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German Pages [315] Year 2019
Hannah Jonas
Fußball in England und Deutschland von 1961 bis 2000 Vom Verlierer der Wohlstandsgesellschaft zum Vorreiter der Globalisierung
Nach dem Boom Herausgegeben von Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael
Hannah Jonas
Fußball in England und Deutschland von 1961 bis 2000 Vom Verlierer der Wohlstandsgesellschaft zum Vorreiter der Globalisierung
Mit 13 Abbildungen
Vandenhoeck & Ruprecht
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Bonn
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: © imago / Ferdi Hartung Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2566-7246 ISBN 978-3-666-37086-1
Inhalt
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1. Fragestellung, Erkenntnisinteresse und wissenschaftliche Einordnung 11 2. Gegenstand und Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 3. Quellen und Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 4. Aufbau und Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Erster Teil: Fußball vor 1960 – von Wundern und Golden Ages . . . . . . 27 1. England: Vom Elite-Sport zum Arbeitervergnügen . . . . . . . . . . . 29 2. Deutschland: Angestellten-Spiel und Ideologisierung . . . . . . . . . . 34 Zweiter Teil: Fußball als Verlierer der Wohlstandsgesellschaft? 1961–1978 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 1. Mängel und Modernisierung: Das Stadion als symbolischer Ort der Fußball-Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2. Zuschauer in der Wohlstandsgesellschaft: Zu bequem fürs Stadion? . . 51 3. Das Fernsehen als neuer Ort des Fußballkonsums . . . . . . . . . . . . 60 4. Die Spieler: Emanzipation, Skandale und Starkult . . . . . . . . . . . . 69 4.1 England: Ein New Deal für die Spieler . . . . . . . . . . . . . . . . 70 4.2 Deutschland: Amateurideologie und Skandale . . . . . . . . . . . 82 4.3 Der Fußballer als Superstar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 5. Institutionen zwischen Tradition und Kommerzialisierung . . . . . . 97 5.1 Verschuldung und Überforderung in den Vereinen . . . . . . . . . 97 5.2 Stagnation und anti-commercialism in den Verbänden . . . . . . . 102 6. Fußball, Werbung und Fernsehen – eine konflikthafte Dreiecksbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 6.1 Fernsehen: der »Erzfeind« hinter der Linse . . . . . . . . . . . . . . 106 6.2 Werbung und Sponsoring: »Spaltpilz« oder Segen für den Fußball? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
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Inhalt
Dritter Teil: Desinteresse, Disorder und Decline – die 1980er Jahre als Krisen- und Übergangsphase . . . . . . . . . . . . . . 121 1. Gewalt und Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 1.1 »The english disease«: Hooliganismus in England . . . . . . . . . . 126 1.2 Rowdies in Deutschland: Ein importiertes Problem? . . . . . . . . 141 2. Das Ende des Nachkriegsbooms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2.1 Deutschland: Rückkehr der Arbeitslosigkeit und »deutsche Depression« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 2.2 England: Decline und »Thatcherismus« . . . . . . . . . . . . . . . . 152 3. Freizeitboom und Pluralisierung der Konsummuster . . . . . . . . . . 156 4. »The Grass Grows on the Terraces« – Zuschauerschwund in den 1980er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 5. Institutionen im Umbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 5.1 Die Finanzsituation der Vereine: Ein »Fass ohne Boden« . . . . . . 169 5.2 Reformversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 5.3 Ein neuer Manager-Typus im Fußball: Hoeneß, Scholar und Co. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 6. »Wirb oder stirb« – die Ausweitung des Sponsorings . . . . . . . . . . 183 7. Die Deregulierung des Fernsehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 7.1 Kommerzielles Fernsehen in England und Deutschland . . . . . . 187 7.2 Das Ende des Duopols von BBC und ITV im englischen Fußball . . 192 7.3 »Zwei Kanäle – trockengelegt«: ARD, ZDF und der deutsche Fernsehfußball . . . . . . . . . . . . . 196 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Vierter Teil: Fußballboom und radikale Kommerzialisierung seit den 1990er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 1. Globalisierung und das Denkmodell des Neoliberalismus . . . . . . . 205 2. Entwürfe einer neuen Fußball-Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 2.1 Das »Blueprint for the Future of Football« und seine Folgen . . . . 209 2.2 Vorbote einer Strategiewende? Die Situatonsanalyse des DFB -Ligaausschusses . . . . . . . . . . . 218 3. »Brandbeschleuniger«: Fernsehentwicklung und Bosman-Urteil . . . 220 3.1 Eine neue Ära des Fernseh-Fußballs . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 3.2 Das Bosman-Urteil und die Liberalisierung des Spielermarkts . . 229 4. Vereine als Fußball-Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
Inhalt
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5. »Hyper-« und »De-Kommodifizierung« des Fußballs . . . . . . . . . . 245 5.1 Vermarktungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 5.2 Bierhoff, Ballack und Beckham: Fußballspieler als Marke und Celebrity . . . . . . . . . . . . . . . . 252 6. Fußballstadien nach 1990: Unterhaltungstempel oder modernes Panoptikum? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 7. Fußballkonsum in den 1990ern: Diversifizierung und Politisierung . . 263 7.1 Kritischer Konsum, Politisierung und Protestbewegungen . . . . . 266 7.2 FC St. Pauli – der »etwas andere Verein« . . . . . . . . . . . . . . . 271 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Abbildungsverzeichnis und Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 1. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Archive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Systematisch gesichtete Periodika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Weitere Presse- und Zeitschriftenartikel . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 Unveröffentlichte Quellen und Graue Literatur . . . . . . . . . . . . . . 295 Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 2. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Darstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Internetressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310
Einleitung
»Fußball ist nicht mehr die Leitsportart«, verkündete die »Zeit« 1989 in einem Artikel über die Fußballverdrossenheit der Deutschen1. Das haben die Vereinsbosse der Bundesliga damals bestimmt nicht gemeint, als sie den Gewerkschaftsslogan ›Samstags gehört Vati mir‹ so vorbehaltlos unterstützten. Der Ausflug ins Stadion war da für den Samstag geradezu programmiert (…). Aber der Samstag, er hat ganz ungeahnte Formen angenommen. Die, die immer auf den Stehplatzkurven ausharrten und sich die Kehle wundschrien, treiben nun selber Sport. Und die, die sich auf den Tribünen zeigten und jovial auf die eine und auf die andere Seite nickten, repräsentieren nun woanders.2
Vorangegangen war eine Dekade, in der immer weniger Menschen Lust hatten, sich ein Bundesligaspiel im Stadion anzuschauen. Die Zuschauerzahlen waren Ende der 1980er Jahre um ein Drittel zurückgegangen, und auch im deutschen Fernsehen hatte Tennis dem Fußball in Sachen Sendeminuten schon seit mehre ren Jahren den Rang abgelaufen3. Noch wesentlich schlechter schien es in den 1980er Jahren um den englischen Fußball bestellt zu sein. »Football is dead – the hooligans have won«, verkündete Emlyn Hughes, der ehemalige Kapitän des FC Liverpool, in einer Radiosendung der BBC im Mai 19854. Zuvor war es im Brüsseler Heysel-Stadion zu einer durch gewaltbereite Anhänger des FC Liverpool ausgelösten Massenpanik gekommen, bei der 39 Menschen ihr Leben verloren. Diese Tragödie bildete den vorläufigen Höhepunkt einer krisenhaften Entwicklung, die sich bis Ende der 1980er Jahre immer weiter zuspitzte. Der englische Fußball wurde nicht nur für tot erklärt, sondern gar zum Symbol für den Niedergang der britischen Gesellschaft stilisiert. If the game had, for many years, reflected a number of important qualities and strenghts of its expansive and self-confident parent society, by the 1980s football was thought to represent much of what ailed domestic life5, 1 Helmut Böttiger, Verdrossen vor den Toren. Bundesliga-Anpfiff: Fußball ist nicht mehr die Leitsportart, in: Die Zeit 8 vom 17.2.1989, S. 79. 2 Ebd. 3 Vgl. Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD), Sport: Tennis und Fußball, in: dies. (Hrsg.), ARD -Jahrbuch 86, Hamburg 1986, S. 199 und dies., Fußball und Olympia, in: dies. (Hrsg.), ARD -Jahrbuch 89, Hamburg, S. 198 f., hier S. 198. 4 Zit. n. Frank Keating, Total Despair – and No Relief this Time, in: The Guardian vom 30.5.1985, S. 24. 5 James Walvin, Football and the Decline of Britain, Basingstoke 1986, S. 128.
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Einleitung
brachte der Historiker James Walvin Mitte der 1980er Jahre die Untergangsstimmung in England zum Ausdruck. Fußball sei nichts anderes als »a slum sport watched by slum people« resümierte die »Sunday Times« 19856. Sowohl in England als auch in Deutschland kämpfte der professionelle Vereinsfußball spätestens seit den 1970er Jahren mit einem anhaltenden Rückgang der Zuschauerzahlen, mit maroden Stadien, einer steigenden Verschuldung der Vereine und, vor allem in England, mit gewalttätigen Fußballanhängern – ein Problem, das scheinbar außer Kontrolle geraten war. Modernisierungsanläufe zeigten meist wenige Effekte, sofern sie überhaupt unternommen wurden. Beobachter des Fußballsports in den 1960er bis 1980er Jahren würden sich wohl angesichts der radikalen Verwandlung des Spiels seit den 1990er Jahren verwundert die Augen reiben. Der heutige Profifußball kann kaum ohne Superlative beschrieben werden: So zählen erfolgreiche Fußballer zu den bestbezahlten Sportlern der Welt. Sie sind medial omnipräsente Idole für Millionen von Fans und gehören zu den begehrtesten Werbetestimonials global agierender Unternehmen. Der Arbeitsmarkt für Fußballprofis ist international so durchlässig wie kein anderer. In welcher anderen Branche wäre es denkbar, dass ein junger Afrikaner den »Sprung nach Europa« ohne nennenswerte Hürden überwindet, um dort Millionen zu verdienen? Auch Fußballstadien sind heute nicht bloß funktionale Orte, an denen die Zuschauer irgendwie um das Feld herum gruppiert werden. Stadien sind zu urban icons aufgestiegen, die von international renommierten Architekten entworfen werden und deren einzigartige Ästhetik auf die umliegende Umgebung – wenn nicht gleich die ganze Stadt – ausstrahlen soll. Das Spiel an sich wird im Stadion wie im Fernsehen zum einzigartigen Erlebnis stilisiert. Wo das Fernsehen durch Zusammenschnitte, Zeitlupen und Nahaufnahmen Dramatik generiert, gleicht das Stadion fehlende Spannung im Spiel durch das Hochhalten von Authentizität und Gemeinschaftserlebnis aus. In den Medien ist Fußball präsenter als jede andere Sportart. Die gezahlten Gelder für TV-Übertragungen von Fußballspielen haben schwindelerregende Summen erreicht. Trotz der massiven medialen Allgegenwärtigkeit kann von der »Übersättigung« des Zuschauers, die von den Fußballverantwortlichen so lange gefürchtet worden war, keine Rede sein. Sowohl die englische »Premier League« als auch die deutsche Bundesliga verzeichnen mittlerweile einen seit etwa zwei Jahrzehnten anhaltenden Zuschauerboom. Wer zum Beispiel je versucht hat, eine bezahlbare Karte für eine halbwegs attraktive Partie zwischen zwei Premier League-Vereinen zu ergattern, kann sich über die Zuschauer-Sorgen früherer Zeiten nur wundern. Der gegenwärtige Hochglanz-Fußball lässt leicht vergessen, dass diese Entwicklung weder vorauszusehen noch selbstverständlich war. Während heute Fußball, Fernsehen und Werbung eine höchst gewinnbringende symbiotische Beziehung pflegen, wurde zuvor jahrzehntelang um jeden Zentimeter Werbeaufdruck und jede Minute Fernsehübertragung gestritten. Sind die Stadien gegen6 Zit. n. Raymond Boyle / R ichard Haynes, Football in the New Media Age, London 2004, S. 9.
Fragestellung, Erkenntnisinteresse und wissenschaftliche Einordnung
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wärtig durchdesignte »Event-Arenen« mit Unterhaltungsprogramm und kulinarischem Angebot für jeden Gaumen, wurden sie in den 1970er und 1980er Jahren noch mit schmutzigen Raubtierkäfigen verglichen. Zweifelt heute niemand mehr daran, dass die großen Fußballklubs professionell geführte Wirtschaftsunternehmen sind, standen die Vereine lange Zeit wegen der Ehrenamtlichkeit und Unprofessionalität ihrer Entscheidungsträger in der Kritik.
1. Fragestellung, Erkenntnisinteresse und wissenschaftliche Einordnung Wie war es möglich, dass es sowohl in Deutschland als auch in England nach einer jahrzehntelangen Phase der Reformunwilligkeit und des Niedergangs um 1990 nahezu zeitgleich zu einer radikalen Neuausrichtung des Spiels unter den Vorzeichen von Vermarktlichung und Globalisierung kam? Dieser Frage wird die vorliegende Studie im Folgenden nachgehen. Es wird danach zu fragen sein, ob es sich um einen glatten, eher plötzlichen Bruch um 1990 handelte, oder ob verschiedene Entwicklungen, die sich schon länger anbahnten, in dieser Zeitspanne kulminierten. War der Zeitpunkt zufällig? Welche Widerstände stellten sich der Veränderungsdynamik entgegen? Waren es eher strukturelle Faktoren oder einzelne Akteure, die einen Wandel verhinderten bzw. vorantrieben? Darüber hinaus gilt ein besonderes Forschungsinteresse dem Zusammenhang zwischen der Entwicklung des professionellen Vereinsfußballs und übergreifenden sozio-ökonomischen Prozessen. Als mit Abstand beliebteste Sportart verfügt der Fußball in England und Deutschland über eine breite gesellschaftliche Verankerung. Millionen Menschen spielen entweder selbst in ihrer Freizeit aktiv Fußball oder konsumieren das Spiel in der Rolle des Zuschauers. Fußball gilt als bedeutsamer gesellschaftlicher Identitätsfaktor, sei es auf lokaler Ebene, sei es auf nationaler Ebene, wie dies immer wieder bei Welt- und Europameisterschaften zu beobachten ist7. Eine Geschichte des Fußballs erzählt daher immer auch 7 Vgl. zum Fußball als Identitätsfaktor z. B. Siegfried Gehrmann, Fußballklubs als Mittel regionaler Identitätsbildung. »Schalke« und »Borussia« und das Ruhrgebiet, in: ders. (Hrsg.), Fußball und Region in Europa. Probleme regionaler Identität und die Bedeutung einer populären Sportart, Münster u. a. 1999, S. 87–96; Markwart Herzog, »Lautern ist eine große Sportfamilie!« Fußballkultur als Faktor städtischer und regionaler Identität, in: Wolfram Pyta (Hrsg.), Der lange Weg zur Bundesliga. Zum Siegeszug des Fußballs in Deutschland, Münster 2004, S. 183–214; Richard Holt, Fußball und regionale Identität in Nordengland: Die Legende von Jackie Milburn, in: Siegfried Gehrmann (Hrsg.), Fußball und Region in Europa. Probleme regionaler Identität und die Bedeutung einer populären Sportart, Münster u. a. 1999, S. 51–70; Wolfram Pyta, Einleitung: Der Beitrag des Fußballsports zur kulturellen Identitätsstiftung in Deutschland, in: ders. (Hrsg.), Der lange Weg zur Bundesliga. Zum Siegeszug des Fußballs in Deutschland, Münster 2004, S. 1–30.
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Einleitung
etwas über gesamtgesellschaftliche Dynamiken. Ist die Geschichte des Fußballs ein Spiegelbild gesellschaftlicher Veränderungen oder gab es Eigendynamiken und Rückkopplungseffekte, die unser Bild von England und Deutschland verändern? Der Blick der Untersuchung auf sozio-ökonomische Wandlungsprozesse wird durch das Forschungsprojekt »nach dem Boom« geprägt, in dessen Rahmen und Fragehorizont sie entstanden ist8. Das Projekt hat es sich zum Programm gemacht, die Herausforderungen der Gegenwart historisch zu erschließen, indem es strukturelle Veränderungen in den westeuropäischen Industrienationen im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts in den Blick nimmt. In den Jahrzehnten nach 1970, so die These, habe mit dem Ende des Nachkriegsbooms ein multipler Strukturbruch stattgefunden, der einen »sozialen Wandel von revolutionärer Qualität« auslöste9. Auf wirtschaftlicher, politischer und sozialer Ebene habe dieser Wandel zu gravierenden Veränderungen geführt: im Bereich der Wirtschaft etwa zum Übergang von der Industrieproduktion zu Dienstleistungsgesellschaft und digitalem Finanzmarktkapitalismus, auf politischer Ebene in der Ablösung keynesianischer durch wirtschaftsliberale Ordnungsvorstellungen. Im sozialen Bereich habe sich das Ende des Nachkriegsbooms vor allem in der Rückkehr der Arbeitslosigkeit, in der Flexibilisierung von Lebensläufen und Individualisierung des Konsums sowie in der Ausbreitung marktorientierter Denkmodelle in neue Bereiche gezeigt. Trotz der Vielschichtigkeit der Entwicklungen, der unterschiedlichen Rhythmen und der nationalen Verschiedenheiten geht das Projekt von einem grenzüberschreitenden Charakter des Strukturbruchs nach dem Boom aus. In den westeuropäischen Industrienationen habe es »synchrone Parallelen« und »gemeinsame Basisprozesse« gegeben, die die Rede von einem transnationalen Strukturbruch »nach dem Boom« rechtfertigten. Die Zeit nach 1970 wird hier als Übergangsphase begriffen, deren mögliches Ende in den 1990er Jahren liegen könnte10. Die Nähe des Forschungsprojekts zur Gegenwart bringt es mit sich, dass für die Zeit »nach dem Boom« zahlreiche Thesen vorliegen, die noch empirisch überprüft werden müssen. Die vorliegende Untersuchung will einen solchen empirischen Beitrag zur Historisierung der Zeit »nach dem Boom« leisten. Umgekehrt verspricht dieser Blickwinkel neue Erkenntnisse über den Fußball als Forschungsgegenstand, indem dieser aus der reinen Sport- oder nationalen Kulturgeschichte herausgelöst und im Licht grenzüberschreitender sozio-ökonomischer Wandlungsprozesse neu betrachtet wird. 8 Zum gegenwärtigen Zeitpunkt (2017) sind aus diesem Forschungsverbund folgende Publikationen erschienen: Anselm Doering-Manteuffel / Lutz Raphael, Nach dem Boom. Perspektiven auf die Zeitgeschichte seit 1970, 2. Aufl., Göttingen 2010; Anselm Doering-Manteuffel / Lutz Raphael / T homas Schlemmer (Hrsg.), Vorgeschichte der Gegenwart. Dimensionen des Strukturbruchs nach dem Boom, Göttingen 2016; Tobias Gerstung, Stapellauf für ein neues Zeitalter. Die Industriemetropole Glasgow im revolutionären Wandel nach dem Boom (1960–2000), Gottingen 2016. 9 Vgl. hierzu und zum Folgenden Doering-Manteuffel / Raphael, Nach dem Boom, S. 25–29. 10 Vgl. ebd., S. 14.
Fragestellung, Erkenntnisinteresse und wissenschaftliche Einordnung
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Drei Haupt-Schnittpunkte zwischen Fußball und übergreifenden Prozessen sind für die Untersuchung relevant: Konsum, Wirtschaft und Medien. Erstens wird Fußball als Massenkonsumgut begriffen, das in die allgemeine Entwicklung der Konsumgesellschaft eingebettet ist. Veränderungen der Konsumgewohnheiten wirkten sich immer auch auf die Art des Fußballkonsums aus. So veränderte die Ausbreitung des Massenkonsums in den Nachkriegsjahrzehnten auch für den Fußball die Rahmenbedingungen, da er zunehmend mit anderen Formen des Freizeitkonsums konkurrieren musste. War der Fußball ein Verlierer der Wohlstandsgesellschaft, weil er den Anschluss an neue Konsumgewohnheiten verpasste? Die krisenhafte Entwicklung des Fußballsports in England und Deutschland seit den 1960er Jahren legt diese Vermutung nahe. Während der krisengeschüttelten 1970er und 1980er Jahre, als der Zusammenbruch des Weltwährungssystems von Bretton Woods 1971/72 und die Ölkrisen von 1973/74 und 1979 eine Zeit wirtschaftlicher Verwerfungen und sinkender Wachstumsraten in den meisten westlichen Industrienationen einläuteten, schien die Sphäre des Konsums von diesem Abschwung kaum betroffen zu sein. »Consumption […] is the one thing that went right«, lautet die etwas erstaunte Feststellung des britischen Historikers James Obelkevich11. Während weitgehend unumstritten ist, dass sich die Gesamtheit der Konsumangebote in der Zeit »nach dem Boom« pluralisierte und ausdifferenzierte, existieren für die gesellschaftlichen Folgen dieser Entwicklung unterschiedliche Hypothesen. Die Pluralisierung der Konsummuster habe zu einer »individualisierten Konsumentengesellschaft« geführt, konstatieren beispielsweise Doering- Manteuffel / Raphael12, wohingegen Andreas Wirsching darauf hinweist, dass die Konsumbausteine zur Konstruktion von Individualität überhaupt erst auf der Basis massenindustrieller Uniformität erhältlich seien13. Fußball eignet sich hervorragend zur Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Individualisierung und Uniformität des Konsums seit den 1970er Jahren, da das Spiel einerseits ein absolutes Massenprodukt ist – immerhin wird es von mehreren Millionen Menschen »konsumiert« – und andererseits starken Individualisierungstendenzen unterworfen ist, wenn man die unzähligen verschiedenen Formen des Fußballkonsums betrachtet14. Zweitens gibt es Schnittstellen zwischen Entwicklungen im Fußball und wirtschaftlichen Prozessen. Der professionelle Spitzenfußball ist mittlerweile ein eigener Wirtschaftszweig im Dienstleistungssektor, der nach ökonomischen Kriterien geführt wird und international in höchstem Maße verflochten
11 James Obelkevich, Consumption, in: ders. / Peter Catterall (Hrsg.), Understanding PostWar British Society, London, New York 1994, S. 141–154, hier S. 141. 12 Vgl. Doering-Manteuffel / Raphael 2010, Nach dem Boom, S. 123–127. 13 Vgl. Andreas Wirsching: Abschied vom Provisorium. 1982–1990, Stuttgart 2006, S. 453. 14 Inwiefern der Fußball konkret als »Konsumgut« gefasst werden kann, wird an späterer Stelle in dieser Einleitung erläutert.
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Einleitung
ist. Wie auch immer man die Kommerzialisierung und Ökonomisierung15 des Spiels bewertet, es bleibt unbestritten, dass die großen Fußballvereine heute als Unternehmen agieren, die meist gewinnbringend wirtschaften und sich äußerst professionell vermarkten. Dies ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass sowohl der englische als auch der deutsche Fußball lange Zeit für seine unprofessionellen Führungsstrukturen, schlechte Selbstvermarktung und mangelhafte ökonomische Weitsicht kritisiert wurde. Spannend ist es daher, danach zu fragen, wann und warum eigentlich ein neues, an ökonomischen Effizienzkriterien ausgerichtetes Denken in die Vereine und Verbände einsickerte. Wer waren die Akteure, die ein solches Denken trugen und verbreiteten? Wie hängt diese Entwicklung mit gesamtwirtschaftlichen Prozessen der Deregulierung und Globalisierung zusammen? Drittens ist die Geschichte des Fußballs eng verknüpft mit medialen Dynamiken, insbesondere mit der Entwicklung des Fernsehens. Die Verbreitung des Fernsehens seit den 1950er Jahren veränderte das Freizeitverhalten in den westeuropäischen Industrienationen drastisch. Binnen kurzer Zeit hatte das Fernsehen alle anderen Freizeitbeschäftigungen hinter sich gelassen und war zur beliebtesten Tätigkeit in den Mußestunden außerhalb der Arbeit aufgestiegen. Fußballübertragungen waren von Beginn an ein wichtiger Sendebestandteil. Mit wenig Kosten und Aufwand für die Rundfunkanstalten verbunden, lockte der Fußball zuverlässig Millionen von Zuschauern vor den Bildschirm. Die spezifische Ästhetik des Fernsehfußballs, die im Laufe der Zeit mittels Wiederholungen, Nahaufnahmen und Zeitlupen immer ausgefeilter wurde, veränderte langfristig auch die Sehgewohnheiten und -erwartungen der Fußballzuschauer im Stadion. Sowohl in England als auch in Deutschland verlief die Zusammenarbeit zwischen Fußballverantwortlichen und Fernsehmachern jedoch jahrzehntelang alles andere als reibungslos. Erst mit dem Durchbruch des kommerziellen Fernsehens gegen Ende der 1980er Jahre änderte sich dies von Grund auf. Die Inszenierung und Verwertung des Fußballs als Medienprodukt bekam dadurch eine völlig neue Qualität, die sich z. B. in der Ästhetik der Darstellung, im Umfang der kursierenden finanziellen Mittel und im Ausmaß der Werbemaßnahmen zeigte. Die enge Verknüpfung von Fußball und Fernsehen macht es unumgänglich, die Geschichte des Fußballs immer auch zur Entwicklung des Fernsehens in Bezug zu setzen. Wie änderten sich die Sehgewohnheiten der Fußballzuschauer durch die visuelle Aufbereitung des Fußballs im Fernsehen? Welche Denkmuster sorgten auf beiden Seiten für das konflikthafte Verhältnis von Fernseh- und Fußballverantwortlichen bis Ende der 1980er Jahre? Warum und inwiefern änderte sich dies mit der Kommerzialisierung des Fernsehens?
15 Die Begriffe Kommerzialisierung und Ökonomisierung werden im Folgenden synonym verwendet und bezeichnen die Ausbreitung eines an Marktprinzipien ausgerichteten Denkens und Handelns in Bereiche, die bislang nicht oder nicht primär an ökonomischen Kriterien ausgerichtet waren.
Gegenstand und Akteure
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Die Hypothese ist, dass die genannten übergreifenden Prozesse nicht nur im nationalen Rahmen wirksam waren, sondern dass es sich um transnationale Dynamiken handelte, die in den westeuropäischen Industrienationen mehr oder weniger zeitgleich auftraten. Um diese Zusammenhänge genauer zu beleuchten, wurde die Untersuchung als deutsch-englischer Vergleich angelegt. Beide Länder eint nicht nur, dass sie zu den wirtschaftlichen und politischen Schwergewichten Europas gehören, sondern auch, dass dem Fußball dort ein großer gesellschaftlicher Stellenwert zukommt16. Darüber hinaus ist der Fußball in England und Deutschland zugleich in einen nationalen Kontext eingebunden, aber auch zunehmend von Internationalisierungstendenzen geprägt. Der systematische Vergleich der Entwicklung des Fußballs in beiden Ländern soll den Blick auf nationale Besonderheiten wie auf transnationale Herausforderungen und den je unterschiedlichen Umgang mit diesen freilegen. Dies verspricht weitreichendere Schlussfolgerungen für die Historisierung der Zeit »nach dem Boom«, als es bei einer rein im nationalen Kontext angelegten Studie der Fall wäre. Der Untersuchungszeitraum der Arbeit umfasst die 1960er bis 1990er Jahre. Zu Beginn der 1960er Jahre durchliefen der englische und deutsche Fußball zum einen einen Professionalisierungsschub: 1961 wurde in England die Obergrenze für Spielergehälter abgeschafft, und 1963 kam es in der Bundesrepublik zur Gründung der Bundesliga, die erstmals hauptberufliche Profispieler zuließ. Zum anderen war der Fußballsport jedoch mit veränderten Freizeit- und Konsumgewohnheiten der Zuschauer konfrontiert. Diese Konstellation – Professionalisierung auf der einen Seite, Wandel der Konsumgewohnheiten auf der anderen Seite – bildet den Ausgangspunkt der Untersuchung. Der Endpunkt liegt etwa Mitte der 1990er Jahre, zieht sich teilweise jedoch auch bis in die Gegenwart. In den Jahren nach 1990 avancierte der Fußball – so die These – vom Verlierer der Wohlstandsgesellschaft zum Motor einer kommerzialisierten und globalisierten Unterhaltungskultur. Die Mechanismen und Codes, nach denen der Profifußball seither funktioniert, haben sich bis heute kaum geändert.
2. Gegenstand und Akteure Gegenstand der Untersuchung ist der professionelle Vereinsfußball in England und Deutschland. Diese Eingrenzung bedarf einiger Erläuterungen: Als Profifußball wird gemeinhin der Teil des Fußballsports aufgefasst, der durch hauptberufliche Spieler ausgeübt wird, die eine Entlohnung für ihre Tätigkeit erhalten. Während im englischen Fußball bereits seit 1885 bezahlte Spieler zugelassen waren, wurde der »Vollprofi« in der deutschen Bundesliga – unter 16 Aus arbeitsökonomischen und sprachlichen Gründen wurde auf Vergleiche mit weiteren Nationen verzichtet, jedoch wären in Zukunft ergänzende komparative Studien zum italienischen, französischen oder spanischen Fußball sicherlich erkenntnisfördernd.
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Einleitung
Auflagen – erst 1963 eingeführt. Auch wenn der Freizeit- und Amateurfußball mit mehreren Millionen Aktiven einen wesentlichen Anteil am praktizierten Fußballsport ausmacht, soll der Fokus auf der verhältnismäßig kleinen Sparte der Professionellen liegen. Richtet man den Blick weg von den reinen Mitglieder- oder Aktivenzahlen hin auf den Grad der öffentlichen Sichtbarkeit, wird die immense Bedeutung des Profifußballs als Projektionsfläche und Aushandlungsort gesellschaftlicher Bedürfnisse deutlich. Fußballprofis gelten beispielsweise als nationale Idole und zugleich als umstrittene öffentliche Figuren, an denen sich Debatten über die gerechte Bezahlung von Leistung und Talent in einer Gesellschaft entzünden. Vereine sind einerseits Identitätsfaktoren, in denen das Lokalkolorit mit einer gewissen Folklore gepflegt wird. Andererseits wird anhand der Fußballklubs auch immer wieder diskutiert, wieviel ökonomisches Denken und Handeln der Fußballsport verträgt, bevor er seine Glaubwürdigkeit und Attraktivität verliert. Im Fernsehen ist Fußball die mit Abstand am häufigsten gezeigte Sportart, und allen kommerzialisierungskritischen Stimmen zum Trotz nimmt das öffentliche Interesse am professionellen Fußballsport in England und Deutschland nicht ab. Der Ort, an dem sich der Profifußball institutionalisiert hat, ist der Fußballverein. Zwar erzeugen internationale Wettbewerbe, wie Welt- und Europameisterschaften, die größte Aufmerksamkeit für den Spitzenfußball, jedoch handelt es sich dabei um temporäre Ereignisse an verschiedenen Austragungsorten mit ständig wechselnden Protagonisten. Für eine Untersuchung struktureller Veränderungen im professionellen Fußball scheint eine Eingrenzung auf den Vereinsfußball erkenntnisbringender zu sein, da dieser fester in institutionelle Strukturen eingebunden ist. Fußballvereine sind historisch gewachsene Institutionen, die auf lokaler Ebene als Zusammenschlüsse zur Förderung des Fußballspiels entstanden sind. Diejenigen Vereine, die eine Profi-Sparte betreiben, sind mittlerweile zugleich lokale Identitätsstifter wie auch globale Wirtschaftsunternehmen. Dieser Spagat zwischen wirtschaftlichen Erfordernissen und den Bedürfnissen der Anhänger nach Authentizität und Identifizierung macht den professionellen Vereinsfußball als Untersuchungsgegenstand besonders interessant. Im Fokus stehen hier die beiden höchsten Spielklassen Englands und Deutschlands, die Premier League (vor 1992 »First Division«) und die Bundesliga, in denen die besten 20 bzw. 18 Vereine organisiert sind. Die englische Premier League (PL) ist die finanziell lukrativste Fußballiga mit den meisten Zuschauern, die weltweit die Menschen dazu motiviert, sich Begegnungen englischer Spitzenklubs im Fernsehen anzusehen. Die Bundesliga verzeichnet dagegen im Schnitt die meisten Stadionzuschauer der fünf größten Fußballligen Europas und gilt ökonomisch hinter der PL als zweitertragreichste Liga. Beide Ligen haben demnach in ihren Ländern und teilweise auch darüber hinaus eine große gesellschaftliche und ökonomische Relevanz. Im Rahmen dieser Forschungsarbeit kann keine systematische Untersuchung aller Spitzenklubs in England und der Bundesrepublik erfolgen. Dies würde zum einen den Umfang sprengen, zum anderen ist es vor allem in England
Gegenstand und Akteure
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größtenteils unmöglich, an entsprechende Archivbestände zu gelangen. Insgesamt ist die Perspektive also eine breitere, die einzelne Klubs bei thematischen Vertiefungen in den Fokus nimmt, diese jedoch nicht durchgängig analysiert und vergleicht. Die Akteure lassen sich je nach Grad der institutionellen Einbindung in drei verschiedene Gruppen einteilen. Erstens spielen die zentralen Fußballinstitutionen, Vereine und Verbände, eine wichtige Rolle. Der englische Profi- und Amateurfußball ist seit 1863 unter dem Dach der »Football Association« (FA) zusammengefasst, welche die Regularien festlegt, unter denen der englische Fußballsport ausgeübt werden darf. Daneben haben die englischen Spitzenmannschaften jedoch 1888 einen eigenen Verband, die »Football League« (FL) gegründet, die die Interessen des Profifußballs vertrat. Zwischen diesen beiden Verbänden kam es immer wieder zu heftigen Spannungen, anhand derer sich gut ablesen lässt, wie sich die Gewichte zwischen Amateur- und Profifußball im Laufe der Zeit verschoben. Darüber hinaus erfährt man aus den Äußerungen der Verbandsfunktionäre Wesentliches über die Mentalität, die in diesen Institutionen herrschte und welchen Wandlungsprozessen das Denken unterworfen war. Das deutsche Pendant zur FA ist der 1900 gegründete »Deutsche Fußball-Bund« (DFB), der zugleich die Interessen des Amateur- wie des Profifußballs vertrat. Auch wenn sich der Profifußball erst im Jahr 2000 in einem eigenen Verband, der »Deutschen Fußball-Liga« (DFL) organisierte, ähnelten die Interessenskonflikte zwischen Amateur- und Profifußball innerhalb des DFB den Auseinandersetzungen zwischen FA und FL in England. Die nächste Organisationsstufe unterhalb der Verbände bilden die Vereine. Davon abgesehen, dass die Klubs in England und Deutschland bestimmte Vorgaben erfüllen mussten, um eine Lizenz für den Profifußball zu erhalten, handelt es sich um eine sehr heterogene Akteursgruppe. Je nach regionaler Verankerung, sportlichem Erfolg, wirtschaftlicher Solvenz und Innovationsfreudigkeit der Funktionäre verfolgten die Vereine sehr unterschiedliche Strategien angesichts der Herausforderungen der 1960er bis 1990er Jahre. Vor allem auf Vereinsebene lässt sich das Ringen um den Erhalt von Traditionen und radikale Erneuerung sichtbar machen. Lange bevor sie sich auf Verbandsebene auswirkten, waren neue Ideen meist auf Vereinsebene diskutiert, erprobt und verbreitet worden. Die Einstellungen der Verantwortlichen in den Vereinen spielt daher eine wichtige Rolle für die Entwicklung des Profifußballs in England und Deutschland. Neben den Funktionären sind die Spieler wichtige Katalysatoren der Geschichte des professionellen Vereinsfußballs. Die Entwicklung der Spieler von lokalen Idolen, die sich größtenteils demselben Milieu zuordneten wie die Schar der Zuschauer, zu globalen Superstars, die nur noch wenig Berührungspunkte mit der Realität des gewöhnlichen Fans haben, steht symbolisch für die Entwicklung, die der professionelle Vereinsfußball insgesamt genommen hat. Die Fußballer trieben diesen Prozess teilweise selbst aktiv voran, teilweise wurde ihr
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Einleitung
enormer kommerzieller Wert erst durch Medien- und Wirtschaftsunternehmen entdeckt und potenziert. Welche Mechanismen hinter der »Markenwerdung«17 der Spieler standen und wie sich deren Selbstverständnis im Laufe der Zeit änderte, wird unter anderem Thema dieser Studie sein. Die zweite Gruppe umfasst Akteure aus Institutionen und Organisationen außerhalb des Fußballs. Dazu gehören zunächst vor allem die großen Fern sehanstalten in England und der Bundesrepublik, deren Verhalten sich unmittelbar auf den Fußball auswirkte. Dies waren in England anfangs die staatliche Rundfunkanstalt »British Broadcasting Television« (BBC) und der kommerzielle Sender »Independent Television« (ITV), in Deutschland die »Arbeits gemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland« (ARD) und das »Zweite Deutsche Fernsehen« (ZDF). Mit der Öffnung des Rundfunks für kommerzielle Anbieter ab Mitte der 1980er Jahre pluralisierte sich die Zahl der Fernseh-Akteure. Für den britischen Fußball spielte vor allem der satellitengestützte Bezahlsender des amerikanischen Medienunternehmers Rupert Murdoch, »British Sky Broadcasting« (BSkyB), eine zentrale Rolle, der sich ab 1992 umfassende Fußball-Übertragungsrechte sicherte. In Deutschland setzten sich 1988 bzw. 1992 die privaten Sender »RTLplus« und »Sat 1« im Wettstreit um Fußball-Übertragungsrechte durch und gestalteten damit den Wandel des Fußballs nach 1990 maßgeblich mit. Da seit der Verbreitung des Fernsehens wesentlich mehr Zuschauer Fußballspiele vor dem Bildschirm anschauen als im Stadion, kommt den Fernsehanstalten eine tragende Bedeutung als Vermittler zwischen Fußballinstitutionen und Zuschauern zu. Die Art der Darstellung prägte die Wahrnehmung des Fußballs in der Öffentlichkeit – dies sorgte teilweise für Unmut bei den Fußballfunktionären, weckte aber auch Begehrlichkeiten bei der werbetreibenden Industrie. Je nach Haltung des Personals der Sendeanstalten zur Darstellung von Fußballveranstaltung und kommerziellen Interessen änderte sich die Ästhetik und Vermarktung des Fußballs dramatisch. Des Weiteren umfasst diese Gruppe auch Wirtschaftsakteure, deren Bedeutung für den Fußball von den 1960er Jahren bis in die Gegenwart immer weiter zunahm. Ließen sich lange Zeit Sponsoren von Fußballklubs an einer Hand abzählen – sofern Sponsoring überhaupt erlaubt war – sind die großen Vereine heute in ein unübersichtliches Netz an Sponsoren, Beratern, Vermarktungs- und Marktforschungsagenturen eingebunden. Diese sehr heterogene Akteursgruppe kann nicht systematisch analysiert werden, sondern die Untersuchung fragt danach, wann und an welchen Stellen sich der Einfluss von Wirtschaftsakteuren im Fußball vergrößerte und erläutert dies anhand von Fallbeispielen. Auch Handelnde aus der Politik gehören in diese zweite Akteursgruppe. Insbesondere in England wurde der Fußball immer wieder zum Gegenstand poli-
17 Vgl. Frank Huber / Frederik Meyer, Der Fußballstar als Marke. Determinanten der Markenbildung am Beispiel von Lukas Podolski, Wiesbaden 2008.
Quellen und Forschungsstand
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tischer Debatten und Eingriffe. In den 1980er Jahren beispielsweise, als der eng lische Fußball durch gewalttätige Ausschreitungen und Stadiontragödien schwer geplagt wurde, stand auch Premierministerin Margaret Thatcher unter großem politischem Druck, da die Vorfälle im Fußball in der Bevölkerung Ängste vor Gewalt und Anarchie schürten. Die Studie soll unter anderem erhellen, inwiefern der Fußball als Fallbeispiel für eine konservative Law and Order-Politik der Konservativen unter Thatcher dient und welche weiteren Wechselwirkungen zwischen Fußball und Politik es in England und Deutschland gab. Die dritte Akteursgruppe, die am schwersten zu fassen ist, bilden die Zuschauer bzw. Fußballanhänger. Diese waren nur in wenigen Fällen, wie den englischen supporter’s clubs oder Fanklubs deutscher Vereine, fest organisiert. Die große Masse der Zuschauer verbirgt sich hinter nüchternen Statistiken über Besucherzahlen im Stadion oder Quoten im Fernsehen. Die Marktforschung begann erst spät, gegen Ende der 1990er Jahre, den Fußballkonsumenten auf seine Einstellungen und Vorlieben hin zu durchleuchten18. Allen Typologisierungsversuchen der Forschung zum Trotz bleibt diese Akteursgruppe aufgrund ihrer Masse und Heterogenität immer unscharf19. Umfragen, Leserbriefe und Studien helfen dabei, die Gedanken und Motive dieser Gruppe wenigstens stellenweise sichtbar zu machen. Anhand der Zuschauer lassen sich Rückschlüsse auf die Auswirkungen allgemeiner Veränderungen des Konsumverhaltens auf den Fußball ziehen. Darüber hinaus gab es seit den 1980er Jahren eine politisch aktive Fanbewegung, deren Programmatik Aufschluss darüber gibt, welche Gegenbewegungen und Widerstände die zunehmende Vermarktlichung des Fußballs hervorrief.
3. Quellen und Forschungsstand Die Quellenlage zum Thema kann auf der einen Seite als sehr gut und umfangreich betrachtet werden. Da der professionelle Vereinsfußball in England und Deutschland stets ein hohes Maß an Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit genoss, gibt es Zeitungsartikel und -berichte zum Thema in extremer 18 Siehe hierzu zum Beispiel die »UFA-Fußballstudien« oder den »National Fan Survey« des Marktforschungsunternehmens »SMRC SportsWise«. Vgl. UFA SPORTS GmbH, UFA Fußballstudie 98. Marketinginformationen für Vereine, Medien und Werbung, Hamburg 1998; UFA SPORTS GmbH, UFA Fußball Studie. Märkte, Events, Vereine, Medien, Marken, Hamburg 2000; SMRC SportsWise Ltd., The F. A. Premier League National Fan Survey. Research Report. 2002/03 Season, London 2003. 19 Einen solchen Typologisierungsversuch unternahm beispielsweise der englische Soziologe Richard Giulianotti, der die Fußballzuschauer je nach Intensität ihrer Anhängerschaft zu einem Klub in verschiedene Kategorien unterteilte. Vgl. Richard Giulianotti, Supporters, Followers, Fans, and Flaneurs: A Taxonomy of Spectator Identities in Football, in: Journal of Sport & Social Issues 1 (2002), S. 25–46.
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Dichte. Systematisch ausgewertet wurden für England die Tageszeitungen »The Guardian«, »The Times« und teilweise »The Independent« und für Deutschland die Wochenzeitungen »Der Spiegel« und »Die Zeit« sowie die Fachpublikation »Kicker-Sportmagazin«20. Anhand der Berichterstattung konnten nicht nur Ereignisse und Debatten im Detail nachvollzogen werden, sondern teilweise ließen sich mithilfe von Interviews und Berichten auch Lücken im Quellenmaterial aus den Vereinen und Verbänden überbrücken. Auf der anderen Seite sieht die Quellensituation bei den institutionellen Akteuren sehr durchwachsen aus. Während die FA ein öffentlich zugängliches Archiv pflegt, wo Sitzungsprotokolle, Jahrbücher, Studien und Strategiepapiere ausgewertet werden konnten, war es weder bei der FL noch bei englischen Vereinen möglich, einen Einblick in Archivalien zu bekommen. Der DFB gewährte nur sehr eingeschränkt Zugang zu Quellenmaterial – hier konnten vor allem die Presseausschnittsammlung, kürzere Briefwechsel sowie die Situationsanalysen zum Lizenzfußball eingesehen und verwendet werden. Bei den deutschen Profi-Vereinen stellt sich die Archivsituation sehr unterschiedlich dar. Während beispielsweise Eintracht Frankfurt ein gut sortiertes und zugängliches Archiv hat, in welchem interessante Quellen zu Vermarktungsstrategien in den 1990er Jahren ausgewertet werden konnten, gewähren andere Klubs keinen Zugang oder besitzen keine nennenswerten Quellenbestände mehr21. Eine wichtige Quellengattung für diese Untersuchung sind Expertenstudien, die meist durch Vereine oder Verbände in Auftrag gegeben wurden. Diese Studien, wie etwa die »Chester-Reports« von 1968 und 1982 oder die »Infratest«-Studie von 1971, gaben nicht automatisch die Meinung der Auftraggeber wieder, sondern provozierten im Gegenteil eher deren Widerstand22. Als Analysen, die von außenstehenden Experten durchgeführt wurden, welche den Versuch unternahmen, einen Überblick über die Situation des Profifußballs zu bekommen, sind sie für diese Forschungsarbeit von großem Wert. Der Forschungsstand zum professionellen Vereinsfußball in England und Deutschland ist ähnlich uneinheitlich wie die Quellensituation. Auf der einen Seite gibt es mittlerweile eine Flut an Publikationen zum Fußball aus den verschiedensten Wissenschaftsbereichen, wie etwa aus der Soziologie, Ökonomie, Politik-, Medien- und Kulturwissenschaft und nicht zuletzt auch aus der Geschichtswissenschaft. Hinzu kommt die Masse von populärwissenschaftlichen
20 Ein dem Kicker vergleichbares Fachmagazin konnte sich in England nie etablieren. 21 So etwa beim FC St. Pauli, wo die Quellenbestände aufgrund unglücklicher Umstände entsorgt werden mussten. Insgesamt wurden aus jedoch nicht alle Möglichkeiten, Vereinsarchive aufzusuchen, ausgeschöpft, da dies den Umfang der Arbeit gesprengt hätte. 22 Siehe hierzu Department of Education and Science, Report on the Committee on Football, London 1968; The Football League, Report of the Committee of Enquiry into Structure and Finance, Blackpool 1982; Infratest, Die Situation der Deutschen Bundesliga. 1970/71, München 1971, für den Zugang zu dieser Studie geht der Dank an Andreas Mau von der Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg.
Quellen und Forschungsstand
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Darstellungen zum Thema. Auf der anderen Seite ist die Anzahl an Gewinn bringenden Studien, die sich mit der Geschichte bzw. Entwicklung des Fußballs im gegebenen Untersuchungszeitraum befassen, sehr überschaubar23. Wegweisend für die geschichtswissenschaftliche Forschung zum englischen Fußball sind die Monographien »The People’s Game« und »Football and the Decline of Britain« des Historikers James Walvin24. Walvins Arbeiten, die nach eigenem Bekunden als Reflex auf das lange Zeit geringe Interesse der akademischen Welt am Fußball entstanden sind25, stellen einen Bezug zwischen Entwicklungen im englischen Fußball und gesellschaftlichen Dynamiken her. Besonders für den krisenhaften Verlauf der Fußballgeschichte in den 1970er und 1980er Jahren liefert Walvin plausible Thesen und zeigt wichtige Zusammenhänge auf. Lediglich gestreift wird dagegen die Phase ab 1990, und auch die Unterfütterung mit Quellen und Literatur ist eher dürftig. Neben Walvin leistet das Werk des britischen Historikers Matthew Taylor, »The Association Game«, Pionierarbeit26. Taylor wertet gründlich den Forschungsstand zur englischen Fußballgeschichte aus, stellt die wichtigsten Narrative zusammen und verweist auf unterschiedliche Deutungen. Seine Studie erhebt zwar den Anspruch, die gesamte Geschichte des britischen Fußballs seit den Anfängen im 19. Jahrhundert darzustellen, jedoch legt er seinen Fokus auf die laut Taylor kaum historisierte Zeit nach 1945. Anders als Walvin räumt Taylor dem Umbruch um 1990 einen größeren Stellenwert in seiner Untersuchung ein, was sicherlich auch dem späteren Erscheinungstermin seiner Monographie geschuldet ist. Der überblicksartige Zuschnitt seines Buchs bringt jedoch mit sich, dass eher wenig vertiefende Quellenauswertung stattfindet. Neben den genannten Historikern haben sich vor allem Soziologen mit der Transformation des englischen Fußballs befasst. Während sich die Soziologie einige Zeit lang fast ausschließlich mit dem Thema Gewalt und Hooliganismus im Fußball beschäftigte27, entstanden in jüngerer Zeit auch Studien, die sich der verstärkten Kommerzialisierung des Spiels in den 1990er Jahren widmen.
23 Häufig besteht bei diesem Thema das Problem, dass es vielen Autoren schwerfällt, die wissenschaftliche Distanz zum Untersuchungsgegenstand zu halten, was mit der Funktion des Fußballs als Identitätsfaktor zusammenhängt. 24 Walvin hat »The People’s Game«, das erstmals 1975 erschien, mehrfach aktualisiert und neuere Entwicklungen aufgegriffen. Vgl. James Walvin, The People’s Game. A Social History of British Football, London 1975; James Walvin, The People’s Game. The History of Football Revisited, Edinburgh 1994; James Walvin, The People’s Game. The History of Football Revisited, Edinburgh 2000; Walvin, Football and the Decline of Britain. 25 Vgl. Walvin, The People’s Game, S. 8 f. 26 Matthew Taylor, The Association Game. A History of British Football, Harlow 2008. 27 Z. B. Eric Dunning / Patrick Murphy / John Williams, The Roots of Football Hooliganism. An Historical and Sociological Study, London, New York 1988; Gary Armstrong, Football Hooligans. Knowing the Score, Oxford 1998; Steve Frosdick / Peter Marsh, Football Hooliganism, Cullompton, Devon 2005.
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Von Bedeutung ist hier erstens Richard Giulianottis »Football. A Sociology of the Global Game«28. In diesem Buch untersucht Giulianotti den Wandel des globalen Fußballs vom »traditionellen« ins »postmoderne« Stadium. Die große Stärke der Monographie liegt vor allem in ihrer international vergleichenden Perspektive. Zweitens hat »The End of the Terraces« von Anthony King die Debatte um die Veränderungen des englischen Fußballs geprägt29. Diese sehr theoriegeleitete Publikation ist vor allem dort Gewinn bringend, wo King dem Denken der Akteure mittels Befragungen auf den Grund geht. Darüber hinaus widmet er sich ausführlich den neueren Formen des Fußballkonsums sowie der in den 1990er Jahren entstandenen Bewegung »kritischer« Fans. In Deutschland wurde der Fußball nach 1945 von der Geschichtswissenschaft lange Zeit eher stiefmütterlich behandelt. Erst 2013 erschien mit Nils H avemanns »Samstags um halb 4« die erste geschichtswissenschaftliche Überblicksstudie zur Geschichte der Bundesliga30. In diesem Buch arbeitet Havemann mit einem akteurszentrierten Ansatz gründlich die Entstehungsbedingungen und Wandlungsprozesse der Bundesliga heraus und ordnet diese in den gesellschaftlichen Kontext ein. Einen Schwerpunkt seiner Studie stellt die Rolle der öffentlichen Hand für die Entwicklung des deutschen Fußballs dar. Erst der Abbau staatlicher Begünstigungen im Fußball habe für einen Veränderungsdruck bei den Fußballakteuren gesorgt, so Havemanns These31. Gerade hier ist der Vergleich mit England interessant, da dort keine vergleichbare staatliche Förderung des Fußballs existierte. Auch in Deutschland ist Fußball seit längerer Zeit immer wieder Gegenstand der Soziologie und Kulturwissenschaften, die das Spiel in seiner Rolle als Kul-
28 Richard Giulianotti, Football. A Sociology of the Global Game, Cambridge 2006 (Erstausgabe 1999). 29 Anthony King, The End of the Terraces. The Transformation of English Football in the 1990s, London 1998; einen europäischen Vergleich der Entwicklungen lieferte King einige Jahre später mit »The European Ritual«, vgl. Anthony King, The European Ritual. Football in the New Europe, Aldershot 2003. 30 Nils Havemann, Samstags um halb 4. Die Geschichte der Fußballbundesliga, München 2013. Bis dahin war lediglich der Fußball vor 1945 Gegenstand größer angelegter geschichtswissenschaftlicher Studien. Wegweisend waren hier vor allem die Arbeit von Christiane Eisenberg zur Verbreitung des Fußballs im 19. und frühen 20. Jahrhundert und Nils Havemanns Studie zum DFB im Nationalsozialismus. Vgl. Christiane Eisenberg, »English Sports« und deutsche Bürger. Eine Gesellschaftsgeschichte 1800–1939, Paderborn 1999; Nils Havemann, Fußball unterm Hakenkreuz. Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz, Frankfurt a. M., New York 2005. Erste Schritte in Richtung einer historischen Erforschung des deutschen Nachkriegsfußballs unternahm außerdem Wolfgang Pyta, der verschiedene Tagungen und Sammelbände zum Thema initiierte. Vgl. Wolfram Pyta (Hrsg.), Der lange Weg zur Bundesliga. Zum Siegeszug des Fußballs in Deutschland, Münster 2004; ders. (Hrsg.), Geschichte des Fußballs in Deutschland und Europa seit 1954, Stuttgart 2013. 31 Vgl. Havemann, Samstags um halb 4, S. 100–105, 291–305, 379–90 und 491 f.
Quellen und Forschungsstand
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tur- und Identitätsfaktor beleuchten32. Allerdings wurden in diesen Bereichen eher thesenhafte Beiträge für Sammelbände als tiefergehende Analysen erstellt. Des Weiteren konnte die Untersuchung von Studien zu verschiedenen Teilbereichen des Fußballs profitieren. Auch hier zeigt sich die Forschungslage für England etwas ausgereifter als für die Bundesrepublik. Im Bereich Fußball und Fernsehen etwa lotet Fabio Chisari in seinem Buch »The Match« anhand von umfangreichem Quellenmaterial den Wandel der Beziehung zwischen Fußball und der BBC aus33. Für Deutschland fehlen vergleichbare Arbeiten, hier kann lediglich auf die bereits etwas ältere ausgearbeitete Magisterarbeit von Götz-T. Großhans, »Fußball im deutschen Fernsehen«, verwiesen werden34. Insgesamt existieren zwar viele Publikationen, die sich mit dem Fußball als Mediensport beschäftigen35, jedoch mangelt es an vertiefenden, quellenbasierten Studien. Ähnlich sieht es bei den Forschungsarbeiten zu Zuschauern und Fankulturen aus. Einer Masse an eher subjektiv gefärbten, thesengeleiteten Publikationen stehen nur wenige ernsthafte wissenschaftliche Arbeiten entgegen. Hervorzuheben ist hier »The Football Imagination« von Richard Haynes, der die Entstehung der englischen Fanzine-Kultur als Teil einer Bewegung politischer
32 Für die Soziologie z. B. Wilhelm Hopf (Hrsg.), Fußball. Soziologie und Sozialgeschichte einer populären Sportart, Bensheim 1979; Gerd Hortleder, Die Faszination des Fußballspiels. Soziologische Anmerkungen zum Sport als Freizeit und Beruf, Frankfurt a. M. 1974; Gabriele Klein / Michael Meuser (Hrsg.), Ernste Spiele. Zur politischen Soziologie des Fußballs, Bielefeld 2008; für die Kulturwissenschaften z. B. Roman Horak (Hrsg.), Die Kanten des runden Leders. Beiträge zur europäischen Fußballkultur, Wien 1991; Dirk Schümer, Gott ist rund. Die Kultur des Fußballs, Frankfurt a. M. 1998; Markwart Herzog / U lrich von Berg (Hrsg.), Fußball als Kulturphänomen. Kunst – Kultur – Kommerz, Stuttgart 2002; Ralf Adelmann / Rolf Parr / T homas Schwarz (Hrsg.), Querpässe. Beiträge zur Literatur-, Kultur- und Mediengeschichte des Fußballs, Heidelberg 2003; Andreas Hütig / Johannes Marx (Hrsg.), Abseits denken. Fußball in Kultur, Philosophie und Wissenschaft, Kassel 2004; Stefan Krankenhagen / Birger Schmidt (Hrsg.), Aus der Halbdistanz. Fußballbiographien und Fußballkulturen heute, Berlin 2007; Anthony Waine / K ristian Naglo (Hrsg.), On and Off the Field. Fußballkultur in England und Deutschland / Football Culture in England and Germany, Wiesbaden 2014. 33 Fabio Chisari, The Match. Football and the BBC , 1937–82, Saarbrücken 2010. Leider endet Chisaris Untersuchungszeitraum im Jahr 1982. 34 Götz-T. Großhans, Fußball im deutschen Fernsehen, Frankfurt a. M., New York 1997. 35 Z. B. Thomas Path / Gerhard Trosien, Fußball als Fernsehprodukt, in: Gerhard Trosien / Michael Dinkel (Hrsg.), Verkaufen Medien die Sportwirklichkeit? Authentizität, Inszenierung, Märkte, Aachen 1999, S. 131–150; Cornel Sandvoss, A Game of Two Halves. Football, Television and Globalization, London, New York 2003; Boyle / Haynes, Football in the New Media; Christiane Eisenberg, Medienfußball. Entstehung und Entwicklung einer transnationalen Kultur, in: Geschichte und Gesellschaft, 4 (2005), S. 586–609; Heinz Gerhard, Fußball im Fernsehen. Wie die Tiefe des Raums die Höhe der Einschaltquoten bestimmt, in: Christina Holtz-Bacha (Hrsg.), Fußball – Fernsehen – Politik, Wiesbaden 2006, S. 44–70; Christina Holtz-Bacha (Hrsg.), Fußball – Fernsehen – Politik, Wiesbaden 2006.
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Fans in den 1980er Jahren untersucht36. Die Veröffentlichungen zu einzelnen Vereinen und Spielern sind fast ausschließlich populärwissenschaftlich ausgelegt und daher für die vorliegende Untersuchung nur bedingt zu gebrauchen37. Auffällig ist, dass in den letzten Jahren die Publikationen in zwei Teilbereichen zu explodieren scheinen: Erstens entstanden mit dem kommerziellen Erfolg des Fußballs seit den 1990er Jahren unzählige Veröffentlichungen, die sich mit der Ökonomie des Fußballsports beschäftigen. Vom »zielorientierten Management von Fußballunternehmen« (Schilhaneck) bis hin zu den »Determinanten der Markenbildung« bei Fußballspielern (Huber) gibt es kaum einen Bereich der Fußballökonomie, der nicht wirtschaftswissenschaftlich durchleuchtet wird38. Daneben florieren zweitens Schriften von kritischen Autoren, die sich der Verteidigung des Fußballs gegen die Ökonomisierung verschrieben haben39. Nach deren Interpretation ist die jüngere Geschichte des Profifußballs geprägt von der kommerziellen Ausbeutung des Kulturguts Fußball. Die »wahre« Bedeutung des Spiels – charakterisiert durch emotionale Bindung, regionale Identität, Rituale, Tradition, Gemeinschaftserlebnis usw. – werde durch gewinnorientierte Strategien manipuliert und letztendlich zerstört. Diese Argumentationsfigur ist auch in populären Debatten sehr häufig zu finden. Je nachdem, ob ökonomische oder kulturelle Kategorien als Beurteilungsmaßstab herangezogen werden, verändert sich das Narrativ von der Erfolgs- zur Verlustgeschichte. Die Dichotomie »Fußball als Ware« vs. »wahrer Fußball« hat vor allem zur Folge, dass die Entwicklung 36 Richard Haynes, The Football Imagination. The Rise of the Fanzine Culture, Aldershot 1995. 37 Zu den wenigen Ausnahmen gehören z. B. die Beckham-Biographie von Ellis Cashmore oder einige Publikationen zum FC St. Pauli. Vgl. Ellis Cashmore, Beckham, Oxford 2004; Brigitta Schmidt-Lauber (Hrsg.), FC St. Pauli. Zur Ethnographie eines Vereins, 3. Aufl., Hamburg, Münster 2008; Christoph Nagel / Michael Pahl / Jörn Kreuzer, FC St. Pauli. Das Buch, der Verein und sein Viertel, Hamburg 2009. 38 Michael Schilhaneck, Zielorientiertes Management von Fußballunternehmen. Konzepte und Begründungen für ein erfolgreiches Marken- und Kundenbindungsmanagement, Wiesbaden 2008; Huber / Meyer, Der Fußballstar als Marke. Vgl. außerdem z. B. Christian Keller, Steuerung von Fußballunternehmen. Finanziellen und sportlichen Erfolg langfristig gestalten, Berlin 2008; Michael Schaffrath (Hrsg.), Die Zukunft der Bundesliga. Management und Marketing im Profifußball, Göttingen 1999; Stephen Morrow, The New Business of Football. Accountability and Finance in Football, Houndmills, Basingstoke 1999. 39 Z. B. Arndt Aschenbeck, Fußballfans im Abseits, Kassel 1998; Rex Nash, English Football Fan Groups in the 1990s: Class, Representation and Fan Power, in: Soccer and Society 1 (2001), S. 39–58; Bündnis Aktiver Fußballfans – BAFF (Hrsg.), Ballbesitz ist Diebstahl. Fans zwischen Kultur und Kommerz, Göttingen 2004; Franziska Dost / Isabell Hartung, Akteure der Kommerzialisierung. Der Fan als Sponsor und Werbeträger, in: Stefan Krankenhagen / Birger Schmidt (Hrsg.), Aus der Halbdistanz. Fußballbiographien und Fußballkulturen heute, Berlin 2007, S. 49–61; Joel Rookwood / Nathan Chan, The 39th Game: Fan Responses to the Premier League’s Proposal to Globalize the English Game, in: Soccer and Society 6 (2011), S. 897–913; John Williams, Walking Alone Together the Liverpool Way: Fan Culture and ›Clueless‹ Yanks, in: Soccer and Society 3 (2012).
Aufbau und Gliederung
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des Fußballs sehr selektiv wahrgenommen wird. Phänomene, die außerhalb des jeweiligen Erklärungsmusters liegen, kommen kaum zur Sprache. Um zugleich die sozial-kulturellen und die ökonomischen Dimensionen des Fußballsports in den Blick zu bekommen und den Fallstricken einer moralisierenden Semantik zu entgehen, werden in dieser Untersuchung die Ansätze der neueren Konsumtheorie und -geschichte zu Hilfe genommen, die sich seit den späten 1970er Jahren um die Integration der scheinbar unvereinbaren Perspektiven bemüht.
4. Aufbau und Gliederung Die Arbeit gliedert sich in drei chronologisch geordnete Hauptteile, die verschiedenen Phasen in der Entwicklung des englischen und deutschen Fußballs nachgehen. Diese Anordnung ist nur deshalb möglich, weil die großen Entwicklungstendenzen in beiden Ländern weitgehend parallel verliefen. Die Übergänge zwischen den einzelnen Phasen sind dennoch fließend und zum Teil versetzt. Die erste Phase wird von 1961 bis etwa Ende der 1970er Jahre angelegt. In diesem Zeitraum zeigten sich im Profifußball Professionalisierungstendenzen, aber auch erste strukturelle krisenhafte Entwicklungen, etwa beim Zuschauerschwund oder bei der immer größer werdenden Verschuldung der Vereine, die mit allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen in Zusammenhang standen. Kennzeichnend war jedoch, dass daraus von den Akteuren im Fußballsport kaum konkreter Handlungsbedarf abgeleitet wurde. In verschiedenen Kapiteln werden zum einen strukturelle Voraussetzungen und Veränderungen wie die Entwicklung des Konsumverhaltens in den Wohlstandsgesellschaften und die Verbreitung des Fernsehens als neuer Ort des Fußballkonsums herausgearbeitet. Zum anderen werden die Motive und Handlungsstrategien der verschiedenen Akteure (Funktionäre aus Vereinen und Verbänden, Spieler und Fernseh verantwortliche) beleuchtet und zu den strukturellen Dynamiken in Beziehung gesetzt. In der zweiten Phase ab Ende der 1970er Jahre wurden die Krisensymptome so gravierend, dass – teilweise unter politischem Druck – neue Strategien ent wickelt werden mussten. Die 1980er Jahre können als Übergangszeit begriffen werden, in der verkrustete Strukturen und Niedergangstendenzen auf neue Ideen und Impulsgeber trafen. Vor allem in England spiegelt sich hier im Fußball eine breitere Debatte um gesellschaftlichen Niedergang und angemessene politische Antworten unter dem Diktum von Deregulierung und Privatisierung wider. Eine besondere Rolle spielte hier das Thema Hooliganismus und Gewalt, welches oftmals als weiteres Symptom für den Prozess eines vermeintlichen decline der britischen Gesellschaft gedeutet wurde. Daneben konnten in den 1980er Jahren in beiden Ländern im Fußball zunehmend solche Akteure an Einfluss gewinnen, die für eine kommerziellere Ausrichtung des Spiels eintraten. Dieser langsamen Diffusion eines an ökonomischen Prinzipien orientierten
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Einleitung
Denkens in den Fußball geht die Untersuchung unter anderem im dritten Teil nach. Den endgültigen Umbruch in Richtung einer stärkeren Ökonomisierung und Kommerzialisierung des Spiels markiert der Durchbruch des kommerziellen Rundfunks, der sich um 1990 des Fußballs als Zugpferd zur Eroberung des Zuschauermarktes bediente, weshalb dieser Zeitpunkt das Ende der zweiten Phase markiert. Die dritte Phase ist durch eine rasante und nachhaltige Ökonomisierung des Fußballs geprägt. Beschleunigt wurde diese Entwicklung zum einen durch die Deregulierung des Rundfunks und den damit einhergehenden Siegeszug des Privatfernsehens, der sich sowohl finanziell als auch ästhetisch entscheidend auf den Fußball auswirkte. Zum anderen erwirkte das sogenannte Bosman-Urteil die Liberalisierung des Spieler-Marktes und die Internationalisierung der vormals auf höchstens drei ausländische Spieler beschränkten Mannschaften. Beide Ereignisse verweisen auf umfassendere Prozesse der Deregulierung und internationalen Verflechtung im Zuge einer Globalisierungswelle, die in den 1990er Jahren ihren vollen Schwung entfaltete. In dieser Phase wird Fußball also im weiteren Kontext der Globalisierung verortet und danach gefragt, inwiefern der professionelle Vereinsfußball in England und Deutschland als Sinnbild und Vorreiter derselben gelten kann. Anhand der veränderten Führungs- und Vermarktungsstrategien und der damit einhergehenden Semantik wird untersucht, wie sich die beschriebene Ökonomisierungsdynamik konkret im Fußball manifestierte und wie die Akteure diese förderten oder bekämpften. Eine wichtige Rolle spielt hier auch die Entstehung einer »kritischen« Fanbewegung, die sich zwar im Gegensatz zur Kommerzialisierung des Spiels positionierte, jedoch zugleich alternative Formen des Fußballkonsums schuf, die sich wiederum kommerziell nutzen ließen, wie anhand des Fallbeispiels FC St. Pauli gezeigt wird. Der erste der vier Hauptteile ist der Vorgeschichte des Fußballs in England und Deutschland gewidmet. Dieses soll zum einen die Grundlagen zur Entstehung und Verbreitung des Spiels und seiner institutionellen Strukturen sowie zur Zusammensetzung seiner Zuschauerschaft legen. Zum anderen dient es der Ent-Mythologisierung der Frühgeschichte des Fußballs, die häufig als vermeintlich goldenes Zeitalter verklärt wird.
