Funktion/en: Materielle Kultur – Sprache – Religion: Beiträge des siebten Berliner Arbeitskreises Junge Aegyptologie (BAJA 7) 2.12.–4.12.2016 9783447110402

English summary: This volume comprises 15 contributions by international speakers presented at the 7th Conference of the

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Vorwort der Herausgeber
Simone Gerhards: Funktion und Bedeutung der Metapher [Tod ist Schlaf] im alten Ägypten. Eine Kontextualisierung in Text, Bild und Objekt
Anna Grünberg: Beobachtungen zu den Bestattungsweisen des Alten Reiches in Giza anhand der Archivalien des Ägyptischen Museums – Georg Steindorff – der Universität Leipzig
Patrizia Heindl: Monumentalisierte Feindvernichtung: die Felidenfellträgerstatuen des Monthemhat
Catherine Jones: Tomb, temple or residence? On the functional interpretation of the sign ‘zoomorphic structure’ (Gardiner sign O19) on pre- and early dynastic objects
Friederike Junge: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ – Zur Multifunktionalität von Gefäßkeramik in der Nekropole von Helwan
Agnes Klische: Gehaltvolle Bilder. Gedanken zum Begriff des horror vacui und der Problematik der sogenannten Mythologischen Papyri
Nora Kuch: Dealing with Death: Destruktive Modifikation an Beigaben als Teil frühzeitlicher Bestattungssitten? Fallbeispiele aus der Nekropole von Helwan, Operation 4
Uroš Matić: Ägyptische Gottheiten und ars erotica: Ein Versuch der ontologischen Anthropologie erotischer Netzwerke im alten Ägypten
Vera Michel: Figurinen: Objekt – Kontext – Interpretation
Ghada Mohamed: „Ich bin gekommen, um dein Schutz zu sein“ Position und Rolle des Anubis(-Priesters) bei der Begräbnisprozession nach Vignetten des Totenbuches
Julianna Kitti Paksi: Die 900 „jmtjw/j.m(w)tjw“ der großen Hammamat-Inschrift Ramses’ IV .
Julia Preisigke: Sakrale Architektur und ihre Funktion. Bittplätze – öffentliche Kultstellen oder Orte restriktiver Praktiken?
Jana Raffel: Rollen und Interaktionsmuster altägyptischer Gottheiten in Heiltexten – ein Vorbericht
Julienne Schrauder: Vorläufiger Bericht über sieben koptisch-bohairische Papierhandschriften hymnographischen/liturgischen Inhalts in der Papyrussammlung Heidelberg
Dina Serova: Entblößte Gestalten: Multifunktionale Nacktheit in Privatgräbern des Alten Reiches
Kontaktdaten der Beitragenden
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Funktion/en: Materielle Kultur – Sprache – Religion: Beiträge des siebten Berliner Arbeitskreises Junge Aegyptologie (BAJA 7) 2.12.–4.12.2016
 9783447110402

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© 2018, Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden ISBN Print: 978-3-447-11040-2 ISBN E-Book: 978-3-447-19772-4

G ÖTT I N G E R O R I E NT F O R S C H U N G E N IV. REIHE ÄGYPTEN 64 Herausgegeben von Heike Behlmer, Camilla Di Biase-Dyson und Friedrich Junge

2018

Harrassowitz Verlag · Wiesbaden

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Funktion/en: Materielle Kultur – Sprache – Religion Beiträge des siebten Berliner Arbeitskreises Junge Aegyptologie (BAJA 7) 2.12.–4.12.2016

Herausgegeben von Alexandra Verbovsek, Burkhard Backes und Jan Aschmoneit

2018

Harrassowitz Verlag · Wiesbaden

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Bibliographic information published by the Deutsche Nationalbibliothek The Deutsche Nationalbibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available on the internet at http://dnb.dnb.de

Informationen zum Verlagsprogramm finden Sie unter http://www.harrassowitz-verlag.de © Otto Harrassowitz GmbH & Co. KG, Wiesbaden 2018 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen jeder Art, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung in elektronische Systeme. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck und Verarbeitung: Hubert & Co., Göttingen Printed in Germany ISSN 0340-6342 ISBN 978-3-447-11040-2 ISBN 978-3-447-19772-4

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Inhalt Vorwort der Herausgeber ...............................................................................................

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Simone Gerhards Funktion und Bedeutung der Metapher [Tod ist Schlaf] im alten Ägypten. Eine Kontextualisierung in Text, Bild und Objekt .........................................................

9

Anna Grünberg Beobachtungen zu den Bestattungsweisen des Alten Reiches in Giza anhand der Archivalien des Ägyptischen Museums – Georg Steindorff – der Universität Leipzig ...................................................................................................

31

Patrizia Heindl Monumentalisierte Feindvernichtung: die Felidenfellträgerstatuen des Monthemhat .................................................................

45

Catherine Jones Tomb, temple or residence? On the functional interpretation of the sign ‘zoomorphic structure’ (Gardiner sign O19) on pre- and early dynastic objects .................................................

65

Friederike Junge

„Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ – Zur Multifunktionalität von Gefäßkeramik in der Nekropole von Helwan .................... 101 Agnes Klische Gehaltvolle Bilder. Gedanken zum Begriff des horror vacui und der Problematik der sogenannten Mythologischen Papyri ................................................................................................... 115 Nora Kuch Dealing with Death: Destruktive Modifikation an Beigaben als Teil frühzeitlicher Bestattungssitten? Fallbeispiele aus der Nekropole von Helwan, Operation 4 ............................................ 125

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6 Uroš Matić Ägyptische Gottheiten und ars erotica: Ein Versuch der ontologischen Anthropologie erotischer Netzwerke im alten Ägypten .......................................................................... 141 Vera Michel Figurinen: Objekt – Kontext – Interpretation ................................................................................... 161 Ghada Mohamed „Ich bin gekommen, um dein Schutz zu sein“ Position und Rolle des Anubis(-Priesters) bei der Begräbnisprozession nach Vignetten des Totenbuches ..................................................................................... 181 Julianna Kitti Paksi Die 900 „jmtjw/j.m(w)tjw“ der großen Hammamat-Inschrift Ramses’ IV . .................... 199 Julia Preisigke Sakrale Architektur und ihre Funktion. Bittplätze – öffentliche Kultstellen oder Orte restriktiver Praktiken? ............................. 209 Jana Raffel Rollen und Interaktionsmuster altägyptischer Gottheiten in Heiltexten – ein Vorbericht ................................................................................................................. 221 Julienne Schrauder Vorläufiger Bericht über sieben koptisch-bohairische Papierhandschriften hymnographischen/liturgischen Inhalts in der Papyrussammlung Heidelberg ............... 235 Dina Serova Entblößte Gestalten: Multifunktionale Nacktheit in Privatgräbern des Alten Reiches ..................................... 241 Kontaktdaten der Beitragenden ....................................................................................... 261

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Vorwort der Herausgeber Der vorliegende Band umfasst 15 Beiträge, die im Rahmen der siebten Tagung des Berliner Arbeitskreises Junge Aegyptologie (BAJA) im Dezember 2016 vorgestellt wurden. Die Teilnehmer waren dazu eingeladen, sich mit dem Thema „Funktion/en“ auseinanderzusetzen. Dabei wurden neben archäologischen, bild- und sprachwissenschaftlichen Fragen auch Ansätze aus dem kulturwissenschaftlichen Spektrum diskutiert, die sich mit universalen Phänomenen oder Kulturtechniken beschäftigen. Anhand von Beispielen aus allen Epochen der ägyptischen Geschichte boten sich den Teilnehmern Einblicke in die aktuelle Forschung zu einem Thema, dessen Relevanz sich nicht zuletzt auch in dem überdurchschnittlichen Umfang dieses BAJA-Bandes zeigt. Wie jedes Jahr möchten wir uns bei allen Teilnehmern und Helfern herzlich bedanken, ohne deren Engagement die Planung, Realisierung und Publikation des siebten BAJAWorkshops nicht möglich gewesen wäre. Unser besonderer Dank gilt Richard Bussmann und Dietrich Raue für die Übernahme der Moderation und Diskussionsleitung. Für die finanzielle Unterstützung der Tagung bedanken wir uns herzlich bei der Archäologischen Forschungsstätte für Kulturwissenschaft der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und vor allem bei Hubert Roeder. Den Reihenherausgebern Heike Behlmer und Camilla Di Biase-Dyson gebührt einmal mehr unser Dank für die Möglichkeit, diesen Tagungsband in der Reihe Göttinger Orientforschungen (GOF) zu veröffentlichen. Bei der Redaktion der Beiträge erhielten wir Unterstützung von Catherine Jones sowie Theresa Annacker, Antje Loka, Theresa Mader und Jakob Schneider. Den Verantwortlichen des Harrassowitz Verlags danken wir herzlich für die gewohnt angenehme Zusammenarbeit bei der Erstellung der Druckvorlage. Die Beiträge wurden keinem Peer-Review-Verfahren unterzogen. Die Autoren sind für die von ihnen verfassten Inhalte selbst verantwortlich. Alexandra Verbovsek, Burkhard Backes und Jan Aschmoneit Berlin, Mai 2018

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Funktion und Bedeutung der Metapher [Tod ist Schlaf] im alten Ägypten. Eine Kontextualisierung in Text, Bild und Objekt Simone Gerhards

With the help of methods used in the theory of conceptual metaphors, the metaphor [death is sleep] and other thematically related metaphors will be examined on the basis of textual, pictorial and archaeological sources. The contextualization of various types of sources as well as an analysis of the function, significance and the potential cultural universality of these metaphors are paramount to this study. 1 Einführung und Fragestellungen: Schlafkulturforschung und Ägyptologie Etwa ein Drittel unseres Lebens verbringen wir im Schlaf – was bei einer durchschnittlichen Lebenszeit ca. 27 Jahre ausmacht.1 Das ist eine sehr lange Zeitspanne für einen Zustand, von dem wir selbst nichts mitbekommen, gegen den wir uns aber auch nicht wehren können, da der menschliche Körper ohne Schlaf nicht lebensfähig wäre.2 Somit ist der Schlaf zwar ein intimer, gleichzeitig banaler und untätiger, aber auch schutzloser Zustand, dessen Relevanz als Untersuchungsgegenstand lange Zeit nicht für kultur- oder geschichtswissenschaftliche Forschungen wahrgenommen wurde. Obwohl das Schlafen zu den biotisch universalen Verhaltensweisen zählt, kann davon ausgegangen werden, dass jede Kultur auch spezifische Schlafmuster besitzt.3 Gründe für universale Verhaltensweisen sind vorrangig Evolution, Kulturkontakt oder auch Konvergenz.4 Erst seit den 1960er-Jahren erfolgen Bemühungen, das Schlafverhalten verschiedener Kulturen, Gesellschaften und sozialer Gruppen zu beschreiben und miteinander zu verglei1 M. M. Ohayo, Epidemiological Overview of Sleep Disorders in the General Population, in: Sleep Medicine Research 2 (2011), 1. 2 S. Schandry, Biologische Psychologie, Basel 2016, 368, 384–385; D. Ertelt, Schlaf. Eine Einführung, München 2008, 12. 3 S. speziell zum Schlaf als menschliches Universal B. Malinowski, Eine wissenschaftliche Theorie der Kultur, in: B. Malinowski (Hg.), Eine wissenschaftliche Theorie der Kultur. Und andere Aufsätze, Frankfurt a. M. 1975, 111–113. Zu den kulturellen Universalien zählen im Allgemeinen Verhaltensweisen, Muster oder Institutionen, die allen oder einem überwiegenden Teil der Kulturen gemein sind wie Rituale, Sexualität oder Zeitvorstellungen. Diese werden vor allem im Rahmen kulturvergleichender Untersuchungen ermittelt. Wissenschaftliche Disziplinen wie die Biologie, Psychologie, Sprachwissenschaft und Ethnologie sind in besonderem Maße an der Forschung beteiligt. In den sog. Universalienlisten erscheint auch der Schlaf, obwohl es sich um eine biologische Notwendigkeit handelt – aber interessant ist die Frage, wie eine Kultur mit dem Schlaf umgeht. Zu den Universalienlisten s. bspw. C. Antweiler, Was ist den Menschen gemeinsam? Über Kultur und Kulturen, Darmstadt 2009, 393–409. 4 C. Antweiler, Menschen, 278–290. Mit Konvergenz sind nach Antweiler Erfahrungen gemeint, die alle Menschen auf der Welt gleichermaßen teilen wie z. B. das Beobachten von Sonne und Sternen.

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Simone Gerhards

chen, um die spezifischen Verhaltensweisen sowie kulturspezifischen Bedeutungen und Funktionen herauszustellen.5 Daraus ergab sich die grundlegende Erkenntnis, dass das menschliche Schlafverhalten nicht ausschließlich durch biotische Faktoren bestimmt sein kann, sondern auch durch weitere Kriterien beeinflusst sein muss. Wichtig ist, dass es zwar Verhaltensmuster gibt, die sich grundlegend durch Konvergenz oder Kulturkontakt erklären lassen, die aber dennoch spezifische Merkmale besitzen.6 Diese wiederum lassen sich nur durch kulturimmanente Diskurse erklären.7 Der erst jüngst entstandene Forschungszweig – die Schlafkulturforschung – beschäftigt sich mit der Wahrnehmung der geschichtlichen, gesellschaftlichen, kulturellen, sprachlichen, medizinisch-magischen und religiösen Phänomene des Schlafens. Forschende untersuchen nicht nur den Schlaf an sich, sondern alle natürlichen und künstlichen Bedingungen, die mit ihm in Verbindung stehen. Darüber hinaus zählen Empfindungen und Bedeutungen, die Individuen mit dem Schlaf verbinden (z. B. Verletzlichkeit, Abgrenzung, Regeneration, Verbindung zu Verstorbenen usw.) dazu. Die natürlichen und künstlichen Bedingungen können wiederum in zwei Unterkategorien – mikroökologisch und makroökologisch – aufgeteilt werden. Zu der mikroökologischen Ebene zählen sowohl räumliche Bedingungen als auch Personen und Objekte, die unmittelbar auf das Schlafverhalten einwirken (z. B. Schutzvorkehrungen, Liegeposition, Anwesenheit von Menschen und/oder Tieren usw.). Zu den makroökologischen Faktoren zählt vor allem der individuelle Tagesrhythmus einer Person oder Gruppe, der das Schlafverhalten beeinflusst (z. B. Zeiten für Arbeit, Kampf, Rituale, Gespräche usw.).8 Im Fokus dieses Artikels steht ein Teilaspekt meines Promotionsvorhabens9: Der Gebrauch und die Funktion der Metapher [Tod ist Schlaf]10, die in den unterschiedlichsten 5 Kulturvergleichend: C. M. Worthman / M. K. Melby, Toward a Comparative Developmental Ecology of Human Sleep, in: M. A. Carskadon (Hg.), Adolescent Sleep Patterns. Biological, Social, and Psychological Influences, New York 2002; L. Brunt / B. Steger (Hgg.), Worlds of Sleep, Leipzig 2008; A. Green / A. Westcombe (Hgg.), Sleep: Multi-Professional Perspectives, London 2012. Um nur einige aus dem Bereich der Altertumswissenschaften zu nennen: U. Steinert, Der Schlaf im Licht der altmesopotamischen Überlieferung, in: D. Shehata / F. Weiershäuser / K. V. Zand (Hgg.), Von Göttern und Menschen. Beiträge zu Literatur und Geschichte des Alten Orients. Festschrift für Brigitte Groneberg, Cuneiform Monographs 41, Leiden 2010, 237–287; S. Strobel, Die Macht des Schlafes in der griechisch-römischen Welt. Eine Untersuchung der mythologischen und physiologischen Aspekte der antiken Standpunkte, Studien zur Geschichte des Altertums 11, Hamburg 2002; C. Walde / G. Wöhrle (Hgg.), Schlaf und Traum, Genderstudies in den Altertumswissenschaften 6, Trier 2014. Speziell für das heutige Ägypten: C. M. Worthman / A. R. Brown, Companionable Sleep: Social Regulation of Sleep and Cosleeping in Egyptian Families, in: Journal of Family Psychology 21 (2007), Washington D. C., 124–135. 6 Ein Beispiel für ein Spezifikum ist die Verwendung der Kopfstütze, die zwar in Afrika und Asien sicher nachzuweisen ist, nicht aber in Südamerika, s. C. M. Worthman / M. K. Melby, Ecology of Human Sleep, 74. 7 A. Moosmüller, Vorwort. Theorien und Fachdiskussionen, in: A. Moosmüller (Hg.), Konzepte kultureller Differenz, Münchner Beiträge zur interkulturellen Kommunikation 22, München 2009, 8; zu Konvergenz in Bezug auf Schlaf und Trance s. C. Antweiler, Menschen, 284. 8 Die gesamte Definition basiert größtenteils auf C. M. Worthman / M. K. Melby, Ecology of Human Sleep, 73–95. 9 Arbeitstitel: Konzepte von Müdigkeit, Schlaf und Erwachen im alten Ägypten, Johannes GutenbergUniversität Mainz, Arbeitsbereich Ägyptologie (Betreuerinnen: Univ.-Prof. Dr. Ursula Verhoeven-van Elsbergen und Univ.-Prof. Dr. Doris Prechel). Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft

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Funktion und Bedeutung der Metapher [Tod ist Schlaf]

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Quellen des alten Ägyptens zu finden ist. Das Promotionsprojekt selbst hat zum Hauptziel, die Vorstellungen, Bedeutungen, Empfindungen etc., die die alten Ägypter mit dem Schlaf, aber auch der Müdigkeit und dem Erwachen verbunden haben, aufzudecken, um so die dahinterstehenden Konzepte zu rekonstruieren. Dadurch soll nicht nur ein Beitrag für die Ägyptologie geleistet werden, sondern auch fachübergreifend und interdisziplinär für die Schlafkulturforschung. Die hier11 im Blickpunkt stehende Metapher [Tod ist Schlaf] ist nicht nur für das alte Ägypten nachweisbar, sondern auch in vielen weiteren Regionen, Kulturen und Religionen.12 Dies verwundert nicht, denn zum einen zählt das metaphorisch strukturierte Denken zu den universalen Phänomenen.13 Zum anderen gilt die Metapher als sog. Primärmetapher14, da sie auf eine grundlegende körperliche Erfahrung zurückzuführen ist, die von allen Menschen geteilt wird und somit als ein kognitives Universal angesehen werden kann.15 Besonders relevant ist, dass Metaphern nicht nur als rhetorisches oder sprachliches Mittel zu verstehen sind, sondern das gesamte Denken und auch Handeln beeinflussen.16 Seit die international durch viele TV-Dokumentationen bekanntgewordene Gorilladame Koko mehrfach in Gorilla-Gebärdensprache den Todeszustand mit dem Zeichen für Schlaf ausdrückte, kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass auch Tiere die Fähigkeit zu metaphorisch strukturiertem Denken und Handeln besitzen.17 Im Folgenden sollen an ausgewählten Beispielen Aspekte der Metapher vorgestellt werden, wobei es sich nicht um eine vollständige Auflistung handelt, sondern ein Einblick in die Thematik und Vorgehensweise des Dissertationsvorhabens gegeben werden soll.

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(DFG) – Graduiertenkolleg 1876 „Frühe Konzepte von Mensch und Natur: Universalität. Spezifität. Tradierung“ (www.grk-konzepte-mensch-natur.uni-mainz.de), 24.05.2017. Die Schreibung in eckigen Klammern zeigt an, dass der Wortlaut der Metapher so nicht im Sprachgebrauch vorliegen muss, sondern repräsentiert konzeptuell alle metaphorischen Ausdrücke, die sich hierunter subsumieren lassen; s. Z. Kövecses, Metaphor. A Practical Introduction, New York 22010, 4. Der Artikel basiert auf meinem Vortrag: „Schlaf und Tod im alten Ägypten oder: How do gorillas feel when they die“, 7. Treffen des Berliner Arbeitskreises Junge Ägyptologie 2016. S. bspw. Z. Kövecses, Metaphor, 58; E. C. Fernández, Euphemistic Conceptual Metaphors in Epitaphs from Highgate Cemetery, in: F. Gonzálvez-García / M. S. Peña Cervel / L. Pérez Hernández (Hgg.), Metaphor and Metonymy Revisited Beyond the Contemporary Theory of Metaphor. Recent Developments and Applications, Amsterdam / Philadelphia 2013, 217–218; M. B. Ogle, The Sleep of Death, in: Memoirs of the American Academy in Rome 11 (1933), 81–117; O. Michel, Zur Lehre vom Todesschlaf, in: ZNTW 35, 1936, 285–290; J. H. Ruiz, At the Crossroads Between Literature, Culture, Linguistics, and Cognition: Death Metaphors in Fairy Tales, in: Revista Española de Lingüística Aplicada 20 (2007), 63–65. C. Antweiler, Menschen, 209–210. Z. Kövecses, Metaphor in Culture. Universality and Variation, New York 2005, 3, 4, 11. C. Antweiler, Menschen, 209–210, 284. G. Lakoff / M. Johnson, Metaphors We Live By, Chicago 1980, 4–6. F. Patterson / E. Linden, The Education of Koko, New York 1981, 143; F. Patterson, The Mind of the Gorilla: Conversation and Conservation, in: K. Benirschke (Hg.), Primates: The Road to Self-Sustaining Populations, New York 1986, 944–945.

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Simone Gerhards

2 Forschungsstand: Schlaf und Tod im alten Ägypten Für die Ägyptologie fehlt bisher ein Überblickswerk zum Thema Schlaf, wie es in anderen kultur- und altertumswissenschaftlichen Disziplinen bereits existiert.18 Die umfangreichsten und allgemeinsten Informationen zur Thematik finden sich nach wie vor in einem Eintrag im „Lexikon der Ägyptologie“ von Robert Schlichting.19 Weitere thematisch übergreifende Publikationen existieren nicht, allerdings gibt es Überlegungen zu einzelnen Aspekten wie z. B. den religiösen Vorstellungen20 oder philologischen Besonderheiten21. Wenig bis keine Untersuchungen gibt es zu Fragestellungen wie der Dauer des Schlafs, den Schlafenszeiten, dem Schlafort, der Ausgestaltung des Schlafplatzes oder wer bzw. wie viele Personen in einem Raum geschlafen haben.22 Die sprachliche Verbindung aus Schlaf und Tod wurde in der ägyptologischen Fachdiskussion mehrfach erwähnt und unterschiedlich gedeutet. Der folgende kurze chronologische Abriss der Forschungsgeschichte zeigt, dass besonders die Frage nach einem Euphemismus die bisherige Diskussion prägte. Hermann Grapow thematisiert als einer der ersten die sprachliche Verbindung von Schlaf und Tod und erklärt die Verwendung des Ausdrucks als euphemistisch.23 Auch für Constantin Emil Sander-Hansen ist der bildliche Ausdruck „zweifelsohne euphemistisch zu verstehen.“24 Er erklärt die Ähnlichkeit von Tod und Schlaf anhand körperlicher Merkmale, fügt aber an, dass diese nur dann bestehen, „wenn der Körper dem völligen Verfall entgeht, wie dies bei der Mumifizierung der Fall ist.“25 Anders sieht es ungefähr zeitgleich Adriaan de Buck, der den Todesschlaf gänzlich wortwörtlich auffasst und daher auch nicht metaphorisch oder euphemistisch deutet.26 Erik ) für sDr nicht nur als bloHornung sieht es u. a. aufgrund des Klassifikators A5527 ( ßen Euphemismus an, wenn Tote als Schlafende bezeichnet werden, sondern geht davon 18 S. Anm. 5. 19 R. Schlichting, Schlaf, in: LÄ V (1984), 642–644. 20 S. z. B. A. de Buck, De godsdienstige opvatting van den slaap inzonderheid in het oude Egypte, MVEOL 4, Leiden 1939; G. Daressy, Neith protectrice du sommeil, in: ASAE 10 (1910), 177–179; H. Altenmüller, Der „Schlaf des Horus-Schen“ und die Wiederbelebung des Osiris in Abydos, in: H.-W. Fischer-Elfert / R. B. Parkinson (Hgg.), Studies on the Middle Kingdom. In Memory of Detlef Franke, Philippika 41, Wiesbaden 2013, 9–22. 21 S. z. B. L. Depuydt, Von „schlafen“ zu „liegen“ im Ägyptischen. Markierungsverlust als ein Hauptgesetz der Sprachentwicklung, in: L. Painchaud / P.-H. Poirier (Hgg.), Coptica – Gnostica – Manichaica: Mélanges offerts à Wolf-Peter Funk, BCNH, Section Études 7, Paris 2006, 167–177. 22 S. z. B. R. B. Parkinson, The Tale of Sinuhe and Other Ancient Egyptian Poems 1940–1640 BC, Oxford 1997, 244, Anm. 19, der ein Schlafen bis zum Tageslicht (sDr r sSp) im Kontext der Loyalistischen Lehre des Kairsu als Zeichen von Sicherheit und Wohlstand deutet. 23 E. Grapow, Die bildlichen Ausdrücke des Ägyptischen. Vom Denken und Dichten einer alt-orientalischen Sprache, Leipzig 1924, 17–19, 138–140. 24 C. E. Sander-Hansen, Der Begriff des Todes bei den Ägyptern, DVSM 29/2, Kopenhagen 1942, 12–13. 25 C. E. Sander-Hansen, Der Begriff des Todes, 12. 26 A. de Buck, Slaap, 13, 29. 27 Zur Frage, ob Gardiner-Zeichen A55 der gängige Klassifikator für sDr ist, s. aktuell D. Meeks, Linguistique et Égyptologie. Entre théorisation à priori et contribution à l’étude de la culture égyptienne, in: CdE 90 (2015), 41–42; L. Morenz, Die Zeit der Regionen im Spiegel der Gebelein-Region. Kulturgeschichtliche Re-Konstruktionen, PÄ 27, Leiden / Boston 2010, 380 und für die bisher ältesten Belege für sDr mit Klassifikator P. Tallet, Les papyrus de la mer Rouge I. Le «journal de Merer» (Papyrus Jarf A et B), MIFAO 136, Kairo 2017, 30–31.

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Funktion und Bedeutung der Metapher [Tod ist Schlaf]

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aus, dass Tote „im Schlaf den Ausdruck jenseitiger Seinsweise erblicken.“28 Für ihn ist ein wesentlicher Aspekt die Machtlosigkeit, die der Schlafende jede Nacht erfährt, aber die besonders auch für den Todesschlaf gilt.29 In seinem Werk über „Death as an Enemy“ listet Jan Zandee unter der Metapher „Death as Sleep“ mehrere Lexeme aus den Wortfeldern Schlaf und Müdigkeit auf.30 Für Zandee ist die sprachliche Übereinstimmung auf körperliche Phänomene wie Bewegungslosigkeit und Bewusstlosigkeit zurückzuführen.31 Nach Siegfried Morenz handelt es sich hierbei „um eine sehr alte Auffassung vom Tode (…), die sich lange vor dem Einsetzen schriftlicher Überlieferungen in der neolithischen Hockerlage des Bestatteten kundgibt und für die man u. a. in Hinblick auf seinen erhöhten Kopf die Bettung als Schlafender wahrscheinlich gemacht hat.“32 Georg Meurer sieht den Schlaf im Kontext der Pyramidentexte „unter Umständen als Euphemismus“33 für den Tod, da in den Quellen von einem Todesschlaf gesprochen wird, der auch verabscheut und gehasst wird. Nach Jan Assmann ist das Bild des Schlafes „ein heilloser Ausgangszustand, den die Riten in sein heilvolles Gegenteil verkehren wollen. Der Tote schläft, aber er soll nicht weiterschlafen, sondern aufwachen.“34 Stephan Seidlmayer erwähnt Mitte der 1990er-Jahre den Schlaf als eine Metapher des Todes in Bezug auf archäologische Hinterlassenschaften des Gräberfeldes des Alten und Mittleren Reichs auf Elephantine und führt die Diskussion um den metaphorischen Gebrauch auf eine weitere Ebene, die über das Sprachliche hinausgeht.35 Für ihn sind „Passivität, Verletzlichkeit und Bewusstseinsentrückung des Schlafenden“36 die Überschneidungskriterien beider Domänen37. Er verweist erstmals im Zusammenhang dieser Metapher auf die konzeptuelle Metapherntheorie von George Lakoff und Mark Johnson.38 Der Religionswissenschaftler Edmund Hermsen versucht 2006 unter Berücksichtigung von Freuds Traumdeutung Parallelen vom Verständnis von Schlaf und Traum im alten Ägypten zu modernen, psychologischen Konzeptionen zu ziehen. Er hält zur Metaphorik von Schlaf und Traum als Medium zwischen Dies- und Jenseits fest: „Wenn man nicht vergisst, dass es sich um Metaphern handelt, die jedoch auf einen Erfahrungshorizont verweisen, bleibt das Kontinuum topographischer Modelle von Realitätsebenen bewahrt.“39 Jüngst geben Christiane Zivie-Coche und Françoise Dunand der metaphori28 E. Hornung, Nacht und Finsternis im Weltbild der alten Ägypter, unpublizierte Dissertation, Tübingen 1956, 63–66. 29 E. Hornung, Nacht und Finsternis, 65. 30 J. Zandee, Death as an Enemy. According to Ancient Egyptian Conceptions, SHR 5, Leiden 1960, 11, 81–85. 31 J. Zandee, Death as an Enemy, 11, 82. 32 S. Morenz, Ägyptische Religion, Die Religionen der Menschheit 8, Stuttgart 21977, 200. 33 G. Meurer, Die Feinde des Königs in den Pyramidentexten, OBO 189, Freiburg (Schweiz) / Göttingen 2002, 237. 34 J. Assmann, Tod und Jenseits im Alten Ägypten, München 2001, 158–159. 35 S. Seidlmayer, Die Ikonographie des Todes, in: H. Willems (Hg.), Social Aspects of Funerary Culture in the Egyptian Old and Middle Kingdoms. Proceedings of the International Symposium Held at Leiden University 6–7 June, 1996, OLA 103, Löwen / Paris / Sterling (Virginia) 2001, 229. 36 S. Seidlmayer, Ikonographie des Todes, 229. 37 Zum Begriff Domäne s. ausführlich Kapitel 3. 38 S. Seidlmayer, Ikonographie des Todes, 229, Anm. 34. 39 E. Hermsen, Schlaf und Traum als Medium zwischen Diesseits und Jenseits im Alten Ägypten, in: R. Reichman (Hg.), „Der Odem des Menschen ist eine Leuchte des Herrn.“. Aharon Agus zum Gedenken, Schriften der Hochschule für jüdische Studien Heidelberg 9, Heidelberg 2006, 228.

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schen Deutung noch die Komponente der Tradierung hinzu, da sie die Frage aufwerfen, ob sich die Assoziation Tod ist Schlaf von den alten Ägyptern in andere Kulturen wie die der Griechen übertragen habe.40 3 Methodisches Vorgehen: Konzeptuelle Metapherntheorie und Kontextualisierung Eine Besonderheit dieses Artikels und meines Dissertationsprojekts ist eine induktive emische Vorgehensweise, bei der nicht von bereits bestehenden (modernen) Überlegungen bezüglich der Metapher und den Konzepten Tod sowie Schlaf ausgegangen wird, sondern bei der sich Ergebnisse aus der Quellenanalyse ergeben. Um die so gewonnenen Erkenntnisse noch weiter fassen und vielschichtiger deuten zu können, werden in Anlehnung an die konzeptuelle Metapherntheorie neben den schriftlichen Quellen auch flachbildliche und rundplastische Darstellungen sowie weitere archäologische Hinterlassenschaften41 in die Kontextualisierung der Metapher einbezogen.42 Die Anwendung der im Folgenden vorgestellten Theorie und Methodik ist für Fragestellungen der Ägyptologie nicht gänzlich neu, jedoch (noch) nicht als Standardvorgehen zu bezeichnen.43 Im Allgemeinen wird unter einer Metapher ein sprachlicher Ausdruck verstanden, der in einer Weise gebraucht wird, „die nicht seiner im Sprachsystem festgelegten Bedeutung entspricht“44 wie bspw. rA „Mund“ für „Öffnung“. Abgrenzend davon bezeichnet man als Metonymie das Ersetzen eines sprachlichen Ausdrucks durch einen anderen, der in sachlicher Beziehung zum ersten steht wie bspw. rA „Mund“ für „Spruch“.45 Ein anderes Beispiel ist der englische Satz „Let’s go to bed now“, der metonymisch für „going to sleep“ aufzu-

40 C. Zivie-Coche / F. Dunand, Die Religionen des Alten Ägypten, Die Religionen der Menschheit 8A, Stuttgart 2013, 483–484. 41 Unter die weiteren archäologischen Hinterlassenschaften zähle ich in Abgrenzung zu rundplastischen Darstellungen (wie z. B. Statuetten) Objekte wie Betten, Kopfstützen, aber auch menschliche Überreste. 42 S. dazu Z. Kövecses, Where Metaphors Come from: Reconsidering Context in Metaphor, Oxford 2015. 43 Bisher angewandt z. B. von N. Gräßler, Konzepte des Auges im alten Ägypten, BSAK 20, Hamburg 2017; C. Di Biase-Dyson, Metaphor, in: J. Stauder-Porchet / A. Stauder / W. Wendrich (Hgg.), UCLA Encyclopedia of Egyptology, Los Angeles 2017 mit weiteren Verweisen; C. Di Biase-Dyson, Wege und Abwege: Zu den Metaphern in der ramessidischen Weisheitsliteratur, in: ZÄS 143/1 (2016), 22–33; I. Köhler, Rage like an Egyptian. Die Möglichkeiten eines kognitiv-semantischen Zugangs zum altägyptischen Wortschatz am Beispiel des Wortfelds [WUT], BSAK 18, Hamburg 2016; E. Steinbach, „Ich habe seinen Anblick geschmeckt…“. Verben der Wahrnehmung und die semantischen Beziehungen zwischen Perzeption und Kognition, in: G. Neunert / H. Simon / A. Verbovsek / K. Gabler (Hgg.), Text: Wissen – Wirkung – Wahrnehmung. Beiträge des vierten Münchner Arbeitskreises Junge Aegyptologie (MAJA 4), GOF IV/59, Wiesbaden 2015, 209–225; D. A. Werning, Der ,Kopf des Beines‘, der ,Mund der Arme‘ und die ,Zähne‘ des Schöpfers. Zu metonymischen und metaphorischen Verwendungen von Körperteil-Lexemen im Hieroglyphisch-Ägyptischen, in: K. Müller / A. Wagner (Hgg.), Synthetische Körperauffassung im Hebräischen und den Sprachen der Nachbarkulturen, Münster 2014, 107–161; R. Nyord, Prototype Structures and Conceptual Metaphor. Cognitive Approaches to Lexical Semantics in Ancient Egyptian, in: E. Grossman / S. Polis / J. Winand (Hgg.), Lexical Semantics in Ancient Egyptian, LingAeg 9, Hamburg 2012, 141–174. 44 H. Skirl / M. Schwarz-Friesel, Metapher. Kurze Einführung in die germanistische Linguistik 4, Heidelberg 2007, 1. 45 Beide Beispiele entnommen aus D. A. Werning, Kopf des Beines, 108.

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Funktion und Bedeutung der Metapher [Tod ist Schlaf]

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fassen ist, da Bett und Schlaf in einer sachlichen Beziehung zueinander stehen.46 In den 1980er-Jahren entwickelten Lakoff und Johnson die sog. Conceptual Metaphor Theory (konzeptuelle Metapherntheorie), die Metaphern nicht nur als rhetorisches oder poetisches Stilmittel ansieht, sondern als Ausdruck eines spezifisch konzeptuellen Gedankensystems. Metaphern sind somit nicht nur in der Sprache fassbar, sondern durchdringen unser gesamtes kognitives Denken und dadurch auch Handeln – in vielen Fällen unbewusst. Lakoff und Johnson fassen den Kern ihrer Theorie wie folgt zusammen: „The most important claim we have made so far is that metaphor is not just a matter of language, that is, of mere words. We shall argue that, on the contrary, human thought processes are largely metaphorical. This is what we mean when we say that the human conceptual system is metaphorically structured and defined. Metaphors as linguistic expressions are possible precisely because there are metaphors in a person’s conceptual system.”47 Das Rekonstruieren eines metaphorischen Gebrauchs kann demnach dabei helfen, die Denkprozesse und auch Handlungsmuster einer Kultur wie z. B. die der alten Ägypter besser zu verstehen. Aufgrund vielfacher, teilweise kritischer, Weiterentwicklungen von Lakoff und Johnsons Theorie gilt es mittlerweile als allgemein anerkannt, dass „Metaphern als mentale Projektionsprozesse zwischen unterschiedlichen Konzepten und Metonymien als mentale Projektionsprozesse innerhalb eines Konzepts […] aufzufassen sind.“48 Dieser Projektionsprozess zwischen zwei Konzepten bzw. innerhalb eines Konzepts wird auch als Mapping bezeichnet.49 Unter einem Konzept, auch konzeptuelle Domäne genannt, wird hier eine strukturierte Menge an kognitiven Einheiten verstanden, die Vorstellungen repräsentieren bzw. Sachverhalte aufweisen und durch unterschiedliche (linguistische, bildliche oder materielle) Handlungen realisiert werden. Das übergeordnete Konzept Schlaf kann so aus Bedeutungsaspekten wie liegen, Nacht oder Dunkelheit und deren Repräsentationen evoziert werden, wobei die Bedeutungsaspekte selbst wiederum eigenständige konzeptuelle Domänen darstellen.50 [Tod ist Schlaf] ist als Primärmetapher anzusehen, die auf physischen Erfahrungen basiert und deren Bildung (unbewusst) kognitiv stattfindet, da es sich bei Schlaf und Tod um universelle menschliche Begebenheiten handelt. Zudem spielen weitere Aspekte wie der

46 G. Raddan, The Ubiquity of Metonymy, in: J. L. O. Campo / I. N. Ferrando / B. B. Fortuño (Hgg.), Cognitive and Discourse Approaches to Metaphor and Metonymy, Estudis Filològics 19, Castellón de la Plana 2005, 12. 47 G. Lakoff / M. Johnson, Metaphors, 6. 48 C. Spieß / K.-M. Köpcke, Metonymie und Metapher – Theoretische, methodische und empirische Zugänge, in: C. Spieß / K.-M. Köpcke (Hgg.), Metapher und Metonymie. Theoretische, methodische und empirische Zugänge, Empirische Linguistik 1, Berlin / München / Boston 2015, 2. S. dazu auch D. A. Werning, Kopf des Beines, 108. 49 G. Lakoff / M. Turner, More than Cool Reason. A Field Guide to Poetic Metaphor, Chicago / London 1989, 203. 50 Grundlegend nach N. Kalwa, Das Konzept Islam. Eine diskurslinguistische Untersuchung, Sprache und Wissen 14, Berlin / Boston 2013, 14–16; A. Gardt, Kunst und Sprache. Beobachtungen anlässlich der documenta 12, in: A. Barsch / H. Scheuer / G.-M. Schulz (Hgg.), Literatur – Kunst – Medien. Festschrift für Peter Seibert zum 60. Geburtstag, München 2008, 214; D. A. Werning, Kopf des Beines, 110.

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universelle Hell-Dunkel-Zyklus in den Projektionsprozess hinein.51 Schlaf ist die Ursprungsdomäne (source domain) und Tod ist als abstrakter Zustand die Zieldomäne (target domain), die beide in gewissen Punkten physische, räumliche und zeitliche Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede aufweisen.52 Die physisch ähnlichen Elemente können z. B. die Körperposition, geschlossene Augen, Inaktivität/Bewegungslosigkeit und der Bewusstseinsverlust sein. Zu den Unterscheidungsaspekten, die aus heutiger Sicht z. B. bei rechtsmedizinischen Untersuchungen beobachtet werden können, sind vor allem die Gegensatzpaare fehlender/vorhandener Herzschlag, keine/vorhandene Atmung, harter53/weicher Körper, kalter/warmer Körper, grüne bis rot-schwarze Körperverfärbung54/keine Körperverfärbung, verwesender/wachsender Körper, trübe/klare Augen, stinkender/nicht stinkender Körper sowie die Möglichkeit, wieder aufwachen zu können, zu nennen. Wobei allerdings nur einige dieser Beobachtungen für das alte Ägypten aus der Quellenlage rekonstruierbar sind.55 Beim Gebrauch einer Metapher sind je nach Kontext ausgewählte Aspekte (nie alle) der Ursprungsdomäne relevant, die jeweils auf die Zieldomäne projiziert werden.56 Nach Zoltán Kövecses kann dann von einer konzeptuellen Metapher gesprochen werden, wenn eine Primärmetapher aus einem Set von kognitiven Aspekten besteht (mehreren Mappings), die die Metapher weiter charakterisieren.57 Ein Beispiel dafür ist die gut untersuchte Metapher [Love is a journey], deren Mappings bspw. aus personenbezogenen Eigenschaften ([Travelers are lovers]) oder objektbezogenen Charakteristika ([Vehicle is love relationship]) bestehen.58 Metaphern erfüllen unterschiedliche Funktionen wie das Transportieren einer Bedeutung von einem weniger abstrakten Konzept auf ein abstraktes Konzept oder das Beschreiben neuer Begriffe mithilfe von bekannten.59 Für das Beispiel [Tod ist Schlaf] ist auch die funktionale Möglichkeit, je nach Situation und Kontext bestimmte Aspekte der Ursprungsdomäne hervorzuheben bzw. der Zieldomäne auszublenden (highlighting/hiding), relevant – was sich wiederum direkt auf das Denken und Handeln in Bezug auf den Tod auswirkt.60 Interessant sind zudem Fragen, inwieweit Menschen innerhalb einer Gesellschaft oder Kultur bzw. übergreifend auf der ganzen Welt zu gleichen oder verschiedenen Zeiten diese Metaphern (bzw. die konzeptuellen Domänen, ihre Bedeutungsaspekte und Mappings) teilen oder gerade nicht teilen. In Bezug auf die Metapher [Tod ist Schlaf] sind Überlegungen nach einer möglichen Tradierung versus Universalität ein wichtiger Faktor für das Verstehen des menschlichen Umgangs mit dem Tod. 51 Z. Kövecses, Metaphor, 21–22. 52 Z. Kövecses, Metaphor, 18–28, 58; Z. Kövecses, Metaphor in Culture, 118–121. 53 Die Totenstarre hält in der Regel nur bis zu 56 Stunden nach Eintreten des Todes an, s. W. Keil, Basics Rechtsmedizin, München 2009, 4. 54 P. Gabriel / W. Huckenbeck, Todesfeststellung: Grundregeln, Durchführung und häufige Fehler, in: Zeitschrift für Allgemeinmedizin 85 (2009), 462. 55 Dies ist u. a. Teil des Dissertationsprojekts. Ein Nicht-Vorhandensein in den schriftlichen Quellen heißt allerdings nicht, dass diese Beobachtungen nicht trotzdem gemacht wurden. S. zu Anzeichen des Todes und Verfall des Körpers mit Beispielen C. E. Sander-Hansen, Der Begriff des Todes, 1–6. 56 G. Lakoff / M. Turner, Poetic Metaphor, 67. 57 Z. Kövecses, Metaphor, 7–10, 91–105. 58 Z. Kövecses, Metaphor, 9; Z. Kövecses, Metaphor in Culture, 123–127. 59 G. Lakoff / M. Johnson, Metaphors, 5; C. Spieß / K.-M. Köpcke, Metonymie und Metapher, 5–10. 60 Z. Kövecses, Metaphor, 91–95; C. Spieß / K.-M. Köpcke, Metonymie und Metapher, 5–6.

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Funktion und Bedeutung der Metapher [Tod ist Schlaf]

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4 Analyse: Rekonstruktion von Bedeutungsaspekten Um die Metapher und dadurch auch ihre Ursprungsdomäne (= Konzept „Schlaf“ und alle seine Bedeutungsaspekte) rekonstruieren zu können, müssen möglichst alle zugänglichen Belege gesammelt und ausgewertet werden. Auch wenn in erster Linie textliche Quellen61 für den Nachweis konzeptueller Metaphern herangezogen werden, erscheinen sie auch als Materialisierung der sozio-physischen Realität.62 Schriftlich kommt die Metapher im Ägyptischen sowohl verbal als auch nominal63 vor und wird durch unterschiedliche Lexeme (bes. nma64, sDr65 und qdd66) evoziert. Insgesamt gibt es weit mehr als 50 schriftliche Quellen, bei denen sich Bedeutungsaspekte der Metapher rekonstruieren lassen – die hier vorgestellten Beispiele sollen einen ersten Überblick über den Möglichkeitsspielraum geben. Die vier einführenden Belege sind Textpassagen aus den Sonnenhymnen der 18. Dynastie.67 Sie behandeln inhaltlich eine ähnliche Thematik, aber jeweils mit unterschiedlichen Lexemen und/oder Metaphernarten. Zwei der Beispiele (B.1 und. B.2) sind als Vergleich gekennzeichnet und sind so nach klassischer Auslegung keine Metaphern, machen dadurch das kognitive Mapping der Konzepte Tod und Schlaf jedoch erst richtig deutlich:68 B.1: Hymnus, Stele von Suti und Hor, British Museum EA 826, 18. Dynastie (Amenophis III.)69 [8] Htp=k m mAnw Wenn du im Westgebirge untergehst, xr qd=sn mi sxr.w mwt dann schlafen sie wie im Zustand des Todes. B.2: Kleiner Sonnenhymnus, Grab des Merire, Tell el-Amarna, 18. Dynastie (Echnaton)70 Wenn du im westlichen Horizont des Himmels [Htp]=k m Ax.t imn.tt [4] n p.t [untergehst],

61 Dies liegt einerseits an der Überlieferungslage und andererseits an den selten vorhandenen Darstellungen von Schlafenden bzw. Toten. 62 Z. Kövecses, Metaphor, 12; Z. Kövecses, Metaphor in Culture, 7. 63 S. zu den verschiedenen Arten von Metaphern im Ägyptischen C. Di Biase-Dyson, Metaphor, 3–4. 64 Wb II, 266.7–10; TLA WCN 84220. 65 Wb IV, 390.9–392, 6; TLA WCN 851684, TLA WCN 150740. 66 Wb V, 78.11–14; TLA WCN 162450. 67 Einige der Textstellen wurden bereits verglichen von S. B. Shubert, Double Entendre in the Stela of Suty and Hor, in: G. N. Knoppers / A. Hirsch (Hgg), Egypt, Israel, and the Ancient Mediterranean World. Studies in Honor of Donald B. Redford, PÄ 20, Leiden 2004, 150–153; J. Assmann, Egyptian Solar Religion in the New Kingdom, London 1995, 99–101; G. Fecht, Zur Frühform der AmarnaTheologie, in: ZÄS 94 (1967), 25–50. 68 S. zum Unterschied zwischen Metapher und Vergleich C. Di Biase-Dyson, Metaphor, 2–4. Zum Vergleich in B.1 s. E. Hornung, Nacht und Finsternis, 64. 69 Gelesen nach Helck, Urk. IV, 1943–49, Nr. 732, Zeile 8; s. für weitere Literatur S. B. Shubert, Stela of Suti and Hor, 143–165 und die Webseite des British Museum unter Inv.-Nr. EA826 (http://www.britishmuseum.org/research/collection_online/collection_object_details.aspx?objectId=119 746&partId=1), 24.05.2017. Vgl. auch die Deutung von G. Meurer, Feinde des Königs, 239, der hier Schlaf als Tod als etwas Negatives ansieht. 70 Gelesen nach M. Sandman, Texts from the Time of Akhenaten, BiAeg 8, Brüssel 1938, 12–13, Zeile 4–5; G. Sperveslage, Thesaurus Linguae Aegyptiae, Amarna-Periode, Privatgräber, Nr. 4: Merire I., Durchgang zur Säulenhalle, Ostwand, Kleiner Sonnenhymnus, in: TLA 24.05.2017.

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sDr=sn mi sxr n.ty mwt [5]

tp.w=sn Hbs.w

schlafen/liegen sie wie im Zustand von einem, der tot ist. Ihre Köpfe sind verhüllt.

B.3: Großer Sonnenhymnus, Grab des Eje, Tell el-Amarna, 18. Dynastie (Echnaton)71 … Htp=k m Ax.t imn.tt Wenn du im westlichen Horizont des Himmels untergehst, tA m kk.w m sxr n mwt ist das Land in Finsternis im Zustand des Todes. sDr.w m Ssp(.t) tp.w Hbs(.w) Die Schlafenden sind im Gemach und die Köpfe sind verhüllt.

[3]

B.4: Hymnus, Grab des Merire, Tell el-Amarna, 18. Dynastie (Echnaton)72 anx=sn mAA=sn tw Sie leben, wenn sie dich sehen, sie liegen/schlafen73, wenn du untergehst. nma [3]=sn xft Htp=k Bei den Sonnenhymnen des Neuen Reichs steht einerseits die Dreiteilung des Tages in Morgen, Mittag und Abend sowie die Manifestation des Sonnenlaufs im Vordergrund. Der Wechsel von Licht und Finsternis, die kosmische Bewegung der Sonne sowie deren direkte Auswirkung auf das Leben (als Schöpfer und Regulator) sind die zentralen Themen der Hymnen.74 Die Sonne gilt nicht nur als Regulator der Tageszeit, sondern auch der Temperatur und Jahreszeiten.75 Die Sonnenhymnen der Amarnazeit sind von einem Dank speziell an Aton für seine schöpferische Kraft geprägt.76 Grundlegend werden hier die Aspekte des Tag-Nacht- und Hell-Dunkel-Rhythmus77 bei der Projektion beider Konzepte eine Rolle gespielt haben. Dadurch ergeben sich weitere komplexe Überschneidungen zwischen Metaphern und ihren konzeptuellen Domänen wie [Tod ist Nacht] oder [Tod ist Dunkelheit], da sowohl Nacht als auch Dunkelheit Aspekte des Konzepts Schlaf darstellen können.78 Vor diesem Hintergrund ist es wahrscheinlich, 71 Gelesen nach M. Sandman, Texts, 93, Zeile 3; G. Sperveslage, Thesaurus Linguae Aegyptiae, AmarnaPeriode, Privatgräber, Nr. 25: Eje, Eingang, Westwand, Großer Sonnenhymnus, in: TLA 24.05.2017. 72 Gelesen nach N. de Garis Davies, The Rock Tombs of El Amarna I, ASE 13, 1903, Taf. 36. 73 Das Lexem nma ist sicher seit der Amarnazeit belegt. S. DZA 25.120.280 und C. Reiche, Ein hymnischer Text in den Gräbern des 1wyA, IaH-ms und Mry-Ra in El-Amarna. Text und Textsorte, Textanalyse und Textinterpretation – ein „soziokommunikativer“ Ansatz, GOF IV/35, Wiesbaden 1998, 54, Anm. 76. Eventuell existiert ein Beleg aus dem Mittleren Reich: CT IV, 99c (Sp. 316), Zeuge: S2P (Louvre Paris Inv.-Nr. E. 11936). S. dazu u. a. R. Van der Molen, A Hieroglyphic Dictionary of Egyptian Coffin Texts, PÄ 15, Leiden / Boston / Köln 2000, 227; G. Fecht, Der Totenbrief von Nag`ed-Deir, in: MDAIK 24 (1969) 125; R. O. Faulkner, The Ancient Egyptian Coffin Texts I, Warminster 1973, 238; P. Barguet, Les textes des sarcophages égyptiens du Moyen Empire, Paris 1986, 510; C. Carrier, Textes sarcophages du Moyen Empire égyptien I, Roche 2004, 743; D. Meeks, Année lexicographique II, Paris 1981, 196, {78.2110}; A. F. Alford, Midnight Sun. The Death and Rebirth of God in Ancient Egypt, Walsal 2004, 261. 74 M. Minas-Nerpel, Der Gott Chepri. Untersuchungen zu Schriftzeugnissen und ikonographischen Quellen vom Alten Reich bis in die griechisch-römische Zeit, OLA 154, Löwen / Paris / Dudley MA. 2006, 247–249. 75 S. B. Shubert, Stela of Suti and Hor, 152. 76 C. Reiche, Hymnischer Text, 340. 77 S. hierzu auch C. E. Sander-Hansen, Der Begriff des Todes, 13–14. 78 G. Lakoff / M. Johnson, Metaphors, 77–82; Z. Kövecses, Metaphor, 54–55; für ägyptische Beispiele dieser Metaphern s. J. Zandee, Death as an Enemy, 88–91; für das ontologische Metaphernkonzept der

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Funktion und Bedeutung der Metapher [Tod ist Schlaf]

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dass die hier vorliegende Metapher [Tod ist Schlaf] und deren Mappings durch ihre Struktur und direkte Gegensätzlichkeit mit der Metapher [Leben ist wach sein] kombiniert ist. In B.1–B.3 werden gerade die Bedeutungsaspekte Nacht, Dunkelheit und auch das NichtSehen können (während des Schlafens)79 hervorgehoben und auf den Tod projiziert. In B.4 soll der Gegensatz nach Christina Reiche klar zu fassen sein: leben (anx) versus schlafen/liegen (nma).80 Der metaphorische Gebrauch des Schlafens hat hier nicht etwa die Funktion eines Euphemismus, sondern soll die erwähnten Aspekte (dunkel/hell, Nacht/Tag, nicht sehen/sehen können usw.) und deren zyklischen Charakter (schlafen/wach sein)81 auf die Konzepte Tod bzw. Leben übertragen und jeweils hervorheben, um die Endgültigkeit des Todes auszublenden. Die Projektionen vom Ursprungskonzept Schlaf auf das Zielkonzept Tod sind bereits in den Pyramidentextsprüchen, in denen sich bspw. der Verstorbene in einem Schlafzustand befindet und aufgefordert wird aus diesem zu erwachen und/oder sich aufzurichten, ersichtlich:82 B.5: PT 670, § 1975a–b83 [i:Sm=k] iwt=k sDr=k i:rs=k [mni.n=k anx=k]

[Du bist fortgegangen,] mögest du wiederkommen. Du hast geschlafen, mögest du erwachen. [Du bist gelandet, mögest du leben.]

In PT 670 sind neben den Metaphern [Tod ist Schlaf] und [Leben ist wach sein] noch weitere aktivitätsbezogene Metaphern wie [Sterben ist Weggehen]84 und [Sterben ist Landen]85 zu finden.

79 80 81 82 83

84 85

Lichterfahrung im Johannesevangelium s. R. Zimmermann, Christologie der Bilder im Johannesevangelium. Die Christopoetik des vierten Evangeliums unter besonderer Berücksichtigung von Joh 10, Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 171, Tübingen 2004, 223–226. Z. B. M. Sandman, Texts, 95, Zeile 12: Smi.n=k n-wnn ir.t „Nachdem du gegangen bist, gibt es kein Auge (mehr)“. S. zur metonymischen Verwendung des Auges zusammenfassend N. Gräßler, Auge, 331–332. C. Reiche, Hymnischer Text, 142, 167, 287–288. Ähnlich lautet auch ein Satz des Großen Atonhymnus: M. Sandman, Texts, 95, Zeile 12: wbn.n=k anx=sn Htp=k mwt=sn „Wenn du aufgegangen bist, so leben sie, wenn du untergehst, so sterben sie.“ Vgl. auch das Deutsche „hellwach sein“. G. Meurer, Feinde des Königs, 236–240. Transkribiert nach J. P. Allen, A New Concordance of the Pyramid Texts V, PT (539–672), Providence 2013, 271; ergänzt nach: K. Sethe, Die altägyptischen Pyramidentexte. Nach den Papierabdrücken und Photographien des Berliner Museums II, Hildesheim 1960, 476; G. Jéquier, Le monument funéraire de Pépi II. Tome I: Le tombeau royal, Kairo 1936, Taf. 10; J. P. Allen, The Ancient Egyptian Pyramid Texts, Writings from the Ancient World 23, Atlanta 2005, N 348. S. zur Übersetzung und Interpretation u. a. G. Meurer, Feinde des Königs, 232, 238; J. Assmann, Altägyptische Totenliturgien III, Osirisliturgien in Papyri der Spätzeit, Supplement zu den Schriften der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse 20, Heidelberg 2008, 113; D. Topmann, Thesaurus Linguae Aegyptiae, Pyramide Pepis II., PT 670, in: TLA 05.05.2017; B. Backes, Der „Papyrus Schmitt“ (Berlin P. 3057). Ein funeräres Ritualbuch der ägyptischen Spätzeit, Ägyptische und orientalische Papyri und Handschriften des Ägyptischen Museums und Papyrussammlung Berlin 4, Berlin / Boston 2016, 390. S. J. Zandee, Death as an Enemy, 54. B. Backes, Das altägyptische «Zweiwegebuch». Studien zu den Sargtext-Sprüchen 1029–1130, ÄA 69, Wiesbaden 2005, 109, Anm. 310.

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Bei Schlafen und Wachen stehen oftmals die richtungsorientierten Bedeutungsaspekte schlafen = unten = Tod und wach sein = oben = Leben im Vordergrund. Der Schlafende liegt unten, wacht auf 86, erlangt Bewusstsein sowie Macht über seinen Körper und richtet sich wieder auf 87, was auf den Verstorbenen projiziert werden soll. Nach Lakoff und Johnson ist unser ununterbrochenes physisches Aktivsein in der Welt, selbst im Schlaf, in ein Oben und Unten orientiert.88 Daher ist es möglich, dass es sich in B.5 zusätzlich um die Orientierungsmetaphern [Wach sein ist oben] und [Schlafen ist unten]89 handelt, die wiederum zusammen mit den Metaphern [Tod ist unten] und [Leben ist oben] konzeptuell agieren.90 Die Todesmetapher und der Aspekt des Aufrichtens können in PT 670 (Pyramide Pepi I.) zusätzlich durch den ungewöhnlichen Klassifikator des Wortes sDr betont werden:91 ), die sich als reales Objekt zum Schlafen, nicht †ie Kopfstütze (Gardiner-Zeichen Q4 nur als Grabbeigabe, sondern auch direkt unter dem Kopf von Verstorbenen platziert, findet.92 Zum Aspekt des Anhebens/Aufrichtens ist bspw. eine Kopfstütze des Tutanchamun93 zu nennen, deren Ständer den knienden Gott Schu darstellt, der mit beiden Armen die Kopfauflage stützt und empor hält. Das Symbol könnte nach Bart R. Hellincks u. a. auch

86 S. zum Erwachen aus dem Todesschlaf durch Licht E. Hornung, Nacht und Finsternis, 65. 87 S. zum Motiv des Aufrichtens/Erhebens aus dem Schlaf in den Pyramidentexten G. Meurer, Feinde des Königs, 239. 88 G. Lakoff / M. Johnson, Metaphors, 56 und Z. Kövecses, Metaphor, 36. Vgl. z. B. im Deutschen „Aufwachen“, „Aufwecken“, „in Schlaf versinken“, „Tiefschlaf“ oder „ins Koma fallen“. 89 S. dazu bspw. sDr.yt, das als „Niederlage (der Feinde)“ übersetzt wird, Wb IV, 392.2; TLA WCN 150890. Für ein weiteres Beispiel s. auch PT 690 § 2092a–§ 2093b. 90 G. Lakoff / M. Johnson, Metaphors, 14–16. Nach G. Lakoff und M. Turner, Poetic Metaphor, 150 ist eine weitere, seit der Bibel fassbare Metapher [Mortal is down] und [Divine is up]. Für die Raummetaphorik Oben-Unten im Johannesevangelium s. R. Zimmermann, Christologie der Bilder im Johannesevangelium, 226–231. 91 S. das Faksimile von J. Leclant, Les textes de la pyramide de Pépy Ier, MIFAO 118/2, Kairo 2010, Taf. 2A, Zeile 7; J. P. Allen, Concordance of the Pyramid Texts, 271. 92 Bspw. zur Mumie mit Kopfstütze aus dem Alten Reich S. D’Auria / P. Lacovara / C. H. Roehrig, Mummies & Magic. The Funerary Arts of Ancient Egypt, Boston 1988, 78, Abb. 44, Kat.-Nr. 8 und 9. S. zur Kopfstütze mit weiteren Literaturverweisen u. a. G. Daressy, Neith, 177–179; A. de Buck, Slaap, 13–17, 29–30; S. Schott, Eine Kopfstütze des Neuen Reiches, in: ZÄS 83 (1958), 141–144, Taf. 14; H. G. Fischer, Kopfstütze, in: LÄ III (1980), 686–693; V. Dasen, Dwarfs in Ancient Egypt and Greece, Oxford 1993, 75–76; M. Perraud, Appuis-tête de l'Égypte pharaonique. Typologie et significations, unpublizierte Dissertation, Strasbourg 1997; M. Perraud, Die Kopfstütze vor der dritten Dynastie, in: GM 165 (1998), 83–87; B. Lüscher, Untersuchungen zu Totenbuchspruch 151, SAT 2, Wiesbaden 1998, 80; K. M. Szpakowska, The Perception of Dreams and Nightmares in Ancient Egypt: Old Kingdom to Third Intermediate Periode, Los Angeles 2000, 288, 291–293; B. R. Hellinckx, The Symbolic Assimilation of Head and Sun as Expressed by Headrests, in: SAK 29 (2001), 61–95; M. Perraud, Appuis-tête à inscription magique et apotropaïa, in: BIFAO 102 (2002), 309–326; M. Perraud, Untersuchungen zu Totenbuch Spruch 166: Vorbemerkungen, in: B. Backes / I. Munro / S. Stöhr (Hgg.), Totenbuch-Forschungen. Gesammelte Beiträge des 2. Internationalen Totenbuch-Symposiums Bonn, 25. bis 29. September 2005, SAT 11, Wiesbaden 2006, 283–293; M. Perraud, Les formules spécifiques du chapitre 166 du livre des morts inscrites sur les amulettes-chevets, in: J.-C. Goyon / C. Cardin (Hgg.), Proceedings of the Ninth International Congress of Egyptologists – Actes du neuvième congrès international des égyptologues. Grenoble, 6–12 septembre 2004, OLA 150, Löwen / Paris / Dudley MA. 2007, 1495–1508. 93 Ägyptisches Museum Kairo JE 62020. S. dazu A. El-Shahawy / M. al-MiৢrƯ, The Egyptian Museum in Cairo. A Walk Through the Alleys of Ancient Egypt, Kairo 2005, 252–253.

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Funktion und Bedeutung der Metapher [Tod ist Schlaf]

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auf das Anheben der Sonne durch den Gott Schu anspielen.94 Auf diese Weise hebt Schu (den mit der Sonne assimilierten) Kopf des Schläfers aus der Unterwelt empor und hilft ihm so, sich am Morgen wieder aufzurichten und mit dem Sonnenaufgang zu erwachen.95 Zusätzlich zu dieser bekannten Kopfstütze existieren vergleichbare Exemplare mit ausgeformten Händen an der Unterseite der Kopfauflage aus dem Alten Reich und der 1. Zwischenzeit sowie mit gemalten Händen und einer Sonnenscheibe auf der Oberseite der Kopfauflage aus dem Mittleren Reich.96 Neben der gängigen Interpretation, dass die Kopfstütze das in den Pyramidentexten geläufige Motiv des Anhebens bzw. Aufstiegs des Königs in den Himmel symbolisieren kann, mag auch das Aufrichten des Schlafenden bzw. der Sonne am Morgen und dadurch auch das Aufrichten/Erwachen des Verstorbenen eine Rolle gespielt haben.97 Ein direkter Zusammenhang zwischen Sonnenaufgang, Erwachen und dem körperlichen Aufrichten ist auch im großen Atonhymnus zu finden.98 Wie bereits oben beschrieben können primäre Metaphern konzeptuelle Metaphern bilden, wenn sich ihr Gebrauch auf verwandte Gebiete abbilden lässt (aus mehreren Mappings besteht). Dies ist auch bei dem personenbezogenen Aspekt Tote sind Schlafende der Fall. Unter vielen göttlichen Entitäten sind bspw. sDr „Schlafender“99 und sDr.w „Schlafende“100 bekannt. Die letztgenannte Bezeichnung sDr.w ist vom Alten Reich bis in die griechischrömische Zeit für bestimmte Wesen belegt. Im Buch der Nacht werden z. B. drei mumifizierte Personen, die auf Betten bzw. Bahren liegen, als sDr.w bezeichnet.101 Die Projektion der Konzepte wird durch die bildliche Darstellung der auf Betten bzw. Bahren liegenden Personen zusätzlich unterstützt und um einen Raumaspekt aus dem Konzept Schlaf, nämlich dem Bett (oder allgemein Schlafstätte), erweitert.102 Flachbildlich zeigt sich der Aspekt 94 S. zur Diskussion der verschiedenen Interpretationen der Kopfstütze des Tutanchamun B. R. Hellinckx, Symbolic Assimilation, 62–68 mit weiteren Literaturverweisen. 95 Nach B. R. Hellinckx, Symbolic Assimilation, 77–80. 96 B. R. Hellinckx, Symbolic Assimilation, 68–70. 97 B. R. Hellinckx, Symbolic Assimilation, 68–70. 98 Sandman, Texts, 94, Zeile 4: Hnmm.t rs aHa Hr rd.wy Tzi.y.n=k sn „Die Menschheit ist erwacht und steht auf beiden Füßen, nachdem du sie aufgerichtet hast.“ und in Zeile 5: aw.t nb(.t) Hr Tbhn Hr rd.wy „Alles Vieh springt auf beide Füße“. Das (Auf-)Springen kann einen aktiven Richtungswechsel kennzeichnen; s. zu Schlafenden und Toten, die aufspringen, u. a. das Verb ftft (Wb I, 581.3–6; TLA WCN 64170; DZA 23.586.470 und DZA 23.586.400). Auf- und Abspringen kann allerdings auch metonymisch für Freude stehen, s. Z. Kövecses, Metaphor, 112. S. dazu als ägyptisches Beispiel oDeM 1675 (Ein Nilhymnus) „Jedes Reptil ist fröhlich wegen des Ereignisses, [alles] Gewürm bewegt sich hüpfend fort“, übersetzt nach H.-W. Fischer-Elfert, Literarische Ostraka der Ramessidenzeit in Übersetzung, KÄT 9, Wiesbaden 1986, 31–32. 99 C. Leitz (Hg.), Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen VI: X–s, OLA 115, Löwen / Paris / Dudley MA. 2002, 742b. 100 C. Leitz, LGG VI, 744a. 101 G. Roulin, Le livre de la nuit, OBO 147/1, Freiburg (Schweiz) / Göttingen 1996, 37; G. Roulin, Le livre de la nuit, OBO 147/2, Freiburg (Schweiz) / Göttingen 1996, 127. 102 S. zur Verbindung aus Bett, Tod und Wiederauferstehung z. B. H. Altenmüller, Auferstehung und Geburtsmythos, in: SAK 24 (1997), 5–7; H. Altenmüller, Zum Ursprung von Isis und Nephthys, in: SAK 27 (1999), 5–7. Die konzeptuelle und räumliche Verbindung des Bettes als Ort der Geburt, des Schlafes und Todes ist in vielen Kulturen nachweisbar, s. z. B. A. Carlano / B. Sumberg, Sleeping Around. The Bed from Antiquity to Now, Seattle 2006, 158. Die statistisch häufigen nächtlichen Geburten und Todesfälle sollen auf den circadianen Rhythmus zurückzuführen sein, s. R. Schandry, Biologische Psychologie, 360–361, was aus biologischer Perspektive das Bett als kultureller Raum

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des liegenden Verstorbenen, z. B. wenn der teils mumiengestaltige Osiris auf einem Bett oder einer Bahre auf dem Rücken liegend dargestellt ist.103 Eine Kombination aus dem räumlich/örtlichen Aspekt und der Oben-Unten-Orientierung ist in Totenbuchspruch 170 zu sehen, in dem Osiris aufgefordert wird, sich von seinem Bett zu erheben. Der Schlaf wird zwar nicht direkt erwähnt, ist aber metonymisch durch das Bett vorhanden, da einer der Bedeutungsaspekte des Konzepts Bett auch der Schlaf ist.104 B.6: Totenbuchspruch 170 „Spruch, um die Bahre hochzuheben“, Neues Reich105 hA Wsir NN mAa-xrw sTs Tw Hr Hnk.yt=k He Osiris NN gerechtfertigt, erhebe dich auf deinem Bett. Es scheint so, als ob auch Aspekte der Regeneration bzw. Genesung und des Wachstums, die durch den Schlaf bedingt sind, als Bedeutungsaspekte der Metapher möglich sind (B.7). B.7: Ägyptisches Museum Kairo, Ostrakon CG 25209, Neues Reich106 „Re-Chepri leuchtet auf deiner Brust, … iw=k nma.ti m 4kr … während du als Sokar liegst/schläfst, rwi=f kk.wi n.ty Hr=k sodass er die Finsternis beseitigt, die auf dir ist, sodass er es für deine Augen hell macht. sHD=f n [5] wDA.ty=k Der Textausschnitt stammt aus einem der sog. Gebete eines Verfolgten, der nach Joachim Friedrich Quacks Deutung an Osiris, besonders unter dem Aspekt der Verbindung mit der Erde, gerichtet ist. Es geht konkret um den Osirisleichnam, der von der Sonne mit Licht versorgt wird, und die vielfältige Nutzung der Erde (als Rohstoff und Lebensraum) durch die Menschen.107 Hans Bonnet erläutert zum Gott Sokar bezugnehmend auf diese Textstelle, dass der Ägypter bei Sokar „im wesentlichen an den toten auf der Bahre liegenden



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für Tod und Geburt erklären soll. Allerdings liegt eine kranke oder schwangere Person bereits vor ihrem Tod bzw. der Geburt häufig (Tag und Nacht) im Bett. Z. B. E. Otto, Osiris und Amun. Kult und heilige Stätten, München 1966, Abb. 16–20; E. Hornung, Tal der Könige, Die Ruhestätte der Pharaonen, Zürich / München 1982, Abb. 67. Dieser Bedeutungsaspekt ergibt sich aus der Quellenanalyse. S. zum Bett auch H. G. Fischer, Bett, in: LÄ I (1975), 767–768; L. Cummins, Word, Object, Image: The Bed as a Sign in New Kingdom Egyptian Art, Atlanta 2003, 92–149 (http://pid.emory.edu/ark:/25593/f4dzt), 24.05.2017; M. Y. Schutz, „To die, to sleep“: Untersuchungen zum Mumienbett des Apolloni und des Titoi (Berlin ÄMP 12441), in: S. Beck / B. Backes / A. Verbovsek (Hgg.), Interkulturalität: Kontakt – Konflikt – Konzeptualisierung. Beiträge des sechsten Berliner Arbeitskreises Junge Aegyptologie (BAJA 6) 13.11.–15.11.2015, GOF IV/63, Wiesbaden 2017, 133–150. Gelesen nach pParis Louvre N. 3092 Totenbuch des Neferubenef, s. S. Ratié, Le papyrus de Neferoubenef (Louvre III 93), BdE 43, Kairo 1968; für weitere erhaltene Textzeugen mit Tb 170 s. Totenbuchprojekt Bonn, TM 134274; Totenbuchprojekt Bonn, TM 134308 und Totenbuchprojekt Bonn, TM 135167. G. Daressy, Catalogue général des antiquités égyptiennes du Musée du Caire, Nos 25001–25385. Ostraca, Kairo 1901, 41, Taf. 37, Zeile 4; A. Erman, Gebete eines ungerecht Verfolgten und andere Ostraka aus den Königsgräbern, in: ZÄS 38 (1900), 30–33; G. Vittmann, Die Hymne des Ostrakons Wien 6155 + Kairo CG 25214, in: WZKM 72 (1980), 5; J. F. Quack, Lobpreis der Gottheit und Hoffnung auf Beistand im spätramessidischen Ägypten. Eine Neubearbeitung der sogenannten Gebete eines «ungerecht Verfolgten», in: A. Grund / A. Krüger / F. Lippke (Hgg.), Ich will dir danken unter den Völkern. Studien zur israelitischen und altorientalischen Gebetsliteratur. Festschrift für Bernd Janowski zum 70. Geburtstag, Gütersloh 2013, 557–593. J. F. Quack, Lobpreis der Gottheit, 575.

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Funktion und Bedeutung der Metapher [Tod ist Schlaf]

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Osiris“108 denke. In spätzeitlichen Inschriften kann (Sokar-)Osiris auch als nb nmi.t „Herr der Bahre“ bezeichnet werden.109 Die Brust des Verstorbenen wird in der Sonnenlitanei mit dem Gott Chepri gleichgesetzt und auf der Brust des Toten ist der Herzskarabäus zu finden, der als Regenerationssymbol gedeutet wird.110 Auf der Innenseite des äußeren Sarges des Nespawerschefyt111 aus der 21. Dynastie ist mittig das Motiv des durch die Sonne angestrahlten, mumifizierten Osiris zu sehen, aus dessen Leib Pflanzen wachsen. Diese Darstellung bezieht sich zum einen auf das Erwachen des Osiris durch die Strahlen der Sonne, wodurch auch der Tote, mit Osiris gleichgesetzt, durch das Licht der Sonne aufwachen soll. Zum anderen bezieht sie sich auf das Wachstum von Pflanzen, das mit den Strahlen der Sonne in Verbindung steht. Im Pfortenbuch in der Beischrift zu Szene 46 lassen die Strahlen der Sonne, die über dem Körper des Osiris scheint, Pflanzen wachsen: „Die Getreiderationen wachsen in den Gefilden der Dat, wenn Re über den Gliedern des Osiris leuchtet. Gehst du auf, dann entstehen die frischen Pflanzen“.112 Bildlich richten sich die wachsenden Pflanzen aktiv nach oben wie auch eine vom Schlaf erwachte und erholte Person. In der materiellen Kultur kann sich dies z. B. in Korn-Osiris-Figuren äußern,113 was die Schlaf-Wach/Tod-Leben-Metaphorik auch in die Nähe von Nilflut und Aussaat bzw. des Jahreszeitenwechsels rücken könnte.114 In B.7 spricht die Metapher wohl Aspekte der körperlichen Erneuerung durch den Schlaf bzw. den Sonnenaufgang (und damit auch der Hell-Dunkel-Orientierung) und des Wachstums (nach oben) im Vergleich zum abbauenden, sterbenden Körper (nach unten) an. Der Rhythmus aus Schlafen und Wachen war den

108 H. Bonnet, Reallexikon der ägyptischen Religionsgeschichte, Berlin 1953, Nachdruck 2000, 725. 109 P. Wilson, A Ptolemaic Lexikon. A Lexicographical Study of the Texts in the Temple of Edfu, OLA 78, Löwen 1997, 516; C. Leitz, (Hg.), Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen III: p–nbw, OLA 112, Löwen / Paris / Dudley MA. 2002, 662b. 110 M. Minas-Nerpel, Der Gott Chepri, 243. Allgemein zum Motiv der Sonnenstrahlen auf der Brust von Verstorbenen H. Kockelmann, Sunshine for the Dead: On the Role and Representation of Light in the Vignette of Book of the Dead Spell 154 and Other Funerary Sources from Pharaonic and Graeco-Roman Egypt, in: R. Jasnow / G. Widmer (Hgg.), Illuminating Osiris. Egyptological Studies in Honor of Mark Smith, Material and Visual Culture of Ancient Egypt 2, Atlanta (Georgia) 2017, bes. 190, Anm. 86 und 191–192. 111 Fitzwilliam Museum Cambridge, Inv.-Nr. E.1.1822, zur Umzeichnung s. E. Hornung, Tal der Könige, 181. 112 E. Hornung (Hg.), Das Buch von den Pforten des Jenseits. Nach den Versionen des Neuen Reiches, AH 7, Genf 1979, 267–268; E. Hornung / T. Abt, The Egyptian Book of the Gates, Zürich 2014, 260. Der Vergleich von Textstelle und Darstellung wurde bereits angestellt von E. Hornung, Tal der Könige, 181. 113 S. zu dieser Thematik J. F. Quack, Saatprobe und Kornosiris, in: M. Fitzenreiter (Hg.), Das Heilige und die Ware. Eigentum, Austausch und Kapitalisierung im Spannungsfeld von Ökonomie und Religion, IBAES 7, London 2007, 325–331 (http://www2.rz.hu-berlin.de/nilus/net-publications/ibaes7/ publikation/ibaes7.pdf), 24.05.2017; M. Centrone, Corn-mummies. Amulets of Life, in: K. Szpakowska (Hg.), Through a Glass Darkly. Magic, Dreams & Prophecy in Ancient Egypt, Swansea 2006, 33–46. 114 S. z. B. im oDeM 1675 (Ein Nilhymnus) den Satz [5] km.t rsw.t „Ägypten ist erwacht“. H.-W. Fischer-Elfert, Literarische Ostraka, 35 schreibt dazu „'Ägypten ist erwacht' zu neuem Leben, durch welche Formulierung insbesondere die mit Abschnitt II einsetzenden und eindringlichen Beschreibungen von wiederaufkeimender Vegetation und dem Verhalten der Tierwelt überschriftartig angekündigt werden“. Vgl. auch im Deutschen „Die Natur erwacht zu neuem Leben“.

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Ägyptern als Regenerationszeit des Körpers besonders im Kontext der Genesung durchaus bewusst.115 5 Fazit: Funktion und Bedeutung Die Metapher [Tod ist Schlaf] und ihre Mappings sind in Sprache und dadurch auch in sozio-physikalischer Realität (Bild, Objekt usw.) deutlich fassbar. Die konzeptuellen Domänen sind, wie in den Beispielen gezeigt, durch Bedeutungsaspekte wie Hell-Dunkel (Sinneserfahrung), Tag-Nacht (Zeiterfahrung) und Oben-Unten (Orientierungserfahrung) geprägt. Zudem verweisen sie auf einen zyklischen Ablauf, der mit Schlafen-Wachen und dadurch Tod-Leben sowohl visuell als auch zeitlich und räumlich agiert. Weiter spielen auch Aspekte der körperlichen Erneuerung und Regeneration, die vom Schlaf ausgehen, bei der Übertragung auf den Tod eine Rolle. Unbeweglichkeit und Bewusstlosigkeit sind (bei den ausgewählten Beispielen) eher weniger von Bedeutung. Die jeweils hervorgehobenen Aspekte versetzen einen Rezipienten in einen bestimmten und gewollt hervorgerufenen Gefühlszustand, der ohne Metapher so nicht hätte erreicht werden können. Die Funktion der Metapher liegt hauptsächlich darin, die oben genannten Bedeutungsaspekte des Schlafes und deren zyklischen Charakter hervorzuheben und auf den Tod zu übertragen. Wichtig ist zu betonen, dass sich alle Schlussfolgerungen nur auf die Analyse dieser Metapher beziehen, in die Deutung der Text- und Bildbeispiele sind natürlich noch viele weitere Aspekte anderer Themenbereiche involviert.116 Wenn eine Metapher auf einer körperlichen Erfahrung basiert, ist es wahrscheinlich, dass sie nicht nur in einer Kultur nachweisbar ist. Diese Metaphern werden von Kultur zu Kultur mehr oder weniger spezifische Variationen aufweisen. Die Rekonstruktion dieser Spezifitäten/Variationen kann auf zwei Ebenen erfolgen:117 1. Eine Kultur nutzt ein Set aus unterschiedlichen Ursprungsdomänen für eine Zieldomäne. 2. Eine Kultur nutzt eine Ursprungsdomäne für ein Set aus Zieldomänen. Für den Schlaf als Ursprungsdomäne können das auf der 2. Ebene neben der Zieldomäne Tod bspw. auch Untätigkeit und Geschlechtsverkehr sein. Sowohl die erste als auch die zweite Ebene zeigen die spezifische Bildung der konzeptuellen Schlaf-Metaphorik für das alte Ägypten, wobei auch diachrone sowie synchrone Unterschiede in die Bildung der Metapher je nach persönlichem Wissen und individueller Prägung eines Menschen involviert sind. Auch wenn in vielen weiteren Kulturen die Primärmetapher [Tod ist Schlaf] vorhanden ist, werden sich die beiden genannten Ebenen in ihren Details und zugrunde liegenden Konzepten je nach Kultur, Gruppe, Individuum und Zeit unterscheiden.

115 S. z. B. pBerlin 3027: N. Yamazaki, Zaubersprüche für Mutter und Kind. Papyrus Berlin 3027, Achet, Schriften zur Ägyptologie 2, Berlin 2003, Taf. 8,5, sDr=f snb „… indem es (Kind) sich gesund schläft“, und metonymisch pLondon BM EA 10477 (pNu), Tb 112: DD.yw sw Hr Hnk.yt=f snb=f „Gebt ihn auf sein Bett, damit er gesund wird!“, zur Übersetzung B. Backes, Thesaurus Linguae Aegyptiae, pLondon BM EA 10477 (pNu), Tb 112, in: TLA 10.05.2017. 116 S. z. B. Z. Kövecses, Metaphor, 135. 117 Z. Kövecses, Metaphor, 136; Z. Kövecses, Metaphor in Culture, 67–87.

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Funktion und Bedeutung der Metapher [Tod ist Schlaf]

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Beobachtungen zu den Bestattungsweisen des Alten Reiches in Giza anhand der Archivalien des Ägyptischen Museums – Georg Steindorff – der Universität Leipzig* Anna Grünberg

Georg Steindorff’s notes on his work in the Western Cemetery at Giza provide extensive information on the treatment of the deceased as well as on the selection and deposition of grave goods in the elite cemeteries of the Old Kingdom that are connected to the royal residence. In this article, statements that can be gleaned from the site notebooks are presented and put into context with current scholarly opinion. 1 Vorbemerkungen In den Jahren 1903, 1905 und 1906 wurden unter der Leitung Georg Steindorffs (1861– 1951) Ausgrabungen auf dem mittleren Streifen des Westfriedhofs in Giza durchgeführt. Im Zuge dieser Arbeiten führte der Leipziger Ägyptologe dokumentarische Grabungstagebücher, in denen neben Alltag und Verlauf der Grabungen auch die Funde und Befunde aus den einzelnen Gräbern beschrieben werden.1 Eine offizielle Publikation der Ergebnisse wurde zwar geplant, aber nie durchgeführt,2 weshalb die handschriftlichen Tagebücher noch heute als wichtige und aufschlussreiche Quelle bei Fragen zu den Bestattungspraktiken des Alten Reiches in Giza zu betrachten sind. 2 Beigaben und deren Ritualkontext Um eine übersichtliche Zusammenstellung des Beigabenspektrums zu erzielen, werden die dokumentierten Stücke nicht im Zusammenhang mit ihrem jeweiligen Fundkonvolut, sondern getrennt nach Objektgruppen betrachtet. Zur Interpretation des rituellen Kontextes ist des Weiteren eine Trennung der einzelnen Ritualszenerien vorzunehmen, die sich nach

* Beim vorliegenden Artikel handelt es sich um einen Teil meiner Bachelorarbeit, welche 2015 an der Universität Leipzig vorgelegt wurde. 1 Neben Steindorff selbst waren auch andere Mitarbeiter an den Grabungstagebüchern beteiligt, welche jedoch nur mit Hilfe ihrer Handschriften zu identifizieren und nicht explizit namentlich genannt sind. Aus diesem Grund wird in den folgenden Literaturverweisen auf eine Nennung des Autors verzichtet. Die im Folgenden gewählte Bezeichnung der Gräber mit D-Nummern folgt der Benennungskonvention Steindorffs. 2 Uvo Hölscher fertigte lediglich ein Manuskript an, welches letztlich von Alfred Grimm herausgegeben wurde, s. dazu: A. Grimm (Hg.) / G. Steindorff / U. Hölscher (Verf.), Die Mastabas westlich der Cheopspyramide. Nach den Ergebnissen der in den Jahren 1903–1907 im Auftrag der Universität Leipzig und des Hildesheimer Pelizaeus-Museums unternommenen Grabungen in Giza, MÄU 2, Frankfurt a. M. 1991.

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Teodozja Reuzska grob in den ober- und den unterirdischen Teil der Grabanlagen gliedern.3 Somit wird im Folgenden zwischen Funden aus den Grabkammern, den Schächten und dem oberirdischen Bereich unterschieden. Dabei weisen Erstere eindeutig das reichhaltigste Inventar auf, das zum Großteil durch Gefäße bestimmt wird. Die Keramik umfasst die im Grabkontext des Alten Reiches typischen Formen, darunter Bierkrüge4 und weitere Vorratssowie Scheingefäße, die aus dem Kontext der (ideellen) Opferversorgung des Toten stammen. Auffällig sind die Gefäßfunde der Mastaba D 207/208, welche mit 69 Opferschälchen und 16 weiteren Scheingefäßen aus Kalzit-Alabaster nicht nur das umfangreichste Konvolut darstellen, sondern durch diese große Menge auch gut mit den Angaben der Opferliste in Verbindung zu bringen sind.5 Aber auch einige Einzelfunde aus den Kammern sind hervorzuheben; so etwa ein 34 cm hoher Henkelkrug aus der Mastaba D 6, der wohl als Transportgefäß zum Import von kostbaren Ölen aus dem syrisch-palästinensischen Raum diente.6 Tatsächliche Kontakte ins Ausland können für den Grabherrn von D 6 nicht nachgewiesen werden.7 Auffällig an der Form des Kruges ist, dass dieser nach Fotografien nur einen Henkel aufzuweisen scheint (Abb. 1), typologisch ähnliche Gefäße jedoch immer mit zwei Henkeln ausgestattet sind.8 Es ist also anzunehmen, dass auch das Objekt aus Giza ursprünglich in dieser Form gestaltet war, da es sich aber um einen Kriegsverlust handelt, ist dies nicht mehr am Original nachzuweisen.9 Neben Gefäßen für die jenseitige Versorgung des Toten sind auch mehrere Relikte von Ritualhandlungen in den Grabkammern zu verzeichnen, beispielsweise das Modell eines Kalkstein-Waschgefäßes aus D 20. In den Zusammenhang der Reinigungs- und Räucherungsrituale gehören des Weiteren die Metallgefäße aus den Kammern der Mastabas D 6, D 203 und D 207/208, wobei die Funde aus D 203 aufgrund fehlender technischer Angaben und Abbildungen nicht genauer eingeordnet werden können. Das Stück aus Mastaba D 6, als dessen Fundort das Kopfende des Sarges angegeben wird, zeichnet sich durch einen kunstvoll gedrehten Henkel sowie einen dazugehörigen Spatel aus, der wohl zur Entnahme der Substanz gedient haben muss, die bei Auffindung noch als „grau-braune Masse“10 im Gefäß erkennbar war. Eine genaue Inhaltsbestimmung erfolgte jedoch nicht und da der Rückstand bei der Reinigung des Objekts verloren ging, kann heute nur noch gemutmaßt werden, worum es sich dabei gehandelt hat. 3 T. Rzeuska, Pottery of the Late Old Kingdom. Funerary Pottery and Burial Customs, Saqqara 2, Warschau 2006, 428–430. 4 Diese werden von Steindorff durchgängig als Mörtelkrüge bezeichnet. 5 H. Wilde, Grabbeigaben und ihre symbolische Bedeutung anhand eines Konvolutes aus Giza (Mastaba D 208). Überlegungen zum privaten Jenseitsglauben im Alten Reich, in: ZÄS 140 (2013), 183–184. 6 Vergleichbare Objekte fanden sich im Grab der Hetepheres und einigen anderen Elite-Mastabas, s. dazu: G. A. Reisner, A History of the Giza Necropolis II. The Tomb of Hetep-heres the Mother of Cheops. A Study of Egyptian Civilisation in the Old Kingdom, Cambridge 1955, Abb. 80.17j, Taf. 51–53 sowie I. Forstner-Müller / D. Raue, Elephantine and the Levant, in: E.-M. Engel / V. Müller / U. Hartung (Hgg.), Zeichen aus dem Sand. Streiflichter aus Ägyptens Geschichte zu Ehren von Günter Dreyer, Wiesbaden 2008, 144. 7 Ein möglicher Anhaltspunkt dabei wäre die Titulatur des Grabherrn, die jedoch nicht erhalten ist. 8 A. WodziĔska, Domestic and Funerary/Sacral Pottery from Fourth Dynasty Giza, in: T. I. Rzeuska / A. WodziĔska (Hgg.), Studies on Old Kingdom Pottery, Warschau 2009, 216. 9 Diese Meinung vertritt auch Spiekermann: ÄMUL 1484, in: Projekt-Giza (http://www.giza-projekt.org/), 06.02.2017. 10 Grabungstagebuch Giza 1905, ÄMULA, Grabungen Giza, 35.

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Beobachtungen zu den Bestattungsweisen des Alten Reiches in Giza

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Denkbar wäre Natron, das in Reinigungsriten Verwendung fand und auch Bestandteil der Opferliste ist.11 Die kleinen Metalltöpfchen aus D 207/208, welche sich direkt im Sarg befanden, lassen ebenfalls keine gesicherten Rückschlüsse auf ihre Verwendung zu, sind aber aufgrund ihrer Lage vielleicht in einem ähnlichen Kontext wie das Gefäß aus D 6 zu sehen. Aus einem anderen Grabschacht der gleichen Mastaba stammen weitere Metallgefäße, deren Formen denen großer Schüsseln mit karinierter Wandung entsprechen, die im Alten Reich zu Kochzwecken genutzt wurden.12 Ob die Verwendung der Schalen auch den keramischen Vorbildern folgt, ist fraglich. Da sie nicht direkt in der Kammer, sondern am Schachtboden platziert wurden, kann es sich ebenso um Relikte der Verschlussriten handeln, genauer um Räucher- oder Waschgefäße. Vergleichbare Objekte sind in keiner der anderen von Steindorff dokumentierten Grabanlagen belegt. Die Funde von den Schachtböden sind im Allgemeinen schlecht von denjenigen aus der Verfüllung zu trennen, da als Fundort oft nur der Schacht ohne weitere Differenzierung angegeben wird. Lediglich ein Stück aus D 20 steht zweifelsfrei in Zusammenhang mit dem Verschließen der Kammer, da es „in d[er] Schmiere“13 zwischen den Verschlusssteinen aufgefunden wurde. Es handelt sich dabei um ein Scheingefäß oder, nach Antje Spiekermann, vielleicht auch um den Standfuß eines Opfertischs.14 Die Formen der übrigen Gefäße aus den Schächten, die – anders als in den Kammern – ausnahmslos aus Ton bestehen, variieren von kleinen Opferschalen über Töpfe und (Mörtel-)Krüge bis hin zu Gefäßständern. Oft wurden auch nur Scherben der jeweiligen Gefäßtypen aufgefunden. Das Gesamtkonvolut aus den Schächten kann dem oberirdisch stattfindenden Totenmahl zugeschrieben werden, dessen Reste als Beweis des Vollzugs eines solchen mit in die Verfüllung des Grabschachtes gegeben wurden.15 Im oberirdischen Kultbereich ist die Fundsituation recht überschaubar; nur drei Keramikfunde können hier eingeordnet werden. Dies überrascht insofern, als dass durch rege Opfertätigkeit vor den Scheintüren der Gräber eine große Menge an Gefäßen zu erwarten wäre. Das Fehlen oberirdisch deponierter Keramik wurde jedoch auch in Dahschur beobachtet;16 mögliche Gründe könnten Grabräubertätigkeiten oder die regelmäßige Entfernung der Kultrelikte sein. Eine andere in Frage kommende Erklärung ist die fehlende Dokumentation durch Steindorff, der vielleicht aufgrund der schieren Menge der Keramik nur seltene oder unerwartete Funde aufnahm. Zu ebensolchen gehören drei kleine Tontöpfe aus dem Serdab von D 20, die mit „schwarzem, nilschlammähnlichem Inhalt“17 aufgefunden wurden. Vermutlich handelt es sich dabei um Rückstände von Ölen oder anderen Duftbzw. Räucheressenzen, die beim Mundöffnungsritual an den Statuen genutzt wurden. Katja Lehmann fasst die Töpfchen als Scheingefäße auf, gibt dazu aber keinen spezifischen Inter-

11 W. Barta, Die altägyptische Opferliste. Von der Frühzeit bis zu griechisch-römischen Epoche, MÄS 3, Berlin 1963, 84–85. 12 I. Forstner-Müller / D. Raue, Elephantine, 131–132. 13 Grabungstagebuch 1905, 61. 14 ÄMUL 2494, in: Projekt-Giza. 15 N. Alexanian, Ritualrelikte an Mastabagräbern des Alten Reiches, in: H. Guksch / D. Polz (Hgg.), Stationen. Beiträge zur Kulturgeschichte Ägyptens. Rainer Stadelmann gewidmet, Mainz 1998, 14–15. 16 D. Faltings, Die Keramik aus den Grabungen an der nördlichen Pyramide des Snofru in Dahshur. Arbeitsbericht über die Kampagnen 1983–1986, in: MDAIK 45 (1989), 135. 17 Grabungstagebuch 1905, 104.

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pretationsansatz.18 Im Allgemeinen können Scheingefäße im Serdab laut Lehmann der Versorgung der Statuen und damit auch des Verstorbenen selbst dienen.19 Ob sich diese These auch auf die Töpfe aus D 20 anwenden lässt, ist fraglich. Des Weiteren wurde im Außenbereich der Mastaba D 80 ein ca. 1 m hoher Gefäßuntersatz und bei D 32 A ein Bierkrug mit Inschriftensiegel entdeckt.20 Von Letzterem zeugt heute nur noch eine Skizze des Siegels (Abb. 2) im Grabungstagebuch des Jahres 1905, da der Verbleib des Stückes unbekannt ist.21 Die dreizeilige Inschrift ist recht fragmentiert und inhaltlich nicht zur Gänze zu erschließen, es sei jedoch erwähnt, dass zu Beginn bA.w Iwnw zu lesen ist und somit auf Heliopolis verwiesen wird.22 Sowohl der Untersatz als auch der Bierkrug können als Reste des Opferrituals vor der Scheintür des jeweiligen Grabes gesehen werden, ebenso ist aber eine Einordnung in die „Riten beim Bestattungszug auf das Mastabadach“23 zu erwägen, die in einem Grabrelief des Debeheni in Giza dargestellt sind. Auch dort sind Gefäße samt Ständer vor der Mastaba stehend zu sehen, während auf dem Grab die Statue des Grabherrn aufgestellt ist, vor der geopfert wird.24 Eine – ähnlich den Gefäßen – reichhaltig vertretene Objektgruppe bilden Werkzeuge, die vorwiegend aus Metall, genauer Kupfer/Bronze, vereinzelt aber auch aus Stein gefertigt sind. Die Werkzeuge stammen sowohl aus dem kosmetischen als auch dem handwerklichen Bereich, sind zumeist aber nur als Modelle mitgegeben. Laut Martin Odler hat dies ökonomische Gründe: Modellwerkzeuge sind in der Herstellung schlicht günstiger als solche in Normalgröße.25 Das kosmetische Inventar beinhaltet vor allem Nadeln, Pinzetten und Rasiermesser, die sich bei Auffindung nah am oder sogar im Sarg befanden. Neben dem rein kosmetischen bzw. hygienischen Kontext ist für diese Objekte auch eine Assoziation zu den in der Grabkammer stattfindenden Reinigungsriten in Betracht zu ziehen. Die in den handwerklichen Bereich zu setzenden Objekte sind Messer, Stichel und Meißel. Diese können als Werkzeuge der Mundöffnung oder der Mumifizierung gesehen werden; Letzteres ist laut Spiekermann jedoch unwahrscheinlich.26 Eine interessante These zum Zweck der Stücke stammt von Odler: Dieser sieht darin ein Zeichen für den sozialen Status des Bestatteten, genauer gesagt sollte gezeigt werden, dass der Grabherr in der Lage war, den von ihm beauftragten Handwerkern solcherlei Werkzeuge für ihre Arbeit zur Verfügung zu stellen.27 Des Weiteren gibt Odler an, dass die Geräte oft in Leinenfetzen eingewickelt

18 K. Lehmann, Der Serdab in den Privatgräbern des Alten Reiches, Heidelberg 2000, 102. 19 K. Lehmann, Serdab, 103. 20 Im Zusammenhang mit Mastaba D 32 A sei auch noch die architektonische Besonderheit erwähnt, dass der Serdab dieser Anlage nicht über einen Sehschlitz verfügt. Daraus kann geschlossen werden, dass wohl auch ohne diese Verbindung die Funktion des Serdabs bzw. der darin befindlichen Statue gewährleistet war. 21 Mastaba D 32/D 32 A, in: Projekt-Giza. 22 Für nähere Informationen dazu s. D. Raue, Heliopolis und das Haus des Re. Eine Prosopographie und ein Toponym im Neuen Reich, ADAIK 16, Berlin 1999, 14. 23 N. Alexanian, Ritualrelikte, 4. 24 Für eine Umzeichnung der Reliefszene s. N. Alexanian, Ritualrelikte, 6. 25 M. Odler / V. Dulíková, Social Context of the Old Kingdom Copper Model Tools, in: WorldArch 47,1 (2015), 103. 26 ÄMUL 2101–2103, 2108–2109, 2112–2114, 2122–2125, in: Projekt-Giza. 27 M. Odler, in: WorldArch 47,1 (2015), 103.

