts basiert somit auf der laufenden Funktionserfüllung der Rechtsnormen, welche die ihnen zugedachten Leistungen (Wirkungen) erbringen; die Richtigkeit des Rechts und der fallweisen Rechtsgewinnung garantieren können sie nicht. Immer wieder wird jedoch der Versuch unternommen, den Normen des geltenden Rechts unter Einschluß des Richterrechts - über die rechtliche Legitimation hinaus - eine moralische, auf Vernunfterwägungen gestützte Legitimität als eine Art Zusatzbegründung zu attribuieren. Es soll nicht genügen, die juristischen Entscheidungen aus ihren eigenen Prämis42

Ders., Codierung und Programmierung, in: ders., Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1993, S. 165-213,202. « Ebd., S. 178.

3. Moralische Legitimität als Zusatzbegründung des Rechts?

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sen zu begründen. Sie sollen auch als „vernünftige Resultate"44 ausgewiesen werden. Geht man davon aus, daß das Rechtssystem der Gesellschaft ein eigenständiges Funktionssystem darstellt, gibt es jedoch keine vernünftigen Gründe dafür, im Rechtssystem erarbeitete und lege artis begründete juristische Entscheidung auch noch auf ihre moralische Legitimation und ihre Legitimität überprüfen zu wollen. Hierzu fehlt den Gerichten die Kompetenz. Schließlich kann auch die Negation von rechtlichen Entscheidungsalternativen eine Art Legitimation für die getroffene Selektion von Recht beinhalten.45 Natürlich muß sich dies dem Zyklus der Institutionalisierung anpassen. Ist die Rechtsprechung nicht allgemein zugänglich, müssen die sozialen Konflikte von anderen Agenturen oder unbeteiligten Dritten gelöst werden. Die Gerichte besitzen nach allem, was die Programme des Rechtssystems angeht, eine in mancherlei Hinsicht überlegene Position. Sie sind eine Art „Verwalter" des Systems. Die unbestimmten Ziele des Gesetzgebers („Fahrt ins Blaue"Esser), die auch als „Prognose" gedeutet werden können,46 werden je nach politischen Zuständen fixiert, die ihrerseits juridisch beeinflußt werden können. Das heißt, daß von vornherein hinreichend offene Kriterien und Leitideen entwickelt werden müssen, um die im Rahmen der Verfassung intrasystemisch wirksam werdenden Inkongruenzen der Politik nicht von Anfang an normativ auszuschließen. Entscheidend ist nicht die Repräsentation oder Partizipation, sondern die Reflexion darüber, welche Rolle die Rechtsprechung im modernen Verfassungsstaat und seiner Gesellschaft besitzt.47 Wir kommen darauf im nächsten Abschnitt zurück.

44

Habermas, Faktizität und Geltung (FN 38), S. 333. Niklas Luhmann, Gesellschaftliche und politische Bedingungen des Rechtsstaates, in: ders., Politische Planung. Aufsätze zur Soziologie von Politik und Verwaltung, Opladen 1971, S. 53-65, 65 Anm. 19. 45

46

Hesse, Verfassungsrechtsprechung im geschichtlichen Wandel (FN 17), S. 272. Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht (FN 16), S. 354, deutet dies auf eine eher indirekte Weise an, wenn er bemerkt: „Die Anstrengungen um den Regelungsgehalt der materiellen Verfassungsgrundsätze und um das Verfahrensrecht des BVerfG sind immer noch erfolgversprechender und in ihren Ergebnissen präziser als die Bemühungen um weitere funktionellrechtliche Feststellungen über das Verhältnis des BVerfG zu anderen staatlichen Organen." 47

§ 6 Rechtsprechung in verfassungs- und rechtsstaatlich organisierten Systemen - peripher oder zentral? 1. Soziale Funktionen der Rechtsprechung An die Feststellung der geschichtlichen Veränderungen und der internen Verschiebungen der Staatsfunktionen, die in den staatlich organisierten Rechtssystemen der modernen Gesellschaften zu beobachten sind, schließt sich die Annahme, daß auch ihre Darstellung eine gewisse Transformation erfahren wird. Auch haben sich die bestehenden Grenzen zwischen den politischen Kräften und ihren Entscheidungsstellen verschoben. Unter diesen Bedingungen geht es in erster Linie gar nicht darum, über irgendwelche Arten von Kontrolle oder Steuerung zu sprechen, sondern man sieht sich zunächst mit der erklärungsbedürftigen Tatsache konfrontiert, daß Immunisierungen gegen Angriffe ausgebildet werden. Daraus entwickelte sich statt eines Verharrens auf schon bekannten Orientierungsmustern eher eine gesteigerte kommunikative Flexibilität. Dies zeigt sich eindeutig bei Redensweisen, die die symbolischen Kommunikationsmedien Macht und Recht als „gängige Münze" benutzen, ohne jedoch auf detaillierte Reflexionen zu rekurrieren. Die entscheidende Fragerichtetsich deshalb darauf zu verstehen, wie die strukturellen, systemischen Effekte der Steigerung der gesellschaftlichen Komplexität dahingehend fortentwickelt werden können, daß nicht nur die verschiedenen sozialen Systeme ihre komplementären Operationen und Wirkungseffekte addieren, sondern die notwendigen Beobachtungs- und Steuerungskapazitäten aufbauen bzw. verstärken.1 Leider muß man feststellen, daß Widerstand immer dann geleistet wird, wenn es zu neuen begrifflichen Unterscheidungen, Einsichten, Beobachtungen und Erfahrungen kommt, die mit den traditionellen Sichtweisen nicht vereinbar sind oder gar brechen. Aus Gründen sprachlicher Vereinfachung werden dann die alten Sichtweisen bevorzugt und festgehalten, ohne darauf zu achten, daß inzwischen weitere semantische Änderungen eingetreten und neue Problemsichten etabliert sind. Um dies erkennen zu können, müssen neue Unterscheidungen eingebracht werden. Sie benötigen andere Ausgangs- und Beobachtungspunkte, denn je1 Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1997, S. 757 ff., 759. Es gibt verschiedene Typen der Beobachtung: 1. Beobachtung des Gesamtsystems (Funktion); 2. Beobachtung anderer Systeme (Leistung) und 3. Beobachtung des Teilsystems durch sich selbst (Reflexion). Beobachtung ist hier keine subjektbezogene Kategorie, sondern wird als bloße „Handhabung von Unterscheidungen" verstanden. Vgl. ders., Soziale Systeme, 5. Aufl., Frankfurt am Main 1994, S. 63.

1. Soziale Funktionen der Rechtsprechung

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de Beobachtung blendet ihre eigene Position aus. Auf der Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung (Beobachtung von Beobachtungen) besteht aber die Möglichkeit, aus diesen strukturellen Analysen und Unterscheidungen zu lernen, wie allgemeine Verhaltensmuster gewonnen und erlernt werden und damit das systemische Vorgehen selbst beeinflussen.2 Die genaue Prüfung dieser Einsichten und Postulate im Fall der Rechtsprechung sowie des Gerichtssystems steht noch aus, denn bislang wurden die sozialen Funktionen des Rechts nur partiell, unter dem Aspekt eher traditioneller theoretischer Ansätze erforscht. 3 Daß die Juristen neuen Denkansätzen üblicherweise nicht oder nur mit großer Zurückhaltung nachgehen, ist nicht überraschend, denn für sie spielen die nicht durch menschliche Willensäußerungen getragenen, latenten Funktionen und Strukturen der Normen und der dogmatischen Konstrukte und ihrer Verwendung eine eher sekundäre oder gar abwegige Rolle, da die rechtliche Argumentation gewöhnlich auf die interne Kohärenz des Rechtssystems (basale Selbstreferenz) ausgerichtet werden.4 Mit diesem Gesichtspunkt kann man erklären, warum innerhalb der Dogmatik die rechtliche Kommunikation oft so dargestellt wird, als ob sie nur zwischen den Gerichten, ihren horizontal regulierten Kompetenzen und fachgerichtlich untergeordneten Instanzen geschieht. Es gehört allenfalls zum Bewußtsein von „field workers",5 die besonders aufsehenerregenden Attributionen nachgehen, daß sie dazu veranlaßt werden, auch Korrelationen mit anderen sozialen Systemen in Betracht zu ziehen. Nur in extremen Situationen, in denen vorab fixierte Kriterien für die Entscheidung fehlen oder sie erst unter großem Erwartungsdruck entstehen, wird berücksichtigt, daß die Kommunikation von Recht selbst andere soziale Ebenen einbezieht und viel komplexerer ist, als sie normalerweise erscheint.6 Sonst wird in den vorliegenden Fällen - vermittelt durch die immanente Suche nach Konsistenz, die in den gerichtlichen Arbeitsmethoden besonders ausgeprägt ist - einfach außer acht gelassen, daß selektive Mechanismen unter nicht immer vorhersehbaren Kriterien operieren. Dafür gibt es im Rahmen des EntscheidungsVerfahrens einen breiten Raum, in dem solange manövriert werden kann, bis sich dierichtigeKonstellation für die Entscheidung anbietet oder die rechtspolitische Situation sich neu definieren läßt. 2

Ders., Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? 3. Aufl., Opladen 1990, S. 55. 3 Werner Krawietz, Das positive Recht und seine Funktion. Kategoriale und methodologische Überlegungen zu einer funktionalen Rechtstheorie, Berlin 1967, S. 44 ff. 4

Zu diesem Begriff: Luhmann, Soziale Systeme (FN 1), S. 199. Die Fähigkeit zur Selbstbeobachtung und Selbstbeschreibung bedeutet nicht, daß das System für sich selbst durchsichtig ist, sondern nur, daß es sich selbst „überwachen", d. h. Informationen gewinnen kann. Vgl. ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 1), S. 886. 5 Ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 1), S. 832. 6 Eine Untersuchung von Entscheidungprozessen bietet: Geoffrey Vickers, The Art of Judgment. A Study of Policy Making, Thousand Oaks/London/New Delhi 1995.

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§ 6 Rechtsprechung - peripher oder zentral?

Jedenfalls gilt im Justizbetrieb, daß die Probleme, die hier anhängig werden, immer entschieden werden müssen. Es wird deshalb so getan, als ob es keine störenden Umstände gäbe, um die Entscheidungen, um die es geht (ζ. B. in Gesetzgebung, Verwaltung, Rechtsprechung) als einander bedingende, miteinander verkettete Ereignisse und Prozeduren erscheinen zu lassen. Darin aber eine allgemeine politische Tätigkeit sehen zu wollen oder sie aus individuellen, musterhaften Fällen herleiten zu wollen, wie es in der nordamerikanischen Rechtspraxis üblich ist, in der das Bedürfnis zu entscheiden die „prudence" der Entscheidung selbst ausformt, 7 erscheint irreführend. Die Richter betreiben keine Politik, zumindest nicht in einem engeren, parteilichen Sinne. Das Gegenteil zu behaupten, würde die schon bestehende Kontingenz der Entscheidung nur noch vergrößern - was neben der Pflicht zu entscheiden auch die eigenartige Stellung der Rechtsprechung im Rechtssystem charakterisiert. Hinzu kommt, daß das Verständnis der sozialen Funktion der Rechtsprechung durch die unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffs von Funktion in Recht und Soziologie nicht unerheblich beeinträchtigt wird. Während die Soziologen sie als strukturabhängig, als „Regel für die Feststellung funktionaler Äquivalenzen" wahrnehmen, verstehen die Juristen das Konzept wohl eher im Sinne einer „Zweckrichtung", wenn man Luhmann glauben darf, der freilich selbst Jurist war.8 Beide Perspektiven sehen die jeweiligen Paradoxien nicht, die einerseits darin bestehen, daß entschieden werden muß trotz mangelnder Eindeutigkeit der Entscheidungsprämissen und daß es andererseits interne Bearbeitungen von allgemeinen, sozialen Strukturelementen innerhalb der jeweiligen Teilsysteme gibt, die ihnen originelle, nicht aus irgendeinem „Überbau" ableitbare Bestimmungen verleihen. Hierauf macht Krawietz aufmerksam, indem er darlegt, wie das Recht als soziale Kontrolle fungiert, aber hervorhebt, daß dies auch unter der tatsächlichen Entwicklung der Staatstätigkeit berücksichtigt werden muß.9 Wenn man vom systemtheoretischen Ansatz ausgeht, steht fest, daß die Beziehungen der Staatsfunktionen zueinander eher in einem zirkulären Verhältnis stehen, aber abhängig sind von anderen systemischen Variablen. Es bedarf der „gesamten" Wirkung demokratischer und rechtspolitischer Prozesse, die gleichwohl eine „Streitkultur", wie Mechanismen der Konfliktbeseitigung und Konsensbildung nicht ausschließen, sofern man diese in einem normativen Sinne versteht. Ein besonderes, entscheidendes Gewicht kommt dabei dem Differenzierungsgrad von Rechtsorganisationen und Gerichten zu. Die Verzweigung ihrer Tätigkeiten bringt neue Implikationen für die verfassungsrechtliche Praxis mit möglichen neuen Fi7 Walter Berns, The Least Dangerous Branch, but only if . . . , in: Leonard J. Theberge (Hrsg.), The Judiciary in a Democratic Society, Lexington/Massachusetts/Toronto 1979, S. 1-17,11. 8 Niklas Luhmann, Funktionale Methode und juristische Entscheidung, in: ders., Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Frankfurt am Main 1981, S. 273-307, 274, 282. 9 Krawietz, Das positive Recht und seine Funktion (FN 3), S. 45, 57.

1. Soziale Funktionen der Rechtsprechung

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xierungen richterlicher Aufgaben und Kompetenzen.10 Andererseits entspricht diese Vielfältigkeit einem unter gesteigertem Erwartungsdruck stehenden System, die sich auch durch Untätigkeit der Richter nicht vermeiden ließe. Eine derartige Kopartizipation in den rechtspolitischen Entscheidungen bedeutet, daß die aktive Rolle der Rechtsprechung akzeptiert werden muß. Dies bringt auch Fritz Werner zum Ausdruck, der bemerkt, daß „kaum eine Rechtsordnung existiert, in der die Rechtsprechung nicht eine bestimmende Rolle bei Verfassungsvollzügen gespielt hat".11 In dem rechtsstaatlich organisierten, volkswirtschaftlich orientierten Wohlfahrtsstaat bekommt dies freilich andere Facetten durch die verstärkte staatliche Intervention, besonders in der Rechtspflege. Die „Gesetzgebungsflut" und das Wachstum der Verwaltung sind Korrelate dieser Entwicklung, die auch die Rechtsprechung in Mitleidenschaft ziehen.12 Trotzdem gibt es keinen direkten Anschluß der Verfassungsrechtsprechung an die sozialen Systeme der Politik oder Wirtschaft. Dies kann nur in bezug auf die operativen Formen bewerkstelligt werden, die im Recht intrasystemisch gelten.13 Luhmann interpretiert die Veränderungen im Aufbau staatlich organisierter Rechtssysteme der modernen Gesellschaft nach dem Schema Zentrum/Peripherie. Der mögliche Einwand, der darin besteht, daß das im wesentlichen hierarchische Schema früherer Gesellschaften für die modernen Gesellschaften nicht mehr paßt, wird dadurch konterkariert, daß es immerhin möglich ist, bei bestimmten Teilsystemen neue Korrelationen zufinden. So kann der Begriff Zentrum (im Rechtssystem die Gerichte, in der Wirtschaft die Banken etc.) als eine Art Filter fungieren, der gegenüber der Dynamik anderer Systeme schützend wirkt. 14 Das heißt, daß innerhalb moderner Gesellschaften sich soziale Mechanismen ausbilden, welche die bestehenden Systeminterdependenzen neu arrangieren. Die 10

Klaus Schiaich meint, daß dieser Prozeß „vorteilhaft" ist, denn so können manche Entscheidungen verschoben werden. Vgl. ders., Das Bundesverfassungsgericht, 4. Aufl., München 1997, S. 372. Der Autor macht sich aber Sorgen darüber, wie dies geschieht, ohne daß die Möglichkeiten der anderen Teilsysteme ausgeschöpft wurden. 11 Fritz Werner, Bemerkungen zur Funktion der Gerichte in der gewaltenteilenden Demokratie, in: ders., Recht und Gericht in unserer Zeit. Reden, Vorträge, Aufsätze 1948-1969, hrsg. von Karl August Bettermann/Carl Hermann Ule, Köln /Berlin /Bonn /München 1971, S. 165-175, 170, Fn. 15. 12 Vgl. Michael Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion. Grundlegung einer verfassungsrechtlichen Theorie der rechtsgestaltenden Rechtsprechung, Tübingen 1997, S. 329. 13 Wohl zu optimistisch bezüglich der Möglichkeit einer direkten Steuerung durch Rechtsprechung: Karl-Heinz Ladeur, Recht und Verwaltung. Rechtliche „Steuerung" und „Selbstprogrammierung" in „Beurteilungs-" und „Ermessensspielräumen", in: Klaus Dammann/Dieter Grunow/ Klaus Ρ. Japp (Hrsg.), Die Verwaltung des politischen Systems. Neuere systemtheoretische Zugriffe auf ein altes Thema, Opladen 1994, S. 99-107, 102. 14 Niklas Luhmann, Die Stellung der Gerichte im Rechtssystem, in: ders., Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1993, S. 297-337, 322 ff.; ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 1), S. 631, 761, 769. Danach „herrscht" ,4m Schema Zentrum/Peripherie" das jeweils stärkste System.

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§ 6 Rechtsprechung - peripher oder zentral?

Bedingungen dafür sind in der sich ständig steigernden Ausdifferenzierung der sozialen Systeme und in der Binnendifferenzierung der einzelnen Funktionssysteme zu erblicken. Sie kann nur schrittweise bearbeitet und durch die politisch-rechtlichen Institutionen „gezähmt" werden.15 Voraussetzung dafür ist freilich ein gewisser Komplexitätsgrad der Gesellschaft, um diese Mechanismen in Gang setzen zu können. Wenn eine Gesellschaft ihre politisch-rechtlichen Institutionen nicht ausreichend differenziert hat, besteht für die eher technischen Operationen der Verfassungsmäßigkeitskontrolle die Gefahr, daß die bestehenden demokratischen Institutionen sich gegenseitig blockieren. Das Risiko kann dann in der übermäßigen Vergrößerung des Einflusses der Verfassungsgerichtsbarkeit liegen, die als ein schwer kalkulierbarer Faktor für die gesamte rechtliche Ordnung wirken kann.16 So wie sie dargestellt wurde, ist die Rechtsprechung für die Gesellschaft eine wichtige Form und Institution, um mit der mangelnden Bestimmtheit und der bestehenden Ungewissheit über die Geltung und Verbindlichkeit normativer Entscheidungsbedingungen umgehen zu können. Die Schwierigkeiten bestehen vor allem darin, daß die Regulierung der rechtlichen Probleme (ohne die kombinierten Effekte in bezug auf andere Systeme zu erwähnen) keine gleichsam automatischen, selbstverständlichen Lösungen bieten kann. Es wird gern „versteckt", daß auch falsche Entscheidungen, einmal rechtskräftig geworden, so kausal sind wie diejenigen in jedem anderen sozialen Bereich. Ferner kommen beruflich geprägte Kontaktformen zur Geltung, die Schranken aufbauen, wie sie bei rechtlichen Verfahren typisch sind: Richter und Rechtsanwälte haben ζ. B. darauf zu achten, „daß es nicht zu einer moralischen Vorwegverurteilung kommt".17 15

Luhmann, Die Stellung der Gerichte im Rechtssystem (FN 14), S. 301. Man kann sich hier die Frage stellen, inwieweit dies auch innerhalb der Gerichtsordnung selbst wirkt, wie im Fall der Verfassungsrechtsprechung: Wird sie zum Zentrum oder zu Peripherie der Normbildung? Dies steht in nur scheinbarem Widerspruch zu den formellen Dispositionen der Verfassungsmäßigkeitskontrolle, wie im Falle Brasiliens deutlich wird: Obwohl umfassende Mittel zur Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit zur Verfügung stehen (die außer den zwei üblichen Formen der inzidenten und abstrakten Kontrolle noch indirekte Wege durch Institute, wie den Mandado de segurança coletivo und den sehr begrenzt brauchbaren Mandado de injunçâo, kennen), herrscht ein starker Kontrast bei der Umsetzung der Grundrechte, da man sich in der Rechtspraxis - statt an der Verfassung - an anderen, infrahierarchischen normativen Bestimmungen orientiert. Dies ist vorwiegend auf den lückenhaften Föderalismus und die zentralistische Tradition des Landes zurückzuführen. Sie hat durch die unklare Machtverteilung in der Verfassung von 1988 eine „Unregierbarkeit" begünstigt. Siehe Rogério Bastos Arantes, Judiciario e Politica no Brasil, Säo Paulo 1997, S. 122, 204. Trotzdem läßt sich in den letzten brasilianischen Verfassungstexten eine Tendenz bemerken, die in Richtung einer Verstärkung der Autonomie der Rechtsprechung geht. So auch Marcelo Neves, Verfassung und Positivität des Rechts in der peripheren Moderne. Eine theoretische Betrachtung und eine Interpretation des Falls Brasilien, Berlin 1992, S. 163. 17 Luhmann, Die Stellung der Gerichte im Rechtssystem (FN 14), S. 318. Andererseits lassen sich außerrechtliche, sozialisierende Einwirkungen der Zunft feststellen, die auch bei

1. Soziale Funktionen der Rechtsprechung

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Insoweit gehört das Gerichtssystem gleichsam zum rechtspolitischen Nervenzentrum des Rechts, durch das die Eigenschaften und Begrenzungen der politischrechtlichen Institutionen hervorgehoben und akzentuiert werden. Eine sehr viel engere, eher rechtspositivistische Deutung bot demgegenüber - freilich zu Beginn der 50er Jahre - der Verfassungsjurist der damaligen Bundesregierung Ulrich Scheuner: „Die Verfassungsgerichtsbarkeit ... gehört keineswegs zu den notwendigen Folgerungen des Rechtsstaats oder der Demokratie. Sie ist vielmehr Ausdruck einer ganz bestimmten Auffassung von der Überordnung der Verfassung und von ihrer Juridifizierung, vom Recht als Norm und von der Stellung des Richters zum Recht, endlich von der Position der Gerichte im Staatsganzen."18

Es geht heute aber gerade um die Art der Beobachtung des Rechtssystems und des rechtlichen Handelns, die wiederum auf dierichterliche Praxis - im Wege der sich wandelnden (Selbst-)Reflexion durch die Richter - zurückwirkt. Sie muß in Übereinstimmung gebracht werden mit der Teilnahme der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung an der Gestaltung der Rechtsprozesse. Dies kann nur geschehen, wenn die Teilnahme der Verfassungsgerichtsbarkeit schon de lege ferenda, im Vorfeld der anzustellenden rechtspolitischen Überlegungen mitbedacht wird. Die freilich erst ex post mögliche Beobachtung und Rekonstruktion der gesellschaftlichen Evolution des Rechts spricht dafür, dem Recht auch neue Aufgaben der Sozialgestaltung zu stellen, je mehr sich dessen soziale Strukturen in der Zeitund Sozialdimension ausdehnen. Infolgedessen muß die Rechtsprechung die wechselseitigen Konditionierungen ihrerseits konditionieren, d. h. dafür sorgen, daß das System fortlaufend weiter operiert und sich nicht mit dem „Erreichen eines Zieles (Endes, télos) festläuft" und aufhört zu operieren. 19 Dafür braucht man „Kompen-

Innovationen wirksam werden, wie etwa die Zunahme von Zivilprozessen bei wirtschaftlichem Wachstum, die einen wichtigen Anteil daran hat, daß die Juristen neue Verknüpfungen zwischen öffentlichem Recht und dem zivilrechtlichen Vertrag geschaffen haben. Abweichende Meinungen in der Rechtsprechung spielen eine wichtige, unterstützende Rolle und gelten als Reservat für eine in Zukunft mögliche „Umkehrung" der „herrschenden Meinung". Siehe Thomas Drosdeck, Die herrschende Meinung. Autorität als Rechtsquelle. Funktionen einer juristischen Argumentationsfigur, Berlin 1989, S. 23 ff. 18 Ulrich Scheuner, Problem und Verantwortungen der Verfassungsgerichtsbarkeit in der Bundesrepublik, in: Peter Häberle (Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit, Darmstadt 1976, S. 194-213, 199. Früher in: Deutsches Verwaltungsblatt 67 (1952), S. 293-298. Der Autor hat aber später erkannt, daß die Art, wie die Diskussion über die Verfassungsgerichtsbarkeit in Deutschland geführt wurde, „ein Stück der politischen Verfassungsstruktur" geworden ist, siehe die Diskussion in: Klaus Stern, Verfassungsgerichtsbarkeit zwischen Recht und Politik, Opladen 1980, S. 35-50, 37. Siehe auch ders., Die Überlieferung der deutschen Staatsgerichtsbarkeit im 19. und 20. Jahrhundert, in: Christian Starck (Hrsg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz. Festgabe aus Anlaß des 25jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts, Erster Band (Verfassungsgerichtsbarkeit), Tübingen 1976, S. 1 -62. !9 Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 1), S. 749. Dies übersieht Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion (FN 12), S. 174, wenn er (in Anlehnung an Bernd Oppermanns

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§ 6 Rechtsprechung - peripher oder zentral?

sierungen" innerhalb der staatlichen Aufgaben, 20 die die für Entscheidungen notwendige Flexibilität schaffen. Sie wird aber häufig als „Störungsquelle" empfunden. 2 1 Diese Situation kann weder dem Formalismus noch dem Voluntarismus von Rechtsänderungen gerecht werden, denn das Modell der heutigen Verfassungsgerichtsbarkeit impliziert eine ebenso stabile wie flexible Deutung des Rechts. 22 Es besteht nach allem eine gewisse Spannung zwischen der gerichtlichen Organisation und der gesellschaftlichen Funktion der Rechtsprechung. Einerseits werden Störungen als zum System gehörend angesehen, die unter die Unprognostizierbarkeit oder das Erfordernis einer außergerichtlichen Verständigung oder die Notwendigkeit eines Umgehungsverfahrens fallen. 23 Andererseits aber wird das Bedürfnis der Bindungswirkung der verfassungsrechtlichen Kontrolle betont und damit die Abgrenzung von anderen Rechtsprechungstätigkeiten markiert. 24 Dies zeigt, daß die Rechtsprechung bzw. die Verfassungsgerichtsbarkeit dem Ausufern

mathematische Darstellung der Rechtsfaktoren) der Rechtsprechung die einseitige Eigenschaft zuspricht, zur Unprognostizierbarkeit der Entscheidungen beizutragen. 20 Niklas Luhmann, Rechtssoziologie, 2. Aufl., Opladen 1987, S. 248 (für die Rechtsprechung). Kompensierungen zwischen den sozialen Systemen Wirtschaft/Recht in: ders., Politische Verfassungen im Kontext des Gesellschaftssystems, in: Der Staat 12 (1973), S. 1 - 2 2 (erster Teil) und S. 165 - 1 8 2 (zweiter Teil), 177. 21 Ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 1), S. 791. Ob die Rechtsprechung in der heutigen Gesellschaft als eine Art neuen Mediums taugt, ist zweifelhaft, denn dafür fehlt ihr eine größere Homogenität, was aus den vielfältigen Inhalten ihrer meist individuell angerichteten Entscheidungen nicht zu erwarten ist. 22 Scheuner, Problem und Verantwortungen der Verfassungsgerichtsbarkeit in der Bundesrepublik (FN 18), S. 212. Klaus Stern, Der Einfluß der Verfassungsgerichte auf die Gesetzgebung in Bund und Ländern, in: Hans H. Klein/Horst Sendler/Klaus Stern (Hrsg.), Justiz und Politik im demokratischen Rechtsstaat, Karlsruhe 1996, S. 9-38, 26, zitiert die Statistiken, um zu zeigen, daß das Bundesverfassungsgericht in dem von ihm angegebenen Berichtszeitraum in 400 Fällen Gesetze für verfassungswidrig erklärt hat. Damit hat das Gericht die in einem früheren Vortrag des Autors zu diesem Thema angegebenen Zahlen (118 Fälle in den ersten 27 Jahren des Bestehen des Gerichts, d. h. von 1951 bis 1978) weit überschritten. Siehe ders., Verfassungsgerichtsbarkeit zwischen Recht und Politik (FN 18) S. 25-26. 23 Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 1), S. 759. Außerdem gibt es immer noch den internen „bürokratischen Leerlauf und wechselseitige Blockierungen" innerhalb des Justizapparats, die gegen den Einfluß gesellschaftlicher Makrostrukturen immun bleiben, so Volkmar Gessner, Justiz und Sozialstruktur. Erneute Annäherung an ein altes Thema, in: Heinz Mohnhaupt/Dieter Simon (Hrsg.), Vorträge zur Justizforschung. Geschichte und Theorie, Bd. 1, Frankfurt am Main 1992, S. 387-400, 397. Siehe auch Maria Rosaria Ferrarese, L'instituzione difficile: la magistratura tra professione e sistema politico, Napoli 1984. 24 Siehe Wilfried Schlüter, Das Obiter Dictum. Die Grenzen höchstrichterlicher Entscheidungsbegründung, dargestellt an Beispielen aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, München 1973, der durch die Unterscheidung zwischen „notwendigen" und „nichtnotwendigen" richterlichen Rechtsausführungen das methodologische Dilemma beschreibt, das zwischen „ratio decidendi" und „obiter dicta" besteht. Wie der Autor darlegt, kennt das einfache Recht keine Normen, „welche den Richter verpflichten, die von ihm selbst oder den ihm im Instanzenzug übergeordneten Gerichten in anderen Fällen gewonnene Auslegung oder Rechtsfortbildung mehr oder weniger unbesehen nachzuvollziehen", ebd., S. 47.