Erster Teil: Fußball vor 1960 – von Wundern und Golden Ages
Wenn Axel Schildt und Detlef Siegfried in ihrer »Deutschen Kulturgeschichte« feststellen, dass die »Gründerzeit der Bundesrepublik geradezu mythenfähig geworden« sei1, gilt dies für den deutschen Fußball der 1950er Jahre in besonderem Maße. So kommt kaum eine nostalgische Inszenierung der Fifties ohne die emotionalisierende Erzählung des »Wunders von Bern« aus. Der Sieg bei der Fußballweltmeisterschaft von 1954 wurde mitunter gar als »wahres Gründungsdatum der Bundesrepublik« stilisiert2, auch wenn Historiker, wie Franz-Josef Brüggemeier leidlich darum bemüht sind, die Vorstellung, der Titelgewinn habe ein nationales »›Wir-sind-wieder-wer‹-Gefühl ausgelöst, das erstmals nach dem Krieg die Möglichkeit geboten habe, sich an einem Erfolg zu berauschen, der ›quasi gemeinschaftlich‹ erwirtschaftet worden sei«, wissenschaftlich zu widerlegen3. Auf Ebene des Vereinsfußballs wird der Erfolg des Spiels in der Nachkriegszeit ebenfalls mithilfe des Motivs von Identitätsstiftung durch »Wiederaufstieg« und »unpolitischer Gemeinschaftsbildung« erklärt. Fußball sei ein »wichtiges Hilfsmittel bei der Verarbeitung der Kriegserlebnisse« gewesen, welches den Menschen »einen Hauch von Spaß, Leichtigkeit und Freude in ihrem ansonsten eher tristen Alltag« bescherte4. Nicht weniger glorifizierend sind die Mythen der britischen Erzählung, die für den englischen Fußball der 1940er und 1950er Jahre zwar kein »Wunder« ausmachen, aber immerhin ein golden age konstatieren können. Wie der britische Historiker Matthew Taylor feststellte, wird der englische Nachkriegsfußball 1 Axel Schildt / Detlef Siegfried, Deutsche Kulturgeschichte. Die Bundesrepublik – 1945 bis zur Gegenwart, Bonn 2009, S. 97. 2 So ein von Franz-Josef Brüggemeier zitierter Leitartikel der Süddeutschen Zeitung vom 03.07.2004. Vgl. Franz-Josef Brüggemeier, Eine virtuelle Gemeinschaft. Deutschland und die Fußballweltmeisterschaft 1954, in: Geschichte und Gesellschaft 4 (2005), S. 610–637, hier S. 611. 3 Brüggemeier sieht in den öffentlichen Debatten eher ein gutes Beispiel dafür, wie Geschichte(n) konstruiert und Traditionen erfunden werden, denn die gegenwärtigen Deutungsmuster hätten mit den Ereignissen von 1954 wenig gemein. Vielmehr als ein aufflackerndes Nationalgefühl erkennt er in der zeitgenössischen Fußballbegeisterung die spontane Genese einer »virtuellen Gemeinschaft«, welche erst durch die mediale Berichterstattung ermöglicht worden war. Vgl. Franz-Josef Brüggemeier, Zurück auf dem Platz. Deutschland und die Fußball-Weltmeisterschaft 1954, München 2004; Brüggemeier, Eine virtuelle Gemeinschaft. 4 Hardy Grüne, 100 Jahre Deutsche Meisterschaft. Die Geschichte des Fußballs in Deutschland, Göttingen 2003, S. 267.
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Erster Teil: Fußball vor 1960 – von Wundern und Golden Ages
insbesondere für das gefeiert, was er (noch) nicht war, das heißt als Gegenstück zu einer als mangelhaft empfundenen Gegenwart: In popular memory, this was the age before the creation of the superstar footballer and the all-powerful ›superclub‹, before the intrusion of television, before the emergence of hooliganism and before the rampant commercialisation that turned a ›sport‹ into a ›business‹. These were the ›good old days‹ of British football, after which money and violence arrived to tarnish the game.5
Sowohl die englische Vorstellung einer vermeintlich besseren Vergangenheit, in welcher der Fußballsport noch ein »authentischer« Arbeitersport gewesen sei und sich nicht durch Geld, Gewalt und Politik korrumpieren ließ, als auch das deutsche Narrativ eines unpolitischen nationalen Neuanfangs sind Formen der Nostalgie und Verklärung, die den historischen Kontext weitgehend ausblenden. Es spiegeln sich darin eher gegenwärtige populäre nationale Erzählmuster der Geschichte nach 1945: im englischen Fall scheint dies ein Motiv von Niedergang und Verlust zu sein, während auf deutscher Seite der Beginn einer Erfolgsgeschichte stark gemacht wird. Diese Beobachtung unterstützt die These des englischen Sporthistorikers Martin Polley, dass gegenwärtig vor allem zwei Formen des Geschichtsbezugs im Sport anzutreffen seien6: Während die eine Perspektive sich durch den Glauben an ein golden age, eine bessere Vergangenheit auszeichne, verwende die optimistischere Variante der Nostalgie die Vergangenheit »in a celebratory manner« als Inspiration für die Gegenwart. Ohne Kenntnisse über die wichtigsten historischen Zusammenhänge und die Vorgeschichte des Fußballsports in den jeweiligen Ländern, kommt die Interpretation nicht über die verkürzende Rückschau aus der Gegenwart hinaus. Um das nötige Hintergrundwissen für die folgenden Kapitel zu schaffen, soll daher im Folgenden die Entwicklungsgeschichte des Spiels und seiner Institutionen in Deutschland und England überblicksartig skizziert werden. Die Forschungslage zur Geschichte des Fußballs bis 1945 ist vergleichsweise gut, sodass sich die vorliegende Darstellung auf vorhandene Forschungsergebnisse stützen kann7. In welchem sozialen Umfeld entwickelte sich das Spiel? Welche Strukturen wurden geschaffen? Was waren die Bedingungen für seine massenhafte Verbreitung? Mit welchen Bedeutungen wurde es aufgeladen? Welche Veränderungen und
5 Taylor, The Association Game, S. 183. 6 Vgl. Martin Polley, Moving the Goalposts. A History of Sport and Society Since 1945, London, New York 1998, S. 1–3. 7 Zu England sind dies vor allem die Arbeiten von James Walvin und Tony Mason, Vgl. Walvin, The People’s Game; Tony Mason, Association Football and English Society, 1863–1915, Brighton, Atlantic Highlands 1980; zu Deutschland Christiane Eisenberg, Nils Havemann und Rudolf Oswald, Vgl. Eisenberg, English Sports und deutsche Bürger; Havemann, Fußball unterm Hakenkreuz; Rudolf Oswald, Fußball-Volksgemeinschaft. Ideologie, Politik und Fanatismus im deutschen Fußball 1919–1964, Frankfurt a. M., New York 2008.
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Konflikte fanden bis 1945 statt? – Dies sind die Leitfragen anhand derer die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Fußballentwicklung in England und Deutschland dargestellt werden sollen.
1. England: Vom Elite-Sport zum Arbeitervergnügen Das moderne Fußballspiel, dessen Wurzeln bekanntlich in Großbritannien liegen, ist eine Entwicklung des 19. Jahrhunderts. Zwar sind Ballspiele, die mit dem Fuß gespielt wurden, schon für wesentlich frühere Epochen bekannt, jedoch fand erst im 19. Jahrhundert eine Kodifizierung der Regeln und die Gründung spezifischer Institutionen statt8. Fußball wurde im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert zunächst vor allem an britischen public schools gespielt, wo das Spiel der Persönlichkeitsbildung und der Herausbildung von Führungsqualitäten von Söhnen wohlhabender Familien dienen sollte9. Um auch nach der Schulzeit mit Gleichgesinnten dem runden Leder nachjagen zu können, gründeten einige Absolventen eigene Fußballklubs, sodass die ersten englischen Fußballvereine zunächst ein Treffpunkt für junge Männer aus der bürgerlichen Mittelschicht waren. Gespielt wurde in diesen Klubs – ebenso wie an den Schulen – nach je unterschiedlichen lokalen Regeln und Gebräuchen. »Die Anzahl der Mitspieler war unbegrenzt, es wurde geschoben und gestoßen, der Ball wurde mit Händen und Füßen gespielt.«10 Als sich im Zuge der Industrialisierung die Transport- und Kommunikationswege soweit verbesserten, dass auch Auswärtsspiele möglich wurden, begann die Pluralität der Spieltraditionen zunehmend zum Problem zu werden. Aus diesem Grund schlossen sich die Repräsentanten einer kleinen Anzahl von Klubs aus dem Süden Englands zusammen, um ein gemeinsames Regelwerk zu entwerfen – das Treffen am 26. Oktober 1863 markiert das Gründungsdatum der Football Association11. Zwar wurden seit den späten 1860er Jahren noch weitere regionale Verbände gegründet, jedoch konnte sich die Londoner FA als allgemeiner Dachverband dauerhaft durchsetzen. Dies erleichterte die Einigung auf national verbindliche Regeln, die 1882 festgeschrieben wurden. Neben der Überwachung der Spielregeln gehörte auch die Organisation verschiedener Ausscheidungsrunden (Cups) auf regionaler und nationaler Ebene zu den Aufgaben der FA . Da einige der größeren Vereine mit 8 Auch wenn sich zahlreiche Historiker darum bemühten, die Wurzeln des Fußballspiels in vergangenen Zivilisationen aufzuspüren, liegen diese im Dunkeln. Vgl. Walvin, The People’s Game, S. 11. 9 Vgl. Mason, Association Football and English Society, S. 13; Walvin, The People’s Game, S. 32; Tony Mason, Großbritannien, in: Christiane Eisenberg (Hrsg.), Fußball, soccer, calcio. Ein englischer Sport auf seinem Weg um die Welt, München 1997, S. 22–40, hier S. 25. 10 Mason, Großbritannien, S. 24. 11 Vgl. Walvin, The People’s Game, S. 42.
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der Praxis dieser Pokalwettbewerbe unzufrieden waren, weil häufig ungleiche Gegner aufeinander trafen, was für Spieler und Zuschauer wenig spannend war, gründeten zwölf Klubs im Jahr 1888 die Football League zu dem Zweck, einen Meisterschaftsbetrieb für die stärksten Mannschaften zu organisieren12. Bis zum Beginn des ersten Weltkriegs war die Liga auf 40 Klubs angewachsen, aufgeteilt in zwei Divisions13. Die Herausbildung der zentralen Institutionen und Strukturen des englischen Fußballs wurde im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts von zwei maßgeblichen Entwicklungen begleitet: vom Aufstieg des Fußballs zum Arbeitersport sowie von der Professionalisierung des Spiels. Wie ist zu erklären, dass ein einst so elitäres Spiel wie Fußball sich zur Jahrhundertwende zum beliebtesten Freizeitvergnügen der lower middle classes und working classes entwickelt hatte? Die erste Bedingung für die Veränderung der sozialen Basis des Fußballs war das Entstehen von Kontaktpunkten, an denen Angehörige der Arbeiterschaft das Spiel kennenlernen und praktizieren konnten. Erstens sind hier Unternehmen zu nennen: viele sozial engagierte Unternehmer, welche Schüler auf public schools gewesen waren, brachten das Spiel in ihre Firmen ein. Sie wollten damit die physische Gesundheit ihrer Arbeiter stärken, denn seit den 1860er Jahren rückte die physische Degeneration der Menschen als sichtbarstes Zeichen städtischer Armut zunehmend in den Fokus sozialkritischer Beobachter14. So wurden vor allem die industriellen Zentren zum Entstehungsort des modernen Spiels, und viele der noch heute bekannten Klubs, wie z. B. Manchester United oder der FC Arsenal waren ursprünglich Werksmannschaften. Ein zweiter Kontaktpunkt zwischen missionarisch ambitionierten Eliten und Arbeiterklasse waren kirchliche Einrichtungen. Nicht wenige der vielen neugegründeten Fußballklubs hatten einen kirchlichen Hintergrund, wie etwa das aus Birmingham stammende FL -Gründungsmitglied Aston Villa FC . Als dritter Verbreitungsort des Spiels wurde mit dem »Educational Act« von 1870 ein allen zugängliches staatliches Schulsystem geschaffen, welches Fußballerfahrungen fest in der Biographie von Schuljungen aller Schichten verankerte. Clearly with so many schoolboys playing football the reservoir from which the professional and semi-professional elite clubs might draw players and spectators was growing rapidly through the 1880s and 1890s.15
Die Alphabetisierung der Arbeiter durch eine flächendeckende Schulbildung war darüber hinaus die Grundlage für die Herausbildung einer Leserschaft für Massenzeitungen, über welche Fußballankündigungen, -ergebnisse und Spiel 12 Diese Idee einer Elite-Liga war wahrscheinlich vom US -amerikanischen Baseballsport übernommen worden. Vgl. ebd., S. 16 f. 13 Zwar akzeptierte die FL die Verantwortlichkeit der FA für den Gesamtfußball und fügte sich mehr oder weniger als Teilorganisation ein, das Verhältnis der beiden Institutionen ist jedoch bis in die Gegenwart von Spannungen geprägt. 14 Vgl. ebd., S. 45 f. 15 Mason, Association Football and English Society, S. 86.
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berichte kommuniziert werden konnten16. Neben dem Fußballplatz wurde – viertens – der Pub zudem zu einem der wichtigsten Orte, an dem sich interessierte Arbeiter vergesellschaften und über das Spiel austauschen konnten. Über die Entstehung von Kontaktpunkten hinaus war die zweite Bedingung für die rasche Verbreitung des Fußballspiels in der Arbeiterschaft die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit. Laut James Walvin war der Grund dafür, dass die Arbeiter zu Beginn des Jahrhunderts keinen Fußball spielten, die Tatsache, dass sie kaum Freizeit hatten.17 Seit den 1860er Jahren verbreitete sich – ausgehend von der Textilindustrie – der freie Samstagnachmittag, seit 1850 stiegen auch die Löhne.18 »The years after the 1860s bore witness to the rise of a mature industrial labour force with the time, money (particularly after the 1870s) and inclination for organized leisure.«19 Walvin geht sogar soweit, im modernen Fußball des 19. Jahrhunderts »a deep rooted social revolution within industrial society« zu erkennen, involving the freeing of the lower strata to enjoy the first meager benefits of a technically advanced and relatively sophisticated society. Leisure time, more money, the improvements in education, transport and communications cumulatively produced the need, desire and possibility for leisure and recreation.20
Die Folgen dieser Entwicklung sind vor allem im rapiden Anstieg der Zuschauerzahlen und den zahlreichen Neugründungen von Fußballklubs seit 1875 sichtbar21. Trotz der meist nur dürftig ausgestatteten Stadien, in denen viele Zuschauer im Gedränge noch nicht einmal freie Sicht auf das Spielfeld hatten, wurde der Besuch eines Fußballspiels immer beliebter. Sahen in der ersten Saison der Football League in den Jahren 1888/89 602.000 Menschen die Partien, war die Zuschauerzahl bis 1905 auf 5 Millionen angewachsen22. Tony Mason stellt in diesem Zusammenhang fest, dass sich damit die Zusammensetzung der Zuschauer änderte: Noch in den 1880er Jahren gehörte ein nicht geringer Teil zur Mittelklasse oder zu wohlhabenden Schichten. Auch waren Frauen, die meist freien Eintritt hatten, keine Seltenheit im Stadion. As the crowds grew larger from the mid 1880s on, the evidence suggests that they became increasingly working class in composition with the ›stand‹ a bourgeois island in a sea of working-class faces.23
Nicht ganz einfach ist es, herauszufinden, welche Bedeutung die vielen neuen Anhänger dem Spiel beimaßen. Laut Mason fühlten sich wohl die wenigsten 16 17 18 19 20 21 22 23
Vgl. Walvin, The People’s Game, S. 62. Vgl. ebd., S. 52. Vgl. Eisenberg, English Sports und deutsche Bürger, S. 45. Walvin, The People’s Game, S. 69. Ebd., S. 69 f. Vgl. Eisenberg, English Sports und deutsche Bürger, S. 46. Vgl. Mason, Association Football and English Society, S. 141. Ebd., S. 153.
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»durch den von den Eliteschülern demonstrierten Korpsgeist, den Fair-PlayGedanken oder die Sonntagsreden über den ›gesunden Geist im gesunden Körper‹ angesprochen«24. Vielmehr dürften die mit dem Spiel verbundene Geselligkeit und der Nervenkitzel attraktiv gewesen sein, darüber hinaus wurde der Klub jedoch vor allem zum Symbol einer lokalen Identität. Die Pokalwettbewerbe förderten diese lokale Identifizierung, indem sie an die Rivalität zwischen Kommunen und sozialen Gruppen appellierten und dadurch Ehrgeiz, Spannung und Wettlust beim Zuschauer erzeugten25. Neben der massenhaften Verbreitung in der Arbeiterschaft markieren die Professionalisierung des Spiels und die damit einhergehenden Konflikte entscheidende Weichenstellungen für die Geschichte des englischen Fußballs. Nicht nur das Publikum, auch die Spielerschaft setzte sich zunehmend aus Arbeitern zusammen. Anders als die Gründer des Spiels, die sich die Meinung leisten konnten, ein Gentleman spiele nicht für Geld, waren die Athleten aus den working classes durchaus empfänglich für Entschädigungsleistungen, die ihren zeitlichen und finanziellen Aufwand im Dienste des Fußballklubs entlohnen sollten. Wann erstmals Spieler bezahlt wurden ist nicht bekannt – vermutlich Ende der 1870er Jahre – in den 1880er Jahren entbrannte jedoch eine heftige Diskussion um die Einführung des Berufsspielertums26. Die Gegner der Professionalisierung sperrten sich dagegen, dass Fußball von einem Freizeitvergnügen zum profitorientierten business werden sollte. Sie sahen außerdem die Gefahr, dass sich die großen, wohlhabenden Klubs auf Kosten der kleineren Klubs die besten Spieler sicherten, sodass die gesamte Struktur des Spiels gefährdet sei27. Die Befürworter bezahlten Spielertums führten dagegen an, dass dieses bereits existiere und nicht mehr rückgängig gemacht werden könne. Solange man davor die Augen verschließe, hätten die Spieler eine zu starke Position gegenüber den Klubs, da sie diese mit einer Offenlegung der illegalen Zahlungen erpressen könnten. Darüber hinaus würden in fast allen anderen Sportarten die Athleten bereits bezahlt. Nachdem einige Klubs, die bereits bezahlte Spieler beschäftigten, mit der Abspaltung von der FA drohten, konnten sich letztendlich die Befürworter durchsetzen, sodass im Juli 1885 das bezahlte Spielertum eingeführt wurde. Bereits wenige Jahre später ließ die schlechte Finanzsituation einiger Klubs Rufe nach einer Begrenzung des Lohns laut werden28. Nach zwei gescheiterten Anläufen beschloss die FA im Jahr 1900 die Einführung eines Maximallohns von 4 Pfund pro Woche29. Als zusätzliches Kontrollinstrument wurde das retain and 24 25 26 27
Mason, Großbritannien, S. 27. Vgl. ebd., S. 27. Vgl. Mason, Association Football and English Society, S. 69–71. Diese Argumente werden auch in der Gegenwart immer wieder angeführt, wenn über die Kommerzialisierung des Spiels und die Praxis der Spielerbezahlung diskutiert wird. 28 Vgl. ebd., S. 98. 29 Laut »Athletic Annual« betrug der Durchschnittslohn eines Profifußballers bereits 1893 3 Pfund pro Woche, im Vergleich zum Lohn eines Arbeiters lag jedoch auch der Maximallohn deutlich über dem Durchschnitt. Vgl. ebd., S. 96 und S. 101 f.
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transfer system eingeführt, welches den wilden Abwerbepraktiken einen Riegel vorschieben sollte30. Demnach durfte kein Spieler ohne die Zustimmung seines Klubs den Verein wechseln, es sei denn dieser gab ihn zu einem festgelegten Preis zum Transfer frei. Was vor allem den kleinen Vereinen ein hohes Maß an Kontrolle über ihre Talente sicherte, sorgte bei den Spielern für Unmut, da sie entweder auf die Willkür ihres Klubs angewiesen waren oder das Fußballspielen ganz aufgeben mussten. So war auch das wichtigste Ziel der seit den 1890er Jahren entstehenden Spielergewerkschaften, denen zunächst meist nur ein kurzes Überleben beschieden war, die Vertragsfreiheit der Spieler31. Auch in den Vereinen selbst führte der Erfolg des Spiels zu einer Professionalisierung. Bis in die 1880er Jahre hinein wurden die meisten Vereine von einem Mitgliederkomitee geführt, das auf einer Jahresversammlung gewählt wurde32. Zu den wichtigsten Aufgaben dieses Komitees gehörte es, die Klubfinanzen zu verwalten und zu vermehren. Einen einfachen Weg sahen die meisten Vereine seit Mitte der 1880er Jahre in der Professionalisierung der eigenen Strukturen durch die Umwandlung des Klubs in eine Kapitalgesellschaft (limited company). An dessen Spitze stand ein ehrenamtlicher director, der das Amt meist aus Prestigegründen innehatte bzw. sich als Unternehmer Werbeeffekte für die eigene Firma versprach. Die Dividenden der Klubs als Kapitalgesellschaften wurden von der FA auf 5 Prozent beschränkt, sodass wohl auch die Aktieninhaber weniger von Profitgier als von einer Affinität zum lokalen Fußballverein getrieben wurden. In den 1890er Jahren florierte rund um das Spiel eine eigene Industrie: Nicht nur die Vereine und Spieler profitierten vom erwirtschafteten Gewinn, sondern auch den Essensverkäufern im Stadion, den Sportartikelherstellern, der Presse und den Wettbüros nutzte die Popularität des Spiels33. Entfremdet wurden dagegen die Gründer des Spiels: It is clear that many middle-class institutions turned away from football in direct proportion to the rise of working-class football, with its professional elite, boisterous crowds and blatant commercialism.34
Äußeres Anzeichen für den Rückzug der Oberschicht aus dem Fußball war die Umstellung ihrer Schulen auf Rugby nach dem Ersten Weltkrieg. Mehr als der Fußball schien das Rugby-Spiel die bewährten public school-Tugenden der Selbstlosigkeit, Unabhängigkeit und des Amateur-Sportsgeists zu verkörpern35. Nachdem während des Ersten Weltkriegs der Spielbetrieb eingestellt worden war, erfuhr der englische Fußball in den 1920er Jahren einen Boom, der durch die wirtschaftliche Depression noch befördert wurde. 30 31 32 33
Vgl. ebd., S. 104–107. Vgl. ebd., S. 110–117; Walvin, The People’s Game, S. 89. Vgl. Mason, Association Football and English Society, S. 35. Vgl. Walvin, The People’s Game, S. 85–87; Die Anfänge der Kommerzialisierung liegen entgegen vieler Behauptungen im 19. und nicht erst im 20. Jahrhundert. 34 Ebd., S. 84–85. 35 Vgl. ebd., S. 120.
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From depression and unemployment there emerged new generations of footballers who sought in the game the material rewards unobtainable in industry. For their parts, the fans saw in their local teams a touch of colour and a source of pride which eluded them outside of the stadium. Football had been born of rising prosperity. In the inter-war years it was nurtured on hardship.36
In der Zwischenkriegszeit war das Spiel in England so erfolgreich, dass sich dort kaum jemand für die Entwicklungen im Ausland interessierte37. Der britische Fußball isolierte sich weitgehend von der internationalen Fußballgemeinschaft, da man im nationalistischen Klima der 1920er und 1930er Jahre anderen Verbänden die nötige Erfahrung und Kompetenz absprach.
2. Deutschland: Angestellten-Spiel und Ideologisierung Bereits vor der Jahrhundertwende hatte die Verbreitung des Spiels auf dem Kontinent von britischen Handelszentren aus seinen Anfang genommen. Entscheidend für den Erfolg in den Importländern war dabei, ob es den Anhängern des Spiels gelang, die abstrakte soziale Form des englischen Spiels mit konkreten Sinngebungen zu füllen38. So konnte der Fußball in Deutschland vor allem über seine nationale Ideologisierung sowie seine Nähe zu Staat und Militär Fuß fassen. Pendant zum englischen Fußballspiel als Massensport war im Deutschen Reich die Turnbewegung des 19. Jahrhunderts, weshalb der Fußball zunächst um seine Anhängerschaft kämpfen musste. Wie Christiane Eisenberg in ihrer Studie zur Entwicklung und Verbreitung des Sports in Deutschland herausgearbeitet hat, waren es vor allem die Angestellten als Angehörige der neuen bürgerlichen Mittelschichten, welche den Fußball für sich entdeckten und als dessen Trägerschicht fungierten39. Diese hatten ein ausgeprägtes Freizeitbewusstsein, das durch ein geregeltes Einkommen und die Verkürzung der Arbeitszeiten für Angestellte Ende des 19. Jahrhunderts genährt wurde. Die Verallgemeinerung des arbeitsfreien Sonntags für Angestellte bewirkte damit im Deutschland der 1890er Jahre einen ähnlichen Effekt für den Fußball wie die Einführung des arbeitsfreien Samstagnachmittags in England seit 1850, der dort zur Verbreitung des Spiels in der Arbeiterschaft beigetragen hatte. Ein wesentlicher Unterschied bestand jedoch darin, daß in England die ›clerks‹ und ›shop assistants‹ von den Segnungen der Gesetzgebung und damit vom Fußball ausgeschlossen blieben, 36 Ebd., S. 122. 37 Vgl. ebd., S. 128. 38 Vgl. Christiane Eisenberg, Einführung, in: Christiane Eisenberg (Hrsg.), Fußball, soccer, calcio. Ein englischer Sport auf seinem Weg um die Welt, München 1997, S. 7–20, hier S. 14. 39 Vgl. Eisenberg, English Sports und deutsche Bürger, S. 178–191.
Deutschland: Angestellten-Spiel und Ideologisierung
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während die deutsche Gesetzgebung genau diese Schicht für die Teilnahme freistellte. Das Fußballspiel wurde deshalb in Deutschland zunächst nicht Bestandteil der Ar beiter- sondern der Angestelltenkultur.40
Für die »traditionslose« Gruppe der Angestellten bot das in Deutschland »traditionslose« Fußballspiel damit eine günstige Projektionsfläche und Vergesellschaftungsplattform. Nach Gründung des Deutschen Fußballbundes im Jahr 1900 bildeten sie bis in die 1920er Jahre hinein das Gros des Mitgliederbestandes. In ihrer Symbolik suchten sie zum einen den Anschluss an das als Referenzgruppe betrachtete Bürgertum, und zum anderen an das Ideal des modernen Soldaten, der sich durch Selbstständigkeit und Pflichttreue auszeichnen sollte41. Im Kontrast zu England gab es in Deutschland mit Beginn des Ersten Weltkrieges keine Forderungen, das Fußballspielen einzustellen. Das Gegenteil war der Fall: nachdem Fußball bereits 1910 durch einen Militär-Turnerlass in den Ausbildungsplänen der Armee verankert worden war, entwickelte sich mit zunehmender Kriegsdauer unter den Frontsoldaten ein reger Spielbetrieb42. Für das Fußballspiel kam der Erste Weltkrieg einem Katalysatoreffekt gleich, da massenhaft junge Männer an der Front in Kontakt mit dem runden Leder kamen43. Im Vergleich zu 1914 hatte sich die Zahl der beim DFB registrierten Klubs im Jahr 1919 bereits verdreifacht. Insbesondere die männliche Arbeiterschaft wandte sich nach Kriegsende dem Fußball zu, wie der überproportionale Zuschauer zuwachs in Industrieregionen zu dieser Zeit zeigt44. Ebenso wie in England war es die Kombination aus neuen Kontaktpunkten (Militär, Unternehmen) und einem Mehr an Freizeit und verfügbarem Lohn, die eine massenhafte Verbreitung des Spiels in der Arbeiterschaft möglich machte. Auch in Deutschland war es vor allem der Faktor Lokalität, der bestimmend war für die Identifizierung des neuen vorstädtischen Proletariats mit dem vor Ort ansässigen Verein45. Dass jedoch auch das Spielniveau ausschlaggebend war für die Bindekraft eines Vereins – der »Erfolgsfan« ist kein ganz neues Phänomen – zeigt der Anhängerschwund weniger erfolgreicher Klubs: Die Zusammenfassung der spielstärksten Klubs zu immer neuen, den jeweils höchsten Klassen übergeordneten Ligen, hatte einen Ausleseprozess zur Folge, der Rückwirkungen auf die Vereinsbindung zeitigte. Zunehmend richtete sich das Interesse der Fans nun auf den erfolgreichsten Klub einer Stadt oder einer Region.46 40 Ebd., S. 183. 41 Vgl. Christiane Eisenberg, Deutschland, in: Christiane Eisenberg (Hrsg.), Fußball, soccer, calcio. Ein englischer Sport auf seinem Weg um die Welt, München 1997, S. 94–129, hier S. 102. 42 Vgl. ebd., S. 102 f. 43 Vgl. ebd., S. 104, Oswald, Fußball-Volksgemeinschaft, S. 94; Peter Tauber, Vom Schützengraben auf den grünen Rasen. Der Erste Weltkrieg und die Entwicklung des Sports in Deutschland, Münster 2008. 44 Vgl. Oswald, Fußball-Volksgemeinschaft, S. 95. 45 Vgl. ebd., S. 211. 46 Ebd., S. 247.
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Um den Teams hohe Kosten für lange An- und Abreisen zu ersparen, waren die DFB -Spielrunden ursprünglich sehr kleinteilig organisiert. Beispielsweise waren nach 1919 allein in Süddeutschland rund 100 Vereine erstklassig, in Mitteldeutschland gar 22047. Die Klubs sperrten sich aufgrund des befürchteten Zuschauerschwunds gegen Konzentrationsversuche, sodass erst 1933 mit Einführung der Gauligen eine erste entscheidende Reduzierung der Vereine in der höchsten Spielklasse durchgeführt wurde. Es sollte jedoch bis 1963 dauern, bis mit der Bundesliga eine nationale erste Liga nach englischem Vorbild gegründet wurde. Auch in Deutschland verursachte der Aufstieg des Fußballs zur Massenbewegung in den 1920er Jahren eine zunehmende Kommerzialisierung des Spiels. Die Einnahmen der Klubs stiegen überproportional, die Presse rund um den Ball florierte, und auch Unternehmen entdeckten das Spiel als Werbeplattform. Dass dennoch keine weitreichende Professionalisierung nach englischem Vorbild in Form von Berufsspielertum und unternehmerischen Vereinsstrukturen stattfand, hatte seinen Grund in einer anderen – spezifisch deutschen – Entwicklung48: Wie Rudolf Oswald in einer Diskursgeschichte zur Idee der »Fußball-Volksgemeinschaft« herausgearbeitet hat, fand nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland eine Ideologisierung des Fußballs statt, die dessen Verfasstheit auf Jahrzehnte hinaus prägen sollte49. Da einige Anhänger der bürgerlichen Körperkultur die militärische Niederlage auf Mängel in der Leibeserziehung zurückführten, war es für die Verfechter des Fußballs naheliegend, nach 1918 unter den Vorzeichen »Hebung der Wehrkraft« und »Volksgesundung« Werbung für das Rasenspiel zu betreiben. Mit dem Dogma des Fußballspiels als »Erziehung zur Gemeinschaft« und der weltanschaulichen Überhöhung des Mannschaftsgedankens konnte sich der Fußball gegenüber dem Turnen neu positionieren. So schrieb der Süddeutsche Fußballverband in seinem Jahrbuch 1925/26, die gesellschaftspolitische Relevanz des Fußballspiels liege darin begründet, »daß es ein Mannschaftsspiel« sei; »das Mannschaftsideal« erziehe »den Einzelnen zum Glied einer ganzen Macht«, wodurch für das Individuum »der Weg zur wahren Volksgemeinschaft […] frei« sei50. Fußball wurde somit mehr als alle anderen Sportarten zum Sinnbild holistischer Utopien, die in der »Volksgemeinschaft« einen harmonisch gegliederten Staatsorganismus anstrebten, in dem sich der
47 Vgl. ebd., S. 248. 48 In vielen anderen europäischen Ländern wurde der Berufsfußball in der Zwischenkriegszeit eingeführt, während dieser Schritt in Deutschland zunächst unterblieb. Vgl. Eisenberg, English Sports und deutsche Bürger, S. 341. 49 Vgl. Oswald, Fußball-Volksgemeinschaft, S. 48; Erik Eggers, »Berufsspieler sind Schädlinge des Sports, sie sind auszumerzen…«. Crux und Beginn eines deutschen Sonderwegs im europäischen Fußball: Die Amateurfrage im deutschen Fußball der Weimarer Republik, in: Wolfram Pyta (Hrsg.), Der lange Weg zur Bundesliga. Zum Siegeszug des Fußballs in Deutschland, Münster 2004, S. 91–112, hier S. 94 f. 50 Zit. n. Oswald, Fußball-Volksgemeinschaft, S. 73.
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Einzelne uneingeschränkt dem Ganzen unterordnete51. Diese anti-individualistischen Vorstellungen vertrugen sich natürlich nur schlecht mit dem Starkult um herausragende Spieler der Weimarer Republik, die noch dazu ihren Anteil an den Einnahmezuwächsen der Vereine einforderten. Neben diesen ideologischen Motiven, spielte auch die Steuergesetzgebung jener Zeit eine Rolle im Kampf um Amateurstatus und Berufsspielertum. Einige Vereine und der DFB befürchteten, dass mit der Legalisierung bezahlter Spieler der Status der Gemeinnützigkeit verloren ginge, und damit nicht nur eine höhere Besteuerung hinzunehmen sei, sondern auch staatliche Subventionen ausbleiben würden52. Zwar konnte sich zunächst der Westdeutsche Fußballverband mit seiner Forderung nach Berufsfußball durchsetzen, sodass 1932 dessen Einführung beschlossen wurde, jedoch wurde dieser Beschluss nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wieder ausgesetzt und bald darauf ein generelles Verbot von Profispielern ausgesprochen53. Während konfessionelle Verbände sowie der Arbeitersport 1933 in der Gleichschaltung des deutschen Sports 1933 zerschlagen wurden, gelang es dem DFB unter dem Vorsitzenden Felix Linnemann durch eine »beispiellose Anbiederung an die Politik« den eigenen Bestand zu sichern54. Das eigene holistische – und vormals als »unpolitisch« proklamierte – Weltbild wurde nun als Wegbereiter der NS -Volksgemeinschaft präsentiert55. Da sich die Maßnahmen gegen den Professionalismus jedoch vor allem auf eine Unterbindung der Diskussion über dieses Thema beschränkten, fand im Dritten Reich dennoch eine verdeckte Professionalisierung und Kommerzialisierung des Fußballs statt56. Nach 1945 änderte sich an diesen Verhältnissen wenig – politische Zäsuren gingen am Fußball vergleichsweise folgenlos vorbei – was nicht zuletzt mit der personellen Kontinuität im DFB zusammenhing57. Zwar wurde 1949 ein Vertragsspielerstatut eingeführt, das den bezahlten Fußball legalisierte, jedoch mit der Auflage, dass die Spieler gleichzeitig einen »ordentlichen Beruf« ausüben mussten und nicht mehr als 320 DM im Monat verdienen durften. Angesichts dieser Einschränkungen waren weitere Konflikte vorprogrammiert. Den historischen Verlauf der Amateurdiskussion, die in Deutschland Entwicklungen hinauszögerte, die in anderen Ländern schon längst vollzogen worden waren58, bezeichnete der Historiker Erik Eggers als Lehrstück. 51 Vgl. ebd., S. 67. 52 Dieses Argument wird vor allem von Nils Havemann stark gemacht. Vgl. Havemann, Fußball unterm Hakenkreuz, S. 56. 53 Vgl. Eisenberg, Deutschland, S. 112. 54 Oswald, Fußball-Volksgemeinschaft, S. 43. 55 Vgl. ebd., S. 44. 56 Vgl. Eisenberg, Deutschland, S. 112 f.; Eggers, Berufsspieler sind Schädlinge des Sports, S. 100–111. 57 Vgl. Eisenberg, Deutschland, S. 115. 58 Der bezahlte Fußball war in England 1885 (vgl. vorhergehender Abschnitt), in Österreich 1924, in Ungarn 1925, in der Tschechoslowakei und in Spanien 1926 sowie in Frankreich 1929 eingeführt worden. Vgl. Eggers, Berufsspieler sind Schädlinge des Sports, S. 100.
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Erster Teil: Fußball vor 1960 – von Wundern und Golden Ages
Ein Lehrstück darüber, wie ein zunächst kaum wahrgenommener Sportverband mithilfe eines ideologischen Überbaus zu enormen staatlichen und kommunalen Zuschüssen kam und diese Subventionen gegenüber der Politik selbst noch dann rechtfertigen und verteidigen konnte, als viele seiner Vereine den Fußball als offenes Geschäft betrieben.59
Erst in den 1970er Jahren war die Amateurideologie in der Praxis des deutschen Liga-Fußballs endgültig an ihr Ende gekommen. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs erlebten England und Deutschland einen beispiellosen Fußballboom. In beiden Ländern strömten in den späten 1940er und 1950er Jahren mehr Zuschauer in die Stadien denn jemals zuvor. Die englische Football League erreichte den Höhepunkt in der Saison 1948/49 mit über 41 Millionen verkauften Tickets – 30 Jahre später sollte es nicht einmal mehr die Hälfte davon sein60. In den Besatzungszonen der Bundesrepublik diente die Gründung mehrerer Oberligen zwischen 1945 und 1947 ebenfalls als »Initialzündung einer regelrechten Fußballeuphorie«61. Diese Euphorie wirkte sich nicht nur auf die Spiele der höchsten Spielklassen aus, sondern auch Spiele im Amateur- und Nachwuchs-Bereich wurden regelmäßig von tausenden Zuschauern angesteuert62. Der überraschende Sieg der deutschen Nationalmannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft 1954 tat sein Übriges, um die allgemeine Begeisterung für das Spiel anzufachen. Angesichts der Rekordzahlen ist es nicht verwunderlich, dass gerade diese Episode zum Stoff für Mythenbildungen wurde. Allerdings hat die Betrachtung der englischen Fußballgeschichte gezeigt, dass es sich keinesfalls um eine Art »unkommerzielle Vorzeit« des Fußballs handelte, sondern bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts Mechanismen der Professionalisierung und Kommerzialisierung am Werk waren. Ebenso blitzt im Narrativ des nationalen »Wir-sind-wieder-wer«-Gefühls zur Fußballweltmeisterschaft von 1954 eher die Tradition auf, den Fußball als Sinnbild einer »unpolitischen Volksgemeinschaft« zu betrachten als dass es sich dabei um eine angemessene Analyse handelte. Einige wenige Forschungsarbeiten erklären den Erfolg des Fußballs in den 1940er und 1950er Jahren aus den Umständen der Zeit heraus. So argumentiert James Walvin, dass
59 Ebd., S. 111. 60 Richard Holt, Sport and Recreation, in: Paul Addison / Harriet Jones (Hrsg.), A Companion to Contemporary Britain. 1939–2000, Malden, MA u. a. 2007, S. 110–126, hier S. 112. 61 Georg Rudinger / R alph Stöwer, Spundflasche, Miller, Rudzki, Turek, Morlock, die Walters, die Liebrichs. Vertragsspieler im Nachkriegsdeutschland, in: Uwe Baumann (Hrsg.), Kopfball, Einwurf, Nachspielzeit. Gespräche und Beiträge zu Aktualität und Geschichte des Fußballs, Essen 2008, S. 65–84, hier S. 71. 62 Vgl. für Deutschland Grüne, 100 Jahre Deutsche Meisterschaft, S. 290; für England Taylor, The Association Game, S. 193.
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Football’s popularity in the late 1940s was, then, part of a much broader outburst of pleasure seeking, as the British people returned to their traditional pleasures with a vigour and on a scale never witnessed before.63
Peter Hennessy argumentiert in seiner Studie zu Großbritannien in den 1950er Jahren, dass es parallel zur »full employment policy« eine »unplanned full enjoyment policy« gegeben habe64. Unter den besonderen Bedingungen im England der 1940er Jahre – mit niedriger Arbeitslosigkeit bei fortgesetzten Rationierungen – »the people had money to spend but little to spend it on«65. Demnach profitierten vor allem die Angebote, die sich bereits zur Vor- und Zwischenkriegszeit großer Beliebtheit erfreuten, vom Unterhaltungshunger der Massen. Ähnliche Beobachtungen lassen sich auch für Westdeutschland machen, wo sich ebenfalls die Beschäftigung ausweitete, während die Konsummöglichkeiten bis Mitte der 1950er Jahre noch stark eingeschränkt waren66. Nichtsdestoweniger sah sich der Fußballsport in England und Deutschland mit Problemen konfrontiert, die sich wenige Zeit später kumulieren sollten. Insbesondere die Berufsspielerfrage war alles andere als gelöst. So zeigte sich auch bei diesem Thema die erste Sollbruchstelle, an der in beiden Ländern strukturelle Defizite des Fußballsports offenkundig wurden und folgenreiche Veränderungen durchgeführt werden mussten. Auf gesellschaftlicher Ebene kam die Eigendynamik der Wohlstandsgesellschaft als Herausforderung hinzu, da sich die Vereine eher unvorbereitet mit einem eklatant gewandelten Freizeitverhalten der Zuschauer konfrontiert sahen. Als weiterer Faktor des Problembündels, das den Fußball in den 1960er Jahren erwartete, entpuppte sich die Verbreitung des Fernsehens, welches die Darstellungsart des Spiels sowie die möglichen Konsumformen der Zuschauer entscheidend veränderte.
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Walvin, The People’s Game, S. 155. Peter Hennessy, Having it so Good. Britain in the Fifties, London, New York 2007, S. 88. Taylor, The Association Game, S. 194. Schildt / Siegfried, Deutsche Kulturgeschichte, S. 99 f.
Zweiter Teil: Fußball als Verlierer der Wohlstandsgesellschaft? 1961–1978
Die 1960er und 1970er Jahre waren im englischen sowie im deutschen Fußball von sehr gegenläufigen Entwicklungen gekennzeichnet. Einerseits brachte diese Zeit die ersten Fußball-Superstars hervor, zu denen Spieler wie George Best, Bobby Moore, Uwe Seeler, Günther Netzer oder Franz Beckenbauer zählten. Möglich machte dies zum einen die Verbreitung des Fernsehens, welches dem Spiel und seinen Persönlichkeiten eine neue Form der Präsenz verschaffte. Zum anderen war es die Entgrenzung der Gehälter, die in England 1961 und in der Bundesrepublik 1971 durchgesetzt wurde, welche den Profispieler endgültig seinem ursprünglichen lokalen und sozialen Umfeld entrückte und auf eine Stufe mit gutbezahlten Entertainern stellte. Beide Länder feierten darüber hinaus den Sieg einer Fußballweltmeisterschaft – 1966 und 1974 sind noch heute magische Daten der jeweiligen nationalen Fußballgeschichte. In den Spielzeiten nach dem Erfolg des Nationalteams war stets auch in den Vereinsligen ein stärkerer Zuschauerandrang spürbar. Abgerundet wird dieses Bild einer goldenen Ära des Profifußballs von der Tatsache, dass sowohl englische als auch deutsche Klubs zahlreiche Erfolge in europäischen Vereinswettbewerben verzeichnen konnten. Andererseits bildete sich in dieser Zeit eine Problemkonstellation heraus, die bis Ende der 1980er Jahre Bestand haben sollte und sich zunehmend verschärfte. Fast alle Vereine in England und Deutschland gerieten früher oder später in einen Teufelskreis aus sinkenden Einnahmen aufgrund fehlender Zuschauer bei gleichzeitig explodierenden Kosten durch immer teurere Spieler. Während heute die Ticketeinnahmen an der Stadionkasse nur noch einen kleinen Teil der Vereinsfinanzen ausmachen, stellten sie zu jener Zeit die wichtigste Einnahmequelle dar. An die gegenwärtigen Rekordgelder aus TV-Rechten, Sponsoring und Merchandising war noch nicht zu denken. Die ökonomischen Probleme hingen aufs engste mit einem gleichzeitig stattfindenden fundamentalen gesellschaftlichen Wandel zusammen. Ebenso wie der Gang ins Theater oder ins Kino, gehörte der Besuch des Fußballstadions zu den etablierten Freizeitaktivitäten, die zwar in der unmittelbaren Nachkriegszeit eine Blüte erlebten, jedoch ab Mitte der 1950er Jahre wahrnehmbar an Attraktivität verloren. Die englische Times konstatierte 1961 nüchtern, Fußball sei nicht länger das Opium des Volkes, es herrsche nun »a greater awareness of standards and comfort«1.
1 No Longer a Place for Poor Clubs. Football at the Crossroads, in: The Times vom 11.11.1961, S. 9.
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Zweiter Teil: Fußball als Verlierer der Wohlstandsgesellschaft? 1961–1978
Yet some 12 and a half millions have disappeared from the turnstiles since 1949. Those are the telling figures. But, what in truth has evaporated is the interest of those who attached their fickle fancy to all forms of entertainment in the boom years after the war. That large floating vote has drifted away and the hard core of genuine support remains.2
Auch der Bundesliga wurde nur wenige Jahre nach ihrer Gründung vom Spiegel der »Abstieg in die Pleite«3 attestiert. »In der Herbstrunde 1970 sank die Elite der Fußball-Klubs auf den Tiefstand ab: Fast jeder dritte Zuschauer blieb aus – insgesamt 353 262 Zahler allein gegen 1969.« Der Fußballzuschauer müsse in einer Art Kampfanzug erscheinen, um bei den unzulänglichen Anlagen mit Witterungsunbilden fertig zu werden. […] Oft sind die auf sumpfigen Wiesen und in Sandkuhlen angelegten Parkplätze kilometerweit von den Tribünen entfernt. Bei schlechtem Wetter stapfen die Zuschauer durch knöcheltiefen Morast und treffen schon mit nassen Füßen auf ihren ungeschützten Standplätzen ein.4
Während also das Stadion zunehmend seine Anziehungskraft als Fußball-Bühne einbüßte, bildete sich zeitgleich ein neuer Schauplatz des Fußballgeschehens heraus: die Verbreitung des Fernsehens veränderte dauerhaft die Sehgewohnheiten des Publikums und stellte die Institutionen des Fußballs vor immense Herausforderungen. Alle Klagen der Fußballverantwortlichen über den »Erzfeind hinter der Fernsehlinse«5 und den »satten Bürger«, der das Spiel lieber »bequem im Sessel, Zigarette und Glas in der Hand«6 genieße, waren zwecklos. Für einen Großteil der Zuschauer auf der Insel und auf dem Kontinent gehörten die samstäglichen Fußballsendungen sehr bald zum festen wöchentlichen Ritual, wie dies vormals für den Stadionbesuch der Fall war. Das Ende des beispiellosen Zuschauerbooms im Fußball fiel in beiden Ländern in eine Phase wachsenden gesellschaftlichen Wohlstands. Es ist kein Zufall, dass sich diese zwei Entwicklungen überschnitten, vielmehr war die neue Prosperität der maßgebliche Grund dafür, dass sich die Erwartungshaltung der Zuschauer und somit auch die Rahmenbedingungen des professionellen Vereinsfußballs von Grund auf veränderten. Im Folgenden sollen daher die konkreten Veränderungen, die die Erfahrung stetig steigenden Wirtschaftswachstums und Wohlstand mit sich brachte, in Bezug gesetzt werden zum gleichzeitig stattfindenden Wandel im Zuschauerverhalten sowie im Status und Selbstbild der Spieler. Des Weiteren stellt sich die Frage, wie die Funktionäre in Fußballvereinen und -verbänden mit diesen Herausforderungen umgingen. Ins2 Ebd. 3 So der Titel der Spiegel-Ausgabe vom 8.2.1971. 4 Verspielte Millionen, in: Der Spiegel 7 vom 8.2.1971. 5 Hildebrand Kelber, Fernsehen raus! Das Problem liegt auf dem Tisch. Keiner will es offensichtlich so richtig anpacken, in: Kicker-Sportmagazin 93 vom 19.11.1970, S. 10. 6 Helmut Dirschner, Ist die Bundesliga wirklich so schlecht? Teil 6: Konkurrenz Fernsehen, in: Kicker-Sportmagazin 6 vom 15.1.1973, S. 18 f.
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besondere die Beziehung zwischen Fußball- und Fernsehinstitutionen offenbart eine Ambivalenz zwischen Konservatismus und Modernisierungsbestrebungen, die kennzeichnend für die Haltung der Entscheidungsträger war.
1. Mängel und Modernisierung: Das Stadion als symbolischer Ort der Fußball-Entwicklung »Sind unsere Stadien wirklich so schlecht wie ihr Ruf?«, fragte ein 1973 erschienener Artikel des Kicker-Sportmagazins7. Zu kritisierende Stadion-Mängel aus Sicht des Zuschauers seien unbequeme Sitzplätze oder Bänke, zu wenig überdachte Plätze, lange Anmarschwege, schlechte Parkmöglichkeiten, unzureichende sanitäre Anlagen, wobei an das weib liche Geschlecht fast nirgendwo gedacht [sei], zu hohe Eintrittspreise, schlechte Sicht und zu weite Entfernung zum Geschehen durch Aschenbahn und zu breit (statt steil) angelegte Trassen, zu wenig Innenräumlichkeiten für einen angemessenen Service und (bei Abendveranstaltungen) zuweilen unzureichendes Flutlicht.8
Als negatives Vorbild für den Niedergang der deutschen Stadien wurde die englische Entwicklung herangezogen. So mahnte der Autor des Artikels, dass dem deutschen Fußball genau das zum Problem zu werden drohe, was man »1966 in England angesichts der WM in den veralteten Stadien als ›billig‹ und ›provisorisch-primitiv‹« empfunden habe9. Diese Einschätzung der britischen Stadien galt keinesfalls nur aus deutscher Perspektive, sondern war auf der Insel schon in den frühen 1960er Jahren ein allgemeiner Konsens. Die Times forderte bereits 1961 [r]easonable accomodation under cover, more seating, extended facilities for refreshment, an hygienic toilets instead of evil-smelling shanties where only a tottering sheet of corrugated iron stands between modesty and a breach of the peace.10
Dieselben englischen und deutschen Stadien, die in den 1940er und 1950er Jahren noch überquollen vor Fußballbegeisterten, sodass diese auch auf dem Spielrasen und auf umliegenden Bäumen Platz nehmen mussten, genügten scheinbar immer weniger den allgemeinen Ansprüchen. Die Mängelliste der Zuschauer 7 Der Artikel war als vierter Teil der Serie »Ist die Bundesliga wirklich so schlecht?« erschienen, die sich mit den Krisenerscheinungen der Bundesliga beschäftigte. Vgl. Karl-Heinz Jens, Ist die Bundesliga wirklich so schlecht? Teil 4: Die Stadien, in: Kicker-Sportmagazin 4 vom 8.1.1973, S. 14. 8 Ebd. 9 Ebd. 10 Eric Todd, Paying Public is Entitled to Expect Top Quality Fare. Strike Fear Overclouds New Season, in: The Guardian vom 19.8.1961, S. 6.
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war in beiden Ländern lang. Kritisiert wurden vor allem der mangelnde Komfort auf den Rängen durch fehlende Sitzplätze und Überdachungen, schlechte Hygienebedingungen, zu wenige Parkplätze und Erfrischungsmöglichkeiten sowie überteuerte Preise. Zur Einordnung dieser Entwicklung ist zunächst ein kurzer Blick auf die Theorie und Geschichte des Stadionbaus hilfreich: »A sports stadium is essentially a huge theatre for the presentation of heroic feats«11 – so definierten der Stadtplaner Geraint John und der Architekt Rod Sheard das Stadion in ihrem Standardwerk zur Stadionarchitektur. Jedoch haben sich sowohl das Erscheinungsbild des Stadions als Ort, als auch Hintergrund und Lebensgewohnheiten der dort anzutreffenden Akteure mit der Zeit grundlegend verändert12. »Könnte man die Geschichte des modernen Stadionbaus als Video im Schnelldurchlauf betrachten,« bringt der Kunsttheoretiker Camiel van Winkel die Stadionentwicklung des 20. Jahrhunderts auf eine knappe Formel, würde eine langwierige und kontinuierliche Einschließung der Masse sichtbar. Diese Bewegung – wie eine Auster, die sich langsam schließt – wird symbolisch durch jene Schiebedächer wiederholt, mit denen die neuesten Stadien seit den 1990er Jahren ausgestattet sind.13
In der Forschung hat sich zur weiteren Periodisierung der Veränderungen im Stadiondesign Sheards Theorie der fünf Stadiongenerationen als hilf- und einflussreich erwiesen14. Diesem Modell zufolge lag in der ersten Generation, den von Mitte des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts erbauten Stadien, der Schwerpunkt darauf, möglichst viele Menschen unterzubringen – der Qualität der Anlagen und dem Komfort der Zuschauer wurde dabei nicht allzu viel Aufmerksamkeit geschenkt15: »Despite the growth and popularity of sport as a form of mass entertainment, the venues – the first generation of stadia – were large and distinctly uncomfortable places with minimal facilities.«16 Mit der Verbreitung des Fernsehens und den gleichzeitig sinkenden Zuschauerzahlen 11 Geraint John / Rod Sheard, Stadia. A Design and Development Guide, Oxford, Boston 1994, S. 1. 12 Dass es sich dabei um einen komplexen, von Brüchen und Krisen geprägten Prozess handelte, in dessen Verlauf sich keinesfalls nur Heldentaten im Stadion zutrugen, zeigt zum Beispiel die unerwünschte Aneignung der englischen und zum Teil auch der deutschen Stadien durch gewaltbereite Fußballanhänger in den 1980er Jahren. Zu jener Zeit war es undenkbar, dass die heruntergekommenen Fußballstadien schon bald nicht mehr als Symbole des Niedergangs gelten sollten, sondern von Stadtplanern zu den identitätsstiftenden urban icons des 21. Jahrhunderts erhoben werden würden. 13 Camiel van Winkel, Tanz, Disziplin, Dichte und Tod. Die Masse im Stadion, in: Matthias Marschik / Rudolf Müllner / Georg Spitaler / Michael Zinganel (Hrsg.), Das Stadion. Geschichte, Architektur, Politik, Ökonomie, Wien 2005, S. 229–257, hier S. 251. 14 Rod Sheard, The Stadium. Architecture for the New Global Culture, Hongkong 2005, S. 100–116. Sheard beansprucht für seine Theorie zwar globale Gültigkeit, seine Beobachtungen stammen jedoch hauptsächlich aus Großbritannien, den USA und Australien. 15 Vgl. ebd., S. 103. 16 Ebd., S. 106.
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bei Sportveranstaltungen, stieg seit Ende der 1950er Jahre jedoch der Druck, die Stadien komfortabler zu gestalten. Die Antwort waren die Sportstadien der zweiten Generation, die dem Zuschauer das Live-Erlebnis wieder schmackhaft machen sollten, indem sie einen besseren Schutz vor Wind und Wetter, bequemere Sitzplätze sowie Ess- und Trinkgelegenheiten boten. Ästhetisch waren diese auch »Betonschüsseln« genannten Stadien jedoch nach wie vor wenig ansprechend17. Vorbild für die Entwicklung einer dritten Stadiongeneration waren Vergnügungsparks wie das amerikanische Disneyland. Bereits Mitte der 1970er Jahre waren Architekten auf die Idee gekommen, Sportstadien zu sicheren und sauberen Vergnügungsorten für die ganze Familie umzugestalten, um mit Freizeitparks konkurrieren zu können. Jedoch fehlten insbesondere im europäischen Fußball bis in die 1990er Jahre hinein die Gelder, um derlei Pläne großflächig umsetzen zu können. Als Katalysator für die Entstehung der vierten Generation wirkten die Gelder aus Privat- und Satellitenfernsehen, welche seit den 1990er Jahren die Stadionmorphologie nach den Erfordernissen des Fernsehens umformten. Das Stadion sei nun the ›backdrop‹ to the televised performance and optimum lighting levels are required for high resolution colour transmissions. […] The on-screen image of a stadium is crucial to television coverage, as a packed 40,000 seat stadium has much more atmosphere than a 80,000 seat stadium which is half full. Acoustic considerations and the acknowledgement of spectator participation have now become key design factors.18
Sheards fünfte Stadiongeneration zeichnet sich durch ihre städtebauliche Bedeutung aus: Insbesondere in Städten, in denen der Strukturwandel den Niedergang von Stadtvierteln und Industriegebieten mit sich brachte, wurden Stadien im 21. Jahrhundert zum Sinnbild urbaner Regeneration. Als Teil einer umfassenden stadtplanerischen Vision sollten sie zur emotionalen Akzeptanz des jeweiligen Gebiets beitragen. Von Bedeutung sei »not just the event, there is an ›afterglow‹ and this illuminates the whole area«19. Die verschiedenen Generationen wirken zum Teil schablonenhaft und lassen sich nicht immer trennscharf voneinander unterscheiden. Dennoch dient Sheards Modell als guter Ausgangspunkt, um an eigene Beobachtungen hinsichtlich der Veränderungen der Stadionästhetik anzuknüpfen. Sheards Generationenmodell zufolge entzündete sich die eingangs erwähnte Kritik an der ersten Stadiongeneration, welche zwischen Mitte des 19. und Mitte des 20. Jahrhunderts erbaut worden war und nun in den 1960er Jahren in eine Krise geriet. Den Erbauern dieser ersten Stadien war zunächst lediglich an der Trennung des Umgebungsraums vom Innen- und Zuschauerraum gelegen, um
17 Vgl. ebd., S. 107. 18 Ebd., S. 116. 19 Ebd., S. 117.
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Abb. 1: Goodison Park, Stadion des FC Everton im Jahr 1964. Gut erkennbar ist hier die Lage im dichtbesiedelten Wohngebiet, die einen Ausbau sehr schwierig machte. Quelle: imago / United Archives International
Einnahmeverluste durch Zaungäste zu vermeiden20. Mithilfe von Zäunen und Mauern, Wällen und Tribünen wurde das oftmals bereits zuvor vorhandene Fußballfeld bestmöglich vom Umland abgegrenzt und vor unerwünschten Blicken geschützt. In England handelte es sich meist um reine Fußballstadien, die mitten in städtischen Wohngebieten lagen, was zur Folge hatte, dass aufgrund des Platzmangels die Tribünen steil und dicht an den Spielfeldrand gebaut worden waren (vgl. Abb. 1)21. Simon Inglis betont in diesem Zusammenhang, dass die Form und Ausstattung der englischen Stadien nicht etwa aus ästhetischen Erwägungen oder aus Rücksicht auf die Bedürfnisse des Publikums entstanden sei, sondern »because they were cheap to build and could pack in as many punters as possible, with minimal extra facilities«22. Stilprägend war 20 Markus Schroer, Vom ›Bolzplatz‹ zum ›Fußballtempel‹. Was sagt die Architektur der neuen Fußballstadien über die Gesellschaft der Gegenwart aus?, in: Gabriele Klein / Michael Meuser (Hrsg.), Ernste Spiele. Zur politischen Soziologie des Fußballs, Bielefeld 2008, S. 155–173, hier S. 160. 21 Vgl. Christoph Randl, Das Fußballstadion. Ein Typus moderner Architektur, in: Markwart Herzog / U lrich von Berg (Hrsg.), Fußball als Kulturphänomen. Kunst – Kultur – Kommerz, Stuttgart 2002, S. 179–196, hier S. 186. 22 Simon Inglis, Football Grounds of Britain, London 1996, S. 9.
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in besonderem Maße der schottische Architekt Archibald Leitch (1865–1939), dessen Firma allein 27 Stadien in Großbritannien baute. Mit seinen eher nach funktionalen denn nach ästhetischen Kriterien errichteten Stadien hinterließ Leitch seine Spuren in ganz England, unter anderem in London (Highbury / Arsenal, Stamford Bridge / Chelsea, White Hart Lane / Tottenham Hotspurs u. a.), Liverpool (Anfield / Liverpool FC , Goodison Park / Everton) und Manchester (Old Trafford / Manchester United). Typisch für Leitch waren Backsteingebäude, die den Zweckbauten des Industriezeitalters ähnelten. Ihre Haupteingänge wirkten mit ihren großen Uhren in der Mitte des Portals wie eine Mischung aus Bahnhof und Fabrik23. Vielen anderen Stadien lag dagegen kein einheitliches architektonisches Konzept zugrunde, vielmehr wurden sie nach und nach um Tribünen, Sitzplätze oder vereinzelte Überdachungen erweitert. Um 1920 entsprachen die meisten Stadien in England einem ähnlichen Schema mit nur geringen individuellen Abweichungen24: Die Umrandung bestand aus einer überdachten Haupttribüne, dem Grandstand, und drei offenen Terraces, die meist hölzern und auf Erdhügeln gebaut waren. Seit den 1960er Jahren wurden die Holztribünen in einigen Vereinen durch Betonanlagen ersetzt25. In Deutschland dominierten seit den 1920er Jahren die sogenannten »Kampfbahnen« das Erscheinungsbild von Fußballstadien. Im Gegensatz zu den kompakten englischen Stadien handelte es sich bei ihnen um riesige, multifunktionale Anlagen, die ursprünglich mehr dem Gedanken der allgemeinen und körperlichen und geistigen Ertüchtigung im Geiste von Turnvater Jahn verpflichtet waren als dem Fußball26.
Eine ovalförmig um das Spielfeld angelegte Aschenbahn mit ringsherum flach ansteigenden Zuschauerrängen vermittelte den Eindruck von Monumentalität und Weitläufigkeit27. So, wie diese Stadien angelegt waren – flach, zum Teil sogar in die Erde eingelassen, und nach oben hin fast völlig offen – fügten sie sich mehr in die umgebende Landschaft denn sich von dieser scharf abzugrenzen, wie dies bei den gegenwärtigen Stadien der Fall ist. Für die Zuschauer bedeutete der Bautypus der Kampfbahn, dass sie meist weit entfernt vom Spielfeld saßen und eine mitreißende Atmosphäre nur entstehen konnte, wenn die ausladenden Tribünen gut gefüllt waren (vgl. Abb. 2). Beispiele für Bauten dieser Zeit sind das Stadion Rote Erde in Dortmund, die Glückaufkampfbahn in Gelsenkirchen, das Müngersdorfer Stadion in Köln oder das Frankenstadion in Nürnberg. 23 Vgl. Rudi Raschke, Stadion, München 2006, S. 63. 24 Vgl. Tony Mason (Hrsg.), Sport in Britain. A Social History, Cambridge, New York 1989, S. 153. 25 Dass dies jedoch nicht überall der Fall war, zeigte die Brandkatastrophe von Bradford 1985, bei der durch einen Tribünenbrand 39 Menschen ums Leben kamen. 26 Randl, Das Fußballstadion, S. 183. 27 Inspiriert war das architektonische Konzept vom Olympiastadion in Stockholm (1912), welches einem antiken Amphitheater nachempfunden war. Vgl. ebd.
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Abb. 2: Blick von der Zuschauertribüne des Niedersachsenstadions in Hannover beim Finale um die Deutsche Meisterschaft 1961. Aus dieser Perspektive wird deutlich, wie weit die Zuschauer in diesem ausladenden Stadiontyp vom Spielfeld entfernt waren, was sowohl an den flach angelegten Tribünen als auch an der umlaufenden Tartanbahn lag. Quelle: imago / Ferdi Hartung
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kam es zunächst weder in England noch in Deutschland zu bemerkenswerten baulichen Veränderungen. Zwar wurden die Stadien seit den späten 1950er Jahren mit Flutlicht ausgestattet und einige Tribünen zusätzlich überdacht, aber von einer neuen Stadiongeneration konnte noch keine Rede sein. Vorangetrieben wurde die Entwicklung vor allem in den USA . Dort entstand mit dem Astrodome 1965 das erste geschlossene und voll-klimatisierte Sportstadion (vgl. Abb. 3)28. Gigantische Bildschirme sorgten dafür, dass der Zuschauer das Fernseherlebnis nicht missen musste, während er von einem gepolsterten Sitz aus das Live-Spiel verfolgte. In den Worten von Inglis war der Astrodome »a building that rejoiced the possibilities of the age […]. You didn’t have to be an expert to acknowledge that the Astrodome was far ahead of its time«29. Auf Zeitgenossen in Europa musste der Astrodome wie ein Raumschiff von einem anderen Planeten wirken – vergleichbare Entwürfe sollten dort erst in den 1990er Jahren Einzug halten.
28 Vgl. Sheard, The Stadium, S. 109. 29 Simon Inglis zit. n. ebd., S. 109.
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Abb. 3: Astrodome in Houston, eröffnet 1965 als erste Multifunktionsarena mit einem geschlossenen Dach. Rundherum befinden sich riesige Parkplatz-Flächen. Quelle: imago / Leemage
Als Motor der Stadionmodernisierung wirkten im Fußball häufig große Turniere wie Welt- und Europameisterschaften. Waren 1966 die englischen Weltmeisterschaftsstadien noch wenig glamourös, so wurden bei der WM 1970 mit dem Azteken-Stadion in Mexiko City auch für den Fußball neue Maßstäbe gesetzt. Jenes fasste 115.000 Zuschauer, welchen durch steile Tribünen am Spielfeldrand eine exzellente Sicht geboten wurde und beherbergte zusätzlich 751 LuxusLogen, die zu hohen Preisen vermietet wurden. Die Reporter des Kicker berichteten erstaunt über die dargebotenen Annehmlichkeiten: Wir besichtigten eine dieser Luxus-Logen, die zweigeteilt sind, in einen geschlossenen Raum hinter der Glaswand und dem davor gelagerten offenen Raum mit dreimal drei Sitzen. Im geschlossenen Raum befindet sich ein Eisschrank, ein Fernsehgerät, Tisch und Stühle, Klosett abgetrennt. Ein weicher Teppich dämpft die Schritte. Selbstverständlich kann jeder Logeninhaber mit dem Wagen in den ersten Stock auf den für ihn reservierten Parkplatz fahren Das eine Telefon verbindet mit der Außenwelt, das andere ruft den Kellner vorbei. Manche Logen-Einrichtung kostet 100.000 Mark.30
30 Walter Setzepfandt, Luxus-Logen nur für Millionäre. Das Azteken-Stadion in Mexiko-City hat 751 Logen auf 100 Jahre vermietet – jede mit Fernsehgerät, Eisschrank, Teppich, Toilette, in: Kicker-Sportmagazin vom 20.1.1969, S. 4 f.