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wurden,28 laut den Grabungstagebüchern fanden sich allerdings keine Reste solcher Textilien. Hierzu erwies sich ein genauerer Blick auf das Rasiermesser ÄMUL 2130 als aufschlussreich, da Odler auf diesem Spuren von zersetztem Textil ausmachen konnte.29 Es ist also möglich und auch wahrscheinlich, dass die in Giza gefundenen Werkzeugkonvolute ursprünglich in Leinen gewickelt waren. Dazu ist aber zu bemerken, dass die Klinge mit Textilspuren nicht aus der Grabkammer, sondern zusammen mit einer Weiteren aus der Verfüllung des Grabschachtes stammt. Auch hier kann es sich um Überreste von Reinigungsriten handeln, möglicherweise von solchen im oberirdischen Bereich, die anschließend eingewickelt als Konvolut in den Schacht gegeben wurden. Eine dritte Beigabengruppe bildet der Schmuck, darunter vor allem Perlen aus Fayence, vereinzelt auch aus Holz oder Metall. Fundort ist mit wenigen Ausnahmen immer das Innere des Sarges, sodass es sich wohl um Leichenschmuck handelt. Heike Wilde gibt an, dass der Schmuck aus den Mastabas in Giza keinerlei Gebrauchsspuren aufweist, weshalb davon auszugehen ist, dass er als rein funeräre Beigabe gefertigt wurde.30 Besonderes Augenmerk liegt hier erneut auf einem Fund aus D 207/208, der zunächst als Gürtel bezeichnet wurde. Im Grabungstagebuch 1903 wird die Fundsituation wie folgt beschrieben: „Auf den 3 Stücken dieser Kopfstütze befindet sich ein stark oxydierter Metallgürtel […] in 2 Stücke zerbrochen“.31 Diese irrtümliche Annahme war der ungewöhnlichen Position an der Hüfte des Bestatteten im Sarg geschuldet. Uvo Hölscher bemerkt dazu in seinem Manuskript: „Der Kopf ruhte auf einer Kopfstütze, die, als der Leichnam zerfiel, aus ihrer Lage gerollt ist und nun seitlich fast beim Becken liegt. […] Auf dem Oberteil der Kopfstütze, durch das Oxyd fest angeklebt, findet sich ein stark oxydierter, metallener Kopfreif, in 2 Stücke zerbrochen.“32 Hier wird die Bezeichnung also bereits korrigiert und der Fund als Diadem identifiziert. Solche Objekte sind auch aus anderen Privatgräbern des Alten Reiches bekannt33 und waren, möglicherweise nach einer Nutzung zu Lebzeiten, auch zur jenseitigen Verwendung vorgesehen. Andere Objekte kommen nur in geringer Anzahl vor, auch hier muss jedoch bedacht werden, dass zu erwartende Stücke in einigen Fällen nicht aufgezeichnet wurden. So sind nur elf Kopfstützen schriftlich belegt, hierbei wäre eine größere Menge aber durchaus denkbar. Anders verhält es sich mit zwei Konvoluten von Tier-, genauer Rinder- und Vogelknochen aus D 24 und D 207/208, bei denen es sich um Überreste von Opfertieren handelt. Hier ist davon auszugehen, dass weitere Funde nicht unerwähnt geblieben wären. Sicher einer der spannendsten, aber auch rätselhaftesten unter den dokumentierten Funden ist „ein grosser [sic] knopfförmiger Gegenstand aus Kalkstein“34 (Abb. 3), der 1903 an 28 M. Odler, in: WorldArch 47,1 (2015), 101. 29 M. Odler, Old Kingdom Copper Tools and Model Tools, Archaeopress Egyptology 14, Oxford 2016, 242. 30 H. Wilde, in: ZÄS 140 (2013), 183. In anderen Nekropolen des Alten Reiches wurden auch diesseitig bereits genutzte Schmuckgegenstände mit ins Grab gegeben, s. dazu U. Dubiel, Amulette, Siegel und Perlen. Studien zur Typologie und Tragesitte im Alten und Mittleren Reich, OBO 229, Fribourg 2008, passim. 31 Grabungstagebuch Giza 1903, ÄMULA, Grabungen Giza, unpubliziert, 179. 32 A. Grimm (Hg.), Mastabas, 103. 33 Als Vergleichsstück sei hier auf ein Diadem aus der Grabkammer von G 7143 B in Giza verwiesen, s. dazu D. Dunham, An Egyptian Diadem of the Old Kingdom, in: BMFA XLIV, (1946), 23. 34 Grabungstagebuch 1903, 39.

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der südwestlichen Ecke der Mastaba des Tjesi (D 220) gefunden wurde. Das 54,5 cm hohe, massive Stück, welches heute unter der Inventarnummer CG 57174 im Ägyptischen Museum Kairo aufbewahrt wird, zeigt eine Scheintür und eine hieroglyphische Inschrift, die in eine Zeile und fünf Kolumnen unterteilt ist. Transkription und Übersetzung lauten nach Spiekermann wie folgt: Zeile: jry-x.t nzw jmy-rA Hmw.t(yw) 7sj Beauftragter für die Angelegenheiten des Königs, Vorsteher der Handwerker 7sj Kolumnen: (1) Dd=f jr(j).n(=j) Hn (2) pw sk.w(j) (3) j.mn(=j) x.t Xr dba.w (4) wab n-mr.wt (5) qrs m nw

Er sagt: Ich machte diesen Hn-Behälter als ich krank war (oder: Sachen verbarg) unter den Fingern eines Wab-Priesters, zur Bestattung in diesem.35

Sowohl das Objekt selbst als auch die Inschrift bieten reichlich Anlass für Spekulationen.36 Es lässt sich zwar eindeutig feststellen, dass das Stück in Zusammenhang mit einer Krankheit des Grabbesitzers stehen muss, nicht festzulegen ist jedoch, ob diese letztendlich zu dessen Tod führte oder es sich nur um ein schweres, aber überstandenes Leiden handelt. Auch die Bezeichnung des aufgesuchten Arztes, eines Wab-Priesters, lässt keine eindeutigen Rückschlüsse auf die Art der Krankheit zu. Form und Bezeichnung des Stückes geben ebenfalls wenig Aufschluss über dessen tatsächliche Bedeutung. Das Wörterbuch liefert mit der Übersetzung des Begriffes Hn als „Notgrab“37 zwar eine erste Deutungsmöglichkeit, Hermann Junker widerspricht dieser jedoch vehement und vermutet eher eine rituelle „Bestattung der Krankheit“38. Gegen diese These spricht die auf dem Objekt angebrachte Scheintür, da es wenig wünschenswert erscheint, mit einem Leiden nach dessen Bestattung – also der Genesung des Patienten – noch einmal in Kontakt zu treten. Die Idee eines Notgrabes hingegen ist insofern denkbar, als dass es sich um eine Art Scheinobjekt handeln könnte, vielleicht zur ideellen Aufnahme der Statue des Grabherrn, und damit als Ersatz für die Opferstelle vor der Scheintür, falls diese aufgrund der fortschreitenden Krankheit des Grabherrn nicht rechtzeitig fertiggestellt würde.39 35 Kairo, JE 57174, in: Projekt-Giza. H. Junker gibt die Übersetzung des letzten Abschnittes dagegen mit „um es in diesem (Grabe) beizusetzen“ an, s. dazu H. Junker, Gîza IX. Bericht über die von der Akademie der Wissenschaften in Wien auf gemeinsame Kosten mit Dr. Wilhelm Pelizaeus unternommenen Grabungen auf dem Friedhof des Alten Reiches bei den Pyramiden von Gîza. Das Mittelfeld des Westfriedhofs, DÖAW 73.2, Wien 1950, 52. 36 Für Anregungen und Hilfe bei der Deutung dieses Stücks danke ich im Besonderen Dr. Susanne Radestock und PD Dr. Dietrich Raue. 37 Wb III, 100. Der Übersetzung des Stückes im Digitalisierten Zettelarchiv ist die Erklärung beigefügt, dass das Objekt ein richtiges Grab aufgrund der Zeitnot des Grabherrn ersetzen soll, s. dazu DZA 26.887.640, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (http://aaew.bbaw.de/tla/), 20.02.2017. 38 H. Junker, Gîza IX, 52–53. 39 Es sei an dieser Stelle noch die These Edward Brovarskis erwähnt: Dieser sieht in frühdynastischen Turmmodellen Vorbilder für den Fund aus Giza. Da es sich dabei aber um deutlich kleinere, inschriftenlose Stücke aus anderen Materialien handelt, die allesamt eine im Relief ausgearbeitete Leiter als Zugang und Zinnen im oberen Bereich aufweisen, ist diese Annahme als unwahrscheinlich zu betrachten.

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3 Behandlung der Beigesetzten Aus den Grabungstagebüchern können Daten zu insgesamt 249 Begräbnissen erfasst werden. Davon beschränken sich 80 Fälle (32 %) auf den kurzen Vermerk eines Knochenfundes, von dem bei der Auffindung aufgrund eines zu hohen Zerstörungsgrades keine weiteren Informationen entnommen werden konnten. Diese Bestattungen geben somit keinen weiteren Aufschluss über die Behandlung der Beigesetzten und werden bei der Auswertung nicht berücksichtigt. Zur Unterscheidung der 126 belegten Körperhaltungen werden unterschiedliche Begrifflichkeiten verwendet, die zur besseren Vergleichbarkeit in Tab. 1 mit den von Stephan Seidlmayer genutzten Kontraktionsstufen in Beziehung gesetzt sind.40 Eine klare Abgrenzung der Begriffe ist jedoch schwierig. Zwar lässt sich anhand der Skizzen in den Tagebüchern eine scheinbare Unterscheidung anhand des Winkels von Rumpf zu Femur/Oberschenkelknochen ausmachen, diese zeigt jedoch auch Ausnahmen und erlaubt somit keine eindeutigen Rückschlüsse. Des Weiteren werden oft ganze Phrasen für die Beschreibung einer Bestattung verwendet, so etwa „Hocker, mit wenig angezogenen Knieen“41. Diese werden im Folgenden unter dem vermeintlich charakteristischeren Merkmal eingeordnet, im Beispiel wäre dies Knie/Beine leicht angezogen. So ergibt sich folgende Verteilung: Nach Steindorff Zusammengepresst Zusammengekauert Zusammengezogen Embryonal Hocker / Knie hoch angezogen Knie / Beine angezogen Kniender Hocker Kniend Knie / Beine leicht angezogen Gekrümmt Ziemlich / fast gestreckt Ausgestreckt

Nach Seidlmayer

Anzahl der Belege

kontrahiert

59 Belege

semikontrahiert

41 Belege

locker gestreckt

15 Belege

gestreckt

11 Belege

Tab. 1: Angaben zur Körperhaltung der Bestatteten. Es zeigt sich eine Dominanz der kontrahierten bzw. semikontrahierten Haltung. Beide sind für Bestattungen des Alten Reichs typisch. Auch die locker gestreckten Körper entsprechen S. dazu E. Brovarski, A Unique Funerary Monument of Old Kingdom Date in the Egyptian Museum, in: M. Eldamaty / M. Trad (Hgg.), Egyptian Museum Collections around the World 1, Kairo 2002, 184– 186. 40 S. J. Seidlmayer, Gräberfelder aus dem Übergang vom Alten zum Mittleren Reich. Studien zur Archäologie der Ersten Zwischenzeit, SAGA 1, Heidelberg 1990, passim. 41 Grabungstagebuch Giza 1906, ÄMULA, Grabungen Giza, 100.

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der üblichen Lage, lediglich die gänzlich ausgestreckten bilden eine Ausnahme, die einer näheren Betrachtung bedarf. Zunächst müssen zwei der Angaben dazu als unsicher eingestuft werden, da diese nur anhand der Größe des Sarges resp. der Kammer als gestreckt eingestuft wurden.42 Da zu einer weiteren als „vermutlich gestreckt“43 bezeichneten Bestattung der Zusatz „leicht angezogene Knie“ hinzugefügt wird, kann ebenso eine locker gestreckte Haltung für die beiden unsicheren Bestattungen angenommen werden. Die Streckung einer in Schacht 6 von D 19 belegten Leiche kann durch deren Datierung erklärt werden, die mit „offenbar Spätzeit“44 angegeben wird. Indizien für diese konkrete Annahme werden nicht genannt, dass es sich aber eindeutig um ein sekundäres Begräbnis handelt, zeigt bereits die Positionierung des Körpers auf dem Sargdeckel des ursprünglich Bestatteten. Für die übrigen acht Belege, die allesamt in die 5. bis 6. Dynastie datieren,45 ist in Betracht zu ziehen, dass sich hier bereits Tendenzen der ab dem Ende des Alten Reiches aufkommenden Änderung der Grabsitte von der (semi-)kontrahierten hin zur gestreckten Lage der Bestatteten abzeichnet, die auch in anderen Nekropolen das Alten Reiches, wie etwa Qau-Badari, zu beobachten ist.46 Hiermit hängt auch ein Wandel der Bettung der Körper, von linksseitiger Lage hin zur Rückenlage zusammen.47 Im Falle der hier zu behandelnden Gräber stellt sich dies vorerst wie folgt dar: Kontrahiert Seitenlage Rückenlage

6 2

Semikontrahiert 8 2

Locker gestreckt 3 2

Gestreckt 2 3

Keine Angabe 3

Tab. 2: Angaben zur Bettung der Bestatteten. Explizite Angaben zur Bettung finden sich nur selten, ergänzend sind diese jedoch auch aus den den Bestattungsbeschreibungen beigefügten Skizzen zu entnehmen. Es zeichnet sich noch kein klares Bild ab. Die Seitenlage dominiert, anders als erwartet, nur schwach. Es muss jedoch berücksichtigt werden, dass auch für die in (semi-)kontrahierter Position liegenden Bestatteten eine seitliche Bettung anzunehmen ist, womit diese deutlich überwiegen. Für die locker gestreckten Beispiele kann ebenfalls vermutet werden, dass zumindest deren Beine zur Seite gewandt lagen. Aus der Bestattung in Schacht 1 der Mastaba D 89 geht hervor, dass bei einer Bettung in Rückenlage die nach oben angezogenen Beine offenbar nicht immer dauerhaft in ihrer Position verblieben: „Die Leiche ruht auf d. Rücken; […] Die Knie waren etwas angezogen u. sind nach l[inks] gefallen.“48 Fraglich bleibt hierbei jedoch, aus welchem Grund angenommen wurde, dass die Beine sich erst nachträglich zur Seite geneigt haben. 42 Die Größe des Sarges aus D 73, Schacht 1 ist nicht genau angegeben (Grabungstagebuch 1906, 42). Die Kammer von D 70, Schacht 3 hat eine Länge von 1,70 m (Grabungstagebuch 1906, 59). 43 Grabungstagebuch 1906, 73. 44 Grabungstagebuch 1905, 56. 45 Mastaba D 6, Mastaba D 32 / D 32 A, Mastaba D 56, Mastaba D 80, Mastaba D 85, Mastaba D 95, Mastaba D 211, in: Projekt-Giza. 46 G. Brunton, Qau and Badari I, BSAE 44, London 1927, 51. 47 S. J. Seidlmayer, Gräberfelder, 413. 48 Grabungstagebuch 1906, 90.

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Seidlmayers These, die Seitenlage sei für Nekropolen des Alten Reiches als typisch zu bezeichnen, hat sich damit bestätigt. Eine Angabe bezüglich der Seite, der sich die Verstorbenen zuwenden, findet sich selten konkret in den Beschreibungen und ist in erster Linie der Ausrichtung von Kopf und Blick zu entnehmen:

Ausrichtung des Kopfes

Blickrichtung Norden

Süden

Osten

Westen 2

Nach oben 1

Keine Angabe 20

Norden

-

-

115

Süden

-

-

-

1

-

5

Osten

-

2

-

-

-

1

Westen

1

-

-

-

-

-

Nordosten

-

-

-

-

-

1

Nordwesten

-

1

-

-

-

-

Aufgenommen gesamt: 150 Tab. 3: Angaben zur Ausrichtung der Bestatteten nach den Himmelsrichtungen. Daraus ergibt sich, dass nicht linksseitig gebettete Bestattete als absolute Ausnahmen zu sehen sind, womit ebenfalls die bereits geltende Forschungsmeinung bekräftigt wird. Da die zweimal vorkommende rechtsseitige Lage ein Resultat nicht regelhafter Ausrichtung ist, werden diese Fälle weiter unten diskutiert. Zunächst sollen noch die auf dem Rücken liegenden Körper im Fokus stehen. Die These der Verbindung von Streckung und Rückenlage49 kann für die hier relevanten Gräber noch nicht nachgewiesen werden, da die Verteilung über die verschiedenen Körperhaltungen sehr gleichmäßig ist. Für die kontrahierten bis locker gestreckten Fälle kann angenommen werden, dass sich die Rückenlage aus bereits erwähnten Gründen nur auf den oberen Teil des Körpers bezieht resp. Seitenlage mit Neigung der vom Boden abgewandten Schulter nach hinten vorliegt. Diese Vermutung wird durch Formulierungen wie „etwas auf dem Rücken“50 bekräftigt. So kann nur die mit ausgestreckter Haltung einhergehende Rückenlage eindeutig als atypisch bezeichnet werden. Es kann sich dabei schlicht um Ausnahmefälle handeln, möglicherweise bilden die drei Bestatteten aber auch frühe Beispiele für Seidlmayers Annahme. Die Positionierung mit nachträglicher Fremdeinwirkung in Verbindung zu bringen, führt zu keinem eindeutigen Ergebnis. Zwar ist für Mastaba D 211 angegeben, dass die Grabschächte „ausgeräumt“51 sind; dass damit auch eine unmittelbare Veränderung am Bestatteten einherging wird aber nicht erwähnt. Dennoch ist eine solche nicht auszuschließen. Interessant ist, dass für die drei zu betrachtenden Bestattungen immer die Lage des Kopfes im Norden, jedoch 49 S. J. Seidlmayer, Gräberfelder, 413. 50 Grabungstagebuch 1906, 43. 51 Grabungstagebuch 1903, 96.

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nie dessen Blickrichtung angegeben wird. Da Seidlmayer davon ausgeht, dass auch zu Beginn des Trends zur Rückenlage der Kopf noch zur Seite, meist also nach Osten gedreht wird und sich erst nach und nach eine Tendenz zum Blick nach oben erkennen lässt,52 wäre mit Hilfe der fehlenden Angabe eine bessere Einordnung in diese Entwicklung möglich. Die Blickrichtung nach oben ist lediglich für eine Bestattung in Mastaba D 27 belegt, die sich zwar in Rückenlage befand, deren Körperhaltung jedoch nicht dokumentiert ist, sodass auch hier aufgrund der fehlenden Angabe eine sichere Klassifizierung nicht möglich ist. Betrachtet man nun die Ausrichtung nach den Himmelsrichtungen insgesamt, fällt sofort die der Grabsitte entsprechende starke Mehrheit von 76,7 %53 der mit dem Kopf nach Norden und dem Blick nach Osten orientierten Bestatteten auf. Es ist keine klare Tendenz der davon abweichenden Belege auszumachen. Die bereits angesprochenen Fälle, in denen das Gesicht nach Westen gewandt ist, sind nach Seidlmayer auch in vielen vergleichbaren Nekropolen zu beobachten und somit als regelhafte Ausnahmen zu betrachten.54 Eine Begründung für dieses Phänomen ist nicht eindeutig nachzuweisen. Die auf anderen Friedhöfen beobachteten Abweichungen in der Ausrichtung sind oft mit der Orientierung nach der jeweiligen Siedlung in Zusammenhang zu setzen.55 In Giza kommt dies jedoch nicht in Frage. Die wenigen normabweichenden Ausrichtungen sind regelmäßig verteilt und stehen somit wohl mit individuellen Grabbedingungen in Verbindung und orientieren sich nicht an der gesamten Nekropole. Sie müssen in Zusammenhang mit der Datierung, Befundstörungen wie Grabplünderungen sowie architektonischen Umständen gesetzt werden. Des Weiteren ist auch ein durch den jeweiligen Grabherrn persönlich begründeter Faktor in Betracht zu ziehen. Bei dem mit dem Kopf im Nordosten liegenden Verstorbenen lässt sich recht einfach eine Erklärung für dessen ungewöhnliche Lage festlegen, da es sich um die bereits angesprochene Sekundärbestattung aus D 19 handelt. Die mit fünf Belegen am stärksten vertretene Abweichung ist ein nach Süden gerichteter Kopf mit fehlender Angabe zur Blickrichtung. Vier dieser Fälle stammen aus unterschiedlichen Schächten der Mastaba D 2, der fünfte wurde in D 207/208 aufgefunden. Auf den von Seidlmayer aufgenommenen Friedhöfen zeigt sich eine Orientierung nach Süden am häufigsten in Verbindung mit dem Blick nach Westen. Dies entspricht auch der Blickrichtung eines einzelnen weiteren Beispiels aus Giza, dessen Kopf sich im Süden befindet. Besonders die auffallende Häufigkeit der südlichen Ausrichtung in D 2 legt nahe, dass es sich nicht um zufällige Ausnahmen handelt, so von solchen überhaupt zu sprechen ist. Anhand der dem Grabungstagebuch zu entnehmenden Informationen ist dennoch keinerlei Anhaltspunkt zur Begründung dieser Tatsache zu finden. Es bleibt aber zu erwähnen, dass bei keinem der Beigesetzten Beigaben gefunden wurden. Dies könnte ein Hinweis auf weniger aufwendige Bestattungen sein, möglich sind aber auch persönliche Faktoren der Beigesetzten. Architektonische Gegebenheiten spielen möglicherweise bei den Bestattungen aus Schacht 12 von Mastaba D 59 sowie in D 78 eine Rolle. Im Falle der Ersteren liegt der Grabschacht neben der Kultkammer. Dies spricht für einen nachträglichen Einbau, welcher 52 S. J. Seidlmayer, Gräberfelder, 413. 53 Möglicherweise sind zusätzlich einige Bestattete, deren Kopf im Norden liegt, deren Blickrichtung jedoch nicht angegeben wird, diesem Wert zuzurechnen. 54 S. J. Seidlmayer, Gräberfelder, 417. Es muss dabei angemerkt werden, dass es sich bei den anderen Nekropolen nicht um Residenzfriedhöfe handelt. 55 S. J. Seidlmayer, Gräberfelder, 413.

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jedoch nicht viel später als das eigentliche Grab eingebracht worden sein muss. Die Kammer ist nach Westen ausgerichtet, ihre Größe könnte also ausschließlich eine ebenfalls der Ost-West-Orientierung folgende Bettung erlaubt haben. Mit dem Blick nach Norden folgt man hier wieder der Richtlinie der linksseitigen Lage. Auch in Mastaba D 78 ist die Kammer nach Westen ausgerichtet und somit vielleicht Grund für die Lage des Leichnams mit dem Kopf nach Osten und dem Blick nach Süden. Da der Bestattete aber mit Brüchen in Wirbelsäule und Oberschenkel aufgefunden wurde,56 kommen hier zusätzlich Veränderungen durch äußere Faktoren in Frage.57 Auch in Schacht 1 von D 89 ist eine nachträgliche Änderung der Position in Betracht zu ziehen. Der Bestattete liegt hier mit dem Kopf im Nordwesten und dem Blick nach Süden. Laut Grabungstagebuch ist der „Kopf […] auf d. Brust herabgesunken“58. Da sich bei dieser Leiche, wie oben erwähnt, auch die Beine zur Seite geneigt haben, könnte die Positionierung ursprünglich der Grabsitte folgend gewählt worden, der Kopf aber durch das Herabsinken nach Westen gerutscht sein und somit ergab sich auch der Blick nach Süden. Es ist als signifikant zu bezeichnen, dass auch bei den abweichenden Orientierungen bis auf zwei Ausnahmen die linksseitige Bettung beibehalten wurde, wodurch auf eine essenzielle Bedeutung ebendieser zu schließen ist. Insgesamt kann für alle zu betrachtenden Bestatteten ein kontrahiert bis leicht gestreckt liegender, linksseitig gebetteter Körper, dessen Kopf nach Norden und Blick nach Osten orientiert ist, als typische Positionierung bezeichnet werden. Die aufgezeichneten Beobachtungen Steindorffs bekräftigen also sowohl in dieser Hinsicht als auch in Bezug auf die Verwendung von Ritualkeramik die bestehenden Annahmen zu den Bestattungssitten des Alten Reiches. Durch Einzelstücke wie das „Notgrab“ oder das Henkelgefäß ergeben sich zudem neue, individuelle Aspekte, deren nähere Betrachtung lohnenswert ist. Durch die Grabungstagebücher allein können nicht alle offenen Fragen zur Gänze geklärt werden, dennoch sind die Aufzeichnungen in vielerlei Hinsicht sehr aufschlussreich und zeigen weitere Perspektiven der Arbeit mit Archivmaterialien zu Ausgrabungen des frühen 20. Jahrhunderts auf. Abbildungsverzeichnis Abb. 1: ÄMUL 1484, Ägyptisches Museum – Georg Steindorff – der Universität Leipzig. Abb. 2: Grabungstagebuch Giza 1905, ÄMULA, Grabungen Giza, 110. Abb. 3: Nach A. Spiekermann, Kairo JE 57174, in: Projekt-Giza.

Literaturverzeichnis Alexanian, N., Ritualrelikte an Mastabagräbern des Alten Reiches, in H. Guksch / D. Polz (Hgg.), Stationen. Beiträge zur Kulturgeschichte Ägyptens. Rainer Stadelmann gewidmet, Mainz 1998, 3–30. Barta, W., Die altägyptische Opferliste. Von der Frühzeit bis zu griechisch-römischen Epoche, MÄS 3, Berlin 1963. 56 Grabungstagebuch 1906, 86. 57 Wann genau diese Frakturen entstanden sind, ist nicht zu bestimmen; sicher scheint jedoch, dass erst ein Zeitpunkt post mortem in Frage kommt, s. dazu Mastaba D 78, in: Projekt-Giza. 58 Grabungstagebuch 1906, 90.

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Beobachtungen zu den Bestattungsweisen des Alten Reiches in Giza

Abb. 1: Henkelkrug aus D 6.

Abb. 2: Inschrift des Siegels auf einem Bierkrug aus D 32 A.

Abb. 3: Zeichnung des Objekts aus D 220.

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Monumentalisierte Feindvernichtung: die Felidenfellträgerstatuen des Monthemhat* Patrizia Heindl

Four of the statues that belong to the ensemble of Monthemhat show him wearing a felidskin. These statues, however, vary in terms of their dimensions, material, typology as well as certain iconographic details. A study of the panther-skin-bearer motif with reference to the ritually inherent destruction of enemies, explains the variations of the statues, and sheds new light on those individuals who are depicted wearing a panther-skin. 1 Einleitung Von Monthemhat, dem Bürgermeister von Theben, sind vier Statuenfragmente erhalten, die als ikonographisches Merkmal ein über der linken Schulter liegendes Felidenfell1 mit Schärpe zeigen. Typologisch jedoch unterscheiden sich die Statuen. Es stellt sich daher die Frage, was das eigentliche Motiv2 der Statuen ist, das hier in mehreren Varianten aufgegriffen wurde. Um dieser Frage nachzugehen, werden nach einer kurzen Vorstellung der Person und der Statuenfragmente die einzelnen Darstellungselemente, die sich im Gesamtmotiv zusammenfügen, ausdiskutiert. Hierbei wird auf die Nutzung der Darstellungsvarianten und der Materialien eingegangen, welche die Konnotationsebenen des Gesamtmotives zeigen. Es folgt ein Abriss der Typengeschichte des Motivs „Felidenfellträger“, um abschließend einen Vorschlag für die Einzelmotive zu erreichen.3 Das Statuenensemble des Monthemhat bietet hervorragende Grundlagen für eine derartige Untersuchung, da einerseits unterschiedliche Statuentypen mit ähnlicher Ikonographie und andererseits sehr viele sowohl *

Vielen Dank an dieser Stelle an das gesamte BAJA-Team und an Frau Prof. Verbovsek für die hervorragenden Möglichkeiten, die sich in diesem Rahmen bieten. 1 Ich möchte hier bei der weiter gefassten Bezeichnung Felidenfell bleiben, um keine Gleichsetzung von Leopard und Gepard zu implizieren. Eine genaue Unterscheidung ist anhand des archäologischen Befundes nicht möglich. So auch D. Kleinsgütl, Feliden im Alten Ägypten, BZÄ 14, Berlin 1993, bes. 68. 2 Zur Definition von Motiv und Typus: A. Verbovsek, Motiv und Typus der sog. Hyksosmonumente. Ein neuer methodischer Ansatz zur Untersuchung altägyptischer Rundbilder, in: SAK 30 (2002), 305–314. 3 Der Beitrag beruht auf meiner Masterarbeit: P. Heindl, Die Felidenfellträgerstatuen des Monthemhat, unpublizierte Masterarbeit, München 2016. Als Methode wurde eine abgewandelte Form der von Valérie Angenot vorgeschlagenen Analyse zur hermeneutischen Untersuchung ägyptischer Darstellungen verwendet: V. Angenot, A Method for Ancient Egyptian Hermeneutics (with Application to the Small Golden Shrine of Tutankhamun), in: A. Verbovsek / B. Backes / C. Jones (Hgg.), Methodik und Didaktik in der Ägyptologie, Herausforderungen eines kulturwissenschaftlichen Paradigmenwechsels in den Altertumswissenschaften, Ägyptologie und Kulturwissenschaft 4, München 2011, 255–286; V. Angenot, Semiotics and Hermeneutics, in: M. R. Hartwig (Hg.), A Companion to Ancient Egyptian Art, Blackwell Companions to the Ancient World, Chichester 2015, 98–119. Für die Ausdeutung der einzelnen Anomalien wurde eine tabellarische Auflistung des neuesten Forschungsstandes verwendet, die im dritten Schritt für die Gesamtinterpretation abgeglichen wurde.

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schriftliche als auch archäologische Quellen zur Person erhalten sind. Dies macht es möglich sich in besonderer Weise der Situationskompetenz, die zur Erkennung der Motive nötig ist, zu nähern.4 2 Die Person Monthemhat Monthemhat war einer der bedeutendsten Beamten des spätzeitlichen Ägypten. Er lebte vom Ende der 25. Dyn. unter Taharqo bis mindestens zum 14. Regierungsjahr Psammetichs I.5 Dem kuschitischen Königshaus den Quellen nach sehr nahe stehend, genoss er trotz der recht gewöhnlichen und häufig erscheinenden Titel des jrj pa.t HAtj-a n njw.t und Hm nTr 4-nw n Jmn eine besondere Stellung innerhalb des Staatsgefüges.6 Zur Zeit der assyrischen Besatzung wurde er zu den Šarru, den ägyptischen Kleinkönigen, gezählt.7 Auch nach dem Übergang zur 26. Dynastie verlor er seinen Einfluss nicht. Neben vielen schriftlichen Quellen sind von ihm auch archäologische Strukturen erhalten, wozu außergewöhnliche Bauwerke zählen. Hier seien vor allem sein monumentales Grab im Assasif (TT 34) und die Bauten innerhalb des Mut-Bezirks in Karnak genannt.8 Sein großes Statuenensemble ist 4 S. hierzu auch A. Verbovsek, in: SAK 30 (2002), 309 und J. Assmann, Die Macht der Bilder, in: H. G. Kippenberg (Hg.), Visible Religion VII: Genres in Visual Representations. Proceedings of a Conference held in 1986, Leiden 1990, 2–3. 5 J. von Beckerath, Ein Torso des MentemতƝt in München, in: ZÄS 87 (1962), 1–8, 3, Anm. 2. Er führt hier das Graffito der östlichen Wüste (Wadi Gassas) an, welches in das 14. oder 16. Regierungsjahr Psammetichs I. datiert, s. J. Leclant, Montouemhat, quatrième prophète d’Amon, prince de la ville, BdE 35, Kairo 1961, 188 (Doc. 41) sowie die Vignette im Pap. Brooklyn 47.218.3, dem sog. Saïtischen Orakelpapyrus. Günter Vittmann geht davon aus, dass Monthemhat im 16. oder 17. Regierungsjahr Psammetichs I. starb: G. Vittmann, Priester und Beamte im Theben der Spätzeit, BZÄ 1, Wien 1978, 194; so auch U. Rößler-Köhler, Individuelle Haltungen zum Ägyptischen Königtum der Spätzeit. Private Quellen und ihre Königswertung im Spannungsfeld zwischen Erwartung und Erfahrung, GOF 21, Wiesbaden 1991, 172. 6 Zur Familie Monthemhats: J. Leclant, Montouemhat, 263–279; J. H. Taylor, A Note on the Family of Montemhat, in: JEA 73 (1987), 229–230 und M. L. Bierbrier, More Light on the Family of Montemhat, in: H. W. Fairman / J. Ruffle / G. A. Gaballa / K. A. Kitchen (Hgg.), Glimpses of Ancient Egypt. Studies in Honour of H. W. Fairman, Warminster 1979, 116–118. Ein Überblick über die Verbindung von Monthemhat zu seinen Zeitgenossen: H. Kees, Die priesterliche Stellung des Monthemhet, in: ZÄS 87 (1962), 60–66; G. Vittmann, Priester und Beamte, 96–100, 170, 172, 193–194 sowie D. A. Pressl, Beamte und Soldaten. Die Verwaltung in der 26. Dynastie in Ägypten (664–525 v. Chr.), Frankfurt a. M. 1998, 63–67, 75–78. Eine ausführliche Auflistung aller Titel des Monthemhat bei J. Leclant, Montouemhat, 251–258. 7 Die Quelle hierfür sind die Assurbanipal-Annalen (Prisma A, 109), H.-J. Onasch, Die assyrischen Eroberungen Ägyptens I, ÄAT 27, Wiesbaden 1994, 118–119f. und kurz zusammengefasst S. Herrmann, Monthemhat, der Stadtgraf von Theben. Eine außergewöhnliche Karriere in der ägyptischen Spätzeit, in: Sokar 23 (2011), 90–95. 8 Einen generellen Überblick zu den Inschriften und Bauwerken bietet: J. Leclant, Montouemhat, 171– 239; K. Jansen-Winkeln, Inschriften der Spätzeit III: Die 25. Dynastie, Wiesbaden 2009, 204, 451–491; zur Wanddekoration des Lichthofs s. I. Gamer-Wallert, Die Wandreliefs des Zweiten Lichthofes im Grab des Monthemhat (TT 34), Wien 2013; L. Gestermann, / F. Gomaà, The Tomb of Montuemhat (TT 34) in the Theban Necropolis. A New Approach, in: E. Pischikova / J. Budka / K. Griffin (Hgg.), Thebes in the First Millenium BC, Newcastle 2014, 201–203; M. Nasr, The Excavations of the Tomb of Montuemhat at Thebes, in: Memnonia 8 (1997), 211–223. Zu den Bauten im Mut-Bezirk: R. A. Fazzini, Aspects of the Mut Temple’s Contra-Temple at South Karnak I, in: L. Gabolde (Hg.), Hommages offerts à Jean-Claude Goyon pour son 70ème anniversaire, BdE 143, Kairo 2008, 139–150 und R. A.

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von außergewöhnlicher Qualität. Neben den hier besprochenen vier Statuenfragmenten mit Felidenfell sind 14 weitere Statuen und Statuenfragmente erhalten.9 3 Die vier Felidenfellträgerstatuen des Monthemhat Das Statuenensemble wurde erstmals 1961 von Jean Leclant umfassend veröffentlicht. Zwei der vier mit Felidenfell versehenen Statuenfragmente wurden bereits in diesem Zuge bearbeitet.10 Es handelt sich um Fragmente von Gruppensitzstatuen: einmal, um den oberen Teil einer Statue von Monthemhat und seinem Sohn Nesptah (Abb. 1a und b)11, die in der Cachette von Karnak gefunden wurde und einmal, um den oberen Teil einer Familiengruppe (Abb. 2a und b)12, die im Kunsthandel erworben wurde und einst Monthemhat mit einer seiner Frauen zeigte.13 1962 publizierte Jürgen von Beckerath das Torsofragment einer Standschreitstatue, das ebenfalls aus dem Kunsthandel stammt (Abb. 3a und b).14 Eine Miszelle von Biri Fay folgte 2002, in der ein weiteres Fragment einer Standschreitstatue aus der Privatsammlung Haer in Los Angeles (Abb. 4) bekannt gemacht wurde.15 3.1 Maße, Material, Typologie und Ikonographie Die Maße und das Material sowie die typologische und ikonographische Untersuchung lassen eine Einteilung der Objekte in zwei Gruppen zu: Zwei der Statuen sind kleinformatig

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Fazzini, Aspects of the Mut Temple’s Contra-Temple at South Karnak II, in: S. D’Auria (Hg.), Offerings to the Discerning Eye: An Egyptological Medley in Honour of Jack A. Josephson, CHANE 38, Leiden / Boston 2010, 83–101. Die Objekte Kairo CG 42236, CG 42240 inkl. „Fragment A“ und Kairo RT 12/3/36/1, CG 42238, CG 1098, CG 42237, CG 646, CG 647, CG 42239, „Doc.6“, London BM 1643, Berlin 17271, „Doc. 11: Fouilles IFAO Karnak-Nord T 40“, das „Fragment volé“ und „Fragment B“. J. Leclant, Montouemhat, 3–106 (eventuell ist noch das „Fragment C“ als Teil des Statuenensembles zu sehen, es könnte sich dabei aber ebenfalls um eine Statue des Nesptah II. handeln). Im Rahmen meiner Dissertation werden die Statuen des Monthemhat neu aufgearbeitet. Das von Jean Leclant als Doc. 8 aufgeführte Objekt Brooklyn Museum 16.580.185 wurde bereits von Herman De Meulenaere ausgeschlossen: H. De Meulenaere, Nesptah. Fils et successeur de Montouemhat, in: CdE 83 (2008), 98–108, bes. 102 (hier wird auch das Fragment Kairo, RT 12/3/36/1 dem Fragment CG 42240 zugeordnet). J. Leclant, Montouemhat, 79–88 (Doc. 12 und 13). Kairo CG 42241. Chicago Field Museum 31723 / Brooklyn Museum 16.580.186. Erhalten ist bei diesem Stück Monthemhat, auf dessen Rücken eine Hand zu erkennen ist (Abb. 2b), weshalb diese Staue eindeutig dem Typ der Familiengruppe zuzuordnen ist. Anders bei J. Leclant, Montouemhat, 87. Wer die dargestellte Ehefrau war, ist unsicher. Wahrscheinlich handelte es sich jedoch um Udjarenes, deren Abbildungen auch im Grab des Monthemhat allgegenwärtig sind; so z. B. auf der westlichen Südwand der Pfeilerhalle, I. Gamer-Wallert, Die Wandreliefs, 63 und Abb. 21 und auch monumental als Sitzfiguren im Halbrelief im ersten Lichthof des Grabes, E. R. Russmann, Mentuemhat’s Kushite Wife (Further Remarks on the Decoration of the Tomb of Mentuemhat, 2), in: JARCE 34 (1997), 34, Abb. 10. Die Inventarnummern der beiden Fragmentstücke Gl 127 und Gl 536 wurden unter der Inventarnummer München ÄS 127 zusammengefasst. Anders noch bei J. von Beckerath, in: ZÄS 87 (1962), 1, Anm. 2. B. Fay, Another Statue of Montuemhat, in: GM 189 (2002), 23–32. Dort wird darauf hingewiesen, dass weitere Bruchstücke des Objektes bei den Ausgrabungen von Richard Fazzini im Mut-Bezirk gefunden wurden. Diese stammen aus dem Debris des ersten Vorhofs, sind leider aber noch nicht veröffentlicht: R. A. Fazzini, Aspects II, 96.

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und bestehen aus schwarzem Granit, die beiden anderen waren einst etwa lebensgroß und wurden aus rotem Quarzit gefertigt.16 Typologisch handelt es sich bei den kleinformatigen Objekten aus schwarzem Gestein um Gruppensitzstatuen und bei den Objekten aus rotem Gestein um Standschreitstatuen.17 Obwohl alle Objekte das Felidenfell zeigen, sind auch ikonographische Unterschiede, besonders im Hinblick auf die Haartracht, zu fassen: Die Personen der kleinformatigen Gruppensitzstatuen wurden mit Perücken dargestellt. Zu bemerken ist zusätzlich, dass sich die Perückenformen der Gruppensitzstatuen unterscheiden. Für die Darstellung von Monthemhat und Nesptah (Abb. 1a) wurde eine einfache Strähnenperücke als Haartracht gewählt, wohingegen die Familiengruppe (Abb. 2a) Monthemhat mit sehr elaborierter Perücke mit Löckchen und Unterschnitt zeigt. Im Gegensatz dazu sind bei der Standschreitstatue in München (Abb. 3b) keine Perückenreste an der Schulter erhalten. Bereits Ludwig Borchard ging hier von einer Darstellung mit kahlem Kopf aus, der ich mich an dieser Stelle anschließen möchte.18 Leider ist über die Haartracht des Fragmentes in der Sammlung Haer keine Aussage möglich. 3.1.1 Die Inschriften und eine besondere Darstellung Die auf der Schärpe erhaltenen Inschriften zeigen bei den beiden Standschreitstatuen Reste der Königsnamen Taharqos, wobei diese zumindest bei dem Münchner Objekt intentionelle Zerstörungen aufweisen.19 Im Gegensatz dazu ist bei den Gruppenstatuen auf der Schärpe die Titulatur des Felidenfellträgers zu sehen. Weitere Inschriftenreste finden sich auf den erhaltenen Rückenplatten der kleinformatigen Gruppensitzstatuen. Diese weisen unterschiedliche Inschriftenformulare auf, die im Allgemeinen sehr fragmentarisch erhalten sind: Die Familiengruppe (Abb. 2b) trägt Reste einer Bauinschrift, wohingegen auf der Rückseite der Gruppe von Monthemhat und Nesptah (Abb. 1b) Teile funerärer Inschriften erkennbar sind.20 16 Schwarzer Granit: Der obere Teil der Statue CG 42241 ist bis auf Hüfthöhe erhalten: Höhe 34 cm. Das Objekt, bestehend aus den beiden Fragmenten (Kopf) Chicago Field Museum 31723 und (Torso) Brooklyn Museum 16.580.186, ist ab der Taille zerstört und misst insgesamt 27,5 cm. Rotes Hartgestein: München ÄS 127 zeigt Ansätze des Halses und ist bis über die Hüftgrenze intakt, der Kopf fehlt; Höhe: 53,5 cm. Das Fragment der Sammlung Haer ist nur ein Bruchstück des Brustbereiches, misst aber dennoch in der Höhe 23 cm. 17 Die typologische Einordnung der Standschreitstatuen basiert bei dem Münchner Objekt auf der aufrechten Körperhaltung. Da noch Teile des Oberschenkelansatzes erhalten sind, lässt sich mit Sicherheit feststellen, dass es sich hierbei um eine Standschreitstatue handelt. Das Fragment aus der Sammlung Haer wird aufgrund der weiteren Bruchstücke, die von Richard Fazzini gefunden wurden, als Standschreitstatue identifiziert: R. Fazzini, Aspects II, 96. 18 J. von Beckerath, in: ZÄS 87 (1962), 1. Alternativ käme eine kurze Haartracht in Frage, was für eine Priesterdarstellung jedoch unüblich wäre. 19 Bei der Erwähnung von Richard Fazzini gibt es keine genauen Aussagen über den Zustand des erwähnten Königsnamens. S. hierzu R. Fazzini, Aspects II, 96, Anm. 44. Das Münchner Fragment zeigt zudem singulär, wie bereits von Jürgen von Beckerath erwähnt, auf dem Bat-Emblem die Titulatur Monthemhats: J. von Beckerath, in: ZÄS 87 (1962), 2, Abb.1. 20 J. Leclant, Montouemhat, 80–86 (CG 42241; Gruppensitzstatue Monthemhat und Nesptah); 88 (Chicago Field Museum 31723 und Brooklyn Museum 16.580.186); K. Jansen-Winkeln, Inschriften III, 457–459 (Nr. 202) und 481 (Nr. 231). Teile der Inschriftenreste auf CG 42241 erinnern stark an die Grabinschrift des Paheri in El-Kab; K. Sethe, Urkunden der 18. Dynastie 1, Urk. IV, Leipzig 1905, IV

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Neben der Inschrift zeigt die zuletzt erwähnte Statue noch eine weitere Besonderheit: Über dem Textteil wurde eine zunächst kanonisch wirkende flachbildliche Darstellung (Abb. 1b) angebracht, die Monthemhat jedoch ungewöhnlicherweise zweimal zeigt: Auf der Darstellung ist achsensymmetrisch Monthemhat und Nesptah, beide, mit Felidenfell bekleidet, im Adorationsgestus vor einem Opfertisch zu sehen, hinter dem jeweils drei „Gottheiten“ stehen. Monthemhat erhebt seine Arme vor Amun, Re-Harachte und Atum, Nesptah jedoch vor Osiris, Isis und – erstaunlicherweise – vor Monthemhat, der sich an der Position befindet, an welcher eigentlich Horus zu erwarten wäre. Monthemhat befindet sich hier demnach in einer Doppelrolle: als Priester vor und als Kultempfänger hinter dem Opfertisch, wobei er im zweiten Falle anstelle des Horus auftritt. Es können demnach zwei unterschiedliche Ausformungen des Motivs Felidenfellträger gefasst werden: zwei stehende Personen, aus rotem Hartgestein in Lebensgröße gefertigt, und zwei kleinformatige sitzende Personengruppen, aus schwarzem Hartgestein, die Bezüge zu Bautätigkeit, „Verklärung“ sowie zum Götterkult aufweisen. 3.2 Die Deutung der Darstellungselemente 3.2.1 Gruppierung, Material und deren Konnotationsebenen Die Unterscheidung der Darstellungen von Monthemhat mit Felidenfell finden sich nicht nur in der Rundplastik des Beamten. Betrachtet man die Wanddekoration seines Grabes (TT 34), so lassen sich die Abbildungen, in welchen er das Fell trägt, ebenfalls in die oben genannten Gruppen unterteilen: Ist Monthemhat sitzend dargestellt, so trägt er eine Perücke; in stehender Haltung ist er hingegen mit dem kahlgeschorenen Kopf zu sehen.21 Eine weitere, bereits überaus bekannte Darstellung des Würdenträgers mit Felidenfell befindet sich auf dem sog. Saïtischen Orakelpapyrus.22 Dort ist er als Ritualist handelnd vor der Barke des Amun abgebildet; wiederum stehend und mit kahlgeschorenem Kopf. Es ist demnach von einer konzeptuellen Motivunterscheidung auszugehen, die einmal eine handelnde Person und einmal einen sitzenden Kultempfänger zeigt. Die so getroffene Unterscheidung überschneidet sich bei den Statuenfragmenten des Monthemhat mit der verwendeten Gesteinsart. Die Nutzung der unterschiedlichen Materialien scheint mir in diesem Kontext bedeutsam zu sein, da ihre Verteilung auffällig und der Gebrauch von rotem Hartgestein für lebensgroße Statuen von Privatpersonen außergewöhnlich ist.23 Betrachtet man die ägyptischen Bezeichnungen von Gesteinen in der lexi114–115, Z. 7–9 und IV 116, Z. 12–13, 9. Es handelt sich um Teile des Verklärungsspruches auf der Stele des Paheri 3.1, Z. 21–30 und Z. 37–44: J. Assmann Altägyptische Totenliturgien 2, Totenliturgien und Totensprüche in Grabinschriften des Neuen Reiches, Heidelberg 2005, 229. 21 Z. B.: In stehender Haltung: Relieffragment des Monthemhat, William Rockhill Nelson Gallery of Art and Mary Atkins Museum of Fine Arts, Kansas City, Mo; Nr. 48–28/2; B. V. Bothmer, Egyptian Sculpture of the Late Period 700 B.C. to A.D. 100, Brooklyn 1960, 16–16, Taf. 13, Abb. 32. Sitzend: I. Gamer-Wallert, Die Wandreliefs, 145, Abb. 39. Unsicher ist die Abbildung der westlichen Südwand, 129, Abb. 21, in der Monthemhat und seine Frau sitzend dargestellt sind. Aufgrund des fragmentarischen Zustandes kann anhand der Umzeichnung keine genaue Aussage getroffen werden. 22 R. Parker, A Saite Oracle Papyrus from Thebes in the Brooklyn Museum [Papyrus Brooklyn 47.218.3], Rhode Island 1962, Pl. I. Auf der Schärpe sind noch Teile der Titulatur Monthemhats zu erkennen. 23 Mir sind keine weiteren lebensgroßen Standschreitstatuen aus Karnak bekannt, die aus rotem Quarzit oder aus Rosengranit gefertigt wurden. Selbst in der Cachette-Datenbank sind nur kleinformatige Stand-

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kographischen Analyse von John R. Harris, so fällt auf, dass häufig unterschiedliche Gesteinsarten unter einem Namen zusammengefasst wurden. Zur Gruppierung unterschiedlicher Gesteinsarten und deren Beschreibung war die Farbe ausschlaggebend.24 Auch Sidney Aufrère stellt in seiner Arbeit zu den Mineralien des alten Ägypten mehrfach fest, dass die Farben der Gesteine im Fokus der ägyptischen Betrachtung lagen und zudem mit unterschiedlichen Bedeutungsebenen verknüpft waren.25 Die für die Statuen des Monthemhat genutzten Gesteinsfarben eröffnen im Wesentlichen folgende zwei Konnotationsebenen: Rote Farbe ist mit der Überwindung der Feinde und der sowohl zerstörerischen als auch lebensspendenden Kraft des Sonnengottes verbunden.26 Am deutlichsten wird diese Verbindung im Totenbuchspruch 179 sichtbar, in dem zu lesen ist: „Ich bin der „Rote“, der sein Auge gerächt hat. Gestern bin ich gestorben. Aber heute werde ich zurückkehren. Mach mir den Weg frei, Türhüter des „großen Schlages“! So ziehe ich am Tag gegen meinen Feind aus. Ich bemächtige mich seiner. Er ist mir gegeben. Er ist mir nicht genommen […] Ich bin der Herr der „Röte“ am Tag der Verwandlungen. Ich bin der Herr der Messer. Ich werde nicht geraubt. Gib mir den Weg frei!“27 Das Konnotationsfeld der Farbe Schwarz hat ebenfalls positive und negative Aspekte. Hauptsächlich wurde die Farbe mit der Wiederbelebung des Osiris verknüpft, wobei auf die Fruchtbarkeit des Nilschlamms angespielt wurde.28 Zudem galt Schwarz als die Farbe der Unterwelt und der sich in ihr befindlichen Dämonen. Hier werden Bezüge zur Erneuerung sichtbar, die sich in der Nutzung der Farbe bei unterschiedlichen Ritualhandlungen zeigt.

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schreitstatuen von Privatpersonen aus rotem Hartgestein verzeichnet (http://www.ifao.egnet.net/bases/ cachette/; 27.12.2017). Zu rotem und schwarzem Granit sowie zum Quarzit s.: J. R. Harris, Lexicographical Studies in Ancient Egyptian Minerals, Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Institut für Orientforschung 54, Berlin 1961, 73–76. Interessant ist die Unterscheidung der Farben, die auch bei anderen ägyptischen Gesteinsbezeichnungen deutlich wird, so bei bxn, 79, oder wAD, v.a. 104. S. Aufrère, L’univers minéral dans la pensée Égyptienne 2. L’intégration des minéraux des métaux et des ‹Trésors› dans la marche de l’univers et dans la vie divine, Kairo 1991, 702–703. Sehr deutlich bei S. Aufrère, L’univers minéral, 556–557 und 811. So auch G. Pinch, Red Things. The Symbolism of Colour in Magic, in: W. V. Davies (Hg.), Colour and Painting in Ancient Egypt, London 2001, 182–185, 184; H. Kees, Farbensymbolik in ägyptischen religiösen Texten, in: NAWG, philologisch-historische Klasse 11 (1943), 456–461 und G. Lefebre, Rouge et nuances voisines, in: JEA 35 (1949), 74. E. A. W. Budge, The Book of the Dead, The Chapters of Coming Forth by Day. Egyptian Texts According to the Theban Recension in Hieroglyphic Edited from Numerous Papyri with a Translation, Vocabulary etc., London 1898, 469, Z. 4–5. (Papyrus of Nu Sheet 15, 4–5); G. Lapp, The Papyrus of Nu, Catalogue of the Books of the Dead in the British Museum 1, London 1997, Taf. 42–43. H. Kees, in: NAWG 11 (1943), 418–422; E. Staehelin, Von der Farbigkeit Ägyptens, Leipzig 2000, 6, 16, 25.

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Bei magischen Ritualen wurde schwarze Farbe primär dazu gebraucht, sich übernatürliche Wesen aus dem Jenseits zunutze zu machen, wobei diese der ritualausübenden Person gehorchen oder sie schützen sollten.29 Im Falle der Statuen des Monthemhat sind demnach zwei unterschiedliche Motivgruppen zu beobachten: einerseits aktive (stehende) Darstellungen, die durch das rote Gestein solare Bezüge und die damit verbundene feindvernichtende und lebensspendende Kraft aufweisen, andererseits passive (sitzende) Personen, die mit der im Jenseits stattfindenden Regeneration und der Nutzbarmachung der Dämonen konnotiert wurden. 3.2.2 Die Nutzung des Felidenfells Die unterschiedlichen Motive der Darstellungen entfalten ihren Inhalt bei einer Betrachtung der Typengeschichte, also der Varianten des Motivs Felidenfellträger in den jeweiligen Kontexten. Interessant ist nun, dass sich die oben beschriebene Zweiteilung der Darstellungen auch im Befund und in der Interpretation des Felidenfells von Ute Rummel zeigt: Mit dem Fell bekleidet sind passive (sitzende) Opferempfänger sowie aktive (stehende) Ritualisten, welche das Fell bei rituellen Handlungen tragen, belegt.30 Der Kultausübende handelt nach Ute Rummel stets in der Rolle des „liebenden Sohnes“, wobei er die Versorgung des Vaters sicherstellt. Handelnde Priester sind vor allem der Sem bei der Mundöffnung und der Hm bA.w Nxn bei der Wegeöffnung sowie generell der Sohn in der Rolle des sA mrj und unterschiedliche Hohepriester, aber ebenso Priester niedrigerer Ränge.31 Bei den passiven Ritualempfängern wurde das Fell als „Objekt der Regeneration“ gesehen, das „als Kleid des Toten dessen Zustand zeigt“.32 Die Betrachtung der Felidenfelle als Insignie ist sehr erhellend, jedoch erklärt sie nicht vollständig die Verbindung zu den unterschiedlichen Ritualen, in welchen das Fell zu sehen ist. Unsicher blieben bei der Untersuchung auch die Rolle des Verstorbenen im Jenseits33, die Verbindung des Felidenfells zu den Göttinnen Seschat und Mafdet. Die Gruppe der Astronomen als Felidenfellträger wurde gar nicht einbezogen. Im Folgenden werden die zentralen Quellen noch einmal besprochen, wobei der Fokus auf den zerstörerischen und aggressiven Aspekt

29 M. Serpico / R. White, The Use and Identification of Varnish on New Kingdom Funerary Equipment, in: W. V. Davies (Hg.), Colour and Painting in Ancient Egypt, London 2001, 37. Hier wird vor allem auf die Konnotation schwarzen Materialüberzugs mit dem Götterfleisch eingegangen. G. Pinch, Red Things, 183 und M. J. Raven, Papyrus-Sheaths and Ptah-Sokar-Osiris Statues, in: OMRO 59-60 (1978– 1979), 281-282. 30 U. Rummel, Das Pantherfell als Kleidungsstück im Kult. Bedeutung, Symbolgehalt und theologische Verortung einer magischen Insignie, in: Imago Aegypti 2 (2008), 109–152 und U. Rummel, Iunmutef. Konzeption und Wirkungsbereich eines altägyptischen Gottes, SDAIK 33, Berlin / New York 2010, 25– 32. 31 U. Rummel, in: Imago Aegypti 2 (2008), 111–113. 32 U. Rummel, Iunmutef, 27. 33 Die passive Nutzung des Fells wurde mit der regenerativen Kraft einer von Wolfhart Westendorf und Ute Rummel postulierten, jedoch nicht explizit belegbaren Himmelspantherin erklärt, einer Form der Nut, in welcher der Verstorbene die Regeneration erlebt. W. Westendorf, in: ZÄS 92 (1966), 132–143; U. Rummel, in: Imago Aegypti 2 (2008), 136–137. Mit Vorsicht möchte ich an dieser Stelle erwähnen, dass eventuell Spruch 84 der Sargtexte darauf Bezug nehmen könnte.

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des Feliden und der damit verbundenen Überwindung der Feinde gelegt wird, welche die Regeneration einleitet, da so die oben genannten Unsicherheiten beseitigt werden können.34 Bereits die für die Frühzeit angeführten Belege der Felidenfellträger zeigen deutlich eine Verbindung zur Feindüberwindung, die Teil unterschiedlicher Rituale war. Genannt sei der Keulenkopf des Königs Skorpion35, dessen Darstellung als Gründungsritual identifiziert werden konnte.36 Der Keulenkopf des Narmer37 weist eine Darstellung des Sedfestes auf, wobei hinter der Person mit Felidenfell zwei Stäbe tragende Personen, vor dem König Opfertiere und ein gefesselter Feind zu sehen sind. Dasselbe trifft auch für die Narmerpalette38 zu, auf welcher der Felidenfellträger die Upuaut-Standarte in den Händen hält, während unter ihm und dem König die geköpften Feinde liegen.39 Im Zentrum der Belege für die aktive Nutzung des Fells im Ritual stehen die Mundöffnung und der mit dem Felidenfell ausgestattete Sem-Priester. Auch hier ist auffällig, dass er das Fell in dem Moment der Schlachtung der Opfertiere und der Darreichung des Schenkels sowie der eigentlichen Mundöffnung anlegt.40 Wieder ist die Verbindung zu der Überwindung der Feinde, die als geschlachtete und dargereichte Opfergaben zu sehen sind, aber auch zur entscheidenden Phase der Belebung des Kultempfängers (Mundöffnung), absolut zentral. Dass die Felidenfellträger die Gottheit bei den Festgeschehen begleiten und dabei die Vereinigung mit Re einleiten, wird auch im Buch vom Tempel beschrieben. Hier sind die handelnden Priester die großen Gouverneure: „Sie sind mit dem Pantherfell bekleidet am Tage des Ruderfestes (Xn.t). Sie sind es, die ‚das Gesicht öffnen‘, um den sakrosankten Apis einzuführen bei jedem Fest, das in den Tempeln (r-pr.w) geschehen wird. Sie sind es, die den Gott ankündigen, wenn er nach draußen kommt. Sie sind es, die den Gott beim Hts-Fest einführen. Sie sind es, die ihn herauskommen lassen zur großen Treppe (xnt) zusammen mit den Göttern, die mit ihm erscheinen, um sich mit der Sonne zu vereinen am Neujahrstag 34 Im Folgenden werden die Hauptquellen der Argumentation von Ute Rummel besprochen und mit weiteren Quellen angereichert. Die Beispiele für die mit den Ritualen verbundene Feindvernichtung sind hier ausgewählt aufgeführt, lassen sich jedoch auf die übrigen Quellen übertragen. 35 Heute Oxford, Ashmolean Museum, E 363. 36 S. El-Adly, Gründungs- und Weiheritual, 3–7. 37 Heute Ashmolean Museum E 3631. 38 Heute Kairo CG 14716. 39 J. E. Quibell, Hierakonpolis I: Plates of Discoveries in 1898, London 1900, Taf. 26 B, 29; U. Rummel, in: Imago Aegypti 2 (2008), 111–114. Das dargestellte Ritual ist noch nicht identifiziert. 40 Hierzu sehr ausführlich und mit weiterführender Literatur U. Rummel, in: Imago Aegypti 2 (2008), 131–132, sowie H. Altenmüller, Die Wandlungen des Sem-Priesters im Mundöffnungsritual, in: SAK 38 (2009), 1–32. Dies betrifft auch die Szene im Grab der Tausret, H. Altenmüller, in: SAK 38 (2009), Abb. 4. Hartwig Altenmüller betont hingegen vor allem die Bedeutung des Felidenfells als Marker des sozialen Status und Gewand des regenerierten Verstorbenen: H. Altenmüller, in: SAK 38 (2009), 13 und 27. Zur Reihenfolge der Szenen im Mundöffnungsritual: J. F. Quack, Fragmente des Mundöffnungsrituals aus Tebtynis, in: K. Ryholt (Hg.), The Carlsberg Papyri 7. Hieratic Texts from the Collection (Kopenhagen 2006), 69–150 und J. F. Quack, Das Mundöffnungsritual als funerärer Text und als Tempeltext, in: B. Backes / J. Dieleman (Hgg.), Liturgical Texts for Osiris and the Deceased in Late Period and Greco-Roman Egypt. Liturgische Texte für Osiris und Verstorbene im spätzeitlichen Ägypten. Proceedings of the Colloquium at New York (ISAW), 6 May 2011, and Freudenstadt, 18–21 July 2012, SSR 14, Wiesbaden 2015, 147–159.

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und an den jahreszeitlichen Festen, ungesehen, [ungehört], wobei sie Lobpreis anstimmen und den Gott preisen für Re, wenn er sich mit der Sonne vereint.“41 Als zentrales Argument für die passive Nutzung des Felidenfells werden die Speisetischszenen des Alten und Mittleren Reiches sowie der Darstellungen auf Stelen des Neuen Reiches angesprochen. Der Verstorbene trägt das Fell als Betrachter bei der Vorbereitung unterschiedlicher Nahrungsmittel oder Kosmetikgegenstände, der Feldarbeit oder beim Herbeibringen der Opfergaben.42 Hier ist jedoch die Situation zu beachten, in welcher sich der Verstorbene befindet, nämlich vor dem Opfertisch: Neben vielen anderen konnte Joachim F. Quack 2006 in seinem Aufsatz „Opfermahl und Feindvernichtung“43 sehr überzeugend darlegen, dass die Opfergaben und die Vorbereitung der Opfer mit der Feindüberwindung zu identifizieren sind.44 Schriftlich wird bereits innerhalb der Pyramidentexte PT 224, 225 und 46945 der mit Felidenfell bekleidete verstorbene König erwähnt. Bei all den angeführten Stellen werden die Ausstattung mit Ams-Zepter und die nachfolgende Schlachtung, Vorbereitung von Opfergaben und / oder die Unterwerfung der Feinde thematisiert.46 Auch bei Totenbuchspruch 145, in welchem der Verstorbene das Felidenfell und das Ams-Zepter trägt, wird die Feindüberwindung thematisiert47 – sie erstreckt sich über den gesamten Spruch. Es ist die Aufgabe des Verstorbenen, die von Dämonen besetzten Tore zu durchwandeln. Der Verstorbene ist also wieder mit allen Insignien ausgerüstet, die er auf dem weiteren Weg für die Feindüberwindung benötigt, wodurch er dann die Tore zu durchschreiten vermag. Das Fell ist demnach nicht als Kleidung derer, die „die Wiedergeburt durchlaufen haben“48 zu betrachten, sondern als Kleidung derer, die sowohl im Diesseits als auch im Jen41 J. F. Quack, Die Rolle des heiligen Tieres nach dem Buch vom Tempel, in: M. Fitzenreiter (Hg.), Tierkulte im pharaonischen Ägypten und im Kulturvergleich, IBAES 4, Berlin 2003, 114–115. 42 Genauer bei U. Rummel, in: Imago Aegypti 2 (2008), 117, Anm. 44–48. 43 J. F. Quack, Opfermahl und Feindvernichtung im Ägyptischen Ritual, in: Mitteilungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte 27 (2006), 67–80. 44 Hierzu bereits H. Altenmüller, Apotropaikon, in: LÄ I (1975), 355–358 und rezenter H. Roeder, Mundöffnung und rituelle Feindtötung. Die soziomorphe Definition eines altägyptischen Vernichtungsopfers, in: E. Stavrianopoulou / A. Michaels / C. Ambos (Hgg.), Transformations in Sacrificial Practices. From Antiquity to Modern Times, Berlin 2008, 19–64. 45 PT 224 (Teti): J. P. Allen, The Ancient Egyptian Pyramid Texts, Writings from the Ancient World 23, Atlanta 2005, 71; der Spruch steht zwischen dem Opferritual und dem Antworten auf das Opferritual. PT 225 (Pepi II.), J. P. Allen, Pyramid Texts, 263. Hier ist der Spruch dem Opferritual nachgestellt, es folgt die Prozession mit der Statue. PT 469 (Pepi I.), J. P. Allen, Pyramid Texts, 124–125. Dieser Spruch ist Teil der Sprüche zum Eintreten in die Achet. Problematisch ist die Übersetzung von PT 263 § 339a. Ute Rummel übersetzt die Zeile nach Faulkner als „[…] sein ‚Pantherfell‘ ist auf ihm, sein AmsZepter ist in seinem Arm, sein abA-Zepter ist in seiner Hand, sodass er sich die Davongegangenen Untertan mache!“, wobei der letzte Satzteil unterschiedlich verstanden wurde. Anders bei J. P. Allen, Pyramid Texts, (Unas), 48. 46 U. Rummel, in: Imago Aegypti 2 (2008), 134. 47 P. Dorman, The Tombs of Senenmut: The Architecture and Decoration of Tombs 71 and 353, PMMA 24, New York 1991, Taf. 69, Z. 10–11. U. Rummel, in: Imago Aegypti 2 (2008), 136; T. G.. Allen, The Book of the Dead or Going forth by day. Ideas of the Ancient Egyptian Concerning the Hereafter as Expressed in Their Own Terms, SAOC 37, Chicago 1974, 130 e. 48 U. Rummel, in: Imago Aegypti 2 (2008), 120.

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seits im Begriff sind, Feinde zu überwinden, wodurch die Regeneration erst stattfinden kann. Dass mit den Raubfeliden generell die Überwindung des Feindes verbunden wurde, zeigt sich auch an anderer Stelle, beispielsweise, wenn sich Ramses III. mit einem Feliden (Abj) gleichsetzt, der „weiß, wie er rauben soll. Einer der den ergreift, der ihn angreift. Seine Arme zerstören die Glieder dessen, der seine Zunge übertritt.“49 Eine weitere diskutiete Stelle ist die bereits von Wolfhart Westendorf und Elisabeth Staehelin vorgeschlagene Verbindung der Mafdet, der „Herrin zur Versorgung mit Lebensmitteln“, mit dem Felidenfell.50 Ute Rummel konnte hier keinen Bezug erkennen, da „Mafdet sich durch einen sehr aggressiven und schützenden Charakter auszeichnet. In den Texten erscheint sie primär als Schlangenfeindin und Feindvernichterin“.51 Es geht hier natürlich, wie sie bereits bemerkte, nicht, wie von Wolfhart Westendorf postuliert, um die „positiven Seiten und die Potenz“, sondern ganz klar um die zerstörerische Kraft der Mafdet, wie sie vor allem im Totenbuchspruch 39 deutlich wird: „Zurück Gegner! Sein (Re) Licht ist schneidend! Re hat deinen Anschlag niedergeworfen! Dir ist der Hals von den Göttern umgedreht worden! Dein Herz ist von Mafdet herausgerissen! […] Sie fällt dich und alle anderen, die auf dem Weg sind. Falle! Gleite fort, Apophis, Feind des Re!“.52 Damit wird auch hier eine deutliche Parallele zu der sonstigen Nutzung des Felidenfells erkennbar, nämlich die der Feindüberwindung, die hier in Verbindung mit der Wegeöffnung erscheint. Neben den Sohngottheiten Iunmutef und Sameri sowie der Göttin Seschat ist auch Anubis eine der Gottheiten, die mit Felidenfell bekleidet auftreten können. In Papyrus Jumilhac wird beschrieben, wie Anubis in den Besitz des Felidenfells kommt: Er tötet Seth, der sich in einen Feliden verwandelt hat, und kleidet sich in seine Haut.53 Es handelt sich hierbei also um die Feindvernichtung per se. Spätestens in der Ptolemäerzeit sind ebenfalls Astronomen regelmäßig mit dem Felidenfell bekleidet. Wie Ralph Birk zeigen konnte, haben sie die Aufgabe, die Arbeiten im SnaMagazin anzuweisen, um die Opfergaben herzustellen und diese Amun bei der Prozession zuführen.54 Wieder wird die Verbindung zu den Opfergaben und der Überwindung der

49 Zettelarchiv: TLA DZA 20.042320 (http://aaew.bbaw.de/tla/; 27.12. 2017). Die Inschrift befindet sich an der Südseite des zweiten Hofes von Medinet Habu. 50 W. Westendorf, Beiträge aus und zu den medizinischen Texten, in: ZÄS 92 (1966), 130–136; E. Staehelin, Untersuchungen zur ägyptischen Tracht im Alten Reich, MÄS 8, Berlin 1966, 73–78. 51 U. Rummel, in: Imago Aegypti 2 (2008), 138. 52 J. F. Borghouts, Book of the Dead [39]. From Shouting to Structure, SAT 10, Wiesbaden 2017, 12–13 (39,8–39, 12; 39, 15–39,16). 53 J. Vandier, Le Papyrus Jumilhac, Paris 1962, 113–114. U. Rummel, in: Imago Aegypti 2 (2008), 130. 54 R. Birk, Titel-Bilder. Zur amtsspezifischen Ikonographie thebanischer Priester der Ptolemäerzeit, in: G. Neunert / A. Verbovsek / K. Gabler (Hgg.), Bild: Ästhetik – Medium – Kommunikation. Beiträge des dritten Münchner Arbeitskreises Junge Aegyptologie (MAJA 3), GOF 58, Wiesbaden 2014, 83–84. Weiterführende Literatur zu älteren Statuen der Astronomen bei A. Klug, Darstellungen von Königsstelen, in: D. Bröckelmann / A. Klug (Hgg.), In Pharaos Staat, Festschrift für Rolf Grundlach zum 75. Geburtstag, 73–74, bes, Anm. 149.

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Feinde deutlich. Eine weitere Aufgabe der Astronomen ist die Himmelsausmessung für das Spannen der Stricke beim Gründungsritual. Dies leitet zur Rolle der Seschat über, die in den Darstellungen des Gründungsrituals das Felidenfell trägt.55 Auch sie ist eine Göttin, welche Feinde überwindet.56 Die Szenen, in der die Göttin Seschat mit dem Fell bekleidet ist, sind das Strickespannen und das Glattstreichen der Ziegel, das direkt vor dem Aufhacken der Erde57 stattfindet.58 Es handelt sich dabei um die beiden Handlungen vor und nach dem Vorbereiten und Darreichen der Opfergaben, welche im Öffnen der Erde ihren Höhepunkt finden. Die Verbindung der Opfergaben mit der Feindvernichtung im Gründungsritual und vor allem beim Aufhacken der Erde ist sehr geläufig und wird an vielen Stellen erwähnt, wie bei der Beschreibung in Totenbuchkapitel 175c, in dem die Feinde vernichtet werden, woraufhin Seth reumütig zu seinem Vater tritt: „Nun kam Seth, sein Gesicht gesenkt und berührte die Erde, als er gesehen hatte, was Re für Osiris getan hatte. Da lief Blut aus seiner Nase herab, da zerhackte Re das Blut, das aus ihm hervorkam, und so entstand das Erdhacken.“59 Oder auch im Sargtextspruch 62: „[…] aufgehackt wird dir die Erde, abgewehrt wird dir der Rebell, der in der Nacht kommt […].“60 Die Göttin Seschat erscheint innerhalb der xbs-tA-Liturgie der Sargtexte in Verbindung mit Upuaut als Öffnerin des Tores, beim Aufhacken der Erde und bei der Wiedergeburt. So heißt es in Spruch 10:61 „Oh NN! Das Tor ist geöffnet für dich von Seschat! Der Weg ist geöffnet für dich von Upuaut! Und es gibt keinen Gott, der sich umgedreht hat, wegen dem, was er gesagt hat. Das ist, was er gesagt hat: NN ist gerechtfertigt gegen seine Feinde,

55 Übrigens wird auch die Kleidung der Seschat in einem Text in Dendara als „Haut des Seth“ bezeichnet – so auch Rummel, in: Imago Aegypti 2 (2008), 128, Anm. 125. 56 Sie ist eine, die „den Bösen holt“, TB 152; G. Lapp, The Papyrus of Nu, Taf. 38, Z 3. 57 Wie Sanaa Abd El-Azim el-Adly bemerkte, war die übliche Bezeichnung nicht xbs-tA, sondern bA-tA: S. El-Adly, Das Gründungs- und Weiheritual des Ägyptischen Tempels von der frühgeschichtlichen Zeit bis zum Ende des Neuen Reiches, Tübingen 1981, 287. 58 S. Adly, Gründungs- und Weiheritual, 284–288; G. Thausing, Das „Aufhacken der Erde“, in: AÄA 1 (1938), 7–17; die Verbindung von Opfergaben und Feindvernichtung wurde bereits hier sehr ausführlich belegt, G. Thausing, in: AÄA 1 (1938), 13. In Verbindung zum Kornosiris: J. F. Quack, Saatprobe und Kornosiris, in: M. Fitzenreiter (Hg.), Das Heilige und die Ware. Zum Spannungsfeld von Religion und Ökonomie, IBAES 7, London 2007, 330; C. Theis, Deine Seele zum Himmel, dein Leichnam zur Erde. Zur idealtypischen Rekonstruktion eines altägyptischen Bestattungsrituals, BSAK 12, Hamburg 2011, 48–49. 59 G. Thausing, in: AÄA 1 (1938), 15; A. Wüthrich, Formule pour ne pas mourir à nouveau. Le chapitre 175 du Livre des Morts, in: R. Lucarelli / M. Müller-Roth / A. Wüthrich (Hgg.), Herausgehen am Tage. Gesammelte Schriften zum altägyptischen Totenbuch, SAT 17, Wiesbaden 2012, 213, Z. 104–110. 60 G. Thausing, in: AÄA 1 (1938), 15. J. Assmann, Altägyptische Totenliturgien 1, Totenliturgien in den Sargtexten des Mittleren Reiches, Heidelberg 2002, 90f. 61 J. Assmann, Altägyptische Totenliturgien 1, 69–197.

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männlich oder weiblich, und gegen die, die gegen ihn gerichtet haben an diesem Tage!“62 Und auch in weiteren Sargtextsprüchen ist sie in Verbindung mit der Feindvernichtung und der Wiedergeburt zu finden, wie in Spruch 86: „Oh NN, stehe an den beiden Toren! Deine Mutter Seschat kleidet dich, der große Anlegepfosten (Isis) spricht zu dir, eine Treppe ist für dich vom Meer gekommen. Die Schlächter fallen auf ihre Gesichter […]“63 Und in Spruch 84: „[…] ich habe die Erde aufgehackt, ich habe die Opfergaben vor Isis und Nephthys gegeben, damit sie heilige Dinge auf die Arme von Seschat legen können, die mit mir schwanger ist […]. Sie ist wütend auf mich und sticht (?) nach mir. Ich habe das Vordere (?) das zwischen ihren Schenkeln ist gemacht, als einer, dessen Kopf hervorkommt. Ich habe aus den Schenkeln der Isis als Horus gehandelt. Ich habe mein Fleisch im Himmel ausgemessen als großer und wilder Stier […].“64 Überdeutlich wird hier die Verbindung zwischen der Vernichtung der Feinde, den Opfergaben, dem Erdaufhacken, der Wiedergeburt und dem Ausmessen des Himmels.65 Es zeigen sich zusammengefasst für die Felidenfelle mehrere Nutzungsbereiche: Einmal aktiv bei diesseitigen Ritualhandlungen (Mundöffnung, Wegeöffnung – Barkenauszug, Gründungsritual – auch als Teil des Sedfestes und der Begräbnisrituale), wobei die Vernichtung und Überwindung der Feinde im Vordergrund steht, und einmal ebenfalls aktiv im Jenseits bei der Abwehr der Feinde und dem damit verbundenen Durchschreiten der Tore. Sowohl im Diesseits als auch im Jenseits ist die Verbindung mit dem Felidenfell und der Überwindung der Feinde zentral. Sie wird expressis verbis oder in Form der Opfergaben ausgedrückt. Das Felidenfell wird genutzt, um in den osirianischen Sphären zu wandeln, die Tore, den Mund, die Erde und den Himmel zu öffnen, was letztendlich in der Wiedergeburt und der Vereinigung mit Re und Osiris gipfelt. 4 Die Motive der Felidenfellträgerstatuen des Monthemhat Die Statuen des Monthemhat beziehen sich auf mindestens drei der oben genannten Situationen, in welchen das Felidenfell auftreten kann. Zweimal ist Monthemhat als handelnder Priester zu sehen, der schreitend und lebensgroß in rotem Quarzit dargestellt wurde. Hier unterstützt das Material die Konnotationsebene der Handlung: die für die Regeneration wichtige Überwindung der Feinde. Das Motiv dieser Statuen ist demnach als „handelnder Priester bei der Feindüberwindung“ festzuhalten, wobei der solare Bezug im Vordergrund 62 63 64 65

R. O. Faulkner, The Ancient Egyptian Coffin Texts I, Spells 1–354, Warminster 1973, 7. R. O. Faulkner, Coffin Texts I, 65. R. O. Faulkner, Coffin Texts I, 88–89. Das Tragen des Felidenfells bei dem Messstrickträger des PA-nj-Jn-Hr.t aus der 18. Dyn. (Kairo CG 711) ist daher ebenfalls in diesem Zusammenhang zu sehen. S. hierzu E. Bernhauer, Innovationen in der Privatplastik. Die 18. Dyn. und ihre Entwicklung, PHIL 27, Wiesbaden 2010, 72–75, Abb. 37–38 und 246–247, Taf. 18. S. a. E. Graefe, Amun-Re, ‚Patron der Feldmesser‘, in: CdE 95 (1973), 36–46 und A. Klug, Darstellungen von Königsstelen, 73–74.

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steht. Die sitzende Darstellung von Monthemhat und seinem Sohn Nesptah thematisiert die Nutzung des Felidenfells im Dies- und Jenseits: In das Gesamtmotiv wurde sowohl die Kultausübung für die Götter als auch die Versorgung des Dargestellten eingebunden. Transportiert wird die Vorstellung der Versorgung des Vaters und der damit verbundenen Überwindung der Feinde. Dies zeigt sich im Gesamtmotiv flachbildlich und rundbildlich. Darüber hinaus nehmen die Textstellen Bezug zur Sphäre der Darstellung – zur Versorgung des Monthemhat im Jenseits. Bei der Familiengruppe des Monthemhat wird die Verbindung des Felidenfells zur Bautätigkeit und den ritualinhärenten regenerativen Vorstellungen angesprochen.66 Der schwarze Granit ist hier ebenfalls in Verbindung mit der jenseitlichen Regeneration zu verstehen. Abschließend ist daher zu bemerken, dass die Darstellungen nicht einfach als archaisierend angesehen werden können. Es ist vielmehr zu erkennen, dass wichtige Riten traditionell weitergeführt wurden und die damit verknüpfte Vorstellungswelt, welche sich in der Motivwahl zeigt, in monumentalisierter Form für die Ewigkeit erhalten bleiben sollte. Abbildungsverzeichnis Abb. 1a und b: J. Leclant, J., Montouemhat, quatrième prophète d’Amon, prince de la ville, BdE 35, Kairo 1961, Taf. 21, 22. Abb. 2a und b: J. Leclant, Montouemhat, quatrième prophète d’Amon, prince de la ville, BdE 35, Kairo 1961, Taf. 23, 24. Abb. 3a und b: J. von Beckerath, Ein Torso des MentemতƝt in München, in: ZÄS 87 (1962), Taf. 2. Abb. 4: B. Fay, Another Statue of Montuemhat, in: GM 189 (2002), Abb.1.

Literaturverzeichnis Adly, S. El-, Das Gründungs- und Weiheritual des Ägyptischen Tempels von der frühgeschichtlichen Zeit bis zum Ende des Neuen Reiches, Tübingen 1981. Allen, J. P, The Ancient Egyptian Pyramid Texts, Writings from the Ancient World 23, Atlanta 2005. Allen, T. G., The Book of the Dead or Going forth by day. Ideas of the Ancient Egyptian Concerning the Hereafter as Expressed in Their Own Terms, SAOC 37, Chicago 1974. Altenmüller, H., Apotropaikon, in: LÄ I (1975), 355–358. Altenmüller, H., Die Wandlungen des Sem-Priesters im Mundöffnungsritual, in: SAK 38 (2009), 1–32. Angenot, V., A Method for Ancient Egyptian Hermeneutics (with Application to the Small Golden Shrine of Tutankhamun), in: A. Verbovsek / B. Backes / C. Jones (Hgg.), Methodik und Didaktik in der Ägyptologie, Herausforderungen eines kulturwissenschaftlichen Paradigmenwechsels in den Altertumswissenschaften, Ägyptologie und Kulturwissenschaft 4, München 2011, 255–286. Angenot, V., Semiotics and Hermeneutics, in: M. R. Hartwig (Hg.), A Companion to Ancient Egyptian Art, Blackwell Companions to the Ancient World, Chichester 2015, 98–119. Assmann, J., Altägyptische Totenliturgien 1, Totenliturgien in den Sargtexten des Mittleren Reiches, Heidelberg 2002. Assmann, J., Altägyptische Totenliturgien 2, Totenliturgien und Totensprüche in Grabinschriften des Neuen Reiches, Heidelberg 2005. Assmann, J., Die Macht der Bilder, in: H. G. Kippenberg (Hg.), Visible Religion VII: Genres in Visual Representations. Proceedings of a Conference Held in 1986, Leiden 1990, 1–20. Aufrère, S., L’univers minéral dans la pensée Égyptienne 2. L’intégration des minéraux des métaux et des ‹Trésors› dans la marche de l’univers et dans la vie divine, Kairo 1991.

66 Eventuell ist auch der Unterschied der verwendeten Perücken in diesem Zusammenhang zu sehen.

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Abb. 1a: Kairo, CG 42241.

Abb. 1b: Rückseite Kairo, CG 42241.

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Abb. 2a: Brooklyn Museum 16.580.186 / Chicago Field Museum 31723.

Abb. 2b: Rückseite Brooklyn Museum 16.580.186 / Chicago Field Museum 31723.

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Abb. 3b: Aufsicht München ÄS 127.

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Abb. 3a: München ÄS 127.

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Abb. 4: Fragment Los Angeles, Sammlung Haer.

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Tomb, temple or residence? On the functional interpretation of the sign ‘zoomorphic structure’ (Gardiner sign O19) on pre- and early dynastic objects1 Catherine Jones

The iconographic similarity between the determinative for the term pr-wr on an underground panel in the South Tomb of Djoser at Saqqara (Gardiner sign O19) and the sign of a zoomorphic architectural structure displayed on 112 pre- and early dynastic objects forms the springboard of an analysis on the origin and development of the pr-wr undertaken in the frame of a PhD-project. A collation of these objects and a systematization of their chronological distribution constitute the basis for a range of questions pertaining to the function of the architectural structures conveyed by these signs. A wide spectrum of interpretations connected with the function of ‘zoomorphic structure’ can be found in Egyptological literature. This paper aims to critically analyze these interpretations via a discussion of the sign’s iconographic features in relation to archaeologically attested architectural features that date to the pre- and early dynastic period with a particular focus on the evidence at Hierakonpolis. 1 Introduction Within the frame of a PhD-project, the present author is currently studying the ancient Egyptian ‘national shrines’ (‘Reichsheiligtümer’), a modern classification which refers to the three terms pr-nw, pr-nzr and pr-wr. These compound terms are attested in textual sources that date between the early dynastic and the early Roman period.2 An in-depth investigation into the research history and Egyptological perception of these terms has shown that widely disparate views are held on various aspects of the pr-nw, pr-nzr and prwr, and that our understanding of the architectural structures designated by these terms – if indeed they do refer to tangible structures – is anything but clear.3 This article constitutes the abridged version of a chapter of my doctoral thesis which focuses on one aspect connected to the pr-wr, and aims to provide an overview of interpretations that can be found throughout Egyptological literature related to the function of a sign similar to Gardiner O19 on pre- and early dynastic objects. Subsequently, these interpretations will be critically 1 I am greatly indebted to Richard Bussmann and Harco Willems for their invaluable comments on the content of this article. 2 The earliest attestation of the pr-nw, for example, is inscribed on the sherds of a black schist vessel that dates to the reign of Hetepsekhemwy: P. Lacau / J.-P. Lauer, La Pyramide à degrés IV.1. Inscriptions gravées sur les vases, Cairo 1959, pl. 11, no. 54. The latest inscription which refers to the pr-nw is located in the temple of el-Qalǥa decorated during the reign of Claudius in the mid 1st century AD: L. Pantalacci / C. Traunecker, Le temple d’el-Qal‘a. Relevé des scènes et des textes II, Cairo 1998, 100. 3 In this respect see also T. A. H. Wilkinson, Royal Annals of Ancient Egypt, London / New York 2000, 70.

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analyzed on the basis of the most current knowledge of contemporary architectural features attested in the archaeological record. 2 Categories and chronology of objects bearing ‘zoomorphic structure’ as a basis for fundamental questions The compound term pr-wr appears for the first time in its complete form on a wall panel of .4 The detthe South Tomb in the tomb complex of Djoser at Saqqara: erminative in this particular case represents an architectural structure with an almost square form in side-view, two high posts as well as a series of protrusions on the upper and lower part of its front side. This hieroglyph is included in the sign list of Alan Gardiner in the ). The similarity of this category ‘Buildings, Parts of Buildings, etc.’ as sign O19 ( architectural structure to a sign on objects that date between the Naqada IIIA1 and IIIC2 phases (c. 3350–2920 BC)5 has led to the conclusion that the pr-wr can be traced back to the predynastic era and the beginning of the Naqada III phase. A collation and selection of the relevant objects according to a set of varied criteria, e. g. iconographic, has led to the compilation of a corpus totalling 112 pre- and early dynastic objects that each bear at least one example of a sign resembling Gardiner O19 (tab. 1). This corpus consists of 98 impressed clay sealings that originally sealed ceramic vessels and other containers, 10 minute labels made of bone, 2 wooden cylinder seals, 1 rock carving and 1 knife handle. The chronological distribution of objects bearing this sign is not continuous (fig. 1): the Naqada IIIA1 phase is represented by the bone labels predominantly discovered in Tomb U-j in Umm el-Qaab, Abydos; no relevant objects are known for the Naqada IIIA2 and IIIB phases, a time period of approximately 130 years;6 the majority of objects date to the Naqada IIIC1 and IIIC2 phases with a marked emphasis on the reign of Aha; there are no objects that can be unequivocally dated to the Naqada IIID phase.7 No objects are known that can be assigned to the 2nd Dynasty. Depending on the chronological frame used, the time span between the last datable early dynastic object that bears the sign similar to Gardiner O19 (an impressed clay sealing dating to the reign of Den8; Naqada IIIC2) and the

4 C. M. Firth / J. E. Quibell, Excavations at Saqqara. The Step Pyramid II – Plates, Cairo 1935, pl. 40. 5 The cultural phases and absolute chronology used in the following correspond to S. Hendrickx, Predynastic – Early dynastic chronology, in: E. Hornung / R. Krauss / D. Warburton (eds.), Ancient Egyptian Chronology, HdO 83, Leiden 2006, 55–93, tab. II.1.7. 6 The absolute chronology according to Stan Hendrickx (see footnote above) places the period Naqada IIIA1 to IIIC1 between c. 3350 and 3150 BC without giving an approximate length of the individual subphases. A medium value is given here for the 200 years divided into three cultural subphases, i. e. Naqada IIIA1, A2 and B each with c. 65 years. 7 Fig. 1 does not include the 13 objects that can only approximately be attributed to the Naqada III phase. 8 A drawing of the seal impression can be found in W. B. Emery, Great Tombs of the First Dynasty III, London 1958, pl. 82.40. The object in question refers to source no. 1463 in the Database of Early Dynastic Inscriptions created by Ilona Regulski (https://www4.ivv1.uni-muenster.de/litw3/Aegyptologie/ index06.htm [30.04.2018]).

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Djoser panel is equivalent to a duration of c. 220 years.9 Due to this considerable gap in the evidence, the fundamental question presents itself as to whether Gardiner sign O19 used as a determinative for pr-wr on the Djoser panel is indeed equivalent to the sign on the Naqada III objects. In other words: If Gardiner sign O19 is a representation of the pr-wr, can it be assumed that the analogous sign on the pre- and early dynastic objects (‘zoomorphic structure’) carries exactly the same meaning? On an iconographic level, the features of both signs are comparable but not identical. Therefore, to what extent should it be assumed that the architectural structures represented by these signs have the same meaning in terms of their function? Is it possible that Gardiner sign O19 was perceived differently from the 3rd Dynasty onwards or that, in view of the two considerable gaps in the evidence as well as the substantial length of time between the Naqada IIIA phase and the beginning of the 3rd Dynasty, a functional change of a specific architectural structure occurred? In an attempt to answer these questions, it is necessary to separate trains of thought from the purely iconographic level and instead explore the infinitely more complicated, interpretative level. In light of these questions, the first challenge is to find a suitable methodical approach with which architectural structures rendered on pre- and early dynastic objects can be defined in terms of their function. 3 ‘Zoomorphic structure’ 3.1 Description and architectural realization The most objective and neutral way of describing ‘zoomorphic structure’ is as an architectural structure. The sign displays similar features to Gardiner sign O19 on the Djoser panel but has several differences: An overall elongated rectangular form in side view, an entrance in the rear part of one longitudinal side, a feature on the front side that could be described as an arch in the case of several examples10 or is characterized by high posts on others (see tab. 1), and a base line or platform that extends out to either side of the sign. As the descriptive classification of the sign suggests, the structure displays a series of additional features which give it the shape of an animal particularly the horizontal protrusions on its front side and an element which hangs down at the rear side. In view of the cross-hatching, it can be assumed that the structure was made using light organic materials e. g. reeds, plants or wood or a combination of these materials.11 On the premise that ‘zoomorphic structure’ represents an existing and immobile building, the question presents itself as to how this sign could be rendered as an architectural structure in terms of its shape, dimensions and individual building components. In Egyptological literature, a wide range of varying sug9 The data presented in the overall chronological table published in E. Hornung / R. Krauss / D. Warburton, Ancient Egyptian Chronology, 490 (tab. IV.2) is the basis of this statement although the absolute dates differ from those provided by Hendrickx (see here note 5). 10 See esp. five sealings found by Walter Emery in Tomb 3357 at Saqqara: W. B. Emery, Excavations at Saqqara 1937–1938. Hor Aha, Cairo 1939, pl. 10 with a reconstruction of the seal impression in P. Kaplony, Die Inschriften der Ägyptischen Frühzeit III, ÄA 8, Wiesbaden 1963, fig. 140. 11 This aspect of ‘zoomorphic structure’ and the pr-wr has been commented upon innumerable times e. g. in K.-P. Kuhlmann, Serif-style Architecture and the Design of the Archaic Egyptian Palace (“Königszelt”), in: M. Bietak (ed.), Haus und Palast im Alten Ägyten. Internationales Symposium 8. bis 11. April 1992 in Kairo, UZK 14, Vienna 1996, 117–138.

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gestions can be found for the architectural realization of the sign.12 However, none of these reconstructions are based on specific archaeological features of the Naqada III period. With the exception of a few cases, e. g. the rock carving in Wadi Hilâl (tab. 1, row 4), ‘zoomorphic structure’ never appears by itself but is always accompanied by a co-sign. These co-signs are limited to an elephant on the bone labels from Abydos Tomb U-j that date to the Naqada IIIA1 phase13 and a felid with one to four vertical curved bars protruding from its back attested on objects that date to the Naqada IIIC phase.14 The change from one cosign to another corresponds to the gap of sources between the Naqada IIIA2 and the beginning of the Naqada IIIC1 phase, and therefore underlines the pertinence of the question of whether the meaning of ‘zoomorphic structure’ underwent a change even as early as this stage. 3.2 Functional interpretation in Egyptological studies Beyond the definition of an architectural structure, ‘zoomorphic structure’ is interpreted in terms of its function in various ways in Egyptological literature. The main suggestions can be grouped into four categories: 1. The living space of a ruler (keywords: royal tent [Königszelt], royal palace, residence); 2. The place of worship of a divine entity (keywords: shrine, sanctuary, temple). Sacred spaces for the veneration of a transcendental being and/or the veneration of a ruler are subsumed under this category;15 3. A mortuary complex; 4. An administrative complex associated with the scribes of the royal palace. As it is extremely difficult to specify complexes of the fourth category in the archaeological record, the following article will contain a discussion of the first three functional definitions. The functional interpretation of the sign ‘zoomorphic structure’ as the residence of a ruler is proposed for example by Hartwig Hartmann16 and Ludwig Morenz17. The localiza12 A. Badawy, La première architecture en Égypte, in: ASAE 51 (1951), 26, fig. 19b. This reconstruction was later adopted by Dieter Arnold for Die Tempel Ägyptens. Götterwohnungen, Baudenkmäler, Kultstätten, Augsburg 1996, 15; K.-P. Kuhlmann, Archaic Palace, fig. 16b; M. Lehner, The Complete Pyramids, London 1997, 72. 13 Identification of the earlier co-sign as an elephant follows the initial classification made by Günter Dreyer on the basis of the Umm el-Qaab labels: G. Dreyer, Umm el-Qaab I. Das prädynastische Königsgrab U-j und seine frühen Schriftzeugnisse, AV 86, Mainz 1998, 120f. In a later publication, the animal was defined by Jochen Kahl as a canid: E. g. J. Kahl, Die ältesten schriftlichen Belege für den Gott Seth, in: GM 181 (2000), 51–57. Due to various reasons e. g. the existence of contemporary sources esp. the knife handle from Hierakonpolis (tab. 1 row 5), the identification of the co-sign on all of the relevant bone labels as an elephant is maintained here. 14 In the systems developed by Kahl and Regulski, the felid equates to sign e4–e4** depending on the number of curved bars present: J. Kahl, Das System der ägyptischen Hieroglyphenschrift in der 0.–3. Dynastie, Wiesbaden 1994, 482f.; I. Regulski, A Palaeographic Study of Early Writing in Egypt, OLA 195, Leuven / Paris / Walpole (MA) 2010, 107. According to Regulski, the varying number of bars does not seem to change the meaning of the sign. 15 For the divine status of predynastic rulers, see e. g. T. A. H. Wilkinson, Early Dynastic Egypt, London / New York 1999, esp. 184.