2. Aufgaben der Judikative

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anderer Funktionen (oder anders ausgedrückt: dem sogenannten „Versagen des Gesetzgebers") eine Grenze zu setzen sucht. 25 Und gerade weil sie eine Grenze setzt, muß sie die eigenen betonen, wie in vielen Argumentationen seitens der Verfassungsgerichtsbarkeit klar gemacht wird. 2 6 Die Rechtsverbindlichkeit muß ständig aufs Neue hergestellt werden, aber ihre Kriterien sind interpretationsbedürftig. Somit verlagert sich das Problem auf die Frage der internen Grenzen des Systems. 27

2. Aufgaben der Judikative - juristische Entscheidung oder operativer Ausgleich von Konflikten? Die höchstrichterliche Rechtsprechung, d. h. die rechtsprechenden Organe, die an der hierarchischen Spitze der Gerichtssysteme ihre von Verfassungs wegen maßgebenden Funktionen und Aufgaben erledigen, sind mit einer Paradoxie belastet. Diese besteht darin, daß sie einerseits ständig entscheiden müssen, um Rechtskonflikte oder Interpretationsprobleme der Verfassung zu lösen. 28 Gleichzeitig können die Gerichte aber nicht aus eigener Machtvollkommenheit kontinuierlich in die Produktion oder Reproduktion von Recht intervenieren, da ihnen nicht nur die Kompetenz und die politischen Fähigkeiten fehlen, sondern sie damit ihren eigenen Spielraum gefährden. Schließlich müssen richterliche Urteile unparteiisch bleiben, um rechtlich bindende Kraft genießen zu können. 25

Ernst Forsthoff, Rechtsstaat oder Richterstaat? In: ders., Rechtsstaat im Wandel. Verfassungsrechtliche Abhandlungen 1954-1973, hrsg. von Klaus Frey, 2. Aufl., München 1976, S. 243-256, 253, sieht die Vergrößerung des Spielraums der Judikative als eine Folge der Verminderung des politischen Einflusses der Verfassung an. ^ Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht (FN 10), S. 357 ff. 27 Luhmann, Die Stellung der Gerichte im Rechtssystem (FN 14), S. 303: „Die Gerichte haben zu entscheiden, wie weit sie Fälle über Interpretation lösen können und wie weit sie Rechtsänderungen durch den Gesetzgeber fordern müssen, wenn die Problemlösungen nicht befriedigen." Im deutschen Recht basiert der Rechtsbindungseffekt der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts auf § 31 II BVerfGG (der bestimmten Fällen „Gesetzeskraft" verleiht). Aber die Rolle des Gesetzes selbst hat sich inzwischen so geändert, daß sie nicht immer als Ersatz für den „Verfassungsrang" solcher Entscheidungen fungieren kann. Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion (FN 12), S. 428, sieht darin eine „neue Aufgabe, für deren Lösung die überkommene Methodenlehre eine zuverlässige Vorgehens weise naturgemäß nicht bereitstellen konnte". 28

Daß die Verfassungsrechtsprechung nicht nur aus Konfliktentscheidungen besteht, sondern auch Interpretations- und Normativierungsaufgaben einschließt, ist den meisten Autoren klar. Das Problem liegt in der Festlegung bzw. Darstellung ihrer Grenzen. Siehe Konrad Hesse, Verfassungsrechtsprechung im geschichtlichen Wandel, in: Juristen-Zeitung 6 (1995), S. 265-273, 273: „Das heutige Hauptproblem der Verfassungsgerichtsbarkeit liegt mehr noch als bisher in der richtigen Bestimmung ihrer Grenzen und deren Einhaltung. Dieses Problem läßt sich durch den allgemeinen und oft zu hörenden Appell an die richterliche Selbstbeschränkung nicht lösen." Gleichwohl Detlef Merten, Demokratischer Rechtsstaat und Verfassungsgerichtsbarkeit, in: Deutsches Verwaltungsblatt 19 (1980), S. 773-779, 779: „Auch der Grundsatz verfassungskonformer Interpretation ist kein Zeichen verfassungsgerichtlicher Zurückhaltung . . . , sondern Folge der derogatorischen Regeln."

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§ 6 Rechtsprechung - peripher oder zentral?

Es stehen eine Reihe von Vorkehrungen zur Verfügung, um der den Gerichten angesonnenen Bereitschaft, Irritationen im obigen Sinne auszuhalten, auch den notwendigen Rückhalt zu geben. Als Organisationen können sie nur in begrenztem Umfange soziale Funktionen erfüllen. Wie Luhmann erinnert, kann keine Organisation alle gesellschaftlichen Tätigkeiten an sich ziehen.29 Dies gilt auch für die Funktionssysteme der Gesellschaft, wie beispielsweise das Rechtssystem als ganzes. Andere Teilsysteme müssen herangezogen werden, um die rechtsprechende Kommunikation im Rahmen rechtsstaatlicher Maßstäbe fortsetzen zu können: Wenn die Verwaltung nicht rechtmäßig funktioniert, kann auch die Rechtsprechung u. U. ins Leere laufen. Ihre Bereitschaft, tätig zu werden, ist nach Art einer „fachlichen Kompetenz" gebaut. Nicht nur im Sinne von Diederichsen, der meint, daß „mit der Gewaltenteilung ... auch eine entsprechende fachliche Kompetenz entwickelt und für den Bürger gegenüber zu treffenden Entscheidungen gesichert werden" soll,30 sondern daß fachliche Kompetenz stets andere normative Strukturvorgaben und deren Begrenzung voraussetzt, um sachgerecht ausgeübt werden zu können. In diesem Sinne bleibt die Gewaltenteilung und die auf ihr fußende richterliche Unabhängigkeit in enger Beziehung zu anderen Prinzipien, die sich auch aus den föderativen Strukturen staatlicher Herrschaftsgewalt ableiten lassen.31 Obwohl sie dabei vor allem historische Konturen gewinnt, die in den jeweiligen Gesellschaften zu finden sind,32 kann man durchaus auch allgemeine Richtlinien erkennen, die davon zeugen, daß die Unabhängigkeit der Gerichte im Laufe der Geschichte als ein Faktor der Entfaltung des politischen Systems neben anderen fungiert hat. Diese Differenzierungsbedürfinisse drücken sich zugleich als Selbstbeschränkung aus, da 29 Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 1), S. 841. 30 Uwe Diederichsen, Innere Grenzen des Rechtsstaates, in: Hans-Martin Pawlowski/ Gerd Roellecke (Hrsg.), Der Universalitätsanspruch des demokratischen Rechtsstaates, Stuttgart 1996, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Beiheft 65, S. 129-149, 131. 31

Scheuner, Diskussion, in: Klaus Stern, Verfassungsgerichtsbarkeit zwischen Recht und Politik (FN 18), S. 39, sieht den Ursprung der deutschen föderalistischen Verfassungsgerichtsbarkeit in den Problemen der „Mehrstaatlichkeit unter einer Gesamtmacht44. Karl Löwenstein, Verfassungslehre, 3. Aufl., Tübingen 1975, S. 33, 37, leitet die Existenz einer unabhängigen Rechtsprechung aus dem Repräsentationsprinzip ab, ohne der Verfassungsrechtsprechung eine besondere strukturierende Funktion beizumessen, wie es im anglo-amerikanischen Recht üblich ist. 32 Hasso Hofmann zeigt, wie die Vernunfttheoretiker ideale Maßstäbe der Machtverteilung durch philosophisches Nachdenken über ihre eigenen Gesellschaften gestellt haben. Vgl. ders., Geschichtlichkeit und Universalitätsanspruch des Rechtsstaats, in: Hans-Martin Pawlowski/Gerd Roellecke (Hrsg.), Der Universalitätsanspruch des demokratischen Rechtsstaates, Stuttgart 1996, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Beiheft 65, S. 9 - 3 2 , 24 ff. Aus einer subjektbezogenen Position erinnert Ulrich Preuß, Perspektiven von Rechtsstaat und Demokratie, in: Kritische Justiz 1 (1989), S. 1 - 18, 7, daran, daß Rousseaus Konzept der volonté générale nicht allein von den moralischen Qualitäten der Gesellschaftsmitglieder, sondern „von einer weitgehend egalitären kleinbäuerlichen und kleinbürgerlichen Sozialstruktur44 abhängig war.

3. Demokratisches Credo, Verfassungsstaat und Rechtssouveränität

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die Rechtsprechung sich ihre Legitimation auch dadurch beschaffen muß, daß sie innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens operiert. Es geht einerseits um ein Zusammenwirken diverser rechtsnormativer Bestimmungen, andererseits um teils organisatorische, teils normative strukturelle Kopplungen, die durch das Rechtssystem ermöglicht werden.33 Die operativen strukturellen Kopplungen innerhalb des Rechtssystems34 vollziehen für die Rechtsprechung zugleich die kommunikativen Verbindungen mit verschiedenen anderen gesellschaftlichen Systemen, die in kommunikativem „Kontakt" mit dem Recht stehen, nämlich mit Wissenschaft, Politik, Wirtschaft u. a., wenn auch nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Gleichzeitig erfolgen in der „Rechtswelt" ständig neue Umstellungen und Umformungen, die aus den gegenseitigen Anstößen und Irritationen zwischen Rechtsprechung, Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtswissenschaft resultieren. Je aktiver die Rolle der Rechtsprechung, desto mehr ist sie abhängig von einer ständigen Bereitschaft der Gesetzgebung, eventuell kritische Reformtätigkeiten auszuüben: „Die Rechte lassen sich schließlich auf wissenschaftliche Kontroversen ein, nur weil die Gesetzgebung wachsam ist."35 In diesem Kontext stellt die Normenkontrolle - mit Akzent auf Verfassungsrechtsprechung - sich als ein besonderer Fall dar. Obwohl sie zu rechtsstaatlichen Bedenken Anlaß gibt, die nicht ohne Wirkung auf die Rechtsproduktion bleiben, gehört sie nach herkömmlicher Auffassung zur internen Entwicklung des Rechtssystems. Darauf weist auch Scheuner hin, wenn er feststellt, daß es eine „Richtschnur für die Bedeutung und Abgrenzung der Normenkontrolle" durch das Bundesverfassungsgericht gibt, und deshalb sind ihr „rechtsgestaltende Aufgaben" fremd. 36

3. Demokratisches Credo, Verfassungsstaat und Rechtssouveränität Man kann durchaus noch einen Schritt weitergehen und darauf abstellen, daß die Beziehungen zwischen dem demokratischen Credo, der Theorie der Souveränität und dem Rechtsstaat voneinander abhängig sind.37 Dies gilt auch dann, wenn 33 Vgl. hierzu: Hans-Peter Schneider, Verfassungsgerichtsbarkeit und Gewaltenteilung. Zur Funktionsgerechtigkeit von Kontrollmaßstäben und Kontrolldichte verfassungsgerichtlicher Entscheidung, in: Neue Juristische Wochenschrift 1980, S. 2103-2111, 2106. 34 Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 1), S. 788. 35 Ders., Rechtssoziologie (FN 20), S. 237. 36 Scheuner, Problem und Verantwortungen der Verfassungsgerichtsbarkeit in der Bundesrepublik (FN 18), S. 206. Aber bedeutet „Verantwortung" nicht eine informative Öffnung für neue Fragen? Siehe dazu: Werner Krawietz, Theorie der Verantwortung - neu oder alt? Zur normativen Verantwortungsattribution mit Mitteln des Rechts, in: Kurt Bayertz (Hrsg.), Verantwortung. Prinzip oder Problem? Darmstadt 1995, S. 184-215. 7 Albuquerque

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§ 6 Rechtsprechung - peripher oder zentral?

man Demokratie nicht als ständige Bildung von Konsens, sondern eher als eine Form des Umgangs mit hoher Normen- und Entscheidungskomplexität versteht, die sich auf die Autonomie der Rechtsordnung bzw. des Rechtssystems stützt. Darauf deutet Merten hin, wenn er sagt: „Unbeschadet einer wegen der Volkssouveränität erforderlichen demokratischen Legitimation aller Staatsgewalt besteht Volksherrschaft nur nach Maßgabe und im Rahmen der verfassungsgesetzlichen Funktionen- und Kompetenzordnung. Verfassungsmäßigkeit konstituiert Volksherrschaft und läßt sich von ihr legitimieren, nicht aber substituieren."38

Es liegt nahe, mit Häberle darauf abzustellen, daß der Streit um Reichweite und Inhalt der Bindungswirkung verfassungsrichterlicher Entscheidungen zugleich ein Streit um den Ort des Verfassungsgerichts im Gewaltenteilungssystem selbst ist. 39 In diesem Sinne tendieren Apologetiker wie Kritiker der Rechtsprechung dazu, deren Rolle entweder als zu hoch oder zu blaß anzusetzen. Im Vordergrund steht René Marcie , der aller Rechtsprechung eine ganz „neue Zeit" in Aussicht stellt, eine Perspektive, die nach den Erfahrungen der Schule der Freirechtslehre längst ausgedient zu haben schien. „Die politischen Formen bewegen sich auf die Gestalt des Richters zu. Wenn der politischen Freiheit, die das Kennzeichen des Abendlandes ist, noch eine Zukunft beschieden ist, dann wird in der Zeit, die kommt, der Staat ein Richter- und Rechtsprechungsstaat sein, so wie der Staat der Neuzeit ein Gesetzes- und Verwaltungsstaat war. Wir leben in einem Zwischenreich."40

Diese hohe Einschätzung der Rechtsprechung übersieht die Formen, in denen heute eine Bildung normativer Erwartungen tatsächlich stattfindet, und muß infolgedessen als eine Art Selbstillusionierung eingestuft werden. Es genügt, die heute aktuellen Probleme der Durchsetzung des Rechtsstaats in Rechnung zu stellen (ohne über die destabilisierenden wirtschaftlichen Geschehnisse der Weltökonomie zu sprechen), um feststellen zu können, daß die Komplexität des modernen Staates nicht abgebaut oder mit Bezug auf ein und nur ein bestimmtes System oder Teilsystem, wie das Gerichtssystem, umstrukturiert wird. Es steigert sich die Komple37 Werner Krawietz, Rechtstheorie und Rechtsstaatlichkeit, in: ders./Mihâly Samu/Péter Szilâgyi (Hrsg.), Verfassungsstaat, Stabilität und Variabilität des Rechts im modernen Rechtssystem. Internationales Symposium der Budapester Juristischen Fakultät, RECHTSTHEORIE 26 (1995), S. 425 - 461, 454 (keine Identität zwischen Verfassungsstaat und Rechtsstaat); ders., Recht ohne Staat? Spielregeln des Rechts und Rechtssystem in normen- und systemtheoretischer Perspektive, in: Danilo Basta /Werner Krawietz / Dieter Müller (Hrsg.), Rechtsstaat Ursprung und Zukunft einer Idee. Symposium zum 150jährigen Bestehen der Belgrader Juristischen Fakultät, RECHTSTHEORIE 24 (1993), S. 81 -133, 89 (keine Identität von Recht und Staat bzw. von Staat und Gesellschaft); Hofmann, Geschichtlichkeit und Universalanspruch des Rechtsstaats (FN 32), S. 26. 38 Merten, Demokratischer Rechtsstaat und Verfassungsgerichtsbarkeit (FN 28), S. 776. 39 Peter Häberle, Grundprobleme der Verfassungsgerichtsbarkeit, in: ders. (Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit, Darmstadt 1976, S. 1 - 45, 21. 40 René Marcie, Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, Wien 1957, S. 241.

3. Demokratisches Credo, Verfassungsstaat und Rechtssouveränität

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xität des Rechtssystems insgesamt und in seinen Teilsystemen, die Ausübung aller Funktionen des modernen Staates wird immer komplizierter und sie entwickelt sich auf eine höchst ungleichmäßige Weise. 41 Auch die Beobachtungen werden auf verschiedenen Niveaus durchgeführt, aber nur, wenn sie operativ einen Platz im System finden. Dies erklärt, warum innerhalb des staatlich organisierten Systems Unterschiede toleriert werden, ohne daß die systemische Arbeitsteilung gefährdet wird. 4 2 Wie jede Darstellung stellt auch die Selbstbeschreibung stets nur einen Teil dessen dar, was sie beschreibt. 43 Die Koordination der unzähligen möglichen Selbstbeobachtungen und Selbstbeschreibungen wird in der Kommunikation durch die Strukturvorgaben des Rechts „bestimmt". Letztere benötigen eine gemeinsame Referenz, die in der als Einheit verstandenen, mit Mitteln des Rechts näher bestimmten Autorität der Staatsgewalt zum Ausdruck gelangt. Das zeigt sich unbewußt auch in vielen dogmatischen Analysen, in denen gegen eine „Ausbreitung" der Rechtsprechung polemisiert wird mit der Begründung, daß sie die Defizite der anderen Staatsfunktionen nicht zu kompensieren vermag: „Kompensation schafft nicht echte Kompetenz, sie schafft Notkompetenz, deren erste und dauernde Pflicht es ist, sich entbehrlich zu machen."44 Aber selbst diese Bemerkung wird diktiert von einem bloß wissenschaftlichen Urteil, das - verglichen mit der Verfassung selbst - keinen besseren Gesichtspunkt 41 So wird die Entwicklung neuer Formen von Segmentierungen und Schichten begünstigt. Vgl. Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 1), S. 776. Im Rahmen der Verfassungsrechtsprechung besteht die Tendenz, Verfassungsbeschwerden durch Präjudizbindung zur Entlastung der Oberen Gerichte zu benutzen. Andererseits dehnt sich eine beachtliche Rechtsprechung auch auf internationaler Ebene aus. Siehe Klaus Stern, Außenpolitischer Gestaltungsspielraum und verfassungsgerichtliche Kontrolle - Das Bundesverfassungsgericht im Spannungsfeld zwischen Judicial Activism und Judicial Restraint, in: Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter 7 (1994), S. 241 -249. Diese entgegengesetzten Bewegungen könnten mit der Zeit zu neuen Hierarchisierungen innerhalb der Rechtsprechung führen. So liest man bei Schneider, Verfassungsgerichtsbarkeit und Gewaltenteilung (FN 33), S. 2109: „Trotz der Bemühungen auf eine weitgehende Überprüfung der Regierungstätigkeit haben die Entscheidungen des BVerfG insbesondere auf dem Gebiet der Außenpolitik bei der Beurteilung völkerrechtlicher Verträge ... gleichwohl zu einem außerordentlich hohen Maß an ,Kontrolldichte4 geführt." 42 Auch der Rechtsstaat selbst war in seiner „klassischen" Form als Schutz gegen einen zu mächtigen Gesetzgeber gedacht. Deshalb werden die Zweifel an der Rechtsprechung üblicherweise mit dem Argument ausgedrückt: „Quod custiodiat custodis?" Das prägt auch die Debatte über den „Verfassungshüter". Vgl. ferner: Alessandro Baratta, Zur Entwicklung des modernen Rechtsstaatsbegriffs, in: Liber Amicorum B. C. H. Aubin. Festschrift für Bernhard C. H. Aubin zum 65. Geburtstag, Kehl am Rhein/Straßburg 1979, S. 1 - 1 4 , 5 . 4 3 Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 1), S. 884 ff., 890. Wie der Autor betont, ist das der Soziologie seit langem bekannt. Nur hat sie bisher daraus nicht die nötigen epistemologischen Konsequenzen gezogen. 44

Klaus Schiaich, Die Verfassungsgerichtsbarkeit im Gefüge der Staatsfiinktionen (Mitbericht), in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 39 (1981), S. 99-146, 116-117; ders., Das Bundesverfassungsgericht (FN 10), S. 368. 7*

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§ 6 Rechtsprechung - peripher oder zentral?

anzubieten hat. Die Berufung auf sonstige „materielle" Kriterien bleibt natürlich auch für die Verfassungsrechtsprechung übrig, doch führt dies wiederum zu dem Problem der politischen Abgrenzung.45 Man sollte zugeben, daß dieses Problem auch mit bloßer Methodologie nicht zu lösen ist. 46 Dies ist keineswegs eine bloß erkenntnistheoretische Frage, wie bei der Suche nach einem neuen rechtlichen „Paradigma", das die wissenschaftliche Erkenntnis bestimmt. Die Rationalisierungen des Rechts werden nicht aus dem Recht überlegenen „Superkriterien" hergeleitet, die auf moralischen bzw. ethischen Reflexionen basieren. Sie stützen sich auf die rechtliche Praxis (Zweckrationalität, Wertrationalität im Sinne von Max Weber, Schelsky u. a.). Dies wird von Habermas mißverstanden, wenn er meint, daß durch die „Fixierung an das Gesellschaftsbild der Richter" auch der Anspruch der Rechtswissenschaft entstehe, alle rechtlichen Aufgaben „in eigener Regie zu lösen" 4 7 Dafür gibt es keine Regie - es läuft, wie es läuft. So korreliert die von ihm anerkannte „privilegierte" Position von Dogmatik und Rechtstheorie48 keineswegs mit einem - außerdogmatisch vorgegebenen - Gegenstand Recht. Wir können nur das juristisch verstehen, was wir - gestützt auf Erfahrung, Beobachtung und Geschichte - auch erklären können. Genauso wie andere soziale Disziplinen muß auch die Dogmatik sich bemühen, für ihre Operationen einen sozialwissenschaftlichen Halt zu finden. Dies geschieht vor allem in den alltäglichen Bezügen des Rechts zur Gesellschaft. 49 Die Politisierung der Rechtsprechung ist eine höchst sensible Angelegenheit, denn sie ist, Institutionen- und systemtheoretisch betrachtet, nur schwer abzugleichen, auch nicht in einem verfassungs- und rechtsstaatlich organisierten, gewaltenteilig angelegten Rechtssystem. Auch der Versuch, innerhalb jedes Teilsystems die 45

„Insoweit der materielle Rechtsstaat institutionell durch die Prüfungskompetenz des BVerfG abgestützt ist, bedeutet dies, daß die politische Auseinandersetzung nicht notwendig mit der Entscheidung des Parlaments endet", so Dieter Grimm, Reformalisierung des Rechtsstaats als Demokratiepostulat? In: Juristische Schulung 10 (1980), S. 704-709, 705. Schneider, Verfassungsgerichtsbarkeit und Gewaltenteilung (FN 33), S. 2104. 47 Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, 4. Aufl., Frankfurt am Main 1994, S. 474. 4 « Ebd., S. 477. 49 „Se il diritto perdura è perché il cittadino lo riconosce e loriconoscee lo accetta come un processo di ragione pratica, che si sforza di esprimere qualque contenuto reale. Se tale realtà esiste, bisognerà adoperarsi constantemente per conoscerla e interpretare le esigenze", so Andres Ollero Tassara, Giudicare ο decidere: il senso della funzione giudiziaria, in: Rivista Internazionale di Filosofia del Diritto 71 (1994), S. 679-703, 7C2. Siehe Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 1), S. 841: „Und selbstverständlich werden die Organisationen des Rechtssystems, vor allem die Gerichte, nur dann in Anspruch genommen, wenn außerhalb der Organisation stattfindende Kommunikation über Recht und Unrecht dies ratsam erscheinen läßt." Dabei treiben manche Autoren wie Rudolf Wassermann, Recht und Verständigung als Element der politischen Kultur, in: ders./Jürgen Petersen (Hrsg.), Recht und Sprache. Beiträge zu einer bürgerfreundlichen Justiz, Heidelberg 1983, S. 40-63, 55, die Kritik der dogmatischen Sprache so weit, daß sie als Anlaß zu pädagogischen Vereinfachungen benutzt wird, um nicht zu sagen: als eine juristische „Therapie".

3. Demokratisches Credo, Verfassungsstaat und Rechtssouveränität

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Bedingungen der gesellschaftlichen Differenzierung zu reflektieren, bringt neue Risiken mit sich: die Gefahren eines wechselseitigen Blockierens, das Abreißen von Entscheidungsketten etc. 50 Es hilft deshalb nicht, wenn man trotz Unstabilität der Grundsätze,51 die das System strukturieren sollten, an ihnen festhält, denn bei mangelhaft integrierten Gesellschaften liegt das Problem nicht in der Normierung als solcher, sondern in der mangelnden operativen Geschlossenheit. Man kann also behaupten, daß zwischen Zentrum und Peripherie die Justiz bzw. die Jurisprudenz - j e nach ihrem eigenen Bedürfnis nach Konsistenz und nach dem Maß des Widerstands, der von anderen rechtlichen Teilsystemen geleistet wird - auftaucht. Im nächsten Abschnitt wird darauf einzugehen sein, wie dies in den Prozessen der Normbildung und der Verwaltung der Entscheidungskontingenz bewerkstelligt werden kann.

50 Luhmann, Rechtssoziologie (FN 20), S. 187. Ders., Politische Verfassungen im Kontext des Gesellschaftssystems (FN 20), S. 11. 51 Ernesto Garzón Valdés, Die Stabilität politischer Systeme. Analyse des Begriffs mit Fallbeispielen aus Lateinamerika, München 1988, S. 35, der Stabilität als „Beibehaltung der Anerkennungsregel" deutet.

Dritter Abschnitt

Kontingenz, normative Strukturen und Autonomie der Rechtsprechung im staatlich organisierten Rechtssystem § 7 Normativität und Eigenständigkeit der rechtsprechenden Funktion 1. Setzung normativer Maßstäbe durch die Rechtsprechung Recht reguliert, dynamisch-funktional betrachtet, bestehende Konflikte durch Ausbildung von normativen Erwartungen. Es trägt damit zu einer fallweisen Entscheidung, wenn auch vielleicht nicht zu ihrer endgültigen Lösung bei. Das geschieht hauptsächlich in normativ orientierten Prozessen, die ihrerseits schon mit Mitteln des geltenden Rechts - gewöhnlich lange vor Eintreten eines konkreten Rechtsstreits - in typisierender vorwegnehmender Weise geregelt wurden. Hierzu steht nicht in Widerspruch, daß die Entstehung solcher Strukturen eng mit „anomischen" Entwicklungen verbunden sein kann. Daß eine konfliktträchtige Situation absolut frei von jeglichen, wenn auch miteinander konkurrierenden Normansprüchen welcher Art auch immer sein sollte oder gar könnte, wäre jedoch eine gänzlich lebensfremde Annahme. Denn ohne Übertretung von Normen, die für ein soziales „Intégrât" - hier verstanden im weitesten Sinne als Institution oder soziales System - einschlägig und wichtig sind, gäbe es weder die Möglichkeit, die Achtung von bestimmten Wertvorstellungen, die auf das „Normsubstrat" übertragen werden, noch die Macht und Autorität sozialer Einrichtungen, die für ihre Sanktionierung zuständig sind, festzustellen. Soziale Konflikte sind in diesem Sinne der Diener des Rechts. Soweit eine Symbiose zwischen Konflikt und Recht besteht, kommt es dank der normativen Struktur des Rechts, die Maßstäbe zur Beurteilung des einschlägigen Erlebens und Handelns bietet, zugleich zur Ausbildung von Schranken und Grenzen, die eine unkontrollierte Ausübung der Gewalt verhindern. Die uneingeschränkte Entfaltung von Macht und die Zuspitzung von Konflikten bis hin zur Ausübung physischer Gewalt würden im sozialen Miteinander zu Willkür und Unsicherheit führen. Aus diesem Szenario könnte sich allenfalls das ohnmächtige Erdulden und das Schweigen der Individuen, aber keine effektive, auf Dauer angelegte soziale Kooperation entwickeln, deren emotionale Konsequenzen für die Institutionalisierung von normativen Mustern kaum überschätzt werden können. Der

1. Setzung normativer Maßstäbe durch die Rechtsprechung

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Umgang mit der Gewalt wird deshalb auf bestimmte staatliche Organe übertragen und unter die Kontrolle des Rechts gebracht.1 Der offene Umgang mit ihr fungiert meistens als indirekter, abschreckender Hinweis. Er bewegt sich ständig an der Grenze dessen, was im sozialen Miteinander einer politisch-rechtlichen Legitimation bedarf und fähig ist. Gewöhnlich werden Konflikte bereinigt, bevor es überhaupt zu einer staatlichen Inanspruchnahme kommt und die Gerichtsapparaturen betätigt werden.2 Auch wenn im Prinzip eine „Deviation" als sicher erscheint, erfüllt schon allein die Möglichkeit des „Rechtsprechens" eine wichtige Funktion bei der Strukturierung normativer Erwartungen. Die Rechtsprechung schafft und bestätigt damit eine Verbindung zwischen Politik und staatlicher Gewalt,3 indem sie die rechtliche Sanktion vermittelt. Der Richter selbst aber disponiert nicht über die Gewalt - er autorisiert sie nur. Alles muß auf das Muster von Konditionierungen gebracht werden, nämlich auf das Schema „Falls jc, dann y". Diese Korrelation stellt zugleich eine normative Qualifikation her („Wenn JC, soll y sein"), die auch die Grundlage für normative Bewertungen schafft. 4 Die Ausübung staatlicher Gewalt stellt sich als Kette von Aktivitäten und Operationen dar, die in sprachlich-logischer Form, wie Vasconcelos 5 zeigt, den Ausdruck einer Norm erlangen: / p N-F=D\ NP-S-C 1

Für eine systemtheoretische Untersuchung des Gewaltproblems siehe Dirk Baecker, Gewalt im System, in: Soziale Welt 47 (1996), S. 92-109. 2 Gegenwärtig besteht eine Tendenz zum verstärkten Zugriff auf rechtsprechungsähnliche, private Formen der Lösung von Konflikten, vor allem durch Schiedsrichter. Siehe dazu Thomas Feltes, Die außergerichtliche Erledigung von Konflikten. Historische Aspekte und aktuelle Bezüge, in: Heinz Mohnhaupt/Dieter Simon (Hrsg.), Vorträge zur Justizforschung. Geschichte und Theorie, Bd. 2, Frankfurt am Main 1993, S. 581 -597. Parallel dazu entwickeln sich weitere Formen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, die nicht durch interpersonelle Konflikte charakterisiert werden, sondern eher dadurch, daß der einzelne einen Anspruch vom Staat anerkannt wissen möchte. 3 Niklas Luhmann, Funktionen der Rechtsprechung im politischen System, in: ders., Politische Planung. Aufsätze zur Soziologie von Politik und Verantwortung, Opladen 1971, S. 46-52,49, 50. 4 ,Aus diesem Grunde besteht die Struktur des Rechtssystems, soweit sie die Form von Entscheidungsprogrammen annimmt, aus Konditionalprogrammen", so Niklas Luhmann, Die Einheit des Rechtssystems, in: RECHTSTHEORIE 14 (1983), S. 129-154, 144, wobei die Positivität des Rechts gerade darin zu erblicken ist, daß eventuell Veränderungen in die normativen Programmen eingeführt werden können. 5

Arnaldo Vasconcelos, Consideraçôes em torno da insuficiência do Direito, in: Revista da Faculdade de Direito 31/2 und 32/1 (1990/1991), S. 85-94, 87. Ohne über die zweifelhafte Trennung von Normen und Fakten zu sprechen, ergibt sich aus diesem Schema, wie der Autor selbst feststellt, daß es keinen Platz gibt für die sogen, „prämiale Sanktion", d. h. für die nicht nur reaktive, sondern positiv fördernde Maßnahme.