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Auch in Deutschland brachte die Fußballweltmeisterschaft einen neuen Entwicklungsschub. Wurde Ende der 1960er Jahre noch bemängelt, dass kein deutsches Stadion den Ansprüchen einer Fußball-Weltmeisterschaft genüge, ergriffen aus Anlass des wichtigsten Fußball-Turniers viele Städte die Gelegenheit, neue Sportanlagen zu bauen oder alte Stadien umzubauen31. Für den FC Bayern München entpuppte sich der Bau des Olympiastadions der Spiele von 1972, finanziert durch Bund, Land und Kommune, als Glücksfall: Die Zeltdacharena war nicht nur von vorneherein dank einer vollautomatischen Beregnungsanlage sowie einer Rasenheizung für den ganzjährigen Fußballbetrieb ausgestattet, sondern konnte dem Publikum bei einem Fassungsvermögen von 78.000 Zuschauern auch den Luxus von 48.000 Sitzplätzen bieten32. In Gelsenkirchen wurde die alte Glückauf-Kampfbahn durch das Parkstadion ersetzt, welches im architektonischen Typ dem ebenfalls neu erbauten Rheinstadion in Düsseldorf (vgl. Abb. 4) oder dem Westfalenstadion in Dortmund ähnelte33: Im Gegensatz zum Münchner Olympiastadion waren sie ästhetisch wenig ansprechend und wurden deshalb häufig als »Betonschüsseln« bezeichnet. Für den Zuschauer bedeutete diese zweite Stadiongeneration jedoch ein Mehr an Komfort durch zahlreiche Sitzplätze, eine Ausweitung der Überdachung, verbesserte Imbiss-Angebote und eine erhöhte Anzahl an Sanitäreinrichtungen. Eine Zuschauerbefragung der Stiftung Warentest aus dem Jahr 1977 bestätigte, dass der Stadionkomfort im Durchschnitt als zufriedenstellend beurteilt wurde – insbesondere die neu gebauten Stadien schnitten bei der Bewertung gut ab34. Kritik wurde nun vor allem am schlechten oder fehlenden Rahmenprogramm sowie an den hohen Preisen für Eintritt, Getränke, Würstchen und Zigaretten geübt. Die negative Zuschauerentwicklung der folgenden Jahre sollte zeigen, dass der Um- und Neubau der Stadien jedoch allein nicht ausreichte, um eine Krise des deutschen Profifußballs aufzuhalten. In England fanden nur vereinzelt vergleichbare Modernisierungen statt. Die wenigen Verbesserungen betrafen meist lediglich die hochpreisigen Plätze, während an den günstigeren Segmenten kaum etwas verändert wurde35. So erweiterten beispielsweise die Tottenham Hotspurs Mitte der 1960er Jahre das Sitzplatzangebot von 15 auf 28 Prozent, wodurch sich ihre Zuschauerzahlen 31 Vgl. Zur Fußball-WM 1974 in Deutschland: Kein Stadion genügt den Ansprüchen, in: Kicker-Sportmagazin 89 vom 4.11.1968, S. 12; Kay Schiller, Bundesliga-Krise und Fußball-Weltmeisterschaft 1974, in: Wolfram Pyta (Hrsg.), Geschichte des Fußballs in Deutschland und Europa seit 1954, Stuttgart 2013, S. 139–155. 32 Vgl. Swantje Scharenberg: Nachdenken über die Wechselwirkung von Architektur und Wohlbefinden. Das Olympiastadion in München, ein politischer Versammlungsort, in: Matthias Marschik / Rudolf Müllner / Georg Spitaler / Michael Zinganel (Hrsg.), Das Stadion. Geschichte, Architektur, Politik, Ökonomie, Wien 2005, S. 153–172, hier S. 167; Heinz Wiskow, Bayerns Goldgrube, in: Kicker 88 vom 30.10.1972, S. 23. 33 Vgl. Randl, Das Fußballstadion, S. 185 34 Stiftung Warentest, Düsseldorf wurde Service-Meister. Zuschauer beurteilen Dienstleistungen und Komfort in 18 Bundesliga-Stadien, in: Test. Die Zeitschrift für den Verbraucher vom August 1977, S. 19. 35 Vgl. Walvin, The People’s Game, S. 186.
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Abb. 4: Rheinstadion in Düsseldorf im Jahr 1972. Im Jahr 2002 wurde das Stadion wieder abgerissen und durch eine Mehrzweck-Sportanlage ersetzt. Quelle: imago / W EREK
stabilisierten36. Es gab demnach bei den englischen Zuschauern zwar durchaus die Bereitschaft, für besseren Komfort in den Stadien höhere Preise zu bezahlen, jedoch schufen die Vereine selten ein entsprechendes Angebot. Dies war hauptsächlich auf die finanzielle Notlage eines großen Teils der Profiklubs zurückzuführen. In den 1980er Jahren hatte sich die Situation schließlich soweit zugespitzt, dass die heruntergekommenen Stadien mitsamt ihren delinquenten Zuschauern zum Symbol für den Niedergang des Fußballs im Speziellen und der britischen Gesellschaft im Allgemeinen abgewertet wurden.
2. Zuschauer in der Wohlstandsgesellschaft: Zu bequem fürs Stadion? Unbestritten gehören die Zuschauer – neben den Spielern – zu den hör- und sichtbaren Hauptakteuren im Stadion, die einen entscheidenden Anteil an der Atmosphäre haben. Obwohl gerade die weitläufigen deutschen Anlagen nicht 36 Vgl. Political and Economic Planning, English Professional Football, London 1966, S. 112.
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sehr vorteilhaft gebaut waren, wenn es darum ging, Stimmungen an einem Ort zu verdichten, erzeugte meist die schiere Masse der Fußballanhänger einen überwältigenden Effekt. Der englische Fußball war stets berühmt für die intensive Atmosphäre in seinen vergleichsweise hoch und gedrängt konstruierten Stadien. Gerade weil der Zuschauer so immens wichtig ist für die gelungene Darbietung des Spiels, wurde der in England in den 1950er Jahren und in Deutschland in den 1960er Jahren einsetzende Zuschauerschwund zu einem intensiv diskutierten Thema. Der britische Guardian stilisierte das Problem gar zu einer Frage über Leben und Tod für das Spiel: Die Stimmung in den halb oder dreiviertel leeren Stadien vermittle ein Gefühl dafür how much professional soccer owes to the involvement in large numbers of spectators and how great the danger is of the game as we know it dying in this country unless ways can be found of tempting the crowds back to the terraces. […] Modern football was born with huge crowds and is becoming increasingly moribund not merely because people stay away but because those who do come do not have the sense of involvement of their predecessors.37
Nicht nur die Medien befassten sich mit der Problematik, sondern auch die Vereine, Verbände sowie die Zuschauer selbst äußerten ihre unterschiedlichen Meinungen. Studien wurden in Auftrag gegeben, Zuschauer befragt und Thesen verkündet. Genügten die Stadien nicht mehr den Ansprüchen des Publikums? Waren die Ansprüche gestiegen oder hatte sich das Angebot verschlechtert? Sank die Qualität des Spiels, wie einige Fußballanhänger behaupteten? Oder war das Fernbleiben des Publikums nur eine punktuelle und vorübergehende Erscheinung, wie es sich die Vereine und Verbände lange Zeit wünschten? Die durchschnittlichen Zuschauerzahlen bei Spielen der höchsten englischen und deutschen Spielklassen zeigen, dass es zwischen 1961 und 1978 in beiden Ländern Phasen beschleunigten Publikumsschwunds, aber auch Zeiten der Erholung und des Booms gab (vgl. Abb. 5 und Abb. 9). In der First Division war Mitte der 1960er Jahre die Zahl der Stadionbesucher seit dem Rekordniveau von 1948/49 bereits um ein Drittel gesunken, als der Erfolg der englischen Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land auch dem Klub-Fußball einen Aufschwung bescherte38. »The English victory in 1966 seemed to give the domestic game the kiss of life – for the short term at least.«39 Der Effekt von 1966 hielt nur kurze Zeit an, bereits in der Saison 1968/69 nahm die Zahl der Stadionbesucher wieder ab. Dominic Sandbrook beschrieb die Atmosphäre, die nach dem englischen Erfolg bei der Weltmeisterschaft herrschte als »less like
37 Crowds Must Be Won Back, in: The Guardian vom 5.1.1973. 38 Zu den Zuschauerzahlen in England vgl. Glenda Rollin / Jack Rollin (Hrsg.), Rothmans Football Yearbook. 2000–2001, London 2000, S. 56. 39 Walvin, The People’s Game, S. 181.
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45.000.000 40.000.000 35.000.000 30.000.000 25.000.000 20.000.000 15.000.000 10.000.000 5.000.000
48
50
/4 9 /5 52 1 /5 54 3 /5 56 5 /5 58 7 /5 60 9 /6 62 1 /6 64 3 /6 66 5 /6 68 7 /6 9 70 /7 1 72 /7 74 3 /7 76 5 /7 78 7 /7 80 9 /8 82 1 /8 84 3 /8 86 5 /8 88 7 /8 90 9 /9 92 1 /9 94 3 /9 96 5 /9 98 7 /9 9
0
Abb. 5: Zuschauerzahlen pro Saison in der FL und PL (gesamt), 1948 bis 2000. Quelle: Rothmans Football Yearbook. 2000–2001, London 2000.
the dawn of a new era and more like the last day of a long, lazy summer about to be swept away by the winds of autumn«40. Der negative Trend setzte sich daraufhin kontinuierlich fort, bis Ende der 1980er Jahre durchschnittlich nur noch halb so viele Menschen ein Fußballstadion besuchten, wie dies um 1950 der Fall gewesen war. In Westdeutschland verlief die Entwicklung ähnlich, wenn auch mit einer Verzögerung von etwa zehn Jahren. Zunächst bescherte die Gründung der Bundesliga 1963 den Vereinen einen Zuschauerboom, der jedoch bereits vier Jahre später wieder vorüber war41. Der vorläufige Tiefpunkt wurde 1972/73 erreicht, nachdem 1971 im sogenannten »Bundesligaskandal« Spielmanipulationen in großem Stil öffentlich geworden waren, was dazu führte, dass viele Fußballanhänger sich enttäuscht abwendeten. Man kann von Glück für den deutschen Vereinsfußball sprechen, dass kurz darauf der deutsche Sieg bei der Weltmeisterschaft von 1974 offensichtlich die Enttäuschung vergessen ließ und zumindest kurzfristig für eine neue Begeisterungswelle beim Publikum sorgte. Ab 1979 war jedoch auch dieser Bonus verbraucht, und die Stadien leerten sich erneut Jahr um Jahr ein wenig mehr. Zwar werden in der vorliegenden Untersuchung vorwiegend die allgemeinen Trends des Zuschauerverhaltens in den Blick genommen, jedoch muss hinzugefügt werden, dass nicht alle Vereine zu jeder Zeit gleichermaßen betroffen waren. Generell federte sportlicher Erfolg Schwunderscheinungen ab, während Misserfolg das Publikum eher zusätzlich
40 Dominic Sandbrook, White Heat. A History of Britain in the Swinging Sixties, London 2006, S. 325. 41 Zu den Zuschauerzahlen in der Bundesrepublik vgl. Abb. 9 auf S. 164.
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aus den Stadien vergraulte. Jedoch gab es auch zu dieser Regel Ausnahmen. So hatte beispielsweise der Hamburger Sportverein trotz Meistertitels in den frühen 1980er Jahren mit mangelndem Zuschauerinteresse zu kämpfen, während ein leistungsschwächerer Klub wie Schalke 04 selbst nach mehrfachen Abstiegen in die Zweite Bundesliga ein Publikumsmagnet blieb. Ähnlich verhielt es sich bei Vereinen aus dem Nordosten Englands, wie z. B. der FC Middlesbrough oder Sunderland, die auch bei sportlichen Talfahrten stets eine beachtliche Anhängerschaft mobilisieren konnten. Betroffen vom Zuschauerschwund war nicht nur der Fußballsport. In England litten beispielsweise auch andere populäre Sportarten wie Leichtathletik, Rugby oder Cricket seit Mitte der 1950er Jahre unter dem Fernbleiben des Publikums42. In der Bundesrepublik beschloss man beispielsweise 1958, das Fernsehen nicht zur Europameisterschaft der Leichtathleten zuzulassen, da man es für die rückläufigen Zuschauerzahlen verantwortlich machte43. Darüber hinaus verzeichneten auch andere in der Nachkriegszeit boomende Freizeitbeschäftigungen wie das Kino, das Theater oder der Pub eklatante Einbußen in ihrer Beliebtheit, was einen strukturellen gesellschaftlichen Wandel vermuten lässt. Auf der Suche nach Erklärungen für den Zuschauerschwund im Fußball stellte der Historiker James Walvin Mitte der 1970er Jahre fest, dass es sinnlos sei, diese lediglich im Spiel selbst zu suchen und damit soziale Determinanten auszuschließen, denn »since the modern game was largely a function of rising prosperity, it would be unusual if the new wave of prosperity since the 1950s did not affect the game«44. Dieser Annahme folgend ist es unumgänglich, zunächst den rasanten und einschneidenden gesellschaftlichen Wandel jener Zeit in den Blick zu nehmen, der das Leben in England sowie in der Bundesrepublik nachhaltig veränderte: Während sich die britische Industrie nach Ende des Zweiten Weltkriegs rasch erholte, sodass Großbritannien bald (vorübergehend) den höchsten Lebensstandard der westeuropäischen Industrienationen verzeichnen konnte, wurde der ökonomische Aufschwung Westdeutschlands erst ab etwa Mitte der 1950er Jahre als »Wirtschaftwunder« fühlbar45. Trotz des Abstands von fast einer Dekade, vollzog sich der Übergang in die affluent society bzw. Wohlstandsgesellschaft in beiden Ländern entlang ähnlicher Linien und anhand derselben 42 Vgl. Garry Whannel, Fields in Vision. Television Sport and Cultural Transformation, London, New York 1992, S. 69. 43 Vgl. Josef Hackforth, Sport im Fernsehen. Ein Beitrag zur Sportpublizistik unter besonderer Berücksichtigung des Deutschen Fernsehens (ARD) und des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) in der Zeit von 1952–1972, Münster 1975, S. 56. 44 Walvin, The People’s Game, S. 183. 45 Vgl. Anthony Sutcliffe, An Economic and Social History of Western Europe Since 1945, Harlow 1996, S. 29 und 65.
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Leitgüter46. Wirtschaftliches Fundament der entstehenden Konsumgesellschaft war die Erfahrung von Vollbeschäftigung, kontinuierlich steigenden Löhnen und sinkenden Arbeitszeiten. In Großbritannien verdoppelte sich zwischen 1950 und 1959 der Durchschnittslohn, und die Arbeitslosigkeit sank auf unter zwei Prozent47. Gleichzeitig ging die Wochenarbeitszeit für manual workers bis 1970 auf 40,3 Stunden zurück48. Während sich die Arbeitslosigkeit in Westdeutschland 1950 noch auf 10,4 Prozent belief, betrug sie im Jahr 1960 nur noch 1,3 Prozent, womit ebenfalls praktisch Vollbeschäftigung herrschte49. Waren dort die Arbeitsbedingungen Anfang der 1950er Jahre häufig noch schlecht und durch niedrige Löhne sowie lange Arbeitszeiten gekennzeichnet, hellte sich die »düstere, ängstliche Atmosphäre« der Nachkriegszeit im Laufe des Jahrzehnts zugunsten anbrechender »fetter Jahre« auf50. Zwischen 1957 und 1965 verdoppelten sich die Bruttowochenlöhne der deutschen Industriearbeiter, und die durchschnittlichen Arbeitszeiten wurden in diesem Zeitraum von 48,6 auf (zumindest offiziell) 40 Stunden verkürzt51. Maßgeblich für die Herausbildung einer neuen Freizeit- und Konsumkultur war in England und Deutschland gleichermaßen die Durchsetzung des arbeitsfreien Samstagnachmittags, der ein »langes Wochenende« als kompakten Freizeitblock ermöglichte52. Im Zuge dieser Wohlstandsentwicklung veränderte sich die Kultur der Arbeiter, jener Gruppe, die noch immer den Kern der Fußballanhängerschaft ausmachte. In England wurde ebenso wie in Deutschland »die traditionelle Konstellation einer schicksalhaften Existenz« aufgelöst »in der es gute Phasen gab, wenn die Konjunktur günstig war, aber auch ein großes Risiko der Armut infolge von Krankheit, Unfällen, Arbeitslosigkeit und im Alter«53.
46 Wenn man davon ausgeht, dass der Zuschauerschwund im Fußball tatsächlich vor allem mit der steigenden gesellschaftlichen Prosperität zusammenhing, wird vor dem Hintergrund der später einsetzenden wirtschaftlichen Genesung der Bundesrepublik deutlich, warum dort die Besucherzahlen im Stadion erst zu Beginn der 1960er Jahre zurück gingen, während dies in England schon zu Beginn der 1950er Jahre der Fall war. 47 Vgl. Dominic Sandbrook, Never Had it so Good. A History of Britain from Suez to the Beatles, London 2005, S. 109; Franz-Josef Brüggemeier, Geschichte Großbritanniens im 20. Jahrhundert, München 2010, S. 221 und 249. 48 Vgl. Brian Howard Harrison, Seeking a Role. The United Kingdom, 1951–1970, Oxford, New York 2009, S. 327. 49 Vgl. Sutcliffe, An Economic and Social History, S. 65–67. 50 Schildt / Siegfried, Deutsche Kulturgeschichte, S. 179. Vgl. auch Sutcliffe, An Economic and Social History, S. 59. 51 Vgl. Schildt / Siegfried, Deutsche Kulturgeschichte, S. 184. 52 Vgl. ebd., S. 184; Harrison, Seeking a Role, S. 383. 53 Axel Schildt, Einführung, in: Matthias Frese / Julia Paulus / Karl Teppe (Hrsg.), Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch. Die sechziger Jahre als Wendezeit der Bundesrepublik, Paderborn 2003, S. 577–586, hier S. 579.
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[I]n many working-class areas, the old-memories of dole queues, poverty and malnutrition had been wiped out by the Second World War and over a decade of full employment and high wages.54
An die Stelle der Konnotation der Arbeiterklasse mit Armut und Existenznöten trat ein positives Image des Arbeiters, der einigermaßen wohlhabend war, stolz auf seine Herkunft sein durfte und ein ausgeprägtes Gemeinschaftsgefühl besaß55. Natürlich blieb das Freizeitverhalten der Arbeiter von diesem Wandel nicht unberührt. With money in their pockets, working-class men and women preferred to devote their time to their families and their homes; there were simply more kinds of leisure and entertainment to choose from; and, as marriage itself became a more companionable enterprise, celebrations of masculine solidarity became less important. What the market researcher Mark Abrams called ›the Home-Centred Society‹ was at hand.56
Zentrales Merkmal der entstehenden Konsumgesellschaft war deren ausgeprägte Häuslichkeit, wie der oben zitierte Ausspruch von der Home-Centred Society bereits andeutet57. Den Traum vom Eigenheim konnten sich im Jahr 1970 immerhin 50 Prozent aller britischen Haushalte erfüllen, was eine Verdoppelung der Zahl der Haus- und Wohnungsbesitzer innerhalb von 20 Jahren bedeutete58. Auch in der Bundesrepublik erhöhte sich im Zuge eines Eigenheimbooms ihr Anteil bis 1968 auf 34,3 Prozent59. Da sich in den Städten durch wachsende Wohnflächen und die Verbreitung von Büro- und Verwaltungsgebäuden die Miet- und Immobilienpreise erhöhten, wurde zunehmend in der städtischen Peripherie gebaut. Der Suburbia- bzw. »Schlafstadt«-Charakter wurde zu einer prägenden gesellschaftlichen Signatur jener Zeit60. Der kollektive Umzug »ins Grüne« bedeutete für viele Fußballvereine, dass sich ihre Anhängerschaft nicht nur räumlich entfernte, sondern der Faktor Lokalität insgesamt an Bedeutung für die Vereinsbindung verlor. Behaupten konnten sich vor allem diejenigen Klubs, deren Erfolg ihnen eine große mediale Sichtbarkeit sicherte, die über die jeweilige Stadt oder Provinz hinausging. Auch die typischen Konsumgüter der Boom-Ära zeugen von einer »Verhäuslichung« der Gesellschaft: Waschmaschine, Kühlschrank, Staubsauger, Fernseher und Telefon verbreiteten sich rasch in den 1950er bis 1970er Jahren und sorgten dafür, dass das eigene Zuhause ein komfortabler und einladender Ort der Alltags- und Freizeitgestaltung wurde. Die Verbesserung in Komfort und 54 55 56 57 58 59 60
Sandbrook, Never Had it so Good, S. 34. Vgl. Sutcliffe, An Economic and Social History, S. 148. Sandbrook, White Heat, S. 308. Vgl. Obelkevich, Consumption, S. 144–148; Sandbrook, Never Had it so Good, S.130. Vgl. Sandbrook, White Heat, S. 192. Vgl. Schildt / Siegfried, Deutsche Kulturgeschichte, S. 191. Vgl. Sandbrook, Never Had it so Good, S. 122; Schildt / Siegfried 2009, Deutsche Kulturgeschichte, S. 191.
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Ausstattung bedeutete jedoch nicht nur eine funktionale Veränderung, sondern spiegelte einen Wandel von Wahrnehmung und Geschmack wider. Houses were warmer, cleaner, more comfortable and fresher smelling. And as people equipped their rooms with more lamps (and used stronger bulbs), they also became brighter and better lit. Brown paint, the pre-war favourite because it didn’t show the dirt, was replaced by white, the most popular colour for DIY decorating. Hard surfaces were replaced by soft, with linoleum, for example, giving way to carpets. […] Houses looked, felt, sounded and smelled different: They were transformed not just by new appliances but by a new aesthetic, a new sensory regime.61
Angesichts der gesellschaftsprägenden Komforterfahrung im eigenen Wohnraum ist es nicht verwunderlich, dass auch das Fußballstadion nun mit anderen Augen gesehen wurde. Fast alle Zuschauerbefragungen und Problemanalysen jener Zeit führen fehlenden Komfort oder schlechte Witterungsverhältnisse ganz oben auf der Mängelliste an. So berichtet der sogenannte »Chester Report« des »Department of Education and Science« von 1968, »that a high proportion of football supporters interviewed gave cold weather and lack of seating, covered stands and good toilet facilities as their main reason for not attending more often«62. Der Bericht war 1966 von der englischen Regierung in Auftrag gegeben worden, um den Zustand des englischen Vereinsfußballs im Detail zu untersuchen und Vorschläge zur Verbesserung des Spiels und seiner Strukturen zu machen.63 Allein die Tatsache, dass das Thema Fußball in England auf die politische Agenda gesetzt wurde, deutet auf eine gewisse Problemwahrnehmung in jener Zeit hin, die den Zusammenhang zwischen gesellschaftlichem Wandel und negativen Entwicklungen im Fußball thematisierte. Bereits zwei Jahre zuvor hatte auch das unabhängige Forschungsinstitut »Political and Economic Planning« (PEP) ausführlich auf die Problematik hingewiesen: The time has passed when the number of people prepared without question to stand on terraces, watching football of a wide range of quality, was sufficient to warrant the existence of ninety-two clubs. As personal incomes have risen, the football public has become used to higher standards of comfort and cannot be expected to continue to accept open terracing instead of reasonably priced covered seats.64
Der Bericht mahnte die Institutionen des Fußballs eindringlich, nicht die Augen vor der gesellschaftlichen Dynamik zu verschließen, sondern die Organisation des Spiels an die Tatsache, dass England beständig reicher, gebildeter und technologisch fortgeschrittener werde, anzupassen65.
61 62 63 64 65
Obelkevich, Consumption, S. 147. Department of Education and Science, Report on the Committee on Football, S. 41. Vgl. ebd., S. 1. Political and Economic Planning, English Professional Football, S. 112. Vgl. ebd., S. 81.
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In Deutschland untersuchte die Marktforschungsorganisation »Infratest« im Auftrag des DFB in der Saison 1970/71 die Situation der Bundesliga und kam hinsichtlich der »erhöhten Bequemlichkeitsschwelle« zu nahezu identischen Ergebnissen. Der Bericht führt unter anderem an, »[d]er sich steigernde Hang zu Komfort« habe zur Folge, daß bei allen Freizeitangeboten, die von zu Hause wegführen, der Anreiz erhöht werden muß, das Haus zu verlassen. Damit steht er in einem engen Zusammenhang mit einem Problem des Bundesliga-Fußballs, nämlich dem des mangelnden Komfort der Stadien.66
35 Prozent der befragten Zuschauer nannten schlechtes Wetter als Hinderungsgrund für einen Platzbesuch. Ein großer Teil der Zuschauer sehe es einfach nicht ein, daß man den unbequemen Anmarsch und die schlechten Parkverhältnisse in Kauf nehmen sollte, sich dann noch auf einer zugigen Tribüne Regen und Kälte aussetzen soll, wenn man es zu Hause viel bequemer und gemütlicher hat67.
Den Gegenpol zur expandierenden Häuslichkeit bildete die Verbreitung des Automobils. Insbesondere der Trend zum Umzug in die Vorstädte beschleunigte die Mobilisierung, sodass die Anzahl der PKW in Großbritannien und Deutschland bis in die 1970er Jahre explosionsartig anstieg68. Durch das Auto veränderte sich nicht nur die Landschaft, sondern es schuf neue soziale und berufliche Möglichkeiten und weitete den geographischen Horizont des Einzelnen. The car allowed youngsters to escape the limiting world of their local communities, and suburban families to escape into the fresh air of the countryside; and it represented the increasing privatization of leisure, with families preferring to amuse themselves alone rather than rely on the local community to provide entertainment, as had been the case in the world of charabancs and works outings.69
Für den Fußballsport waren die zunehmende Mobilität und die Individualisie rung der Freizeit von Nachteil, denn das Spiel schöpfte seine Bindekraft vor allem aus der Identifizierung mit dem Lokalen sowie dem kollektiven Erlebnis. Wenn Lokalität und Gemeinschaft an gesellschaftlicher Bedeutung verloren – Brian Harrison spricht hier von einer »erodierenden Loyalität zum Lokalen«70 – musste sich dies gravierend auf die Sinnstiftungsfunktion des Fußballs auswirken. Hinzu kam, dass sich das Freizeitangebot insgesamt ausweitete und diversifizierte. Während Fußball nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst mehr oder weniger konkurrenzlos gewesen war, profitierte eine boomende Freizeit- und 66 Infratest, Die Situation der Deutschen Bundesliga, S. 57. 67 Ebd., S. 76. 68 Vgl. Sandbrook, Never Had it so Good, S. 121; Schildt / Siegfried, Deutsche Kulturgeschichte, S. 192–193. 69 Sandbrook, Never Had it so Good, S. 121. 70 Harrison, Seeking a Role, S. 96.
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Tourismusindustrie nun von sinkenden Arbeitszeiten und steigenden Löhnen. Die Alternativen waren zahlreich: Der bereits beschriebene Trend zur Häuslichkeit ließ auf der einen Seite heimorientierte Beschäftigungen wie Gartenarbeit, Do-it-Yourself, Fernsehen oder Lesen zunehmen. Auf der anderen Seite stieg jedoch auch die Anzahl derer, die sich außerhalb der eigenen vier Wände aktiv betätigen wollten, z. B. beim Bootsfahren, Angeln, Tanzen, Amateurfußball, Motorrad- oder Hunderennen71. Im »Chester Report« von 1968 wird in deutlichen Worten auf den Zusammenhang zwischen fallenden Zuschauerzahlen im Fußball und der Verbreitung alternativer Freizeitangebote hingewiesen: Originally, Saturday afternoon football, watched from usually primitive spectator facilities, was an essentially working class audience, predominantly male, many of whom ceased work at Saturday lunchtime and then went to watch the local football team. Since then the work, leisure and family behaviour patterns of our society have greatly changed. Sports participation has increased, watching sport has declined.72
Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass nicht der Zuschauerschwund der 1960er Jahre, sondern vielmehr der Nachkriegsboom des Fußballs als Ausnahme zu bewerten sei. Es sei daher folgerichtig, to treat the immediate post-war boom as a temporary phenomenon indicative of the general demand for recreation and lack of alternative provision and to treat some of the subsequent fall as a return to normality.73
Neben gestiegenem Komfortbedürfnis, Verhäuslichung, Mobilisierung und Diversifizierung der Freizeit verweisen die wenigen überlieferten Zuschauerstimmen aus den 1960er und 1970er Jahren auf weitere Gründe für das Fernbleiben des Publikums aus den Stadien. Kritisiert wurden vor allem zwei Negativentwicklungen, welche die konkreten Geschehnisse auf dem Platz und auf den Rängen betrafen: Erstens störten sich viele Zuschauer an den vermeintlich schwachen Leistungen der hochbezahlten Stars. Diesen standen immer höhere Eintrittspreise gegenüber, was beispielsweise den Kicker-Leser R. Frebel dermaßen entzürnte, dass er forderte, man solle die Vereine und Spieler immer wieder daran erinnern, »daß der Zuschauer nicht nur Kunde, sondern auch Brötchengeber« sei, und den Brötchengeber wolle er sehen, »der für sein Geld nicht gute Leistungen haben will«74. Ein weiterer Leser führt denselben Kritikpunkt etwas ausführlicher aus: Der größte Teil aller Zuschauer sind immer noch Leute, die ihr Geld schwer verdienen. Der Besuch eines Bundesligaspiels kostet bei größter Sparsamkeit 20–30 DM (Eintrittskarten, Anfahrt usw.). Ich zweifle nicht daran, daß der Berufsspieler hart arbeiten muß. Ich zweifle aber daran, daß der Verdienst im gerechten Verhältnis zu 71 72 73 74
Vgl. Sandbrook, Never Had it so Good, S. 130. Department of Education and Science, Report on the Committee, S. 41. Ebd., S. 33. Leserbriefe, in: Kicker-Sportmagazin 82 vom 9.10.1972, S. 16.
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den Leistungen steht. Dabei nehme ich selbst Ausnahmespieler wie Beckenbauer und Netzer nicht aus. Wenn der Zuschauer dann noch Gefahr läuft, betrogen zu werden, kann sich jeder leicht ausrechnen, warum immer mehr zu Hause bleiben.75
In derartigen Äußerungen klingt eine Entfremdung zwischen Zuschauern und Stars an, die sich nicht allein aus der Wohlstandsentwicklung des Publikums erklären lässt76. Auch die Spieler selbst emanzipierten sich von einigen strukturellen Hemmnissen und Rollenbildern, was bei vielen Fußballanhängern Ablehnung hervorrief. Ähnliches gilt für den zweiten großen Kritikpunkt, der sich auf gewalttätige Ausschreitungen im Stadion bezog. Bereits in den 1960er und 1970er Jahren wurde die Gewalt auf den Rängen von den Zuschauern zunehmend als Grund für das Fernbleiben aus dem Stadion genannt. Jedoch waren die Zusammenhänge nicht eindeutig, denn die Zuschauerzahlen fielen zum Teil auch dort, wo keinerlei Ausschreitungen stattfanden und blieben dagegen stabil bei Vereinen, die für ihre gewaltbereite Anhängerschaft bekannt waren77. Zur vollen Entfaltung kam die Problematik des »Hooliganismus« bzw. »Rowdytums« jedoch erst später, in den 1980er Jahren, weshalb diesem Thema im dritten Teil der Studie ein gesondertes Kapitel gewidmet wird.
3. Das Fernsehen als neuer Ort des Fußballkonsums Der Zuschauerschwund in den Stadien bedeutete nicht zwingend, dass das generelle Interesse am Fußballsport abnahm. Stattdessen etablierte sich mit der Verbreitung des Fernsehens ein alternativer Schauplatz des Fußballkonsums. Die Verschiebung der Zuschauerpräferenzen vom Stadion zum Fernsehen war aufs Engste mit den bereits geschilderten gesellschaftlichen Umbrüchen verflochten. Innerhalb weniger Jahre hatte das Fernsehen das Radio als wichtigstes Unterhaltungsmedium abgelöst und dominierte die Freizeitgestaltung der Wohlstandsgesellschaften. Während noch 1949 zwei Drittel der Briten keine Erfahrung mit dem neuen Medium hatten, fand eine Studie aus dem Jahr 1959 heraus, dass zu diesem Zeitpunkt bereits 60 Prozent der Erwachsenen durchschnittlich 3,5 bis 5 Stunden täglich fernsahen78. In Deutschland begann der Siegeszug des Fernsehens als Massenmedium im letzten Drittel der 1950er Jahre79. Das Land »wandelte sich in nur einem Jahrzehnt von der Rundfunk- zur Fernsehgesell75 Leserbriefe, in: Kicker-Sportmagazin 86 vom 23.10.1972. 76 Walvin erwähnt, dass auch in England in den 1960er und 1970er Jahren »complaints about the declining standards of the game« an der Tagesordnung waren. Für eine tatsächliche Verschlechterung des Spiels gebe es jedoch keine objektiven Hinweise, eher das Gegenteil sei der Fall gewesen.Vgl. Walvin, The People’s Game, S. 184. 77 Vgl. ebd., S. 185. 78 Vgl. Harrison, Seeking a Role, S. 385; Sandbrook, Never Had it so Good, S. 383–385. 79 Vgl. Schildt / Siegfried, Deutsche Kulturgeschichte, S. 197.
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schaft, eine kulturelle Revolution im tiefsten Frieden«80. Spätestens Anfang der 1970er Jahre hatte sich das Fernsehen im europäischen Raum zum Leitmedium der gesellschaftlichen Selbstverständigung entwickelt81. Bis in die 1960er Jahre hatte Großbritannien den umfangreichsten Fernsehbetrieb82: Das Monopol der staatlich finanzierten BBC war 1955 mit der Zulassung des kommerziell betriebenen Senders ITV aufgebrochen worden. Während die BBC den Anspruch hatte, das Publikum mittels eines »gentle didactism« zu informieren und zu bilden, setzte ITV auf eine neue Art des Programms: »modern, snappy, international and classless« wollte der werbefinanzierte Sender seine Zuschauer umgarnen und dabei auf jeglichen didaktischen Anspruch verzichten83. In der Bundesrepublik bildete sich ebenfalls ein Rundfunksystem mit zwei konkurrierenden Sendeanstalten heraus – mit dem Unterschied, dass es sich beim Ersten (ARD) und Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) um rein öffentlich-rechtliche Institutionen handelte, deren inhaltliches Profil sich nicht grundlegend unterschied84. Mit der Verbreitung des Fernsehens erreichte die »Verhäuslichung« von Kultur und Freizeit ein neues Stadium, indem es die bereits vorhandenen Faktoren der home-centredness noch zusätzlich verstärkte. Where once man had spent their evenings in the pub with their friends and workmates, they might now stay in with their wives and their children to watch the television. Television was one factor in a general ›return to the home‹ in the post-war years, part of a broad process in which the family was exalted as the cornerstone of social and political life. Not surprisingly, the development of television came as an unwelcome shock to those worlds of film and provincial theatre, who saw their already shaky position in decline further. It was no coincidence that, at the same time that television was booming, attendances at football matches, in pubs and in cinemas was entering a period of steady decline.85
Den räumlichen Aspekt des Fernsehens stellen die Kulturwissenschaftler John Hartley, Lynn Spigel und Anna McCarthy in ihren Studien heraus. Hartley beschäftigt sich mit der Verbreitung des Fernsehens als Agent einer »Ideologie der 80 Ebd., S. 197. 81 Vgl. Knut Hickethier, Europa und die Wirklichkeiten der Fernsehgesellschaft, in: Ute Daniel / A xel Schildt (Hrsg.), Massenmedien im Europa des 20. Jahrhunderts, Köln 2009, S. 149–174, hier S. 154. 82 Vgl. Sutcliffe, An Economic and Social History, S. 147; zum britischen Fernsehen vgl. Asa Briggs, The BBC . The First Fifty Years, Oxford, New York 1985; Andrew Crisell, An Introductory History of British Broadcasting, London, New York 1997; Jack Williams, Entertaining the Nation. A Social History of British Television, Gloucestershire 2004. 83 Sandbrook, Never Had it so Good, S. 387–389. 84 Vgl. Ansgar Diller, Öffentlich-rechtlicher Rundfunk, in: Jürgen Wilke (Hrsg.), Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Köln 1999, S. 146–166; Schildt / Siegfried, Deutsche Kulturgeschichte, S. 198. 85 Vgl. Sandbrook, Never Had it so Good, S. 384.
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Häuslichkeit« (domestication)86. Im Verbund mit anderen Haushaltsgeräten wie dem Kühlschrank, neuen Konsumpraktiken, Wohnformen und Rollenbildern sei das Fernsehen strukturgebend für »eine langfristige Bewegung von ›Behausungen‹ hin zum ›Zuhause‹«87. Ebenso wie für Hartley kommt dabei auch für Spigel dem Wohnzimmer eine zentrale Rolle zu. Als Raum, der um das Fernsehgerät herum gruppiert wird, ist es neu in seiner Funktionalität und symbolisiert in besonderem Maße die neue räumliche und soziale Struktur der vorstädtischen Hausfrauenfamilie88. Zugleich beteiligt sich das Fernsehen selbst an dem Diskurs, durch den es seinen Ort findet, indem das fernsehgerechte Milieu des Wohnzimmers häufig auf dem Bildschirm wiederkehrt, etwa in Familienserien oder Soap Operas89. Die Berührungspunkte zwischen den »verhäuslichenden« gesellschaftlichen Effekten des Fernsehens und der Entwicklung des Fußballs sind zahlreich und betreffen vor allem die Phase der Verbreitung des Fernsehens in den 1950er bis 1970er Jahren. Einerseits entfernten sich viele Fußballanhänger in dieser Zeit sowohl räumlich als auch sozial vom Umfeld der Fußballvereine. Andererseits fand der Fußball über den Fernsehbildschirm direkten Eingang in englische und deutsche Wohnzimmer und zeigte sich somit kompatibel mit den neuen Wohn- und Familienformen sowie Freizeitgewohnheiten. Das Fernsehen brachte nicht nur die Ausrichtung häuslicher Zeitstrukturen am Programm mit sich, sondern bot »viel gemeinsamen Gesprächsstoff an der Arbeitsstelle, beim Einkauf und über den Gartenzaun hinweg«90. Durch die Konformität des Programms trug es dazu bei, die Erosion des Lokalen noch weiter zu befördern. Zwar war das Fernsehen über Klassengrenzen hinweg ein beliebtes Unterhaltungsmedium, jedoch füllte es insbesondere bei den Arbeitern einen Großteil der hinzugekommenen Freizeit aus und wurde damit zum Signum der neuen Kultur der Arbeiterklasse. »The telly keeps the familiy together. None of us ever have to go out now«, zitierte die Times einen Arbeiter, der an einer Studie zur Veränderung des Freizeitverhaltens in Ost-London teilgenommen hatte91. Für den Fußballsport, dessen Anhängerschaft sich vor allem in England zu diesem 86 Vgl. John Hartley, Die Behausung des Fernsehens. Ein Film, ein Kühlschrank, eine Sozialdemokratie, in: Ralf Adelmann / Jan O. Hesse / Judith Keilbach / Markus Stauff / Matthias Thiele (Hrsg.), Grundlagentexte zur Fernsehwissenschaft. Theorie – Geschichte – Analyse, Konstanz 2001, S. 253–280. 87 Ebd., S. 271. 88 Spigel bezieht sich zwar hauptsächlich auf Nordamerika, jedoch sind ihre Beobachtungen auch für Westeuropa plausibel. Vgl. Lynn Spigel, Fernsehen im Kreis der Familie. Der populäre Empfang eines neuen Mediums, in: Ralf Adelmann / Jan O. Hesse / Judith Keilbach / Markus Stauff / Matthias Thiele (Hrsg.), Grundlagentexte zur Fernsehwissenschaft. Theorie – Geschichte – Analyse, Konstanz 2001, S. 214–252. 89 Vgl. ebd., S. 225–226; Lorenz Engell, Fernsehtheorie zur Einführung, Hamburg 2012, S. 115. 90 Schildt / Siegfried, Deutsche Kulturgeschichte, S. 200. 91 Geoffrey Moorhouse, The Changing Pattern of Leisure, in: The Times vom 28.12.1962, S. 8.
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Zeitpunkt größtenteils aus Arbeitern rekrutierte, musste diese Verschiebung der Freizeit-Präferenzen gravierende Folgen haben. Sowohl bei den Zuschauern als auch bei den Fernsehsendern selbst, gehörten Sport- und insbesondere Fußballsendungen schon bald zu den populärsten Programmen. Für die Rundfunkanstalten waren Fußballübertragungen ein idealer Köder, um Zuschauer vor das TV-Gerät zu locken. Der Sport war bereits außerordentlich populär und die übertragenen Spiele versprachen Spannung (aufgrund der Unvorhersehbarkeit des Spielverlaufs), Authentizität (da es sich nicht um fiktive Geschichten, sondern »echte« Geschehnisse handelte), Information, aber auch die nötige Emotionalisierung durch die Möglichkeit zur Identifizierung mit bestimmten Mannschaften oder Spielern. Darüber hinaus waren Fußballsendungen für die Fernsehmacher sehr preiswert, da es weder nötig war ein Studio zu mieten noch Schauspieler zu engagieren. Fritz Wirth von der »Welt« sprach daher vom Fußball als dem »billigsten Star« des Fernsehens; der Sport liefere den Fernsehmachern problemlose Sendungen: kein Drehbuch, keine Beleuchter, keine Kostüme, keine Proben. Festgemauert in der Erde stehen die Kameras. Anpfiff – ›Kamera läuft!‹ – Start frei für Routine! Wo in dieser Welt lassen sich heute noch Dramen, Kampf, Spannung, Leben mit so wenig Aufwand einfangen?92
Auch die Gagen für die Vereine bewegten sich lange Zeit auf sehr niedrigem Niveau. Bis in die 1950er Jahre herrschte bei den Funktionären von Fernsehen und Fußball ein naiver Enthusiasmus in Bezug auf die Übertragung von Fußballspielen93. Dieser Zustand änderte sich jedoch in England etwa 1953 und in Deutschland 1958, als die Fußballverantwortlichen merkten, dass die Zuschauer bei übertragenen Spielen immer öfter zu Hause blieben94. In beiden Ländern wurden Live-Übertragungen fortan nur noch bei besonderen Ereignissen wie Europa- und Weltmeisterschaften, Pokalwettbewerben oder vereinzelten Begegnungen auf europäischer Ebene geduldet. Alle entstehenden fußballbezogenen Fernsehformate mussten kreativ mit dieser Einschränkung umgehen und eine Sendungsstruktur entwerfen, die den Zuschauer auch ohne Direktübertragungen oder längere Filmsequenzen eines Spiels fesselte. Das Ergebnis waren wöchentliche Magazin-Sendungen wie »Match of the Day« (BBC , 1964), »Sportsview« (BBC , 1954) und »World of Sport« (ITV, 1965) in England, und die »Sportschau« (ARD, 1961) sowie das »aktuelle Sportstudio« (ZDF, 1963) in Deutschland95. 92 Fritz Wirth, Sport – der billigste Star. Veranstalter in der Zwickmühle: Mehr Einnahmen, mehr Abhängigkeit, in: Die Welt vom 26.5.1966. 93 Vgl. Chisari, The Match, S. 16. 94 Die Auseinandersetzung zwischen Fußball- und Fernsehinstitutionen sowie die ökonomischen Auswirkungen des Fernsehfußballs werden in Kapitel 6 ausführlicher dargestellt. 95 Vgl. für England: Whannel, Fields in Vision, S. 25–44; Williams, Entertaining the Nation, S. 208–209; für Deutschland: Großhans, Fußball im deutschen Fernsehen, S. 59–63; Hackforth, Sport im Fernsehen, S. 242–249.
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Die Sendungen fassten die Spielergebnisse des Tages bzw. der Woche in kurzen Filmsequenzen zusammen. Eine Schlüsselrolle kam hierbei dem Moderator96 zu, dessen Aufgabe es war, die Filmschnipsel in einen Bedeutungszusammenhang zu stellen und der Sendung eine einheitliche Form zu geben. Die Anchormen der Magazinsendungen, wie z. B. Jimmy Hill von »Match of the Day« oder Ernst Huberty von der »Sportschau«, dienten dabei selbst als Identifikationsfiguren für das Fernsehpublikum und erlangten in der Öffentlichkeit nicht selten eine gewisse Berühmtheit97. Laut Aussage des ehemaligen Moderators John Motson wurde das samstägliche Sportfernsehen zu einem gesellschaftsübergreifenden Ritual, das emptied pubs before closing time, interrupted family parties, and realigned the routine of clergymen, film stars and even Royalty. It kept children up and sometimes, it should be said, it sent mum to bed. […] It was topical entertainment before the cocoa had cooled. By the end oft he seventies, Saturday without Match of the Day seemed to be unthinkable.98
Als weitere Gestaltungselemente wurden im Laufe der Zeit auch Interviews, Studiogäste, Quiz-Einlagen usw. integriert. Im Gegensatz zum schwindenden Stadionpublikum verzeichneten die Fußballsendungen ein konstant hohes Zuschauerniveau99. Das Publikum verlagerte jedoch nicht bloß seinen Ort vor das TV-Gerät, sondern die Möglichkeiten des Fernsehens veränderten auch die Wahrnehmung des Spiels. Schien die Fernsehübertragung eines Fußballspiels bis Mitte der 1950er Jahre eher ein schlechteres, weil unscharfes und statisches Abbild des Originals zu sein, ermöglichte die technische Entwicklung der 1960er und 1970er Jahre die Entstehung eines eigenen Regeln folgenden »Fernsehfußballs«100. Von Beginn an wirkten zwei widerstreitende Impulse auf die Produktion des TV-Sports101: Einerseits galt das Prinzip von Transparenz und Realismus der Darstellung als journalistische wie ästhetische Maxime. Eine verbesserte Bild- und Tonqualität, der Einsatz mehrerer Kameras sowie die Entwicklung des Farbfernsehens und der Zoomtechnik sollten vor allem dazu verwendet werden, dem Zuschauer eine lebensechte Darstellung des Spiels und der Atmosphäre im Stadion zu übermitteln. Darüber hinaus boten diese technischen Neuerungen der 1950er und 1960er Jahre dem Zuschauer eine »verbesserte Realität« in Form von exklusiven Perspektiven, die von einem einzelnen Tribünenplatz aus niemals erfahrbar gewesen wären102. Andererseits schufen neue Technologien alsbald die Möglichkeit, das Material beliebig zu formen, wodurch das Prinzip der Konstruktion seit 96 Bis in die 1980er Jahre hinein handelte es sich um eine rein männliche Domäne. 97 Vgl. Whannel, Fields in Vision, S. 107. 98 John Motson, Match of the Day: The Complete Record since 1964, London 1994, S. 7. 99 Vgl. Hackforth, Sport im Fernsehen, S. 90; Williams, Entertaining the Nation, S. 206. 100 Vgl. Eisenberg, Medienfußball, S. 594. 101 Whannel, Fields in Vision, S. 64 f. 102 Vgl. Williams, Entertaining the Nation, S. 211.
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Mitte der 1960er Jahre immer wichtiger für die Programmgestaltung wurde. Wichtige Voraussetzung hierfür war zunächst die Entwicklung von Aufnahme technologien in den späten 1950er Jahren. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Ästhetik des Fernsehens vor allem durch ihren Live-Charakter bestimmt, das heißt sämtliche Sendungen wurden direkt und in einer einzigen Sequenz übertragen103. Mit der Einführung von Magnetaufzeichnungen104 multiplizierten sich die Möglichkeiten, aus verschiedenen Filmsequenzen eine neue Version des Gezeigten herzustellen. Andrew Crisell verweist in diesem Zusammenhang auf die Ironie der Tatsache, dass die Aufzeichnungstechnologien ursprünglich ebenfalls dazu gedacht waren, die »Realität« der Live-Ereignisse noch besser und facettenreicher abbilden zu können105. Kamera- und Filmschnitte, Wiederholungen, Zeitlupen und Nahaufnahmen machten es im Gegensatz zum anfänglich angestrebten Ideal einer möglichst realistischen Darstellung jedoch erst möglich, die Handlung auf kleineren Raum und kürzere Zeit zu verdichten und dadurch die Dramatik eines Spiels künstlich zu intensivieren106. So konnte das Spiel nicht nur durch den gesprochenen Kommentar, sondern auch visuell in ein spannungserzeugendes Narrativ eingebettet werden. Zu dieser Art des visuellen Erzählens gehörte auch der Fokus auf einzelne Spieler, die sich durch ihre Leistungen auf dem Spielfeld oder ihre Persönlichkeit für eine FernsehInszenierung empfahlen. Das Fernsehen beschleunigte somit die Herausbildung eines »Star-Systems«, das Identifikationsmöglichkeiten und Unterhaltung für den Zuschauer garantierte107. Trotz der enormen technischen und erzählerischen Gestaltungsmöglichkeiten festigte sich bis Mitte der 1970er Jahre ein bestimmtes Schema der Darstellung, das bis in die Gegenwart die Regeln des Fernsehfußballs dominiert108: Für eine beginnende Spielaktion wurde immer eine Überblicksperspektive gewählt. Spitzte sich die Handlung zu (Zweikämpfe, Bewegung Richtung Tor), zoomte die Kamera auf eine mittlere Distanz heran. Nahaufnahmen kamen meist erst nach einem Torschuss bzw. in Spielpausen zum Einsatz, wenn die Emotionen von Spielern, Trainern oder Zuschauern eingefangen werden sollten. Durch Wiederholungen und Zeitlupen wurden nach dem Abschluss einer Aktion die spannendsten Momente noch einmal gezeigt. Dieses Muster des Fernsehfußballs stellte einen Kompromiss dar zwischen dem Anspruch, das »reale Geschehen« zu zeigen und dem Bedürfnis, Unterhaltungselemente in die Darstellung einzubauen. Es wurde innerhalb weniger Jahre zum internationalen Code für die adäquate Präsentation von Fußball im TV, auch wenn sich innerhalb 103 Vgl. Crisell, An Introductory History of British Broadcasting, S. 88–91; Williams, En tertaining the Nation, S. 210–211. 104 In Großbritannien wurde die Technologie der Magnetaufzeichnung 1958 aus den USA importiert. Vgl. Crisell, An Introductory History of British Broadcasting, S. 90. 105 Vgl. ebd., S. 91. 106 Vgl. Whannel, Fields in Vision, S. 95. 107 Vgl. ebd., S. 121 f. 108 Vgl. ebd., S. 100 f.
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der einzelnen Länder unterschiedliche Stile herausbildeten. So sorgte die englische Schnitt- und Zoomtechnik bei der Übertragung der Weltmeisterschaftsspiele 1966 bei den deutschen Zuschauern und Fernsehmachern noch für Irritationen, da man dort an längere Filmsequenzen und weniger Nahaufnahmen gewöhnt war109. Die Erfahrung des Fernsehfußballs unterschied sich immens vom Stadionerlebnis und schuf beim Zuschauer neue Erwartungen und Frustrationen. Sowohl die Art der Darstellung als auch die allgemeinen Auswirkungen des Fernsehfußballs wurden in der Öffentlichkeit lebhaft diskutiert. Kulturkritische Stimmen verurteilten den Fernsehfußball als entfremdete Form des Fußballschauens, deren künstliche Dramaturgie zur »Verseuchung der Denkwelt« beitrage und den Zuschauer zum passiven Konsumenten einer künst lichen Wirklichkeit degradiere110. Der fußballbegeisterte Anhänger fühle, so ein Artikel der Times aus dem Jahr 1965, dass die Vielfalt des Fußballs im Fernsehen verloren gehe; Football in a quiet room, whatever possibilities the television screen provides for the appreciation of finesse, seems to be a singularly bloodless and cold occupation.111
Karl-Heinz Heimann vom Kicker beklagte über die allgemeine Kulturkritik hinaus, die Filmschnipsel von […] oft bis zu sieben oder acht Spielen an einem Samstag gaukeln dem Betrachter daheim am Pantoffelkino vor, er habe alles gesehen, was in der Bundesliga passierte […]. Aus einem Spiel über 90 Minuten, mag es noch so schwach sein, lassen sich mit Leichtigkeit so viele gute Passagen zusammenschneiden, daß in den Fünfminutenfilmchen dann den Betrachtern das Spiel als eine hochdramatische Angelegenheit erscheint. […] Herauskommen können bei dieser Methode immer nur Zerrbilder.112
Auch bei der englischen Football Association stand man der neuen Ästhetik des Fernsehfußballs kritisch gegenüber. Im Jahresbericht von 1973/74 wurde bemängelt, [e]dited television versions of top-class matches on both channels have made the public as selective as they are over cinema shows. They wish to see only the best. What incentive has the spectator to watch, say, Darlington or Hartepool, on a bitterly cold afternoon, when he can see a First Division game from the comfort of his own armchair in the evening?113 109 Vgl. Hackforth, Sport im Fernsehen, S. 218; Whannel, Fields in Vision, S. 38. 110 Vgl. Wilhelm Hopf, Fernsehsport: Fußball und anderes, in: ders. (Hrsg.), Fußball. Soziolo gie und Sozialgeschichte einer populären Sportart, Bensheim 1979, S. 227–240, hier S.239. 111 Kind to Every Sport but Football, in: The Times vom 17.4.1965, S. 12 112 Karl-Heinz Heimann, Ja, das Fernsehen, in: Kicker-Sportmagazin 16 vom 22.2.1971, S. 48. 113 The Football Association, A Season of Declining Interest, in: dies. (Hrsg.), Year Book. 1973–1974, London 1974, S. 66–69, hier S. 67.
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Die Bundesligaspieler Klaus Wunder und Hannes Linssen machten ebenfalls die Prägung des Zuschauers durch das Fernsehen für den Publikumsschwund in den Stadien verantwortlich, indem sie anführten, man müsse schon »unglaublich naiv« sein, um anzunehmen, daß der Wohlstandsbürger heute bei jeder Witterung in unsere veralteten Stadien geht, wenn er zu Hause sowieso das Beste zu sehen bekommt. Denn das Fernsehen macht aus einem mehr als mäßigen Spiel durch eine Zusammenfassung der besten und spannendsten Szenen eine dramatische Begegnung. Sieht ein Fußball anhänger über einen längeren Zeitraum nur Fernsehzusammenfassungen, so ist er sicherlich zutiefst enttäuscht, wenn er dann einmal wieder auf den Fußballplatz geht.114
Den meisten Klubs diente das Fernsehen als Sündenbock für den Zuschauer schwund. »Erst wenn wir das Fernsehen generell aus den Fußballstadien feuern, kommen die Zuschauer wieder«, behauptete beispielsweise 1970 Franz Seybold, damaliger Geschäftsführer des VfB Stuttgart115. Und Stan Seymour, ein ehemaliger Direktor von Newcastle United, bezeichnete den Fernsehfußball bereits zehn Jahre zuvor als »glorious method of suicide« für die Vereine116. Bei den Zuschauern war man in dieser Hinsicht jedoch meist anderer Meinung. R. Schwarz forderte in einem Leserbrief an den Kicker von den Fußballverantwortlichen, das Schimpfen auf das Fernsehen einzustellen und stattdessen mehr Eigeninitiative und eine richtige Einschätzung der Situation zu zeigen117. Es sei eine Fehleinschätzung, wenn man durch Einschränkung oder gar Verbot der Fernsehübertragungen mehr Zuschauer erwartete, denn letztendlich seien die Mängel im Stadionkomfort, die hohen Preise, der schlechte Service und die dürftige Kampfbereitschaft der Spieler die Ursachen für den Publikumsschwund. Ähnlich deutliche Worte fand einer der Befragten der Infratest-Meinungsumfrage von 1970/71: Wenn ich DM 20,- für eine Eintrittskarte bezahle und mir dann beim Marsch vom Parkplatz zum Stadion durch knöcheltiefen Schmutz bereits nasse Füße hole, mich auf der Tribüne zwei Stunden lang in den Regen setzen muß, keine Möglichkeit habe, einen beginnenden Schnupfen mit heißem Kaffee oder Schnaps zu bekämpfen, dann auch noch schlechten Fußball zu sehen bekomme, dann setze ich mich lieber vors Fernsehen und gebe die DM 20,- für eine Theaterkarte aus.118
Was die Vereine verkannten, brachten diverse Artikel und Studien auf den Punkt. 114 Klaus Wunder / Hannes Linssen, Bundesliga ohne Fernsehen!, in: Kicker-Sportmagazin 36 vom 30.4.1973, S. 12. 115 Kelber, Fernsehen raus. 116 More Clubs Attack Soccer TV Plan. »Glourious Method of Suicide«, in: The Guardian vom 23.8.1960. 117 Vgl. Rainer Schwarz, Leserbriefe. Lernt vom Kino!, in: Kicker-Sportmagazin 10 vom 29.1.1973, S. 10. 118 Infratest, Die Situation der deutschen Fußball-Bundesliga, S. 111.
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In many cases the television watcher is already a spectator manque. Take away his television football and he is more likely to turn to non-football television than to non-television football. The reversion from comfort to discomfort is likely to be resented and resisted.119
Die bereits im vorherigen Kapitel genannte Infratest-Studie zur Situation der Bundesliga widmete sich ausführlich dem Einfluss des Fernsehens auf den Besuch von Bundesliga-Spielen und kam zu dem Ergebnis, dass das Fernsehen nicht die Ursache für den Rückgang der Zuschauerzahlen sei, vielmehr wird es als Substitutionsangebot für den Besuch auf dem Platz erst dann akzeptiert, wenn das ursprüngliche Angebot des Fußballbesuchs so unattraktiv geworden ist, dass es nicht mehr genutzt wird120.
Stattdessen ergebe sich aus Fernsehübertragungen ein Werbeeffekt für den Fußball. Ohne diese Übertragungen erführe die Bundesliga »das gleiche Schicksal wie ein nicht beworbener Markenartikel«121. Auch der englische PEP-Bericht kam zu dem Schluss, das Fernsehen sei »both a useful advertisement for football and a lucrative source of income«, und die Furcht der FL vor fernsehbedingtem Zuschauerschwund sei nicht rational begründet122. Das Beispiel des US -amerikanischen Baseball- und Footballsports zeige dagegen, dass die Vereine und Verbände bei Live-Übertragungen große Summen von den Fernsehsendern einfordern könnten. Neben den USA galt auch Brasilien als »gelobtes Land der Fußball-Fernsehfreunde«123. 1968 erschien in der »Stuttgarter Zeitung« ein Bericht, der erstaunt beschrieb, wie das Fernsehen in Brasilien auch Menschen ins Stadion lockte, die nie zuvor ein Spiel besucht hatten. Ein Netz privater Sendestationen, die untereinander in hartem Konkurrenzkampf um die Werbe-Etats der Markenindustrie stehen, überzieht alle Regionen des Landes – und überall regiert König Fußball. Das erstaunliche Ergebnis dieses unvergleich lichen Funk- und Fernseh-Kundendienstes für das fußballinteressierte Publikum: die Besucherzahlen bei den Spielen gehen nicht zurück, sondern zeigen steigende Tendenz.124
Ähnlich wie bei den Stadien hatten sich also auch beim Fernsehen in anderen Ländern bereits kommerzielle Modelle herausgebildet, die gewissermaßen ihrer Zeit voraus waren. Auch hier ist für den englischen und deutschen Fußball ein 119 John Arlott, Televising Sport Has Had a Boomerang Effect. John Arlott Examines the Cases For and Against that Sports Viewing From a Cosy Armchair, in: The Guardian vom 9.11.1973, S. 24. 120 Infratest, Die Situation der deutschen Fußball-Bundesliga, S. 78. 121 Ebd., S. 83. 122 Political and Economic Planning, English Professional Football, S. 101. 123 Fußball ist Brasiliens Fernseh-König. Unvorstellbarer TV-Service in Rio, in: Stuttgarter Zeitung vom 6.11.1968. 124 Ebd.
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Bruch erst in den 1990er Jahren zu beobachten, als Fußballverantwortliche und Fernsehmacher ihre gegenseitigen Abneigungen ablegten und sich auf ein gemeinsames Vermarktungskonzept verständigten. Zusammenfassend betrachtet, erlebte der professionelle Fußballsport seit den 1950er Jahren einen entscheidenden Bedeutungswandel. Der materielle Wohlstand seiner Anhängerschaft – insbesondere die verbesserten Lebensumstände der Arbeiter – veränderte deren Wahrnehmung und Perspektiven. Vor dem Hintergrund des neuen häuslichen Komforts gerieten die Fußballstadien mehr und mehr in die Kritik, da sie den gestiegenen Ansprüchen des Publikums nicht mehr gerecht wurden. Konkurrenz durch ein sich stetig ausweitendes Freizeitangebot ließ das Fußball-Erlebnis im Stadion zusätzlich immer unattraktiver erscheinen. Lokale Traditionen verloren insgesamt an Bindekraft, was nicht nur an der Kultur des Massenkonsums sondern auch an der gleichzeitig stattfindenden Verhäuslichung und Mobilisierung der Gesellschaft lag. Die Fußballvereine und -verbände waren diesem Wandel ausgeliefert, ohne darauf vorbereitet zu sein. Der Zuschauerschwund erzeugte just zu dem Zeitpunkt einen enormen Veränderungsdruck, als der Profifußball in England und Deutschland bereits von innen heraus einen strukturellen Wandel erfuhr, der eine negative Eigendynamik in Gang gesetzt hatte.
4. Die Spieler: Emanzipation, Skandale und Starkult Im Fußball finde ein Prozess der zweifachen Emanzipation statt – so beschrieb die Times 1973 die problematischen Veränderungen für das Spiel125: erstens habe sich das Publikum von den Beschränkungen der Wahlfreiheit, welche das Freizeitverhalten über viele Generationen hinweg bestimmt hatten, befreit und zunehmend vom Fußball gelöst. Dieser Diversifizierung der Freizeit und ihren Folgen ist das vorhergehende Kapitel nachgegangen. Zweitens – und dies soll den Inhalt der nun folgenden Ausführungen ausmachen – emanzipierten sich auch die Spieler von den feudalen Restriktionen ihrer Arbeitsverhältnisse. Die in England 1961 und in Westdeutschland 1972 durchgesetzte Aufhebung der Maximalgrenzen für Spielergehälter bedeutete für den einzelnen Spieler zunächst weit höhere Verdienstmöglichkeiten als jemals zuvor. Der dadurch entstehende Wettbewerb beschränkte sich nicht nur auf die Vereine der jeweiligen nationalen Ligen, sondern bekam zunehmend eine internationale Dimension, was die Verhandlungsposition der Spieler gegenüber den Vereinen enorm stärkte. Waren die Spieler noch in der Nachkriegszeit mehr oder weniger der Willkür ihrer Vereine ausgesetzt, mussten nun die Klubs um die Gunst der umworbenen 125 Vgl. Hugh McIlvanney, Why British football is Shouting for Help in No-Man’s Land, in: The Times vom 16.12.1973, S. 22.
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Profis buhlen. Darüber hinaus veränderte sich auch der gesellschaftliche Status von Berufsfußballern. In England symbolisiert die Karriere von George Best in den 1960er Jahren den Wandel des Spielers vom lokalen Helden aus der Arbeiterklasse zum abgehobenen Fußball-Superstar. Nicht nur bei vielen Zuschauern rief diese Entwicklung Befremden hervor, sondern auch der Spieler selbst hatte mit den Folgen der sozialen Entwurzelung zu kämpfen. Uwe Seeler und Franz Beckenbauer verkörpern zwei Stufen dieser Entwicklung in der Bundesrepublik: Während Seeler in den 1960er Jahren zwar bereits ein medial gefeierter Star war, aber noch bodenständig (fast) allen Verlockungen des Geldes und ausländischer Klubs zugunsten seiner Hamburger Heimat widerstand, steht Beckenbauer für den Typus des fast übernatürlichen internationalen Superstars der 1970er Jahre. Es empfiehlt sich, die Entwicklung in England und Deutschland zunächst getrennt zu betrachten, da sich deren Zeitpunkt und Verlauf in beiden Ländern deutlich voneinander unterschied. Die englische Emanzipation der Spieler ging auf einen aktiven Arbeitskampf der Berufsfußballer und ihrer Gewerkschaft zurück, während das Gehaltssystem der Bundesliga eher ungewollt durch einen großen Manipulationsskandal erschüttert wurde.
4.1 England: Ein New Deal für die Spieler »Yet one day, perhaps the year 1961 could be marked down as the turning point of British football«126 – tatsächlich beurteilen nahezu alle bisher erschienenen Forschungsarbeiten zum britischen Fußball die Abschaffung der Gehaltsobergrenzen für Spieler im Jahr 1961 als Wendepunkt in der Entwicklung des Spiels127. Sie bedeutete zwar nicht das Ende aller Beschränkungen, jedoch wurden die Arbeitsbeziehungen zwischen Berufsfußballer und Klub entscheidend neu ausgehandelt. »The shackles of football slavery were significantly loosened but the chains had not been broken«128 – derlei Vergleiche mit der Abschaffung der Sklaverei finden sich zahlreich in den Quellen sowie in der wissenschaftlichen Literatur und scheinen einen allgemeinen Konsens zu markieren129. Heute, in einer Zeit, in der Transfersummen einen dreistelligen Millionenbetrag erreicht haben und die Fußballprofis der Spitzenligen zu den bestbezahlten Berufsgruppen überhaupt gehören130, erscheinen diese Parallelen zur Sklaverei absurd. Eher wünschen sich nicht wenige die Deckelung der Gehälter zurück, um den 126 Football in the Upper Income Group. New Incentives for New Season, in: The Times vom 18.8.1961, S. 4. 127 Vgl. Taylor, The Association Game, S. 234; Joyce Woolridge, A New Breed? Some Observations about the Careers of Professional Footballers in England, 1946–1985, in: Soccer and Society 5 (2010), S. 522–536, hier S. 534. 128 Taylor, The Association Game, S. 234. 129 Vgl. ebd., S.228. 130 So wechselte 2017 der Brasilianer Neymar als bis dahin teuerster Spieler aller Zeiten für 222 Millionen Euro zu Paris Saint-Germain.
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finanziellen Kollaps der Fußballligen und vor allem der kleineren Vereine zu verhindern. Ob Sklaverei oder ökonomische Selbstzerstörung der Liga, die Argumente zur Spielerbezahlung sind nicht neu, sondern spiegeln einen Konflikt wider, der zu Beginn der 1960er Jahre einen ersten Höhepunkt erreicht hatte. Verhandelt wurden nicht nur die Fragen, wie viel ein Spieler gerechterweise verdienen dürfe, ob das Verhältnis zwischen Spieler und Verein noch zeitgemäß sei, oder wie mit dem zunehmenden Einfluss des internationalen Wettbewerbs um die besten Fußballer umzugehen sei, sondern vor allem der Status des Spielers in der Gesellschaft. Der Ausgang dieser Auseinandersetzung war keineswegs so absehbar, wie er in der Rückschau zu sein scheint, wenn von Rückständigkeit, feudalen Strukturen und »Sklavenmarkt« die Rede ist. So hatten zum Beispiel einige Zeitgenossen kein Verständnis dafür, dass ein Fußballspieler für eineinhalb Stunden Arbeit wesentlich mehr verdienen sollte als sein in Vollzeit schuftender Kamerad in der Fabrik oder unter Tage. Andere sahen die durchaus realistische Gefahr, dass eine Öffnung des Wettbewerbs um die talentiertesten Spieler vor allem auf Kosten der kleineren Vereine gehen und so das ganze Ligasystem gefährden würde. Entscheidend im Zwiespalt zwischen den Hauptakteuren der »Professional Footballer’s Association« (PFA) und der Football League waren nicht unbedingt die besten Argumente, sondern deren jeweilige Strategie, sowie ihr Vermögen, Einfluss auf die Gunst der Medien, des Publikums und der Politik zu nehmen. Die Höchstgrenze für Spielergehälter war in England 1901 von der FL eingeführt und zunächst auf 4 Pfund pro Woche festgelegt worden131. Das Maximalgehalt überstieg damit deutlich den Durchschnittslohn eines qualifizierten Arbeiters, weshalb eine Karriere als Fußballer für junge Männer aus dem Arbeitermilieu ungleich attraktiver war als ein Job in der örtlichen Industrie. In der Zwischenkriegszeit stieg der Maximallohn auf 8 Pfund und wurde nach 1945 auf Druck der Spieler schließlich auf 20 Pfund während der Saison und 17 Pfund in der Sommerpause angehoben. Nicht jeder Berufsfußballer verdiente den maximalen Lohn, dafür bekamen Stars meist zusätzlich legale und illegale Bonuszahlungen. In den 1930er Jahren verdienten etwa 10 Prozent der Spieler den Höchstsatz, während dies in den 1950er Jahren bereits bei einem Viertel der Fall war132. Neben der Beschränkung der Gehälter war das retain and transfer system ein wichtiges Mittel der Fußballverantwortlichen, um einerseits die Profispieler zu kontrollieren und andererseits zu verhindern, dass eine kleine Anzahl reicher Klubs sich ein Monopol auf die größten Talente sichern würde133. Diese Regel schränkte die Wahlfreiheit für Spieler enorm ein: Bei einem gewünschten Klubwechsel musste der Spieler seinen Verein darum bitten, ihn auf die Transferliste zu setzen. Wenn dieser sich weigerte und ihn stattdessen auf der retain-Liste 131 Vgl. Walvin, The People’s Game, S. 84; Mason, Sport in Britain, S. 160. 132 Vgl. Mason, Sport in Britain, S. 160. 133 Vgl. ebd., S. 161; Stephen Wagg, The Football World. A Contemporary Social History, Brighton / Sussex 1984, S. 107; Walvin, The People’s Game, S. 175.