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tion of this residence in Hierakonpolis or in Upper Egypt in general is primarily connected to the hypothetical development of the pr-wr which is thought to have originally evolved from a predynastic royal tent or palace (‘zoomorphic structure’) and then subsequently given the status of a palace of a divine entity in association with the king or the crown to then become the national shrine of Upper Egypt.18 The definition of ‘zoomorphic structure’ as the place of worship of a divine entity ranges from a shrine without further specification to a shrine that is specific to a site, a god or a royal individual. For example, the existence of the unique rock carving in Wadi Hilâl, Elkab (see tab. 1, row 4) is taken as evidence for a corresponding temple complex at the site during the pre- and early dynastic period.19 By contrast, the co-signs of ‘zoomorphic structure’ are, particularly in the case of the labels from Tomb U-j, understood by some scholars as a toponym. Consequently, ‘zoomorphic structure’ is interpreted as a local shrine situated e. g. on Elephantine (pr-wr Abw)20 or tentatively as the main sanctuary at Hierakonpolis.21 The sign combination ‘felid’ + ‘zoomorphic structure’ on the clay sealings is considered to be evidence of an Upper Egyptian cult dedicated to a lion deity by Ursula Schweitzer, who thus interprets the latter sign as a lion-related shrine (Löwenheiligtum).22 For Morenz, it is also conceivable that the animal co-signs convey the names of predynastic rulers, thus indicating that ‘zoomorphic structure’ could potentially be understood as a sacred building for the veneration of a ruler.23 The functional attribution of ‘zoomorphic structure’ to the mortuary sphere was initially suggested by Alexander Badawy.24 This attribution is based on the definition of the sign on the clay sealings as an iconographic imitation of a jackal and, correspondingly, as the architectural rendering of the god Anubis. According to Badawy, the so-called Anubis hut (la hutte d’Anubis) served as a building to protect the corpse of the king whilst funerary ceremonies were performed.25 More recently, ‘zoomorphic structure’ in its meaning as pr-wr was brought into connection with the above-ground mortuary features of Locality HK6 in 16 H. Hartmann, Necheb und Nechbet. Untersuchungen zur Geschichte des Kultortes Elkab, unpublished PhD-thesis Mainz 1989, 59f. 17 L. Morenz, Bild-Buchstaben und symbolische Zeichen. Die Herausbildung der Schrift der hohen Kultur Altägyptens, OBO 205, Freiburg 2004, 91. 18 H. Hartmann, Necheb und Nechbet, 57 and in architectural terms e. g. H. Ricke, Bemerkungen zur Ägyptischen Baukunst des Alten Reichs I, BÄBA 4, Zurich 1944, 32–36. It should be emphasized here that Herbert Ricke generally refers to the Egyptian term jtr.t and not explicitly to the pr-wr etc. when discussing the national shrines. For a localization of the pr-wr in Hierakonpolis, see e. g. B. Adams, Early Temples at Hierakonpolis and Beyond, in: W. Machowski (ed.), Centenary of Mediterranean Archaeology 1897–1997. International Symposium Cracow, October 1997, Cracow 1999, esp. 19. 19 H. Hartmann, Necheb und Nechbet, 59f. as well as F. W. Green, Prehistoric drawings at El-Kab, in: PSBA 25 (1903), 371f. The date of this rock carving is unknown and even though a terminus post quem of the reign of Djer is plausible on iconographic grounds, the carving was not necessarily made during the Naqada III period. 20 L. Morenz, Bild-Buchstaben, 91. 21 E. g. C. Theis, Hierakonpolis in den Täfelchen aus Grab U-j in Abydos?, in: GM 240 (2014), 66. 22 U. Schweitzer, Löwe und Sphinx im Alten Ägypten, ÄgForsch 15, Glückstadt / Hamburg 1948, 20. 23 L. Morenz, Bild-Buchstaben, 91, 95. See also G. Dreyer, Umm el-Qaab I, 140f. 24 A. Badawy, Le dessin architectural chez les anciens Égyptiens. Étude comparative des répresentations égyptiennes de constructions, Cairo 1948, 19, 32. 25 A. Badawy, dessin architectural, 19.

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Hierakonpolis and was tentatively referred to as the influential source for the architectural structures that are archaeologically attested at the site26 or identified with specific structures recorded there.27 4 Methods and related comments When attempting to functionally assess sign ‘zoomorphic structure’ in a decontextualized state on the basis e. g. of inherent features and characteristics, methodological and interpretative boundaries are reached almost instantly. One could argue that the very striking form of the sign was intentionally chosen to express the extraordinary and, therefore, that the sign should be understood as a sacred building. However, this line of argumentation is extremely vague. In semiotic terms, it is possible to describe the significate ‘zoomorphic structure’ as a cultural unit but the code in order to (functionally) define the significate and to understand its connotations is unknown. For this reason, I decided to employ three different approaches in order to evaluate the interpretations listed above. Firstly, it seemed logical to relate ‘zoomorphic structure’ to contemporary two- and three-dimensional renderings of architectural structures. As a second step, the direct (‘elephant’ and ‘felid’) and indirect co-signs were considered. The third approach encompassed a discussion of ‘zoomorphic structure’ in relation to contemporary, archaeologically attested features that can be identified as a royal residence, temple or mortuary complex, and it is this third step which will form the focus of this article. This approach is, of course, hypothetical and is also complicated by a series of methodical problems including 1. the varying orientation of ‘zoomorphic structure’ depending on the primary or secondary nature of the sign-bearing objects28, and consequently the varying position of specific iconographic features of the sign, 2. the difficulty in defining individual architectural features of a building in the archaeological record in terms of its front and rear, longitudinal and transverse sides, or its entrance, 3. the compatibility of the information of architectural features rendered in twoor three-dimensional form and that of archaeologically attested structures, and 4. the real existence of structures and their individual architectural features conveyed by twodimensional signs and three-dimensional objects and the question of whether they can be identified in the archaeological record. With regard to the following attempt, I would therefore like to emphasize that a 1:1 projection of the architectural features of the sign ‘zoomorphic structure’ onto archaeologically attested structures is not expected. Rather, the objective is to gain an overview of contemporary architecture in order to grasp individual 26 Á. Figueiredo, Locality HK6 at Hierakonpolis. Results of the 2000 Field Season, in: R. Friedman / S. Hendrickx (eds.), Egypt at its Origins 1. Studies in Memory of Barbara Adams. Proceedings of the International Conference “Origin of the State. Predynastic and Early Dynastic Egypt”, Cracow, 28th August–1st September 2002, OLA 138, Leuven / Paris / Walpole (MA) 2004, 19. 27 In the most recent publication that discusses the localization of the pr-wr, Baruch Brandl identifies Structure 07 (Naqada IIA/B; see fig. 2) as the most suitable candidate for the pr-wr: B. Brandl, The Sealings and the pr-wr Labels from Tomb U-j at Umm el-Qa‘ab, Abydos Reconsidered, in: M. D. Adams (ed.), Egypt at its Origins 4. Proceedings of the Fourth International Conference “Origin of the State. Predynastic and Early Dynastic Egypt”, New York, 26th–30th July 2011, OLA 252, Leuven / Paris / Bristol (CT) 2016, 219. 28 The bone labels, knife handle and cylinder seals are primary sources and show ‘zoomorphic structure’ oriented to the right whereas the clay sealings, which can be defined as secondary objects impressed with one or more cylinder seals, show ‘zoomorphic structure’ oriented to the left.

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functionally specific features and overall architectural tendencies. In light of the characteristic form of ‘zoomorphic structure’ and the various reconstruction possibilities of the sign (see note 12), particular attention was given to the following features: the design of buildings in terms of their ground plan and general form as well as the spatial relationship to other buildings, the building material, the architecture of the transverse sides and entrance, the presence of individual structural elements including ones that can be described as zoomorphic. .

5 Discussion of ‘zoomorphic structure’ in relation to archaeologically attested architecture of the Naqada III phase29 5.1 Living space (residence) of a ruler Current scholarly knowledge of Naqada III settlement sites is limited.30 As a result, it is not yet possible to make systematic observations on the social stratigraphy of architectural features with the aim of establishing criteria to identify the living space of a socially highstatus individual within a given settlement. The only structures known to date that can be described as Naqada III palace complexes or, in more general terms, as the living space of a ruler are located in Tell el-Fara‫ދ‬in/Buto and Hierakonpolis.31 A min. 54 x 47 m-large mud-brick complex with an overall rectangular ground plan was constructed in Tell el-Fara‫ދ‬in/Buto according to a preconceived design at the end of the Naqada IIIC/beginning of the Naqada IIID phase.32 This complex encompasses functionally specific groups of rooms and spatial units possibly used for representational purposes, the production of objects, the performance of ritual acts as well as the storage of goods.33 These spatial units are interconnected via a network of narrow corridors that form circuitous passageways, and are surrounded by a comparatively thick (max. 1.5 m) but simply constructed exterior wall without additional fortification. The entrance situation of the late Naqada III complex in Tell el-Fara‫ދ‬in consists of a c. 1 m-wide opening of simple design in

29 The following assessment is based on sites listed in S. Hendrickx / E. C. M. van den Brink, Inventory of Predynastic and Early Dynastic Cemetery and Settlement Sites in the Egyptian Nile Valley, in: E. C. M. van den Brink / T. E. Levy (eds.), Egypt and the Levant. Interrelations from the 4th through the Early 3rd Millennium BCE, London / New York 2002, 346–399 supplemented by excavation reports of preand early dynastic sites published since this inventory e. g. the proceedings volumes 2 to 4 of the conference “Egypt at its Origins” (see the contents of the respective volumes listed here in the bibliography). 30 A concise overview of the current state of research can be found in P. Kopp, Elephantine XXXII. Die Siedlung der Naqadazeit, AV 118, Mainz 2006, 13f. See also N. Möller, The Archaeology of Urbanism in Ancient Egypt. From the Predynastic Period to the End of the Middle Kingdom, Cambridge 2016, 59–112. 31 For essential publications on the architectural features at Tell el-Fara‫ދ‬in/Buto, see U. Hartung / R. Hartmann / K. Kindermann / H. Riemer / W. Staehle, Tell el-Fara‘in – Buto. 12. Vorbericht, in: MDAIK 72 (2016), 73–126 (with further literature in note 1). A bibliography for Hierakonpolis can be found at http://www.hierakonpolis-online.org/index.php/bibliography#basicbib (30.04.2018). 32 The most recent ground plan of this complex can be found in U. Hartung / R. Hartmann / K. Kindermann / H. Riemer / W. Staehle, in: MDAIK 72 (2016), fig. 20. 33 U. Hartung / E.-M. Engel / R. Hartmann, Tell el-Fara‘in – Buto. 11. Vorbericht, in: MDAIK 68 (2012), 94 with fig. 10 for the functionally specific areas of the complex.

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the north-western section of the exterior wall.34 A layer of bricks and traces of white lime plaster found at the foot of this wall point toward the original architectural design and decoration of its outer face.35 Although the overall exterior appearance of the building complex, particularly with regard to the roofing of the various areas, cannot be reconstructed with any certainty, indirect evidence suggests a combination of flat roofs, open spatial units and barrel vaults.36 Extensive architectural remains in the underlying layers of the late Naqada III construction phase could be traced back in certain areas to the Naqada IID phase. Although these remains indicate a large-scale and to some extent locally or regionally centralized agricultural production centre consisting of a series of adjoining, max. 8 x 3 mlarge mud-brick buildings interspersed by corridors and open courts, it is unclear whether these structures can be associated with the (temporary) residence of a ruler at this early stage.37 In the case of Hierakonpolis, the vast architectural features documented at the settlement site of Nekhen which extend over a surface area of min. 80 x 60 m can only be loosely assigned to the 1st Dynasty as a more precise dating of the various construction phases is not yet possible.38 This complex is characterized by a series of northwest-southeast oriented rooms of varying sizes and floor heights which stand to either side of a large open space with unusual architectural features including rounded walls, a ‘balustrade’ of clay and varying stone types, and a large, multipart mud platform with small-scale circular apertures along its front edge possibly for the insertion of posts or standards.39 On the basis of the interrelationship of the mud-brick walls and the small finds, the attested structures were grouped into spatial units with varying functions. These spatial units are interconnected via passageways that in some cases run parallel to a min. 20 m-long section of a large-scale wall of mud brick which presumably surrounded the entire complex.40 This wall constitutes the most characteristic architectural feature of the ‘palace complex’ due to the niched design on its exterior façade and the monumental gateway with set-back, L-shaped side sections at its northern end. The height of these features in their original state is estimated at approximately 2.4 m for the niched wall and max. 3.65 m for the gateway, a height which 34 See the ground plan cited in note 32. 35 According to the excavators, the one brick wide masonry shell could have served as the base for regularly spaced, flat pilasters: U. Hartung / R. Hartmann / K. Kindermann / H. Riemer / W. Staehle, in: MDAIK 72 (2016), 86 with a photograph of this feature in fig. 22. 36 Cf. M. Ziermann, Tell el-Fara‘in – Buto. Bericht über die Arbeiten am Gebäudekomplex der Schicht V und die Vorarbeiten auf dem Nordhügel (site A), in: MDAIK 58 (2002), 461–499, fig. 9. For the reconstruction of the magazine (Area E) with a barrel vault, see U. Hartung et al., Tell el-Fara‘in – Buto. 9. Vorbericht, in: MDAIK 63 (2007), 78. 37 For an overview of these phases, see esp. U. Hartung / E.-M. Engel / R. Hartmann, in: MDAIK 68 (2012), 84ff. 38 The majority of features of this area were generally classified as ‘archaic’ in the initial excavation reports without a more precise definition of the time period described by this term: Cf. esp. W. A. Fairservis, The Hierakonpolis Project Season January to May 1981. Excavation on the Kom el Gemuwia, Occasional Papers in Anthropology 3, Poughkeepsie 1986, 14f. See the fold-out plan of the latter publication for the most extensive ground plan of the ‘palace complex’. 39 W. A. Fairservis, Hierakonpolis Project 1981, 11–14 with additional details in N. Möller, Urbanism, 91–103. 40 This wall was traced in Quadrants 15N7W–18N7W but the full extent of the ‘palace complex’ and the enclosure wall has yet to be established.

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would have undoubtedly prevented a view of the presumed one-storey high buildings within the walled complex from the outside.41 Provided that the functional definition of the complexes in Tell el-Fara‫ދ‬in/Buto and Hierakonpolis as the living space of a ruler during the Naqada III phase is correct, this building category encompasses extensive complexes with considerable dimensions and an extremely complex ground plan comprising a series of interconnected, functionally specific spatial units that are aligned along corridors and pathways or around open spaces. These complexes are surrounded by a strong wall, comprise predominantly mud-brick walls and features with varying roof constructions, and are subject to a long and varied architectural history involving numerous modifications and are therefore multi-phase. The overall similarities of the two ‘palace complexes’ end with these points. Even a cursory comparison of the ground plans (cf. the plans mentioned in notes 32 and 38) makes it clear that there are no grounds to argue for the existence of a standardized palace architecture during the Naqada III period on the basis of the very limited number of ‘palace complexes’ known to date. In an attempt to relate the sign ‘zoomorphic structure’ to archaeologically attested complexes that can be classified as the (temporary) residence of a ruler, two features of the sign, i. e. a presumed rectangular ground plan and an entrance situation in one half of its longitudinal side, do indeed correspond to the complex at Tell el-Fara‫ދ‬in if this building is reduced to its essential architectural features. However, the dimensions and particularly the hypothetical reconstruction of the exterior appearance of the late Naqada III phase complexes at both sites particularly with regard to varying roof constructions for specific areas and individual rooms interspersed with open spaces devoid of roofing – which in the case of Hierakonpolis were generally screened from the outside via an enclosure wall – are not consistent even to a limited extent with the construction conveyed by ‘zoomorphic structure’. This aspect gains additional weight when considering the lengthy and complicated architectural history and development of both ‘palace complexes’: ‘zoomorphic structure’ seems instead to represent a distinct, self-contained and single-phase structure. It is, of course, possible that one specific building or a spatial unit of an overall complex can be used representatively to convey a complex as a whole in the sense of a pars pro toto. However, there are no positive arguments for the identification of such a building/spatial unit within the two complexes discussed here. Even though certain features and rooms in the ‘palace complexes’ at Tell el-Fara‫ދ‬in and Hierakonpolis do seem to possess a particular architectural focus42, these spaces are firmly integrated into the overall complexes and are not spatially separated as ‘zoomorphic structure’ implies. In this case, one could argue for the architectural incorporation of a free-standing structure and a transposition of its function into a larger complex but again there are no positive arguments for the identification of such a potential phenomenon. 41 W. A. Fairservis, Hierakonpolis Project 1981, 6 with measurements in foot. According to Fairservis, there was no evidence to indicate the presence of multi-storey structures within the enclosed area: ibid., 7. 42 For the central room in Area A of Tell el-Fara‫ދ‬in/Buto, see e. g. U. Hartung / E.-M. Engel / R. Hartmann, in: MDAIK 68 (2012), 94. For the platform that has an elaborate approach, is surrounded by an open space and is located in the same alignment as the monumental gateway, see W. A. Fairservis, Hierakonpolis Project 1981, 8, 11.

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With regards to the other iconographic features of ‘zoomorphic structure’, i. e. a base line which is extended to one or both sides of the sign, emphasis of the presumed front transverse side by means of a differently constructed façade, archway or vault etc. combined with frontal protrusions and/or zoomorphic elements, the archaeologically attested ‘palace complexes’ only exhibit an extremely limited number of architectural features that could be correlated with them. On the premise that ‘zoomorphic structure’ represents a permanent structure, the base line for example could be interpreted as an artificial layer of clay or pounded earth in order to level the ground and/or to function as a base into which post-holes were set,43 as a visible platform or as a fence or enclosure wall.44 Although the two ‘palace complexes’ are both surrounded by an enclosure wall, the relationship between the reconstructed height of the wall to that of the buildings contained within as well as the architectural prominence particularly in the case of Hierakonpolis does not correspond to the consistent but subsidiary feature of ‘zoomorphic structure’s’ base line. If the layer of bricks along the foot of the western wall of the late Naqada IIIC/D-complex at Tell elFara‫ދ‬in/Buto can be reconstructed as a low platform, this architectural detail would constitute a third consistent point with the iconographic features of ‘zoomorphic structure’. This would, however, mean that the enclosure wall of the complex would correspond to the core structure of the sign, which does not seem likely at the present time. A methodological difficulty is the orientation of the complexes and definition of longitudinal and transverse sides when considering the sign’s iconographic features. The full extent of both complexes is not yet known due to their vast dimensions, and therefore the latter point as well as the definition of a main and subsidiary entrance and whether these structural components differed architecturally from the rest of the complex cannot be discussed further. On the basis of the ‘palace complexes’ at Tell el-Fara‫ދ‬in and Hierakonpolis, there is no evidence for the decoration of individual architectural elements, particularly the exterior walls or the entrance, with parts of animals e. g. horns, tusks or tail, or with correspondingly formed objects of other materials for example clay.45 The notion of apotropaically effective animals is archaeologically attested for the Naqada III phase in connection with residential structures: The intentional burial of a dog was discovered during excavation in the southern wing of the monumental gateway at Hierakonpolis46, however this cannot strictly be defined as a zoomorphic architectural element and would not have been visible. To date, similar features or zoomorphic building elements in general have not been recorded for the various constructions at Tell el-Fara‫ދ‬in.

43 This practice is attested, for example at Hierakonpolis, Locality HK25: T. Hikade / G. Pyke / D. O’Neill, Excavations at Hierakonpolis HK29B and HK25 – The campaigns of 2005/06, in: MDAIK 64 (2008), 163ff. 44 The base line could, of course, be simply interpreted as the ground surface. Particularly in light of the form of this iconographic feature on sealings discovered in Tomb 3357 at Saqqara (see note 10), the view is taken here that the base line constitutes an architectural feature. 45 Ulrich Hartung emphasizes the complete absence of specific clay objects (Grubenkopfnägel and Tonstifte) in the entrance area of the ‘palace complex’ at Tell el-Fara‘in, which have often been interpreted in the past as decorative applications for wall exteriors: U. Hartung / R. Hartmann / K. Kindermann / H. Riemer / W. Staehle, in: MDAIK 72 (2016), 86. 46 W. A. Fairservis, Hierakonpolis Project 1981, 9.

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On the assumption that ‘zoomorphic structure’ was built using organic materials such as bundles of reeds, papyrus or other plants and/or wood due to the characteristic crosshatching of the sign, the depicted construction material contrasts strongly with the almost exclusive use of mud brick documented for the complexes at Tell el-Fara‫ދ‬in and Hierakonpolis. In general terms, the development from light organic materials to mud-brick structures takes place between the Naqada IID and IIIA phases.47 The following possibilities can be considered in order to explain this discrepancy: 1. As the 112 assembled objects bearing ‘zoomorphic structure’ date between the Naqada IIIA and late Naqada IIIC phase and are therefore marginally older than the two ‘palace complexes’, it could be the case that corresponding archaeological evidence of earlier Naqada III royal residences constructed with organic materials has not yet been found or identified.48 The existence of extensive and complexly arranged residences made of organic materials is attested for example by a c. 500 m2-large construction of the Naqada IIC/D1 phase at Tell el-Farkha.49 In the case of Tell el-Fara‫ދ‬in/Buto, small-scale individual post-structures of varying ground plan with wattle and daub walls are attested to a limited extent for the late Naqada II/early Naqada III phase which are then gradually replaced by adjoining rectangular mud-brick structures.50 However, it is difficult to ascertain whether these structures should be viewed as forerunners to the late Naqada IIIC/D ‘palace complex’ in terms of their socio-stratigraphic significance. At Hierakonpolis, the stratigraphical relationship of individual construction phases is not clear enough for corresponding statements; 2. as mentioned above, the original function of ‘zoomorphic structure’ was transposed onto another building of a different form/material whereby the two-dimensional representation of an organic structure was maintained as an intentional reference to an older predecessor; 3. ‘zoomorphic structure’ represents a preNaqada III-phase structure. However, statements on Naqada I- and II-phase residential structures are limited to the fact that they exhibit local tendencies51 and, in individual cases, already attest to the use of mud bricks52.

47 See e. g. N. Möller, Archaeology of Urbanism, 64 concerning sites in the Delta. 48 In this respect see also S. Hendrickx, Arguments for an upper Egyptian Origin of the Palace-Façade and the Serekh during the Late Predynastic – Early Dynastic times, in: GM 184 (2001), 102f. 49 Cf. the structures of Phase 1 in K. M. Ciaáowitz, From Residence to Early Temple: the Case of Tell elFarkha, in: K. Kroeper / M. Cháodnicki / M. Kobusiewicz (eds.), Archaeology of Early Northeastern Africa. In Memory of Lech Krzyůaniak, SAA 9, Poznan 2006, 918, fig. 1. 50 Features from this time period are only documented for limited areas of the site due to the high level of ground water. See esp. U. Hartung / R. Hartmann / K. Kindermann / H. Riemer / W. Staehle, in: MDAIK 72 (2016), 75–83 for features dating to the Naqada IIIA and B phases in Trench E18. 51 Compare e. g. the various building types in Maadi with contemporary structures in Hemamia: I. Rizkana, The Prehistoric House, in: M. Bietak (ed.), Haus und Palast im Alten Ägypten. Internationales Symposium 8. bis 11. April 1992 in Kairo, UZK 14, Vienna 1996, 175–183 and G. Brunton / G. CatonThompson, The Badarian Civilisation and Predynastic Remains Near Badari, BSAE 30, London 1928, 43ff. 52 The use of mud bricks for large-scale structures is attested for the first time during the Naqada II phase in Naqada itself: W. M. F. Petrie / J. E. Quibell, Naqada and Ballas, BSAE 1, London 1896, 54 and pl. LXXXV. The structure in question has tentatively been interpreted as a royal residence or temple complex (e. g. in B. Midant-Reynes, The Prehistory of Egypt. From the First Egyptians to the First Pharaohs, Oxford 2000, 198) but the archaeological remains are not unequivocal enough for a corresponding evaluation.

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An additional point concerns the time span of the 112 objects bearing ‘zoomorphic structure’: Despite the fact that examples of this sign are not attested consistently throughout the Naqada III period, it can be assumed, at least for the Naqada IIIC phase (Narmer – Den), that the sign conveys a structure with the same functional significance. The case of Tell el-Fara‫ދ‬in with three major building phases during the Naqada IIIC phase clearly demonstrates, however, the extent of architectural modifications that took place at the site and, again, would require a transfer of the function of specific spatial units onto structures/rooms of the proceeding construction phases. Such a process cannot be proven for the ‘palace complexes’ discussed here. Archaeological information on the design and appearance of a royal palace or other royal structures for the pre- and early dynastic period is extremely limited. This is also the case for residential buildings of the Naqada III phase in general. On the basis of the relevant archaeological remains documented so far, a clear distinction between residential structures that conform to a northern and a southern building type/design cannot be made. Consequently, the specification of ‘zoomorphic structure’ as the Upper Egyptian seat of a ruler cannot be confirmed either on the basis of the sign’s form or on the grounds of the archaeological record. While the author is fully aware that two examples of partially excavated sites do not form a sound basis to reach overall conclusions, there is no clear correlation between the characteristic iconographic features of sign ‘zoomorphic structure’ and the archaeologically attested complexes that can be described as palatial. A functional definition of the sign as the Upper Egyptian residence of a ruler, which subsequently underwent a functional change to become a place of worship of a divine entity in accordance with Hartmann, is not supported by relevant archaeological features. By contrast, the ‘palace complexes’ at Tell el-Fara‫ދ‬in and Hierakonpolis indicate instead the concurrent coexistence of spatial units with varying functions. In view of the lack of correlating iconographic features of ‘zoomorphic structure’ with archaeologically attested palace complexes as well as the limited knowledge of pre- and early dynastic residences in general, there are, in my opinion, no valid arguments or documentary evidence that can be put forward at the present moment in time for the functional interpretation of the sign as the Naqada III living space of a ruler located in Upper Egypt. As a result, the functional definition of the sign as a royal residence according to e. g. Hartmann, Morenz and Ricke remains an unprovable speculation. 5.2 The place of worship of a divine entity (tab. 2) Architectural features dating to the Naqada III period that can be identified as spaces for the worship of a divine entity are located in Tell el-Fara‫ދ‬in/Buto, Tell Ibrahim Awad, Tell elFarkha, Hierakonpolis and Elephantine.53 Although there is indirect evidence for a sacred structure of this period at Coptos,54 this site, together with Medamud, Abydos North and 53 A discussion on criteria to define places of worship of a divine entity can be found in B. Kemp, Ancient Egypt. Anatomy of a Civilization, London 2006, 113f. In-depth information on the research history, stratigraphy, finds and features of the named sites is provided in Chapter II of R. Bussmann, Die Provinztempel Ägyptens von der 0. bis zur 11. Dynastie, PdÄ 30, Leiden / Boston 2010, 14–114. 54 In the form of three colossi from the site that can presumably be assigned to the early Naqada III phase: B. Kemp, The Colossi from the Early Shrine at Coptos in Egypt, in: Cambridge Archaeological Journal 10 (2000), 211–242. See ibid., 227 for the absence of architectural features associated with these colossi.

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Elkab, will not be considered here due to an absence of relevant architectural features in the archaeological record.55 In addition, two structural features at Hierakonpolis, namely a post-structure in Quadrant 10N5W which was initially discussed in relation to sacred structures built according to an assumed prototype pr-wr by Michael Hoffman56 as well as reconstructed predynastic structures associated with the so-called revetted mound, a largescale artificial mound of sand encased in hewn sandstone blocks,57 are excluded from the discussion due to their unclear archaeological nature. When evaluating Naqada III sacred spaces, four points become clear: Firstly, the great diversity and local variation of architectural design58 ranging from small-scale, secluded and only indirectly accessed spatial units that are integrated into larger building complexes (e. g. Rooms 31, 32 and 42 in Area C of the late Naqada IIIC/D ‘palace complex’ at Tell elFara‫ދ‬in,59 individual rooms in the Naqada IIIB-phase structure at Tell el-Farkha60 as well as Room A5a in Quadrant 15N6W at Hierakonpolis61), self-contained buildings of smaller dimensions that are spatially separated from surrounding structures via an enclosure wall as is the case at Tell Ibrahim Awad62, to open spaces with adjacent architectural features (esp.

55 Barry Kemp presumed the existence of a pre-/early dynastic sacred structure at Medamud as a forerunner to the archaeologically attested temple complex of the late Old Kingdom: B. Kemp, Anatomy, 134. According to William M. F. Petrie, several buildings in Abydos North can be interpreted as a 1st Dynasty temple complex: W. M. F. Petrie, Abydos II, EEF 24, London 1903, esp. pl. L. However, this structure could not be identified during recent excavation work and the chronological relationship of the buildings attested in this area is unclear: e. g. D. O’Connor, Abydos. Egypt’s First Pharaohs and the Cult of Osiris, Cairo 2009, 204 and R. Bussmann, Provinztempel, 87 respectively. At the beginning of the last century, test trenches were excavated within the temple complex at Elkab. Although individual finds dating to the “archaic period” were recovered, evidence of structural features dating to the pre- and early dynastic period was not found: A. H. Sayce / E. Somers-Clarke, Report on certain excavations made at El-Kab during the years 1901, 1902, 1903, 1904, in: ASAE 6 (1945), 259ff. 56 See esp. M. A. Hoffman, Preliminary Report on the First Two Seasons at Hierakonpolis III, in: JARCE 9 (1971–1972) 41ff. with a reconstruction of the post-structure in fig. 8 (compare with the actual archaeological features documented in fig. 9). The construction of this structure on the basis of the prototype prwr was suggested in a later publication: M. A. Hoffman, Egypt Before the Pharaohs, London 1980, 132. 57 J. E. Quibell / F. W. Green, Hierakonpolis II, BSAE 5, London 1902, 3ff., pl. LXXII; R. Bussmann, Provinztempel, 47–50; L. McNamara, The Revetted Mound at Hierakonpolis and Early Kingship. A ReInterpretation, in: R. Friedman / Y. Tristant (eds.), Egypt at its Origins 2. Proceedings of the International Conference “Origin of the State, Predynastic and Early Dynastic Egypt”. Toulouse 5th–8th September 2005, OLA 172, Leuven / Paris / Walpole (MA) 2008, 905ff. 58 This phenomenon stands at the centre of Kemp’s model of pre-formal and formal temple architecture (B. Kemp, Anatomy, 112ff.) and has been explained by Bussmann as the result of residential and provincial spheres of influence (R. Bussmann, Provinztempel, e. g. LXXXV–XCIV). 59 Cf. e. g. T. von der Way, Tell el-Fara‘in. Buto I. Ergebnisse zum frühen Kontext. Kampagnen der Jahre 1983 – 1989, AV 83, Mainz 1997, 169f. 60 For Phases 4 and 5 (Naqada IIIB onwards) at Tell el-Farkha, see K. M. Ciaáowitz, Tell el-Farkha, 924ff. 61 W. A. Fairservis, Hierakonpolis Project 1981, 11f., figs. 20A–C. 62 A series of 11 superimposed temple buildings, which date between the predynastic period and the 12th Dynasty (Phase 1 = 12th Dyn. – Phase 7 = Naqada IID), were recorded in Area A at Tell Ibrahim Awad by Dieter Eigner and Willem van Haarlem: See esp. D. Eigner, Tell Ibrahim Awad: Divine Residence from Dynasty 0 until Dynasty 11, in: ÄgLev 10 (2000), 17–37 and W. M. van Haarlem, Temple Deposits in Early Dynastic Egypt. The Case of Tell Ibrahim Awad, Leiden 2014 with an overview of the various stratigraphical phases in fig. 10.

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HK29A63) and natural geographical formations in association with which architectural structures only play a minor role (esp. Elephantine64). A prominent factor in the case of these sacred sites is the fact that their functional determination as the place of worship of a divine entity was not made on the basis of their architectural design and exterior appearance but via their interior arrangement or spatial relationship to surrounding rooms/structures (individual rooms in the ‘palace complexes’ at Tell el-Fara‫ދ‬in and Hierakonpolis), the discovery of votive deposits (features/structures at Tell Ibrahim Awad, Tell el-Farkha and Elephantine) or associated pottery assemblages. Similar to the building category ‘palace complex’, there is no evidence for a standardized temple architecture during the Naqada III period. Consequently, the current archaeological record clearly demonstrates that no construction methods or structural designs can be discerned which are specific to Upper and Lower Egypt. The second point is consistent with the archaeological evidence for domestic/residential structures and concerns the gradual abandonment of post-structures during the transition between the Naqada II and III phases. With the exception of HK29A (Second Phase), the southern side of which is characterized by a row of four large-scale post-holes, none of the above-mentioned sites encompass buildings of organic material that can be unequivocally identified as having a sacred function. Consequently, this means that there is no tangible evidence for the intentional preservation of this building material for the construction of a functionally specific building or for the replacement of sacred buildings constructed with organic materials with mud-brick structures at the aforementioned sites, and that there is therefore no indication of intentional references to more ancient post-structures. The absence of Naqada III-period post-structures with an unequivocal non-funerary, sacred function at all sites apart from HK29A could be explained in three ways: 1. the function of poststructures attested at other sites (e. g. the Naqada IIIA-structures at Tell el-Fara‫ދ‬in) cannot be established; 2. ‘zoomorphic structure’ attested on early Naqada III objects refers to a construction specific to Hierakonpolis, as the feature at HK29A indicates the intentional continuation of the tradition of building with organic materials; 3. the sign ‘zoomorphic structure’ should – as was stated in connection with ‘palace complexes’ – generally be viewed as a pre-Naqada III structure. In the case of HK29A, however, it should be emphasized that the four monumental posts that were erected during the site’s second phase of use did not necessarily form an interconnected building, and that the individual architectural features made of organic materials of the site’s first phase were already in the process of

63 Locality HK29A is characterized by a 45 x 13 m-large open space of roughly oval form that was covered with a series of mud floors and surrounded by adjacent architectural features partially of organic material and partially of mud brick: R. Friedman, Hierakonpolis Locality HK29A: The Predynastic Ceremonial Center Revisited, in: JARCE 45 (2009), 79–105. Two main phases of activities could be determined at the site, an early phase dating between the Naqada IIB and IIC phases and a second phase dating between Naqada IID and IIIA. 64 On Elephantine, a formation of granite boulders on the northern end of the eastern island constitutes the nucleus of a sacred site which was dedicated to the goddess Satet from the early dynastic period onwards. For the stratigraphy of the temple, see G. Dreyer, Elephantine VIII. Der Tempel der Satet. Die Funde der Frühzeit und des Alten Reichs, AV 39, 1986, 11f., note 7. This stratigraphy is set into the context of the surrounding settlement site in P. Kopp, Siedlung der Naqadazeit.

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being replaced with mud-brick structures.65 In connection with the last explanation and unlike archaeological evidence for residential structures, no post-structures are yet known for pre-Naqada III cultures that can be functionally identified as non-funerary, sacred buildings/spatial units. The third point is the lack of evidence for the identification of the specific divine entity worshipped at the named sites, e. g. architectural elements or small finds including votive material.66 From an archaeological point of view, therefore, there are no grounds with which ‘zoomorphic structure’ can be interpreted e. g. as the place of worship of a lion god(dess) in accordance with Schweitzer. The fourth and final point relates to the chronological attribution of the sacred sites/spatial units mentioned above. On the premise that the dating of the discussed structures is correct, a chronological juxtaposition of the various construction phases at each site shows a wide distribution of the archaeological features (tab. 2). In the case of Elephantine, structural features with a sacred function are first attested for the Naqada IIIC phase, and evidence for the practice of depositing vessels filled with votive objects at the site does not precede the Naqada IIIB phase.67 Consequently, the functional interpretation of ‘zoomorphic structure’ on the Naqada IIIA1-phase labels from Umm el-Qaab as the representation of a permanently installed shrine at Elephantine as proposed by Morenz, is not supported by the archaeological record. Furthermore, assuming that the sign expresses an architectural structure with the same function from the Naqada IIIA1 to the late Naqada III phase, it can, on the basis of this extremely reduced overview of sacred structures, be observed that none of these structures/spatial units exhibit the same form or have the same function consistently throughout the Naqada III period.68 Consequently, ‘zoomorphic structure’ can, at least in chronological terms, not be brought into connection with the sacred buildings dealt with in this section. The replacement of the co-sign from ‘elephant’ to ‘felid’ at the beginning of the Naqada IIIC1 phase at the latest could be analogous with a tangible change in the archaeological record. However, neither the initial construction or the discontinuation/demolition of known sacred structures/spatial units nor any kind of architectural or functional changes of these structures can be correlated with this juncture. When compared with structural features that can be specified as royal palace complexes, the current state of knowledge on Naqada III sacred sites is considerably more profound. In view of the prominent form of sign ‘zoomorphic structure’, the wide-ranging architectural variation of the attested structures for the worship of a divine entity could be used as an argument for a functional interpretation of the sign as a non-funerary, sacred building. As 65 Compare the archaeological remains for the northern side of the oval courtyard on the plans in R. Friedman, in: JARCE 45 (2009), figs. 8, 9. 66 Although a comparison of small-scale objects that have been defined as votives has led to the observation of typological variations and site-specific differences, the overall similarity of the material at different archaeological sites throughout Egypt does not allow them to be attributed to a specific deity: R. Bussmann, Provinztempel, 217. 67 P. Kopp, Siedlung der Naqadazeit. 68 With regards to Tell Ibrahim Awad, it should be noted here that mud-brick enclosure walls were recorded for the late Naqada II and early Naqada III phases (Phases 7a–b and 6d) but the presence of an associated temple building could not be established due to lack of access to the adjacent land: See W. M. van Haarlem, Temple Deposits, 19f. for the architectural remains of Phases 7a and b, and D. Eigner, in: ÄgLev 10 (2000), 35 for Phase 6d.

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mentioned above, an elongated rectangular ground plan is a plausible architectural realization of ‘zoomorphic structure’. A ground plan of this shape is comparable to archaeologically attested structures, particularly in the case of Tell Ibrahim Awad, but does not constitute a significant criterion for the functional specification of a building: Mud-brick structures of the Naqada IIIC1 phase in Tell el-Fara‫ދ‬in, which have been defined as residential and/or administrative buildings, all exhibit comparative designs and dimensions to the contemporary temple structures at Tell Ibrahim Awad.69 This type of architectural construction is, therefore, informed by time-tested and statically advantageous proportions and is not functionally specific. The difference between the structurally comparable but functionally distinct contemporary buildings at Tell el-Fara‫ދ‬in and Tell Ibrahim Awad is the relationship to adjacent structures, i. e. the temple buildings at the latter site are spatially separated from the surrounding settlement whereas the former are incorporated into a widespread cluster of adjacent buildings. If the criteria of spatial isolation and independence of a building and the existence of a proximate enclosure wall are essential to the definition of a sacred building in the archaeological record, then it would be possible to functionally define ‘zoomorphic structure’, in its depiction of an enclosed solitary structure, as the place of worship of a divine entity. Thus as mentioned above, the (extended) base line of the sign could be considered as a minimally rendered construction (fence/wall) to enclose the core structure. The wide variety of designs of Naqada III, non-funerary sacred buildings is too great to make firm statements on individual architectural observations or tendencies with regards to roofing constructions, the construction of the longitudinal and transverse sides or the entrance situations whilst taking the corresponding iconographic features of ‘zoomorphic structure’ into account. There is no direct evidence for the roofing construction of the sacred structures considered here. Also, there is no indication that one of the transverse sides of these structures was designed e. g. as a vault or arch or with an unusual façade. Entrances could be established for the individual rooms with presumed sacred function integrated into the ‘palace complex’ at Tell el-Fara‫ދ‬in, for two phases of the temple structure at Tell Ibrahim Awad, and for Room A5a in the ‘palace complex’ at Hierakonpolis: All relevant rooms at Tell el-Fara‫ދ‬in were, in their original conception, accessed via slightly offset but frontal entrances in relation to the presumed cultic focus; the entrance of Room A5a at Hierakonpolis was in the same alignment as the offering niche but a difference in the height of the floor level required the ritual agent to step down into the room. The only structure with an entrance in its longitudinal side is the case of Tell Ibrahim Awad. The series of temple constructions at Tell Ibrahim Awad as free-standing buildings with a rectangular ground plan, an entrance situation in the longitudinal side and a low enclosure wall as one of the possible architectural realizations of the base line,70 exhibit the most equivalent architectural features when compared with sign ‘zoomorphic structure’. However, special treatment of the transverse sides or the existence of zoomorphic architectural components or decorations is not attested either for these non-funerary sacred structures nor at any other site named above.

69 Compare the plans in U. Hartung / R. Hartmann / K. Kindermann / H. Riemer / W. Staehle, in: MDAIK 72 (2016), fig. 17 with those in D. Eigner, in: ÄgLev 10 (2000), figs. 8, 9. 70 See e. g. D. Eigner, in: ÄgLev 10 (2000), 32f., figs. 8, 9 that show the features of Phases 5a to 6b.

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When considering the interpretations of ‘zoomorphic structure’ as the place of worship of a divine entity as detailed in section 3.2, an overview of relevant archaeological remains clearly shows that temple structures were not built according to a standardized design and that the existence of a building tradition specific to Upper and Lower Egypt is not attested. If ‘zoomorphic structure’ were to be functionally interpreted as a non-funerary sacred structure, the architectural variety attested in the archaeological record could be used as a basis to argue for a site-specific structure. However, due to the similar form of small finds deposited at the majority of sites discussed here, the specific deity worshipped at each site cannot be identified. On the basis of known Naqada III sacred structures, therefore, there are no grounds with which ‘zoomorphic structure’ can be interpreted as the place of worship of a specific divine entity. An absence of archaeological evidence for structures dating to the Naqada III period within the sacred precinct at Elkab that can be functionally defined as a non-funerary sacred structure does not necessarily invalidate the localization of a building in the form of ‘zoomorphic structure’ at Elkab but does not provide any confirmation of this theory. As mentioned above, the complexity of the archaeological situation in the sacred precinct of Hierakonpolis together with the lack of clarity of the chronological relationship of the features recorded there, make it difficult to provide unequivocal statements about the arrangement of this site during the Naqada III period, and about the design and appearance of contemporary architectural structures. In connection with the stratigraphical relationship between the ‘palace complex’ and the sacred precinct located to the south, Walter Fairservis made the important observation that all the buildings of the archaic settlement were oriented differently to those attested in the latter area, thus underlining the uncertain attribution of the artificial sand mound to the early dynastic period.71 Due to the sacred character of the precinct along with a distinct association with the royal sphere during subsequent dynasties as well as the discovery of the objects comprising the so-called Main/Great Deposit72, the existence of a sacred structure at some point during the Naqada III period seems plausible. Irrespective of the presence and the reconstructed scale of a monumental artificial mound of sand, no architectural features, however, have been documented thus far that directly indicate the presence of an associated temple structure dating to the Naqada III phase. In this respect, reconstructions of sacred structures located on this mound are entirely redundant73, and the interpretation of sign ‘zoomorphic structure’ as a local shrine situated at the sacred precinct of Hierakonpolis according e. g. to Christopher Theis can neither be confirmed nor unequivocally refuted.

71 Cf. fig 1. in W. A. Fairservis, Hierakonpolis Project 1981. 72 The Main Deposit is an assemblage of objects of varying categories that have been interpreted as the inventory of a temple (J. E. Quibell / F. W. Green, Hierakonpolis II, 33), as intentionally disposed votive objects of a temple (R. Bussmann, Provinztempel, 214) or as objects that were used in the frame of ceremonies associated with the royal cult (L. McNamara, Revetted Mound, 926ff.). 73 See the reconstructions presented in M. Lehner, Complete Pyramids, 72 and also in an entry of Frederick Green’s diary which has recently been published by Liam McNamara: L. McNamara, Revetted Mound, fig. 5. See ibid., 913, fig. 6 for reconstructions of the ground plan of a temple at Hierakonpolis proposed by various authors and also for the lack of archaeological evidence as a grounds for reconstructing Naqada III-period structures on this mound.

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Although the current state of knowledge on Naqada III-period places of worship of a divine entity is comparatively well-founded, a differentiation between sites for the veneration of a god and those for the celebration and veneration of a ruler is extremely difficult to perceive on the basis of the archaeological remains recorded so far. In this context, two major points could be discussed, firstly the evidence/absence of small-scale objects interpreted as votives at the sites named above as a possible means of making such a distinction, and secondly, the site and architectural features of HK29A. HK29A has been functionally classified as a “locus of ritual activity”74, and the site has yielded a spectrum of animal bones which points to events related to offering and feasting perhaps in connection with the celebration of the New Year.75 However, the ceramic and lithic material particularly of the Early Phase of the site found accumulated in refuse pits shows a very clear connection between HK29A and HK6, the burial ground of elite individuals with its main phase of activity during the Naqada IIA and IIB phases.76 Thus, HK29A could be perceived as a place for the veneration of high status members of society in the frame of burial rites, and its nature as a sacred structure of importance beyond the mortuary sphere becomes less obvious. The possible interrelationship between HK6 and HK29A ultimately indicates that the boundaries of categories pertaining to the function of architectural constructions as set out in section 3.2 and used generally in Egyptological studies are, in all likelihood, too rigid. In the scope of this article, the viewpoint is taken that the archaeological record does not (yet) form a basis with which the interpretation of ‘zoomorphic structure’ as a sacred building for the veneration of a ruler according e. g. to Morenz can be argued. 5.3 Mortuary complex In order to answer the question of whether ‘zoomorphic structure’ should be assigned to a mortuary context, it seemed reasonable to consider Naqada III mortuary complexes that encompass a superstructure. In relation to the sheer masses of Naqada III-period burials, the archaeological evidence for tombs with substantial above-ground architectural features is limited. In view of the iconographic features of ‘zoomorphic structure’, the 1st Dynasty mastaba tombs as the most advanced form of an encased burial mound have the greatest relevance.77 In numerous necropoleis throughout Egypt, mastabas have been uncovered that were built according to a standardized form. They consist of an elongated rectangular mudbrick wall of considerable thickness with a niched facade on the exterior face. This mudbrick wall constitutes the core of a max. 54 x 27 m-large complex78 the interior of which is subdivided into compartments via thinner mud-brick walls and then filled with rubble and 74 R. Friedman, in: JARCE 45 (2009), 79. 75 V. Linseele / W. van Neer / R. Friedman, Special Animals from a Special Place? The Fauna from HK29A at Predynastic Hierakonpolis, in: JARCE 45 (2009), esp. 133–136. 76 R. Friedman, in: JARCE 45 (2009), esp. 87–89. 77 Mastaba tombs at Abu Roash, Saqqara, Tarkhan, Naga ed-Der and Naqada were selected for consideration due to the presence of specific architectural features. No distinction was made between royal and non-royal mastaba tombs. For information on tombs at these sites, see the corresponding entries in S. Hendrickx / E. C. M. van den Brink, Inventory, 348–365 as well as various articles in the journal Archéo-Nil 18 (2008). 78 The royal mastaba of Hetepneith in Naqada has the largest dimensions recorded to date: L. Borchardt, Das Grab des Menes, in: ZÄS 36 (1898), 87ff.

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limestone chips. Consequently, the interiors of these superstructures were not accessible once the mastabas were sealed. At a short distance from the central mud-brick building, one or two low, narrow mud-brick enclosure walls surround the mortuary complex creating a distinct, self-contained precinct. As a rule, the enclosure walls are interrupted by a narrow entrance predominantly in the northern half of the eastern side of the complex. There is no evidence concerning the roofing of these structures. The design of the niched façades of the mastabas is, apart from the number of niches, for the most part consistent for both the longitudinal and the transverse sides. Only one mastaba at Saqqara, S 3505, reveals particular architectural treatment of the northern transverse side of the complex as it was supplemented with the construction of a separate, multiple-room cult place.79 A limited number of tomb complexes at Saqqara also show two specific features in the area directly in front of the niched facade: Tomb S 3357 at Saqqara for instance exhibits a group of four small post-holes in the floor in front of every niche.80 Although the function of these postholes has not been clarified with absolute certainty, the erection of standards is a plausible explanation.81 With regards to the second feature, a low platform was subsequently built onto the base of the niched facade along all four walls of the majority of the mastaba tombs. Four complexes dating from the Naqada IIIC2 phase onwards located at Saqqara were discovered with hundreds of cow’s heads moulded out of clay on these platforms.82 Again, the question of the function of this feature perhaps as offerings, a symbol of royal power or as apotropaic components remains unsolved. As spatially-isolated, self-contained structures with a rectangular ground plan, a low enclosure wall with an entrance situation in its longitudinal side, a low platform extending along all sides and the presence of zoomorphic architectural elements, the mortuary superstructures at Saqqara exhibit, from an archaeological point of view, the most parallels with sign ‘zoomorphic structure’. The presence of at least five factors that approximately correlate with the iconographic features of ‘zoomorphic structure’ underlines the possibility of a functional interpretation of the sign as a mortuary structure. On the other hand, certain objections must be raised against this hypothetical correlation: Firstly, the mastabas themselves were not accessible which contradicts the very prominent iconographic feature of an entrance situation within the core structure of the sign; secondly, the transverse sides of the mastaba structures were designed in the same way as the longitudinal sides particularly in view of the Saqqara mastabas with post-holes and moulded animal heads on all four sides, and therefore do not correspond to the unique character of ‘zoomorphic structure’s’ front transverse side; and lastly, the zoomorphic elements in question are attested in the archaeological record at a considerably later stage (from Naqada IIIC2) in relation to ‘zoomorphic structure’ (from Naqada IIIA1). In addition, an obvious connection between the latter sign and cattle or bulls does not exist and, due to the earliest association of ‘zoomorphic struc-

79 80 81 82

W. B. Emery, Great Tombs III, 5–36, pl. 2. W. B. Emery, Hor Aha, 10–16, pl. 1. S. Hendrickx, Les grands mastabas de la 1re dynastie à Saqqara, in: AN 18 (2008), 76. S 3504 (Naqada IIIC2, reign of Djet): W. B. Emery, Great Tombs of the First Dynasty II, Cairo 1954, 5–37, pls. I, II; S 3506 and 3507 (both Naqada IIIC2, reign of Den): W. B. Emery, Great Tombs III, 36– 49, pl. 40 and 73–80, pl. 85 respectively; S 3505 (Naqada IIID, reign of Qaa): W. B. Emery, Great Tombs III, 5–13, pl. 2.

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ture’ with elephants on the U-j labels, the frontal protrusions of the sign should most likely (but not necessarily) be interpreted as the tusks of this animal. In the frame of a presentation of mortuary complexes with superstructures dating to the Naqada III phase, one very specific site should also be included, namely the aforementioned elite cemetery HK6 at Hierakonpolis (fig. 2).83 Amongst the necropoleis examined in the scope of my research, HK6 is the only site documented thus far to encompass a small number of Naqada III-period tombs with superstructures made of organic materials. In the case of Tombs 10, 11 (both Naqada IIIA2/B) and Tomb 1 (Naqada IIIB/C1), evidence for associated superstructures is preserved in the form of post-hole arrangements. Consistent rows of smaller post-holes constitute the remains of a low fence made with wooden posts and reeds enclosing an area of max. 13.75 x 9 m (T1) with a c. 1.5 m-wide entrance in the north-eastern section (T1). Individual, max. 50 cm-deep post-holes were preserved in the area between this fence and the underground burial chamber primarily on the transverse sides of the mortuary complexes. On the basis of the size and position of these larger postholes, a rectangular, box-like construction made of wood and reeds has been reconstructed standing immediately above the tomb’s burial chamber.84 However the only moderate state of preservation of post-holes within the enclosed areas allows for a variety of reconstructions of the Naqada III above-ground features. Due to the fact that the original appearance of the superstructures of the Naqada IIIphase tombs at HK6 cannot be described with any certainty, potential correlation with the sign ‘zoomorphic structure’ is limited to their definition as post-structures and the presence of an enclosing fence. Comparisons between the sign and the archaeological features of the above-mentioned tombs in terms of the architecture of their ground plan, transverse sides, roofing construction and accessibility of the hypothetical core structure are not viable due to an absence of evidence in the archaeological record. There is also no indication of the presence of zoomorphic elements. Despite this situation, the existence of above-ground architectural structures made of organic materials associated with T1, T10 and T11 at HK6 cannot be refuted. Particularly in light of the burial chamber of T1, which is lined on all sides with a thick, multi-course mud-brick wall, and its close chronological proximity to mastaba structures recorded at other sites85, it could be argued that the use of organic materials for the superstructure(s) of the tomb instead of mud bricks did not result from a lack of resources or technical know-how but from an intentional continuation of a local building custom restricted to elite individuals particularly when the Naqada III-phase tombs are set into their architectural-historical context.

83 The Naqada III-period tombs of HK6 are predominantly published in B. Adams, Excavations in the Locality 6 Cemetery at Hierakonpolis 1979–1985, Egyptian Studies Association Publication 4, Oxford 2000 and in B. Adams, Excavations in the Elite Predynastic Cemetery at Hierakonpolis Locality 6: 1999–2000, in: ASAE 78 (2004), 35–52. 84 For a reconstruction of T1, see R. Friedman, The Cemeteries of Hierakonpolis, in: AN 18 (2008), fig. 8 after B. M. Fagan, New Treasures of the Past, Leicester 1987, 74. Cf. the plan of the excavated features in M. A. Hoffman et al., The Predynastic of Hierakonpolis – An Interim Report, Egyptian Studies Association Publication 1, Giza 1982, fig. I.13. 85 The Saqqara tombs S 2185 and 3357, Tomb N 1506 at Naga ed-Der and the mastaba at Naqada also date to the Naqada IIIC1 phase.

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5.3.1 A further step back in time: Naqada II mortuary features at HK6 (fig. 2) Locality HK6 was used as an elite cemetery from the Naqada IC phase onwards.86 The main phase of occupation can be attributed to the Naqada IIA and IIB phases with a break in activities during the Naqada IIC and IID phases. Burials dated to the earliest phases of use are characterized by four main features: 1. the development of interrelated burial complexes, i. e. the grouping of subsidiary burials around a main burial. Spatial proximity was emphasized above ground by interconnecting fences. A limited number of these burial complexes encompassed post-superstructures, the exact form of which is unclear; 2. the burial of both human individuals (single and multiple burials) as well as domesticated and wild animals (sometimes interred together with humans); 3. the reuse of individual complexes during the Naqada III phase;87 4. a possible connection with nearby post-structures of varying sizes devoid of substructures. The latter constructions are particularly relevant to the discussion at hand. In 2008, the remains of eight partially overlying post-structures were excavated in an area measuring c. 50 m2.88 These structures constitute independent architectural units, are oriented differently but are generally positioned at right-angles to one another. They consist of max. 24 large-scale wooden posts which stand in rows at regular intervals (2 m) from one another and, in individual cases (Str. E8), are connected by means of thin dividing walls. At a distance of c. 2 m from the external post arrangement, a course of smaller and more closely-set wooden posts enclosed the core structure and was covered with mats made of plants and organic material which was plastered and painted. With regard to the original appearance of these buildings, different reconstructions have been proposed in the excavation reports: Firstly, a rectangular post-structure in the form of a roofed hall of pillars with a low surrounding fence or, secondly, a mastaba-like construction whereby the external row of smaller, closely-set posts forms a thin exterior wall.89 An entrance situation could only be established for two of these structures: a c. 1.5 m-wide break in the external row of posts on the west side of Str. 07 (longitudinal side) and Str. 081A (transverse side). The eight structures exhibit an extremely complex stratigraphical 86 A concise bibliography for HK6 can be found under the corresponding heading on the website cited in note 31. 87 Reinvestigation of T16 by Renée Friedman revealed that the burial pit, which was originally created during the early Naqada II phase (T16A), had undergone architectural modifications during the Naqada III phase (T16B): R. Friedman, The Elite Predynastic Cemetery at Hierakonpolis: 2009–2010 Update, in: R. Friedman / P. Fiske (eds.), Egypt at its Origins 3. Proceedings of the Third International Conference “Origin of the State. Predynastic and Early Dynastic Egypt”, London, 27th July–1st August 2008, OLA 205, Leuven / Paris / Walpole (MA) 2011, 159. As a consequence, the attribution of above-ground post-structures to the two different phases of usage is difficult. 88 See esp. R. Friedman, in: AN 18 (2008). The eight structures refer to Str. 08-1a and b as two different building phases, Str. 08-2–4, Str. 07, Str. D9 and Str. E8. The superstructures associated with T23 and T26 are not included in this context (see below). 89 R. Friedman, Excavating Egypt’s Early Kings: Recent Discoveries in the Elite Cemetery at Hierakonpolis, in: R. Friedman / Y. Tristant (eds.), Egypt at its Origins 2. Proceedings of the International Conference “Origin of the State, Predynastic and Early Dynastic Egypt”. Toulouse 5th–8th September 2005, OLA 172, Leuven / Paris / Walpole (MA) 2008, 1190. The excavators prefer a reconstruction as a pillared hall: e. g. R. Friedman, The Early Royal Cemetery at Hierakonpolis: An Overview, in: F. Raffaele / M. Nuzzolo / I. Incordino (eds.), Recent Discoveries and Latest Researches in Egyptology. Proceedings of the First Neapolitan Congress of Egyptology, Naples, June 18th–20th 2008, Wiesbaden 2010, 73.

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interrelationship, and a precise chronological attribution is not always possible. It is also unclear whether these structures were all erected at the same time or sequentially, and to what extent one or more structures stood at one time.90 Certain evidence, however, indicates that all or parts of these structures were at some point intentionally dismantled.91 Due to the fact that these structures do not incorporate underground features but are located in the direct vicinity of numerous contemporary burials, and also contained finds which corresponded with those found in the burial precincts, these post-structures have been functionally interpreted as mortuary temple complexes for the performance of ritual practices in connection with the burials themselves as well as with the continuation of mortuary cult practices for the buried individuals.92 The spatial separation of a place for the performance of ritual practices related to the funerary/mortuary cult and the actual burial place comes to an end during the Naqada IIB phase as T23 and T26 architecturally integrate both components,93 and therefore form a decisive precursor for T1, T10 and T11 created approximately 300– 450 years later. As is the case with the Naqada III tombs, the mortuary superstructures of the preceding Naqada II phase represent independent buildings, predominantly exhibit a rectangular ground plan but all show varying dimensions as well as number and arrangement of posts, and are all surrounded by a low enclosure fence. There are no indications of the form or material of the roofing construction and it is unclear whether these structures should be reconstructed as open pillared halls or whether their exterior was closed e. g. by matting. Thus, the question of accessibility remains open and it cannot be stated with any certainty whether the transverse sides were characterized by different architectural features in comparison to the longitudinal sides. Despite the fact that the Naqada II-phase superstructures do not exhibit a standardized size or form, they represent a stringent construction type in varying development stages which ultimately culminates in the architectural design of T23 and T26. On the basis of the above-described archaeological features, their building material, ground plan, enclosure fence and perhaps also the arrangement of pillars could be brought into connection with sign ‘zoomorphic structure’. In the case of the eight exclusively above-ground structures, evidence for zoomorphic elements is limited to animal-shaped, small-scale finds made of various materials which were presumably produced specifically for (ritual) deposition.94 In spatial and architectural terms, this situation changes with the construction of T23: This complex, which consists of a large rectangular burial pit with an overlying 6 x 4.5 m-large post-structure, a second post-structure of smaller dimensions (min. 4.0 x 2.4 m) on the eastern side of the complex (‘offering chapel’), a second burial with a 4 m2-large superstructure on its western side (T25) and an enclosure fence with an entrance placed at right angles on the northern longitudinal side, constitutes the largest 90 R. Friedman, Cemetery at Hierakonpolis 2009–2010, 187. 91 At least three construction phases with corresponding removal of individual architectural components have been established: R. Friedman, Cemetery at Hierakonpolis 2009–2010, 187. 92 R. Friedman, Cemetery at Hierakonpolis 2009–2010, 187. 93 Extensive information on T23 and T26 can be found in R. Friedman, Early Kings, 1161–1170 and 1178–1182 respectively. 94 For example, the north-eastern corner of Str. E8 yielded several animal-shaped objects made of silex including the head of an elephant: R. Friedman, Early Kings, 1172f.

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known funerary complex of the Naqada IIB phase, and is the earliest burial complex to combine substantial above-ground features with substructures.95 In addition to a wide range of zoomorphic small finds,96 T23 also includes the second feature of Naqada II-phase burials listed at the beginning of this section, as it is, in all likelihood, associated with the exceptional burial of a young male elephant (T24) situated c. 5 m to the south of the complex.97 The question of whether T24 was conceived with one or more superstructures cannot be answered with certainty but there are indications to suggest that the tomb was marked on the surface by other means.98 It can, however, be stated that the overlying structure E8 was disturbed by and partially dismantled for T24, and was therefore not originally conceived e. g. as the mortuary structure specific to the elephant burial. The conception of a large-scale post-structure with an associated elephant burial would constitute a particularly significant complex in view of the earliest sign combination ‘zoomorphic structure’ + ‘elephant’, however an identification as Str. E8 is not viable due to the aforementioned chronological sequence of post-structure and tomb. The subsidiary burial of an elephant is not unique to T23 as the earlier group of burials associated with T16A (Naqada IC–IIA) also includes the double burial of an elephant bull and a hartebeest (T33). This situation is therefore also relevant to potential identifications of ‘zoomorphic structure’ with individual burials at HK6. The latter tomb is enclosed by a low fence on the surface but does not exhibit any further superstructures and, as previously mentioned (note 87), the relationship of the above-ground features documented in the area of T16 is complex due to its reuse during the early Naqada III phase. In light of the sign combination ‘zoomorphic structure’ + ‘elephant’ on the U-j labels (Naqada IIIA1) and the knife handle (Naqada III) (tab. 1), the archaeological evidence of an indirect combination of post-architecture and a zoomorphic element in the form of elephant burials at HK6 represents a unique situation for the pre- and early dynastic period in Egypt. A reference to this situation in connection with sign ‘zoomorphic structure’ is not made here for the first time.99 With regards to the second co-sign of ‘zoomorphic structure’, i. e. ‘felid’ (Kahl/Regulski sign e4–e4**) on objects dating to the Naqada IIIC1/2 phase, the group of burials associated with T72 (Naqada IIA/B) is of particular interest as this includes the burial of an extremely large male leopard (T50). No above-ground features could be established for the latter tomb whereas post-holes surrounding the pit of T72 attest to the construction of two consecutive internal superstructures enclosed by a fence that was also

95 R. Friedman, Early Kings, 1161–1170. 96 For a selection of these finds, see again R. Friedman, Early Kings, esp. 1164. 97 Detailed information on T24 is published in R. Friedman, Elephants at Hierakonpolis, in: R. Friedman / S. Hendrickx (eds.), Egypt at its Origins 1. Studies in Memory of Barbara Adams. Proceedings of the International Conference “Origin of the State. Predynastic and Early Dynastic Egypt”, Cracow, 28th August–1st September 2002, OLA 138, Leuven / Paris / Walpole (MA) 2004, esp. 135–146. The relationship between Str. E8, T23 and T24 is generally difficult to determine: R. Friedman, Early Kings, 1174. 98 R. Friedman, Early Kings, 1170f. 99 Cf. esp. C. Theis, in: GM 240 (2014), 66 and Á. Figueiredo, Locality HK6, 19 and specifically in the case of Str. 07 also B. Brandl, Sealings and pr-wr Labels from U-j, 219. Brandl supports his argumentation for this functional interpretation of ‘zoomorphic structure’ with an identification of the cosigns as buried elephants, hence the anatomically incorrect rendering of the legs: ibid., 219.

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built in two phases.100 When considering the superordinate tomb complexes in HK6 (T16A, T23 and T72), it immediately becomes apparent that they all encompass subsidiary burials containing extremely rare and exotic wild animals, animals that are combined with ‘zoomorphic structure’ in two-dimensional form. At first glance, the correlation of the sign combinations ‘zoomorphic structure’ + ‘elephant’ and ‘zoomorphic structure’ + ‘felid’ with specific mortuary complexes in HK6 and the respective deceased seems plausible if the animal co-signs are viewed analogously. This correlation would serve as a basis with which ‘zoomorphic structure’ could be functionally defined as a mortuary complex. However, the complex associated with T23 encompasses three closely-spaced but separate superstructures, an arrangement which does not conform to the single architectural entity expressed by ‘zoomorphic structure’. Also the considerable chronological gap of approximately 250– 300 years between the creation of T23 during the Naqada IIB phase and the earliest notation of sign ‘zoomorphic structure’ on the U-j labels (Naqada IIIA1) would require an explanation. This is also the case with other Naqada II elite burials of HK6 as well as the associated superstructures. A reference to T72 and its owner can be disputed due to the discrepancy between the determination of species and gender of the interred felid (male leopard) with Kahl/Regulski sign e4–e4** (possibly female lion). However, the third feature of HK6 listed at the beginning of this section, i. e. the reuse of burial complexes, must be highlighted in this context: Even though a break in activities in HK6 is attested throughout the Naqada IIC and IID phases, the existence of the above-ground sacred complexes as well as individual tombs was still known during the Naqada III phase and is attested by the reuse of tombs (especially T16A), the restoration of architectural features in certain complexes (especially T72), the creation of new but architecturally comparable tombs (T1, T10 and T11) as well as the intentional avoidance of spatial encroachment of existing structures101 during the Naqada III and later periods.102 It is interesting to note in this context that the restoration of individual features of T72 (with subsidiary burial of leopard in T50) took place at roughly the same time (early 1st Dynasty) as the change in co-sign from ‘elephant’ to ‘felid’.103 The continuation of similarly formed superstructures with a skeleton of wooden posts from the Naqada IC at least to the Naqada III phase as well as the reuse of individual tomb complexes supports the idea of an intentional spatial and ideological con-

100 For T72 and T50, see X. Droux, Figuring Out Structure F, in: Nekhen News 28 (2016), 4f. and R. Friedman, Lure of the Leopard at HK6, in: Nekhen News 24 (2012), 4 respectively. T72 is situated north-west of the group of subsidiary burials T50–62 (fig. 2). 101 T30, which has tentatively been dated to the 2nd or 3rd Dynasty, is located directly west of Str. E8 and respects its enclosure: X. Droux, The Tale of Tomb 30, in: Nekhen News 21 (2009), 15. 102 These phenomena have already been described e. g. in R. Friedman, Early Kings, 1190 and R. Friedman, Cemetery at Hierakonpolis 2009–2010, 159 and interpreted by Hendrickx as an act of reverence to the deceased individuals of the original tomb complexes rather than a case of usurpation: S. Hendrickx, Rough ware as an element of symbolism and craft specialisation at Hierakonpolis’ elite cemetery HK6, in: R. Friedman / Y. Tristant (eds.), Egypt at its Origins 2. Proceedings of the International Conference “Origin of the State, Predynastic and Early Dynastic Egypt”. Toulouse 5th–8th September 2005, OLA 172, Leuven / Paris / Walpole (MA) 2008, 75. 103 X. Droux, A Tomb Fit for a King? The Discovery of Tomb 72 at HK6, in: Nekhen News 26 (2014), 4.

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nection to a local tradition of mortuary practices for individuals with higher social status and a corresponding local building tradition.104 As stated above, it should be emphasized at this point that the post-superstructures in HK6 are, in terms of their design, number and monumentality, unique in a funerary context. Taking various problems of the archaeological record into account, it can be stated on the basis of the current state of research that no other necropolis of the Naqada I–III phases or earlier periods have yielded comparative features.105 Consequently, and in connection with necropoleis, the presence of rectangular superstructures with a post skeleton and nearby enclosure fence can be defined as a form of construction that is specific to Hierakonpolis. Furthermore, a comparison with contemporary necropoleis at Hierakonpolis shows that this way of constructing mortuary superstructures is also specific to HK6 and to the burials of individuals of higher social status.106 However, in the overall context of Hierakonpolis, this type of construction is not necessarily limited to funerary/mortuary structures. In addition to HK29A (see section 5.2), two other localities at Hierakonpolis exhibit large-scale structures with substantial post features: HK29B, a c. 50 m-long palisade situated approximately 80 m to the south of HK29A107 and particularly a min. 20 x 8 m-large structure with five rows of ten large post-holes discovered at HK25108. Although the function as well as the date of the latter structure is unclear,109 the fact that it shares the same alignment as HK29A and HK29B could indicate that these structures are all part of an interconnected complex. As stated above, HK29A has been functionally classified as a site of ceremonial import. However, due to various analogies with HK6, a clear distinction of HK29A and interrelated structures from the mortuary sphere cannot be made. By extension, the functional interpretation of the sign ‘zoomorphic structure’ as a complex related to the mortuary sphere can neither be confirmed nor refuted on the basis of the superstructures made of light materials documented at Hierakonpolis. The case of the Naqada II and III post-structures at Hierakonpolis highlights the possibility of a wide functional spectrum of such buildings as well as their potential multifunctionality, and once again brings the distinct functional categorization of Naqada III structures as outlined in section 3.2 into question. Due to the uniqueness of the archaeologi104 With particular reference to T30, see X. Droux, in: Nekhen News 21 (2009), 15 and R. Friedman, Royal Cemetery, 74. 105 Evidence for superstructures in the form of (substantial) post-structures are absent throughout necropoleis of the Naqada I–III phases as well as cemeteries of the Maadi-Buto and Badari cultures. This statement is particularly relevant when compared with the case of the Naqada III cemetery at the nearby site of Elkab: This necropolis was excavated according to modern excavation methods which would have revealed the post-holes of superstructures in association with individual burials: S. Hendrickx, Elkab V. The Naqada III Cemetery, Brussels 1994, esp. 150. 106 The burials of lower-status individuals at HK43 (Naqada IC–IIB) do not exhibit any architectural features and were presumably marked on the surface with a mound of sand or stones: R. Friedman, in: AN 18 (2008), 20. 107 For information on HK29B, see esp. T. Hikade, Origins of Monumental Architecture: Recent Excavations at Hierakonpolis HK29B and HK25, in: R. Friedman / P. Fiske (eds.), Egypt at its Origins 3. Proceedings of the Third International Conference “Origin of the State. Predynastic and Early Dynastic Egypt”, London, 27th July–1st August 2008, OLA 205, Leuven / Paris / Walpole (MA) 2011, 84–93. 108 T. Hikade, Origins of Monumental Architecture, 93ff. 109 T. Hikade / G. Pyke / D. O’Neill, in: MDAIK 64 (2008), 177, 188: The structure is tentatively dated to the Naqada IIB–C phase which would correspond to the Early Phase of HK29A.

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cal features recorded at Hierakonpolis as well as the intentional continuation of a local tradition of constructing mortuary superstructures during the Naqada III phase at a time when other necropoleis are characterized by large-scale mud-brick mastabas (Saqqara) or no architectural features at all (Elkab), it is very possible that the monumental poststructures of the site were perceived, both by local inhabitants (knife handle found at Hierakonpolis) as well as by non-local populations (U-j labels) as one of the characteristic features of the site as a whole. The scarcity and consequently the exotic status of elephants as well as the extremely high effort made in their capture, probable importation, provision and burial, highlight a second distinctive feature of Hierakonpolis.110 As has been suggested by Theis, the sign combination ‘zoomorphic structure’ + ‘elephant’ could have therefore been used as a toponymic reference to Hierakonpolis in general.111 If this interpretation is correct and the two signs express idiosyncrasies specific to Hierakonpolis, the functional specification of ‘zoomorphic structure’ would, in fact, be irrelevant.112 The change in co-sign to Kahl/Regulski sign e4–e4** could be explained as a reduction of ‘zoomorphic structure’ + ‘elephant’ whereby the former sign sufficed as a reference to Hierakonpolis, and ‘elephant’ and ‘felid’ are not analogous in terms of their significance. However, the relationship between the site of Hierakonpolis and the objects bearing ‘zoomorphic structure’ is not immediately apparent and would subsequently require an explanation, e. g. a site-specific industry. But all lines of thought on this matter only provide an indirect contribution to the discussion on the functional interpretation of ‘zoomorphic structure’ and will, therefore, not be expounded in this paper. 6 Conclusion A wide range of theories for the functional interpretation of the sign ‘zoomorphic structure’ can be found in Egyptological literature that can be subsumed under the categories residence of a ruler, the place of worship of a divine entity and a mortuary complex (section 3.2). In this paper, an attempt was made to critically analyze these theories by considering the characteristic iconographic features of ‘zoomorphic structure’ in relation to archaeologically attested, above-ground architectural features of the Naqada III period. The chronological time frame of the 112 sign-bearing objects in relation to the stratigraphy of the discussed spatial units/structures also played a key role. Following a study of the archaeological evidence together with an additional discussion of Naqada II-phase mortuary features discovered at Hierakonpolis, a range of statements can be made about the overall architectural tendencies of these categories as well as about a potential correlation with ‘zoomorphic structure’. Complexes dating to the Naqada III period that can be viewed as the residences of a ruler were defined as multi-phase, extensive mud-brick structures with complex ground plans that integrate a range of interconnected, functionally specific spatial units, corridors/pathways and open spaces. These architectural features are not conveyed to any extent by ‘zoomorphic structure’ which can be described as a distinct, self-contained 110 See e. g. R. Friedman, Elephants, esp. 157f. 111 C. Theis, in: GM 240 (2014), 63–67. 112 As an extension of this statement, Bussmann has made the interesting suggestion that the expression of the social status of ‘zoomorphic structure’ and its contextualization within elite iconography is more pertinent than its functional interpretation (R. Bussmann, personal communication).

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and single-phase structure. Identification of the sign as the residence of a ruler would require the concept of a pars pro toto or, in view of the depicted construction material, could refer to a pre-Naqada III building. However, the available archaeological data on the residences of ruling individuals as well as domestic structures in general for the Naqada I–III phases does not suffice to make corresponding statements. On the basis of the limited archaeological record, there are no valid arguments to functionally interpret ‘zoomorphic structure’ as the living space of a ruler regardless of whether this should be located in Upper or Lower Egypt: A standardized palace design is not attested during the pre- and early dynastic period for the two main regions in Egypt. In the case of archaeological features which can be defined as places for the worship of a divine entity, the recorded architectural variety, the spatial isolation and independency of buildings of this category as well as the existence of a proximate enclosure wall conform to the iconographic features of ‘zoomorphic structure’ to a greater extent than the ‘palace complexes’. This is particularly the case with the sacred structures at Tell Ibrahim Awad, which display four architectural features that correspond to the sign’s iconography. In general terms, if ‘zoomorphic structure’ were to be functionally interpreted as a non-funerary sacred structure, the wide architectural variety attested in the archaeological record could be used as a basis to argue for a site-specific structure. HK29A in particular shows the longest use of organic construction materials as architectural features which are possibly linked with ceremonies surrounding the veneration of an individual or a deity. The examples of sacred structures documented thus far also demonstrate a clear absence of a standardized design specific to Upper and Lower Egypt, and also of intentional references to older poststructures at the individual sites. In addition to these observations, it can also be stated that a functional interpretation of ‘zoomorphic structure’ as a sacred space specific to a certain deity is not supported by the archaeological record due to an absence of architectural elements or finds that justify such a corresponding differentiation. Indeed, confirmation or rejection of the suggestions provided in section 3.2 is only probable on chronological grounds in the specific case of an unsubstantial identification of the sign as a shrine located on Elephantine. Compared with the first two building categories, the mortuary superstructures at Saqqara exhibit the most parallels with ‘zoomorphic structure’ with at least five architectural features that approximately correspond to the sign’s iconographic features. However, the main objection to a functional interpretation of the sign as a mortuary complex is the inaccessibility of the core structure in the case of the mud-brick mastabas and the unclear situation of the HK6 post-structures. Even though the archaeological features of the Naqada III phase at HK6 only display limited similarities with the iconographic features of ‘zoomorphic structure’, the use of organic materials for mortuary superstructures is attested here for a longer period than at any other site throughout Egypt and, in light of the architecture of Tomb 1, indicates an intentional continuation of a building custom restricted to the local elite. This is particularly evident when considering the burials and associated superstructures of the preceding Naqada II phase at HK6 which are, to date, unique in the archaeological record. In view of the co-signs of ‘zoomorphic structure’, the presence of elephant burials underlines the exceptionality of the site. However, various objections can be raised against the initially appealing identification of the sign as a reference to a specific burial of HK6, particularly the considerable chronological gap between the burials (esp. T23,

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Naqada IIB, c. 3600 BC) and the attested objects bearing ‘zoomorphic structure’ (Naqada IIIA1, c. 3350 BC). Although the exclusively above-ground post-structures at HK6 exhibit a range of features that could be correlated to ‘zoomorphic structure’, the existence of comparable structures at Hierakonpolis (HK29A, HK29B and HK25) which presumably had differing functions, indicates that this type of architecture was not limited to the mortuary sphere. On the basis of an analysis of archaeological features that constitute the remains of Naqada III structures of varying function, the question of whether ‘zoomorphic structure’ can be functionally interpreted as the living space of a ruler, the place of worship of a divine entity or a mortuary complex cannot be answered in absolute terms. The only interpretation in subject-specific literature, which can be ruled out as a result of this analysis, is the identification of ‘zoomorphic structure’ as a shrine on Elephantine. The remaining functional interpretations constitute unprovable speculations for which it is difficult to provide a sound argumentation for and/or against. What remains for us perhaps is to set aside the compelling need to categorically interpret every sign and to accept the fact that we cannot attain an unequivocal explanation on the basis of the source material available at the present time. A result can only be attained by means of a hermeneutical and discursive process, with which the complex relationships condensed in these signs gradually become more transparent. Illustration credits Fig. 2: J. Paulson, Mapping in the Fourth Dimension, in: M. D. Adams (ed.), Egypt at its Origins 4. Proceedings of the Fourth International Conference “Origin of the State. Predynastic and Early Dynastic Egypt”, New York, 26th–30th July 2011, OLA 252, Leuven / Paris / Bristol (CT) 2016, fig. 10.

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Tomb, temple or residence?

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2

1

1

Cylinder seals

Rock carvings

Knife handles

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Sealings

Labels

No.

Object category

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Naqada III Hierakonpolis, ‫ދ‬Main Deposit‫ތ‬ Ashmolean Museum, Oxford E 4975

tpq. Naqada IIIC1, tpq. 1. Dyn., tpq. Djer Elkab, Wadi Hilâl, ‫ދ‬Vulture‫ތ‬s Rock‫ތ‬ On site

Naqada IIIC1, 1. Dyn., Djer Abydos, Schunet es-Zebib, Tomb 772 Ashmolean Museum, Oxford 1922.14

Naqada IIIA1, ‫ދ‬0. Dyn.‫ތ‬, buried individual in tomb U-j Abydos, UeQ, U-j, Chamber 11 Magazine, Abydos Ab K 640

Naqada IIIC1, 1. Dyn., Djer Abydos, UeQ, Cemetery B Magazine, Abydos

Source data

H. Whitehouse, A Decorated Knife Handle from the ‘Main Deposit‫ ތ‬at Hierakonpolis, in: MDAIK 58, 2002, pl. 46a and fig. 1.

Photo courtesy of Margaret Beer, Institute for Egyptology and Coptology of the LMU Munich.

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Literature

Tab. 1: Pre- and early dynastic objects bearing the sign ‫ދ‬zoomorphic structure‫ތ‬.

Examples of primary sources

96 Catherine Jones

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IIIB

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IIA

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-

Tab. 2: Chronological juxtaposition of sites with sacred structures in relation to the sign combination ‫ދ‬zoomorphic structure‫ ތ‬+ ‫ދ‬elephant/felid‫ތ‬.

-

-

-

-

HK29A Early Phase (Friedman)

IIB

-

-

IIC

Phases 1 & 2 (Ciaáowicz)

-

-

HK29A Second Phase (Friedman)

-

Level 4 of settlement (Kopp) deposition of vessels filled with objects in rock crevices

Levels 1 and 2 of settlement (Kopp) = Phases VIIIb–d of the temple (Dreyer)

Elephantine

?

- Kom el-Gemuwia artificial sand mound? - Room A5a in ‫ދ‬palace complex‫?ތ‬ - HK29A Third Phase (Friedman) individual finds only

Hierakonpolis

IID

Phases 7a/b (Eigner) mud-brick enclosure? wall with central entrance

Phase 6d (Eigner) mud-brick enclosure? wall with central entrance

Phases 5a–6b (Eigner) 6 x superimposed mud-brick structures

Tell Ibrahim Awad

-

Phase 3 (Ciaáowicz)

Phase 4 (Ciaáowicz)

Phase 5 (Ciaáowicz)

-

-

Tell el-Farkha

‫ދ‬zs‫ ތ‬+ ‫ދ‬elephant‫ތ‬ (U-j labels) Phases Ia–IIb = LE culture (v. d. Way) individual poststructures

Phases IIIa–f (v. d. Way)

Phases IVb–d (v. d. Way)

Phases IVd–f (v. d. Way)

Phase V (v. d. Way)

Tell el-Fara‫ދ‬in/ Buto

IIIA1

IIIA2

IIIC1

‫ދ‬zs‫ ތ‬+ ‫ދ‬felid‫ތ‬ (cylinder seals/ clay sealings)

Objects bearing ‫ދ‬zoomorphic structure‫ތ‬

IIIC2

IIID

Naqada phase

Tomb, temple or residence?

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Catherine Jones

60

54

50 40 30 20

9

10

0

0

5

9 2

1

12 5

1

0

1

0

Ruler

2.

3. Dyn.

Naq. IIID

Naq. IIIC1–2

1. Dyn. Naq. IIIA2 + B

Cultural Phase

‘0. Dyn.’

Naq. IIIA1

Dynasty

Fig. 1: Chronological distribution of pre- and early dynastic objects with ‘zoomorphic structure’.

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Fig. 2: Chronological development of mortuary features at HK6 after Joel Paulson.

Tomb, temple or residence?

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„Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ – Zur Multifunktionalität von Gefäßkeramik in der Nekropole von Helwan* Friederike Junge

The ceramic vessels discovered in a section of the (Helwan) cemetery site known as Operation 4 had a mutual relationship with the people who variously integrated them into specific courses of action at the graveside and charged them with meaning. The functionalities thus imbued in the vessels and depositional contexts therefore retrospectively point towards the social identities and religious concepts of their users, i.e. the population of Memphis and surrounding area 5000 years ago. 1 Gefäßkeramik – Vom Zeitmarker zum kulturellen Bedeutungsträger Keramik stellt aufgrund ihrer weiten räumlichen und quantitativ hohen Verteilung seit jeher eine der zentralen Objektgattungen in den archäologischen Disziplinen dar. Die ganzheitliche Betrachtung dieser Fundgattung vom Zeitpunkt der Herstellung bis hin zur Deponierung und die damit verbundene Ausschöpfung des immensen inhärenten Informationspotentials kennzeichnet allerdings eine relativ neue Entwicklung. Im deutschsprachigen Raum standen bis in die 1990er Jahre zumeist typologische, chronologische und ökonomische Fragestellungen im Fokus, während funktionale Bezüge höchstens am Rande Beachtung fanden.1 Mit dem Übergang ins 21. Jhd. wurden jedoch vermehrt neue Interpretationsebenen erschlossen2 und dem Objektkorpus auch in der ägyptologischen Forschung verstärkt kulturhistorische Aussagekraft zugebilligt3. Für frühzeitliche Nekropolen stehen entsprechende Untersuchungen bislang allerdings noch aus. * Der vorliegende Artikel thematisiert Aspekte meiner in der Entstehung befindlichen Dissertation am Institut für Ägyptologie der Universität Wien. Mein Dank gebührt den Förderern und Mitarbeitern des Helwan-Projektes: der Macquarie Universität, der Universität Wien und dem Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF, dem gesamten Helwan-Team und im Besonderen E. Christiana Köhler für ihre fortwährende Unterstützung und Beratung. 1 H. Riemer, Form und Funktion. Zur systematischen Aufnahme und vergleichenden Analyse prähistorischer Gefäßkeramik, in: AInf. 20/1 (1997), 117. Für einen allgemeinen Überblick s. K. P. Hofmann, Gräber und Totenrituale: Zu aktuellen Theorien und Forschungsansätzen, in: M. K. H. Eggert (Hg.), Theorie in der Archäologie: Zur jüngeren Diskussion in Deutschland, Münster / New York / München / Berlin 2013, 269–298. 2 P. Stockhammer, Einführung, in: P. Stockhammer (Hg.), Keramik jenseits von Chronologie. Beiträge der Arbeitsgemeinschaft „Theorie in der Archäologie“ bei der Tagung des West- und Süddeutschen Verbandes für Altertumsforschung e. V. in Xanten, 7.–8. Juni 2006, Rahden 2009, VII–XIII; J. M. Skibo, Understanding Pottery Function, New York 2013. 3 So untersuchte bspw. Anne Seiler die wechselseitigen Beziehungen von Menschen und Keramikobjekten in der Nekropole von Dra‘Abu el-Naga; Teodozja Rzeuska diskutierte verschiedene Gefäßfunktionen in ihrer Abhandlung über die Gräber des Alten Reichs in Saqqara West. A. Seiler, Tradition & Wandel. Die Keramik als Spiegel der Kulturentwicklung Thebens in der Zweiten Zwischenzeit, SDAIK

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Friederike Junge

2 Die Nekropole bei Helwan und Operation 4 Die Nekropole von Helwan bezeichnet ein ursprünglich etwa 100 ha großes Areal rund 20 km südlich des modernen Kairo und wurde wahrscheinlich von den Bewohnern der nahe gelegenen antiken Stadt Memphis frequentiert. Architektur und Ausstattung der Gräber weisen darauf hin, dass im Gegensatz zu den Elitenekropolen Saqqara und Gizeh am Westufer des Nils in Helwan eher mittlere und niedere soziale Schichten bestattet wurden.4 Sie geben demnach Hinweise auf quantitativ starke, nicht-elitäre Bevölkerungsgruppen, die in der ägyptologischen Forschung immer noch unterrepräsentiert sind. Die Nekropole von Helwan wurde bereits in den 1940er und 50er Jahren großflächig von Zaki Y. Saad erforscht. Er legte über 10.000 Gräber frei, publizierte jedoch nur einen Bruchteil seiner Entdeckungen.5 1997 wurden daher die Arbeiten von einem Team der Macquarie Universität unter der Leitung von E. Christiana Köhler wieder aufgenommen. Dabei ließ sich ein von Saad unberührtes Areal ausmachen, welches die Bezeichnung Operation 4 erhielt. Dieser Nekropolenbereich wurde 1998 bis 2012 nach modernsten Standards und unter Berücksichtigung architektonischer, anthropologischer, archäobotanischer und archäozoologischer Gesichtspunkte ausgegraben. Dabei wurden auf einer Fläche von 100 x 150 m insgesamt 218 Gräber aus der späten 1. bis 4. Dynastie freigelegt; das Gros datiert jedoch in die 2. Dynastie respektive die letzte Phase der Stufe Negade III.6 Im Gegensatz zu anderen frühzeitlichen Bestattungsplätzen wurden in Operation 4 nicht nur Befunde und Funde aus dem unterirdischen Bereich von Grab- und Nebenkammern dokumentiert, sondern auch Verfüllungen und oberflächennahe bzw. oberirdische Strukturen aufgenommen. Damit wurde die Grundvoraussetzung für eine ganzheitliche Analyse von Handlungsabläufen im Bestattungskontext und den darin eingebundenen Objekten geschaffen. 3 Dinge als Manifestationen sozialer Praktiken Eine Bestattung stellt i. d. R. einen durchdachten und geplanten Prozess dar, der sowohl Funktionen für den Verstorbenen als auch für die Hinterbliebenen übernimmt. Mittels diverser präfuneraler, funeraler und postfuneraler Handlungen wird zum einen der Verstorbene aus der Welt der Lebenden separiert und dem jenseitigen Bereich angegliedert, zum anderen erhält die Gemeinschaft der Lebenden ein Medium der sozialen und religiösen (Neu-)Strukturierung.7 Die tatsächliche Ausgestaltung der Grablegung unterliegt dabei verschiedensten selektiven individuellen oder gruppenspezifischen Motiven, die wiederum

4 5 6

7

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„Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“

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vom Habitus der sozialen Akteure abhängig sind. Aus der Gesamtheit ihrer individuellen Wahrnehmungen, Bedeutungszuschreibungen und Nutzungspraktiken ergibt sich ein kollektives verinnerlichtes Wissen, Können und Verstehen, das sich in Form und Vollzug gruppen- und gesellschaftsspezifischer Praktiken niederschlägt.8 In dieser Interaktion von Menschen und Dingen werden Handlungen und Vorstellungen in Objekten manifestiert und Dinge mit sozialer und kultureller Bedeutung aufgeladen. Sie fungieren u. a. als nonverbale Kommunikationsmittel, um verschiedene Identitäten und gesellschaftliche Positionen zu bekunden. Die Funktionsanalyse von Dingen erlaubt demnach Rückschlüsse auf soziale Identitäten und die Denkweisen der mit ihnen in wechselseitiger Beziehung stehenden Personen.9 Allerdings sind Ding-Bedeutungen nicht konstant, sondern kontextabhängig und wandelbar. Zum einen sind die Objekte je nach Rezipient und Anwender gleichzeitig in verschiedene Handlungs- und Wahrnehmungsprozesse eingebunden. Zum anderen können sie von der Idee der Herstellung bis hin zur endgültigen Entsorgung bzw. Deponierung verschiedene Funktionen übernehmen, werden umgenutzt oder recycelt.10 In ihrer Anwendung sind Dinge also multifunktional, variabel, dynamisch und polysemisch, wenn auch abhängig von objektimmanenten Parametern, die gebrauchsermöglichend oder gebrauchseinschränkend wirken.11 Die Objektfunktionalität bedarf daher einer vielschichtigen und kritischen Analyse. 4 Objektfunktionalität Im Rahmen der funktionalen Objektanalyse wird häufig zwischen praktischer und symbolischer Bedeutung unterschieden. Dabei sollte jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass verschiedene Bedeutungsebenen Bezug aufeinander nehmen, miteinander verschränkt sein und sich ergänzen können.12 Die praktische Funktionalität bezeichnet den alltäglichen Gebrauch eines Objektes und lässt sich potentiell aus archäologischen Parametern erschließen. Symbolische Funktionalität spielt auf die bereits erwähnte soziale Bedeutung von Dingen im Rahmen kollektiver Handlungen an und erkennt den Dingen einen Zeichencharakter zu. Über die Adressaten sowie deren Lesung und Verständnis der Zeichen herrscht naturgemäß Uneinigkeit. Aufgrund der Mehrdeutigkeit von Dingen und des restriktiven Charakters archäologischer Befunde lässt sich in vielen Fällen nur ein Bruchteil der ursprünglichen Bedeutungsvielfalt erschließen.13 In keinem Fall sollte ein Anspruch auf Vollständigkeit oder Allgemeingültig8 P. Bourdieu, Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft, Frankfurt a. M. 1987, 101. 9 T. R. Schatzki, The Site of the Social: A Philosophical Account of the Constitution of Social Life and Change, Pennsylvania 2002, 11–12; A. Reckwitz. Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken. Eine sozialtheoretische Perspektive, in: Zeitschrift für Soziologie 32/4 (2003), 288. 10 I. Hodder, Reading the Past. Current Approaches to Interpretation in Archaeology, Cambridge 1986, 43; H. P. Hahn, Materielle Kultur. Eine Einführung, Berlin 2005, 42–43. 11 S. Schreiber, Archäologie der Aneignung. Zum Umgang mit Dingen aus kulturfremden Kontexten, in: Forum Kritische Archäologie 2 (2013), 65ff. 12 P. Stockhammer, Einführung, VIII–X. 13 K. P. Hofmann, Dinge als historische Quellen in Revision. Materialität, Spuren und Geschichten, in: K. P. Hofmann / T. Meier / D. Mölders / S. Schreiber (Hgg.), Massendinghaltung in der Archäologie. Der material turn und die Ur- und Frühgeschichte, Leiden 2016, 290.

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keit erhoben werden, da damals wie heute unterschiedliche Wahrnehmungen nebeneinander bestehen und verschiedene Deutungen hervorbringen können.14 Die Untersuchung von Objektfunktionalität setzt sich in der Regel aus mehreren Einzelanalysen zusammen. Objektimmanente Aspekte wie Material, Herstellungstechnik, Form und Stil und die daraus resultierenden physischen und morphologischen Eigenschaften geben Auskunft über die intendierte Funktion eines Gefäßes und legen den Gebrauchsrahmen fest. Formale Kriterien wie die Zugänglichkeit eines Gefäßes aufgrund seines Öffnungsdurchmessers, die Gefäßproportionen, die absolute Gefäßgröße, Formattribute sowie die Kombination verschiedener Merkmale wirken sich auf das Funktionsspektrum, die thermische und mechanische Belastbarkeit sowie die Porosität der Gefäßkeramik aus.15 Wie schnell und wie hoch lässt sich ein Gefäß erhitzen, bevor es zerbricht und Teile absplittern und wie reagiert das Material auf Temperaturwechsel? Eignet es sich eher zum langfristigen oder kurzfristigen Erhitzen fester oder flüssiger Stoffe? Wie resistent ist das Gefäß gegenüber plötzlicher Krafteinwirkung oder kontinuierlichem Abrieb? Wie schnell und intensiv diffundieren Stoffe durch die Gefäßwand? Ist das Gefäß zum Transport oder zur Lagerung von Flüssigkeiten geeignet? Gebrauchsspuren und abgelagerte Inhalte künden von einer tatsächlichen Anwendung, die entweder direkt vor der Ablage stattfand oder besonders markante Spuren hinterließ. Intensives oder langwieriges Kratzen, Schneiden, Rühren, Mahlen und Reiben können das Material beschädigen. Durch Erhitzen entstehen unter Umständen Rußspuren, veränderte Farbbereiche, feine Risse und Brüche. Inhaltsreste können sich an den Gefäßwänden ablagern oder regelrecht von der Keramik aufgesogen werden.16 Des Weiteren spielen die Befundsituation und die kontextuelle Vergesellschaftung eine Rolle. Anzahl und Art der Objekte müssen in die räumliche Dimension überführt werden, sodass die Zusammenstellung und Bezugnahme der Dinge untereinander deutlich wird. Wo möglich sollten zudem Bild- und Schriftquellen sowie intra- und interregionale, synchrone und diachrone Analogien herangezogen werden.17 Für die funktionale Untersuchung der Gefäßkeramik gilt also der Anspruch, sich „als Konglomerat statistischer, ethnoarchäologischer, kognitiver, kommunikationstheoretischer und hermeneutischer Ansätze“18 zu präsentieren.

14 Nicht nur einstige Bedeutungen, sondern auch die Relevanz für die Gegenwart, spezielle Fragestellungen und antizipierte zukünftige Bedeutungszuschreibungen rezenter Rezipienten fließen in die Untersuchung von Objektfunktionalitäten ein und bergen die latente Gefahr subjektiver Kategorisierungen und Wertzuschreibungen. 15 C. Orton / P. Tyers / A. Vince, Pottery in Archaeology, Cambridge 1993, 220f.; H. Riemer, in: AInf. 20/1 (1997), 121ff.; B. Horejs, Possibilities and Limitations in Analysing Ceramic Wares, in: B. Horejs / R. Jung / P. Pavuk (Hgg.), Analysing Pottery. Processing – Classification – Publication, Studia Archaeologica et Mediaevalia 10, Bratislava 2010, 21f. 16 C. Orton / P. Tyers / A. Vince, Pottery, 222ff.; B. Bader, Introduction, in: B. Bader / M. F. Ownby (Hgg.), Functional Aspects of Egyptian Ceramics in their Archaeological Context. Proceedings of a Conference Held at the McDonald Institute for Archaeological Research, Cambridge, July 24th–July 25th, 2009, OLA 217, Leuven / Paris / Walpole 2013, 8ff. 17 B. Bader, Introduction, 13–21; K. P. Hofmann, Gräber und Totenrituale, 282. 18 P. Stockhammer, Einführung, XI.