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§

7 Normativität und Eigenständigkeit der rechtsprechenden Funktion

Hier steht Ν für Norma (Norm), F für Fato (Fakt), D für Direito (Anspruch), Ρ für Prestaçào (Erfüllung des Norminhalts) und NP für Näo-Prestagäo (Nichterfüllung des Norminhalts), S für Sançâo (Sanktion) und C für Coaçâo (Zwang). Das Schema deutet darauf hin, daß Ansprüche nur erhoben werden dürfen in dem Maße, in dem die Norm ein Fakt qualifiziert. Diesem folgen Erfüllung (P) oder Nichterfüllung des Norminhalts. Der Nichterfüllung entspricht ihrerseits die Möglichkeit der Sanktionierung und anschließend die Ausübung von Zwang. Es muß bemerkt werden, daß weder die Sanktion noch der Zwang unbedingt, d. h. gleichsam automatisch eintreten. Dazu bedarf es weiterer Aktivitäten (Zwangsvollstreckung, Strafvollzug). Hier zeigt sich der Unterschied zu den „opportunistischen" Kriterien der Politik, in denen die Normbefolgung gewöhnlich nicht individuell konzipiert wird, sondern hauptsächlich auf generelle Umsetzbarkeit angelegt ist. Wie Krawietz bemerkt, gibt es in der Tat eine Art,»Paradoxie der Rechtsbefolgung", die darin besteht, daß individuelle Normen zuerst gedeutet werden müssen, damit sie Geltung erlangen und befolgt werden können.6 Die Kehrseite davon tritt in den methodologisch erforderlichen Schritten ans Licht. Wie stellt sich für den Richter die Möglichkeit dar, normative Muster aufzustellen? Und wie wird diese Macht begrenzt gegenüber anderen „Quellen" der rechtlichen Deutung und ihren Legitimierungsprozessen? Die Suche nach einer methodisch kontrollierten Antwort auf dieses Problem hat die rechtspositivistischen Ansätze zu einer gewissen Polarisierung zwischen „Erkennen" und „Entscheiden" geführt, die sie - trotz der Zentralisierung auf die Figur des Richters als „Subsumtionshelden" - vergeblich zu lösen versuchten, weil die Voraussetzungen für ein bloß logisch subsumierendes Erkennen in Wirklichkeit so nicht »gegeben4 sind.7 Wenn man mit Luhmann8 davon ausgeht, daß im Recht normative Erwartungen wegen der jederzeit bestehenden Möglichkeit, daß das tatsächliche Verhalten der Normadressaten faktisch gegenläufig sein kann - als solche auch ,kontrafaktisch 4 gelten, ist es nur folgerichtig, daß die Rechtsprechung im Hinblick auf die nichterfüllten normativen Erwartungen eine äquivalente Funktion ausübt. Rechtstheoretisch gesehen, werden Konflikte entweder auf die Ebenerichterlicher Entscheidung durch Verfahren gebracht oder aber, falls sie als nicht rechtlich relevant angesehen werden müssen, einfach ignoriert, solange dieser Widerspruch das Rechtssystem in seiner allgemeinen Dynamik nicht stört.9 Zwischen diesen beiden Möglichkeiten 6 Werner Krawietz, Recht als normatives Kommunikat in normen- und handlungstheoretischer Perspektive, in: Ernesto Garzón Valdés/Werner Krawietz/Georg Henrik von Wright/ Ruth Zimmerling (Hrsg.), Normative Systems in Legal and Moral Theory. Festschrift for Carlos E. Alchourron and Eugenio Bulygin, Berlin 1997, S. 369-390, 387. 7 So Andres Ollero Tassara, Giudicare ο decidere: il senso della funzione giudiziaria, in: Rivista Internazionale di Filosofia del Diritto 71 (1994), S. 679-703, 685 ff. s Niklas Luhmann, Rechtssoziologie, 3. Aufl., Opladen 1987, S. 42 ff. Da für Luhmann die relative Autonomie der Rechtsprechung nicht auf der Person des Richters basiert (siehe: Die operative Geschlossenheit des Rechtssystems, in: ders., Das 9

1. Setzung normativer Maßstäbe durch die Rechtsprechung

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gibt es in der Praxis der Rechtsentscheidung eine Vielfalt von Übergängen, die auch in den methodologischen Diskussionen vorkommen und durch eine gewisse „Verwissenschaftlichung" der Rechtsprechung10 gekennzeichnet sind. In diesem Sinne gehören methodologische Dualismen und Unterschiede, wie die zwischen Normen und Fakten, „formell" und „materiell", zu den Klassifikationen und Operationen, die im Rahmen der juristischen Entscheidung eine ,Filtrierung' möglich machen und weiteren Raum für die rechtsprechende Tätigkeit schaffen, 11 insbesondere, was den Wirkungsraum der individuellen Rechte angeht. In dem Maße, in dem die richterlichen Aktivitäten diese Verbindungsformeln benutzen, kann man sagen, daß die Normstruktur selbst durch denrichterlichen Auslegungs- und Entscheidungszusammenhang beeinflußt wird. Die Autonomie derrichterlichen Entscheidung darf aber nicht als gänzlich unabhängige Entfaltung - sprich Autarkie - verstanden werden. Es ist wichtig für die Einheit der Rechtsordnung und die Identität des Rechtssystems selbst, daß arbeitsteilige Begrenzungen eingehalten werden, indem man innerhalb des Rechtssystems auf neues Recht, beispielsweise auf die Schaffung von Richterrecht, zugunsten der Rechtsproduktion in anderen Systembereichen (Gesetzgebung o. a.) verzichtet.12 Hier kann man das Luhmannsche Bild der Siedlungen aufgreifen, um zu illustrieren, daß die Änderung eines Teilsystems „zugleich die Änderung der Umwelt anderer Teilsysteme" darstellt.13 Das Phänomen der Rechtsbildung durch Rechtsprechung gewinnt damit die Konturen von Leistungen des „sekundären Systems", die an die bereits etablierten rechtlichen Erwartungen anknüpfen. 14 Recht der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1993, S. 38-123, 63 ff.), gibt es für ihn kein primäres Interesse am „Richterrecht" (ders., Die Stellung der Gerichte im Rechtssystem, in: ebd., S. 297-337, 298). Er sieht letzteres als ausschließlich von den Selektionsbedingungen des Rechtssystems abhängig an. Infolgedessen entsteht der Eindruck, wie Petra Werner, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus, Berlin 1995, S. 113, zutreffend bemerkt, daß Luhmann die Norm statisch konzipiert, nämlich als ein gleichsam fixes Ergebnis von kondensierten Erwartungen. Dabei wird nicht nur die „rechtsschöpferische Tätigkeit der Gerichte, sondern auch die fortlaufende Beeinflussung und Veränderung des Normgehalts durch die sonstigen normorientierten sozialen Aktivitäten" mißachtet. 10 Michael Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion. Grundlegung einer verfassungsrechtlichen Theorie der rechtsgestaltenden Rechtsprechung, Tübingen 1997, S. 452, spricht von der ,»Pflicht zur Dogmatik" seitens der Rechtsprechung. 11 Solche Unterscheidungen gehören auch zu den logischen Tätigkeiten der Feststellung des Normbestehens oder, in der Terminologie von Georg Henrik von Wright, zu den „Normpropositionen": Sein und Sollen, in: ders., Normen, Werte, Handlungen, Frankfurt am Main 1996, S. 19-43, 30. Im obigen Text geht es in erster Linie um die Problematik einer neuen Normenontologie. 12 Luhmann, Die Einheit des Rechtssystems (FN 4), S. 152. 13 Ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1997, S. 599. 14 Werner Krawietz, Recht als Information und Kommunikation in der modernen Informationsgesellschaft - Normen- und Handlungstheorien im Übergang, in: Jürgen Brand/Dieter Strempel (Hrsg.), Soziologie des Rechts. Festschrift für Erhard Blankenburg zum 60. Geburtstag, Baden-Baden 1998, S. 175 - 206, 191.

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7 Normativität und Eigenständigkeit der rechtsprechenden Funktion

Die normativen Grenzen lassen sich deshalb bei den Fragen, die die Richter beantworten müssen, in zwei Typen aufteilen, nämlich als Klassifizierungs- oder als Normativfrage. 15 Es besteht somit ein Unterschied je nachdem, ob es darum geht, Tatbestände anzuerkennen und eine Situation zu klären oder die Voraussetzungen des Bestehens einer Norm zu ermitteln. Dabei lassen die rechtlichen Programme genügend Spielraum für eine eventuell notwendige Umdeutung der Norm. So erkennt Grimm an, daß das Recht auch Programme für den Gesetzgeber selbst festlegt, so daß dementsprechend - umgekehrt - auch der Rechtsprechung programmierende Räume zufallen. 16 Der strukturelle Kern des Rationalisierungsprozesses der Rechtsprechung ist in modernen Gesellschaften das Verfahren, das an den sogenannten „due process of law" anschließt und dafür bestimmte Konsequenzen mit sich bringt: (1) die Wahrheit genügt nicht als Kriterium derrichterlichen Entscheidung, sondern sie muß im Rahmen des Verfahrens durch technische, genuin normative Prozeduren ersetzt werden;17 (2) die Anerkennung der Betroffenen ist entweder überhaupt nicht oder wenn, dann nur von sekundärer Bedeutung für die Ordnung des Rechts; (3) die Unterscheidung zwischen Form/Inhalt stellt sich im juristischen Diskurs um auf ein weit komplexeres Niveau - die Systemrationalität, die alle juristischen Entscheidungstätigkeiten auszeichnet. Der erste Aspekt erscheint schon in der Codierung und der spezifischen Anwendung des Rechtscodes, mit dessen Hilfe die juristische Argumentation die soziale Wirklichkeit entziffert und sich letztere im Verfahren als institutioneller Form der Konfliktlösung einverleibt. Beide basieren auf der Unterscheidung zwischen Fakten und Normen, die in der rechtsprechenden Praxis ein großes Gewicht besitzt. Was dierichterliche Aktivität im Rahmen des Verfahrens interessiert, ist nicht das, 15 Carlos E. Alchourrón/Eugenio Bulygin, Normative Systeme, Freiburg/München 1994, S. 243 f. Von Wright, Sein und Sollen (FN 11), S. 27. Entgegen dem traditionellen Kelsen'schen Konzept gibt es für Eugenio Bulygin - logisch gesehen - keine „individuelle Norm", denn er sagt: „In questo senso si può affermare che la norma individuai (parte dispositiva della sentenza) non è creata dal giudice, bens^ dedotta dalla norma generale fondante, dalle definizione in gioco e dai fatti del caso". Vgl. ders., Sentenza giudiziaria e creazione di diritto, in: Rivista Internazionale di Filosofia del Diritto 44 (1967), S. 164-180,170. 16

Dieter Grimm, Verfassungsgerichtsbarkeit im demokratischen System, in: Juristen-Zeitung 2 (1976), S. 697-703,699. Bulygin und Alchourrón sind der Meinung, daß diese Macht der Richter nur dann zu ihrer Befähigung, Rechtsnormen zu schaffen, führt, wenn man zu normativen und axiologischen Lücken kommt: dies., Normative Systeme (FN 15), S. 254, Fn. 9. Dies ist wohl eher ein idealer Zustand, denn die Autoren räumen selbst die Existenz von „Diskrepanzen" und „Inkongruenzen" innerhalb des Rechtssystems ein (S. 255). Auch wird hier ignoriert, daß sich die Kompetenz des Richters zur Rechtsgewinnung im Einzelfalle nicht in der Lückenfüllung erschöpft. „Ein System, das die Entscheidbarkeit aller aufgeworfenen Probleme garantieren muß, kann nicht zugleich die Richtigkeit der Entscheidung garantieren" - so Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 3. Aufl., Frankfurt am Main 1993, S. 21.

2. Anschlußfähigkeit von Normen und Entscheidungen

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was wirklich geschah, sondern dessen institutionelle, in die Fachsprache des Rechts übersetzte Umformung. Die „Fakten" werden den Normen angepaßt und in Beziehung gesetzt zu den sonstigen Direktiven, Normen und Werten des Rechtssystems, so daß für die spezifisch juristische Entscheidung eine Art Modell entsteht. Auch bei der Systematisierung dieser Elemente kommt die Unterstützung der Rechtstheorie zum Tragen in dem Sinne, daß für die rechtliche Praxis Methoden und Theorien benötigt werden, um Normen und Fakten zu unterscheiden, aber auch miteinander zu korrelieren. 18

2. Anschlußfähigkeit von Normen und Entscheidungen und rechtliche Begründungspflicht Die Geltung, Verbindlichkeit und Wirksamkeit derrichterlichen Entscheidung besteht unabhängig von einer aktiven Teilnahme der Betroffenen. Das schließt aber nicht aus, daß ein gewisser Grad von Akzeptanz (im Sinne einer Zustimmung zur Geltung der richterlichen Konfliktlösung) von Seiten der Beteiligten gefordert wird. Diese Akzeptanz wird erarbeitet und in das Rechtssystem eingebracht durch eine Art »InterpretationsVerhandlung4, die - den Beteiligten oft unbewußt - in der rechtlichen Kommunikation vollzogen wird. Die Begründung der Entscheidungen selbst setzt diesen Prozeß voraus. Von den realistischen Kritikern der Kodifikationszeit ist die Feststellung gültig geblieben, daß dem Richter ein Ermessen und eine bestimmende Rolle bei der rechtlichen Auslegung zukommt. Es ist klar, daß die Normen als sprachliche Formen (Normsätze) bearbeitet, in bezug zu anderen Direktiven und Normen des sekundären Rechtssystems gebracht und umgeformt werden müssen. Wie die Bearbeitung tatsächlich geschieht und abläuft, hängt von den sozialen Bedingungen ab. Sie sind insoweit relevant, als sie auch den Grad der weiteren sozialen Ausdifferenzierung mitbestimmen. Ausschlaggebend ist ferner die Fähigkeit, unparteiische, auf Dauer gestellte Prozesse zu führen - trotz des ständigen Schaffens neuer Kommunikationsmittel und sprachlicher Variationen, d. h. die rechtsbegrifflichen Sprachverwendungen, auf denen die Geltung des Rechts basiert, müssen ohne Ansehen der Person erfolgen. Als institutionelle Einrichtung und Figur muß der Richter (und die zugehörige organisatorische Einheit in der Form des Gerichts) auch die im Recht der Gesellschaft verankerten Werte, um die es bei seiner Entscheidung im Einzelfalle geht, beobachten. Als Techniker muß er sich auch um die Kohärenz des Rechtssystems und Angemessenheit der Entscheidungen bemühen. Daß es zu Widersprüchen zwiKrawietz betont, daß diese Dynamik sich nicht nur auf die Herstellung von Fakten bzw. Normen beschränkt, sondern auch die Einordnung neuer Fakten in frühere (normative) Formen der Rechtskommunikation einschließt. Vgl. ders., Recht als normatives Kommunikat in normen- und handlungstheoretischer Perspektive (FN 6), S. 388. Dafür sind die herkömmlichen methodischen Instrumente, wie zum Beispiel die Analogie, besonders geeignet.

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sehen diesen beiden Erfordernissen kommen kann, erklärt sich aus der Existenz und weiten Verbreitung von unbestimmten Gesetzesbegriffen, die in der rechtlichen Sprache der „Unsicherheitsabsorption"19 dienen, ferner die zahlreichen „allgemeinen Begriffe", die eine rhetorisch höchst aufschlußreiche Funktion besitzen, wie zum Beispiel Gemeinwohl, Zumutbarkeit, öffentliches Interesse, Verhältnismäßigkeit, Gewohnheitsmäßigkeit etc. 20 Die offene Textur („open texture") von rechtlichen Sätzen schließt die Begründungspflicht der juristischen Entscheidungen, die in einer demokratischen Gesellschaft von grundsätzlicher Bedeutung ist, keineswegs aus. Ihre Ausübung wird auch bestimmt und geprägt durch Kompetenznormen, die zu den organisatorischen Voraussetzungen der Rechtsprechung und derrichterlichen Erzeugung von Recht gehören. Sie wird ferner geformt durch informelle Regeln der amtlichen Rechtskultur, durch Gewohnheiten, Gesinnungen, normative Prinzipien und Grundsätze, die eine entscheidende Funktion im Rechtssystem spielen. Ein internes Potential an Widersprüchen kann bestehen und muß in Kauf genommen werden, weil das Rechtssystem insgesamt eine dynamische, gelegentlich durchaus antagonistische, heterarchische Ordnungsstruktur besitzt.21 Die mangelnde Bestimmtheit und „Elastizität" der zu treffenden normativen Entscheidungen, die das Verhältnis von Gesetzgebung und Rechtsprechung kennzeichnen, sind - soziologisch gesehen - durchaus von Vorteil, da es auf diese Weise möglich wird, bei fehlender Transparenz und mangelnder Durchschaubarkeit der sozialen Verhältnisse eine größere Entscheidungsvariabilität sicherzustellen.22 Im Ergebnis ist festzustellen, daß dierichterliche Motivation zum Handeln nicht von ungefähr auch aus Überlegungen methodologischer Art resultiert, aber vor allem durch den institutionellen Zwang zur Entscheidung (Verbot des „non liquet") determiniert wird. Dieser Aspekt gibt der Rechtsprechung ihren einzigartigen Charakter, der sie von der gesetzgebenden Gewalt und Funktion des Staates und der vollziehenden Gewalt der Exekutive grundsätzlich unterscheidet. Dieser Zwang zur juristischen Entscheidung wird gestützt, begründet und legitimiert durch die Funktion, die der Rechtsprechung im Rechtssystem zukommt. Wenn der Richter entscheiden muß und soll, auch wenn ihm rein kognitive Inferenzen und Begründungen nicht zur Verfügung stehen und die normativen Texte zu Verwicklungen und Widersprüchen führen, dann bei Pflicht zur Begründung seiner Urteile nahezu zwangsläufig der Rekurs auf sozial etablierte Rechtsmeinungen und ,Rechtswahr19 Niklas Luhmann, Die Paradoxie des Entscheidens, in: Verwaltungs-Archiv 84 (1983), S. 287-310, 299. 20 Siehe Werner Krawietz, Unbestimmter Rechtsbegriff, öffentliches Interesse und gesetzliche Gemeinwohlklauseln als juristisches Entscheidungsproblem, in: Der Staat 11 (1972), S. 349-366. 21 Ders., Der soziologische Begriff des Rechts, in: Rechtshistorisches Journal 7 (1985), S. 157-177, 163. 22 Luhmann, Rechtssoziologie (FN 8), S. 51.

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heiten' (topoi, loci communes) offen, die für die praktische juristische Argumentation gewisse Ansatzstellen und Ausgangspunkte zur Verfügung stellen. Was manchmal als die Judikatur („ständige Rechtsprechung") bezeichnet wird, darf und sollte nicht (oder jedenfalls nicht nur) als bloße Uniformität von Gerichtsentscheidungen angesehen werden, sondern eher als die Art und Weise des Umgangs mit institutionellen Handlungsweisen, Entscheidungsapparaturen und einer dementsprechenden Technik des juristischen Entscheidens, d. h. einer lebenspraktischen und professionellen Kenntnis der Anwendung juristischer Begriffe und Theorien, die in komplexen Gesellschaften zur Lösung sozialer Konflikte zur Verfügung steht. Sie formen ein „Reservoir" von Entscheidungen, das mit Hilfe neuer Daten und ihrer Verknüpfung mit den zugrundeliegenden Normen ständig reinterpretiert werden kann. Sie bestätigen damit eine jedem Juristen geläufige, aber eher apokryphe und intime Beziehung von Politik und Recht, von der in den Normsätzen der Rechtstexte gewöhnlich nicht die Rede ist. 23 Wenn allerdings der politische Prozeß die Judikative zu einer gesteigerten Teilnahme an Diskussionen veranlaßt, die die normative „Architektur" ihrer systemisch geordneten Rationalitätskriterien überschreiten, wird ihre Selbstdarstellung in Frage gestellt und daher überprüfungsbedürftig. Die heutige Praxis des politischen Lebens beschäftigt sich nicht eben selten mit Fragen, die den oberen Gerichten zur Entscheidung zugeschoben werden, obwohl sie für deren Beantwortung gar nicht zuständig sind. Dieser Druck wird noch verstärkt durch die Überlastung der Judikative, die aus der Vielzahl immer neuer Gesetze entsteht. Um ein gewisses Gleichgewicht zwischen diesen unterschiedlichen Anforderungen zu erreichen, braucht man neue dogmatische Kontrollmechanismen,24 die ihrerseits eine neue rechtstheoretische Unterstützung voraussetzen. Die Stabilisierung der Gesellschaft durch die Effektivität von Normen, die von der Rechtsprechung produziert und reproduziert werden, bedeutet aber zugleich, daß eine Theorie und Soziologie des Rechts, die ihrem Gegenstand, dem Recht 23 Nach Bulygin besteht die Rechtsprechung nicht aus Wiederholungen von Entscheidungen, sondern sie wird charakterisiert durch die Tätigkeit der Begrenzung juristischer Konzepte. Vgl. ders., Sentenza giudiziaria e creazione di diritto (FN 15), S. 178. Dies stimmt mit der Diagnose von Reinhardt, Konsistente Jurisdiktion (FN 10), S. 466, überein, der meint, daß „nicht automatisch jede auch nur peripher rechtsschöpferisch anmutende Artikulation richterlicher Spruchtätigkeit zum unumstößlichen Maß späterer Judikatur" wird. Die Suche nach Konsistenz, nach Ausgewogenheit zwischen richterlich gebildetem Recht, der Anerkennung des informellen Rechts und der Beibehaltung verfassungsrechtlicher Grenzen sucht er in einem Prozeß der „institutionell-approximativen Präjudizienbindung", der zur Entwicklung einer neuen, auf der materiellen Begründung basierenden Methodologie führen soll (ebd., S. 442 f., 472). Vom Standpunkt der Systemtheorie ist es genau umgekehrt: Zuerst werden die Bedingungen für die Autonomie geschaffen und dann sekundär die Reflexionstheorien zu deren Verteidigung, so Niklas Luhmann, Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? 3. Aufl., Opladen 1990, S. 86. 24 Siehe Rolf Wank, Die verfassungsgerichtliche Kontrolle der Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung durch die Fachgerichte, in: Juristische Schulung 8 (1980), S. 545-553, 547 (Inhaltskontrolle, verfassungskonforme Auslegung i. e. S. etc.).

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und seiner laufenden Anwendung, gerecht zu werden sucht, den Primat der Rechtspraxis - und damit die zugehörige praktische (dogmatische) Rechtswissenschaft und deren genuin juristische Methodik - nicht außer acht lassen darf. Die Problematik der rechtsprechenden Rationalität bezieht sich notwendigerweise auf die Suche nach einer möglichen Ausgewogenheit zwischen den Interessen (und Werten) der Teilnehmer, die durch das Verfahren betroffen sind und in die technische Sprache des Rechts übersetzt werden müssen. In diesem Sinne erscheint der Richter zugleich als eine Art Pädagoge, der die Teilnehmer am Verfahren (und die interessierte Öffentlichkeit) auf den Weg des normativen Verständnisses bringen soll (und selbst dabei lernt). Dieser Lernprozeß gelangt zum Ausdruck in der Entstehung von neuen normativen Erwartungen, die seitens der Teilnehmer gehegt werden, aber auch andere in Zukunft betreffen können. Sie setzen ein „Sinnverdeutlichen"25 und Sinnverstehen der Normen voraus, das in schwierigen Fällen („hard cases") nur mit Hilfe der Rechtsprechung geleistet werden kann. Die (potentielle) Ausübung der staatlichen Autorität (bis hin zur Anwendung von rechtlichem Zwang und physischer Gewalt) bleibt somit offen, ist aber nicht von zentraler Bedeutung. Die Orientierung an der „ständigen Rechtsprechung" ist also nicht absolut an das Gesetz gebunden, sondern sie erfolgt unter der Voraussetzung, daß ihre Adressaten sie als verbindlich anzunehmen haben. In der Tat wird die häufig geübte Kritik an der vermeintlichen Usurpation legislativer Funktionen durch den Richter oft von einem gesetzespositivistischen Standpunkt aus geführt. Dessen Einseitigkeit besteht, um mit Freund zu sprechen, darin, daß er „kein anderes als das positive Recht anerkennt".26 Die Benutzung des Terminus „Richterrecht"27 trägt insofern ein gesetzes- und rechtspositivistisches Erbe mit sich, wenn es die Suche nach einem eindeutigen Sinn des Rechts (hier verstanden als rechtliche Regelordnung) betreibt. 28 In dieser Richtung läuft es hinaus auf eine Leugnung der Möglichkeit von Lücken im Recht, die selbst mit Hilfe der rhetorischen, omnipräsenten Figur des Gesetzgebers oder ersatzweise der fiktiven Figur desrichterlichen „Subsumtions25 Norbert Achterberg, Rechtsprechung als Staatsfunktion, Rechtsprechungslehre als Wissenschaftsdisziplin, in: ders. (Hrsg.), Rechtsprechungslehre, Köln 1986, S. 3-23,9. 26

Julien Freund, Richter oder Rächer? In: Gerd-Klaus Kaltenbrunner (Hrsg.), Auf dem Weg zum Richterstaat. Die Folgen politischer Impotenz, München 1979, S. 44-61, 59; hier ist das staatliche Recht gemeint. Siehe auch Arthur Meier-Hayoz, Der Richter als Gesetzgeber, zit. bei René Marcie, Vom Rechtsstaat zum Richterstaat, Wien 1957, S. 247: " . . . eine Lücke gibt es nur dort, wo von dem Gedanken ausgegangen wird, daß es die Tendenz und Absicht des Gesetzes ist, alle Fälle zu regeln". 27 Schon Oskar Biilow hatte 1885 dieses Phänomen erkannt (Gesetz und Richteramt, in: Werner Krawietz (Hrsg.), Theorie und Technik der Begriffsjurisprudenz, Darmstadt 1976, S. 107-135). Auf der Ebene der Rechtserkenntnis hat dies viele Autoren dazu geführt, von der Bildung einer modellhaften Rechtswissenschaft zu sprechen. Sie hat es zu tun mit richterlichen Entscheidungsmustern, die im Sinne einer normalen, typisierenden Wissenschaft verstanden werden (s. Vittorio Villa, La science du droit, Brüssel 1990, S. 197). 28 Friedrich S. 16 ff.