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führte, durfte der Spieler selbst nach Ablauf seines Vertrags nicht zu einem anderen Klub wechseln. Ihm blieb nur die Möglichkeit, entweder weiterhin für diesen Verein zu spielen oder den professionellen Fußballsport ganz aufzugeben. Dieses System benachteiligte talentierte Spieler, weil sie oftmals keine Chance bekamen, sich in Teams mit höherem Niveau spielerisch weiterzuentwickeln. Darüber hinaus begünstigte es Ausweichpraktiken wie Schmiergeldzahlungen der Vereine untereinander oder die Abwanderung von Spielern zu ausländischen Klubs134. So waren im Jahr 1957 sechs Spieler des Sunderland AFC von der Football League wegen der Annahme illegaler Handgelder verurteilt worden, und ihnen drohte der gänzliche Ausschluss vom professionellen Fußball135. Um dies zu verhindern rief der damalige Präsident der PFA , Jimmy Hill, zu einer Aktion auf, die zeigen sollte, »that these payments were widespread and that the players at Sunderland were no more guilty than almost every professional player«136. Binnen einer Woche gelang es, mehr als 250 Unterschriften anderer Spieler zu sammeln, die zugaben, ebenfalls illegale Zahlungen angenommen zu haben, was den Mechanismus des maximum wage öffentlich ad absurdum führte. Mehrere Faktoren trugen dazu bei, dass es um 1960 zu einem offenen Konflikt zwischen Spielergewerkschaft und Vereinen kam. Erstens sensibilisierte die allgemeine Wohlstandsentwicklung in den 1950er Jahren die Spieler für ihre eigene Gehaltssituation. So stieg in dieser Zeit das Durchschnittseinkommen eines Arbeiters schneller an, als der Lohn eines Fußballers137. Whereas his earning capacity rendered the footballer ›a privileged member of the community‹ before the Second World War, by the 1950s there was a perception that his standard of living and ›standing in the community‹ were under threat.138
Tom Finney, zu jener Zeit Nationalspieler, beschrieb 1958 die beginnende Unzufriedenheit, welche die Spieler in der Nachkriegszeit erfasste: Before 1939 […] even those fortunate enough to enjoy consistent employment in industry, had to work long hours for an average national wage of something below £4 a week. In comparison, a professional footballer, with his undeniable congenial job, was a very happy man on his £8 a week maximum. The picture has changed.139
134 Beliebtestes Ziel im Ausland war die italienische Profi-Liga, welche die Spieler mit einem höheren Einkommen und einem besseren Lebensstil lockte. John Charles, der 1957 von Leeds United zu Juventus Turin wechselte, wurde beispielsweise mit einem Fiat, einer mietfreien Familienwohnung sowie einer mediterranen Villa ausgestattet und genoss zahlreiche Bonuszahlungen. Vgl. Taylor, The Association Game, S. 230; Wagg, The Football World, S. 108 f. 135 Vgl. Jimmy Hill, Striking for Soccer, Kingswood / Surrey 1961, S. 14 f.; Wagg, The Football World, S. 104–105. 136 Hill, Striking for Soccer, S. 14 f. 137 Vgl. Mason, Sport in Britain, S. 162; Wagg, The Football World, S. 102. 138 Taylor, The Association Game, S. 229. 139 Tom Finney, Finney on Football (as told to David R. Jack), London 1960, S. 141.
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Der Gehaltsunterschied zwischen Arbeiter und Profifußballer verkleinerte sich zudem zu einer Zeit, in der der Fußball boomte und die Stadien voll waren. In der Öffentlichkeit stießen die Spieler daher häufig auf Zustimmung, wenn sie eine höhere Beteiligung an den Profiten der Vereine forderten140. Zweitens förderte der internationale Vergleich eine veränderte Selbstwahrnehmung der Spieler. Insbesondere in Italien, Spanien und Lateinamerika erhielten die Spieler bereits ein deutlich höheres Gehalt als ihre englischen Kollegen. Sie wurden dort nicht als Angestellte oder Arbeiter betrachtet, sondern ihnen wurde vielmehr dieselbe Verehrung zuteil, wie sie berühmten Künstlern entgegengebracht wurde. Auch in der englischen Presse fand man Gefallen an diesem Sonderstatus des Fußballers und erhoffte sich von der höheren Bezahlung und Wertschätzung der Spieler durch ihre Klubs eine bessere Qualität des Spiels, wie beispielsweise ein Artikel der Times von 1960 offenbarte: It might also add a fresh dignity to the game with young men who could feel that they have as much to learn and to offer as lawyers, doctors, musicians, artists and the rest. That is the present secret of Barcelona, Real Madrid, and the rest of the Latin footballers.141
Drittens veränderte auch die Verbreitung des Fernsehens seit Mitte der 1950er Jahre das Bild der Spieler. Ihre Präsenz auf dem Bildschirm stellte zunehmend eine Distanz zum gewöhnlichen Arbeiter her, sodass die Starspieler bald mehr als Entertainer und Teil der florierenden Unterhaltungsbranche denn als »Kumpel von nebenan« wahrgenommen wurden und wahrgenommen werden wollten. Dazu trug auch bei, dass einige Spieler bereits Werbeverträge besaßen und im Fernsehen für Produkte wie Rasierapparate oder Pomade Reklame machten142. Im Gegensatz zu den restriktiven Arbeitsverträgen konnten die Werbeverträge bereits frei nach Marktwert ausgehandelt werden. Der damalige Rekordspieler des FC Fulham, Johnny Haynes, beschrieb zu Beginn der 1960er Jahre in einer Rückschau sein anfängliches Erstaunen über das neue Maß an Bekanntheit, das Profifußballern nun möglich war und ihren gewohnten Kosmos sprengte: The whole thing fascinated me. I had previously experienced some kind of national publicity […] but for the first time I was acutely conscious of the power of the Press, and of money, the very big money, involved in this football business and of the illogical finances of the game. For the first time I was aware that for days on end, millions of people in every part of the country, even in its most remote corners, were reading about me, Johnny Haynes, the little boy from Edmonton.143 140 Vgl. Wagg, The Football World, S.104. 141 Players Await Football League Reply, in: The Times vom 25.05.1960, S. 18. 142 Jimmy Hills »Striking for Soccer« zeigt Fotos von Fußballstars wie Johnny Haynes, Mel Charles und Bobby Charlton in ihrer Funktion als Markenbotschafter. Vgl. Hill, Striking for Soccer. 143 Johnny Haynes, It’s All in the Game, London 1963, S. 44. Die von Haynes beschriebene Omnipräsenz der Fußballer in der Presse war jedoch nur der Anfang. Mit der flächendeckenden Ausbreitung des Fernsehens sollte der Starkult in den 1960er und 1970er Jahren eine neue Qualität erreichen.
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Ein entscheidender Faktor dafür, dass die Spielergewerkschaft überhaupt den Vorstoß zur Abschaffung der Lohnbeschränkungen unternahm, war schließlich die Wahl Jimmy Hills zum Präsidenten der PFA im Jahr 1957144. Hill sollte sich durch sein Geschick im Umgang mit Spielern und Medien als Schlüsselfigur im Arbeitskampf der Profifußballer erweisen. Geboren 1928 in einem Vorort von London, den er selbst als »suburban and ordinary« bezeichnete145, und vor seiner Fußballerkarriere zeitweise als Börsenmakler tätig146, gehörte er zu einer Minderheit in einem Beruf, der hauptsächlich von Angehörigen der working classes ausgeübt wurde. Das Vertrauen der PFA-Mitglieder gewann er dennoch rasch, da er bereit war, als Gewerkschaftspräsident auf eine Entlohnung zu verzichten sowie durch seinen bereits geschilderten Einsatz für die angeklagten Spieler des Sunderland AFC147. In den späten 1950er Jahren hatte die Unzufriedenheit der Spieler über den maximum wage und das retain and transfer system zugenommen, sodass die Spielergewerkschaft die Notwendigkeit sah, mit der FL über diese Punkte zu verhandeln. Die Art und Weise, wie die Football League mit der PFA kommunizierte, löste bei den Spielern Frustration aus und trug wesentlich zur Eskalation der Situation bei. So berichtete Hill von einer Diskussion im Dezember 1959, bei der es schien, als seien die Mitglieder des FL-»Management Committee« prepared to listen to anything we had to say, any argument we could put forward, knowing we could only go on for so long, and at the end of three hours we would have spoken ourselves out. […] It couldn’t really be called a discussion. It was almost a soliloquy by Jimmy Hill and, at the end of it even I lost some of my original enthusiasm. All my arguments were so obviously falling on stony ground.148
Da das Management Committee der FL selbst keine Entscheidungsbefugnis hatte, musste es Forderungen der PFA zunächst bei einer außerordentlichen Versammlung mit den Vertretern der einzelnen Klubs diskutieren. Diese beauftragten wiederum erneut das Management Committee damit, über die genannten Punkte nachzudenken. Nachdem weitere Zeit verstrichen war, schrieb das Komitee der Spielergewerkschaft, dass es bereit sei, Überlegungen zu einigen Veränderungen, wie die Vertragslänge oder eine Anhebung des Mindestlohns anzustellen. Zu den Hauptforderungen der PFA wurden jedoch keinerlei Zugeständnisse gemacht, und es wurde davon abgeraten, diese bei zukünftigen Treffen noch einmal auf die Agenda zu setzen149. 144 Die Gewerkschaft war 1907 als »Association of Football Player’s and Trainer’s Union« gegründet und unter Hill 1958 in »Professional Footballers Association« umbenannt worden. Vgl. Wagg, The Football World, S. 116. 145 Hill, Striking for Soccer, S. 2. 146 Ebd., S. 4. 147 Wagg, The Football World, S. 112. 148 Hill, Striking for Soccer, S. 22. 149 Ebd., S. 22 f.
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Die Spieler waren über die Ignoranz und Verschleppungstaktik der FL derart verärgert, dass sie ihre Gewerkschaft bei der Jahresversammlung im Februar 1960 mit der Befugnis ausstatteten, weitere Maßnahmen im Kampf um Lohnund Vertragsfreiheit zu ergreifen. Zunächst forderte die PFA daraufhin die Unterstützung des Arbeitsministeriums an150. Dieses brachte PFA , FL und FA gemeinsam an den Verhandlungstisch, was ein paar Monate lang erfolgversprechend zu sein schien. Im November 1960 wurde auf einem internen Treffen der Vereinspräsidenten jedoch abermals beschlossen, zwar kleine Änderungen im Entlohnungssystem vorzunehmen, aber in den Hauptpunkten nicht auf die Forderungen der PFA einzugehen. Hill beschrieb dieses Ereignis als Wendepunkt, the day when the Football League lit the fuse that was to blow up in the headlines of newspapers throughout Britain and even throughout the world; that was to involve battles in Parliament, in courts of law, on television screens […] – a battle in which […] almost every member of the trades unions in the country found himself directly involved.151
Die Turbulenzen, die folgten, waren nicht zwingend eine natürliche Folge der Unnachgiebigkeit der FL , wie dies Hills Aussage suggeriert. Schließlich gab es durchaus vernünftige Argumente, warum es für das Spiel – vor allem finanziell – besser sein konnte, die Lohnbeschränkungen nicht aufzuheben. Eric Todd, ein Journalist des Guardian, wies über den ökonomischen Aspekt hinaus in mehreren Artikeln darauf hin, dass es zwar angesichts der unersättlichen menschlichen Geldgier verständlich sei, dass die Spieler mehr Gehalt forderten, dieser Anspruch jedoch vor dem Hintergrund von sinkenden Zuschauerzahlen und einer schlechten Qualität des Spiels seine Legitimität verlöre. Many spectators have taken away their custom because they honestly believe they are not getting value for money, and that far from deserving £20 a week, a large percentage of players is not worth £10.152
Auch würde es Neid und Zwietracht im Team säen, wenn einzelne Spieler mehr bekämen als andere. In Anbetracht des Gegenwindes, den die Spieler von verschiedenen Seiten erfuhren, ist es also aufschlussreich, zu verfolgen, mit welcher Strategie es der PFA gelang, in den folgenden Wochen Öffentlichkeit und Politik von ihrem Anliegen zu überzeugen. Um ein klares und allgemein unterstützungswertes Ziel zu kommunizieren, musste zunächst der Anschein der »Geldgier« von Profi fußballern aus der Welt geschafft werden. Stattdessen wurde die Abschaffung 150 Ebd., S. 24 f. 151 Ebd., S. 27. 152 Eric Todd, Wide Implications of Player’s Latest Demand. Another Problem for Administrators, in: The Guardian vom 23.3.1960, S. 11; vgl. auch Eric Todd, Player’s Claim for Higher Pay Has Another Airing. Old and New Values in Comparison, in: The Guardian vom 28.10.1960, S. 4.
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des maximum wage nun als eine von zwei prinzipiellen Freiheiten (two freedoms) gefordert: statt ums Geld ginge es den Spielern um die Freiheit, die Arbeitsverträge und die Höhe des Lohns selbst auszuhandeln. »These are freedoms which are basic and unarguable and the right of every working man in Britain«, erklärte Hill der Presse153. Die Times gab, wie andere Zeitungen auch, Hills Argumente mehr oder weniger unhinterfragt wieder. Vor allem kämpfe dieser, so beispielsweise ein Artikel von Dezember 1960, for a game he loves and for the principles involved rather than for an immediate increase in hard moneys. […] He wishes to wipe out the stigma of professionalism that still attaches in some places; he wants to improve the overall standards, thereby bringing an added stature, prestige, and new incentive to the big game, beset, so he feels, for too long by narrow horizons and confused thinking […]. […] Hill may well be fair game for the practised snipers. But he is caring for the game itself.154
Der »Observer« entwarf gar eine eigene »Charter for Soccer«, in der die Journalisten »Freiheit und eine Stimme« für die Spieler forderten, denn [i]t seems to be incredible to us that the players have been allowed no say in the structure of the game they play. This setting apart of the players might have been acceptable in the difficult 1930s, but in a society where there is full employment, it is unbelievable that their feeling for, and knowledge of, the game should be ignored.155
Die auffällige Parteinahme der Presse für das Anliegen der Spieler resultierte in hohem Maße aus der Medienpräsenz Jimmy Hills. Im Gegensatz zu den Funktionären der FL ließ dieser kaum eine Gelegenheit aus, sich den Journalisten zu erklären und die Argumente der PFA ausführlich darzulegen. Er hatte frühzeitig erkannt »how much notice people take of newspapers. They derive nearly all their opinions on sport, especially disputes from the headlines«156. Nicht nur Hill, auch andere Spieler warfen sich in den öffentlichen Meinungskampf. Brian Walsh, der zu dieser Zeit für Cardiff City spielte, setzte beispielsweise in einem Brief an den Observer auf die emotionale Anteilnahme der Leser: I am a married man with three children, a small car and a large mortgage, and in common with all players I do not relish the thought of a strike. I would like to express the feelings of players on the position in which we have found ourselves and explain the reasons for the principles we believe in.157
Nach dem gegenwärtigen Vertragssystem besäße der Spieler die Verhandlungsmacht eines vergoldeten Stuhls auf einer »Sotheby«-Auktion, brachte Walsh 153 154 155 156 157
Hill, Striking for Soccer, S. 39. Players Await Football League Reply, in: The Times vom 25.05.1960, S. 18. The Player’s Role. Freedom and a Voice, in: The Observer vom 20.11.1960, S. 18. Hill, Striking for Soccer, S. 35. Brian Walsh, A Player Puts His Case. Like a Gilded Chair at a Sotheby Auction, in: The Guardian vom 20.11.1960, S. 18.
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seine Kritik auf den Punkt, indem er die Spieler zu Opfern von zutiefst un gerechten Strukturen stilisierte. Ähnlich argumentierte William John Slater von den Wolverhampton Wanderers in seinem Antwortschreiben an den kritischen Guardian-Journalisten Todd. Die Spieler forderten nicht primär eine Gehaltssteigerung, sondern »simple, human reforms«. Weiter führte Walsh aus, dass der Journalist Todd seiner Gewerkschaft weit bessere Bedingungen zu verdanken habe als dies bei den Fußballern der Fall sei und fragte, would he [Todd] sign or respect a contract which his employers had admitted was not valid in law and contained such an insulting regulation as one which required him to submit anything he wrote to or for the press to his employer for their approval?158
Eine wichtige Funktion für die Öffentlichkeitsarbeit spielte darüber hinaus das Fernsehen. »The battle began on television«159, kommentierte Hill die Strategie der PFA , das Fernsehen als Sprachrohr zu nutzen. Besonders wenn populäre Spieler wie Stanley Matthews, der noch heute als Legende des englischen Fußballs gilt, Bobby Charlton oder Johnny Haynes im TV ihre Unterstützung für die Offensive der PFA bekundeten, hatte dies großen Einfluss auf die öffentliche Meinung. Auch die Spieler selbst galt es auf eine einheitliche Linie zu bringen, denn nicht alle waren zu Beginn von der Strategie der Spielergewerkschaft überzeugt, insbesondere, nachdem die FL den Spielern Ende Dezember 1960 eine Lohnerhöhung auf 30 Pfund pro Woche zugestanden hatte. Auf einer der zahlreichen Spielerversammlungen äußerte ein nordenglischer Profi seine Bedenken: I don’t think we should be telling the directors their business. My father works in a mine and earns fifteen pounds a week for forty-four hours – I earn twenty pounds a week for twelve hours, surely this is not bad. I think we should be content with what we’ve got.160
Tommy Banks, ein englischer Nationalspieler, entgegnete dem skeptischen Kollegen, you can go back and tell thy father […] that he canna be much bloody good as a miner to be taking only fifteen quid a week home. I’ll come and do tha’ dad’s job and I’ll make a bloody sight more than fifteen pounds a week – but can tha’ dad come and do my job? How would he like to mark brother [Stanley] Matthews here?161
Aus diesem Disput wird deutlich, dass es einer Neudefinition des Fußballerberufs bedurfte, um die Abschaffung des maximum wage zu legitimieren. Während ein Teil der Spieler sich noch an Gehältern und Arbeitszeiten von Arbeitern 158 William John Slater, Professionals Want to Negotiate Their Own Contracts. Wolverhamp ton Player Makes an Appeal, in: The Guardian vom 23.11.1960, S. 4. 159 Hill, Striking for Soccer. 160 Zit. n. ebd., S. 75. 161 Zit. n. ebd., S. 75.
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orientierte, führten andere die besser bezahlten und medial omnipräsenten Fußballstars der jüngeren Zeit als Referenzgruppe an. Die Aussage von Tommy Banks zielte eindeutig darauf ab, den Fußballer als Künstler mit besonderen Fähigkeiten zu charakterisieren – außerordentliche Leistung rechtfertigte in seinen Augen auch ein außerordentliches Gehalt. Gegen die Rufe nach Bescheidenheit wurde zusätzlich noch das Schreckgespenst der drohenden Mittelmäßigkeit in Stellung gebracht. Hill wurde nicht müde zu betonen, »that football was in a state of apathy […], that the conditions encouraged mediocrity«162. Zu einer Zeit, in der die Qualität des internationalen Fußballs sich verbesserte und an britische Standards annäherte, erschien das Argument, die Lohnbeschränkungen könnten das britische Spiel schwächen, vielen als ernstzunehmendes Bedrohungsszenario163. Angesichts der heterogenen Zusammensetzung von Fußballern aus allen Spielklassen war es eine beachtliche Leistung der PFA , dass es ihr Mitte Dezember 1960 in mehreren Versammlungen gelang, die fast einmütige Zustimmung der Spieler zum Streik als letztem Druckmittel zu bekommen164. Während sich 694 Spieler für einen Streik aussprachen, falls die FL ihren Forderungen nicht binnen eines Monats nachkommen sollte, stimmten nur 18 Fußballer dagegen. Ein Streik bedeutete gerade für Spieler der unteren Klassen ein wirtschaftliches Risiko. Die PFA organisierte daher bereits im Voraus zahlreiche Fußballplätze, auf denen im Falle eines Streiks gewinnbringende Freundschaftsspiele hätten stattfinden können. Für Hill war es vor allem die Streikdrohung, die den Spielern Glaubwürdigkeit und die Unterstützung der Öffentlichkeit einbrachte: In the past, because of an pathetic attitude among the players, we had not been able to convince the public of our belief in our principles and our determination to fight for them. We couldn’t possibly expect the public to be with us and believe in us unless we were prepared to strike. Union men understand strikes and they have not much respect for people who are not prepared to back their beliefs by this final action. Going on strike was not as important as convicting people that as a last resort we were prepared to go on strike.165
Der gewerkschaftliche Dachverband »Trades Union Congress« (TUC) erklärte mehrfach seine Solidarität mit den Fußballern. Mitte Januar 1961, als der Beginn des Streiks kurz bevor stand, forderte Ted Hill, der Präsident des TUC , die Gewerkschaftsmitglieder auf, in the first place to boycott every football match where black-legs [Streikbrecher] participate, and, at the same time, remember the black-legs when they have finished playing football and want to come back to industry. Should a strike take place, Trade
162 163 164 165
Ebd., S. 26. Wagg, The Football World, S. 108. Vgl. Hill, Striking for Soccer, S. 45. Ebd., S.45 f.
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Union committees should be set up in every town where there is a professional team, to obtain financial assistance from industrial workers in their areas, and should do everything possible to win 100 % victory for footballers.166
Damit wurde zugleich Druck auf diejenigen Fußballspieler ausgeübt, die sich mit den Zugeständnissen der FL zufriedengaben und nicht in Streik treten wollten. Unterstützung bekamen die Spieler schließlich auch von der anderen Seite des politischen Spektrums. Philip Goodhart, ein Abgeordneter der Konservativen, hatte bereits im November 1960 eine leidenschaftliche Rede im Parlament gehalten, in der er die bestehenden Verträge der Spieler als dermaßen überkommen bezeichnete, »[that they] would have been rejected with a snort of contempt by any intelligent young apprentice in the Middle Ages«167. Der britische Sport historiker Stephen Wagg argumentierte in diesem Zusammenhang, dass für die konservative Regierung die Unterstützung der PFA prestigeträchtiger war als der Beistand für die FL , denn deren Position sei nicht kompatibel gewesen »with the now prevailing ethos of worker prosperity and ›we are all middle-class now‹«168. Die Football League machte im Konflikt um die Abschaffung des maximum wage eine eher unglückliche Figur. Alan Hardaker, der Präsident der FL , schrieb den Erfolg der PFA im Nachhinein vor allem deren Öffentlichkeitsarbeit zu, »which clouded opinion in the House of Commons as well as on the terraces«169. In der Tat wussten es die Akteure der PFA wesentlich geschickter anzustellen als die FL , Öffentlichkeit, Medien und Politik für ihre Sache zu mobilisieren. Jedoch trug auch die FL das Ihre zum Ausgang des Konflikts bei: Die Organisation schien insgesamt zersplittert und nicht in der Lage zu sein, ein entscheidungsfähiges Gremium zu bilden170. Die Strukturen behinderten somit die Kommunikation mit der PFA erheblich. Auch das öffentliche Auftreten der FL beschädigte deren gesellschaftliches Ansehen. So sprach Hardaker zur Presse von einer Verschwörung, die hinter dem Streik stehe und von einem mysteriösen »Mr X« angeleitet werde: Somebody is misleading the players. Who explains our offers to them? It looks as though somebody wants a strike. Who is this somebody who wants to cause a strike? I am reluctantly forced to the conclusion that somebody outside the game – a Mr X – wants to get control of 40 or 50 stars and move them about for his own gain.171
166 167 168 169 170
Zit. n. ebd., S. 65 f. So the M. P.s Said, in: The Observer vom 27.11.1960, S. 18. Wagg, The Football World, S. 119. Alan Hardaker, Hardaker of the League, London 1977, S. 81. Für wichtige Entscheidungen mussten die Präsidenten aller Klubs zusammenkommen und in Abstimmungen eine Zwei-Drittel-Mehrheit erreichen. Das »League Management Committee« selbst war nicht befugt, eigenmächtig Entscheidungen zu treffen. Daher zogen sich Entscheidungsprozesse häufig über eine längere Zeit hin und brachten oftmals kein Ergebnis. 171 Zit. n. Hill, Striking for Soccer, S. 59 f.; Vgl. Wagg, The Football World, S. 118.
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Die Unterstellung, dass die Spieler nicht für ihre eigenen Prinzipien einträten, sondern fremdgesteuert seien, erhöhte eher noch deren Solidarität untereinander und brachte ihnen – im Gegensatz zur intendierten Taktik Hardakers – Sympathien ein. Weitere Kritik erregte die FL dadurch, dass sie vor dem Beginn des geplanten Streiks Spiele kurzfristig verlegen ließ, um sich letzte Einnahmen zu sichern172. In der Öffentlichkeit erweckte dies den Anschein von Profitgier und Ignoranz. Die FL stand schließlich mit dem Rücken zur Wand und stimmte am 19. Januar 1961 der Abschaffung der Höchstgrenzen für Spielergehälter zu, womit sie einen Streik in letzter Sekunde verhinderte. Es sollte noch zwei weitere Jahre dauern, bis auch das retain-and-transfer system vom Obersten Gerichtshof als unzulässig erklärt wurde173. Spieler durften nun nicht mehr ohne Bezahlung von einem Klub gehalten werden, jedoch blieb es für sie nach wie vor schwierig, zu einem anderen Verein zu wechseln. Die FL modifizierte das System, anstatt es abzuschaffen – die volle Vertragsfreiheit wurde den Spielern erst Ende der 1970er Jahre gewährt174. Wie zu erwarten, hatte die FL für den sogenannten New Deal zwischen Spielern und Klubs kein gutes Wort übrig. Das System funktioniere nun einseitig zugunsten der Spieler, schalt Hardaker 1962 im Jahrbuch der FA175. Diese müssten begreifen, dass sie sich nicht maßlos bedienen dürften, wenn nach zehn Jahren noch etwas vom Spiel übrig bleiben sollte. Bedroht sei auch der Teamgeist, denn dieser sei etwas, which cannot be bought for money, but it can very quickly be destroyed by money if one or two individuals are getting more than the rest of one team. It seems to me that the real aim and object of football has been lost in the continual talk of money.176
Cliff Lloyd, Geschäftsführer der PFA , argumentierte dagegen, dass die Fußballklubs schon lange Wirtschaftsunternehmen und ein Teil der Unterhaltungsindustrie seien177. Most branches of public entertainment have already developed their own professionalism, leaving behind the crude and rigid master and servant relations of which was their hallmark in the nineteenth century. We want our profession to catch up and we think it now has a chance of doing so. Above all I would like to see those who employ our players affording to them […] professional respect for their football ability and integrity.178 172 173 174 175
Vgl. Hill, Striking for Soccer, S. 68. Vgl. Wagg, The Football World, S. 119. Vgl. Taylor, The Association Game, S. 234. Vgl. Alan Hardaker, The New Contract (1), in: The Football Association (Hrsg.), Year Book. 1962–1963, London 1963, S. 22 f., hier S. 22. 176 Ebd., S. 23. 177 Vgl. Cliff Lloyd, The New Contract (2), in: The Football Association (Hrsg.), Year Book. 1962–1963, London 1963, S. 23 f., hier S. 24. 178 Ebd., S. 24.
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Dem Vorwurf der Raffgier der Spieler begegnete Lloyd somit mit dem Argument der »Würde« des Spielers, die dann gegeben sei, wenn dieser nach seinem Marktwert bezahlt werde. Die FA schätzte die Abschaffung des maximum wage zunächst ebenfalls positiv ein. In einer Zeit, in der »we cannot overlook a situation in which our finest talent is in danger of being creamed off by overseas clubs«, seien die Vereine der FL nun erstmals in der Lage, konkurrenzfähige Konditionen zu bieten179. 1968 schienen sich für die FA die Hoffnungen auf eine bessere Qualität des Spiels erfüllt zu haben: British football […] has staged a revival in skill, tactics, outlook, and prestige such as seemed most unlikely seven years ago. […] Professional football has got away from its cloth cap image, and with increased prosperity can go on to provide a new sporting and social club facility for the community in the future. Professional footballers today are highly trained, intelligent, and skillful young men who earn their salaries by entertaining thousands of people, people who in general are happy with the state of football in 1968 and who prove it by continuing to support it.180
Jedoch war diese Einschätzung eingefärbt vom Erfolg bei der Weltmeisterschaft von 1966 und sollte sich kurze Zeit später als allzu optimistisch erweisen. Die meisten Pressestimmen begrüßten die Abschaffung des maximum wage. Selbst der kritische Guardian-Journalist Todd konnte der Entwicklung des etwas Positives abgewinnen. Immerhin habe der Zuschauer nun das Recht, einen höheren Spielstandard sowie bessere Bedingungen im Stadion einzufordern181. Jedoch wurden auch die langfristigen Folgen bereits thematisiert. Durch höhere Ausgaben seien insbesondere finanzschwache Klubs in Zeiten sinkenden Zuschauerzuspruchs gefährdet, so der Autor eines Times-Artikels 1961. Dies sei aber nicht nur negativ, sondern habe eine reinigende Wirkung, denn »[o]nly the best should be left in the shop window, all the dead wood pruned […]«182. Ein weiterer Kommentator verwies bereits auf die Eigendynamik eines deregulierten internationalen Fußballmarktes, deren Folgen nicht abzusehen seien: Football has given birth to a supermarket. The boundaries no longer merely enclose England, Scotland, Wales, and Ireland. It is now a world game in a new age.183
179 Stanley Rous, No Progress without Change, in: The Football Association (Hrsg.), Year Book. 1961–1962, London 1962, S. 13 f., hier S. 13. 180 What Limit Wages and Transfers?, in: The Football Association (Hrsg.), Year Book. 1968–1969, London 1969, S. 71–73, hier S. 72 f. 181 Eric Todd, Paying Public is Entitled to Expect Top Quality Fare. Strike Fear Overclouds New Season, in: The Guardian vom 19.8.1961, S. 6. 182 No Longer a Place for Poor Clubs. Football at the Crossroads, in: The Times vom 11.11.1961, S. 9. 183 League Clubs May Now Reap the Whirlwind, in: The Times vom 14.4.1961, S. 5.
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Mittelfristig konnten Studien wie die des PEP oder der »Chester-Report« zwar nur moderate Gehaltssprünge nach 1961 feststellen184. Beide Berichte sahen eher Anomalitäten im Entlohnungssystem beseitigt. Jedoch zeigte sich langfristig im Verlauf der 1970er und 1980er Jahre, dass die meisten Vereine in einen finanziellen Teufelskreis aus steigenden Ausgaben bei sinkenden Einnahmen taumelten, wodurch das gesamte Spiel in eine Krise geriet. Dieser Zusammenhang soll in Kapitel 5 thematisiert werden.
4.2 Deutschland: Amateurideologie und Skandale Als der DFB 1963 die Bundesliga als oberste Spielklasse etablierte und den kickenden »Vollprofi« einführte, sah Jürgen Werner, ein 27-jähriger Nationalspieler des Hamburger Sport-Vereins (HSV) keinen Anlass zum Feiern. »Und wenn es in den nächsten fünf Jahren 300.000 Mark wären – das ist mir die Sache nicht wert«, lehnte er die höheren Löhne für Lizenzspieler entschieden ab185. Werner befürchtete, dass mit dem »großen Geldverdienen« die Sklavenzeit der Hochleistungs-Fußballer anbreche und beschied, er könne »diesen Weg nicht mitgehen«186. Die zunehmende Kommerzialisierung des Sports führe laut Werner dazu, dass Berufsspieler nicht mehr aus Freude am Spiel, sondern nur noch als Mittel zum Zweck des Geldverdienens den Rasen beträten. Unterschiedliche Gehälter gefährdeten zudem den Zusammenhalt der Mannschaft. »Der schönste Sport ist es nicht wert, sich zu seinem Sklaven zu machen«, befand er, weshalb er trotz der Umstimmungsversuche des Bundestrainers aus dem Fußballsport ausschied und stattdessen Studienrat wurde187. Zwar stand Werner unter den Spielern mit dieser Meinung ziemlich alleine dar, dennoch verweist die Berichterstattung über seinen Fall auf eine spezifische Einfärbung der Debatte um Spielergehälter in Deutschland, die sich in vielen Aspekten von der englischen Variante unterschied. Erstens hemmte ein ideologisch überhöhtes Amateurideal, welches seine Wurzeln in der Zeit der Weimarer Republik hatte, die Herausbildung eines Berufsspielertums, wie es in England bereits seit Mitte der 1880er Jahre existierte. Dieser Amateurgedanke, der sich auch im Idealismus von Jürgen Werner widerspiegelt, prägte die Statuten des DFB und wurde auch von großen Teilen der Öffentlichkeit immer wieder vorgetragen. So war beispielsweise der Zeit-Journalist Adolf Metzner 1963 der Meinung, dass sich das Berufsspielertum nicht positiv auf das Spielniveau auswirken werde, denn »›Voll-Profis‹ haben wie die Arbeiter die Eigenschaft, ihre Kräfte recht ökonomisch einzusetzen und
184 Political and Economic Planning, English Professional Football, S. 128 f.; Department of Education and Science, Report on the Committee on Football, S. 36 f. 185 Ohne mich, in: Der Spiegel 20 vom 15.5.1963, S. 56. 186 Ebd. 187 Ebd.
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sich nicht so zu verausgaben wie Amateure«188. Dabei ließ er außer Acht, dass in nahezu allen anderen Fußball-Nationen der Professional längst eingeführt worden war und Deutschland mit seinen Halb-Amateuren zunehmend von der internationalen Spitze verdrängt wurde. Zweitens kam es in der Struktur des deutschen Fußballs zu Verzerrungen durch das Steuer- und Vereinsrecht. Erik Eggers und Nils Havemann argumentieren in ihren Forschungsarbeiten, dass der Amateurgedanke vom Verband nicht primär aus ideologischen Gründen stark gemacht worden war. Vielmehr sei es darum gegangen, staatliche Subventionen und steuerliche Erleichterungen für die »gemeinnützigen« Vereine einfordern zu können189. Die Einführung des Berufsspielertums sowie die Entgrenzung der Spielergehälter wurden hartnäckig bekämpft, da sie den Status der Gemeinnützigkeit bedrohten, was für die Vereine große wirtschaftliche Einbußen zur Folge gehabt hätte. Im Unterschied dazu wirtschafteten die englischen Klubs bereits seit dem späten 19. Jahrhundert nicht mehr als Idealvereine190 sondern als Kapitalgesellschaften. Drittens wurde im Vergleich zu England und dem Rest der Fußballwelt die Abschaffung der Höchstgrenzen für Spielergehälter in der Bundesrepublik sehr spät vollzogen. Erst 1972, elf Jahre nach dem Arbeitskampf der englischen Spieler, vermeldete die Presse »Die Gehälter sind frei«.191 Der Meldung war jedoch kein Aufstand der Spieler um Geld und Prinzipien vorangegangen. Stattdessen war die in England so spektakulär umkämpfte Freigabe der Spielergehälter in der Bundesrepublik ein eigentlich unerwünschtes Nebenprodukt: Im sogenannten »Bundesliga-Skandal« war 1971 offenkundig geworden, dass illegale Zahlungen und Spielmanipulationen eine gängige Praxis waren. Dies erschütterte den deutschen Fußball nicht nur deshalb, weil bestehende Bestimmungen zur Bezahlung von Bundesligaspielern scheinbar permanent unterlaufen worden waren. Sondern mit der Manipulation von Spielergebnissen wurde der gesamte Wettkampfcharakter des Spiels in Frage gestellt. Die Enttäuschung der Zuschauer über das »Schau-Geschäft« war für die Bundesliga in höchstem Maße existenzgefährdend, sodass der DFB sich gezwungen sah, in einem Bündel von Reformen auch die Spielergehälter so rasch wie möglich freizugeben. Aus Perspektive der Spieler wandelte sich der Beruf des Fußballers in den 25 Jahren nach Ende des Zweiten Weltkrieges von Grund auf. Der Sprung vom »Kartoffelspieler« der unmittelbaren Nachkriegszeit bis zum Fernsehstar und Fußball-Großverdiener der 1970er Jahre war enorm und verlief in der Bundesrepublik in mehreren Schritten: Zwar war offiziell nach wie vor der Amateur das 188 Adolf Metzner, Der ›Große Fußball‹ – schon Schaugeschäft oder noch Sport? Nach dem letzten Endspiel kommt die Bundesliga, in: Die Zeit vom 24.5.1963. 189 Vgl. Eggers, Berufsspieler sind Schädlinge des Sports; Havemann, Samstags um halb 4. 190 Ein Idealverein ist nach § 21 BGB ein Verein, der vorwiegend ideelle Zwecke verfolgt und nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist. 191 Karl-Heinz Heimann, Die Gehälter sind frei, in: Kicker-Sportmagazin vom 17.4.1972, S. 33.
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Maß aller Dinge, jedoch wurden »[n]ach dem Kriege […] die Amateurgesetze praktisch aufgehoben«, wie der DFB in seiner Chronik von 1953 berichtete. Daneben spielte der Lebensmittelmangel in den Jahren 1945 bis 1948 eine unheilvolle Rolle. Gute Spieler zeigten plötzlich eine besondere Liebe für die Landvereine, und mit Lebensmitteln ließ sich restlos alles machen. In der obersten Klasse gingen die Zuschauerzahlen […] sprunghaft in die Höhe. Als nicht gewollte Folge dieses Geldstromes erhöhten sich die Forderungen der Spieler.192
In den ersten Nachkriegsjahren fehlte eine wichtige Bremse der Professionalisierung, da der DFB noch nicht wiederbegründet worden war, weshalb die Vereinigung der süddeutschen Oberligaklubs 1948 auf eigene Faust den Vertragsspieler einführte193. Auf einer konstitutiven Sitzung schlossen sich die zukünftigen DFB -Mitgliedsverbände dem Modell des Südens an und brachten im Mai 1949 das Vertragsspielerstatut auf den Weg, welches die zukünftigen Rahmenbedingungen für professionelle Vereinsspieler festlegte. Zu den Bestimmungen des Statuts gehörte es, dass jeder Vertragsspieler einen »ordentlichen Beruf« außerhalb des Vereins ausüben müsse und lediglich eine »Aufwandsentschädigung« von höchstens 320 DM monatlich erhalten dürfe194. Wie bereits dargelegt, waren diese Auflagen vor allem den Bemühungen des DFB geschuldet, die Gemeinnützigkeit der Vereine und die damit einhergehenden Steuervorteile nicht zu gefährden. 1959 wurde der Höchstsatz zulässiger Monatsvergütungen noch einmal auf 400 DM angehoben, womit die Spieler im Vergleich zu Arbeitern und Angestellten überdurchschnittlich viel verdienten, denn der Betrag wurde zum Einkommen aus dem obligatorischen ordentlichen Beruf addiert. Jedoch wurden zu dieser Zeit im Ausland bereits wesentlich höhere Summen gezahlt, weshalb es ebenso wie in England zu einer Auswanderungswelle von Starspielern nach Italien, Spanien und in andere europäische Länder kam. So gingen beispielsweise die Nationalspieler Helmut Rahn (der »Torschütze von Bern«) 1960 in die Niederlande, Horst Szymaniak und Helmut Haller nach Italien und Klaus Stürmer in die Schweiz. Sie alle hätten, behauptete die Zeit, »während ihres mehrjährigen Auslandsaufenthalts mehr Geld auf die hohe Kante legen können, als sie in Deutschland überhaupt je verdient hätten«195. Besonders brisant machte diese Entscheidungen die Tatsache, dass ein Spieler mit seinem Wechsel ins Ausland automatisch von der Nationalmannschaft ausgeschlossen wurde. Attraktiv waren ausländische Ligen jedoch nicht nur aus finanziellen, sondern auch aus sportlichen Gründen: Während in Deutschland fünf regionale Oberligen mit insgesamt 74 Vereinen auf sehr unterschiedlichem Niveau existierten, wurden in anderen Ländern die leistungsstärksten Klubs in einer nationalen Liga 192 Zit. n. Hans Dieter Baroth, Anpfiff in Ruinen. Fußball in der Nachkriegszeit und die ersten Jahre der Oberligen Süd, Südwest, West, Nord und Berlin, Essen 1990, S. 33. 193 Vgl. Rudinger / Stöwer, Spundflasche, S. 74. 194 Vgl. ebd., S. 74 f. 195 Horst S. Vettert, »Graue« Börse für den grünen Rasen, in: Die Zeit vom 13.4.1962.
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zusammengefasst196. Nicht wenige Zeitgenossen waren deshalb der Meinung, »[d]er deutsche Fußball, mit seinem Massenligabetrieb« sei »die rückständigste Fußballorganisation der Welt«197. Kleinere Vereine, die kaum das Grundgehalt für ihre Spieler auszahlen konnten, mussten mit Spitzen-Mannschaften konkurrieren, was zu vielen sportlich unattraktiven Partien führte. Als »vorsintflutlich« wurde auch die Trainingssituation in Deutschland betrachtet198. Da sie das Fußballspiel nur nebenberuflich betreiben durften, machten sich bei den Spielern im internationalen Vergleich zunehmend Defizite hinsichtlich ihrer Kondition bemerkbar. Außerhalb der großen Welt- und Europameisterschaftsturniere zeigte die Nationalmannschaft eine auffällige Leistungsschwäche, welche ihre Entsprechung auf Vereinsebene im schlechten Abschneiden deutscher Klubs beim 1956 gegründeten Europacup der Landesmeister fand199. Bereits wenige Jahre nach Einführung des Vertragsspielerstatuts stellte der DFB -Bundesgerichtsvorsitzende Alfred Heynen resigniert fest, dieses sei »durchlöchert wie ein Schweizer Käse«200. Zahlreiche Sportgerichtsverhandlungen machten deutlich, dass die Zahlungsbestimmungen des Statuts systematisch unterlaufen wurden, sodass sich »der Fußball im aufkeimenden Wirtschaftswunder als eine der letzten Bastionen des Schwarzen Marktes« behauptete, wie der Spiegel zu Beginn der 1960er Jahre konstatierte201. Illegale Handgelder, heimliche Bonuszahlungen und verdeckte Vergünstigungen wie Immobilien, Versicherungen oder Autos waren an der Tagesordnung und warfen bei ihrer Aufdeckung ein grelles Licht auf die Kluft zwischen Wirklichkeit und den Bestimmungen des Statuts. Trotz aller wiederholten Beteuerungen, die Vertragsfußballer seien noch immer Amateure, erblickte die Presse in ihnen längst nichts als Berufsspieler, die sich von ihren ausländischen Kollegen nur durch ihre offiziellen (schlechteren) Honorare unterscheiden, die aber durch allerlei andere heimliche und getarnte Zuwendungen entsprechend aufgebessert werden202.
Angesichts der Abwanderung zahlreicher Spieler ins Ausland, des sinkenden Spielniveaus, der schlechten wirtschaftlichen Situation vieler Vereine und der allzu offenkundigen Praxis illegaler Spielerbezahlung blieb dem DFB letzt endlich nur die Flucht nach vorn: Am 30. Juli 1960 fasste der DFB -Bundestag den Beschluss, die Zahl der Vereine mit Vertragsspielermannschaften zu verringern und eine Spitzenliga einzuführen.
196 Vgl. Siegfried Gehrmann, Ein Schritt nach Europa: Zur Gründungsgeschichte der Fußballbundesliga, in: Sozial- und Zeitgeschichte des Sports 1 (1992), S. 7–37, hier S. 8. 197 Robert Becker / Karl-Heinz Heimann / Walter Setzepfandt, Die Bundesliga. Die 16 Besten, München 1963, S. 6. 198 Vgl. ebd., S. 6 f. 199 Vgl. Gehrmann, Ein Schritt nach Europa, S. 10. 200 Rat von Ratz. Spieler-Export, in: Der Spiegel 43 vom 18.10.1961, S. 76 f. 201 Geld im Schuh, in: Der Spiegel 35 vom 26.8.1963, S. 32–42, hier S. 39. 202 W. F. Kleffel, Klare Verhältnisse: Berufsfußball, in: Die Zeit vom 1.10.1953.
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Damit sollte auch für die Spitzenvereine eine Änderung des Vertragsspielerstatuts mit einer als notwendig erkannten höheren Bezahlung der Spieler verbunden sein. Gleichzeitig sollte erreicht werden, zu gesunden, ehrlichen Zuständen im deutschen Spitzenfußball zu kommen. Es spielte dabei die Erwägung mit, daß man vielleicht durch eine Bundesliga die Spielstärke und die Schlagkraft der deutschen Nationalmannschaft steigern […] könne203,
führte der DFB 1962 in einem Gutachten die Gründe für die Einführung der Bundesliga aus. Die Schaffung des Vollprofitums mit freier Bezahlung wurde zwar als Möglichkeit erwogen, zu diesem Zeitpunkt jedoch abgelehnt. Man begründete dies damit, dass zum einen sogar in England, wo die Professiona lisierung zu diesem Zeitpunkt bereits weiter fortgeschritten war, weiterhin Umgehungen der Gesetze und Auseinandersetzungen zwischen Vereinen, Spielern und Verbänden stattfänden204. Zum anderen sei man nach den vorliegenden Informationen der Überzeugung, dass die deutschen Spitzenvereine die Einführung des Vollprofitums selbst gar nicht wünschten. Zwar war man sich beim DFB bewusst, dass die Schaffung eines Zwischenstadiums zwischen Vollprofi und Vertragsspieler die Gefahr barg, dass sich am bestehenden Zustand nichts änderte, »weil es dann doch wieder Vereine geben werde, die das dann geltende Statut übertreten würden«205. Dennoch entschied man sich für die Einführung des »Lizenzspielers«, der genau jenes Zwischenstadium verkörperte. Dieser war nicht mehr Mitglied, sondern Angestellter seines Vereins, wobei die Pflicht, einen zusätzlichen bürgerlichen Beruf auszuüben abgeschafft wurde206. Die deutschen Lizenzspieler unterschieden sich jedoch von ihren englischen und auch den meisten europäischen Kollegen darin, dass die Höhe ihrer Gehälter weiterhin nach oben beschränkt war. 1200 Mark war das monatliche Maximum, welches nur in Ausnahmefällen und mit Genehmigung des Finanzamts auch überschritten werden durfte. Die Verfasser des »Gutachtens über die rechtlichen und organisatorischen Probleme bei Einführung einer zentralen Spielklasse im DFB« führten als Begründung mehrfach an, »[o]berster Grundsatz müsse aber in jedem Falle die Erhaltung der Gemeinnützigkeit für die Vereine und die ihnen übergeordneten Verbände bleiben«207. Gegenüber dem Finanzamt wurde deshalb weiterhin argumentiert,
203 Deutscher Fußball-Bund (Hrsg.), Jahresbericht 1961/62. Erstattet durch den Bundesvorstand, Frankfurt a. M. 1962, S. 71. 204 Ebd., S. 71. 205 Deutscher Fußball-Bund: Gutachten über die rechtlichen und organisatorischen Pro bleme bei Einführung einer zentralen Spielklasse im DFB , in: ders. (Hrsg.), Jahresbericht 1961/62. Erstattet durch den Bundesvorstand, Frankfurt a. M. 1962, S. 70–104, hier S. 71. 206 Vgl. Bundesligastatut, in: Becker / Heimann et al., Die Bundesliga, S. 150–190. 207 Deutscher Fußball-Bund, Gutachten über die rechtlichen und organisatorischen Pro bleme, S. 73; siehe auch S. 71 f.
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[d]ie Mittel, die durch die sportlichen Veranstaltungen der Lizenzspielerabteilung zufließen, sollen wie bisher nach Deckung der Unkosten wieder dem Gesamtverein und damit gemeinnützigen Zwecken dienen und dafür verwendet werden. Da aber die zahlreichen Jugend- und Seniorenamateurmannschaften wie die Amateurabteilungen, in denen andere Sportarten betrieben werden, nur durch die Mittel, die die Lizenzspielerabteilung einbringt, unterhalten werden können, könnte diese Abteilung mit höher bezahlten Lizenzfußballspielern als steuerlich unschädlicher Geschäfts betrieb im Sinne der §§ 7 und 9 Gemeinnützigkeits-Verordnung angesehen werden.208
Gleichzeitig gab man sich in jenem Schreiben auch große Mühe, überzeugend auszuführen, warum die Höherbezahlung der Spieler unumgänglich sei. So wurde argumentiert, es drohe der »Ausverkauf« von deutschen Spitzenspielern durch hohe Angebote aus dem Ausland sowie der sportliche Niedergang aufgrund von gestiegenen physischen Anforderungen im internationalen Wettbewerb209. Nachdem das Finanzministerium zugesichert hatte, dass die Gemeinnützigkeit der Vereine auch bei einer höheren Bezahlung der Spieler nicht gefährdet sei, beschloss der Verband 1962 die Einführung einer nationalen Bundesliga mit zunächst 16 Vereinen, in der von nun an die Lizenzspieler auflaufen durften. In der Praxis bewahrheitete sich zunächst, was Zeitgenossen bereits vermuteten: »Das Publikum hat für ›Lohnstops‹ ohnehin nie viel Verständnis gehabt. Es war und ist viel stärker an der Leistung interessiert und auch bereit, dafür zu zahlen«210. Die neu gegründete Bundesliga stellte sich als sportlicher wie kommerzieller Erfolg heraus; die Zuschauer strömten in die Stadien, um endlich regelmäßige Spitzenspiele zwischen den leistungsstärksten Teams der Bundesrepublik verfolgen zu können. Nach dem ersten Jahr konnte daher eine positive Bilanz gezogen werden: Die Gewinne waren bei den besten Klubs bzw. jenen in den größten Städten enorm und betragen weit über 50 Prozent. Der Hauptgrund dafür sind nicht nur die hohen Einnahmen, sondern auch die relativ niedrigen Unkosten, da die Angestellten der Fußballindustrie im Entwicklungsstadium, die Akteure selbst, mit ihrem Gehaltsstopp trotz Erfolgsprämie offensichtlich erheblich unterbezahlt sind.211
Bereits im zweiten Jahr der Bundesliga tauchten die vermeintlich gelösten Pro bleme um illegale Spielerbezahlungen jedoch erneut auf. »[D]ie Fußballmoral ist keinen Deut besser als vorher«, schimpfte Horst Vetten, der für die Zeit schrieb, nachdem eine Buchprüfung bei Hertha BSC Betrugsvorgänge in größe-
208 Auszug aus einer Eingabe an den Bundesfinanzminister vom 23.2.1961, in: ebd., S. 79. 209 Vgl. ebd., S. 74–77. 210 Becker / Heimann et al., Die Bundesliga, S. 25. 211 Adolf Metzner, Das Gold in der Kniekehle. Fazit nach dem ersten Bundesliga-Jahr, in: Die Zeit vom 15.5.1964.
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rem Ausmaß ans Tageslicht gebracht hatte212. Der Verein hatte etwa 150.000 DM dazu verwendet, auf dem schwarzen Fußballmarkt Spieler einzukaufen. Diesen zahlte er Handgelder, die die erlaubte Höhe von 10.000 DM um ein Vielfaches überschritten213. Obwohl dem DFB bekannt war, dass die meisten Vereine gegen das Bundesliga-Statut verstießen – laut DFB -Generalsekretär Hans Paßlack fände man »unter hundert Sündern nur einen Dummen, der schuldig gesprochen wird«214 – beschloss der Verband, an Hertha BSC ein Exempel zu statuieren: Der Klub wurde in einem von vielen als drakonisch empfundenen Urteil des DFB -Bundesgerichts aus der Bundesliga verbannt. Es liegt auf der Hand, dass mit dem Ausschluss eines Vereins die Unregelmäßigkeiten der Spielerbezahlung keinesfalls abgeschafft waren. Der HSV-Vizepräsident Dr. Barellet verriet dem Spiegel, jeder Verein habe »seine Masche, um das Statut auszuhöhlen, ohne ertappt zu werden«215. Dabei waren dem Einfallsreichtum keine Grenzen gesetzt: Während Hertha BSC sechs neuen Spielern 32 Spielautomaten aufstellte, die monatlich bis zu 800 DM einspielten, wurden anderswo die Spieler mit Tankstellen, Gastwirtschaften, Spirituosenläden, Sportgeschäften, Bausparverträgen, Darlehen oder lukrativen Versicherungen ausgestattet216. Diese zwar unkonventionellen und illegalen, aber dennoch großzügigen Vergütungen der Spieler durch die Vereine dürften letztendlich der Grund dafür gewesen sein, dass diese nicht wie in England lautstark eine bessere Bezahlung einforderten und sich gegen ihre Arbeitgeber auflehnten. Im Nachhinein nimmt es nicht Wunder, dass das Bezahlsystem des Lizenzspielers irgendwann endgültig implodierte. Im Juni 1971 war es schließlich soweit: Horst Canellas, der damalige Präsident von Kickers Offenbach, enthüllte mithilfe von Tonbandaufnahmen, welch exorbitantes Ausmaß illegale Zahlungen und Spielmanipulationen angenommen hatten und brachte damit den bis heute größten Skandal der Bundesliga ins Rollen. Im Abstiegskampf der Saison 1970/71 kämpften noch am letzten Spieltag vier Klubs um den Klassenerhalt. Völlig überraschend siegte Arminia Bielefeld, dessen Abstieg schon sicher schien, gegen den Tabellendritten Hertha BSC . In der Presse wunderte man sich über den »regelrechten Zeitlupenfußball« von Hertha, während die Zuschauer bereits »Schiebung, Schiebung« brüllten217. Tatsächlich entschieden gekaufte Tore über den Abstieg. Fernmündlich verhandelten Stars und Funktionäre über die Preise für falsches Spiel in der höchsten Preisklasse. Manipulierte Elfmeter sollten 1000 Mark kosten. Absprachen über ganze Spiele 212 Horst Vetten, Wildwest in der Bundesliga? Kritische Bilanz nach dem zweiten Jahr, in: Die Zeit vom 30.4.1965. 213 Das ist schrecklich, in: Der Spiegel 28 vom 7.7.1965, S. 70–79, hier S. 77. 214 Ebd., S. 79. 215 Ebd., S. 78. 216 Ebd., S. 78. 217 Vgl. »Ein Elfmeter kostet 1000 Mark«, in: Der Spiegel 25 vom 14.6.1971, S. 74–83, hier S. 80.
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wurden für fünf- bis sechsstellige Summen angeboten. Strohmänner eilten mit geldgespickten Aktentaschen kreuz und quer durch die Bundeslande zu geheimen Treffs.218
Die von Canellas aufgenommenen Telefonate offenbarten eine Praxis der Bestechung, in die Spieler aus sieben Bundesligavereinen sowie Funktionäre und Trainer involviert waren219. So handelte Canellas mit Bernd Patzke und Tasso Wild, beide Spieler bei Hertha BSC , eine Zahlung von 120.000 DM aus, wenn das Spiel zu Offenbachs Gunsten ausginge220. Im Gespräch wurde deutlich, dass die Herthaner ebenfalls mit Arminia Bielefeld in Kontakt standen und verhandelten. Gleichzeitig trat Canellas auch mit Manfred Manglitz, dem Torwart des 1. FC Köln, gegen den Kickers Offenbach im letzten Spiel mindestens ein Unentschieden erreichen musste, um nicht abzusteigen, in Verbindung. Für die vereinbarte Summe von 100.000 DM wollte Manglitz das Spiel zugunsten der Offenbacher ausgehen lassen221. In den nachfolgenden Wochen wurde offenkundig, dass Canellas Beschuldigungen nur die Spitze des Eisbergs zu Tage gebracht hatten. Die vollständige Aufarbeitung des Skandals beanspruchte mehrere Jahre und liest sich in der von Havemann zusammengestellten Bilanz ernüchternd: Als alle Akten geschlossen waren, stand amtlich fest, dass in der Endphase der Saison 1970/71 bei vorsichtiger Schätzung mindestens 500.000 D-Mark geflossen waren, um den Ausgang des Abstiegskampfs zu beeinflussen. […] Insgesamt wurden im Lauf der verschiedenen Verfahren gegen sechs Vereinsfunktionäre, zwei Trainer und mehr als 50 Spieler Strafen verhängt. Arminia Bielefeld wurde in die Regionalliga zurück versetzt, Kickers Offenbach für zwei Jahre die Lizenz entzogen. Zahlreiche Stars des FC Schalke 04 wurden überdies vom Landgericht Essen wegen Meineids zu hohen Geldstrafen verurteilt; sie hatten geschworen, kein Geld genommen zu haben.222
Auffällig ist, dass keiner der zeitgenössischen großen Fußballstars wie Beckenbauer, Netzer oder Overath aktiv in den Skandal verwickelt war. Der Soziologe Gerd Hortleder stellte in diesem Zusammenhang bereits 1971 die These auf, dass die Ursachen des Skandals nicht in individualpsychologischen Erklärungen, z. B. »schwachen Charakteren« zu finden seien, sondern dass die Struktur des Fußballerberufs Korruption bei bestimmten Gruppen bedinge223. Zwar sei der Star vor den Unsicherheiten des Berufs geschützt, weil dieser seinen Namen auch nach Karriereende als »Markenartikel« benutzen könne. Jedoch müsse der 218 Ebd., S. 74. 219 Vgl. Übersicht der manipulierten Spiele und sportrechtlich bestraften Spieler, Funktionäre, Trainer und Vereine in: Havemann, Samstags um halb 4, S. 211. 220 Abschriften der von Horst Gregorio Canellas auf Tonband aufgenommenen Telefon gespräche, in: Ingo von Münch (Hrsg.), Aktuelle Dokumente. Bundesliga-Skandal, Berlin, New York 1972, S. 52–67, hier S. 58–66. 221 Ebd., S. 54. 222 Havemann, Samstags um halb 4, S. 210. 223 Gerd Hortleder, Das teure Spielzeug. Ältere Profis besonders gefährdet, in: Die Zeit vom 29.10.1971.
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Rest der Spieler in ihrer rund zwölfjährigen Berufslaufbahn so viel verdienen wie andere Menschen in 30 oder 45 Jahren. Der Bundesligaskandal habe gezeigt, dass vor allem diejenigen Spieler anfällig für Korruption waren, deren Karriere sich ohnehin dem Ende nähert, ältere Spieler, die nicht erfolgreich genug waren, ein internationaler Star zu werden, jedoch gut genug, um innerhalb der Mannschaften Schlüsselpositionen einzunehmen.224
Symptomatisch ist auch, dass sämtliche Vereine, denen der Abstieg drohte, in den Skandal verwickelt waren. Während Spieler in der Bundesliga durchschnittlich 3000 DM einschließlich aller Sondervergünstigungen verdienen durften, waren es beim Abstieg in die Regionalliga nur mehr 400 DM monatlich225. Die Vereine der Regionalverbände verhinderten bis in die 1970er Jahre hinein die Einführung einer zweiten Bundesliga, sodass der Abstieg eines Bundesligisten dessen sportliche und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit praktisch zerstörte und viele Klubs anschließend in der Versenkung verschwanden. Dies erklärt, warum sowohl Spieler, Funktionäre als auch Trainer von Abstiegskandidaten bereit waren, unerlaubte Mittel einzusetzen, wenn damit der Abstieg in die Regionalliga abgewendet werden konnte. Für das Image des deutschen Profifußballs bedeutete der Bundesligaskandal ein Desaster. Da ein Großteil der Prozesse erst während der Saison 1971/72 geführt wurde, blieben die Geschehnisse in den Köpfen der Zuschauer und in der Berichterstattung der Medien über einen längeren Zeitraum hinweg präsent (vgl. Abb. 6). Das volle Ausmaß des Betrugs wurde erst nach und nach enthüllt. Infolgedessen brachen die Zuschauerzahlen von durchschnittlich 20.000 Besuchern pro Bundesligaspiel in der Saison 1970/71 auf im Schnitt etwa 16.000 in der Spielzeit 1972/73 ein. Eine Befragung der »Gesellschaft für Konsumforschung« (GfK) ergab 1973, dass 52 Prozent der Befragten der Meinung waren, der Bundesligaskandal spiele »eine sehr große Rolle« beim Rückgang der Zuschauerzahlen226. Ebenfalls eine große Rolle spielten »hohe Eintrittspreise« und »überbezahlte Leistungen der Spieler« – auch diese Einschätzung lässt sich auf den Skandal zurückführen, da sich viele Zuschauer von den Spielern betrogen fühlten und nicht mehr bereit waren, für den »Schau-Sport« Eintrittsgeld zu bezahlen. Karl-Heinz Heimann machte seiner moralischen Entrüstung stellvertretend für viele andere in seiner wöchentlichen Kolumne für den Kicker Luft: Mit Geld Spielergebnisse manipulieren zu wollen, das ist keine Frage von Statuten oder der Einteilung von Spielklassen. Das ist eine Sache des sportlichen Anstandes, der Moral und, wenn Sie wollen, des persönlichen Charakters sowohl derjenigen, die
224 Ebd. 225 Vgl. Bodo Harenberg, Abwärts in die Hölle? Die Funktionäre der Regionalverbände verhindern II . Bundesliga, in: Die Zeit vom 30.6.1967. 226 Vgl. Grund Nr. 1: Der Skandal, in: Kicker-Sportmagazin 26 vom 26.3.1973, S. 12–14, hier S. 14.
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Abb. 6: Spiegel-Titel zum Bundesligaskandal aus dem Jahr 191. Quelle: Der Spiegel 25/1971
das Geld zu zahlen bereit sind, wie auch jener, die es annehmen würden. Kein noch so ausgeklügelter Wall von Verboten und Strafen kann den Sport vor solchen Leuten schützen.227
Die Spieler selbst kamen in der Diskussion um die Bundesliga-Probleme kaum zu Wort. Klaus Wunder und Hannes Linßen, die zu jener Zeit beim MSV Duisburg spielten, führten dies unter anderem darauf zurück, dass den Spielern eine echte Interessenvertretung fehlte228. Zwar waren die Bundesligaspieler 227 Karl-Heinz Heimann, Ein DFB -Antrag kommt doch?, in: Kicker-Sportmagazin 52 vom 28.6.1971, S. 34. 228 Vgl. Hannes Linssen / K laus Wunder, Warum immer wir? Die Meinung der Spieler, in: Kicker-Sportmagazin 30 vom 9.4.1973, S. 12.
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1963 der »Deutschen Angestelltengewerkschaft« (DAG) beigetreten, ein wirkmächtiges Sprachrohr nach dem Vorbild der englischen PFA entstand aus dieser Zusammenarbeit jedoch nicht. Wunder und Linssen ließen nicht gelten, dass die Schuld allein bei den verwöhnten und bestechlichen Spielern liegen solle, sondern kritisierten, [a]uf der einen Seite haben wir Profis als Arbeitnehmer, auf der anderen Seite ›Hobby bosse‹ als Führungskräfte. […] Nach wie vor werden die Spitzenvereine wie in Turnvater Jahns Zeiten geführt. Diese Millionenunternehmen verfügen oftmals noch nicht einmal über eine ordentliche Buchführung […]. Der Zuschauerschwund ist kein Phänomen. Alle heute zutage tretenden Mängel im Fußballgeschäft waren voraussehbar und abzuwenden. Es geht nicht an, daß die Probleme der Gegenwart stets erst in der Entscheidungsphase behandelt werden.229
Die Aussagen der beiden Bundesligaspieler verweisen auf eine Schieflage in der Professionalisierung des deutschen Fußballs: Während sich die Spieler längst als Profis und Marktteilnehmer begriffen, gaben in den Führungsetagen der Vereine und des DFB Amateurideal und Ehrenamt den Ton an. Ähnlich widersprüchlich war die Reaktion des deutschen Publikums auf die Entgrenzung der Spielergehälter und die immer offenere Professionalisierung der Fußballer. Auf der einen Seite verstieß der hochbezahlte Berufskicker gegen die romantisierende Vorstellung vieler Fans, es ginge dem Spieler um die reine Freude am Spiel und die Farben des Vereins. Dementsprechend finden sich in Leserbriefen viele Stimmen, die sich gegen eine hohe Bezahlung der »verwöhnten« und »nicht mehr leistungsbereiten« Profis aussprachen. Auf der anderen Seite hatten die meisten Anhänger nichts gegen ein Gehalt, welches das eigene um ein Vielfaches überstieg, wenn denn ein außergewöhnlicher Spieler für den eigenen Klub gewonnen werden konnte. Zusammengefasst lassen sich sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede bei der Professionalisierung der Spieler in England und Deutschland erkennen. In beiden Ländern führte der zunehmende Wettbewerbsduck zur Aufhebung der Beschränkungen für Spielergehälter in den 1960er und 1970er Jahren. Dies wurde unter anderem mit Verweis auf die Entwicklungen im Ausland begründet, wo der fürstlich bezahlte Fußball-Künstler bereits die Regel war und das Spiel auf einem technisch immer höheren Niveau betrieben wurde. Die Professionalisierung der Fußballer fiel zugleich in eine Phase steigenden gesellschaftlichen Wohlstands und beschleunigter Medialisierung in Westeuropa, weshalb das Zeitfenster günstig schien, den Status des Spielers in der Gesellschaft neu auszuhandeln. In der Praxis war dies jedoch mit Konflikten verbunden, die jeweils unterschiedliche nationale Formen annahmen. In England war der Profifußballer schon im 19. Jahrhundert institutionalisiert worden, sodass sich eine mehr oder weniger geschlossene Gruppe mit einem spezifischen Berufsethos herausbilden konnte, die Forderungen offensiv nach außen hin vertrat. Es über229 Ebd.
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rascht also nicht, dass die Initiative zur Abschaffung des maximum wage dort von den Spielern selbst ergriffen wurde. Mit einer Mischung aus professioneller Öffentlichkeitsarbeit, Medienpräsenz und kompakt formulierten Slogans gelang es den Fußballprofis, einen großen Teil des gesellschaftlichen und politischen Spektrums von ihrem Anliegen zu überzeugen. Einer Realität, die von Rückständigkeit, »Sklaverei« und fehlender Transparenz gekennzeichnet war, wurde die Vision von Freiheit (der Spieler) und Fortschritt (sowohl spielerisch als auch gesellschaftlich) entgegengestellt. Mit diesen Schlagworten trafen die Spieler den Nerv einer Zeit, in der das Fortschrittsdenken angesichts eines Jahrzehnte anhaltenden Wirtschaftswachstums Hochkonjunktur hatte. Da der Vollzeit-Berufsspieler in Deutschland erst 1963 zugelassen wurde, konnte sich dort keine vergleichbare Bewegung der Profi-Fußballer herausbilden. Auf den Wettbewerbsdruck reagierte der deutsche Fußball ambivalent: Einerseits waren die Statuten von einer Ideologie geprägt, die das Amateurideal beim Spieler sowie das Ehrenamt beim Funktionär priesen. Ob nun ideologische oder steuerrechtliche Argumente hierfür die Ursache waren, ist in der Folge letztendlich nebensächlich. Wurde der Druck zu groß, das heißt kamen Betrugsfälle in größerem Ausmaß zum Vorschein, öffnete der DFB ein Ventil und erhöhte die zulässigen Bezüge der Spieler, ohne an der Struktur etwas zu verändern. Andererseits wurden die Spieler von ihren Klubs unter der Hand ausreichend gepolstert, was allem Anschein nach vom DFB toleriert wurde. Erst als ein rachsüchtiger Vereinsfunktionär die Betrugsvorgänge öffentlich auffliegen ließ, war der Verband tatsächlich zum Handeln gezwungen. Gewinner gab es in dieser eher unfreiwilligen Modernisierung des deutschen Fußballs kaum: Die Spieler wurden oftmals pauschal als unmoralisch diskreditiert, der DFB als rückständig und zögerlich bezeichnet und die Vereine für ihre Misswirtschaft kritisiert. Über den formal beruflichen und finanziellen Status hinaus veränderte sich in dieser Zeit die Stellung des Spielers in der Gesellschaft. Der Aufstieg von Spitzenspielern zu Superstars wird Thema des folgenden Kapitels sein.