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5 Gefäßkeramik in Operation 4 Gefäßkeramik stellt das größte und besterhaltene Objekt-Korpus in Operation 4 dar. Die Gefäße wurden in großer Zahl beigegeben und sind aufgrund ihrer relativ hohen materiellen Stabilität gut überliefert. Zudem wurden sie selten gezielt von Grabräubern entwendet, sondern lediglich innerhalb der Grabstruktur umgelagert, sodass sich in vielen Fällen trotz Störung Assemblagen in ihrem originalen Fundzusammenhang rekonstruieren ließen.19 Unter Berücksichtigung ihrer morphologischen und physikalischen Eigenschaften lässt sich ein Großteil der Gefäßkeramik aus Operation 4 den drei praktischen Funktionsgruppen der Lebensmittelversorgung zuordnen: 1. Langzeit-Lagerung und Transport, 2. Zubereitung und 3. Darreichung. Die übrigen keramischen Funde werden unter der geläufigen Bezeichnung „Sonderformen“ zusammengefasst.20 Die Ermittlung einer konkreten Funktion bedarf jedoch in jedem Fall individueller kontextbezogener Betrachtungen. Im Folgenden werden daher einige ausgewählte Gruppen- und Einzelphänomene näher beleuchtet. 6 1000 mal Brot und Bier Schriftliche, bildliche und archäologische Quellen belegen, dass Getreide und die daraus gewonnenen Lebensmittel Brot und Bier sowohl im diesseitigen als auch im jenseitigen Leben der Ägypter von jeher eine wichtige Rolle spielten. Bereits die frühen Formen der Opfertischszene auf den frühzeitlichen Reliefplatten aus Helwan bilden als Grundlage für die Versorgung des Verstorbenen Brotlaibe und Gefäße ab, die formal mit den Darstellungen von Bierkrügen aus der Frühzeit und dem Alten Reich korrespondieren.21 Der archäologische Befund bestätigt die Relevanz dieser Lebensmittel, denn annähernd jedes Grab in Operation 4 enthielt Brotbackformen und Bierkrüge. Die beigegebenen Lebensmittelbehälter stehen aber nicht nur im Zusammenhang mit der Versorgung des Toten. Vor allem Funde aus oberflächennahen Schichten könnten auch von einer festlichen Speisung der Lebenden im Verlauf der Bestattung herrühren. Des Weiteren weist die räumliche Verteilung der Behälter in einigen Verfüllungen auf eine systematische Ablage verschiedener Gefäßtypen hin. So nahm die Anzahl der Brotbackformen in der Verfüllung des intakten Schachtgrabes Op4/191 von oben nach unten hin merklich ab; mit den Bierkrügen verhielt es sich umgekehrt. Eine ähnliche Abfolge bezeugt der Treppenaufgang des mittelgroßen unterirdischen Kammergrabes Op4/193. Auch hier verringerte sich die Menge der Brotbackformen von oben nach unten deutlich, während die der Bierkrüge stark anstieg.22 Ob es sich dabei um ein intendiertes, wiederkehrendes Muster im frühzeitlichen Bestattungskontext handelt oder das Phänomen taphonomischen Prozessen geschuldet ist, bedarf jedoch noch weiterer Analysen und kann zu diesem Zeitpunkt nicht entschieden werden. Ein weiteres Phänomen der räumlichen Verteilung stellen jene seltenen Fälle dar, in denen der Verstorbene ein Randfragment einer Brotbackform in der Hand hielt und dieses 19 E. C. Köhler, Helwan III, 9. 20 C. Orton / P. Tyers / A. Vince, Pottery, 217–228; H. Riemer, in: AInf. 20/1 (1997), 123; P. M. Rice, Pottery Analysis. A Sourcebook, Chicago 2015, 208–211. 21 E. C. Köhler / J. Jones, Helwan II. The Early Dynastic and Old Kingdom Funerary Relief Slabs, SAGA 25, Rahden 2009, 36ff. 22 Allerdings war dieses Grab teilweise durch Beraubung gestört. E. C. Köhler, Helwan VI. Excavations in Operation 4, Tombs 151–218, in Vorb.

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zum Mund führte. Die betreffenden Gräber waren kleine, flache Gruben mit wenigen oder keinen weiteren Beigaben, in denen zwei Männer im Alter von 20 bis 40 Jahren sowie ein Kind unbekannten Geschlechts bestattet worden waren.23 Grabarchitektur, Dimensionen und Ausstattung der Gräber weisen auf einen geringen ökonomischen Status und einen niedrigen sozialen Rang der Verstorbenen hin, sofern die Akkumulation von Sachgütern und Aufwand als deren Gradmesser anerkannt werden.24 Die Beigabe eines solch spezifischen Scherbens lässt sich jedoch nicht nur als Ausdruck relativer Armut deuten, sondern auch als ein ökonomischer und religiöser Clou, der mit wenig Mitteln eine größtmögliche Wirkung erzielen sollte. Aufgrund ihrer geringen Größe konnten die Fragmente in unmittelbarer Nähe des Leichnams, d. h. in der Hand der Verstorbenen vor dem Mund, platziert werden. Selbiges wäre mit einem kompletten Gefäß, das einen Randdurchmesser von bis zu 40 cm erreichen kann, unmöglich gewesen. Zu diesem Zweck wurde in jedem Fall ein Gefäß hinsichtlich seiner intendierten praktischen Funktion, dem Backen von Brot, absichtlich oder unabsichtlich unbrauchbar gemacht und als Beigabe mit symbolischer Funktionalität umgenutzt. Das Fragment erscheint nun als pars pro toto für die vollständige Brotbackform und als Mediator für das Brot, welches darin gebacken und aufbewahrt wurde. Demnach ist der Verstorbene in der Vorstellung der religiösen Gemeinschaft nicht nur mit einem einzigen vergänglichen Brot ausgestattet, sondern mit der technischen Möglichkeit, kontinuierlich Brot herzustellen. Seine Versorgung mit Speisen ist damit auf ewig gewährleistet und unabhängig von der Welt der Lebenden. Diese Vorstellung von fortdauernder Nahrungsverfügbarkeit wird durch die Anordnung der Brotbackform direkt vor dem Mund des Verstorbenen – was zumindest nach heutigen Maßstäben eine Geste des Essens darstellt – noch verstärkt. Ähnliche Platzierungen der Hand vor dem Mund fanden sich des Weiteren in den Gräbern Op4/34 und Op4/43.25 In letzterem Fall umschloss die Hand des Verstorbenen zudem einen Stofffetzen, auf dem eine kugelförmige dunkelbraune organische Substanz arrangiert war, die wahrscheinlich eine Speisebeigabe darstellte. Die verschiedenen materiellen Spuren könnten demnach als geringfügig abgewandelte Bestandteile eines gemeinsamen, sinn-geladenen Bildes gedeutet werden.26 7 Funktionalität abseits von Lebensmitteln Verschiedene Arten von Nutzungsspuren weisen darauf hin, dass einige der Keramikgefäße in Operation 4 zu einem unbekannten Zeitpunkt vor ihrer Ablage im Bestattungskontext tatsächlich in Gebrauch waren. Darunter befindet sich eine kleine Anzahl von Objekten, 23 E. C. Köhler, Helwan. Einblicke in eine Nekropole der Stadt Memphis, in: Antike Welt 1 (2016), Abb. 4. Für mehr Details vgl. F. Junge, On the Significance of Pottery Vessels in Private Burial Contexts of Early Dynastic Egypt. Selected Case Studies from the Necropolis Area Operation 4, Helwan, in: Proceedings of the International Conference “Sources to Study Antiquity: Between Texts and Material Culture” Held at Faculdade de Ciências Sociais e Humanas, Universidade Nova de Lisboa, between 9th and 11th May 2016, in Vorb. 24 K. P. Hofmann, Gräber und Totenrituale, 273ff. 25 E. C. Köhler, Helwan III, 291, 337. 26 S. J. Seidlmayer, Die Ikonographie des Todes, in: H. Willems (Hg.), Social Aspects of Funerary Culture in the Egyptian Old and Middle Kingdoms: Proceedings of the International Symposium Held at Leiden University 6–7 June, 1996, OLA 103, Löwen / Paris / Sterling 2001, 245ff.

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deren Funktionalität zumindest temporär nicht mit der Lagerung, dem Verarbeiten oder dem Überreichen von Lebensmitteln in Verbindung stand. In einer Reihe von Gräbern fanden sich intakte Schalen und Fragmente mit deutlichen Schmauch- und Rußspuren im Randbereich und am inneren Gefäßboden. Solche Spuren weisen auf eine Wärmequelle im Gefäßinneren hin, wie sie bei Lampen oder Räuchergefäßen vorkommt. Allerdings ließen sich in keinem Fall Reste von Weihrauch nachweisen.27 Bei der Betrachtung der morphologischen und physischen Eigenschaften dieser Schalen (Tab. 1) lassen sich zudem deutliche Unterschiede ausmachen, die Fragen nach dem Zusammenhang zwischen intendierter und tatsächlicher Anwendung aufwerfen. Der Randdurchmesser der Lampen korrespondiert i. d. R. mit ihrem maximalen Durchmesser.28 Das Verhältnis von Randdurchmesser zu Höhe variiert jedoch deutlich, was sich in eher flachen und tiefen Erscheinungsformen bemerkbar macht. Zudem besitzen zwei der vollständigen flacheren Schalen zusätzlich eine Art Dochthalterung mittig am Gefäßboden (Abb. 1). Der Großteil der Schalen weist einen roten Überzug auf. Die Oberflächen der tieferen Gefäße wurden nass geglättet, die flacheren Exemplare sind hingegen gut geglättet oder poliert. Da sich mit steigender Verdichtung der Oberfläche die Porosität verringert und weniger Flüssigkeit durch die Gefäßwandung diffundiert, wären die flacheren Schalen folglich auch zur Nutzung flüssiger Brennstoffe geeignet gewesen. Bis auf ein Exemplar bestehen alle Schalen aus Nilton; die Analyse der Ton-Matrix zeigte keine Auffälligkeiten.29 Aus den erwähnten technischen und formalen Differenzen lassen sich verschiedene Szenarien ableiten: 1. Alle erwähnten Gefäße wurden in der Absicht hergestellt, sie als Lampen zu verwenden. Die unterschiedlichen Macharten sind bestimmten Präferenzen, Verfügbarkeiten und/oder dem Wissensstand der Töpfer geschuldet. 2. Die tiefen Schalen standen ursprünglich im Zusammenhang mit Lebensmitteln, während die flachen Exemplare bereits als Lampen intendiert waren. Die Schalen mit Dochthalterung könnten eine Weiterentwicklung dieser Lampenform darstellen. 3. Nur die flachen Schalen mit Dochtbehälter wurden mit der Idee hergestellt, sie zum Verbrennen von Stoffen zu nutzen. Sowohl die flachen Schalen ohne Halterung für einen Docht als auch die tiefen, nass geglätteten Schalen könnten ursprünglich zur Bearbeitung oder Darreichung von flüssigen und festen Lebensmitteln intendiert und verwendet worden sein. Sie wurden möglicherweise erst in einer späteren Phase ihres Gebrauchs als Lampen umgenutzt. Eine endgültige Entscheidung darüber lässt sich an dieser Stelle jedoch nicht treffen. Des Weiteren ungewiss bleibt, wann die Schalen als Lampe genutzt wurden. Möglich ist theoretisch jeder Zeitpunkt zwischen Herstellung und Deponierung, d. h. innerhalb der 27 Aus diesem Grund und zur besseren Überschaubarkeit werden die Schalen mit Schmauch- und Rußspuren im Folgenden vereinfacht als Lampen angesprochen. 28 Eine Ausnahme bildet das Exemplar aus Grab Op4/105. Diese Schale hat einen leicht nach innen einziehenden Rand. 29 Art und Anzahl von Magerungs-Bestandteilen können Funktionsbereiche abgrenzen. S. bspw. B. Höhn, Herstellungs- und Funktionsgruppen jungneolithischer Keramik, in: P. Ihm / J. Müller / A. Zimmermann (Hgg.), Archäologie und Korrespondenzanalyse: Beispiele, Fragen, Perspektiven, Leidorf 1997, 107; E. C. Köhler, Tell el-Fara‫ޏ‬în – Buto III. Die Keramik von der späten Naqada-Kultur bis zum frühen Alten Reich (Schichten III bis VI), AV 94, Mainz 1998, 41f.

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Siedlung im Haushaltskontext ebenso wie im Zusammenhang präfuneraler und funeraler Handlungen. Mit Gewissheit sagen lässt sich nur, dass die gebrauchten Gefäße schlussendlich im Grab abgelegt wurden und im Zuge dessen wahrscheinlich neue Bedeutungsebenen erhielten. Die Schalen fanden sich hauptsächlich am Boden und in der Verfüllung einfacher Grubengräber sowie in Vor- und Hauptkammern elaborierter unterirdischer Kammergräber aus der Stufe Negade IIID. Lediglich in Grab Op4/172 lag eine intakte Lampe im Bereich des Grabzugangs. Sie wurde entweder im Zusammenhang der Beraubung des Grabes aus der Kammer hierhin verschleppt oder von den Grabräubern mitgebracht und im Anschluss an die Plünderung zurückgelassen. In den Grubengräbern Op4/11 und Op4/105 (Abb. 2) befanden sich die Lampen in situ am Südende (Fußende) der Grabgrube in nächster Nähe der Bestattung. Die Lampe in dem unterirdischen Kammergrab Op4/94 war Teil eines Keramikdepots in der Vorkammer und jene in Op4/173 stand direkt vor dem verschlossenen Zugang zur Grabkammer. In diesen Fällen wurden die Lampen also nach dem Verschluss der Grabkammer, jedoch noch vor der Verfüllung des Grabes, abgelegt. Sie könnten zur Beleuchtung unterirdischer Grabbereiche oder nächtlicher Dunkelheit gedient haben. Vielleicht wurden in einigen Fällen aber auch vor dem endgültigen Verschließen des Grabes duftende Substanzen und Opfergaben verbrannt. Demnach könnten die Schalen – wie ähnliche Befunde aus dem Alten Reich – als materielle Spuren bestimmter Verschlussriten gedeutet werden.30 Grab

Datierung

Waren-

Form und Erhaltung

Maße

code 4/11

IIID3

21201

Form 405, intakt

H 6 cm, D 11,5 cm

4/174

Negade III*

21221

Form 405/406, Randfragment

H 3,9 cm, D 11 cm

4/172

IIID2

21221

Form 405, intakt

H 4,5 cm, D 10,2 cm

31

4/105

IIIC/D

21221

Form 320, intakt

H 6,6 cm, D 11,5 cm

4/68

IIID3

21301

Form 321/322, intakt

H 4 cm, D 16,8 cm

4/182

IIID2*

22421

Form 322, Randfragment

D 21 cm

4/96

IIID3

21421

Form 321/322, intakt

H 4,2 cm, D 16 cm

4/94

IIID3

21421

Form 403/322, intakt

H 4,8 cm, D 17,2 cm

4/173

IIID2

21221

Form 403, vollständig

H 4,9 cm, D 20,5 cm

4/158

IIID3*

212-321

Form 421, Randfragment

D 20 cm

Tab. 1: Schalen mit Rußspuren sortiert nach Warencode und Gefäßform32 *Die Feindatierung steht noch aus. 30 N. Alexanian, Ritualrelikte an Mastabagräbern des Alten Reiches, in: H. Guksch / D. Polz (Hgg.), Stationen. Beiträge zur Kulturgeschichte Ägyptens. Rainer Stadelmann gewidmet, Mainz 1998, 11ff. 31 Diese Lampe weist parallele kurze Ritzungen im Randbereich auf, die in ähnlicher Form auch bei einigen Bierkrügen beobachtet wurden. 32 Zum Warencode E. C. Köhler, Buto III, 3. Zum Formenkatalog E. C. Köhler, Helwan III, 32f.

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8 Umnutzung und Zerstörung Neben objektimmanenten Eigenschaften können auch die Art der Deponierung und die Verflechtung mit anderen Objekten Aufschluss über die Verwendung bestimmter Gefäße geben. In Operation 4 sind zahlreiche Fälle belegt, in denen Bruchstücke von Gefäßkeramik in Kombination mit Lehm zur Versiegelung von Wein- und Bierkrügen eingesetzt wurden. Die verwendeten Scherben stammten dabei von verschiedensten Gefäßtypen, bevorzugt Schalen und Bierkrügen, bisweilen aber auch Brotbackformen. In Grab Op4/136 ließen sich zwei Bruchstücke zum Verschließen zweier Bierkrüge derselben Schale zuordnen.33 Diese war zufällig oder willentlich gebrochen, wurde aber nicht entsorgt, sondern einer neuen praktischen Funktion zugeführt. Aus anderen frühzeitlichen Friedhöfen wie Turah und Minshat Abu Omar sind darüber hinaus komplette Schalen als Gefäßabdeckungen bekannt.34 Einen Sonderfall stellt das Grab 70 aus Minshat Abu Omar dar, in dem Gefäßteile ganz bewusst an verschiedenen Orten im Grab platziert worden waren. Hinter dem Kopf des Leichnams befand sich eine gebrochene, fast vollständig rekonstruierbare Schale (70/1) mit einem Randdurchmesser von 31,5 cm. Das fehlende Bruchstück kam schließlich in der Abdeckung eines Bierkruges am Fußende der Bestattung zum Vorschein.35 Fraglich bleibt, ob es sich dabei um eine ressourcenschonende und pragmatische sekundäre Nutzung von Bruchstücken oder eine gezielte Zerstörung von Keramikgefäßen und die damit verbundene willentliche Aufhebung praktischer Funktionalität durch destruktive Manipulation handelt. In den Gräbern Op4/156 und Op4/195 wurden Bierkrüge entdeckt, die bereits vor dem Brand durch ein Loch im Boden praktisch unbrauchbar gemacht worden waren. Weitere Bierkrüge aus den Gräbern Op4/104, Op4/132 und Op4/158 wurden nach dem Brand und vor der Deponierung im Bereich der Gefäßschulter oder des Gefäßkörpers durchbohrt.36 In allen Fällen wurde somit die seitens der objektimmanenten Eigenschaften zu erwartende Funktionalität der Lagerung und Darreichung von Flüssigkeiten aufgehoben. Demnach wäre die Bedeutung der Gefäße im Zusammenhang mit der Bestattung und im ersten Fall bereits im Herstellungskontext rein symbolischer Natur. Ein durchlochter Krug aus dem Grubengrab 435 in Minshat Abu Omar zeigt allerdings noch eine andere Möglichkeit auf. Hier war das Loch im Gefäßboden mit einem Tonstift in situ verschlossen, wodurch die praktische Funktionalität zumindest einer kurzzeitigen Aufbewahrung wiederhergestellt wurde.37 Eine eindeutig rein symbolische Funktionalität zum Zeitpunkt der Ablage zeigt sich in der gezielten Zweiteilung von Gefäßen. In der Füllung des Grubengrabes Op4/217a lagen die beiden gleich großen Hälften eines längs geteilten relativ kleinen, rot polierten Kruges nahe übereinander. Eine Schlagmarke am Gefäßboden sowie der Verlauf des Bruches ver33 Die Oberfläche der Schale zeigt Schmauchspuren und im Gefäßinneren fanden sich Kohlereste. Sie stand also vor der Ablage im Zusammenhang mit einer Wärmequelle und organischen Gefäßinhalten. E. C. Köhler, Helwan V. Excavations in Operation 4, Tombs 101–150, in Vorb. 34 Für Turah s. H. Junker, Bericht über die Grabungen der Kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien auf dem Friedhof in Turah. Winter 1909–10, Wien 1912, Taf. 6. Für Minshat Abu Omar s. K. Kroeper / D. Wildung, Minshat Abu Omar II. Ein vor- und frühgeschichtlicher Friedhof im Nildelta, Mainz 2000, 75f., 115, 119, 167. 35 K. Kroeper / D. Wildung, Minshat Abu Omar II, 100f. 36 E. C. Köhler, Helwan V; E. C. Köhler, Helwan VI. 37 K. Kroeper / D. Wildung, Minshat Abu Omar II, 168.

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weisen hier auf eine gezielte Zerstörung (Abb. 3). In Op4/190 wurde ein Weinkrug auf Höhe des unteren Drittels quer geteilt. Das kleinere Bodenstück wurde dann in verkehrter Ausrichtung etwas versetzt neben dem größeren Randfragment über dem Sarg platziert.38 In diesem Fall machen die relativ große Brennhärte und Wandungsstärke des Gefäßes sowie die Ebenmäßigkeit der Bruchkanten eine intendierte Destruktion wahrscheinlich.39 Eine weitere Variante der Umnutzung zeichnet sich in der Zusammensetzung einiger Gefäßinhalte ab. Für Operation 4 ist eine Reihe von unterirdischen und oberflächennahen Keramikdepots in primärer Fundlage mit teilweise noch original versiegelten Wein- und Bierkrügen dokumentiert. Diese Krüge enthielten ein Gemisch aus Erde, Lehm, Asche, Kohle, zum Teil verbrannte Pflanzen und/oder Knochen, gelegentlich aber auch verschieden stark fragmentierte, teilweise verbrannte Gefäßkeramik. Ähnliche Befunde sind u. a. aus dem Alten Reich bekannt und werden mit der Konsumation von Lebensmitteln in Verbindung gebracht.40 Demnach verzehrte die Trauergemeinde in einem festlichen Akt feste und flüssige Speisen und/oder verbrannte sie als Opfer, wobei auch einige Gefäße zu Bruch gingen oder willentlich zerstört wurden. Die Reste wurden anschließend zusammengefegt, in die verbleibenden intakten Krüge gefüllt und noch vor der endgültigen Fertigstellung des Grabes beigegeben. Die Annahme, dass solche Aktivitäten unmittelbar am Bestattungsplatz stattgefunden haben, wird durch einen Befund in Grab Op4/88 bestärkt. Am oberen Ende des Grabzugangs südlich des Oberbaus befanden sich mehrere mit der Grabanlage zeitgleiche Feuerstellen, die höchstwahrscheinlich mit einem Keramikdepot im oberirdischen Bereich über der Grabkammer in Zusammenhang standen.41 Die beschriebene Einfüllung der Scherben ändert nicht nur die Funktionalität der zerstörten Gefäße, sondern auch die der befüllten Exemplare. Die intakten Krüge dienen nicht der ursprünglich intendierten Lagerung von Wein und Bier, sondern bewahren nun ein Konglomerat nicht verzehrbarer Feststoffe auf. Die Fragmente hingegen werden zu symbolischen Substituten für jene Gefäßinhalte, die von den sozialen Akteuren erwartet werden, und evozieren möglicherweise die Vorstellung eines mit Wein oder Bier gefüllten Kruges. Wie die halbierten Gefäße verlieren sie im Bestattungskontext jegliche praktische Funktionalität. 9 Konklusion Die geschilderten Phänomene geben einen Einblick in die Komplexität und Variabilität von Objektbedeutungen und zeigen die Notwendigkeit kontextbezogener Analysen auf. Im Schwellenraum Bestattung erhalten Keramikgefäße neben ihren zahlreichen potentiellen praktischen Funktionalitäten zusätzlich spezifische, auf den funerären Bereich abgestimmte, symbolische Bedeutungen, in denen sich soziales Verhalten und religiöse Vorstellungen abzeichnen. Der Vollzug bestimmter Handlungen dokumentiert und legitimiert die Trennung der Lebenden von den Verstorbenen. Die eingebundenen Objekte machen 38 E. C. Köhler, in: Antike Welt 1 (2016), 30f., Abb. 5; E. C. Köhler, Helwan VI. 39 Auch die bewusste Zerstörung von Steingefäßen ist für Operation 4 belegt; s. N. Kuch, Dealing with Death: Destruktive Manipulation an Beigaben als Teil frühzeitlicher Bestattungssitten? Fallbeispiele aus der Nekropole von Helwan, Operation 4, im vorliegenden Band. Zu möglichen Deutungen für das Zerbrechen von Gefäßen vgl. A. Seiler, Tradition & Wandel, 178ff. 40 T. Rzeuska, Saqqara II, 469–480. 41 E. C. Köhler, Helwan IV. Excavations in Operation 4, Tombs 51–100, SAGA, Rahden 2017, 307.

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den Übergang optisch und haptisch erfahrbar. Im Diesseits entstandene Lücken im sozialen Gefüge können neu verhandelt und materiell kommuniziert werden. Trotz des Wunsches nach und der Notwendigkeit einer Abgrenzung bleibt die jenseitige Welt in der Vorstellung der religiösen Gemeinschaft doch in gewisser Weise an die Gesetzmäßigkeiten des Diesseits gebunden. Nur mit der richtigen Ausstattung sind der reibungslose Übergang und fortdauernde Verbleib in der Totenwelt gewährleistet. Zugleich wird mittels der Bestattung ein klar definierter Ort des Gedenkens und Opferns für die Hinterbliebenen geschaffen, der die langfristige Erinnerung an den Verstorbenen und die Wahrung seiner Identität garantiert. Dinge werden in diesem Zusammenhang zu mnemotechnischen Hilfsmitteln. Materielle Spuren im Bestattungskontext transportieren demnach keine starren sozialen, ökonomischen oder religiösen Bedeutungen, sondern sie evozieren, denotieren und konnotieren Bedeutungen für einen bestimmten Kreis an Rezipienten. Sie sind folglich nicht als Hinweise auf eine einzig wahre Realität, sondern viel mehr auf eine oder mehrere Facetten der Realität zu verstehen. Abbildungsnachweis Alle Abbildungen © Helwan Projekt.

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Abb. 1: Lampe mit Dochthalterung aus Op4/173.

Abb. 2: Lampe mit Rußspuren und Ritzmarken aus Op4/105.

Abb. 3: halbierter Krug aus Op4/217a.

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Gehaltvolle Bilder. Gedanken zum Begriff des horror vacui und der Problematik der sogenannten Mythologischen Papyri Agnes Klische

The terms horror vacui and mythological papyri are often found in connection with coffins and papyri that date to the Third Intermediate Period. In the following article, an attempt will be made to explain why both terms do not fully express the endeavours of this period to maintain the relevant funerary decoration despite the (increasing) changes in funerary practices. „Eine komplexe, vielschichtige Wirklichkeit kann in einem einzigen Bild eingefangen sein, während ihre Beschreibung in natürlicher Sprache einen ganzen Band füllen würde.“1 In seinem Zitat bezieht sich Erik Hornung zwar auf das Amduat, doch trifft es in gleichem Maße auf die funeräre Dekoration der 21. und 22. Dynastie (1080–880 v. Chr.) zu. Auf engstem Raum weisen vor allem Särge, zum Teil aber auch Papyri eine kleinteilige und vielgestaltige Bilderwelt auf, weil eine veränderte Bestattungskultur altägyptische Theologen und Künstler vor die Aufgabe stellte, die individuelle Grabdekoration so zu konzipieren, dass sie sich der limitierten Oberfläche von Särgen und Papyri anpassen ließ. Grund für die elementaren Änderungen in der funerären Praxis ist der unter Ramses XI. stattfindende Bürgerkrieg2, im Zuge dessen es in weiten Teilen Ägyptens zur Zerstörung von Tempeln und zu Plünderungen von königlichen bzw. nicht-königlichen Nekropolen in Theben kommt.3 Der Schutz von Gräbern mit einer oberirdischen Kultanlage konnte offensichtlich nur unzureichend gewährleistet werden. Als Reaktion wird auf Einzelgräber4 weitgehend verzichtet und stattdessen großräumigen Gräbern der Vorzug gegeben, in denen die Bestattungen mehrerer Personen Aufnahme finden, die häufig einer Familie angehören. Die für diesen Zweck erforderlichen Grabkomplexe werden entweder neu angelegt, oder es werden bereits vorhandene, ältere Einzelgräber umstrukturiert und vergrößert. Mit beiden Verfahrensweisen wird es möglich, ausreichend Raum für die in dieser Zeit relevanten Mehrfachbestattungen zur Verfügung zu stellen. Zwei dieser großräumigen Anlagen enthielten die bislang umfangreichsten Funde aus der 21. und frühen 22. Dynastie. Es ist zum einen das 1881 in der Nähe des Hatschepsut1 E. Hornung, Die Unterweltsbücher der Ägypter, Düsseldorf 2002, 12. 2 Zur politischen Situation A. M. Gnirs, Militär und Gesellschaft. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte des Neuen Reiches, SAGA 17, Heidelberg 1996, 195–199; A. Dodson, Afterglow of Empire. Egypt from the Fall of the New Kingdom to the Saite Renaissance, Kairo / New York 2012, passim. 3 Die Umstände sind aus den Akten der Grabräuberprozesse bekannt; dazu A. Dodson, Afterglow, 9f. 4 Zu den aus der 21. Dynastie erhaltenen Einzelgräbern, ihrer Lage und den Abmessungen s. E. Feucht, Fragen an TT 259, in: J. Assmann / E. Dziobek / H. Guksch / F. Kampp (Hgg.), Thebanische Beamtennekropolen. Neue Perspektiven archäologischer Forschung, SAGA 12, Heidelberg 1995, 55ff.

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Tempels entdeckte Grab TT 3205, die sog. königliche Cachette, und zum anderen das 1891 entdeckte Grab Bab el-Gusus,6 dessen Eingang in der Nordostecke des Vorhofs des Hatschepsut-Tempels7 liegt. Letzteres enthielt für sich genommen 650 Särge8 und weiteres funeräres Equipment, das den Priestern des Amun-Tempels in Karnak und ihren Familien gehörte.9 Beide Anlagen befanden sich bis zu diesem Zeitpunkt in einem ungestörten Zustand. Einer der Gründe dafür ist die fehlende Kultanlage, die durch ihre Position in unmittelbarer Nähe des Grabes dessen Lage anzeigt. Ein weiterer Grund ist die Tatsache, dass bei mehreren Bestattungen in einem Raum der Schutz effektiver zu organisieren ist als bei einer größeren Zahl an Einzelgräbern. Jedoch hat ein Grab für mehrere Personen zwei große Nachteile, denn zum einen fehlt die individuelle Kultanlage,10 ein Manko, dass für TT 320 und Bab el-Gusus durch den Hatschepsut-Tempel11 ausgeglichen wird, und zum anderen steht für das bisher auf den Grabwänden untergebrachte, individuell gestaltete ikonographische Repertoire für jede/n einzelne/n Verstorbene/n nur noch die Oberfläche von Särgen und Papyri zur Verfügung. Folglich muss eine Anpassung der funerären Kunst an die gegebene Limitierung stattfinden, um auch weiterhin die unabdingbare Dekoration zu ermöglichen. Eine einfache Methode, um Platzmangel auszugleichen, ist es, auf längere Texte weitgehend zu verzichten. In der 21. Dynastie werden Texte gelegentlich vollständig fortgelassen und lediglich die zugehörigen Vignetten verwendet, denn ein Bild sagt nicht nur mehr als tausend Worte, es benötigt auch deutlich weniger Platz.12 Diese Methode ist allerdings nicht neu, d. h. sie wird nicht in der Dritten Zwischenzeit entwickelt, denn in der altägyptischen Kunst werden

5 Zu dem Grab und seiner Geschichte D. Bickerstaffe, The History of the Discovery of the Cache, in: E. Graefe / G. Belova, (Hgg.), The Royal Cache TT 320. A Re-Examination, Kairo 2010, 13–36. 6 Die arabische Bezeichnung Bab el-Gusus bedeutet „Tor der Priester“ und ist für die in der Grabanlage gefundenen Särge der Amunpriester zutreffender als das inzwischen häufig verwendete Bab el-Gasus, was „Tor des Spions“ heißt. 7 Zu dem Grabkomplex und seiner Geschichte s. A. NiwiĔski, 21st Dynasty Coffins from Thebes. Chronological and Typological Studies, Theben 5, Mainz 1988, 25ff. Ebenso A. NiwiĔski, Studies on the Illustrated Theban Funerary Papyri of the 11th and 10th Centuries B. C., OBO 86, Freiburg 1989, 35f. 8 Für die genaue Position der Särge im Bab el-Gusus s. A. NiwiĔski, Coffins, 198f., Taf. 1. 9 Nach einem dreimonatigen Transport fehlten bei Ankunft im Museum von Kairo 90 Särge, wie das Journal d’Entree vermuten lässt. 30 dieser nicht-inventarisierten Särge entdeckte Andrzej NiwiĔski im Frühjahr 2016, wie er am 19.09.2016 in seinem Vortrag „The newly documented treasure of the 21st Dynasty coffins and fragments in the basement of the Egyptian Museum, Cairo“ auf der Konferenz „Bab el-Gasus in Context. Egyptian funerary culture during the 21st Dynasty“ in Lissabon (Publikation in Vorbereitung) mitteilte. 10 Für K. M. Cooney, Changing Burial Practice at the End of the New Kingdom: Defensive Adaption in Tomb Commissions, Coffin Commissions, Coffin Decoration, and Mummification, in: JARCE 47 (2011), 18 sind die Grabanlagen „connected […] with temple festivals and daily rituals“ des Tempels, in dessen direktem Umkreis sie sich befinden. 11 Nach NiwiĔski, Papyri, 35f. 12 P. Eschweiler, Bildzauber im Alten Ägypten. Die Verwendung von Bildern und Gegenständen in magischen Handlungen nach den Texten des Mittleren und Neuen Reiches, OBO 137, Freiburg 1994, 182 meint diesbezüglich, es seien „überwiegend piktographische Wiedergaben von Totenbuchkapiteln nach dem Vorbild einiger die Sprüche begleitenden Vignetten“.

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von Beginn an Texte durch Bilder ergänzt, thematisch erweitert und gelegentlich ersetzt, ohne dass sich dadurch eine Änderung des Sinngehaltes ergeben hätte.13 Ein weiteres Verfahren für eine optimale Nutzung limitierter Oberfläche ist der mit dem Beginn der 21. Dynastie sich potenzierende Einsatz von Pars-pro-Toto-Darstellungen14 ebenso wie Miniaturisierungen im wörtlichen Sinne15. Dabei werden nicht nur die bereits im tradierten Dekorationskanon vorhandenen Motive modifiziert und umstrukturiert, sondern auch völlig neue Motive kreiert16. Beide Varianten werden darüber hinaus miteinander kombiniert, wobei zum einen die überlieferten Traditionen befolgt, zum anderen aber auch neue Arrangements vorgenommen werden. In diesem Zusammenhang ist es dann möglich, z. B. bei einem Westzeichen, das regelkonform den Falken und die Feder trägt, den Greifvogel mit einer Sonnenscheibe (von einer oder zwei Uräus-Schlangen umringelt) als Kopfschmuck auszustatten, sodass in dieser einen Figur sowohl die Himmelsrichtung Westen vorgegeben als auch der Falke als Ptah-Sokar-Osiris gekennzeichnet ist, ohne dass dies einer erklärenden Beischrift bedurfte.17 Das Ergebnis von Modifizierungen tradierter Motive, neuen Kreationen und ihren Kombinationen ist vor allem auf den Sargdeckeln zu sehen: eine (sehr) hohe Dichte an Einzelmotiven, die in kleinen Vignetten zusammengestellt sind. Doch auch in den Bereichen zwischen den einzelnen Bestandteilen in einem Bild oder zwischen den Bildern als solches scheint jede freie Stelle mit Symbolen gefüllt zu sein. Abb.1 zeigt eine solche Akkumulation von Motiven auf einer Fläche von knapp 8 x 15 cm, die sich zwischen den Händen auf dem Sargdeckel befindet. Eine derartig engräumige Anordnung von modifizierten Motiven und Einzelelementen widersteht gelegentlich dem Versuch einer unmittelbaren Identifikation der ursprünglichen Ausgangsmotivik und setzt seinerseits bisweilen Grenzen, innerhalb derer Fehlinterpretationen nicht auszuschließen sind. Um dieses Phänomen der Detailfülle zu beschreiben, wurde und wird in der Ägyptologie der Terminus horror vacui verwendet.18 Der Ausdruck bedeutet „Angst/Scheu vor dem leeren Raum“19 und geht auf den altgriechischen Philosophen Aristoteles (384–322 v. Chr.) zurück, der ihn allerdings auf die Natur bezog. Es stellt sich daher die Frage, ob ein Begriff, der im Prinzip auf Naturbeobachtungen basiert, auf theologisch geprägte Konzepte alt13 Nach H. Milde, Reading Vignettes. An Approach to Illustrations in the Book of the Dead, in: JEOL 43 (2011), 43. 14 Für C. Manassa, The Late Egyptian Underworld: Sarcophagi and Related Texts from the Nectanebid Period, ÄAT 72, Wiesbaden 2007, 440 (mit Anm. 22) ist es das „overriding principle in the funerary decoration“ dieser Zeit. 15 NiwiĔski, Coffins, 97, Anm. 40 weist darauf hin, dass es auf einem Sarg in Besançon als Begleitung zu einem kleinen Ba-Vogel eine hieroglyphische Inschrift gebe, deren einzelne Zeichen 1 mm hoch seien. 16 Eines dieser neu entstandenen Motive ist das Bild der von Geb getrennten Nut, die kosmische Szene, die Gegenstand meines Dissertationsprojektes ist. 17 Nach A. NiwiĔski, Untersuchungen zur ägyptischen religiösen Ikonographie der 21. Dynastie (2). Der Entwicklungsprozess der thebanischen ikonographischen Sonnenlaufmotive zwischen der 18. und der 21. Dynastie, in: GM 65 (1983), 89. 18 M. Minas-Nerpel, Der Gott Chepri. Untersuchungen zu Schriftzeugnissen und ikonographischen Quellen vom Alten Reich bis in die griechisch-römische Zeit, OLA 154, Leuven / Paris / Dudley, MA 2006, 321 weist die variantenreiche Kombinatorik „dem in der 3. ZwZt. vorherrschenden Dekorationsprinzip des horror vacui“ zu. 19 Nach Duden. Band 5. Das Fremdwörterbuch, Mannheim / Zürich, 2011, 432.

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ägyptischer Darstellungskonventionen übertragbar ist, die gerade die natürlich gegebene Tatsache des Todes negiert und theologisch im Wortsinne denaturiert. Aus dieser Negierung heraus entsteht die Notwendigkeit eines ikonographischen Repertoires, um die religiösen Leitmotive umzusetzen, die mit einer erfolgreichen Rechtfertigung im Totengericht beginnen und das sich anschließende Leben im Jenseits absichern sowie den nächtlichen Weg des Sonnengottes durch die Unterwelt gewährleisten sollen.20 Ein Bestreben, das in der 21. Dynastie nach wie vor Bestand hat, aber wegen der limitierten Oberfläche auf den Särgen nur durch Kompromisse in der Ikonographie zu erreichen ist. Der einzige horror im Sinne von Abscheu, von dem in diesem Zusammenhang gesprochen werden könnte, wäre der vor der Vergeudung von Raum auf einer begrenzten (Ober-)Fläche. Da es sich insgesamt betrachtet in jedem Fall um theologische Konzepte handelt, wäre m. E. eine Formulierung wie Detailhypertrophie zutreffender als der Terminus horror vacui, weil auf diese Weise zum Ausdruck käme, dass es sich nicht um zufällige oder ungezielte Applikationen von (Einzel-)Motiven handelt, was gelegentlich bei der Verwendung des ursprünglichen Terminus impliziert zu sein scheint. Es ist schließlich kaum zu bezweifeln, dass nach altägyptisch-theologischem Verständnis jeder noch so kleine Bestandteil eine wirkliche Berechtigung hat, genau dort zu sein, wo er sich befindet. Ein heutiger Bearbeiter eines oder mehrerer Motive sollte deshalb aber nicht in Versuchung geraten, jedes einzelne Element einer (weitergehenden) Analyse unterziehen und entsprechend interpretieren zu wollen. Das hängt zum einen damit zusammen, dass trotz ihrer Existenzberechtigung nicht jede Komponente zwangsläufig ein erweitertes Bedeutungsspektrum aufweist, sodass eine Interpretation folglich entbehrlich wird.21 Und zum anderen liegt es mehr als nur im Bereich des Möglichen, dass die Relevanz einzelner Teile, die zum Zeitpunkt der Applikation ohne Zweifel bestand, für den heutigen Bearbeiter nicht mehr nachvollziehbar ist. Interessanterweise fehlt bei den Vignetten in den Papyri der 21. Dynastie die beschriebene Detailhypertrophie weitgehend. Dabei sind sie zum Teil nicht nur erheblich kürzer, sondern mit durchschnittlich 23 cm auch nur halb so hoch wie die Papyri des Neuen Reiches.22 Zudem weisen sie im Vergleich mit den Särgen mehr und vor allem längere Texte auf. Doch ist in einigen Papyri die Intention einzelner Vignetten trotz der fehlenden Detailhypertrophie nicht auf den ersten Blick zu identifizieren. Das liegt zum einen an den neu geschaffenen Motiven, die natürlich auch für die Papyri verwendet werden. Wichtiger als die Neuschöpfungen sind jedoch die umfangreichen und durchaus als kreativ zu bezeichnenden Kombinationen von tradierten Elemente zu neuen Verbindungen, wie es Abb. 2

20 Bis zum Ende des Neuen Reiches ist die bildliche Darstellung dieses Weges dem König vorbehalten, wie u. a. die opulenten Bilder des Amduat zeigen. Diese Restriktion wird im Laufe der 21. Dynastie aufgehoben, wie einige Särge nicht-königlicher Personen zeigen; dazu C. de Araújo Duarte, Crossing the Landscape of Eternity: Parallels between Amduat and Funeral Procession Scenes in the 21st Dynastie Coffins, in: R. Sousa (Hg.), Body, Cosmos and Eternity. New Research in the Iconography and Symbolism of Ancient Coffins, Archaeopress Egyptology 3, Oxford 2014, 81–90. 21 A. NiwiĔski, Untersuchungen zur Ägyptisch religiösen Ikonographie der 21. Dynastie (1). Towards the Religious Iconography of the 21st Dynastie, in: GM 49 (1981), 56. 22 Zum formalen Aufbau der Papyri s. NiwiĔski, Papyri, 71–75.

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zeigt, denn die dargestellten Gottheiten und sakralen Entitäten sind unterschiedlichen Totenbuchsprüchen23 entnommen. Der durch die reduzierte Papyrusgröße bedingte Platzmangel führt dazu, dass in ein und derselben Vignette Motivelemente nebeneinander platziert sind, die für sich allein betrachtet entweder dem osirianischen oder dem solaren Bereich zuzurechnen sind. Die Möglichkeit der direkten Verbindung von Bestandteilen, die theologisch unterschiedlichen Bereichen angehören, knüpft an die im Neuen Reich entstandene enge Verbindung von Re und Osiris an.24 Die Vorgehensweise ist erwartungsgemäß in ähnlichem Umfang auch auf den Särgen anzutreffen. Die Vignette (Abb. 2) ist Teil eines Papyrus, der nahezu vollständig aus Bildern besteht, ein in der 21. Dynastie häufig anzutreffendes Design. Wegen der fehlenden Texte fasst Théodule Déveria die Form als unabhängigen Papyrus-Typ auf, den er unter dem Begriff „composition mythologique“25 als eigene Kategorie in die von ihm erstellte dreiteilige Klassifizierung aufnimmt. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten wird der Begriff nicht26 oder nur unter Vorbehalt verwendet, bis Alexandre Piankoff 1957 insgesamt 30 dieser BildPapyri unter dem Titel „Mythological Papyri“27 publiziert. Etwa drei Jahrzehnte später setzt auch Matthieu Heerma van Voss eine dreiteilige Kategorisierung der Papyrustypen28 für die 3. Zwischenzeit voraus. Doch gibt es in dieser Zeit im funerären Bereich nur zwei altägyptische Papyrus-Typen: das „Buch vom Herausgehen am Tag“ und die „Schrift von dem, was in der Duat ist“29. Damit wäre die von Déveria, Piankoff oder Heerma van Voss verwendete Bezeichnung nichts anderes als eine Konzession an die moderne Ägyptologie30, sodass m. E. der Terminus abzulehnen31 ist. Um eine Abgrenzung zu den textbasierten 23 So ist z. B. der Feuersee dem TB 125 bzw. 126, der Kopf auf der Lotusblüte TB 81A/B, das Krokodil mit dem Ikesi-Gefäß TB 149 (beim neunten Hügel) und die Schlange mit den Beinen TB 87 zuzuordnen. 24 Zu dem Aspekt der solar-osirianischen Einheit und seiner Relevanz für die 3. Zwischenzeit s. A. NiwiĔski, The Solar-Osirian Unity as Principle of the „State of Amun“ in Thebes in the 21st Dynasty, in: JEOL 30 (1987 / 1988), 89–106. Das einfachste und zugleich aussagekräftigste Sinnbild dieser Vereinigung ist das Bild der widderköpfigen Mumie zwischen Isis und Nephthys, das im Grab der Nefertari (QV 66) auf der Wand der Seitenkammer des Vorraums zu sehen ist. 25 T. Devéria, Catalogue des manuscrits égyptiens au Musée Égyptien du Louvre, Paris 1874. 26 So vermeidet z. B. E. Chassinat, Études sur quelques textes funéraires de provenance Thébaine, BIFAO 3 (1903) diesen Begriff und bezeichnet die von ihm behandelten Papyri durchgängig als „petit Amdait“. 27 A. Piankoff / N. Rambova, Mythological Papyri. Egyptian Religious Texts and Representations, BollSer 40.3 Tei1 1, (1957). 28 M. Heerma van Voss, Ägypten, die 21. Dynastie, IcRel 16.9, Leiden 1982, 3 nennt „Särge und Papyri […] die Hauptquellen einer dritten Gattung, die wiederum ein Geschöpf der 21. Dyn. darstellt und nur dann vorliegt. Diese ‚Mythologischen Papyri‘“ haben mit „dem Tb gemein, dass ein sich entfaltendes Thema fehlt, mit den Jenseitsbüchern, dass die Bilder dem Text gegenüber vorherrschen“, schränkt ebd. 12 aber ein, es sei eine „moderne, und nicht sehr glückliche, Bezeichnung“. 29 Dieses Werk ist für die Dritte Zwischenzeit nach NiwiĔski, Papyri, 159–221 nur auszugsweise mit dem Amduat identisch, das an den Wänden der Königsgräber des Neuen Reiches dargestellt ist. 30 NiwiĔski, Papyri, 71, der ebd. darauf hinweist, dass die Bildpapyri „must have – in the eyes of the ancient Egyptians – belonged either to the first or to the second Group“. 31 In diesem Sinne bereits NiwiĔski, Papyri, 71. Zwar benutzt E. Hornung, Das Totenbuch der Ägypter, Düsseldorf 2004, 19 den Begriff, doch weist er ebd. darauf hin, dass diese Papyri „Bilder aus den verschiedensten Quellen zusammenbringen“. D. Arpagaus, Kein Sex für Geb und Nut. Kurze Anmerkun-

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Papyri zu ermöglichen, wäre der Begriff „Bild(er)-Papyrus“ passend, da er die tatsächlichen Gegebenheiten wiedergibt. Für die Motive der 21. Dynastie auf Särgen und Papyri ist festzuhalten, dass aufgrund des durch äußere Umstände diktierten, geringen Maßes an dekorierbaren Oberflächen nur das Verwendung fand, was den größten (im-)materiellen und ideologischen Vorteil für die/den Verstorbenen brachte.32 Die Problematik im Umgang mit den Motiven besteht für den heutigen Betrachter – und mehr noch den Bearbeiter – darin, herauszufinden, welche ursprüngliche Intention zugrunde liegen könnte. Eine sachliche Interpretation der bestehenden Variabilität bei Bildelementen und Motiven ist insofern möglich, als Bilder – so Franz Mauelshagen – „eine eigene Sprache, eben Bildsprache“33 sprechen. Diese kann wie jede andere fremde Sprache erlernt werden, besitzt sie doch eine (manchmal allerdings schwer verständliche) eigene Grammatik und ihre einzelnen Bestandteile sind wie Worte in einem Satz34 zu verstehen. Durch den Abstand von Jahrtausenden, die Zugehörigkeit zu einem anderen Kulturkreis und Gottesverständnis ist eine Übersetzung manchmal jedoch recht schwierig35. So kann es bereits bei dem Versuch, das jeweilige Bild als ein in sich geschlossenes System zu verstehen bzw. es als ein kompaktes Motiv betrachten zu wollen, zu Missverständnissen kommen. Denn ohne Adressatenwissen sehen wir in beiden Fällen nur „signs (or symbols) and must interpret them. For the believers […] this was naturally not the case“36. Letztgenannte wussten nicht nur um die genaue Intention, sondern auch um die Wirksamkeit der verwendeten Bildelemente durch die ihnen innewohnenden magischen Kräfte, selbst wenn diese nur in der Form von Pars-pro-Toto-Darstellungen ausgeführt sind.37 Es liegt also durchaus im Bereich des Möglichen anzuerkennen, dass bei widrigen Umständen Kreativität eine große Rolle spielt, im Prinzip spielen muss, um der/dem Verstorbenen das theologisch obligate Wissen für die eigene Absicherung im Jenseits und die Versorgung zu ermöglichen. Aus diesem Grund ist die in der 3. Zwischenzeit vorhandene Detailhypertrophie für den heutigen Betrachter bzw. Bearbeiter zwar schwer nachzuvollziehen, aber nach damaligem Empfinden unabdingbar. Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass das gesamte funeräre Equipment nach dem Einbringen in das Grab nie wieder von den Augen eines lebenden Menschen hätte

32 33 34 35 36 37

gen zu einer Passage der Pyramidentexte (PT539 §1321 a+c), in: GM 245 (2015), 15 setzt den deutschen Begriff zumindest in Anführungszeichen. Ohne diese Zeichen benutzt D. Kurth, Wo Götter, Menschen und Tote lebten. Eine Studie zum Weltbild der Alten Ägypter, Quellen und Interpretationen – Altägypten 3, Hützel 2016, 41, den deutschen Begriff mehrfach im Kommentar zu seiner Quelle 81. NiwiĔski, Untersuchungen (1), 52. F. Mauelshagen, Hieroglyphen entziffern. Bildverstehen und Sprachmetaphorik in der Kunstgeschichte, in: R. Zimmermann (Hg.), Bildersprache verstehen. Zur Hermeneutik der Metapher und andere bildliche Sprachformen, München 2000, 169. Milde, Vignettes, 51. W. B. Kristensen, The Meaning of Religion. Lectures in the Phenomenology of Religion, Den Haag 1960, 403, „because they have no equivalent. Only by roundabout and subtile paraphrasing can their meaning be accurately reproduced; literal translation leads to nonsense“. Kristensen, Meaning 403. Zu dieser Vorstellung vgl. A. NiwiĔski, Magic in the Iconography of the 21st Dynasty Coffin and Papyri, in: G. Bąkowska-Czerner / A. Roccati / A. ĝwierzowska (Hgg.), The Wisdom of Thot. Magical Texts in Ancient Mediterranean Civilisations, Oxford 2015, 63.

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gesehen werden sollen, d. h. „a present-day spectator is committing a kind of sacrilege“.38 Schließlich handelt es sich bei der/dem Verstorbenen um ein Mitglied der „divine audience“39, sodass sie/er bereits durch ihren/seinen Status als gerechtfertigte/r Verstorbene/r das entsprechende Adressatenwissen für die detailhypertrophen Vignetten und Miniaturisierungen hat. Dieses Wissen hätte einem lebenden Menschen, der kein Priester war, eigentlich gar nicht oder zumindest nicht in diesem Umfang zur Verfügung stehen sollen. Abbildungsverzeichnis Abb. 1–2: A. Klische.

Literaturverzeichnis Araújo Duarte, C. de, Crossing the Landscape of Eternity. Parallels Between Amduat and Funeral Procession Scenes in the 2st Dynastie Coffins, in: R. Sousa (Hg.), Body, Cosmos and Eternity. New Research in the Iconography and Symbolism of Ancient Coffins, Archaeopress Egyptology 3, Oxford 2014, 81–90. Arpagaus, D., Kein Sex für Geb und Nut. Kurze Anmerkungen zu einer Passage der Pyramidentexte (PT539 §1321 a+c), in: GM 245 (2015), 9–15. Baines, J., Visual & Written Culture in Ancient Egypt, New York 2007. Bickerstaffe, D., The History of the Discovery of the Cache, in: E. Graefe / G. Belova (Hgg.), The Royal Cache TT 320. A Re-examination, Kairo 2010, 13–36. Chassinat, É., Étude sur quelques textes funéraires de provenance Thébaine, in: BIFAO 3 (1903), 129–163. Cooney, K. M., Changing Burial Practice at the End of the New Kingdom: Defensive Adaption in Tomb Commissions, Coffin Commissions, Coffin Decoration, and Mummification, in: JARCE 47 (2011), 3–44. Devéria, T., Catalogue des manuscrits égyptiens au Musée Égyptien du Louvre, Paris 1874. Dodson, A., Afterglow of Empire. Egypt from the Fall of the New Kingdom to the Saite Renaissance, Kairo / New York 2012. Duden. Band 5. Das Fremdwörterbuch, Mannheim / Zürich, 2011, 432. Eschweiler, P., Bildzauber im Alten Ägypten. Die Verwendung von Bildern und Gegenständen in magischen Handlungen nach den Texten des Mittleren und Neuen Reiches, OBO 137, Freiburg 1994. Feucht, E., Fragen an TT 259, in: J. Assmann / E. Dziobek / H. Guksch / F. Kampp (Hgg.), Thebanische Beamtennekropolen. Neue Perspektiven archäologischer Forschung, SAGA 12, Heidelberg 1995, 55–61. Gnirs, A. M., Militär und Gesellschaft. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte des Neuen Reiches, SAGA 17, Heidelberg 1996. Heerma van Voss, M., Ägypten, die 21. Dynastie, IcRel 16.9, Leiden 1982. Hornung, E., Die Unterweltsbücher der Ägypter, Düsseldorf 2002. Hornung, E., Das Totenbuch der Ägypter, Düsseldorf 2004. Kristensen, W. B., The Meaning of Religion. Lectures in the Phenomenology of Religion, Den Haag 1960. Kurth, D., Wo Götter, Menschen und Tote lebten. Eine Studie zum Weltbild der Alten Ägypter, Quellen und Interpretationen – Altägypten 3, Hützel 2016. 38 A. NiwiĔski, Iconography of the 21st Dynasty. Its Main Features, Levels of Attestation, the Media and their Diffusion, in: C. Uehlinger (Hg.), Images as Media: Sources for the Cultural History of the Near East and the Eastern Mediterranean (1st Millenium BCE), OBO 175, Freiburg 2000, 21. 39 J. Baines, Visual & Written Culture in Ancient Egypt, New York 2007, 317.

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Manassa, C., The Late Egyptian Underworld. Sarcophagi and Related Texts from the Nectanebid Period, ÄAT 72, Wiesbaden 2007. Mauelshagen, F., Hieroglyphen entziffern. Bildverstehen und Sprachmetaphorik in der Kunstgeschichte, in: R. Zimmermann (Hg.), Bildersprache verstehen. Zur Hermeneutik der Metapher und anderer bildlicher Sprachformen, München 2000, 169–192. Milde, H., Reading Vignettes. An Approach to Illustrations in the Book of the Dead, in: JEOL 43 (2011), 43–56. Minas-Nerpel, M., Der Gott Chepri. Untersuchungen zu Schriftzeugnissen und ikonographischen Quellen vom Alten Reich bis in die griechisch-römische Zeit, OLA 154, Leuven / Paris / Dudley, MA 2006. NiwiĔski, A., Untersuchungen zur ägyptischen religiösen Ikonographie der 21. Dynastie (1). Towards the Religious Iconography of the 21st Dynastie, in: GM 49 (1981), 47–59. NiwiĔski, A., Untersuchungen zur ägyptischen religiösen Ikonographie der 21. Dynastie (2). Der Entwicklungsprozess der thebanischen ikonographischen Sonnenlaufmotive zwischen der 18. und der 21. Dynastie, in: GM 65 (1983), 75–90. NiwiĔski, A., The Solar-Osirian Unity as Principle of the „State of Amun“ in Thebes in the 21st Dynasty, in: JEOL 30 (1987 / 1988), 89–106. NiwiĔski, A., 21st Dynasty Coffins from Thebes. Chronological and Typological Studies, Theben 5, Mainz 1988. NiwiĔski, A., Studies on the Illustrated Theban Funerary Papyri of the 11th and 10th Centuries B. C., OBO 86, Freiburg 1989. NiwiĔski, A., Iconography of the 21st Dynasty: Its Main Features, Levels of Attestation, the Media and their Diffusion, in: Christoph Uehlinger (Hg.), Images as Media. Sources for the Cultural History of the Near East and the Eastern Mediterranean (Ist Millenium BCE), OBO 175, Freiburg 2000, 21–43. NiwiĔski, A., Magic in the Iconography of the 21st Dynasty Coffin and Papyri, in: G. BąkowskaCzerner / A. Roccati / A. ĝwierzowska (Hgg.), The Wisdom of Thot. Magical Texts in Ancient Mediterranean Civilisations, Oxford 2015, 61–69. Piankoff, A. / N. Rambova, Mythological Papyri. Egyptian Religious Texts and Representations, BollSer 40.3 Teil 1, New York 1957.

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Abb. 1: Sarg des Pa-dj-Jmn, Kairo, Ägyptisches Museum, CG 6080 JE 29668, mittlere 21. Dynastie.

Abb. 2: Papyrus der Ta-meniu-nechi, London, British Museum, EA10002.

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Dealing with Death: Destruktive Modifikation an Beigaben als Teil frühzeitlicher Bestattungssitten? Fallbeispiele aus der Nekropole von Helwan, Operation 4 Nora Kuch

On the basis of examples from the burial site of Helwan, Operation 4, the specific treatment of burial equipment is discussed and described as a destructive modification. In the course of a synthesis of theoretic concepts and case studies, aspects of burial practices during the Early Dynastic period will be reconstructed and the community responsible for the burials will be re-evaluated as a group which actively performs. 1 Einleitung In diesem Beitrag werden Grabbeigaben des Gräberfeldes von Helwan anhand ihres Fundkontextes auf Umgangsweisen hin untersucht, die als destruktive Modifikation zu bezeichnen sind. Diese sind als intentionelle Handlungen zu bewerten, die als Teil lokaler Bestattungspraktiken verstanden werden können. Durch Hinzunahme theoretischer Ansätze innerhalb der Archäologie, ausgelöst durch Impulse des sogenannten material turn (s. u.), sind weiterführende Interpretationsansätze zu diesem Thema aufgekommen. Insbesondere die Konzepte der Objektbiographie und der Affordanz spielen in der Bewertung eine gewichtige Rolle. Deren Anwendungsmöglichkeit wird anhand ausgewählter Beispiele aus Helwan aufgezeigt. Damit soll die These verfolgt werden, dass aktive Handlungen der Bestattungsgemeinschaft im Grabkontext ersichtlich sein können. Die Bewertung von Grabbeigaben war lange Zeit der Prämisse unterworfen, dass Beigaben die soziale Realität des Bestatteten widerspiegeln und direkte Auskünfte über Rang, Status oder sogar die Persönlichkeit des Toten geben könnten.1 Der Aspekt, Grabausstattung als gezielte Selektion durch die Hinterbliebenen zu verstehen, blieb dabei allzu oft unberücksichtigt. Der Verstorbene wird demnach nicht zwangsläufig in seiner persönlichen Identität dargestellt, sondern vielmehr in einer ‚Identität des Todes‘.2 Dadurch wird das Grab nicht zum Spiegel einer individuellen Identität, sondern zeugt von der Konstruktion einer sozialen Identität durch die Hinterbliebenen.3 1 J. Baker, The Funeral Kit: A Newly Defined Canaanite Mortuary Practice based on the Middle and Late Bronze Age Tomb Complex at Ashkelon, in: Levant 38 (2006), 1 und dort genannte Literaturverweise. 2 S. Seidlmayer, Die Ikonographie des Todes, in: H. Willems (Hg.), Social Aspects of Funerary Culture in the Egyptian Old and Middle Kingdoms. Proceedings of the International Symposium Held at Leiden University 6–7 June, 1996, OLA 103, Löwen / Paris / Sterling 2001, 205–253. S. Seidlmayer stellt treffend heraus, dass sich Grabbeigaben von den dargestellten Objekten in der Grabdekoration unterscheiden und somit eine gezielte selektive Darstellungsweise belegen. 3 A. Stevenson, The Predynastic Egyptian Cemetery of el-Gerzeh. Social Identities and Mortuary Practices, OLA 186, Löwen / Paris / Walpole 2009, 159.

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Zur Bewertung der ausgewählten Kontexte soll hier jedoch zuerst auf die theoretischen Impulse eingegangen werden, um sensiblere Interpretationsmöglichkeiten archäologischer Funde zu erörtern.4 2 Die Auswirkungen des material turn auf die Neubewertung archäologischer Funde Seit den 1980er-Jahren wird innerhalb der Kulturwissenschaften und anderen Disziplinen, vorrangig sind hier Ethnologie, Anthropologie, aber besonders Soziologie zu nennen, von einem material turn gesprochen.5 Geknüpft an diesen Terminus ist ein Umschwung in den Fragestellungen und Forschungsperspektiven, die sich mit der Bewertung von Materialität und materieller Kultur befassen und den Fokus auf deren Einfluss auf den Menschen und dessen Handlungen lenken.6 Materielle Hinterlassenschaften werden in der Archäologie nun nicht mehr nur als ‚fossilierte Zeugen‘ verstanden, wie es Gordon Childe7 einst formulierte, vielmehr wird die Materialität der Dinge (s. u.) als weiterführende Interpretationsebene anerkannt. Materielle Kultur8 wird folglich nicht nur als Träger oder Vermittler, sondern als direkter Ausdruck von Sozialität betrachtet. Denn durch ‚Dinglichkeiten‘9 gestaltet und sortiert der Mensch seine Umwelt, steht also in dynamischen Wechselbeziehungen zu den ihn umgebenden Dingen. Spezifische Umgangs- und Verhaltensweisen mit Dingen werden dabei erlernt und sind somit Teil eines kulturimmanenten Habitus.10 Somit entstehen Kategorisierungsmuster, die sich in unseren Objektbezeichnungen ausdrücken 4 Dieser Beitrag entsteht im Rahmen meiner Dissertation, die in das FWF-geförderte Projekt „Helwan – eine Nekropole der Stadt Memphis“, unter der Leitung von Frau Prof. Dr. E. C. Köhler eingegliedert ist. Für Korrekturen und Anmerkungen sowie die Bereitstellung des Bildmaterials sei ihr an dieser Stelle herzlich gedankt. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die genauen Kontextanalysen einiger der hier dargestellten Befunde noch nicht abgeschlossen sind, weshalb die Bemerkungen und Schlussfolgerungen als vorläufig zu betrachten sind. 5 P. Bräunlein, Material Turn, in: K. Gille-Linne (Hg.), Dinge des Wissens. Die Sammlungen, Museen und Gärten der Universität Göttingen, Göttingen 2012, 14 verweist auf eine Vielzahl von turns, wie z. B. den linguistic oder practical turn. 6 Der material turn begründet sich aus der Kritik am Konzept europäischer Geistesgeschichte, Geistiges von Materiellem zu trennen und Geistiges als dem Materiellen übergeordnet zu betrachten. Aufgrund dieser Überhöhung ist materielle Kultur nur als ‚banaler Ausdruck von Ideen und Gedankengut zu verstehen‘– im Umkehrschluss ließen sich also durch die Betrachtung des Materiellen Rückschlüsse auf diese Ideen ziehen, d. h. Dinge sind lediglich als passive Symbolträger zu verstehen. Der material turn legt nun den Schwerpunkt auf eine aktive Rolle der Dinge, die in wechselseitiger Beziehung zum Menschen stehen und maßgeblich an der Bildung von Sozialität beteiligt sind. H. P. Hahn, Materielle Kultur. Eine Einführung. Zweite überarbeitete Auflage, Ethnologische Paperbacks, Berlin 2014, 10–11. 7 V. G. Childe, Piecing together the Past. The Interpretation of Archaeological Data, London 1956. 8 Nach H. P. Hahn definiert sich materielle Kultur als „[d]ie Summe aller Gegenstände, die in einer Gesellschaft genutzt werden oder bedeutungsvoll sind. […] Dies umfasst alle berührbaren und sichtbaren Dinge, die den Menschen umgeben“: H.P. Hahn, Materielle Kultur, 18–19. 9 P. W. Stockhammer, Mensch-Ding-Verflechtungen aus ur- und frühgeschichtlicher Perspektive, in: K. Hofmann / T. Meier / D. Mölders / S. Schreiber (Hgg.), Massendinghaltung in der Archäologie. Der material turn in der Ur- und Frühgeschichte, Leiden 2016, 331–342. 10 Untersuchungen dieser Verhaltensweisen entstammen der kognitiven Entwicklungspsychologie und Erkenntnistheorie. Der französische Verhaltensforscher Jean Piaget beschreibt, dass diese Umgangsweisen bereits im Kleinkindalter erlernt werden. Darauf gründet sich die Fähigkeit zu sprachlicher Reflexion, die es dem Menschen ermöglicht, seine Umwelt durch Kategorisierungen zu erfassen. Hahn, Materielle Kultur, 28. Vgl auch J. Piaget (Hg.), Der Aufbau der Wirklichkeit beim Kinde, Stuttgart 1974 (Original: La consturction du réel chez l’énfant, Neuchâtel 1950).

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und die meist an eine konkrete Gebrauchsmöglichkeit geknüpft sind: Die Bezeichnungen „Schale“, „Becher“ oder „Kanne“ evozieren auch immer eine konkrete Form und Verwendung.11 Daraus erwächst aber auch die Problematik, unsere eigenen Bezeichnungen und die damit verknüpften Funktionsweisen auf materielle Kulturgüter anderer Kulturen zu übertragen. Schon mit der Auffindung im archäologischen Befund und dessen Dokumentation wirken die Dinge auf uns und nehmen Einfluss auf unsere Interpretation. Diese Interpretation soll daher eine wesentliche Sensibilisierung erfahren und den polysemischen Charakter der Dinge herausstellen, um so über Sammlungen und Seriationen hinausgehend vertiefende Einblicke in antike Gesellschaften und gesellschaftliche Phänomene zu erhalten. 2.1 Von Objekten und Dingen … Um nun dem archäologischen Fundgut diese vertiefenden Einblicke zu entlocken, werden zunehmend theoretische Denkanstöße in die archäologische Auswertung mit einbezogen, die auch zu einer Verfeinerung altbekannter Begriffe führen. So wird innerhalb des theoretischen Diskurses dafür plädiert, von Ding, statt von Objekt zu sprechen.12 Einerseits ist Ding ein sehr neutraler Begriff, da mögliche Differenzierungen zwischen Objekt, Artefakt oder Naturfakt oftmals überlappend sein können und innerhalb verschiedener Kulturen jeweils neu zu bewerten sind. Andererseits soll der Terminus eine Eigenständigkeit der Dinge betonen. Aus dieser Eigenständigkeit heraus ergibt sich eine gewisse Unverfügbarkeit, die im Gegensatz zur Verfügbarkeit von Sachen bzw. Sachkultur steht. Der Begriff des Dings bzw. der Dinglichkeit soll eben diese Unverfügbarkeit in den Vordergrund stellen und darüber hinaus auch eine Eigenständigkeit betonen, die nach H. P. Hahn den „Eigensinn der Dinge“ ausmacht und so die eigenständige Existenz gegenüber dem Menschen hervorhebt.13 Verdeutlicht wird dieser Umstand am Beispiel des Kruges bei M. Heidegger: Dadurch, dass ein Krug beispielsweise einen Henkel und Ausguss besitzt, werden spezifische Umgangsweisen ermöglicht, wie z. B. Aufnehmen, Transport und Ausschenken von Flüssigkeiten.14 Für bestimmte Inhalte werden daher spezifische Gefäßformen geschaffen, die wiederum in dafür vorgesehenen Kontexten verwendet werden. Dies beschreibt I. Hodder mit „It is this gathering that makes a jug a thing“15 und bezieht sich damit auf die Ver11 S. Schreiber, Archäologie der Aneignung. Zum Umgang mit Dingen aus kulturfremden Kontexten, in: Forum Kritische Archäologie 2 (2013), 66. 12 „Die Abgrenzungen anderer Begriffe im semantischen Feld der materiellen Welt wie ‚Ding‘, ‚Sache‘ oder ‚Objekt‘ ist oft fließend bzw. individuell geprägt oder die Begriffe werden gar synonym verwandt und unterliegen vermutlich auch terminologischen Transformationen. Zudem variiert die Begrifflichkeit im Feld der Wissenschaft auf Grund fachspezifischer Traditionen“ Siehe H. P. Hahn / M. K. H. Eggert / S. Samida, Einleitung: Materielle Kultur in den Kultur- und Sozialwissenschaften, in: S. Samida / M. K. H. Eggert / H.P. Hahn (Hgg.), Handbuch Materielle Kultur. Bedeutung, Konzepte, Disziplinen, Stuttgart ²2014, 2; Zudem auch C. Tsouparopolou / T. Meier, Artefakt, in: T. Meier / M. R. Ott / R. Sauer (Hgg.), Materiale Textkulturen. Konzepte – Materialien – Praktiken, Berlin 2015, 47–62; und H. P. Hahn, Materielle Kultur, 18ff. 13 H. P. Hahn, Materielle Kultur, 19, 46ff. 14 M. Heidegger, Poetry, Language, Thought, New York 1971, 167. Diese Umgangsmöglichkeiten werden dabei als Affordanz bezeichnet, vgl. im entsprechenden Abschnitt. 15 I. Hodder, Entangled. An Archaeology of the Relationships between Humans and Things, Chichester 2012, 8.

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bindung Objekt-Handlung-Kontext, die durch den Terminus Ding zum Ausdruck gebracht werden soll. Dadurch werden die an den Handlungen beteiligten Personen und insbesondere der Kontext, in den die Handlung eingebunden ist, in den Fokus gerückt, und es wird ersichtlich, dass Dinge Sozialität evozieren können. Somit wird eine Aktivität der Dinge erkennbar, die durch den Begriff Agency umschrieben wird, also eine aktive Handlungsmacht bzw. Agens-haftigkeit, die nicht nur auf Personen beschränkt sein muss.16 Der Grad dieser Agency ist kulturimmanent und kann variieren.17 Die evozierte ‚Lebendigkeit‘ materieller Kultur wird jedoch kontrovers diskutiert: So versteht Bruno Latour Dinge als eigenständig, „schließlich gibt es kaum einen Zweifel daran, dass Wasserkessel Wasser ‚kochen‘, Messer Fleisch ‚schneiden‘ […], bezeichnen diese Verben keine Handlungen?“18. Gegensätzlich argumentiert jedoch Christopher Tilley: „[T]he object stands opposed to the subject. From this perspective, persons are animated and alive, while the things are static and dead.“19 Da auf die mit dem Agency-Begriff verbundene Problematik nicht vertiefend eingegangen werden kann, sei an dieser Stelle auf P. W. Stockhammer verwiesen, dessen vorgeschlagener Terminus Effectancy die Wirkungsmacht der Dinge hervorhebt.20 Diese Verfeinerungen verschiedener Termini dienen der Neubewertung archäologischen Fundmaterials, das nicht nur typologischen und chronologischen Analysen dient, sondern darüber hinaus als Teil menschlichen Verhaltens und im Hinblick auf gesellschaftliche Aspekte neu befragt werden muss. 2.2 … und über Mensch-Ding-Beziehung Durch die, auf theoretischer Ebene, erfolgte Neubewertung von Dingen und Menschen, bzw. ihrem Verhältnis zueinander, werden im Folgenden das Konzept der Objektbiographie und der Affordanz erläutert, um im Anschluss ihre Anwendungsmöglichkeiten an konkreten Beispielen aus Helwan aufzuzeigen. Mit dem Konzept der Objektbiographie wird Dingen eine ‚Lebensspanne‘ zugestanden, wobei alle Aspekte von der Produktion, Distribution, bis hin zu Konsum oder Endnutzung biographischer Stationen entsprechend aufgelistet werden.21 Erste Kritik knüpft bereits an 16 Nach I. Hodder ist Agency definiert als „the ever-present force of things: the life force of humans and all organic things, and the force of attraction, repulsion, etc. of all material things and their interactions“. Cf. Hodder Entangled, 215. Des Weiteren nach Laura Ahearns: „agency is the socio-culturally mediated capacity to act“; J. Hoskins Agency, Biography and Objects, in: C. Tilley / W. Keane / S. Küchler / M. Rowlands / P. Spyer (Hgg.), Handbook of Material Culture, London 2006, 74. 17 Hodder, Entangled, 15ff. 18 B. Latour, Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft. Einführung in die Akteur-Netzwerk-Theorie, Frankfurt a. M. 2007, 123. 19 C. Tilley, Introduction, in: C. Tilley / W. Keane / S. Küchler / M. Rowlands / P. Spyer (Hgg.), Handbook of Material Culture, London 2006, 1–6. Weiterhin bezieht sich die Kritik auf die bereits durch Max Weber vorgenommene Differenzierung zwischen Handeln und Verhalten, die betont, dass die Handlungskompetenz der Dinge eine gänzlich andere ist als die der Menschen. Zudem wird im Umgang mit materieller Kultur archäologischer Fundkontexte immer wieder betont, dass intentionelle Verhaltensweisen nicht dezidiert nachweisbar seien. Vgl. P. Stockhammer, Verflechtungen, 336. 20 P. Stockhammer, Verflechtungen, 336. 21 Diese Idee stammt aus der ethnologischen Gabentausch-Diskussion. Hierbei subsumieren Objekte durch den Tauschprozess Aspekte des Gebers, dessen Agenshaftigkeit wiederum durch die Verbreitung der Gabe eine räumliche und zeitliche Ausdehnung erfährt. Dadurch werden Dinge zu Akteuren, die Empfindungen und Handlungen auslösen können; T. L. Kienlin / A. Widura, Dinge als Zeichen, in: S. Sa-

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den Begriff der Biographie selbst an, denn im Gegensatz zu Lebewesen, deren natürlicher Biorhythmus die Lebensspanne klar begrenzt, gilt dies für ein Ding nicht.22 Anfang und Ende der Objektbiographie sind demnach unscharf: Ist der Beginn mit der Produktion anzusetzen, bereits mit dem Abbau des Rohmaterials, oder gar mit der Idee im Kopf des Produzenten oder Auftraggebers?23 Ebenso endet die Biographie nicht zwangsläufig mit der Deponierung, denn durch das Wiederauffinden, archäologische Auswertung und dem Verbleib als museales Ausstellungsstück kommen einem Ding weitere biographische Stationen zu.24 Daraus ergibt sich eine sehr Objekt-fokussierte Analyse, ähnlich der chaîne opératoire oder dem use-life-Konzept.25 Allerdings sollen die biographischen Stationen nach H. P. Hahn als kontextuale Veränderungsmomente verstanden werden, um damit zu betonen, dass die Dinge in spezifischen Verwendungskontexten zu betrachten sind. Paradoxerweise lenkt das Objekt damit aber auch von sich selbst ab: Durch den Verweis auf den Verwendungskontext tritt m. E. das Objekt aus dem Fokus, um übergeordnete Themenkomplexe diskutierbar zu machen wie z. B. Technologie, Distributions- oder Adaptionsmechanismen. Daraus ergibt sich, dass dieses Konzept für die Untersuchung komplexer Mensch-DingBeziehungen m. E. nicht weitführend genug erscheint. Daher soll für die Bewertung das Konzept der Affordanz hinzugenommen werden: Wie eingangs erwähnt, impliziert die Benennung eines Objektes auch immer eine Funktionszuweisung. Diese Kategorisierungen führen u. a. auch in der Auswertung archäologischer Funde und Befunde zu vorschnellen und meist einseitigen Interpretationen. Objekte werden oft auf eine Funktion reduziert, woraus sich bereits eine Vorauswahl ableitet, die die Ausdeutung erheblich eingrenzt.26 Das Konzept der Affordanz dient nun dazu, den Angebotscharakter der Dinge in den Vordergrund zu stellen. Angebot meint dabei, dass ein Ding durch seine Materialität verschiedene Umgangsweisen zulässt, die einen vielseitigen Gebrauch ermöglichen, und damit auch den Fokus auf soziale Verhaltensweisen lenkt.27

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mida / M. K. H. Eggert / H. P. Hahn (Hgg.), Handbuch Materieller Kultur. Bedeutung, Konzepte, Disziplinen, Stuttgart ²2014, 37; S. Samida, ‚Objekte der Begierde‘. Archäologische Dinge zwischen Forschung und Kommerzialisierung, in: E. Tietmeyer (Hg.), Die Sprache der Dinge. Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf die materielle Kultur, Münster 2010, 89–98. Erste Umsetzungen im Bereich der Archäologie finden sich u. a. bei Lewis Binford mit dem Konzept des use-life; L. Binford, Archaeology as Anthropology, in: American Antiquity 28 (1962), 217–225. H. P. Hahn, Dinge sind Fragmente und Assemblagen. Kritische Anmerkungen zur Metapher der ,Objektbiografie‘, in: D. Boschung (Hg.), Biography of objects. Aspekte eines kulturhistorischen Konzepts, Paderborn 2015, 21. S. Samida, Begierde, 90. Ein oft zitiertes Beispiel sind die sogenannten Kleeblattfibeln, die als Teil karolingischer Gurtverteiler von den Wikingern adaptiert und zu Fibeln der dortigen Frauentracht avancierten. Diese Bedeutungsmetamorphose wird u. a. auch als second life bezeichnet. Als Museumsstück erhält ein solches Objekt zudem noch ein drittes Leben. Schreiber, Aneignung, 86–94. C. Gosden / Y. Marshall, The Cultural Biography of Objects, in: World Archaeology 31:2 (1991), 169; M. Schiffer, Archaeological Context and Systemic Context, in: American Antiquity 37:2 (1972), 156– 165. A. Keßeler, Affordanz oder was Dinge können!, in: K. P. Hofmann / T. Meier / D. Mölders / S. Schreiber (Hgg.), Massendinghaltung in der Archäologie. Der Material Turn in der Ur- und Frühgeschichte, Leiden 2016, 343–363. Das Konzept wurde 1982 durch den Wahrnehmungspsychologen James Gibson erarbeitet. Siehe dazu J. J. Gibson, Wahrnehmung und Umwelt. Der ökologische Ansatz in der visuellen Wahrnehmung, Mün-

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Bereits während der Produktion wird eine bestimmte Nutzungsabsicht durch den Produzenten festgelegt. Stefan Schreiber spricht hier von der ‚Einschreibung einer intendierten Funktion‘, die der Gebrauchsabsicht des Herstellers entspricht. Dadurch werden Dinge gebrauchsermöglichend, aber zugleich auch gebrauchseinschränkend, woraus sich aber immer ein Handlungsspielraum ergibt, in dem Dinge verwendet werden können.28 Innerhalb dieses Interaktionsrahmens geht dabei das Wahrnehmen, Nutzen, Ignorieren oder auch das Nicht-Wahrnehmen vom Anwender aus, ist also durch dessen spezifischen Habitus geprägt und kann sich daher von der ehemals intendierten Gebrauchsabsicht unterscheiden. Daraus ergibt sich, dass die Angebotsnutzungen einerseits transparent und erkennbar sein müssen und nur dann von Konsumenten in Anspruch genommen werden, wenn diese sich davon die Befriedigung ihrer Bedürfnisse versprechen. Folglich ist die Nutzung der Angebote situationsabhängig, aber auch immer situationsgebunden.29 3 Destruktive Modifikation als Teil der Bestattungspraktiken? Fallbeispiele aus dem Gräberfeld von Helwan, Operation 4 Die Nekropole von Helwan ist mit 10.000 Gräbern die bisher größte bekannte Nekropole der Frühzeit Ägyptens. Der Hauptnutzungszeitraum umfasst dabei die Protodynastische Periode bis hin zur 4. Dynastie.30 Operation 4 stellt ein Teilareal der Nekropole dar, das zuvor noch nicht ergraben wurde, und so mit modernen Methoden und Fragestellungen untersucht werden konnte. In diesem Areal konnten 218 einfache Gruben- sowie komplexere Kammergräber, die z. T. noch Reste von Oberbauten aufwiesen, dokumentiert werden.31 Die Gräber enthielten neben Keramik und Steingefäßen, die hier die größten Materialgruppen bilden, Werkzeuge, Lithik, Toilettgerät sowie Schmuck und Reste von Textilien. 3.1 Grab 4/190 Es handelt sich hierbei um ein Grubengrab mit einer Bestattung in rechter Hockerlage. Dunkle Verfärbungen an der Grubensohle weisen zudem auf einen Sarg hin. Die meisten Beigaben sind oberhalb der Bestattung in der Grubenverfüllung niedergelegt worden, darunter eine Schale mit Ausguss, die aus Siltstein gefertigt wurde (S09-23, Abb. 1, 2).32 Der

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chen / Wien / Baltimore 1982. Es gilt jedoch zu beachten, dass Gibsons Ansatz sehr ökonomisch geprägt ist und sich auf die Nutzung von Angeboten hinsichtlich menschlicher Bedürfnisse wie Nahrung, Schutz etc. bezieht. Im Kontext archäologischer Auswertung hat das Konzept demnach eine Abwandlung erfahren, die sich neutral mit den vielschichtigen Gebrauchsmöglichkeiten und den daraus resultierenden wechselseitigen Beziehungen zwischen Menschen und Dingen befasst. Keßeler, Affordanz, 347; R. Fox / D. Panagiotopoulos / C. Tsouarpoulou, Affordanz, in: T. Meier / M. R. Ott / R. Sauer (Hgg.), Materiale Textkulturen. Konzepte – Materialien – Praktiken, Berlin 2015, 63–70. Schreiber, Aneignung, 65–66. Keßeler, Affordanz, 349; R. Fox / D. Panagiotopoulos / C. Tsouarpoulou, Affordanz, 67. Vereinzelt sind noch Belegungen aus dem Mittleren Reich und der Spätzeit festzustellen. Erste Grabungsarbeiten begannen in den 40er/50er-Jahren durch Zaki Y. Saad, die dann seit 1997 durch die Macquarie University Sydney, Australien sowie bis 2012 durch die Universität Wien weitergeführt wurden, vgl. E. C. Köhler, Helwan I. Excavations in the Early Dynastic Cemetery. Season 1997/98, SAGA 24, Heidelberg 2005. E. C. Köhler, Helwan III. Excavations in Operation 4, Tombs 1–50, SAGA 26, Rahden 2014. Entsprechend farbige Abbildung in: E. C. Köhler, Helwan. Einblicke in eine Nekropole der Stadt Memphis, in: Antike Welt (2016), 30, Abb. 5. Das Grab wird in E. C. Köhler, Helwan VI. Excavations in Operation 4, Tombs 151–218, in Vorb. vollständig publiziert.

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Fundkontext zeigt, dass die Schale bereits vor der Niederlegung in zwei Teile zerbrochen wurde, die jeweils an der östlichen bzw. westlichen Längsseite der Grube platziert wurden. Da das Grab ungestört war, kann hier von einer intentionellen Fragmentierung und Platzierung der Fragmente ausgegangen werden. Hinsichtlich der Objektbiographie ergeben sich für dieses Stück folgende Stationen: Die Schale wurde aus Siltstein gefertigt, dessen Abbaugebiet im Wadi Hammamat verortet werden kann. Für die Biographie ergibt sich also ein Startpunkt mit der Materialgewinnung in der südlichen Ostwüste sowie dem anschließenden Transport zu möglichen Lagern, Zwischenhändlern oder Werkstätten. Weiterhin lassen sich am Objekt Bearbeitungsspuren feststellen, die Hinweise auf Herstellungstechniken und verwendete Werkzeuge geben können, darüber hinaus aber auch Fragen nach damit verbundenen Arbeitsspezialisierungen aufkommen lassen. Über die Distribution der Schale kann nur spekuliert werden: Die Schale kann ‚gekauft‘ oder durch Schenkung in den Besitz des Verstorbenen oder eines Bestattungsteilnehmers gelangt sein. Und auch die vorerst letzte Station der Deponierung im Grab gibt kaum Anhaltspunkte für die Gründe der Niederlegung.33 Hier zeigt sich nun die Problematik, dass über viele der Stationen keine ausreichenden Aussagen mehr getroffen werden können und allzu schnell weiterführende Fragen nach Transportwesen, Herstellungstechniken etc. aufgegriffen werden, die über das Stück selbst hinausgehen. Die destruktive Modifikation innerhalb von Grabkontexten bedarf daher einer weiterführenden Interpretationsebene, so zum Beispiel anhand des Konzepts der Affordanz. Durch die Ansprache des Fundstücks als Schale wird vorschnell die für uns am nächsten liegende Funktionsweise evoziert, nämlich die des Aufbewahrens oder Servierens von Speisen. Aus dem Grabkontext heraus wird demzufolge das Objekt im Rahmen der Totenversorgung oder, da es sich um ein qualitativ hochwertig gearbeitetes Stück handelt, als Prestigeobjekt angesprochen. Hier endet üblicherweise die traditionelle Interpretation. Allerdings legt die Teilung in zwei Hälften nahe, dass die Schale nicht mehr in dieser Funktionsweise verwendet werden sollte. Eine Schlagmarke an der Basis-Innenseite, die auf ein Werkzeug hinweist, mit dem das Zerteilen ausgeführt wurde, unterstützt dabei diese Interpretation und eröffnet Fragen nach möglichen anderen Nutzungsweisen und der Bedeutung von Zerstörung an Grabbeigaben. Allerdings bleibt zu überlegen, ob das Stück gerade aufgrund seiner spezifischen Biographie als Beigabe ausgewählt worden ist oder ob durch die Verwendung im Rahmen möglicher ritualisierter Handlungen34 die Biographie des Objektes irrelevant geworden ist und nun ein neuer Bedeutungskontext gefunden werden muss. Des Weiteren zeigt sich an anderen Fundstücken, dass es sich hier nicht um ein singuläres Phä33 Die gegenwärtig letzte Station ist, nach der Wiederauffindung, die Deponierung im Magazin des Helwan-Projekts. 34 In diesem Artikel wird der Begriff Ritual bzw. ritualisierende Handlung verwendet, auch wenn an dieser Stelle eine konkrete Auseinandersetzung mit diesen Begrifflichkeiten nicht vorgenommen werden kann. Ritual wird dabei als eine bewusste, zielgerichtete symbolträchtige Handlung oder ein Handlungskomplex verstanden, dem die Akteure eine Bedeutung zuschreiben. Dabei umfasst ein Ritual mehrere Elemente wie Rahmung, Formalität, Wiederholbarkeit und Performanz. C. Brosius / A. Michaels / P. Schrode, Ritualforschung heute. Ein Überblick in C. Brosius / A. Michaels / P. Schrode (Hgg.), Ritual und Ritualdynamik. Schlüsselbegriffe, Theorien, Diskussionen, Göttingen 2013, 9–24. Ausführlich in C. Bell (Hg.), Ritual Theory, Ritual Practice, Oxford 2009; C. Bell (Hg.), Ritual. Perspectives and Dimensions, Oxford 2009.

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nomen handelt, sondern destruktive Modifikationen an unterschiedlichen Gefäßformen und Materialien festzustellen sind. So wurde neben der Siltsteinschale auch ein zerteilter Weinkrug35 aus Keramik aufgefunden sowie ein fragmentiertes zylindrisches Kalzitgefäß (S0922, Abb. 2), dessen Fragmente entlang der östlichen Längsseite des Sargs an der Grubensohle verteilt wurden. Auch hier weist der Bruchverlauf auf mögliche Verwendung von Werkzeugen zur Fragmentierung hin und kann als intentionelle Handlung verstanden werden. 3.2 Grab 4/94 Dieses unterirdische Kammergrab ist über einen Treppenabgang im Südosten erreichbar, Reste von Lehmziegelstrukturen verweisen zudem auf einen Oberbau.36 Die Grabkammer war mit einer Mauer aus Lehmziegeln verschlossen und zusätzlich mit einem Verschlussstein (Portcullis) geschützt. Dieser wurde jedoch durch Grabräuberaktivitäten beschädigt: Das obere Drittel wurde zerschlagen und die Fragmente innerhalb des Grabzugangs verteilt. Dadurch wurde der darunter liegende Befund geschützt und konnte in-situ dokumentiert werden. So fanden sich im Zugangsbereich insgesamt sieben Steingefäße in viel- und kleinteiligen Fragmenten über den gesamten Bereich verstreut. Interessanterweise sind zudem mehrere Fragmente zwischen der Lehmziegelmauer und dem Portcullis zu verorten, die zu den Gefäßen im Grabzugang gehören. Es handelt sich dabei um zylindrische Gefäße und Schalen aus Kalzit, die z. T. vollständig rekonstruiert werden konnten. Auffällig ist dabei, dass einige der Gefäße überdurchschnittlich groß sind: Die Schale S05-155 weist einen maximalen Durchmesser von 68 cm, bei einer Höhe von ca. 14 cm und einem Gesamtgewicht von 11 kg auf. Das Zylindergefäß S05-157 hat eine Höhe von 62,5 cm und auch das Stück S05-158 misst 50.5 cm, bei einem Gesamtgewicht von 21 kg. Für die Annahme einer destruktiven Modifikation spricht hier besonders die Tatsache, dass die Gefäße komplett rekonstruiert werden konnten, sowie die Robustheit der Stücke durch eine verhältnismäßig dicke Wandung, wodurch ein schlichtes Herunterwerfen auf das relativ weiche Erdmaterial im Bereich des Grabzugangs wohl nicht ausgereicht hätte, um eine solche kleinteilige Fragmentierung zu erzielen. Zudem weisen einige der Fragmente Bruchmarken auf, die m. E. durch das Einwirken von spitzen Werkzeugen herrühren.37

35 F. Junge, „Ich weiß nicht was soll es bedeuten“. Zur Multifunktionalität von Gefäßkeramik in der Nekropole von Helwan, in diesem Band. 36 Detaillierte Beschreibung in: E. C. Köhler, Helwan IV. Excavations in Operation 4, Tombs 51–100. With Contributions by C. Marshall, A. M. A. Ali, H. Böhm, M. Abd el-Karem, SAGA 28, Rahden 2017, 367–368; entsprechend farbige Abbildung in: E. C. Köhler, Einblicke, 32, Abb. 7. 37 Bei einer punktuell ansetzenden Krafteinwirkung entsteht ein kleines Loch, dort wo das Werkzeug angesetzt wird. In den meisten Fällen sind diese Bruchstellen von dreiseitiger Form, ggf. von einem Meißel herrührend. Durch das Einwirken auf den Stein verlaufen Brüche von den Spitzen dieses Dreiecks ausgehend. Daher halte ich hier die Verwendung spitzer Werkzeuge, z. B. einen Meißel, für möglich. Diese Überlegungen müssen jedoch noch näher geprüft werden. Ggf. sind jedoch größere Kalksteinbrocken für das Fragmentieren verwendet worden, diese fanden sich vor dem Portcullis mit den Gefäßfragmenten vergesellschaftet. Siehe E. C. Köhler, Helwan IV, Plate 56B; 57A. Hier sei auch H. Maaß M.A. für seine Einschätzung herzlich gedankt. Dem gelernten Steinmetz zufolge suggerieren die kreuzförmig zusammenlaufenden Bruchlinien einen kleinen Auftrittspunkt eines vermutlich spitzen Werkzeuges.

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Des Weiteren fanden sich zwei Schädel sowie Schenkel von bis zu fünf Rindern im oberen Bereich des Grabzugangs, die mit zerscherbter Keramik vergesellschaftet waren.38 Ob es sich dabei um Opfergaben handelt, die eventuell als pars-pro-toto zu verstehen sind, bleibt vorerst spekulativ.39 Wahrscheinlicher erscheint jedoch, dass es sich um Reste eines Opfermahls handelt, bei dem die fleischreichen Teile von den Hinterbliebenen verzehrt wurden. Somit lassen sich hier gleich mehrere Indizien für Aktivitäten finden, die im Rahmen ritueller Handlungen am Grab verstanden werden können.40 4 Bewertung ritualisierender Handlungen Die vorangegangenen Ausführungen lassen erkennen, dass sich in den Befunden der Gräber von Helwan Indizien auf wiederholte Handlungen finden lassen, die mit rituellen Praktiken in Verbindung stehen. Diese sind bisher in vergleichbaren Friedhofsanlagen nur wenig untersucht worden, da meist der Kontext der Deponierung als dominierender Faktor der Interpretation galt.41 Dadurch blieben die der Deponierung vorausgegangenen dynamischen Ding-Mensch-Beziehungen oft unberücksichtigt. So sollen im Folgenden Bestattungen als mehrstufiger Prozess verstanden und die Gruppe der Bestattungsteilnehmer als wesentlicher, aktiv handelnder Teil in die Überlegungen mit einbezogen werden. Es gilt zu bedenken, dass bereits in der Organisation, Anlegung und Ausstattung eines Grabes soziale Interaktionen durch unterschiedliche Gesellschaftsgruppen stattfinden. Bestattungen sind dabei nach A. van Gennep als Teil von Transformationsriten42 aufzufassen, die den Verstorbenen in den Vordergrund stellen und verschiedene Stationen umfassen: Möglicherweise bereits am Haus des Toten beginnend (seien es Abschiedsrituale oder Vorbereitungen des Leichnams) und in der Beisetzung und in der Überführung in eine jenseitige Existenz gipfelnd, gefolgt von weiterführenden postfunerären Kult- oder Gedenkhandlungen.43 P. Bourdieu kritisiert hierbei, dass sich A. van Gennep lediglich auf die verschiedenen Phasen von Ritualen bezieht, die jedoch kulturimmanent unterschiedlich betrachtet und bewertet werden müssen. Des Weiteren wird, so Bourdieu, die soziale Funktion von Ritualen nicht weitreichend genug erläutert.44 Denn nicht nur der Verstorbene, sondern auch die Gruppe der Bestattungsteilnehmer durchläuft eine Reihe von Transforma38 H. Böhm / M. Abd el-Karem, in: E. C. Köhler, Helwan IV, 12–13. 39 So finden sich Darstellungen von Rinderschädeln auf den Reliefplatten in Helwan; Köhler / J. Jones, Helwan II. The Early Dynastic and Old Kingdom Funerary Relief Slabs, SAGA 25, Rahden 2009. 40 Nach mündlicher Aussage von E. C. Köhler, war der Bereich um die Steingefäße dunkel verfärbt, ein mögliches Indiz für das Vergießen von Flüssigkeiten (evtl. Öle), das den rituellen Charakter der Handlung noch unterstreicht. 41 P. Stockhammer, Verflechtungen, 334, bezieht sich hier auf die drastischen Worte des Ethnologen K.-H. Kohl „Kontext ist Lüge!“ und bringt damit überspitzt die Kritik vorschneller Interpretationen zum Ausdruck. 42 Insbesondere im Rahmen von Bestattungen sind dabei Trennungsriten, Umwandlungsriten sowie Angliederungsriten zu nennen; A. van Gennep, Übergangsriten [Les rites de passage], 3. erw. Auflage, Frankfurt a. M. 2005, 142. 43 E. C. Köhler, Ursprung einer langen Tradition. Grab und Totenkult in der Frühzeit, in: H. Guksch / E. Hofmann / M. Bommas (Hgg.), Grab und Totenkult im Alten Ägypten, München 2003, 13. 44 P. Bourdieu, The Social Institution of Symbolic Power. Rites of Institution, in: Language and Symbolic Power, Cambridge 1991, 117–126.