Müller,

Richterrecht. Elemente einer Verfassungstheorie IV, Berlin 1986,

2. Anschlußfähigkeit von Normen und Entscheidungen

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helden" nicht vermieden werden können. Man könnte insoweit auch, wie dies bisweilen geschieht, von einem Richterrechtspositivismus sprechen. Die Schwäche des Positivismus liegt aber nicht so sehr in seinem Subsumtionskonzept, sondern eher in der zugehörigen Normkonzeption29 und konsequenterweise in den Verknüpfungen, die zwischen der allgemeinen, abstrakten Norm, der konkreten juristischen Entscheidung und dem hier vorausgesetzten Begriff des Rechts bestehen. Anstatt von der inhaltlichen Offenheit des Interpretationsprozesses auszugehen, konzentrieren die positivistischen Rechtsauffassungen ihre normativen Erwartungen auf ein reduktionistisches Verständnis derrichterlichen Entscheidungsfindung, indem sie letztere als einen rein kognitiven (Subsumtions-) Vorgang deuten. Deshalb polemisieren sie auch gegen die »faktische Existenz* des Richterrechts. In diesem Zusammenhang wird selbst der schon klassische Begriff der »Entscheidungsnorm1 zu wörtlich genommen in dem Sinne, daß den prozessualen Normen - im Vergleich mit den »materialen* Normen des Rechts - ganz andere Eigenschaften verliehen werden. Der Versuch, mit Hilfe sprachanalytischer Theorien zugleich eine Logikforschung zu betreiben, sowie die Suche nach einer praktisch gar nicht möglichen »Reinheit4 des Rechts blenden die Möglichkeit aus, nach anderen »Quellen4 zu fragen sowie die sozialen Voraussetzungen und Implikationen des Rechts zu erforschen. Rechtsrealistisch (also aus der Perspektive des in der Gesellschaft effektiv praktizierten Rechts) betrachtet, wird in der juristischen Entscheidung deutlich, daß die Norm selbst eine - vielleicht notwendige - Illusion ist, die mit größter Skepsis zu behandeln ist. Zu dieser Feststellung hat das rechtsrealistische Denken mit seiner Unterscheidung zwischen Normtext, Normstruktur und Normsatz beigetragen. Was in beobachtbarer Weise geschieht, ist in der Tat dasrichterliche Ermessen der Bedeutung des Normtextes im gegebenen Rahmen eines normativen Programms (Verhaltensprogramm, Entscheidungsprogramm, Jurisdiktionsprogramm), das die sprachliche Tragweite der Normauslegung von Fall zu Fall neu bestimmt. Diese effektive Auslegungspraxis der Norm - unter Einschluß des Normbereichs - nennt Müller Normaktivität. Letztere ist somit der „tatsächlich strukturierte und wissenschaftlich entsprechend strukturierbare Vorgang".30 Ohne die sozialen und wissenschaftlichen Ebenen miteinander zu verquicken oder sie gar zu verwechseln, bestimmt Krawietz die Rechtsregel als die „Norm in ihrer befolgten Form . . . , d. h. (die) in ständiger Orientierung an den normkonformen, mit der Befolgung der Norm einhergehenden Verhaltensweisen der Normadressaten, in denen die ihnen zugrundeliegende Normstruktur fortlaufend reproduziert, aber auch variiert wird .. .". 31 Die Freiheit zu entscheiden, entfaltet sich somit gleichsam „dialektisch" inmitten 29 Ebd., S. 39-40. 30 Ebd., S. 46,49. 31 Werner Krawietz, Staatliches oder gesellschaftliches Recht? Systemabhängigkeiten normativer Strukturbildung im Funktionssystem Recht, in: ders. / Michael Welker (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt am Main 1992, S. 247-301, 255.

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einer konkreten Realität von sozialen Erwartungen, die durch die Institutionen und sozialen Systeme auf Dauer gewährleistet werden.32 3. Rechtskonkretisierung oder Richterrecht? Was den normativen Gehalt von sozialen Zwecken und Werten angeht, so läßt dieser sich ex ante nur in einer sehr begrenzten Weise bestimmen, auch wenn man die positivistischen Illusionen beiseite legt. Dies macht alle Rechtsregeln zu einem variablen Faktor, der „stets einen Unsicherheitskoeffizienten in sich trägt". 33 Die methodologische Orientierung ist deshalb ein Versuch, diesen Bereich rechtlicher Willkür unter Kontrolle zu bringen. Bei einer rechtsrealistischen Betrachtung findet die „syllogistische Frage" eine andere Auslegung, da ein Anspruch auf perfekte Begründung einer ebenso perfekten Rechtsordnung illusorisch ist. Sie wird von manchen nachpositivistischen Rechtslehren als ein Problem der Konkretisierung der Entscheidung34 angesehen. Der Vorzug eines privaten Modells zur Lösung von Konflikten (klassisches bürgerliches Modell) wird durch ein soziales Maß des Rechts ersetzt, das auch teleologische Gesichtspunkte ins Spiel bringt und „Loyalitätsprinzipien" erfordert. Wer einen rechtsdiskursiven Stil bevorzugt, wird vermutlich sagen, daß all dies einen Prozeß der „Konventionsbildung"35 in Gang setzt. Diese Wendung des Problems wird auch in der Rechtsprechung selbst reflektiert. Die Gerichte haben im Laufe der Zeit sich auch der Pflicht angenommen, eine explizite Beziehung zum Phänomen „Richterrecht" herzustellen. Ein Beispiel aus dem deutschen Verfassungsrecht ist der sogenannte „Soraya-Beschluß" des Bundesverfassungsgerichts von 1973, in dem es heißt, daß dierichterliche Entscheidung bestimmte Wertvorstellungen, die „in den Texten der geschriebenen Gesetze nicht oder nur unvollkommen zum Ausdruck gelangt sind", gleichfalls zu „realisieren" habe.36 Neu ist die Tatsache derrichterlichen Fortbildung des Rechts eben nicht. Wie Müller 37 zeigt, wären viele juristische Entwicklungen in jüngster Zeit ohne die ak32 Werner, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus (FN 9), S. 121 f. 33 Werner Krawietz, Zur Korrelation von Rechtsfrage und Tatfrage in der Jurisprudenz, in: Norbert Achterberg (Hrsg.), Rechtsprechungslehre, Köln 1986, S. 517-553, 530. 34 Müller, Richterrecht (FN 28), S. 12. 35 Karl-Heinz Ladeur, Gesetzesinterpretation, „Richterrecht" und Konventionsbildung in kognitivistischer Perspektive: Handeln unter Ungewißheitsbedingungen und richterliches Entscheiden, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 77 (1991), S. 176-194, 181 ff., 191, Fn. 55. 36 BVerfGE 34, 286. 37 Müller, Richterrecht (FN 28), S. 75, 98. Über die historische rechtsphilosophische Entwicklung dieser Tendenz s. Martin Kriele, Offene und verdeckte Urteilsgründe, in: ErnstWolfgang Böckenförde (Hrsg.), Collegium Philosophicum. Studien, Joachim Ritter zum 60. Geburtstag, Basel / Stuttgart 1965, S. 99-117. Beispiele im Rahmen der zivilrechtlichen

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tive Teilnahme der Gerichte unmöglich gewesen, sei es im Fall des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, im Arbeitsrecht oder auch bei mancher contra legem Entscheidung, wie der Herrenreiter-Fall, der § 253 BGB zuwiderläuft. Wie Eckhoff erwähnt, kam es selbst in Großbritannien, wo es schon seit Jahrhunderten dem House of Lords - als höchster Instanz der Gerichtsorganisation - (bis 1966) verboten war, von seinen eigenen Präjudizien abzuweichen, bei einigen Entscheidungen entweder zu expliziten oder stillschweigenden Veränderungen. Noch wichtiger sind die allmählichen und graduellen Veränderungen, die formell auf der gleichen Rechtsauffassung basierten, aber bei „hinreichender zeitlicher Distanz" die Urteilspraxis „vom ursprünglichen Ausgangspunkt erheblich entfernt haben".38 Die Aufforderung, zu dieser Tatsache Stellung zu nehmen, führt zu der Einsicht, daß die bisherigen Deutungen und Erklärungen des Prozesses derrichterlichen Rechtsfortbildung insgesamt mit Mängeln belastet sind. Müller erklärt dierichterliche Rechtsfortbildung unter Rekurs auf eine „quasinormative" Grundlage des gerichtlichen Entscheidungshandelns, die einen „Pseudo-Normtext" einführe. 39 Dieser habe die Tendenz, im weiteren Verlauf der Rechtsentwicklung wie „ein in Legislativverfahren gesetzter amtlicher Normtext behandelt zu werden". Er komme deshalb, normativ betrachtet, nur dann zum Zuge, wenn die entsprechenden normativen Bedingungen einer mangelnden Normorientierung erfüllt seien.40 Rechtstheoretisch ist es deshalb für den Autor nicht sinnvoll, über Richterrecht zu sprechen, weil - unter diesem Blickwinkel betrachtet - sowohl die contra legem wie auch die praeter legem getroffenen Entscheidungen denselben Status besitzen.41 Er verliert kein Wort darüber, wie sich diese Aussage mit der Kritik an der funktionalen Sicht als rein „strategisch" vereinbaren läßt, wenn man die Position der Interpretationskontrollen in Rechnung stellt, die durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geübt werden. Die deutsche Verfassung enthält zu diesem Thema scheinbar widersprüchliche Vorschriften, nämlich die Bindung der Rechtsprechung „an Gesetz und Recht" (Art. 20 Abs. 3), während die Richter „nur dem Gesetze unterworfen sind" (Art. 97 Abs. 1). Wenn man aber diese Vorschriften im Sinne der juristischen Hermeneutik und Pragmatik des Verfassungsrechts interpretiert, stehen diese beiden Orientierungen nicht unbedingt miteinander in Widerspruch. Im vorstehenden Zusammenhang geht es nicht um ein Nachvollziehen und Verstehen der verfassungsrechtlichen Argumentation, sondern allein darum, den juristisch verstandenen Problemzusam-

Rechtsprechung werden von Dirk Olzen, Die Rechtswirkungen geänderter höchstrichterlicher Rechtsprechung in Zivilsachen, in: Juristen-Zeitung 4 (1985), S. 155-163, analysiert. 38 Torstein Eckhoff, Zur Rechtsschöpfung der Gerichte, in: Jan Harenburg/Adalbert Podlech / Bernhard Schlink (Hrsg.), Rechtlicher Wandel durch richterliche Entscheidung, Darmstadt 1980, S. 383-407, 388. 39 Müller, Richterrecht (FN 28), S. 61, 63. 40 Ebd., S. 80 ff. 41 Ebd., S. 97. 8 Albuquerque

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menhang auf der Ebene der Rechts- und Staatstheorie als ein systemisches Zusammenwirken von Direktiven und Normen zu erklären, das in der gewaltenteilig organisierten Kommunikation das Staatshandeln bestimmt und steuert. Um die Dynamik dieses Prozesses zu verstehen und zu erklären, braucht man auch eine Orientierung an den Direktiven der Rechtspolitik und den in der Verfassung verankerten Prinzipien. Bei der Erörterung dieses Problems stützt sich Luhmann auf die ursprünglich von Herbert A. Simon in einem anderen organisatorischen Kontext benutzte Unterscheidung zwischen „programmierenden" und „programmierten" Entscheidungen.42 Der Judikative geht es demgegenüber vorwiegend um die Prüfung der Voraussetzungen derjenigen Normen, die im konkreten Falle anzuwenden sind. Krawietz legt dar, wie die arbeitsteilige Organisation der Betätigung der Staatsgewalt die konditionale Programmierung des juristischen Entscheidungsprozesses selbst ermöglicht.43 Im Hinblick auf die vorstehende Problematik notiert Schelsky die Mängel an juridischer Rationalität bei der Begründung und Befolgung von Gesetzen und das Ungenügen rein positivistischer „Gesetzgebungs-Verfahren". Die Anwendung der beiden genannten Konzepte (programmierende und programmierte Entscheidungen) sei deshalb nur unter Vorbehalt zu sehen: „So scheint mir auch die Unterscheidung von einem »programmierenden4 und »programmierten Entscheiden4 insofern vordergründig, als sie nur eine Zuordnung unter den juridischen Instanzen von Gesetzgeber und Richter versucht (die ich nicht auf den Begriff der »Entscheidung4 reduzieren würde), aber die ,Programmiertheit4 des Gesetzgebers durch die Verfassung, insbesondere in ihre gesetzgeberisch nicht aufhebbaren Bestimmungen unberücksichtigt läßt."44 Nicht von ungefähr entwickelte sich am Anfang des 19. Jahrhunderts die „Ideologie44 und Hierarchie einer Rechtsordnung, in der der Gesetzgeber eine „mythologisch-bonapartische" Position an der Spitze der Rechtspraxis besitzt. Obwohl sie noch andere demokratische Möglichkeiten beinhaltet, blendet dieser Ausdruck der Stabilisierungsbedürfnisse des bürgerrechtlichen sozialen Modells, der in ihr seine rechtliche Form findet, die Tatsache der Vielfältigkeit der Rechtsproduktion aus, die auf allen Ebenen der Gesellschaft - auch innerhalb der staatlichen Institutionen - stattfindet. Dies steht freilich im Gegensatz zu dem, was im früheren Zeitalter als selbstverständlich galt (allerdings um den Preis eines Mangels an technischer Konsistenz). Alle notwendigen Veränderungen müssen deshalb entweder durch den Gesetzgeber eingeführt oder vom Richter dekretiert werden. Die Benutzung von Gewohnheitsrecht als „Rechtsquelle44 wird auf bestimmte Gebiete (ζ. B. auf das Handelsrecht) beschränkt und ebenfalls unter dierichterliche Entscheidung einge42

Luhmann, Legitimation durch Verfahren (FN 17), S. 52. Werner Krawietz, Recht als Regelsystem, Wiesbaden 1984, S. 14. 44 Helmut Schelsky, Die juridische Rationalität, in: ders., Die Soziologen und das Recht, Opladen 1980, S. 34-76,49. 43

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ordnet. Allgemeine Werte und Kriterien naturrechtlicher Provenienz werden als zweifelhaft angesehen, nicht für zulässig gehalten und nur bei gesellschaftlichen Krisen wieder zur Sprache gebracht. Diese Darstellung der Rechtsprechung wurde auch durch die Entwicklung der Rechtstheorie als autonome Disziplin unterstützt. Letztere war ursprünglich so stark durch den Rechts- und Gesetzespositivismus geprägt, daß sie auch die Rechtsphilosophie als selbständige Disziplin zu ersetzen beabsichtigte, indem sie sich als eine Art „Enzyklopädie" verstand, die über die allgemeinsten Rechtskonzepte verfügte. Aus dieser Perspektive mochte es kohärent erscheinen, die juristische Praxis als hermeneutisch-kognitive Konstruktion bzw. Rekonstruktion des Rechts anzusehen. Die Rechtswissenschaft deckte sich mit der Figur und Funktion des Richters. Dem entsprach eine Konzeption der Rechtswissenschaft als technische und selbstgenügsame Rechtskenntnis bzw. »Erkenntnis* sowie des Richters als eines „Subsumtionsautomaten", der auf bestimmte methodische Verfahren angewiesen sei. Dieser gleichsam „klassische" Ausgangspunkt setzte ein schematisches, geradliniges Konzept der Teilung aller Staatsgewalt voraus, die es aber in der Praxis als solche möglicherweise nie gegeben hat.45 Insoweit das Recht eine komplexe soziale Form ist, die in vielen Erscheinungsmodalitäten und verschiedenen institutionellen Mechanismen zum Ausdruck gelangt, welche den Prozeß der Bildung normativer Erwartungen ausmachen, muß dierichterliche Aktivität weit mehr bedeuten, als eine bloß bürokratische Funktion des Staates zu sein. Das wird klar, wenn man die Verknüpfung mit anderen Quellen in Betracht zieht, die für die Verarbeitung von Informationen in kritischen Momenten benötigt werden.46 Der Anspruch, die Realität des Rechts nur mit Hilfe methodologischer, erkenntnis- und wissenschaftstheoretisch gesicherter Schritte zu erklären, ist seit langem gescheitert. Sie hat zu vielen Mißverständnissen und Verwicklungen geführt, weil manchmal nicht klar wurde, daß man über verschiedene „Levels" rechtstheoreti45 Die „ideologischen" und kritik-immunisierenden Funktionen dieser Darstellungen sind schon seit dem juristischen Methodenstreit am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts (der die effektive Rolle von Begriffsbildung, Interessen und Werten im Recht hervorgehoben hatte) und den späteren „kritischen" Auffassungen unserer Epoche ausführlich untersucht worden. Insoweit wird gegen die historische Konsistenz der Figur des „Subsumtionsautomaten" mit Grund die Künstlichkeit dieser Debatte von Eduard Picker, Richterrecht oder Rechtsdogmatik - Alternativen der Rechtsgewinnung, in: Juristen-Zeitung 1988, S. 1-12, betont. Vgl. ferner Müller, Richterrecht (FN 28), S. 39. Diese Autoren scheinen aber die historischen und politischen Faktoren des 19. Jahrhunderts, die diese Debatte beeinflußten, nicht in Rechnung gestellt zu haben. Im Gegensatz hierzu betont Karl-Heinz Ladeur, Vom Gesetzesvollzug zur strategischen Rechtsfortbildung - Zur Genealogie des Verwaltungsrechts, in: Leviathan 1979, S. 339-375, 354, daß das Deduktionsmodell eine notwendige juristische Konstruktion war, um den Übergang von der absolutistisch-polizeistaatlichen zur rechtsstaatlichen Praxis im Recht abbilden zu können. 46 Niklas Luhmann, Interesse und lnteressenjurisprudenz im Spannungsfeld von Gesetzgebung und Rechtsprechung, in: Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte 12 (1990), S. 1 - 1 3 , 1 .

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scher Reflexion sprach (linguistisch, epistemologisch, rechtspolitisch usw.). Dies hat nicht zuletzt und ungewollt zu einer Isolierung der Rechtstheorie innerhalb der Rechtswissenschaft selbst beigetragen. Auf der anderen Seite sind Verknüpfungen zwischen den beiden durchaus möglich, obwohl Rechtswissenschaft und Rechtsdogmatik (verstanden als technische Kenntnis des Rechts) als zwei voneinander relativ unabhängige Informations- und Kommunikationssysteme fungieren. Die Rechtsprechung selbst ist ein Beispiel koordinierter Benutzung von wissenschaftlichen Forschungsergebnissen, juristisch-dogmatischer Technik und von Antworten auf politisch-institutionelle Bedürfnisse, die allesamt bisweilen in einer prekären ,3alance" zueinander stehen. Krawietz betont die Rolle der Wissenschaft in diesem Kontext, wenn auch nicht ohne einen ironischen Unterton: „Das staatlich organisierte Rechtssystem kann beispielsweise aufkeimende Zweifel an seinen Organisationsmöglichkeiten kompensieren und Proteste hinsichtlich seiner Leistungsfähigkeit absorbieren, indem es die vorgebrachte Kritik auf die Notwendigkeit vorgängiger rechtswissenschaftlicher Forschungen verweist, ohne die auch die staatliche Organisation nicht auszukommen vermöge. Auf diese Weise kann die Kritik an der staatlichen Organisation durch Vertrauen auf Wissenschaft kompensiert und auf die lange Bank angeblich notwendiger Forschungen geschoben werden."47

Die Rechtstheorie fungiert ferner als ein Konsistenzfaktor bei der Verwendung der juristischen Begriffe. Sie nimmt teil an dem allgemeinen Prozeß der Selbstbeobachtung des Rechtssystems.48 In dem Maße, in dem im Rechtssystem ein höheres Komplexitätsniveau erreicht wird, ist auch die Theorie aufgefordert, abstraktere Analysen zu erbringen. Die wachsende Autonomisierung und Spezialisierung, die damit entwickelt wird, erschwert andererseits die unvermittelte Nutzung der Rechtstheorie durch den professionellen Rechtsanwender, der sich selbst in einem Spezialisierungsprozeß seines Fachs befindet. Die Konsequenz dessen ist das wachsende Bedürfnis nach einem „Multi-Level-Approach" des Rechts, der auch dem praktischen Rechtsdenken, juristischen Argumentieren und Rechtshandeln die Möglichkeit zu einem differenzierten, arbeitsteilig organisierten Zugang zum Recht bietet und auch ein interdisziplinäres Forschungsprogramm zu etablieren bzw. zu explizieren vermag.49

Werner Krawietz, Juridisch-institutionelle Rationalität des Rechts versus Rationalität der Wissenschaften? Zur Konkurrenz divergierender Rationalitätskonzepte in der modernen Rechtstheorie, in: RECHTSTHEORIE 15 (1984), S. 423-452, 451. Ähnlich schließt Dieter Grimm, Verfassungsgerichtsbarkeit im demokratischen System, in: Juristen-Zeitung 2 (1976), S. 697-703, 703: „Wo institutionelle Kontrollen enden, werden vielmehr die informellen durch Wissenschaft und Öffentlichkeit um so wichtiger." 48 Niklas Luhmann, Zur rechtstheoretischen Ausgangslage, in: ders., Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt 1993, S. 9 - 3 7 , 11. 49 Werner Krawietz, Recht ohne Staat? Spielregeln des Rechts und Rechtssystem in normen- und systemtheoretischer Perspektive, in: Danilo Basta /Werner Krawietz / Dieter Müller (Hrsg.), Rechtsstaat - Ursprung und Zukunft einer Idee. Symposium zum 150jährigen Bestehen der Belgrader Juristischen Fakultät, RECHTSTHEORIE 24 (1993), S. 81 -133, 113.

3. Rechtskonkretisierung oder Richterrecht?

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Die kognitiven rechtlichen Informationen reichen aber nicht aus, um ein systematisches, allgemeines Bild der Rechtsprechung zu gewinnen oder um die Erklärung der geschichtlichen Veränderungen ihrer Rolle 50 zu finden, weil sie die sozialen, hier vorausgesetzten „reflexiven Mechanismen" nicht erklären können.51 Selbst metatheoretische Erklärungen, wie der iberische und lateinamerikanische Jusnaturalismus, der eine durchaus eigenständige Konzeption derrichterlichen Rechtsfortbildung besitzt, bieten dafür keine Alternative, weil die alten transzendentalen Ideen des Rechts wegen der Segmentierung und Ausdifferenzierung der Gesellschaft in immer mehr und immer vielfältigere, relativ unabhängige Assoziationen, Institutionen und soziale Systeme nicht so wie bisher weitergeführt werden können. Sie tragen deshalb in einem dynamischen und pluralistischen Milieu nicht zur Konkretisierung der individuellen Fallregulierung bei. Auf der anderen Seite sind auch die vielen Varianten der Vernunftrechtstheorien säkularer Provenienz an die Grenzen ihrer Verwendbarkeit geraten in dem Sinne, daß ihr rein individueller Maßstab des Rechts in komplexeren Organisationsformen nicht mehr brauchbar erscheint. In diesem Sinne beinhaltet die Diskussion über das sogen. ,Richterrecht", die seit dem vorigen Jahrhundert geführt wird, eine gewisse Anerkennung der Tendenz, ein Übergewicht des Richters bei der Schaffung von Recht zu betonen, um damit die fehlende Legitimation des gesamten politischen Systems zu kompensieren. 52 Vielleicht sprechen auch deswegen manche über „frustrierte politische Absichten von Richtern".53 Tatsächlich dürfte es sich wohl eher um einen tiefgreifenden Wandel im Verständnis des Verhältnisses von Gesetzgebung und Rechtsprechung und um Merkmale der Entstehung eines neuen Richtertyps handeln.54 Dies setzt eine zumindest implizite Vorstellung der Beziehungen zwischen den Funktionen des Staates einerseits und eine Untersuchung der institutionellen und systemischen Grenzen der gerichtlichen und /oderrichterlichen Entscheidungen voraus. Die Grundrechte stellen dafür einen bis vor kurzem unbekannten, jurisdiktionellen Spielraum der Verfassungsgerichtsbarkeit dar. 55

50

Christian-Friedrich Menger, Moderner Staat und Rechtsprechung, Tübingen 1968, S. 19, bemerkt, daß der Positivismus nicht durch rechtstheoretische Überlegungen überwunden wurde, sondern durch das Eintreten der Gerichte für eine funktionelle, rechtspolitisch reflektierte Auffassung des Rechts und eine teleologische Interpretation. 51 Luhmann, Rechtssoziologie (FN 8), S. 39. 52 Picker, Richterrecht oder Rechtsdogmatik - Alternativen der Rechtsgewinnung (FN 45), S. 3. 53 Boris Johnson, The Long Arm of the Law, in: The Spectator vom 17. 06. 1995, S. 8 - 9 . 54 François Ost, Quelle jurisprudence pour quelle société? In: Archives de Philosophie du Droit 30 (1985), S. 9 - 3 4 . Vgl. ferner: Torstein Eckhoff, Zur Rechtschöpfungsfunktion der Gerichte, in: Jan Harenburg/ Adalbert Podlech/Bernhard Schlink (Hrsg.), Rechtlicher Wandel durchrichterliche Entscheidung, Darmstadt 1980, S. 383-407,403. 55 Ernst Forsthoff, Rechtsstaat oder Richterstaat? In: ders., Rechtsstaat im Wandel. Verfassungsrechtliche Abhandlungen 1954-1973, hrsg. von Klaus Frey, 2. Aufl., München 1976, S. 243-256, 253.

§ 8 Grundrechte und ihre verfassungsrechtliche Institutionalisierung - eine „Erfindung" gegen den staatlichen Machtmißbrauch? 1. Rechtssouveränität und individueller Rechtsschutz In ihrer neuzeitlichen Entwicklung erhielt die Positivierung des Rechts einen entscheidenden Schub durch die Einführung und Festlegung eines individuellen Rechtsschutzes. Anders als frühere soziale Semantiken, die auf autoritative, persönlich bindende Rechtsformeln fixiert waren, stellt sich das moderne Recht nicht primär auf kasuistische Entscheidungen und Prinzipienkataloge ein, sondern trägt sein Abstraktionsvermögen in sich, das - eben deswegen - zugleich seinen Sicherheitsgrad erhöht. Man kann jetzt die einzelnen Rechte und ihre »materiellen4 Implikationen diskutieren, ohne damit die gesamte verfassungsrechtliche oder staatsrechtliche Struktur in Frage zu stellen. Die sogen, subjektiven Rechte konnten positiviert werden, ohne ihren evolutionären Vorteil einzubüßen, der darin besteht, unabhängig von den gesetzlichen Rechtsgrundlagen und Ausgestaltungen von Verfassungs wegen mit höchstem innerstaatlichem Rechtsrang ausgestattet zu sein.1 Um diese Entwicklung zu verstehen, muß man die strukturellen Brüche analysieren, die - historisch betrachtet - bis in die Zeit des Untergangs des Römischen Reichs zurückführen. Man braucht nicht davon auszugehen, daß evolutionäre Errungenschaften eindeutige „Ursachen"2 hätten, denn sie können - wegen der willkürlichen Zusammensetzung kausaler Relationen - nur ex post zeigen, wo ihre neuartigen Leistungen liegen. Im folgenden wird - aus Institutionen- und systemtheoretischer Perspektive - darauf abgestellt, daß der Beitrag individueller Rechte, wie eine sozialadäquate, dynamisch-funktionale Grundrechtstheorie zu zeigen vermag, vor allem in ihrer Funktion zu erblicken ist. Sie hängt zusammen mit einem neuen Konzept sozialer Ordnung und der Rolle des Individuums in der modernen Gesellschaft. Entscheidend in dieser Entwicklung war die allmähliche Einstellung der rechtlichen Dogmatik auf eine neue, durch umfassende Kodifikation des geltenden Rechts bestimmte Basis einerseits und auf die Spannungen und Konflikte, die zwischen dem modernen Staat und den universalistischen Ansprüchen der Kirche ent1

Niklas Luhmann, Zur Funktion der „Subjektiven Rechte", in: ders., Ausdifferenzierung des Rechts, Frankfurt am Main 1981, S. 360-373, 370. Krawietz, Evolution des Rechts und der Menschenrechte, 1978, S. 319 ff. Darin kann man schon die Begrenzung des Naturrechts feststellen, denn symptomatisch erscheint es nur als „Krisenrecht". 2 Ders., Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1997, S. 507.