4.3 Der Fußballer als Superstar In den 1960er Jahren begann der Aufstieg von Spitzenfußballern zu »Superstars«. Zwar hatte es schon zuvor herausragende Spieler gegeben, denen eine große öffentliche Aufmerksamkeit zuteil wurde, jedoch veränderte sich seit Mitte der Dekade der soziale und kulturelle Status von Starfußballern230. Erstens lag dies an den enormen Verdienstmöglichkeiten, die sich eröffneten, nachdem die Höchstgrenzen für Spielergehälter gefallen waren. Neben den ständig steigenden Gehältern spülten auch Werbeeinsätze und die Vermarktung eigener 230 Vgl. Chas Critcher, Football Since the War, in: John Clarke / Chas Critcher / R ichard Johnson (Hrsg.), Working Class Culture. Studies in History and Theory, London 1979, S. 161–184, hier S. 163.
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Bücher immer größere Summen in die Kassen der Profifußballer231. Profit konnten vor allem diejenigen machen, die sich selbst als »Marke« stilisierten, sei es durch herausragendes Spiel, sei es durch einen auffälligen bzw. ausschweifenden Lebensstil. Der damalige deutsche Nationalspieler und Verteidiger beim FC Bayern München, Paul Breitner, inszenierte sich etwa in den frühen 1970er Jahren als »linken Rebell«, indem er sich Backenbart und Afrolocken wachsen ließ und öffentlich bekannte, er lese in den Trainingspausen Mao, Marx und »Che«232. Kevin Keegan, der in den 1970er Jahren für den FC Liverpool, den HSV und die englische Nationalmannschaft spielte, unterschrieb nicht nur zahlreiche Werbeverträge (u. a. mit dem Kosmetikhersteller Fabergé, dem Sportartikelproduzenten Mitre, sowie den Lebensmittelkonzernen Nabisco und Heinz), sondern begründete eigens Firmen, deren Geschäftsmodell »Kevin Keegan« lautete: »Kevin Keegan Investments Ltd.«, »Kevin Keegan Enterprises Ltd.«, und »Kevin Keegan Sport and Leisure Ltd.«233 Er verdiene doppelt so viel mit Werbeeinnahmen wie mit Fußballspielen, machte Keegan publik, und bekannte, sein Name sei das wichtigste, was er habe234. Dies veranlasste den Soziologen Stephen Wagg, Keegan als den ersten »Klon« des englischen Fußballs zu bezeichnen, »a persona consciously fashioned with a huge audience of consumers in mind«235. Vor Keegans Zeiten, insbesondere in den ersten Jahren des entgrenzten Fußballmarktes bedeutete der plötzliche Zuwachs von Geld und Ruhm für einen Teil der Spieler, dass sie sich zu schnell von ihrem angestammten sozialen Umfeld entfernten und dies als Entwurzelung erfuhren236. Sowohl in England als auch in Deutschland kamen die meisten Spieler ursprünglich aus eher einfachen Verhältnissen, und bis in die 1960er Jahre hinein war die soziale Mobilität vergleichsweise gering. Der Soziologe Chas Critcher befasste sich mit dem Übergang des Fußballers aus der Arbeiterkultur in die Unterhaltungsindustrie und konstatierte, [t]he professional footballer was traditionally a kind of working-class folk-hero, and knew himself to be such. He came from, and only moved marginally out of, the same economic and cultural background as those who paid to watch him. In such a context, a dramatic change in the economic situation of the player was bound to have severe repercussions on the cultural significance of his role as a hero.237 231 Vgl. Tony Mason, Football, in: ders. (Hrsg.), Sport in Britain. A Social History, Cambridge, New York 1989, S. 146–186, hier S. 162 f.; Polley, Moving the Goalposts, S. 122; Wagg, The Football World, S. 123. 232 Vgl. Peter Brügge, »Ich wäre auch nach Griechenland gegangen«. Peter Brügge über den nach Spanien abgewanderten Nationalspieler Paul Breitner, in: Der Spiegel 35 vom 26.8.1974, S. 92 f., hier S. 92. 233 Vgl. Mason, Football, S. 163. 234 Vgl. Wagg, The Football World, S. 141. 235 Ebd., S. 145; vgl. auch Polley, Moving the Goalposts, S. 123. 236 Vgl. Critcher, Football Since the War, S. 162 f.; Richard Holt, Sport and the British. A Modern History, Oxford, New York 1993, S. 316. 237 Critcher, Football Since the War, S. 163.
Die Spieler: Emanzipation, Skandale und Starkult
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Figuren wie Stanley Matthews und Uwe Seeler verkörpern in den Augen vieler noch heute die letzten ehrlichen Fußballarbeiter vor dem Abgang des klassischen »working-class hero«. Sie wurden und werden insbesondere wegen ihres Kampfgeists bei gleichzeitiger Bescheidenheit und Bodenständigkeit verehrt – Werte, die bei nachfolgenden Stars häufig vermisst wurden. Der Sportjournalist Arthur Hopcraft charakterisierte Matthews als Person, die die Herzen der Arbeiter berühren konnte. He was the opposite of glamorous: a non-drinker, non-smoker, careful with his money. […] He was a representative of his age and class, brought up among thrift and the ever-looming threat of dole and debt.238
Auch an Uwe Seeler schätzte man, dass er im bürgerlichen Leben fest auf beiden Beinen stand und selbst bei Millionenofferten aus dem Ausland seinem Verein treu blieb. Jürgen Werner lobte zu Seelers Abschied 1968, [s]o wie sein Spiel in erster Linie dem Zweck huldigt, der Schau entsagt, das Ziel direkt ansteuert, so geradlinig verläuft auch sein Privatleben: Ein Star ohne Kult, der an dem Riesenrummel, der um ihn gemacht wird, selbst schuldlos ist.239
George Best gilt dagegen als erster Fußball-Superstar und zugleich als Beispiel für die Transitionsphase der 1960er Jahre, da er durch einen glamourösen Lebensstil, aber auch durch öffentliche Zusammenbrüche als Zeichen einer Entwurzelung auf sich aufmerksam machte.240 Best war zwar nicht der erste Spieler, der durch Konsum- und Alkohol-Exzesse sowie wechselnde Liebschaften auffiel, jedoch der erste, dessen Privatleben von den Medien bis in die letzte Nische ausgeleuchtet wurde. Taylor hebt in diesem Zusammenhang als entscheidende Tatsache hervor, »that Best operated as a fully fledged media personality, straddling the world of sport, showbiz, fashion and pop music«241. Dadurch dass Best sich häufig in Diskotheken und Modegeschäften zeigte, schnelle Autos und schöne Frauen bevorzugte und auch Krisen öffentlich auslebte, verschwammen in seiner Person die zuvor erkennbaren Grenzen zwischen Sportler und Popoder Filmstar. Für Critcher lassen sich an Bests Biographie exemplarisch die Probleme aufzeigen, die die einschneidende Veränderung des Alltagslebens für die Identitätsbildung einiger Spieler mit sich brachte: the saga of George Best should be read in wider cultural terms, as the biography of a dislocated footballing hero, whose talent, personality and background were insufficient to withstand the pressures, both on and off the field, to which the new type of superstar was to be subjected.242 238 Arthur Hopcraft, The Football Man, London 1971, S. 24. 239 Jürgen Werner, Abschied von Uwe. Ein Idol verlässt die internationale Fußballbühne, in: Die Zeit vom 14.6.1968. 240 Vgl. Harrison, Seeking a Role, S. 391. 241 Taylor, The Association Game, S. 279. 242 Critcher, Football Since the War, S. 167.
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Am Ende der Übergangszeit stand, mit Richard Holt gesprochen, der geglättete Fußball-Held als Entertainer und Celebrity, »an ostensibly classless product of market values and the media«243. In diesem Sinne können auch die deutschen Fußballstars der späten 1960er und 1970er Jahre, wie Günter Netzer, Franz Beckenbauer oder Paul Breitner betrachtet werden, die sich – ebenso wie Kevin Keegan – vergleichsweise reibungslos an die Gesetze der Unterhaltungsbranche anpassten. Sogar der selbsternannte Maoist Breitner scheute sich nicht, das Luxusleben eines Starfußballers zur Schau zu tragen. So machte es ihn bei seinem Wechsel zu Real Madrid im Jahr 1974 angeblich »am meisten traurig«, dass er seinen Achtzylinder-Maserati nicht nach Spanien mitnehmen durfte244. Am Beispiel des Transfers von »Kaiser« Beckenbauer zu Cosmos New York 1977 zeigte sich einem Artikel der Zeit zufolge, »wie kühl-kalkulierend – und damit im Grunde ehrlich – die Generation der Dreißigjährigen rechnet: erst das Geld und dann die nationalen Gefühle«245. Die mediale Selbstinszenierung und öffentliche Zurschaustellung des Promi-Lebens der gefeierten Individualisten stieß jedoch bei einigen Fußballanhängern auf Ablehnung, da sie derlei Verhalten als abgehoben und arrogant empfanden. Zweitens wirkte die Verbreitung des Fernsehens gemeinsam mit der Entfaltung von Massenkonsum und Popkultur als wichtigster Katalysator des Starkults246. Zum einen profitierten die Spieler von der enorm erhöhten Medien präsenz durch das Fernsehen. Fußballidole waren hier nicht nur in ihrer primären Funktion auf dem Rasen, in Sendungen wie »Match of the Day« oder der »Sportschau«, zu sehen, sondern nahmen oftmals auch an anderen Unterhaltungsformaten, etwa Quiz-Shows oder Talk-Runden, teil. Zum anderen hatte auch das Fernsehen Interesse an der Inszenierung von Spielerpersönlichkeiten. Nach Whannel erfüllen Sportler eine dreifache Funktion für das Fernsehen247: als Stars garantieren sie den Unterhaltungswert eines Spiels; als Persönlichkeiten bieten sie die nötige Individualisierung bzw. das Identifikationspotenzial, durch welches das Publikum gewonnen und gehalten wird; als Charaktere bieten sie Anknüpfungspunkte für die Narrative, mit deren Hilfe ein Spiel dramaturgisch aufbereitet wird. Dieser Zusammenhang erklärt auch das gestiegene Interesse der Medien am Privatleben der Spieler, mit welchem die Fernseh-Erzählungen ausgeschmückt werden konnten. Dennoch wurde das Vermarktungspotenzial der Spieler für das Fernsehen erst ab den 1990er Jahren voll ausgeschöpft und auf die Spitze getrieben.
243 Zit. n. Taylor, The Association Game, S. 278. 244 Vgl. Peter Brügge, »Ich wäre auch nach Griechenland gegangen«. Peter Brügge über den nach Spanien abgewanderten Nationalspieler Paul Breitner, in: Der Spiegel 35 vom 26.8.1974, S. 92 f. 245 Gerhard Seehase, Fußballkaiser auf Abwegen, in: Die Zeit vom 29.4.1977. 246 Vgl. Holt, Sport and the British, S. 315; Walvin, The People’s Game, S. 180. 247 Vgl. Whannel, Fields in Vision, S. 122.
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5. Institutionen zwischen Tradition und Kommerzialisierung 1973, zum zehnjährigen Jubiläum der Bundesliga, wurde der Bundesligaspieler Diethelm Ferner gefragt, was sich denn in der Bundesliga in der vergangenen Dekade verändert habe. Der junge Mann aus dem Ruhrgebiet antwortete so knapp wie präzise: »Die Spieler verdienen mehr Geld als vor zehn Jahren, die Schulden der Vereine wurden größer und die Zuschauer weniger.«248 Angesichts der Entwicklung des englischen Fußballs zu jener Zeit, hätte diese Aussage ebenso gut aus dem Mund eines Spielers der First Division kommen können. Während die Ursachen des Zuschauerschwunds und die Professionalisierung der Spieler bereits in den vorhergehenden Kapiteln behandelt wurden, widmet sich der folgende Teil der Situation der Vereine in den 1960er und 1970er Jahren. Wie bereits angedeutet wurde, verschlechterte sich in beiden Ländern im Durchschnitt die finanzielle Lage der Profiklubs erheblich. Immer weniger Vereine schrieben schwarze Zahlen, stattdessen vermeldete die Presse regelmäßig neue Schuldenrekorde. Dem Teufelskreis aus steigenden Ausgaben für Spielergehälter und sinkenden Einnahmen an den Stadionkassen konnte sich kaum ein Klub entziehen. Statt aktiv gegenzusteuern, reagierten die meisten Funktionäre eher passiv und punktuell auf den steigenden Problemdruck. Trainer wurden eingestellt und entlassen, Spieler ge- und verkauft, kurzzeitig eine rettende Geldquelle aufgetan – eine kritische Reflexion von strukturellen Schwächen innerhalb der Vereine oder Verbände blieb jedoch meist aus. Im Folgenden sollen die äußeren und inneren Ursachen der wirtschaftlichen Negativentwicklung in den Vereinen genauer herausgearbeitet und in einen Zusammenhang gebracht werden. Inwiefern glichen oder unterschieden sich die Strukturen in England und Deutschland? Wie wurden innerhalb der Vereine Krisensymptome wahrgenommen und welche Gegenmaßnahmen eingeleitet? Neben einer allgemeineren Betrachtung der Klub-, Liga- und Verbandsstrukturen sind in diesem Kontext die Einführung erster Sponsoringmaßnahmen sowie das schwierige Verhältnis zwischen Fußball- und Fernsehinstitutionen von Bedeutung.
5.1 Verschuldung und Überforderung in den Vereinen Die professionellen Fußballvereine unterschieden sich in England und Deutschland zwar auf dem Papier von Grund auf in ihrer Rechtsform – englischen Kapitalgesellschaften standen deutsche Idealvereine gegenüber – in der ökono248 Zit. n. Walter Setzepfandt, Mehr Geld, mehr Schulden, weniger Zuschauer!, in: K ickerSportmagazin 66 vom 13.8.1973, S. 36.
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mischen Praxis überwogen jedoch die Gemeinsamkeiten. Weder im einen noch im anderen Fall kam dem profitorientierten Wirtschaften ein hoher Stellenwert zu. Priorität hatte der sportliche Erfolg, zu dessen Gelingen lediglich »gesunde« Finanzen erforderlich sein sollten. Den englischen Klubs wurden, obwohl sie als limited companies eingetragen waren, von der FA Restriktionen auferlegt, die für gewöhnliche Wirtschaftsunternehmen undenkbar gewesen wären249. Zum einen wurde festgelegt, dass die Dividende für Anteilseigner eines Klubs die siebeneinhalb Prozent nicht überschreiten dürfe. Dies sollte Spekulanten von den Vereinen fernhalten. Da viele Klubs aufgrund ihrer schlechten wirtschaftlichen Lage niemals eine Dividende ausschütten konnten, wurden die Anteile eher aus ideellen Gründen denn als gewinnbringende Geldanlage gekauft250. Der Anteilseigner bekam damit gleichzeitig die Berechtigung, an der Jahreshauptversammlung des Klubs teilzunehmen und über bestimmte Belange mitzuentscheiden. Im Fokus standen auf diesen Versammlungen meist weniger die finanziellen Aspekte des Vereins als vielmehr Entscheidungen über den Kauf neuer Spieler, die sportliche Leistung des Klubs oder Veränderungen des Stadions251. Zum anderen untersagte die FA , dass die Präsidenten der Klubs (directors) eine Bezahlung für ihre Arbeit erhalten sollten. Diese ehrenamtlichen directors waren häufig lokale Geschäftsleute, die den Posten aus Leidenschaft zu einem bestimmten Verein oder aus Prestigegründen übernahmen. Jedoch waren auch weniger kaufmännische Berufsgruppen, wie z. B. Ärzte, Anwälte oder ehemalige Spieler darunter zu finden252. Ein oder mehrere directors wurden durch den von den Anteilseignern gewählten Vorstand (board) eingesetzt, um den Klub wirtschaftlich und sportlich zum Erfolg zu führen253. Häufig kompensierten directors finanzielle Engpässe der Klubs mit ihrem Privatvermögen, wie dies heute beim englischen Mäzenatentum im Profifußball zum Teil auf die Spitze getrieben wird. Jedoch waren sie insgesamt für die Folgen der Misswirtschaft ihres Vereins nur geringfügig haftbar. Hinzu kam, dass sich die Vereinsführung in wirtschaftlich schwierigen Zeiten auf die Unterstützung der supporters’ clubs verlassen konnte. Gegründet in den 1920er Jahren zählte die unter dem Dach der FA registrierte »National Federation« im Jahre 1961 etwa 400 supporters’ clubs
249 Vgl. Holt, Sport and the British, S. 281–284. 250 Vgl. Mason, Football, S. 164. 251 Vgl. George W. Keeton, The Football Revolution. A Study of the Changing Patterns of Association Football, Newton Abbott 1972, S. 50. 252 Vgl. ebd., S. 62; Political and Economic Planning, English Professional Football, S. 120–122. 253 Für den sportlichen Erfolg war jedoch hauptsächlich der manager verantwortlich, welcher am ehesten mit der Position des Trainers in Deutschland vergleichbar ist. Die Funktionen bzw. Verantwortungsbereiche von director und manager waren nicht klar voneinander getrennt und wurden von Klub zu Klub unterschiedlich definiert, was in England häufig für Verwirrung sorgte. Vgl. What is a Club Manager?, in: The Football Association (Hrsg.), Year Book. 1965–1966, London 1966, S. 56–60; Political and Economic Planning, English Professional Football, S. 121.
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mit insgesamt einer halben Million zahlenden Mitgliedern254. Diese sammelten Geld für ihren Verein, z. B. durch Gewinnspiele, den Verkauf von Getränken und Snacks, Spendenaufrufe oder die Akquise von Sponsoren. Nahezu jedes englische Stadion verdankte Teile seiner Ausstattung in den 1960er Jahren, wie etwa Flutlichtanlagen, Überdachungen oder Kiosks, den Bemühungen von ortsansässigen supporters’ clubs255. Der PEP-Report berechnete, dass in der Saison 1964/65 die Spenden der supporters’ clubs 17 Prozent der Gesamteinnahmen der Football League ausmachten, und vier von fünf Klubs der First Division mehr oder weniger auf diese Gelder angewiesen waren256. It is against this background that supporters’ clubs have in recent years become a major and necessary source of income; and it was inevitable that some tension would develop between the directors, whose power is based on their former status as the main source of finance, and the supporters’ clubs, who now provide much of the necessary money.257
Die supporters’ clubs sicherten daher den Fußballanhängern eine Möglichkeit der Einflussnahme, die bei gewöhnlichen Unternehmen nicht denkbar wäre und eher den Mitgliederbemühungen eines klassischen Vereins ähnelte. Die deutschen Profivereine waren offiziell viel weniger kommerziell ausgerichtet als ihr englisches Pendant. In den Strukturen glichen sich die beiden Modelle jedoch sehr: Nach deutschem Vereinsrecht durften die Klubs zwar ebenfalls nicht profitorientiert wirtschaften, jedoch erlaubte das Finanzamt de facto Millionengeschäfte unter dem Deckmantel der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Profifußballs. Auf dem Papier waren die Fußballvereine zwar immer noch Idealvereine, die der Gemeinnützigkeit dienten und daher steuerlich begünstigt waren, in der Praxis mussten sie jedoch wie Unternehmen geführt werden. Die wichtigste Führungsposition hatte in diesem Zusammenhang der ehrenamtliche Vereinspräsident258 inne. Ebenso wie dem englischen director oblag dem Präsidenten vor allem die wirtschaftliche Führung des Vereins, während die sportlichen Belange überwiegend an den Trainer delegiert wurden. Die Ausnahme stellten Spielerkäufe dar, da sich hier der sportliche mit dem wirtschaftlichen Bereich überschnitt. Gewählt wurde der Präsident von der Mitgliederversammlung. Bei diesen Versammlungen war meist nicht das rationale wirtschaftliche Kalkül vorherrschend, sondern es wurden bewusst Emotionen geschürt, um die Mitglieder für eine bestimmte Sache oder Person zu gewinnen. Insbesondere Schalke 04 gelangte regelmäßig durch seine chao tischen und leidenschaftlichen Mitgliederversammlungen in die Schlagzeilen. 254 Vgl. Supporters Helping Clubs to Their Feet, in: The Times vom 27.1.1961, S. 18; The Work of Supporters’ Clubs, in: The Football Association (Hrsg.), Year Book. 1964–1965, London 1965, S. 81 f. 255 Vgl. ebd., S. 81. 256 Vgl. Political and Economic Planning, English Professional Football, S. 136. 257 Ebd., S. 138. 258 In einigen wenigen Fällen teilten sich zwei Personen das Präsidentenamt.
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Es liegt auf der Hand, dass dieses System nicht immer die besonnensten Kaufleute, sondern häufig populistische Lokalgrößen an die Vereinsspitze beförderte. Erst in den 1970er Jahren wurde das Amt des Managers in den ersten Klubs eingeführt, da offensichtlich wurde, dass die Präsidenten mit den wirtschaftlichen Herausforderungen häufig überfordert waren. Eine Besonderheit in der Bundesrepublik war darüber hinaus die ausgeprägte staatliche und kommunale Unterstützung der Profivereine. Wie Havemann in seiner Geschichte der Bundesliga auf mehreren Ebenen herausgearbeitet hat, förderte die Großzügigkeit der öffentlichen Hand lange Zeit eine »unternehmerische Lethargie« in den Vereinen259. Zum einen unterstützte der Staat die Vereine über die Gemeinnützigkeitsregel, indem er die Abgaben auf ein Minimum senkte. Zum anderen konnten sich die meisten Vereine darauf verlassen, dass auch die Kommunen in wirtschaftlichen Notsituationen ihr Möglichstes tun würden, um einen Bankrott des ansässigen Klubs zu vermeiden. So verpfändete beispielsweise der VfB Stuttgart zu Beginn der 1970er Jahre 20 Lizenzspieler an die schwäbische Landeshauptstadt, die dafür eine Bürgschaft von 150.000 Mark übernahm260. Die Hansestadt Bremen stiftete ihrem Verein Werder Bremen eine dreiviertel Million aus Mitteln der Wirtschaftsförderung, um seine Attraktivität als kommunaler Wirtschaftsfaktor zu bezahlen. Und Schalke 04 ließ sich von der Stadt Gelsenkirchen sein Stadion für fast eine Million Mark abkaufen, obwohl bereits ein neues Stadion auf Staats- und Gemeindekosten gebaut wurde. Sowohl in England als auch in Deutschland litten die Vereine in den 1960er und 1970er Jahren darunter, dass die Ausgaben nach Entgrenzung der Spielergehälter insgesamt schneller stiegen als die Einnahmen. Zwar wurden allerorts die Ticketpreise erhöht, dies konnte den Einnahmeverlust jedoch immer seltener kompensieren. Für die englische First Division errechnete der »Chester-Report«, dass die Einnahmen an den Stadionkassen in der Dekade von 1956 bis 1966 um 72 Prozent gestiegen seien, sich im selben Zeitraum aber auch die Ausgaben für Spieler und Stadion um 157 Prozent erhöht hätten261. Binnen kürzester Zeit häufte ein erheblicher Teil der englischen Profiklubs mehrere Millionen Pfund Schulden an.262 Der englische Traditionsverein Accrington Stanley musste zu Beginn der 1960er Jahre gar aus finanziellen Gründen gänzlich aus der Football League ausscheiden und wurde dadurch zum Symbol für die verschärften ökonomischen Verhältnisse im Profifußball263. In der Bundesrepublik wiesen um 1970 ebenfalls nur noch wenige Vereine ausgeglichene Bilanzen auf. Klubs wie Hannover 96, Hertha BSC , der 1. FC Nürnberg, 1860 München, Schalke 04 und 259 Vgl. Havemann, Samstags um halb 4, S. 380. 260 Für dieses und die folgenden Beispiele vgl. Klaus-Peter Schmid, Die Schuldenliga. Der Profi-Fußball wird zu einem teuren Spaß für die Gemeinden, in: Die Zeit vom 1.6.1973. 261 Vgl. Department of Education and Science, Report on the Committee on Football, S. 35. 262 Vgl. The League Clubs and Solvency, in: The Football Association (Hrsg.), Year Book. 1966–1967, London 1967, S. 60. 263 Vgl. Walvin, The People’s Game S. 168.
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Eintracht Frankfurt überboten sich zu dieser Zeit gegenseitig mit Rekordschulden, weshalb der Spiegel 1971 vermeldete, nach wirtschaftlichen Maßstäben sei das Unternehmen Bundesliga konkursreif264. Zur Misere vieler Vereine trug entscheidend bei, dass das ehrenamtliche Führungspersonal häufig mit den ökonomischen Anforderungen des Millionenunternehmens Profifußball überfordert war. Die Professionalisierung der Klubstrukturen konnte nicht mit der Professionalisierung der Spieler und den Erfordernissen der neuen Freizeitindustrie mithalten. Der Observer stellte 1970 fest, die Vereinsführung der englischen Profiklubs »retains a business thinking that dates from the days when a player could earn a maximum of £ 20 a week, while currently it employs players who earn more than Cabinet Ministers«265. Laut Chester-Studie wurde oft genug demonstriert, »that the caliber of club directors is today not sufficiently high to meet the challenge of an increasingly competitive leisure business«266. Auch der PEP-Report kam zu einem ähnlichen Ergebnis und forderte als Konsequenz ein professionelleres Management in den Vereinen: In any efficiently run industrial organisation the directors see that there are dynamic objectives and that modern management practices are employed to achieve them. For a football club to be well organized and successful, basic concepts of industrial management must likewise apply, and the responsibility for the lack of their application at present rests not simply with the club manager, but with the directors whose position is far more secure, and who have ultimate responsibility for decisions.267
Die Forderungen der beiden Studien nach einer Professionalisierung der Führungsstrukturen bis hin zu bezahlten directors blieben jedoch weitgehend wirkungslos. Alan Hardaker, der Präsident der FL , behauptete beispielsweise, die PEP-Studie enthalte nichts Neues, und die meisten Punkte seien impraktikabel oder bereits von den Klubs abgelehnt worden268. Es verwundert daher nicht, dass in den folgenden Jahren von den Vereinen und Verbänden nur wenig unternommen wurde, um die Management-Strukturen zu verbessern. Zwar forderten einige Vertreter der FL regelmäßig die Einführung einer Bezahlung der d irectors, es sollte jedoch bis 1983 dauern, bis sie sich damit bei der FA durchsetzen konnten269. Der bundesdeutsche Profifußball gab in dieser Hinsicht kein besseres Bild ab. »Nach Einführung der Bundesliga im Jahre 1963 leiteten die meisten ehrenamtlichen Vorstände ihre Vereine weiter wie zu Amateurzeiten, als die Bilanz264 Verspielte Millionen, in: Der Spiegel 7 vom 8.2.1971, S. 49. 265 Football Crazy Football Mad, in: The Observer vom 16.8.1970. 266 Department of Education and Science, Report on the Committee on Football, S. 62. 267 Political and Economic Planning, English Professional Football, S. 122. 268 Vgl. Football Survey Urges Change in League Structure, in: The Times vom 12.8.1966, S. 6. 269 Vgl. Polley, Moving the Goalposts, S. 76.
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summen nur einige tausend Mark betragen hatten«270, fasste der Spiegel die Management-Probleme der Bundesliga 1969 und in einer Reihe weiterer Artikel zusammen und stimmte damit denselben Tenor an, wie die englische Presse. Den meisten Vereinen mißglückte der Sprung vom amateurhaften Feierabend-Fuß ball ins Schaugeschäft. Sie scheiterten im Bundesliga-Alltag an den Gesetzen der freien Marktwirtschaft. Statt langfristig zu planen, Preise und Kosten zu analysieren, improvisieren die Funktionäre oft von Spiel zu Spiel. Nur wenige schätzten den Wert ihrer Ware – das Leistungsvermögen der Mannschaft, einzelner Spieler und des Trainers – richtig ein.271
Die öffentliche Kritik am amateurhaften Vereinsmanagement trug jedoch auch in Deutschland kaum Früchte, da die Strukturen so beschaffen waren, dass weder ein subventionierter Verein noch ein ehrenamtlicher Vorstand ernsthafte Konsequenzen durch die Misswirtschaft zu befürchten hatte. Im Rückblick wirkt das passive und wenig ökonomisch motivierte Verhalten vieler Klubfunktionäre oftmals dilettantisch und unverständlich. Jedoch muss bedacht werden, dass es die meisten Vereine während des Fußballbooms in den 1920er Jahren und der Nachkriegszeit nicht nötig hatten, ihre wirtschaftliche Effizienz zu optimieren. Kommerzieller Erfolg war kein explizites Ziel, sondern stellte sich nebenbei mehr oder weniger von alleine ein. Die beschriebenen Schwierigkeiten traten seit den 1960er Jahren nicht plötzlich und überall auf, sondern kamen meist schleichend und waren in den unterschiedlichen Klubs verschieden stark ausgeprägt. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich bei den zeitgenössischen Akteuren erst nach und nach das Bewusstsein herausbildete, dass man es nicht mit einer vorübergehenden Zuschauer- und Wirtschaftsflaute, sondern einer strukturellen Krise des Profifußballs zu tun hatte.
5.2 Stagnation und anti-commercialism in den Verbänden Auch in Liga und Dachverband taten sich die Verantwortlichen schwer, mit der Geschwindigkeit der Veränderungen Schritt zu halten. Auf Ebene der Liga kam es in England wie Deutschland mit dem Ende des Nachkriegsbooms zu einem stetigen Konzentrationsprozess. Besonders in städtischen Ballungsgebieten wurden zahlreiche kleinere Klubs durch größere Vereine verdrängt, sodass die unteren Ligen am meisten unter dem anhaltenden Zuschauerschwund zu leiden hatten. Dazu trug auch die Verbreitung des Fernsehens bei, da die Berichterstattung sich hauptsächlich auf die leistungsstärksten Vereine konzentrierte. Zu beobachten war die scharfe regionale Konkurrenz um die Aufmerksamkeit der Fußballfans zum Beispiel im Ruhrgebiet, wo sich von dutzenden Zechen- und Stadtteilvereinen nur einige wenige dauerhaft als Zuschauermagneten im Spit270 Teure Tore, in: Der Spiegel 48 vom 24.11.1969, S. 171 f. 271 Verspielte Millionen, in: Der Spiegel 7 vom 8.2.1971, S. 50.
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zenfußball etablieren konnten272. Auch im englischen Fußball kam es zu einer Umverteilung der Fußballfans auf wenige größere Vereine, so wurde beispielsweise der Nordwesten Englands vom FC Liverpool, FC Everton und Manchester United und die Region Yorkshire von Leeds United dominiert273. Dadurch, dass die größeren Vereine den Löwenanteil der Fußballanhänger anzogen, sammelten sich dort auch die meisten Einnahmen, was die Times schon 1961 zu der Aussage veranlasste, »[t]here is no place for the poor in football any more«274. Nichtsdestoweniger hatten die kleineren Klubs auf institutioneller Ebene ein nicht zu unterschätzendes Mitspracherecht: Die 22 Klubs der First Division konnten wichtige Entscheidungen (wie z. B. über die Ligastruktur oder die Verteilung der Fernseh- und Gewinnspielgelder) nur im Verbund mit den 70 Mitgliedern der übrigen drei Divisions der FL fällen. Holt bezeichnete die FL daher als »non-profit-making cartel in which the power of the largest clubs was limited by the smallest«275. Es liegt auf der Hand, dass die Interessen der kleineren Vereine bzw. der unteren Ligen denen der größeren Klubs oftmals entgegengesetzt waren, was die Entscheidungsprozesse sehr schwerfällig machte. Während die Football League als eigenständiger Verband der professionellen Fußballklubs agierte und sich nur in bestimmten Aspekten den Bestimmungen des allgemeinen Fußballverbandes – der Football Association – fügen musste, war der deutsche Profi-Spielbetrieb direkt dem Deutschen Fußball-Bund angegliedert. Dies hatte zu Folge, dass die professionellen Vereine in entscheidenden Abstimmungen einer Überzahl an Amateurvereinen gegenüberstanden: Auf dem DFB -Bundestag, der beispielsweise über die Einführung der Bundesliga oder die unternehmerische Struktur der Vereine beschied, entfielen 12 Stimmen auf den DFB -Vorstand, 18 Stimmen auf die Bundesliga-Vereine und ganze 125 Stimmen auf die Regional- und Landesverbände276. Mit der großen Macht der Amateurvertreter im DFB ist es auch zu erklären, warum sowohl die Einführung der ersten als auch der zweiten Bundesliga erst sehr spät durchgesetzt werden konnte. Die kleineren Vereine sträubten sich lange Zeit gegen jede Form der Konzentration, aus Sorge, dadurch selbst immer weiter ins Abseits gedrängt zu werden. Die vom Amateurideal geprägte Haltung des DFB erntete nicht selten scharfe Kritik. Gegensätze und Widersprüche prägen einen Verband, in dem sich kaum noch etwas verträgt. Da werden Berufsspieler und Freizeitfußballer nach denselben Regeln be272 Vgl. Hardy Grüne, Mit den Zechen starben die Vereine. Aufstieg und Niedergang der Bergarbeiterklubs, in: Hartmut Hering / Frank Dittmeyer (Hrsg.), Im Land der tausend Derbys. Die Fußball-Geschichte des Ruhrgebiets, Göttingen 2002, S. 251–274. 273 Walvin, The People’s Game, S. 167 f. 274 No Longer a Place for Poor Clubs. Football at the Crossroads, in: The Times vom 11.11.1961, S. 9. 275 Holt, Sport and the British, S. 285. 276 Vgl. Werner Schilling, Wer ist der DFB? Die Macht des »Riesenbundes« ist zersplittert!, in: Kicker-Sportmagazin 84 vom 18.10.1971, S. 10–12.
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straft, da haben immer noch Dorfvereine und Amateurklubs die Stimmenmehrheit, obgleich die Bundesligavereine und ihre Profis den DFB nahezu allein finanzieren277,
prangerte beispielsweise der Spiegel in einem mehrseitigen Artikel das widersprüchliche Gebaren des DFB an. Von einem Verband, der sich selbst mit gewissem Stolz als »Amateurverband« bezeichnete, konnten zur damaligen Zeit kaum jene Reformimpulse erwartet werden, die die Bundesligisten in ökonomischer Hinsicht dringend benötigten, wie etwa die Umwandlung der Vereine in Kapitalgesellschaften oder die Einführung professioneller Managementstrukturen. Zwar gab es in einzelnen Vereinen, wie dem FC Bayern München oder dem Hamburger Sportverein, bereits fruchtbare Ansätze, wie ein Klub auch in wirtschaftlicher Hinsicht erfolgreich geführt werden könne, jedoch herrschten in den übrigen Vereinen ebenso wie im Verband eher konservative Denker vor, die sich gegenseitig in ihrer wenig unternehmerischen Mentalität bestärkten. Arthur Heinrich bemerkte zu diesem Thema in seiner politischen Geschichte des Deutschen Fußballbundes, »[d]ie Führungszirkel des Fußballs- auf Bundeswie auf Landesebene bildeten ein spezifisches Soziotop, in dem sich Traditionsbestände extrem lange hielten«278. Die englische Verbandsebene war vor allem durch das ausgeprägte Konkurrenzverhältnis zwischen Football League und Football Association geprägt. Während die FL als Interessenverband der professionellen Fußballklubs agierte und einen eigenständigen Unterverband der FA darstellte, repräsentierte die FA die Gesamtheit des englischen Fußballsports, also auch die Amateurvereine und die Nationalmannschaft. Zusätzlich zu den Konflikten innerhalb der FL , die vor allem aus den unterschiedlichen Interessen kleiner und großer Profiklubs entstanden, sorgte der Gegensatz zwischen Amateur- und Profifußball zu Streitigkeiten zwischen FA und FL . Die fehlende Einigkeit der beiden Organisationen wurde oftmals als Fortschrittsbremse für den englischen Fußball wahrgenommen279. Dennis Follows, der damalige Geschäftsführer der FA machte 1966 den Mechanismus verkrusteter Strukturen in Traditionsverbänden zum Thema einer Selbstreflexion: A governing body is by nature conservative. It has its rules and regulations to be observed and there is usually a reluctance to change them. New ideas are inclined to be looked upon as revolutionary, and consequently governing bodies are not notable for moving with the times; rather do they tend to lag behind them.280 277 Hipp, hipp, hurra – und volle Kassen. SPIEGEL -Report über den Deutschen Fußball-Bund, in: Der Spiegel 44 vom 24.10.1977, S. 65–78, hier S. 67. 278 Arthur Heinrich, Der Deutsche Fußballbund. Eine politische Geschichte, Köln 2000, S. 190. 279 Der PEP-Report empfahl daher bereits 1966 eine Verschmelzung der beiden Organisationen. Vgl. Political and Economic Planning, English Professional Football, S. 81–84. 280 Denis Follows, Does the F. A. Govern Enough?, in: The Football Association (Hrsg.), Year Book. 1965–1966, London 1966, S. 10–12, hier S. 11.
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Was eigentlich als Einleitung zu einem Aufruf zu mehr Reformfreudigkeit an die Mitglieder der FA gedacht sein sollte, dient im Rückblick eher als Beschreibung der Stagnation im Verband, wie sie bis in die späten 1980er Jahre Bestand haben sollte. Von britischen Fußballhistorikern wird die Haltung von FA und FL in dieser Zeit vor allem als anti-commercialism beschrieben281. Als Beispiele für das Ringen um Tradition und Reform, das innerhalb und zwischen Vereinen und Verbänden stattfand, sollen im folgenden Teil die Einführung des Sponsorings und der Konflikt zwischen Fußball- und Fernseh institutionen dargestellt werden.
6. Fußball, Werbung und Fernsehen – eine konflikthafte Dreiecksbeziehung Werbung und Sponsoring im Fußball sowie die Symbiose zwischen Fußballsport und Fernsehen werden heute meist als Selbstverständlichkeit hingenommen. Der Prozess der Kommerzialisierung und Medialisierung des Spiels war jedoch von zahlreichen Widerständen und Konflikten geprägt und verlief zunächst wesentlich langsamer, als man gegenwärtig annehmen würde. Zwar waren Werbebotschaften lokaler Firmen auf Banden und in Programmheften so alt wie der professionelle Fußball selbst – jedoch sahen weder englische noch deutsche Klubs die Notwendigkeit, Sponsoren in großem Rahmen zu akquirieren solange die Einnahmen an den Stadionkassen von alleine sprudelten. Erst als die Zuschauer ausblieben und durch steigende Spielergehälter gleichzeitig die Ausgaben stiegen, gewann die Suche nach zusätzlichen Einnahmequellen an Dringlichkeit. Oberflächlich betrachtet waren Fußball, Fernsehen und Werbung – wie in der Gegenwart – von Beginn an eng miteinander verwoben: Der Fußballsport vergrößerte durch das Fernsehen seine Sichtbarkeit und generierte mittels Werbung und Fernsehgagen neue Einnahmen. Das Fernsehen weitete mittels Fußballübertragungen seine Zuschauerbasis aus. Und Wirtschaftsakteure steigerten durch Werbung im Fußball ihren Bekanntheitsgrad, insbesondere, wenn diese auf dem Fernsehbildschirm in Millionen Wohnzimmer ausgestrahlt wurde. Das Verhältnis der drei Akteursgruppen ähnelte jedoch in keinster Weise der heute zu beobachtenden Harmonie, sondern entsprach vielmehr einer konflikthaften Dreiecksbeziehung. Die Analyse dieser Beziehung ist aufschlussreich, um zu verstehen, welch widersprüchliche Kräfte in den 1960er und 1970er Jahren auf den Profifußball einwirkten.
281 Vgl. Holt, Sport and the British, S. 281; Taylor, The Association Game, S. 267.
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6.1 Fernsehen: der »Erzfeind« hinter der Linse Ein Vergleich mit den USA sollte in der PEP-Studie von 1966 die Rückständigkeit der englischen Fußballinstitutionen in Sachen Fernsehen ans Licht bringen: Im Jahr 1966 habe die FL nur 30.000 Pfund an Fernsehgeldern eingenommen, während der US -amerikanische Sender CBS zur selben Zeit bereits 20 Millionen Pfund in die Übertragung von American Football League-Spielen investierte282. Statt die Einnahmemöglichkeiten auszureizen, erteile die FL den Fernsehmachern eine Absage, indem sie seit Beginn der 1950er Jahre die Live-Übertragung von Football League-Spielen gänzlich untersage. Ursache für diese ablehnende Haltung der FL gegenüber dem Fernsehen seien »excessive fears that attendances at other matches will suffer, without such fears being based on any hard information«283. Die FL und die Klubs liefen daher laut PEP-Studie Gefahr, ohne objektiven Grund eine wichtige Einnahmequelle ungenutzt zu lassen. So einleuchtend diese Argumentation zunächst klingt, so wenig wurde sie den äußerst unterschiedlichen Gegebenheiten in England und den USA gerecht. Sowohl im amerikanischen Ligasystem als auch im US -Fernsehen herrschte bereits früh eine Mentalität des offenen Wettbewerbs, die eine fast uneingeschränkte Kommerzialisierung von Sport und Medien erlaubte284. In England standen dagegen weder Fußball noch Fernsehen in solch einer wirtschaftsliberalen Tradition, die den Primat des Ökonomischen einräumte. Wie bereits an anderer Stelle beschrieben, gab es im englischen Profifußball zwar Tendenzen der Kommerzialisierung, jedoch wurden diese eher als notwendiges Übel angesehen und von den Verbänden streng reguliert. Auch der zunächst einzige Fernsehsender, die BBC , war als staatliche Rundfunkanstalt nicht kommerziell ausgerichtet. Die Forderungen der Fußballklubs nach höheren Entschädigungszahlungen wurden daher meist unter Verweis auf den staatlichen »Informationsauftrag« und fehlende Gelder abgewiesen bzw. auf möglichst niedrigem Niveau gehalten. Bei der Übertragung wichtiger Fußballspiele handle es sich vor allem um einen Beitrag zur nationalen Kultur und somit um eine kostenlose Werbung für das Spiel, argumentierte die BBC285. Mit der Gründung des kommerziellen Senders ITV kam 1955 zwar mehr Wettbewerb in die Verhandlungen zwischen Fußball- und Fernsehfunktionären, jedoch stellte der Sender bis in die späten 1960er Jahre keine ernsthafte Konkurrenz für das Fußball-Monopol der BBC dar286. 282 Vgl. Political and Economic Planning, English Professional Football, S. 101. 283 Ebd., S. 101. 284 Vgl. Polley, Moving the Goalposts, S. 77. 285 Vgl. Richard Haynes, A Pageant of Sound and Vision: Football’s Relationship with Television, 1936–60, in: The International Journal of the History of Sport 1 (1998), S. 211–226, hier S. 216. 286 Die kommerzielle Natur des Senders schreckte die traditionell orientierten Fußballfunktionäre eher ab, und auch die regionalen Strukturen waren bei der Verbreitung von ITV von Nachteil. Vgl. Chisari, The Match, S. 74.
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Fabio Chisari, der das Verhältnis zwischen Fußball- und Fernsehinstitutionen anhand umfangreicher Quellenbestände untersucht hat, spricht für die Zeit bis Mitte der 1980er Jahre von einem »age of innocence«287. Im Unterschied zur Gegenwart, [t]he TV services did not have much money to pour into buying football broadcasting rights, nor could League clubs’ boards even think of having their possible loss in gates covered by TV money.288
Die Verhandlungen zwischen FL / FA und BBC / I TV sorgten in regelmäßigen Abständen für Schlagzeilen. Während die FA zu Beginn der 1950er Jahre eine positive Einstellung gegenüber dem Fernsehen an den Tag legte und in den Übertragungen ein Mittel sah, die Popularität des Fußballs noch zu vergrößern, war die FL von Anfang an skeptisch289. Größte Sorge der FL-Verantwortlichen war, dass Fernsehübertragungen die Zuschauer vom Stadionbesuch abhalten könnten – ein Argument, das seit Beginn der Fußballübertragungen im Radio (1927) immer wieder hervorgebracht worden war290. Diese Vorbehalte teilte sie mit Vertretern vieler anderer Sportarten, wie dem Box- oder Rennsport, weshalb 1944 die »Association for the Protection of Copyright in Sport« (APCS) als Zu sammenschluss zahlreicher Sportverbände gegründet wurde, mit dem Ziel, den Sport gegen die negativen Effekte von Live-Übertragungen zu schützen291. Eine Untersuchung des Postministeriums ergab 1951, dass während der Übertragung des Pokalfinales zwischen Newcastle United und Blackpool, welches einen Höhepunkt der Fußballsaison darstellte, ein signifikanter Rückgang der Zuschauerzahlen bei anderen Liga-Begegnungen zu beobachten war292. Anstatt das Pokalfinale einfach auf ein anderes Datum zu legen, konnte die FL die Verantwortlichen der FA davon überzeugen, im folgenden Jahr gänzlich auf eine Übertragung des Cup Finals zu verzichten. Der Boykott von Live-Übertragungen durch den Fußball und andere Sportarten wurde 1952 zum Anlass einer regen Parlamentsdebatte in England, bei der diskutiert wurde, wie private und öffentliche Interessen miteinander vereinbart werden könnten. Angesichts des Widerstands von Seiten des Sports war ein garantiertes Übertragungsrecht für Fernsehanstalten keine Option mehr293. Von der Politik wurde stattdessen vorgeschlagen, dass den Veranstaltern von Sportereignissen ein Copyright zustehe, das bei Übertragungen zu Entschädigungszahlungen durch die Rundfunkanstalten berechtige. Die Höhe der Kompensation sollte in einem regelmäßig stattfindenden Verhandlungsprozess von beiden 287 Ebd., S. 10. 288 Ebd., S. 17. 289 Vgl. ebd., S. 16. 290 Vgl. Haynes, A Pageant of Sound, S. 211. 291 Vgl. Chisari, The Match, S. 52–56; Haynes, A Pageant of Sound, S. 215. 292 Vgl. ebd., S. 215. 293 Im Jahr 1950 hatte der Report des »Beveridge Committee« zum Rundfunk ein solches Recht vorgeschlagen. Vgl. ebd., S. 216 f.
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Parteien festgelegt werden. Tatsächlich tauten noch im selben Jahr die Beziehungen zwischen BBC und FA / FL so weit auf, dass man sich auf eine Entschädigung von 1000 Pfund für die Übertragung des Pokalfinales von 1953 einigte294. Zwei Jahre später gelang der BBC ein weiterer Coup, als der Sender am 22. September 1955 einen Vertrag mit der FL unterzeichnete, der erstmals Ligafußball ins Fernsehen brachte. Um die eigene Monopolstellung zu demonstrieren, geschah dies am selben Tag, an dem mit ITV / I TA das erste kommerzielle Konkurrenzprogramm auf Sendung ging295. Die Vereinbarung erlaubte das Senden von Aufzeichnungen aus 75 Liga-Begegnungen, die eine jeweilige Dauer von 5 Minuten nicht überschreiten und nicht vor 22 Uhr ausgestrahlt werden durften. Voraussetzung dafür war, dass kurz zuvor die Aufzeichnungstechnologie verbessert und mit der Sendung »Sportsview« ein Magazinformat eingeführt worden war, das den armchair supporter mit ausgewählten Filmschnipseln versorgte. Zwar wagte ITV 1956 einen Vorstoß, als es der FL für die zeitversetzte Übertragung der zweiten Halbzeit von 35 Ligaspielen 50.000 bis 60.000 Pfund bot, was damals eine erhebliche Summe darstellte, jedoch lehnten die Klubs das Angebot aus grundsätzlicher Abneigung gegen Live-Übertragungen ab296. Anstatt den Wettbewerb zwischen den beiden Rundfunkanstalten zu nutzen, wollten FA und FL Irritationen vermeiden und riefen 1958 ein gemeinsames Verhandlungs-Komitee ins Leben297. Dies hatte mehr oder weniger ein Kartell von BBC und ITV zur Folge, in welchem die beiden Sender Übertragungsrechte untereinander aufteilten und die Kosten dadurch niedrig hielten298. Sowohl ITV als auch BBC versuchten in der Folgezeit – ohne Erfolg – aus dem Kartell auszubrechen und sich die Exklusivrechte für Ligaübertragungen zu sichern. 1967 bot die BBC insgesamt 781.000 Pfund, ein Betrag, den die verschuldeten Vereine dringend gebrauchen konnten. Despite the vast amount of money put forward by TV organisations, at the meeting the clubs rejected the offer of live television by an ›overwhelming majority‹, reaffirming ›the clubs‹ longstanding opposition to live broadcasts, which they regard as threat to match attendances‹.299
Zu einer Zeit, als der Zuschauerschwund immer dramatischer wurde, waren die meisten Klubfunktionäre der Ansicht, dass die Live-Übertragung von Liga294 Vgl. ebd., S. 218. 295 Während die BBC Mitte der 1950er Jahre ihre Reichweite vergrößerte und die technischen Möglichkeiten verbesserte, war für die FL nicht absehbar, wie sich das Netzwerk der ITV entwickeln würde. Darüber hinaus wurden immer wieder Bedenken gegen das kommerzielle Fernsehen laut. Unter diesen Voraussetzungen schien es den Fußballverantwortlichen das Beste, einen Exklusivvertrag mit der BBC zu schließen. Vgl. Chisari, The Match, S. 86–96; Haynes, A Pageant of Sound, S. 222 f. 296 Vgl. ebd., S. 223–224. 297 Vgl. Chisari, The Match, S. 107–109. 298 Vgl. Williams, Entertaining the Nation, S. 218 f. 299 Chisari, The Match, S. 145.
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spielen diese Situation noch weiter verschlimmern würde300. Das Fernsehen wurde nicht als potenzielle Einnahmequelle, sondern eher als Konkurrent um die Gunst der Zuschauer wahrgenommen. Die gebotenen Summen schienen den Vereinsverantwortlichen stets zu niedrig, um die Einnahmeverluste an den Stadionkassen auszugleichen. Wally Hurford, Vorstand bei Newcastle United, äußerte stellvertretend für einen großen Teil der FL-Klubs die Befürchtung, dass »[s]ums of £ 1,000 from television to the participant clubs would be a poor reward if the match receipts should fall by £ 2,000 or more below anticipated Saturday afternoon figures.«301 Immer wieder wurden daher in den 1960er und 1970er Jahren Angebote von BBC und ITV zurückgewiesen und sogar mit kompletten Übertragungsstopps gedroht. Gerry Loftus, der damalige Verhandlungschef von ITV, machte 1974 seinem Ärger über die Abwehrhaltung der FL Luft und rief die Konsequenzen eines fußballfreien Fernsehprogramms ins Gedächtnis: Preview programmes of every sort will disappear. All the free advertising of fixtures will go and the public at large will just cease to talk about football. No other authority in the world believes it can do without television. Unless they change their minds the Football League are in for a hard lesson.302
In den 1970er Jahren stiegen zwar langsam die Zahlungen für Übertragungsrechte, jedoch änderte sich wenig an den Rahmenbedingungen, das heißt die FL beharrte auf ihre Ablehnung der Live-Übertragungen von Ligaspielen, und BBC und ITV agierten weiterhin als Kartell, indem sie die verfügbare Ware Fußball untereinander aufteilten. Im Vergleich zu anderen Sendungen blieben Sportübertragungen für die Rundfunkanstalten ein relativ günstiges Format. 1970 kostete eine Stunde Sportübertragung mit 6000 Pfund weit weniger als die Unterhaltungsshow von Engelbert Humperdinck (75.000 Pfund pro Stunde) oder die Dokumentationssendung »Panorama« (15.000 Pfund)303. Die Befürchtungen der deutschen Fußballverantwortlichen hinsichtlich der negativen Auswirkungen des Fernsehens unterschieden sich nicht wesentlich von denen ihrer englischen Kollegen. Auch in der Bundesrepublik etablierte sich daher ein Gerangel zwischen Fußball- und Fernsehinstitutionen, bei dem um Übertragungsrechte und Entschädigungszahlungen gestritten wurde. Vom offiziellen Beginn des Rundfunkbetriebs der ARD im Jahr 1952 bis ins Jahr 1958 konnten die Zuschauer fast jeden Sonntag ein Vereinsspiel und
300 Vgl. Polley, Moving the Goalposts, S. 72. 301 More Clubs Attack Soccer TV Plan. »Glourious Method of Suicide«, in: The Guardian vom 23.8.1960. 302 Zit. n. David Lacey, ›Hard Lesson for the League‹. David Lacey Looks at the Television Dispute, in: The Guardian vom 24.4.1974, S. 29. 303 Vgl. Williams, Entertaining the Nation, S. 219.
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sämtliche Länderspiele der Nationalmannschaft im Original anschauen304. Auf Initiative des Fußballverbandes Südwest wurde jedoch im Oktober 1958 ein Vertrag zwischen DFB und ARD geschlossen, der festlegte, dass nur noch ein Vereinsspiel pro Monat und einschließlich der Länder- und Europacup-Spiele nur noch maximal zwei Spiele pro Monat übertragen werden durften305. Ebenso wie in England wurde das Fernsehen für den Zuschauerrückgang in den Stadien verantwortlich gemacht und sollte nun streng kontrolliert werden. Die Spiele wurden meist an Wochentagen übertragen, um nicht den Ligabetrieb am Wochenende zu gefährden. Diese Praxis sorgte jedoch für einigen Unmut, nachdem es bei einer Übertragung des Europapokalspiels zwischen dem Hamburger Sportverein und dem englischen Meister FC Burnley 1961 zu »wilden Streiks« gekommen war. Die »Abwanderung unzähliger Arbeitnehmer zu den Übertragungen durch Fernsehen und Rundfunk« sei »mit einem Schlage zu einem wirtschaftlichen Problem von sehr ernster Bedeutung geworden«, schilderte der »Sport-Kurier« das Problem306. Nur wenig später waren die Befürchtungen der Wirtschaft jedoch hinfällig: In den Jahren 1962 und 1963 erhöhte der DFB »im Interesse der ihm angeschlossenen Verbände und Vereine«307 die Restriktionen gegenüber dem Fernsehen. Ligaspiele durften nun nur noch zeitversetzt am Sonntagabend ausgestrahlt werden, und Länderspiele wurden ohne Vorankündigung entweder zeitversetzt oder überhaupt nicht gezeigt. Insbesondere die Nicht-Übertragung von Länderspielen löste bei den Zuschauern große Empörung aus. Ein verärgerter Fußballanhänger schrieb 1965 an den DFB, Millionen Fußballfreunde werden betrogen. Haben Sie das verdient? Warum überträgt man das Fußballänderspiel gegen Italien nicht original im Fernsehen? Machen sich die Verantwortlichen beim DFB keine Gedanken darüber, wie man dem kleinen und treuen Sportanhänger eine Freude bereiten kann […]. Trennt Euch von diktatorischen Maßnahmen und geht zur Demokratie über. Vielleicht aber ist es Euch lieber, demnächst vor leeren Rängen zu spielen.308
In seinem Antwortschreiben machte der DFB deutlich, dass er sich der »Auffas sung, daß Millionen Fußballfreunde ›betrogen werden‹«, nicht anschließen könne. Es gebe 304 Vgl. Großhans, Fußball im deutschen Fernsehen, S. 40; Hackforth, Sport im Fernsehen, S. 56. 305 Zusammen mit Europa-Pokal und nationalen Pokalspielen gab es etwa fünf bis sieben Fußballübertragungen pro Monat. Vgl. ebd., S. 56. 306 Fußball im Fernsehen – ein Problem. »Gewissenskonfikt« beim DFB und den Programmdirektoren – Empfindliche Störung der Wirtschaft, in: Sport-Kurier vom 28.3.1961. 307 So argumentierte Wilfried Gerhard, der Pressereferent des DFB , in einem offenen Brief an die Zeitung »Bild und Funk«. Vgl. Wilfried Gerhard, Fernseh-Fußball, wohin rollst Du?, in: Bild und Funk 8 (1962). 308 Schreiben eines enttäuschten Fernsehzuschauers an den DFB vom 11.3.1965 (DFB -Ar chiv, Pressespiegel, Fernsehen III, 1960–1972).
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gewichtige Gründe, die den DFB dazu veranlassen, nicht alle bedeutenden Veranstaltungen original durch das Fernsehen übertragen zu lassen. Zunächst haben die zur gleichen Zeit spielenden Vereine Anspruch darauf, vor der Überschneidung mit einer Fernsehübertragung geschützt zu werden […]. Zum anderen müssen wir bestrebt bleiben, unseren Länderspielen einen Länderspielwürdigen Rahmen zu erhalten. Es geht dabei keineswegs in erster Linie um das Geld. Selbst wenn uns das Fernsehen die vollständige Kasseneinnahme garantieren könnte, würden wir uns nicht damit abfinden können, daß unsere Spiele als Fernsehveranstaltungen vor leeren oder halbleeren Rängen stattfinden […].309
Wenig später verkündete der DFB in Sachen Fernsehen jedoch eine neue strategische Ausgangslage: »Die Vereine müssen mit dem Fernsehen leben und wollen nun das Risiko neutralisieren«310, verkündete Gerhard im Jahr 1968. »Neu tralisieren« bedeutete in diesem Zusammenhang, dass die für die Übertragungsrechte geforderte Summe von den bisherigen 810.000 Mark auf 1,6 Millionen Mark verdoppelt werden sollte. Unter anderem hätten Studien aus England einen Zusammenhang zwischen Desinteresse der Stadionbesucher und Fernsehübertragungen bestätigt, weshalb man sich berechtigt sah, vom »Verursacher« Fernsehen eine höhere Kompensation zu erhalten. Nachdem die Forderungen ein Jahr später erneut erhöht wurden, war es die ARD, die mit einem Übertragungsboykott drohte. Man wolle nicht der Sündenbock für die »Vogel-Strauß-Politik« der Vereine sein und deshalb keine Ausschnitte von Bundesligaspielen mehr in der »Sportschau« zeigen311. Auch wenn es letztendlich doch zu einer Einigung kam, war die nächste Streitrunde im sogenannten »Fernsehkrieg« bereits vorprogrammiert. 1973 polterte Wilhelm Neudecker, der damalige Präsident des FC Bayern München, auf einer Tagung der Evangelischen Akademie in Tutzing, das Fernsehen habe die Kinos leergefegt (1959 kamen noch 800 Millionen in der Bundesrepublik in die Lichtspielhäuser, 1971 nur noch 169 Millionen), es hat die Theater leergefegt, die von Subventionen am Leben erhalten werden müssen. Nun droht auch dem Sport die Vergewaltigung. Wir haben uns 1965 viel zu billig verkauft. Doch nun fordern wir marktgerechte Preise […].312
Hans Arnold, Sportkoordinator von ARD und ZDF, bezeichnete Neudeckers Polemik als »unseriöses Gerede«, man müsse stattdessen fragen, »was der Fußball ohne das Fernsehen wäre? Das Fernsehen besitzt für den Fußball einen 309 Deutscher Fußball-Bund, Kopie eines Antwortschreibens des DFB auf die Beschwerde eines enttäuschten Fernsehzuschauers vom 11.3.1965 (DFB -Archiv, DFB -Pressespiegel, Fernsehen III, 1960–1972). 310 DFB: Mehr Geld für attraktiven Sport. Pressechef Gerhard erläutert Forderungen ans Fernsehen, in: Die Welt vom 24.7.1968. 311 Vgl. Werner Müller, Taktischer Rückzug, in: Stuttgarter Nachrichten vom 22.4.1969. 312 »Lieber vor 200 Zuschauern als vor 20 Millionen«. Vergewaltigung durch das Fernsehen?, in: Der Niedersachsen-Fußball vom 16.4.1973.
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Propagandawert, der gar nicht abzuschätzen ist.«313 Letztendlich zeigten die regelmäßigen Machtproben zwischen Fußball und Fernsehen, dass beide aufeinander angewiesen waren und jeweils Druck auf die andere Seite ausüben konnten. Dies sorgte dafür, dass die Zahlungen für Übertragungsrechte, ebenso wie in England, verhältnismäßig langsam anstiegen. Auch wenn Berichte, wie der PEP-Report in England oder die Infratest-Studie in Deutschland für eine differenzierte Perspektive warben, sahen die meisten Fußballverantwortlichen in den 1960er und 1970er Jahren das Fernsehen als Hauptverursacher des Zuschauerrückgangs in den Stadien. Die allgemeine Wohlstandsentwicklung sowie die Defizite in den Stadien gerieten dabei oft in den Hintergrund der Diskussion. Gleichzeitig konnten es sich die Fernsehmacher aufgrund des fehlenden Wettbewerbs leisten, die Kosten für Fußballübertragungen im Vergleich zu anderen Sendeformaten extrem niedrig zu halten, obwohl diese zu den wichtigsten Quotenbringern zählten.
6.2 Werbung und Sponsoring: »Spaltpilz« oder Segen für den Fußball? Auf der Suche nach alternativen Einnahmequellen geriet in den späten 1960er Jahren das Sponsoring in den Fokus der Fußballverantwortlichen. Bereits zuvor war das System der Patronage bekannt, welches beispielsweise Betriebsmannschaften wie Bayer Leverkusen hervorgebracht hatte. Im Gegensatz zum Patron oder Mäzen handelte es sich bei Sponsoren jedoch nicht um reine Wohltäter. Als Gegenleistung für die finanzielle Unterstützung wurde erwartet, dass ein Verein bestimmte Flächen oder seinen Namen für Werbemaßnahmen zur Verfügung stellte. Ebenso wie zuvor die Frage der Spielerbezahlung und des Fernsehens sorgte auch das Thema Sponsoring für erheblichen Zündstoff innerhalb der Vereine und Verbände sowie bei den Fernsehverantwortlichen und beim Publikum. In England waren die kommerziellen Aktivitäten der Vereine in den 1960er und 1970er Jahren trotz der finanziellen Negativspirale eher moderat314. Einen ersten Schritt in diese Richtung stellte das Sponsoring einzelner Wettbewerbe dar. So war das erste offiziell gesponserte Turnier der »Watney Cup« im Jahr 1970, gefolgt von der »Ford Sporting League« und dem »Texaco Cup« im selben Jahr315. Alan Hardaker, der Präsident der FL begrüßte die Einführung dieser Wettbewerbe euphorisch, wies aber zugleich auf die Gefahren hin:
313 Das Fernsehen will nicht der Prügelknabe sein. Koordinator Arnold wehrt sich gegen Pauschalmeinungen / Neudeckers »unseriöses Gerede«, in: Frankfurter Rundschau vom 25.4.1973. 314 Vgl. Taylor, The Association Game, S. 266. 315 Vgl. Sponsors Enter Football, in: The Observer vom 29.6.1969; Goals Galore in Cup, in: The Guardian vom 3.8.1970.
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I believe that sponsorship in football now has arrived. Its financial influence could well revolutionize football during the next decade, but it must be remembered by administrators at every level that the game’s birthright must never be sold cheaply to a sponsor just for the sake of financial gain.316
Die von Hardaker erwähnte Sorge um den »Ausverkauf« des Spiels führte schließlich dazu, dass in den 1970er Jahren keine weiteren Sponsoringmaßnah men von der FA genehmigt wurden. Zu groß war die Furcht davor, dass von den Geldern vor allem die größeren Vereine zu Lasten der finanzschwachen Klubs profitieren würden. Daher wurde es einzelnen Klubs bis in die 1980er Jahre untersagt, individuelle Sponsorenverträge, wie z. B. für Trikotwerbung, abzuschließen. In der Bundesliga begann der Durchbruch des Sponsorings Mitte der 1970er Jahre. Während der DFB noch 1967 einen Vorstoß des Vereins Wormatia Worms in Richtung Trikotsponoring abgelehnt hatte, genehmigte er 1973 einen Vertrag zwischen Eintracht Braunschweig und der Firma »Jägermeister«, der dem Klub eine Zahlung von 500.000 Mark sicherte, wenn er das Firmenlogo auf die Spielertrikots nähen ließ (vgl. Abb. 7). Begründet wurde der Sinneswandel damit, dass die Bestimmungen von 1967 nicht mehr zeitgemäß seien, weil die Gefahr bestand, daß die Entwicklung im DFB in Bezug auf Werbung ohne umfassende Neuregelungen im sportlichen Bereich außer Kontrolle geraten würde, und weil die am sportlichen Leben Beteiligten immer mehr bereit waren, die Werbung im Sport zu tolerieren317.
Das Thema Sponsoring sorgte jedoch für Konfliktstoff an verschiedenen Schauplätzen. Zum einen protestierten die großen Amateursportverbände – der »Deutsche Sportbund« (DSB), die »Stiftung Deutsche Sporthilfe« und das »Nationale Olympische Komitee« (NOK) – gegen die Werbung am Mann und riefen stattdessen 1974 die Aktion »sauberes Trikot« ins Leben. Diese setzte sich dafür ein, dass jede Vereinbarung zwischen Industrie und Sport zu untersagen sei und die bisher geduldete Trikotwerbung bis spätestens 31. August 1975 auslaufen müsse318. Gegen den Widerstand des DFB verabschiedete der DSB darüber hinaus im November 1974 mit großer Mehrheit die »Leitlinien für die Werbung im Sport«, die ein generelles Werbeverbot im deutschen Sport ab dem 1. Januar 1976 forderten319. Während DSB -Präsident Willi Weyer behauptete, dass die Werbung 316 Alan Hardaker, Sponsorship in Football, in: The Football Association (Hrsg.), Year Book. 1971–1972, London 1972, S. 62 f., hier S. 62. 317 Hans Paßlack, Bericht des Generalsekretärs, in: Deutscher Fußball-Bund (Hrsg.), Jahresbericht 1973/74 des Deutschen Fußball-Bundes. Erstattet durch den Vorstand, Frankfurt a. M. 1974, S. 18–32, hier S. 29. 318 Vgl. Werbung und Sport. Heiße Diskussion in Frankfurt, in: Kicker-Sportmagazin 67 vom 16.8.1974, S. 10. 319 Vgl. Karl-Adolf Scherer, Überwältigende Mehrheit für Werbeverbot. Hauptausschuss verabschiedete Leitlinien, in: Sport-Informationsdienst (sid) vom 30.11.1974, S. 2.
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Abb. 7: Günter Mast, Chef der Firma Jägermeister, mit einem künstlichen 1000 DMSchein neben Hans Jürgen Hellfritz (li.) und Eberhard Haun (beide Eintracht Braunschweig). Das Hirschkopf-Logo des Unternehmens Jägermeister war das erste offiziell vom DFB für Trikots zugelassene Sponsorenlogo. Quelle: imago / Rust
den Sport wie einen »Spaltpilz« bedrohe und daher eingedämmt werden müsse, hielt DFB -Vizepräsident Herrmann Neuberger das Vorgehen des Sportbundes für »in vielen Punkten gegenwarts- und weltfremd«320. Zwar argumentierte auch der DFB intern, dass man das Trikotsponsoring nicht grundsätzlich befürworte, sondern letztendlich einfach die rechtlichen Mittel fehlten, um jenes zu unterbinden. Jedoch avancierte der Verband nach außen mehr oder weniger ungewollt zum wichtigsten Fürsprecher in Sachen Sponsoring im deutschen Sport. In England verhielt es sich eher umgekehrt. Dort gehörte Fußball zu den wenigen Sportarten, welche die 1970er Jahre weitgehend unberührt von größeren Sponsoringmaßnahmen überstanden. Zum anderen kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung mit dem Fernsehen, das sich gegen die »Schleichwerbung« auf Brust und Bande ebenfalls zur Wehr setzte. Der bereits vorhandene Streit um Gelder und Übertragungsrechte bekam dadurch eine neue Dynamik. Neben der Trikotwerbung sorgten mobile »Werbereiter« für Konfliktstoff. Diese wurden zusätzlich zur tolerierten statio320 »In vielen Punkten gegenwarts- und weltfremd«. DFB -Vizepräsident Neuberger lehnt Leitlinien zur Werbung ab, in: Die Welt vom 14.11.1974.