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tionsprozessen. Mit Transformation umschreibt P. Bourdieu weniger das Ritual an sich, sondern vielmehr die Betonung einer Grenze bzw. das Überschreiten dieser Grenze. Dabei sind sozial oder normativ konnotierte Grenzen oder Tabus gemeint, die im Rahmen von Ritualen überschritten werden können, da sie ein gesellschaftlich akzeptiertes und damit institutionell sanktioniertes Verhalten darstellen. Vorher und Nachher werden durch Rituale oder ritualisierende Handlungen getrennt und Prozesse betont, die nicht nur den Toten betreffen, sondern eben auch die Ritual-Teilnehmer.45 Rituale bilden dabei vorgefertigte Handlungs- oder Ordnungsmuster für bestimmte Abläufe (Bestattung, Krönung etc.), die zuvor von der beteiligten Gesellschaftsgruppe akzeptiert worden sein müssen. Es bedarf also einer Zustimmung, die bereits durch die Teilnahme an den Ritualen ausgedrückt wird. Andreas Wimmer bezeichnet den zugrundeliegenden Prozess als „kulturellen Kompromiss“ und versteht darunter ein „verständigungsorientiertes Aushandeln von Bedeutungen“, das aus einem individuellen Habitus, einem öffentlichen bzw. gesellschaftlichen Habitus und aus der Schließung gegenüber bzw. Abgrenzung von Nicht-Beteiligten resultiert.46 Daher müssen die Inhalte der Rituale nicht jedes Mal aufs Neue ausgedeutet werden, sondern sind als Teil eines gesellschaftlichen Habitus im kulturellen Gedächtnis verankert.47 Insbesondere aus dem Aspekt der Schließung und Abgrenzung wird ersichtlich, dass sich hier Gruppen definieren und die Teilnahme an den Handlungen Stabilität und Zusammengehörigkeit vermitteln, womit sie auch der Neustrukturierung sozialer Verhältnisse dienen können.48 5 Zusammenfassung Diese Ausführungen sollen verdeutlichen, dass die Bestattung und die Ausstattung eines Grabes nicht nur singulär für den Verstorbenen gedacht waren, sondern auch der Struktur realweltlicher Aspekte dienten. Ein Grab kann somit als liminal space oder Schwellenraum verstanden werden, in dem sich diverse ritualdynamische Prozesse fassen lassen, deren Funktion und Wirkung sowohl in die jenseitige Welt ausgreifen, als auch in die diesseitige.49 Die erwähnten Fallbeispiele haben gezeigt, dass in Helwan Situationen ritualisierender Handlungen feststellbar sind, die über die reine Ausstattung und Versorgung des Toten 45 P. Bourdieu, Institution, 118–119. 46 Schreiber, Aneignung, 52. 47 C. Brosius / A. Michaels / P. Schrode, Ritualforschung, 16; J. Assmann, Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, in: J. Assmann (Hg.), Kultur und Gedächtnis, Frankfurt a. M. 1988, 12. 48 P. Bourdieu, Institution, 119; C. Brosius / A. Michaels / P. Schrode, Ritualforschung, 14f; T. Widlok verweist dabei auf die ökonomischen Faktoren, die eine Bestattung mit sich bringt. Diese sind einerseits direkte Ausgaben, Grabbau, Ausstattung, Behandlung des Leichnams oder auch Totenmahl. betreffend. Andererseits fallen auch sogenannte „Opportunitätskosten“ an, also wirtschaftliche Nachteile, die durch die investierte Zeit während der Teilnahme am Ritual entstehen. Da sich Rituale als regelgeleitetes Verhalten jedoch positiv auf diese nachteiligen Opportunitätskosten auswirken, indem sie vertrauensbildend wirken und Unsicherheiten reduzieren, kann die Teilnahme an Ritualhandlungen durchaus auch Vorteile haben, die sich auf andere Ebenen in realweltlichen Bereich überführen lassen. T Widlok, Ritualökonomie, in: C. Brosius / A. Michaels / P. Schrode (Hgg.), Ritual und Ritualdynamik. Schlüsselbegriffe, Theorien, Diskussionen, Göttingen 2013, 171–179. Sicher lassen sich Teilnahmegründe und Auswirkungen an und von Ritualen nicht so einseitig auf ökonomische Aspekte beschränken, liefern jedoch einen Anhaltspunkt für die Bewertung. 49 A. Stevenson, Gerzeh, 161.

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hinausgehen. Aufgrund theoretischer Konzepte und Denkanstöße konnte dazu erläutert werden, dass durch soziale Interaktionen Dinge Bedeutung erhalten und dadurch in aktiver und / oder passiver Weise an der Bildung sozialer und kultureller Bindungen des menschlichen Lebens beteiligt sind und dadurch die Bestattungsgemeinschaft als aktiv handelnde Gruppe in die Bewertung miteinbezieht. So weisen insbesondere in Grab 4/94 die tierischen Überreste auf ein mögliches Opfermahl hin.50 Auffällig ist zudem, dass die Steingefäße aus dem Zugangsbereich bereits fragmentiert worden sein mussten, bevor das Grab gänzlich verschlossen wurde. Dies legen zumindest die Fragmente nahe, die zwischen Lehmziegelmauer und Portcullis aufgefunden wurden. Somit lassen sich diese Aktivitäten auf den Bereich des Grabzugangs konzentrieren, und können möglicherweise mit dem Akt des Verschließens des Grabes in Verbindung gebracht werden.51 Daraus resultiert ein möglicher Handlungsablauf, der nach dem Einbringen der Bestattung und der Ausstattung des Grabes vollzogen wurde. Die Maße und das Gewicht der Beigaben aus Grab 4/94 legen zudem nahe, dass hier ein funerärer Aufwand betrieben wurde, der nicht nur ökonomische Ausgaben, sondern auch Kraft und Zeit erforderte, und können somit einen Anhaltspunkt liefern, dass diese Handlungen für die Hinterbliebenen mit Bedeutsamkeit aufgeladen waren. Dies ist insbesondere im Vergleich mit anderen in Helwan auftretenden Objektbehandlungen interessant: So finden sich Hinweise auf Umarbeitungen, Materialrecycling und Spuren von Reparatur, wodurch das Phänomen der Zerstörung einen weiteren Stellenwert innerhalb der Bewertung gewinnt, insbesondere unter der Annahme von in Helwan bestatteten nicht-königlichen Gesellschaftsschichten.52 Allerdings bedarf es bei diesen gegensätzlich erscheinenden Umgangsweisen genauerer Untersuchungen sowie der Suche nach vergleichbaren Fundsituationen in Helwan und anderen Friedhöfen, um mögliche Ansatzpunkte für eine Bewertung zu erhalten. Abbildungsverzeichnis Abb. 1: ©Helwan Projekt. Abb. 2: ©Helwan Projekt, Nachbearbeitung durch Nora Kuch. Abb. 3: ©Helwan Projekt.

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Abb. 1: Grab 4/190, Schale aus Siltstein (S09-23).

Abb. 2: Grab 4/190, Fundverteilung in Stratum 10, Lokus 1 (links) und Lokus 2 (rechts).

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Abb. 3: Grab 4/94, vollständig rekonstruierbares Zylindergefäß aus Kalzit (S05-159).

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Ägyptische Gottheiten und ars erotica: Ein Versuch der ontologischen Anthropologie erotischer Netzwerke im alten Ägypten Uroš Matiü

Considering the ongoing discussions on the ontological turn in anthropology and archaeology, this paper explores the various forms of erotic encounters between humans and deities in ancient Egypt. It will be argued that gods were part of erotic networks during festivals and that direct sexual intercourse which crosses ontological boundaries was (exclusively) restricted to a male god and a human woman, i. e. the mother of the king. Egyptian gods such as Amun and Osiris prefer married women or non-virgins. Erotic encounters between mortal men and goddesses were dangerous and therefore avoided. This was probably because it was considered either dangerous, impossible or inappropriate for a goddess to be impregnated by a mortal man. At the same time, such an encounter would – due to the hierarchy of gender – reverse the ontological hierarchy. Erotic encounters between gods in the form of animals and human women are only attested in reports of outsiders, and there is as yet no evidence for agalmatophilia, which can be explained by the restricted access to the bodies of deities, even in the form of statues. 1 Einleitung Zwei Elemente des Filmplots Immortel (ad vitam)1 von Enki Bilal aus dem Jahr 2004 verdeutlichen die beiden Gedanken, die in diesem Beitrag untersucht werden. Der erste Gedanke ist, dass verschiedene Welten von verschiedenen Entitäten (bzw. Menschen, Göttern, Objekten usw.) bewohnt werden können.2 Der zweite Gedanke ist, dass Götter und Göttin-

1 Der Science Fiction Film Immortel (ad vitam) spielt im New York des Jahres 2095, in dem echte und genetisch veränderte Menschen zusammen mit Mutanten leben. Über New York ist eine Pyramide erschienen, in der sich die altägyptischen Götter befinden, die über Horus richten. Bevor Horus seine Unsterblichkeit verlieren soll, gewährt man ihm sieben Tage auf der Erde. Um weiter zu leben sucht Horus nach einer Frau, die seine Kinder gebären kann. Eines der wenigen Wesen im ganzen Universum, das einen Gott zur Welt bringen könnte, ist die Mutantin Jill. Horus nutzt nun seine sieben Tage, um Jill zu suchen und mit ihr sexuell zu verkehren, bevor ihm seine Unsterblichkeit genommen wird. Um diese Aufgabe zu erfüllen, benötigt er einen von gentechnischen Veränderungen verschonten Menschen. Den findet er in Nikopol, einem politischen Gefangenen. 2 Diese Idee ist mit dem sog. symmetrischen Ansatz des Soziologen Bruno Latour und der in der Archäologie und Anthropologie laufenden Diskussion über den „ontological turn“ verbunden: B. Latour, We Have Never Been Modern, Cambridge 1993, 10; die Gesellschaft soll erneut konstruiert werden, um Entitäten mit nicht-menschlicher Agentur einzuschließen: B. Latour, Reassembling the Social. An Introduction to Actor-Network-Theory, Oxford 2005, 11.

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nen unter den Menschen auftreten3 und selbst auch Geschlechtsverkehr haben können. Das Problem ist, dass soziale Normen der menschlichen Welt, obwohl sie oft in der übernatürlichen Welt reflektiert sind, auch umgedreht sein können.4 In diesem Beitrag werde ich argumentieren, dass es, obwohl verschiedene Entitäten im alten Ägypten Geschlechtsverkehr haben können, strenge Vorschriften für solche Begegnungen, die ontologisch abhängig sind, gibt. Der Begriff Geschlechtsverkehr soll hier sehr breit verstanden werden, um sexuelle Handlungen und deren Ausdrucksformen zu bezeichnen. Ebenso soll sich die Definition des Partners nicht auf den Menschen beschränken, sondern auch andere Entitäten5 und Dinge6 miteinschließen.7 Damit soll der Geschlechtsverkehr in diesem Artikel als eine ars erotica verstanden werden.8 Das Hauptziel dieses Artikels ist es, den Geschlechtsverkehr, wie oben definiert, zwischen verschiedenen Entitäten und Materialitäten im alten Ägypten – mit einem besonderen Akzent auf die göttlichen Wesenheiten – zu untersuchen. 2 Geschlechtsverkehr zwischen Gottheiten als Statuen (und Menschen) Altägyptische Statuen waren mehr als nur Kunstwerke. Die Statuen der Gottheiten wurden angezogen, gereinigt und erhielten Speisen und Getränke.9 Sie reisten, um einander zu 3 Beispielsweise sind in Indien lebende Göttinnen namens Kumari zu finden. Weibliche Kleinkinder werden ausgewählt, um lebende Göttinnen (lebende Ikonen der Göttin Taleju) zu sein. Die Mädchen verlieren ihre Göttlichkeit in der Pubertät: A. Gell, Art and Agency. An Anthropological Theory, Oxford 1998, 150–152. 4 Als Beispiel könnte man den Wettbewerb zwischen zwei Dschinns in der 180. Nacht aus „Tausend und eine Nacht“ erwähnen. Sie streiten über die Schönheit eines männlichen und eines weiblichen menschlichen Körpers. Der weibliche Dschinn Maimune begehrt einen männlichen Körper und der männliche Dschinn begehrt einen weiblichen Körper. Dies ist seine Hauptschwäche, denn die Gender-Hierarchie in der Welt der Dschinns umgekehrt ist: B. Epps, Comparison, Competition, and Cross-Dressing. CrossCultural Analysis in a Contested World, in: K. Babayan / A. Najmabadi (Hgg.), Islamicate Sexualities: Translations Across Temporal Geographies of Desire, HMEM39, Harvard 2008, 114–116. Als ein altägyptisches Beispiel kann das Verb nwX – „onanieren“ erwähnt werden. Als Aktion eines Gottes wird dieses positiv und dagegen in Tb 125 als Aktion des Verstorben negativ bewertet: S. Schreiber, „Keusch wie kaum ein anderes Volk“? Einige Anmerkungen zum Sexual-Vokabular der alten Ägypter, in: D. Mendel / U. Claudi (Hgg.), Ägypten im Afro-Orientalischen Kontext. Aufsätze zur Archäologie, Geschichte und Sprache eines unbegrenzten Raumes. Gedenkschrift Peter Behrens, Köln 1991, 317. 5 Dies ist kulturübergreifend gut belegt, u. a. bei J. Rey, Mermaids and Spirit Spouses: Rituals as Technologies of Gender in Transnational African Pentecostal Spaces, in: Religion & Gender 3.1 (2013), 60– 75. 6 B. Jensen, Rude Tools and Material Difference – Queer theory, ANT and Materiality. An Under-Explored Intersection?, in: Graduate Journal of Social Science 6.1 (2009), 53–55. 7 In den Worten von Bruno Latour: „Wir sollten den Eingeborenen folgen, egal in welche metaphysischen Verwicklungen sie uns führen“: B. Latour, Reassembling the Social, 62. 8 Die Unterscheidung zwischen dem modernen Umgang mit Sex und der vor-modernen, antiken Form fasst Michel Foucault in seinen Begriffen ars erotica (erotische Kunst) versus scientia sexualis (Wissenschaft von Sex) zusammen. Zunächst steht der Genuss als Selbstzweck im Vordergrund, erst an zweiter Stelle stehen Analyse, Nützlichkeit, Moral und Wahrheit der Sexualität: M. Foucault, The History of Sexuality I: An Introduction, New York 1978, 57f. Diese strikte Trennung ist jedoch sehr problematisch. 9 Für zahlreiche Beispiele und einen anthropologischen Ansatz s. L. Meskell, Object Worlds in Ancient Egypt. Material Biographies Past and Present, Oxford / New York 2004, 87–115.

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Ägyptische Gottheiten und ars erotica

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besuchen.10 Wir wissen nur wenig über die anderen „Bedürfnisse“ dieser Statuen, allerdings gibt es Quellen, die vielleicht Hinweise darauf geben. Dem Papyrus Sallier IV. (18, 3–4) aus der 19. Dynastie ist zu entnehmen, dass am 26. Tag des 2. Monats von Pr.t Min aus Koptos in einer Prozession hinaus geht, in welcher er Lattiche11 trägt. Isis sieht dann sein nfr („Schönheit“ – eigentlich Phallus).12 Das Fest bzw. „Der Auszug von Min“ (pr.t Mnw) oder „Der Auszug von Min zum xt.jw“ (pr.t Mnw n xt.jw), ist im Neuen Reich (Ramesseum und Medinet Habu) sowie in der Spätzeit und der römischen Zeit gut belegt.13 Im Grab der Thaty aus der 26. Dynastie in der Bahria-Oase, befindet sich eine Darstellung der Min-Prozession mit einer ityphalischen Statue des Min auf einem mit einem Tuch bedeckten Tragegestell, das von acht Figuren getragen wird.14 Wir können deswegen davon ausgehen, dass es sich im Papyrus Sallier IV auch um eine Statue von Min handelt. Dadurch, dass Isis den Phallus des Gottes sah, können wir annehmen, dass sie, vielleicht auch als Statue, anwesend war. Allerdings gibt es keine explizite Erwähnung des Geschlechtsverkehrs zwischen diesen beiden Gottheiten in ihren Statuenformen Da Min mit Horus gleichgesetzt werden konnte, könnte man den erotischen Kontext in Frage stellen. Das wird deutlich in einer Passage vom Wettstreit zwischen Horus und Seth“ 10 Reisende Göttinnen der späten bronzezeitlichen Welt sind auch in den Amarna-Briefen belegt. Im Amarna-Brief EA 23 von Tušratta, König von Mittani an Amenhotep III, sagt die Gottin Šauška von Ninive: „Ich möchte nach Ägypten, ein Land, das ich liebe, gehen, und dann zurückkehren.“ Der König sendet die Gottin daraufhin nach Ägypten: EA 23, 13–17, W. L. Moran, The Amarna Letters. Edited and translated, Baltimore / London 1992, 61. Ägyptologen haben richtigerweise angemerkt, dass der König eigentlich eine Statue der Göttin geschickt hat: I. Forstner-Müller / W. Müller / K. Radner, Statuen in Verbannung. Ägyptischer Statuenexport in den vorderen Orient unter Amenophis III. und IV, in: ÄL 12 (2002), 156. Das bedeutet nicht, dass die Göttin nicht reiste. Sie tat dies nur in Form ihrer Statue. S. a. die Beispiele von Hathor und Horus oder Hathor und Ptah weiter unten. 11 Der Lattiche ist mit lactuca sativa zu identifizieren, die immer noch in Oberägypten angepflanzt wird: L. Keimer, Die Pflanze des Gottes Min, in: ZÄS 59 (1924), 140; s. a. B. Adams, A Lettuce for Min, in: GM 37 (1980), 11f. 12 Wb II, 261.8; M. Münster, Untersuchungen zur Göttin Isis vom Alten Reich bis zum Ende des Neuen Reiches, MÄS11, Berlin 1968, 130. Schon Henri Gauthier interpretierte die Bedeutung von nfr hier als Phallus in der Erektion, H. Gauthier, Les fêtes du dieu Min, Kairo 1931, 8; auch K. MyĞliwiec, Eros on the Nile, 90. In den ptolemäischen Inschriften aus dem Tempel von Edfu freuen sich die Göttinen, das nfr des Mins zu sehen, Edfu I, 398.10–11, P. Wilson, A Ptolemaic Lexikon. A Lexicographical Study of the Texts in the Temple of Edfu, OLA 78, Löwen 1997, 515. In Papyrus Anastasi III/BM 10246 (Rto Linie 5,1) steht in einer Hymne an Thoth: nfr=f n Hrs.t – „sein nfr ist aus Karneol“, was bedeutet, dass es sich um eine Beschreibung einer Statue handelt, genauer gesagt ihres Phallus, wie durch das PhallusDeterminativ gezeigt wird, A. H. Gardiner, Late-Egyptian Miscellanies, BibAeg 7, Brüssel 1937, 25; da keine ithyphallischen Statuen von Thoth bekannt sind, können wir annehmen, dass es sich um die Beschreibung einer Statue von Thoth handelt, die als Pavian dargestellt wird. Der Phallus eines Pavians in der Natur hat eine starke rote Farbe wie der Karneolstein. Das Wort nfr ist in einer Inschrift (Hymne von Darius II an Amun) in der Halle des Amun-Tempels in El Hiba, 32 km südlich von Beni Suef, wo der Gott Amun als hAy stj.w nfr.w=f – „Der Ehemann, der mit seinem Phallus schießt“ geschrieben wird, mit einem Phallus determiniert, H. Brugsch, Reise nach der grossen Oase el Khargeh in der lybischen Wüste, Leipzig 1878, Tf. XXVI. Zahlreiche andere Bellegstellen für die Verwendung des Lexems nfr für einen Phallus, allerdings ohne Phallus- Determinativ geschrieben, sind vorhanden: A. M. Blackman / H. W. Fairman, Significance of the Ceremony Hwt bHsw, in: JEA 36 (1950), 71. S. a. die Geburtslegende von Hatschepsut und Amenhotep III weiter unten. 13 M.-F. Moens, The Procession of the God Min to the xtjw-Garden, in: SAK 12 (1985), 62. 14 A. Fakhry, Baতria Oasis I, Kairo 1942, 140, Fig. 111.

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in Papyrus Chester Beaty I-Papyrus British Museum 10681 (recto 11,1-13,5), der in die Regierungszeit von Ramses V datiert. Darin masturbiert Isis den Horus, um ihm beim Kampf gegen Seth zu helfen. Sie legt den Samen des Horus auf den Lattich, den Seth isst.15 Die Handlung muss nicht als erotisch verstanden werden, sondern als Mittel zum Zweck, da, nachdem Seth den Lattich gegessen hat, der Samen des Horus in ihm war. Dementsprechend ist die Stelle in Papyrus Sallier IV. (18, 3–4) vielleicht als Hinweis auf den Kampf gegen Seth zu verstehen. In dem Lied eines Harfners aus TT 82 wird der Tempel von Amun-Re wie folgt beschrieben: tA wrS.t m Hb Xr nsw.t nTr.w jm=s [sDr...] jw=s mj tx.tj – „Diese, die den Tag in einem Fest verbringt, mit dem König der Götter in ihr, [sDr...]. Sie ist wie eine betrunkene Frau.“16 Wir können davon ausgehen, dass dies auf die Statue von Amun verweist, welche die Nacht im Tempel, der als betrunkene Frau beschrieben wird, verbringt. Eine erotische Konnotation dieser Metapher kann nicht ausgeschlossen werden. Das Fest der Wiedervereinigung (Hb n sxn) wird von Ägyptologen oft als die „heilige Hochzeit“ zwischen Horus von Edfu und Hathor von Denderah beschrieben.17 Dieter Kurth und Hartwig Altenmüller betonten, dass die schriftlichen und visuellen Darstellungen dieses Festes nicht direkt die „heilige Hochzeit“ zeigen würden,18 da in den damit verbundenen Texten und der Ikonographie nichts auf eine erotische Begegnung hindeute. Dennoch wird nach der Rückkehr von Hathor nach Denderah ein Gott geboren. In einer Hymne an Hathor von Edfu ist geschrieben: Hr-nb nk(.w) m-bSH=Ҹsҹ – „jedermann kopuliert vor ihr“19. Es ist nicht klar, was damit gemeint ist, jedoch scheint es die Rolle der Göttin in erotischen Begegnungen während des Fests erneut zu belegen. Es ist auch nicht sicher, ob der Besuch von Ptah von Memphis bei seiner Tochter Hathor, der im Papyrus Harris I, 49.1-320 belegt ist, im erotischen Sinne zu interpretieren ist, wie MyĞliwiec vorschlug.21 Der Text spricht nicht explizit von der Art des Besuchs. Die Konsequenzen der Festbegegnungen, wie in dem Lied eines Harfners aus TT82 beschrieben, sind ebenfalls belegt. In einer Ansprache an die Lebenden über den Eingängen zu den drei Kapellen der Gottesgemahlinnen im Gehäuse des großen Tempels von Medinet Habu steht geschrieben: jr=tn Hb.w n nTr oA jmy jA.t-TA-mw.t jr Hm.wt=tn n 1w.t-Hr Hnw.t jmnt.t dj=s ms=sn n=tn TA.w Hm.wt „Möget ihr Feste für den großen Gott feiern, der im 15 A. H. Gardiner, The Library of A. Chester Beatty. Description of a Hieratic Papyrus with a Mythological Story, Love Songs, and Other Miscellaneous Texts, The Chester Beatty Papyrus No. I. London 1931. 16 J. C. Darnell, Hathor Returns to Medamud, in: SAK 22 (1995), 60–62. 17 R. B. Finnestad, Temples of the Ptolemaic and Roman Periods. Ancient Traditions in New Contexts, in: B. E. Shafer (Hgg.), Temples of Ancient Egypt. London / New York 1997, 225–226; K. MyĞliwiec, Eros on the Nile, 90. 18 D. Kurth, Die Reise der Hathor von Dendera nach Edfu, in: R. Gundlach / M. Rochholz (Hgg.), Ägyptische Tempel-Struktur, Funktion und Programm. Akten der Ägyptologischen Tempeltagungen in Gosen 1990 und in Mainz 1992, HÄB 37, Hildesheim 1994, 213–216; Altenmüller, H., Die Fahrt der Hathor nach Edfu und die Heilige Hochzeit, in: W. Clarysse / A. Schoors / H. Willems (Hgg.), Egyptian Religion. The Last Thousand Years. Studies Dedicated to the Memory of Jan Quaegebeur I, OLA 84, Löwen 1998, 755. 19 Goyon, J.-C., Le Rituel du sHtp sxmt au changement de cycle annuel, BdE 141, Kairo 2006, 75, 158. 20 W. Erichsen, Papyrus Harris I. Hieroglyphische Transkription. BiAe 5, Brüssel 1933, 55.2–5. 21 K. MyĞliwiec, Eros on the Nile, 90.

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Hügel von Djeme ist, und mögen eure Frauen für Hathor, die Herrin des Westens, feiern, damit sie veranlasst, dass sie (die Frauen) für euch Männer und Frauen (lies: Jungen und Mädchen) gebären.“22 Auf der Stele BM 278 des Kenherkhepeshef, aus der 20. Dynastie ist zu lesen: ms=j m pAy wbA pA rwty r-gs 9srt r-sAH r Mn-st – „Ich wurde in diesem Vorhof, dem Tor neben Djeseret, hinter Menset, erzeugt.“23 Im gleichen Zusammenhang sollte eine Steatitschale mit einer demotischen Inschrift, die sich im British Museum befindet, erwähnt werden. Die Inschrift lautet: m-bAH pA Ts Gbty pA nTr aA n-Dr.t (n) bAk PA-dj-Hr-pA-Xrd sA Ns-9Hwty – „In Anwesenheit des Herrn von Koptos, des großen Gottes, von der Hand des Dieners Padihorpahered, Sohn von Nesdjehuty.“24 Auf der Schale sieht man eine Prozession von Figuren, die Musikinstrumente spielen und sich einem säulenförmigen Gebäude nähern. Das Gebäude steht im Zusammenhang mit Hathor, da das Gesicht der Göttin zwischen zwei Lotussäulen dargestellt wird. Eine der abgebildeten weiblichen Figuren schlägt ihr Gesäß.25 Das säulenförmige Gebäude könnte als Tempelkammer, Hypostylhalle oder „Halle der Trunkenheit“ (wAxy) angesehen werden, in welcher Festteilnehmer durch Trinken und Geschlechtsverkehr (sAb sS – „wandern durch die Sümpfe“) ekstatische Erfahrungen, wie zum Beispiel Visionen der Göttin (und vielleicht ihrer Statue), hatten.26 Dies ist wiederum in den demotischen Ostraka Faculteit Letteren (K.U. Löwen) 1. und 2. der ptolemäischen Periode belegt.27 Es wurde vor Kurzem vorgeschlagen, dass die „Halle der Trunkenheit“ bereits Teil der Tempel im Neuen Reich war.28 Der Geschlechtsverkehr in einer solchen Halle könnte die mythologisch belegte, erotische Begegnung mit der Göttin im Sumpf (die Hirtengeschichte, s. u.) replizieren.29 Erotische Begegnungen während der Feste sind vielleicht auf dem Turiner Papyrus 55001 dargestellt. Die männliche Figur auf diesem Papyrus kann ikonographisch als Priester von Hathor interpretiert werden,30 während die weibliche Figur im Begleittext als Sängerin 22 J. C. Darnell, Hathor Returns to Medamud, 57. 23 M. L. Bierbrier, Hieroglyphic Texts from Egyptian Stelae, London 1982, Pl. 86. 24 A. F. Shore, A Rare Example of a Dedicatory Inscription in Early Demotic, in: The British Museum Quarterly 29.1/2 (1964–1965), 20. 25 A. F. Shore, in: The British Museum Quarterly 29.1/2 (1964–1965), Fig. 9. 26 Für die Beschreibung der Halle s. J. C. Darnell, Hathor Returns to Medamud, 52–23; R. Jasnow / M. Smith, ‘As for Those Who have Called me Evil, Mut will Call them Evil’, 38. 27 Diese Ostraka beschreiben festliche Aktivitäten, wie Trinken, Essen, Singen und Geschlechtsverkehr haben für die Göttinnen Nehemanit und Ai, M. Depauw / M. Smith, Visions of Ecstasy. Cultic Revelry before the goddess Ai / Nehemanit. Ostraca Faculteit Letteren (K.U. Leuven) dem. 1–2, in: F. Hoffmann / H. J. Thisssen (Hgg.), Res Severa Verum Gaudum. Festschrift für Karl-Theodor Zauzich zum 65. Geburtstag am 8. Juni 2004, Studia Demotica 6, Löwen 2004, 83–89. 28 B. Bryan, Hatshepsut and Cultic Revelries in the New Kingdom, in: J. M. Galán / B. M. Bryan / P. F. Dorman (Hgg.), Creativity and Innovation in the Reign of Hatshepsut. Papers from the Theban Workshop 2010. Occasional Proceedings of the Theban Workshop, SAOC 69, Chicago 2014, 103–106. 29 Zur Rolle des Geschlechtsverkehrs in den Feierlichkeiten der Rückkehr der gefährlichen Göttin s. A. von Lieven, Wein, Weib und Gesang – Rituale für die Gefährliche Göttin, in: C. Metzner-Nebelsick (Hgg.), Rituale in der Vorgeschichte, Antike und Gegenwart. Studien zur Vorderasiatischen, Prähistorischen und Klassischen Archäologie, Ägyptologie, Alten Geschichte, Theologie und Religionswissenschaft. Interdisziplinäre Tagung vom 1.–2. Februar 2002 an der Freien Universität Berlin, Rahden 2003, 51–53. 30 A. von Lieven, Wein, Wein und Gesang, 52. Die männliche Figur hat die gleiche Frisur wie der Priester von Hathor, der als jAs – „der Kahle“ bekannt ist: J. J. Clère, Les Chauves d’Hathor, OLA 63, Löwen 1995.

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identifiziert wurde.31 Jedoch ähnelt ihre Haltung der einiger Göttinnen wie Nut, Hathor oder Anat,32 was darauf hindeuten könnte, dass die Darstellung auf dem Papyrus eine Mythologisierung der erotischen Begegnungen während des Fests ist. Während des Festes hätten die Geschlechtsakte dann dazu beigetragen, die wiederkehrende gefährliche Göttin zu beruhigen. Tatsächlich könnte die Rückkehr der Göttin im Tempel von Mut wiederholt worden sein, da sich das Hypostyl mit der Erwähnung der Halle der Trunkenheit dem heiligen See gegenüber befindet. Der Zugang zu diesem Teil des Tempels für betrunkene Festteilnehmer hätte aber eingeschränkt werden können. Die oben angeführten Argumente weisen darauf hin, dass Gottheiten in Form von Statuen erotische Begegnungen haben konnten. Die Menschen sind von solchen Begegnungen ausgeschlossen, außer in solchen Fällen, in denen die Visionen der Gottheiten die Ekstase der Menschen beeinflusst haben. So kann man sagen, dass die Statuen über ein sekundäres Handlungspotential verfügen und reale Auswirkungen auf Menschen und deren erotische Begegnungen und Fruchtbarkeit hatten. Wie weiter unten diskutiert wird, ist Agalmatophilie – oder die Liebe zu (Kult-) Statuen – nicht belegt, zumindest nicht als direkte Begegnung zwischen Menschen und Götterstatuen. 3 Geschlechtsverkehr zwischen Gottheiten und Menschen – Altägyptische Hierogamie Die Hirtengeschichte (Papyrus Berlin 3024) ist ein nur fragmentarisch erhaltenes Werk der 12. Dynastie und berichtet von der Begegnung eines Hirten mit einer Göttin. Es wird berichtet, wie er zu einem Teich neben dem Weideland gegangen war und dort eine Frau getroffen habe, deren Aussehen und Worte ihn in große Furcht versetzt hatten: jw mA.n=j s.t-Hm.t jm=f nn sj m twt.w33 rmT.w Sny=j Ddf.w mAA=j srw.w=s34 n naa n jwn=s nn sp jrj=j Dd.t.n=s SfSf.t=s xt Haw=j – „Ich habe eine Frau darin (im Teich) gesehen; sie war nicht von Menschengestalt. Mein Haar sträubte sich, als ich ihre Schmuckbänder sah, wegen der Glätte ihrer Haut. Ich werde niemals tun was sie sagte, da die Angst vor ihr in meinem Körper ist.“35 31 J. A. Omlin, Der Papyrus 55001 und seine satirisch-erotischen Zeichnungen, Catalogo del Museo Egizio di Torino, Serie prima – Monumenti e testi 3, Turin 1973, 70, Taf. IX. 32 In einem Fall ist die weibliche Figur als Gottin Nut dargestellt und wird von der männlichen Figur penetriert. Die weibliche Figur ist auch in einem Wagen abgebildet, in dem sie von hinten von der männlichen Figur in einem coitus et tergo penetriert wird. Die Göttin Anat ist mit dem Wagen verbunden und ist bei der Vergewaltigung durch Seth im coitus et tergo belegt: M. Orriols-Llonch, Léxico e iconografía erótica del antiguo Egipto. La copula a tergo, Trabajos de Egiptología 5/2 (2009), 125௅126. 33 Ich folge der Lesung von Thomas Schneider. Zu anderen Lesungen mit Literatur und Kommentaren s. T. Schneider, Contextualising the Tale of the Herdsman, in: T. Schneider / K. Szpakowska (Hgg.), Egyptian Stories. A British Egyptological Tribute to Alan B. Lloyd on the Occasion of His Retirement, AOAT 347, Münster 2007, 311–312; s. a. J. C. Darnell, A Midsummer Night’s Succubus – The Herdsman’s Encounter in P. Berlin 3024, The Pleasures of Fishing and Fowling, The Songs of the Drinking Place, and Ancient Egyptian Love Poetry, in: S. C. Melville / A. L. Slotsky (Hgg.), Opening the Tablet Box. Near Eastern Studies in Honor of Benjamin R. Foster. CHANE 42, Leiden / Boston 2010, 102; J. P. Allen, Middle Egyptian Literature. Eight Literary Works of the Middle Kingdom, Cambridge 2015, 362. 34 Nach Meinung von James P. Allen wird das Fell eines Esels als Kopfbedeckung von Frauen, die Isis und Nephthys vertreten, verwendet. Deswegen identifiziert Allen die Göttin aus der Hirtengeschichte mit Isis oder Nephthys, J. P. Allen, Middle Egyptian Literature, 362. 35 T. Schneider, Contextualising the Tale of the Herdsman, 311.

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Der Teich als Ort der Begegnung36 zwischen einem Mann und einer Frau bzw. Göttin findet sich nicht nur in Liebesgedichten des Neuen Reiches37, sondern auch in der Phrase sAb sS – „wandern durch die Sümpfe“. Diese Phrase ist in der ptolemäischen MedamudHymne an Hathor belegt38 und steht – wie oben schon argumentiert – in starker Verbindung mit dem Geschlechtsverkehr während der Feste. Allerdings ist die erste Begegnung mit der Göttin wahrscheinlich eine Begegnung mit ihrer gefährlichen Form.39 Erst nach ihrer Beruhigung kam sie selbst zudem Hirten.40 Dennoch ist es wichtig zu betonen, dass hier kein Geschlechtsverkehr zwischen einem Mann und einer Göttin geschieht. Allerdings können Frauen, wie in der Geburtslegende bezeugt, von Göttern geschwängert werden. Über Ruddjedet wissen wir aus dem Papyrus Westcar (Papyrus Berlin 3033, 9. 9–10)41 Folgendes: Hm.t wab pw n(j) Ra nb 4AXb.w jwr.tj m Xrd.w 3 n(j) Ra nb 4AXb.w – „Sie ist die Frau eines wab-Priesters des Re, Herr von Sakhebu, die schwanger ist mit 3 Kindern des Re, dem Herrn von Sakhebu“42. Inzwischen sind, auch aus dem Pyramidenkomplex von Djedkare (Ausgrabung Nummer 426)43 und auf dem Aufweg von Senwosret III. in Dahshur, Elemente der göttlichen Geburtslegende bekannt, die eine Rede von Re und – in Dahshur – einen Verweis auf die göttliche Geburt von Senwosret III enthalten.44 Die vollständigsten Belege stammen jedoch aus Deir el-Bahari (Hatschepsut) und Luxor (Amenhotep III). Auf die komplexen Details dieser Berichte kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Kurz gefasst sind die erotischen Elemente der Begegnung Amuns mit den Königinnen Ahmose und Mutemwiya das Thema des Textes der Geburtslegende.

36 S. Caramello, The Stretch of Water as a Place of Seduction, in: L. M. Araújo / J. Das C. Sales (Hgg.), Erotica, Erotism and Sexuality in Ancient Egypt, Proceedings of the Second International Congress for Young Egyptologists, Lisbon 23–26 October 2006, Lissabon 2007, 539–544. 37 Zum sumpfigen Rahmender erotischen Begegnung s. J. C. Darnell, The Rituals of Love in Ancient Egypt. Festival Songs of the Eighteenth Dynasty and the Ramesside Love Poetry, in: WdO 46.1 (2016), 22–23. 38 J. C. Darnell, Hathor Returns to Medamud, 49–50. 39 J. C. Darnell, A Midsummer Night’s Succubus, 100, 118, 131. 40 T. Schneider, Contextualising the Tale of the Herdsman, 316. 41 A. M. Blackman, The Story of King Kheops and the Magicians. Transcribed from Papyrus Westcar (Berlin Papyrus 3033), Reading 1988, 11–12. 42 Zu dieser Passage s. u. a V. M. Lepper, Untersuchungen zu pWestcar. Eine philologische und literaturwissenschaftliche (Neu-) Analyse, ÄA 70, Wiesbaden 2008, 148, 188௅189, 318௅319 Die Kinder werden mit Glieder aus Gold und (Kopf)tücher aus echtem Lapislazuli beschrieben, V. M. Lepper, Untersuchungen zu pWestcar, 49. Dies deutet auf göttlichen Ursprung hin; Für eine Zusammenfassung historischer Interpretationen s. R. Gundacker, The Chronology of the Third and Fourth Dynasties according to Manetho’s Aegyptiaca, in: P. Der Manuelian / T. Scheiner (Hgg.), Towards a New History for the Egyptian Old Kingdom. Perspectives on the Pyramid Age, HES 1, Leiden / Boston 2015, 156f., 310. 43 M. Megahed / H. Vymazalová, H., The South Saqqara Circumcision Scene. A Fragment of an Old Kingdom Birth-Legend, in: F. Coppens / J. Janák / H. Vymazalová (Hgg.), Royal versus Divine Authority. Acquisition, Legitimization and Renewal of Power. 7th Symposium on Egyptian Royal Ideology. Prague, June 26–28, 2013, KSG 4,4, Wiesbaden 2015, 275–277. 44 A. Oppenheim, The Early Life of Pharaoh: Divine Birth and Adolescence Scenes in the Causeway of Senwosret III at Dahshur, in: M. Bárta / F. Coppens / J. Krejþí (Hgg.), Abusir and Saqqara in the Year 2010/2011, Prag 2011, 171, 183.

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Im Text steht geschrieben, dass die Frauen vom Duft der Götter aufgeweckt wurden. Sie lächelten ihn an. Er „breitete sich“ zu ihnen aus. Sie freuten sich, sein nfr (Phallus45) zu sehen. Seine Liebe (mrw.t=f) ging in ihren Körper und der ganze Palast roch nach Punt.46 Die meisten Ägyptologen interpretieren das Wort nfr hier als die Schönheit des Gottes. Manche argumentieren jedoch, es sei klar, dass es sich um seinen Phallus handeln müsse.47 Das ist nicht das einzige Wort mit einer erotischen Konnotation im Text der göttlichen Geburtslegende. Das Verb HAd –„sich ausbreiten“ wird mit einem Phallus-Determinativ geschrieben.48 Das Wort Liebe (mrw.t) bezieht sich, in den Liebesgedichten des Neuen Reiches, auf den Geschlechtsverkehr.49 Eine erotische Atmosphäre wird auch durch die Hinweise auf einen Duft erreicht.50 Allerdings ist es möglich, dass das, womit wir es hier zu tun haben, noch deutlicher ist, nämlich, dass der Palast erst nach Punt roch, nachdem die Liebe des Gottes in den Körper der Königin gelangt war. Mit dem Geruch von Punt ist Weihrauch gemeint, der als weiße klebrige Flüssigkeit geerntet wird.51 Nachdem diese Flüssigkeit ausgetrocknet ist, wird sie glitzernd gelb. Der Palast roch wie der Körper von Amun und alle seine Substanzen. Es ist interessant, dass sich sowohl im Papyrus Westcar als auch in der göttlichen Geburtslegende von Hatschepsut und Amenhotep III der lustvolle Gott verheirateten Frauen nähert, denn Ruddjedet ist Ehefrau eines Priesters und Ahmose und Mutemwiya Ehefrauen

45 S. Fußnote 13. 46 Urk. IV, 219.13–220.6 47 Für eine ausführliche Diskussion mit weiteren Referenzen s. zuletzt U. Matiü, The Sap of Life. Materiality and Sex in the Divine Birth Legend of Hatshepsut and Amenhotep III, in: R. Lemos / C. Velloza / E. Meynart (Hgg.), Perspectives on Materiality in Ancient Egypt. Agency, Cultural Reproduction and Change, Oxford 2017. 48 Wb III, 36.10; Alexandra von Lieven übersetzt das Verb hier als „in Erregung geraten“: A. von Lieven, Jungfräuliche Mütter? Eine ägyptologische Perspektive, in: T. Södling (Hgg.), Zu Bethlehem geboren? Das Jesus-Buch Benedikts XVI. und die Wissenschaft. Theologie kontrovers, Freiburg 2013, 159; Das Verb HAd – „sich geschlechtlich befriedigen“ ist in Papyrus Bremner-Rhind (26,24–27,1) aus dem 4. Jh. v. Chr. belegt: HAd=j m xfa=j dtAy.n=j m Dr.t=j – „ich befriedigte mich mit meiner Faust, und ich betätigte mich geschlechtlich mit meiner Hand“: R. O. Faulkner, The Papyrus Bremner-Rhind (British Museum No. 10188), BiAe 3, Brüssel 1933, 60. 11. Das Verb ist auch in der dritten Szene (C3, 102) im ersten Register des Umgangs im Athribis Tempel von Ptolemaios XII in der Rede des Königs belegt: C. Leitz / D. Mendel / Y. El-Masry, Athribis II. Der Tempel Ptolemaios XII. Die Inschriften und Reliefs der Opfersäle, des Umgangs und der Sanktuarräume. Band 1. Text: Die Opfersäle und der Umgang, Kairo 2010, XXIIIf., 56, 259. Auch in Papyrus Tebtunis Fragment X 3,3–4,7 aus dem 2. Jh. n. Chr., in einer Beschreibung der Erscheinungsformen der Hathor, ist dieses Verb belegt: Dr.t pw n Ra m-xt jHAd=f jm=s – „Das ist die Hand des Re, nachdem er sich befriedigt hatte mit ihr“: J. Osing, Hieratische Papyri aus Tebtunis I. Text, The Carlsberg Papyri 2, Kopenhagen 1998, 167. Es bleibt unklar, inwieweit dieses Verb mit dem Verb HAd „sich ausbreiten“ verwandt ist, Osing, Hieratische Papyri aus Tebtunis I, 168. Die erotische Konnotation von HAd ist jedenfalls eindeutig und die von HAd durch den Kontext angezeigt. Ich danke Alexandra von Lieven recht herzlich für den Hinweis, das Verb HAd in Papyrus Bremner-Rhind und im Athribis-Tempel-Text genauer anzuschauen. 49 S.-W. Hsu, The Images of Love. The Use of Figurative Expressions in Ancient Egyptian Love Songs. Or 83 (2014), 409. 50 A. Verbovsek / B. Backes, Sinne und Sinnlichkeit in den ägyptischen Liebesliedern, in: H. Navrátilová / R. Landgráfová (Hgg.), Sex and the Golden Goddess II. World of the Love Songs, Prag 2015, 109–110. 51 Amun ist als aus Punt kommend belegt und als Beschützer dieses Landes, Urk. IV, 345.6–8.

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Ägyptische Gottheiten und ars erotica

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der Könige Thutmosis I. und Thutmosis IV.52 Im Gegensatz dazu bevorzugen griechische Götter Jungfrauen, obwohl einige Ausnahmen bekannt sind, wie z. B. Alkmene, die Ehefrau von Amphitryon und Mutter von Iphikles und Laonome. Sie ist die Mutter von Herakles, dessen Vater Zeus ist. Zeus schwängerte auch Leda, Ehefrau des spartanischen Königs Tyndareos, obwohl auch Tyndareos in dieser Nacht mit ihr schlief. Auch König Nektanebos II. maskiert sich als Gott Amun und verführt Olympia, die Mutter von Alexander dem Großen und Ehefrau Philipps II. von Makedonien.53 Neben Re und Amun ist belegt, dass auch Osiris Geschlechtsverkehr mit Frauen haben kann. In einem Totenbuch-Spruch54 im Text von Papyrus Leiden T20 und Papyrus Louvre 3128 aus der ptolemäische Zeit ist über Osiris geschrieben: mtA=k m-Xnw xnm.wt – „Dein Phallus ist in den Chenemet-Frauen.“55 Das Wort xnm.wt ist mit dem Phallus determiniert, was nach der Meinung von Joachim Friedrich Quack Rückschlüsse auf die wesentliche Aktivität (Prostitution) dieser Frauengruppe erlauben würde.56 Es ist hier dennoch wichtig zu betonen, dass diese Frauen menschlich sind, denn wenn die Interpretation dieser Frauen als Prostituierte richtig ist, dann handelt es sich hier wieder um den Geschlechtsverkehr zwischen einem Gott und nicht-jungfräulichen Frauen. Die Hirtengeschichte (Papyrus Berlin 3024) weist darauf hin, dass erotische Begegnungen zwischen Männern und Göttinnen erschrecken können und gefährlich sind.57 Nur die königlichen Mütter können, als Teil der königlichen Ontogenese, Geschlechtsverkehr mit einem Gott haben. Der Fall von Osiris und den Chenemet-Frauen bleibt vorerst ein Rätsel.

52 Wie Alexandra von Lieven bemerkt hat, werden Ahmose und Mutemwiya bereits als verheiratet vorgestellt, womit man davon ausgehen kann, dass sie keine Jungfrauen im sexuellen Sinne sind, A. von Lieven, Jungfräuliche Mütter? Eine ägyptologische Perspektive, 158. 53 L. Koenen, The Dream of Nektanebos, BASP 22 (1985), 192௅193. 54 Es gibt einige Elemente in dem Spruch (z. B. „Der Spruch um zu erlauben, dass ein Mann oder eine Frau in einer Nekropole ungestört sind“), die erlauben, den Spruch als Tb 162 zu identifizieren. Im Vergleich zu anderen Belegstellen von Tb 162 unterscheidet sich Papyrus Leiden T20 beachtlich in seinem Inhalt. Dementsprechend ist der Phallus des Osiris, der sich in den Chenemet-Frauen befindet, in 14 Papyri mit dem Spruch Tb 162 nicht belegt: A. Wüthrich, Édition synoptique et traduction des chapitres supplémentaires du Livre des Morts 162 à 167, SAT 19, Wiesbaden 2015, 32–79. Jedoch ist in 11 Papyri ein Gott, der als Amun zu identifizieren ist, als Herr des Phallus belegt: A. Wüthrich, Édition synoptique et traduction des chapitres supplémentaires du Livre des Morts 162 à 167, 37f. 55 M. Allam, Der Totenbuchspruch 162*a im Papyrus Leiden T20 (Inv. NR. AMS 47A), in: ASAE 80 (2006), 48. 56 Quack kommentiert, dass, obwohl die sexuelle Aktivität der betreffenden Frauen klar herauskommt, man trotzdem keinen Umgang von Osiris mit Prostituierten erwartet, wenn man xnm.wt als Prostituierte interpretiert: J. F. Quack, Herodot, Strabo und die Pallakide von Theben, in: T. S. Scheer (Hgg.), Tempelprostitution im Altertum. Fakten und Fiktionen, Oikumene Studien zur antiken Weltgeschichte 6, Berlin 2009, 158. 57 Eine mögliche Ausnahme ist die Darstellung von Senwosret I und der Göttin Satet auf dem „BarkenHeiligtum“ auf Elephantine in der Geste von Amun und den Königinnen Ahmose und Mutemwiya in Deir el-Bahari und Luxor. Ich möchte mich an dieser Stelle, bei Dietrich Raue, für den Hinweis bedanken.

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4 Geschlechtsverkehr zwischen „Gottheiten als Tieren“ und Menschen Verschiedene Erwähnungen sexueller Aktivitäten mit Frauen von Banebdjed, Widder von Mendes, sind bei Pindarus58, Herodot59, Clemens von Alexandria und Cosmas von Jerusalem belegt, was später zu zahlreichen Missverständnissen führte.60 Sexuelle Metaphern, in denen der Gott mit Frauen verkehrt, sind in den Texten der Spätzeit und Ptolemäerzeit gut belegt.61 Ihre Rolle besteht darin, die allmächtige göttliche Fruchtbarkeit zu betonen. Die Idee eines Bocks, der mit Frauen in Mendes kopuliert, weil der Bock das heilige Tier der Stadt und Verkörperung von Banebdjedet war, ist ein Missverständnis der altägyptischen religiösen Ideen und Praktiken.62 Diodorus Siculus schreibt, dass nach der Beerdigung des Apis-Stieres und der Wiedereinsetzung des neuen Stiers, ausschließlich Frauen für 40 Tage den Stier betrachten konnten. Sie zeigten ihm ihre Genitalien im Heiligtum von Ptah in Memphis.63 Nach Lise Manniche war es die Absicht der Frauen, mit dieser Aktion die Virilität des Gottes zu stimulieren.64 Laut Karol MyĞliwiec haben die Frauen die Fruchtbarkeit des Apis mitempfunden.65 In der Tat ist die Vorführung der weiblichen Genitalien, um den Gott zu stimulieren, in Papyrus Chester Beatty I, 3, 13–4,2 belegt.66 Allerdings war Apis in dem Stadium, 58 Pindarus wird von Strabo in seiner Beschreibung von Mendes zitiert: Strabo 17.1.19. Laut Strabo berichtet Pindarus, dass in Mendes Ziegen Geschlechtsverkehr mit Frauen haben: Y. Volokhine, Pan en Egypte et le « bouc » de Mendès, in: F. Prescendi / Y. Volokhine (Hgg.), Dans le laboratoire de l’historien des religions. Mélanges offerts à Philippe Borgeaud, Fribourg 2011, 629. 59 Nach Herodot geschah in seiner Zeit ein Wunder in Mendes, bei dem ein Ziegenbock öffentlich Verkehr mit einer Frau hatte: Y. Volokhine, Pan en Egypte et le « bouc » de Mendès, 629. 60 Für einen Überblick der Quellen mit Diskussion s. P. Derchain, Mendès et les femmes, Enchoria 25 (1999), 20௅21. Zum Vergleich mit alten ägyptischen Texten nebst einer Diskussion über spätere Empfänge s. Y. Volokhine, Pan en Egypte et le « bouc » de Mendès, in: F. Prescendi / Y. Volokhine (Hgg.), Dans le laboratoire de l’historien des religions. Mélanges offerts à Philippe Borgeaud. Fribourg 2011, 627௅647. 61 Papyrus Brooklyn 47. 218. 84 (Delta Manual XI, 9-XII, 2) beschreibt einen Gott aus Mendes als Wirbelsäule von Osiris und eine einigmatische Vagina aus Metall in der Nähe von Djed-Pfeilern, D. Meeks, Mythes et légendes du Delta d’après le papyrus Brooklyn 47.218.84, MIFAO 125, Kairo 2006, 25, 264. In einem Ritual belegt im Tempel von Edfu (IV, 302, 8-11) und datiert in der Zeit von Ptolemaios VIII. Euergetes II., wurde geschrieben, dass der Gott das Ei der schwangeren Frau groß macht: Derchain, Mendès et les femmes, 21; In einem Ritual „Transmission du tour aux êtres féminins“, belegt im Tempel von Esna, wurde die Fruchtbarkeit des Gottes Khnum an die Menschen übertragen, E III, 320, 21–22, S. Sauneron, Esna V. Les fêtes religieuses d’Esna. Aux derniers siècles du paganisme, Kairo 1962, 234௅236; Ich danke Abraham Ignacio Fernández Pichel recht herzlich für den Hinweis, dieses Ritual genauer zu betrachten. 62 Ein kurioses Artefakt (Gipsform) mit einer Darstellung eines Ziegenbocks, der in coitus et tergo mit einer Frau kopuliert, wurde in Zusammenhang mit antiken Quellen gebracht: G. Michaïlidis, Moule illustrant un texte d’Hérodote relative au bouc de Menès, in: BIFAO 63 (1965), 139௅160. Herkunft und Datierung dieses Objekts sind unklar. 63 Diodorus I, 85. 2–3, C. H. Oldfather, Diodorus Siculus, Library of History, vol. I (Book I and II, 1–34), The Loeb Classical Library 279, London / Cambridge 1935, 293. 64 L. Manniche, L, Sexual Life in Ancient Egypt, 10. 65 K. MyĞliwiec, Eros on the Nile, 77. 66 A. H. Gardiner, The Library of A. Chester Beatty, 16. Dass diese Handlungen lange rituelle Traditionen haben, wird durch den koptischen Zauberspruch (Text 79) aus London Hay 10414 bestätigt. Hier ist beschrieben, dass der Geliebte ihre Robe an ihren Hals ziehen wird: M. W. Meyer / R. Smith, Ancient Christian Magic: Coptic Texts of Ritual Power, Princeton 1999, 150.

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das Diodorus beschreibt, noch ein Kalb. Laut Dominic Montserrat beschreibt der 40-tägige Zeitraum, in dem Frauen Zugang zum Apis-Stier hatten, jenen 40-tägigen Zeitraum, in dem ein Neugeborenes in einem gefährlichen Grenzzustand ist. Er schlägt also eine apotropäische Natur der Handlungen dieser Frauen vor.67 Dennoch berichtet Herodot über die Frauen, dass diese in jeder Stadt, in der sie für das Fest von Bastet auf ihrem Weg zu Bubastis stoppten, auch ihre Genitalien zeigten.68 Des Weiteren schlägt Jens Black Jørgensen vor, dass die Frauen, die ihre Genitalien auf dem Weg zum Fest der Bastet zeigten, das Menstruations-Tabu gebrochen hätten.69 Dies könnte mit der Umwandlung der Göttin von einem Mädchen zu einer Frau zusammenhängen.70 Wir wissen von einem Fest der Trunkenheit für die Göttin Bastet aus dem Papyrus Carlsberg 69, PSI D99, Papyrus Tabtunis Tait 10 und dem Papyrus London BM 10861 aus der Römerzeit (2. Jh. n. Chr.). Der Text erwähnt die Göttin Bastet – und ihren mindestens einmaligen Geschlechtsverkehr unter den Menschen – mit einer detaillierten Beschreibung des Aktes.71 Allerdings beschreibt Herodot nur, was sich auf dem Weg nach Bubastis abspielte 67 D. Montserrat, Sex and Society in Graeco-Roman Egypt, New York 1996, 169. 68 Herodotus, II. 60, A. D. Godley, Herodotus, Histories, vol. I (Book I and II), The Loeb Classical Library 117, London 1920, 346–347. 69 J. K. B. Jørgensen, Myths, Menarche and the Return of the Goddess, in: R. Nyord / K. Ryholt (Hgg.), Lotus and Laurel: Studies on Egyptian Language and Religion in Honour of Paul John Frandsen, CNIP 39, Kopenhagen 2015, 148; Er stützte seine Interpretation auf die Passagen aus dem Papyrus Brooklyn 47. 218. 84 (Delta Manual IX, 2-3) der 26. Dynastie, in dem das Herauskommen der Göttin mit ihrer Menstruation und der Transformation des Menstruationsblutes in Türkis verbunden ist: D. Meeks, Mythes et légendes du Delta d’après le papyrus Brooklyn 47.218.84, 19; Die Transformation des Menstruationsblutes in Türkis erinnert an das „Hathor im Berg-Motiv“ als direkte Assoziation göttlichen Erscheinens mit der Materialität des Felsens: U. Rummel, Der Leib der Göttin. Materialität und Semantik ägyptischer Felslandschaft, in: S. Beck / B. Backes / I-Ting Liao / H. Simon / A. Verbovsek (Hgg.), Gebauter Raum. Architektur–Landschaft–Mensch. Beiträge des fünften Münchner Arbeitskreises Junge Aegyptologie (MAJA 5) 12.12. bis 14.12.2014, GOF IV/62, Wiesbaden 2016, 51. Es ist auch möglich, dass dies mit dem Mythos der Entjungferung der Göttin zusammenhängt, wie es in einem Zauberspruch auf eine Statue (Kairo JdE 69771) aus der Zeit von Ramses III. belegt ist. In diesem Zauberspruch, der Skorpione abwehren soll, wird die Entjungferung der Göttin TA.bjtt durch Horus erwähnt: S. Schreiber, „Keusch wie kaum ein anderes Volk“?, 326–327. 70 Wenn das der Fall ist, dann ist diese Geschichte und vor allem auch die von Hathor und Re aus dem Papyrus Chester Beatty I als Parallele zur tatsächlichen Lebenssituation des Mädchens im alten Ägypten zu verstehen. Durch die Zeugnisse der Grabmalereien vom Alten bis zum Neuen Reich konnte bewiesen werden, dass die Zeit vor der Pubertät eine Altersstufe von sozialer und geschlechtlicher Ambiguität war. In der Zeit nach der Pubertät werden die Mädchen in den Bildern wie erwachsene Frauen präsentiert, was vom Vater in magischen Riten instrumentalisiert werden konnte: M. Wangert, Echte Wertschätzung oder nur ein Mittel zum Zweck? Das Bild des Mädchens in der Grabdekoration des pharaonischen Ägyptens, in: S. Moraw / A. Kieburg (Hgg.). Mädchen im Altertum, Frauen–Forschung– Archäologie 11, Münster / New York 2014, 91–103. 71 A. von Lieven, Wein, Weib und Gesang – Rituale für die gefährliche Göttin, 51; J. F.Quack, Einführung in die altägyptische Literaturgeschichte III. Die demotische und gräko-ägyptische Literatur, Einführungen und Quellentexte zur Ägyptologie 3, Berlin 2005, 85; F. Hoffmann / J. F. Quack, Anthologie der demotischen Literatur, Einführungen und Quellentexte zur Ägyptologie 4, Berlin 2007, 309–311; J. F. Quack, Where Once Was Love, Love Is No More? What Happens to Expressions of Love in Late Period Egypt?, in: WdO 46.1 (2006), 70–71; Steve Vinson verbindet den Bericht von Herodot mit der ersten Geschichte von Setne Khaemwas und Tabubu, die ein Kleid trug, in dem Setne jedes Glied von Ihr sah. Es ist für die Intepretation des Berichtes von Herodot interessant, dass Tabubu die Tochter des Propheten der Bastet war. S. Vinson, Through a Woman’s Eyes, and in a Woman’s Voice. Ihweret as Fo-

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und nicht, was während des Fests passierte. Außerdem sollten wir nicht ausschließen, dass Diodorus Aspekte des Göttinnenkultes auf den Kult des Apis übertragen haben könnte. 5 Geschlechtsverkehr zwischen „Gottheiten als Statuen“ und Menschen Auguste Mariette schreibt, dass, bei seiner Entdeckung einer großen Statue des Apis-Stiers innerhalb des Heiligtums in der Nähe des Serapeums im Jahre 1851, eine Gruppe von 15 Frauen aus lokalen Dörfern zu dieser Statue kam. Dem Bericht nach kletterten sie eine nach der anderen hinauf, um ihre Sterilität zu heilen.72 Dominic Montserrat hat diesen Bericht von Mariette bereits auf den oben erwähnten Bericht von Diodorus bezogen.73 Meiner Meinung nach kann eine solche Parallele den falschen Eindruck erwecken, die alten ägyptischen Materialitäten könnten heute noch ein Fruchtbarkeitshandlungspotential haben.74 Die Tatsache, dass verschiedene Objekte in modernen Fruchtbarkeitsritualen in Ägypten verwendet werden, spricht gegen die explizit sexuelle Vorstellung hinter diesen Handlungen. Dementsprechend gibt es keine direkte Verbindung zwischen dem Bericht des Diodor und dem von Mariette. Es scheint, dass diese

calizor in the First Tale of Setne Khaemwas, in: P. McKehnie / P. Guillaume (Hgg.), Ptolemy II. Philadelphus and his World, Leiden / Boston 2008, 337. Dazu können wir, auf Grund des Geschlechtsverkehrs, der mit dem dort behandelten Fest der Göttin Mut zusammenhängt, den sogennanten „Mut-Text“– demotischer Florenz-Papyrus (PSI Inv. [provv.] D114a+PSI Inv. 3056) aus dem späten 1. Jh. oder dem frühen 2. Jh. n. Chr. – hinzufügen. R. Jasnow / M. Smith, ‘As for Those Who have Called me Evil, Mut will Call them Evil’, 15. Zwölf neue Fragmente des Papyrus wurden vor Kurzem veröffentlicht: R. Jasnow / M. Smith, New Fragments of the Demotic Mut Text in Copenhagen and Florence, in: R. Jasnow / K. M. Cooney / K. E. Davis (Hgg.), Joyful in Thebes. Egyptological Studies in Honor of Betsy M. Bryan, Atlanta 2015, 239–282. Für eine andere Übersetzung, vor allem in Bezug auf das Wort TAy s. J. F. Quack, Quelques apports récents des études démotiques à la compréhension du livre II d'Hérodote, in: L. Coulon / P. Giovannelli / F. Kimmel-Clauzet (Hgg.), Hérodote et l’Égypte. Regards croisés sur le Livre II de l’Enquête d’Hérodote. Actes de la journée d’étude organisée à la Maison de l’Orient et de la Méditerranée – Lyon, le 10 mai 2010, Lyon 2013, 78–79. Demotische Ostraka Faculteit Letteren (K.U. Löwen) 1. und 2. beschreiben festliche Aktivitäten wie Trinken, Essen, Singen und Geschlechtsverkehr-Haben für die Göttinnen Nehemanit und Ai: M. Depauw / M. Smith, Visions of Ecstasy, 69–76; s. a. J. F. Quack, Where Once Was Love, Love is No More?, 71–73. 72 A. Mariette, Le Sérapeum de Memphis par Auguste Mariette-Pacha: Publié d’après le manuscrit d’auteur par G. Maspero, Paris 1882, 30. 73 D. Montserrat, Sex and Society in Graeco-Roman Egypt, New York 1996, 167–168. 74 Frauen aus Qantir und umliegenden Dörfern kommen heutzutage zur Statue von Ramses II. in Qantir, um Fruchtbarkeit und Nachkommenschaft zu sichern. Sie erzählen die Geschichten von dem „Pharao, der viele Kinder hatte“. Nadia El-Shohoumi berichtet, dass der Statuenrest einer Sphinx in Tell el-Dab‘a sehr lang eine bedeutende Rolle in den Fruchbarkeitsriten der Frauen spielte. Als der Statuenrest direkt vor dem österreichischen Grabungshaus stand, kamen von verschieden Orten des nördlichen Ägyptens, viele jung verheiratete Frauen zum „widerwärtigen Wasserbüffel“: N. El-Shohoumi, Der Tod im Leben. Eine vergleichende Analyse altägyptischer und rezenter ägyptischer Totenbräuche. Eine phänomenologische Studie, UZK ÖAI 22, Wien, 2004, 84. Die gleiche Praxis wird von Penelope Wilson berichtet. Sie schreibt, dass ein saitischer Sarkophag mit einem Deckel aus Sa el-Hagar aus dem Büro des örtlichen Inspektorats entfernt wurde, weil es regelmäßig von einheimischen Frauen besucht wurde, die in der Hoffnung, ein Kind zu empfangen, sich auf den Sarkophag setzten: P. Wilson, The Survey of Saïs (Sa el-Hagar) 1997–2002, MEES 77, London 2006, 224. Auch die halb eingegrabene Königsstatue auf Elephantine wird heute manchmal so verwendet.

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Objekte nicht gewählt werden, weil sie explizit sexuell konnotiert wären, sondern weil sie als Antiquitäten gelten, die mit magischer Kraft imprägniert sind.75 6 Fazit Bruno Latour argumentierte, dass die Welt der Menschen und die Welt der Dinge nicht voneinander zu trennen seien, immer schon vermischt waren und ihre Trennung geradezu charakteristisch für das Denken der Moderne sei.76 Dementsprechend können, wie in dieser Arbeit gezeigt, die Statuen der Gottheiten im alten Ägypten auch ein sekundäres sexuelles Handlungspotential haben. Wie oben belegt, können Gottheiten selbst als Statuen Geschlechtsverkehr haben. Sie können ebenfalls den Geschlechtsverkehr der Festteilnehmer und der Anbeter beeinflussen. Allerdings ist Agalmatophilie – oder die Liebe zu (Kult-) Statuen77 meines Wissens nach im alten Ägypten nicht belegt. Das Schweigen der Quellen zu diesem Thema ist jedoch weder Grund für die Annahme, noch für den Ausschluss einer solchen Tätigkeit.78 Die Erklärungen der Berichte über Agalmatophilie in der griechischen und römischen Welt beziehen sich in der Regel auf die Lebendigkeit der Statuen79 und damit auf ihr Handlungspotential.80 Psychologen bezweifeln die Glaubwürdigkeit der histo-

75 Bereits frühe Ethnologen in Ägypten argumentieren derart: W. S. Blackman, The FellƗতƯn of Upper Egypt. Their Religious Social and Industrial Life to-Day with Special References to Survivals from Ancient Times, London / Bombay / Sydney 1927, 97–108. Dies zeigt, mit mehreren Beispielen, auch die jüngste ethnographische Forschung in Ägypten: N. El-Shohoumi, Der Tod im Leben, 84–85; Unter Berücksichtigung der Rolle des Menstruationszyklus, ist es möglich, dass es sich um eine Form von magischer longue durée handelt. 76 Nach der Meinung von Latour bestehen, auf der Ebene der gesellschaftlichen Praxis, Mischungen zwischen Menschen und Objekten, zu denen er auch Tiere und Pflanzen zählt. Die Moderne verhalte sich dieser Praxis gegenüber asymmetrisch und schaffe zwei getrennte ontologische Zonen: die der Menschen einerseits, die der nicht-menschlichen Wesen andererseits: B. Latour, We Have Never Been Modern, 10–12. 77 Dies ist gut belegt, sowohl in „vor-modernen“ als auch in „modernen“ Gesellschaften. Für den umfangreichsten Überblick bis heute s. G. L. Hersey, Falling in Love with Statues. Artificial Humans from Pygmalion to the Present, Chicago / London 2009. 78 Ein athenischer Bürger am Ende des fünften Jhs. v. Chr. könnte eine Statue eines athletischen jungen Mannes in genau der gleichen Weise bewundern und vielleicht sogar begehren wie er einen Jungen selbst bewundern und begehren konnte: W. Davis, Queer Beauty. Sexuality and Aesthetics from Winckelmann to Freud and Beyond, New York 2010, 10. 79 In seinem Drama „Alcestis“ schreibt Euripides, dass Admetus zu seiner Frau Alcestis sagt, er werde einen Bildhauer finden, um eine Statue nach ihrem Gleichnis zu meißeln. Admetus sagt, er würde die Statue auf dem Bett verbergen, sie umarmen und mit dem Namen seiner Frau anrufen. In Buch 13 der „Heroides“ schreibt Ovid, dass Laodomia eine Wachsfigur hatte, um sie an ihren Mann Protesilaos zu erinnern. Dieser Figur fehlte die Stimme ihres Mannes, aber sie umarmte sie dennoch. Vielleicht ist das berühmteste Beispiel die Statue der Aphrodite, die von Praxiteles angefertigt wurde. Sie wurde in einen offenen Schrein auf der Insel Knidos gestellt. Valerius Maximus schreibt, dass ihre Schönheit die Lust der Männer verrohte. Plinius der Ältere gibt an, dass die Lust eines Mannes einen Fleck auf der Statue hinterlassen hatte. Der Bericht von Pseudo Lucian ist sehr detailliert und er informiert uns, dass der Junge, der diesen Akt an der Statue der Göttin begangen hat, sich von der Klippe warf. Für diese und andere Beispiele s. A. Scobie / A. J. W. Taylor, Perversions Ancient and Modern: I. Agalmatophilia, the Statue Syndrome, Journal of the History of Behavioral Sciences 11.1 (1975), 49–54. 80 P. Stewart, Gell’s Idols and Roman Cult, in: R. Osborne / J. Tanner (Hgg.), Art’s Agency and Art History, New Interventions in Art History, Oxford 2007, 163.

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rischen Quellen für solche Praktiken.81 Die zahlreichen Berichte aus verschiedenen Kulturen weisen jedoch auf das Gegenteil hin.82 Wie bereits diskutiert, könnte jedoch das Bild der Göttin im alten Ägypten in Form ihrer Statue die erotische Erfahrung der Festteilnehmer wesentlich beeinflusst haben. Allerdings gibt es keinen Beweis für den Geschlechtsverkehr mit Statuen von Göttern und Göttinnen im alten Ägypten. Dies kann mit dem eingeschränkten Zugriff auf die Statuen der ägyptischen Gottheiten erklärt werden. Andererseits könnte dies ein Ergebnis tieferer ontologischer Unterschiede sein. Direkte erotische Begegnungen mit Gottheiten galten für alle außer den Müttern der Könige als erschreckend und gefährlich. Dies lässt sich mit kosmologischem Perspektivismus erklären.83 Obwohl Menschen und Gottheiten die gleiche Sexualkultur teilen, haben sie verschiedene Naturen. Der einzige Weg zum Geschlechtsverkehr ist der, ontologische Grenzen zu überqueren. Diese Möglichkeit beschränkt sich jedoch nur auf Gottheiten. Der lustvolle Gott im alten Ägypten nähert sich verheirateten und nicht-jungfräulichen Frauen wie Re der Ruddjedet, Amun der Königin und Osiris den Chenement-Frauen. Der erste Fall ist möglich, weil Ruddjedet, Ahmose und Mutemwiya nfr.wt waren.84 Der zweite Fall kann dadurch erklärt werden, dass Chenemet-Frauen keine Jungfrauen im sexuellen Sinne sind. Wir sollten auch nicht aus dem Blick verlieren, dass Menschen und Gottheiten verschiedene Naturen hatten. Plutarch schreibt, dass die Ägypter die Befruchtung einer Frau durch einen Gott als möglich ansahen (z. B. Re und Ruddjedet; Amun und Ahmose und Mutemwiya) und den Geschlechtsverkehr zwischen Göttinnen und Männern nicht (z. B. Die Hirtengeschichte).85 Er erklärt dies mit der Aussage, dass Göttinnen aus dünner Luft, feiner Hitze und Feuchtigkeit bestehen.86 In Anbetracht der in dieser Arbeit vorgestellten Beweise erklärt dies die Gefahr einer erotischen Begegnung zwischen Männern und Göttinnen. Eine solche Begegnung musste erschreckend sein, damit eine Göttin nicht von einem sterblichen Menschen befruchtet werden konnte. Im Gegenteil: Wäre dies passiert,

81 M. J. White, The Statue Syndrome. Perversion? Fantasy? Anecdote?, The Journal of Sex Research 14.4 (1978), 247. 82 G. L. Hersey, Falling in Love with Statues. 83 In der Ethnologie wird der Begriff des Perspektivismus vor allem von dem brasilianischen Forscher Eduardo Viveiros de Castro benutzt, um die Weltsicht der Arawaté-Indianer (Amazonien) zu beschreiben. Nach Viveiros de Castro werden bei den Arawaté Naturerscheinungen (Tieren, Pflanzen) einer Kultur (Subjektivität und Intentionalität) zugeschrieben. Unter normalen Umständen sehen sich die Amazonasindianer selbst als Menschen, Tiere als Tiere und Pflanzen als Pflanzen; aber Tiere, Pflanzen und Geister sehen sich selbst ebenfalls als menschlich (so begreifen z. B. Jaguare Blut als Maniokbier und ihre körperlichen Attribute wie z. B. Klauen, Federn und Fell als Körperschmuck): E. Viveiros de Castro, The Relative Native. Essays on Indigenous Conceptual Worlds, Chicago 2015. 84 Nfr.t – „mannbares Mädchen“, Wb II, 258.6–10. Ein Begriff für reife Frauen, die noch nicht geboren haben: L. Green, In Search of Ancient Egyptian Virgins. A Study in Comparative Values, JSSEA 28 (2001), 90–98. 85 Plutarch, Parallel Lives, Numa IV.4, B. Perrin, Plutarch’s Lives I. Theseus and Romulus, Lycurgus and Numa, Solon and Publicola, The Loeb Classical Library 46, Cambridge 1967, 318௅319. 86 Plutarch, Symposiacs, Book VIII, Question I. 3; W. W. Goodwin, Plutarch’s Morals III. Translated from the Greek by Several Hands, Boston 1911, 402.

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wäre die ontologische Hierarchie durch die Genderhierarchie gestört worden, da die Göttin in diesem Fall dem menschlichen männlichen Partner untergeordnet gewesen wäre.87 Danksagung Ich bedanke mich recht herzlich bei Dietrich Raue, Angelika Lohwasser, Annik Wüthrich, Alexandra von Lieven, Abraham Ignacio Fernández Pichel, Jens Joergensen und Edmund Meltzer für nützliche Kommentare und Literaturhinweise und bei Theresa Jürgens und Jakob Schneider für die Sprachkorrektur des Textes. Literaturverzeichnis Adams, B., A Lettuce for Min, in: Göttinger Miszellen 37 (1980), 9–16. Allam, M., Der Totenbuchspruch 162*a im Papyrus Leiden T20 (Inv. NR. AMS 47A), in: ASAE 80 (2006), 45–58. Allen, J. P., Middle Egyptian Literature. Eight Literary Works of the Middle Kingdom, Cambridge 2015. Altenmüller, H., Die Fahrt der Hathor nach Edfu und die Heilige Hochzeit, in: W. Clarysse / A. Schoors / H. Willems (Hgg.), Egyptian Religion. The Last Thousand Years. Studies Dedicated to the Memory of Jan Quaegebeur I, OLA 84, Löwen 1998, 753–766. Bierbrier, M. L., Hieroglyphic Texts from Egyptian Stelae, London 1982. Blackman, A. M., The Story of King Kheops and the Magicians. Transcribed from Papyrus Westcar (Berlin Papyrus 3033), Reading 1988. Blackman, A. M. / H. W. Fairman, Significance of the Ceremony Hwt bHsw, in: JEA 36 (1950), 63– 81. Blackman, W. S., The FellƗতƯn of Upper Egypt. Their Religious Social and Industrial Life to-Day with Special References to Survivals from Ancient Times, London / Bombay / Sydney 1927. Brugsch, H., Reise nach der grossen Oase el Khargeh in der lybischen Wüste, Leipzig 1878. Bryan, B., Hatshepsut and Cultic Revelries in the New Kingdom, in: J. M. Galán / B. M. Bryan / P. F. Dorman (Hgg.), Creativity and Innovation in the Reign of Hatshepsut. Papers from the Theban Workshop 2010. Occasional Proceedings of the Theban Workshop, SAOC 69, Chicago 2014, 93– 124. Caramello, S., The Stretch of Water as a Place of Seduction, in: L. M. Araújo / J. Das C. Sales (Hgg.), Erotica, Erotism and Sexuality in Ancient Egypt, Proceedings of the Second International Congress for Young Egyptologists, Lisbon 23–26 October 2006, Lissabon 2007, 539–544. Clère, J. J., Les Chauves d’Hathor, OLA 63, Löwen 1995. Darnell, J. C., Hathor Returns to Medamûd, in: SAK 22 (1995), 47–94. Darnell, J. C., A Midsummer Night’s Succubus-The Herdsman’s Encounter in P. Berlin 3024, The Pleasures of Fishing and Fowling, The Songs of the Drinking Place, and Ancient Egyptian Love Poetry, in: S. C. Melville/ A. L. Slotsky (Hgg.), Opening the Tablet Box. Near Eastern Studies in Honor of Benjamin R. Foster, CHANE 42, Leiden / Boston 2010, 99–140. Darnell, J. C., The Rituals of Love in Ancient Egypt: Festival Songs of the Eighteenth Dynasty and the Ramesside Love Poetry, in: WdO 46.1 (2016), 22–61. Derchain, P., Mendès et les femmes, in: Enchoria 25 (1999), 20௅23. Davis, W., Queer Beauty. Sexuality and Aesthetics from Winckelmann to Freud and Beyond, New York 2010. 87 A. von Lieven, Jungfräuliche Mütter? Eine ägyptologische Perspektive, 163; vgl. A. von Lieven, Father of the Fathers, Mother of the Mothers. God as Father (and Mother) in Ancient Egypt, in: F. Albrecht / R. Feldmeier (Hgg.), The Divine Father. Religious and Philosophical Concepts of Divine Parenthood in Antiquity, Leiden 2014, 22.

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Figurinen: Objekt – Kontext – Interpretation Vera Michel

A small number of female clay figurines were part of the material culture from the excavated areas of Rushdi III and IV at Tell el-Dabҵa/Avaris. This paper presents an examination of their function via a study of the objects themselves, analogies and context as well as textual sources. As a comparative analysis of similar objects discovered within Egypt shows, interpretations of the figurines must take their varying material, form, production and context into account. The examination of the female figurines from Avaris of the late Second Intermediate Period indicates that their function seems to be related to ritual acts. 1 Einleitung Aus den Kulturschichten der Zweiten Zwischenzeit der Areale R/III und R/IV in Tell elDab‫ޏ‬a/Avaris stammen drei Figurinen aus gebranntem Ton, die anthropomorph und mit sekundären weiblichen Geschlechtsmerkmalen ausgestaltet sind.1 Aus Ägypten sind zahlreiche weitere Figurinen mit ähnlichen formalen Merkmalen und aus verschiedenen Materialien – Fayence, Elfenbein, Holz, Kalkstein und Ton2 – bekannt. Sie wurden sowohl im Kontext von Gräbern/Nekropolen als auch in Siedlungen und Tempelbezirken gefunden. Die Interpretationen über den Verwendungszweck der weiblichen Figurinen führen in diverse Bereiche des Diesseits und Jenseits sowie zu Assoziationen mit weiblichen Gottheiten (Hathor, Isis, Mut etc.), aus denen die unterschiedlichen Bezeichnungen der Figurinen als – Dienerin/Beischläferin/Tänzerin/ concubine du mort/fertility figurine – resultierten und umgekehrt.3 Elisabeth Waraksa bezeichnete in ihrer Monographie über die Figurinen aus Karnak (Luxor) dieselben als „female figurines“.4 Der Ausdruck „weibliche Figurinen“ wird ungeachtet der jüngeren Zeitstufe auch für die Figurinen aus Avaris übernommen. Denn mit dieser Bezeichnung wird nur auf die sichtbaren Erscheinungsmerkmale des Objektes selbst verwiesen und keine Deutung der Funktion vorgenommen. Bei der formalen und inhaltlichen Analyse der Figurinen aus Avaris wird im Anklang an die Varietät der angesprochenen Hypothesen eine methodisch reflektierte Herangehens1 Mit den Inventarnummern 9653O, 9649I, 9699G. Vgl. Kapitel 2. 2 Eine Differenzierung zwischen ungebranntem und gebranntem Ton wurde in den Publikationen nicht immer angestellt und kann anhand der Abbildungen nicht eindeutig nachvollzogen werden. 3 Einen Überblick zu den wesentlichen Ansätzen und Hypothesen bietet G. Pinch, Votive Offerings to Hathor, Oxford 1993, 211௅221. Interpretation als Isis (Muttergottheit) und Hathor (göttliches „goodtime girl“): J. Relke, The Predynastic Dancing Egyptian Figurine, in: JRA 41 (2011), 419. Bezug zum Ahnenkult: N. Kleinke, Female Spaces. Untersuchungen zu Gender und Archäologie im Pharaonischen Ägypten, in: GM Beihefte 1, Göttingen 2007, bes. 75. 4 E. A. Waraksa, Female Figurines from the Mut Precinct. Context and Ritual Function, OBO 240, Freiburg / Göttingen 2009.

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weise angestrebt. Eine Aussage über die Bedeutung der Artefakte soll mithilfe von mehreren Methoden – Funktionsanalyse, diachrone und kontextuelle Analyse – getroffen werden.5 Das Konzept der Funktionsanalyse gilt als sozialhistorisch erweiterte Methode der Ikonologie6 und bezieht sich stärker auf die formalen Gestaltungskriterien, den Kontext des Bildes/Objektes sowie auf Kommunikationsprozesse.7 Im Weiteren wird ein diachroner Vergleich mit weiblichen Figurinen innerhalb Ägyptens aus dem Mittleren Reich und der Zweiten Zwischenzeit angestellt.8 Der Ansatz der Semiotik wird bei der Betrachtung des Kontextes relevant, um auf die Rezeption und Rezeptionsbedingungen des Zeichens eingehen zu können.9 Falls das Zeichen an Wechselbeziehungen der Kommunikation gebunden ist,10 könnte anhand einer Untersuchung des archäologischen

5 A. Kraus, Die Ikonologie Panofskys auf dem Prüfstein des Historikers, in: R. W. Keck / S. Kirk / H. Schröder (Hgg.), Bildungs- und kulturgeschichtliche Bildforschung. Tagungsergebnisse – Erschließungshorizonte, Baltmannsweiler 2006, 32. Im Anschluss wird ein Vergleich der Figurinen mit schriftlichen Zeugnissen herangezogen. Vgl. Kapitel 4. 6 In diesem Beitrag werden nur die ersten zwei Stufen (vor-ikonographische Beschreibung und ikonographische Analyse) des Panofskyschen Interpretationsmodells herangezogen: E. Panofsky, Sinn und Deutung in der bildenden Kunst (1955), Köln 1975, 38f. 7 H. Talkenberger, Bilder als historische Quellen. Zur Methode und Praxis der Interpretation, in: R. W. Keck / S. Kirk / H. Schröder (Hgg.), Bildungs- und kulturgeschichtliche Bildforschung. Tagungsergebnisse – Erschließungshorizonte, Baltmannsweiler 2006, 11f. Dem Kommunikationsprozess gehören die Betrachtungen der kulturellen Seh- und Darstellungsgewohnheiten im Sinne des period eye an: M. Baxandall, Painting and Experience in Fifteenth-Century Italy. A Primer in the Social History of the Pictoral Style, Oxford 1972. Zu Interaktion in Bezug auf die material agency: A. Kjølby, Material Agency. Attribution and Experience of Agency in Ancient Egypt. The Case of New Kingdom Private Temple Statues, in: R. Nyord / A. Kjølby (Hgg.), “Being in Ancient Egypt”. Thoughts on Agency, Materiality and Cognition. Proceedings of the Seminar Held in Copenhagen, September 29–30, 2006, BAR-IS 2019, Oxford 2009, 31–46. 8 Eine Ähnlichkeit in der Dekoration und Hand-/Armhaltung besteht zu den Figurinen aus Gebel-Zeit, Deir el-Bahri und Faras. Der Vergleich der Kontexte wird auf das Neue Reich ausgeweitet, da eine Differenzierung zwischen dem Mittleren Reich und der Zweiten Zwischenzeit kaum zu gewährleisten ist. Eine detaillierte Untersuchung außerhalb Ägyptens bzw. ein interkultureller Vergleich wird im Rahmen dieses Beitrags nicht angestellt. Die vorderasiatischen Figurinen sind ebenfalls nicht beschriftet, halten jedoch meist die Hände an den bzw. unterhalb der Brüste: N. Wrede, Uruk. Terrakotten. Von der ‘Ubaid- bis zur altbabylonischen Zeit, Mainz 2003; A. Pruß, Die Amuq-Terrakotten. Untersuchungen zu den Terrakotta-Figuren des 2. und 1. Jahrtausends v. Chr. aus den Ausgrabungen des Oriental Institute Chicago in der Amuq-Ebene, Subartu 26, Turnhout 2010. Zur nackten Göttin im Vorderen Orient: I. Cornelius, The Many Faces of the Goddess. The Iconography of the Syro-Palestinian Goddesses Anat, Astarte, Qedeshet and Asherah c. 1500–1000 BCE, OBO 204, Freiburg / Göttingen 2004. 9 H. Talkenberger, Bilder als historische Quellen, 14. Der Ansatz der Semiotik basiert auf der Annahme, dass ein Objekt den jeweiligen kulturellen Kontext bzw. ein Bedeutungssystem reflektieren kann und wird dementsprechend als ein Zeichen-/Bedeutungsträger definiert. Allerdings konnten bislang anhand der materiellen Kultur aus einem aliteralen Kontext keine klar umrissenen Regeln für die (Re-)Konstruktion eines solchen Systems entwickelt werden: M. Eggert, Hermeneutik, Semiotik und Kommunikationstheorie in der Prähistorischen Archäologie. Quellenkritische Erwägungen, in C. Juwig / C. Kost (Hgg.), Bilder in der Archäologie – eine Archäologie der Bilder?, TAT 8, Münster / New York / München / Berlin 2010, 64f., Anm. 33. 10 Der semiotische Ansatz wird auf kontextgebundene soziale Handlungen beschränkt. Demnach könnten der Kontext und die Analogien Aufschlüsse über die kulturellen Konventionen geben: M. Eggert, Hermeneutik, Semiotik und Kommunikationstheorie, 69f. und weiterführende Literatur. U. F. Ickerodt, Ein-

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Fundkontextes11 eine Zusammenführung mit dem kulturhistorischen Befund angestellt werden.12 2 Objekt: Figurinen Bei den figürlichen Artefakten 9653O,13 9649I, 9648V und 9699G handelt es sich um die zuvor angesprochenen weiblichen Figurinen aus den Arealen R/III und R/IV. Markant erscheint die Akzentuierung bestimmter Körperteile (z. B. Gender-Attribute)14 im Gegensatz zur Vernachlässigung der Physiognomie (Mund) und der Extremitäten. Die sekundären Geschlechtsmerkmale können durch rundliche, abgeflachte Tonaufsätze im Brustbereich sowie durch punktierte Einstiche im Schambereich nachgebildet sein.15 Der langgestreckte Körper16 der Figurinen suggeriert eine stehende bzw. liegende Haltung,17 jedoch deutet der im Rücken stark abgeflachte Körper der Figurine 9653O18 auf die letztgenannte Positionierung hin. Die angedeuteten bzw. kaum ausgeformten Beine und Füße der Figurine 9649I

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führung in das Grundproblem des archäologisch-kulturhistorischen Vergleichens und Deutens. Analogien-Bildung in der archäologischen Forschung, Frankfurt a. M: / Berlin / Bern / Wien 2010, 17௅40. Zum Diskurs über Kontextualisierung von Objekten bzw. kontextuelle Analyse: B. Schweizer, Zur Repräsentation des sozialen Raums. Die Fürstengräber von Pontecagnano 926 und 928, in: U. Veit / T. I. Kienlin / C. Kümmel / S. Schmidt (Hgg.), Spuren und Botschaften. Interpretation materieller Kultur, TAT 4, Münster / New York / München / Berlin 2003, bes. 322, 327. Vgl. zum Diskurs „Archäologie und Historie“ M. Eggert, Hermeneutik, Semiotik und Kommunikationstheorie, bes. 50௅52; I. Morris, Archaeology as Cultural History. Words and Things in Iron Age Greece, Social Archaeology, Oxford 2000, bes. 9௅17. S. Prell, Die Kleinfunde des Areals R/III, in: ÄgLev 25 (2015), 31, Abb. 23. Die Figurine ist nur bis unterhalb des Brustbereichs erhalten. Bei der Figur 9649I ist nur links ein Tonaufsatz erhalten und rechts ein Negativabdruck. Zusätzlich zu den Tonaufsätzen zeigt die Figur 9699G unterhalb des Nabels punktierte Einstiche als Imitation des Schamdreiecks. Diese Ausgestaltung erfolgte vor dem Brand. Die Ausformung der Beine ab den Knien abwärts kann möglicherweise als Datierungskriterium für die Zweite Zwischenzeit gelten: M. Petrik, Handmade Terracotta Figurines with Hands Secured Behind the Backs. The Potential Use of an Art Historical Method in the Research of Egyptian Minor Arts, in: K. A. Kóthay (Hg.), Art and Society. Ancient and Modern Contexts of Egyptian Art, Proceedings of the International Conference Held at the Museum of Fine Arts, Budapest 13–15 May 2010, Budapest 2012, 62. An dieser Stelle möchte ich Carina Kühne für den Literaturhinweis danken. Die Figurinen aus dem Neuen Reich sind frontal und seitlich ausmodelliert und liegen auf einer Fläche auf. Diese Modellierung sowie die Fundsituation mancher Figurinen in Vergesellschaftung mit einer Bank bzw. einem Bett lässt eine liegende Haltung vermuten: G. Pinch, Votive Offerings to Hathor, 207f. Allerdings kann dieses Element entweder als ein formales Kriterium oder ein Nebenprodukt des Herstellungsprozesses (z. B. durch Modeln) angesehen werden. Ebenso ist die chronologische Differenz nicht außer Acht zu lassen, die nicht zwangsläufig eine funktionelle Weitertradierung beinhaltet. Die Körperpartien (u. a. Augen, Brust) sind insgesamt mit Einritzungen sowie punktierten Einstichen versehen. Die Punktierungen in der unteren Gesichtspartie sowie am Oberkörper von 9653O können mit der Bemalung auf den Fayence-Figurinen aus el-Lahun verglichen werden, die wiederum mit den Tätowierungen der Hathor-Priesterin Amunet gleichgesetzt werden: H. E. Winlock, The Museum’s Excavations at Thebes, in: BMMA 27 (1932), Abb. 15. Falls die Aufgaben der Hathor-Priesterinnen äquivalent zu den Aspekten der Göttin Hathor gesehen werden können, würde sich in Bezug auf den Schutz bei der Geburt ein solcher Aspekt anbieten. Vgl. Spruch 30 des pLeiden I 348: „Sieh, so soll Hathor ihre Hand auf sie tun, in Wohlergehen und Gesundheit“: H. Altenmüller, Die Apotropaia und die Götter Mittelägyptens. Eine typologische und religionsgeschichtliche Untersuchung der sog. „Zaubermesser“ des Mittleren Reiches I, München 1964, 183, Anm. 3.

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weisen ebenfalls nicht darauf hin, dass diese vorrangig für eine Aufstellung konzipiert worden war.19 Insgesamt scheinen die Arme und Hände der Figurinen aus Areal R/III seitlich am Körper anzuliegen,20 wobei die Körperhaltung mit den erhobenen Armen21 sowie der brusthaltende Gestus22 ausgeschlossen werden können. Die Figurinen sind aus gebranntem Ton gefertigt und wurden ohne Textilien oder Stoffreste aufgefunden. Zum einen kann der Erhaltungszustand und zum anderen der Fundkontext bzw. der Verwendungszweck dafür ausschlaggebend sein.23 In Gebel el-Zeit tauchten mit Stoff umwickelte Figurinen aus Ton auf, was auf eine lokale Gepflogenheit, den Schutz der Figurinen oder auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kultpraxis verweisen kann.24 Desweiteren sind die Figurinen 9653O und 9649I aus Areal R/III auf der gesamten Oberfläche mit Spuren einer roten Farbe überzogen.25 In Avaris findet sich die Anbringung desselben Farbüberzugs auf unterschiedlichen Exemplaren des Alltagsgeschirrs26 wieder und verdeutlicht die Relevanz des Nutzungskontextes bei der Deutung der Farbe Rot. Ein intentionelles Zerbrechen27 der fragmentierten Figurinen im Rahmen eines Rituals28 scheint nicht sehr wahrscheinlich zu sein. Zum Einen ist die Anzahl der Objekte aus Avaris

19 Eine Anlehnung der Figurinen an eine Wand o. Ä. sowie ein separates Stützelement sind nicht auszuschließen. 20 Die Arme der Figurine 9653O sind nur als Schulteransatz erhalten, der Rücken ist flach und besitzt keine Einritzungen oder andere formale Merkmale einer Ächtungsfigur (z. B. zusammengebundene Arme/Hände). Der Figurine 9649I fehlen ebenso die Arme, die jedoch anhand der seitlichen länglichen Mulden als am Körper anliegend angenommen werden können. 21 Diese Körperhaltung erscheint bei den älteren Figurinen, wie den zahlreichen „tanzenden“ prädynastischen Figurinen. Vgl. Relke, The Predynastic Dancing Egyptian Figurine, 401, Fig. 1 und weiterführende Literatur. 22 Die Figurinen mit den unterhalb der Brüste angebrachten Händen zeigen eine nach außen angewinkelte Armhaltung. Der brusthaltende Gestus ist nicht anzunehmen, wenn sich die Hände nicht unterhalb der Brüste abzeichnen oder die Schultern nach außen ausladen. 23 Eine beabsichtigte Aktabbildung bzw. die Nacktheit einer Figur kann u. a. als konzipierter Bestandteil einer rituellen Handlung angesehen werden: J. Tripps, Das handelnde Bildwerk in der Gotik. Forschungen zu den Bedeutungsschichten und der Funktion des Kirchengebäudes und seiner Ausstattung in der Hoch- und Spätgotik, Berlin 2000, 161; D. Serova, Entblößte Gestalten. Multifunktionale Nacktheit in Privatgräbern des Alten Reiches, in diesem Band. 24 G. Pinch, Votive Offerings to Hathor, 224; Deutung der Stoffstreifen einer römerzeitlichen Figur als Weiterführung der Tradition des Kultbildrituals: J. Quack, Zwischen Landesverteidigung und Liebeszauber, in: P. Thomas (Hg.), Zauber und Magie, Heidelberg 2010, 47. 25 Der Farbüberzug wurde vermutlich vor dem Brand angebracht. Die Farbe Rot zeigt sich in der Deutung ambivalent (gefährlich bzw. schützend): G. Pinch, Red Things. Symbolism of Colour in Magic, in: W. V. Davies (Hg.), Colour and Painting in Ancient Egypt, London 2001, 182–185. 26 V. Michel, Grabungsvorberichte. Datierung des Tiefschnitts r/5 aus Areal R/III (‫ޏ‬Ezbet-Rushdi/Tell elDab‫ޏ‬a). Analyse der keramischen Funde, in: ÄgLev 26 (2016), 33–64. 27 Implikation eines notwendigen Zerbrechens der weiblichen Figurine, zumindest für die Funde aus dem Mut-Bezirk in Karnak, um die transferierte Krankheit zu vernichten oder nicht wieder entweichen zu lassen (ähnlich den Ächtungsfiguren im Ritus vom Zerbrechen der roten Töpfe): E. A. Waraksa, Female Figurines, 141. Allerdings konnte z. B. im Spruch des Turiner Papyrus (K. Stegbauer, pTurin 5400, recto 13௅16, Spruch 3, in: TLA, Februar 2018) der sjn-Ton zum Verschließen von Objekten im Rahmen einer rituellen Handlung verwendet werden. Außerdem besteht die Möglichkeit einer rituellen Reinigung der verwendeten Objekte.