1. Rechtssouveränität und individueller Rechtsschutz

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standen waren. Beide haben sich - wenn auch auf eine graduelle, mühsame Weise - den Weg gebahnt, um eine Anerkennung individueller Rechte durchzusetzen. Hierfür war notwendig, daß die überkommenen ständischen Statusbeziehungen ihren Ordnungscharakter zunehmend eingebüßt hatten. Die Veränderungen, die die Moderne brachte, waren - verglichen mit den vorangegangenen Umbrüchen - ein wesentlich größerer, geradezu evolutionärer Sprung. Er stellt eine große Erklärungslücke dar, da in der Debatte um die neuen Errungenschaften der Grund- und Menschenrechte zugleich die wesentlich ältere Problematik der Universalisierbarkeit von Grundrechten wieder auftauchte: Wenn die in der Verfassung verankerten Rechte keine Stütze an transzendentalen, naturalistischen Kriterien mehr bekommen, sondern unter den Bedingungen der Positivität allen Rechts selbst Bestandteile des objektiven Rechts sind, die an die Verfassung gekoppelt bleiben, so wirft dies die Frage auf, wodurch sie sich von den übrigen Bestandteilen des Rechtssystems unterscheiden. Die Antwort dafür kann nicht in den internen Rationalisierungsprozessen oder, wie im Falle der Rechtsprechung, in der Differenzierung rechtlicher Teilsysteme erblickt werden, denn aus der Perspektive des gerichtlichen Verfahrens tendieren die Rechte zunächst nur dazu, als reziproke Rechte verstanden zu werden, wie es schon in einfachen Gesellschaften der Fall war. Die Grundrechte erlangten allgemeine Gültigkeit im verfassungsrechtlichen Sinne nur, weil sie fähig waren, rechtliche Beziehungen unter dem Aspekt der Komplementarität zu deuten. Das heißt, es ist wichtiger als persönliche Bindungen, im Rahmen der Positivität des Rechts normative Bindungen der Erwartungen aufeinander einzustellen, indem selbst Erwartungen erwartet werden (und nicht direkt ein pflichtgemäßes Handeln).3 Nur die Kontrollierbarkeit der Macht, die sich aus der Tatsache ergibt, daß die Politik nicht mehr auf alle Konflikte übertragbar ist, sondern nur eine unter anderen möglichen Formen sozialer Kommunikation darstellt, hat diese Perspektive für die Rechtsprechung geändert. Die Entscheidung auf der Basis von Grundrechten besitzt jetzt im Rahmen der Positivität des Rechts ihre eigene Entscheidungssouveränität,4 gestützt auf die Tatsache, daß viele Variationen innerhalb des Rechtssystems möglich sind. Dies schafft im Gegenzug auch einen (potentiell) größeren Einfluß anderer Systeme auf das Recht, denn die Kommunikationen tendieren dazu, die Hemmungen zu überwinden, die von rein korporativen sozialen Gestaltungen ausgehen.5 Damit gerät die Rechtsprechung als Organisationsstruktur in Kon3 Ders., Zur Funktion der „Subjektiven Rechte" (FN 1), S. 364. 4

Werner Krawietz, Anerkennung als Geltungsgrund des Rechts in den modernen Rechtssystemen, in: Gerhard Haney/ Werner Maihofer/Gerhard Sprenger (Hrsg.), Recht und Ideologie. Festschrift für Hermann Klenner zum 70. Geburtstag, Freiburg/Berlin 1996, S. 104146, 138. 5 Der „Preis" dafür ist eine zunehmende Indifferenz der sozialen Systeme im Verhältnis zueinander, die seitens des Individuums in ein Gefühl der „Deplacierung" umschlägt: „Individuum im modernen Sinn ist, wer sein eigenes Beobachten beobachten kann", so Niklas Luhmann, Das Moderne der modernen Gesellschaft, in: ders., Beobachtung der Moderne,

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§ 8 Grundrechte und ihre verfassungsrechtliche Institutionalisierung

takt mit anderen Arten struktureller Kopplung, auf die sich die normative Kommunikation von Recht einzustellen hat, ζ. B. im Verhältnis von Recht und Wirtschaft. Die Verfassungsgerichtsbarkeit als Prüfstelle für die Beachtung der Grundrechte steht somit in direkter Verbindung mit den neuen Rechtsaufgaben und steht insoweit auch selbst auf dem Prüfstand. Im modernen Konstitutionalismus ist man mit der Festlegung von individuellen Rechten so weit gegangen, daß die Verbreitung und Multiplikation neuer Rechte auch gegen den Staat stattfindet6 - was für vormoderne Bedingungen undenkbar schien und selbst heute in vielen Staaten immer noch keine Selbstverständlichkeit ist. Dies schafft Probleme für die Kohärenz der Grundrechte im Verhältnis von Theorie und Praxis. Sie werden aber meistens nicht als solche identifiziert, sondern die entstehenden Widersprüche werden nicht selten auf die sachlich gänzlich inadäquate Ebene naturrechtlicher oder vernunftrechtlicher Ausreden verschoben. So wurde ζ. B. die Beibehaltung der Sklaverei in den nordamerikanischen Staaten nicht als mit den aufklärerischen Idealen in Konflikt stehend behandelt, sondern eher als ein Ziel erklärt, das von dem ideologisch geprägten „Fortschritt" sozusagen „naturgemäß" eingeholt werden würde.7

2. Systemische Funktionen der Grundrechte Den liberalen Grundrechtsvorstellungen liegen Konzepte über die Beziehungen zwischen Staat, Gesellschaft und Individuen zugrunde. Hier hat die Rechtsdogmatik einen besonderen Einfluß. Über die Künstlichkeit der Spaltung der Individuen in verschiedene Rollen wird nicht reflektiert, zumindest solange nicht, bis die Rechte neue Kleider (ζ. B. als soziale Rechte) bekommen haben und deshalb rechtspolitische (distributive) Konflikte erzeugen. Diese Entwicklung geht einher mit der Steigerung gesellschaftlicher Komplexität, die von den wirtschaftlichen Leistungen und Rechtshandlungen der Bürger noch bestärkt wird und die Notwendigkeit der Gewährleistung bürgerlicher Rechte und deren Garantie nach sich zieht. Je mehr neue Güter das wirtschaftliche Wachstum in der heutigen KonsumOpladen 1992, S. 11-49, 22; ders., Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1990, S. 364. Es ist paradox, daß gerade die auf das Individuum eingestellte Gesellschaft so viele Möglichkeiten bietet, daß es sich desorientiert fühlt und somit Unterstützung und Identitätsersatz sucht, wobei damit jede Art von,»Fundamentalismus" - sei er neu, sei er alt - gefördert werden kann. Siehe Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 2), S. 765 ff., 798. 6 Norberto Bobbio, Menschenrechte und Gesellschaft, in: ders., Das Zeitalter der Menschenrechte. Ist Toleranz durchsetzbar? Berlin 1998, S. 63-84,64. 7 Gerald Stourzh, Zur Konstitutionalisierung der Individualrechte in der amerikanischen und französischen Revolution, in: ders., Wege zur Grundrechtsdemokratie, Wien /Köln 1989, S. 155-174, 159. Andererseits gab es schon damals, in den ersten Fällen moderner Verfassungsgerichtsbarkeit, mancherichterliche Entscheidung gegen diesen Stand der Dinge, die die Sklaverei als unvereinbar mit der Verfassung erklärte, aber ohne nennenswerte Konsequenzen blieb.

2. Systemische Funktionen der Grundrechte

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gesellschaft anbietet, desto mehr wächst die Zahl der Ansprüche, Rechte und der zugehörigen Inhalte.8 Die Herausforderungen, die für die Rechtsprechung in dieser Materie entstehen, treten oft in Erscheinung als Probleme der Konkurrenz oder gar Inkompatibilität von miteinander in Konflikt geratenen Rechten. Deshalb bringt die Beibehaltung der traditionellen Attribution und Zentralisierung aller Rechte bei einem als Träger fungierenden Rechtssubjekt, die nur allzu gern mit einer idealisierten Fassung und Vorstellung des Individuums als solchen in einen Topf geworfen wird, einige Schwierigkeiten mit sich. Wollte man die - fälschliche - Identifikation von Subjekt, Person und Individuum wirklich ernst nehmen, so wäre zu besorgen, daß bei einer derartigen Interpretation und Rechtspraxis die Gefahr bestünde, daß die Grundrechte selbst ihre Funktion verlieren. Denn ihre Bedeutung richtet sich darauf, die Spannungen zwischen den verschiedenen sozialen Systemen nicht bloß zu regulieren, sondern auch zu kanalisieren, indem neue strukturelle Kopplungen zwischen dem Rechtssystem und anderen sozialen Systemen eröffnet werden. Selbst das Eigentum ist, systemtheoretisch gesehen, nicht nur auf den Eigentümer, sondern auch auf die rechtlichen Bedürfnisse der wirtschaftlichen Güterzirkulation beziehbar und zugeschnitten. Es ist deshalb nicht von ungefähr, daß die Verfahrensgrundrechte und die einschlägigen institutionellen Garantien dazu tendieren, auch innerhalb der individuellen Rechte angenommen zu werden, weil sie nicht nur auf den einzelnen als „Person" bezogen sind, sondern normative Strukturen darstellen, die auch im Rahmen anderer Systeme gelten. Von der modernen Verfassungsgerichtsbarkeit wird die Wichtigkeit dieser Rechte nicht bestritten, auch wenn die politisch-rechtlichen Möglichkeiten und Bedingungen ihrer Fortentwicklung offenkundig schwierig sind. Es ist beachtlich, daß trotz der Spezialisierung des Rechts die Grundrechte allgemeine Geltung beanspruchen können. Hier nennt Krawietz die Grund- und Menschenrechte als ein Beispiel für die Überschreitung einer evolutionären Schwelle der Rechtsentwicklung, die neue rechtliche Gestaltungen möglich und die gedankliche Beschäftigung mit diesen rechtlichen Möglichkeiten nötig macht.9 Sie können diese Leistung deshalb erbringen, weil die Grundrechte nicht nur die traditionelle Funktion haben, Schwellen gegen Übergriffe der politischen Macht, insbesondere gegenüber der staatlichen Herrschaftsgewalt zu errichten, sondern weil sie zugleich 8 Niklas Luhmann, Die Funktion des Rechts: Erwartungssicherung oder Verhaltenssteuerung? In: ders., Ausdifferenzierung des Rechts, Frankfurt am Main 1981, S. 73-91, 83: „Wenn man aber in einer Wachstumsgesellschaft lebt, kann man all seine Rechte behalten und trotzdem zu kurz kommen.... Wer nur seine Rechte behält, wird schon dadurch benachteiligt, wird auf dem Status quo eingefroren und verliert allmählich an gesellschaftlicher Position und an Zugang zu Chancen." 9 Werner Krawietz, Evolution des Rechts und der Menschenrechte, in: Friedrich Kaulbach/Werner Krawietz (Hrsg.), Recht und Gesellschaft. Festschrift für Helmut Schelsky zum 65. Geburtstag, Berlin 1978, S. 319-341, 334; ders., Recht als Regelsystem, Wiesbaden 1984, S. 167.

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§ 8 Grundrechte und ihre verfassungsrechtliche Institutionalisierung

Problemlösungskapazitäten spontaner Organisation zugunsten des politischen Systems freisetzen. 10 Gleichzeitig besteht die innewohnende Tendenz, daß die Grundrechte zu allgemeinen Werten umgewandelt und damit dem Prozeß einer gewissen Inflationierung und des Verschleißes ausgesetzt werden.11 Dies kann nur dann vermieden werden, wenn man im staatlich organisierten Rechtssystem mit der nötigen Eindeutigkeit und Klarheit zwischen (i) verfassungsrechtlich konstituierten und gesicherten Rechtswerten und (ii) sonstigen sozialen Werten unterscheidet. Dafür spielt der Grad der juristischen Professionalisierung eine wichtige Rolle, unter deren Regime die Verfahrensregeln, Rechtsprinzipien und prozessualen Garantien nicht nur streng überwacht werden, sondern auch vor ständig neuen Umdeutungen bewahrt bleiben.12 Gewöhnlich schafft die Rechtsprechung ein „Bündel" von „binding arrangements", die nicht ohne weiteres auch als Ausdruck von Wertsetzungen betrachtet werden können. Die zeitgenössische Rechtstheorie ist hier ständig in Gefahr, durch Selbstapriorisierung ihres Rechtsdenkens oder reines Vernunftraisonnement »Prinzipien4 oder »Werte* wenn schon nicht zu schaffen, so doch wenigstens zu postulieren, die durch politisch-rechtliches Entscheiden seitens der Staatsgewalt gar nicht gedeckt sind. Es geht auch nicht an, irgendwelche moralischen/ethischen Postulate, durch die eine Verantwortung13 des Staates bzw. des Individuums vermeintlich gefördert wird, ohne interpostilo legislatoris des staatlichen Gesetzgebers als Recht ausgeben zu wollen.

3. Rechtsnormative Wertsetzung und institutionelle Grundrechtsgarantien Gegenüber der Möglichkeit eines einseitigen rechtlichen Diktats seitens eines despotischen „Herrschers", 14 die mit der heutigen, funktional ausdifferenzierten 10 Has so Hofinann, Geschichtlichkeit und Universalitätsanspruch des Rechtsstaats, in: Hans-Martin Pawlowski/Gerd Roellecke (Hrsg.), Der Universalitätsanspruch des demokratischen Rechtsstaates, Stuttgart 1996, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Beiheft 65, S. 9 - 3 2 , 17. u Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 2), S. 386,782. ι 2 So ebd., S. 683: „Organisatorische und rechtliche Fixierungen suggerieren immer die Möglichkeit einer Änderung." 13 Torstein Eckhoff/Knut Dahl Jacobsen, Rationality and Responsibility in Administrative and Judicial Decision-Making, Kopenhagen 1960, S. 29: „That the courts have been free from political as well as professional infiltration, entails important limitations of their responsibility." Eine rechtstheoretische Untersuchung der Verantwortung wird neuerdings von Werner Krawietz, Theorie der Verantwortung - neu oder alt? Zur normativen Verantwortungsattribution mit Mitteln des Rechts, in: Kurt Bayertz (Hrsg.), Verantwortung. Prinzip oder Problem? Darmstadt 1995, S. 184-216, unternommen.

14 Niklas Luhmann weist darauf hin, daß im Absolutismus die Struktur der Souveränität mit Hilfe der mittelalterlichen Doktrin der „Imitatio Christi" erklärt wurde. Dadurch stand

3. Rechtsnormative Wertsetzung und institutionelle Grundrechtsgarantien

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Gesellschaft nicht mehr im Einklang steht und der sozialen Wirklichkeit der modernen Gesellschaften nicht Rechnung zu tragen vermag, operieren die Grundrechte in modernen Rechtssystemen als Modus sozialer Variabilität. Dennoch bleibt die institutionelle Tatsache bestehen, daß das Recht in den staatlich organisierten Rechtssystemen der modernen Welt nach wie vor - zumindest auf absehbare Zeit regionalgesellschaftlich konstituiert wird. 1 5 Das bedeutet erhebliche Schwierigkeiten für eine universelle, weltgesellschaftliche Wirkungsmöglichkeit der Grundrechte, für die immer wieder mit Verve plädiert wird. 1 6 In diesem Sinne gibt es in den modernen Gesellschaften keine eigentliche Krise der Grundrechte, sondern eher der rechtspolitisch defizitären oder nicht hinreichend effektiven, im Dienste der laufenden Produktion und Objektivierung von Recht stehenden politisch-rechtlichen Institutionen (Gesetzgebung, Regierung, Verwaltung) selbst. 17 Bei dieser Feststellung herrscht gewöhnlich eine verblüffende Übereinstimmung aller Auffassungen, wie unterschiedlich ihr Rechtsverständnis im übrigen auch sein mag. Damit wird klar, daß ebenso wie die Grundrechte mit anderen sozialen Faktoren zusammenhängen und erst durch sie funktionstauglich werden, das staatliche Rechtssystem auch ohne sie weiterbestehen kann trotz des wachsenden Drucks, der Souverän nicht nur „über", sondern gleichzeitig „unter" dem Gesetz, siehe: Metamorphosen des Staates, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 4, Frankfurt am Main 1995, S. 101-150, 108. 15 Werner Krawietz, Zur Einführung: Neue Sequenzierung der Theoriebildung und Kritik der allgemeinen Theorie sozialer Systeme, in: ders. / Michael Welker, Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt am Main 1993, S. 14-42, 37-38; ders., Rechtstheorie und Rechtsstaatlichkeit, in: ders./Mihâly Samu/Péter Szilâgy (Hrsg.), Verfassungsstaat, Stabilität und Variabilität des Rechts im modernen Rechtssystem. Internationales Symposium der Budapester Juristischen Fakultät, RECHTSTHEORIE 26 (1995), S. 435-461,456-457. 16

Die so dargestellten Menschenrechte können auf der Basis einer Erweiterung der Freiheit gedeutet werden, wie bei Ernst Tugendhat, Die Kontroverse um die Menschenrechte, in: Stefan Gosepath/Georg Lohmann (Hrsg.), Philosophie der Menschenrechte, Frankfurt am Main 1998, S. 48-61, 58 ("Eigenräume des Sichentfaltens und Gedeihens"). Sie sind aber, wie der Autor selbst einräumt, nur erreichbar in „moralischen Sprüngen" (S. 59) - also nicht strukturell definierte, politisch-rechtliche Thematisierungen. Das Beispiel zeigt, daß die Grenze zwischen der Beobachtung ersten und der Beobachtung zweiten Grades sich trotzdem bemerkbar macht, weil eine gewisse „Vorwegnahme" von Sinn in den sozialen Strukturen benötigt wird. Siehe Niklas Luhmann, Kausalität im Süden, in: Soziale Systeme 1 (1995), S. 7 28, 12 ff. So betrachtet, gewinnt selbst das von vielen als Begründung schlechthin angesehene, funktional gedeutete Konzept der Vernunft den Status einer Metapher, die für die konkrete Sinndeutung uminterpretiert werden muß, so ders., Die Systemreferenz von Gerechtigkeit. In Erwiderung auf die Ausführungen von Ralf Dreier, in: RECHTSTHEORIE 5 (1974), S. 201-203,203. 17 Krawietz, Evolution des Rechts und der Menschenrechte (FN 9), S. 324. Es reicht deshalb nicht, eine Lösung der Probleme in einer „minimalen Theorie der Menschenrechte" zu suchen, wie Hofmann, Geschichtlichkeit und Universalitätsanspruch des Rechtsstaats (FN 10), S. 29, dies tun will.

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§ 8 Grundrechte und ihre verfassungsrechtliche Institutionalisierung

der mit Blick auf eine internationale Beachtung der Grundrechte ausgeübt wird. 1 8 Da die „Person" als juristisches Konstrukt erhalten und von den realen Individuen und ihrer multifunktionalen Rolle abgehoben bleibt, gelten das „Subjekt" und die letzterem attribuierten Rechte, die im konkreten Fall als Anspruch, subjektives Recht o. ä. zugesprochen werden, als eine Art Abkürzungsformel. 19 Für viele Rechtssysteme, insbesondere für diejenigen mit Präjudizienbildung, stellt sie zugleich eine (mögliche) Anschlußformel (ratio decidendi) auch innerhalb der traditionellen Rechtspraxis dar, wenn auch nur unter sehr viel engeren Bindungswirkungen, die das jeweils geltende Recht verleiht. Sie werden umgesetzt, wenn und soweit die sozialen Möglichkeiten und Determinanten anderer sozialer Systeme, wie Politik, Religion, Wirtschaft etc., dies gestatten.20 Nur in diesem Sinne, wenn man jede »positive* Bewertung der sozialen Integration beiseite schiebt, kann man verstehen, warum Luhmann sagen kann, daß „Exklusion stärker als Inklusion" integriert. 21 Schließlich werden die Rechtssysteme nicht nur homogenisiert, sondern es entstehen ständig neue Unterschiede, die zur Abwägung der Rechte der jeweiligen Adressaten führen. 22

18 Krawietz, Evolution des Rechts und der Menschenrechte (FN 9), S. 333: „Unter den Bedingungen der Positivität allen Rechts kann auch die Effektivität der Menschenrechte und Grundfreiheiten auf andere Weise gewährleistet werden." Hier könnten auch außerrechtliche Praktiken zitiert werden, die sich oft mit klientelistischen und/oder traditionellen Beziehungen decken. Niklas Luhmann, Die Funktion des Rechts, in: ders., Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1993, S. 124-164, 160, analysiert derartige Mechanismen am Beispiel des japanischen Rechts und auch des englischen Common Law: „Vermutlich hängt diese Entlastung des Rechts damit zusammen, daß soziale Schichtung oder Gruppenloyalitäten noch als soziale Ordnung erfahren und akzeptiert werden. Wenn das nicht mehr der Fall ist, verschärft die Unzugänglichkeit der Gerichte die Differenz von Inklusion kleiner und Exklusion großer Bevölkerungsgruppen und wird damit zum Problem nicht nur für die Leistungen, sondern auch für die Funktion des Rechts." 19

Niklas Luhmann, Das Paradox der Menschenrechte und drei Formen seiner Entfaltung, in: ders., Soziologische Aufklärung 6, Opladen 1985, S. 229-236, 231. Das Gegenstück dafür liegt bei dem Einsatz von Gerechtigkeitswerten, die einen „Ausgleich von Belastungen und Mobilität" der Rechte ermöglichen. Vgl. ders., Zur Funktion der subjektiven Rechte (FN 1), S. 368. 20 Siehe Marcelo Neves, Verfassung und Positivität des Rechts in der peripheren Moderne. Eine theoretische Betrachtung und eine Interpretation des Falls Brasilien, Berlin 1992, S. 203: „Die gesellschaftliche Konstellation ... verbaut einen Einklang von Wirtschaftscode, dem Machtcode und den jeweiligen Kriterien mit dem Code und den Programmen des Rechts, also eine strukturelle Kopplung von Wirtschaft bzw. Politik und Recht ..." Die Grundrechte tendieren deshalb - nach Auffassung von Neves - dazu, auf einem bloß „symbolischen" Niveau zu verbleiben und beeinträchtigen somit auf Dauer die gesamten verfassungsrechtlichen Arrangements in ihrer Haltbarkeit. Selbst die Betätigung der Gerichte kann statt zur Lösung auch zur Zuspitzung mancher Konflikte führen, wie im Fall des Grundstückskonflikts in großen Städten Brasiliens (S. 167). 21 Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft (FN 2), S. 631. Siehe auch Rudolph Stichweh, Inklusion in Funktionssystemen der modernen Gesellschaft, in: Renate Mayntz/Bernd Rosewitz /Uwe Schimank/Rudolf Stichweh (Hrsg.), Differenzierung und Verselbständigung, Frankfurt/New York 1988, S. 261 -293.

3. Rechtsnormative Wertsetzung und institutionelle Grundrechtsgarantien

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Wegen dieser Gemeinsamkeiten und Differenzen im Rahmen der verschiedenen rechtlichen Entscheidungszentren wäre es vielleicht produktiver, anstatt nach Homogenität lieber danach zu suchen, wie man mit den diversen Möglichkeiten eines sozial inadäquaten Zugangs zum Recht bzw. zu den Rechten besser umgehen könnte und sollte. Auch die diversen rechtspolitischen Entscheidungsträger haben mit Widersprüchen zu kämpfen. Dazu gehört nicht nur die Wahl des rechtspolitisch richtigen Ausgangs- und Ansatzpunkts, wenn es darum geht, die rechtspolitisch adäquaten Problemlösungsstrategien (Verhaltensprogramme, Entscheidungsprogramme, Ziele, Zwecke, Werte u. a. m.) auszuwählen. Dabei mögen auch diverse hermeneutische Deutungen und Erklärungen zum Vorschein kommen. Im Zentrum steht jedoch die Frage nach den Voraussetzungen und Bedingungen der operativen Geschlossenheit und der strukturellen Konsistenz des Rechts. Ihre Beantwortung geht weit über das hinaus, was durch topische oder rein dezisionistische Zugangsweisen zu den Institutionen des Rechts zu erklären ist. Auch müssen bei der Analyse des Rechts die Kommunikationen über die Umwelt berücksichtigt werden, die im Rahmen normativer Produktion und Reproduktion des Rechts zu bearbeiten sind.23 Die Frage verlagert sich deshalb auf die Ebene der normativen strukturellen Kopplungen und Verfahren, die bei eingehender Analyse (Multi-Level-Approach) in den Netzwerkbildungen des Rechts zum Vorschein kommen.

22 Gunther Teubner, Rechtsirritation: Der Transfer von Rechtsnormen in rechtssoziologischer Sicht, in: Jürgen Brand/Dieter Strempel (Hrsg.), Soziologie des Rechts. Festschrift für Erhard Blankenburg zum 60. Geburtstag, Baden-Baden 1998, S. 233-244,235. 2 3 Werner Krawietz, Gewährt Art. 1 Abs. 1 GG dem Menschen ein Grundrecht auf Achtung und Schutz seiner Würde? In: Dieter Wilke/Harald Weber (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Friedrich Klein, München 1977, S. 245-287, 256: (sie) „Es gibt keinen Rechtssatz, der ausschließt, daß ein Artikel oder auch nur ein Absatz eines Artikels der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland zugleich einen Rechtssatz bzw. einen Rechtswrf ... sowie ein Grund recht in Sinne eines subjektiven öffentlichen Rechts beinhalten kann."

§ 9 Juridische Interpretation und Freiheit des Richters 1. Theoretischer Zugang zur Rechtskommunikation Die bewußte Beschäftigung mit und die kritische Reflexion der rechtlichen Kommunikation kann, wenn man Niklas Luhmann folgt, auf einer durch Selbstdistanzierung geschaffenen Beobachtungsebene als juristische Argumentationstheorie betrieben werden.1 In diesem Sinne suchen die juristischen Denkformen und Konzepte der modernen Rechtstheorie, die Rechtsprechung als ein sekundäres soziales System zu begreifen, um die Formen der Institutionalisierung von Recht durch Gesetzgebung und Rechtssprechung/Gerichte/Richter zu charakterisieren. Es geht auch hier um die „Institutionalisierung der Institutionalisierung von Verhaltenserwartungen". Deshalb ist ein höherer Abstraktionsgrad vonnöten, wenn man rechtstheoretisch über derartige Argumentationen spricht.2 Das schließt nicht aus, daß bei der Kommunikation von Recht wegen der Einbeziehung der Interaktionssysteme und Organisationen, die verschiedenen sozialen Subsystemen angehören können, auch symbolische Elemente (Rechtssprache, formale Logik) verwendet werden, die als formale Stütze und ,»Zement" der Argumentation fungieren und selbst normativen Charakter haben. Allerichterliche Entscheidung setzt - einmal abgesehen von dem professionellen Einfluß der Juristen als Zunft - im demokratischen Staat entsprechende Kontrollen voraus. Ihre »Autorität" ist eher indirekter Art: „The authority of the courts is exactly as strong as are the reasons they give to support their opinions."3 Sie hängt mit der Vorstellung einer möglichen Realisierung von rechtlichen Gerechtigkeitswerten zusammen, oder anders gesagt: Von der Justiz wird erwartet, daß sie die „richtige Entscheidung" trifft. 4 Sicher sollte man den sprachlichen Symbolen, die in den Normsätzen des Rechts Verwendung finden, keine eigenständige Bedeutung, kein Wesen ,an sich4 unterstellen, weil die Sprache in den jeweiligen pragmatischen Verwendungszusammen1 Niklas Luhmann, Juristische Argumentation, in: ders., Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1993, S. 338-406, 340. Der Autor unterscheidet zwischen der Argumentation und den Gründen, die das geltende Recht bereitstellt. 2 Ders., Rechtssoziologie, 3. Aufl., Opladen 1987, S. 79, 82. 3

Aulis Aarnio, Reasoning Judicial Decisions, in: ders. / Stanley L. Paulson /Ota Weinberger/Georg Henrik von Wright/Dieter Wyduckel (Hrsg.), Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit. Festschrift für Werner Krawietz zum 60. Geburtstag, Berlin 1993, S. 643-654,653. 4 Ebd., S. 651.

1. Theoretischer Zugang zur Rechtskommunikation

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hängen auch durch soziale Strukturen bestimmt und geprägt wird. Es kann also nicht darum gehen, eine ontologische Version der normativen Kommunikation zu konzipieren. Es existiert kein definitiver, gleichsam wesenhafter Sinn der Normen, der als solcher nur noch erkannt zu werden brauchte. Auch steht keine Theorie zur Verfügung, die den Weg zu derartigen Wesenseinsichten platonischer Provenienz aufzuzeigen vermöchte. Alle Bedeutungen müssen in den sozialen Prozessen des menschlichen Erlebens und Handelns konstituiert und attribuiert werden. Dies gilt auch für die sozialen Prozesse einer normativen Verantwortungsattribution im Bereich des Rechts, in denen eine Kongruenz zwischen den „inneren" und den „äußeren" Aspekten des Rechtssystems zustande kommt. Es gibt keine präexistenten, ohne menschliches Zutun entstandenen Normen. Alle dahingehenden Erwartungen müssen von der Rechtstheorie notwendigerweise enttäuscht werden. Aber bei der Rechtsprechung selbst gewinnen solche Enttäuschungen einen autoritätsbildenden Effekt. 5 In dem Maße, in dem die Rechtsprechung bestimmte Thematisierungen vornimmt und andere außer acht läßt, die durchaus als von Interesse angesehen werden könnten, absorbiert sie Konflikte durch die bloße Bezugnahme auf ihre autoritative Entscheidungskompetenz und schließt andere Formen ihrer Lösung bis auf weiteres aus. Nicht von ungefähr beobachtet man auch bei den informellen Formen der Konfliktlösung ein Imitieren der Funktion von richterlichen Entscheidungsverfahren. Wenn der Richter einen Fall Jost4 oder genauer: entscheidet, steht er vor der praktischen Notwendigkeit, Gegenwart und Zukunft aus der Erfahrung der Vergangenheit zu regulieren. Diese zeitliche Perspektive schließt eine rein individualistische Betrachtung der Rechtsprechung aus und gibt Anlaß, in besonderem Maße nach Konsistenz und Kohärenz der rechtlichen Argumentation zu streben. Das methodische Vorgehen und die Klärung von Konzepten werden durch Unterstreichen dieser Tendenzen wiederholt, so daß eine interne Redundanz, d. h. eine eigene »Realität4 geschaffen wird. Damit zeichnet sich für das zu betrachtende Problem eine Lösung ab, die vorher so nicht galt, wie zum Beispiel im Falle einer „Lücke", die ihre entsprechende Schließung durch eine analoge Rechtsbildung erfährt und im Wegerichterlichen Entscheidens durch eine individuelle Norm mit Rechtsgeltung ausgestattet wird. Die Art und Weise der Kommunikation ist in den einzelnen Bereichen der rechtlichen Praxis bei Anwälten, Richtern, Sachverständigen und Parteien eines Verfahrens höchst unterschiedlich, so daß divergente Sachverhalts- und Normprojektionen entstehen können.6 Im Fall des Richters wird der Bezug auf die amtliche

5 So Richard Sennett, Authority, London/Boston 1993, S. 185, über die Funktion von role exchange: „Desillusion is an essential ingredient of empathy ... In social life, the exchange of roles, especially in highly developed societies, with complex chains of command, is a learning about limits." Hier ist an Luhmanns Bemerkungen über das richterliche Verfahren und die Rollenübernahme zu erinnern, in: Legitimation durch Verfahren, 3. Aufl., Frankfurt am Main 1993, S. 86.