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nären Bandenwerbung erst kurz vor Spielbeginn aufgestellt. Die Fernsehmacher waren über die unliebsamen Werbebotschaften derart verärgert, dass sie 1974 kurzerhand die Übertragung der Europameisterschaft der Leichtathleten sowie eines Fußballländerspiels zwischen Deutschland und der Schweiz absagten321. Auch in England kam es in anderen Sportarten, in denen Werbemaßnahmen bereits erlaubt waren, zu Boykottdrohungen durch das Fernsehen322. Bei den Zuschauern erntete die radikale Haltung des Fernsehens nur wenig Verständnis – so titelte die »Hamburger Morgenpost« beispielsweise vom »Fernsehkrieg auf unserem Rücken«323, und der Spiegel berichtete, dass ein Fernsehintendant aus Sorge über den »Volkszorn« sogar Polizeischutz angefordert hatte324. Der damalige Sportkoordinator der ARD, Hans-Heinrich Isenbart, war hingegen bemüht, die Gründe für die ablehnende Haltung des Senders beim Thema Werbung darzulegen: Bei der Bewertung von Störfaktoren durch Werbung, von unlauterem Wettbewerb, von Schmarotzertum an der Fernsehübertragung ist zu unterscheiden zwischen einer echten Förderung des Sports durch den Geldgeber oder den Preisstifter und Vereinsmäzen – und jener Werbung, die als hartes Geschäft betrieben, Sport im Fernsehen als Vehikel für ihren Profit benutzt. […] Mit Recht wehrt sich das Fernsehen […] dagegen, dass diese Namen dann auf den Trikots getragen werden, damit die Fernsehkameras sie verbreiten sollen.325
Ein Mann wie Günter Mast, Geschäftsführer von Jägermeister und erster Trikotsponsor, musste für die Fernsehintendanten in dieser Hinsicht eine Provokation darstellen, da er aus seiner rein finanziellen Motivation keinen Hehl machte und von sich selbst behauptete, »[i]ch bin kein Mäzen, kein Freund des Sports. Ich will Geschäfte machen«326. Für Isenbart schien mit dem Eintritt von Sponsoren in den Sport ein Tabu gebrochen worden zu sein, wie seine grundlegenden Äußerungen zu Werbung, Sport und Gesellschaft vermuten lassen: Und es scheint auch als hätten wir es gegenwärtig nicht mit einem schilderbaren Zustand zu tun, sondern mit einem Entwicklungsprozeß, der über lange Zeit hinweg die Funktionen des Sports in seinen Grundzügen verändert hat und sicher noch weiter 321 Vgl. Warum das Fernsehen jetzt die Schleichwerbung verbannt. Millionen von Fernsehzuschauern ärgern sich, weil viele Sportveranstaltungen nicht mehr übertragen werden, in: Die Welt vom 6.9.1974. 322 Vgl. Sponsors Are Not Playing Fair – BBC , in: The Guardian vom 4.8.1973, S. 1. 323 Fernsehkrieg auf unserem Rücken. 2:1 gegen Schweiz – Mattscheibe blieb dunkel, in: Hamburger Morgenpost vom 5.9.1974. 324 Fernsehen: Anstößige Reiter, in: Der Spiegel 37 vom 9.9.1974. 325 Hans-Heinrich Isenbart, »Um den ARD -Preis«. Das Hindernisrennen der Werbung im Fernsehen oder des Fernsehens in der Werbung. Rede oder Brief von Hans-Heinrich Isenbart zum Thema Werbung im Fernsehen vom 22.8.1974 (DFB -Archiv, Pressespiegel, Werbung I, 1967–1974), S. 7. 326 Zit. n. Peter Bizer, Für mich ist Sport nur ein Geschäft. Im letzten Jahr drei Millionen gezahlt, in: Kicker-Sportmagazin 48 vom 12.6.1973, S. 19 f., hier S. 19.
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verändern wird. So wie auf verschiedensten Gebieten der Gegenwart ökonomische Gesichtspunkte über ideelle die Oberhand gewannen, so ist auch die Geschäftemacherei mit Werbung im Sport wohl nur ein Symptom für die tiefgreifende Veränderung, die die sportliche Betätigung der Menschen in unserem Jahrhundert erfahren hat. Es scheint zweifelhaft, ob man von Symptomen der Entartung [sic] sprechen kann, ob nicht die ganze Entwicklung sich logisch der Entwicklung unserer Lebenswirklichkeit anpaßt. Wie dem auch sei: Der Sport ist ins Geschäft geraten. Und dieses Geschäft hat über lange Zeit deshalb so gut funktioniert, weil hier mit schönem Schein ideelle Werte zum Verkauf standen. Es galt immer diesen Schein zu wahren, das zeremonielle Auftreten, die Verpflichtung zu Höherem in den Vordergrund zu stellen und von dem, was sich mit Geld, mit Gewinn, oder auch nur mit der Finanzierung des Nötigsten im Hintergrund abspielte, nicht zu reden.327
Aus den Worten Isenbarts geht hervor, dass es aus seiner Sicht einen Konflikt zwischen dem ideellen Wert des Sports und den Interessen des Geschäfts gebe, der zwar seit längerem latent vorhanden gewesen sei, jedoch nun zum Ausbruch komme, da man sich nicht einmal mehr die Mühe mache, finanzielle Wünsche hinter dem Schein des »Höheren« zu verbergen. In der Praxis versuchte das Fernsehen mittels kreativer Kameraführung die Übertragung unliebsamer Werbung zu vermeiden. Die Kameraleute blendeten nicht nur die offiziell verbannte »bewegliche Werbung« auf Reitern aus, sondern hielten auch Trikotwerbung auf unlesbare Distanz und führ[t]en den Bildrand so knapp oberhalb der Rasengrenze entlang, daß selbst die stationäre Werbung auf der Stadionbande vom Bildschirm [verschwand]. Kameraferne Außenspieler zappel[te]n bisweilen nur mit Bauch und Beinen auf dem Bildschirm umher.328
In der Auseinandersetzung mit den anderen Sportverbänden und dem Fern sehen schärfte auch der DFB seine – zur Einführung der Trikotwerbung anfangs noch eher schwammige – Position. Auf einer Infotagung zu Sport und Werbung im August 1974 legte der Generalsekretär des DFB, Hans Paßlack, die Motive des DFB im Hinblick auf Werbung und Sponsoring ausführlich dar. Obwohl der DFB auf dem Standpunkt stehe »daß es dem Fußballsport auf die Dauer schaden wird, wenn sich die Kommerzialisierung im Fußballsport mehr ausbreitet«, könne er »gegen diese Entwicklung weniger tun, als er eigentlich möchte«329. Ursache dafür seien die im deutschen Vereinsrecht verankerten Rechte der Mitgliederversammlungen, die über Vereinsnamen und -abzeichen frei entscheiden 327 Hans-Heinrich Isenbart, »Um den ARD -Preis«. Das Hindernisrennen der Werbung im Fernsehen oder des Fernsehens in der Werbung. Rede oder Brief von Hans-Heinrich Isenbart zum Thema Werbung im Fernsehen vom 22.8.1974 (DFB -Archiv, Pressespiegel, Werbung I, 1967–1974), S. 9. 328 Fernsehen: Anstößige Reiter, in: Der Spiegel 37 vom 9.9.1974. 329 Bericht des DFB -Generalsekretärs Hans Paßlack über Werbung im Fußballsport im Rahmen der Infotagung Sport und Werbung vom August 1974 (DFB -Archiv, Pressespiegel, Werbung II , 1974–1982).
Fußball, Werbung und Fernsehen
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dürften. Jedoch betonte Paßlack auch die positiven Effekte von Werbung für die vom DFB in besonderem Maße protegierten kleineren Vereine: Bei uns im Fußballsport sind nicht nur Vereine und Spieler der Bundesliga als Werbeträger begehrt. Die Firmen kümmern sich immer mehr um die kleineren Vereine, von denen sie sich in der Masse mehr Werbung für ihre Produkte versprechen, wobei die Werbung für die Firmen dazu noch relativ wenig kostet. Wer sich ein Herz für die kleineren Vereine bewahrt hat, kann sie sogar gut verstehen, denn warum sollten sie die ihnen angebotenen materiellen Hilfen der Werbung ausschlagen, die ihnen Spielkleidung, Fußbälle und Fußballschuhe einbringt, für die sie sonst erhebliche Summen aufbringen müssten.330
Eine 1973 beauftragte Sachverständigenkommission sei zu dem Ergebnis gekommen, dass Veränderungen im Fußball eingetreten seien, die ein Verbot der Werbung nicht mehr rechtfertigten. Dazu gehören hauptsächlich: der Wandel in der Auffassung über die Auslegung des Amateurbegriffs, der Ausfall des Mäzenatentums, die Notwendigkeit der finanziellen Unterstützung der Klubs durch Dritte, weil die Spieleinnahmen zur Erfüllung der Vereinsaufgaben nicht mehr ausreichen.331
Auch DFB -Vizepräsident Herrmann Neuberger führte auf derselben Tagung an, dass es überwiegend der Sport gewesen sei, der die Werbeeinnahmen suchte und nicht die Wirtschaft, die den Sport »unterwanderte«. Warum? Weil seinen Trägern, den Vereinen und Verbänden, bei explosiv wachsenden Mitgliederzahlen und Kosten die Finanzdecke zu schmal wurde. Es waren nicht zuletzt die Sprecher der öffentlichen Hand, die uns aufforderten, nicht nur nach Subventionen zu rufen, sondern mehr nach eigenen Finanzquellen zu suchen. […] Deshalb sage ich: mag sich das Rufen nach einem absoluten Werbeverbot im Sport und mit ihm in der Optik auch recht gut ausmachen, für eine Vielzahl von Vereinen ist solche Forderung lebensbedrohend; wenigstens so lange lebensbedrohend, bis die eine Frage positiv beantwortet werden kann: wer ersetzt dem Verein die Mittel, die ihm ob eines solchen Verbotes verloren gehen?332
Die angespannte finanzielle Lage des deutschen Ligafußballs bewirkte, dass die meisten Vereine die ihnen offen stehenden Einnahmemöglichkeiten aus Werbeverträgen ausschöpften so gut es ging, womit sich die Fernsehmacher abfinden mussten. Durch die werbefeindliche Haltung des Fernsehens blieben die Reklamemöglichkeiten jedoch auf Trikot- und stationäre Bandenwerbung beschränkt.
330 Ebd. 331 Ebd. 332 Rede des DFB -Vizepräsidenten Hermann Neuberger auf der Infotagung Sport und Werbung vom August 1974 (DFB -Archiv, Pressespiegel, Werbung II , 1974–1982), S. 5 f.
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Zweiter Teil: Fußball als Verlierer der Wohlstandsgesellschaft? 1961–1978
Zusammenfassung Anlässlich der Feier zum 75. Jubiläum des DFB im Mai 1975 fand der als Festredner bestellte deutsche Intellektuelle Walter Jens kritische Worte nicht nur zur »nicht immer blütenweißen Vergangenheit« des Verbands, sondern auch zu dessen Entwicklung in den 1960er und 1970er Jahren. »Nicht dem Fußball, sondern seiner Gefährdung – der Bedrohung durch Kalkül und Kommerz« – gelte die Kritik333. Während Fußballliebhaber wie Jens sowie ein Teil der Verantwortlichen in Fußball- und Fernsehinstitutionen das Spiel also durch ein Zuviel an Kalkül und Kommerz bedroht sahen, kehrten andere Stimmen das Argument ins Gegenteil und bemängelten das Zuwenig ökonomischer Rationalität im Fußball. Dieser ideologische Graben zog sich quer durch alle Lager und war im englischen Fußball ebenso anzutreffen wie im deutschen. Der Konflikt zwischen traditionsgebundenen und unternehmerischen Geisteshaltungen nahm in den verschiedenen Sportarten unterschiedliche Formen an. Whannel beobachtet für England, dass [s]ome, like Rugby Union fought a rearguard action against commercialisation for much of the 1960s and 1970s. Some, like golf, became dominated by the new entre preneurial forces. In many others, such as athletics, tennis, football and cricket, there was a prolonged period of negotiation, contestation and manoeuvre, resulting in a series of unstable equilibria between tradition and modernity.334
In welche Richtung sich auch immer die Waagschale im Konflikt um Tradition und Modernisierung neigte – keine Sportart kam umhin, sich mit den Erfordernissen und Möglichkeiten der neu entstandenen Wohlstandsgesellschaften auseinanderzusetzen. Wie im vorangegangenen Kapitel ausgeführt wurde, hatte sich mit steigenden Löhnen, sinkenden Arbeitszeiten und einem sich ausdifferenzierenden Freizeitangebot das Konsumverhalten westeuropäischer Gesellschaften dauerhaft verändert und in den verschiedenen Ländern immer mehr aneinander angeglichen. Die Geschwindigkeit, mit der das Fernsehen alle anderen Freizeitbeschäftigungen in Sachen Beliebtheit überholte, ist symptomatisch für den rasanten Wandel des Konsumverhaltens seit etwa Mitte der 1950er Jahre. Mit seiner medialen Aufbereitung als Fernsehsport, durch die Professionalisierung der Spieler sowie mit dem Einzug von Werbe- und Sponsoringmaßnahmen machte der Fußball einerseits große Schritte in Richtung einer kommerzialisierten Unterhaltungsindustrie. Andererseits waren diese Modernisierungsmaßnahmen von englischen wie von deutschen Fußballfunktionären eher widerwillig genehmigte Zugeständnisse, die gemeinhin als notwendiges Übel angesehen wurden. Von einer aktiven Strategie konnte in diesem Zu333 Zit. n. Wolfgang Tobien, Eine kritische Liebeserklärung. Die Festrede von Professor Walter Jens, in: Kicker-Sportmagazin 40 vom 20.5.1975, S. 38. 334 Whannel, Fields in Vision, S. 70.
Zusammenfassung
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sammenhang keine Rede sein. Zudem zeugten der Zuschauerschwund in den Stadien und die zunehmenden finanziellen Schwierigkeiten in den oft wenig professionell geführten Vereinen von gleichzeitig auftretenden Krisenerscheinungen im Laufe dieses Anpassungsprozesses. Die Haltung der Zuschauer und Fernsehmacher war dabei häufig ebenso ambivalent wie die der Fußballoberen. So verlangte das Publikum zwar einerseits komfortable Stadien und heraus ragende Spieler, andererseits wurden Kommerzialisierungstendenzen von vielen zugleich negativ als Entfremdung wahrgenommen. Ebenso wünschten sich die Fernsehintendanten, dass sich die Fußballvereine möglichst preiswert und umfassend für Übertragungen zur Verfügung stellten, wenn aber diese die entstandenen finanziellen Einbußen über Werbemaßnahmen kompensieren wollten, folgte ein moralisch aufgeladener Sturm der Entrüstung. Hinsichtlich der sinkenden Zuschauerzahlen in den Stadien und der finanziellen Negativentwicklung in den meisten Vereinen kann man vom englischen und deutschen Profifußball als Verlierer der Wohlstandsentwicklung sprechen. Jedoch spiegeln die konträren Entwicklungstendenzen im Fußball der 1960er und 1970er Jahre zugleich gesellschaftliche Widersprüche. Die Wohlstands gesellschaft war kein plötzlich aus dem Nichts entstandenes Faktum, keine feste Einheit, sondern der neue Wohlstand traf auf bestehende Traditionen, deren Gültigkeit in verschiedensten Bereichen neu ausgehandelt werden musste. Der professionelle Vereinsfußball war einer von vielen Schauplätzen auf denen dies geschah und wo sich die Ambivalenzen der Entwicklung deutlich zeigten.
Dritter Teil: Desinteresse, Disorder und Decline – die 1980er Jahre als Krisen- und Übergangsphase
»The 1980s was possibly the worst decade English football ever endured«1, lautet die Bilanz von Andy McSmith in seiner Geschichte der 1980er Jahre in Großbritannien. Zu dieser Einschätzung kam er nicht etwa aufgrund fehlender sportlicher Erfolge im englischen Fußball, sondern wegen der Ereignisse, die sich am Spielfeldrand zutrugen. Drei Stadiontragödien sollten das Gesicht des englischen Fußballs für immer verändern. Höhe- und Wendepunkt der krisenhaften Entwicklung in den 1980er Jahren war die Stadionkatastrophe von Hillsborough, bei der im Jahr 1989 nicht weniger als 96 Menschen ums Leben kamen. Bereits in den Jahren zuvor war der ehemals blühende Fußballsport wegen seiner maroden Anlagen und gewaltbereiten Anhängerschaft für viele zum Symbol für den Niedergang Großbritanniens geworden2. Auch der deutsche Fußball schlug in den 1980er Jahren einen – wenn auch milderen – Weg in die Krise ein. Erstmals seit Beginn der Fußballübertragungen geriet die Spitzenposition des Spiels beim Publikum und in der Berichterstattung des deutschen Fernsehens Mitte der 1980er Jahre in Gefahr, letztendlich durch einen einzigen Publikumsliebling. Der sensationelle Sieg des damals 17jährigen Boris Becker (…) in Wimbledon und die sich anschließenden Erfolge des deutschen Teams im Davis-Cup machten Tennis zumindest phasenweise zur Sportart Nummer Eins. Insgesamt gesehen übertrug das Erste Deutsche Fernsehen mehr Tennis als Fußball, und bis zu 20 Millionen Bundesbürger schauten zu.3
In England wie in der Bundesrepublik besuchten weniger Zuschauer denn je die Stadien. Die Verschuldung der Vereine erreichte Rekordstände. Darüber hinaus spitzte sich nicht nur in England die Debatte um gewaltbereite Fußballfans, sogenannte »Hooligans«, zu, sondern auch in Deutschland grassierte in den 1980er Jahren die Angst vor aggressiven »Rowdies«. Dies alles geschah vor dem Hintergrund einer gesellschaftlichen Stimmung, die von einem diffusen Gefühl des Niedergangs und der Zukunftsangst geprägt war. Spätestens seit Mitte der 1970er Jahre hatte sich das Ende der von Jean Fourastié 1 Andy McSmith, No Such Thing as Society, London 2011, S. 306. 2 James Walvin veröffentlichte Mitte der 1980er Jahre sein Buch »Football and the Decline of Britain«. Vgl. Walvin, Football and the Decline of Britain. 3 ARD, Sport: Tennis und Fußball, S. 199.
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Dritter Teil: Desinteresse, Disorder und Decline
als trente glorieuses bezeichneten Epoche ungebremsten Wirtschaftswachstums nach 1945 abgezeichnet4. Mit den Ölkrisen von 1973 und 1979 und der damit einhergehenden Wiederkehr der kollektiven Erfahrung von Rezession und Arbeitslosigkeit schwand vielerorts der Fortschrittsglaube und Optimismus, der die Nachkriegsjahrzehnte geprägt hatte. Die Zeit »nach dem Boom« bedeutete für den Fußball in England und Deutschland eine Verschärfung der bereits in den 1960er und 1970er Jahren angelegten Schwierigkeiten, die sich in einem Teufelskreis aus sinkenden Zuschauerzahlen, steigenden Kosten, zunehmender Verschuldung und fehlenden Investitionen äußerten. Damit fügte sich die Krise des Fußballs nur allzu gut in eine allgemeine Krisensemantik ein, die den Niedergang der einst so stabilen Industriegesellschaften angebrochen sah. Auf der anderen Seite – und dies gehört zu den spezifischen Ambivalenzen der späten 1970er und 1980er Jahre – blieb die Sphäre des Konsums von den Erschütterungen der Wirtschaftskrisen nahezu unberührt. Insgesamt wurde mehr und nicht weniger, wie zu vermuten wäre, konsumiert, und der Konsum wurde individueller und differenzierter. Im Bereich des Sports symbolisierten die sogenannte Fitness-Welle und der Tennis-Boom diesen neuen Individualismus. Im Vergleich kam der Fußballsport eher »altbacken« daher und konnte zunächst kaum vom gesteigerten Erlebnishunger der Konsumenten profitieren. In der zweiten Hälfte der Dekade bahnten sich jedoch auch im englischen und deutschen Fußball wegweisende Veränderungen an. Der immer größer werdende Leidensdruck vieler Vereine schuf erstens bei den Verantwortlichen eine größere Akzeptanz gegenüber Neuerungen, die es in dieser Form zuvor nicht gegeben hatte. Zweitens bekam eine neue, wirtschaftsorientierte Funktionärsgeneration wichtige Posten innerhalb von Vereinen und Verbänden, die den wirtschaftlichen Niedergang des Spiels verhindern wollten, indem sie es für eine radikale Kommerzialisierung öffneten. Drittens betrat mit dem Satelliten- bzw. Privatfernsehen ein neuer Akteur die Bühne, hebelte das über Jahrzehnte hinweg verkrustete Machtgefüge zwischen Fußball und Fernsehen binnen kürzester Zeit aus und schuf damit die Grundlage für eine kommerziell äußerst fruchtbare Sport-Medien-Verbindung. Die an dieser Stelle zunächst nur grob umrissenen Krisenerscheinungen und Veränderungsdynamiken des Vereinsfußball der 1980er Jahre traten in England und Deutschland zu einem erstaunlich großen Teil parallel und einem ähnlichen Entwicklungspfad folgend auf. Dennoch traten auch gravierende nationale Unterschiede zu Tage. So geriet etwa der englische Fußball in den Mittelpunkt einer hoch emotionalisierten Debatte um die Transformation der britischen Gesellschaft unter der damaligen Premierministerin Margaret Thatcher. Diese sah die Probleme des Fußballs mit gewaltbereiten Zuschauern als eines von zahlreichen Indizien für den moralischen Niedergang der Nation, dem mit strengen ordnungspolitischen Maßnahmen entgegengewirkt werden müsse. Die 4 Jean Fourastié, Les trente glorieuses: ou la revolution invisible de 1946 à 1975, Paris 1979.
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oftmals pauschalisierenden Urteile und Bestimmungen der Premierministerin provozierten Protest von der großen Mehrheit der friedlich gesonnenen Fußballanhänger. In dieser Konstellation spiegelte sich ein Grundkonflikt, der die britische Gesellschaft spaltete bzw. in Ambivalenzen verstrickte: Einerseits gab es einen Konsens darüber, dass es so nicht weitergehen könne und dringend etwas gegen die Gewalt- und Niedergangserscheinungen im englischen Fußball (auf nationaler Ebene: gegen den Niedergang der Wirtschaft) getan werden müsse. Andererseits waren große Teile der Bevölkerung entsetzt über die Härte der Maßnahmen, die das Krisengefühl noch zu verstärken schien.
1. Gewalt und Sicherheit Kein anderes Thema dominierte den Fußball – vor allem in England – in den 1980er Jahren so sehr, wie Gewalt und »Hooliganismus«. Am 30. Mai 1985 stellte Frank Keating, ein Journalist des Guardian, dem britischen Fußball in einem erbitterten Artikel den Totenschein aus: »One more corpse was carried from the Heysel Stadium last night. Soccer itself – draped in Union Jack. It deserved to be spat on.«5 Vorausgegangen war eine der schlimmsten Tragödien des englischen Profifußballs. Beim Finale des Europapokals der Landesmeister war es kurz vor Anpfiff des Spiels zwischen dem FC Liverpool und Juventus Turin im Brüsseler Heysel-Stadion zu einer Massenpanik gekommen, nachdem Liverpool-Anhänger versucht hatten, den benachbarten Zuschauerblock zu stürmen. Eine Wand stürzte ein, und 39 Menschen kamen zu Tode. Erst drei Wochen zuvor hatte sich im englischen Bradford eine Brandkata strophe mit 56 Todesopfern zugetragen. Ausgelöst durch ein Streichholz oder eine brennende Zigarette, hatte sich das Feuer in der Holztribüne des Valley-ParadeStadions, unter der sich mehrere Jahrzehnte lang Abfall angesammelt hatte, rasend schnell ausgebreitet6. Damit sich keine Zuschauer heimlich ins Stadion schleichen konnten, waren die Notausgänge zuvor geschlossen worden, sodass wichtige Fluchtwege versperrt blieben. Die grausamen Szenen brennender Menschen fanden vor den Augen der Fernsehzuschauer statt, da das regionale Fernsehen die Bilder live übertrug. Für den englischen Fußball waren die beiden Stadionunglücke ein Desaster. Bradford wurde zum Symbol für den desolaten Zustand der Fußballstadien. Mit längst nicht mehr zeitgemäßen Holztribünen ausgestattet, voller Abfall und ohne ein angemessenes Sicherheitsmanagement war das Valley-Parade5 Frank Keating, Total Despair – and No Relief this Time, in: The Guardian vom 30.5.1985, S. 24. 6 Vgl. Peter Davenport, Locked Gates and Timber Stands Create Death Trap, in: The Times vom 13.5.1985, S. 1; Mr Justice Popplewell, Committee of Inquiry into Crowd Safety and Control at Sports Grounds. Interim Report, London 1985.
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Dritter Teil: Desinteresse, Disorder und Decline
Stadion zur Todesfalle geworden. Heysel dagegen markierte den Höhepunkt eines Problemkomplexes, der oftmals unter dem Stichwort »Hooliganismus« zusammengefasst wird. Das Phänomen gewalttätigen oder aggressiven Verhaltens auf den Zuschauerrängen beherrschte in den 1980er Jahren die Diskussionen über den Zustand des Fußballs in Medien, Politik und sogar eigens gegründeten Universitätseinrichtungen7. In Folge der gewaltinduzierten Katastrophe von Brüssel wurden die englischen Klubs auf unbestimmte Zeit mit Einverständnis der britischen Regierung von UEFA und FIFA von internationalen Wettbewerben wie dem Europapokal der Landesmeister ausgeschlossen. Die Isolation des englischen Fußballs kam einer öffentlichen Ächtung gleich. Die Eskalation der Ereignisse im Jahr 1985 katapultierte den englischen Fußball ins Zentrum der Diskussion um den Niedergang der britischen Gesellschaft und damit auch auf die Tagesordnung der Politik. »Many observers, though not all, were convinced that the events of 1985 were strong evidence of the nations decline«8, gab Walvin Mitte der 1980er Jahre die Stimmung in England in Bezug auf den Fußball wieder. Keating bewertete die Lösung der Fußball-Krise gar als finale Bewährungsprobe für Thatcher: Mrs Thatcher must now show the mettle of her will – indeed of her whole reputation. […] Brussels, 1985, could yet mean more to her than the Falklands, 1982. If that war when many young men died helped make her electoral majority, then Liverpool’s war in Brussels could well dilute it on the grand scale.9
In Öffentlichkeit und Politik führten die Stadionkatastrophen einen größeren Konsens darüber herbei, dass nur drastische Maßnahmen zu einer Verbesserung der Situation führen könnten. Ebenso wie der Miners’ Strike von 1984/85 schürten die damaligen Ereignisse im Fußball in der Gesellschaft Ängste vor Anarchie und Gewalt und erhöhten dadurch die Akzeptanz gegenüber staat lichen Eingriffen. James Walvin sah darin ein Beispiel für eine Verschiebung der Gewichte weg von der persönlichen Freiheit, hin zu Sicherheit und Kontrolle, was seither ein permanentes Konfliktthema im englischen Fußball darstelle10. Während laut Walvin Mitte der 1980er Jahre [some] people may not feel it unusual for police to ask men to remove their boots before entering a football stadium; a generation ago it would have been thought outrageous. Even earlier it would have precluded most men from watching the game.11
Bis in die Gegenwart ist die Debatte um Gewalt und Disziplin im Fußball hoch emotionalisiert und mit zahlreichen Stereotypen besetzt. Das Thema Hooliga7 Vgl. Taylor, The Association Game, S. 309. 8 Walvin, Football and the Decline of Britain, S. 128. 9 Frank Keating, Total Despair – and No Relief this Time, in: The Guardian vom 30.5.1985, S. 24. 10 Vgl. Walvin, Football and the Decline of Britain, S. 125. 11 Ebd., S. 125.
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nismus erfuhr stets große Aufmerksamkeit und drängte Fragen nach der Rolle des Sicherheitsmanagements in den Stadien in den Hintergrund. Auch wenn das Problem der Gewalt eng mit der Sicherheit im Stadion verknüpft war, handelt es sich um zwei verschiedene Problemkomplexe, die differenziert betrachtet werden müssen. Die Beispiele Heysel und Bradford zeigen, dass die Ursachen der Katastrophen von unterschiedlicher Natur waren – auf der einen Seite gewalttätige Fans, auf der anderen Seite ein für Massenveranstaltungen ungeeignetes Stadion. Dennoch hielt sich einige Zeit das Gerücht, auch das Feuer in Bradford sei durch »Hooligans« ausgelöst worden, die Rauchbomben geworfen hätten12. Einen Wendepunkt stellte die größte Stadionkatastrophe der 1980er Jahre dar, bei der am 15. April 1989 im Hillsborough-Stadion in Sheffield bei einem Halbfinalspiel des FA-Cups zwischen dem FC Liverpool und Nottingham Forest 96 Menschen starben und 766 Zuschauer verletzt wurden (vgl. Abb. 8). Auch in diesem Fall wurde von einigen Vertretern der Polizei und der Medien die Verantwortung für das Unglück zunächst gewalttätigen Zuschauern zugeschoben. Die Boulevardzeitung »The Sun« berichtete von Hooligans, die auf die Toten urinierten, und die Polizei wertete den Geruch von Urin und Erbrochenem am Unglücksort als Beweis für stark alkoholisierte Horden13. Der auf Ersuchen der britischen Regierung daraufhin von Lord Justice Taylor umsichtig angefertigte Bericht machte jedoch deutlich, dass die Tragödie im Hillsborough-Stadion allein durch Nachlässigkeit im Sicherheitsmanagement herbeigeführt worden war14. Viel zu viele Menschen waren auf bereits überfüllte Ränge gelassen worden, und ein Zaun verhinderte das Ausweichen der Massen auf das Spielfeld, sodass Zuschauer zerquetscht und niedergetrampelt wurden. Die Ordnungskräfte hielten die panischen Zuschauer, die gegen den Zaun gedrückt wurden oder versuchten, darüber zu klettern, fälschlicherweise für Randalierer und unterließen es zunächst, die vorhandenen Türen zu öffnen. Diese Ereignisse führten nicht zuletzt dazu, dass in den 1990er Jahren die Debatten um den Fußballhooliganismus zugunsten des Themas Sicherheit und Komfort in den Stadien in den Hintergrund rückt. Die Konjunktur des Phänomens »Hooliganismus« in England und die daraus entstehenden Debatten soll im Folgenden genauer betrachtet werden. Im Anschluss an die Begriffsklärung und einen kurzen Überblick über den Forschungsstand, wird der Hooliganismus anhand von drei zentralen Phänomenen (Eroberung des Raums, Medien als Verstärker, politische Intervention) erörtert. Darüber hinaus gilt es, den Zusammenhang zum Thema Stadionsicherheit herzustellen. Mehr oder weniger gelöst bzw. eingedämmt wurde das Problem 12 Vgl. Mr Justice Popplewell, Committee of Inquiry into Crowd Safety, S. 5. 13 Die Verkaufszahlen der Sun brachen in der Region daraufhin dauerhaft ein, und Blutuntersuchungen ergaben, dass Alkohol in Hillsborough keine Rolle gespielt haben konnte. Vgl. Phil Scraton, Death on the Terraces: The Contexts and Injustices of the 1989 Hillsborough Disaster, in: Soccer and Society 2 (2004), S. 183–200; Taylor, The Association Game, S. 338. 14 Lord Justice Taylor, The Hillsbourough Stadium Desaster. 15 April 1989, London 1990.
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Abb. 8: Bei der Stadionkatastrophe im Hillsborough-Stadion in Sheffield am 15.4.1989 werden Zuschauer von anderen Zuschauern von oben aus der Massenpanik gezerrt und gerettet. Für 96 Fans kam jede Hilfe zu spät. Quelle: imago / Action Plus
des Hooliganismus nicht dadurch, dass dessen Ursachen abgeschafft wurden, sondern durch Änderungen in der Organisation der Stadien. Daher muss ein besonderes Augenmerk auf denjenigen Gegebenheiten in den englischen Stadien liegen, die Unfälle und Ausschreitungen begünstigten. Im Anschluss wird auf die Entwicklung in Deutschland eingegangen, wo das Gewaltproblem zwar nicht die gleichen Ausmaße annahm wie in England, aber dennoch so ausgeprägt war, dass eine Diskussion um den Ruf des Spiels und die Sicherheit in den Stadien angestoßen wurde.
1.1 »The english disease«: Hooliganismus in England »There was, a few years ago, a man called Patrick Hooligan, who walked to and fro among his fellow-men, robbing them and occasionally bashing them.«15 Patrick Hooligan, die fiktive Romanfigur aus Clarence Rooks viktorianischer 15 Clarence Rook, Hooligan Nights. Being the Life and Opinions of a Young and Unrepentant Criminal, London 1989 (Erstausgabe 1899), zit. n. Dick Hobbs / David Robins, The Boy Done Good: Football Violence, Changes and Continuities, in: The Sociological Review 3 (1991), S. 551–579, hier S. 551.
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Kriminalgeschichte »Hooligan Nights« von 1899, gilt vielen als Namensgeber für das Phänomen »Hooliganismus«. Andere Quellen machen ein Lied der 1890er Jahre, in dem eine irische Familie mit dem Namen Hooligan ihr Unwesen treibt, oder die Untaten einer Straßenbande im späten 19. Jahrhundert, die sich selbst als Hooligan-Boys bzw. O’Hooligan-Boys bezeichnete, als Ursprung des Wortes aus, das sich um 1900 rasch in England verbreitete. Ebenso wie die Frage nach dem Ursprung des Wortes gehen auch die Definitionen des damit bezeichneten Phänomens auseinander. Der Begriff »Hooligan« bzw. »Hooliganismus« ist im Englischen – ebenso wie im Deutschen – negativ besetzt und wird meist normativ als Abwertung von Personen verwendet, die ein aggressives körperliches oder verbales Verhalten an den Tag legen. Im Zusammenhang mit dem Fußball haben sich einige wenige Wissenschaftler um eine neutralere Arbeitsdefinition bemüht. Der Soziologe Eric Dunning, der zu den einflussreichsten Forschern auf diesem Feld zählt, bestimmte »Fußballhooliganismus« beispielsweise als eine spezifische Form des Verhaltens der Zuschauer bei oder im Zusammenhang mit Fußballspielen, das nach Ansicht der öffentlichen Meinung und der Behörden ›ungehörig‹ ist, kurz, ein ›soziales Problem‹ darstellt, das Gegenmaßnahmen erfordert.16
Matthew Taylor bezieht sich in seiner Definition dagegen nicht nur auf extreme Handlungen, die ein Eingreifen erfordern, sondern versteht »Hooliganismus« im weitest möglichen Rahmen als continuum along which a range of different modes of behaviour can be placed. This might include relatively minor anti-social acts such as swearing and general rowdiness at one end to the more serious throwing of missiles and pitch invasions and then on to the often organised and orchestrated confrontations with police and fights with opposing groups of fans.17
Während sich die meisten Darstellungen darüber einig sind, dass es sich bei gewalttätigen Zuschauerausschreitungen nicht um ein neues Phänomen handelte, sondern diese bei Fußballspielen schon immer stattgefunden hatten, gehen die Spekulationen über die Ursachen weit auseinander. Tonangebend waren in dieser Debatte lange Zeit die Sozialwissenschaftler der sogenannten »Leicester School«. Es handelte sich dabei um eine Gruppe von Forschern rund um Eric Dunning, John Williams, Patrick Murphy und andere, die am »Sir Norman Chester Centre for Football Research« (SNCCFR) der Universität Leicester die Ursachen des Fußballhooliganismus erforschten18. Da Hooliganismus erst seit 16 Eric Dunning, Zuschauerausschreitungen. Soziologische Notizen zu einem scheinbar neuen Problem, in: Norbert Elias / Eric Dunning / Wilhelm Hopf (Hrsg.), Sport im Zivilisationsprozess. Studien zur Figurationssoziologie, Münster 1982, S. 123–132, hier S. 123. 17 Taylor, The Association Game, S. 309 f. 18 Gegründet und gefördert wurde die Gruppe durch den »Social Science Research Council« und den »Football Trust« als Reaktion auf die steigende Sorge in Politik und Öffentlichkeit über das Ausmaß der Gewalt bei Fußballveranstaltungen. Die Wissenschaftler der Leicester School veröffentlichten eine Reihe von Monographien, Sammelbänden und
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den frühen 1960er Jahren verstärkt in den britischen Medien problematisiert wurde, war eine der Hauptthesen Dunnings, dass die Verbreitung der Massenmedien eine moralische Entrüstung über ein schon lange existierendes Phänomen erst geschaffen habe. Die Medien hätten laut Dunning darüber hinaus »mit ihrer Berichterstattung ganz wesentlich zur Entstehung des Problems beigetragen und die Kluft zwischen den Generationen vertieft«19, da sich gewalttätige Jugendliche durch ihr Erscheinen in den Medien eine lokale Reputation erworben hätten. Die Forscher der Leicester School bezogen sich vor allem auf die Zivilisationstheorie von Norbert Elias, einem der einflussreichsten Soziologen des zwanzigsten Jahrhunderts20. Im Laufe der Geschichte habe, so die These von Elias, ein Prozess der Zivilisierung stattgefunden. Dieser zeichne sich zum einen durch gesellschaftliche Entwicklungen, wie die Zentralisierung der westlichen Gesellschaften in Nationalstaaten oder die Herausbildung der industriellen Produktion aus. Zum anderen verändere dieser Zivilisationsprozess aber auch die individuellen Empfindungen wie Scham und Peinlichkeit oder die Toleranz gegenüber körperlicher Gewalt. In Bezug auf den Fußballhooliganismus führten Dunning et al. im Wesentlichen zwei Hauptargumente an: Erstens sei nicht das Problem neu, sondern die Wahrnehmung in einer »zivilisierteren« Gesellschaft, die zunehmend intolerant gegenüber öffentlichen Gewaltausbrüchen werde und über das Verbreitungssystem der Massenmedien verfüge21. Zweitens sei der Fußballhooliganismus tief verwurzelt als eine Art Lebensstil der »rough« working-classes, die vom Zivilisationsprozess abgehängt worden seien und eine eigene »Subkultur der Gewalt«22 herausgebildet hätten. Dunning zitierte in diesem Zusammenhang einen offiziellen Bericht des »Sports Council«, der die gewaltbereiten Zuschauer als Gruppe beschreibt, in der man auf die traditionellen männlichen Eigenschaften wie Mut und Geschick bei Auseinandersetzungen, häufiges Trinken und häufigen Geschlechtsverkehr, Loyalität
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»Fact Sheets« zum Thema. Zu den wichtigsten gehörten Dunning / Murphy et al., The Roots of Football Hooliganism; Patrick Murphy / John Williams / Eric Dunning: Football on Trial. Spectator Violence and Development in the Football World, London, New York 1990; John Williams / Eric Dunning / Patrick Murphy, Hooligans Abroad. The Behaviour and Control of English Fans in Continental Europe, 2. Aufl., London 1989; Eric Dunning, Fighting Fans. Football Hooliganism as a World Phenomenon, Dublin 2002. Siehe auch Alan Bairner, The Leicester School and the Study of Football Hooliganism, in: Sport in Society 4 (2006), S. 583–598; Giulianotti, Football, S. 44–47; Taylor, The Association Game, S. 312–316. Dunning, Zuschauerausschreitungen, S. 127. Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, Basel 1939. Dunning selbst arbeitete jahrelang mit Elias zusammen und hatte bereits Anfang der 1980er Jahre gemeinsam mit diesem publiziert. Vgl. Norbert Elias / Eric Dunning / Wilhelm Hopf, Sport im Zivilisationsprozess. Studien zur Figurationssoziologie, Münster 1982. Vgl. Dunning, Zuschauerausschreitungen, S. 123–125; ders., Fighting Fans, S. 1. Ders., Zuschauerausschreitungen, S. 128.
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gegenüber den Mitgliedern der Gruppe und Kontrolle über das lokale Gebiet Wert legt. Es scheint so, als ob sich die Gruppen im Kern aus Vierteln rekrutieren, in denen diese Normen noch gelten und die durch den Fußball ihrerseits bestätigt werden und ein neues ›Betätigungsfeld‹ erhalten.23
Zwei Aspekte der verschiedenen Merkmale »einer derartigen Figuration« von Gesellschaft waren nach Dunning von besonderer Bedeutung für das Aufkommen gewalttätiger Ausschreitungen: Erstens »die Existenz einer reinen Männergruppe«, die »nicht der besänftigenden weiblichen Kontrolle« unterliege24. Zweitens die Tatsache, dass die Gruppen, in denen Streitigkeiten ausgetragen würden, soziologisch identisch seien. »Der ausgeprägte Stolz und das starke Gruppengefühl, das Männer aus segmentären Verhältnissen [aus den rough working classes, Anm. d. Autorin] kennzeichnet«, führe laut Dunning dazu, »daß Auseinandersetzungen zwischen ihnen völlig unvermeidlich sind, wenn sie aufeinandertreffen«25. Die Thesen der Leicester School blieben auch in den 1990er Jahren bestehen und dominierten lange Zeit die Interpretationen zum Fußballhooliganismus. Kritik wurde jedoch seither von verschiedenen Seiten geäußert. Zum einen wurde der lineare und evolutionäre Charakter der Zivilisationstheorie und deren Tendenz zur Generalisierung bemängelt, die in den Augen einiger Historiker und Anthropologen sehr fragwürdig erschien26. Zum anderen wurde die These, dass Fußballhooligans vor allem aus den unteren Schichten der Arbeiterklasse kämen, zumindest teilweise widerlegt. Gary Armstrong und Rosemary Harris führten ebenso wie Richard Giulianotti empirische Studien in verschiedenen Ländern durch, die zeigten, dass gewaltbereite Fußballanhänger aus allen Schichten der Gesellschaft kamen, weshalb Klassenstrukturen keine ausreichende Erklärung für deren Verhalten böten27. In den 1980er Jahren trugen beispielsweise einige Hooligans, die sogenannten soccer casuals, als Erkennungszeichen teure Marken- und Designerkleidung28. Die Mechanismen dieser Gruppen waren nicht einfach primitiv oder archaisch, sondern es bedurfte sowohl finanzieller Ressourcen als auch einer ausgeprägten Stil- und Konsumkompetenz der Mitglieder. Feldstudien in England ergaben, dass sie ins-
23 Zit. n. ebd., S. 128. Im Original vgl. Sports Council / Social Science Research Council, Public Disorder and Sporting Events. A Report by a Joint Panel of the Sports Council and the Social Science Research Council, London 1978, S. 17. 24 Dunning, Zuschauerausschreitungen, S. 130. 25 Ebd., S. 131. 26 Vgl. Taylor, The Association Game, S. 314; Giulianotti, Football, S. 46. 27 Vgl. Gary Armstrong / Rosemary Harris, Football Hooligans: Theory and Evidence, in: The Sociological Review 3 (1991), S. 427–458; Richard Giulianotti / Norman Bonney / Mike Hepworth: Football, Violence, and Social Identity, London, New York 1994; Taylor, The Association Game, S. 314 f. 28 Vgl. Giulianotti, Football, S. 50; Hobbs / Robins, The Boy Done Good, S. 566 f.
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gesamt weit mehr in den gesellschaftlichen Mainstream integriert waren, als dies zunächst den Anschein hatte. Giulianotti und andere betonten darüber hinaus in den letzten Jahren die Bedeutung des besonderen »Kicks«, den Hooligans bei Gewalthandlungen erführen. Erfahrungsberichte von Hooligans und verdeckt recherchierenden Journalisten beschrieben das rauschhafte, ästhetisches Erlebnis, ähnlich einer Extremsportart, als wichtigen Faktor für das offene Ausüben von Gewalt unter Fußballhooligans29. Die hier nur angedeutete Vielschichtigkeit des Phänomens macht einfache Erklärungen unmöglich. Eine umfassende Analyse kann an dieser Stelle nicht geleistet werden. Hierzu sei auf die Fülle an bereits vorhandenen Forschungsarbeiten verwiesen30. Der Problemkomplex »Hooliganismus« war kein abge kapseltes, in sich geschlossenes Phänomen sondern stand in Berührung mit verschiedenen gesellschaftlichen Ereignissen und Debatten und wirkte auf diese zurück. Im Folgen sollen anhand von drei Schnittstellen die Wechselwirkungen zwischen gesellschaftlichen, medialen und politischen Prozessen und der Entwicklung und Wahrnehmung des englischen Fußballhooliganismus in den 1970er und 1980er Jahren genauer betrachtet werden. Die erste Schnittstelle behandelt die Eroberung des Raums durch gewalt bereite Fußballzuschauer als Nebenwirkung der Wohlstandsentwicklung. Wie bereits in Kapitel 2 des zweiten Teils ausgeführt, hatte der steigende Wohlstand seit den 1950er Jahren einen Rückgang der Zuschauerzahlen in den Stadien zur Folge. Anstatt bei Wind und Wetter dem lokalen Fußballverein beizustehen, zogen es insbesondere viele Familienväter vor, mehr Zeit zu Hause oder mit gemeinsamen Familienaktivitäten, wie zum Beispiel Tages- oder Wochenendausflügen mit dem Automobil, zu verbringen. In den Fußballstadien führte dies zum einen dazu, dass die soziale Kontrolle der jüngeren durch ältere Zuschauer schwächer wurde und zum anderen zu frei werdenden Räumen innerhalb der Stadien, die von den Jüngeren demonstrativ besetzte werden konnten. Der Historiker Richard Holt sah – ebenso wie etwa James Walvin oder Dominic Sandbrook – im Wandel der Zuschauerstruktur seit den 1950er und 1960er Jahren den wichtigsten Faktor für die Eskalation des Fußballhooliganismus: Juvenile hooliganism was mainly the consequence of the collapse of the controls which older family and time-served men had exerted. The composition of the crowd altered and with it went the surveillance and supervision of the young. As the age-structure 29 Vgl. Giulianotti, Football, S. 52–54; Steve Redhead, Hit and Tell: a Review Essay on the Soccer Hooligan Memoir, in: Soccer and Society 3 (2004), S. 392–403. 30 Armstrong, Football Hooligans; ders. / Harris, Football Hooligans; Dunning / Murphy et al., The Roots of Football Hooliganism; Frosdick / Marsh, Football Hooliganism; Tom Gibbons / Kevin Dixon / Stuart Braye, ›The Way it Was‹: an Account of Soccer Violence in the 1980s, in: Soccer and Society 1 (2008), S. 28–41; Roger Ingham (Hrsg.), Football Hooliganism. The Wider Context, London 1978; John H. Kerr, Rethinking Aggression and Violence in Sport, London, New York 2005; John H. Kerr, Understanding Soccer Hooliganism, Buckingham / Philadelphia 1994; Redhead, Hit and Tell.
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changed older spectators tended to leave the terraces to take up the increasing amount of seated accomodation; the ›ends‹ were left to ›the lads‹. […] Hooliganism and segregation were mutually reinforcing.31
Sandbrook brachte diese These auf die einfache Formel, »[i]t was not poverty that opened the door to hooliganism, it was affluence«32. Ein Ergebnis der Wohlstandsentwicklung war, dass auch die Gehälter junger Erwachsener insgesamt stiegen, sodass sich nun viele Fußballfans Fahrten zu Auswärtsspielen leisten konnten, bei denen dies zuvor nicht der Fall war33. »Trouble began on the trains«, konstatierte Walvin34. Disturbances then spread into the stadiums, into those sections of the crowds reserved for youths. Those centres of youthful support began to attract youths who enjoyed the new climate and who added their own violent and foulmouthed contribution to the game.35
Zeitungsberichte der 1960er und 1970er Jahre stützen die Beobachtungen. Regelmäßig erschienen Berichte über randalierende Fußballanhänger, die in sogenannten football specials, Sonderzügen für Fans, die Sitze ausrissen, Fenster zerschlugen und ganze Bahnhöfe demolierten36. Bis Mitte der 1970er Jahre hielten sich die Gegenmaßnahmen der verantwortlichen »British Rail« jedoch in Grenzen. »British Rail say they are still making a profit even when the cost of Saturday’s wrecked coach […] has been counted in.«37 Die in den Zügen auf geheizte Stimmung entlud sich häufig bereits auf dem Weg ins Stadion. Als »weekly reign of terror« bezeichnete der Guardian die Inbesitznahme der stadionnahen Stadtviertel durch von auswärts angereiste Fußballhooligans. Citizens going about their lawful occasions make for safety whenever coaches and trains discharge their cargoes. Shopkeepers and householders barricade their windows. Nobody is safe, no property immune.38
Schließlich boten die Stadien selbst jedoch die beste Bühne für »territoriale Eroberungen« und gewalttätige Auseinandersetzungen. Neben dem Einnehmen der generischen Ends, also den Stadionsegmenten hinter dem Tor, in denen Fans 31 Holt, Sport and the British, S. 335 f. Vgl. auch Bernard Crick, Why Violence?, in: Centre for Contemporary Studies (Hrsg.), Football as a Focus for Disorder. Patterns of Social Violence, London 1984, S. 4–6; Dominic Sandbrook, State of Emergency. The Way We Were: Britain, 1970–1974, London 2011, S. 561 f.; Walvin, The People’s Game, S. 192. 32 Sandbrook, State of Emergency, S. 562. 33 Holt, Sport and the British, S. 335. 34 Walvin, The People’s Game, S. 193. 35 Ebd., S. 193. 36 Vgl. Norman Fowler, Drive on Football Hooligans, in: The Times vom 28.3.1969, S. 3; Hooliganism on Football Specials. Commons, in: The Times vom 17.10.1969. 37 The Terrors of the Terraces, in: The Guardian vom 2.9.1975, S. 12. 38 When will Reign of Terror End?, in: The Guardian vom 23.8.1975, S. 19
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ihre Mannschaft lautstark anfeuerten, war das Stürmen des Spielfelds eine in den 1960er bis 1980er Jahren häufige Form der Landnahme. Die sogenannten Pitch Invasions führten zu einer Unterbrechung des Spiels und sorgten dadurch für ein Höchstmaß an medialer Aufmerksamkeit. Es handelte sich dabei jedoch nicht zwingend um einen aggressiven Akt gewaltbereiter Rowdies, da das Spielfeld manchmal auch durch jubelnde Fans gestürmt wurde, die ihren Stars persönlich zu einem Tor bzw. Sieg gratulieren wollten. Die Kontrolle des Raums wurde in den 1970er und 1980er Jahren zur wichtigsten Strategie, mit deren Hilfe das Gewaltaufkommen im Stadion minimiert werden sollte. In den meisten Stadien wurden rund um das Spielfeld hohe Zäune errichtet, die Pitch Invasions verhindern sollten39. Zusätzlich wurden die Stadien in verschiedene Segmente eingeteilt, die dazu dienten, unterschiedliche Fangruppen voneinander zu trennen. Wie Brett Bebber in seiner Dissertation anhand von zahlreichen Polizeiberichten herausgearbeitet hat, experimentierte die englische Polizei seit den 1970er Jahren verstärkt mit verschiedenen Methoden der Demonstration von physischer Präsenz und mit Einschüchterungsmaßnahmen40. »Government and police officials wanted to create an aura of toughness within a cultural context where the public valued law-and-order discipline«41, womit Ängsten der Bevölkerung vor Jugendkriminalität und allgemein zunehmender Gewalt Rechnung getragen werden sollte. Als besonders wirksam bewährte sich der Einsatz von berittener Polizei und von Hundestaffeln in der Umgebung eines Stadions sowie im Stadion selbst. Langfristig erzeugten diese Maßnahmen in ihrer Gesamtheit jedoch eine feindliche Atmosphäre, insbesondere da viele Fußballanhänger die Disziplinierungsmaßnahmen als unangemessen hart empfanden. Die Frage nach der Rolle der Medien bei der Verbreitung des Fußballhooli ganismus und für seine Wahrnehmung in der Gesellschaft bildet die zweite Schnittstelle. Es handelt sich dabei um ein bis heute sehr umstrittenes Thema. Vorgeworfen wurde den Medien häufig, zum Zweck der Auflagensteigerung die Problematik des Hooliganismus zugespitzt und übertrieben darzustellen. Dadurch entstünde – so die Kritiker – zum einen in der Öffentlichkeit eine moral panic, die den Fußballsport zu Unrecht diskreditiere42. Zum anderen 39 Vgl. z. B. Fence for Wembly, in: The Guardian vom 6.2.1975, S. 23. In Chelsea, wo eine besonders »aktive« Anhängerschaft häufig für Störungen sorgte, wurde gar die Errichtung von Elektrozäunen erwogen. Vgl. Hendrik Bebber, Die Gefahr lauert überall. Brandkatastrophe: Kann sie sich in England wiederholen?, in: Kicker-Sportmagazin 46 vom 3.6.1985, S. 18 f., hier S. 19. 40 Vgl. Brett M. Bebber, The Culture of Football. Violence, Racism and the British Society, 1968–98, University of Arizona, 2008 (URL : http://arizona.openrepository.com/arizona/ bitstream/10150/194186/1/azu_etd_2743_sip1_m.pdf, zuletzt eingesehen am 15.9.2017), S. 247–305. 41 Ebd., S. 248. 42 Vgl. Giulianotti, Supporters, S. 45; Dunning / Murphy et al., The Roots of Football Hooli ganism; Sandbrook, State of Emergency, S. 560.
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dienten derartige Berichte als »Werbung« für Hooligans, sodass sich das Phänomen durch kritische bzw. moralisierende Berichterstattung noch verstärke. Von der Gegenseite wurden englische Fußballverantwortliche und Politiker in den 1970er und 1980er Jahren oftmals beschuldigt, das Problem nicht ernst genug zu nehmen und die Verantwortung zu leichtfertig von sich zu weisen. Ein Beispiel für diesen Konflikt bietet die Ausstrahlung einer BBC-»Panorama«-Sendung im Jahr 1977, die für heftige Diskussionen im Land sorgte. Die Dokumentationssendung43 handelte von gewaltbereiten Anhängern des Millwall FC , dessen Ruhm laut Aussage des Films nicht aus den Leistungen des Teams resultiere, sondern »from the reputation of its supporters.« Anhand von Interviews mit einzelnen, aggressiv auftretenden Millwall-Fans und Bildern von trinkenden und grölenden jungen Männern, die überdem noch von der rechtsextremen Partei »National Front« umworben wurden, erzeugte der Film das Bild eines gewalttätigen Umfelds, um das gewöhnliche Fußballanhänger einen großen Bogen machten. Empörung schlug dem Sender nach der Ausstrahlung von verschiedenen Seiten entgegen: Zunächst war man beim Millwall FC selbst wenig begeistert über die zweifelhafte Werbung. In einer Pressemitteilung kritisierte die Vereins führung, [t]he number of hooligans at Millwall is estimated authoritatively to be less than 200 out of a loyal and responsible average home gate of approximately 10,000. […] By interviewing a limited and unrepresentative cross-section of people and then concentrating the programme on such people, and by predicting violence at future matches, the BBC may well have succeeded in encouraging rather than discouraging unruly behaviour.44
Nachdem es im darauffolgenden Jahr beim Viertelfinale des FA-Cups zu schweren Ausschreitungen – ausgelöst durch Millwall-Anhänger – kam, betonte Herbert Burnige, der Vereinspräsident, dass es vor der »Panorama«-Sendung fünf Jahre lang keine Probleme mit Gewalt gegeben hätte45. Er machte die Sendung also mehr oder weniger für die erneuten Krawalle verantwortlich. Erbost reagierte auch Denis Howell, der damalige Sportminister. Howell, der selbst eine Arbeitsgruppe zur Erörterung des Hooliganismus-Problems ins Leben gerufen hatte, rügte die Sendung als »the most irresponsible programme seen for a long time«46. Er kritisierte »the total lack of balance« und konstatierte, dass die sehr konstruiert wirkende Darstellung dem Fußballsport einen Bärendienst erwiesen habe47. Die von Howell initiierte Studie kam dagegen wenig später zu dem Ergebnis, dass die Dimension des Hooliganismus überschätzt 43 44 45 46 47
BBC -Panorama: F-Troop, Treatment and the Half-Way Line, ausgestrahlt am 14.11.1977. Zit. n. BBC not Repentant, in: The Guardian vom 19.11.1977, S. 22.
Vgl. Millwall Face Closure, in: The Guardian vom 13.5.1978, S. 1. Zit. n. BBC not Repentant, in: The Guardian vom 19.11.1977, S. 22. Vgl. ebd.
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werde, was insbesondere auf die Sensationsgier der Medien zurückzuführen sei48. Die FA stimmte in die Kritik ein und forderte eine Parlamentsdebatte zum Thema, denn eine Sendung wie »Panorama« »can only give further encouragement to this social menace«49. Die BBC verteidigte hingegen ihre umstrittene Dokumentation. The resulting report, thoroughly and carefully prepared, certainly made uncomfortable viewing, and certainly contained bad language. But we believe it will have added significantly to the average viewer’s knowledge of what everyone recognises to be a serious problem.50
Kritikern wurde damit implizit unterstellt, sie wollten gravierende soziale Probleme verschleiern. Der Vorstandsvorsitzende der BBC , Sir Michael Swann, warf insbesondere Howell vor, dieser bestrafe den Überbringer der schlechten Nachricht für die unwillkommene Botschaft51: You [Howell, Anm. d. Autorin] refer to lack of balance, but are your really suggesting that the British public needs to be reminded that the great majority are peaceable, law-abiding citizens who don’t wish to be terrorised, injured or have their property damaged every time a social problem is exposed?52
Wie groß der Unmut bzw. die Ängste in der Bevölkerung in dieser Angelegenheit zum Teil waren, zeigte eine Initiative der »Hatcham Park Resident’s Association«, bei der Anwohner versuchten, den Fußballsport aus dem Stadion des Millwall FC zu verbannen, »to free themselves of the football hooliganism which is a blight on their lives«53. Für diejenigen, die sich durch den Fußballhooliganismus konkret bedroht sahen, waren die Beschwichtigungsversuche vieler Fußballfunktionäre und Politiker ein Zeichen dafür, dass ihre Sorgen nicht ernstgenommen würden. Insbesondere für Politiker war der Umgang mit Ausschreitungen im Fußball daher ein heikles Thema. Der tatsächliche Einfluss der Medien auf Verbreitung und Rezeption des Hooliganismus lässt sich unmöglich objektiv messen. Anhand des »Panorama«-Beispiels wird deutlich, dass unterschiedliche Akteure in dieser Frage aus ihren jeweiligen Interessen heraus argumentierten. Während die Fußball verantwortlichen daran interessiert waren, das Problem eher kleinzureden, um keine Zuschauer zu vergraulen und einen Imageschaden abzuwenden, tendierten Teile der Medien und der Öffentlichkeit zu einer übersensiblen Wahrnehmung 48 Vgl. Council Plays Down Soccer Hooliganism. FA Secretary Attacks Findings of Report on Terrace Violence, in: The Guardian vom 2.3.1978, S. 4; Sports Council / Social Science Research Council, Public Disorder and Sporting Events. A Report by a Joint Panel of the Sports Council and the Social Science Research Council, London 1978. 49 FA Join TV Protests, in: The Guardian vom 22.11.1977, S. 22. 50 Zit. n. BBC not Repentant, in: The Guardian vom 19.11.1977, S. 22. 51 Vgl. BBC Counters in Soccer Row, in: The Guardian vom 25.11.1977, S. 3. 52 Zit. n. ebd.. 53 Millwall Threat, in: The Guardian vom 29.12.1977, S. 14.
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des Themas. Mit den Stadionkatastrophen und gehäuften Ausschreitungen der 1980er Jahre veränderte sich die Debatte. Die Fakten schienen so erdrückend, dass die Frage nach der Rolle der Medien gegenüber der Forderung nach wirksamen Gegenmaßnahmen in den Hintergrund trat. Das Thema Fußballhooliganismus wurde zunehmend in die Zuständigkeit der Politik gerückt. Die Wechselwirkungen von Fußball und Politik in den 1980er Jahren stellen die dritte Schnittstelle dar, anhand derer der Fußballhooliganismus in breitere gesellschaftliche Debatten eingeordnet werden kann. Im Hintergrund der Entwicklung stand seit den 1960er Jahren die Frage, wer eigentlich verantwortlich bzw. zuständig sei für das Problem des Hooliganismus. Die Jahre 1985 und 1989 stellen in diesem Zusammenhang wichtige Zäsuren dar. Während sich zuvor die verschiedenen Akteure häufig gegenseitig die Verantwortung zuschoben und über konkrete Maßnahmen meist auf lokaler Ebene entschieden wurde, sah sich die Regierung Thatcher durch die Stadionkatastrophen von Bradford, Heysel und Hillsborough dazu veranlasst, umfassende Gesetze auf den Weg zu bringen, die die Sicherheit in den Stadien zentral regeln sollten und in den Augen vieler Zeitgenossen eine Revolution im englischen Fußball auslösten54. Ende der 1960er Jahre wurde der Hooliganismus erstmals von der englischen Regierung als Feld mit politischem Handlungsbedarf wahrgenommen55. Studien aus dieser Zeit stellten eine gedankliche Verbindung zwischen Hooliganismus und der Sicherheit und Kontrolle des Massenpublikums im Stadion her56. Die Bedeutung der Kooperation zwischen Fußballvereinen und Polizei wurde darin zwar betont, konkrete gesetzliche Regelungen erfolgten jedoch nicht. Mit dem Stadionunglück im Ibrox-Stadion in Glasgow 1971, bei dem 66 Menschen bei einer Massenpanik zu Tode kamen, wuchs auch in England die Sensibilität gegenüber Sicherheitsproblemen in den eigenen Stadien. Verzögert durch die wirtschaftlichen Turbulenzen der 1970er Jahre verabschiedete die Regierung 1975 den »Safety of Sports Ground Act«. Das Gesetz beinhaltete ein Lizensierungsverfahren für Stadien und gewährte der Politik das Recht zur Überprüfung von Sicherheitsmaßnahmen in den einzelnen Klubs, wodurch ein wichtiges Fenster zu politischer Einflussnahme geöffnet wurde57. Anders als in Schottland, wo nach einem Zwischenfall bei einem Spiel zwischen den Stadtrivalen Celtic und Rangers 1980 ein Alkoholverbot für schottische Stadien 54 Vgl. King, The End of the Terraces, S. 73–87; Taylor, The Association Game, S. 336–345; Walvin, The People’s Game, S. 187–211. 55 Vgl. Taylor, The Association Game, S. 318; Brett Bebber, ›The Misuse of Leisure‹: Football Violence, Politics and Family Values in 1970s Britain, in: ders. (Hrsg.), Leisure and Cultural Conflict in Twentieth-Century Britain, Manchester, New York 2012, S. 129–155, hier S. 131–133. 56 Diese gedankliche Verbindung führte dazu, dass Unfälle, die durch fehlerhaftes Management der Zuschauermassen seitens der Verantwortlichen entstanden waren, manchmal vorschnell auf gewalttätige Fußballfans zurückgeführt wurden, wie etwa im Fall der Stadionkatastrophe von Hillsborough. 57 Vgl. ebd., S. 140–147.
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ausgesprochen wurde, hielt man sich in England mit konkreten Gesetzen zur Eindämmung von Gewalt jedoch weiterhin zurück58. Die FA begrüßte einerseits das Engagement der Regierung, kritisierte jedoch andererseits, dass diese dem Fußball durch fehlende Gesetze zu viel Verantwortung für das Hooligan-Problem auflaste, was nicht richtig sei, denn »if soccer is sick, then it is a sickness afflicting society as a whole and not merely the game«59. Mitte der 1970er Jahre stieg die Unzufriedenheit der FA-Verantwortlichen über das eigene Bild in der Öffentlichkeit und die mangelnde Unterstützung durch die Politik. In der Öffentlichkeit sei man der Auffassung, dass die FA nichts gegen den Hooliganismus unternehme, weshalb es wichtig sei, auch außerhalb der Kooperation mit der Politik handlungsstark zu erscheinen, begründete das »Committee on Crowd Control« die neue Strategie der FA60. Politik und Polizei wurden zu durchgreifenden Maßnahmen aufgefordert: While the Clubs accepted full responsibility for control within grounds (huge amounts were spent each year on police), it was unanimously agreed that ›hooliganism‹ was a social phenomenon for which football could not be held solely responsible. The problem could only be solved if all parties concerned, including the media, were prepared to accept their share of responsibility. It was agreed that The Football Association should make representations at the earliest opportunity to the Home Secretary and that the following views should be expressed. (a) Unofficial travel to and from matches, either by train or bus, should be actively discouraged. […] (b) Drink was undoubtedly a major contributory factor in violence involving young supporters, and active steps should be taken to prevent alcohol being sold to minors. […] (c) It was unanimously agreed that the punishments which were issued to offenders were inadequate. […] If the Law was inadequate, and it certainly seemed to be in the case of young people, the Home Secretary should be pressed to have the Law changed.61
Die FA forderte zwar ein konsequenteres Vorgehen der Politik, dieses sollte sich jedoch auf Bereiche beschränken, die sich außerhalb des Fußball-Umfelds befanden, wie z. B. den öffentlichen Nahverkehr, die Stadionumgebung sowie die Gesetzgebung zur Bestrafung delinquenter Zuschauer. Die Ergebnisse einer radikaleren Haltung, welche die Regierung nach den Ereignissen von 1985 gegenüber den Problemen des Fußballs einnahm, waren dennoch nicht im Sinne der Fußballverantwortlichen. In Berufung auf den sogenannten »Popplewell58 Vgl. Taylor, The Association Game, S. 318. 59 Social Behaviour and its Influence on Sport, in: The Football Association (Hrsg.), Year Book. 1970–1971, London 1971, S. 88 f., hier S. 89. 60 Vgl. Committee on Crowd Control, Minutes of a Meeting vom 05.11.1976, in: The Football Association (Hg.), Committee Reports recieved at the Council Meeting held on 17th January, London 1977 (Football Association Library, Mins 1976–77, S. 73 f.). 61 Ebd.
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Report«62, der die Unglücke von Bradford und Heysel untersuchte und strukturelle Veränderungen im Fußball vorschlug, machte sich Thatcher 1988 für die Einführung eines Ticketmodells stark, bei dem nur noch registrierte Mitglieder Einlass in englische Stadien bekommen hätten und Hooligans identifiziert und ausgeschlossen worden wären63. Die ID -Membership-Kampagne war der erste Versuch von Seiten der Politik, aktiv in die Strukturen des professionellen Fußballs in England einzugreifen. Colin Moynihan, der damalige Sportminister, der neben Thatcher zu den wichtigsten Verfechtern des Plans gehörte, erläuterte, es sei zwar bedauerlich, dass man überhaupt ein derartiges Gesetz auf den Weg bringen müsse, »but sometimes the Government had to protect society from elements within it, even though society was the poorer«64. Die Kampagne löste einen Sturm der Entrüstung bei den verschiedensten Akteuren aus. An erster Stelle standen die Funktionäre der Vereine und Verbände, die empört auf den unerwünschten Übergriff reagierten. Man befürchtete, dass die Einführung einer Mitgliedskarte viele Fans verprellen würde, sodass ein weiteres Absinken der Zuschauerzahlen die Folge wäre. Laut einer Umfrage im Auftrag von Millwall FC , deren Ergebnisse im Mai 1989 publiziert wurden, waren bis zu 60 Prozent der regelmäßigen Stadiongänger nicht bereit, eine ID -Card zu kaufen65. In den Augen der Football Supporters’ Association war die Einführung einer solchen Karte »the most damaging piece of legislation in the game’s history«, wodurch die Befürchtungen von FA und FL bestätigt wurden66. Die Verbände verurteilten den Plan als »unnecessary, ineffective and economically disastrous«67, und die FL verfasste einen Brief an alle Mitglieder des britischen Unterhauses, um diese von der Unsinnigkeit des Unterfangens zu überzeugen68. Nicht wenige der Abgeordneten stellten sich öffentlich gegen die ID -Membership-Kampagne, wie etwa Roy Hattersley von der Labour Party, der diese als »desaster for the game, an affront to our liberties and a recipe for increased violence in the vicinity of our football grounds« bezeichnete69. Unter den Opponenten des Gesetzesvorschlags 62 Mr Justice Popplewell, Committee of Inquiry into Crowd Safety; Mr Justice Popplewell, Committee of Inquiry into Crowd Safety and Control at Sports Grounds. Final Report, London 1986. 63 Die Einführung des ID -membership-schemes war mehr oder weniger die einzige Konsequenz, die Thatcher aus den umfassenden Ausführungen und Vorschlägen Popplewells übernahm. Geplant war, dass 5,5 Millionen Fußballfans mit Plastikkärtchen ausgestattet werden sollten, auf denen wichtige Daten zur Person abgedruckt und gespeichert gewesen wären. 64 Martin Linton, Moynihan Defends Plan, in: The Guardian vom 13.7.1988, S. 6. 65 Vgl. Patrick Wintour, Poll Says ID Will Slash Gates, in: The Guardian vom 17.5.1988, S. 2. 66 Rogan Taylor, Präsident der FSA , zit. n. Public Snubbed. The Fans, in: The Guardian vom 10.11.1988, S. 18. 67 Zit. n. Why the Football Authorities Held Their Ire, in: The Guardian vom 11.11.1988, S. 25. 68 Vgl. Martin Thorpe, League Letter to MPs Writes off Moynihan Claims, in: The Guardian vom 7.1.1989, S. 14. 69 Zit. n. Patrick Wintour, Labour Joins Tory Rebels to Fight Soccer ID Bill, in: The Guardian vom 16.1.1989, S. 1.