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der Zweiten Zwischenzeit für eine generelle Aussage zu gering, und zum Anderen ist eine große Anzahl der weiblichen Figurinen aus anderen Orten Ägyptens vollständig erhalten.29 2.1 Fruchtbarkeitsfigurinen Die Fruchtbarkeitsfigurinen des Mittleren Reiches und der Zweiten Zwischenzeit aus der Materialsammlung von Geraldine Pinch werden für die diachrone Analyse herangezogen.30 Die Figurinen aus den Arealen R/III und R/IV gleichen diesen in einigen formalen Kriterien sowie hinsichtlich des Materials. Die Unterschiede liegen in der stilistischen Gestaltung, was entweder zweckmäßig oder auch regional bedingt sein könnte. Zugleich beruht die Homogenität auf dem Entstehungsort (Ägypten) und der Entstehungszeit (Zweite Zwischenzeit). Anhand dieser Übereinstimmung können unter Einbezug der Fundkontexte möglicherweise Rückschlüsse auf die Interpretation der Figurinen aus Avaris gezogen werden.31 Die Figurinen aus der Materialsammlung von Pinch32 sind überwiegend aus Ton und handgemacht.33 In der Gestaltung zeigt sich durchgängig die Anbringung diverser Dekorationsarten (Stoffreste, Ritzungen, Einstiche, Haare, Perlen- und Ohrschmuck) verschiedene Körperhaltungen (kniend, sitzend oder ausgestreckt) sowie eine Darstellung mit und ohne Kind. Die Fundplätze (Deir el-Bahri, Faras, Mirgissa, Sarabit el-Chadim, Timna, Gebel elZeit) stimmen überwiegend mit den Hathor-Heiligtümern oder deren Umgebung überein.34 Die weiblichen Figurinen finden sich unter der Bezeichnung „fertility figurines“ und gehören zusammen mit weiteren Objektgruppen den Hathor-Opfergaben an, die entweder anhand der Symbolik bzw. der Interpretation der Artefakte oder aufgrund des Fundkontextes als solche determiniert wurden. Ferner wird eine Verbindung zwischen dem Fundkontext der Figurinen und dem Vollzug eines bestimmten Festes im Bereich der Heiligtümer der Hathor postuliert, die jedoch aufgrund der Fundkontexte vermutlich erst ab dem Neuen Reich bestanden haben könnte.35 28 Zur Definition des Begriffs Ritual: F. J. Quack, Ritus und Ritual, in: C. Brosius / A. Michaels / P. Schrode (Hgg.), Ritual und Ritualdynamik. Schlüsselbegriffe, Theorien, Diskussionen, Göttingen / Bristol 2013, bes. 203 sowie weiterführende Literatur. 29 G. Pinch, Votive Offerings to Hathor, 214. 30 Die Figurinen aus Tell el-Dab‫ ޏ‬a fehlen in der Materialsammlung von Pinch. Vgl. Kapitel 3. 31 J. M. Bagley / C. Kost, Bedeutungsfelder figürlicher Kunst in frühen Kulturen, in: C. Juwig / C. Kost (Hgg.), Bilder in der Archäologie – eine Archäologie der Bilder?, TAT 8, Münster / New York / München / Berlin 2010, 173. 32 G. Pinch, Votive Offerings to Hathor, 217. 33 Weitere Materialien stellen Fayence, Kalkstein, Holz und Elfenbein dar, und manche Figurinen wurden mithilfe einer Form angefertigt. In der ikonographischen Typologie der Figurinen wird nicht konsequent nach Material differenziert, dennoch richtet sich die Verteilung der Fundkontexte danach. 34 Weitere Fundplätze aus dem Mittleren Reich/der Zweiten Zwischenzeit: Sachmet-Sahure-Schrein in Abusir (Opfergaben, keine Figurinen), Depot des Nechbet-Tempels in el-Kab (Ton-Figurinen), MinTempel in Koptos (Ton-Figurinen). Die Verbindung der Hathor-Opfergaben zu den Tempeln wird mit einer Co-Existenz beider Kulte erklärt: G. Pinch, Votive Offerings to Hathor, 78f. Der starke Einfluss des Fundortes bei der Auswahl des Materials sowie die Bezeichnung der Figurinen zeigen bereits eine Vorinterpretation ihrer Funktion. Eine differenziertere Untersuchung der Objekte nach Material und Befund steht noch aus. 35 G. Pinch, Votive Offerings to Hathor, 224f. Dabei nimmt Gebel el-Zeit als Fundkontext im Tempelbereich vorerst eine Sonderstellung ein. Im Falle eines Festaktes bei den Hathor-Heiligtümern bietet sich

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Pinch sieht die Figurinen als Bestandteil magischer und religiöser Praktiken, um die Fruchtbarkeit ௅ die sie als den Zeitraum ab der Zeugung bis zur Geburt des Kindes definiert ௅ im Alltag zu fördern und zu beschützen. Überwiegend sind es die Hathor-Fundplätze, bereits bestehende Hypothesen und die exponierten Geschlechtsmerkmale, aufgrund derer die Figurinen mit Aspekten der Fruchtbarkeit, Geburt und Wiedergeburt verknüpft werden.36 Anhand einer differenzierteren Untersuchung der wechselseitigen Beziehung der ikonographischen Merkmale, des Materials und der Fundkontexte könnten vermutlich weitere Erkenntnisse über die Interpretation dieser Figurinen gewonnen werden. Unter Berücksichtigung des Erhaltungszustandes weist vorwiegend die Figurine 9653O ein Korrelat zu den Fruchtbarkeitsfigurinen auf. 2.2 Ächtungsfiguren Die Ächtungsfiguren37 haben eine anthropomorphe Gestalt, sind in einer langgestreckten oder knienden Körperhaltung sowie mit meistens auf dem Rücken zusammengebundenen Armen/ Händen anzutreffen. Zahlreiche dieser Objekte zeigen das zuletzt genannte Merkmal voll oder reduziert ausgeformt,38 das an dieser Stelle als Motiv eines Gefangenen angesprochen wird.39 Die Figuren können gleichzeitig Träger dieses Motivs und der sog. Ächtungstexte sein. Diese Kombination deutet auf einen Bedeutungszusammenhang zwischen Form, Text und Ritual hin. Folglich können figürliche Objekte dem Ächtungsritual zugeordnet werden, wenn diese entweder beide Parameter (Text und Motiv) oder nur einen davon aufweisen.40 Falls solche

36 37

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in Bezug auf den Mythos über die gefährliche Göttin das Fest der Trunkenheit (Hb tx) am 20. Tag des 1. Monats der Ax.t-Jahreszeit an. H. Altenmüller, Feste, in: LÄ II (1977), Sp. 1, 174f. Das Fest der Trunkenheit steht in Verbindung mit der gefährlichen Göttin sowie den Mythen vom Sonnenauge und der Vernichtung des Menschengeschlechts: A. von Lieven, Wein, Weib und Gesang. Rituale für die Gefährliche Göttin, in: C. Metzner-Nebelsick (Hg.), Rituale in der Vorgeschichte, Antike und Gegenwart. Studien zur Vorderasiatischen, Prähistorischen und Klassischen Archäologie, Ägyptologie, Alten Geschichte, Theologie und Religionswissenschaft. Interdisziplinäre Tagung vom 1.–2. Februar 2002 an der Freien Universität Berlin, InternArch 4, Rahden 2003, 47–55. G. Pinch, Votive Offerings to Hathor, 221. H. Junker, Der Ostabschnitt des Westfriedhofs. Gîza 8, DÖAWW 73, Wien 1947; A. M. Abubakr / J. Osing, Ächtungstexte aus dem Alten Reich, in: MDAIK 29 (1973), 97–133; L. Borrmann, Die Ächtungsfiguren des Alten und Mittleren Reiches. Mechanismen sozialer Aus- und Abgrenzung zwischen Lebensrealität, ritueller Magie und Formfindung jenseits der kanonischen Kunst, unpubl. Magisterarbeit, Berlin 2009. Die zu einer Art Täfelchen stilisierten Figurinen zeigen grundlegend diese formalen Kriterien und sind Textträger des Ächtungsrituals. Zum Wirklichkeitsbezug vgl. H.-H. Münch, Warum Pharao immer siegt. Bemerkungen zum Ikon des „Erschlagens der Feinde“ aus wissenssoziologischer Perspektive, in: E. Frood / A. McDonald (Hgg.), Decorum and Experience. Essays in Ancient Culture for John Baines, Oxford 2014, 264–268. Z. B. sind im Katalog der Arbeit von L. Borrmann 561 Objekte aufgenommen, von denen 93% (523 Stück) stilisiert dargestellte Figuren sind. Die restlichen 38 Objekte sind plastischer gestaltet, von denen nur 24 den formalen Kriterien der Ächtungsfiguren entsprechen. Die restlichen 14 Stück (Nr.: 526, 536/Louvre E27250, 537/Louvre N3336, 547/Petrie Museum UC18258, 548/Kestner Museum 1935.200.39, 549–551/Slg. M. Rice, 553/Petrie Museum UC59336, 554–556/Petrie Museum UC59338– 59340, 558/Petrie Museum UC133, 561) tragen außerdem keine sog. Ächtungstexte oder Namensinschriften und gehören damit nicht zum Ächtungsritual (sofern existent).

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schriftlichen und formalen Attribute dagegen fehlen, wird ein direkter Bezug zum Ächtungsritual ausgeschlossen.41 Den Inschriften nach kann es sich bei namentlicher Nennung der zu bannenden Feindbilder auch um Frauen handeln.42 Die zu erwartenden Ächtungsfiguren mit femininen Attributen sind durch Zeugnisse der materiellen Kultur belegt.43 An dieser Stelle scheint das Motiv (des Gefangenen) und nicht die Gestaltung (sekundäre Geschlechtsmerkmale) für die Determinierung als Ächtungsfigur entscheidend zu sein. Im Weiteren verankern die archäologischen44 sowie schriftlichen45 Belege bis dato die Ächtungsfiguren im funäreren Bereich. Die drei Figurinen aus den Arealen R/III und R/IV tragen keine Inschriften, entsprechen in ihrer Gestaltung nicht dem Motiv der Ächtungsfiguren und stammen dazu aus einem anderen Fundkontext. Demzufolge wird das Ächtungsritual bei der Interpretation der weiblichen Figurinen aus Avaris nicht in Betracht gezogen. 2.3 Liebeszauber Eine Verbindung der Figurinen aus R/III und R/IV zum Bereich des sog. Liebeszaubers46 scheint bislang unwahrscheinlich, da sich die dazugehörigen Textzeugnisse erstmals ab der Ptolemäerzeit47 fassen lassen.48 Das Ostrakon49 DeM1057 (20. Dynastie) lässt die Annahme 41 Zum Diskurs über die Ächtungsfiguren und die rituelle Rahmung des Ächtungsrituals vgl. die Beiträge des Workshops „A Closer Look at Execration Figurines“, Heidelberg 13.10.2017 (in Druckvorb.). 42 A. D. Espinel, A Newly Identified Old Kingdom Execration Text, in: E. Frood / A. McDonald (Hgg.), Decorum and Experience. Essays in Ancient Culture for John Baines, Oxford 2014, 26–33. 43 Máté Petrick, Execration or Female Figurine? Beitrag im Workshop „A Closer Look at Execration Figurines“, Heidelberg 13.10.2017 (in Druckvorb.). 44 Eine umfassende Zusammenstellung der Ächtungsfiguren findet sich bei L. Borrmann, Ächtungsfiguren. Die Beispiele für Siedlungskontexte in ‫ޏ‬Ain Asyl und Tell el-Dab‫ޏ‬a möchte ich an dieser Stelle verwerfen. In ‫ޏ‬Ain Asyl ist eine Figurine im Fundamentbereich, also in sekundärer Nutzung, gefunden worden: N.-C. Grimal, Les ‘Noyés’ de Balat, in: F. Geus / W. Y. Adams (Hgg.), Mélanges offerts à Jean Vercoutter, Paris 1985, 119. Aus Tell el-Dab‫ޏ‬a sind bis dato keine Ächtungsfiguren nach der oben ausführten Definition der Ausgestaltung gefunden worden. Die „execration pits“ aus Areal H/III beinhalteten keine einzige Figurine und kein beschriftetes Scherbenfragment: P. Fuscaldo, The Palace District of Avaris. The Pottery of the Hyksos Period and the New Kingdom (Areas H/III and H/VI). Two Execration Pits and a Foundation Deposit. Tell el-Dab‫ޏ‬a 10/2, UZK 36, DÖAWW 61, Wien 2010. Der Vergleich der „execration pits“ anhand der menschlichen Überreste mit den Gruben aus Mirgissa kann nicht unkritisch übernommen werden, denn die Ächtungsfiguren und Ostraka stammen aus einer anderen Grube als der menschliche Schädel und können daher nicht sicher ein und derselben Kulthandlung zugewiesen werden. Zum Diskurs über die Interpretation der Gruben als „execration pits“: U. Matiü, “Nubian” Archers in Avaris. A Study of Culture Historical Reasoning in Archaeology of Egypt, in: ȿɬɧɨɚɧɬɪɨɩɨɥɨɲɤɢ ɩɪɨɛɥɟɦɢ 26 (2014), 707. Der Fundkontext aus Mirgissa liegt auf einem Plateau, das sich ca. 300 m östlich gegenüber der Nekropole befindet: A. Vila, Un dépôt de textes d’envoûtement au Moyen Empire, in: Journal des Savants 3 (1963), Abb. 3, 4. Die Siedlung ist zwar nur ca. 400 m entfernt, befindet sich jedoch in einer Ebene unterhalb des Plateaus und nimmt einen geringeren topographischen Bezug zum Kultplatz ein. 45 Zum Sargtext 37 vgl. J. Quack, Landesverteidigung und Liebeszauber, 42. 46 S. Nagel, Ägypter, Griechen und Römer im Liebesbann. Antiker Liebeszauber im Wandel der Zeit, in: A. Jördens (Hg.), Ägyptische Magie und ihre Umwelt, Philippika 60, Wiesbaden 2015, 218–280. 47 Die Belege sind noch unpubliziert. Persönliche Mitteilung von J. Quack. 48 J. Quack, Landesverteidigung und Liebeszauber, 51. Bei der Anführung jüngerer Belege muss natürlich die generelle Problematik berücksichtigt werden, dass die zeitliche Entstehung und Niederschrift der Texte divergieren können.

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zu, dass es Vorläufer gegeben hat,50 jedoch bleibt die Quantität der Belege aus der Römerzeit überaus markant. Daraus schließt Joachim Quack, dass die kaum bis gar nicht vorhandenen Zeugnisse aus der gesamten pharaonischen Zeit auf einen Wandel innerhalb der sozialen Praktiken hindeuten.51 Die formale Gestaltung zweier Figurinen wird durch ein Zeugnis aus der Römerzeit (PGM IV 296–466 und Paris, Louvre E 27145) veranschaulicht. Der Text beschreibt die Herstellung zweier verschiedener Figurentypen, eine davon gleicht den Ächtungsfiguren und die andere einem Götterbild.52 Demzufolge können keine eindeutigen ikonographischen Merkmale für Figuren aus dem Bereich des Liebeszaubers definiert werden. 3 Archäologischer Kontext: Fundplätze Nach dem Einblick in die forschungsgeschichtlichen Kriterien werden die archäologischen Fundkontexte näher betrachtet. Aus den bisherigen Ausgrabungen in Tell el-Dabಟa können etwa 33 Figurinen mit weiblichen Merkmalen identifiziert werden. Überwiegend stammen diese aus Gruben oder weiteren Siedlungskontexten der Areale H/V53 sowie A/V54 und tauchen vereinzelt auch in den Arealen A/I, F/II, H/I, R/III und R/IV55 auf. Die meisten56 weiblichen Figurinen aus Avaris entsprechen in ihrem Erscheinungsbild denen aus Areal A/V,57 welche im Halbrelief und auf einer flachen Unterlage aufliegend modelliert sind. Diese Figurinen werden der Stratigraphie und den stilistischen Merkmalen zufolge in das Neue Reich datiert.58 Im Fokus des vorliegenden Beitrags stehen die Figurinen aus Areal R/III und R/IV, welche in die Zweite Zwischenzeit datieren und mit den oben genannten Merkmalen nicht übereinstimmen. Für das Areal RIII konnte anhand des keramischen Materials ein Besiedlungszeitraum für die gesamte 15. Dynastie bestimmt sowie eine Nachnutzung im Neuen Reich festgestellt werden.59 Die Figurine 9653O wurde in der Keramikansammlung [L982] gefunden, die

49 J. Quack, Landesverteidigung und Liebeszauber, 52. 50 Vermutlich ist ein weiterer Liebesspruch das Fragment 2 des pRamesseum XI: S. Nagel, Liebesbann, 222. Die „Liebesdichtung“ erscheint in der schriftlichen Überlieferung erst ab der Ramessidenzeit: R. Langráfová / H. Navrátilová, Sex and the Golden Goddess I. Ancient Egyptian Love Songs in Context, Prag 2009, 51, 92௅219, Tab. 1. 51 J. Quack, Landesverteidigung und Liebeszauber, 51f. 52 J. Quack, Landesverteidigung und Liebeszauber, 55f. 53 Im Fundamentgraben eines Hauses unterhalb des Magazins hinter Palast F: Mündliche Mitteilung I. Hein. 54 I. Hein / P. Jánosi, Areal A/V. Siedlungsrelikte der Späten Hyksoszeit, Tell el-Dab‫ޏ‬a 11, UZK 21, DÖAWW 25, Wien 2004, 6887, 139; 6881–6886, 189. 55 I. Forstner-Müller / A. Hassler / U. Matiü / P. Rose, Grabungen des Österreichischen Archäologischen Instituts Kairo in Tell el-Dab‫ޏ‬a/Avaris. Der Hafen von Avaris – Das Areal R/IV, erster Vorbericht, in: ÄgLev 25 (2015), 73–88. 56 Eine Ausnahme stellen drei fragmentarisch (Torso) erhaltene Figuren 8495G (H/V), 9400W (F/II), 9536M (A/I) dar, die nach Material und formalen Kriterien ungefähr der Figur 9649I entsprechen würden. 57 Den Fundkontext der Figurinen stellen die Oberflächenlagen dar: I. Hein / P. Jánosi, Areal A/V, 6887, 139; 6881–6886, 189. Die Befundsituation der Grabgrube zum Grab o/18-Nr. 1 [151] kann bereits von den Oberflächenlagen gestört worden sein. 58 I. Hein / P. Jánosi, Areal A/V, 139. 59 V. Michel, in: ÄgLev 26 (2016), 43.

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etwa einen halben Meter von der Opfergrube [L764] entfernt lag.60 Desweiteren stammten die Figur 9649I aus der Grubenverfüllung [L822] und das Beinfragment 9648V aus der Schüttung [L772] der Nachnutzungsphase.61 Die weibliche Figurine 9699G aus Areal R/IV wurde im Begehungshorizont eines nicht vollständig ausgegrabenen Gebäudes der späten 15. Dynastie gefunden.62 Zu den weiteren Fundplätzen im Siedlungs- bzw. Tempelbereich in Ägypten zählen der Materialsammlung von Pinch zufolge el-Lahun, Kom Rabiಟa, Koptos und Karnak. Insgesamt lässt sich während des Mittleren Reiches und der Zweiten Zwischenzeit eine sehr geringe Anzahl (11 St.) der weiblichen Figurinen aus dem Siedlungsbereich und eine weitaus höhere Anzahl (180 St.) aus den Tempelbezirken beobachten. Allerdings wurde die Mehrzahl (153 St.) in der Nähe des Hathor-Schreins in Gebel el-Zeit gefunden, der aufgrund der Fundsituation nicht eindeutig datiert werden konnte.63 Dem stehen 163 Objekte aus dem funäreren Bereich gegenüber.64 Im Neuen Reich steigt die Anzahl der Figurinen aus dem Siedlungsbereich (Deir elBahri, Deir el-Medina, Tell el-Amarna)65 an, wobei die Beleglage der Fundplätze im Neuen Reich allgemein umfangreicher ist. Insgesamt fallen die funäreren Fundkontexte aus der

60 V. Michel, Einblick in die Stadt Avaris – Areal R/III in Tell el-Dab‫ޏ‬a, in: S. Beck / B. Backes / I. Liao / H. Simon / A. Verbovsek (Hgg.), Gebauter Raum: Architektur – Landschaft – Mensch Beiträge des fünften Münchner Arbeitskreises Junge Aegyptologie (MAJA 5) 12.12. bis 14.12.2014, GOF IV/62, Wiesbaden 2016, 156. Beide Fundkontexte gehören dem Nutzungshorizont des späten Stratum D/2 im Hofbereich von Gebäude 1 an. Die Opfergruben in Avaris waren ebenso in Tempelvorhöfen und in nächster Nähe von Bestattungen situiert. Zu den Opfergruben: V. Müller, Opferdeponierungen in der Hyksoshauptstadt Auaris (Tell el-Dab‫ޏ‬a) vom späten Mittleren Reich bis zum frühen Neuen Reich I, Tell el-Dab‫ޏ‬a 17, UZK 29, DÖAWW 45, Wien 2008, bes. 324, 352f. Demzufolge könnte die Opfergrube [L764] den Gebrauch des Hofbereichs von Gebäude 1 als Rahmung bzw. „topographisch profanen“ Raum der rituellen Handlung suggerieren. Allerdings wäre diese Determinierung des Ritualraums nicht zwingend der Keramikansammlung [L982] zuzuschreiben, die vermutlich die Überreste der rituellen Handlung beinhaltete. Ebenfalls kann der Ritualrahmen innerhalb anderer Bereiche von Gebäude 1 gesetzt werden. Generell wäre zu beachten, dass der Ritual- oder Alltagsraum temporär sein kann und durch „Syntheseleistung“ der Akteure bedingt wird: A. Adelmann / K. Wetzel, Ritualraum, in: C. Brosius / A. Michaels / P. Schrode (Hgg.), Ritual und Ritualdynamik. Schlüsselbegriffe, Theorien, Diskussionen, Göttingen / Bristol 2013, 184. 61 V. Michel, in: ÄgLev 26 (2016), 42. Die Grube [L822] aus dem Schüttungshorizont der Nachnutzungsphase schnitt in die Mauerreste von Gebäude 2 hinein. Eine Vergesellschaftung von 9649I mit weiteren Artefakten außer Perlen bestand nicht. Möglicherweise können Ritualobjekte in Gruben beseitigt bzw. umgelagert werden, wenn diese nach dem Ritual ihre Funktion und damit ihren Wert verlieren. Z. B. werden die Ahnenstatuen auf Neu-Irland (Malanggane) nach ihrem Gebrauch im Wald liegen gelassen. 62 Die Siedlungsaktivitäten in R/IV können anhand der bisherigen Auswertungen ab dem späten Mittleren Reich bis zum Ende der 15. Dynastie nachgewiesen werden: I. Forstner-Müller / A. Hassler / U. Matiü / P. Rose, in: ÄgLev 25 (2015), 76. 63 Falls die Objekte dem Neuen Reich zugeordnet werden können, dann würden die Gräber 80 % der Kontexte ausmachen: G. Pinch, Votive Offerings to Hathor, 220f.; vgl. Anm. 33, 34. 64 Dabei überwiegen die Artefakte aus el-Lischt (38 St.) und Edfu (60 St.). 65 Deir el-Bahri hat ca. 80 Stück, Deir el-Medina ca. 55 St. und Tell el-Amarna ca. 70 Stück. Mittlerweile sind es aus Tell el-Amarna 222 Stück: A. Stevens, Private Religion at Amarna, 114f. Aus Deir el-Medina gibt es 110 Stück, vgl. L. Weiss, Personal Religious Practice. House Altars at Deir el-Medina, in: JEA 95 (2009), 138ff. Aus Karnak (Mut-Bezirk) stammen 10 Stück: E. A. Waraksa, Female Figurines, 169ff.

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Materialsammlung vom Mittleren bis zum Neuen Reich geringer aus. In Tell el-Dab‫ޏ‬a steigt die Anzahl von drei auf 28 Figurinen66 im Neuen Reich an. Die Umgestaltung der ikonographischen und stilistischen Merkmale der Figurinen im Übergang zum Neuen Reich ist bei den Stücken aus der Materialsammlung von Pinch sowie aus Tell el-Dab‘a (A/V) deutlich sichtbar. Folglich kann eine homogene Verwendung der Objekte vom Mittleren Reich bzw. von der Zweiten Zwischenzeit bis zum Neuen Reich nicht vorausgesetzt werden. 4 Textliche Kontextualisierung: Inschriften und magische Texte Die figürliche Kleinkunst kann Bild und Bildträger zugleich sein, wie die Ächtungsfiguren bereits verdeutlichen.67 Unter den weiblichen Figurinen findet sich kaum ein Objekt, das mit einer eindeutigen Inschrift versehen ist. Deshalb wird meistens die Inschrift auf der weiblichen Figurine (Berlin 14517) aus Kalkstein zur Deutung der Figurinen herangezogen. Zu berücksichtigen ist die Gestaltung der Figurine mit einem Kind, das auf der linken Seite getragen wird. Seitlich auf der rechten Hüfte der Figurine ist mit schwarzer Tinte die Bitte um eine (sichere) Geburt der Tochter cH angebracht.68 Nach Ursula Verhoeven69 enthält die Statuette Berlin 14517 „nur einen passivisch formulierten Kinderwunsch, der niemanden persönlich anspricht und somit ebenfalls nicht als Totenbrief interpretiert werden kann.“ Die Inschrift sowie die formale Gestaltung (Motiv mit Kind) lassen Rückschlüsse auf eine generative Rolle der weiblichen Figurinen mit Kind zu.70 66 Überwiegend aus Kalkstein angefertigt. 67 P. Munro, Zu einigen ägyptischen Terrakotta-Figuren, in: GM 2 (1972), 28, Abb. 2. Unter den Händen der Figurine aus der Sammlung von M. Rice (Abb. 2, links) ist nur das Determinativ (w)Ts erhalten, das U39/U40 der Gardiner Liste ähnelt. (w)Ts kann in zahlreichen Worten stehen: wTs – hochheben; tragen; erheben; rühmen (Wb I, 382.16–383.17), Wächter (Wb II, 451.15–18); Ts.t – Klageweib (Wb V, 408.2– 3), Ts+ – hochheben; aufrichten; ausheben (Wb V, 405.1–406.14), Ts+ – emporsteigen; reisen (Wb V, 405.1–407.15). Ts.tjw – Feindabbilder (Wb V, 409.1–2). Die neuägyptische hieratische Schreibung für Gardiners T13 (rs) sowie die Schreibung für Osiris gleicht dem Zeichen ebenso: G. Möller, Hieratische Paläographie. Die ägyptische Buchschrift in ihrer Entwicklung von der fünften Dynastie bis zur römischen Kaiserzeit II. Von der Zeit Thutmosis’ III bis zum Ende der einundzwanzigsten Dynastie, Leipzig 1909, 53, Nr. 588, Anm. 1. Außerdem hat das Zeichen auch Ähnlichkeit mit dem Determinativ der sitzenden Frau (B1). Das Zeichen T13 findet sich in der Schreibweise unterschiedlicher Wörter wieder, so dass bei der Wahl einer Übersetzung das Determinativ entscheidend ist. rs – aufwachen; wachen; bewachen (Wb II, 449.8–451.12); rs.t – gefangene Feinde (Wb II, 452.6); srs.t – Beiname der Sachmet (Wb IV, 201.11; LGG VI, 433). Ebenso kann T13 nur mit dem Determinativ des Zeichens A13/14 als rs.t – gefangene Feinde übersetzt werden. An dieser Stelle möchte ich die Figurine aus der Sammlung von M. Rice nicht in den Bereich des Ächtungsrituals nach Robert K. Ritner einordnen: R. K. Ritner, So-called ‘Pre-dynastic Hamster-headed’ Figurines in London and Hanover, GM 111 (1989), 85–95. Denn einerseits kann das Zeichen auf der Figurine unterschiedlich gedeutet werden, und andererseits entsprechen die formalen Gestaltungskriterien nicht denen der Ächtungsfiguren. 68 S. Schott, Die Bitte um ein Kind auf einer Grabfigur des frühen Mittleren Reiches, in: JEA 16 (1930), 23. rD.tw ms.t sA.t=k cH. 69 U. Verhoeven, Post ins Jenseits. Formular und Funktion altägyptischer Briefe an Tote, in: A. Wagner (Hg.), Bote und Brief. Sprachliche Systeme der Informationsübermittlung im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, NWS 4, Frankfurt a. M. 2003, 31, Anm. 1. 70 Die Gestaltung der Figur 9653O mit einem Kind lässt sich anhand des Erhaltungszustands nicht ausschließen. Allerdings sind die Unterschiede im Material und Fundkontext zu berücksichtigen. Die formale Ausgestaltung des Motivs der weiblichen Figurinen wäre (sofern existent) noch zu erschließen.

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Möglicherweise können andere Schriftquellen in Zusammenhang mit den weiblichen Figurinen stehen und somit an weitere Schlussfolgerungen heranführen.71 Der magische Spruch 20 des pLeiden I 348 erwähnt eine weibliche Figurine aus sjn-Ton.72 Der Inhalt des „Zauberspruchs“ handelt von einem Heilungsritual, in dem die Kopf- und Bauchschmerzen des Re bzw. eines Patienten auf eine rpy.t n.t sjn.t73 konzeptualisiert werden sollen. Dabei erfolgt eine Rezitation über der Figurine, die anschließend als Figurine bzw. Bildnis der Isis bezeichnet wird.74 Auf dieses Bildnis der Isis soll das Leiden bzw. die Krankheit übertragen werden, während sich die Genesung des/r Kranken vollzieht. Obwohl die formalen Gestaltungsmerkmale oder eine Motivik nicht näher determiniert werden, lässt sich generell der Gebrauch einer weiblichen Figur (rpy.t) als Ritualgerät festhalten.75 Der performative Charakter76 wird aufgrund der Rezitation über der Figurine im Rahmen des Rituals konstituiert. Desweiteren wird die Figurine als Bildnis der Göttin (Isis) determiniert, die für den Erfolg des Rituals von Bedeutung zu sein scheint.77 Ein Bezug zur göttlichen Sphäre wurde in 71 Die primären Schriftquellen können zusammen mit den archäologischen Quellen die Beschreibung spezifischer gestalten und die Schlussfolgerungen verdichten: I. Morris, Archaeology as Cultural History, 6f. Die Differenzierung der Quellen ist von der jeweiligen historiographischen Fragestellung abhängig. Grundlegend gilt die Transkription eines Textes als Primärquelle: K. Meister, Einführung in die Interpretation historischer Quellen, Schwerpunkt: Antike, 1. Griechenland, Paderborn / Wien 1997, 17௅20. 72 J. F. Borghouts, The Magical Texts of Papyrus Leiden I 348, OMRO 51, Leiden 1971, 25, Taf. 12. Ddmdw Hr rpy.t n.t sjn.t jr mn=f nb m X.t hAb gAb Hr=f m tA rpy.t As.t r snb=f „Zu rezitieren über einer weiblichen Figurine aus Ton. Was irgendwelche seiner Schmerzen im Bauch betrifft: Das Leiden auf ihm wird in diese Figurine (Bildnis) der Isis gesendet (übertragen), bis er gesund wird.“ Der Papyrus wird in die 19. Dynastie datiert, jedoch wäre die zeitliche Divergenz zwischen der Entstehung und Niederschrift der Texte zu berücksichtigen. Vgl. A. von Lieven, „… so dass eine die Auffrischung der anderen ist.“ Tradierung im Umfeld ägyptischer Tempelbibliotheken, in: A. H. Pries (Hg.), Die Variation der Tradition. Modalitäten der Ritualadaption im Alten Ägypten. Akten des Internationalen Symposions in Heidelberg vom 25.௅28. November 2012, OLA 240, Löwen / Paris / Bristol 2016, 1௅27. 73 rpw.t/rpy.t – Figur (Statuette, Relief, Amulett): Wb II, 414.12–13; 415.11–14; sjn ௅ Lehm/Ton (Siegelton): Wb IV, 37.11–38.2. Der sjn-Ton wurde auch für Töpferwaren gebraucht: N. Kanawati, The Cemetery of Meir I. The Tomb of Pepyankh the Middle, ACE-Rep. 31, Oxford 2012, 52, Taf. 87. 74 Eine Übersetzung des Wortes sjn als clay (female) figurine wird von Waraksa (Female Figurines, 142) vorgeschlagen. Allerdings beruht diese auf einem einzelnen Beleg, weshalb ich mich weiterhin an die gegebene Übersetzung als Lehm/Ton halten möchte. Außerdem wird die Göttin Isis nicht mit dem Material sjn, sondern mit der Figur rpy.t identifiziert, und die Tonobjekte bilden nicht nur weibliche Figurinen ab. 75 Die Ritualgegenstände scheinen nur kulturspezifischen Normen als Beschränkungen zu unterliegen und werden erst durch den handlungspraktischen Kontext determiniert. „Der Effekt des Ritualgebrauchs kann gerade im nicht oder nachrituellen Kontext sichtbar“ sowie durch die Gestaltung des Ritualobjektes markiert werden: T. Meier / A. Zotter, Ritualgegenstände und Materialität, in: C. Brosius / A. Michaels / P. Schrode (Hgg.), Ritual und Ritualdynamik. Schlüsselbegriffe, Theorien, Diskussionen, Göttingen / Bristol 2013, 138. 76 H. Walsdorf, Performance, in: C. Brosius / A. Michaels / P. Schrode (Hgg.), Ritual und Ritualdynamik. Schlüsselbegriffe, Theorien, Diskussionen, Göttingen / Bristol 2013, 85. Zur Definition von RitualAgency als Netzwerk unter performativem Betrachtungsansatz sowie verkörperter und nicht verkörperter Agency: W. S. Sax, Agency, in: C. Brosius / A. Michaels / P. Schrode (Hgg.), Ritual und Ritualdynamik. Schlüsselbegriffe, Theorien, Diskussionen, Göttingen / Bristol 2013, 27f. mit weiterführender Literatur. 77 Die Wirksamkeit des Rituals, in diesem Falle (perspektivisch) die Genesung des Patienten, soll durch die Korrelation der Figurine und der Göttin (symbolisch) erreicht werden: P. Töbelmann, Wirksamkeit,

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den Skripten78 verschiedener magischer Rituale beobachtet, die von der Anrufung der Götter um ihren Beistand beim Leiden eines Patienten oder in einer Gefahrensituation handeln. Der Ritualexperte konkretisiert den Bezug des Rituals zu einem Mythos und den des Rezipienten zu der Götterwelt, „indem das Schicksal des Patienten mit dem von Gottheiten korreliert wird.“79 Die Verwendung der weiblichen Figurinen aus sjn-Ton kann demzufolge im Rahmen der Heilungsrituale vermutet werden.80 Allerdings wäre noch die Wechselbeziehung zwischen dem Material und der Gestaltung der weiblichen Figurinen zu verifizieren. 5 Interpretation: Ritualgegenstand? Die Verwendung der weiblichen Figurinen erschließt sich mithilfe der angewandten Methoden nicht gänzlich.81 Die Parallelen und der Befund in R/III lassen für die Objekte einen Ritualbezug vermuten, jedoch nicht eindeutig verorten.82 Weitere Textzeugnisse erwähnen weibliche Figurinen aus anderen Materialien oder andere figürliche Objekte aus dem sjnTon.83 Die Auswahl des Materials könnte einen Bezug zur Zweckgebundenheit des Objektes oder der Wirksamkeit des Rituals haben, was für die ausgewählten Artefakte noch zu konstatieren wäre. Ton stellt im Vergleich zu anderen Materialien (Fayence, Holz, Stein) einen leicht zugänglichen Rohstoff dar,84 der zwar in seiner Auswahl auf eine häufige Anwendung

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in: C. Brosius / A. Michaels / P. Schrode (Hgg.), Ritual und Ritualdynamik. Schlüsselbegriffe, Theorien, Diskussionen, Göttingen / Bristol 2013, 223. Waraksa (Female Figurines, 162) schlägt vor, dass im Empfang des Zaubers die Figurine als Mittler zwischen den Sphären bzw. als eine Art Medium (Verkörperung der Göttin Isis) angesehen werden kann. Die Ritual-Agency würde zwar die Figurine als Ritual-Agent einbeziehen, jedoch in diesem Fall erst mittels der performativen Rolle des Ritualexperten. Möglicherweise zeichnet sich eine festgelegte Abfolge im Handlungsablauf (Ritualexperte Æ Figurine Æ Göttin Æ Patient) ab. Die Zustandsänderung zahlreicher Rituale erschließt sich oft nicht äußerlich anhand des Objektes, sondern aus dem Skript des Rituals bzw. dem Wissen des Ritualexperten und der informierten Teilnehmer. J. Quack, Landesverteidigung und Liebeszauber, 35f. Demnach wäre die Figurine (symbolisch) mit dem/r Patient/in zu identifizieren. Die Rezitation als performative Handlung konzeptualisiert die Figurine zu der Göttin Isis. Im Falle einer früheren Textentstehung können ähnliche magische Texte aus dem Bereich der Kinderheilkunde nicht nur der Isis, sondern auch einer anderen Gottheit zugesprochen werden. Die erste Kandidatin wäre die Göttin Nut, von deren Ammen Isis und Nephtys die Heilkunde auf der Erde erlernen sollten: pRamesseum 3=pBM EA 10756, B23–33. J. W. B. Barns, Five Ramesseum Papyri, Oxford 1956, 23, Taf. 13. Die Konzepte der Materialität (Erfahrungs-, Bedeutungs- und Handlungsperspektive) können variieren oder miteinander kombiniert werden. Gleichermaßen können die Ritualobjekte ohne textliche und performative Kontexte überliefert werden: T. Meier / A. Zotter, Ritualgegenstände und Materialität, 139f. Vgl. Anm. 60. Der Schlangenzauber (pBM EA 9997, Spruch 5, Zeile 6, 16) erwähnt eine Figurine aus Feuerholz: K. Stegbauer, in: TLA, Februar 2018. Ein weiterer Text aus dem pLeiden I 348 erwähnt einen Zwerg aus Ton, mit dessen Hilfe die Leiden (Wehen) der Gebärenden gelindert werden sollen: J. F. Borghouts, The Magical Texts, 29, Taf. 14. Auf einer Skala von 1 bis 19 werden Materialien nach ihrer Gewinnung und Verarbeitung gewertet. Begonnen wird mit dem Stellenwert (1) für Muscheln und Ton, später gefolgt von Elfenbein (8), Karneol (10), Fayence (11), Hämatit (12), Amethyst (15), Bronze (18), und Lapislazuli (19): J. E. Richards, Ancient Egyptian Mortuary Practice and the Study of Socioeconomic Differentiation, in: J. Lustig (Hg.), Anthropology and Egyptology. A Developing Dialogue, MMA 8, Sheffield 1997, 38f., Tabelle 3.2.

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hindeuten kann, jedoch sind auch Faktoren während der Anfertigung wie der zeitliche und technische Aufwand zu berücksichtigen. Die formale Ausführung der Figurinen deutet zwar auf eine zweckgebundene Gestaltung,85 die stilistische Varietät jedoch entweder auf einen fehlenden Kanon oder auf unterschiedliche Schaffende hin. Möglicherweise kann von der Herstellung in einer privaten oder institutionellen Werkstatt ausgegangen werden.86 Im Grab KV17 wird ein Ritualexperte „mit reinem Haupt“ als Ausführender der rituellen Handlung genannt.87 Ein weiterer Ritualexperte88 kann mittels der Holzkiste89 aus einem Grabschacht der 13. Dynastie90 vorgeschlagen werden. Zum Kistenzubehör bzw. Umfeld91 gehörten u. a. medizinisch-magische Texte, weibliche Figurinen aus Kalkstein, Fayence und Holz, Zaubermesser und Schlangenstäbe. Andrea Gnirs schlägt eine Amme als solche Ritualexpertin vor, die sich auch mit den Schutz- und Heilungsritualen auskannte.92 Diese 85 J. Baines, Restricted Knowledge, Hierarchy, and Decorum. Modern Perceptions and Ancient Institutions, in: JARCE 27 (1990), 20. 86 L. D. Morenz, Anfänge der Ägyptischen Kunst. Eine problemgeschichtliche Einführung in ägyptologische Bild-Anthropologie, OBO 264, Freiburg / Göttingen 2014, 7. Die Figurinen zeigen im Material (Ton), dem Herstellungsprozess (Brennvorgang) und dem roten Farbüberzug eine Übereinstimmung mit der Siedlungskeramik. Die Anfertigung der Siedlungskeramik vollzog sich in einer (Töpfer)Werkstatt, die gleichfalls für die Figurinen anzunehmen wäre. 87 Vordere rechte Seitenkammer in der Grabkammer Sethos’ I.: HkA.w wab Hr DADA=f jri rpy.t aHa.tj Hr t{tjw}=k rsj(.t) jri nTr[.t] Hr=s m-Hr-jb=s HfA.w aHa(.w) Hr sd=f Dr.t=s Hr X.t=f sd=f Hr tA „(Du) Zauberer, der rein ist auf seinem Haupt, forme eine Frauengestalt, die auf deiner südlichen Seite steht, und forme eine Göttin auf ihr, in ihrer Mitte, (dazu) einen Schlangengott, der auf seinem Schwanz steht, so daß ihre Hand auf seinem Leib ist, sein Schwanz (aber) auf der Erde“; E. Hornung, Der ägyptische Mythos von der Himmelskuh. Eine Ätiologie des Unvollkommenen, OBO 46, Freiburg / Göttingen 1982, 28, 47, Vers 206–208. Das Verb „machen“ (formen) bezieht sich nicht notwendigerweise auf eine wirkliche Anfertigung der Figurine seitens des Ritualexperten. 88 W. S. Sax, Agency, 27. Zur Rolle der Ritual-Akteure: H. Walsdorf, Performance, 89. 89 J. E. Quibell / R. F. E. Paget, The Ramesseum, ERA 2, London 1898, 3; A. M. Gnirs, Nilpferdstoßzähne und Schlangenstäbe. Zu den magischen Geräten und Papyri des sogenannten Ramesseumfundes, in: D. Kessler / R. Schulz / M. Ulmann / A. Verbovsek / S. Wimmer / B. Magen (Hgg.), Texte – Theben – Tonfragmente, ÄAT 76, Wiesbaden 2009, 128–156; J. Quack, Zur Lesung und Deutung des Dramatischen Ramesseumpapyrus, in: ZÄS 133 (2006), 72௅74, Anm. 6. 90 Die Kiste wurde möglicherweise bereits in der pharaonischen Zeit aus einem anderen Grab in den Schacht des Ramesseumsgrabes Nr. 5 umgelagert. Die Objekte sowie Papyri können demnach aus unterschiedlichen Kontexten stammen. 91 Zum Inhalt der Holzkiste gehörten insgesamt 24 Papyri mit administrativen und überwiegend medizinisch-magischen Texten, die sich auf Schwangerschaft, Geburt und den Schutz von Kleinkindern beziehen. Im nächsten Umfeld der Kiste lagen figürliche Objekte herum, die vermutlich als Gerätschaften in Ritualen verwendet wurden. Unter den Objekten befand sich eine Figurine aus Fayence mit einer Körperbemalung, die einer Tätowierung ähnelt. Vgl. Anm. 18. 92 A. M. Gnirs, Nilpferdstoßzähne und Schlangenstäbe, 129, 151f., Anm. 124. Die Abbildung der Ammen mit den Zaubermessern weist diese als agierende Magierinnen aus, die allerdings nicht zwingend und nicht die einzigen Besitzerinnen der Kiste sein könnten. Außerdem wird im Mythos von der Vernichtung des Menschengeschlechts von dem Brauch erzählt, dem Sohn und der Tochter eine Amme zu geben: E. Hornung, Der ägyptische Mythos von der Himmelskuh, 14, 42, Vers 111–112. Andere Interpretationen des „Besitzers“ der Kiste: J. Quack, in: ZÄS 133 (2006), bes. 76; R. Parkinson, Reading Ancient Egyptian Poetry. Among other Histories, Malden 2009, bes. 157; S. Quirke, Writings for Good Health in Social Context. Middle and New Kingdom Comparisons, in: P. Campbell / R. Forshaw / A. Chamberlain / P. T. Nicholson (Hgg.), Mummies, Magic and Medicine in Ancient Egypt. Multidisciplinary Essays for Rosalie David, Manchester 2016, 183–196.

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Zuschreibung basiert überwiegend auf den ikonographischen Parallelen der Grabdarstellungen des Mittleren Reiches aus Deir el-Bersche und der Zweiten Zwischenzeit/des frühen Neuen Reiches aus el-Kab, die Ammen mit Zaubermessern93 und Schlangenstäben in den Händen hinter dem Grabbesitzer bzw. den Familienmitgliedern stehend zeigen.94 Allerdings muss sich die Identitätsbestimmung des Ritualexperten nicht nur auf eine bestimmte oder einzelne Person beschränken, denn der Inhalt der Holzkiste könnte auch über Generationen gesammelt worden und mehreren Personen zugehörig gewesen sein.95 Der Ritual-Rezipient könnte den Schriftquellen zufolge eine nach Heilung bzw. Schutz suchende Person sein.96 Der zeitliche Ablauf, der Ort und Aufwand für die Vorbereitung des Rituals lassen sich aus den Ritualanleitungen jedoch nicht ablesen.97 Vor der 18. Dynastie gibt es keine Schriftzeugnisse, die eine „Präsenz religiöser Praktiken“ durch Privatpersonen aus dem Siedlungskontext direkt belegen.98 Anhand der Namensbildung und der Wahl der persönlichen Gottheit postuliert Maria Luiselli die Präsenz einer individuellen Religiosität, die im Gegensatz zur königlichen Patronage des Neuen Reiches stehe.99 Zusätzlich kann eine stilistische und materielle Veränderung der weiblichen Figurinen im Neuen Reich beobachtet werden. Diesen Wandel führt Pinch100 auf eine Verlagerung der Produktion der Figurinen in die Tempelwerkstätten während des Neuen Reiches zurück, die mit einer Angliederung an den Staatskult einhergehen. Gleichfalls sieht Luiselli zu Beginn des Neuen Reiches eine Integrierung des individuellen Kultes101 in den Staatskult der Tempel.102 6 Resümee Die weiblichen Figurinen aus dem Siedlungsbereich der Areale R/III und R/IV können anhand des archäologischen Befundes nicht unmittelbar in einem Kontext mit ritueller Rahmung 93 Die sog. Zaubermesser wurden als Apotropaia aufgrund der Inschriften auf den Rückseiten klassifiziert: H. Altenmüller, Apotropaia, 64 ff. Außerdem wurde eine Verbindung mit dem Schutz der Kinder im Diesseits (ebd. 69) und der Verstorbenen im Jenseits konstatiert: H. Altenmüller, Ein Zaubermesser aus Tübingen, in: WeltOr 14 (1983), 36ff. 94 Die Ammen beherrschten die auf Kinder bezogene Heilungskunde. Vgl. Anm. 92. Zu Ritualexpertinnen in den späten Osirisliturgien: A. Kucharek, Frauen im Tempel. Zur Frage der Ritualakteure in den „Klageliedern von Isis und Nephthys“, in: J. Quack (Hg.), Ägyptische Rituale der griechischrömischen Zeit, ORA 6, Tübingen 2014, 185–199. 95 Berufsgruppe der Magier/Magierinnen: J. Quack, in: ZÄS 133 (2006), 74. 96 J. Quack, Landesverteidigung und Liebeszauber, 35. 97 Eine Deponierungsanweisung der weiblichen Figurinen vergleichbar mit dem Sargtext 37 für die Ächtungsfiguren ist nicht bekannt. 98 M. M. Luiselli, Die Suche nach Gottesnähe. Untersuchungen zur persönlichen Frömmigkeit in Ägypten von der Ersten Zwischenzeit bis zum Ende des Neuen Reiches, ÄAT 73, Wiesbaden 2011, 91, 149, 175௅187. 99 Anhand der Wahl des Namens, der Berufstitulatur und der Gottheit. In den Autobiographien identifiziert sich der Grabinhaber durch seinen Beruf mit der jeweiligen lokalen Gottheit: M. M. Luiselli, Die Suche nach Gottesnähe, 148f. 100 G. Pinch, Votive Offerings to Hathor, 225. Die kleinen Heiligtümer werden als Produktionsstätten der Figurinen und der anderen Votivobjekte für das Mittlere Reich postuliert. Diese Kultstätten erfahren im Neuen Reich einen Anstieg in den Tempelbezirken, der ebenfalls in Bezug mit einer Angliederung an den Staatskult stehen soll. 101 Zum populären Kult: G. Pinch, Votive Offerings to Hathor, 221; M. M. Luiselli, Die Suche nach Gottesnähe, 59. 102 G. Pinch, Votive Offerings to Hathor, 360; M. M. Luiselli, Die Suche nach Gottesnähe, 76.

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verortet werden. Der Befund von 9699G lässt sich aufgrund der archäologischen Situation (noch) nicht erschließen. Ferner stellen die Figurinen 9653O und 9649I umgelagertes Material dar und erlauben keine eindeutigen Rückschlüsse auf deren primäre Nutzung. Die äußere Gestaltung dieser Figurinen weicht im Vergleich von den anderen weiblichen Figurinen aus Ägypten ab. Eine gewisse Übereinstimmung könnte mit den sog. Fruchtbarkeitsfigurinen vorliegen, zu denen 9653O am ehesten eine Parallele darstellen könnte. Die Verwendung dieser Fruchtbarkeitsfigurinen steht in Bezug zum Hathorkult und zur privaten Ausübung von rituellen Handlungen.103 Die Schriftquellen legen eine Deutung der weiblichen Figurinen aus Ton als performative Gegenstände in Heilungsritualen nahe. Außerdem könnte eine Verbindung zwischen den Texten mit Ritualanweisungen und den Fruchtbarkeitsfigurinen bestehen, die vermutlich zum Inventar eines Ritualexperten gehört haben. Abschließend könnte die Figurine 9653O als Ritualgegenstand angesprochen, und diese Interpretation auf Basis der Textquellen um einen performativen Charakter erweitert werden. Demgegenüber sind bei der Deutung der Figurinen 9699G und 9649I die Unterschiede in der formalen Gestaltung zu berücksichtigen. Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Fotos: N. Gail, A. Krause.

Literaturverzeichnis Abubakr, A. M. / J. Osing, Ächtungstexte aus dem Alten Reich, in: MDAIK 29 (1973), 97௅133. Adelmann, A. / K. Wetzel, Ritualraum, in: C. Brosius / A. Michaels / P. Schrode (Hgg.), Ritual und Ritualdynamik. Schlüsselbegriffe, Theorien, Diskussionen, Göttingen / Bristol 2013, 180௅187. Altenmüller, H., Die Apotropaia und die Götter Mittelägyptens. Eine typologische und religionsgeschichtliche Untersuchung der sogenannten „Zaubermesser“ des Mittleren Reiches I, München 1964. Altenmüller, H., Ein Zaubermesser aus Tübingen, in: WeltOr 14 (1983), 30௅45. Altenmüller, H., Feste, in: LÄ II (1977), 171௅191. Bagley, J. M. / C. Kost, Bedeutungsfelder figürlicher Kunst in frühen Kulturen, in: C. Juwig / C. Kost (Hgg.), Bilder in der Archäologie – eine Archäologie der Bilder?, TAT 8, Münster / New York / München / Berlin 2010, 173௅196. Baines, J., Restricted Knowledge, Hierarchy, and Decorum: Modern Perceptions and Ancient Institutions, in: JARCE 27 (1990), 1–23. Barns, J. W. B., Five Ramesseum Papyri, Oxford 1956. Baxandall, M., Painting and Experience in Fifteenth-Century Italy. A Primer in the Social History of the Pictoral Style, Oxford 1972. Bomann, A. H., The Private Chapel in Ancient Egypt. A Study of the Chapels in the Workmen’s Village at El Amarna with Special Reference to Deir el Medina and Other Sites, Studies in Egyptology 13, London 1991. 103 Beides ist innerhalb des Siedlungsbereiches überwiegend für das Neue Reich belegt. Zu den Kultstätten des Mittleren Reiches: G. Pinch, Votive Offerings to Hathor, 221. Zu den Kultstätten des Neuen Reiches: A. H. Bomann, The Private Chapel in Ancient Egypt. A Study of the Chapels in the Workmen’s Village at El Amarna with Special Reference to Deir el Medina and Other Sites, Studies in Egyptology 13, London 1991, 21, 60–68; G. Pinch, Votive Offerings to Hathor, 221f. Zur weiteren Deutung der Kultstätten: A. Stevens, The Amarna Royal Women as Images of Fertility. Perspectives on a Royal Cult, in: JANER 4/1 (2004), 119f.

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L: 6,9 cm B: x + 2,4 cm + y T: 1,8 cm

L: 8,1 cm + y B: 6,2 cm T: 2,7 cm

L: 5,4 cm B: 1,75 cm T: 1,1 cm

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Abb. 1: Lehmfigurinen aus den Arealen R/III und R/IV.

9649I

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L: x + 5,8 cm B: x + 1,9 cm T: 2,1 cm

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„Ich bin gekommen, um dein Schutz zu sein“ Position und Rolle des Anubis(-Priesters) bei der Begräbnisprozession nach Vignetten des Totenbuches Ghada Mohamed

Chapters 1 and 1 B of the Book of the Dead contain a large number of detailed vignettes that depict the funerary procession. One of the most interesting and important elements in the procession is the god Anubis or a priest who wears a jackal`s mask. This priest represents the god, stands behind the deceased and occasionally embraces him. This priest also fulfils various tasks in the procession, in which he appears in different forms and positions. This article aims to describe and to analyse these forms, positions and tasks in the context of the funerary procession. 1 Einleitung Das altägyptische Totenbuch (Originaltitel: prt m hrw „Herausgehen am Tage“1) besteht aus verschiedenen, teilweise mit Vignetten illustrierten Sprüchen, deren Hauptaufgabe es ist, nicht nur dem Verstorbenen auf dem Jenseitsweg zu helfen und ihn zu schützen, sondern auch, es ihm zu ermöglichen, ewig zu leben. Die Vignette zum ersten Kapitel des Totenbuches behandelt das Begräbnis sowie die Bestattungsprozession und zeigt, wie die Mumie und die Beigaben zum Grab transportiert werden. Der Bestattungszug umfasst im Allgemeinen die Standartenträger, die Beigabenträger, die Opferträger, die Klageweiber, die Familienangehörigen (mit Betonung auf der Frau des Verstorbenen und einer anderen Frau, die zusammen die Rolle der großen und kleinen Weihen, also Isis und Nephthys, spielen), Freunde und Priester und schließlich die Mumie des Verstorbenen. Der vorliegende Beitrag ist einem Detail am Ende der Vignette des ersten Totenbuchkapitels gewidmet, nämlich dem (gelegentlich als Anubis maskierten) Priester, der unmittelbar vor dem Grab hinter dem Verstorbenen steht, ihn stützt und gelegentlich umarmt. Dieser Priester taucht an verschiedenen Positionen innerhalb der langen Vignetten auf und wird auf unterschiedliche Art und Weise dargestellt. Weiterhin geben ein paar begleitende Texte dieses Kapitels Hinweise auf seine Funktionen und erklären seine Bedeutung für den Verstorbenen.

1 Wb II, 499.

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2 Der Priester, der hinter dem Verstorbenen steht 2.1 Kurze Beschreibung der Begräbnisprozession nach den Vignetten des ersten Kapitels des Totenbuches Die allgemeine Reihenfolge der Prozessionsszenen in den Vignetten dieses Kapitels2 fängt mit den Beigabenträgern an, die die verschiedenen Arten der Möbel, wie z. B. Kästen, Gefäße, Betten und Stühle, Kosmetika, Schmuck, Versorgungsmittel etc. zum Grab transportieren. Der Sargschlitten mit der Mumie oder dem Mumienschrein in einer Barke, der Kanopenkasten, der auf den Außenseiten dekoriert ist, und Statuen des Verstorbenen auf Schlitten werden von Personen und/oder von Rindern gezogen. Dann folgen eine oder mehrere Gruppen der Klagenden, die normalerweise aus Frauen, aber bisweilen auch Männern bestehen. Sie demonstrieren ihre Traurigkeit durch Schreien, Weinen und bestimmte Gesten, wie das auf dem Boden Knien, das Anheben beider Arme oder das Legen der Hand auf den Kopf oder unter das Kinn. Blumen, Tieropfer, ein Mann, der einen Rinderschenkel opfert, eine Kuh und ein kleines Kalb sind ebenso zu sehen wie verschiedene Priester, wie z. B. der Vorlesepriester, der sm-Priester im typischen Leopardenfell, der mit einem Räucherarm Weihrauch sowie eine Libation mit einem Hs-Gefäß darbringt und das Mundöffnungsritual3 durchführt, und schließlich der Priester, der sich hinter der Mumie des Verstorbenen befindet, auf den sich dieser Aufsatz im Wesentlichen konzentriert. Die letzte Phase der Prozession zeigt eine Darstellung des Graboberbaus, vor dem eine Stele, ein oder mehrere Särge des Verstorbenen in senkrechter Position, eine oder mehrere weinende Frauen sowie ein Opfertisch mit vielen Opfergaben, der vom Priester beweihräuchert und gereinigt wird, wiedergegeben sind. Ein anderer Priester führt das Ritual der ,,Öffnung des Mundes“ durch. Dabei befindet sich der als Anubis maskierte Priester hinter dem Verstorbenen. Die Vignette des Kapitels 1 B besitzt auch Darstellungen des Anubis(-Priesters) und zeigt ihn im Mumifizierungszelt, während er die Mumie bandagiert.4 Manchmal führt 2 E. Naville, Das altägyptische Totenbuch der XVIII. bis XX. Dynastie aus verschiedenen Urkunden zusammengestellt I: Text und Vignetten, Berlin 1886, I–IV; M. Saleh, Das Totenbuch in den thebanischen Beamtengräbern des Neuen Reiches, AV 46, Mainz 1984, 9; zu weiteren Details über die Vignetten des ersten Kapitels des Totenbuches, ihr Auftreten in den verschiedenen Quellen und ihre Entwicklung im Laufe der Zeit vgl. T. Tawfik, Die Vignette zu Totenbuch-Kapitel 1 und vergleichbare Darstellungen in Gräbern, unpubl. Dissertation Bonn 2008. 3 Zu diesem Ritual s. A. M. Roth, Opening of the Mouth, in: The Oxford Encyclopedia of Ancient Egypt II, Oxford 2001, 605–607; E. A. W. Budge, The Book of the Opening of the Mouth, London 1909; E. Otto, Das Ägyptische Mundöffnungsritual, ÄA 3, Wiesbaden 1960; A. M. Roth, Fingers, Stars and the Opening of the Mouth. The Nature and Function of the NTrwi Blades, in: JEA 79 (1993), 57–79; M. Smith, The Liturgy of Opening of the Mouth for Breathing, Oxford 1993; E. Cruz-Uribe, Opening of the Mouth as Temple Ritual, in: E. Teeter / J. Larson (Hgg.), Gold of Praise. Studies on Ancient Egypt in Honor of Edward F. Wente, SAOC 58, Chicago 1999, 69–73; J. F. Quack, „Ein Prätext und seine Realisierungen. Aspekte des ägyptischen Mundöffnungsritualsெ, in: H. Roeder / B. Dücker (Hg.), Text und Ritual. Essays und kulturwissenschaftliche Studien von Sesostris bis zu den Dadaisten, Heidelberg 2005, 165–185; J. F. Quack, Bilder vom Mundöffnungsritual – Mundöffnung an Bildern, in: C. Ambos / P. Rösch / B. Schneidmüller / S. Weinfurter (Hgg.), Bild und Ritual. Visuelle Kulturen in historischer Perspektive, Darmstadt 2010, 18–28. 4 E. Naville, Tb Text und Vignetten, 5. Wichtig ist es anzumerken, dass diese Vignette dem zentralen Abschnitt derjenigen des Kapitels 151 sehr ähnlich ist. Letztere taucht auch in den thebanischen Gräbern auf, aber in kleinerem Umfang, vgl. M. Saleh, Totenbuch, 84–85. Zu weiteren Angaben über das Kapitel 151 s. B. Lüscher, Untersuchungen zu Totenbuch-Spruch 151, SAT 2, Wiesbaden 1998.

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er auch hier das Mundöffnungsritual durch, so dass der Verstorbene die Fähigkeit erlangt, wieder zu essen, zu atmen und sich zu bewegen, und somit wieder zu leben. 2.2 Die Formen und die Rolle des Anubis(-maskierten Priesters) 2.2.1 Die Erscheinungsvielfalt Die verschiedenen Belege der Vignetten des ersten Kapitels zeigen Varianten in manchen Details der Gestalt des Priesters. Aus der 18. Dynastie stammen Darstellungen der Begräbnisprozession wie diejenigen im Grab des Ipuky und des Nebamun (TT 181), wo zwei Priester vor dem Grab und hinter zwei Särgen stehen (Abb. 1). Die Priester tragen nicht nur die typischen kurzen Schurze aus Leinen, die bis zu den Knien reichen, sondern auch ein langes plissiertes, durchsichtiges und einschultriges Gewand. Beide sind kahlköpfig, erscheinen ohne Anubis-Masken und stützen die Mumien, die ein bisschen nach hinten geneigt sind, wie die Füße der anthropoiden Särge zeigen. Jeder Priester umarmt eine Mumie mit dem rechten Arm, während sein linker Arm auf die Seite der Mumie gelegt ist. Obwohl das Grab von Amuneninet (TT 277) eine ähnliche Szene ohne maskierten Priester aufweist, enthält das untere Register der Stele vor dem Grab interessanterweise ein kleines Bild, worauf nochmals der Priester hinter dem Sarg steht, aber dieses Mal die Anubis-Maske trägt, während ein anderer Priester Weihrauchopfer vollzieht und reinigt (Abb. 2). Der Priester hinter dem mumienförmigen Sarg auf der Grabwand des Roy (TT 255), das ebenso in die 18. Dynastie datiert, trägt die Anubis-Maske5 (Abb. 3). Es ist bemerkenswert, dass der Text den Verstorbenen als „Osiris, den königlichen Schreiber Roy“ benennt, was indes verständlich ist, da er sich nach seinem Tod mit dem Gott des Jenseits rituell vereinigt. Der Text benennt den Priester auch direkt als Anubis und gibt ihm dessen Beinamen. Auf dem Totenbuch-Papyrus pDublin 4, der in die 19. Dynastie datiert wird, erscheint der Priester hinter dem Verstorbenen in anderer Weise (Abb. 4). Er trägt ein langes Gewand und eine Perücke mit einem Stirnband, legt eine Hand auf den Sarg und die andere auf seinen Kopf als Trauergestus. Andererseits taucht der Priester mit Anubis-Maske in anderen Quellen aus derselben Zeit auf, wie im Papyrus des Ani (BM 10470) (Abb. 5), im Papyrus des Hunefer (BM 9901) (Abb. 6), und im Grab des Amunemheb6 (TT 44). In diesen drei Darstellungen steht der Priester wie gewöhnlich hinter der Mumie und umarmt sie mit beiden Armen. Beachtenswert ist, dass der umfassende rechte Arm des Priesters auf dem Papyrus des Hunefer länger ist als realistisch erwartbar und bis zur Taille der Mumie reicht. Dies passt nicht zu den anatomischen Größenverhältnissen des Körpers des Priesters, aber gleichzeitig bestätigt es die Absicht und den Wunsch, diese bestimmte Position der Umarmung darzustellen und so den Verstorbenen in den Armen von Anubis bzw. seines Vertreters erscheinen und von diesem umarmen zu lassen. In manchen Quellen aus der 20. Dynastie ist der Priester hinter dem Verstorbenen wieder kahlköpfig7 dargestellt. Der Priester trägt im pLeiden T4 des Paqrer (Abb. 7) den kur5 M. Baud / É. Drioton, Tombes thébaines. Nécropole de Dra Abou-Naga. Le tombeau de Roy, MIFAO 57, Kairo 1928, 11, 33, Fig. 8. 6 PM I.1, 84. 7 In seiner Arbeit hat Naville (a. a. O.) diesen Priester mit einer kurzen Perücke präsentiert, während das Bild des Papyrus im Totenbuchprojekt Bonn zeigt, dass er eigentlich kahlköpfig ist. Vgl. E. Naville, Tb Text und Vignetten, 4; Totenbuchprojekt Bonn, TM 134347 (totenbuch.awk.nrw.de/objekt/tm134347).

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zen Schurz, hält die Mumie mit einem Arm und legt den anderen auf den leicht nach hinten geneigten Kopf zum Trauergestus. Bemerkenswert ist dabei, dass auf der Stele, die hinter dem Priester steht, Anubis als liegender Schakal auf seinem Schrein wiedergegeben ist. Der Papyrus Greenfield (pLondon BM 10554,2) aus der 21. Dynastie (Abb. 8) und eine Szene im Grab des Padihorresnet (TT 196) im Asasif aus der 26. Dynastie (Abb. 9) zeigen eine einander sehr ähnliche Positionierung des Priesters, der hinter dem Sarg steht. In beiden Szenen tauchen die als Anubis maskierten Priester im Schurzgewand auf und halten jeweils den Sarg mit beiden Händen. Im Gegensatz zu den vorherigen Darstellungen stehen die Priester mit ein wenig Abstand von den Särgen, als ob sie sie nur leicht beim Stehen unterstützten, aber ohne Andeutung des Umarmungsgestus. Bei der zweiten Szene, der des Padihorresnet, steht der Name des Anubis genau über dem Priester. In seltenen Fällen wird der als Anubis maskierte Priester durch das Imntt-Zeichen ersetzt. Eine sehr schöne Darstellung aus dem Grab des Amunemipet (TT 41)8 (Abb. 10) zeigt die Begräbnisprozession wie üblich, aber dort steht hinter dem Sarg und auf den Treppen ein anthropomorphes Imntt- Zeichen statt des Anubis und empfängt den Verstorbenen in seinen Armen. Dann, hinter dem Grab, wird Imntt abermals dargestellt, hier, als eine Frau, die vor dem Berg des Westens steht und den Grabbesitzer umarmt. Trotz der Seltenheit des Auftretens der Imntt in dieser Position vor dem Grab, ist ihre Anwesenheit als Westsymbol und Göttin doch verständlich und sinnvoll.9 Die Vignette des Kapitels 1 B ist, wie bei der kurzen Beschreibung oben bereits erwähnt, schlicht. Wie die Beispiele aus den Gräbern des Sennedjem (TT 1) (Abb. 11) und Amunnacht (TT 218)10 zeigen, beugt sich der als Anubis maskierte Priester im Mumifizierungszelt, dessen Decke manchmal von vier Säulen – zwei auf jeder Seite – gestützt wird, über den Verstorbenen, der auf einem löwenköpfigen Ritualbett liegt, und berührt ihn mit seinen Händen. Dieses Kapitel mit den begleitenden Texten ist in den Gräbern von Deir elMedina11 häufiger belegt als die Texte und die Vignetten des Kapitels 1. Diese Darstellung

8 S. a. N. M. Davies, Some Representations of Tombs from the Theban Necropolis, in: JEA 24 (1938), 36–37, Abb. 7. 9 Die Göttin des Westens umarmt und empfängt den Verstorbenen/Osiris sehr oft entweder nur in textlicher oder bildlicher Form oder in beiden. Die Vignetten des Kapitels 148 des Totenbuches zeigen die Westgöttin, die hinter Osiris – manchmal mit Falkenkopf – steht und ihn mit beiden Armen umarmt, während der Text zu der Göttin lautet: „Imentet Nefret, ihre Arme empfangen dich“. Zur Göttin des Westens und ihren Darstellungen in den Vignetten des Kapitels 148 s. R. Lepsius, Das Totenbuch der Aegypter nach dem hieroglyphischen Papyrus in Turin, Leipzig 1842, 16, Taf. 70; T. G. Allen (Hg.), The Egyptian Book of the Dead. Documents in the Oriental Institute Museum at the University of Chicago, OIP 82, Chicago 1960, Taf. 91, 46; H. Refai, Die Göttin des Westens in den thebanischen Gräbern des Neuen Reiches, ADAIK 12, Berlin 1996; N. de Garis Davies, The Tomb of Nefer-hotep at Thebes, PMMA 9, New York 1933, Taf. 30; J. Assmann, Der Tod als Thema der Kulturtheorie. Todesbilder und Totenriten im Alten Ägypten. Frankfurt a. M. 2000, 37; als Beispiele für die textliche Umarmung durch die Göttin ohne tatsächliche bildliche Darstellungen: N. de Garis Davies / A. H. Gardiner, The Tomb of Amenemhet (No. 82), London 1915, Taf. 10, 27. 10 M. Saleh, Totenbuch, 11, Abb. 4. 11 Gemäß Saleh erscheint die Vignette der Balsamierung in 17 Gräbern, 16 davon befinden sich in Deir elMedina. Ich werde hier lediglich ein paar Exemplare nennen, s. M. Saleh, Totenbuch, 10–11.

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könnte mit dem Beinamen des Anubis imy wt, „der der Verbindende ist“ oder „der in der Balsamierungsstätte ist“12 übersetzt und verbunden werden. 2.2.2 Die Rolle des Priesters im Zusammenhang der Totenbuch-Kapitel 1 und 1 B Anubis wird als Sohn von Osiris bezeichnet, aber die Quellen erwähnen mehrere Varianten, wer seine Mutter ist: Nephthys, Isis-Sachmet, Hesat, Kebehut und Bastet.13 Aufgrund der Natur des Schakals als Canide, der in der Wüste lebt, verbanden die Ägypter ihn mit der Nekropole und betrachteten ihn als Hüter und Beschützer der Toten, weswegen auch seine Beinamen mit dem Totenreich und allem dies Betreffenden zu tun haben14. Diese Rolle wurde durch den Mythos von Osiris und Seth bestätigt, in dem Anubis Isis und Nephthys geholfen hat, Osiris zu finden, und sich zudem um die Leiche gekümmert hat15. So war er der erste „Balsamierer“ (wt)16, der den ersten Mumifizierungsprozess vorgenommen hat. Manche Sprüche der Pyramidentexte vergleichen Anubis mit einem oder mehreren Gliedmaßen des Osiris/Königs17 und erwähnen, dass er kommt, um Osiris/den König zu treffen18 und ihn zu reinigen19. In den Sargtexten wird deutlich erwähnt, dass Anubis bzw. sein Arm auf dem Verstorbenen als dessen Schutz dient.20 Das könnte mit der Vignette des Kapitels 1 B und manchen der begleitenden Texte verglichen und als ein früheres Vorbild für dieses Kapitel betrachtet werden. Die Sargtexte erklären ebenso, dass (der Balsamierer) Anubis Osiris/den Verstorbenen (oder mitunter auch den Gott Re) erweckt und ihm das Leben gibt.21 Er hilft ihm zusammen mit anderen Gottheiten, nicht zu verwesen22, indem er seinen Körper behandelt23 und reinigt24, die Leiche mumifiziert und in feines Leinen hüllt25 und Weihrauch für ihn verbrennt26. Vom Neuen Reich an erscheint der Balsamierungsgott mit einer Mischgestalt als ein schakalköpfiger Mann und leitet den Toten.27 In seiner menschlichen Gestalt balsamiert 12 C. Leitz (Hg.), Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen I, Löwen / Paris / Dudley (MA) 2002, 232–234. 13 B. Altenmüller, Anubis, in: LÄ I (1975), 327; D. M. Doxey, Anubis, in: The Oxford Encyclopedia of Ancient Egypt II, Oxford 2001, 98. 14 Für die Beinamen des Anubis und die Bedeutung seines Names s. B. Altenmüller, Anubis, in: LÄ I (1975), 327–333; D. M. Doxey, Anubis, 97–98; K. Sethe, Urgeschichte und älteste Religion der Ägypter, Leipzig 1930, 7, 9, 16, 24, 25, 52; Leitz, LGG I, 390; R. H. Wilkinson, The Complete Gods and Goddesses of Ancient Egypt, London, 2003, 188–190. 15 D. M. Doxey, Anubis, 97. 16 C. Leitz, LGG II, 595. 17 R. O. Faulkner, The Ancient Egyptian Pyramid Texts, Oxford 1969, 40 (Pyr. 213, § 135), 235 (Pyr. 280, § 1549), 291 (Pyr. 677, § 2026–2027), 310 (Pyr. 721, § 2241–2242). 18 R. O. Faulkner, Pyramid Texts, 188 (Pyr. 512, § 1163), 249 (Pyr. 603, § 1676–1677). 19 R. O. Faulkner, Pyramid Texts, 290 (Pyr. 676, § 2012). 20 R. O. Faulkner, The Ancient Egyptian Coffin Texts I, Warminster 1973, 15, Anm. 5 (CT I, 74h), 47 (CT I, 223f, g). 21 R. O. Faulkner, Coffin Texts I, 46 (CT I, 221b, c, d), 50 (CT I, 237e, f, g). 22 R. O. Faulkner, Coffin Texts I, 68 (CT I, 303h, 304a). 23 R. O. Faulkner, Coffin Texts I, 186 (CT III, 312e). 24 R. O. Faulkner, Coffin Texts I, 275 (CT IV, 344b). 25 R. O. Faulkner, Coffin Texts, I, 280–281 (CT IV, 375a, b, c). 26 R. O. Faulkner, Coffin Texts I, 56 (CT I, 256h, 257a). 27 B. Altenmüller, Anubis, in: LÄ I (1975), 327; D. M. Doxey, „Anubis“, 97; auch mit weiterer Literatur: H. Kockelmann, „Anubis“, in: Wibilex 2008 (https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/13481/).

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und schützt er den Körper, führt den Verstorbenen vor Osiris in „die Halle der beiden MaatGöttinnen“ und wiegt sein Herz gegen die Feder der Maat (Tb 125).28 In dem betreffenden Kapitel des Totenbuches (Tb 1) benennen die Texte den Priester, der hinter den Särgen am Ende der Begräbnisprozession steht, in manchen Fällen als Anubis und geben ihm ebenfalls dessen Beinamen und folgerichtig seine Aufgaben. Dies bezieht sich deutlich darauf, dass dieser Priester die Rolle des Anubis spielt, ihn ersetzt und genau wie er behandelt wird. Die Umarmungsposition wurde absichtlich sowie auf unterschiedliche Weise wiedergegeben und variiert von einem reinen Stützen des Körpers – mit einem Leerraum zwischen Priester und Verstorbenem – zu der vollständigen, engen Umarmung mit beiden Armen. Die Texte des Kapitels 1 erwähnen diese Umarmung nicht, aber einige Texte aus Kapitel 1 B aus Gräbern in Deir el-Medina erklären den Zweck dieser Geste, obwohl gerade dessen Vignette keine Umarmung darstellt. So könnten diese textlichen Hinweise mit den Vignetten von Kapitel 1 verbunden werden. Einerseits ist die Begräbnisprozession im Grab von Nebenmaat in Deir el-Medina (TT 219) kurz und in kleinen Figuren dargestellt, und bemerkenswerterweise steht dabei kein Priester hinter dem Toten vor dem Grab,29 andererseits wurde die Vignette des Kapitels 1 B in großem Maßstab auf zwei Dritteln Höhe der nördlichen Wand abgebildet (Abb. 12), und Anubis, der der Bandagierer ist, sagt im begleitenden Text: „Ich bin gekommen, um dein Schutz zu sein. Ich umarme deinen Geburtsplatz. Ich fülle deinen Körper mit allen kostbaren Steinen des Gotteslandes, mit Salbe, Weihrauch und Stoffen.“30 Dieser Text erläutert die Aufgabe von Anubis als Beschützer des Verstorbenen und als Balsamierer des Leichnams, der sich um den Körper des Toten mit allen wertvollen Produkten aus Punt kümmert. Der „Geburtsplatz“ könnte mit der Nekropole verbunden werden31– oder das Grab selbst meinen – und die Umarmung durch Anubis, den Gott der Nekropole, könnte in diesem Zusammenhang ebenfalls auf den Schutz vor Übel und Fäulnis und ebenso auf die Anerkennung des Toten im Totenreich deuten. Im Grab des Irynefer, ebenfalls in Deir el-Medina (TT 290) gelegen, sagt Anubis: „Ich fülle deinen Körper (mit) Salbe und allen kostbaren Steinen des Gotteslandes. Mögen deine losgelösten Fleischstücke auf ihrem Platz und deine Gewänder bis in alle Ewigkeit sauber bleiben.“ 32 Und im Grab des Chabechnet in Deir el-Medina (TT 2) sagt er wieder: „Ich bin gekommen, um dein Schutz zu sein, ewiglich.“33 28 R. O. Faulkner, The Ancient Egyptian Book of the Dead, London 1985, 34 (Vignette zu Tb 125). 29 C. Maystre, Tombes de Deir el-Médineh. La tombe de Nebenmât (N° 219), MIFAO 71, Kairo 1936, Taf. 2 unten, 7. 30 M. Saleh, Totenbuch, 10. Diese Texte ähneln denen des Kapitels 151, die von Anubis rezitiert werden. Saleh hat sie dem Kapitel 1 B zugerechnet, diese Vignette mit den begleitenden Texten könnte aber ebenso als eine Verkürzung des Kapitels 151 betrachtet werden. 31 M. Saleh, Totenbuch, 10 (11). 32 M. Saleh, Totenbuch, 10. 33 M. Saleh, Totenbuch, 10.

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Diese Texte bestätigen immer wieder den wesentlichen ewigen Schutzaspekt des Anubis und verbinden ihn mit der Umarmung des Körpers, die der als Anubis maskierte Priester am Ende der Begräbnisprozession ausführt. Die Umarmung könnte hier ebenso als eine Aktion interpertiert werden, in der es darum geht, Körperteile bzw. die Fleischstücke des Osiris wieder einzusammeln. 2.2.3 Wo sonst taucht der als Anubis maskierte Priester in der Begräbnisprozession auf? Die Stelle hinter dem Toten ist, wie oben angesprochen, nicht die einzige Position, in der der als Anubis maskierte Priester in der Begräbnisprozession vorkommt. Auf dem Papyrus Paris Louvre AE/N 3068 des Nebqed aus der 18. Dynastie erscheint er nicht hinter dem Sarg vor dem Grab, sondern hinter dem Kanopenkasten (Abb. 13), worin die Eingeweide aufbewahrt werden. Der Kasten ist schwarz, auf einem Schlitten befestigt und wird von vier Männern gezogen. Der als Anubis maskierte Priester steht auf dem Schlitten, beugt sich über den Kasten und umfasst ihn mit beiden Armen. Kapitel 17 des Totenbuches, das sehr eng mit dem Kapitel 1 verknüpft ist,34 erklärt diese Rolle: „Für den, der entschlafen ist (und) auf der Milchstraße gebadet hat, ist er Anubis, der hinter dem Kasten steht, der die Eingeweide von Osiris enthält.“ 35 Eine sonstige Variante dieser Szene stammt aus dem Grab des Huy aus der 18. Dynastie (TT 54) (Abb. 14), wobei der Priester nicht hinter dem Kanopenkasten steht, der wie beim vorherigen Beispiel auf einen Schlitten gelegt und von vier Männern gezogen wird, sondern daneben. Er umarmt den Kasten ebenfalls mit seinem linken Arm und trägt den Namen des Anubis, wie in den Kolumnen darüber zu lesen ist. Der als Anubis maskierte Priester taucht auch im Sargschrein, der die liegende Mumie auf einem Bett enthält, auf. Dieser Schrein ruht auf einem Schlitten oder einer Barke und wird von mehreren Männern gezogen. Im Grab des Amunemheb genannt Mahu (TT 85)36 steht der Priester mit Anubis-Maske im Schrein neben der Mumie und beugt sich über sie, ähnlich wie in der Vignette des Kapitels 1 B. Der Papyrus Paris Louvre N. 3074 zeigt eine vergleichbare Szene, jedoch mit einigen markanten Unterschieden (Abb. 15). Beispielsweise begleiten hier Isis und Nephthys Anubis und die Mumie im Sargschrein. Außerdem beugt Anubis sich nicht über die Mumie und berührt sie nicht mit den Händen. Dazu ist Anubis größer als die anderen Personen im Schrein – einschließlich der Mumie – dargestellt, und sein Kopf und seine Schnauze sind größer als zu erwarten gezeichnet. Beachtenswerter Weise tragen die vier Männer, die die Barke ziehen, die Namen der vier Horussöhne – Amset, Hapi, Duamutef und Kebehsenuef – und dies deutet darauf hin, dass es Priester gab, die ebenfalls die Rolle dieser Götter gespielt haben. Hier tragen die Vertreter der vier Götter keine Masken, aber es gibt Hinweise auf die Möglichkeit, dass sie in anderen Belegen maskiert waren, wie es beim nächsten Beispiel (Abb. 16) der Fall sein könnte. Die Szene von Amunemheb (Abb. 15) scheint mit Anubis, Isis, Nephthys und den vier Horussöhnen eine Mischung von Kapitel 1, 1 B und Kapitel 151 darzustellen.

34 E. Naville, Tb Einleitung, 114, 123. 35 R. O. Faulkner, Book of the Dead, 49 (Tb 17). 36 PM I.1, 174(22).

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Einen seltenen Spezialfall37 stellt eine unfertige Szene im Grab des Samut, auch Kyky genannt, (TT 409)38 in Qurnah (Abb. 16) dar. Die Szene, die nur mit roter Farbe gezeichnet ist, zeigt eine Mumie, die von vier Männern getragen wird. Von links nach rechts trägt der erste eine Falkenmaske39, der zweite eine Schakalsmaske, während die letzten beiden auf der rechten Seite anscheinend keine (?) Masken tragen. Angesichts des Erhaltungszustandes würde ich jedoch in diesem Zusammenhang vermuten, dass einer der letzten beiden Priester eine Paviansmaske trägt und der andere tatsächlich unmaskiert ist, denn so würden sie die vier Horussöhne, die den Verstorbenen/Osiris tragen oder ziehen, imitieren und ihre Rolle spielen. Vor den vier Männern führt ein Priester, der eine Anubis-Maske trägt und wohl eine Lampe hält40, die Mumie in die Grabkammer. Hinter der Mumie stehen sechs Frauen, die höchstwahrscheinlich zu der Familie des Verstorbenen gehören. Es ist unklar, ob der als Anubis maskierte Priester auch noch hinter dem Sarg am Ende der Begräbnisprozession in diesem Grab steht, denn dieser Teil der Wand ist zerstört41, aber offenbar hat er hier eine neue Aufgabe, nämlich die vier Horussöhne bzw. die vier Sargträger zum Grab zu führen. Zum Abschluss sollte noch erwähnt werden, dass sich ein einziges Beispiel für eine reale Schakalsmaske aus der Spätzeit erhalten hat. Diese Maske befindet sich heute im Pelizaeus-Museum in Hildesheim, ist aus bemaltem gebranntem Ton hergestellt, 49 cm hoch und etwa 8 kg schwer42 (Abb. 17). Die Maske besteht aus zwei Teilen, denn der obere Teil, der aus dem Kopf, den Ohren und der Schnauze besteht, ist für sich ausgestaltet und dann mit dem unteren Trageteil verbunden worden. Unter der Schnauze befinden sich zwei Löcher, die es dem Träger der Maske erlauben, zu sehen und zu atmen. Es ist aber schwierig, mit Sicherheit zu sagen, ob diese Maske tatsächlich verwendet wurde oder nicht. Für eine Nutzung sprechen die Augenlöcher und die Bearbeitungen in den halbrunden Schultereinschnitten, die vielleicht gemacht wurden, damit die Maske später von verschiedenen Personen benutzt werden konnte. Möglicherweise wurde die Maske vom Priester phasenweise und nicht die ganze Zeit getragen. Gegen eine tatsächliche Nutzung sprechen aber 37 Obwohl diese Szene selten und sehr besonders ist, ist sie aber nicht singulär. Im Grab des Amuneninet (TT 277) befindet sich eine ähnliche Darstellung, in der vier Männer (ohne Masken) die Mumie tragen und von einem Priester, der ebenfalls keine Maske trägt, geführt werden. Vgl. J. Vandier d’Abbadie, Deux tombes ramessides à Gournet-Mourraï, MIFAO 87, Kairo 1954, 20, Taf. 14. 38 M. Abdul-Qader, Two Theban Tombs. Kyky and Bak-en-Amun, in: ASAE 59 (1966), 178, Taf. 87; M. Negm, The Tomb of Simut Called Kyky. Theban Tomb 409 at Qurnah, Warminster 1997, 32, Taf. 32b; M. Negm, A Commentary on Some Unusual Scenes from the Tomb of Simut Called Kyky, Theban Tomb 409 at Qurnah, in: DE 57 (2003), 71, Fig. 3. 39 Abdul-Qader erwähnt, dass der erste Priester eine Thot-Maske trägt, aber die Maske sieht doch eher wie ein Falkenkopf aus (vgl. Abb. 16) und außerdem passt der Falke im Kontext besser. M. Abdul-Qader, Two Theban Tombs. Kyky and Bak-en-Amun, 178. 40 M. Abdul-Qader, Two Theban Tombs. Kyky and Bak-en-Amun, 178. 41 M. Negm, The Tomb of Simut Called Kyky, Taf. 25. 42 B. Schmitz, Anubis-Maske für einen Totenpriester, in: A. Eggebrecht (Hg.), Suche nach Unsterblichkeit. Totenkult und Jenseitsglaube im Alten Ägypten, Mainz 1990, 34–35; M. Seidel, Mask of the God Anubis, in: A. Eggebrecht (Hg.), Pelizaeus-Museum Hildesheim, Mainz 1996, 87. 1985 hat Arelene Wolinski diese Maske getragen, um zu sehen, ob sie auf ihren Kopf passt und bequem zu tragen ist. Die Maske passte bequem über ihren Kopf und ruhte auf den Schultern und Rücken, so dass das Gewicht verteilt war, während die beiden Löcher an der richtigen Stelle für die Augen waren. s. A. Wolinski, Ancient Egyptian Ceremonial Masks, in: DE 6 (1986), 48; D. Sweeney, Egyptian Masks in Motion, in: GM 135 (1993), 102–103.

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das schwere Gewicht und das unpraktische zerbrechliche Material.43 Vielleicht wurde diese Maske als ein Muster für praktischere Masken, die aus leichteren Materialien hergestellt wurden, eingesetzt. Solche Materialen sind normalerweise relativ schnell vergänglich, und zersetzen sich durch permanenten Gebrauch. Deswegen gibt es wohl bis jetzt keine anderen Beispiele für solche Masken44. Ebenfalls ist es unsicher, ob solche Masken auch in den Tempeln während der dortigen Zeremonien, Prozessionen und Rituale verwendet wurden45, aber es ist sehr gut vorstellbar, dass mehrere Priester solche Masken von verschiedenen Göttern wirklich getragen haben. Der als Anubis maskierte Priester ist ein Beispiel dafür. 3 Zusammenfassung Wie die textlichen und ikonographischen Belege zeigen, sind Kapitel 1 (Vignette Prozession), und 1 B (Vignette Anubis im Mumifizierungszelt) des Totenbuches in den verschiedenen Quellen des Neuen Reiches und der Spätzeit zahlreich vertreten. In den Gräbern von Deir el-Medina wurde aus Platzmangel häufiger die Vignette des Kapitels 1 B oder eine kurze Version der Vignetten des Kapitels 1 dargestellt. Möglicherweise wurde die lange Version häufiger auf Papyri, die ebenfalls ins Grab gegeben wurden, aufgenommen. Andererseits zeigen Gräber in anderen Bereichen der thebanischen Nekropole sowie andere Quellen, wie die Papyri, meist die lange detailreiche Version der Vignetten von Kapitel 1.46 Bemerkenswert ist, dass der als Anubis maskierte Priester dabei nicht immer vorhanden ist. Er erscheint manchmal in seinem Mumifizierungszelt (die Vignette des Kapitels 1 B), wo er sich um den Körper des Toten kümmert, oder in verschiedenen Positionen bei der Begräbnisprozession. Besonders hinter dem Verstorbenen steht der Priester in verschiedenen Haltungen; zuweilen ist er kahlköpfig oder 43 B. Schmitz, Anubis-Maske für einen Totenpriester, 34. 44 Assmann weist darauf hin, dass die ägyptischen Priester überhaupt keine Masken trugen und Masken allgemein „ein marginales Phänomen“ waren. Seiner Meinung nach ist die einzigartige Schakalmaske des Anubis in Hildesheim eine Bestätigung, dass solche Masken eine Neuheit aus römischer Zeit waren, und ebenso, dass die Priester mit solchen Masken spät im Isiskult erschienen, wie auch eine Darstellung eines Priesters in Dendara zeigt, der eine ähnliche Maske trägt und von einem weiteren Priester helfend begleitet wird; s. J. Assmann, Du siehst mit dem Kopf eines Gottes. Gesicht und Maske im ägyptischen Kult, in: T. Schabert (Hg.), Die Sprache der Masken, Eranos N.F. 9, Würzburg 2002, 149–150, 157– 158; D. Sweeney, in: GM 135 (1993), 101–104, Fig. 1; A. Wolinski, in: DE 6 (1986), 48–49. Tatsächlich bedeutet keine älteren Masken zu finden nicht, dass solche Muster nicht existierten. Die unvollendete Darstellung aus dem Samut-Grab spricht für die Existenz von Masken von Göttern, die von den Priestern während der Rituale und Festivals getragen wurden, als sie die Rolle verschiedener Gottheiten spielten. Der Unterschied zwischen solchen Masken und den von Mumien liegt darin, dass die Masken der Mumien manchmal aus kostbaren Materialien hergestellt wurden, um ewig erhalten zu bleiben, und deswegen relativ schwer waren, so dass sie nur für Tote verwendet werden konnten. Die priesterlichen Masken wurden häufiger während der Rituale und Feste verwendet und waren deswegen anfälliger für Beschädigungen. Die war ist in der Tat ein Mittel, durch das der Priester göttliche Eigenschaften erwarb und in dieser Qualität als Vertreter des Gottes auf den Verstorbenen oder einen anderen Ritualempfänger einwirken konnte. 45 B. Schmitz, Anubis-Maske für einen Totenpriester, 87. 46 Zur Beispielen in Gräbern und auf weiteren Bilderträgern s. P. Barthelmess, Der Übergang ins Jenseits in den thebanischen Beamtengräbern der Ramessidenzeit, SAGA 2, Heidelberg 1992; T. Tawfik, Die Vignette zu Totenbuch-Kapitel 1 und vergleichbare Darstellungen in Gräbern, unpubl. Dissertation Universität Bonn 2008.

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trägt eine Perücke oder eben die Anubis-Maske. In manchen Fällen, in denen der Priester keine Maske trägt, wurde Anubis auf der Stele vor dem Grabeingang dargestellt. Der als Anubis maskierte Priester empfängt, unterstützt und schützt den Toten vor dem Eingang zur Unterwelt, nämlich dem Grab, mit einer Betonung auf der Umarmungsgeste, entweder textlich oder ikonographisch, was die Bedeutung seiner Rolle und die Wichtigkeit dieser Geste unterstreicht. Sehr oft trägt der Priester dabei direkt Namen und Beinamen des Gottes Anubis, und das bestätigt die Tatsache, dass dieser Priester die Position und Rolle des ersten und großen Balsamierers, Anubis, angenommen hat. Diese Rolle ist zweifellos mit den Aufgaben, die Anubis für Osiris in dessen Mythos erfüllt hat, verbunden. Sie wurde auf jeden Fall von den Priestern gespielt, entweder trugen sie dabei die Anubis-Maske oder nicht. Das Ende der Begräbnisprozession ist aber nicht die einzige Position, in der der als Anubis maskierte Priester erscheint: Er umarmt den Kanopenkasten, begleitet die Mumie in ihrem Schrein und führt die Sargträger zum Grab. Die Hildesheimer Anubis-Maske weist darauf hin, dass Priester mit solchen Masken – höchstwahrscheinlich auch für andere Götter – agiert haben, auch wenn bis jetzt keine weiteren Belege für derartige Masken gefunden wurden. Abbildungsverzeichnis Abb. 1: N. de Garis Davies, N. de Garis Davies, The Tomb of Two Sculptors at Thebes, RPTMS 4, New York 1925, Taf. 21. Abb. 2: J. Vandier D’Abbadie, Deux tombes ramessides à Gournet-Mourraï, MIFAO 87, 14–17, Taf. 12–13,2. Abb. 3: M. Baud / É. Drioton, Tombes thébaines. Nécropole de Dra Abou-Naga, MIFAO 57, Fig. 8. Abb. 4: E. Naville, Tb Text und Vignetten, 4. Abb. 5: R. O. Faulkner, Book of the Dead, 38. Abb. 6: R. O. Faulkner, Book of the Dead, 54. Abb. 7: E. Naville, Tb Text und Vignetten, 4. Abb. 8: E. A. W. Budge, The Greenfield Papyrus in the British Museum. The Funerary Papyrus of Princess Nesitanebtaৠhru, Daughter of Painetchem II and Nesi-Khensu, and Priestess of Amen-RƗ at Thebes, about 970 B.C. Reproduced in Collotype Facsimile, with Introduction and Description, London 1912, Taf. 3. Abb. 9: E. Graefe, Das Grab des Padihorresnet, Obervermögensverwalter der Gottesgemahlin des Amun. Thebani¬sches Grab Nr. 196, Mon Aeg 9, Turnhout 2003 II, Taf. V10. Abb. 10: J. Assmann, Das Grab des Amenemope (TT 41), Theben 3, Mainz 1991, Taf. 40. Abb. 11: B. Bruyère, La tombe No 1 de Sen-Nedjem à Deir el-Médineh, MIFAO 88, Kairo 1959, Taf. 30. Abb. 12: C. Maystre, Tombes de Deir el-Médineh: La tombe de Nebenmât (N° 219), MIFAO 71, Taf. 5 unten. Abb. 13: E. Naville, Tb Text und Vignetten, 3. Abb. 14: N. de Garis Davies, The Tomb of Two Sculptors at Thebes, Taf. 31 (1). Abb. 15: E. Naville, Tb Text und Vignetten, III. Abb. 16: M. Abdul-Qader, Two Theban Tombs. Kyky and Bak-en-Amun, in: ASAE 59 (1966), Taf. 87. Abb. 17: B. Schmitz, Anubis-Maske für einen Totenpriester, 34–35.

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Abb. 1: Zwei kahlköpfige Priester hinter den Särgen umarmen den Verstorbenen. Grab des Ipuky und des Nebamun (TT 181).

Abb. 2: Der Priester ist hinter dem Sarg und noch einmal mit einer Maske auf der Stele vor dem Grab dargestellt. Grab des Amuneninet (TT 277).

Abb. 3: Ein als Anubis maskierter Priester umarmt den Verstorbenen. Grab des Roy (TT 255).

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Abb. 4: Ein Priester mit Perücke stützt den Verstorbenen. Papyrus Dublin 4.

Abb. 5: Der als Anubis maskierte Priester umarmt den Verstorbenen vor dem Grab. Papyrus des Ani, London BM 10470.

Abb. 6: Der als Anubis maskierte Priester umarmt den Toten vor seinem Grab. Papyrus des Hunefer, London BM 9901.

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Abb. 7: Der Priester stützt den Toten und zeigt seine Trauer. Papyrus des Paqrer, Leiden T4.

Abb. 8: Der Priester mit der Maske des Anubis umarmt den Verstorbenen vor dem Grab. Papyrus Greenfield, London BM 10554, 2.

Abb. 9: Der als Anubis maskierte Priester umarmt und stützt Padihorresnet.

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Abb. 10: Das anthropomorphe Imntt-Zeichen umarmt den Verstorbenen vor dem Grab. Grab des Amenemope (TT 41).

Abb. 11: Der als Anubis maskierte Priester im Mumifizierungszelt. Grab des Sennedjem (TT 1).

Abb. 12: Der als Anubis maskierte Priester im Mumifizierungszelt führt das Mundöffnungsritual durch. Grab des Nebenmaat (TT 219).

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Abb. 13: Der als Anubis maskierte Priester hinter dem Kanopenkasten. Papyrus des Nebqed, Paris Louvre AE/N 3068.

Abb. 14: Der als Anubis maskierte Priester umfasst den Kanopenkasten. Grab des Huy (TT 54).

Abb. 15: Der als Anubis maskierte Priester sowie Isis und Nephthys begleiten die Mumie, die von vier Männern auf einem Schlitten gezogen wird. Papyrus des Tjenna, Paris Louvre N. 3074.