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§ 9 Juridische Interpretation und Freiheit des Richters

Pflicht, seine Entscheidungen zu begründen, ständig geprüft (nicht zuletzt deshalb, weil es immer prozessuale Mittel gibt, einerichterliche Maßnahme in Frage zu stellen). Ist aber der Fall wenig relevant für das Rechtssystem selbst in dem Sinne, daß er keine strukturellen Neubildungen erforderlich macht, wird er an die Peripherie des Systems abgeschoben. Dann verliert selbst der Entscheidungszwang als solcher seine soeben beschriebene Funktion.7 Was nur am Rande geschieht, gilt für das staatlich geprägte Rechtssystem als nicht maßgeblich, wie viele richterliche Entscheidungen niederer Instanzen, die als bloße Anwendungen des Gesetzesrechts gelten. Alle begrenzenden Faktoren (Zwang zur Entscheidung; inhaltliche und prozessuale Regeln, die dem Fall vorausliegen; hierarchische Organisation der Rechtsprechung; Rollenübernahme usf.) bestärken die Selbstreferenzialität der juridischen Argumentation und ihre redundanzerzeugende Funktion und Position. Selbst die Änderungen des geltenden Rechts müssen in bezug auf die Tradition und vorangehende Fälle ins Werk gesetzt werden (dies wird noch wesentlich deutlicher bei der „stare decisis"-Doktrin des Common Law). Gleichwohl besteht daneben die Referenz auf das allgemeine Sprachverhalten und seine Professionalisierung im Recht. Sie geschieht in einer Art „Verkreuzung", deren Gleichgewicht stets gefährdet erscheint. Josef Esser kritisiert vor allem die Interferenzen mit der Alltagssprache: ,3elastend für den rhetorischen Argumentationsstil ist teilweise auch, daß der Diskurs mit den Parteien nicht in einer unangreifbaren Fachsprache vorprogrammiert ist, sondern geführt werden muß in der zur Prämissenbildung tauglichen Wertungssprache des Alltags mit den entsprechenden für die Würdigung der Situation und der Folgen brauchbaren pragmatischen Ausdrücken."8

Dazu ließe sich jedoch sagen, daß dieser Prozeß gerade zu den unvermeidlichen Risiken der Demokratie gehört. Bei starker sozialer Ungleichheit, mangelnder oder politisch gestörter Ausdifferenzierung des Rechts gewinnen solche Probleme noch gravierendere Aspekte, die die Kommunikation blockieren und damit die Autonomie der Rechtsprechung in Frage stellen oder gar rechtstheoretisch regressive Tendenzen zu überholten dogmatischen Formeln nach sich ziehen können.9 In der Tat kann gefragt werden, wo im Rahmen einer komplexer werdenden Gesellschaft die Grenzen für eine Optimierung der Rechtsproduktion und -reproduktion verlaufen. Überschatten neue soziale Bedingungen und Konflikte die rechtli6 Petra Werner, Die Normentheorie Helmut Schelskys als Form eines Neuen Institutionalismus, Berlin 1995, S. 115. 7 Niklas Luhmann, Die Stellung der Gerichte im Rechtssystem, in: ders., Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1993, S. 297-337, 325. 8 Josef Esser, Juristisches Argumentieren im Wandel des Rechtsfindungskonzepts unseres Jahrhunderts, Heidelberg 1979, S. 24 f. 9 Hierzu mit Bezug auf „synallagmatische" Vertragstheorien: Niklas Luhmann, Zur Funktion der „subjektiven Rechte", in: ders., Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Frankfurt am Main 1981, S. 360-373, 371, Fn. 20.

2. Normative Rechtfertigung versus kognitive Erkenntnis?

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chen Institutionen, die in einem anderen historischen Kontext erfunden wurden? Diese Thematik kann hier nicht weiter verfolgt werden. Ihre Widerspiegelung wird aber deutlich in der Erschöpfung des traditionellen Rechtsdenkens.10 Die wechselseitigen Verbindungen und Korridore zwischen Theorie und Praxis bleiben bestehen - sie können nicht abgeschafft, sondern allenfalls eingeengt werden, wie der - zumindest latent immer noch vorhandene - Gesetzes- und Rechtspositivismus beweist. Eine Annäherung zwischen juristischer Technik und Alltagswissen wird aber von Winfried Has semer 11 auch weiterhin gefordert: „Die Überwindung dieser Trennung muß dort beginnen, wo die Integration der Bereiche der Rechtswirklichkeit noch vorhanden ist: bei der richterlichen Argumentation und deren Gesetzen."

Es ist zweifelhaft, ob ein solches Ziel bei der heutigen Vielfalt an Rechtstheorieangeboten erreichbar ist, denn schließlich brauchen Theorien sich nicht eindeutig für eine Alternative zu entscheiden. Andererseits könnte die „Systematisierung" von Gemeinsamkeiten auch die institutionelle Variabilität belegen, die in den mit dem Recht und seiner Anwendung befaßten Disziplinen heute herrscht.

2. Normative Rechtfertigung versus kognitive Erkenntnis? Eine aus rechtstheoretischer Perspektive angestellte Analyse, wie sie hier vorgenommen wurde, kann nicht ignorieren, daß es im Rahmen der dogmatischen Rechtswissenschaft ein gewisses Mißtrauen gegen dieses Fach gibt. Letzteres beruht nicht eben selten auf mangelnder Kenntnis und Vertrautheit mit dieser Disziplin. Ein derartiger Widerstand basiert bisweilen auf einer allzu „technischen" Auffassung des Rechts, die sich - merkwürdig genug - auf die Annahme stützt, man könne (und solle) gänzlich untheoretisch oder gleichsam theoriefrei mit dem Recht umgehen. Eine sehr interessante Theorie, die freilich - da schon oft widerlegt - keiner weiteren Klärung bedarf. Eine derartige Stellungnahme belegt vielmehr - ganz im Gegenteil - die Relevanz der rechtstheoretischen Perspektive und Kontrolle und beweist, daß auch die Praxis mit einer theoretischen (obwohl nicht immer bewußten) Vorstellung von Recht operiert. 12 Rechtstheorie stellt keine Gefährdung liebgewonnener rechtlicher »Selbstverständlichkeiten4 dar, die bisweilen 10

Sehr treffend hierzu: Ν. E. Simmonds, The Decline of the Juridical Reason, Manchester

1984. 11

Winfried Hassemer, Juristische Argumentationstheorie und juristische Didaktik, in: Hans Albert/Niklas Luhmann/Werner Maihofer/Ota Weinberger (Hrsg.), Rechtstheorie als Grundlagenwissenschaft der Rechtswissenschaft, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie II, Düsseldorf 1972, S. 467-480,477. 12 Massimo La Torre, On the Relevance of Legal Theory for Practice. A Plea for Jurisprudence, in: Aulis Aarnio/ Stanley L. Paulson/Ota Weinberger/Georg Henrik von Wright/ Dieter Wyduckel (Hrsg.), Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit. Festschrift für Werner Krawietz zum 60. Geburtstag, Berlin 1993, S. 687-701,693. 9 Albuquerque

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in der Rechtspraxis unreflektiert hingenommen werden. Sie bedarf jedoch einer Rechtfertigung in dem Sinne, daß die spezifischen Eigenschaften, die mit unterschiedlichen Subsystemen des Rechts verbunden sind, auch berücksichtigt werden. Theorien eröffnen nicht nur einen spezifischen Zugang zu den Rechtsproblemen. Sie sind, da sie gewöhnlich in der wissenschaftlichen Kommunikation im Rahmen einer schon sozial etablierten Wissenschaftspraxis erbracht werden, selbst Teil der verwissenschaftlichten Realität des Rechts. Sie beziehen sich auf konkrete „Lebensformen", die in einer Umwelt etabliert sind, und bieten Deskriptionen und damit neue Potentiale für Handlungen, Weltanschauungen und ihre entsprechenden Problematisierungen. Ihre Funktion wird in dem Maße erkennbar, indem eine Gesellschaft komplexere Interaktions- und Organisationsformen entwickelt und deshalb höhere Abstraktionsebenen wissenschaftlicher Erkenntnis benötigt (Multi-Level-Approach). Das Wort und der Begriff „Recht" sind belastet mit vielen Bedeutungen. Ihnen gemeinsam ist der Bezug auf ein symbolisch geprägtes, institutionell auf Dauer gestelltes, dynamisch-funktionales, genuin normatives Strukturphänomen der Gesellschaft, das seine Effektivität der sozialen Generalisierung von Normierungen, Konzepten und Gestaltungen verdankt. Die verschiedenen Grade der Theorieentwicklung im Recht (Rechtspraxis im engeren Sinne, hier verstanden als partiell verwissenschaftlichte Primärerfahrungen im Umgang mit dem Recht, dogmatische Rechtswissenschaft, Juristische Methodenlehre, Allgemeine Rechtslehre/Rechtstheorie)13 hängen insoweit mit dem unterschiedlichen Bedürfnis zusammen, die hiermit verbundenen praktischen Probleme zu behandeln, ohne sie voll und ganz mit den theoretischen Anforderungen in Einklang bringen zu können. Die Rechtstheorie gehört einer vermittelnden Ebene an, die zwischen den mehr praxisbezogenen und den mehr sprachphilosophisch und linguistisch geprägten Ebenen der juristischen Problembehandlung etabliert wird, ganz zu schweigen von der Theorie und Soziologie des Rechts, die gewöhnlich eher wie ein Stiefkind behandelt wird. Aus der Retrospektive betrachtet, erkennt man heute, daß schon die reiche Tradition, die an das römische Recht anknüpfte, von derartigen Diskursen zweiten Grades geprägt wurde. Das beste Beispiel für ein derartiges Mittel, das im Laufe der Zeit immer mehr zur Orientierung auch für die gerichtliche Praxis benutzt wurde, ist das Corpus Juris Civilis von Justinian, das ursprünglich nur als Lernmittel für Juristen gedacht war. Im späteren Gang der rechtlichen Entwicklung haben solche Elemente expressis verbis nur sehr selten als Reflexionsbasis gedient. Sie wurden eher als Teil der hermeneutischen Vorkehrungen bei der Exegese des Rechts 13

Werner Krawietz, Zur Einführung: Neue Sequenzierung der Theoriebildung und Kritik der allgemeinen Theorie sozialer Systeme, in: ders. / Michael Welker (Hrsg.), Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt am Main 1992, S. 14-42, 27; ders., Recht ohne Staat? Spielregeln des Rechts und Rechtssystem in normen- und systemtheoretischer Perspektive, in: Danilo Basta /Werner Krawietz / Dieter Müller (Hrsg.), Rechtsstaat - Ursprung und Zukunft einer Idee. Symposium zum 150jährigen Bestehen der Belgrader Juristischen Fakultät, Berlin 1993, S. 81 -133, 107.

2. Normative Rechtfertigung versus kognitive Erkenntnis?

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angesehen. Erst zusammen mit und nach der Konsolidierung der Positivität des modernen Rechts ist die Rechtstheorie als autonome Disziplin entstanden und nimmt heute weltweit eine ganz unangefochtene Funktion wahr. Diese Verselbständigung und Autonomisierung von Recht und Rechtstheorie geschah zunächst mit Hilfe von Konzepten und Idealisierungen rechtsnaturalistischer oder religiöser/moralischer Art, die bis auf den heutigen Tag Einfluß auf den juristischen Diskurs zu nehmen suchen und behalten haben. Darauf reagieren in unserer Epoche die rechtsrealistischen Richtungen der modernen Rechtstheorie, indem sie im Hinblick auf das tatsächlich praktizierte Recht sozialadäquate hermeneutische Methoden und Theorien zu entwickeln suchen. Die nordamerikanische realistische Schule (American Legal Realism) richteteseit Roscoe Pound ihre Erkenntnisinteressen hauptsächlich auf dasrichterliche Verfahren. Als Form soziologischer Jurisprudenz geriet sie jedoch alsbald in einen Gegensatz zu den überkommenen analytischen Tendenzen einer begriffsjuristischen »Analytical Jurisprudence", die sie kritisch zu hinterfragen suchte. In ihrer späteren Entwicklung hing diese Schule aber zu weitgehend politischen Denkansätzen an, ohne deren gesellschaftliche Voraussetzungen und Implikationen hinreichend zu reflektieren und abzuklären.14 Selbst die Versuche, die soziologische Erforschung des Rechts voranzutreiben, haben die allgemeine Theorie des Rechts bislang nicht entscheidend vorangebracht. Die Soziologie hat ihren genuin normativen Gegenstand, das Recht und das System von Rechtsordnungen, weitgehend verfehlt und damit eher zur „Verfremdung" des Rechts beigetragen.15 Dies läßt manche, durchaus berechtigte Vorbehalte der Rechtsdogmatik als nachvollziehbar, wenn auch letzten Endes nicht als stichhaltig erscheinen. Erst in der jüngsten Entwicklung ist die Suche nach einer Theorie und Soziologie des Rechts wieder Thema einer Kooperation von Juristen und Soziologen geworden. Dies zeigt, daß die sich abzeichnenden Veränderungen im Rahmen der Rechtstheorie bisweilen von Bedingungen und Motiven bestimmt werden, die jenseits dieser theoretischen Denkansätze liegen. Auch werden die theoretischen Diskussionen nicht selten aus anderen als genuin wissenschaftlichen Gründen geführt. 16 Dies macht es notwendig, nach einer optimalen Beziehung der Rechtstheorie zu anderen Disziplinen im Wissenschaftssystem zu suchen.17 14 Ders., Juristische Entscheidung und wissenschaftliche Erkenntnis. Eine Untersuchung zum Verhältnis von dogmatischer Rechtswissenschaft und rechtswissenschaftlicher Grundlagenforschung, Wien/New York 1978, S. 125-126. 15

Dazu Werner Gephart, Gesellschaftstheorie und Recht. Das Recht im soziologischen Diskurs der Moderne, Frankfurt am Main 1993, S. 10. 16 Gemeint ist hier nicht eine „ideologische" oder rein strategische Rolle der Theorie. Manchmal werden die „leeren Räume", die im Rahmen des Erklärungsspielraums einer Theorie entstehen, mit Inhalten gefüllt, die eher an der Person des Wissenschaftlers als an der Sache selbst orientiert sind. Hierzu: Niklas Luhmann, Rechtstheorie im interdisziplinären Zusammenhang, in: ders., Die Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Frankfurt am Main 1981, S. 191-240, 193. 9*

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Eine derartige Herausforderung geht ferner aus von den neuen sozialstrukturellen Wirkungen, von den Bedingungen der Güterproduktion in einer weltweiten, hochgradig organisierten Wirtschaft und von den Unstimmigkeiten, die durch die wirtschaftlichen und politisch-rechtlichen Institutionen provoziert und verschärft werden. Auch die Errichtung von neuen Rechtsstaaten oder neuen regionalen Staatengemeinschaften bringt neue Probleme für das internationale rechtliche Zusammenleben mit sich, das eine dementsprechende rechtstheoretische Reflexion nötig macht.18 Es wäre unangemessen zu erwarten, daß eine rein wissenschaftliche Betrachtung imstande sein könnte, die gesamten Probleme der Sozialorganisation und Politik, die mit dem Recht verbunden sind, einzukreisen und sozialadäquat zu behandeln. Erstens, weil nicht alle Probleme in die Theorie übertragbar sind. Zweitens, weil die Theorie selbst in Verfolgung organisatorischer und programmatischer Entscheidungsmuster des Rechts konzipiert wird, die selbst eine eigenständige Institutionalisierung voraussetzen.19 In diesem Sinne erscheint es nicht angebracht, bloß den Rechtsformalismus zu kritisieren oder, um mit Hassemer zu formulieren, „die Praxis von außen methodisch zu »verunsichern1"20 und das „mangelnde Bewußtsein" der Juristen zu konstatieren, um es mit Hilfe soziologischer statistischer Daten zu kompensieren. Das Mißtrauen der Dogmatik gegenüber sozialwissenschaftlichen oder rein rechtsphilosophischen Betrachtungen ist insofern nicht ganz unbegründet. Ausschlaggebend ist und bleibt eine Option für den Primat der Rechtspraxis, d. h. für eine Orientierung an dem jeweiligen, in praxi bereits bestehenden staatlich organisierten Rechtssystem. Eine derartige Kooperation unter funktionalem Aspekt begegnet im Recht gelegentlich der Kritik. Wie Luhmann darlegt, verstehen Soziologie und Recht schon das Konzept der Funktion jeweils anders.21 Dies bedürfte freilich einer eingehenden Untersuchung, zumal nicht ausgemacht ist, ob der soziologische Funktionsbegriff - zumindest aber derjenige von Luhmann - informationshaltig genug und hinreichend sozialadäquat ist, um eine derartige Kooperation anleiten zu können. Aber auch der Versuch, eine Zusammenarbeit zwischen Systemtheorie und Rechtstheorie aufzubauen, stößt an divergierende Verständnisse der grundlegenden Kate17 Vgl. hier die kritischen Bemerkungen gegenüber Luhmanns Theorie von Krawietz, Zur Einleitung: Neue Sequenzierung der Theoriebildung und Kritik der allgemeinen Theorie sozialer Systeme (FN 13), S. 31. 18 Im Rahmen der Europäischen Union kann hier u. a. auf die Begründung einer Europäischen Akademie für Rechtstheorie in Brüssel hingewiesen werden, die 1989 ins Leben gerufen wurde. 19 Niklas Luhmann, Die Selbstbeschreibung des Rechtssystems, in: ders., Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1993, S. 496-549, 504-505. 20 Hassemer, Juristische Argumentationstheorie und juristische Theorie (FN 10), S. 472. 21 Niklas Luhmann, Funktionale Methode und juristische Entscheidung, in: ders., Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Frankfurt am Main 1981, S. 273-307, 274, 280.

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gorien und Konzepte, wie Krawietz ausführt. 22 Das gemeinsame Arbeitsgebiet beider Disziplinen ist begrenzt, was sich insbesondere bei der methodologischen und theoretischen Bearbeitung derrichterlichen Tätigkeit zeigt. Das aufklärende Potential der rechtstheoretischen Sicht bleibt dennoch ein Stützpunkt, um die beruflichen Denkgewohnheiten zu überwinden und gegenüber den Partikularitäten des Falls eine der (Selbst-)Reflexion dienende Abstand- und Distanznahme zu ermöglichen. Eine soziologisch fundierte Rechtstheorie könnte dazu beitragen, die Systematisierungstendenzen des Rechts, die sich seit dem letzten Jahrhundert bemerkbar gemacht haben,23 neu zu orientieren und mit einer sozialadäquaten Analyse der Grundbegriffe der Dogmatik zu verknüpfen. Auf diese Weise ließe sich zugleich eine kritische Aufklärung des Rechtsdenkens ins Werk setzen, die in der Lage wäre, den vielfältigen Tendenzen zu einer unreflektierten Remoralisierung des Rechts unter Einschluß des Naturrechtsdenkens zu begegnen. Es führt kein Weg zurück in den überkommenen, sozial inadäquaten Rechtsnaturalismus und Rechtspositivismus.24 Dies stellt naturgemäß auch manche Basisannahmen der Dogmatik und ihrer traditionellen Formen und Rechtsfiguren in Frage.25 Eine derart umfassende Rechtstheorie, die - im Sinne von Krawietz - als Rahmentheorie 26 des Rechts dienen könnte, steht heute noch nicht zur Verfügung, doch ist sie im Umriß bereits erkennbar. Sie kann auch nicht durch partielle Theorien ersetzt werden, wie eine Gesetzgebungs- oder eine Rechtsprechungslehre, die jede für sich als zu eng gestrickt erscheinen. Andererseits könnten Faktoren, wie Werte oder Interessen und deren Vergleichung, bei engerer Zusammenarbeit von Rechtsund Gesellschaftstheorie im Theorieaufbau sehr viel adäquater berücksichtigt werden als bisher. Weitere Aufschlüsse zu bieten vermag vor allem eine multidisziplinär orientierte Perspektive, die die normative Struktur des Rechts näher aufzuklären vermag. Auf diese Weise kann auch die moderne Informations- und Kommunikationstheorie eingebettet werden in die Sozialtheorie des Rechts. Dieser Prozeß wird nicht durch revolutionäre Entwicklungen neuer Paradigmen ermöglicht, sondern vor allem durch zumindest partielle Theoriesubstitutionen. Auch wenn die Rechtsprechung ein nur schwer durchdringbares Milieu für derartige Forschungen 22

Werner Krawietz,

El concepto sociològico del derecho y otros ensayos, México 1992,

S. 97. 23 Ders., Juristische Argumentation in rechtstheoretischer, rechtsphilosophischer und rechtssoziologischer Perspektive, in: Norbert Achterberg/ Werner Krawietz/Dieter Wydukkel (Hrsg.), Recht und Staat im sozialen Wandel. Festschrift für Hans Ulrich Scupin zum 80. Geburtstag, Berlin 1983, S. 354-390, 362. 24 Jede dieser mit Grund kritisierten Richtungen hat ihr Defizit, indem die soziale Dynamik des Rechts verkannt wird (Juspositivismus) oder die normativ-institutionelle organisatorische Prägung der Entscheidung (Jusnaturalismus). 2 5 Luhmann, Rechtssoziologie (FN 2), S. 258. 26

Werner Krawietz, Recht als Regelsystem, Wiesbaden 1984, S. 202. Auch: ders., El concepto sociològico del derecho y otros ensayos (FN 22), S. 89 ff.

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bietet, liegt gerade darin eine Motivation, um die tatsächlichen Beziehungen zwischen bloßer Rechtsanwendung und der »richterlichen Rechtsetzung4 sehr viel eingehender zu erforschen, als das hier geschehen konnte. 3. Rechtsprechung und Rechtstheorie als Theorie der Interpretation und Anwendung von Recht Es ließe sich durchaus eine Parallele ziehen zwischen Rechtsprechung und Rechtstheorie als institutionellen Organisationen oder sozialen Systemen. Sie ist nach meiner Auffassung in der „Filterfunktion" zu erblicken, die bei der Rechtsprechung darin liegt, daß mit Mitteln der Rechtsdogmatik und der juristischen Methodenlehre und mit Blick auf den konkreten Fall eine Selektion von »richtigem4 Recht erfolgt, und bei der Rechtstheorie in dem zu ermittelnden Rechtswissen. Letzteres erschöpft sich natürlich nicht in der inhaltlichen Kenntnis des Rechts (cognitio legum), sondern zielt auf wahre Erkenntnis, die sich an dem Verhältnis von Normen und Handeln orientiert. Dieser Vergleich und diese Verknüpfungen erscheinen durchaus fruchtbar, wenn es darum geht, die Möglichkeiten des juristischen Argumentierens realistischer einzuschätzen und gleichzeitig den Blick auf weitere Interdependenzen zu öffnen. Sie sind aber durchaus nicht von gleichem Gewicht. Es wäre sicher problematisch, einerichterliche Entscheidung nur aufgrund des normativen Inhalts der Rechtsvorschriften gewinnen und begründen zu wollen. Andererseits vermag eine theoretische Aufklärung interdependenter Wirkfaktoren sowie die Analyse und Generalisierung von Interdependenzen nur sehr begrenzt normative oder nomologische Rückschlüsse auf die Einzelfallentscheidung und die dabei zu beachtenden Prozeduren und deren Rationalität zu ermöglichen.27 Aber gibt es auch andere, höchst plausible Theorieansätze, die in Richtung neuer Theorieintegrationen weisen, wie beispielsweise die Assoziations- und Institutionentheorien des Rechts sowie die juristische Systemtheorie, auf deren Grundlage sich die systemische Zusammenarbeit innerhalb der gewaltenteilig geordneten Staatsorganisation sehr viel realistischer rekonstruieren läßt. Hier wäre bei der rechtstheoretischen Rekonstruktion des systemischen Standorts der Rechtsprechung auch eine verstärkte Einbeziehung der zeitgenössischen Normen- und Handlungstheorie (G. H. von Wright, Weinberger u. a.) vonnöten. Dies würde jedoch den Rahmen dieser Untersuchung sprengen. Obwohl die Politik schon bei der Ernennung von Richtern in Erscheinung tritt, beispielsweise in dem politischen Druck, der bei der Urteilsfindung in einzelnen Fällen geübt wird, in den kollegialen Kontrollformen oder Karrierechancen der Richter sowie ihren sozialen Ansprüchen und Erwartungen auf Wertschätzung, bildet diese nicht immer strukturelle und stringente, sondern bisweilen auch „lo27

Niklas Luhmann, Systemtheoretische Beiträge zur Rechtstheorie, in: ders., Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Frankfurt am Main 1981, S. 241-272, 264 f.

3. Rechtsprechung und Rechtstheorie

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se" Kopplungen wechselseitiger Mechanismen. Sie werden aufgebaut, um die zeitliche Distanz zwischen Politik und Recht zu regulieren. 28 Die auftretenden sozialen Konflikte werden im Rahmen der Gerichtsbarkeit nicht nur auf die »lange Bank geschoben4 und ihr Ausgang verzögert, sondern letztere gewinnt durch die organisatorisch prädeterminierte, arbeitsteilig geordnete Selektion des Rechts (Rechtsstaat, Gewaltenteilung) eine gesteigerte Rationalität. Die Geschichte, die diese Lektion (wie alle Lektionen) nicht gelernt hat, verfährt eher in umgekehrter Reihenfolge: ,»Frühe Versuche, vor allem in der athenischen Demokratie, alles Recht als kontingent zu praktizieren und der Gesetzgebung zu unterwerfen, sind genau an diesem Punkt gescheitert: an unzureichender Differenzierung von Politik und Entscheidungsfindung, Gesetzgebung und Rechtsprechung, Rhetorik und Jurisprudenz, Agitation und Rationalität."29

Aus dieser Perspektive bietet die sogenannte ,»Neutralität" der Richter taktische Vorteile 30 bei der konkreten Entscheidung über »politische4 Rechte, die jeweils ein breiteres Begründungsspektrum fordern. In der Tat muß die Neutralität eher als Konsequenz denn als Voraussetzung dieses Prozesses angesehen werden, in dem das Prinzip der politischen Neutralität als Internalisierung eines strikten Gebots verstanden wird. Derartige Strategien gehören für Luhmann zur notwendigen Sicherung der Indifferenz zwischen den Individuen,31 so daß eine gewisse Undurchsichtigkeit und mangelnde Ausrechenbarkeit der rechtsprechenden Mechanismen gewahrt bleibt. Infolgedessen vermögen die Gerichte gegenüber vielfältigen Einflußnahmen als politischer Filter zu fungieren, der nur die rechtlich relevanten durchläßt und verarbeitet, aber damit zugleich eine Art informaler Rückkopplung zur Politik schafft. Demgegenüber kann eine kritisch reflexive, in wissenschaftstheoretischer und epistemologischer Hinsicht fundierte Kommunikation gewöhnlich nicht aus Anlaß der Entscheidung eines Einzelfalls, sondern nur im Rahmen des Wissenschaftssystems als Ergebnis einer dort vorgenommenen Bearbeitung und Leistung erfolgen, also allenfalls auf indirekte Weise und /oder in künftigen Fällen wirksam werden. Sie schließt deshalb jede direkte Verknüpfung mit der Ver28

Deshalb müssen „engagierte" Betrachtungen sich mit einer wenig befriedigenden Lösung für den politischen Charakter der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung zufrieden geben. Vgl. hierzu: Uwe Wesel, Die Hüter der Verfassung. Das Bundesverfassungsgericht, seine Geschichte, seine Leistungen und seine Krisen, Frankfurt am Main 1996, S. 15: „Es ist durch Untersuchungen bewiesen, daß die politische Grundhaltung von Richtern um so konservativer ist, je höher sie in der Hierarchie ihres Berufes gestiegen sind." Die Option zwischen der Anerkennung dogmatischer Gegebenheiten und einer „richterlichen Therapeutik" gerät nach Auffassung von Wesel (S. 29, 46) mangels operativer Unterscheidungen leicht in die Nähe der Ansicht, daß man „so oder so entscheiden" könne. 29 Niklas Luhmann, Funktionen der Rechtsprechung im politischen System, in: ders., Politische Planung. Aufsätze zur Soziologie von Politik und Verwaltung, Opladen 1971, S. 4 6 52, 50. 30 Ebd., S. 49.