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befanden sich jedoch auch Mitglieder der Conservatives, was für Thatcher besonders ärgerlich war. In einer Fragerunde des Unterhauses, die von Tumulten gekennzeichnet war, verteidigte Thatcher ihre unnachgiebige Haltung: Nearly 300 people have died. We have the worst record in the developed world. To refuse to pass the bill this session to deal with problems already identified and then to leave ourselves with no vehicle by which to respond immediately to the lessons from Hillsborough (…) would be a very grave decision for this house.70
Die Regierung knüpfte die Rückkehr der englischen Klubs in die internationalen Wettbewerbe an die Einführung der Mitgliederausweise, wodurch die Vereine unter Druck gesetzt wurden, sich nicht zu vehement gegen den Plan zu stellen. Der Konflikt um die Registrierung von Zuschauern macht auch deutlich, dass die Probleme des Fußballs von der Politik zu dieser Zeit vor allem in Form einer Störung der öffentlichen Ordnung durch Hooligans wahrgenommen wurden, auf die ein starker Staat mit kontrollierenden und disziplinierenden Maßnahmen zu reagieren habe. Auf Aspekte der Sicherheit im Stadion – von Komfort und Kundenfreundlichkeit ganz abgesehen – wurde außerhalb des Themenspektrums Hooliganismus kaum oder gar nicht eingegangen71. Dies änderte sich mit dem sogenannten »Taylor Report«, den Lord Justice Taylor, ein in England hoch angesehener Richter, auf Bitten der Regierung zu den Ereignissen von Hillsborough anfertigte72. Taylor folgte der von der Politik eingeschlagenen autoritären Route nicht, sondern zeichnete ein differenziertes Bild der Versäumnisse und Potentiale des britischen Fußballs. Sein erklärtes Ziel war the vision and imagination to achieve a new ethos for football. Grounds should be upgraded. Attitudes should be more welcoming. The aim should be to provide more modern and comfortable accomodation, better and more varied facilities, more consultation with the supporters and more positive leadership. If such a policy is implemented it will not only improve safety. There will be an improvement in behaviour, making crowd control easier.73
Taylor unterstrich, dass die Katastrophe von Sheffield kein zufälliger Vorfall war, sondern auch in anderen englischen Stadien hätte passieren können. Schließlich galt Hillsborough bis zum 15. April 1989 als Vorzeigestadion, weswegen es für das Halbfinale des FA-Cups ausgewählt worden war74. Das Bild, das der englische Profifußball in Taylors Untersuchungen und Befragungen abgegeben habe, sei das einer »general malaise or blight«, die sich durch Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit der Verantwortlichen verschlimmere. Zu den Faktoren dieser 70 Zit. n. Nikki Knewstub, Kinnock and PM Clash on Thinking of Soccer Bill, in: The Guardian vom 21.4.1989, S. 7. 71 Vgl. Taylor, The Association Game, S. 339. 72 Lord Justice Taylor, The Hillsbourough Stadium Desaster. 73 Ebd., S. 12. 74 Ebd., S. 4 f.
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Krise gehörten seiner Ansicht nach die veralteten Stadien, der desolate Zustand der Anlagen, Hooliganismus, Techniken der Abschottung in den Stadien, Alkoholkonsum sowie schlechte Führungsstrategien der Verantwortlichen von FA , FL und Vereinen. Ein zentrales Argument war, dass der Zustand der Stadien einen direkten Einfluss auf das Verhalten der Zuschauer habe. »The atmosphere does not encourage pride in the ground or consideration for others«, stellte Taylor fest75. Als Beispiel nannte er die sanitären Anlagen: At some grounds the lavatories are primitive in design, poorly maintained and inadequate in number. This not only denies the spectator an essential facility he is entitled to expect. It directly lowers standards of conduct. The practice of urinating against walls or even on the terraces has become endemic and is followed by men who would not behave that way elsewhere. The police, who would charge a man for urinating in the street, either tolerate it in football grounds or do no more than give a verbal rebuke. Thus crowd conduct becomes degraded and other misbehaviour seems less out of place.76
Die Strategie der Trennung und Abschottung als Reaktion auf das Anwachsen des Fußballhooliganismus in den 1970er Jahren habe zusätzlich zu einem feindlichen Klima beigetragen. Clubs have sub-divided their grounds to keep rival fans apart by putting fencing and sterile areas between them, by screening them from inciting each other, by seperate entrances and exits and by perimeter fences round the pitch. Many of the fences are very high and are crowded with elaborate spikes and barbed wire, the top sections being inclined inwards to prevent their being scaled.77
Im Großen und Ganzen sei dadurch zwar ein erheblicher Teil der Ausschreitungen verhindert worden, [b]ut at what a price! In addition to the poor facilities […] the ordinary law-abiding football supporter travelling away is caught up in a police operation reminiscent of a column of prisoners of war being marched and detained under guard.78
Anstatt das Image des Fußballsports als Vergnügen und Entertainment zu befördern, führten diese Strategien zu einem sich selbst verstärkenden Prozess von Aggression und Kontrolle. Auch die Fußballverantwortlichen zeigten laut Taylor wenig Interesse an den Bedürfnissen ihrer Kunden, sondern seien mehr mit Machtkämpfen und ökonomischen Fragen beschäftigt79. Als Gegenbeispiel für positive Veränderungen nannte Taylor die Umgestaltung des Ibrox-Parks im schottischen Glasgow, wo 1971 ebenfalls ein Unglück 75 76 77 78 79
Ebd., S. 6. Ebd., S. 5. Ebd., S. 7. Ebd., S. 7. Vgl. ebd., S. 9 f.
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mit vielen Toten stattgefunden hatte. Neben der bestehenden Haupttribüne seien dort drei neue Tribünen gebaut worden, deren sauberes und einladendes Erscheinungsbild ihn nachhaltig beeindruckten. These arrangements encourage fans to arrive in good time, to have wholesome refreshments in a clean and pleasant setting, to enjoy on the television the kind of pre-match entertainment which genuinely interests them, to visit a decent toilet, and then to walk up a few steps to take their seats for the match. All of this is under cover and it is enjoyed not just by the affluent but by the ordinary supporter. Significantly, the facilities are not abused. Occasional graffiti do appear but are wiped away promptly and the overall impression is that if spectators are offered civilised conditions they come to respect them.80
Basierend auf dieser Erfahrung setzte Taylor mit seinen Vorschlägen zur Verbesserung des Zuschauerverhaltens und des Sicherheitsmanagements bei der Gestaltung der Stadien an. Zentral erschien ihm die Rolle von Sitzplätzen: It is obvious that sitting for the duration of the match is more cofortable than standing. It ist also safer. When a spectator is seated he has his own small piece of territory in which he can feel reasonably secure. He will not be in close physical contact with those around him. He will not be jostled or moved about by swaying or surging. Small or infirm or elderly men and women as well as young children are not buffeted, smothered or unsighted by larger and more robust people as on the terraces. The seated spectator is no subject to pressure from numbers behind or around him during the match. He will not be painfully bent double over a crush barrier. Those monitoring numbers will know exactly how many are there without having to count them in or assess the density by visual impression.81
Die Umstrukturierung aller Stadien der englischen Profiligen zu reinen Sitzplatzstadien zu Beginn der 1990er Jahre ging auf die Initiative Taylors zurück und stellt eine ebenso entscheidende wie umstrittene Zäsur dar82. Die Studie bewirkte außerdem, dass die umkämpfte ID -Membership-Kampagne kurz vor ihrer geplanten Einführung doch fallengelassen wurde83. Durch diese und weitere Maßnahmen wurden zwar nicht die Ursachen des englischen Hooliganismus beseitigt, jedoch wurde das Problem weitgehend aus den Stadien verdrängt. Die Begleiterscheinungen, wie etwa massiv ansteigende Ticketpreise, hohe Kosten für die Vereine oder der oftmals proklamierte Verlust an Atmosphäre, sorgten für Proteste von verschiedenen Seiten, die in späteren Kapiteln 80 Ebd., S. 12. 81 Ebd., S. 12. 82 Mit dem Fokus auf das Stadiondesign wurden disziplinierende Maßnahmen wie Thatchers ID -Card-Scheme wieder verworfen. Zu den Folgen des »Taylor-Report« für die englischen Stadien vgl. außerdem Kapitel 6 des vierten Teils. 83 Vgl. Alan Travis / Martin Thorpe, Government to Drop ID Scheme, in: The Guardian vom 25.1.1990, S. 1.
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zur Sprache kommen werden84. Im Folgenden fällt der vergleichende Blick auf die Bundesrepublik, wo das Thema Hooliganismus in den 1980er Jahren ebenfalls Konjunktur hatte.
1.2 Rowdies in Deutschland: Ein importiertes Problem? Auch in der Bundesrepublik häuften sich seit den 1960er Jahren Berichte über Krawalle in den Fußballstadien. Zu dieser Zeit bediente man sich häufig des Erklärungsmusters, dass die Ursache der Publikumsausschreitungen vor allem im Charakter des Fußballspiels selbst liegen müsse. Das Treten des Balles habe »gegenüber dem eher weiblichen Werfen oder Fangen eindeutig aggressiv-männlichen Charakter und begünstige daher das Streben männlicher Massen, unterbewußt aufgestaute Aggressionstriebe abzureagieren«, zitierte der Spiegel 1963 einen niederländischen Anthropologen85. Das Ansteigen der Gewalt auf den Rängen hing aus dieser Perspektive unmittelbar mit dem Geschehen auf dem Spielfeld statt. »Wachsende Härte der Kicker verleite die Fans zur Brutalität«, konstatierte das Magazin einige Jahre später erneut86. Von der Arbeitslosigkeit über fehlende Wärme in den Familien und wachsende Entfremdung zwischen Vereinen und Anhängern existierten in Deutschland ähnlich viele Erklärungsmodelle für gewalttätiges Verhalten bei Fußballfans wie in England87. Einig war man sich in den Medien jedoch vor allem darüber, dass die Gewalt zunehme. In einer im Kicker 1980 veröffentlichten Serie zum Thema »Fans« behauptete etwa der Journalist Ulrich Pramann, [s]eit zehn Jahren […] läßt sich ein zunehmend aggressives Verhalten des Publikums beobachten. Immer jüngere Fans machen mit. Die sogenannten Hemmschwellen werden von immer mehr Jugendlichen überschritten. Der Alkoholkonsum steigt rapide. Ausschreitungen gehören zum Bundesliga-Alltag. Fast scheint es, als hätte man sich daran gewöhnt, als sähen sie [die Vereine] der Entwicklung mit saurer Miene zu und überließen sie die Lösung des Problems weitgehend der Polizei.88
Gestützt wurde diese Wahrnehmung durch das erste Todesopfer infolge gewalttätiger Übergriffe durch aggressive Fußballanhänger im Jahr 1982. Der 16-jäh-
84 Kapitel 7 des vierten Teils. 85 Einsame Herzen, in: Der Spiegel 50 vom 11.12.1963, S. 72 f., hier S. 72. 86 Biß ins Bein, in: Der Spiegel 40 vom 27.9.1971, S. 156 f., hier S. 156. 87 Havemann zitiert in diesem Zusammenhang eine für das Bundesinstitut für Sport wissenschaft in Köln erstellte Studie aus den 1980er Jahren, die herausfand, dass in den bis 1979 ausgewerteten Publikationen nicht weniger als 36 Ursachen für Gewalt im Fußball gefunden worden waren. Vgl. Havemann, Samstags um halb 4, S. 235. 88 Ulrich Pramann, Fans. Journalistische Protokolle aus der Welt der Fußball-Fans, in: Kicker-Sportmagazin 36 vom 5.5.1980, S. 20–25, hier S. 25; Vgl. auch Leg ihn um, in: Der Spiegel 42 vom 13.10.1975, S. 174–178; Havemann, Samstags um halb 4, S. 235.
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rige Adrian Maleika war auf dem Weg zu einem Auswärtsspiel des SV Werder Bremen in Hamburg von Anhängern der gegnerischen Mannschaft angegriffen und tödlich verletzt worden. Zuschauer berichteten darüber hinaus von rechtsradikalen Tendenzen innerhalb der Fan-Szene. Ein Kicker-Leser beobachtete beispielsweise eine Gruppe von Fans, bekleidet in Vereinstracht, dazu ausgestattet mit neonazistischen Aufklebern (Haken kreuzen), mit den Worten ›Ausländer raus‹ und ›Deutschland den Deutschen‹, […] [die] sich auf drei Ausländer stürzten, sie mit Bier übergossen und sie zu Boden warfen.89
Ein anderer Leser sah in dieser Entwicklung einen wichtigen Faktor des Zuschauerschwunds: Viele Vereine beklagen den Zuschauerschwund in Deutschlands Stadien. Daran ist nicht nur der teilweise schlecht gespielte Fußball schuld. Viele Zuschauer fürchten, von Rowdys angepöbelt oder Opfer einer Massenschlägerei zu werden. Der normale Zuschauer ist machtlos, da sich vorwiegend Rechtsradikale in die Fan-Blöcke ein geschleust haben und ihre Parolen verbreiten.90
Die Stadionkatastrophen von Bradford und Brüssel im Jahr 1985 sensibilisierten auch in der Bundesrepublik noch einmal zusätzlich die Wahrnehmung: Zum einen fiel der Blick nun zunehmend auf die internationalen Verflechtungen der Hooligan-Szene. Deutsche Skinheads führen zum »Bildungsurlaub« nach England, berichtete ein Mitglied eines Hamburger Fan-Projektes Mitte der 1980er Jahre91. Auch der Stuttgarter Kripo-Hauptkommissar Willi Pietsch sah die »um vieles gewalttätigeren englischen Hooligans« als Vorbilder der deutschen Rowdies: »Da sind wir mit Verzögerung dran, die Welle schwappt erst rüber«92, meinte Pietsch. Es gebe zudem eine »Internationale des Hooliganismus«, die in enger Verbindung mit dem extrem rechten Milieu stehe, wie belgische Zeitungen laut Spiegel die Ergebnisse einer Untersuchung der Universität Löwen zusammenfassten93. Die sogenannte »englische Krankheit« schien sich in ganz Europa auszubreiten und auch in Deutschland einen fruchtbaren Nährboden zu finden. Empirische Untersuchungen zur tatsächlichen Gewaltentwicklung gab es jedoch kaum94. Der DFB argumentierte in dieser Hinsicht ähnlich wie die FA: Erstens handele es sich nicht um eine »neue Welle der Gewalt«, sondern um ein
89 Leserbriefe. Jetzt gar politische Rüpel?, in: Kicker-Sportmagazin 24 vom 22.3.1982, S. 23. 90 Leserbriefe. Zuschauerschwund, in: Kicker-Sportmagazin 18 vom 27.2.1984, S. 29. 91 Vgl. »Wir sind asozial und gewalttätig«. SPIEGEL -Interview mit Mitgliedern des Hamburger Fan-Projekts über die Skin-Szene, in: Der Spiegel 7 vom 10.2.1986, S. 184–186, hier S. 186. 92 Protokoll der Gewalt. Samstags, wenn die Fäuste fliegen, in: Kicker-Sportmagazin 24 vom 16.3.1987, S. 8–11, hier S. 11. 93 Rote Bastarde killen, in: Der Spiegel 47 vom 16.11.1987, S. 213–214, hier S. 213. 94 Vgl. Havemann, Samstags um halb 4, S. 230 f.
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altbekanntes Problem, das nun von den Medien übermäßige Aufmerksamkeit erfahre95. Zweitens gehe es um Erscheinungen […], die ihre Ursachen keineswegs in unserem Sport haben, sondern deren Wurzeln weit darüber hinausreichen und die allenfalls im Rahmen großer Sportveranstaltungen symptomatisch sichtbar werden. Deshalb ist ihre Behandlung auch nicht isoliert im Bereich des Sports möglich und sinnvoll.96
Man willigte beim DFB zwar ein, sozialpädagogische Initiativen zur Gewaltprävention, wie z. B. Fan-Projekte, zu unterstützen, die »von vornherein gewaltbereiten und zur Gewalt entschlossenen Hooligans« müssten jedoch »die ganze Härte des Gesetzes spüren«97. In diesen Äußerungen zeigte sich eine Tendenz, die Verantwortung für die Sicherheit in den Stadien an andere Stellen, in diesem Fall die Politik, abzuschieben. Zum anderen gerieten die deutschen Fußballstadien nun ebenfalls in den Fokus der Öffentlichkeit. Die »Stiftung Warentest« überprüfte im Spätsommer 1985 die Stadien aller deutscher Bundesligisten auf ihre Sicherheit und kam zu dem Ergebnis, dass es mit dieser nicht zum Besten stehe. »Im Falle einer Panik können vielerorts bauliche Mängel unter Umständen auch lebensbedrohliche Folgen haben«98 – so die Studie. Ähnlich wie dies später von Taylor in England bemängelt wurde, wies die Stiftung Warentest darauf hin, dass disziplinierende Maßnahmen gegen gewalttätige Anhänger die Atmosphäre negativ beeinflussten und insgesamt auf Kosten der Sicherheit gingen: Unsere Fußballstadien ähneln heute eher Raubtierkäfigen als Stätten sportlicher Kurzweil. Stacheldraht, hohe Zäune, tiefe Gräben und dicke Mauern sollen die K icker drunten auf dem Rasen vor den ›Wilden‹ ringsum auf den Rängen schützen. Der Schutz des Zuschauers wird da erkennbar zur Nebensache. Rationalisierung geht offenbar vor: Gitter statt Ordner.99
Der DFB reagierte eher ablehnend auf die Ergebnisse der Untersuchung: Übertriebene Hysterie sei absolut fehl am Platz, und der Zuschauer müsse in puncto Sicherheit keine größeren Bedenken haben als in sonstigen Lebensbereichen100. 95 Wilfried Gerhardt, Bericht des Generalsekretärs, in: Deutscher Fußball-Bund (Hrsg.), Jahresbericht 1983–86. Erstattet durch den Vorstand, Frankfurt a. M. 1986, S. 17–25, hier S. 22. 96 Ebd., S. 23. 97 Wilfried Gerhardt / Horst Schmidt, Bericht des Generalsekretärs, in: Deutscher Fußball-Bund (Hrsg.), Jahresbericht 1989–92. Erstattet durch den Vorstand, Frankfurt a. M. 1992, S. 25–33, hier S. 29. Zu den Diskussionen um die Abschreckungsstrategie des DFB und deren Kritik durch integrative Ansätze vgl. Havemann 2013, Samstags um halb 4, S. 234–239; Packt das Übel an der Wurzel, in: Kicker-Sportmagazin 28 vom 30.3.1987, S. 23–26. 98 Stiftung Warentest, Sicherheit im Abseits, in: test 9 vom 1985, S. 20–26, hier S. 20. 99 Ebd., S. 22. 100 Panik ist fehl am Platz! Die Reaktion, in: Kicker-Sportmagazin, 72 vom 2.9.1985, S. 18–21, hier S. 19.
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Dennoch investierten Vereine und Kommunen vieler Bundesligisten im darauffolgenden Jahr überdurchschnittlich hohe Summen in Sicherheit und Komfort ihrer Stadien101. Für den englischen wie den deutschen Fußballsport bedeutete die Zuspitzung der Vorfälle und Debatten rund um die Themen Gewalt und Stadionsicherheit in erster Linie einen beträchtlichen Ansehensverlust. Diverse Umfragen ergaben, dass sich ein gravierender Teil der Zuschauer in den Fußballstadien nicht mehr sicher fühlte und deshalb lieber zu Hause blieb102. Zu den bereits im zweiten Teil genannten Ursachen des Zuschauerschwunds gesellte sich damit ein weiterer triftiger Grund, die Stadien zu meiden. In beiden Ländern spielten zudem die Medien eine entscheidende Rolle bei der Problemwahrnehmung. Auch wenn nicht gemessen werden kann, wie selektiv die Medien den Aspekt der Gewalt bei Fußballzuschauern behandelten bzw. wie sehr hier übertrieben wurde, bleibt unstrittig, dass die Berichterstattung sich diesem Thema intensiv widmete und es damit präsent in den Köpfen der Leser und Zuschauer hielt. In Zeiten der Massenmedien geschah dies unter anderen Vorzeichen – man denke an die Reichweite und den Konkurrenzkampf um die besten Schlagzeilen – als dreißig Jahre zuvor. Trotz dieser Gemeinsamkeiten hatte die Problematik in England eine andere Dimension als in der Bundesrepublik. Dies hing erstens damit zusammen, dass die englischen Stadien wesentlich älter – die meisten waren um die Jahrhundertwende erbaut worden – und maroder waren als die deutschen, was abschreckend auf viele Fußballinteressierte wirkte. Der Zuschauerschwund hatte früher eingesetzt, sodass sich Räume für gewalttätige Fußballanhänger auftaten, die keiner sozialen Kontrolle mehr unterlagen. Von den 1960er Jahren, in denen das Phänomen der Stadiongewalt erstmals größere Aufmerksamkeit auf sich zog, bis zum Höhepunkt der 1980er Jahre fand ein mehr als zwei Jahrzehnte andauernder »Reifungsprozess« statt. In der Bundesrepublik erfuhr der Hooliganismus dagegen erst seit den späten 1970er Jahren mehr Beachtung. Knappe zehn Jahre später wurde das Problem durch die beschleunigte Kommerzialisierung des Spiels bereits wieder weitgehend aus den Stadien verdrängt. Zweitens entfalteten die Stadionkatastrophen von Bradford, Brüssel und Sheffield eine Symbolwirkung für den Zustand des englischen Fußballs im Speziellen und der Nation im Allgemeinen. »Football’s desasters became a symbol of a nation in steep and apparently unstoppable decline«103. Mehrere Dinge fielen in diesem Motiv zusammen: Zum einen befand sich der professionelle englische 101 Richard Sander, 53 Millionen für Komfort und Sicherheit. Vereine nutzen die Sommerpause zu Stadionrenovierungen, in: Kicker-Sportmagazin 68 vom 18.8.1986, S. 5–8. 102 Vgl. Wo sind die Fans geblieben? Eine wissenschaftliche Untersuchung soll dem DFB helfen, in: Kicker-Sportmagazin 92 vom 11.11.1985, S. 18–20; Die Rowdys schrecken ab, in: Kicker-Sportmagazin 70 vom 1.9.1980, S. 18. 103 Walvin, The People’s Game, S. 187.
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Vereinsfußball seit geraumer Zeit in einer Krise, die sich in sinkenden Zuschauerzahlen, steigender Verschuldung, Missmanagement und einem Vorwurf der Entfremdung zwischen Publikum und Starspielern äußerte. Dass es den Klubs offenbar nicht gelang, ihre Stadien zu sicheren, einladenden Orten zu machen, schien für viele nur eine logische Konsequenz der seit längerem auftretenden Krisenerscheinungen zu sein. Zum anderen bestätigten die Ereignisse den Eindruck zahlreicher Zeitgenossen, dass Großbritannien im Vergleich zu anderen westlichen Industriestaaten einen ebenso wirtschaftlichen wie moralischen Verfall (decline) erlebe. Die Szenen der Stadionunglücke reihten sich ein in eine Bilderfolge von Streiks, Straßenschlachten und Anschlägen, mit denen Großbritannien Mitte der 1980er Jahre konfrontiert war. Hinzu kam, dass die Wirtschaftskrise der mittleren und späten 1970er Jahre das Gefühl des Niedergangs noch verstärkt hatte, da viele britische Bürger ihren materiellen Wohlstand sowie ihre Sicherheit bedroht sahen. Der desolate Zustand des Volkssports Fußball, den die Engländer einst so stolz in die Welt getragen hatten, schien die nationale Verstimmung allzu gut zu verkörpern. Drittens ergab sich die besondere Bedeutung der Stadiongewalt und -sicherheit in England aus der Politisierung des Themas. Premierministerin Margaret Thatcher entdeckte Mitte der 1980er Jahre die Eindämmung des Hooliganismus als Profilierungsfeld für ihre Law-and-Order-Politik, wogegen sich große Teile der Fußballanhänger vehement wehrten. Der englische Fußball wurde somit zum Feld, auf dem prägende Debatten über das Verhältnis von Staat und Gesellschaft ausgetragen wurden. Viertens zogen die Stadionkatastrophen der 1980er Jahre in England strukturelle Veränderungen im Stadiondesign nach sich, die den Fußball dauerhaft verändern sollten. Vor allem die in Folge von Hillsborough gesetzlich angeordnete Umwandlung aller Stadien in reine Sitzplatz-Arenen gilt Beobachtern als entscheidender Bruch in der Entwicklung des englischen Profifußballs. Erst die schwere Krise der 1980er Jahre öffnete im eher veränderungsresistenten englischen Fußball die Tür zu maßgeblichen Umstrukturierungen. Veränderungen in der Gestaltung der Stadien zogen eine Reihe von weiteren Umbrüchen nach sich, die im vierten Teil thematisiert werden sollen.
2. Das Ende des Nachkriegsbooms »Die fetten Jahre sind sowieso vorbei, denn Arbeitslosigkeit und steigende Benzinpreise lassen mehrere Stadionbesuche nicht mehr zu.«104 Beim Thema Zuschauerschwund in der Bundesliga machte diese Äußerung eines Kicker-Lesers Anfang der 1980er Jahre wenig Hoffnung auf Besserung. Neu an der Bemerkung war jedoch der Hinweis auf eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation 104 Leserbriefe. Fette Jahre vorbei, in: Kicker-Sportmagazin 90 vom 8.11.1982, S. 21.
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des Publikums. Nicht mehr nur die Attraktivität anderer Freizeitangebote bzw. die mangelnde Attraktivität des Produkts Fußball wurde als Erklärung herangezogen, sondern auch die Rahmenbedingungen schienen sich zumindest für einen Teil der Zuschauer deutlich verschlechtert zu haben. Der zweite »Chester-Report« wies 1982 für England auf einen ähnlichen Zusammenhang hin: Arbeitslosigkeit und Rezession hätten dazu geführt, dass ein Teil der Zuschauer wirtschaftlich nicht mehr in der Lage sei, regelmäßig die Spiele der Football League zu besuchen. It is reasonable to assume that even without the economic recession the long term onward trend in attendances would have continued. What the recession has done is to emphasise that trend. A substantial part of the fall since 1979–80, some 5 million spectators, must be attributed to the recession […].105
Die Rückkehr der Erfahrung von Rezession, Arbeitslosigkeit und steigenden Preisen, die hier zur Sprache kam, verwies auf einen Einschnitt in der Nachkriegsgeschichte der westlichen Industrienationen. Der »kurze Traum der immerwährenden Prosperität«106 schien an sein Ende gekommen zu sein, und auf die trente glorieuses der 1950er bis 1970er Jahre folgte eine Zeit langsamen Wachstums, wirtschaftlicher Schwankungen und steigender Inflationsraten107. Auch wenn die Institutionen Europas letztendlich eine viel größere Widerstandskraft bewiesen hätten, als zahlreiche Beobachter befürchteten, resümiert Tony Judt in seiner »Geschichte Europas«, habe nach der Mitte der 1970er Jahre einsetzenden Krise kein Weg zum Optimismus der Nachkriegsjahre zurückgeführt108. Als zentrale Ereignisse, die das Ende des Nachkriegsbooms mit einem Paukenschlag verkündeten, gelten die Ölkrisen von 1973 und 1979 sowie der Zusammenbruch des Finanzsystems von Bretton Woods im Jahr 1973. Es handelte sich dabei jedoch nicht um Auslöser, sondern um Symptome eines Problembündels, das sich bereits seit den 1960er Jahren als schleichender Wandel bemerkbar machte109. Wesentlich war in diesem Zusammenhang die sich erschöpfende Eigendynamik des Nachkriegsbooms: Die flächendeckende Verbreitung der fordistischen Massenproduktion und die Öffnung der Märkte brachten den Wachstumsprozess an sein natürliches Ende, da nun überall produziert werden konnte und die Märkte für klassische Konsumgüter zunehmend gesättigt waren. Mitte 105 The Football League, Report of the Committee, S. 7 f. 106 Burkart Lutz, Der kurze Traum immerwährender Prosperität. Eine Neuinterpretation der industriell-kapitalistischen Entwicklung im Europa des 20. Jahrhunderts, Frankfurt a. M., New York 1989 (Erstausgabe 1984). 107 Vgl. Sutcliffe, An Economic and Social History, S. 199 f. 108 Vgl. Tony Judt, Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart, Frankfurt a. M. 2009, S. 509 f. 109 Vgl. Ivan T. Berend, A Restructured Economy: From the Oil Crisis to the Financial Crisis, 1973–2009, in: Dan Stone (Hrsg.), The Oxford Handbook of Postwar European History, Oxford 2012, S. 406–422, hier S. 406–411.
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der 60er Jahre hatte der Boom seinen Höhepunkt erreicht, danach begannen die Profite zu sinken – Löhne und Pro-Kopf-Einkommen stiegen jedoch zunächst noch weiter an, mit dem Ergebnis, dass steigende Kosten und fallende Preise die Profitrate der Unternehmen noch weiter nach unten drückten. Betroffen waren vor allem Branchen der traditionellen Industrieproduktion, vom Berg- und Schiffbau über die Stahlproduktion bis hin zu den Automobilherstellern110. Der sogenannte Strukturwandel hatte auf der einen Seite Massenentlassungen und Arbeitskämpfe, wie den Miners’ Strike der britischen Bergarbeiter in den Jahren 1984 und 1985 zur Folge. Auf der anderen Seite kam es gleichzeitig zu einem Wachstum des Dienstleistungssektors, der immer mehr Menschen beschäftigte, was von einigen Zeitgenossen als Beginn eines »postindustriellen Zeitalters« interpretiert wurde111. Die Ölpreiskrise ließ im Jahr 1973 die noch mehr oder weniger verdeckten wirtschaftlichen Probleme der westlichen Industriestaaten aufbrechen. Im Zuge des Yom Kippur-Krieges nutzten die OPEC-Staaten ihr Öl-Monopol als politische Waffe gegen die westliche Welt und hoben den Ölpreis erst um 70 und dann noch einmal um weitere 130 Prozent an112. Dies führte kurz darauf zum ersten Rückgang der Produktionsraten seit der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre. Um der steigenden Arbeitslosigkeit zu begegnen, setzten die meisten Regierungen auf keynesianisches deficit spending. Dadurch kam es zu hohen Inflationsraten und stark ansteigenden Verbraucherpreisen – in Europa stiegen sie zwischen 1970 und 1978 durchschnittlich um 9,8 Prozent (im Vergleich zu 3,8 Prozent in den 1960er Jahren)113. Trotz der hohen Staatsausgaben blieben Arbeitslosigkeit und Inflation auf einem hohen Niveau bei gleichzeitig stagnierendem Wachstum, ein Phänomen, das als »Stagflation« bekannt wurde. Hinzu kam die Belastung der staatlichen Finanzen durch den stark ausgeweiteten Bereich der Sozialausgaben, die auch bei geringem Wachstum finanziert werden mussten. Neben der Ölkrise stärkte ein weiteres Ereignis den Verdacht, dass die bisherige institutionelle Ordnung der Nachkriegsära dysfunktional geworden war – der Zusammenbruch des Finanzsystems von Bretton Woods 1973114. Dieses internationale Finanzsystem war 1944 ausgehandelt worden, um die Geldwertstabilität zu sichern, indem der Dollar fest an den Goldstandard gebunden wurde. Solange die USA große Außenhandelsüberschüsse erzielten und damit der Dollar international knapp war, hatte das System reibungslos funktioniert. Mit zunehmender Importabhängigkeit und weltwirtschaftlichen Verflechtung der Vereinigten Staaten erhöhte sich jedoch die international kursierende Dol110 Vgl. Doering-Manteuffel / R aphael, Nach dem Boom, S. 52–60; Judt, Geschichte Europas von 1945, S. 516 f. 111 Vgl. Daniel Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1973. 112 Vgl. Sutcliffe, An Economic and Social History, S. 202–205. 113 Vgl. ebd., S. 204. 114 Vgl. Barry J. Eichengreen, Global Imbalances and the Lessons of Bretton Woods, Cambridge / Mass., London 2010, S. 242–251.
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larmenge, womit die Golddeckung abnahm. Die Inflation schwächte das Vertrauen in den Dollar, und als Frankreich 1969 seine Dollarreserven in Gold eintauschen wollte, konnten die USA dieser Verpflichtung nicht nachkommen. Dies bedeutete das Ende des Systems fester Wechselkurse. Nachdem die USA 1971 das Bretton-Woods-Abkommen aufkündigten, wurde es 1973 schließlich komplett aufgelöst. Für die europäischen Staaten war die amerikanische Maßnahme ein Schock und »[d]ie vorhersagbaren Kosten dieser Liberalisierung hießen Inflation«115. Der Mitte der 1970er Jahre einsetzende Transformationsprozess war in den einzelnen Ländern unterschiedlich ausgeprägt. Im Folgenden sollen die Entwicklungen in der Bundesrepublik und England kurz skizziert werden, denn vor allem in England war das Schicksal des Fußballs eng mit dem Verlauf der ökonomischen und sozialen Krise verflochten.
2.1 Deutschland: Rückkehr der Arbeitslosigkeit und »deutsche Depression« Im Jahr 1973 verdichteten sich die im vorherigen Abschnitt genannten Faktoren aus sinkenden Wachstumsraten, hoher Inflation, Strukturkrise des indus triellen Sektors, Währungsproblemen und Ölpreiskrise zur ersten Wirtschaftskrise der Bundesrepublik in der Nachkriegszeit116. Das Wirtschaftswachstum, das 1973 noch bei 4,7 Prozent gelegen hatte, schrumpfte bis 1975 auf minus 1,1 Prozent. Die Arbeitslosenzahl hingegen verdoppelte sich, und auch die Verschuldung von Bund und Ländern stieg rapide an. Nichtsdestoweniger bezeich net der Historiker Edgar Wolfrum die damalige Bundesrepublik als »Insel der Stabilität« im »Meer der Weltwirtschaftskrise«117. Während andere Länder, wie Großbritannien oder Frankreich hart getroffen wurden und mit Inflationsraten im zweistelligen Bereich sowie Massenstreiks zu kämpfen hatten, nahm die erste Ölpreiskrise in Deutschland einen vergleichsweise milden Verlauf118. Von 1976 bis 1979 wuchs die Wirtschaft bereits wieder um durchschnittlich fast vier Prozent119. Die sozialliberale Regierung unter Helmut Schmidt setzte zur Krisenbekämpfung vor allem auf die Konsolidierung des Haushalts, zugleich verschrieb sich die Bundesbank der Stabilisierung der Währung120. Flankiert wurde diese Strategie von Maßnahmen zur Förderung privatwirtschaftlicher Investitionen sowie durch die Subventionierung angeschlagener Wirtschafts115 Judt, Geschichte Europas von 1945, S. 510. 116 Vgl. hierzu und im Folgenden Ulrich Herbert, Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, München 2014, S. 887–903. 117 Edgar Wolfrum, Die Bundesrepublik Deutschland 1949–1990, Stuttgart 2005, S. 435. 118 Vgl. hierzu auch Sutcliffe, An Economic and Social History, S. 217. 119 Vgl. Herbert, Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, S. 897. 120 Vgl. Wolfrum, Die Bundesrepublik Deutschland 1949–1990, S. 436 f.
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bereiche, wie der Kohle- und Schiffbauindustrie121. Obwohl das Bruttoinlandsprodukt seit 1976 wieder wuchs, blieb die Arbeitslosenquote auf einem hohen Niveau. Die hohen Arbeitslosenzahlen spiegelten vor allem eine Verschiebung der Beschäftigung von der Schwerindustrie zum Dienstleistungsbereich wieder. Zwischen 1973 und 1976 ging die Zahl der Beschäftigten in der Industrie um 1,4 Millionen zurück, während der tertiäre Sektor, vor allem Banken, Versicherungen und öffentlicher Dienst, um etwa 570.000 Beschäftigte wuchs.122
Die zweite Ölpreiskrise im Jahr 1979 traf die Bundesrepublik wesentlich schwerer als die erste. Durch die starke Überbewertung der D-Mark litt die exportorientierte deutsche Wirtschaft in besonderem Maße123. Das Wirtschaftswachstum sank in den beiden darauffolgenden Jahren erneut, und die Arbeitslosigkeit erreichte bis 1983 eine Rekordhöhe von 9,3 Prozent – etwa zwei Millionen Arbeitnehmer124. Zugleich stiegen Inflation und Staatsverschuldung erneut an, während die Steuereinnahmen sanken. Die Verflechtung der Weltwirtschaft erschwerte die Steuerung der Krise, da sich die bewährten nationalen Steuerungsinstrumente, wie zum Beispiel die über Staatsschulden finanzierten Konjunkturprogramme (deficit spending), zunehmend als unwirksam erwiesen. Spätestens mit der zweiten Ölpreiskrise änderten die meisten westeuropäischen Regierungen, wie auch die Bundesregierung, ihre Strategie der Wirtschaftssteuerung: Anstatt immer neue Schulden aufzunehmen, versuchten sie, die Haushalte zu konsolidieren, indem sie die Ausgaben für die Sozialpolitik kürzten125. Gleichzeitig wurden die Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen verbessert. Unter Helmut Kohl, der seit 1982 Bundeskanzler war, wurde zwar eine wirtschaftliche Wende eingeleitet, die durch eine marktfreundliche Politik geschehen sollte, diese fiel jedoch weniger einschneidend aus als in anderen Ländern126. Nichtsdestoweniger erholte sich die deutsche Wirtschaft nach kurzer Zeit, sodass bereits 1983 wieder ein positives Wirtschaftswachstum sowie stei121 Die Subventionierung dieser Industriezweige sowie die Ausweitung der Sozialleistungen verhinderten zwar Massenstreiks, wie sie England in den 1970er Jahren erlebte, trieben jedoch die Staatsverschuldung in die Höhe. 122 Herbert, Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, S. 897. Automatisierung und sinkende Profitabilität durch Konkurrenz aus dem Ausland erzwangen eine Rationalisierung der Traditionsindustrien, die zur Schließung zahlreicher Betriebe und Zechen führte. Bei den »freigesetzten« Arbeitern handelte es sich jedoch meist um gering qualifizierte Kräfte, die im wachsenden Dienstleistungssektor keine Beschäftigung fanden. 123 Vgl. Sutcliffe, An Economic and Social History, S. 217. 124 Vgl. Herbert, Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, S. 954. 125 Vgl. ebd., S. 967. 126 Der Prozess der Privatisierung und Deregulierung, der beispielsweise die Öffnung von Funk und Fernsehen für private Anbieter beinhaltete, sollte seine volle Dynamik erst in den 1990er Jahren entfalten. Vgl. Frank Bösch, Vorreiter der Privatisierung. Die Einführung des kommerziellen Rundfunks, in: Norbert Frei / Dietmar Süß (Hrsg.), Priva tisierung. Idee und Praxis seit den 1970er Jahren, Göttingen 2012, S. 88–107, hier S. 88.
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gende Konsumausgaben zu verzeichnen waren. Insgesamt wuchs die Wirtschaft von nun an jedoch wesentlich langsamer als in den »Wirtschaftswunderjahren«, und auch die weiterhin bestehende hohe Arbeitslosenquote deutete darauf hin, dass man endgültig in eine Zeit »nach dem Boom« eingetreten war. Die ökonomischen und sozialen Turbulenzen der 1970er und 1980er Jahre riefen nicht nur bei den hunderttausenden Arbeitslosen ein Gefühl der Verunsicherung und des Verlusts hervor. »Heute haben wir nur noch Angst. Große Angst und kleine Angst«, beschrieb beispielsweise der Spiegel in einer mehrteiligen Serie die »deutsche Depression« zu Beginn der 1980er Jahre127. Die Auslöser des Bedrohungsempfindens waren vielfältig: Die Arbeitslosigkeit wächst. Die Zahl der Bankrotte und Pleiten steigt. Der Staat ist überschuldet. Umweltzerstörung wird überall sichtbar. Demonstrationen, Hausbesetzungen, Krawalle. Die Frauen mucken auf. Die Jugend rebelliert oder steigt aus oder funktioniert zu reibungslos, ist jedenfalls nicht in Ordnung. Nie wollten so viele Menschen auswandern. Nie seit Bestehen der Bundesrepublik nahmen sich so viele Deutsche das Leben.128
Demographischen Erhebungen zufolge ging der Anteil der Bundesbürger, die meinten, »in einer glücklichen Zeit« zu leben, in den 1970er Jahren kontinuierlich zurück – von 58 Prozent im Jahr 1969 auf nur noch 32 Prozent im Jahr 1982129. In weiten Teilen der Bevölkerung wurde der Fortschrittsoptimismus der 1960er und frühen 1970er Jahre abgelöst durch die Sorge um die Zukunft angesichts eines subjektiv empfundenen Niedergangs. Andreas Wirsching spricht in seiner Geschichte der Bundesrepublik der 1980er Jahre von einem »Zeitgeist der Angst«, der in der Dekade zwischen 1975 und 1985 Hochkonjunktur hatte und sich etwa in der Explosion der Untergangsliteratur sowie Endzeitmotiven in der Popmusik ausdrückte130. Befeuert wurde jenes Krisenbewusstsein nicht nur durch das stagnierende Wirtschaftswachstum und die Rückkehr der Arbeitslosigkeit, sondern auch die permanente Bedrohung durch den Kalten Krieg, Umweltzerstörungen, und die Nebenwirkungen des technischen Fortschritts, die vom Reaktorunglück von Tschernobyl symbolisiert wurden, trugen erheblich zu einer pessimistische Grundstimmung der Deutschen bei. Mit dem 1983 einsetzenden Wirtschaftsaufschwung ging jedoch auch das bis dahin fast allgegenwärtige Krisenbewusstsein allmählich wieder zurück131. Die Ambivalenz von Krisenstimmung und gleichzeitig expandierender Konsum- und Freizeitkultur, die die 1980er Jahre durchzog, spiegelte sich auch im deutschen Fußball wider. Für viele schien der bereits seit längerem kriselnde 127 Jürgen Leinemann, Die deutsche Depression, in: Der Spiegel 3 vom 18.1.1982, S. 56–71, hier S. 56. 128 Ebd., S. 56. 129 Vgl. Schildt / Siegfried, Deutsche Kulturgeschichte, S. 332 f. 130 Vgl. Wirsching, Abschied vom Provisorium, S. 430. 131 Vgl. ebd., S. 226.
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Profifußball nur ein weiteres Beispiel für die Erosion bestehender Strukturen und Institutionen zu sein. Aus den Vereinen als Verlierer der Wohlstands gesellschaft wurden aus dieser Perspektive Verlierer des Strukturwandels, die ein Auffangbecken für all jene darstellten, die noch an den Traditionen der Industriemoderne festhielten. Im Ruhrgebiet, dessen Städte besonders vom Niedergang der Traditionsindustrien betroffen waren, verzeichneten die großen Vereine zu jener Zeit ein vergleichsweise hohes Zuschauerniveau – [d]ie bittere Wirklichkeit außerhalb der Stadionmauern spiegelte sich auf den Rängen […] als umso verzweifeltere Anhänglichkeit an den Verein wider. Nur der Verein war noch eine Konstante, die Sicherheit versprach«132,
bekräftigte Hartmut Hering diesen Sachverhalt in seiner Fußballgeschichte des Ruhrgebiets. Die Vereine selbst hielten sich jedoch mit Solidaritätsbekundungen und Unterstützungsmaßnahmen eher zurück. Nur wenige artikulierten jedoch so drastisch wie Schalke-Präsident Hans-Joachim Fenne den Wunsch, nicht mit der vermeintlichen Verliererseite identifiziert zu werden. Fenne forderte 1985, der einstige Zechen-Verein Schalke 04 müsse weg von dem Image, dass sich mit dem Fußball entweder Proleten oder Doofe beschäftigen. […] Die Malocher nehmen ab, sie und die Arbeitslosen reichen als Kundschaft nicht mehr aus. Wir brauchen die neue Mittelklasse, die jetzt vielleicht in der Freizeit lieber Tennis spielt, um sich den eigenen sozialen Aufstieg zu beweisen.133
Erst Ende der 1980er Jahre fanden Proteste gegen Werksschließungen und Massenentlassungen Eingang in die Stadien134. Der späte Zeitpunkt legt die Vermutung nahe, dass dies bereits im Kalkül einer kommerziell verwertbaren Zechennostalgie geschah. In einer Umfrage, die der Kicker 1981 durchführte, reagierten die Vereine der Bundesliga auf die Frage, ob und wie man arbeitslosen Fans helfen möchte, ebenfalls zurückhaltend. »Fast alle sehen das Problem, nur wenige gehen es an«, resümierte der Autor135. In vielen Vereinen setzte sich zunehmend die Ansicht durch, dass man sich vom Image des Verlierers freimachen und den Anschluss an Erfolgsstrategien der Dienstleistungsgesellschaft finden müsse. Dieser Umbruch wird Thema in Kapitel 5.2 sein.
132 Hartmut Hering, Wiederauferstehung oder Show-Spiel? Der Ruhrgebietsfußball auf dem Weg ins neue Jahrtausend, in: ders. / Frank Dittmeyer (Hrsg.), Im Land der tausend Derbys. Die Fußball-Geschichte des Ruhrgebiets, Göttingen 2002, S. 352–374, hier S. 362. 133 Zit. n. Kurt Röttgen, »Dat schöne Schalke is nich mehr«, in: Der Spiegel 42 vom 14.10.1985, S. 553–559, hier S. 559. 134 Vgl. Hering, Wiederauferstehung oder Show-Spiel, S. 362. 135 Hajo Messul, Fußball zum Billigtarif? Wie die Bundesliga den arbeitslosen Fans helfen will, in: Kicker-Sportmagazin 96 vom 30.11.1981, S. 16 f., hier S. 16.
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2.2 England: Decline und »Thatcherismus« Die Destabilisierung des Weltmarktes traf Großbritannien härter als andere Industriestaaten136. Bereits in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren hatte sich die Auffassung eines ökonomischen Niedergangs (decline) verbreitet. Die über Jahrzehnte einflussreiche Vorstellung des nationalen decline bezeichnete vor allem die Unfähigkeit Großbritanniens, mit der Wirtschaftsleistung anderer westeuropäischer Länder Schritt halten zu können, bezog sich jedoch auch auf den Bedeutungsverlust des Landes im internationalen Kontext, der mit dem Verlust des Empires einherging137. Sandbrook bezeichnete das Phänomen des declinism als eine für jene Zeit typische »morbid obsession with economic decline that was often politically motivated and overlooked the fact that for most people, life was getting considerably better, not worse«138. Schon vor der ersten Ölkrise hatte Großbritannien mit einer vergleichsweise hohen Inflation, einer steigenden Arbeitslosenrate, dem Niedergang der Traditionsindustrien und niedriger Produktivität zu kämpfen. Die eigentliche Krise begann jedoch erst mit der Weltwirtschaftskrise von 1973. Anstatt die Inflation einzudämmen und die Bedingungen für Unternehmen zu verbessern, wie dies die meisten anderen betroffenen Staaten früher oder später praktizierten, setzte die britische Labour-Regierung unter Harold Wilson (ebenso wie zuvor die Konservativen) zunächst weiter auf keynesianisches deficit spending. Ziel war die Modernisierung des Landes mit sozialistischen Strategien, das heißt Ausbau der Eingriffsmöglichkeiten des Staates, Verstaatlichung von Industrien und Durchsetzung höherer Löhne139. Dieser politische Kurs führte Mitte der 1970er Jahre zu einer Lohn-Preis-Spirale, in deren Folge sich sowohl die Inflation als auch die Lohnsteigerungen im Jahr 1975 der 30-Prozent-Marke näherten. Im darauffolgenden Jahr war die Regierung schließlich gezwungen, einen Kredit beim Internationalen Währungsfond aufzunehmen, den dieser nur unter der Auflage gewährte, 136 Vgl. Sutcliffe, An Economic and Social History, S. 238. 137 Vgl. Jim Tomlinson, Economic ›Decline‹ in Post-War Britain, in: Paul Addison / Harriet Jones (Hrsg.), A Companion to Contemporary Britain. 1939–2000, Malden / M A u. a. 2007, S. 164–179, hier S. 164 f.; Sandbrook, State of Emergency, S. 59. 138 Ebd., S. 59. Da die Wirtschaft insgesamt wuchs und der Lebensstandard stieg, brachte der declinism vor allem das Gefühl zu Ausdruck, im Vergleich mit den anderen westeuropäischen Ländern einen Niedergang zu erfahren. 139 Vgl. Paul Addison, No Turning Back. The Peacetime Revolutions of Post-War Britain, Oxford, New York 2010, S. 261–268; Brüggemeier, Geschichte Großbritanniens im 20. Jahrhundert, S. 274 f.; Dominic Sandbrook, Seasons in the Sun. The Battle For Britain, 1974–1979, London 2012, S. 33–56 und S. 166–187; Sutcliffe, An Economic and Social History, S. 237–241. Nahezu die Hälfte der britischen Arbeiterschaft, die einen großen Teil der Wählerschaft der Labour-Partei ausmachte, war in Gewerkschaften organisiert. Deren Lohnforderungen hatten einen großen Einfluss auf die politische Strategie der Partei.
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dass die Ausgaben gekürzt wurden. Zusätzlich wurden Lohnerhöhungen begrenzt und die Geldmenge kontrolliert. Zwar gelang es dadurch, den Anstieg von Löhnen und Preisen zu begrenzen, jedoch hatten die Maßnahmen für viele Beschäftigte einen realen Einkommensverlust zur Folge, und auch die Arbeitslosigkeit stieg kontinuierlich an140. Die daraus entstehenden Spannungen entluden sich, als Großbritannien im sogenannten Winter of Discontent 1978/79 von einer Streikwelle erfasst wurde. Da vor allem Beschäftigte des öffentlichen Diensts an diesem Generalstreik beteiligt waren, entstanden wirkmächtige Bilder von unterversorgten Krankenhäusern, Straßen, in denen sich der Müll sammelte und stillstehenden Fabriken. Es war eine Krise, that saw ports, schools and railway stations shut down, businesses starved of essential supplies, farmers forced to slaughter their livestock for lack of fodder and thousands of workers defying not just the government but their own representatives.141
Letztendlich schwächten sich die Gewerkschaften durch den massiven Streik selbst, denn immer mehr Briten waren angesichts des nationalen Chaos der Meinung, die Gewerkschaften hätten zu viel Einfluss auf die Politik. Gewinnerin der Auseinandersetzung war Margaret Thatcher. Als führender Kopf der konservativen Partei machte sie sich die gewerkschaftsfeindliche Stimmung und die Angst vieler Briten vor Anarchie und Verlust der materiellen Sicherheit zu Nutze. Ein Teil ihres Programms, mit dem sie 1979 die Wahlen zur Premierministerin für sich entscheiden konnte, war die Wiederherstellung von Law and Order in Großbritannien. In einer Fernsehsendung machte Thatcher ihren Kurs im Januar 1979 deutlich: Some of the unions are confronting the British people; they are confronting the sick, they are confronting the old, they are confronting the children. I am prepared to take on anyone who is confronting the law of the land […]. If someone is confronting our essential liberties, if someone is inflicting injury, harm and damage on the sick, my God, I will confront them.142
Nicht nur Streiks wurden von den Konservativen als Zeichen der sozialen Desintegration gedeutet, sondern Großbritannien schien in ihren Augen bedroht zu sein durch die unterschiedlichsten Zerfallserscheinungen, von rebellie renden Studenten und Jugendlichen, über Kriminelle auf den Straßen bis hin zu Fußball-Hooligans. »To vote for Thatcher was to vote for the restoration of authority outside as well as inside the workplace.«143 Die Thatcher’sche Law and Order-Politik sollte während ihrer Regierungszeit bis 1990 auch vor dem
140 Vgl. Brüggemeier, Geschichte Großbritanniens im 20. Jahrhundert, S. 275; Addison, No Turning Back, S. 272. 141 Sandbrook, Seasons in the Sun, S. 758. 142 Zit. n. ebd., S. 763 f. 143 Addison, No Turning Back, S. 278.
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englischen Fußball nicht Halt machen, der sich als besonders symbolträchtiges Feld anbot144. Darüber hinaus markierten die 1980er Jahre eine Zäsur in der Wirtschaftspolitik, die auch für den Fußball nicht ohne Folgen bleiben sollte. Großbritannien gehörte unter Thatcher zu den Schrittmachern einer wirtschaftsliberalen Bewegung, die das Verhältnis von Staat und Gesellschaft neu definierte. Dahinter stand die Idee, dass der Staat die Wirtschaft so wenig wie möglich aktiv beeinflussen, sondern vor allem bessere Rahmenbedingungen für wirtschaftliche Aktivitäten von Unternehmen und Individuen schaffen sollte145. Die oftmals unter dem negativ konnotierten Label »Neoliberalismus« oder »Thatcherismus« laufende Wende in der Wirtschaftspolitik umfasste verschiedene Maßnahmen, die die Folgen der Wirtschaftskrise beseitigen und die britische Ökonomie wieder konkurrenzfähig machen sollten146: Erstens verfolgte Thatcher zur Bekämpfung der Inflation einen strikt monetaristischen Kurs der Geldwertstabilität, der die staatliche Steuerung von Löhnen und Preisen untersagte. Auch als das Land von 1979 bis 1981 zunächst in eine tiefe Rezession geriet und die Arbeitslosenzahlen in den Industrieregionen explodierten, hielt man an diesem Kurs fest. Die Abkehr von der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit als prioritärer staatlicher Aufgabe war für viele Bürger ein Schock, der zu gewaltsamen Unruhen führte und die Gesellschaft tief spaltete147. Zweitens wurden vor allem seit Mitte der 1980er Jahre zahlreiche staatliche Betriebe, wie z. B. »British Telecom« (1984), »British Gas« (1986), »British Airways« (1986) oder »Rolls-Royce« (1987), verkauft148. Mit diesen Privatisierungen agierte die britische Regierung unter Premierministerin Margaret Thatcher als Vorreiter eines globalen Trends, der die 1980er und 1990er Jahre entscheidend prägte und in vielen Ländern über die Jahrtausendwende fortdauerte149.
Von Thatcher auch nominell »Entstaatlichung« genannt, untermauerte der Prozess der Privatisierung den Anspruch der Regierung, sich aus der Steuerung von Wirtschaft und Gesellschaft zurückzuziehen. Konsequenz dieser Politik war für viele Kritiker, wie auch den Historiker Dietmar Süß, die »Totalisierung 144 Zu diesem Thema s. Kapitel 1 in diesem Hauptteil zu Gewalt im Fußball. 145 Vgl. Brüggemeier, Geschichte Großbritanniens im 20. Jahrhundert, S. 312. 146 Vgl. Addison, No Turning Back, S. 259–314; Brüggemeier, Geschichte Großbritanniens im 20. Jahrhundert; S. 312–333. 147 Vgl. ebd., S. 312. 148 Vgl. Addison, No Turning Back, S. 290–296. Insgesamt wurden vierzig Staatsunternehmen verkauft; am Ende von Thatchers Regierungszeit waren von den großen Betrieben nur noch die Kohlebergwerke und die Eisenbahn übrig. Vgl. Dominik Geppert, »Englische Krankheit«? Margaret Thatchers Therapie für Großbritannien, in: Norbert Frei / Dietmar Süß (Hrsg.), Privatisierung. Idee und Praxis seit den 1970er Jahren, Göttingen 2012, S. 51–68, hier S. 51. Zur Kritik am Erfolg der Privatisierungen vgl. Massimo Florio, The Great Divestiture. Evaluating the Welfare Impact of the British Privatiza tions, 1979–1997, Cambridge / Mass. 2004. 149 Geppert, Englische Krankheit, S. 51.
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des Marktprinzips«150. Richtungsweisend für den Fußball war in dieser Hinsicht vor allem die Deregulierung des Rundfunks, die in Kapitel 7 noch genauer behandelt werden wird. Drittens schränkte Thatcher erheblich den Spielraum der in Großbritannien traditionell starken Gewerkschaften ein. Nach den heftigen Streiks im Winter of Discontent war in der Bevölkerung die Bereitschaft gestiegen, eine Beschränkung der Macht der Gewerkschaften zu akzeptieren. Nach und nach wurden nun Gesetze eingeführt, die das Ausrufen von Streiks erschwerten und die Gewerkschaften insgesamt schwächten151. Zum Symbol des Konflikts wurde das Kräftemessen mit der »National Union of Mineworkers« (NUM), der sogenannte Miners’ Strike von 1984/85, bei dem die Regierung unnachgiebig blieb und einer der militantesten Gewerkschaften eine schmerzhafte Niederlage zufügte152. Auch diese Maßnahmen sollten die Entfaltung der Marktkräfte unterstützen, was nach Thatcher durch gewerkschaftlich erzwungene, unflexible Löhne zuvor verhindert worden war. Die Gewerkschaften, deren Aufgabe traditionell darin bestand, ein Gegengewicht zu Unternehmern und Managern darzustellen und ihre Mitglieder vor den Kräften des freien Marktes zu beschützen, sahen in dieser Regierungsstrategie einen weiteren Beweis für die soziale Kälte des Thatcherismus. Anstatt wie von vorherigen Regierungen partnerschaftlich behandelt zu werden, sah sich die NUM von Thatcher zum »enemy within« degradiert153. Viertens war der Abbau des Sozialstaats von zentraler Bedeutung für die Agenda Thatchers. Auch wenn der Erfolg dieser Maßnahmen umstritten ist, da die Sozialausgaben zu Thatchers Regierungszeit noch weiter anstiegen154, hatten die Reformen, die zum Beispiel das Gesundheits- und Schulwesen betrafen, weitreichende Folgen. Das Signal, das von ihnen ausging, war die Umdeutung sozialstaatlicher Institutionen zu Dienstleistern, die mittels Managementstrategien aus der Privatwirtschaft ihre Effizienz steigern sollten. Äquivalent dazu wurden Bürger nun verstärkt als Konsumenten bestimmter Leistungen konstruiert. Hier zeichnete sich ein Mentalitätswandel ab, der nicht nur die Institutionen des Sozialstaates betraf, sondern sich auch in anderen zuvor nicht rein nach ökonomischen Effizienzkriterien organisierten Bereichen, wie zum Beispiel Universitäten, Kultureinrichtungen oder eben Fußballvereinen, ausbreiten sollte. Der unter Thatcher beschleunigte mentale Wandel hin zu einem stark an ökonomischen Prinzipien orientierten Denken markiert ein 150 Dietmar Süß, Idee und Praxis der Privatisierung. Eine Einführung, in: Norbert Frei / Dietmar Süß (Hrsg.), Privatisierung. Idee und Praxis seit den 1970er Jahren, Göttingen 2012, S. 11–31, hier S. 12. 151 Vgl. Addison, No Turning Back, S. 286–290; Brüggemeier, Geschichte Großbritanniens im 20. Jahrhundert, S. 320–325. 152 Vgl. Thomas Biebricher, Neoliberalismus zur Einführung, Hamburg 2012, S. 102; Arne Hordt, Kumpel, Kohle und Krawall, Miner’s Strike und Rheinhausen als Aufruhr in der Montanregion, Göttingen 2018. 153 Vgl. McSmith, No Such Thing as Society, S. 7. 154 Vor allem die Leistungen für die vielen Arbeitslosen und die Ausgaben für den staatlichen Gesundheitsdienst sorgten für zusätzliche Sozialausgaben des Staates.
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zentrales Strukturmerkmal der Zeit »nach dem Boom«155. Zwar war Großbritannien hier ein Vorreiter, die Entwicklung holte jedoch früher oder später auch die anderen westlichen Industrienationen ein. Inwiefern der Fußball in England und Deutschland hiervon betroffen war bzw. den Prozess sogar beschleunigte, wird Thema von Kapitel 5.3 sowie des vierten Teils sein. Mit Blick auf den Fußball bleibt festzuhalten, dass dieser in England in besonderem Maße all das widerzuspiegeln schien, woran die britische Gesellschaft krankte: Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Klubs hatten ihr Pendant in den Krisensektoren der englischen Industriegesellschaft. Im einen wie im anderen Fall stand der Vorwurf im Raum, man habe zu lange an veralteten Strukturen festgehalten und sich daher selbst in die Krise manövriert. Hinzu kam, dass sich eine erhebliche Anzahl an Vereinen in von der Krise am schwersten getroffenen, industriell geprägten Städten befanden. Der Hooligan wurde darüber hinaus mit den Gewerkschaftern und anderen »Krawallmachern« als weiterer enemy within konstruiert in einer Zeit, in which organised violence has posed serious threats to stability (…). In a troubled society beset by a host of profound social ills and in which outbursts or threats of violence seem to have become endemic, there is little personal or political credit to be gained by resisting or denouncing the encroachment of the state and its policing agencies.156
3. Freizeitboom und Pluralisierung der Konsummuster Im Gegensatz zu den wirtschaftlichen und politischen Frakturen der 1970er und 1980er Jahre, zeichnet sich die Sphäre des Konsums, in die der Fußball als Freizeitvergnügen eingebettet war, auf den ersten Blick durch Kontinuität aus. James Obelkevich behauptete für Großbritannien, [p]ost-war Britain often seems to be full of things that went wrong – the economy, industrial relations, one policy towards Europe, to name only a few. But consumption is not on that list. It is the one thing that went right.157
Der Konsum bildete gewissermaßen eine Klammer zwischen der Zeit vor und nach dem Boom158. Sowohl in Großbritannien als auch in der Bundesrepublik waren die 1980er Jahre von einer auffälligen Ambivalenz gekennzeichnet: Auf der einen Seite herrschte ein gesteigertes Krisenbewusstsein sowie die perma155 156 157 158
Vgl. Doering-Manteuffel / Raphael, Nach dem Boom, S. 8 Walvin, Football and the Decline of Britain, S. 126. Obelkevich, Consumption, S.141. Vgl. Doering-Manteuffel / Raphael, Nach dem Boom, S. 60–63.
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nente Sorge um die wirtschaftliche, soziale und ökologische Zukunft vor159. Entgegen dieser pessimistischen Erwartungen stiegen jedoch auf der anderen Seite Lebensqualität und Konsumausgaben Jahr für Jahr an, wobei immer weniger Geld für Basisgüter wie Lebensmittel oder Kleidung und immer mehr Geld für das Haus, das Auto, Telekommunikation, Freizeit und Urlaub ausgegeben wurde160. Es fand also ein Anstieg der Konsumausgaben bei gleichzeitiger Verschiebung der Konsumprioritäten statt. Schildt / Siegfried heben hervor, dass ein entscheidendes Merkmal des Verbrauchs in den 1980er Jahren war, dass er sich immer mehr von der Normativität entfernte, die noch die Konsummuster der Boomphase kennzeichnete161.
Im Übergang von den 1970er zu den 1980er Jahren habe ein Wandel von der durch standardisierten Massenkonsum gekennzeichneten Konsumgesellschaft zur individualisierten Konsumentengesellschaft stattgefunden, beschreiben auch Doering-Manteuffel / Raphael die Verschiebung der Präferenzen162. Mit der gesellschaftlichen Relevanz der Pluralisierung des Konsums beschäftigte sich in den späten 1970er und 1980er Jahren vor allem die Soziologie, deren Diagnosen bis heute die gängigen Deutungsmuster prägen. Im Kern der theoretischen Auseinandersetzung mit der Konsumgesellschaft stand die Frage nach »Wertewandel« und Individualisierung der Gesellschaft. Der amerikanische Politologe Ronald Inglehart stieß mit seinem 1977 erschienenen Buch »The Silent Revolution« den Diskurs um einen Wertewandel der westlichen Industriegesellschaften an, indem er den Übergang von einer materiellen in eine postmaterielle Gesellschaft postulierte163. Der steigende Wohlstand habe dazu geführt, dass das Bedürfnis nach Absicherung durch eine Grundversorgung mit materiellen Gütern in den Hintergrund getreten sei, da diese Sicherheit in den »twenty fat years from 1950 to 1970« zu einer Selbstverständlichkeit geworden sei164. Anstatt mit dem Erreichten glücklich und zufrieden zu sein, strebten vor allem die jüngeren Menschen nun nach 159 Vgl. Kapitel 2 in diesem Teil. 160 Vgl. Brian Howard Harrison, Finding a Role? The United Kingdom, 1970–1990, Oxford 2010, S. 363 f.; Schildt / Siegfried, Deutsche Kulturgeschichte, S. 406. 161 Ebd., S. 406–407; Vgl. auch Doering-Manteuffel / R aphael, Nach dem Boom, S. 123–127. 162 Vgl. Doering-Manteuffel / Raphael, Nach dem Boom, S. 123–127. 163 Inglehart stützte sich für seine Untersuchung auf Befragungen in verschiedenen europäischen Ländern und den USA . Vgl. Ronald Inglehart, The Silent Revolution: Changing Values and Political Styles among Western Publics, Princeton 1977. 164 Ebd., S. 22. Inglehart lehnte sich in seiner Theorie der aufsteigenden Bedürfnisse an die Bedürfnispyramide des Psychologen Abraham Maslow an. Maslow argumentierte, dass die Bedürfnisse des Menschen in einer bestimmten Reihenfolge aufträten und hierarchisch nach dem Prinzip der Knappheit funktionierten: Zunächst müssen physische Grundbedürfnisse wie Hunger befriedigt werden, darauf folge die körperliche Unversehrtheit und ökonomische Sicherheit. Wenn hier ein bestimmtes Grundniveau erreicht sei, rückten das Bedürfnis nach Liebe und sozialer Anerkennung in den Vordergrund,
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nicht-materiellen Werten wie Selbstverwirklichung, sozialer Anerkennung und gesellschaftlicher Partizipation. Da dieser Wertewandel subjektiv und daher weniger leicht messbar sei als materielle Verbesserungen, sprach Inglehart von einer »stillen Revolution«, die sich besonders in Konsumwünschen und politischen Einstellungen ausdrücke165. In der Tatsache, dass »[l]ong-term prosperity seems to favor the emergence of publics that will place less emphasis on material consumption and security, and more on humanistic and aesthetic goals«166 sah Inglehart einen gesellschaftlichen Fortschritt, der insgesamt zum Abbau von Hierarchien in Produktion und Politik führe. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu schlug in seinem 1979 erstmals erschienenen Buch »Die feinen Unterschiede« eine andere Richtung ein167: Die vermeintliche Individualisierung des Konsums erscheint bei ihm als ein Trugbild. Im Geschmack des Einzelnen spiegelten sich weniger frei ent worfene Neigungen als vielmehr unbewusst übernommene soziale Codes und Hierarchien – [s]einem Geschmack folgen heißt, die Güter zu orten, die der eigenen sozialen Position objektiv zugeordnet sind […]. Der Geschmack paart die Dinge und Menschen, die zueinander passen, die aufeinander abgestimmt sind, und macht sie einander verwandt.168
Auch die prosperierende Konsumentengesellschaft stellt aus dieser Perspektive keinen Abschied von sozialen Klassen und Milieus dar, sondern diese werden im Konsumverhalten nach der verinnerlichten Eigenlogik der »feinen Unterschiede« reproduziert. Ein »Distinktionsgewinn« wird bei Bourdieu vor allem durch die Fähigkeit der Ästhetisierung – auch der gewöhnlichsten Objekte – hergestellt. Der Sport bilde demnach eines von vielen Feldern, in dem mehr oder weniger feine Geschmacksunterschiede zur Schau gestellt werden können169. Den Ansatz eines Wertewandels spitzte der deutsche Soziologe Gerhard Schulze in seiner Theorie der »Erlebnisgesellschaft« (1993) zu und wendete sich damit gleichermaßen gegen Bourdieu, indem er von einer »Entkollektivierung« und zuletzt strebe der Mensch nach intellektueller und ästhetischer Befriedigung. Inglehart übertrug dieses individualpsychologische Modell auf die historische Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg. 165 Hinsichtlich der Veränderungen im Konsumverhalten verweist Inglehart auf Danel Bells These, dass in postindustriellen Gesellschaften eine Verschiebung von der Produktion materieller Güter hin zur Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft stattfinde. Vgl. ebd., S. 380. 166 Ebd., S. 367. 167 Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a. M. 1987. 168 Ebd., S. 366 und S. 374. 169 Vgl. Pierre Bourdieu, Programm für eine Soziologie des Sports, in: ders. (Hrsg.), Rede und Antwort. Aus dem Französischen von Bernd Schwibs, Frankfurt a. M. 1992, S. 193–207.