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Abb. 16: Der als Anubis maskierte Priester führt vier weitere Priester (?), die die Mumie tragen. Grab des Samut, auch Kyky genannt (TT 409).

Abb. 17: Die Schakalsmaske aus gebranntem Ton im Roemer- und Pelizaeus-Museum, Hildesheim.

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Die 900 „jmtjw/j.m(w)tjw“ der großen Hammamat-Inschrift Ramses’ IV.* Julianna Kitti Paksi

The paper presents a new hypothesis on the reading of the second last entry of the list of participants in Ramesses IV’s most extensive stone mining expedition commemorated in the Great Hammamat Inscription. In consideration of the linguistic and compositional ) is interpreted as a Late heterogeneity of the text, the key word of the passage ( Egyptian participle and is translated as “the dead”. 1 Die große Hammamat-Inschrift Ramses’ IV. aus dem Jahr 3 Der dritte König der 20. Dynastie, Ramses IV., schickte zwischen Jahr 1 und 3 seiner Regierungszeit (ca. 1155–1149 v. u. Z.) insgesamt vier Expeditionen in die Grauwacke-Steinbrüche des Wadi Hammamat etwa 75 km östlich von Koptos. Diese Expeditionen in das Wadi waren die größten und am besten dokumentierten im gesamten Neuen Reich.1 Grauwacke, den pharaonisch häufig belegten bekhen-Stein, ein sehr dichter, meist graugrüner Sandstein,2 brauchte Ramses IV. gemäß den uns vorhandenen Belegen für königliche Statuen und für die Arbeiten in der Nekropole.3 Die große Hammamat-Inschrift Ramses’ IV.4 feiert das Ereignis der letzten und größten Expedition des Königs in die Grauwacke-Steinbrüche der ägyptischen Ostwüste aus dem * Für Kritik, Anregungen und Korrekturen danke ich Prof. Susanne Bickel, Prof. Andréas Stauder, Prof. Alexandra Verbovsek, Dr. Burkhard Backes und Daniel Bättig. 1 T. Hikade, Expeditions to the Wadi Hammamat during the New Kingdom, in: JEA 92 (2006), 156–161. 2 Zum bekhen-Stein des Wadi Hammamat s. J. Harrell, Pharaonic Stone Quarries in the Egyptian Deserts, in: R. Friedman (Hg.), Egypt and Nubia. Gifts of the Desert, London 2002, 239 und R. Klemm / D. D. Klemm, Steine und Steinbrüche im alten Ägypten, Berlin 1993, 368–376. 3 In Zeilen 11–12 der großen Hammamat-Inschrift Ramses’ IV. wird der Grund der letzten Expedition folgendermaßen spezifiziert: r HHj nA wpw(t) n st mAat m pA Dw n bXn „um Aufträge für den Ort der Wahrheit (d. h. für die Nekropole) im Berg des bekhen-Steins ausfindig zu machen“ (K. A. Kitchen, Ramesside Inscriptions. Historical and Biographical VI, Oxford 1983, 13, 15). Für die Interpretation des Begriffs st mAat „Ort der Wahrheit“ als die thebanische Nekropole s. A. H. Gardiner, The House of Life, in: JEA 24 (1938), 163. Darüber hinaus nennt Zeile 5 von Usermaatre-Nachts Hammamat-Stele Folgendes als Ziel derselben Expedition: r jn mnw n Hm=f anx-wDA-snb „um seiner Majestät – er lebe, sei heil und gesund – Bauwerk(material) zu holen“ (K. A. Kitchen, Ramesside Inscriptions VI, 16, 1). Das Determinativ des Wortes mnw – Zeichen A53 der Gardiner-Liste ( ) kombiniert mit der oberägyptischen Krone ( ) – verrät uns, dass das gewonnene Material ganz spezifisch für königliche Statuen bestimmt war. 4 Text: K. A. Kitchen, Ramesside Inscriptions VI, 12–14; Bild: J. Couyat / P. Montet, Les inscriptions hiéroglyphiques et hiératiques du Ouâdi Hammâmât, MIFAO 34, Kairo 1912, Taf. IV, Abb. 12; L. Christophe, La stèle de l’an III de Ramsès IV au Ouâdi Hammâmât (No 12), in: BIFAO 48 (1949), Taf. 1 (Kopie des Letzteren); J. Harrell, Quarries, Abb. 143.

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Jahr 3. An dieser Expedition, die ungefähr zwei Monate lang dauerte,5 haben insgesamt mehr als 9000 Personen teilgenommen.6 Die königliche Denkschrift ist im Wadi am Straßenrand auf einer oben abgerundeten, 1.40 Meter hohen Stele angebracht.7 In der Szene sieht man den König vor Amun, Mut, Chonsu und Bastet. Hinter ihm stehen die Götter von Koptos: Min, Horus und Isis. Der Text besteht aus 22 relativ gut erhaltenen Zeilen. Eine größere Textlücke betrifft nur den Beginn der letzten vier Zeilen, da die untere rechte Ecke der Stele weggebrochen ist. Die Inschrift beginnt mit einer längeren Eulogie an den König in Zeile 3, gleich nach dem Datum und der königlichen Titulatur. Darauf folgt ein Bericht über die Reise in das Wadi, die Errichtung der Stele und das königliche Dekret, welches den Transport der Produkte nach Ägypten vorschreibt. Der Bericht wird von einer sechszeiligen Liste unterbrochen, die die Teilnehmer der Expedition detailliert aufzählt. Nach dieser eingeschobenen Liste fährt der Bericht mit der Beschreibung der logistischen Herausforderungen bezüglich des Nachschubs für die Expeditionstruppen fort und endet mit der Beschreibung einer Opfergabe und der göttlichen Belohnung des Königs. 2 Das Ende der Liste der großen Hammamat-Inschrift und frühere Interpretationsversuche Die ab Zeile 13 in den Bericht integrierte, sechszeilige Liste der Expeditionsteilnehmer, die mehr als ein Viertel des Textes einnimmt, erinnert sehr stark an die Form und den Inhalt verschiedener Verwaltungsdokumente. Die wichtigsten Beamten sind auch namentlich erwähnt, ansonsten folgt auf die Bezeichnung der jeweiligen Arbeitsgruppe oder Funktion nur die Anzahl der dazugehörigen Personen. Dem zweitletzten Eintrag der Liste, demjenigen unmittelbar vor der Angabe der Gesamtzahl8 (dmD 8 368 „insgesamt: 8 368“), wurde bisher am meisten Aufmerksamkeit geschenkt, da er aller Wahrscheinlichkeit nach eine außergewöhnliche Aussage beinhaltet. . Also: jmtjw/ Hieroglyphisch angegeben ist er wie folgt: j.m(w)tjw ntjj wA n9 pAjj sHn 900 „(die) jmtjw/j.m(w)tjw, die von diesem Auftrag (d. h. dieser Liste) fern (d. h. entfernt worden) sind: 900.“ Da die Übersetzung des ersten Wortes ) den eigentlichen Schlüssel zur Interpretation der Passage enthält, wird es hier ( zunächst bewusst auch in der deutschen Übersetzung lediglich mit seinen zwei Umschriftmöglichkeiten (jmtjw bzw. j.m(w)tjw) wiedergegeben. Die Lesung der Gruppe oder ) mit dem Helmperlist ziemlich klar, auch wenn der Adlerbussard (

5 Das Datum der Rückkehr der Truppen wurde auf einer schlecht erhaltenen Steinstele in Koptos dokumentiert (K. A. Kitchen, Ramesside Inscriptions VI, 16, 10). 6 Die Hammamat-Inschrift erwähnt 9268 (8368 + 900) Expeditionsteilnehmer (vgl. K. A. Kitchen, Ramesside Inscriptions VI, 14, 9). 7 J. Couyat / P. Montet, Ouâdi Hammâmât, 35. 8 K. A. Kitchen, Ramesside Inscriptions VI, 14, 9. 9 Die deutlich erkennbaren Kratzer um das Zeichen (vgl. K. A. Kitchen, Ramesside Inscriptions VI, 14, Anm. 9a) deuten auf eine gewisse Unentschlossenheit hinsichtlich der genauen Ausführung der Präposition hin. Das Verb wAi „fern sein, (sich) entfernen“ kommt in der Regel zusammen mit der Präposition r und nicht mit der Präposition n vor (Wb I, 245.3–11). Die Kratzer könnten entweder nachträgliche Verbesserungsversuche oder ein Hinweis darauf sein, dass das Zeichen in der Vorlage unklar ausgeführt war.

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) verwechselt wurde;10 die Unsicherheit um ihre Deutung hat hingegen behuhn (hier reits zu mehreren Interpretationsversuchen geführt. ein aus dem Nisbe-Adjektiv Im Jahre 1899 versuchte Wilhelm Spiegelberg in der Präposition m abgeleitetes Nomen Agentis zu lesen und übersetzte das Wort jmtjw mit „welche dort sind“.11 Er hielt das für eine euphemistische Bezeichnung der Verstorbenen, denn diese sind nicht mehr „hier“, sondern „dort“, im Sinne des Jenseits.12 Spiegelbergs Erklärung scheitert daran, dass Nomina Agenti definitionsgemäß Verbalsubstantive sind und nicht aus Präpositionen und von ihnen abgeleiteten Nisbe-Adjektiven gebildet werden können.13 Die Übersetzung „welche dort sind“ würde einem pluralischen Nisbe-Adjektiv der Präposition m (jmjw) oder – in Übereinstimmung mit der von der Expeditionsteilnehmerliste verwendeten Sprachstufe – eher einer neuägyptischen Relativkonstruktion (nA ntjj jm) entsprechen. Spiegelbergs grammatikalische Auslegung wird indes über Jahrzehnte nicht weiter hinterfragt, sondern als gegeben übernommen. So ist Louis Christophe der Erste, der Spiegelbergs Lesung und Übersetzung 1949 aufnimmt.14 Fünf Jahre später erklärt sich auch Pierre Montet mit Spiegelbergs grammatikalischer Analyse einverstanden.15 Allerdings verwirft er, aufgrund des Fehlens jeglichen Tod, die euphemistische Lesung des Wortes und bevorzugt eine Determinativs in wortwörtliche Deutung: „welche dort sind“. Die Lesung des Rests der Passage (ntjj wA n pAjj sHn 900) passt er demgemäß an, indem er das Demonstrativpronomen außer Acht lässt und das Pseudopartizip des Verbs wAi „fern sein, (sich) entfernen“ relativ frei interpretiert: „Présents, hors du rôle, 900.“16 Nach Montet deutete die Phrase also vielmehr darauf hin, dass diese 900 Personen zu keiner vorher aufgelisteten, spezifischen Arbeitsgruppe gehörten.17 2002 führt Hugues Perdriaud Montets Gedankengang weiter und schlägt vor, die in der Liste nicht erwähnten Personen als Dienstleute und Diener zu identifizieren.18 Diesen Vorschlag begründet er mit dem Verweis auf eine Passage am Anfang der Zeile 20 des Textes,

10 Zur häufigen Verwechslung dieser Zeichen vgl. A. H. Gardiner, Egyptian Grammar. Being an Introduction to the Study of Hieroglyphs, Oxford ³1957, Sign-list, Anm. zu G1, G4 und G21. In Zeile 11 der Inschrift findet sich ein weiteres Beispiel zum Phänomen (K. A. Kitchen, Ramesside Inscriptions VI, 13, 15); hier wird Gbtjw „Koptos“ ( ) mit dem Zeichen G21 anstatt des Zeichens G4 geschrieben. 11 W. Spiegelberg, Varia, in: RecTrav 21 (1899), 48–49. 12 W. Spiegelberg, in: RecTrav 21 (1899), 49. 13 Vgl. J. Osing, Die Nominalbildung des Ägyptischen I, Mainz 1976, 120ff.; W. Schenkel, Zur Rekonstruktion der deverbalen Nominalbildung des Ägyptischen, GOF 13, Wiesbaden 1983, 89ff.; H. Satzinger, On Egyptian Participles and Nomina Agentis, in: FolOr 49 (2012), 468ff. 14 L. Christophe, in: BIFAO 48 (1949), 21; 24–26, Anm. r. 15 P. Montet, L’effectif d’une expédition à la montagne de Bekhen en l’an III de Ramsès IV, in: Kêmi 13 (1954), 62. 16 P. Montet, in: Kêmi 13 (1954), 62. 17 „Autrement dit, l’expédition comprenait des hommes qui appartenant à l’armée, à l’administration, à des groupes officiellement reconnus avaient été désignés par ordre supérieur pour aller dans la montagne de bekhen, et d’autres qui ne faisaient partie d’aucun groupe organisé, sans profession peut-être, qui ne sont présentés ou ont été enrôlés individuellement“ (P. Montet, in: Kêmi 13 [1954], 62). 18 H. Perdriaud, Le cas des neuf cents “disparus” de la stèle de l’an 3 de Ramsès IV au Ouâdi Hammâmât, in: GM 186 (2002), 94–95.

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wo die Logistik der Nachschubversorgung beschrieben wird.19 Dieser Abschnitt enthält nämlich ein nur fragmentarisch erhaltenes Wort, das als Referenz auf das Versorgungspersonal verstanden werden kann.20 Um sich von der ursprünglich euphemistischen Lesung des Spiegelbergschen Konstrukts (jmtjw „welche dort sind“) eindeutig abzuwenden, bringt Perdriaud ein weiteres Argument vor, indem er behauptet, die Logik einer königlichen Inschrift würde es ohnehin nicht erlauben, über Verluste zu berichten.21 Neben den oben erwähnten Beiträgen wurde auf das Ende der Liste der großen Hammamat-Inschrift noch mehrfach Bezug genommen. Diese Erwähnungen verzichten jedoch auf jegliche philologische Diskussion der ursprünglichen Stelle und greifen offenbar, wenn auch indirekt, durch Christophe, der als Erster die Inschrift in ihrer Gesamtheit übersetzt hatte, auf Spiegelbergs Interpretation zurück. Montets und Perdriauds Aufsätze scheinen in späteren Beiträgen übersehen worden zu sein.22 John Baines, der den Text selbst nicht übersetzt, äußert sich z. B. lediglich zur Frage, wie es überhaupt möglich sei, in einer königlichen Expeditionsinschrift über Verluste zu lesen. Er erklärt dazu, dass die Anzahl der Todesfälle nicht ehrwidrig sei und deshalb öffentlich aufgezeichnet werden durfte.23 Sein ausschließlicher Fokus auf den Inhalt ist jedoch ein Indiz dafür, dass er mit der Spiegelbergschen Lesung einverstanden ist. Auch die beiden jüngsten Übersetzungen der Hammamat-Inschrift Ramses’ IV., sowohl Alexander J. Pedens als auch Kenneth A. Kitchens, richten sich nach der Lesung von Christophe („morts qui sont éloignés de cette liste“),24 die sich damit endgültig zu etablieren scheint.

19 Die zugehörige Passage (K. A. Kitchen, Ramesside Inscriptions VI, 14, 11) übersetzt er wie folgt: „[Il y avait également] de nombreux porteurs [Hervorh. d. Vf.] chargés de miches de pain, de viande et de gâteaux en quantités innombrables“ (H. Perdriaud, in: GM 186 [2002], 94). Vgl. auch mit Anm. 20. 20 Von dem Wort, das Perdriaud als „Träger“ übersetzt (vgl. Anm. 19), sind nur die Determinative erhalten: . Christophe hat die Zeichenreste z. B. als die des Wortes xndw „Läufer“ aufgefasst (L. Christophe, in: BIFAO 48 [1949], 27, Anm. b). Es wäre ebenso möglich, sie als die Endung der Wörter wpwtjw „Boten, Beauftragten“ oder mSaw „Reisenden“ aufzufassen. 21 H. Perdriaud, in: GM 186 (2002), 94: „Il est vrai que l’on a du mal à imaginer qu’un aspect aussi négatif que la disparition de près de 10% de l’effectif d’une expédition soit indiqué sur un monument vantant les mérites du pharaon!“ Er fügt noch das Folgende hinzu: „il paraît plus prudent d’opter pour la thèse évoquée par P. Montet qui transforme les ‘disparus’ en ‘non mentionnés’ en qui il convient, sans doute, de voir la masse du personnel des porteurs et des domestiques qu’une expédition de pareille importance ne manquait pas de compter dans ses rangs“ (H. Perdriaud, in: GM 186 [2002], 95). 22 Vgl. auch A. B. Lloyd, Expeditions to the Wadi Hammamat. Context and Concept, in: J. A. Hill / P. Jones / J. Morales (Hgg.), Experiencing Power, Generating Authority. Cosmos, Politics, and the Ideology of Kingship in Ancient Egypt and Mesopotamia, Philadelphia 2013, 372; 379, Anm. 12.22: „The area marked here by three dots contains signs which have been universally [Hervorh. d. Vf.] translated ‘the dead’ in line with an old proposal by Spiegelberg (1899).“ 23 J. Baines, Society, Morality, and Religious Practice, in: B. E. Schafer (Hg.), Religion in Ancient Egypt. Gods, Myths, and Personal Practice, London 1991, 135: „the fact that these figures were publicly recorded shows that they were not considered discreditable.“ Eine ähnliche Rationalisierung findet sich auch bei Alexander J. Peden: „Surprisingly, this striking loss of life was not considered disastrous, being publicly recorded and displayed“ (A. J. Peden, The Reign of Ramesses IV, Warminster 1994, 27, Anm. 3). 24 L. Christophe, in: BIFAO 48 (1949), 25. Vgl. A. J. Peden, Egyptian Historical Inscriptions of the Twentieth Dynasty, Documenta Mundi Aegyptiaca III, Jonsered 1994, 97 sowie A. J. Peden, Ramesses IV, 89: „and those who are dead and omitted from this list, 900 men“ und K. A. Kitchen, Ramesside In-

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Die 900 „jmtjw/j.m(w)tjw“ der großen Hammamat-Inschrift Ramses’ IV.

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Alan B. Lloyd ist der Erste, der gegen die Spiegelbergsche grammatikalische Analyse und die darauf basierende wortwörtliche oder bildliche Lesung („welche dort sind“) eine Gegenstimme aufbringt. Lloyds Meinung nach sei die besagte Hieroglyphengruppe bedeutungslos und müsse einen Schreibfehler repräsentieren (entstanden entweder in der Vorlage oder beim Einmeißeln), der sich jedoch nicht ohne weiteres korrigieren lasse.25 Nach Lloyds Vorschlag sollte man diese 900 Leute als von einem anderen Projekt zurückgebliebenes Personal betrachten.26 Wie Perdriaud argumentiert auch er zuletzt damit, dass das Ethos der königlichen Expeditionsinschriften stark gegen die öffentliche Anerkennung von Verlusten spreche.27 3 Grammatikalische Analyse der Gruppe Da der Text im Ganzen praktisch fehlerfrei ist, darf bezweifelt werden, dass es sich bei um einen Schreibfehler handelt. Rein grammatikalisch gesehen bieten sich – neben der oben bereits verworfenen, von Spiegelberg vorgebrachten Deutung – sogar mehrere Interpretationsmöglichkeiten an. Erstens könnte jmtjw ein von der Präposition jmwtj „inmitten, zwischen“28 abgeleitetes, pluralisches Nisbe-Adjektiv sein, mit der Bedeutung „welche dazwischen/inmitten sind“. Interessanterweise übersetzt auch Spiegelberg, der jmtjw in der großen Hammamat-Inschrift als „welche dort sind“ interpretiert, dasselbe Nisbe-Adjektiv ein paar Jahre früher, in einem anderen Zusammenhang singularisch, entsprechend (jmwtj=sn „[derjenige] zwischen ihnen“), obwohl er die beiden Wörter grammatikalisch identisch behandelt (als aus dem Nisbe-Adjektiv der Präposition m abgeleitete Nomina Agenti).29 Wenn die Präposition jmwtj auf eine dualistische räumliche Relation verweisen soll („zwischen“), erscheint die Lesung des davon abgeleiteten pluralischen Nisbe-Adjektivs („welche dazwischen sind“) in Ermangelung der Angabe der dazugehörigen Bezugswörter wenig sinnvoll. Ohne einen expliziten Bezug kann die Präposition jmwtj nur eine Stelle inmitten einer Anzahl oder die rätselhafte Übersetzung „welche Menge kennzeichnen („inmitten“),30 was für inmitten (d. h. darunter) sind“ ergeben würde. Wenn man die drei Pluralstriche am Ende des Wortes zugleich als Haplographie für das neuägyptische pluralische Suffixpronomen

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scriptions. Translated and Annotated. Translations VI: Ramesses IV to XI, and Contemporaries, Oxford 2012, 15: „and the dead who are omitted from this list, 900.“ A. B. Lloyd, Expeditions, 379, Anm. 12.22: „Spiegelberg’s rendering amounts to nothing more than a highly speculative piece of guesswork. The group in question is meaningless and is best treated as a scribal or sculptor’s error. […] no obvious restoration for what is obviously a corruption presents itself.“ A. B. Lloyd, Expeditions, 379, Anm. 12.22: „Since the list overall is clearly tabulating the staff taken out to the quarries, the best guess for any exceptional addition to explain the 900 would be that they were already in the quarries engaged in other work or that they had finished another project and were simply waiting for this expedition.“ A. B. Lloyd, Expeditions, 379, Anm. 12.22: „It is extremely improbable, given the ethos of such texts, that any casualties would be admitted.“ Wb I, 76.3–8. Vgl. W. Spiegelberg, in: RecTrav 21 (1899), 48–49 und W. Spiegelberg, Eine neue Art der Nominalbildung, in: RecTrav 16 (1894), 191; 195. Vgl. A. H. Gardiner, Egyptian Grammar, §177.2.

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=w auffasst,31 gelangt man zwar zu einem Bezugswort, die Deutung der Stelle bleibt aber weiterhin obskur. Dies gilt unabhängig davon, welche Bedeutungsnuance der Präposition man bevorzugt: jmtjw(=w) „welche zwischen ihnen/dazwischen sind“ oder jmtjw(=w) „welche in ihrer Mitte (d. h. unter ihnen) sind“. Im aktuellen Kontext kommen nur die Interpretationsmöglichkeiten jmtjw „welche darunter sind“ und jmtjw(=w) „welche unter ihnen sind“ in Frage. In beiden Fällen wären die anderen Expeditionsteilnehmer, d. h. die gesamte Expeditionsmannschaft, das Bezugsobjekt, im Ersteren implizit, im Letzteren explizit. Da die Liste nicht nur angesehene Dienstgrade enthält und auch sonst jede Berufsgruppe konkret benennt, wäre es nur schwer erklärbar, warum 900 Individuen ohne nähere Angaben über ihre Identität und Funktion erwähnt worden wären. Noch schwieriger wäre zu begründen, warum sie bei der Aufsummierung am Ende der Liste nicht berücksichtigt werden. Der Vollständigkeit halber muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass man bei Dimitri Meeks eine weitere, kontextbezogene Deutung zum Nisbe-Adjektiv von der Präposition jmwtj „inmitten, zwischen“ findet, die zu unserem Text theoretisch passen könnte: „Kamerad“.32 Meeks’ Lesung (jmwt=sn „leur compagnon“) beruht allerdings lediglich auf einer wohl missverstandenen Stelle der ersten Hethitischen Heiratsstelen Ramses’ II. (r-jmwt=sn „unter ihnen“) und ist anderswo nicht belegt.33 Zweitens könnte man jmtjw – zumindest rein theoretisch – auch als aus dem Ortsnamen Jmt „Buto“34 abgeleitetes, pluralisches Nisbe-Adjektiv, Jmtjw „die von Buto“, auffassen. Inhaltlich passt diese Option wiederum kaum. Genauso unwahrscheinlich und zusammenhanglos wäre die Lesung jmtjw „Kinder“35 – nicht zuletzt, weil sich das Wort generell auf die königliche oder göttliche Nachkommenschaft bezieht.36 Ganz zu schweigen davon, dass in den beiden letzten Fällen das Fehlen jeglichen Determinativs am Ende des Wortes ) schwierig zu erklären wäre. ( als Eine weitere, grammatikalisch plausible Möglichkeit wäre, die Gruppe neuägyptisches Partizip zu verstehen. Nach dieser Interpretation würde j.m(w)tjw einem pluralischen Partizip Perfekt vom Verb m(w)t „sterben“37 entsprechen und die Bedeutung „die Verstorbenen“ bzw. „die Toten“ ergeben. Dementsprechend muss das erste Zeichen des Wortes, M17 ( ), als prothetisches Yod betrachtet werden, das ausnahmsweise ohne das Zeichen A2 ( ) geschrieben worden wäre. Die defektive Schreibung des Stamm31 Das Suffix =w ist sonst öfters belegt im Text (vgl. K. A. Kitchen, Ramesside Inscriptions VI, 13, 6, 15 [2x]; 14, 1 [2x], 11, 12 [2x], 13, 14 [2x], 15 [2x]). 32 D. Meeks, Année Lexicographique III, Paris 1982, 79.0208. 33 K. A. Kitchen, Ramesside Inscriptions. Historical and Biographical II, Oxford 1979, 251, 8–11. R-jmwtj ist eine spätere Variante der Präposition jmwtj „inzwischen, inmitten“, die erst ab der 18. Dynastie belegt ist (vgl. A. H. Gardiner, Egyptian Grammar, §177.2). In den ersten Hethitischen Heiratsstelen Ramses’ II. findet man sie an der Stelle, wo das freundliche Zusammentreffen der ägyptischen und der hethitischen Armee beschrieben wird: Htp snsn r-jmwt=sn mj sxrw n nTr Ds=f „Friede und freundschaftliche Verbindung war unter ihnen gemäß den Plänen Gottes selbst.“ (Version aus Abu Simbel, K. A. Kitchen, Ramesside Inscriptions II, 251, 4, 8.) 34 Wb I, 78.12. 35 Wb I, 78.16–17. 36 S. H. Kees, Ein Handelsplatz des MR im Nordostdelta, in: MDAIK 18 (1962), 12, Anm. 2 und K. Zibelius, Ägyptische Siedlungen nach Texten des Alten Reiches, TAVO, Reihe B 19, Wiesbaden 1978, 37. 37 Wb II, 165.8–166.9.

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Die 900 „jmtjw/j.m(w)tjw“ der großen Hammamat-Inschrift Ramses’ IV.

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erweiterungspräfixes ist – zwar nicht häufig – auch anderswo belegt.38 Verwirrender ist die eigentliche Präsenz eines prothetischen Yods im Partizip Perfekt des Verbums m(w)t „sterben“. Letzteres könnte aber dadurch erklärt werden, dass der Gebrauch des Stammerweiterungspräfixes in der ersten Hälfte der 20. Dynastie wesentlich zunimmt und sich auch zu Verbalkategorien ausbreitet, in deren Partizipien und Relativformen das prothetische Yod früher nicht zu finden war.39 Zur Zeit Ramses’ IV. kommt das Yod-Präfix im Partizip Perfekt von Verben mit zwei oder drei Radikalen sowie von rdi „geben“ und jri „machen“ am häufigsten vor. Bei den Verben mit drei Radikalen handelt es sich vor allem um diejenigen, die durch den Verlust eines Wurzelkonsonanten den Verben mit zwei Radikalen assimiliert sind.40 Strukturell spricht deshalb nichts dagegen, dass das Partizip Perfekt eines ursprünglich aus drei Wurzelkonsonanten bestehenden Verbs, dessen zweiter Radikal seit den frühesten Zeiten regelmäßig weggelassen wird,41 ein prothetisches Yod aufweist, auch wenn es sonst regulär ohne dieses Merkmal geschrieben wird. Zur Schreibung „der Toten“ ohne ) und mit dem tjw-Vogel für die Pluralendie üblichen Tod-Determinative ( , oder dung gibt es hingegen Parallelen aus dem Neuen Reich, so etwa im Amduat42 und in der Sonnenlitanei.43 4 Kontext und Textstruktur zur Lesung der Gruppe Unter den oben aufgeführten grammatikalisch möglichen Interpretationsvorschlägen für gibt es nur einen, der sowohl in den Text als auch in den unmittelbaren Kontext (ntjj wA n pAjj sHn 900) passt: j.m(w)tjw „die Verstorbenen“. Mit anderen Worten: 9268 Personen haben an der letzten Expedition Ramses’ IV. teilgenommen, 900 davon sind aber nie zurückgekehrt. Erstaunlicherweise ergibt sich also die gleiche, bereits von Spiegelberg angestrebte Deutung ganz direkt, ohne die Umwege des Euphemismus. Andererseits lässt sich durchaus argumentieren, dass in dem Abschnitt eine Art von Euphemismus vorhanden ist, aber nicht in der Wortwahl, sondern auf der graphischen Ebene: Mit der Auslassung des Determinativs von der Bezeichnung der Toten wird die Nachricht visuell gedämpft und dadurch deutlich subtiler. Trotz dieser visuellen Dämpfung steht die Aussage doch im starken Kontrast zu den Formeln früherer Expeditionsinschriften, die die Vollständigkeit der zurückgeführten Truppen betonen: mit Ausdrücken wie z. B. „niemals war ein Verlust dabei geschehen“ oder „nicht hatte es (das Heer) einen Verlust“.44 Die große Hammamat-Inschrift Ramses’ IV. 38 Vgl. z. B. J. Winand, Études de néo-égyptien 1. La morphologie verbale, AegLeod 2, Liège 1992, 280, Anm. 52. 39 Vgl. J. Winand, Études, 345–353, §§543–561; 365–368, §§578–585; 376–384, §§596–604. 40 S. J. Winand, Études, 348, §549. 41 Vgl. J. P. Allen, The Inflection of the Verb in the Pyramid Texts, Bibliotheca Aegyptia 2, Malibu 1984, 557, §736. 42 S. E. Hornung, Texte zum Amduat II: Langfassung, 4. bis 8. Stunde, AegHelv 14, Genf 1992, 408 (KV 38: ; usw.); 414 (TT 61: ; usw.); 437 (TT 61: ; usw.); 409 (KV 38: ; usw.); 439 (KV 38: ; usw.); E. Hornung, Texte zum Amduat III: Langfassung, 9. bis 12. Stunde, AegHelv 15, Genf 1994, 685 (TT 61: ; usw.); 780 (KV 38: ; usw.). 43 S. E. Hornung, Das Buch der Anbetung des Re im Westen (Sonnenlitanei). Nach den Versionen des Neuen Reiches I: Text, AegHelv 2, Genf 1975, 13 (KV 15: ; KV 2: ). 44 S. E. Blumenthal, Die Textgattung Expeditionsbericht in Ägypten, in: J. Assmann / E. Feucht / R. Grieshammer (Hgg.), Fragen an die altägyptische Literatur. Studien zum Gedenken an Eberhard Otto, Wies-

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bricht also ein Jahrtausende altes Tabu, indem sie über Verluste berichtet und zugibt, dass etwa 10% der Expeditionsmannschaft verstorben sind. Um verstehen zu können, wie eine solche Aussage in einer königlichen Inschrift überhaupt Platz finden konnte, muss man den Text in seiner Gesamtheit betrachten. Die Stelle über die 900 Verstorbenen befindet sich nämlich am Ende eines Abschnittes, dessen Präsenz in einer königlichen Inschrift genauso unerwartet ist wie der Inhalt dieses zweitletzten Eintrags. Die sechszeilige Liste, die die Teilnehmer der Expedition und deren Anzahl detailliert aufführt, unterscheidet sich in Sprache, Form und Inhalt stark vom Rest des Textes. Durch diesen Kontrast definiert sie zwei Sprachregister in der Inschrift. Das eine, nämlich das Datum mit der Titulatur, die Eulogie an den König und der narrative Bericht über die Geschehnisse der Expedition, sind in ihrer Thematik und Form traditionell; das andere, eine Liste, die durchaus ein Auszug aus einem Verwaltungsdokument sein könnte, ist – in diesem Zusammenhang – innovativ. Die Angabe über Todesfälle innerhalb seines eigenen Registers, d. h. am Ende einer administrativen Liste, ist weniger überraschend als die eigentliche Einbettung dieses Registers in eine größere, – wenn auch nur auf der Oberfläche – , j.m(w)tjw traditionelle Struktur. Wenn die hier bevorzugte Interpretation für „die Verstorbenen“, richtig ist, wäre es genau dieser sprachlich und strukturell heterogene Charakter der großen Hammamat-Inschrift, der das Einbringen neuer Inhalte erlaubte.45 Literaturverzeichnis Allen, J. P., The Inflection of the Verb in the Pyramid Texts, Bibliotheca Aegyptia 2, Malibu 1984. Baines, J., Society, Morality, and Religious Practice, in: B. E. Schafer (Hg.), Religion in Ancient Egypt. Gods, Myths, and Personal Practice, London 1991. Blumenthal, E., Die Textgattung Expeditionsbericht in Ägypten, in: J. Assmann / E. Feucht / R. Grieshammer (Hgg.), Fragen an die altägyptische Literatur. Studien zum Gedenken an Eberhard Otto, Wiesbaden 1977, 85–118. Christophe, L., La stèle de l’an III de Ramsès IV au Ouâdi Hammâmât (No 12), in: BIFAO 48 (1949), 1–38. Couyat, J. / P. Montet, Les inscriptions hiéroglyphiques et hiératiques du Ouâdi Hammâmât, MIFAO 34, Kairo 1912. Gardiner, A. H., Egyptian Grammar. Being an Introduction to the Study of Hieroglyphs, Oxford ³1957. Gardiner, A. H., The House of Life, in: JEA 24 (1938), 157–179. Goyon, G., Les inscriptions des carrières et des mines, in: S. Sauneron (Hg.), Textes et langages de l’Égypte pharaonique. Cent cinquante années de recherches 1822–1972. Hommage à JeanFrançois Champollion II, Kairo 1973, 193–205. Harrell, J., Pharaonic Stone Quarries in the Egyptian Deserts, in: R. Friedman (Hg.), Egypt and Nubia. Gifts of the Desert, London 2002, 232–243.

baden 1977, 101, Anm. 85–86. S. auch G. Goyon, Les inscriptions des carrières et des mines, in: S. Sauneron (Hg.), Textes et langages de l’Égypte pharaonique. Cent cinquante années de recherches 1822–1972. Hommage à Jean-François Champollion II, Kairo 1973, 196–197; 197, Anm. 1–3. 45 In einem nächsten Schritt würde sich die Frage nach den Motiven dieser Heterogenität stellen. Die Verfasserin widmet sich dieser Thematik eingehend im Rahmen ihres laufenden Dissertationsprojekts.

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Die 900 „jmtjw/j.m(w)tjw“ der großen Hammamat-Inschrift Ramses’ IV.

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Sakrale Architektur und ihre Funktion. Bittplätze – öffentliche Kultstellen oder Orte restriktiver Praktiken?* Julia D. Preisigke

This paper aims to critically evaluate the traditional view that contra-temples are locations for direct private petitions presented at Egyptian temples that were easily accessible. In order to visualise my argument that these places were restricted areas within the temple complex and not directly accessible to the common people, I used the program depthmapX to show how ritual agents would behave and move within the temple’s spaces. Sakrale Architektur und ihre Funktion sind bereits seit langem ein wichtiger Gegenstand der ägyptologischen Forschung1 und wurde in vielerlei Hinsicht untersucht, jedoch blieb ein Aspekt häufig vernachlässigt: die traditionell als Gegentempel oder contra-temple, von mir jedoch als Bittplätze bezeichneten, Kultstellen an den äußeren Rückwänden ägyptischer Tempel, die sich meist axial, direkt hinter dem Sanktuar, befinden.2 * Dieser Artikel ist eine Weiterführung meines ersten Artikels in dieser Reihe: J. D. Preisigke, Kontakt zwischen Mensch und Gott. Bittplätze an den Außenseiten ägyptischer Tempel, in: S. Beck / B. Backes / I. Liao / H. Simon / A. Verbovsek (Hgg.), Gebauter Raum: Architektur – Landschaft – Mensch. Beiträge des fünften Münchner Arbeitskreises Junge Aegyptologie (MAJA 5), 12.12. bis 14.12.2014, GOF 62, Wiesbaden 2016, 165–180. Hiermit möchte ich meinen Dank an die Organisatoren der Konferenz, an die Teilnehmer und an die „chairmen“ Richard Bussmann und Dietrich Raue ausdrücken. Des Weiteren möchte ich mich bei Jördis Vieth, Karin Preisigke und Julia Budka für Ihre Hilfe bei der Korrektur des vorliegenden Artikels bedanken. 1 S. hierzu u. a. D. Arnold, Wandrelief und Raumfunktion in ägyptischen Tempeln des Neuen Reiches, Berlin 1962; D. Arnold, Lexikon der Baukunst, Zürich 1994, 91; P. Davoli, The Temple as a Spatial and Architectural Reality, in: M. Capasso / P. Davoli (Hgg.), Soknopaios. The Temple and Worship. Proceedings of the First Round Table of the Centro di Studi Papirologici of Università del Salento, Lecce, October 9th 2013, Edaphos 1, Lecce 2015; W. Guglielmi, Die Funktion von Tempeleingang und Gegentempel als Gebetsort, in: R. Gundlach (Hg.), Ägyptische Tempel – Struktur, Funktion und Programm, HÄB 37, Hildesheim 1994, 61; T. Mattern, Architektur und Ritual. Architektur als funktionaler Rahmen antiker Kultpraxis, in: J. Milonopoulos / H. Roeder (Hgg.), Archäologie und Ritual. Auf der Suche nach der rituellen Handlung in den antiken Kulturen Ägyptens und Griechenlands, Wien 2006; E. Meyer-Dietrich, Religion that is Heard in Public Spaces: Sound Production in Ancient Egypt in a Ritual Context, in: A. Michaels (Hg.), Transfer and Spaces. Ritual Dynamics and the Science of Ritual 5, Wiesbaden 2010; U. Rummel, Gräber, Feste, Prozessionen: Der Ritualraum Theben-West in der Ramessidenzeit, in: G. Neunert / K. Gabler / A. Verbovsek (Hgg.), Nekropolen: Grab – Bild – Ritual, GOF 54, Wiesbaden 2013, 207–232; vgl. auch R. H. Wilkinson, The Complete Temples of Ancient Egypt, London 2000. 2 Diese Strukturen habe ich im Zuge meiner Doktorarbeit mit dem regionalen Fokus auf die westlichen Oasen untersucht. Dabei stand die Zusammenstellung der Kultstellen und die systematische architektonische Analyse im Vordergrund. Vgl. hierzu J. D. Preisigke, Kontakt zwischen Mensch und Gott, 2016, 165–180; außerdem J. D. Preisigke, Bittplätze an den Außenseiten ägyptischer Tempel, unpubl. Masterarbeit Berlin 2013.

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In der Literatur der vergangenen Jahrzehnte wurde die Forschungsmeinung tradiert, dass diese Strukturen als Gebetsorte für die allgemeine Bevölkerung dienen würden und ohne Restriktion für diese offen standen. Laien sollen demnach direkt und allein, also ohne Aufsicht oder Begleitung von Tempelpersonal, an diese Strukturen herangetreten sein und sich mit ihren Bitten und Gebeten direkt an die Gottheit gewandt haben. So schrieben Forscher wie Charles Nims 1971 über den Osttempel in Karnak: „This temple certainly was a place where the common people of Thebes might come to make their prayers to the king and the gods.“3 In gleicher Art und Weise argumentiert auch Dietrich Wildung: „Soweit diese meist noch unpublizierten Kapellen beurteilt werden können, dienen sie einer Popularisierung des kultischen Geschehens im Tempelinneren. In engster räumlicher Nähe zum Allerheiligsten gelegen, liegen sie doch außerhalb des Temenos. Damit sind sie prädestiniert für die Aufnahme populärer Kulte, bieten sich geradezu als Gebetsstätten an.“4 Dieselbe Meinung vertritt auch Richard Wilkinson in seiner Monographie „The Complete Temples“.5 Allerdings wurde diese Annahme nie systematisch untersucht und kritisch hinterfragt. Zu Beginn der Beschäftigung mit diesem Thema war die Zielsetzung, die bestehende Forschungsmeinung zu überprüfen und, wenn möglich, zu bestätigen. Jedoch scheint es nach der Sichtung und dem Vergleich der Bittplätze so, dass der Zugang zu diesen Strukturen an der Rückseite der Tempel – sowohl im Niltal6 als auch in den westlichen Oasen – zum Großteil nicht ohne Weiteres für die breite Bevölkerung möglich war.7 Vielmehr war die Architektur in diesen Bereichen sehr restriktiv gestaltet.8 Der Zugang war meist nur durch sehr schmale Korridore gegeben, die oft lediglich von denjenigen Tempelräumen zu erreichen waren, zu denen die normale Bevölkerung keinen Zugang hatte.9 Dies sind vor allem die Räumlichkeiten hinter dem Hof der Menge und hinter den Reinheitsmarkierungen im Tempel. Außerdem muss man sich vor Augen führen, dass die meisten Tempel von mindestens einer massiven Lehmziegelumfassung umgeben waren, die fünf bis zehn Meter hoch aufragte. Diese machte es der breiten Bevölkerung unmöglich, die Bittplätze an der Rückwand zu sehen, geschweige denn an sie heranzutreten. Die Kenntnis über diese Strukturen scheint also ein spezielles Wissen vorausgesetzt zu haben, dass die breite Masse der Population Ägyptens meiner Einschätzung nach nicht besaß. Demnach waren die Bittplätze hinter den Tempeln keinesfalls Orte für das direkte, unmittelbare, private Gebet.

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C. F. Nims, The Eastern Temple at Karnak, in: H. Ricke / A. M. Abubakr (Hgg.), Aufsätze zum 70. Geburtstag von Herbert Ricke, Beiträge zur ägyptischen Bauforschung und Altertumskunde 12, Wiesbaden 1971, 110. D. Wildung, Imhotep und Amenhotep. Gottwerdung im alten Ägypten, MÄS 36, München 1977, 205; vgl. G. R. H. Wright, Kalabsha. The Preserving of the Temple, Berlin 1972, 205. R. H. Wilkinson, The Complete Temples of Ancient Egypt, London 2000, 71: „… dedicated to the main God of the temple … which ordinary people could direct their prayers to.“ J. D. Preisigke, Bittplätze. Im Gegensatz zu J. D. Preisigke, Kontakt zwischen Mensch und Gott, 172f. Eine erste Andeutung dieses Gedankens der Restriktion der Bittplätze findet sich in der Zusammenfassung von J. D. Preisigke, Kontakt zwischen Mensch und Gott, 174; mittlerweile ist relativ deutlich, dass Laien keinen Zugang zum Bittplatz hatten. J. D. Preisigke, Kontakt zwischen Mensch und Gott, 165.

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Um die These von einer restriktiven Zugänglichkeit zu illustrieren und zu visualisieren, wird das open source-Programm depthmapX10 zur sog. space syntax Analyse11 genutzt.12 Dieses Programm ermöglicht es, aufgrund eines zweidimensionalen Plans einer Landschaft bzw. des Grundrisses eines Grabes oder eines Tempels, die Blickachsen, Konnektivitäten von Punkten sowie das Verhalten von Personen13 (im Programm als „Agenten“ bezeichnet) darin zu simulieren und sichtbar zu machen. Es sei hierbei von vornherein darauf hingewiesen, dass sich bei der Nutzung dieses Programms viele Schwierigkeiten ergeben und man bei der Verwendung sowie bei der Interpretation der Ergebnisse sehr kritisch vorgehen muss. So kann beispielsweise die Ungenauigkeit oder Unvollständigkeit von Plänen und Grundrissen, die aufgrund der teilweise sehr spärlichen tatsächlichen Architekturreste rekonstruiert werden müssen, zu verfälschten Ergebnissen führen und die Interpretation beeinflussen (s. hierzu das Beispiel von Qasr el-Dusch14). Weiterhin muss man das Problem der zweidimensionalen Wiedergabe von dreidimensionalen Strukturen bedenken, wenn bestehende Sichtachsen berechnet werden, die eventuell durch die lokale Geographie in der Realität so nicht gegeben waren. In dieser Hinsicht stellen Tempel jedoch einen für solche Berechnungen prädestinierten Forschungsgegenstand dar, da ihre Architektur und die räumlichen Gegebenheiten relativ klar definiert sind. Die Böden und Decken sind verhältnismäßig eben und flach gearbeitet, was das Berechnen von Sichtachsen einfacher macht.15 Dennoch können Unklarheiten über die Höhe bzw. Durchlässigkeiten von Wandabschnitten, Balustraden und anderen Strukturen im archäologischen Befund bestehen, die Einfluss auf Sichtbarkeiten und Zugänglichkeiten haben. Zudem werden bewegliche Installationen nicht berechnet, weil nicht immer genau bekannt ist, wo und wie sie aufgestellt waren.16 10 Link zum Download: http://archtech.gr/varoudis/depthmapX/ (14.05.2018). 11 Forschungsrichtung seit den 1970er Jahren, wegweisend waren B. Hillier / J. Hanson, The Social Logic of Space, Cambridge 1984; J. F. Osborne, Communicating Power in the Bit-Hilani Palace, in: BASOR 368, 2012, 45–61. „Space syntax is a theory regarding built forms that argues that the configuration of space, whether the arrangement of buildings in a town or the layout of rooms within a specific building. Space syntax encompasses a series of graphical representations and quantitative analyses that describe a building’s makeup with regard to the ease or difficulty with which individuals move through the building’s constituent units. … access analysis operates under the general assumption that spaces characterized by greater ease of accessibility tend to promote social interaction, whereas those that are relatively secluded tend to create greater social exclusion.“ 12 An dieser Stelle möchte ich mich herzlich bei Shumon Hussein bedanken, dass er mich auf dieses Programm aufmerksam gemacht hat. 13 Hierbei sind zunächst alle Personen, die sich aus welchen Gründen auch immer im Temenos aufhalten könnten, gemeint, ohne zu spezifizieren, welche Ämter oder Privilegien sie innehatten. 14 J. D. Preisigke, Kontakt zwischen Mensch und Gott, 170f.; B. Veloso, The Roman Fortress at Dush, 2009 (http://egyptsites.wordpress.com/2009/03/06/theroman-fortress-at-dush/) (22.03.2013); vgl. G. Hölbl, Altägypten im römischen Reich. Der Pharao und seine Tempel III. Heiligtümer und religiöses Leben in den ägyptischen Wüsten und Oasen, ZBA, Sonderbände der Antiken Welt, Mainz 2005, 54, 59, 61. Zu diesem Tempel gibt es auch ein Kapitel in meiner unpublizierten Masterarbeit: J. D. Preisigke, Bittplätze, 56–60. 15 Schwieriger wären z. B. Berechnungen von Höhlen mit unregelmäßigen Wänden und Deckengewölben, bei denen man jede Unebenheit kalkulieren müsste. 16 Hierzu s. R. A. Rappaport, The Meaning of the Built Environment: A Non-verbal Communication Approach, Tucson 1990, 87–96 („fixed-feature elements“, „semi-fixed feature elements“ und „nonfixed feature elements“).

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Ein weiterer Aspekt, der berücksichtigt werden sollte, ist die chronologische Entwicklung der Architektur an den Heiligtümern. Da viele Könige Tempelkomplexe sekundär ergänzten, indem sie Kapellen erbauten oder entfernten bzw. Tore, Propylone und Pylone sowie Höfe hinzufügten, beeinflussten sie das Aussehen der Anlagen und veränderten so auch zuvor bestehende Achsen und Zugänglichkeiten.17 Pläne zeigen jedoch häufig nur einen zeitlichen Ausschnitt aus der Gesamtgeschichte des Komplexes. D. h., dass die einzelnen Bauphasen (die im Übrigen nicht immer klar zu definieren sind) in einem Grundriss zusammengefasst werden und eigentlich einzeln berechnet werden müssten. Trotz der zahlreichen Schwierigkeiten, die sich aus der Nutzung von depthmapX ergeben, ist dieses Programm ein lohnenswertes Mittel zur Visualisierung und zur Überprüfung von mehr oder weniger plausiblem menschlichem Bewegungsverhalten. Zunächst ist es notwendig, die Grundrisse, die analysiert werden sollen, vorzubereiten bzw. zu bearbeiten, denn jede durchgezogene Linie im Grundriss wird von depthmapX als massive Wand verstanden, durch die ein Blick oder ein Hindurchtreten unmöglich ist. Daher ist es wichtig, auf Plänen und Grundrissen alle Linien, die Türen, Tore oder niedrige Balustraden darstellen, zu entfernen (Abb. 1). Die Türen werden so als offen dargestellt, obwohl sie in der Antike wahrscheinlich den Großteil der Zeit verschlossen blieben. Weiterhin müssen Annahmen, unklare bzw. verlorene archäologische Befunde rekonstruiert oder als Fakten dargestellt werden, wodurch sich Ungenauigkeiten und Fehler ergeben können. Der bearbeitete Grundriss muss dann in einem weiteren open source-Programm wie inkscape18 in eine sog. Vektorgraphik umgewandelt werden, denn depthmapX arbeitet nur mit Dokumenten, die im dxf-Format gespeichert sind.19 Nach dem Importieren des Grundrisses müssen spezielle technische Einstellungen20 vorgenommen werden, um die verschiedenen Analysen wie visibility graph, agent analysis and step depth analysis zu erstellen. Zunächst wird ein sog. visibility graph21 berechnet, der zeigt, wie bestimmte Punkte innerhalb des Plans miteinander in Verbindung stehen (connectivity). Dabei sind die schwarzen/dunkelgrauen Bereiche die schlecht verbundenen und die weißen/sehr hellen die gut vernetzten Areale. Die Farbigkeit22 zeigt also die Anzahl der Verbindungen bzw. die Konnektivität zwischen den Punkten. Gut verbundene Orte sind demnach solche, zu denen beispielsweise viele Türen oder Korridore führen bzw. an denen sich die Blick- und Zugangsachsen aus verschiedenen Richtungen kreuzen. Wenn man sich hierzu die berech17 W. Wendrich / B. Simpson / E. Elgewely, Karanis in 3D: Recording, Monitoring, Recontextualizing, and the Representation of Knowledge and Conjecture, in: NEA 77, 3 (2014), 236. 18 Link zum Download: https://inkscape.org/en/download/, 20.09.2016. 19 J. Pinelo / A. Turner, Introduction to UCL Depthmap 10. Version 10.08.00r, 2010, Folie 8 (http://archtech.gr/varoudis/depthmapX/LearningMaterial/introduction_depthmap-v10-website.pdf), 03.09.2016. 20 J. Pinelo / A. Turner, Introduction, 2010, Folie 16–18. Zunächst wird ein Netz bzw. Gitter über den Grundriss gelegt, was manuell auf 0,02 eingestellt werden sollte, denn dies entspricht dem menschlichen Schrittmaß von 0,75 bis 1 m. Dies ist wichtig, da berechnet werden soll, wie sich ein Mensch im markierten Raum bewegen würde. Anschließend muss das Raster gefüllt werden, damit das Programm registriert, welche Bereiche des Grundrisses in die Analyse einbezogen werden sollen. 21 J. Pinelo / A. Turner, Introduction, 2010, Folie 20. 22 In diesem Fall sind die Pläne in Graustufen gehalten, um den Vorgaben der Herausgeber dieser Reihe nachzukommen, doch im Normalfall werden die Bereiche farbig – mit Abstufungen von Rot über Gelb, Grün bis hin zu Blau – gekennzeichnet.

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neten Grundrisse (Abb. 2) ansieht, erkennt man, dass gerade die Rückseiten der Tempel dunkelgrau gefärbt sind, also schlechter zugänglich waren. Bei der Bewegungsanalyse (agent analysis23, Abb. 3d, 4d) starten Besucher/Agenten im Graphen/Plan von einem gewählten Punkt aus, und es wird berechnet, wie sie sich darin bewegen würden und welche Punkte von ihnen wahrscheinlicher betreten bzw. überhaupt erreicht werden konnten. Dabei umschreibt das Attribut Gate counts die Anzahl der Agenten/Subjekte, die die Orte im Plan passieren; es beschreibt also solche Orte, die von Besuchern eher frequentiert würden, was für meine Fragestellung besonders interessant ist. Jedoch muss davon ausgegangen werden, dass Laien/Besucher sehr wahrscheinlich nicht bis zum eigentlichen Tempel vordringen konnten, außer möglicherweise zu bestimmten Festen. Die sog. step depth24 Analyse hingegen ist die Untersuchung der Distanz von einem bestimmten Punkt zu allen anderen Punkten im Grundriss. Die Berechnung unter der Prämisse ‘release from selected area’ zeigt die Anzahl der Schritte bzw. der Richtungswechsel im Raum, die gemacht werden müssen, um von dem gewählten Ort zu jedem anderen zu gelangen. Hierbei liegt der gewählte Punkt bei Schritt 0 und ist mit Pfeilen markiert. Dunkles Grau markiert die Bereiche, die ohne eine Änderung der Laufrichtung zu erreichen sind. Die helleren Grautöne hingegen stehen für die Punkte, für die 2, 3 oder mehr Schritte bzw. Richtungswechsel notwendig sind. Je nachdem, welcher Punkt für die Agenten als Ausgangspunkt festgelegt wird, ergeben sich andere Graphen. Im Plan von Qasr el-Dusch25/Charga (Abb. 3) wurde der Ausgangspunkt von mir in verschiedene Bereiche des Tempelareals gesetzt, speziell an Tore und Nebeneingänge, um nachzuvollziehen, ob sich das mögliche Fortbewegungsverhalten und die Möglichkeiten, hintere Räume zu erreichen, verändert. Die dunkelgrauen Bereiche sind vom Agenten gut einsehbar und ohne Richtungswechsel zu erreichen. Um in die abgestuft helleren Areale zu gelangen, benötigt man einen bis drei Richtungswechsel, sie sind also schlechter zugänglich. Im Fall von Qasr el-Dusch ist zusätzlich zu bedenken, dass die Zugangsmöglichkeit vom Hof zum linken Korridor archäologisch nicht gesichert ist. Der Korridor scheint durch eine schmale Mauer/Balustrade vom Hofbereich getrennt gewesen zu sein. Zusätzlich war dem im Grundriss erkennbaren Hof noch ein weiterer Hof vorgelagert, der es Laien zusätzlich erschwerte, bis zum Tempel zu gelangen. Sehr ähnlich verhält es sich im Hibis-Tempel26/Charga27 (Abb. 4): Bevor ein Besucher zum eigentlichen Tempel vordringen konnte, musste er drei Tore und zwei Höfe passieren und sah sich dann einer weiteren, um den Tempel herumführenden steinernen Mauer gegenüber. Diese sog. girdle wall verfügte jedoch nicht nur über den Haupteingang vor dem 23 24 25 26

J. Pinelo / A. Turner, Introduction, 2010, Folie 58. J. Pinelo / A. Turner, Introduction, 2010, Folie 22. P. Dils, Tempel von Dusch, 2000, 93, 173. H. E. Winlock / H. G. White, The Temple of Hibis in El KhƗrgeh Oasis, PMMA 13, New York 1941; vgl. N. de Garis Davies, The Temple of Hibis in El Khargeh Oasis, PMMA 17, New York 1953; H. Sternberg-el Hotabi / H. Aigner, Der Hibistempel in der Oase el-Chargeh, in: R. Rollinger / B. Truschnegg / P. W. Haider (Hgg.), Altertum und Mittelmeerraum. Die antike Welt diesseits und jenseits der Levante: Festschrift für Peter W. Haider zum 60. Geburtstag, Stuttgart 2006, 537–547; D. Klotz, Adoration of the Ram. Five Hymns to Amun-Re from Hibis Temple, YES 6, New Haven 2006. 27 Ebenso auch die Tempel in Medinet Madi/Fayum, eventuell Soknopaiou Nesos/Fayum oder Ismant elCharab/Dachla, Ain el-Tibniya/Bahariya sowie bei einigen Beispielen im Niltal (u. a. Karnak, Memphis, Heliopolis und eventuell Dakke).

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Tempel, sondern auch über das Westtor hinter der Tempelrückwand. Durch dieses Tor könnten Menschen an die Reliefszenen der hinteren Tempelwand, die als Bittplatz fungierten (relief cultuel), herangetreten sein, nachdem sie zuvor die drei axial angelegten Tore der Umfassungsmauern passiert hatten. In den Berechnungen zum Hibis-Tempel sieht man, dass die Tempelrückwand erneut eher zu den schwer erreichbaren Arealen im Temenos gehörte (Abb. 4a–b) und größtenteils hellgrau gefärbt ist. Die einzige Ausnahme bildet die Berechnung, in der der Ausgangspunkt am Westtor liegt (Abb. 4c). Auffällig ist, dass – unabhängig vom Ausgangspunkt – die Personen den Bittplatz hinter dem Tempel immer mit zwei bis vier Richtungswechseln erreichen. D. h. sie können die Strukturen nicht sofort visuell erfassen und müssen einen gewissen Aufwand betreiben, um dorthin zu gelangen. Stellt man sich nun vor, dass die Türen und Tore die meiste Zeit verschlossen blieben, wird das Szenario, dass die normale Bevölkerung ohne weiteres an den Bittplatz herantreten konnte, umso unwahrscheinlicher. Diese Analysen illustrieren deutlich, dass die Bittplätze hinter den Tempeln in allen betrachteten Fällen, bei denen es noch Hinweise auf Umfassungsmauern gibt, im Bereich der mittel bis schlecht zugänglichen Teile der Temenoi liegen. Auch wenn in diesem Artikel nur zwei Analysen exemplarisch vorgestellt werden konnten, wurden von den insgesamt 24 Tempeln der westlichen Oasen mit Bittplatz all diejenigen Tempelkomplexe (insgesamt 18) mit depthmapX berechnet, die im archäologischen Befund Reste einer oder mehrerer Umfassungsmauern aufweisen.28 Weiterhin bin ich bei meinen Analysen davon ausgegangen, dass sich die Personen bereits im Temenos bzw. innerhalb der Lehmziegelumwallung, also innerhalb des abgeschlossenen Tempelbezirks, befinden, was für Personen ohne Priestertitel, außer zu Festen oder bestimmten Anlässen, sicher nicht möglich war. Zur Funktion dieser Bittplätze kann m. E. herausgestellt werden, dass erstens die Bittplätze hinter dem Sanktuar, sowohl in den Oasen als auch im Niltal, größtenteils von der Bevölkerung weder einfach noch allein betreten werden konnten. Dies erkennt man einerseits an der schlechten Sichtbarkeit dieser Strukturen und andererseits an den schmalen, verschließbaren Durchgängen bzw. Korridoren, die zu ihnen führten. Zweitens muss festgehalten werden, dass die Funktion der Bittplätze nicht eindeutig und pauschal bestimmt werden kann und möglicherweise regional variierte. Des Weiteren müssen wir in Betracht ziehen, dass sie mehrere Funktionen in sich vereinten.29 Die Bittplätze in den Oasen scheinen z. B. teilweise mit Orakelpraktiken in Zusammenhang gestanden zu haben. In den großen Oasenheiligtümern wie beispielsweise Tebtynis30 und Soknopaiou Nesos31 wurden zahlreiche Papyri und Ostraka mit Orakelfragen aus dem 28 Die genannten Zahlen spiegeln jedoch nicht ganz die tatsächliche Verteilung wider, denn beispielsweise im Fall von Bacchias wissen wir, dass es ein Tor in einer Umfassungsmauer gegeben hat, können aber ihre Ausmaße und Form nicht rekonstruieren und daher nicht berechnen. 29 W. Wendrich / B. Simpson / E. Elgewely, Karanis in 3D, 233: „Gebäude sind komplexe materielle Ausdruckformen von kulturellen Vorstellungen, die vielschichtig sind. Der gleiche Raum kann ganz verschiedene Funktionen übernehmen: Schutz sowohl vor Wetter als auch vor Verfolgung, Machtrepräsentation, Glaube und Religionsausdruck, Handel und Verhandeln, Gerechtigkeit oder auch Gefahr.“ 30 V. Rondot, Tebtynis II. Le temple de Soknebtynis et son dromos, FIFAO 50, Kairo 2004. 31 U. a. P. Davoli, Nuovi risultati dalle Campagne di scavo 2004–2006 a Soknopaiou Nesos (Egitto), in: S. L. Lippert / M. Schentuleit (Hgg.), Graeco-Roman Fayum – Texts and Archaeology, Wiesbaden 2008, 75–92; G. Widmer, On Egyptian Religion at Soknopaiu Nesos, in: S. L. Lippert / M. Schentuleit (Hgg.), Tebtynis und Soknopaiu Nesos. Leben im römerzeitlichen Fajum. Akten des Internationalen Sympo-

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2./1. Jh. v. Chr. gefunden. Diese zeigen, dass einer Gottheit zwei fast identische kurze Fragen (negativ und positiv formuliert) vorgelegt wurden, zwischen denen sie die zutreffende Aussage auswählte. Diese wurde dann, vermutlich durch einen zuständigen Priester, aus dem Tempel heraus getragen und dem Bittenden übergeben. So heißt es in einer Frage aus Tebtynis (P. Carlsberg 19): „Horus, Sohn des Hakoris, ist es, welcher sagt vor seinem Herrn Soknebtynis: Wenn Teo Betrug begangen hat mit den Wein(lieferungen), die geliefert(?) worden sind in meine Hand in Berenikis, möge man mir diesen Brief herausbringen!“32 Dieses Beispiel zeigt erstens, dass Menschen, die Götter um Hilfe, Gerechtigkeit und Schutz baten, das Innere der Tempel nicht selbst betreten durften. Zweitens sehen wir, dass es einen Ort für Bitten und Fragen im Tempel gegeben haben muss, der aber höchstwahrscheinlich nur für Priester in einer Art Vermittlerrolle zugänglich war.33 Nun könnte die Befragung des Gottes natürlich im Sanktuar stattgefunden haben, doch war dieses in der Regel dem offiziellen Kult vorbehalten und die eher weltlichen Bitten und Belange, um Klärung von Rechtsfragen und anderer Themen, wären hier fehl am Platze gewesen.34 So liegt die Überlegung nahe, dass das Orakel in einem anderen Teil des Tempels stattgefunden haben muss. Hier würde sich m. E. der Bittplatz hinter dem Tempel anbieten, der in direkter Nähe zum Sanktuar und somit auch zum Gott lag und zu dem die Priester, als befugtes Personal, über Korridore einen schnellen und unkomplizierten Zugang hatten. Meiner Einschätzung nach wurden diese Orte demnach zur Erhörung der Bitten errichtet, jedoch wurden sie nicht von den Bittenden selbst vorgetragen, sondern vielmehr in niedergeschriebener Form (eventuell von Tempelschreibern verfasst) und durch einen vermittelnden Priester indirekt vorgelegt. Zumindest im Niltal wird die im Tempel verehrte Gottheit an dessen Rückseite als diejenige, „die die Bitten erhört“,35 bezeichnet, was einen Hinweis auf Orakelpraktiken geben könnte. Interessanterweise finden sich solche Epitheta in den Oasentempeln weder an den Bittplätzen, noch in den Inschriften im restlichen Tempel (Ausnahme: Hibis). Diese These unterstützen zudem die architektonischen Besonderheiten an bestimmten Tempeln, sowohl in den Oasen als auch im Niltal, wie Durchbrüche, Fenster und Spalten in den Steinmauern zwischen dem Sanktuar und dem Bittplatz, die für

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sions vom 11. bis 13. Dezember 2003 in Sommerhausen bei Würzburg, Wiesbaden 2005, 171–184; M. Schentuleit, Organization of the Priesthood in Soknopaiou Nesos. Transition between the Ptolemaic and Roman Periods, in: M. Capasso / P. Davoli (Hgg.), Soknopaios. The Temple and Worship. Proceedings of the First Round Table of the Centro di Studi Papirologici of Università del Salento, Lecce, October 9th 2013, Edaphos 1, Lecce 2015, 167–186; P. Davoli, Soknopaiou Nesos Project 2007–2010. New Archaeological Discoveries, in: C. Arlt / M. A. Stadler (Hgg.), Das Fayûm in Hellenismus und Kaiserzeit. Fallstudien zu multikulturellem Leben in der Antike, Wiesbaden 2013, 51–62. K. Th. Zauzich, Die demotischen Orakelfragen – eine Zwischenbilanz, in: P. J. Frandsen / K. Ryholt (Hgg.), A Miscellany of Demotic Texts and Studies, The Carlsberg Papyri 3, CNI Publications 22, Kopenhagen 2000, 4. P. Lang, Medicine and Society in Ptolemaic Egypt, in: J. Scarborough / P. J. van der Eijk / A. E. Hanson / J. Ziegler (Hgg.), Studies in Ancient Medicine 41, Leiden / Boston 2013, 49. Vgl. Barta, Kult, in: LÄ III (1980), 839. E. Hornung, Der Eine und die Vielen. Ägyptische Gottesvorstellungen, Darmstadt 1971; C. Straube, Gegentempel. Zu Architektur, Theologie und Frömmigkeit im Alten Ägypten, unpubl. Magisterarbeit München 1989; B. Gladigow / K.-H. Kohl / H. Cancik, Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe III, Stuttgart / Berlin / Köln 1993; D. Kurth, Die Inschriften des Tempels von Edfu VII, Wiesbaden 2004.

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die Erteilung von Orakeln eine wichtige Verbindung darstellten.36 Dafür sprechen sich unter anderem Peter Dils37, Jan Quaegebeur38, Serge Sauneron39 und Sergio Donadoni40 aus. Claude Traunecker und Francoise Laroche sehen dies eher kritisch.41 Dass diese Bittplätze aber eine besondere Bedeutung innerhalb des Temenos innehatten, wird in jedem Falle durch ihre aufwendige Gestaltung deutlich. So wurde an den Oasentempeln insgesamt, im Gegensatz zu den Tempeln im Niltal, wenig Dekoration angebracht. Bei den Tempeln in den westlichen Oasen sind die bevorzugten Orte für das Dekor das Sanktuar, die Tore und eben die äußeren Rückwände, die mit großformatigen Götterszenen und Darstellungen von Nilprozessionen geschmückt waren. Zusätzlich wurden häufig Vergoldungen angebracht sowie Inlays verwendet42, die die besondere Wertschätzung für diese Orte zeigt. Abschließend möchte ich festhalten, dass die Bittplätze hinter den Sanktuaren sehr wahrscheinlich nicht als öffentliche und frei zugängliche Gebetsstätten und Orte populärer Kulte dienten, sondern nur für eingeweihtes Personal – möglicherweise für Orakelhandlungen bzw. zu bestimmten Anlässen – offen standen, da sie eben nicht, wie Wildung meint, „außerhalb des Temenos“43 lagen, sondern vielmehr abgeschirmt von den Blicken der Bevölkerung innerhalb der Umfassungsmauer(n) der Tempelbezirke. Sowohl die kritische Betrachtung der Tempelgrundrisse als auch die Berechnungen mit depthmapX zeigen die schlechte Zugänglichkeit der Bittplätze an den Rückseiten der Tempel. Meiner Meinung nach waren diese Bereiche also eher Orte restriktiver Praktiken, wie Orakelhandlungen, als öffentliche Kultstellen. Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: G. Hölbl, Altägypten im römischen Reich, 61, Abb. 89. Abbildung 2: J. D. Preisigke mit depthmapX. Abbildung 3: J. D. Preisigke mit depthmapX. Abbildung 4: J. D. Preisigke mit depthmapX.

Literaturverzeichnis Arnold, D., Wandrelief und Raumfunktion in ägyptischen Tempeln des Neuen Reiches, Berlin 1962. Arnold, D., Lexikon der Baukunst, Zürich 1994. Barta, W., Kult, in: LÄ III (1980), 839–848. 36 Dies geschah weniger durch orale Orakelsprüche, da dies für Ägypten vor der römischen Zeit nicht belegt ist, sondern vielmehr durch Rauch“zeichen“ oder auch durch Klänge; s. L. Kákosy, Orakel, in: LÄ IV (1982), 600f. 37 P. Dils, Tempel von Dusch, 93, 173. 38 J. Quaegebeur, L’appel au divin: le bonheur des hommes mis dans la main des dieux, in: J.-G. Heintz (Hg.), Oracles et prophéties dans l’antiquité. Actes du colloque de Strasbourg 15–17 juin 1995, Paris 1997, 21, 25. 39 S. Sauneron, Les travaux de l’Institut français d’archéologie orientale en 1975–1976, in: BIFAO 76 (1976), 408. 40 S. Donadoni / E. Ambros, Theben. Heilige Stadt der Pharaonen, München 2000, 198. 41 C. Traunecker / F. Laroche, La chapelle adossée au temple de Khonsu, in: Cahiers de Karnak 6 (1980), 194f. 42 So beispielsweise in Qasr el-Dusch (Vergoldung) und in Ain Birbiya (Glas- und Fayenceinlays), nach Aussage von Olaf E. Kaper am 08.11.2016. 43 D. Wildung, Imhotep und Amenhotep, 1977, 205.

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Abb. 1: Darstellung der Bearbeitungen am Grundriss des Tempels von Qasr el-Dusch, die vorgenommen werden müssen, um die Berechnung mit depthmapX zu beginnen (A Tor, B Hof, C Bittplatz); oben Grundriss mit eingezeichneten Türschwellen; unten sind diese Linien entfernt.

Abb. 2: Visibility Graph – Connectivity: helle Bereiche gut vernetzt, dunkle Bereiche schlecht vernetzt; a) Tempel von Qasr el-Dusch; b) Hibis-Tempel.

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Abb. 3: Step depth Analyse (a–c mit verschiedenen Ausgangspunkten, markiert mit weißen Pfeilen) vom Grundriss des Tempels in Qasr el-Dusch (dunkel = leicht erreichbar, hell = mit mehreren Richtungswechseln erreichbar); d) Agentenanalyse des gleichen Grundrisses.

Abb. 4: Step depth Analyse am Grundriss des Hibis-Tempels (a–c) mit verschiedenen Ausgangspunkten, markiert durch Pfeile; c) Ausgangspunkt am Westtor) und Agentenanalyse; d) mit Ausgangspunkt am 3. Tor.

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Rollen und Interaktionsmuster altägyptischer Gottheiten in Heiltexten – ein Vorbericht* Jana Raffel

Using the example of Isis in the spell pBM EA 9997, 6,17–8,4 this paper aims to show that deities referred to in ancient Egyptian medical texts can take on complex roles and interact with one another. At the same time, the approach and method of my PhD-project will be outlined. Die Zauberkraft der Isis ist oft in der ägyptologischen Literatur beschrieben worden. Damit verbunden steht die Annahme, dass Isis ihrem Sohn Horus „immer“ mit „ihrer Zaubermacht und ihrem Schutz zur Seite“1 stehe. Ein genauer Blick auf die Quellen zeigt allerdings ein differenzierteres Bild.2 Zwar sind Horus und Isis in den magischen Heiltexten prominent vertreten, doch die Rolle der Isis beinhaltet nicht nur den Schutz- und Heilaspekt. Gerade das Wissen um die sog. List der Isis3 sollte dazu anhalten, die Göttin genauer zu charakterisieren. Die Kraft ihrer Magie bleibt in diesem Text unbestritten, gelingt es ihr doch, durch ihre Schläue und List, den wahren Namen des Re in Erfahrung zu bringen. Gleichzeitig zeigt dies jedoch auf, dass Isis hinterhältig und auch als Verursacherin von Krankheiten auftreten kann.4 Eben diese Rollendifferenzierung von Gottheiten stellte sich bereits in meiner Magisterarbeit heraus, in der ich mich mit der Rolle des Gottes Horus als Arzt und Patient in den sog. magischen Texten beschäftigt habe.5 In den von mir untersuchten Sprüchen6 konnte

* Dieser Artikel dient der Vorstellung meines Dissertationsvorhabens mit dem Arbeitstitel „Rollen und Interaktionsmuster ägyptischer Gottheiten in Heilsprüchen vom Alten Reich bis in die saitisch-persische Epoche“. Für die Durchsicht des Artikels und Detailhinweise danke ich H.-W. Fischer-Elfert. Die hier wiedergegebenen Übersetzungen lehnen sich an K. Stegbauer, Magie als Waffe gegen Schlangen in der ägyptischen Bronzezeit, Borsdorf, 2015, 254–257, an. Mit der von Stegbauer vorgeschlagenen Spruchlänge stimme ich überein. Vgl. ebd. 259, Anm. 44,1. Joachim Quack danke ich für die Hinweise zu den Paralleltexten und dafür, dass ich sein noch unfertiges Manuskript nutzen darf, welches voraussichtlich als Monographie in der Reihe der Heidelberger Akademie der Wissenschaften erscheinen wird. J. F. Quack, Eine magische Stele aus dem Badischen Landesmuseum Karlsruhe (Inv. H 1049), in Vorb. 1 Vgl. hier bes. M. Münster, Untersuchungen zur Göttin Isis vom Alten Reich bis zum Ende des Neuen Reiches. MÄS 11, Berlin 1968, bes. 12, 125, 195. 2 Bereits Stegbauer bemerkt, dass Isis häufig die Rolle der heilenden Göttin übernimmt, jedoch ebenso die „Rolle der Vermittlerin, die die Aufmerksamkeit eines anderen Gottes oder der gesamten Neunheit erregt“, bekleidet. K. Stegbauer, Schlangen, 78. 3 pTurin 1993, rt. 1,11–4,5 = pTurin 54051, rt. 2,11–5,5. 4 Vgl. hierzu auch Sprüche der Metternichstele. 5 J. Raffel, Die Rolle des Gottes Horus als Arzt und Patient in den sog. Magischen Texten, unpubl. Magisterarbeit Leipzig 2009.

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ich aufzeigen, dass Horus neben den bekannten Rollen des Patienten und des Heilers auch die des sich selbst heilenden Patienten übernimmt. Magische Texte wie auch magisch-medizinische Quellen wurden bereits unter unterschiedlichen Fragestellungen bearbeitet, jedoch fehlt bisher eine eingehende Analyse der götterweltlichen Aktionen. Die Aufarbeitung dieses Desiderats bildet das Ziel meines Dissertationsvorhabens – konkret die Analyse und Auswertung des Rollenrepertoires und des Interaktionsverhaltens von Götteraktanten innerhalb der Heilsprüche, um ein Schema der Verwendbarkeit und Verteilung der Götterrollen und -konstellationen in diesem Spruchcorpus aufzuzeigen. Die Rollenzuordnungen können je nach Bedarf angepasst werden, sodass eine Gottheit in verschiedenen oder ähnlichen Situationen unterschiedliche Rolleneigenschaften einnehmen kann. Möglicherweise kann zusätzlich der Frage nachgegangen werden, ob und welche Motive bei der Auswahl zugrunde lagen. Die zielsetzenden Fragen lauten: – Welcher Gott kann welche Rolle bei welchen abzuwendenden Krisen einnehmen? – Welche Gottheiten treten in ihren jeweiligen Rollen in Interaktion? – Welche Interaktionen sind das und wie äußern sie sich? Gibt es wiederkehrende Muster? – Kann eine Verwendungsspezifik der Götterrollen und des abzuwehrenden Unheils nachvollzogen werden? Der Begriff Religion geht mit dem Begriff Magie einher. Letzteren möchte ich wertungsfrei verstanden wissen, als festen Bestandteil des ägyptischen Weltbildes, gleich einem Naturgesetz, als allgegenwärtig in der altägyptischen Kultur und somit ohne die negativen Konnotationen der modernen Rezeption, die er mit sich zieht.7 Magie ist hierbei weder von dem Begriff der Religion noch von dem Begriff der Medizin zu trennen. Das medizinische Verständnis einer Erkrankungsursache basierte im alten Ägypten unter anderem auf der Deutung als dämonische oder göttliche Einwirkung. Dabei wird nach Thomas Schneider durch die Erkrankung eines Menschen im Mikro-Kosmos die gesamte Ordnung der Welt als Makro-Kosmos gestört.8 Mittels der Sprüche sollen die direkt angesprochenen Feinde, Götter/Göttinnen, Dämonen/Dämoninnen und Wiedergänger/Wiedergängerinnen usw. beseitigt, entfernt, ausgespien, abgewehrt, vernichtet oder getötet werden.

6 Patient: oDeM 1603; pBM EA 9997, rt. 3, 12–5, 4; pBM EA 9997, rt. 6, 1–6, 17/Cairo JE 46341; pBM EA 9997, rt. 6, 17–8, 15; pBM EA 10309, rt. 2, 7–3, 4; pChester Beatty VII, rt. 4, 4–4, 7; pChester Beatty VII, rt. 6, 4–7; pMag. LL, vs. 33, 1–33, 9; pLeiden I 384, I* 1–14; Heiler: pVatikan 19a; oStrasbourg (H111); pChester Beatty VII, rt. 1, 4–2, 5; pChester Beatty VII, rt. 7, 5–7, 7; pDeM 41; pLeiden I 349, rt. x+1, 1–x+1, 9; pLeiden I 349, rt. x+3, 10–x+3, 12; Patient/Heiler: pGenf MAH 15274, rt. x+1, 1–x+7, 10; pLeiden I 349, rt. x+1, 9–x+2, 1; pTurin 1993, vs. 2, 6–3, 6; pTurin 1993, vs. 3, 6–3, 10; pMag. LL, rt. 19, 32–19, 41. Die Auswahl der Sprüche erfolgte nach der Zuordnung der zu behandelnden Leiden in Stich-/Bissverletzungen. 7 Vgl. K. Stegbauer, Schlangen, 36–39. R. K. Ritner, The Mechanics of Ancient Egyptian Magical Practice, SAOC 54, Chicago 1993, 8 u. 249. Auch T. Schneider, Die Waffe der Analogie: Altägyptische Magie als System,in: K. Gloy / M. Bachmann (Hgg.), Das Analogiedenken: Vorstöße in ein neues Gebiet der Rationalitätstheorie, Freiburg 2000, 37–85, hier bes. 44–47 und 81; H.-W. Fischer-Elfert, Altägyptische Zaubersprüche, RUB 18375, Stuttgart 2005, 9–10. 8 T. Schneider, Die Waffe der Analogie.

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Dabei sehe ich die eigentliche Funktion der Texte im Coping9 begründet, also im „Bemühen bereits bestehende oder erwartete Belastungen durch die Krankheit innerpsychisch (emotional/kognitiv) zu verarbeiten und zu meistern.“10 Die als magische Texte oder Zaubersprüche bezeichneten Quellen finden sich sowohl in funerären und medizinischen Kontexten wie auch in der Ritual- und Kultpraxis des Tempels.11 Das Corpus, dem ich mich widme, besteht aus den sogenannten magisch-medizinischen, von mir als Heilsprüche bezeichneten Texten in hieratischer oder hieroglyphischer Schrift, die den reaktiven und präventiven Sprüchen zuzuordnen sind. Dabei handelt es sich um Sprüche, die rezitiert werden, wenn die Gesundheit und das physische und psychische Wohlbefinden einer lebenden, nicht-königlichen Person in Mitleidenschaft gezogen wurde oder wird.12 Dabei ist der Einsatz der präventiven Sprüche vor einem gefürchteten Ereignis zu sehen. Reaktiv meint die Reaktion auf einen eingetroffenen Schicksalsschlag. Grundbedingung bei der Auswahl der zu untersuchenden Sprüche sind neben deren gutem Erhaltungszustand und der Publikationslage weiterhin die durch den götterweltlichen Präzedenzfall zu identifizierenden Rollen und Interaktionen mindestens zweier Gottheiten. Die Texte der klassisch-pharaonischen Zeit sind als zahlreich und aussagekräftig für die Fragestellung einzustufen, sodass die als zu umfangreich anzusehende Quellenbasis der ptolemäisch-römischen Zeit in dieser Arbeit ausgeklammert bleibt.13 Der Textaufbau gliedert sich nach Spruchtitel, Rezitativ und Handlungsanweisung. Die Sprüche sind in der Praxis immer im Ritualkontext zu sehen.14 Das heißt, dass wohl nur der eigentliche obligatorische Textteil per Wort oder Tat aus- bzw. vorgeführt wurde. Überschriften und Nachschriften werden in meiner Arbeit der Vollständigkeit halber mit aufgenommen bzw. dienen der Auswertung der Krankheitsursache und Bekämpfung. Relevant für die Analyse sind die eigentlichen Rezitative, die sich nochmals differenzieren lassen in hymnische Anrufungen, Gliedervergottungen, sog. Götterbedrohungen oder sog. Historiolae15. 9 J. Raffel, Prävention und Reaktion – Die altägyptischen Heilzauber als Copingstrategie, in: arbeitstitel – forum für leipziger promovierende, in Vorb. 10 E. Heim, Krankheitsbewältigung, in: C. Buddeberg / J. Willi, Psychosoziale Medizin, Berlin / Heidelberg ²1998, 486–487. 11 Zur Textsorte Zaubersprüche vgl. K. Stegbauer, Schlangen, 43–73, bes. 50. Zur Einteilung siehe auch H.-W. Fischer-Elfert, Magie in Ägypten, in: Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (www.wibilex.de), 2006, 21.10.2016. 12 In der Arbeit werden Funerärtexte, Schutzsprüche für das Haus, das Feld oder sog. Wassergesänge ausgeklammert. Dies dient dazu, das Corpus bzw. die Verwendungskontexte zu schärfen und gleichzeitig das Material einzugrenzen. 13 M. A. Stadler, Weiser und Wesir. Studien zu Vorkommen, Rolle und Wesen des Gottes Thot im ägyptischen Totenbuch, ORA 1, Tübingen 2009, 10 und 36 diskutiert treffend die altbekannten Probleme der Eingrenzung des Themas von unüberschaubarem Material, erdrückender Menge, vieler weit verstreuter kurzer Belege mit nur knappen Angaben, die sich dem Verständnis sperren und somit unmöglich einer angemessenen Analyse innerhalb eines zeitlich begrenzten Rahmens in ihrer Vollständigkeit unterzogen werden können. 14 Vgl. R. K. Ritner, Mechanics 35–57; H.-W. Fischer-Elfert, in: wibilex, unter 1.2.1. 15 Zur Historiola vgl. D. Frankfurter, Narrating Power: The Theory and Practice of the Magical Historiola in Ritual Spells, in: M. W. Meyer / P. A. Mirecki (Hgg.), Ancient Magic and Ritual Power, Religions in the Graeco-Roman World 129, Leiden 1995, 457–476 und K. Stegbauer, Schlangen, 75–77. Damit wird die Geschichte des narrativen Textabschnittes bezeichnet. Zuletzt F. Röpke, Mythologische Erzählungen in den Heiltexten, Band 1 (a). Allgemeiner Teil und Textsammlung, Heidelberg 2018, bes. 13–39.

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Letztgenannte Göttergeschichten erzählen in monologischer oder dialogischer Form von einer erkrankten Gottheit, die durch andere geheilt wird.16 Dabei werden Gottheiten angesprochen oder agieren selbst. So wird mittels eines mythischen Präzedenzfalles auf das aktuelle Geschehen Bezug genommen, um einen identischen Ausgang der Situation, nämlich die Heilung, zu schaffen. Dies wird durch die Gleichsetzung des Heilers und/oder des Patienten mit einer Gottheit erreicht. Besonders deutlich wird dies durch die sog. Identifikationsformel jnk GN. Gottesvorstellungen sind Projektionen der Vorstellungen oder der realen Verhältnisse einer Gesellschaft (menschliche Zyklen, soziale, politische und ökonomische Umstände).17 Somit sind die Rollen und Interaktionen, Hierarchien und Beziehungen der Gottheiten innerhalb der Heilsprüche Spiegel der altägyptischen Lebenswelt. Zu beachten ist dabei jedoch, dass es sich bei den zu untersuchenden Texten um Krisentexte handelt, die in Notsituationen genutzt wurden und somit eine Überhöhung und Idealisierung darstellen, wie dies auch für weitere altägyptische Textquellen angenommen werden kann (Bsp. Idealbiographien). Als Rollenbegriff wird das regelmäßig in bestimmten Situationen auftretende Verhalten einer Person angesehen, wie es von der Gesellschaft erwartet wird.18 Rollen bzw. Rollenhandlungen können situationsbezogen und damit vorübergehend sein, wobei sie in ähnlichen Situationen wiederum auftreten. Einer Rolle sind Rechte, Pflichten und von der Gesellschaft erwartete Verhaltensweisen immanent. Erwartungen an ein soziales Verhalten orientieren sich an Normen der Gesellschaft, wobei Normen als eine Regulative zwischenmenschlichen Verhaltens, zwischenmenschlicher Interaktion und als akzeptierte Verhaltensübereinkünfte angesehen werden. Eine Rolle steht nicht allein, sondern ist immer in Beziehung zur Gesellschaft zu sehen. Treffen zwei oder mehrere Handelnde aufeinander und treten in eine wechselseitige Beziehung, wird von einer Interaktion gesprochen.19 Als Interaktion gilt im Vergleich zum Rollenhandeln die wechselseitige Bezogenheit zweier oder mehrerer Akteure aufeinander. In den altägyptischen Heiltexten handeln die Gottheiten oft parallel oder nacheinander, ohne eine direkte Wechselseitigkeit aufzuzeigen. Der nicht in Erscheinung tretende Gegenaktant ist in dieser Hinsicht stets mitzudenken. Die von mir verwendeten Analyseschritte lassen sich grob einteilen in emische, etische und charakterisierende Perspektiven. Das den o. g. Anforderungen entsprechende Textmaterial wird nach den Gottheiten zuzuordnenden Textzeilen untersucht. Daraus werden erste etische Rollenbegriffe wie Mutter, Sohn, Patient, Heiler, Vermittler usw. zugewiesen. Die emische Vorgehensweise beruht auf den im Spruch verwendeten Handlungsverben, die als Rollenhandeln und dadurch als rollenumschreibende Zuordnungen verwendet werden. Charakteristische Merkmale vervollständigen die Rollenkennzeichnung. Darunter verstehe ich Aussagen, die die physische und psychische Wirkmächtigkeit der Gottheiten oder deren „Zauberkraft“ betonen sowie den körperlichen Zustand oder äußerliche Eigenschaften the16 Nach T. Schneider, Analogie, 61 wirken Beschwörungen mittels Analogien (Vergleiche). Er beschreibt diese als eine Fessel, die „aktuelle Fälle einem verborgenen Regelwerk“ unterwirft. 17 Vgl. B. Gladigow, Gottesvorstellung, in: H. Cancik / B. Gladigow / K.-H. Kohl (Hgg.), Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe IV. Kultbild – Rolle, Stuttgart / Berlin / Köln 1998, 33–35. 18 Vgl. B. Miebach, Soziologische Handlungstheorie. Eine Einführung, Wiesbaden 2010, 40. 19 Vgl. M. von Cranach / U. Kalbermatten, Soziales Handeln, in: D. Frey / S. Greif, Sozialpsychologie. Ein Handbuch in Schlüsselbegriffen, Weinheim 1997, 321–325, hier 323.

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matisieren. Hymnische Preisungen und schmückende Epitheta20, die in der Verwendung der Texte begründet sind, sowie für Rollenbeschreibungen nicht als dienlich empfundene Gliedervergottungen werden in diesem Zusammenhang nicht detailliert in die Analyse einbezogen. Diese Notationen können in der Auswertung berücksichtigt werden. Im Folgenden möchte ich mein Vorgehen am Beispiel des Spruches pBM EA 9997, 6,17–8,4 illustrieren. Der Spruch, dessen Titel lediglich mit ky r’ angegeben wird, steht im Kontext einer Giftbeschwörung. Er setzt sich aus Historiola und Beschwörung zusammen. Der Beschwörungsteil lehnt sich an das Ächtungsritual „Das erste Buch zum Niederwerfen des Apophis, des Feindes des Re“ des Papyrus Bremner-Rhind (BM 10188)21 an. Weitere Belege sind auf der spätzeitlichen Statuette Louvre E 2762 = N 397522, auf der Horusstele Moskau, Pushkin-Museum I 1 ɚ 5445 (1897)23 und der magischen Stele aus dem Badischen Landesmuseum Karlsruhe (Inv. H 1049) zu finden.24 Eine Entstehung der Ächtungsrituale bereits im Alten Reich hält Joachim Quack durchaus für vertretbar. Für die Kompositionen der späteren Textzeugen möchte er nicht zwingend von nur einer verwendeten Vorlage ausgehen. Den Unterschied der hier besprochenen Beschwörung zum Ritual gegen Apophis führt Quack folgendermaßen aus: „Gegner ist hier nicht Apopis, sondern das personifizierte Gift (mtw.t). Dies hat zu einigen klaren Änderungen im Wortlaut sowie einem Genuswechsel hinsichtlich der Pronomina mit Bezug auf die abzuwehrende Gestalt geführt. Einerseits wird die einleitende Anrede an Apopis durch eine an das Gift ersetzt. Andererseits ist bemerkenswerterweise auch die helfende Macht im Genus transponiert. In dieser Handschrift ist es nicht mehr Re, sondern Neith, die Re geboren hat, welche den Gegner niederwirft. Allerdings ist der Genusunterschied nur für die ersten Sätze relevant, da anschließend im pBremner-Rhind das Auge des Sonnengottes, also auch eine feminine Gestalt, wesentlicher Akteur wird. Weitere Änderungen der Aktanten führen dazu, daß später Isis dort erscheint, wo der pBremner-Rhind die Neunheit von Heliopolis nennt. Insgesamt ist die Rolle der weiblichen Gottheiten in dieser Fassung prominenter als in der gegen Apopis gerichteten Version, was auch damit zusammenpaßt, daß ganz am Anfang des größeren Spruches, in den die aus dem Ritual gegen Apopis stammende Sektion eingebettet ist, Nephthys und Isis erscheinen (pBM EA 9997, x+6, 17). Es wäre auf breiterer Basis zu prüfen, inwieweit die Ägypter bei Schlangen- und Skorpiongift mehr auf Göttinnen vertraut haben, während gegen Apopis in höherem Ausmaß männliche Gottheiten zum Einsatz kommen. Die Situierung des Textabschnittes ist insofern konsequent, als die Handschrift im gesamten erhaltenen Bereich ausschließlich Sprüche gegen Gift (insbesondere von Schlangen) enthält.“ 20 Vgl. K. Stegbauer, Schlangen, 61: „Die hymnische Prädikation der helfenden Götter stellt eine allgemein gültige Aussage dar. Sie ist spezifizierend, da sie die ‚Leistungen‘ einer Gottheit explizit benennt, aber generalisierend, da diese ‚Leistung‘ zu jeder Zeit und an jedem Ort aufrufbar und einforderbar ist.“ 21 R. O. Faulkner, The Papyrus Bremner-Rhind, BiAe 3, Brüssel 1933, 42–88. Datierung: Ende 4. Jhd. v. Chr. 22 M. Étienne, Les portes du ciel. Visions du monde dans l’Égypte ancienne, Paris 2009, 181, Nr. 158. 23 S. Hodjash / O. Berlev, Reliefs and Stelae in the Pushkin Museum of Fine Arts, Leningrad 1982, 263– 264, Nr. 191. Datierung nach H. Sternberg-el Hotabi, Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte der Horusstelen I, ÄA 62, Wiesbaden 1999, 124: Mittlere Hochphase (ca. 280–180 v. Chr.). 24 Ausführlich J. F. Quack, Magische Stele. Datierung der Stele nach Quack in die 19.–22. Dynastie möglich.

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Gerade die Rollen der weiblichen Gottheiten werden im Folgenden anhand der Schemata deutlich. Da in diesem Beitrag mein Vorgehen anhand des Spruches pBM EA 9997, 6,17–8,4 vorgestellt werden soll, werden die Abweichungen der Paralleltexte untergeordnet behandelt. Spruch: pBM EA 9997, 6,17–8,425 Æ Ausgangssituation

Isis weist Nephthys an, die Unbelehrbaren abzuweisen. (a)

Æ Krisensituation + Reaktion Isis und Nephthys

Horus wird gebissen. (b) Isis und Nephthys eilen herbei. (c)

Æ Anamnese (Frage-Antwort)

Isis fragt Horus, was geschehen sei. (d) Horus erzählt seine Geschichte. (e)

Æ Aktion

Isis ruft Götterentourage an. (f)

Æ Reaktion Entourage

Götterentourage wird aufmerksam und reagiert. (g)

Æ Aktion

Isis bittet um Belebung ihres Sohnes. (h)

Æ Reaktionen einzelner Gottheiten

Neith und Serqet reagieren. (i)

Tab. 1: Inhalt der Historiola. Der Spruch setzt ein bei der dialogisch gestalteten Historiola.

Abb. 1: Interaktionsschema der Historiola. 25 Übersetzungen: C. Leitz, Magical and Medical Papyri of the New Kingdom, Hieratic Papyri in the British Museum 7, London 1999; A. Roccati, Rez. C. Leitz, Magical and Medical Papyri, in: Or 70 (2001), 193– 195; M. Müller, Rez. C. Leitz, Magical and Medical Papyri, in: LingAeg 10 (2002), 425–435; H.-W. Fischer-Elfert, Zaubersprüche, 56–59; K. Stegbauer, Schlangen, 254–257. Datierung: 20. Dyn.

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Rollen und Interaktionsmuster altägyptischer Gottheiten in Heiltexten

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Darauf folgt die Beschwörung. Vernichtung durch Neith sxr fällen; niederwerfen Varianten: pBremner-Rhind (BM 10188):26 Re-Harachte Stele Karlsruhe (H 1049): Re Stele Moskau, Pushkin-Museum I 1 ɚ 5445 (1897): Schu Statuette Louvre E 2762 = N 3975: ø

Z. 7,11: weil Neith, geboren von Re, dich niedergeworfen hat Varianten: pBremner-Rhind: Z. 23,18; Stele Karlsruhe: x+5; Stele Moskau A1–A2 jeweils: sxr fällen; niederwerfen dr entfernen; vertreiben; vertilgen

Beschwörung/Vernichtung durch Neith njk strafen; bestraft werden szwn bestrafen; zerstören; leiden lassen Beschwörung durch Serqet Varianten: pBremner-Rhind: njk, Re-Harachte, Auge Beschwörung durch Isis Stele Karlsruhe: njk, szwn, Re-Harachte, Beschwörung durch Isis Stele Moskau: njk, szwn, Re-Harachte, Beschwörung ø, Statue Louvre: ø, Schu, Auge, Beschwörung ø

Z. 7,12–7,13: [Sie] straft [dich durch/mit] ihre/n wirkmächtigen Zaubersprüchen. Das Wüten wurde [abgewehrt] seitens27 Serqet mit ihren Zauberformeln. Varianten: pBremner-Rhind, Z. 23,18–23,19: „Er (ReHarachte, Anm. JR) hat dich bestraft. Sein eigenes Auge richtet dich! Du bist gefallen durch das Feuer, das aus ihm hervortritt, die Flamme, die aus seinem Gluthauch hervortritt (und) die zum rechten Zeitpunkt hervortritt, (denn) ihr Gluthauch ist gegen dich (gerichtet)!“28 Statue Louvre, Z. 2: „Er (Schu, Anm. JR) (und) sein Auge haben dich niedergeworfen.“29 Varianten: pBremner-Rhind 23,19 und Stele Karlsruhe x+7: Dein Wüten wurde abgewehrt durch Isis durch die Zauberkraft ihres Spruches!30

26 Zur Übersetzung vgl. F. Feder, Strukturen und Transformationen des Wortschatzes der ägyptischen Sprache, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, TLA 02.02.2017. 27 Nach dem Vorschlag von J. F. Quack, Magische Stelen lese ich nun wie folgt: [xsf]{=st}{j}Ad.w{t} jn srq.t. 28 Übersetzung F. Feder, TLA. Zu den leichten Abweichungen der anderen Textzeugen siehe die synoptische Edition bei J. F. Quack, Magische Stele. 29 J. F. Quack, Magische Stele. Unterseite des Sockels (bei Quack P2) Z. 2. 30 pBremner-Rhind 23,19–23,20: „Zerstückelt ist dein Ba, durchtrennt ist dein Rückgrat! Horus hat (dich) mit deinem (eigenen) Unheil geschlagen! Die Horuskinder zerbrechen dich, (nachdem) dich zur rechten Zeit vernichtet haben!“ (F. Feder, TLA). Stele Karlsruhe x+7–x+8: „Deine Seele wurde [von Nephthys] erjagt (bHn, Anm. JR).) [Deine Wirbel wurden zerschnitten, Horus hat deine Verdammnis verhängt.]“ (J. F. Quack, Magische Stele).