Ders., Strukturelle Kopplungen, in: ders., Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1993, S. 440 - 495,459.

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fassungsrechtsprechung aus.32 Auch darf nicht ignoriert werden, daß es letzterer, wie jeder Rechtsprechung, um ein praktisches Handeln, nämlich um fallweise Herstellung (Produktion, Reproduktion) von Recht geht, also um eine juristische Entscheidung (und nicht bloß um kognitive Erkenntnis). Die Neutralität der Rechtsprechung darf aber nicht mit Indifferenz des Richters verwechselt werden. Sie wird deshalb auch wohl besser als Prinzip der Unparteilichkeit des Richters verstanden.33 Dieses fordert von ihm eine hohe Sensibilität nicht nur für den Text des Rechts und seine Bedeutung, sondern auch für den sozialen Kontext des zu entscheidenden Falls. Die Verbundenheit des Richters mit der Tradition besteht gerade darin, daß er imstande ist, sich einer totalen kommunikativen , Jmmersion" auszusetzen. Deshalb plädiert Eugene Kamenka für eine Art von Richtern, „who not see themselves as state servants or assiduous climbers on the ladder to extra-legal success, but as representatives of a community interest in justice and of a specific legal tradition".34 In diesem Rahmen stellt sich die Verfassungsgerichtsbarkeit - auch wenn sie natürlich keine Superrevisionsinstanz ist - als deflatorisch wirksam werdende politisch-soziale Letztinstanz dar, die nicht nur die Beziehungen zwischen den diversen Teilen der Staatsgewalt maßgebend bestimmt, sondern auch zwischen den sozialen Mechanismen vermittelt, die die individuellen Rechte artikulieren und institutionell auf Dauer stellen. Natürlich stehen diese Beziehungen, die das Verhältnis zwischen Demokratie und Verfassungsgerichtsbarkeit bestimmen, wie Dieter Grimm bemerkt, in einem „labilen Gleichgewicht".35 Die Konkretisierung rechtlicher Inhalte wird nötig in dem Maße, als die zugrundeliegenden Tatsachen näherer Bestimmung bedürfen. Ambiguität entsteht nicht nur aus dem ungleichen Zugang zu Informationen, sondern auch aus sozialen Unterschieden. In der praktischen Argumentation und Rechtskommunikation findet dann eine Verknüpfung statt zwischen den institutionalisierten rechtlichen Mechanismen (Regeln, Prinzipien, Prozeduren) und den symbolischen Elementen, durch die das Recht und die Rechtsprechung artikuliert werden. Nicht alles kann auf einmal getan werden, wenn man unter Selektionszwang steht. Die Tatsache aber, daß die Rationalität der Selektionsschritte noch gesteigert werden kann, macht die Beschäftigung mit Rechtsprechung und Rechtstheorie zu einem lohnenden Geschäft, bei dem es gilt, noch bestehende „Geheimnisse" zu entziffern. 32 Ders., Verfassung als evolutionäre Errungenschaft, in: Rechtshistorisches Journal 9 (1990), S. 176-220,219. 33 Jürgen Habermas erinnert an die Bedeutung dieses Konzepts, das bei Kant den „Kern der praktischen Vernunft" bildet, in: Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, 4. Aufl., Frankfurt am Main 1994, S. 563. 34 Eugene Kamenka, Toward a Pluralist Theory of Law and Politics, in: Peter Koller/Csaba Varga/Ota Weinberger (Hrsg.), Theoretische Grundlagen der Rechtspolitik, Stuttgart 1992, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Beiheft 54, S. 9-16, 13 f. 35 Dieter Grimm, Verfassungsgerichtsbarkeit im demokratischen System, in: Juristen-Zeitung 2 (1976), S. 697-703,699.

Schrifttumsverzeichnis Aarnio, Aulis: Reasoning Judicial Decisions, in: ders. / Stanley L. Paulson/Ota Weinberger/ Georg Henrik von Wright /Dieter Wyduckel (Hrsg.), Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit. Festschrift für Werner Krawietz zum 60. Geburtstag, Berlin 1993, S. 643-654. - Reason and Anthority. A Treatise on the Dynamic Paradigm of Legal Dogmatics, Aldershot 1997. - Theorie der Rechtsgemeinschaften und der Rechtserfahrung in Otto Brusiins Allgemeiner Rechtslehre, Münster 1999. - Jurisdiktion und Demokratie, in:

RECHTSTHEORIE

30 (1999), S. 137-147.

Aarnio, Aulis / Krawietz, Werner (eds.): New Approaches and Ways of Legal Thinking Revised. The Otto Brusiin Lectures 1982 - 1997, Berlin 1997. Abel, Richard L.: A Comparative Theory of Dispute Institutions in Society, in: Law and Society Review 2 (1973), S. 217-347. - Delegalization: A Critical Review of Its Ideology, Manifestations, and Social Consequences, in: Erhard Bankenburg /Ekkehard Klausa/Hubert Rottleuthner (Hrsg.), Alternative Rechtsformen und Alternativen zum Recht, Opladen 1980 (Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie VI), S. 27-47. Achterberg, Norbert: Rechtsprechung als Staatsfunktion, Rechtsprechungslehre als Wissenschaftsdisziplin, in: ders. (Hrsg.), Rechtsprechungslehre, Köln 1986, S. 3-23. - Die Gesellschaftsbezogenheit der Grundrechte, in: Friedrich Kaulbach/Werner Krawietz (Hrsg.), Recht und Gesellschaft. Festschrift für Helmut Schelsky zum 65. Geburtstag, Berlin 1978, S. 1-29. Adeodato, Joäo Mauricio: Vorstudien zu einer emanzipatorischen Legitimationstheorie für unterentwickelte Länder, in: RECHTSTHEORIE 22 (1991), S. 108-128. Alchourrón, Carlos E./ Bulygin, Eugenio: Normative Systeme, Freiburg/München 1994. Arantes, Rogério Bastos: Judiciario e Politica no Brasil, Säo Paulo 1997. Atienza, Manuel: El derecho corno argumentacion, in: Congresso Internacional de Derecho Pùblico, Filosofia y Sociologia Juridicas: perspectivas para el proximo milenio, Universidad Externado de Colombia 1996, S. 63-87. Bachof, Otto: Der Richter als Gesetzgeber? In: Joachim Gernhuber (Hrsg.), Tradition und Fortschritt im Recht. Festschrift, gewidmet der Tübinger Juristenfakultät zu ihrem 500jährigen Bestehen, Tübingen 1977, S. 177-192. - Grundgesetz und Richtermacht, Tübingen 1959. Badura, Peter: Verfassung, Staat und Gesellschaft in der Sicht des Bundesverfassungsgerichts, in: Christian Starck (Hrsg.), Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz. Festgabe

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- Juristische Entscheidung und wissenschaftliche Erkenntnis. Eine Untersuchung zum Verhältnis von dogmatischer Rechtswissenschaft und rechtswissenschaftlicher Grundlagenforschung, Wien/New York 1978. - Die Ausdifferenzierung religiös-ethischer, politischer und rechtlicher Grundwerte, in: Konrad von Bonin (Hrsg.), Begründung des Rechts. II. Juristen-Theologen-Gespräch in Hofgeismar, Göttingen 1979, S. 57-85. - Evolution des Rechts und der Menschenrechte, in: Friedrich Kaulbach/Werner Krawietz (Hrsg.), Recht und Gesellschaft. Festschrift für Helmut Schelsky zum 65. Geburtstag, Berlin 1978, S. 319-341. - Rechtssystem und Rationalität in der juristischen Dogmatik, in: Aulis Aamio/Ilkka Niiniluoto/Jyrki Uusitalo (Hrsg.), Methodologie und Erkenntnistheorie der juristischen Argumentation, Berlin 1981, S. 299-335. - Juristische Argumentation in rechtstheoretischer, rechtsphilosophischer und rechtssoziologischer Perspektive, in: Norbert Achterberg/ Werner Krawietz/Dieter Wyduckel (Hrsg.), Recht und Staat im sozialen Wandel. Festschrift für Hans Ulrich Scupin zum 80. Geburtstag, Berlin 1983, S. 357-390. - Recht als Regelsystem, Wien 1984. - Juristisch-institutionelle Rationalität des Rechts versus Rationalität der Wissenschaften? Zur Konkurrenz divergierender Rationalitätskonzepte in der modernen Rechtstheorie, in: RECHTSTHEORIE 15 (1984), S. 423-452. - Identität oder Einheit des Rechtssystems? Grundlagen der Rechtsordnung in rechts- und gesellschaftstheoretischer Perspektive, in: Mitsukuni Yasaki/Alois Troller/José Llompart (Hrsg.), Japanisches und europäisches Rechtsdenken - Versuch einer Synthese philosophischer Grundlagen, RECHTSTHEORIE 16 (1985), S. 233-277. - Ansätze zu einem Neuen Institutionalismus in der modernen Rechtstheorie der Gegenwart, in: Juristen-Zeitung 40 (1985), S. 706-714. - Über die Fachgrenzen der Soziologie hinaus: Helmut Schelskys ,transzendentale4 Theorie von Recht und Gesellschaft, in: Ota Weinberger/Werner Krawietz (Hrsg.), Helmut Schelsky als Soziologe und politischer Denker, Stuttgart 1985, S. 12-22. - Zur Korrelation von Rechtsfrage und Tatfrage in der Jurisprudenz, in: Norbert Achterberg (Hrsg.), Rechtsprechungslehre, Köln 1986, S. 517-553. - Verhältnis von Macht und Recht in staatlich organisierten Rechtssystemen, in: Paul Hofman/Ulrich Meyer-Cording/ Herbert Wiedemann (Hrsg.), Festschrift für Klemens Pleyer zum 65. Geburtstag, Köln/Berlin 1987, S. 217-235. - Der soziologische Begriff des Rechts, in: Rechtshistorisches Journal 7 (1988), S. 157177. - What Does it Mean ,Το Follow an Institutionalized Legal Rule'? On Rereading Wittgenstein and Max Weber, in: Eugene E. Dais/Stig J0rgensen / Alice Erh-Soon Tay (Hrsg.), Konstitutionalismus versus Legalismus? Geltungsgrundlagen des Rechts im demokratischen Verfassungsstaat, Stuttgart 1991 (Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Beiheft 40), S. 7-14. 1*

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Schrifttumsverzeichnis

- Theorie und Forschungsprogramm menschlicher Rechtserfahrung - Allgemeine Rechtslehre Otto Brusiins, in: RECHTSTHEORIE 22 (1991), S. 1-37. - El concepto sociològico del derecho y otros ensayos, México 1992. - Droit et jeu. Le point de vue de la théorie des systèmes, in: François Ost/Michel van de Kerchove (eds.), Le jeu: un paradigme pour le droit, Paris 1992, S. 218-235. - Risiko, Recht und normative Verantwortungsattribution in rechtsethischer Perspektive, in: Volker Gerhardt/Werner Krawietz (Hrsg.), Recht und Natur. Beiträge zu Ehren von Friedrich Kaulbach, Berlin 1992, S. 147-187. - Zur Einführung: Neue Sequenzierung der Theoriebildung und Kritik der allgemeinen Theorie sozialer Systeme, in: ders. / Michael Welker, Kritik der Theorie sozialer Systeme. Auseinandersetzungen mit Luhmanns Hauptwerk, Frankfurt am Main 1992, S. 14-42. - Staatliches oder gesellschaftliches Recht? Systemabhängigkeiten normativer Strukturbildung im Funktionssystem Recht, in: ebd., S. 247-301. - Recht ohne Staat? Spielregeln des Rechts und Rechtssystem in normen- und systemtheoretischer Perspektive, in: Danilo Basta /Werner Krawietz /Dieter Müller (Hrsg.), Rechtsstaat - Ursprung und Zukunft einer Idee. Symposium zum 150jährigen Bestehen der Belgrader Juristischen Fakultät, RECHTSTHEORIE 24 (1993), S. 81 -133. - Dual Concept of the Legal System? The Formal Character of Law from the Perspective of Institutional and Social Systems Theory, in: ders./Neil MacCormick/Georg Henrik von Wright (eds.), Prescriptive Formality and Normative Rationality in Modern Legal Systems. Festschrift for Robert S. Summers, Berlin 1994, S. 43-52. - Sprachphilosophie in der Jurisprudenz, in: Marcelo Dascal / Dietfried Gerhardus/Kuno Lorenz /Georg Meggle (Hrsg.), Sprachphilosophie. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung, Berlin/New York 1994,2. Hlbbd., S. 1470-1489. - Rechtstheorie und Rechtsstaatlichkeit, in: ders./Mihâly Samu/ Péter Szilâgy (Hrsg.), Verfassungsstaat, Stabilität und Variabilität des Rechts im modernen Rechtssystem. Internationales Symposium der Budapester Juristischen Fakultät, RECHTSTHEORIE 26 (1995), S. 435 461. - Theorie der Verantwortung - neu oder alt? Zur normativen Verantwortungsattribution mit Mitteln des Rechts, in: Kurt Bayertz (Hrsg.), Verantwortung. Prinzip oder Problem? Darmstadt 1995, S. 184-216. - Anerkennung als Geltungsgrund des Rechts in den modernen Rechtssystemen, in: Gerhard Haney/Werner Maihofer/Gerhard Sprenger (Hrsg.), Recht und Ideologie. Festschrift für Hermann Klenner zum 70. Geburtstag, Freiburg/Berlin 1996, S. 104-146. - On How to Accept a Legal Norm or Legal Order and Different Rules of Recognition. Is a Reasonable Argumentation Legally Rational? In: Frank Fleerackers / Evert van Leeuwen/ Bert van Roermund (eds.), Law, Life and the Images of Man. Modes of Thought in Modern Legal Theory, Berlin 1996, S. 521 -550. - Recht als normatives Kommunikat in normen- und handlungstheoretischer Perspektive, in: Ernesto Garzón Valdés/Werner Krawietz / Georg Henrik von Wright/Ruth Zimmerling (eds.), Normative Systems in Legal and Moral Theory. Festschrift for Carlos E. Alchourrón and Eugenio Bulygin, Berlin 1997, S. 369-390.

Schrifttumsverzeichnis - Assoziationen versus Staat? Normative Strukturelemente föderaler politisch-rechtlicher Gemeinschaftsbildung, in: ders./Guiseppe Duso /Dieter Wyduckel (Hrsg.), Konsens und Konsoziation in der politischen Theorie des frühen Föderalismus, Berlin 1997 (RECHTSTHEORIE Beiheft 1 6 ) , S. 3 2 1 - 3 3 9 . - Vernunft versus Rationalität des Rechts? Zur Theoriebildung in der Rechtswissenschaft, in: Herbert Haller/ Christian Kopetzki/Richard Novak/Stanley L. Paulson/Bernhard Raschauer/Georg Ress/Ewald Wiederin (Hrsg.), Staat und Recht. Festschrift für Günther Winkler, Wien/New York 1997, S. 515-540. - Reasonableness versus Rationality of Law? On the Evolution of Theories in Jurisprudence, in: Aulis Aarnio/Robert Alexy/Gunnar Bergholtz (eds.), Justice, Morality and Society. A Tribute to Aleksander Peczenik on the Occasion of his 60 th Birthday 16 November 1997, Lund 1997, S. 221-245. - Recht als Information und Kommunikation in der modernen Informationsgesellschaft Normen- und Handlungstheorien im Übergang, in: Jürgen Brand/Dieter Strempel (Hrsg.), Soziologie des Rechts. Festschrift für Erhard Blankenburg zum 60. Geburtstag, Baden-Baden 1998, S. 175-206. - Legal Communication in Modern Law and Legal Systems. A Multi-Level Approach to the Theory and Philosophy of Law, in: Luc J. Wintgens (ed.), The Law in Philosophical Perspectives, Dordrecht/Boston 1999, S. 69 - 120. - New Constitutionalism or Constitutional Patriotism versus Legalism? On how to Differentiate Between Legal Systems and the Modern State, in: ders./Robert S. Summers/Ota Weinberger/Georg Henrik von Wright (eds.), The Reasonable as Rational? On Legal Argumentation and Justification. Festschrift for Aulis Aarnio, Berlin 2000, S. 219 - 230. - Institutionelle öffentliche Planung als soziale Handlungs- und Entscheidungsform? Zeitgenössische Normen- und Handlungstheorien im Übergang, in: Wilfried Erbguth u. a. (Hrsg.), Planung, München 2000, S. 97 - 110. Kriele, Martin: Offene und verdeckte Urteilsgründe, in: Ernst-Wolfgang Böckenförde (ed.), Collegium Philosophicum. Studien, Joachim Ritter zum 60. Geburtstag, Basel/Stuttgart 1965, S. 99-117. - Theorie der Rechtsgewinnung. Entwickelt am Problem der Verfassungsinterpretation, 2. Aufl., Berlin 1976. - Recht und Politik in der Verfassungsrechtsprechung, in: Neue Juristische Wochenschrift 18 (1976), S. 777-783. - Freiheit und „Befreiung". Gibt es eine Rangordnung der Menschenrechte? In: Hans-Uwe Erichsen (Hrsg.), Lateinamerika und Europa im Dialog, Berlin 1989, S. 53-80. Kruse, Heinrich Wilhelm: Das Richterrecht als Rechtsquelle des innerstaatlichen Rechts, Tübingen 1971. Küttig, Philip: Das Rechtsstaatsprinzip. Überlegungen zu seiner Bedeutung für das Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Tübingen 1986. Ladeur, Karl-Heinz: Vom Gesetzesvollzug zur strategischen Rechtsfortbildung - Zur Genealogie des Verwaltungsrechts, in: Leviathan 1979, S. 339-375.

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Schrifttumsverzeichnis

- Gesetzesinterpretation, „Richterrecht" und Konventionsbildung in kognitivistischer Perspektive: Handeln unter Ungewißheitsbedingungen undrichterliches Entscheiden, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 77 (1991), S. 176-194. - Postmoderne Rechtstheorie: Selbstreferenz - Selbstorganisation - Prozeduralisierung, Berlin 1992. - Recht und Verwaltung. Rechtliche „Steuerung" und „Selbstprogrammierung" in ,3eurteilungs-" und „Ermessensspielräumen", in: Klaus Dammann/Dieter Grunow/Klaus P. Japp (Hrsg.), Die Verwaltung des politischen Systems. Neuere systemtheoretische Zugriffe auf ein altes Thema, Opladen 1994, S. 99-107. - Richterrecht und Dogmatik - eine verfehlte Konfrontation? Eine Untersuchung am Beispiel der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, in: Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 1 (1996), S. 77-98. Lamprecht, Rolf: Diskurs im Recht, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 5 (1994), S. 181 -186. - ,3is zur Verachtung": Verfassungsrichterwahlen am Rande der Legalität, in: Neue Juristische Wochenschrift 39 (1995), S. 2531 -2533. Lansnicker, Frank: Richteramt in Deutschland - Im Spannungsfeld zwischen Recht und Politik. Darstellung und Analyse anhand von ausgewählten Fallbeispielen, Frankfurt am Main/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1996. La Torre, Massimo: On the Relevance of Legal Theory for Practice. A Plea for Jurisprudence, in: Aulis Aarnio/Stanley L. Paulson/Ota Weinberger/Georg Henrik von Wright/Dieter Wyduckel (Hrsg.), Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit. Festschrift für Werner Krawietz zum 60. Geburtstag, Berlin 1993, S. 687-701. Lauermann, Manfred: Der Nationalstaat - Ein Oxymoron, in: Jürgen Gebhardt/Rainer Schmalz-Bruns (Hrsg.), Demokratie, Verfassung und Nation, Baden-Baden 1994, S. 3351. Lautmann, Rüdiger: Rolle und Entscheidung des Richters. Ein soziologischer Problemkatalog, in: ders./Werner Maihofer/Helmut Schelsky (Hrsg.), Die Funktion des Rechts in der modernen Gesellschaft, Bielefeld 1970 (Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie 1), S. 383-416. Lempert, Richard: The Autonomy of Law: Two Visions Compared, in: Gunther Teubner (ed.), Autopoietic Law: A New Approach to Law and Society, Berlin 1988, S. 152-190. Lerche, Peter: Stil, Methode, Ansicht, in: Deutsches Verwaltungsblatt 76 (1961), S. 690701. Uompart, José: Dichotomisierung in der Theorie und Philosophie des Rechts, Berlin 1993. Losano, Mario: Die elegante Hoffnung. Systembegriff und Systemdenken in der neueren Rechtsgeschichte. Hannoversche Vorlesung 1997-98, Mailand 1998. Löwenstein, Karl: Verfassungslehre, 3. Aufl., Tübingen 1975. Luckmann, Thomas: Persönliche Identität als evolutionäres und historisches Problem, in: ders., Lebenswelt und Gesellschaft, Paderborn 1980, S. 123-141.

Schrifttumsverzeichnis Luhmann, Niklas: Institutionalisierung - Funktion und Mechanismus im sozialen System der Gesellschaft, in: Helmut Schelsky (Hrsg.), Zur Theorie der Institution, Düsseldorf 1970, S. 27-41. - Positives Recht und Ideologie, in: Soziologische Aufklärung 1, Opladen 1970, S. 178203. Früher in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1967, S. 531 -570. - Die Praxis der Theorie, in: ebd., S. 253-267. - Funktionen der Rechtsprechung im politischen System, in: ders., Politische Planung. Aufsätze zur Soziologie von Politik und Verwaltung, Opladen 1971, S. 46-52. - Gesellschaftliche und politische Bedingungen des Rechtsstaates, in: ebd., S. 53-65. - Gerechtigkeit in den Rechtssystemen der modernen Gesellschaft, in: (1973), S. 131-167.

RECHTSTHEORIE

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- Politische Verfassungen im Kontext des Gesellschaftssystems, in: Der Staat 12 (1973), S. 1 - 2 2 ( 1 . Teil) und S. 165-182 (2. Teil). - Die Systemreferenz von Gerechtigkeit. In Erwiderung auf die Ausführungen von Ralf Dreier, in: RECHTSTHEORIE 5 (1974), S. 201 -203. - Rechtssystem und Rechtsdogmatik, Stuttgart 1974. - Macht, Stuttgart 1975. - Die Weltgesellschaft, in: ders., Soziologische Aufklärung 2, Opladen 1975, S. 51 - 71. - Selbstreflexion des Rechtssystems. Rechtstheorie in gesellschaftstheoretischer Perspektive, in: RECHTSTHEORIE 10 (1979), S. 159-185. - Kommunikation über Recht in Interaktionssystemen, in: Erhard Blankenburg/Ekkehard Klausa/Hubert Rottleuthner (Hrsg.), Alternative Rechtsformen und Alternativen zum Recht, Opladen 1980 (Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie VI), S. 99-112. - Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat, München/Wien 1981. - Handlungstheorie und Systemtheorie, in: ders., Soziologische Aufklärung 3, Opladen 1981, S. 50-66. - Erleben und Handeln, in: ebd., S. 67-80. - Machtkreislauf und Recht in Demokratien, in: Zeitschrift für Rechtssoziologie 2 (1981), S. 158-167. - Ausdifferenzierung des Rechts. Beiträge zur Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Frankfurt am Main 1981. - Evolution des Rechts, in: ebd., S. 11 -34. - Ausdifferenzierung des Rechtssystems, in: ebd., S. 35-52. - Kommunikation über Recht in Interaktionssystemen, in: ebd., S. 53-72. - Die Funktion des Rechts: Erwartungssicherung oder Verhaltenssteuerung, in: ebd., S. 73 91. - Konflikt und Recht, in: ebd., S. 92-112. - Positivität des Rechts als Voraussetzung einer modernen Gesellschaft, in: ebd., S. 113153.

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Schrifttumsverzeichnis

- Rechtszwang und politische Gewalt, in: ebd., S. 154-172. - Die Profession der Juristen: Kommentare zur Situation in der Bundesrepublik Deutschland, in: ebd., S. 173-190. - Rechtstheorie im interdisziplinären Zusammenhang, in: ebd., S. 191 -240. - Systemtheoretische Beiträge zur Rechtstheorie, in: ebd., S. 241 -272. - Funktionale Methode und juristische Entscheidung, in: ebd., S. 273-307. - Die juristische Rechtsquellenlehre aus soziologischer Sicht, in: ebd., S 308-325. - Zur Funktion der „Subjektiven Rechte", in: ebd., S. 360-373. - Gerechtigkeit in den Rechtssystemen der modernen Gesellschaft, in: ebd., S. 374-418. - Die Einheit des Rechtssystems, in:

RECHTSTHEORIE

14 (1983), S. 129-154.

- Die Paradoxie der Entscheidung, in: Verwaltungs-Archiv 84 (1983), S. 287-310. - Die Praxis der Theorie, in: ders., Soziologische Aufklärung 1, 5. Aufl., Opladen 1984, S. 253-268. - Das Paradox der Menschenrechte und drei Formen seiner Entfaltung, in: ders., Soziologische Aufklärung 6, Opladen 1985, S. 229-236. - Die soziologische Beobachtung des Rechts, Frankfurt am Main 1986. - The Self-Reproduction of Law and its Limits, in: Gunther Teubner (ed.), Dilemmas of Law in the Welfare State, Berlin/New York 1986, S. 111 -127. - Grundwerte als Zivilreligion. Zur wissenschaftlichen Karriere eines Themas, in: Heinz Kleger/Alois Müller (Hrsg.), Religion des Bürgers. Zivilreligion in Amerika und Europa, München 1986, S. 175-194. - Rechtssoziologie, 3. Aufl., Opladen 1987. - Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft, in: ders., Soziologische Aufklärung 4, Opladen 1987, S.S. 67-73. - Staat und Politik. Zur Semantik der Selbstbeschreibung politischer Systeme, in: ebd., S. 74-103. - Der Wohlfahrtsstaat zwischen Evolution und Rationalität, in: ebd., S. 104-116. - Die Zukunft der Demokratie, in: ebd., S. 126-132. - Enttäuschung und Hoffnungen. Zur Zukunft der Demokratie, in: ebd., S. 133-141. - Warum AGIL? In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1988, S. 127139. - Am Anfang war kein Unrecht, in: ders., Gesellschaftliche Struktur und Semantik, Bd. 3, Frankfurt am Main 1989, S. 11-64. - Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? 3. Aufl., Opladen 1990. - Paradigm lost: Über die ethische Reflexion der Moral, Frankfurt am Main 1990. - Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1990.

Schrifttumsverzeichnis - Interesse und lnteressenjurisprudenz im Spannungsfeld von Gesetzgebung und Rechtsprechung, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 12 (1990), S. 1 -13. - Verfassung als evolutionäre Errungenschaft, in: Rechtshistorisches Journal 9 (1990), S. 176-220. - Die Geltung des Rechts, in:

RECHTSTHEORIE

22 (1991), S. 273-286.

- Beobachtungen der Moderne, Opladen 1992. - Die Paradoxie des Entscheidens, in: Verwaltungs-Archiv 84 (1993), S. 287-310. - Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1993. - Legitimation durch Verfahren, 3. Aufl., Frankfurt am Main 1993. - Das Volk steigt aus, in: Politische Meinung 38 (1993), S. 91 -94. - „Quod omnes tangit...", in: Rechtshistorisches Journal 12 (1993), S. 36-56. - Gesellschaft als Differenz, in: Zeitschrift für Soziologie 6 (1994), S. 477-481. - Die Tücke des Subjekts und die Frage nach den Menschen, in: Peter Fuchs/Andreas Göbel (Hrsg.), Der Mensch - das Medium der Gesellschaft? Frankfurt am Main 1994, S. 40-56. - Soziale Systeme, 5. Aufl., Frankfurt am Main 1994. - Wie ist Bewußtsein an Kommunikation beteiligt? In: ders., Soziologische Aufklärung 6, Opladen 1995, S. 37-54. - Was ist Kommunikation? In: ebd., S. 113-124. - Die Form ,Person4, in: ebd., S. 142-154. - Das Paradox der Menschenrechte und drei Formen seiner Entfaltung, in: ebd., S. 229236. - Metamorphosen des Staates, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 4, Frankfurt am Main 1995, S. 101-150. - Kausalität im Süden, in: Soziale Systeme 1 (1995), S. 7-28. - Die Realität der Massenmedien, 2. Aufl., Opladen 1996. - Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main 1997. MacCormick, S. 65-70.

Neil: Der Rechtsstaat und die Rule of Law, in: Juristen-Zeitung 2 (1984),

Maihofer, Werner: Die Legitimation des Staates aus der Funktion des Rechts, in: Norbert Achterberg/Werner Krawietz (Hrsg.), Legitimation des modernen Staates, Wiesbaden 1981 (Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Beiheft 15), S. 15-39. March, James G./Simon, Herbert Α.: Organizations, 2. Aufl., New York 1959. Marcic, René: Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat, Wien 1957. Maus, Ingeborg: Entwicklung und Funktionswandel der Theorie des bürgerlichen Rechtsstaats, in: dies., Rechtstheorie und politische Theorie im Industriekapitalismus, München 1986, S. 11-82.