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Bewachung durch die Horuskinder zAw bewachen (gefangen nehmen)

Vertreibung durch Isis sxtxt zurücktreiben Variante: pBremner-Rhind 32,21: große Neunheit von Heliopolis: sxtxt32 Abwehren durch Torhüter xsf abwehren; abweisen Vertreibung durch Nephthys Hmi zurückweichen; zurücktreiben Beschwörung durch Nephthys Vernichtung durch Nephthys bHn zerschneiden; bestrafen [Dr]fernhalten (von); beseitigen; beenden Bestrafung durch Re nHm fortnehmen

Z: 7,13: Die Horuskinder bewachen dich Variante: pBremner-Rhind 23,20: Die Horuskinder bewachen (zAw) dich, (nachdem) dich zu ihrer Zeit vernichtet (sHtm) haben!31 Z: 7,14–7,15: weil Isis, die Göttin, dich zurückgetrieben hat, nachdem dich abgewehrt haben diese Götter, Wächter der geheimen Tore. Variante: pBremner-Rhind 23,20: „Ihre Glut wird gegen dich herauskommen in einem Feuer.“33 Z: 7,15: Nephthys hat dich zurückgetrieben, die Herrin der Schrift mit machtvollen Worten, nachdem sie dich bestrafte. Sie hat dich [beseitigt] mit ihrer Keule(?)34

Z: 8,2: nachdem Re dein Gehör (?) weggenommen hat35

Tab. 2: Beschwörung. Die hauptsächliche Beschwörung in pBM EA 9997 übernehmen Neith und Serqet.36 Weiterhin übernehmen vernichtende und beschwörende Handlungen Neith und Nephthys, während Isis zusammen mit den Torhütern lediglich die Vertreibung des Giftes übernimmt bzw. dessen Ausbreitung verhindert. Dies stellt eine Aufgabenteilung in recht klar abgegrenzter Form dar.

31 Vgl. Feder, TLA. 32 Weiter heißt es dort mit J. F. Quack, Magische Stele: „Horus hat deine Wut zurückweichen lassen, Seth hat deinen Ansturm zuschanden gemacht. Isis wehrt dich ab; Nephthys schlachtet dich.] [Die große Neunheit hat dich zurückgetrieben, die am Bug der Barke des Re ist. Die Horuskinder haben] ihre [Spie]ße in dich gesteckt.“ Quack bemerkt dazu: „Eventuell ist der Schreiber von einem Satz mit s‫ې‬t‫ې‬t direkt zum nächsten gesprungen; oder er hat einfach die spezifischen Erwähnungen von Horus, Seth und den Horuskindern bewußt ausgelassen, um stärker auf die Rolle der Göttinnen zu fokussieren.“ 33 J. F. Quack, Magische Stele. 34 Der letzte Satz nach der Ergänzung von J. F. Quack, Magische Stele. 35 Zuvor enthält pBremner-Rhind und Stele Karlsruhe noch folgenden Satz: „Der in seiner Barke ist, hat dich gefällt.“ Siehe J. F. Quack, Magische Stele. Quack möchte statt „Re hat dein Gehör (?) weggenommen“ „Re hat deine Stellung weggenommen“ lesen. 36 Im Schema (Abb. 2) dient das Gleichheitszeichen der Verdeutlichung der gleichen Rolle.

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Rollen und Interaktionsmuster altägyptischer Gottheiten in Heiltexten

Abb. 2: Schema des Rollenhandelns in der Beschwörung.

Abb. 3: Schema des Rollenhandelns in der Beschwörung nach den Varianten (grau hinterlegt).

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Gesamtanalyse: Göttername

Zeilenangabe

Rollenbezeichnung Rollenbezeichnung emisch: etisch:

Nephthys

Z. 6,17: „Nephthys“, sagte (j.jn) Isis, „mögest du veranlassen, dass“(dj=T) (…)

Ø

Isis

Z. 6,17: sagte Isis, (j.jn)(…) Sprechende Z. 7,1: ohne die Worte aus dem Unverstandene Mund der Isis zu verstehen!" Mutter (nn arq.w) Z. 7,2: „Was ist denn, mein Sohn Horus?“

Anweisende Fragende Unwissende Besorgte

Horus (N31, Z4)

Z. 7,1–7,2: Die Stimme des Horus stieß ein Klagegeschrei aus (jw xrw Hr.w 7,2 Hr wd.t dnj.wt)

Schreiender Sohn

Patient

Isis & Nephthys

Z. 7,2: Isis und Nephthys kommen heraus (pr.y), wobei ihre beiden Arme schlagen (Hw)37

Herauskommende Flatternde

Besorgte Klagende Aufgeregte Hilflose

Horus (G5)

Z. 7,2: „Was ist denn, mein Sohn Horus?“ Da sprach (Dd.jn) Horus zu Isis: Z. 7,3: Ich bin’s (jnk pw), der tanzte (jbA)im Wadi zusammen mit den Kindern (jH.ww) meiner Altersgruppe. Z. 7,3: [Ich stieg hinab] [hAj] Z. 7,4: ich trat (dgs) Z. 7,5: Seht, mein Körper ist matt (bdS), meine Glieder zittern (nri), Z. 7,6: mein Herz ist nicht mehr in meinem Leib!

Sohn Sprechender Identifikation Tanzender (im Sinne von spielen, herumtollen) Herabsteigender Tretender

Befragter/ Antwortender Kind Patient (Vergifteter)

Z. 7,6: Da sprach Isis, die Göttin (Dd.jn)

Sprechende Charakterisierung: Göttliche

Isis

Angesprochene Angewiesene Veranlassende

Charakterisierung: Matter, Zitternder, „Herz“loser

Anrufende

37 Wb III, 46.1–48.15 schlagen; stoßen; betreten; weihen; K. Stegbauer, Schlangen, 254 übersetzt: „wobei ihre beiden Arme flatterten“.

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Rollen und Interaktionsmuster altägyptischer Gottheiten in Heiltexten

Hofstaat der Götter Gefährtin des Re Horus (N31, Z4) Osiris Neith Serqet Neith

Re Neith

Serqet

Z. 7,6: Kommt, Entourage der Götter, Entourage der Göttinnen! (mj.n) Z. 7,7: Komm (mj)

Angerufene

Z. 7,7: was Horus widerfahren ist! j:jr.t r 1r.w Z. 7,7: Sohn des Osiris (gleiches Z. 7,10) Z. 7,7: sprach Neith (jn) Z. 7,8: [sprach] Serqet [jn] Z. 7,11: weil Neith, geboren von Re, dich niedergeworfen hat (sxr) Z. 7,11: geboren von Re Z. 7,12: [Sie] straft [dich durch] ihre wirkmächtigen Zaubersprüche (zwnw). Z. 7,12: Sprach (jn) Serqet mit ihren Zauberformeln

Patient

Isis

Z. 7,14: weil Isis, die Göttin, dich zurücktreibt (sxtxt)

Nephthys

Z. 7,15: Nephthys treibt dich zurück (Hm) die Herrin der Schrift mit wirksamen Worten. Sie hat dich bestraft (bHn). Z. 8,2: Re hat deinen Schritt38 weggenommen (nHm).

Re

231

Angerufene

Vater Sprechende Sprechende Tochter Niederwerfende Vater Charakterisierung: Zaubermächtige

Heilerin

Heilerin

Sprechende Charakterisierung: Zauberkundige

Heilerin

Zurücktreibende Charakterisierung: göttlich Zurücktreibende Wortwirksame Bestrafende

Heilerin

Fortnehmender

Heiler

Heilerin

Tab. 3: Rollenanalyse. Die Rolle der Isis wirkt im ersten Moment recht vordergründig. Sie agiert als erste im Spruch und weist Nephthys an, Unbelehrbare zurückzuweisen. Jedoch kann sie die Verletzung ihres Sohnes weder verhindern noch voraussehen, noch weiß sie, was geschehen ist. Statt als allwissende und zauberkundige Göttin wird Isis als besorgte, unwissende Mutter dargestellt, die weitere Gottheiten zur Heilung des Horus anrufen muss und eher in hinterer Front bei der Verhinderung der Ausbreitung, nicht unmittelbar bei der Bekämpfung des Giftes tätig wird.

38 J. F. Quack, Magische Stele argumentiert gegen die von Leitz vorgeschlagene Lesung msDr.

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Jana Raffel

Das Vorgehen des Erfragens und Erzählens der Krankengeschichte erinnert an eine mögliche Situation bei einem Arztbesuch. Dies ermöglicht dadurch weiterhin das tatsächlich eingetretene Krankheitsgeschehen des Patienten unmittelbar in die Historiola des Spruches zu übernehmen, um die Analogie herzustellen.39 Der Hinweis auf ein Anamneseverfahren, das die Heiltexte aufzeigen, stellt einen Unterschied zu den medizinischen Handbüchern heraus, bei denen lediglich die Diagnosestellung zu identifizieren ist. Das klassische Schema dort lautet: Wenn du (= behandelnder Heiler) einen Mann/Patienten untersuchst/beurteilst/betrachtest und er an (Befund) XY leidet/XY hat und du vorfindest (die Symptome) XY, dann sollst du dazu sagen: Der Befund XY ist es, eine Krankheit, die ich behandeln werde/mit der ich kämpfen werde/die man nicht behandeln kann.40 Die detaillierte Analyse repräsentativer Sprüche zeigt erste Feinheiten der Rollen und Interaktionen einzelner Gottheiten auf, die durch Vergleiche gemeinsame Gedankenursprünge oder individuelle Lösungen herausstellen könnten. Literaturverzeichnis Cranach, M. von / U. Kalbermatten, Soziales Handeln, in: D. Frey, / S. Greif, Sozialpsychologie. Ein Handbuch in Schlüsselbegriffen, Weinheim 1997, 321–325. Étienne, M., Les portes du ciel: visions du monde dans l’Égypte ancienne, Paris 2009. Feder, F., Strukturen und Transformationen des Wortschatzes der ägyptischen Sprache. BerlinBrandenburgische Akademie der Wissenschaften. TLA (http://aaew.bbaw.de/tla/index.html), 02.02.2017. Fischer-Elfert, H.-W., Altägyptische Zaubersprüche, RUB 18375, Stuttgart 2005. Fischer-Elfert, H.-W., Magie in Ägypten, in: Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet 2006 (www.wibilex.de), 21.10.2016. Frankfurter, D., Narrating Power: The Theory and Practice of the Magical Historiola in Ritual Spells, in: M. W. Meyer / P. A. Mirecki (Hgg.), Ancient Magic and Ritual Power, Religions in the GraecoRoman World 129, Leiden 1995, 457–476. Gladigow, B., Gottesvorstellung, in: H. Cancik / B. Gladigow / K.-H. Kohl (Hgg.), Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe IV. Kultbild – Rolle, Stuttgart / Berlin / Köln 1998, 32–49. Heim, E., Krankheitsbewältigung, in: C. Buddeberg / J. Willi, Psychosoziale Medizin, Berlin / Heidelberg ²1998, 486–487. Hodjash, S. / O. Berlev, Reliefs and Stelae in the Pushkin Museum of Fine Arts, Leningrad 1982. Leitz, C., Magical and Medical Papyri of the New Kingdom, Hieratic Papyri in the British Museum 7, London 1999. Miebach, B., Soziologische Handlungstheorie. Eine Einführung, Wiesbaden 2010. Müller, M., Rez. C. Leitz, Magical and Medical Papyri, in: LingAeg 10 (2002), 425–435. Münster, M., Untersuchungen zur Göttin Isis vom Alten Reich bis zum Ende des Neuen Reiches, MÄS 11, Berlin 1968. Quack, J. F., Eine magische Stele aus dem Badischen Landesmuseum Karlsruhe (Inv. H 1049), in Vorb. Raffel, J., Die Rolle des Gottes Horus als Arzt und Patient in den sog. Magischen Texten, unpubl. Magisterarbeit Leipzig 2009.

39 Die Diskussion in der Ägyptologie geht an dieser Stelle auseinander. Vgl. ausführlicher F. Röpke, Mythologische Erzählungen, 21. Auf Seite 4 spricht er in diesem Zusammenhang von Göttergeschichten im „Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Innovation“. 40 Vgl. pSmith.

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Rollen und Interaktionsmuster altägyptischer Gottheiten in Heiltexten

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Raffel, J., Prävention und Reaktion – Die altägyptischen Heilzauber als Copingstrategie, arbeitstitel, in Vorb. Ritner, R. K., The Mechanics of ancient Egyptian magical practice, SAOC 54, Chicago 1993. Roccati, A., Rez. C. Leitz, Magical and Medical Papyri, in: Or 70 (2001), 193–195. Röpke, F., Mythologische Erzählungen in den Heiltexten, Band 1 (a). Allgemeiner Teil und Textsammlung, Heidelberg 2018 (http://www.ub.uni-heidelberg.de/archiv/24035). Schneider, T., Die Waffe der Analogie: Altägyptische Magie als System, in: K. Gloy / M. Bachmann (Hgg.), Das Analogiedenken: Vorstöße in ein neues Gebiet der Rationalitätstheorie, Freiburg 2000, 37–85. Stadler, M. A., Weiser und Wesir: Studien zu Vorkommen, Rolle und Wesen des Gottes Thot im ägyptischen Totenbuch, ORA 1, Tübingen 2009. Stegbauer, K., Magie als Waffe gegen Schlangen in der ägyptischen Bronzezeit, Borsdorf 2015. Sternberg-el Hotabi, H., Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte der Horusstelen. Ein Beitrag zur Religionsgeschichte Ägyptens im 1. Jahrtausend v. Chr., ÄA 62, Wiesbaden 1999.

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Vorläufiger Bericht über sieben koptisch-bohairische Papierhandschriften hymnographischen/liturgischen Inhalts in der Papyrussammlung Heidelberg Julienne Schrauder

In the scope of the present article, the function of Coptic liturgical manuscripts will be examined on the basis of specific features of their layout and content. These manuscripts mainly contain hymn texts that were intentionally written in a shorter form than the complete versions. In view of the arrangement and content of these shorter variations, it can be concluded that the manuscripts were used on a personal level by well-versed individuals, possibly the scribes themselves. 1 Zu den Handschriften1 Die hier betrachteten Handschriften A, B1, B2, C, D, E, F und X der Papyrussammlung Heidelberg ([noch] ohne Inventarnummern) stammen aus einem Ankauf, welcher 1963 durch Dieter Hagedorn in Kairo getätigt wurde. Sie gelangten bereits im Verbund in seinen Besitz und stammen vermutlich aus einem mönchischen Umfeld 2; nähere Angaben zur Provenienz sind nicht bekannt. Es handelt sich durchweg um kleinformatige Manuskripte auf Hadernpapier unterschiedlicher Art3, welche – nach derzeitigem Stand – von acht verschiedenen Schreibern stammen.4 In sieben der Handschriften überwiegen Hymnentexte, Handschrift X beinhaltet hingegen ausschließlich variierte Ausschnitte aus der Danielsgeschichte (Dan. 2–4) und wird daher in der vorliegenden Arbeit von der Betrachtung ausgenommen. Die Anzahl der erhaltenen Blätter ist unterschiedlich: Die Handschriften B1, B2, E und F bestehen jeweils aus nur einem Blatt; Handschrift C verfügt über drei, A über sieben und D über vierzehn Blätter. Die Handschriften weisen z. T. starke Zerstörungen in verschiedener Ausprägung auf: Alle Blätter zeigen Beschädigungen bzw. Verfärbungen durch Feuchtigkeitseinwirkung. Die zweithäufigste Beschädigungsart sind Schäden durch externe Einwirkung, also Risse,

1 Eine Bearbeitung und Edition der Handschriften erfolgt im Rahmen meines Dissertationsvorhabens. 2 Dies ist aufgrund des Inhalts und weiterer in diesem Zusammenhang verkaufter Blätter mit Teilen eines griechischen Pentecostarions wahrscheinlich, Angaben hierzu wurden jedoch seitens des Verkäufers nicht gemacht. Auskunft Hagedorn am 08.03.2017. 3 Ein Teil der Blätter ist glatt, während ein anderer eine sichtbare Rippung aufweist. 4 Die Handschriften sind bislang nicht inventarisiert und werden daher mit ihrer vorläufigen Bezeichnungen benannt. Diese lauten A, B1, B2, C, D, E, F und X. Die Blattbezeichnungen entsprechen ebenfalls den derzeitigen Arbeitsbenennungen und spiegeln nicht zwingend die faktische Position der einzelnen Blätter in ihrer jeweiligen Handschrift wieder.

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Julienne Schrauder

Knicke5 und/oder Löcher, welche sich meist auf die Randbereiche konzentrieren. Wenigstens in einem Fall bestand bereits vor Beschriftung des Papiers eine Beschädigung: In A, Blatt 2 finden sich Zeilen, welche ein Loch durch Einrückung umgehen. Ebenfalls durch externe Einwirkung entstanden Abreibungen der Schrift, welche sich besonders in Handschrift A erkennen lassen. In der folgenden Tabelle sind die häufigsten Zerstörungsarten sowie ihre Verteilung innerhalb der einzelnen Handschriften erfasst. A

B1

B2

C

D

E

F

Feuchtigkeit

7/7

1/1

1/1

3/3

14/14

1/1

1/1

Löcher (Textbereich)

4/7

0/1

0/1

2/3

1/14

0/1

1/1

Zerstörungen (außerhalb des Textbereichs)

1/7

1/1

0/1

3/3

0/14

0/1

1/1

Rand abgegriffen

3/7

1/1

1/1

3/3

11/14

1/1

1/1

Knicke (Textbereich)

2/7

1/1

0/1

0/3

0/14

0/1

1/1

Tab. 1: Verteilung der Beschädigungen in den Manuskripten Aufgrund des z. T. schlechten Erhaltungszustands der Blattränder lässt sich nicht für alle Handschriften eine Aussage zu einer möglichen Bindung machen. Klar erkennbar sind Löcher für eine Bindung bei Blatt 4 in Handschrift D, bei weiteren Blättern legen regelmäßige Zerstörungsmuster im Bereich einer möglichen Bindung eine solche auch in anderen Handschriften nahe. Das Format der Blätter entspricht durchschnittlich etwa dem heute gebräuchlichen DINA6. Hierbei wurde die vorhandene Fläche bis auf einen schmalen Rand (max. 2cm in alle Richtungen) für den Schriftspiegel genutzt. Ein inhaltlicher terminus ante quem non lässt sich für Handschrift A auf die Mitte bzw. das Ende des 14. Jahrhunderts n. Chr. festlegen: Der Verfasser einer der darin enthaltenen Hymnen ist bekannt und wirkte in dieser Zeit.6 Paläographisch wirken die Handschriften nicht wesentlich jünger, am wahrscheinlichsten wäre nach aktuellem Stand eine Datierung ins 15. bis spätestens ins frühe 16. Jahrhundert. 2 Gestaltung Die Handschriften weisen nur wenige Verzierungen auf. Abgesehen von roten Punkten – welche sich in Manuskripten dieser Art häufig finden und bestimmte Buchstaben begleiten – wird rote Tinte für Abschnittsanfänge, Initialen und Abkürzungen inkl. Refrains verwendet. Auf Blatt A, 2a ist die Zeichnung zweier Vögel vor einem Räuchergefäß auf einem Baldachin mit schwarzer und roter Tinte ausgeführt. Ein weiterer Baldachin, allerdings ohne Vögel oder rote Tinte, ziert D, 13a. Weitere Zeichnungen finden sich nicht.

5 Die Knicke sind ausschließlich erst nach den übrigen Beschädigungsarten entstanden, was sich der fehlenden Musterspiegelung von Rissen oder Flecken entnehmen lässt. 6 Der Kantor Sarkis verfasste im 14. Jahrhundert Hymnen, insbesondere für den Khoiak: G. Gabra, The A to Z of the Coptic Church, Lanham / Toronto / Plymouth, UK 2009, 228.

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Vorläufiger Bericht über sieben koptisch-bohairische Papierhandschriften

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Umbrüche und/oder Abschnittswechsel können durch einen Strich vom Vorhergehenden abgetrennt werden. Fallweise folgt hierauf der Textbeginn in stark vergrößerter Schrift mit oder ohne Verwendung roter Tinte. Ein Negativbefund ist für den Gebrauch des Arabischen festzustellen: Während Manuskripte dieser Art häufig eine zweispaltige Beschriftung Koptisch – Arabisch aufweisen, finden sich innerhalb der Manuskripte nur an fünf Stellen (A: 1x; D: 4x) arabische Beschriftungen, welche in keinem Fall länger als eine Zeile sind und Überschriften, Intonationshinweise oder kurze Zusätze statt einer Übersetzung der Texte beinhalten. 3 Inhaltliche Kürzungen Die erhaltenen Texte sind gegenüber anderen Textzeugen nicht vollständig. Dies liegt zum einen an der Unvollständigkeit der Manuskripte selbst, zum anderen an absichtlichen Kürzungen der Texte. Drei Möglichkeiten, diese Kürzungen kenntlich zu machen, lassen sich feststellen: Andeutung durch Trennstrich mit Zeichen (E,1b; Abb. 1), Andeutung durch Trennstrich ohne Zeichen (A,16b; Abb. 2) und schließlich ausgeschrieben als ⲗⲟⲓⲡⲟⲛ, (etc.; A,2b; Abb. 3). Parallelen hinsichtlich der Kürzungen deuten auf eine gewisse Systematik hin. Da es sich hierbei oft um Abbrüche inmitten des Textes auch in einer Sinneinheit oder in einem Wort handelt, ist unwahrscheinlich bis auszuschließen, dass die textliche Kürzung im Vortrag ausgeführt wurde. Ob sich ein durchgängiges System findet, welches umfassend oder zeitlich und/oder örtlich beschränkt Anwendung fand, lässt sich aus dieser sehr begrenzten Auswahl an fragmentarischen Handschriften nicht herausarbeiten, wäre jedoch für zukünftige Beschäftigung mit der Materie ein lohnender Ansatz. 4 Hinweise auf Nutzung Wie bereits oben ausgeführt, weisen einige der Handschriften neben Schäden durch Flüssigkeiten, Risse und Knicke auch deutliche Gebrauchsspuren im äußeren Randbereich auf. Die Seiten sind z. T. abgegriffen, was eine häufige Nutzung nahelegt. Es handelt sich dementsprechend nicht um ‚Prunkhandschriften‘, was auch durch die Wahl von weniger gleichmäßigen Schrifttypen deutlich wird, auch wenn diese dennoch deutlich und lesbar gehalten sind. Die Verwendung von reiner Unzialschrift, wie z. B. bei Bibelmanuskripten, erfolgte nicht, doch auch Kursivschrift wurde, vermutlich aufgrund der schwereren Lesbarkeit, nicht verwendet. 5 Anwendungsmöglichkeiten und -einschränkungen Die altägyptische und auch die koptische Musikkultur basieren weitestgehend auf einer mündlichen Tradierung, eine schriftliche Fixierung der Texte und ihrer musikalischen Gestaltung war nicht vorgesehen.7 Letztere findet sich auch in diesen Manuskripten, mit einer 7 Diese Form musikalischer Tradierung wird auch heute noch als primäre Überlieferungsweise sowohl in der koptischen Kirchenmusik als auch in anderen Musikkulturen wie z. B. in Indien verwendet. Während es bereits in pharaonischer Zeit fallweise Niederschriften bestimmter Liedtexte, etwa der Harfnerlieder in Gräbern oder hymnischer Texte an Tempelwänden, gab, beschränken sich diese auf den Text. In strengerem Sinn musikalische Parameter wie Melodien, Rhythmen oder Tonalität wurden nicht festgehalten.

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Julienne Schrauder

einzigen Ausnahme in Handschrift A, nicht. 8 An der entsprechenden Stelle auf dem Blatt 2a wird der ⲏⲭⲟⲥ („Adam“) des folgenden Stücks in Arabisch festgehalten. Auf diese Weise werden Rhythmus, Tonalität und Melodie angegeben. Der Gebrauch der Handschriften setzt die Kenntnis des Materials voraus, sowohl textlich als auch musikalisch. Nicht nur die Kürzungen von Texten weisen darauf hin, sondern auch die Verwendung von Abkürzungen von Refrains, welche meist durch Rubra und Supralinearstriche gekennzeichnet sind, und nicht zuletzt die fehlende Notation der musikalischen Komponente. Nur einer Person, welche diese Inhalte bereits beherrscht ist eine sachgerechte Verwendung folglich möglich oder, anders ausgedrückt, sind die Handschriften als Lernmaterial nicht einsetzbar. Wenn man dies und die fehlende Glättung der Schrift als Indiz heranzieht, so ist anzunehmen, dass die Handschriften von den Benutzern jeweils selbst verfasst wurden. Hierfür spricht, dass die Schrift z. T. nicht ohne Weiteres lesbar ist, womit bei einer Fertigung für den Fremdgebrauch zu rechnen wäre. 9 Auch ist zu bemerken, dass es stellenweise zu Überlappungen mit üblichen Schreibungen anderer Worte kommt, so z. B. in A,2a, Z5: Das Wort ⲥⲛⲁⲩϩ („Fesseln“) wird in der Schreibung ⲥⲛⲏⲟⲩ („Brüder“) wiedergegeben.10 6 Besonderheiten Nicht immer erscheinen die Hymnen in ihrer heutzutage gebräuchlichen Form. An mehreren Stellen finden sich Teile, welche entweder in der heutigen, kanonisierten 11 Hymnik nicht mehr verwendet werden oder sich stattdessen in anderen Hymnen finden. Es ist nach heutigem Forschungsstand schwer zu erkennen, ob es sich hierbei um Frühformen, lokale Varianten oder gar Vertauschungen handelt. 12

8 Es ist hierbei zu bedenken, dass die musikalische Ausgestaltung der koptischen Hymnen anderen Prinzipien folgt als dies etwa in den europäischen Kirchenmusiken der Fall ist. Bereits der Kontext des Hymnus, wie etwa Wochentag oder aktueller Festkreis, bestimmen die Tonalität nach festen Prinzipien. Vgl. hierzu: G. Gabra, A to Z, 207 ff.; M. Kuhn, Coptic Music Culture: Tradition-Structure and Variation in: G. Gabra (Hg.), Coptic Civilization: Two Thousand Years of Christianity in Egypt, Kairo / New York 2014, 67–77; V. Roman, Das Fortleben der Musik der alten Ägypter in der alexandrinischen Kirche, Hamburg 2015, 20ff. 9 Vgl. hierzu Regel 316 Schenutes in: B. Layton, The Canons of Our Fathers – Monastic Rules of Shenoute, Oxford 2014, 222. 10 Zu beachten ist hierbei, dass es eine fixe Orthographie in heutigem Sinne nicht gab. Prinzipiell übliche, aber eben nicht unbedingt verbindliche Schreibungen konnten je nach Schreiber bzw. auch regional bedingt wechseln. Zusätzlich gibt es in der koptischen Schrift, wie auch in den früheren Schrift-/Sprachstufen der ägyptischen Sprachfamilie, Allographen, welche für einen lautlich ähnlichen Buchstaben bzw. früher ein lautlich ähnliches Zeichen eintreten konnten, wie etwa m für n oder S für X in beide Richtungen. 11 Eine Fixierung und damit auch Kanonisierung der koptischen Kirchenmusik und koptischer Liturgie geschah erst sehr spät, beginnend unter Cyril IV im 19. Jahrhundert. Ziel war eine einheitliche und verbindliche Version der kirchlichen Musik; s. G. Gabra, A to Z, 208f. 12 Eine umfassende Betrachtung der Entwicklung koptischer Hymnen und Liturgie ist bislang nicht erarbeitet worden. Erschwerend kommt die oftmals ungenügende Bearbeitung koptischer Manuskripte hinzu, welche häufig ohne nähere Angaben zum Inhalt bleiben.

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Vorläufiger Bericht über sieben koptisch-bohairische Papierhandschriften

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7 Fazit Es handelt sich bei den Handschriften A–F um Gebrauchsmanuskripte, welche kleinformatig gehalten sind. Ihre Beschriftung lässt sich zwar eindeutig als jeweils individuelle Hand klassifizieren, dennoch wurde auf eine gewisse Lesbarkeit und einheitliche Schriftgröße geachtet. Die Texte sind absichtlich und offenbar unter Beachtung eines noch zu verifizierenden Systems gekürzt worden, auch an Stellen ohne inhaltliche oder formale Zäsur,etwa innerhalb eines Abschnittes. Verzierungen sind minimal gehalten und, wo vorhanden, einfach ausgeführt. Hauptsächlich wurden dunkle Tinten13 für die Beschriftung verwendet, ergänzt durch Rubra und rote Zusatzzeichen wie Punkte. Es wirkt plausibel, dass das Format der Manuskripte auch hinsichtlich ihres intendierten Gebrauchs klein gewählt wurde. Ein Buch dieser Größenordnung bietet sich für zweierlei Dinge an: Zunächst einmal ist es durch Format und daraus folgendem geringen Gewicht geeignet dafür, über längere Zeit mühelos gehalten zu werden. Ein Blick in die europäischen Kirchen zeigt, dass die dort verwendeten Gesangbücher ein vergleichbares Format aufweisen. Zudem ist ein kleinformatiges Buch portabler als ein großer Foliant und kann somit auch auf Reisen mitgeführt werden. Es ist plausibel, dass die intendierten Benutzer die aufgeschriebenen Hymnen bei Benutzung der Manuskripte bereits vollständig beherrschten, da die Texte in der Regel ohne Angabe der musikalischen Ausgestaltung und mit Kürzungen verfasst sind. Es handelt sich entsprechend mehr um eine Art Gedächtnisstütze als um eine Vollnotation. Möglicherweise war der tatsächlich primäre Zweck der Handschriften nicht das Festhalten der einzelnen Hymnen, sondern vielmehr die Fixierung ihrer Reihenfolge. Als Erleichterung des Einstiegs in den jeweiligen Text wurde zudem dessen Beginn festgehalten.14 Abbildungsverzeichnis Abb. 1–3: Elke Fuchs, mit freundlicher Genehmigung des Instituts für Papyrologie der Universität Heidelberg.

Literaturverzeichnis Gabra, G., The A to Z of the Coptic Church, Lanham / Toronto / Plymouth, UK 2009. Kuhn, M., Coptic Music Culture: Tradition-Structure and Variation in: G. Gabra (Hg.), Coptic Civilization: Two Thousand Years of Christianity in Egypt, Kairo / New York 2014, 67–77. Layton, B., The Canons of Our Fathers – Monastic Rules of Shenoute, Oxford 2014. Roman, V., Das Fortleben der Musik der alten Ägypter in der alexandrinischen Kirche, Hamburg 2015.

13 Schriftfärbung und tintenbedingte Zerstörungen weisen darauf hin, dass es sich um verschiedene Arten von dunkler Tinte handelt. In Handschrift A, Blatt 2 etwa wirkt die Tinte so stark korrosiv, dass die Zeichen an manchen Stellen nur im Negativ erhalten sind. Dies lässt sich in Handschrift C nicht für die dunkle, dafür aber für die rote Tinte feststellen. Die Handschriften B, D, E, F und X weisen weder das eine noch das andere auf. 14 Bei einem Einsatz innerhalb eines Gottesdienstes kann und konnte zusätzlich zur Kenntnis des Materials auch die Umsetzung in der Gruppe hilfreich sein. Während der Gesang bekannter Lieder schon an sich zu einem gewissen Automatismus führt, kann sich der Einzelne im Zweifelsfall auch an der Gruppe orientieren.

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Julienne Schrauder

Abb. 1: Kürzung mit Andeutung E,1b.

Abb. 2: Kürzung ohne Andeutung A,16b.

Abb. 3:  , A,2b.

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Entblößte Gestalten: Multifunktionale Nacktheit in Privatgräbern des Alten Reiches Dina Serova

This paper focuses on the perception of the naked body in ancient Egyptian society at the time of the Old Kingdom on the basis of sources from private tombs. The studied material includes inscriptions and anthropomorphic representations from funerary contexts and wall decorations. This study will show that a neutral positioning and a detailed, contextspecific investigation of the sources is essential in order to reconstruct the culturally distinct phenomenon of nakedness and nudity for a limited section of the history of pharaonic Egypt. 1 Einleitung Nacktheit, als der ursprüngliche Zustand des Menschen bei seiner Geburt, steht in natürlichem Gegensatz zu jeglicher Art von Schmückung und Bekleidung des Körpers. Kleidung werden verschiedene Funktionen zugesprochen, die dem entblößten Körper aberkannt werden: Als artifiziell geschaffenes Produkt bietet sie Schutz vor äußeren Einwirkungen und Gefahren, konstituiert die äußere Ausdrucks- und Erscheinungsform des Menschen und kann als Kennzeichen für seine Rolle in einer Gesellschaft dienen. Dennoch können sowohl Nacktheit als auch Bekleidung als Merkmale zur Unterscheidung von Alter, Geschlecht, Herkunft sowie sozialem Status fungieren und die soziale Identität eines Individuums oder einer Individuengruppe manifestieren.1 Verschiedene westliche Theoretiker der vergangenen Jahrhunderte postulierten, dass der Impetus des Menschen, sich zu bekleiden und seinen Schambereich zu verdecken, aus einem universellen Gefühl der Scham resultierte.2 Es wurde angenommen, dass diese „Körperscham“3 sich im Laufe des Zivilisationsprozesses intensivierte und zu einem „Vorrücken der Schamgrenze“4 sowie zu einer „Domestikation des Triebhaushaltes“5 führte.6 Von die1 S. C. M. Lindquist (Hg.), The Meanings of Nudity in Medieval Art, Farnham (Surrey) / Burlington 2012, 2; O. König, Nacktheit, Soziale Normierung und Moral, Opladen 1990, 30. 2 H. P. Duerr, Der Mythos vom Zivilisationsprozeß 3. Obszönität und Gewalt, Frankfurt a. M. 1993, 15f.; J.-C. Bologne, Nacktheit und Prüderie. Eine Geschichte des Schamgefühls, Weimar 2001, 5f.; 12−17; O. König, Nacktheit, 28f.; L. Bonfante, Nudity as a Costume in Classical Art, in: AJA 93 (1989), 544. 3 J.-C. Bologne, Nacktheit und Prüderie, 2−3; zu den Theorieschriften zu „Scham“ in der Psychologie und Soziologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts s. O. König, Nacktheit, 124−137. 4 N. Elias, Über den Prozeȕ der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, Basel 1939, 224. 5 O. König, Von geil bis gemütlich. Vergesellschaftete Nacktheit, in: K. Gernig (Hg.), Nacktheit. Ästhetische Inszenierungen im Kulturvergleich, Köln / Weimar / Wien 2002, 33. 6 Diese Annahme, ursprünglich von Elias 1939 formuliert, wurde von Duerr (1990−1993) sehr stark kritisiert und abgelehnt: H. P. Duerr, Obszönität, 9−31.

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Dina Serova

sem Punkt ausgehend wurde der Begriff „Nacktheit“ in die Spannungsfelder „Natur“ versus „Kultur“ und „Zivilisation“ versus „Primitivismus“ eingebettet,7 was zu einer verzerrten Wahrnehmung der Nacktheit antiker, historischer und moderner Kulturgruppen führte.8 Dabei wurden die „Überwindung“ der Nacktheit durch Kleidung als Maßstab für „Zivilisiertheit“ angesehen und Angehörige von Kulturen, in denen Bekleidung keine gesellschaftliche Norm darstellt(e), als „nackte Wilde“ und primitive „Nacktgeher“ gebrandmarkt.9 Eine solche Auffassung ist das Resultat des schambehafteten Umgangs mit körperlicher Blöße, wie er vor allem im Europa des 19. Jahrhunderts in einer extremen Form zum Tragen kam.10 Diese Schambehaftetheit ist tief in der christlich-abendländischen Tradition verwurzelt (man denke etwa an den Mythos des Sündenfalls) und mit Begriffen wie „Verführung“, „Lust“ und „Sünde“ verbunden.11 Durch die verstärkte Intimisierung der Nacktheit und ihre gesellschaftliche Verbannung in die private Sphäre gewann der sexuell-erotische Aspekt immer mehr an Bedeutung.12 Dies führte zu einer Konnotation von Nacktsein mit Sexualität, die bis heute unser Denken13 und die Wahrnehmung unbekleideter Körper dominiert. Wie längst bekannt, ist Forschung „mit ihren jeweiligen Fragestellungen immer an die Zeit und an das Geschlecht der Forschenden gebunden“14. So waren es in der Ägyptologie, wie in vielen anderen Disziplinen, lange Zeit vor allem Männer, die die Richtung des wissenschaftlichen Diskurses bestimmten. Es kommt hinzu, dass die Ägyptologie als eine vergleichsweise junge archäologisch-philologische Disziplin stark von den Traditionen der benachbarten geisteswissenschaftlichen Fächer wie Kunstgeschichte oder Klassischer Archäologie geprägt wurde. Aber auch manche Ansichten z. B. aus der Vorderasiatischen und Prähistorischen Archäologie15 wurden übernommen und beeinflussten somit die Entwicklung des ägyptologischen Diskurses. Diese männlich dominierte Sicht und die abendländische Moral beeinflussten die Erforschung der Nacktheit, sodass es lange Zeit kaum möglich war, falsche Prämissen und Vorurteile als solche zu erkennen und zu eliminieren.

7 K. Gernig, Bloß nackt oder nackt und bloß? Zur Inszenierung der Entblößung, in: K. Gernig (Hg.), Nacktheit. Ästhetische Inszenierungen im Kulturvergleich, Literatur − Kultur − Geschlecht: Kleine Reihe 17, Köln / Weimar / Wien 2002, 8. 8 O. König, Nacktheit, 38f.; 139; 169−172. 9 O. König, Nacktheit, 38f.; 127. 10 O. König, Nacktheit, 40−42. 11 K. Gernig, Bloß nackt, 11. 12 O. König, Nacktheit, 42. 13 Hier wird aus einer westlich-abendländischen Perspektive argumentiert. Vgl. ähnliche (und z. T. viel extremere) Ansichten zur Nacktheit: Y. Özoguz, Kultur der Nacktheit und Nacktheit der Kultur, Bremen 2009. 14 U. Kreilinger, Anständige Nacktheit. Körperpflege, Reinigungsriten und das Phänomen weiblicher Nacktheit im archaisch-klassischen Athen, in: T. Schäfer (Hg.), Tübinger Archäologische Forschungen 2, Rahden 2007, 6. 15 Vgl. z. B. P. Ucko, Anthropomorphic Figurines of Predynastic Egypt and Neolithic Crete with Comparative Material from the Prehistoric Near East and Mainland Greece, in: Royal Anthropological Institute Occasional Paper 24, London 1968, 415–421; vgl. J. Assante, From Whores to Hierodules. The Historiographic Invention of Mesopotamian Female Sex Professionals, in: A. A. Donohue / M. D. Fullerton (Hgg.), Ancient Art and Its Historiography, Cambridge / New York 2003, 13–18.

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In der englischen Sprache gibt es seit dem frühen 18. Jahrhundert eine begriffliche Unterscheidung zwischen künstlerischer und physischer Nacktheit, um die Darstellung des nackten Körpers in den schönen Künsten von einer negativen Belegung des Begriffes zu lösen.16 Die Begriffe naked „Entblößung“ und nude „Akt“ werden einander gegenübergestellt und können als das einfachste Klassifikationsmodell zu Nacktheit bezeichnet werden. Beide Begriffe sind jedoch stark wertend und führen bei ihrer Nutzung im Kontext der kulturgeschichtlichen Forschung zu einer Übertragung von modernen, sprachlich kontingenten Konnotationen auf das archäologische Material. Obwohl Nacktsein an sich keine geschlechtsspezifische Kategorie darstellt, werden männliche und weibliche Nacktheit in etlichen Gemeinschaften sehr unterschiedlich wahrgenommen.17 Welche Bedeutung der Nacktheit zugeschrieben und was als nackt empfunden wird, ist ebenfalls kulturspezifisch unterschiedlich.18 Um dieses Phänomen im Fall von Ägypten untersuchen zu können, bedarf es also einer Bewusstmachung und partiellen Loslösung von modernen Betrachtungsweisen, die unseren Blick auf materielle Hinterlassenschaften verschleiern. Dazu dienen als Ausgangspunkte die vorläufige Enttabuisierung und Enterotisierung von Nacktheit antiker Gesellschaften sowie die Annahme, dass die Bedeutung von körperlicher Entblößung und Zurschaustellung von Haut kulturdistinkt und nicht universell gültig ist. In der Ägyptologie wurde das Thema lange eher vernachlässigt und meistens nur in Form kurzer Kapitel oder Beiträge behandelt. Weibliche Nacktheit hat dabei viel mehr Beachtung gefunden, als die männliche, die bis heute kaum erforscht ist.19 Nach wie vor ist die Meinung vorherrschend, dass es „in Ägypten für angesehene Leute als unschicklich galt, nackt in der Öffentlichkeit aufzutreten (bzw. auch, sich so darstellen zu lassen)“.20 Es wird vielfach davon ausgegangen, dass grundsätzlich nur Kinder, Dienerinnen und Personen von geringem Status nackt dargestellt wurden.21 Bei Darstellungen weiblicher Blöße werden oftmals Aspekte der Sexualität und Erotik hineingelesen.22 Im Folgenden wird textliches und bildliches Material am Beispiel der nichtköniglichen Gräber des Alten Reiches vorgestellt, das die bisher vorherrschenden Annahmen kritisch beleuchten und teilweise bekräftigen, teilweise widerlegen wird.

16 K. Clark, The Nude. A Study of Ideal Art, London 1956, 1. 17 K. Gernig, Bloß nackt, 12; diese Aussage lässt sich sowohl auf die Antike als auch auf die Moderne beziehen. 18 S. z. B. H. P. Duerr, Obszönität, 105−119. 19 Vgl. R. Schulz, Das Bild des unbekleideten Grabherrn im Alten Ägypten, in: Isched. Journal des Ägypten Forum Berlin e.V. 1 (2011), 29–32; M. Müller, Schönheitsideale in der ägyptischen Kunst, in: H. GyĘry [Hg.], Mélanges offerts à Edith Varga. «Le lotus qui sort de terre», BMH-Suppl, Budapest 2002, 239−286. 20 J. F. Quack, Das nackte Mädchen im Griff halten. Zur Deutung der ägyptischen Karyatidenspiegel, in: WdO 33 (2003), 59f. 21 L. Green, ‘Hand of the God’. Sacred and Profane Sex in Ancient Egypt, in: KMT 12/4 (2001), 56; J. F. Quack, in: WdO 33 (2003), 59f. 22 S. z. B. W. Helck, Beischläferin, in: LÄ I (1975), 684f.; O. Goelet, Nudity in Ancient Egypt, in: Source. Notes in the History of Art 12/2 (1993), 25.

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2 Nacktheit in den Privatgräbern des Alten Reiches Im Kontext der nichtköniglichen Gräber des Alten Reiches finden sich zahlreiche bildliche Darstellungen unbekleideter Personen und textliche Verweise auf den nackten Körper. Die Vielfalt dieser Zeugnisse lässt sich dabei nicht auf ein einziges, allgemeingültiges Erklärungsmodell zurückführen, da die einschlägigen Informationsträger (Texte, Flachbilder, Rundbilder) teilweise simultan auftreten können, jedoch durchaus unterschiedliche Bedeutungen und Funktionen haben, die einander affirmieren aber auch widersprechen können. Um das kulturelle Phänomen der Nacktheit als Referenz- oder Darstellungsmodus innerhalb eines mehr oder weniger einheitlichen kulturellen Rahmens verstehen zu können, ist es notwendig, Texte und Bilder zunächst als zwei in ihrem Quellenwert gleichrangige Quellengattungen zu betrachten.23 Im Folgenden soll genau das anhand von ausgewählten Beispielen aus den Privatgräbern demonstriert werden. 2.1 Textliche Belege Wie die textlichen Belege zeigen, standen im Ägyptischen des Alten Reiches mehrere Lexeme zur Verfügung, mit denen man ‫ޖ‬nackt sein‫ ޖ‬ausdrücken konnte. Von besonderer Relevanz ist die Wortform HA.y „Nackter“24, die in den Privatgräbern des Alten Reiches siebzehn Mal25 belegt ist. Die Belege stammen allesamt aus den Beamtenbiographien und geben, abgesehen von geringfügigen Variationen, durchgängig dieselbe Phraseologie wieder.26 Es handelt sich um die sog. „Speise-Kleider-Sequenz“27, die seit der Regierung des Teti in Saqqara und seit Pepi II. auch in der Provinz bezeugt ist:28 (1) jw

rD.n

(=j)

t‫ތ‬

n

Hor

MCM

give-ANT

(=1SG)

bread(M)[SG]

to

be_hungry:PTCP(M.SG)

(Ich) gab Brot dem Hungernden 23 S. Schroer (Hg.), Images and Gender. Contributions to the Hermeneutics of Reading Ancient Art, OBO 220, Freiburg 2006, 9: Befreiung von der „Hegemonie der Texte“. 24 Wb III, 14.1–3. 25 Die Anzahl der Belege unterscheidet sich von der im Quellenkatalog bei N. Kloth, Die (auto-)biographischen Inschriften des ägyptischen Alten Reiches. Untersuchungen zu Phraseologie und Entwicklung, BSAK 8, Hamburg 2002, 77f.: Kloths Belege Dok. 17, Dok. 44, und Dok. 60 wurden weggelassen, da das Lexem HA.y dort nicht (mehr) zu lesen ist. Die Liste der Belege, auf die hier Bezug genommen wird, soll im Zuge des laufenden Dissertationsvorhabens publiziert werden. 26 Vgl. E. Edel, Untersuchungen zur Phraseologie der ägyptischen Inschriften des Alten Reiches, in: MDAIK 13 (1944), 40f.; N. Kloth, Inschriften, 77f. 27 D. Franke, Arme und Geringe im Alten Reich Altägyptens. „Ich gab Speise dem Hungernden, Kleider dem Nackten…“, in: ZÄS 133 (2006), 112; N. Kloth, Inschriften, 77f. 28 Hier das Beispiel aus dem Grab des Ppy-nxt 1oA-jb; 6.–8. Dyn., Assuan; K. Sethe, Urkunden des Alten Reiches I, Leipzig 1933, 133.2–3; N. Kloth, Inschriften, 13f. Die Interlinearglossierung in dieser Arbeit erfolgt gemäß C. Di Biase-Dyson / F. Kammerzell / D. A. Werning, Glossing Ancient Egyptian. Suggestions for Adapting the Leipzig Glossing Rules, in: LingAeg 17 (2009), 243–266; zur Vereinfachung und da sich dieser Artikel vor allem an das ägyptologische Fachpublikum wendet, wurden nur die traditionell ägyptologische Transkription und die Glossierungszeile angegeben, sodass die in den Leitlinien unter 3.3 zusammengefassten Regeln zur Zeichensetzung, die die Verwendung der exakt gleichen Zeichen zur Markierung von Morphemen vorschreiben, übergangen wurden.

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Hbs

n

HA.y

garment(M)[SG]

to

be_naked:PTCP-M.SG

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und Kleidung dem Nackten. Genauso wie viele andere Phrasen dient auch die „Speise-Kleider-Sequenz“ als Teil der Beamtenbiographien dazu, Handlungen und Haltungen zu Lebzeiten des Grabherrn zu schildern, die die Rechtmäßigkeit seines Bestattungsplatzes und seinen sozialen Status bekräftigen sollen, um die Fortdauer des Grabes, des Totenkultes und der personalen Identität des Verstorbenen zu sichern.29 In der ägyptologischen Forschung wurden solche Phrasen der Biographien der 5. und 6. Dynastie, trotz ihrer Knappheit und ihres formelhaften Charakters, als exemplarische Kardinalfälle gedeutet und oftmals als Beispiele für tatsächlich praktizierte Wohltätigkeit und Armenfürsorge herangezogen.30 Die Biographien wurden als Quellen für die moralischen Vorstellungen der Beamtenelite31 angesehen und dazu benutzt, Rückschlüsse auf die Lebensumstände und die Grundbedürfnisse der Ägypter zu ziehen. Aus Sequenzen über das Maat-gerechte Handeln wurde auf Armut geschlossen, so dass derjenige als arm galt, der kein Essen und Trinken, keine Kleidung, keinen Sohn und kein Salböl hatte.32 Da im ägyptologischen Diskurs die Aussagen aus den Biographien lange Zeit als historische Zeugnisse für realweltliche Zustände gedeutet wurden und nicht als fiktive, zweckbestimmte, komponierte und stilisierte Äußerungen einer Elite, wurden die oben genannten Mangelerscheinungen als tatsächliche negative Zeiterscheinungen hingestellt. So sprach man etwa vom „Schwellendasein der Armen“, „Liminalität“ und sozialer „Desintegration“.33 Solche modernen Interpretationen scheinen jedoch nicht mit der Bewertung und Wahrnehmung von Nacktheit aus emischer Sicht – soweit diese sich überhaupt fassen lässt – übereinzustimmen. Dies zeigt zumindest die Auswertung der verwendeten Klassifikatoren, die als „stumme“ Semogramme der Übermittlung zusätzlicher Informationen zu dem Ausdruck, den sie klassifizieren, dienen und somit ein System der mentalen Kategorisierung

29 J. Assmann, Schrift, Tod und Identität. Das Grab als Vorschule der Literatur im alten Ägypten, in: A. Assmann / J. Assmann / C. Hardmeier (Hgg.), Schrift und Gedächtnis. Beiträge zur Archäologie der literarischen Kommunikation, München 1983, 74−78; J. Assmann, Ma’at. Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im Alten Ägypten, München 1990, 98−102; A. Gnirs, Die ägyptische Autobiographie, in: A. Loprieno (Hg.), Ancient Egyptian Literature. History and Forms, PdÄ 10, Leiden / New York / Köln 1996, 199, 222; D. Franke, in: ZÄS 133 (2006), 108; K. Jansen-Winkeln, Lebenslehre und Biographie, in: ZÄS 131 (2004), 61ff. 30 H. Brunner, Die religiöse Wertung der Armut im Alten Ägypten, in: V. Herrmann / U. Stascheit (Hgg.), Armut und Wohltätigkeit im Alten Ägypten, Frankfurt a. M. 2002, 163; E. Brunner-Traut, Wohltätigkeit und Armenfürsorge im Alten Ägypten, in: V. Herrmann / U. Stascheit (Hgg.), Armut und Wohltätigkeit im Alten Ägypten, Frankfurt a. M. 2002, 187−207; vgl. D. Franke, in: ZÄS 133 (2006), 104−120. 31 J. Assmann, Ma’at, 102; D. Franke, in: ZÄS 133 (2006), 108. 32 E. Brunner-Traut, Wohltätigkeit, 195−198. 33 D. Franke, in: ZÄS 133 (2006), 113.

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der Welt und des altägyptischen Lexikons darstellen,34 innerhalb dessen unter anderem auch eine Einordnung in negative und positive Inhalte erfolgen kann. Nach Maßgabe des Klassifikatorengebrauchs besitzt das Lexem HAi, genauso wie andere ägyptische Lexeme, die körperliche Entblößung bezeichnen, keine inhärente negative Konund A1 geschrieben, die notation im Alten Reich. Es werden stets die Zeichen S28 in ihrer semantischen Bedeutung für das Wort als neutral zu deuten sind: bei der Doppelklassifikation ist S28 in einer semantischen Rolle als undergoer35 (eine von der Aktion betroffene Entität) und A1 als Agens36 (der Ausführende einer Aktion) zu betrachten. Beide Klassifikatoren können auch einzeln auftreten, ihre jeweilige Funktion bleibt dabei unverändert.37 Im geschriebenen Altägyptischen bestand aber durchaus die Möglichkeit, ein Wort als etwas negativ Konnotiertes zu kennzeichnen. Dies konnte auf der graphischen Ebene durch [inferiority, perturbation] erfolgen.38 die Verwendung des Klassifikators G37 Es ist überdies anzuzweifeln, dass die in den Biographien geäußerten „Moralvorstellungen“ allgemeingültig und zeitlos waren, da sie verhältnismäßig selten im Alten Reich auftraten.39 Ist doch die „Speise-Kleider-Sequenz“ mit der Schreibung des Lexems HAi im Korpus von 98 Biographien des Alten Reiches nur siebzehn Mal belegt.40 Zudem lässt sich eine reproduktive Texttradierung der Biographien im Alten Reich nachweisen,41 was darauf hindeutet, dass nicht nur die Form, sondern auch die Inhalte dieser Grabinschriften massiv konventionalisiert waren. Außerdem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Biographien des Alten Reiches Produkte einer Elite darstellen, die sich nicht nur über die Staatsideologie Maat legitimierte, sondern diese auch aktiv propagierte.42 Ein Bekenntnis zur Maat affirmiert demnach die Zugehörigkeit zur Oberschicht.43 Der Ursprung der Bio34 O. Goldwasser, Lovers, Prophets, and Giraffes. Wor(l)d Classification in Ancient Egypt, in: Classification and Categorization in Ancient Egypt 3, GOF IV/38, Wiesbaden 2002, 1; O. Goldwasser, On the New Definition of Classifier Languages and Scripts, in: LingAeg 14 (2006), 474; O. Goldwasser / C. Grinevald, What Are “Determinatives” Good for?, in: E. Grossman / S. Polis / J. Winand (Hgg.), Lexical Semantics in Ancient Egyptian, LingAeg StudMon 9, Göttingen 2012, 17−53; E.-S. Lincke, Die Prinzipien der Klassifizierung im Altägyptischen, in: F. Junge (Hg.), Classification and Categorization in Ancient Egypt 6, GOF IV/38, Wiesbaden 2011, 25ff. 35 E.-S. Lincke, Klassifizierung, 45f. 36 E.-S. Lincke, Klassifizierung, 59. 37 Vgl. E.-S. Lincke, Klassifizierung, 43−52; 101−105. 38 Zur historischen Entwicklung von G37 s. A. David, De l’infériorité à la perturbation. L’oiseau du «mal» et la catégorisation en Egypte ancienne, GOF IV/38, Wiesbaden 2000, 31f., 34−50; Überblick über Lexeme, die mit G37 klassifiziert wurden: A. David, L’infériorité, 6–8; vgl. E.-S. Lincke / F. Kammerzell, Egyptian Classifiers at the Interface of Lexical Semantics and Pragmatics, in: E. Grossman / S. Polis / J. Winand (Hgg.), Lexical Semantics in Ancient Egyptian, LingAeg StudMon 9, Göttingen 2012, 79f. 39 D. Franke, in: ZÄS 133 (2006), 112. 40 S. Quellen-Katalog von 98, bzw. 96 biographischen Texten in N. Kloth, Inschriften, 3−44. 41 N. Kloth, Inschriften, 260−273; s. z. B. die „Saqqara“-Gruppe. 42 J. C. Moreno García, La gestion sociale de la mémoire dans l’Égypte du IIIe millénaire. Les tombes des particuliers, entre emploi privé et idéologie publique, in: M. Fitzenreiter / M. Herb (Hgg.), Dekorierte Grabanlagen im Alten Reich: Methodik und Interpretation, IBAES 6, London 2016, 221; zum Begriff „Ideologie“ s. I. Hodder, Reading the Past. Current Approaches to Interpretation in Archaeology, Cambridge / London / New York 1986, 57−79; 63; zu „Propaganda“ im ägyptologischen Diskurs s. P. Beylage, Propaganda in Ancient Egyptian Texts. An Attempt at Definition, in: JACiv 17 (2002), 9ff. 43 J. Assmann, Ma’at, 102.

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graphien, ihre kanonische Komposition und Zweckgebundenheit deuten darauf hin, dass es sich um Mittel der Selbstlegitimation und Selbstinszenierung handelt, die zielgerichtet eingesetzt wurden. Es ist daher zu vermuten, dass die Biographien nur einen beschränkten Realitätsgehalt aufweisen. Die „Speise-Kleider-Sequenz“ gibt also letztendlich lediglich darüber Auskunft, dass im Alltag bzw. in der Öffentlichkeit als nackt charakterisierte Personen angetroffen wurden. Nacktheit dürfte dabei allerdings eher auf den eingeschränkten Besitz von Kleidung verweisen. Ob der unbekleidete Körper per se von der Elite in bestimmten Kontexten als etwas Negatives betrachtet werden konnte, lässt sich anhand der biographischen Texte nicht belegen. Was uns die Texte ebenfalls nicht sagen, ist, was als „nackt“ angesehen wurde und welche Körperteile verdeckt werden mussten, um nicht als unbekleidet zu gelten. 2.2 Bildliche Belege Die bildlichen Belege in den nichtköniglichen Gräbern des Alten Reichs umfassen sowohl rundplastische als auch flachbildliche Nacktdarstellungen. Im Folgenden sollen vor allem Repräsentationen männlicher Elitepersonen im Fokus stehen. 2.2.1 Nacktfiguren im funerären Kontext Die weitverbreitete Annahme, dass Nacktheit lediglich „Statuslosigkeit“44 bedeute und sich als Repräsentationsmodus ausschließlich auf Kinder beziehe, scheint allein dadurch widerlegt zu sein, dass aus dem Alten Reich mindestens 89 Nacktfiguren belegt sind – wobei nur 53 sicherlich aus einem nichtköniglichen Grabkontext stammen – und solche Nacktstatuen sowohl Männer wie auch Frauen, Erwachsene wie Kinder, sozial hochrangige Personen wie Niedriggestellte darstellen können. Unter dem Begriff „Nacktfigur“45 werden alle dreidimensionalen Darstellungen des menschlichen Körpers subsumiert, deren primäre Geschlechtsmerkmale unbekleidet abgebildet wurden. Solche Darstellungen treten vor allem in der 5. und 6. Dynastie und gegen Ende des Alten Reiches auf. Statuen von Elitemännern (in vielen Fällen als Grabherren anzusprechen) waren dabei zahlreicher als Frauendarstellungen. Zur Herstellung der Figuren wurde vor allem Holz und Kalkstein verwendet, andere Materialien sind seltener vertreten. Nacktstatuen sind sowohl in Gräbern höchster Beamter als auch der niederen Elite anzutreffen und finden sich in den Residenzfriedhöfen wie auch außerhalb. In den meisten Fällen sind Nacktstatuen Bestandteil größerer Statuenensembles, die den Grabherrn (auch in mehrfacher Ausführung), seine Familie und Diener wiedergeben.46 Es hat sich gezeigt, dass in den meisten der untersuchten Gräber je eine Nacktstatue innerhalb des jeweiligen Ensembles vertreten war. Aber auch mehrere Nacktfiguren konnten auftreten, wie Funde aus einigen Gräbern bereits für die Zeit ab der 5. Dynastie zeigen.47 Dabei 44 P. Behrens, in: LÄ IV (1982), 292. 45 Der Terminus wurde eingeführt von M. Fitzenreiter, Statue und Kult. Eine Studie der funerären Praxis an nichtköniglichen Grabanlagen der Residenz im Alten Reich I, IBAES 3, Berlin 2001a, 211ff. 46 M. Fitzenreiter, Statue, 214. 47 Anders M. Fitzenreiter, Statue, 214, der davon ausgeht, dass mehrere Nacktfiguren in einem Statuenensemble erst ab der 6. Dynastie vorkommen konnten; die Gräber, die mehrere Nacktfiguren aufwiesen, sind: Giza, 4nDm-jb MHj (Boston, MFA 13.3465; Boston, MFA 13.3466); Giza, 1sj (Kairo, JE 72225; Kairo, JE 72226); Saqqara, 2ntj-kA Jxxj (Kairo, JE 47758; Kairo, JE 47759; Kairo, JE 47760); Saqqara,

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scheinen bestimmte Regeln bei der Zusammenstellung eines Statuenensembles gegolten zu haben: Wenn mehrere Nacktfiguren in einem Grab auftraten, so handelte es sich entweder um Darstellungen des Grabherrn und seiner Frau oder um den Grabherrn allein, der sich in mehrfacher Ausführung nackt abbilden ließ. Die Kombination nackter Eliteerwachsener mit nacktem Kind ist nicht vertreten. Auch die Kombination nackter Eliteerwachsener mit nacktem Diener ist selten anzutreffen.48 Dies deutet darauf hin, dass Nacktheit je nach Status des Dargestellten unterschiedliche Bedeutungen besaß und die körperliche Blöße des Erwachsenen von der des Kindes und der niedriggestellten Dienerschaft abzugrenzen ist. Im Zusammenhang mit der Typologisierung und Beschreibung der Statuen hat sich gezeigt, dass vor allem bei der Unterteilung der Darstellungen in Erwachsene und Kinder im ägyptologischen Diskurs schwerwiegende methodische Probleme auftreten. Dies trifft vor allem auf die männlichen Nacktfiguren zu. Als Hauptmerkmal zur Unterscheidung zwischen den beiden Altersstufen galt bislang die Beschneidung49 des männlichen Gliedes, wenn andere Indizien wie z. B. der Kindergestus und/oder eine entsprechende Haartracht fehlten. Von insgesamt 53 Statuen waren 37 männlichen Geschlechts, davon 28 Eliteerwachsene50, fünf Diener51 und vier Knaben52. Es konnten drei verschiedene Statuentypen anhand

48

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Nj-ppj (S/04/16a; S/04/16b); Naga ed-Der, Grab N 43 (Berkeley, PAHMA 6-15203; Berkeley, PAHMA 6-15213; Berkeley, PAHMA 6-15214; Berkeley, PAHMA 6-15215; Berkeley, PAHMA 6-15216; Berkeley, PAHMA 6-15217; Berkeley, PAHMA 6-15218); Sedment, Nr. 274 (London, BM EA 55722; Kairo, JE 46992; Ny Carlsberg Glyptotek, AEIN 1560; London, BM EA 55723). Diese Kombination war in nur zwei Gräbern vertreten: im Grab N 43 in Naga ed-Der und im Grab des Mtrj aus Saqqara. Hier ist der Befund jedoch nicht eindeutig: s. Nacktfiguren Stockholm, MM 11410 und Kairo, JE 52081. Während die erstgenannte Statue den Grabherrn darzustellen scheint, ist dies bei Kairo, JE 52081 nicht festzustellen. Es handelt sich um einen buckligen Mann, der sich mit der linken Hand an die rechte Schulter greift (geöffnete Hand auf der Brust); s. M. Fitzenreiter, Statue, 139f.; 234−235 und J. Harvey, Wooden Statues of the Old Kingdom. A Typological Study, in: Egyptological Memoirs 2, Leiden / Boston / Köln 2001, 17: Beide Autoren sehen in dieser Statue einen Diener. Dienerstatuen stellen per definitionem jedoch Personen dar, die etwas herantragen oder bestimmte Tätigkeiten ausüben, wie Brotbacken oder Kornmahlen. Beides trifft auf diese Nacktfigur nicht zu. E. Feucht, Das Kind im alten Ägypten. Die Stellung des Kindes in Familie und Gesellschaft nach altägyptischen Texten und Darstellungen, Frankfurt / New York 1995, 249; R. M. Janssen / J. J. Janssen, Growing up in Ancient Egypt, London 1990, 93f.; P. Ghalioungui, The House of Life. Per Ankh, Magic and Medical Science in Ancient Egypt, Amsterdam 1973, 151; E. Strouhal, Life in Ancient Egypt, Cambridge / Melbourne 1992, 29; J. F. Quack, Zur Beschneidung im Alten Ägypten, in: A. Berlejung / J. Dietrich / J. F. Quack (Hgg.), Menschenbilder und Körperkonzepte im Alten Israel, in Ägypten und im Alten Orient, ORA 9, Tübingen 2012, 561−651. Berkeley, PAHMA 6-19781; Boston, MFA 13.3465; Boston, MFA 13.3466; Hildesheim, PelizaeusMuseum 3184; Inventarnummer unbekannt aus Dahschur, Nordmastaba Nr. 24; Inventarnummer unbekannt aus Giza, G 1231; Inventarnummer unbekannt aus Saqqara, Grab 213; Inventarnummer unbekannt aus Sedment, Grab des 2ntj-Xtj (2111); Kairo, CG 143; Kairo, JE 44613; Kairo, JE 46992; Kairo, JE 47758; Kairo, JE 47759; Kairo, JE 47760; Kairo, JE 52081; Kairo, JE 52564; Kairo, JE 57019; Kairo, JE 58375; Kairo, JE 72225; Kairo, JE 93172; Leipzig, ÄMU 3028; London, BM, EA 29563; London, BM, EA 55722; Ny Carlsberg Glyptotek, AEIN 1560; S/04/16a aus Saqqara, Grab des Nj-ppj, Schacht 32; S/04/16b aus Saqqara, Grab des Nj-ppj, Schacht 32; Stockholm, MM 11410; Wien, ÄS 7506. Berkeley, PAHMA 6-15203; Kairo, CG 111; Kairo, JE 67570; Kairo, JE 72140; Kairo, JE 72144. Berkeley, PAHMA 6-19768; Boston, MFA 06.1881; Felsstatue in El-Hammamiya, Grab des KA-xnt (A 2): Scheintür in Grabkapelle; Felsstatue in Giza, Grab des Jdw (G 7102): Opferkapelle.

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von Schrittstellung und Körperhaltung ausgemacht werden, die ungefähr gleichmäßig vertreten waren.53 Alle drei Typen können entweder mit einem beschnittenen oder einem unbeschnittenen Penis auftreten. Zu jedem Typ existierte während des Alten Reiches eine äquivalente Form mit Angabe von Bekleidung.54 Dies deutet darauf hin, dass die Nacktheit der Figuren als ein optionaler Repräsentationsmodus eingesetzt wurde und dass wir es also nicht mit den beiden Haupttypen „Nacktstatue“ und „bekleidete Statue“ zu tun haben, sondern mit drei nach Haltung differenzierten Typen, die jeweils bekleidet oder unbekleidet realisiert sein konnten. Zur Erklärung des Fehlens von Bekleidung bei Privatstatuen des Alten Reiches sind im vergangenen Jahrhundert verschiedene Interpretationen vorgeschlagen worden. Zunächst wurde davon ausgegangen, dass nackte Bildnisse grundsätzlich Kinder bzw. Jugendliche wiedergeben, da diese im Rund- und Flachbild in der Regel unbekleidet dargestellt werden.55 Vor allem in den Grabungspublikationen um 1900 und den Museumskatalogen blieb dieses Bild von der Nacktheit lange vertreten, bis es von Junker (1944) erstmals in Frage gestellt wurde. Junker lehnte diese Interpretation ab, da viele der männlichen Nacktfiguren beschnitten dargestellt seien, ging aber davon aus, dass die Bildnisse den Dargestellten noch vor seinem eigentlichen „Mannbarwerden“ zeigten.56 Er zog mehrere Sprüche der Pyramidentexte heran und argumentierte für eine Deutung der Nacktfigur im Sinne der „Wiederverjüngung des Verstorbenen“ nach dem Tod.57 Laut Fitzenreiter ist diese Deutung allerdings sehr problematisch, da die herangezogenen Pyramidentexte den wiedergeborenen König stets als Kleinkind oder Säugling beschreiben, jedoch nicht als einen „Jungmann“ im Sinne Junkers.58 Eine weitere Interpretation stammt von Kees, der in den männlichen Nacktfiguren Bildnisse der sexuellen Affirmation sah.59 Seiner Auffassung nach wurden solche Statuen mit ins Grab gegeben, damit der Verstorbene im Jenseits über seine Geschlechtsorgane verfügte 53 Typ I: Standfigur mit geschlossenen Beinen und herabhängenden Armen mit geöffneten oder geballten Händen (Steinkern), z. B. Hildesheim, Inv.-Nr. 3184; Typ II: Schreitfigur mit herabhängenden Armen mit geöffneten oder geballten Händen (Steinkern), z. B. London, BM EA 55722; Typ III: Schreitfigur mit erhobener Hand, einen Stab haltend, der andere Arm herabhängend mit Szepter oder mit geballter Hand (Steinkern), z. B. London, BM EA 29594. 54 Bekleidete Äquivalente: Typ I: z. B. Wien, KHM 7508; Typ II: z. B. Boston, MFA 47.1455; Typ III: z. B. New York, MMA 26.2.2. 55 H. Junker, Gîza VII. Der Ostabschnitt des Westfriedhofs, Erster Teil, DAWW 72/3, Wien / Leipzig 1944, 42f.; vgl. E. Feucht, Kind, 480. 56 H. Junker, Gîza VII, 42, argumentiert, dass erst das „Umbinden des Gürtels“ (Tz mDH) aus einem Jüngling einen erwachsenen, vollwertigen Mann machte; alternativ dazu M. Fitzenreiter, Statue, 216: Nach Fitzenreiter ist diese Trennung von Beschneidung und Tz mDH nicht gesichert. 57 H. Junker, Gîza VII, 43, geht davon aus, dass die Inhalte und religiösen Vorstellungen der Pyramidentexte über den Kreis der königlichen Familie hinaus, „in weiteren Kreisen“ bekannt waren. Diese Annahme bleibt auf Grundlage heutiger Erkenntnisse jedoch ungesichert; vgl. W. Wolf, Die Kunst Ägyptens, Stuttgart 1957, 160; zur Frage der „Demokratisierung“ und Verbreitung der in den Pyramidentexten artikulierten Vorstellungen s. M. Smith, Democratization of the Afterlife, in: J. Dieleman / W. Wendrich (Hgg.), UCLA Encyclopedia of Egyptology, Los Angeles 2009. 58 H. Junker, Gîza VII, 44; M. Fitzenreiter, Statue, 216. 59 H. Kees, Totenglauben und Jenseitsvorstellungen der alten Ägypter, Grundlagen und Entwicklung bis zum Ende des Mittleren Reiches, Berlin 1956, 201–203 zieht die Figuren der sog. „Beischläferinnen“ heran; auch W. Wolf, Kunst, 160; alternativ dazu M. Fitzenreiter, Statue, 217.

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und somit seine männliche Potenz entfalten und sexuelle Befriedigung erlangen konnte. Diese Deutung ist jedoch − abgesehen von der grundsätzlichen Problematik der Interpretation von Grabbeigaben als „magische Gerätschaften“ − in Frage zu stellen, da die Genitalien männlicher Figuren nicht immer betont und niemals erigiert dargestellt wurden, was bei einer Bezugnahme auf einen Geschlechtsakt anzunehmen wäre.60 Als dritter Ansatz wurde von Fitzenreiter vorgeschlagen, die Statuen als Beschreibung der somatischen Vollständigkeit des Dargestellten zu deuten. Laut Fitzenreiter stellt diese Lesung einen Kompromiss zwischen den Positionen von Junker und Kees dar, da „die Funktionsfähigkeit des Körpers, die nicht durch Alter beeinträchtigt noch durch Kindlichkeit beschränkt ist“,61 durch die Wiedergabe des nackten Körpers betont wird. Demnach handelte es sich bei der Nacktfigur um eine „Körperfigur“, die als „rundbildliche Affirmation des körperlich im Grab anwesenden Toten“ anzusehen ist.62 Jedoch besteht auch bei dieser Interpretation ein Problem, da Fitzenreiter Nacktheit nach wie vor als Index für „Statuslosigkeit“, „Armut“ und „Unversorgtheit“ definiert. Seiner Auffassung nach bedürfe es ikonographischer Elemente wie Perücken und Schmuck, um den „Unterschied zur Statuslosigkeit der ‚normalen Nacktheit‘“ herstellen zu können.63 Einige der untersuchten Statuen zeigen aber, dass diese Elemente nicht immer vertreten waren und man dennoch aufgrund ihres Kontextes von einer Elitedarstellung auszugehen hat.64 Es besteht jedoch eine weitere Interpretationsmöglichkeit, die in Verbindung mit den Erklärungen von Fitzenreiter eine schlüssige Deutung der männlichen Nacktfiguren bieten kann. Es handelt sich um die Annahme, dass Nacktstatuen (wie im Grunde alle Figuren, die im Grab deponiert wurden)65 den KA66 des Verstorbenen verkörpern können. Dieser Inter60 M. Fitzenreiter, Statue, 217; andererseits wären ithyphallische Darstellungen im Dekorum der Privatgräber des Alten Reiches nicht vorstellbar. Dennoch weist nichts auf eine Deutung der Nacktfiguren im Sinne der Sexualität und Erotik hin (zu Schönheit und Ästhetik der männlichen Physiognomie s. M. Müller, Schönheitsideale, 252f.). 61 M. Fitzenreiter, Statue, 219. 62 M. Fitzenreiter, Statue, 219. 63 M. Fitzenreiter, Statue, 217f. 64 Dies trifft vor allem auf die weiblichen Darstellungen zu. Bei den Elite-Männern s. z. B. Kairo, JE 47758−47760. Einige Statuen beider Geschlechter weisen keinerlei ikonographische Elemente auf, in Ausnahme von einfachen Kurzhaarperücken; M. Fitzenreiter, Statue, 218 versucht Statuen ohne statusindizierende Elemente (Schurz, Amtsstab, Schmuck) in seine Interpretation einzugliedern, sodass er sogar annimmt, dass „die Perücke die Funktion des Halskragens übernimmt“ und dadurch als Merkmal zur Unterscheidung zwischen hochrangiger Nacktheit und der Nacktheit der Statuslosigkeit fungierte. Diese Interpretation ist aus den oben genannten Gründen problematisch. 65 A. O. Bolshakov, Man and his Double in Egyptian Ideology of the Old Kingdom, ÄAT 37, Wiesbaden 1997, 135−152; J. Assmann, Der Ka als Double, in: V. I. Stoichita (Hg.), Das Double, Wiesbaden 2006, 72. 66 P. Kaplony, Ka, in: LÄ III (1980), 275−284; L. Greven, Der Ka in Theologie und Königskult der Ägypter des Alten Reiches, ÄF 17, Glückstadt 1952; U. Schweitzer, Das Wesen des Ka im Diesseits und Jenseits der alten Ägypter, ÄF 19, Glückstadt 1956; A. O. Bolshakov, Double; J. Assmann, Ka, 59−78; T. Lekov, Ancient Egyptian Notion of Ka According to the Pyramid Texts, in: JES 2 (2005), 11−37; A. Loprieno, Drei Leben nach dem Tod. Wieviele Seelen hatten die alten Ägypter?, in: H. Guksch / E. Hofmann / M. Bommas (Hgg.), Grab und Totenkult im Alten Ägypten, München 2003, 203−207; G. C. Borioni, Der Ka aus religionswissenschaftlicher Sicht, BeitrÄg 20, Wien 2005; vgl. E. Kusber, Der altägyptische Ka. „Seele“ oder „Persönlichkeit“?, Dissertation Tübingen 2005, 76−78.

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pretationsansatz wurde bereits von Junker in Verbindung zur Statue des Königs 1r.w I aus der 13. Dynastie diskutiert.67 Junker war von dieser Interpretation jedoch nicht überzeugt, da der KA auch bekleidet in Pseudogruppen auftreten konnte und theoretisch die gleiche Altersstufe wie der Verstorbene aufweisen sollte, da „der Ka der Entwicklung des Menschen folgt“.68 Anderen Forschermeinungen zufolge ist diese Annahme jedoch nicht zwingend korrekt: Nach Bolshakov stellt der KA eine Kopie, also das Double des Verstorbenen dar, der innerlich und äußerlich dem „Original“ ähnelt, aber unsterblich ist.69 Assmann sieht im KA den Doppelgänger des Grabherrn, der in den Bildern und Inschriften des Grabes auftritt und sich als das „eigentliche und wirkliche Selbst“ des Verstorbenen manifestiert – „als die Gestalt, die man gewesen sein möchte und mit der man sich vereinigte, wenn man in seinem Grabe bestattet wurde.“70 So lassen sich die nackten Darstellungen als KA-Statuen interpretieren, in denen sich der KA des Verstorbenen irdisch als idealer, ewig jugendlicher Mann manifestieren kann. Durch das Fehlen von Bekleidung wird er in seiner Körperlichkeit vollständig beschrieben. Dieses Bild sichert also die Funktionsfähigkeit aller Körperteile (auch der geschlechtlichen) und affirmiert die körperliche Unversehrtheit und Vollkommenheit des Verstorbenen als „Körperfigur“.71 Die Nacktfigur zeigt dabei keine individuelle Gestaltung des Grabherrn, sondern dient als exemplarischer Prototyp eines männlichen Abbildes.72 Als DoppelgängerFigur des Grabherrn kann sie durch eine Nameninschrift individualisiert werden.73 In diesen Figuren, wie in allen anderen Abbildungen des Grabherrn, kann sich der KA manifestieren. Dies wird vor allem bei den Nacktstatuen des Mittleren Reiches deutlich: die Figuren werden in Stoff gehüllt neben dem Sarg deponiert und stellen somit eine Kopie des mumifizierten bzw. in Stoff gehüllten Leichnams dar.74 Bei den weiblichen Darstellungen ist, solange keine anderweitige Evidenz vorliegt, anzunehmen, dass sie in ihrer Funktion den männlichen entsprechen und genauso die unver67 H. Junker, Gîza VII, 42; s. J. de Morgan, Fouilles à Dahchour I, mars−juin 1894, Wien 1895, 91f. 68 H. Junker, Gîza VII, 42–43; diese Überlegung geht auf G. Maspero, Études de mythologie et d’archéologie égyptiennes I, BiEg 1, Paris 1893, 389 zurück; alternativ dazu A. O. Bolshakov, Double, 153. 69 A. O. Bolshakov, Double, 145, 152. 70 J. Assmann, Ka, 61f. 71 Der Begriff wurde eingeführt von M. Fitzenreiter, Statue, 219; vgl. A. Stähli, Nacktheit und Körperinszenierung in Bildern der griechischen Antike, in: S. Schroer (Hg.), Images and Gender. Contributions to the Hermeneutics of Reading Ancient Art, OBO 220, Freiburg 2006, 215ff.: Nacktheit als Demonstration der Semantik des Körpers. 72 Eine Interpretation der Statuen im Sinne der Porträthaftigkeit ist für das Alte Reich auszuschließen, s. A. O. Bolshakov, Double, 255. 73 A. O. Bolshakov, Double, 258. 74 S. É. Chassinat / C. Palanque, Une campagne de fouilles dans la nécropole d’Assiout, MIFAO 24, Kairo 1911, 162ff., Taf. XXXI–XXXII; A. Gayet, L’exploration des nécropoles gréco-byzantines d’Antinoë et les sarcophages de tombes pharaoniques de la ville antique, in: AMG 30 (1902), 45, Taf. XIX, Nr. 2; E. Delange, Catalogue des statues égyptiennes du Moyen Empire, 2060−1560 avant J.-C., Paris 1987, 156−157; 188−189; leider sind bis heute keine solchen Belege von männlichen Nacktfiguren bekannt. Wenn die Hypothese der KA-Statuen sich belegen lässt, ist davon auszugehen, dass Statuen beider Geschlechter auf diese Weise behandelt werden konnten. Eventuell sind für das Mittlere Reich mehr in Stoff gehüllte Statuen zu erwarten.

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sehrte Körperlichkeit und Vollkommenheit der Dargestellten perpetuieren.75 Ohne Titeloder Namensbeischriften lässt sich jedoch oftmals nicht unterscheiden, ob es sich bei den Dargestellten um Angehörige der Elite oder Dienerinnen handelt. Als eines der wenigen eindeutigen Beispiele sei hier die Nacktfigur der 5ps.t aus Naga ed-Der76 angeführt, die mit Sockel und dazugehöriger Inschrift erhalten ist (Abb. 1). Hier wird die Dargestellte in der Inschrift unzweifelhaft als Eliteperson gekennzeichnet: (2) jmAx.wt

xr

nTr

aA

revered_one-F

at

god(M)[SG]

great(M)[SG]

Die durch den großen Gott Versorgte,

Xkr.t-nzw

wa.tt

5ps.t

ornament-F=king(M)[SG]

sole-F

5ps.t(F)

die einzigartige Zierde des Königs, 5ps.t. Bislang gab es noch keine Vorschläge zur Interpretation der weiblichen Nacktfiguren im Alten Reich. Diese ähneln jedoch typologisch und ikonographisch den weiblichen Nacktfiguren aus der Ersten Zwischenzeit und dem Mittleren Reich, die in der Literatur lange Zeit als „Konkubinen“ bzw. „Beischläferinnen“ angesprochen wurden.77 Da im Alten Reich sowohl weibliche als auch männliche Statuen parallel belegt sind, kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass nackte Frauenfiguren als Garanten für die sexuelle Befriedigung des Mannes im Jenseits gedacht waren. Im Umkehrschluss müsste man ja auch annehmen, dass nackte Männerstatuen als erotische Garanten für die Sexualität und Fruchtbarkeit der Frauen fungierten.78 2.2.2 Nacktdarstellungen als Teil der Wanddekoration Darstellungen von nackten Männern sind in den Wandbildern und Reliefs der Gräber des Alten Reichs omnipräsent, beschränken sich mit einigen Ausnahmen jedoch auf niedrigge75 M. Fitzenreiter, Statue, 223; in zwei Gräbern ist es ersichtlich, dass die Dargestellte der Nacktfigur der Elite angehörte: s. Berkeley, PAHMA 6-16120 aus Naga ed-Der N 241 und die Belege Berkeley, PAHMA 6-15213−18 aus Naga ed-Der N 43; K. R. Kroenke, The Provincial Cemeteries of Naga edDeir. A Comprehensive Study of Tomb Models Dating from the Late Old Kingdom to the Late Middle Kingdom, UC Berkeley Electronic Theses and Dissertations 2010, 123. 76 Berkeley, PAHMA 6-16120; J. Harvey, Statues, 362f. 77 W. Helck, in: LÄ I (1975), 684−686; C. Desroches-Noblecourt, «Concubines du mort» et mères de famille au Moyen Empire. À propos d’une supplique pour une naissance, in: BIFAO 53, Kairo 1953, 7−47; W. C. Hayes, The Scepter of Egypt. A Background for the Study of the Egyptian Antiquities in the Metropolitan Museum of Art I. From the Earliest Times to the End of the Middle Kingdom, New York 1953, 218−221; J. H. Breasted, Egyptian Servant Statues, BollSer 13, New York 1948, 93−96; M. Fitzenreiter, Statue, 217; 242f. 78 J. M. Asher-Greve / D. Sweeney, On Nakedness, Nudity, and Gender in Egyptian and Mesopotamian Art, in: S. Schroer (Hg.), Images and Gender. Contributions to the Hermeneutics of Reading Ancient Art, OBO 220, Freiburg 2006, 166.

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stellte Personen, wie Arbeiter und Bedienstete. Der Grabherr ließ sich im Flachbild nie als nackter Erwachsener darstellen, es sei denn es handelt sich um die Abbildung einer Nacktstatue des Grabherrn und somit um eine indirekte Wiedergabe des Elitemannes.79 Dabei sind die Typen der Nacktstatuen II und III im Grabdekor belegt, während Typ I zu fehlen scheint.80 Eine derartige Darstellung stammt aus dem Grab des Ppy-anx 1n.y-km81 und zeigt die fertiggestellten Statuen des Grabherrn (zwei davon Nacktfiguren), die vor der endgültigen Deponierung im Grab aufgestellt und präsentiert werden. Hier werden die Statuen explizit durch die Wiedergabe der Titel und des Namens mit dem Grabherrn in Verbindung gebracht: (3) [jn.t]

[twt.]w

n.w

HA.tj-a

xtm.tj-bjtj

[bring-INF]

[statue]-M.PL

of-M.PL

nomarch(M)[SG]

sealer_of_the_king(M)[SG]

[Transport der Statuen] des Bürgermeisters, des Sieglers des Königs von Unterägypten, jm(.i)-r‫ތ‬-Sma.w

smr-wa.tj

Xr(j)-H(A)b(.t)

overseer_of_Upper_Egypt(M)[SG]

only_friend(M)[SG]

lector_priest(M)[SG]

des Vorstehers von Oberägypten, des Einzigen Freundes, des Vorlesepriesters

jm(.i)-r‫ތ‬-Hm(.w)-nTr

1n.y-km

r

prw

twt

overseer_of_the_priests (M)[SG]

1n.y-km(M)

to

house(M)[SG]

statue(M)[SG]

und Vorstehers der Priester 1n.y-km zum Statuenhaus. Vor allem diese Szene deutet darauf hin, dass viele der hergestellten Nacktfiguren tatsächlich unbekleidet gedacht waren und bei ihrer Aufstellung im Grab nicht mit zusätzlichem Stoff umhüllt wurden.82

79 M. Fitzenreiter, Statue, 218: „[D]ie ‚Nacktheit des Grabherrn‘ ist also ein statuenspezifisches ikonographisches Element.“ 80 Zu den Statuentypen s. Anm. 54; M. Fitzenreiter, Statue, 218: Wie allgemein bekannt, fehlen auch von anderen Statuentypen (z. B. Schreiberfigur) Parallelen im Flachbild. Dies bedeutet jedoch nicht, dass diese Statuen in der Realität weniger häufig auftraten oder im Grabkontext für den Verstorbenen unwichtig waren. 81 Meir, 6. Dyn: Ppj II; A. M. Blackman / M. R. Apted, The Rock Tombs of Meir V, ASEg 28, London 1953, 28−29, Taf. XX, LV (B); M. Eaton-Krauss, The Representations of Statuary in Private Tombs of the Old Kingdom, ÄgAbh 39, Wiesbaden 1984, 186, Nr. 154−155. 82 Einige männliche Statuen aus dem Alten Reich wurden mit Stoff umhüllt vorgefunden, wiesen aber unter dem Stoff stets einen aufgemalten Schurz auf: s. J. Harvey, Statues, 27. Aus dem Mittleren Reich sind jedoch mehrere Beispiele bekannt, von denen weibliche Nacktfiguren mit Stoff umwickelt wurden (s. Anm. 75).

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Abgesehen vom Grabherrn selbst, konnten auch Personen der niederen Elite entblößt auftreten. Ein Beispiel hierfür stellt die Bestrafungsszene aus dem Grab des Mrr.w-kA Mrj83 dar. Hier ist ein nackter Mann zu sehen, der an einem Pfahl sitzt und von einem anderen festgehalten wird (Abb. 2). Zwei um ihn herum positionierte Männer holen mit ihren Stöcken zum Schlag aus. Mit seinen nackten Beinen umklammert der Bestrafte den Pfahl, wobei seine Genitalien sich vor dem Hintergrund des Pfostens deutlich abzeichnen. Über den Personen und über dem Bestraften steht geschrieben: (4) Hzi

sw

n

mjn.t

take:IMP

3SG.M

to

post-F

Bringt ihn am Pfahl an! HoA-Hw.t

jm(.i)-r‫ތ‬-zXA.w-Ax.t

PtH-Sps

estate_manager(M)[SG]

overseer_of_the_scribes_of_the_field(M)[SG]

PtH-Sps(M)

Der Gutsverwalter, der Vorsteher der Ackerschreiber, PtH-Sps. Hier handelt es sich eindeutig um die Erniedrigung des Bestraften durch die Schläge und seine Entblößung. Das Opfer wird durch seine Titel eindeutig als Eliteperson gekennzeichnet.84 Solche Darstellungen sind nicht ungewöhnlich, und es ließen sich noch mehr Beispiele aufzählen. Zwar weisen nicht alle Szenen negative Konnotationen oder Bedeutungen der Nacktheit auf, für weitere Untersuchungen ergibt sich jedoch ein vielversprechendes Feld. 3 Zusammenfassung und Ausblick Abschließend bleibt festzuhalten, dass insgesamt drei Faktoren gewährleistet sein müssen, um Nacktheit als ein kulturspezifisches Phänomen anhand von ideellen und materiellen Hinterlassenschaften vergangener Kulturen erforschen zu können. Es gilt zunächst eine weitestgehend wertneutrale Position einzunehmen und sich von den sexuellen und schambesetzten Aspekten der Nacktheit in unserem Umfeld zu lösen. Zudem sollten alle relevanten (d. h. einigermaßen gut bezeugten) Quellengattungen in ihrem Quellenwert als gleichrangig behandelt werden. Zuletzt müssen beide Geschlechter gleichermaßen im Fokus des Interesses stehen und auf gleichberechtigte Art und Weise interpretiert werden, wenn sich keine Hinweise auf signifikante Abweichungen feststellen lassen.

83 Saqqara, 6. Dyn.: 6tj; P. Duell, The Mastaba of Mereruka I. Chambers A 1−10, Plates 1−103, OIP 31, Chicago 1938, Taf. 37. Eine ähnliche Szene findet sich bei 2ntj-kA Jxxj; dort sind zwei Männer an einem Pfahl angebunden und werden geschlagen, s. T. G. H. James, The Mastaba of Khentika Called Ikhekhi, ASEg 30, London 1953, 21; 45: [60], Taf. IX. 84 Die Richtung der Schriftzeichen könnte zunächst dazu verleiten die Titel dem Strafvollzieher zuzuweisen. Der Blick zur linken Seite des Registers der Szene macht jedoch deutlich, dass auch die anderen „Angeklagten“ (s. z. B. die drei am Boden knienden Personen) ähnliche Titel tragen; vgl. H. Junker, Gîza III, Die Mastabas der vorgeschrittenen V. Dynastie auf dem Westfriedhof, DAWW 69/1, Wien / Leipzig 1938, 92.

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In diesem Artikel wurde versucht zu demonstrieren, dass Nacktheit keine allgemeingültige, einheitliche Bildchiffre darstellt, die per se den dargestellten Figuren spezielle Qualitäten oder Bedeutungen zuschreibt. Der entblößte Körper ist Bestandteil textimmanenter und visueller Inszenierungen, die kontextabhängig zu bewerten sind. Dies wird vor allem deutlich, wenn man die rundplastischen Nacktdarstellungen mit den flachbildlichen Repräsentationen vergleicht: Nacktdarstellungen, wie sie in den Privatgräbern des Alten Reiches auftraten, waren immer optional und sind je nach Bildmotiv nicht sehr verbreitet, jedoch zeitlich und regional durchgängig belegt. Für das Alte Reich ließ sich feststellen, dass Nacktheit nicht an bestimmte Personengruppen gebunden war und dass Darstellungen nackter Personen Teil des Grabdekorums waren. In den biographischen Texten ist der nackte Körper nicht inhärent negativ konnotiert und wird im Sinne der Schutzbedürftigkeit85 charakterisiert. Bei den bildlichen Belegen sieht es allerdings danach aus − sofern von einer Interpretation als „Sehbilder“86 auszugehen ist −, als müsse man von zwei verschiedenen Bedeutungen von Nacktheit ausgehen: dem (dauerhaften) Nichtverfügen über Bekleidungsmittel87 seitens Bevölkerungsgruppen, die nicht zur Oberschicht gehörten, und dem okkasionellen, jedoch intentionellen Unbekleidetsein von Personen, die sich Kleidung sehr wohl leisten konnten. Sobald den Nacktdarstellungen jedoch metaphorische, allegorische, ideologische oder ideelle Bedeutungsebenen zugesprochen werden, müssen diese je nach Geschlecht, Alter und sozialer Herkunft des Dargestellten und je nach Szene, Motiv und Kontext individuell gedeutet werden. Da der zweite Ansatz vielversprechender scheint und sich dadurch vielfältige Bedeutungen von Nacktheit ergeben, muss geschlussfolgert werden, dass Nacktheit als Referenz- und Darstellungsmodus des menschlichen Körpers in den nichtköniglichen Gräbern des Alten Reiches multifunktional eingesetzt wurde. Abkürzungen Interlinearglossierung 1, 2, 3 first, second, third person ANT anterior F feminine IMP imperative INF infinitive M masculine MCM main clause marker PL plural PTCP participle SG singular

85 D. Franke, in: ZÄS 133 (2006), 120. 86 R. van Walsem, Iconography of Old Kingdom Elite Tombs. Analysis & Interpretation, Theoretical and Methodological Aspects, MVEOL 35, Leuven / Dudley, MA 2005, 71: Der Begriff „Sehbild“ impliziert, dass das im Bild Dargestellte in einer eins-zu-eins-Relation zu seiner Bedeutung steht und somit keine symbolischen, allegorischen oder metaphorischen Inhalte transferiert. 87 Es ist durchaus denkbar, dass Personen der unteren sozialen Strata, insgesamt nur über eine oder zwei Kleidungsgarnituren (je eine für Alltags- und Festaktivitäten) verfügten. Dies ist auch teilweise bei den heute im Niltal angesiedelten Bevölkerungsgruppen der Fall.

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Abbildungsverzeichnis Abb. 1: J. Harvey, Wooden Statues of the Old Kingdom, A typological study, in: J. van Dijk / D. Kühn / W. J. Murnane (Hgg.), Egyptological Memoirs 2, Leiden / Boston / Köln 2001, 362. Abb. 2: P. Duell, The Mastaba of Mereruka I. Chambers A 1−10, Plates 1−103, in: OIP 31. Chicago 1938, Taf. 37.

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Abb. 1: Nacktfigur der 5ps.t aus Naga ed-Der (Berkeley, PAHMA 6-16120).

Abb. 2: Bestrafungsszene aus dem Grab des Mrr.w-kA Mrj.

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Kontaktdaten der Beitragenden Simone Gerhards Johannes Gutenberg-Universität Mainz Institut für Altertumswissenschaften Arbeitsbereich Ägyptologie Hegelstr. 59 D-55122 Mainz [email protected]

Agnes Klische Johannes Gutenberg-Universität Mainz Institut für Altertumswissenschaften Arbeitsbereich Ägyptologie Hegelstr. 59 D-55122 Mainz [email protected]

Anna Grünberg Universität Leipzig Ägyptologisches Institut – Georg Steindorff – Goethestr. 2 D-04109 Leipzig [email protected]

Nora Kuch Universität Wien Institut für Ägyptologie Franz-Klein-Gasse 1 A-1190 Wien [email protected]

Patrizia Heindl Ludwig-Maximilians-Universität München Munich Graduate School for Ancient Studies Schellingstr. 3 D-80539 München [email protected]

Uroš Matiü Westfälische Wilhelms-Universität Münster Institut für Ägyptologie und Koptologie Schlaunstr. 2 D-48143 Münster [email protected]

Catherine Jones Ludwig-Maximilians-Universität München Institut für Ägyptologie und Koptologie Katharina-von-Bora-Str. 10 D-80333 München [email protected]

Vera Michel Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Ägyptologisches Institut Voßstr. 2, Gebäude 4410 D-69115 Heidelberg [email protected]

Friederike Junge Universität Wien Institut für Ägyptologie Franz-Klein-Gasse 1 A-1190 Wien [email protected]

Ghada Mohamed Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Ägyptologisches Seminar Brühler Str. 7 D-53119 Bonn [email protected]

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Kontaktdaten der Beitragenden

Julianna Kitti Paksi Universität Basel Departement Altertumswissenschaften Petersgraben 51 CH-4051 Basel [email protected]

Julienne Schrauder Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Ägyptologisches Institut Voßstr. 2, Gebäude 4410 D-69115 Heidelberg [email protected]

Julia Preisigke Ludwig-Maximilians-Universität München Institut für Ägyptologie und Koptologie Katharina-von-Bora-Str. 10 D-80333 München [email protected]

Dina Serova Humboldt-Universität zu Berlin Institut für Archäologie Unter den Linden 6 D-10099 [email protected]

Jana Raffel Universität Leipzig Ägyptologisches Institut – Georg Steindorff – Goethestr. 2 D-04109 Leipzig [email protected]

BAJA Humboldt-Universität zu Berlin Institut für Archäologie Unter den Linden 6 D-10099 [email protected]

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