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Schrifttumsverzeichnis

- Verrechtlichung, Entrechtlichung und der Funktionswandel von Institutionen, in: Gerhard Göhler (Hrsg.), Grundfrage der Theorie politischer Institutionen, Opladen 1986, S. 132 — 171. Mayntz, Renate: Funktionelle Teilsysteme in der Theorie sozialer Differenzierung, in: dies. / Bernd Rosewitz/Uwe Schimank/Rudolf Stichweh (Hrsg.), Differenzierung und Verselbständigung, Frankfurt am Main/New York 1988, S. 11-44. - Zur Einleitung: Probleme der Theoriebildung in der Implementationsforschung, in: dies. (Hrsg.), Implementation politischer Programme II, Opladen 1983, S. 7-24. Mazzarese, Tecla: Judicial Implementation of Fundamental Rights: Three Sorts of Problem, in: Mikael M. Karlsson/Ólafur Pâli Jónsson/Eyja Margrét Brynjarsdóttir (Hrsg.), Recht, Gerechtigkeit und der Staat, Berlin 1993 (RECHTSTHEORIE Beiheft 15), S. 203-214. Menger, Christian-Friedrich: Moderner Staat und Rechtsprechung, Tübingen 1968. Merten, Detlef: Demokratischer Rechtsstaat und Verfassungsgerichtsbarkeit, in: Deutsches Verwaltungsblatt 19 (1980), S. 773-779. Moffat, Robert C. L.: Judicial Decision as Paradigm: Case Studies of Morality and Law in Interaction, in: University of Florida Review 37 (1985), S. 297-341. Müller, Friedrich: Richterrecht. Elemente einer Verfassungstheorie IV, Berlin 1986. - Richterrecht - rechtstheoretisch formuliert, in: Gert Reinhart (Hrsg.), Richterliche Rechtsfortbildung. Festschrift der Juristischen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Ruprecht-KarlsUniversität Heidelberg, Heidelberg 1986, S. 65-84. - Die Positivität der Grundrechte. Fragen einer praktischen Grundrechtsdogmatik, 2. Aufl., Berlin 1990. - Juristische Methodik, 6. Aufl., Berlin 1995. Münch, Richard: Zwischen Handlungstheorie und Systemtheorie: Die Analyse von Institutionen, in: Gerhard Göhler (Hrsg.), Grundfragen der Theorie politischer Institutionen, Opladen 1987, S. 173-187. Murphy, Walter F.: Elements of Judicial Strategy, Chicago/London 1964. Narr, Wolf-Dieter /Schubert, Main 1994.

Alexander: Weltökonomie, die Misere der Politik, Frankfurt am

Neumann, Franz: Die Herrschaft des Gesetzes. Eine Untersuchung zum Verhältnis von politischer Theorie und Rechtssystem in der Konkurrenzgesellschaft, Frankfurt am Main 1980. Neumann, Ulfrid: Theorien der Rechtsgeltung, in: Volkmar Gessner/Winfried Hassemer (Hrsg.), Gegenkultur und Recht, Baden-Baden 1990, S. 21 -41. Neves, Marcelo: Verfassung und Positivität des Rechts in der peripheren Moderne. Eine theoretische Betrachtung und eine Interpretation des Falls Brasilien, Berlin 1992. - A constitucionalizaçâo simbolica, Säo Paulo 1994. - Luhmann, Habermas e ο Estado de Direito, in: Lua Nova 37 (1996), S. 93-106. - Symbolische Konstitutionalisierung, Berlin 1998. - Von der Autopoiesis zur Allopoiesis des Rechts, in:

RECHTSTHEORIE

(im Druck).

Schrifttumsverzeichnis Nocke, Joachim: Alles fließt - Zur Kritik des „strategischen Rechts", in: Jahresschrift für Rechtspolitologie 4 (1990), S. 123-140. Noll, Peter: Gesetzgebungslehre, Reinbek bei Hamburg 1973. Ogorek, Regina: De l'esprit des legendes, in: Rechtshistorisches Journal 2 (1983), S. 277 296. - Zum politischen Selbstverständnis der Rechtsprechung am Vorabend des bürgerlichen Zeitalters - eine Fallstudie, in: lus Commune X (1983), S. 69-95. - Richterkönig oder Subsumtionsautomat? Zur Justiztheorie im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1986. - Individueller Rechtsschutz gegenüber der Staatsgewalt. Zur Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit im 19. Jahrhundert, in: Jürgen Kocka/Ute Frevert (Hrsg.), Bürgertum im 19. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich, München 1988, S. 372 -405. - Richterliche Normenkontrolle im 19. Jahrhundert: Zur Rekonstruktion einer Streitfrage, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 1989, S. 12-38. - Richter und Politik - aus historischer Sicht, in: Werner Hoppe /Werner Krawietz/Martin Schulte (Hrsg.), Rechtsprechungslehre. Zweites Internationales Symposium Münster 1988, Berlin /Bonn /München 1992, S. 333-348. - Recht, Moral, Politik: Zum Richterbild in der Mediengesellschaft, in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 1 (1997), S. 5 -18. Ollero Tassara, Andrés: Giudicare ο decidere: il senso della funzione giudiziaria, in: Rivista Internazionale di Filosofia del Diritto 71 (1994), S. 679-703. Olzen, Dirk: Die Rechtswirkungen geänderter höchstrichterlicher Rechtsprechung in Zivilsachen, in: Juristen-Zeitung 4 (1985), S. 155-163. Opalek, Kazimierz: Theorie der Direktiven und der Normen, Wien/New York 1986. - Der Dualismus der Auffassung der Norm in der Rechtswissenschaft. Der Versuch seiner Überwindung, in: RECHTSTHEORIE 20 (1989), S. 433-447. - Normen: Bedeutung und Performanz, in: Aulis Aarnio / Stanley L. Paulson /Ota Weinberger/Georg Henrik von Wright/Dieter Wyduckel (Hrsg.), Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit. Festschrift für Werner Krawietz zum 60. Geburtstag, Berlin 1993, S. 41 -51. Orrù, Giovanni: Das Problem des Richterrechts als Rechtsquelle, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 12 (1989), S. 441-444. Ossenbühl, Fritz: Richterrecht im demokratischen Rechtsstaat, Bonn 1988. Ost, François: Quelle jurisprudence pour quelle société? In: Archives de Philosophie du Droit 30(1980), S. 9 - 3 4 . - Juge-pacificateur, juge-arbitre, juge-entraîneur. Trois modèles de justice, in: Philippe Gérard/François Ost/Michel van de Kerchove (eds.), Fonction de juger et pouvoir judiciaire. Transformations et déplacements, Brüssel 1983, S. 1 -70. Parsons, Talco«: Gesellschaften. Evolutionäre und komparative Perspektiven, Frankfurt am Main 1975.

140

Schrifttumsverzeichnis

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Richard: Planungsrechtsprechug und ihre Funktionen, Königstein/Ts. 1980.

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RECHTSTHEORIE,

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Schrifttumsverzeichnis Syndicat de la Magistrature:

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20 (1989), S. 221 -243.

Türk, Klaus: Handlungsräume und Handlungsspielräume rechtsvollziehender Organisationen, in: Erhard Blankenburg/Klaus Lenk (Hrsg.), Organisation und Recht. Organisatorische Bedingungen des Gesetzesvollzugs, Opladen 1980 (Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie VII), S. 153-168. Unger, Roberto Mangabeira: The Criticai Legal Studies Movement, Cambridge/London 1986. Van Dunné, Jan M.: Montesquieu Revisited. The Balance of Power of Legislature and Judiciary in a National-International Context, in: Mikael M. Karlsson/Ólafur Pall Jónsson/ Eyja Margrét Brynjarsdóttir (Hrsg.), Recht, Gerechtigkeit und der Staat, Berlin 1993 (RECHTSTHEORIE Beiheft 15), S. 451 -463. Van Hoecke, Mark: What is Legal Theory? Leuven/Amersfort 1985. - Norm, Kontext und Entscheidung, Leuven / Amersfort 1988. Varga, Csaba: Judicial Reproduction of Law in an Autopoietical System? In: Werner Krawietz/ Antonio A. Martino /Kenneth I. Winston (Hrsg.), Technischer Imperativ und Legitimationskrise des Rechts, Berlin 1991 (RECHTSTHEORIE Beiheft 11), S. 305-313. - Changing of Paradigms in the Understanding of Judicial Process, in: Werner Krawietz /Mihâly Samu/ Péter Szilâgy (Hrsg.), Verfassungsstaat, Stabilität und Variabilität des Rechts im modernen Rechtssystem. Internationales Symposium der Budapester Juristischen Fakultät, RECHTSTHEORIE26 (1995), S. 415-424. 11 Albuquerque

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Schrifttumsverzeichnis

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Franz: Gesetz und Richterkunst, Karlsruhe 1958.

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Schrifttumsverzeichnis

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Georg Henrik von: Wissenschaft und Vernunft, Münster 1988.

- Sein und Sollen, in: ders., Normen, Werte, Handlungen, Frankfurt am Main 1996, S. 1943. Wrobel, Hans: Verurteilt zur Demokratie. Justiz und Justizpolitik in Deutschland 1945-1949, Heidelberg 1989. Wüstmann, Ephard: Rolle und Rollenkonflikt im Recht, Berlin 1972. Wyduckel, Dieter: Die Herkunft der Rechtsprechung aus der Iurisdictio, in: Norbert Achterberg (Hrsg.), Rechtsprechungslehre, Köln 1986, S. 247-270. Zackers, H. F.: Ratifizierung und Normenkontrolle, in: Deutsches Verwaltungsblatt 1955, S. 649-653. Zajtay, Imre: Begriff, System und Präjudiz in den kontinentalen Rechten und im Common Law, in: Archiv für die zivilistische Praxis 165 (1965), S. 97 -114. Zimmer, Gerhard: Funktion, Kompetenz, Legitimation. Gewaltenteilung in der Ordnung des Grundgesetzes. Staatsfunktionen als gegliederte Wirk- und Verantwortungsbereiche - Zu einer verfassungsgemäßen Funktions- und Interpretationslehre, Berlin 1979.

Personen- und Sachwortverzeichnis Akzeptanz 31,67,91 Alltagssprache 112 Ämterorganisation 63 Anerkennung 14, 19, 24, 27, 90, 93, 101, 103, 119 Anerkennungstheorie 13 Ansatz - siehe systemtheoretischer 15 Argumentation - siehe juridische 6 Ausdifferenzierung 2, 4, 7, 17, 18, 21, 22, 44,46,47, 54, 59, 60, 62, 74, 76, 91, 101, 102, 105, 112, 115,116, 118 - des Rechts 2, 4, 7, 17, 21, 44, 54, 59, 60, 74,102,105,112,115,116,118 - Primat der gesellschaftlichen 62 Autologie 40 Autonomisierung - siehe des Rechts 4,18,63 Autorität 3, 27, 50, 63, 64, 77, 83, 86, 94, 110 Begriff - siehe unbestimmter 39 Beobachter 6, 16,45 Beobachtung 18,56,72 - Selektivität der ~ 16 Bewußtsein 57 Blankenburg, Erhard 11, 26,28, 89,109 bouche de la loi 60 Brasilien 76, 108 Chanos, Antonis 11 contra legem 97 Corpus Juris Civilis 114 Crozier, Michel 31 Damaska, Mirjan R. 21, 30 Demokratisierung 54 Dichotomisierung 2

Diederichsen, Uwe 80 Differenzierung 4, 8, 11, 18, 69, 85, 103, 108,119 Direktive 15,17, 25,70,91,98 Diskurs 25,69,90,112,115 - vernünftiger 69 Douglas, Mary 16, 33 Dürkheim, Emile 24 Eckhoff, Torstein 10,97,101,106 Entlastungsmechanismus 4 Entscheidung 7, 13, 14, 20, 21, 23, 30, 45, 46, 57, 61, 64, 70, 74, 76, 78, 80, 82, 83, 91,93,97,98, 101, 102,112 - Konkretisierung der ~ 96 - Modalisierung von ~en 68 - programmierende 13, 37,98 - programmierte 37 - Zwang zur - 23,92,112 Entscheidungssouveränität 103 Enttäuschung 14, 22,23, 67,111 Entwicklung 2, 8, 18, 19, 22, 23, 29, 44, 45, 47, 52, 58, 59, 66, 67, 74, 75, 81, 83, 93, 97,99,102,104,114,115 Erkennen 88 Erwartung 2, 4, 6, 11, 13, 14, 17, 22, 23, 39, 44, 60, 65, 66, 70, 82, 86, 89, 94, 96, 99, 103, 111, 118 Esser, Josef 112 Evolution 5, 44, 46, 59, 63, 77, 105, 107,

108 Faoro, Raymundo 6 Filterfunktion 118 Form 3, 4, 6, 12, 19, 21, 24, 27, 28, 39, 48, 56, 58, 59, 63, 65, 67, 70, 76, 82, 83, 87, 89,91,95,96,98,99, 112, 115 Formen - siehe evolutionäre 44 Freund, Julien 94

150

Personen- und Sachwortverzeichnis

Funktion 1, 4, 8, 12, 13, 21, 23, 47, 56, 60, 68, 72, 75, 78, 80, 86, 88, 92, 99, 102, 103, 105,108,111,112,114,116 Funktionssystem 3, 11,53,61,70, 76, 80 Galanter, Marc 32 Gedächtnis - siehe soziales 44 Geiger, Theodor 5 Gemeinschaft 3,4, 8,48 Gephart, Werner 42,115 Gerechtigkeit 13,17, 32, 60,107 Gericht 20, 22, 27, 28, 30, 34, 48, 52, 54, 56, 65, 68, 70, 71, 75, 77, 79, 80, 83, 84, 89,96,97, 101, 108,112, 119 - Unabhängigkeit der ~e 80 - Unzugänglichkeit der ~e 108 Gerichtsbarkeit 7,12, 33,60, 87,119 Gerichtsordnung 22 Gerichtssystem 77, 82 Gerichtsverfahren 19 Gesellschaft 1, 5, 7,9,11,14,16, 18, 22, 25, 44, 49, 51, 53, 61, 63, 73, 75, 78, 80, 84, 89, 91, 93, 95, 98, 100, 108, 110, 112, 114,116, 119 Gesetz - Herrschaft des -es 60 - Rolle des -es 8, 9,79 Gesetzesbegriff - siehe unbestimmter 92 Gesetzgeber 19, 52, 79, 83,90, 94,98 Gewalt 3, 12, 23, 54, 60, 63, 64, 86, 87, 92, 94 - rechtsprechende 23 Gewaltenteilung 49, 50, 63, 80, 81, 83, 84, 119 Grad - siehe der Theorieentwicklung 114 Grimm, Dieter 49,51, 84,90,100,120 Gromitsaris, Athanasios 11 Grund 19,51,59,63,69,71 Grundrechte 8,50, 76, 101,108 Grzegorczyk, Christophe 19 Haba, Enrique P. 38 Habermas, Jürgen 69,71, 84, 120 Handlung 4,9,11, 15, 38, 89,114 Handlungszuschreibung 31

hard cases 65, 94 Hassemer, Winfried 113 Hauriou, Maurice 10 Haverkate, Görg 8 Herrschaft - siehe des Gesetzes 60 Hesse, Konrad 63,79 Hierarchie 31,45,60 Hierarchisierung - siehe neue 83 Holtwick-Mainzer, Andrea 6 Identität 4,21,54,55,61,82, 89 - des politischen Systems 61 Ihering, Rudolf von 9 Immunisierung 72 Immunität 13 Individualisierung 45,59,60 Individuum 2, 3, 5, 22, 24, 26, 27, 42, 55, 61,86,104, 108,119 Informalität 55 Information - kognitive 23,28,45,70,95,101 Inklusion 108 Inkompatibilitätsregel 56 Institution 1, 3, 4, 6, 8, 10, 12, 14, 16, 24, 46, 47, 55, 56, 62, 64, 66, 76, 77, 96, 98, 101, 107, 109, 113, 116 Institutionalismus 9,10, 89,96,112 - Neuer 11 Integration 4,108,113 Interaktionssystem 6,53,55,110 Interdependenz 4,61,118 Jacobsen, Knut Dahl 106 Judikative 49, 64, 79,93, 98 Judikatur 31, 36,93 Jurisprudenz 1, 9, 10, 17, 20, 85, 96, 115, 119 Justiz - siehe politische 62 Justizbetrieb 74 Kamenka, Eugene 10, 120 Kant, Immanuel 18,52,120 Keller, Heinrich 67

Personen- und Sachwortverzeichnis Kommunikation 11, 16, 17, 24, 27, 28, 53, 61, 66, 67, 73, 80, 83, 84, 89, 91, 93, 98, 103,109,112,114,119 - informale 41 - moralische 24 Kommunikationsprozeß 5, 37 Kompetenz 5,6, 36,41,46,63,73,75 Komplementarität 9,47, 103 Komplexität 2, 3, 12, 16, 21, 54, 55, 59, 61, 66,72, 82,104 Konditionierung 77, 87 Konflikt 2, 7, 14, 22, 26, 45, 48, 49, 61, 64, 65, 71, 86, 88, 93, 102, 105, 108, 111, 112,119 Konkretisierung - siehe der Entscheidung 96 Konsens 24,65,69, 82 Kontingenz 34,74, 86 Kopplung 47,63,105,118,119 - strukturelle 38 - strukturelle 81 Kopplung, strukturelle - normative 28 - normative 47,49,54, 81,109 - operative 28, 81 Krawietz, Werner 7, 11, 13, 15, 17, 20, 27, 28, 41, 47, 50, 53, 55, 63, 65, 73, 74, 81, 82, 88, 89, 91, 92, 94, 96, 98, 100, 101, 103, 105,110, 113, 114, 116,118 Kriele, Martin 41,97 Lebensform 3,4, 114 Legitimation 4, 6, 13, 26,46, 66, 67, 70, 71, 81,82, 87, 90, 98, 101, 111 - des Rechts 46, 70 Lehre - siehe dogmatische 5, 13 Lernprozeß 94 Losano, Mario 15 Lücke 69, 90,94, 95 Luhmann, Niklas 2, 4, 7, 11, 13, 16, 19, 22, 28, 31, 34, 39, 44, 46, 51, 54, 57, 63, 65, 67, 69, 71, 81, 83, 85, 87, 90, 92, 93, 98, 102, 104,108, 110,112,113, 115,119 Macht 2, 6, 8, 10, 27,45, 50, 51, 59, 61, 62, 64,65,72, 86, 88,90,103,106 Machtkreislauf 64

Machtorganisation 5 Marcie, René 82,94 Medium 39 Menschennatur 8 Menschenrechte 103,105,107,108 Merten, Detlef 79, 82 Modalisierung - siehe von Entscheidungen 68 Motiv 28,115 Müller, Friedrich 9, 47, 82, 94, 97, 99, 101, 114 Multi-Level-Approach 100,109,114 Münch, Richard 24,25 Naturrecht 8,17,24,45 Negationsleistung 65 Neutralität 63,119,120 Neves, Marcelo 6,27,35,46,76,108 Noll, Peter 33 Norm 4,5,11,12,16,17, 19, 25,26, 28,55, 62, 70, 73, 78, 82, 86, 88, 91, 93, 95, 98,

111,118 - Sinn der ~en 111 Normaktivität 95 Oliera Tassara, Andres 84,88 Organisation 1, 2,16, 22, 24, 25, 33,47, 50, 55, 57, 58, 68, 78, 80, 84, 98, 100, 106, 110,112,118 Ost, François 65,101 Paradoxic 51,79, 88,92 Parsons, Talcott 3 Peripherie 6,75,76,85,112 Person 5,65,88,91,105,108,115 Personalrekrutierung 35 Perspektive - siehe zeitliche 111 Peters, Bernhard 9,14 Pokol, Béla 40 Politik 3, 6, 11, 16, 22, 23, 44, 47, 51, 52, 57, 64, 66, 68, 70, 71, 74, 75, 77, 78, 80, 81, 87, 88,93,103, 108,116,118,119 Positivierung 21, 24,102 Positivismus 95,101 praeter legem 97 Praxis 4, 51, 65, 74, 77, 84, 89, 90, 93, 99, 104,111,113,114,116

152

Personen- und Sachwortverzeichnis

Primat - siehe der Rechtspraxis 94, 116 Privatautonomie 32 Programm 27,68,70, 71,90 Rachekompensation 3 Rahmentheorie - siehe des Rechts 9,117 Rationalisierung - siehe des Rechts 84 Rationalität 7, 12, 14, 17, 18, 20, 59, 63, 68, 94,98,100, 119, 120 - juridische 98 Rationalitätskriterium 13,93 Recht 1, 2, 4, 18, 21, 23, 25, 29, 44, 54, 56, 58,75, 77, 82, 84, 86, 88, 95, 97, 110, 112 - Ausdifferenzierung des ~ 44,112 - modernes 45 - Politisierung des - 64 - Ausdifferenzierung des ~ 2, 4, 7, 17, 21, 54, 59, 60, 74, 102, 105, 112, 115, 116, 118 - Autonomisierung des - 4, 18,63 - individuelle ~e 6,45, 104 - Legitimation des - 46,70 - modernes 2, 4, 5, 7, 9, 10, 12, 21, 22, 27, 50, 53, 82, 83, 100, 103,107, 110,115 - Politisierung des - 62 - Rahmentheoriedes 117 - Rahmentheorie des ~ 9 - Rationalisierung des ~ 84 - Remoralisierung des ~ 117 - römisches 1 - Selektion des - 119 - Soziologie des ~ 5, 11, 89, 94, 109, 114, 115 - staatliches 6 Rechtsbildung 89, 111 Rechtsentscheidung 5, 89 Rechtsetzung 20, 22, 55,56, 117 Rechtsgeltung 24, 26, 28, 111 Rechtsnorm 9, 41,70, 110, 113 Rechtsordnung 2, 3, 5, 15, 18, 21, 25, 27, 44,49,51,54, 75, 82,96, 98 Rechtsorgan 27 Rechtspositivierung 45 Rechtspositivismus - siehe Institutionalistischer 10

Rechtspraxis - siehe Primat der 94,116 Rechtsprechung 1, 7, 10, 12, 14, 19, 20, 22, 23, 25, 26, 28, 44, 47, 48, 52, 54, 56, 58, 62, 67, 70, 84, 86, 90, 92, 94, 96, 97, 99, 101, 103, 105, 106, 110,112, 117 Rechtsprogramm 56 Rechtsquelle 19, 22, 77, 99 Rechtsrationalität 7,11,14 Rechtsrealismus - siehe deutscher 9 Rechtsregei 16, 17, 22, 27,41,55, 95,96 Rechtssatz 41,109 Rechtsschutz 50,102 - individueller 102 Rechtssouveränität 50, 81,102 Rechtsstaat 48, 53, 55, 64, 69, 77, 80, 82, 84, 106,107,120 Rechtsstaatsprinzip 50,52,56 - demokratisches 51 Rechtssubjekt 5,45,55, 105 Rechtssystem 1, 2, 6, 7, 9, 12, 13, 15, 18, 20, 23, 25, 27, 28, 44, 47, 48, 51, 54, 55, 58, 60, 66, 69, 71, 73, 77, 79, 84, 86, 92, 100, 101, 103, 105, 107, 111, 112, 114,

116 - Gedächtnis des 34 Rechtstheorie 4, 8, 10, 13, 17, 18, 20, 44, 47, 48, 50, 52, 54, 59, 60, 73, 74, 82, 84, 87,91,99,101,106,107,111,118, 120 Rechtstheorieangebot 113 Rechtsverbindlichkeit 79 Rechtswissenschaft 7, 9, 13, 15, 19, 20, 64, 81,84,94,99, 100, 113, 115 Redundanz - siehe interne 111 Referenzgruppe 4 Reflexivität 17 Rekursivität 62 Remoralisierung siehe des Rechts 117 Richter 10, 13, 19, 21, 23, 25, 26, 36, 52, 54, 58, 60, 63, 65, 67, 68, 70, 74, 78, 82, 84, 87, 88, 90, 92, 94, 97, 99, 101, 110, 111, 118 Richterrecht 19, 20, 22, 24, 70, 89, 94, 97, 99, 101 Riggs, Fred W. 68

Personen- und Sachwortverzeichnis Robespierre 19 Rom 3 Sanktion 3,43,63, 87, 88 Sand-Romano 10 Schelsky, Helmut 7, 10, 11, 37, 49, 68, 69, 84, 89,96, 98,105,112 Schemann, Andreas 11,28,47 Scheuner, Ulrich 50, 59, 77, 81 Schiaich, Klaus 62,75, 83 Schlüter, Wilfried 78 Schneider, Hans-Peter 81, 83, 84 Schröder, Rainer 11 Schule - siehe realistische 115 Schulte, Martin 9 Schulze-Fielitz, Helmuth 49,55, 57 Selbstbeobachtung 28,73,100 Selbstbeschreibung 58, 61, 73, 83,116 Selbstreferenz 28,61, 70, 73 Selbstreferenzialität 45,112 Selektion 4, 15, 17,44, 71, 118, 119 - des Rechts 119 Selektivität - siehe der Beobachtung 16 Semantik - siehe soziale 27,45 Sennett, Richard 111 Simmonds, N. E. 8, 113 Simon, Herbert A. 98 Sousa Santos, Boaventura de 55 Soziologie - siehe des Rechts 5, 11, 89, 94, 109, 114, 115 Sprung - siehe evolutionärer 5, 103 Staat 6, 7, 9, 13, 26, 45, 50, 53, 56, 58, 63, 66, 67, 78, 82, 87, 92, 101, 102, 104, 110, 114, 117 Staatsapparatur 56 Staatstätigkeit 74 status negativus 6 Stein, Ekkehardt 52 Stil - gesellschaftlicher 60 - semantischer 60 Struktur - siehe normative 4

System 6, 11, 14, 18, 20, 25, 44, 46, 51, 53, 58, 61,73, 75, 77,78, 82, 85, 87,90,100, 110,115,119 - ausdifferenziertes 58 - politisches 46,61,75, 80,101,106 - sekundäres 89, 110 - selbstreferenzielles 17 - soziales 58 Systemrationalität 11,90 Systemtheorie 11,24,25,93,116,118 Teubner, Gunther 43, 109 Theorie 10, 17,91,93,95,113,115,117 Theorieangebot 7 Theorieentwicklung - siehe Grad der - 114 Theorieintegration 17,118 Theoriesubstitution 17 Transplantation 35 Tugendhat, Ernst 107 Unrecht 2, 23, 26, 84 Unzugänglichkeit - siehe der Gerichte 108 Varga, Csaba 20,120 Variabilität - siehe soziale 107 Vasconcelos, Arnaldo 26, 87, 88 Veddeler, Klaus 11 Veränderung 7, 11, 17, 72, 75, 87, 97, 98, 101, 103, 115 Verfahren 4,6,12,13,22,27,42,49,56,62, 64, 67, 69, 76, 88, 90, 94, 98, 99, 109, 111, 115 - gerichtliches 12,103 Verfahrensergebnis 13 Verfassung 6, 19, 44, 46, 48, 49, 58, 61, 63, 71, 76, 77, 79, 83, 97, 98, 103, 104, 108, 109, 119 Verfassungsgerichtsbarkeit 44, 48, 49, 56, 57, 64, 76, 84, 90, 100, 101, 104, 105, 120 Verfassungsmäßigkeitskontrolle 76 Verfassungsrechtsprechung 63, 71, 75, 76, 79,81,83, 84, 119 Vernunft - siehe praktische 18,120

154

Personen- und Sachwortverzeichnis

Volksherrschaft 82 Volkssouveränität 50,82 Vullierme, Jean-Louis 12

Wirksamkeit 28,29,91 Wirkung - siehe neue sozialstrukturelle 116

Wahrheit 13,90 Weber, Max 9,10, 84 Weimar, Robert 8 Weinberger, Ota 7,9,11,110,113,120 Welzel, Hans 27 Werner, Fritz 75 Werner, Petra 7, 11, 13, 15, 17, 19, 20, 27, 28, 46, 50, 54, 65, 73, 75, 81, 82, 88, 89, 92, 94, 96, 98, 100, 101, 103, 105, 107, 109, 110,112, 115, 117,118 Wert 22, 25, 26, 28, 40, 59, 89, 91, 94, 96, 99,106,109,117 Widerstandsrecht 44,48,53 Willke, Helmut 55,56,66

Wirtschaft 2, 3, 6, 11, 59, 62, 75, 78, 81, 104,108,116 Wissenschaftssystem 115,119 Wright, Georg Henrik von 9, 88, 89, 110, 113,118 Zentrum 6,25,75,76, 85,109 Zimmer, Gerhard 33, 37 Zugangschancen - siehe zur Justiz 67 Zunft - siehe Einwirkungen der - 76 Zwang 23,27,56, 88,92,94,112 - zur Entscheidung 23,92,112