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der Wirklichkeitsbezüge und damit vom Verschwinden traditioneller sozialen Schichten oder Milieus ausging170. Ausgangspunkt ist bei ihm die Zunahme der Wahlmöglichkeiten durch gestiegenen Wohlstand. Diese Zunahme der Optionen habe dazu geführt, dass immer weniger der Gebrauchswert, sondern vielmehr der Erlebniswert eines Angebots im Mittelpunkt stünde – »[a]ll diese Ästhetisierung […] von Produkten ist Teil eines umfassenden Wandels, der nicht auf den Markt der Güter und Dienstleistungen beschränkt bleibt. Das Leben schlechthin ist zum Erlebnisprojekt geworden«171. Je mehr die Menschen die Wahl haben, desto unterschiedlicher können sie ihr Leben komponieren. Garderobe, Interieurs, Berufskarrieren, Ansichten und Einstellungen, persönliche Beziehungs- und Familiengeschichte, körperlicher Habitus, Sprach muster – viele Bereiche, die uns als Subjekt ausmachen, scheinen sowohl in sich differenzierter geworden zu sein als auch in ihrer Kombination vielfältiger.172
Dennoch gebe es eine »soziale Verteidigung der Einfachheit in einer Welt zunehmender Diversifizierung«, in der die Individualisierung ihre Grenzen finde und sich neue Kollektive herausbildeten173. Schulze sah hier jedoch kein hierarchisches Gefüge, sondern ein mehr oder weniger flüchtiges Nebeneinander von Geschmacksgruppen. Im Unterschied zu Bourdieu sah er in der Distinktion nur ein Nebenprodukt, welches in der Erlebnisgesellschaft hinter den Motiven Genuss und Spaß immer mehr von seiner Relevanz verlöre174. In der Beobachtung einer in den 1980er Jahren rasant beschleunigten Eigendynamik der Erlebnisökonomie liegt auch Schulzes Kritik begründet: Die unablässig flutenden Wellen von Erlebnisangeboten hätten zur Folge, dass die Intensität der Erlebnisse abnehme, sodass permanent die Dosis gesteigert werden müsse. Statt sich Befriedigung zu verschaffen, vergrößern die Nachfrager ihren Erlebnis hunger umso mehr, je mehr sie ihn zu stillen versuchen. Genuß steigt nicht proportional zu den dafür eingesetzten Mitteln.175
So unterschiedlich die Bewertungen der Entwicklung ausfielen, so stellten die Theorieangebote von Inglehart, Schulze und Bourdieu doch allesamt einen intellektuellen Reflex auf qualitative Veränderungen der Lebensstile seit den 1970er Jahren dar. Hinsichtlich des Konsums schien eine Bewegung der Ausdifferenzierung stattzufinden, die mit einer gewissen Werteverschiebung und einer Ästhetisierung des Angebots einherging. Auch spätere Forschungsarbeiten, wie zum Beispiel Wirschings »Abschied vom Provisorium« bedienen sich 170 Vgl. Gerhard Schulze, Die Erlebnis-Gesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt a. M., New York 1993, S. 76 und 541. 171 Ebd., S. 13. 172 Ebd., S. 76. 173 Ebd., S. 77. 174 Ebd., S. 545. 175 Ebd.
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in ihren Deutungen häufig der Semantik zeitgenössischer Sozialwissenschaftler wie Bourdieu oder Schulze. Wirsching schreibt etwa über die Gesellschaft der 1980er Jahre, Warenangebot und Werbung boten eine präzedenzlos gesteigerte Alltags- und Freizeitästhetik dar, die es dem Konsumenten erlaubte, seinen eigenen ›Lifestyle‹ und sich selbst damit als Individuum zu konstruieren. Tatsächlich brachte der moderne Konsum in besonderer Weise die Möglichkeit individueller Distinktion hervor, ja er wurde zum ›Medium der Individualisierung‹, mittels dessen sich personale oder auch regionale ›Identität‹ entfalten ließ. Zwar beruhten die Konsumbausteine zur Konstruktion individueller Identität auf einer Fiktion, waren sie doch überhaupt erst auf der Basis massenindustrieller Uniformität erhältlich. Aber dessenungeachtet formte die ästhetisierte Konsum- und Freizeitwelle der achtziger Jahre eine sozio-kulturelle Realität.176
Im englischen und deutschen Profifußball wirkte sich die neue sozio-kulturelle Realität der Konsum- und Freizeitwelle zunächst als Negativentwicklung aus, die mit einem Bedeutungsverlust des Fußballs einherging. Daher ist es sinnvoll, sich die breitere Sport- und Freizeitentwicklung anzuschauen, um die Auswirkungen des veränderten Konsumverhaltens auf den Fußball besser nachvollziehen zu können. Auffällig ist zunächst, dass zwar die Zuschauerzahlen im Profifußball sanken, jedoch gleichzeitig die Anzahl derjenigen zunahm, die in ihrer Freizeit selbst aktiv Fußball spielten. Der »Chester-Report« von 1982 wies gleich zu Beginn auf dieses Paradox hin: Obwohl die Vereine einen »dramatic fall in atten dances« hinnehmen mussten, sei zu beobachten, dass »Football as a sport, as a game, is flourishing. There are now more playing it than ever before«177. Auch der DFB verzeichnete selbst in den krisenhaftesten Phasen des professionellen Vereinsfußballs einen kontinuierlichen Zuwachs seiner Mitgliederzahlen. Insgesamt erlebte der organisierte Sport seit den 1960er Jahren einen Boom. So hatte sich beispielsweise die Zahl der im Deutschen Sportbund organisierten Sportler von 5,5 Millionen Mitgliedern im Jahr 1961 auf knapp 20 Millionen Mitglieder im Jahr 1987 nahezu vervierfacht178. »Es gibt keinen anderen Freizeitbereich, der eine vergleichbare expansive Entwicklung hinter sich und noch kein Ende der Zuwachsraten vor sich hat«, stellte der Freizeit- und Zukunftsforscher Horst W. Opaschowski in einer Studie zu »Sport in der Freizeit« 1987 fest179. Die Sportbranche habe sich – wie der Tourismus und die Automobilbranche auch – zu einem wichtigen Zweig der Freizeitindustrie entwickelt. Sie setzt jährlich rund 7 Milliarden Mark um und sie 176 Wirsching, Abschied vom Provisorium, S. 453. 177 The Football League, Report of the Committee, S. vi. 178 Vgl. Horst W. Opaschowski, Sport in der Freizeit. Mehr Lust als Leistung. Auf dem Weg zu einem neuen Sportverständnis, Hamburg 1987, S. 6. 179 Ebd., S. 6.
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bleibt weiter auf Wachstumskurs, solange Aktivität, Mobilität und Lebensgenuß das allgemeine Freizeitverständnis prägen.180
Auf der einen Seite verstärkte sich also allgemein der Trend, selbst Sport zu treiben, wie die Mitgliederzahlen vieler etablierter Sportverbände und -vereine bewiesen. Auf der anderen Seite boomten neue Formen der körperlichen Betätigung, die nicht im klassischen Vereinswesen organisiert waren. So schwappte seit den späten 1970er Jahren unter anderem eine Fitnesswelle aus den USA über Europa181. Das Spektrum der sich rasch verbreitenden sogenannten Lifestyle-Sportarten reichte von Jogging und Body-Building bis hin zum vor allem von Frauen praktizierten Aerobic. Es handelte sich dabei meist um nicht-wettbewerbsorientierte Formen der Körperertüchtigung, die ein hohes Maß an medizinisch-therapeutisch oder ästhetisch begründetem Selbstbezug aufwiesen. Auch wenn die neuen Trendsportarten häufig in den überall aus dem Boden sprießenden Studios ausgeübt wurden, war der Grad der Organisation wesentlich geringer als beim klassischen Vereinssport. Besonders Frauen und jüngere Menschen aus den Mittelschichten begeisterten sich für dieses Alternativangebot182. Welche weitreichenden Folgen es haben konnte, den Trend zur Individualisierung der Lebensstile zu übersehen, der sich in der Jogging- und Fitnesswelle ausdrückte, mussten die eng mit dem Fußball verwobenen Sportartikelhersteller »Adidas« und »Puma« schmerzlich erfahren. Beide Unternehmen hatten ihre Produkte lange Zeit auf ein »hartes männliches Image«183 ausgerichtet. Werbende Spitzensportler, zu denen auch zahlreiche Fußballprofis gehörten, sollten die Verbindung der Marken zum Hochleistungssport unterstreichen. »Je mehr Käufer aber das einseitig leistungsbezogene Image ablehnen«, spekulierte der Spiegel 1987 über die hohen Umsatzeinbußen jener Jahre, »– und das sind vor allem Jugendliche und Frauen –, desto weniger akzeptieren sie Marken wie Adidas und Puma«184. Die ehemalige Erfolgsstrategie erwies sich zunehmend als Sackgasse, da immer mehr Kunden zu den »leichten weichen Sportschuhen« der Konkurrenten Reebok und Nike griffen. Wie sehr sich die Methoden der 180 Ebd., S. 6. Auch in Großbritannien verzeichnete die Sportindustrie in den 1980er Jahren einen deutlichen Zuwachs. 1985 beliefen ich die Umsätze der Sportbranche auf 4,35 Milliarden Pfund. Vgl. Harrison, Finding a Role, S. 419. 181 Vgl. Tobias Dietrich, Laufen als Lebensinhalt. Körperliche Praxis nach dem Boom, in: Morten Reitmayer / Thomas Schlemmer (Hrsg.), Die Anfänge der Gegenwart. Umbrüche in Westeuropa nach dem Boom, München 2013, S. 123–134; Erika Dilger, Die Fitness-Bewegung in Deutschland. Wurzeln, Einflüsse und Entwicklungen, Schorndorf 2008; Holt, Sport and Recreation, S. 112; Schildt / Siegfried 2009, Deutsche Kulturgeschichte, S. 338. 182 Zugleich nahmen jedoch auch traditionelle Formen der Geselligkeit und des Sporttreibens einen Aufschwung, weshalb Schildt / Siegfried von einem allgemeinen Freizeitschub seit Mitte der 1970er Jahre sprechen. Vgl. Schildt / Siegfried 2009, Deutsche Kulturgeschichte, S. 338. 183 So der ehemalige Adidas-Werbeleiter Heinz Wenzl zum Spiegel. Vgl. Trend verpennt, in: Der Spiegel 37 vom 7.9.1987, S. 131–137, hier S. 131. 184 Ebd., S. 134.
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Dritter Teil: Desinteresse, Disorder und Decline
britisch-amerikanischen Firma Reebok von den deutschen Mitstreitern abhob, zeigte laut Spiegel die Internationale Sportartikelmesse 1987 in München: Von Torwart Toni Schumacher (Adidas) bis zu dem Ringer Pasquale Passarelli (Puma) ließen die beiden fränkischen Konzerne an Spitzensportlern auftreten, was heranzuschaffen war. Reebok kam ohne Sportsfreunde, statt dessen mit einer 17köpfigen kalifornischen Disko-Truppe.185
Ähnliche Image-Probleme wie Adidas und Puma erlitt auch der Profifußball im Vergleich zu anderen aufstrebenden Sporttrends. Neben den bereits genannten Lifestyle-Sportarten focht vor allem in Deutschland der Tennissport die Dominanz des Fußballs an. »Vor 20 Jahren konnte doch ein Junge aus normalen Verhältnissen in seiner Freizeit kaum einen anderen Sport als Fußball betreiben«, wunderte sich Franz Beckenbauer Mitte der 1980er Jahre186. Die Zeiten, in denen »Tennis zu spielen fast so exklusiv gewesen sei wie Klavierunterricht«187, wie der Nationalspieler Felix Magath Beckenbauers Beobachtung unterstützte, waren in diesen Jahren jedoch längst vorbei. Beschleunigt durch die Erfolge von Steffi Graf und Boris Becker erlebte das Land einen Tennisboom, der nicht nur massenhaft Zuschauer zu den Tennisturnieren strömen ließ, sondern auch etliche Menschen zum Erlernen des Tennis-Spiels anspornte. Die einst elitäre Sportart wurde so zum neuen Volkssport, wie etliche neu errichtete TennisAnlagen in ganz Deutschland bezeugten. Im Jahr 1985 geriet sogar im deutschen Fernsehen »die Spitzenposition des Fußballs beim Publikum und in der Berichterstattung […] in Gefahr«, denn insgesamt »übertrug das Erste Deutsche Fernsehen mehr Tennis als Fußball«188. Einige Fußballfunktionäre, wie der damalige Präsident des Hamburger SV, Wolfgang Klein, beschwerten sich darüber, dass die Krise des Profifußballs geradezu herbeigeredet würde. Wenn zum Beispiel im ›Aktuellen Sport-Studio‹ wiederholt und mit entsprechender Süffisance vom angeblich ungeheuren Zuschauerschwund in der Fußball-Bundesliga die Rede war, fühlte man sich als Stadionbesucher doch wie der letzte Idiot, der mit seiner Freizeit nichts Besseres anzufangen weiß.189
Klein kritisierte jedoch nicht nur die negative Berichterstattung der Medien über den Fußball, sondern räumte zugleich ein, dass eine Vermarktung der Bundesliga durch den DFB eigentlich nicht stattfand. Ähnlich selbstkritisch argumentierte Magath hinsichtlich des Verhaltens der Spieler. Diese hätten nie gelernt, Nähe zum Konsumenten herzustellen. »Viele Jahre lang waren die Stadien 185 Ebd., S. 136. 186 Schau’n wir mal, in: Der Spiegel 36 vom 31.8.1987, S. 170. 187 Ebd. 188 ARD, Sport: Tennis und Fußball, S. 199. 189 »Wir können uns auch totsparen«: SPIEGEL -Interview mit dem Präsidenten des Hamburger SV, Wolfgang Klein, über die Bundesliga, in: Der Spiegel 34 vom 20.8.1984, S. 120 f., hier S. 120.
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voll. Da haben wir gedacht, das geht immer so weiter.«190 Nun müsse man sich ein Beispiel an Golf-Champion Bernhard Langer nehmen, der sich bei den Besuchern bedankte: »Sie waren ein ganz tolles Publikum.«191 Letztendlich hatte der Profi-Vereinsfußball in den 1980er Jahren ausgerechnet bei denjenigen Zuschauergruppen das Nachsehen, die in anderen Bereichen geradezu freizeithungrig zu sein schienen – dies waren vor allem jüngere und / oder weibliche Sportliebhaber. Ob man nun mit Inglehart argumentiert, dass der Fußball zu wenig Anknüpfung bot, um post-materielle Werte wie individuelle Selbstverwirklichung zu verkörpern, ob man dem Spiel für die 1980er Jahre – mit Schulze gesprochen – den »Erlebniswert« abspricht, oder aber ob Fußball nach Bourdieu den meisten sozialen Milieus keinen Distinktionsgewinn mehr bot – festzuhalten bleibt, dass das Spiel im Zuge des pluralisierten Konsum- und Freizeitangebots einen weiteren Bedeutungsverlust erfuhr. Die genaueren Umstände des Zuschauerschwunds in den 1980er Jahren werden Thema des folgenden Kapitels sein.
4. »The Grass Grows on the Terraces«192 – Zuschauerschwund in den 1980er Jahren In den 1980er Jahren wurde der Zuschauerschwund in den Stadien zur Gewohnheit. »The audience for live football […] is declining decade by decade«, stellte der Guardian im Jahr 1980 resigniert fest. The authorities can do something to check that decline by modernising their arrangements and putting their own house in order. But it would be idle to pretent that they will ever revive […] the kind of regular lock-out crowds which used to turn up in the days of Matthews and Finney.193
Von den knapp 41 Millionen Football League-Zuschauern der unmittelbaren Nachkriegszeit waren Mitte der 1980er Jahre nur noch etwa 17 Millionen verblieben. Allein zwischen 1971 und 1984 – noch vor den Stadionkatastrophen von Bradford und Heysel – sanken die Zuschauerzahlen um 36 Prozent194. Betroffen waren erneut vor allem die unteren Ligen, jedoch war der Schwund auch in der First Division deutlich spürbar. In den Stadien der Bundesliga sah die Situation wenig besser aus (vgl. Abb. 9). Nach einem kurzen Anstieg der Zuschauerzahlen im Anschluss an den Welt190 Schau’n wir mal, in: Der Spiegel 36 vom 31.8.1987, S. 170. 191 Ebd., S. 170. 192 The Grass Grows on the Terraces, in: The Guardian vom 23.10.1980, S. 10. 193 Ebd. 194 Vgl. Walvin, Football and the Decline of Britain, S. 11 und Abbildung 5 auf S. 53.
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50000 45000 40000 35000 30000 25000 20000 15000 10000 5000
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/6 4 65 /6 6 67 /6 8 69 /7 0 71 /7 2 73 /7 4 75 /7 6 77 /7 8 79 /8 0 81 /8 2 83 /8 4 85 /8 6 87 /8 8 89 /9 0 91 /9 2 93 /9 4 95 /9 6 97 /9 8 99 /0 0 01 /'0 03 2 /'0 05 4 /'0 07 6 /'0 09 8 /'1 0 11 /'1 2
0
Abb. 9: Durchschnittliche Zuschauerzahl pro Bundesliga-Spiel, 1963 bis 2012. Quelle: Deutscher Fußball Bund: Zuschauerzahlen (URL: http://www.dfb.de/bundesliga/ statistik/zuschauerzahlen/?m=1, zuletzt eingesehen am 19.8.2017.)
meister-Titel im Jahr 1974 sanken auch in der Bundesrepublik ab der Saison 1978/79 die Publikumszahlen in den Stadien erneut. Besuchten 1977/78 noch durchschnittlich knapp 26.000 Zuschauer ein Bundesligaspiel, waren es in der Saison 1985/86 im Durchschnitt weniger als 18.000195. »Als sich unlängst zum Katholikentag täglich bis zu 50 000 Besucher im Düsseldorfer Rheinstadion einfanden«, berichtete der Spiegel 1982, habe Werner Faßbender, der Geschäftsführer von Fortuna Düsseldorf geseufzt: »Am besten schließen wir jetzt die Tore und behalten die Leute bis zum nächsten Bundesligaspiel hier.«196 Kaum ein Verein blieb von dieser Entwicklung verschont, weshalb der Zuschauerschwund in den 1980er Jahren vom Kicker zum »Kampf ums Überleben«197 der Bundesliga erklärt wurde. Die Verbände nahmen den Publikumsschwund besorgt wahr. 1985 ließ der DFB erstmals eine umfassende Situationsanalyse zur Lage des Lizenzfußballs erstellen, in deren Rahmen die Nürnberger »Gesellschaft für Konsumforschung« (GfK) die Zuschauer zu den Gründen für ihr Fernbleiben aus den Stadien befragen sollte198. In einer Spontanbefragung der GfK gaben 22 Prozent der Inter-
195 Vgl. Deutscher Fußball-Bund, Zuschauerzahlen (URL : https://www.dfb.de/bundesliga/ statistik/zuschauerzahlen/, zuletzt eingesehen am 30.7.2017. 196 Keine Lust mehr. Der Fußball-Bundesliga laufen die Zuschauer weg, in: Der Spiegel 41 vom 11.10.1982, S. 228–232. 197 Werner-Johannes Müller, Kampf ums Überleben, in: Kicker-Sportmagazin vom 18.10.1982, S. 23–26. 198 Deutscher Fußball-Bund, Situationsanalyse Lizenzfußball. Mit Verbesserungsvorschlägen einschl. spieltechnischer Maßnahmen, Frankfurt a. M. 1985. Die Studie der GfK konnte leider nicht eingesehen werden, jedoch ließen sich die Ergebnisse aus der Situ-
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viewten die hohen Eintrittspreise als Hauptgrund für ihr Abspringen an199. 19 Prozent nannten schlechte Leistungen, 13 Prozent Zeitgründe und lediglich neun Prozent das Rowdytum. In der detaillierten Befragung mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten hielten immer noch 57 Prozent die Eintrittspreise für das größte Hindernis, jedoch waren hier bereits 52 Prozent der Befragten der Meinung, »zu viele Rowdies« machten das Stadion unattraktiv200. Die Diskrepanz beim Thema Rowdytum ist erstaunlich und lässt sich womöglich auf die mediale Präsenz des Problems zu jener Zeit zurückführen, die sich nicht unbedingt mit den persönlichen Erfahrungen deckte, wie auch der Kicker vermutete. Bei den Eintrittspreisen zeigten hingegen Statistiken, dass tatsächlich eine enorme Preissteigerung stattgefunden hatte. Der DFB errechnete, dass sich der durchschnittliche Eintrittspreis pro Zuschauer von 3,72 DM im Jahr 1964 auf 14,40 DM im Jahr 1985 fast vervierfacht hatte201. Interessant sind auch die Antworten auf die Frage, was die ehemaligen Stadionbesucher mit ihrer neu gewonnenen Freizeit machten. So gaben 24 Prozent an, sich Fußball im Fernsehen anzusehen, 17 Prozent trieben lieber selbst Sport und neun Prozent widmeten sich Do-It-Yourself-Tätigkeiten202. Der Trend, selbst Sport zu treiben anstatt bloß zuzuschauen, schien sich in den 1980er Jahren sowohl in England als auch in Deutschland zu verstärken. Bereits 1978 hatte der Kicker festgestellt, [w]er im Grunewald, dem Tegeler oder Spandauer Forst, einem der zahllosen Parks oder aber einfach auf dem Sportplatz um die Ecke nicht nur an den Wochenenden eine ständig wachsende Zahl von ›Trimmern‹ aller Altersklassen sieht, muß einfach der These widersprechen, wonach der Sport in unserer Gesellschaftsordnung von den vier ›F‹ Fernsehen, Filzlatschen, Flaschenbier und Filterzigaretten bestimmt wird.203
Eine Konstante im Umgang der englischen und deutschen Fußballverantwortlichen mit dem Zuschauerschwund blieb der skeptische Blick auf das Fernsehen als vermeintlichem Hauptschuldigen im Kampf um die Gunst des Publikums. In England führte dies so weit, dass zu Beginn der Saison 1985/86 einige Wochen lang überhaupt keine Spiele übertragen wurden, da man sich mit der BBC nicht auf eine angemessene Entschädigung für die Übertragung von Fußballspielen einigen konnte. Das Verständnis der Zuschauer für die Fernsehschelte hielt sich in beiden Ländern in Grenzen. Während von den englischen Fußballanhängern meist – aus gutem Grund – argumentiert wurde, dass die maroden Stadien das ationsanalyse und einem Artikel des Kicker-Sportmagazins rekonstruieren. Vgl. Wo sind die Fans geblieben? Eine wissenschaftliche Untersuchung soll dem DFB helfen, in: Kicker-Sportmagazin 92 vom 11.11.1985, S. 18–20. 199 Ebd., S. 18. 200 Ebd., S. 20. 201 Deutscher Fußball-Bund, Situationsanalyse Lizenzfußball 1985, S. 31. 202 Wo sind die Fans geblieben? Eine wissenschaftliche Untersuchung soll dem DFB helfen, in: Kicker-Sportmagazin 92 vom 11.11.1985, S. 18–20, hier S. 20. 203 Gerd Rogge, Wer lockt die Leute hinterm Ofen vor?, in: Kicker-Sportmagazin 14 vom 13.2.1978, S. 74 f., hier S. 75.
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Publikum abschreckten, machten viele deutsche Fans die schlechten Leistungen der Spieler für die Zuschauermisere verantwortlich. In einem emotionsgeladenen Brief beschwerte sich beispielsweise ein Kicker-Leser über die Klagen der Vereine: Die Massenmedien Fernsehen und Rundfunk sollen nun schuld sein, daß die Zuschauer den Stadien fernbleiben! Warum streut man sich selbst Sand in die Augen? Fernsehen, Funk und Presse haben mit ihrer Berichterstattung viel für die Popularisierung getan, haben eine kostenlose Werbekampagne für die Klubs geführt. Sie haben nicht die Zuschauer aus den Stadien vergrault. Dies taten die Stars mit ihren mäßigen Leistungen. […] Der Steuerzahler muß hart arbeiten. Die Anstrengungen der Arbeitenden sind durchaus den Anforderungen der Spitzenspieler ebenbürtig. Mancher Star wäre schockiert, wenn er diese Anforderungen erfüllen müßte. […] Für mäßige Leistungen viel Geld zu bezahlen, dazu sind die Zuschauer nicht mehr bereit. Sie wollen guten Sport für gutes Geld, wollen aber nicht erleben, daß hochdotierte Spieler mit minimalem Einsatz Bezüge kassieren, für die viele Zuschauer viele Jahre schwer arbeiten müssen!204
Für Fußballanhänger wie den empörten Kicker-Leser war nicht einzusehen, warum sich die Bezüge der Spieler stetig erhöhten und die Eintrittspreise immer weiter stiegen, ohne dass sich das Angebot verbesserte. Berichte über Nationalspieler, die bei der Weltmeisterschaft in Spanien »ihre von weither angereisten Fans aus Hotelfenstern mit Wasserbeuteln bewarfen«205 taten ihr Übriges, um die Entfremdung zwischen Fußballer und Publikum zu einem öffentlich breit diskutierten Thema zu machen. In England engagierte die FL 1982 ein weiteres Mal Sir Norman Chester, um gemeinsam mit Akteuren aus Verband und Vereinen eine Studie über die Struktur und Finanzlage des englischen Profifußballs zu erstellen206. Dieser hatte sich bereits 1968 im Auftrag des »Department for Education and Science« mit der Thematik, darunter auch mit den gesellschaftlichen Faktoren, befasst207. Hinsichtlich des Zuschauerschwunds machte der Bericht wenig Hoffnung auf eine Wende zum Besseren: There is no evidence to suggest that the first of the factors, the social forces, will reverse themselves. The downward trend has been too persistent and too steady over the past 20–30 years to raise such a hope. In the early sixties there were still a huge number of people for whom going to a match was part of a way of life. It has ceased to be that for the more recent generation. Once a social habit is lost it is not easy to recapture. It is 204 W. Niemz, Leserbriefe. Über Verhältnisse gelebt, in: Kicker-Sportmagazin 20 vom 9.3.1981, S. 29. 205 Wir brauchen Profis wie Pfaff! Der Krise auf den Grund gegangen, Teil 4: Stars und ihre Fans, in: Kicker-Sportmagazin 6 vom 16.1.1984, S. 16–18, hier S. 16. 206 The Football League, Report of the Committee. 207 Department of Education and Science, Report on the Committee, Vgl. zweiter Teil, Kapitel 2.
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likely therefore that clubs will continue to find themselves battling against a downward long term trend not necessarily so pronounced but sufficient to make their financial problems more difficult to overcome.208
Die hier genannten sozialen Trends bezogen sich auf die bereits in Kapitel 2 des zweiten Teils ausgeführte Wohlstandsentwicklung der 1950er bis 1970er Jahre, die die Herausbildung einer eigenständigen Freizeitsphäre sowie ein anspruchsvolleres Konsumverhalten zur Folge hatte. An dieser Rahmenbedingung änderte sich auch in den 1980er Jahren wenig. Der zweite »Chester-Report« wies darüber hinaus auf weitere Entwicklungen hin, die sich negativ auf die Zuschauerentwicklung in England auswirkten: Erstens habe sich der Trend zum Umzug in die Vorstädte und aufs Land in den 1970er Jahren vor allem in den industriellen Zentren noch einmal verstärkt. Die Bevölkerung der Londoner City sei zum Beispiel zwischen 1971 und 1981 um 17.7 Prozent gesunken209. Für die Vereine war dies problematisch, da sie meist in dichtbesiedelten Stadtzentren beheimatet waren, wo nicht genügend Raum für Parkplätze zur Verfügung stand. Zweitens habe sich die Fußballberichterstattung im Fernsehen weiter ausgedehnt und sei zur bevorzugten Erlebnisform vieler Fußballanhänger geworden. Eine Umfrage des »Market Research Department« der »Nottingham Post« habe gezeigt, dass sechs von zehn Befragten auch dann nicht öfter ins Stadion gehen würden, wenn gar kein Fußball mehr im Fernsehen gezeigt werde210. Aus derselben Umfrage ginge drittens hervor, dass Gewalt im Stadion und hohe Eintrittspreise in Kombination mit steigenden Arbeitslosenzahlen viele Menschen vom Stadionbesuch abhielten211. Die volle Bedeutung dieser Problematik, der in der Chester-Studie nicht weiter nachgegangen wurde, sollte sich erst im Laufe der 1980er Jahre entfalten. Viertens werde – wie in Deutschland – auch die Qualität des Spiels selbst, sowie die überzogenen Löhne der Spieler und die fehlende Identifizierung mit einem Klub, »which is seen as a somewhat remote body«212, in verschiedenen Umfragen als Ursache für das Fernbleiben der Zuschauer angegeben. Der Zuschauerschwund und die wirtschaftliche Krise des Profifußballs der 1980er Jahre waren zum Teil eine Verlängerung der Probleme der beiden vorangegangenen Dekaden. Dazu gehörte erstens die Konsumdynamik der affluent society, die sich zu dieser Zeit noch einmal zu beschleunigen schien. Zweitens wurde weiterhin das Fernsehen als wichtigster Faktor für das Ausbleiben der Zuschauer identifiziert, wenngleich ein totaler Boykott von den Fußballverantwortlichen nicht mehr bzw. nur noch als kurzfristiges Druckmittel angestrebt wurde. Den meisten Funktionären war mittlerweile bewusst, dass das Fernsehen für viele Fußballinteressierte der einzige Kanal war, um mit dem Spiel in 208 The Football League, Report of the Committee, S. 9. 209 Vgl. ebd., S. 4. 210 Ebd., S. 6. 211 Ebd., S. 8. 212 Ebd., S. 8.
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Kontakt zu bleiben. Besonders in England trug, drittens, zu einer erheblichen Verschlechterung der Stadionauslastung bei, dass den Vereinen aufgrund der hohen Personalkosten immer weniger Geld zur Verfügung stand, um die baufälligen Anlagen zu sanieren. Ein großer Teil der Stadien stammte noch aus dem späten 19. Jahrhundert und befand sich von Jahr zu Jahr in immer schlechterem Zustand. Neben den bekannten Problemkonstellationen kamen in den 1980er Jahren noch hinzu, dass sich die prekäre Lage des Fußballs seit Mitte der 1970er Jahren mit dem Ende des Nachkriegsbooms in den westeuropäischen Industrienationen überschnitt213. Der kriselnde Fußballsport war von nun an für viele Zeitgenossen nicht mehr nur ein »altmodischer«, aber dennoch liebenswerter Verlierer der Wohlstands- und Konsumgesellschaft, sondern wurde geradezu zum Symbol des Niedergangs degradiert. Zu dieser symbolischen Abwertung trug bei, dass in den 1980er Jahren, wie bereits in Kapitel 1 ausgeführt, das seit langem schwelende Problem der Gewalt in den Stadien eskalierte und für einige Jahre die Fußball-Schlagzeilen dominierte.
5. Institutionen im Umbruch Über Zuschauerschwund und Gewaltproblematik hinaus litt sowohl der eng lische als auch der deutsche professionelle Vereinsfußball der 1980er Jahre unter verschiedenen strukturellen Krisensymptomen, die bereits in den 1960er und 1970er Jahren aufgetreten waren und sich nun verschärften214. David Lacey vom britischen Guardian verglich den Zustand des englischen Fußballs mit einem schlecht gewarteten Automobil: Like an ageing car whose exterior bodywork has been washed and polished while the inside rust has been ignored, the brown spots have now started to appear in the Football League. One sharp tap and the whole edifice will begin to disintegrate.215
Die Probleme von Bundesliga und Football League waren nahezu identisch: Verschuldung und Missmanagement in den Vereinen, unprofessionelle Führungsstrukturen sowie Konflikte zwischen Vereinen und Verbänden dominierten das Jahrzehnt, welches im Rückblick von Lacey als »the decade soccer ignored at its peril« bezeichnet wurde216. Ignoranz gegenüber Veränderungsdruck auf der 213 Vgl. Kapitel 2. 214 Vgl. Kapitel 5 des zweiten Teils. 215 David Lacey, A Game under Siege. Why the Support is Dwindling Fast, in: The Guardian vom 4.2.1982, S. 8. 216 David Lacey, The Eighties in Perspective. The Decade Soccer Ignored at its Peril, in: The Guardian vom 29.12.1989, S. 15.
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einen Seite, jedoch auch Umbrüche und Reformen auf der anderen Seite prägten die Vereine und Verbände in den 1980er Jahren. Die Komplexität des Wandels war für die meisten Fußballverantwortlichen nicht durchschaubar, meist konzentrierte man sich auf unmittelbare, alltägliche Probleme, wie den Kauf und Verkauf neuer Spieler oder die Einstellung neuer Trainer und hoffte, dass der sportliche Erfolg den eigenen Verein aus der Krise holen würde. Jedoch gingen von – zunächst vereinzelten – Klubs und Funktionären auch wichtige Veränderungsimpulse aus: Klubs wie die Tottenham Hotspurs oder der FC Bayern München beschritten neue Wege der Professionalisierung und Vermarktung, ein neuer, marktwirtschaftlich orientierter Managertyp begann, zahlreiche Führungsetagen der Vereine zu erobern, und die Krise führte insgesamt zu einer Öffnung gegenüber neuen Einnahmequellen und Sponsoringmöglichkeiten. Während der Guardian im Jahr 1980 noch eher vorsichtig gefragt hatte, »should our sports organisations […] become more businesslike?«217, war der professionelle Fußballsport gegen Ende der Dekade von meinungsführenden Funktionären selbst zur Ware umgedeutet worden, die es »dem Endverbraucher wieder näher[zu]bringen« gelte, wie sich Willi Lemke, der Manager von Werder Bremen, ausdrückte218.
5.1 Die Finanzsituation der Vereine: Ein »Fass ohne Boden« 1985 erarbeitete der DFB -Ligaausschuss – ein Gremium, das mit Vertretern der Bundesligavereine besetzt war – erstmals eine umfassende Analyse der wirtschaftlichen Situation aller deutschen Lizenzvereine219. Die Studie kam zu dem Fazit, »daß sich sowohl die Bundesliga als auch die 2. Bundesliga hinsichtlich ihrer Vermögenslage und ihrer Finanzstruktur verschlechtert« hatten220. Der Schuldenstand der Bundesligavereine war zwischen 1980 und 1984 um 54 Prozent angestiegen und ließ den Klubs »keinen finanziellen Spielraum mehr«221. Weitere Verluste könnten nur um den Preis einer erneuten Verschuldung finanziert werden, sofern die Kreditgeber dazu überhaupt noch bereit seien. Die großen Verluste führte der Ligaausschuss auf »zurückgehende Spieleinnahmen bei relativer Konstanz des Personalaufwandes« zurück222. Bis 1977/78 hatten sich die Einnahmen pro Spiel trotz des zum Teil rückläufigen Zuschauertrends kontinuierlich nach oben entwickelt. Dies lag daran, dass der durchschnittliche Eintrittspreis pro Zuschauer zwischen 1963 und 1978 überproportional angestiegen war: Bezahlte ein Fußballanhänger 1963 noch durchschnittlich 3,72 DM 217 218 219 220 221 222
Stopping the Shrinking Kop, in: The Guardian vom 11.4.1980, S. 10. Ansichten eines Managers, in: Kicker-Sportmagazin 67 vom 17.8.1989, S. 16 f. Deutscher Fußball-Bund, Situationsanalyse Lizenzfußball 1985. Ebd., S. 29. Ebd., S. 24. Ebd., S. 14.
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für den Stadioneintritt, waren es 1978 bereits 11,35 DM223. Seit Ende der 1970er Jahre konnte der Zuschauerschwund jedoch nicht mehr mittels Preiserhöhungen ausgeglichen werden, und die Einnahmen der Vereine begannen, stetig zu fallen. Die Situationsanalyse stellte fest, die Bundesliga sei mit ihrem Preis pro Zuschauer offensichtlich an der Obergrenze des möglichen [sic] angelangt. Mehreinnahmen können somit nur durch Erhöhung des Zuschaueraufkommens erreicht werden.224
Eine Folge-Analyse aus dem Jahr 1989 stellte jedoch fest, dass sich die Situation nicht verbessert hatte, sondern, im Gegenteil, die Lizenzvereine weiter unter Kostendruck geraten waren: Die Liquiditätsprobleme mehren sich, laufende Verbindlichkeiten können, insbesondere bei Vereinen, die ihr Zuschauerniveau nicht halten können, nur schleppend bezahlt werden. Wären die erhöhten Fernseheinnahmen nicht auf der sicheren Seite zu verbuchen, müßten einige Vereine den Spielbetrieb einstellen.225
Auch den Banken war nicht entgangen, »daß der Profifußball ein Faß ohne Boden ist«, weshalb die Bank für Gemeinwirtschaft, welche Hausbank von 13 Bundesliga-Vereinen war, ihren Kreditrahmen Mitte der 1980er Jahren massiv zusammenstrich226. Ohne finanzielle Unterstützung durch Kredite war der sportliche Betrieb in einigen Vereinen stark gefährdet, da sie weder die Voraussetzung für eine DFB -Lizenz erfüllten, noch die Zahlung der laufenden Gehälter langfristig garantieren konnten. Um dennoch die Liquidität nachzuweisen, die es für eine Lizenzerteilung brauchte, griffen manche Vereinsverantwortliche zu abenteuerlichen Mitteln: Da werden dem DFB andere Verträge vorgelegt, als mit den Spielern abgeschlossen wurden, da werden höhere Zuschauerzahlen angegeben, um die Leistungsfähigkeit zu untermauern, auch wenn das zunächst Verbandsabgaben für ›Geisterfans‹ kostet, da werden niedrigere Zuschauerzahlen angegeben, um zu Schwarzgeld zu kommen. Eine Komödie Shakespear’scher Dimensionen alle Jahre wieder vor dem Ligaausschuß: Wie es Euch gefällt.227
Nicht besser sah die Situation in England aus. Das Spiel sei im Begriff zu verbluten, mahnte die Times zu Beginn der 1980er Jahre228. Die Rezession habe 223 Ebd., S. 31. 224 Ebd., S. 36. 225 DFB -Ligaausschuss, Situationsanalyse Lizenzfußball. Stand 21.9.89, Frankfurt a. M. 1989, S. 10. 226 Rainer Franzke / R ainer Kalb, Der Fußball in den Krallen der Banken. Probleme der Profivereine, in: Kicker-Sportmagazin 44 vom 28.5.1985, S. 23–25, hier S. 23. 227 Ebd., S. 25. 228 Why the Game Must Change Now or Die. Crisis in Fotball: Special Report on Problems Facing League Chairmen at Their Seminar This Weekend, in: The Times vom 19.2.1982, S. 19.
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diese Entwicklung nicht herbeigeführt, sondern lediglich beschleunigt. »In strictly financial terms soccer is on the brink of bancruptcy and badly in need of restructuring«, betonte auch der Guardian die prekäre Situation des englischen Vereinsfußballs229. Es gebe auffällige Parallelen zwischen dem Niedergang der Unternehmen »British Leyland« und »British Steel« einige Jahre zuvor und dem Zustand des Fußballspiels zu Beginn der 1980er Jahre230. Ursache für den wirtschaftlichen Niedergang eines Großteils der Football League-Vereine war ebenso wie in der Bundesliga die Negativspirale aus immer weiter steigenden Kosten bei sinkenden Einnahmen. Der Vergleich mit den taumelnden Großkonzernen der Industrie-Ära schien vor allem deshalb so einleuchtend zu sein, weil sich beide Branchen in den Augen der Kritiker durch institutionelle Trägheit und ökonomische Kurzsichtigkeit selbst in eine Misere manövriert hatten. In den 1980er Jahren häuften sich die Berichte über Vereine, die einen Überlebenskampf ausfochten und nur durch einen Verkauf an Mäzene gerettet werden konnten: 1982 traf es Hull City und den FC Chelsea, 1985/86 rang Crystal Palace um seine Existenz und 1986 wurde der Bankrott des FC Middlesbrough, des FC Fulham und der Wolverhampton Wanderers nur knapp verhindert231. Betroffen waren nicht nur kleine Vereine, sondern auch große Traditionsklubs gerieten finanziell ins Wanken. 1985 verkündete die Times, dass 56 der 92 Klubs verschuldet seien, 1987 hieß es bereits, 80 Klubs seien insolvent232. Um den Problemen auf den Grund zu gehen, beauftragte die FL zu Beginn der 1980er Jahre ein zweites Mal Sir Norman Chester mit einer Analyse der finanziellen Situation der Liga233. Ähnlich wie die Situationsanalyse des deutschen Ligaausschusses stellte auch der »Chester-Report« fest, dass die Eintrittspreise 229 Michael Smith, The Line Between Success and Bancruptcy, in: The Guardian vom 4.2.1982, S. 8. 230 Vgl. ebd.; der Automobilhersteller British Leyland konnte 1975 nur durch seine Verstaatlichung vor dem Bankrott bewahrt werden. Der zu dieser Zeit bereits verstaatlichte Stahlkonzern British Steel war in den 1970er Jahren ebenfalls in schwere wirtschaftliche Turbulenzen geraten. Aus Angst vor einer sich verschärfenden Arbeitslosigkeit wurden beide Unternehmen durch staatliche Unterstützung mehr oder weniger künstlich am Leben erhalten. Margaret Thatcher gab diese Strategie Mitte der 1980er Jahre auf und Re-Privatisierte die Betriebe, was radikale Umstrukturierungen und Entlassungswellen zur Folge hatte. Vgl. Alasdair M. Blair, The British Iron and Steel Industry since 1945, in: Journal of European Economic History 2 (1997), S. 571–581. 231 Vgl. Charles Burgess, Hull Could Be the Tip of an Iceberg, in: The Guardian vom 26.2.1982, S. 22; Clive White, Hull City in Debt and Up for Sale, in: The Times vom 26.2.1982, S. 19; Robert Armstrong, Chelsea’s Ground ›Worth £20m‹, in: The Guardian vom 6.4.1982, S. 22; Peter Ball, Palace to Survive until End of Season, in: The Guardian vom 6.1.1986, S. 20; Robert Armstrong, Middlesbrough on Brink, in: The Guardian vom 24.5.1986, S. 15; Wolves ›Saved‹ by Deal with Supermarket Chain, in: The Guardian vom 30.7.1986, S. 29; Fulham Rescue Bid, in: The Guardian vom 28.2.1987, S. 1. 232 Vgl. 56 Clubs in the Red, in: The Guardian vom 24.7.1985, S. 26; Andrew Cornelius, ›Eighty Clubs are Insolvent‹. Andrew Cornelius on a Disturbing Survey, in: The Guardian vom 13.8.1987, S. 25. 233 The Football League, Report of the Committee.
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für Stadionbesucher in den vorangegangenen Jahren überdurchschnittlich gestiegen waren234. Zum Zeitpunkt des Berichts konnten die Vereine der First Division insgesamt noch steigende Einnahmen verbuchen, während die unteren Ligen bereits hohe Verluste verzeichneten. In den darauffolgenden Jahren rutschten jedoch auch immer mehr erstklassige Klubs tief in die roten Zahlen – ein Zeichen dafür, dass auch in England der Punkt erreicht war, an dem die Eintrittspreise nicht mehr weiter erhöht werden konnten, um die hohen Kosten abzudecken. Gehälter für Spieler und Manager machten einen Großteil der Ausgaben aus. In der vierten Liga betrugen die Ausgaben für Spielergehälter 1982 fast 200 Prozent der Einnahmen, in der ersten Liga knapp 60 Prozent, Tendenz steigend235. Ein Ende der Preisspirale für Spieler war nicht abzusehen, da sich der Markt in den 1980er Jahren zunehmend internationalisierte. So drohte der englischen Profiliga – ebenso wie der Bundesliga – permanent eine Abwanderung der besten Spieler ins Ausland, sofern die Vereine nicht bereit waren, immer höhere Gehälter und Transfersummen zu zahlen. Für viele Beobachter war die schwere finanzielle Krise des Profifußballs in England und Deutschland in den 1980er Jahren das Resultat einer Jahrzehnte lang anhaltenden Veränderungsresistenz in Verbänden und Vereinen, die die Anpassung an neue gesellschaftliche Verhältnisse verhinderte. Walvin bezeichnete »the game’s inability or unwillingness to change« als Schlüssel, um die wachsenden Probleme des Fußballs zu verstehen. The structure of overall organisation, the internal management of the clubs and, most important of all, the mentality which has traditionally informed English football have all served to render the game brittle and unmoving.236
Ähnlich formulierte es Havemann für den deutschen Fußball: Das starre Festhalten an Prinzipien, die irgendwann als Ziel gewachsen, formuliert und proklamiert worden waren, habe beim DFB zu einem »Strukturkonservatismus« geführt, das heißt »zur Weigerung, unvermeidbare Anpassungsprozesse im ständigen gesellschaftlichen Wandel aktiv zu gestalten«237. Auch in den Vereinen wurden Veränderungswillen und Eigeninitiative unterbunden, indem der Staat, so Havemanns These, die Klubs subventionierte und steuerlich entlastete238. Erst der Rückzug der öffentlichen Hand in den 1980er Jahren habe einen Teil der Vereine aus ihrer »unternehmerischen Lethargie« geweckt239. Zum Symbol der verkrusteten Mentalitäten in den Vereinen stilisierten die Medien die jährlichen Mitgliederversammlungen. So berichtete der Spiegel von 234 235 236 237 238 239
Vgl. ebd., S. 14. Die hohen Inflationsraten der 1970er Jahre wurden hier herausgerechnet. Ebd., S. 20. Walvin, Football and the Decline of Britain, S. 31. Havemann, Samstags um halb 4, S. 292. Vgl. ebd., S. 375–390. Ebd., S. 380. Einige Kommunen, wie z. B. West-Berlin, agierten weiterhin sehr großzügig gegenüber ihren lokalen Vereinen. Trotz der finanziellen Unterstützung stieg Hertha BSC jedoch 1986 in die Oberliga ab. Vgl. ebd., S. 380–382.
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Faustschlägen bei Eintracht Frankfurt und rülpsenden »Rednern« bei Schalke 04, die die Schwächen des traditionellen Vereinsrechts zu Tage brachten: Die Jahreshauptversammlung, das oberste Organ der Profiklubs, muß immer noch nach Regeln funktionieren, die seit über hundert Jahren Vereinsrecht sind: Begrüßung, Entlastung, Neuwahl, Freibier. Jeder darf mittrinken und mitreden. Der Balanceakt zwischen urdeutschen Vereinsstrukturen und nüchternem Management mißlingt immer dann, wenn, wie jetzt in Frankfurt, in Zeiten sportlicher Krisen gewählt wird. Dann ist nicht der Fachmann, sondern der Demagoge gefragt.240
Der Ruf nach professionelleren Strukturen war von den Beobachtern des Profifußballs in England und Deutschland deutlich zu hören. In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre schien tatsächlich ein Wandel der Mentalitäten bei den Fußballverantwortlichen einzusetzen, der eine Professionalisierung des Managements bewirkte, wie in den folgenden beiden Kapiteln thematisiert werden wird.
5.2 Reformversuche Um die dringend benötigten Einnahmen zu generieren, mit deren Hilfe die deutschen Lizenzvereine ihre Finanzlage verbessern sollten, schlug der Ligaausschuss 1985 eine gemeinsame Marketingstrategie vor. »Marketing, vom Markt her gedacht« heiße »vorhandene Akzeptanzen wirtschaftlich auf der Basis einheitlichen Handelns umzusetzen und zu nutzen, auch in der Absicht, eine Imageverbesserung zu erreichen«241. Nachzudenken sei deshalb erstens über eine gemeinsame Verwertung wirtschaftlicher Rechte der Vereine und ihrer Angestellten, sowie zweitens über die Schaffung eines Organs für den Lizenzf ußball als einheitliche Darstellungsplattform. Darüber hinaus müsse innerhalb der Vereine eine Organisationsstruktur geschaffen werden, die ein professionelleres Management zulasse242. Dies sei jedoch nur möglich, wenn der Vorstand eines Klubs nicht von »einer von äußeren – oft irrationalen – Begebenheiten beeinflussbaren Mitgliederversammlung« bestellt werde, sondern ein anderes Organ zwischengeschaltet werde, »das die Bestellung des Vorstandes übernimmt und die Geschäftsführung im Auftrag der Mitgliederversammlung überwacht«243. Des Weiteren müsse zur »Steigerung der Effektivität der Vorstandsarbeit« das »hauptamtliche Element, sowohl im sportlichen als auch im kaufmännischen Bereich« gestärkt werden244. 240 Monopoly gespielt. Nach Tumult und Schlägerei bei der Mitgliederversammlung von Eintracht Frankfurt verlangen Fachleute nach neuen Vereins-Strukturen, in: Der Spiegel 47 vom 12.11.1988, S. 210–112, hier S. 212. 241 Deutscher Fußball-Bund, Situationsanalyse Lizenzfußball 1985, S. 115. 242 Ebd., S. 117. 243 Ebd., S. 117. 244 Ebd., S. 118.
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In mehreren Hinsichten markieren die Vorschläge des Ligaausschusses eine Zäsur im Denken zentraler Akteure des deutschen Fußballs, deren Auswirkungen sich im weiteren Verlauf zeigen sollten: Erstens löste die Forderung nach einer eigenständigen Dachorganisation für die Lizenzvereine einen offenen Konflikt der Bundesligisten mit dem DFB aus. Dieser war keineswegs gewillt, Rechte an die Liga abzugeben, und es kam zu mehreren öffentlichen Auseinandersetzungen zwischen dem DFB -Präsidenten Hermann Neuberger und dem Vorsitzenden des Ligaausschusses, Gerhard Mayer-Vorfelder. Während Mayer-Vorfelder die Starrheit des DFB beklagte und im Namen der Lizenzvereine forderte, dass Amateur- und Profibereich innerhalb des Verbandes getrennt werden sollten, verkündete Neuberger, es werde keine Spaltung geben: Wer so spricht wie Herr Mayer-Vorfelder, kennt nicht die Zusammenhänge. Wir sollten doch alle froh sein über die Verzahnung von Lizenz und Amateurfußball unter dem Dach des DFB. Von wem bekommen die Bundesligisten ihren besten Nachwuchs? […] Es wird auch in Zukunft nur einen einzigen Verband geben. Was ist denn die Bundesliga, wenn nicht die Einrichtung des DFB?245
Zwar blieben die Reformversuche der Liga zunächst erfolglos, da sie innerhalb des DFB keine Mehrheit bei den stimmberechtigen Amateurvertretern gewinnen konnten, jedoch zeichnete sich langfristig eine Verschiebung der Gewichte ab. Zum einen wurde die Kritik der Vereinsfunktionäre an den bestehenden Strukturen immer lauter, zum anderen konnten sie mit dem Ende der 1980er Jahre einsetzenden kommerziellen Erfolg ihre Position gegenüber dem DFB entscheidend stärken. Zweitens wurden mit den Forderungen nach einer Entmachtung der Mitgliederversammlungen und der damit einhergehenden Professionalisierung der Führungsstrukturen entscheidende Strukturveränderungen erstmals von einem vereinsübergreifenden Organ artikuliert. Zwar beklagte der Kicker 1988, dass die Analyse »in den Schreibtischen der Vereine verstaubt zu sein« schien, da die meisten Forderungen und Wünsche nicht umgesetzt worden waren246, jedoch zeigte sich in den folgenden Jahren, dass die Vordenker der Liga-Reform doch den längeren Atem hatten. Die Einführung hauptamtlicher Manager sowie die Einführung einer Geschäftsführung, die als Puffer zwischen Mitgliederversammlung und Vorstand diente, gehörte zu den zentralen Einschnitten, die das Vereinsrecht in den 1990er Jahren grundlegend veränderten247. 245 Wir lassen uns nicht beleidigen. Mit DFB -Präsident Hermann Neuberger sprach Werner-Johannes Müller, in: Kicker-Sportmagazin vom 2.1.1986, S. 3; zu Mayer-Vorfelder vgl. Macht Breitner zum Bundesliga-Chef. Mit Gerhard Mayer-Vorfelder (Präsident des VfB Stuttgart) sprach Werner-Johannes Müller, in: Kicker-Sportmagazin vom 6.1.1986, S. 13. 246 Der Profi-Fußball muß wieder Klinken putzen. Ligaausschuß steht unter Zugzwang, in: Kicker-Sportmagazin vom 20.10.1988, S. 16. 247 Vgl. Kapitel 4 des vierten Teils.
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Drittens verweist der Ruf nach einer gemeinsamen Marketingstrategie auf einen veränderten Sprachgebrauch unter den Fußballverantwortlichen. Begriffe wie »Markt«, »Marketing«, »Image« etc. waren in Bezug auf den Fußball bis in die 1980er Jahre hinein nicht nur nicht oder nur kaum gebräuchlich, sondern vielerorts gar verpönt. In den Augen der Vereinsmitglieder sowie der meisten Funktionäre war Fußball eine Leidenschaft, die sich nicht in die Sprache des Marktes übersetzen ließ. Dementsprechend hatten in den Vorstandsetagen ökonomische Überlegungen häufig keinen Vorrang, wenn es darum ging, dem eigenen Verein durch teure Spieler neuen Glanz zu verleihen oder einen sportlichen Abstieg abzuwenden. Kaum ein Verein machte sich die Mühe, herauszufinden, welche Bedürfnisse die eigenen Zuschauer eigentlich hatten – Marktforschung war lange Zeit unbekannt. Einen ersten Schritt in diese Richtung unternahm der FC Bayern München, der in den 1980er Jahren unter dem Manager Uli Hoeneß zum Vorreiter in Sachen Selbstvermarktung wurde. 1981 gab der Verein eine Zuschauerbefragung im Olympiastadion in Auftrag, bei der unter anderem der Wohnort, der Beruf, die Häufigkeit des Stadionbesuchs sowie Verbesserungsvorschläge der Zuschauer erhoben wurden248. Hoeneß gehörte einer neuen Generation von Fußball-Managern an, von denen im Anschluss noch die Rede sein wird. Die Reformversuche in England waren zunächst eher kosmetischer Natur. Einerseits schienen Krisensitzungen der FL-Klubs zu Beginn der 1980er Jahre »a new mood of urgency among the clubs« zu belegen249, jedoch wurde von Beobachtern zugleich immer wieder der fehlende Veränderungswille bemängelt250. Bis auf die Einführung der 3-Punkte-Regel, die den Wettbewerb spannender machen sollte, indem ein Sieg mit 3 statt 2 Punkten belohnt wurde, wurden zunächst kaum Veränderungsvorschläge umgesetzt251. Die zentralen Forderungen des »Chester-Reports« wurden zum zweiten Mal nach 1968 auch im Jahr 1983 fast vollständig zurückgewiesen252. Sie beinhalteten vor allem die Reduzierung der First Division sowie eine Neuorganisation der unteren Ligen auf regionaler Basis, um das Spiel für die Zuschauer wieder attraktiver zu machen und die finanzielle Belastung für die kleineren Vereine zu verringern. Zwar gab es in England im Gegensatz zu Deutschland mit der FL bereits eine eigene Dachorganisation für die Profiklubs, dennoch kam es auch hier unter den Spannungen der Krise der 1980er Jahre zu Konflikten. 1982 drohten einige der größeren und erfolgreicheren Vereine damit, sich von der FL abzuspalten und eine eigene »Super League« zu gründen. Im Gespräch waren Klubs der First 248 Hans-Georg Gablonsky, Zuschauerbefragung im Olympiastadion München 1981 vom September 1981 (Erlebniswelt FC Bayern / E xponatarchiv). 249 David Lacey, From Urgency Must Come Unity, in: The Guardian vom 25.10.1980, S. 22. 250 David Lacey, Grounds for Complaint, in: The Guardian vom 23.12.1980, S. 16. 251 Der Erfolg der 3-Punkte-Regel war umstritten, da sich bei den meisten Mannschaften weder der Tabellenplatz noch das Spielverhalten veränderte. 252 Vgl. Robert Armstrong, Chester’s Wall, in: The Guardian vom 27.4.1983, S. 26.
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Division, wie Tottenham Hotspurs, Arsenal, West Ham, Liverpool, Everton, Manchester United, Manchester City und Aston Villa, sowie einige zuschauer starke Vereine der »Second Division«, wie Sheffield Wednesday, Newcastle, Leeds und Chelsea253. Die Separationswilligen rechtfertigten sich mit dem Argument, dass sie nicht länger die kleineren Klubs subventionieren wollten, sondern die Verteilung der Gelder mehr zu ihren Gunsten ausfallen sollte. Der Guardian zitierte in diesem Zusammenhang den nicht namentlich genannten Vorsitzenden eines top clubs, der eine klare Drohung aussprach, falls keine Veränderung eintrete: The whole fabric of the game is at risk. No-one, not even clubs like this one, are winning at the moment. We are talking about survival and wether the smaller clubs like it or not, unless we get change, the knives will come out. The small clubs must be prepared to go a long way to satisfying the demands of the large ones or there will be a breakdown.254
Es kam in der Folge nicht zu einem Zusammenbruch der Liga, und auch die Abspaltung der großen Vereine konnte vorerst abgewendet werden255, aber der Konflikt blieb über die gesamte Dekade hinweg bestehen und flackerte immer wieder neu auf. 1985, 1986 und 1988 gab es erneut Abspaltungsbestrebungen der großen Klubs, die nur durch immer höhere Zugeständnisse von Seiten der FL besänftigt werden konnten256. Diese Entwicklung macht deutlich, dass die finanzielle Sogwirkung der wenigen erfolgreichen Vereine ein sich selbst verstärkender Prozess war, der die Gewichte – Geld und Einfluss – immer mehr in Richtung einiger weniger Klubs verschob. Ebenso wie in Deutschland war zudem in den 1980er Jahren der Einzug des Marketings und der Sprache des Marktes in den englischen Fußball zu beobachten257. 1981 engagierte die FL eine Werbeagentur, die helfen sollte, das Spiel zu »revitalisieren« und geeignete Großsponsoren zu finden. Die beauftragte Agentur, »CSS Promotions«, sah das Hauptproblem des Spiels im Hooliganis253 Vgl. Charles Burgess, ›Super League‹ – a Bitter Conflict over Cash, in: The Guardian vom 4.12.1982, S. 14. 254 Zit. n. Ebd. 255 In einem neuen Fernseh- und Sponsorenvertrag wurde den rebellierenden Klubs 1983 ein größerer Anteil der Fernseh- und Werbegelder zugestanden. Darüber hinaus durften die Vereine ihre Einnahmen aus Heimspielen nun komplett selbst behalten und mussten sie nicht mehr mit der Gastmannschaft teilen. 256 1988 wollte der kommerzielle Fernsehsender ITV die mühsamen Verhandlungen mit der FL , die zu dieser Zeit mit dem Konkurrenten BSB / BBC im Gespräch war, umgehen und wendete sich mit einem lukrativen Angebot direkt an die Gruppe der zehn größten Klubs der First Division. 257 Obwohl der englische Fußball seit dem 19. Jahrhundert wesentlich kommerzieller ausgerichtet war als sein deutsches Pendant, hatten sich die zuständigen Institutionen lange Zeit gegen eine ungehinderte Kommerzialisierung gewehrt, wie die Vorbehalte gegen das Fernsehen und die verschiedenen Ausprägungen der Werbung zeigten.
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mus, da viele Firmen um ihr Image besorgt seien258. »There is still plenty football can do to make itself more attractive as a product and one of our first tasks will be to find out exactly what is wanted«, beschrieb ein Sprecher der Firma deren Auftrag259. Darüber hinaus stellte die FL einen eigenen Marketing Manager ein: Graham Walker wechselte ebenfalls 1981 von der bekannten Werbeagentur »Saatchi and Saatchi«, die unter anderem auch die konservative Partei beraten hatte, zum Ligaverband. Gemeinsam mit der Werbeagentur »J. Walter Thomp son« arbeitete er eine zweifache Strategie aus, die den 92 Vereinspräsidenten 1982 präsentiert wurde: One approach is designed to capture the emotions and the other is designed to offer football spectators a better deal. We think this combination, together with other proposals we have put forward on public relations, sponsorship, new media opportunities and new product development […] should bring back spectators and improve the financial viablitity of the game.260
Interviews hätten ergeben, dass das Fernsehen die emotionale Bindung der Zuschauer an das Spiel schwäche. Daher wurde eine Fernsehkampagne vorgeschlagen, die den Zuschauern die Emotionalität eines echten Stadionbesuchs vor Augen führen sollte – »shots of boys queueing at the turnstiles, the floodlights coming on, jubilation at a goal and so on – with the stirring ›We’ll be there‹ as the soundtrack«261. Auch wenn derlei Kampagnen schlussendlich aus Geldmangel nicht realisiert wurden, sind hier bereits die Ästhetisierungsstrategien der 1990er Jahre erkennbar.
5.3 Ein neuer Manager-Typus im Fußball: Hoeneß, Scholar und Co. Ein Generationswechsel auf Funktionärsebene war auf lange Sicht entscheidend dafür, dass sich in den 1980er Jahren die Gewichte weg vom Traditionalismus hin zu einem unternehmerischen Denken in den Vereinen zu verschieben begannen. In Deutschland war Uli Hoeneß, der seit 1979 als Manager die Geschicke des FC Bayern München leitete, die Galionsfigur eines neuen Managertyps im Fußball. »Keine Person der Bundesliga ist so umstritten, keine wird so extrem beurteilt: ein Messias für seine Anhänger, ein Luzifer für seine Gegner«, urteilte 1989 der Kicker262. 258 Vgl. Patrick Barclay, Promoting a Brand New Ball Game, in: The Guardian vom 17.12.1981, S. 18. 259 Graham Bridgwater, zit. n. ebd.. 260 Graham Walker, zit. n. Torin Douglas, Football Trying to Score with Absentee Fans, in: The Times vom 2.3.1982, S. 17. 261 Ebd. 262 Karlheinz Wild, Uli Hoeneß. Ich bin so mächtig wie unser Platzwart, in: Kicker-Sportmagazin 16 vom 16.1.1989, S. 5–8, hier S. 5.
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Bei allem Widerspruch: er hat im Geschäft Profi-Fußball den Ruf des Machers schlechthin, er ist die schillerndste Figur unter den Bundesliga-Managern. Der Prototyp. Mit seinem Namen verbinden sich Geschäftssinn und Erfolg.263
Der ehemalige Nationalspieler, der für seine ausgeprägte Unternehmermenta lität bekannt war, hatte den Verein aus der Verschuldung herausgeführt und in ein »gut funktionierendes Wirtschaftsunternehmen« verwandelt264. Anders als seine Vorgänger machte Hoeneß aus seinen kommerziellen Absichten keinen Hehl. »Wie Daimler-Benz in der Industrie«, müsse sich auch der FC Bayern »neue Märkte erschließen, ohne das Stammgeschäft zu vernachlässigen«265. Dabei scheute er weder den Schulterschluss mit der Politik, noch die Kooperation mit den Medien266. Die Botschaft, der Zuschauer müsse immer wissen, er sei »der wichtigste Part in unserer Klaviatur«267, war zentral für seine Vermarktungsstrategie, die es sich zum Ziel gemacht hatte, profitorientiert zu wirtschaften, ohne die Fans zu entfremden. Erfolg, sportlich wie wirtschaftlich, sollte die Maxime sein, hinter der sich Verein und Zuschauer gemeinsam versammelten. Hoeneß erkannte in den 1980er Jahren nicht nur im Verkauf von MerchandisingArtikeln ein äußerst einträgliches Geschäft, sondern konnte auch Großsponsoren wie den Automobilhersteller Opel für den FC Bayern gewinnen. Sportlich war der Verein, nicht zuletzt aufgrund seiner Finanzkraft, so stark wie kein anderer Klub der Bundesliga: 1980, 1981, 1985, 1986 und 1987 hieß der Deutsche Meister FC Bayern München, 1982, 1984 und 1986 wanderte auch der DFB -Pokal in die Vitrine an der Säbener Straße268. Durch die sportlichen Erfolge erschloss sich der Verein weitere Zuschauergruppen, was ihn wiederum attraktiv für neue Sponsoren machte. Diese Positivspirale hält weitgehend ungebrochen bis heute an und gilt als Latte, an der sich andere Bundesligaklubs messen müssen. Ebenfalls als Manager »neuen Typs« galt in den 1980er Jahren Willi Lemke. Nach sieben Jahren als Landesgeschäftsführer der SPD übernahm er 1981 den Manager-Posten bei Werder Bremen. Anders als Hoeneß hatte Lemke auf den sportlichen Bereich keinen Einfluss, sondern widmete sich ausschließlich der Professionalisierung der Geschäftsstelle. Neben der Akquise von wichtigen Sponsoren suchte er nach neuen Vermarktungsmöglichkeiten für Werder. Unter
263 Ebd., S. 5. 264 Vgl. Jürgen Leinemann, Hingerissen von sich selbst, in: Der Spiegel 22 vom 25.5.1987, S. 201–203, hier S. 201. 265 Hoeneß zit. n. Gepflegtes Feindbild, in: Der Spiegel 7 vom 15.2.1989, S. 187–189, hier S. 189. 266 Vgl. Rainer Kalb, Der gute Mensch aus Ottobrunn?, in: Kicker-Sportmagazin vom 17.1.1983, S. 10–12, hier S. 12. 267 Hoeneß zit. n. Jürgen Leinemann, Hingerissen von sich selbst, in: Der Spiegel 22 vom 25.5.1987, S. 201–203, hier S. 202. 268 Vgl. Karlheinz Wild, Uli Hoeneß. Ich bin so mächtig wie unser Platzwart, in: KickerSportmagazin 16 vom 16.1.1989, S. 5–8, hier S. 8.
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anderem initiierte er die »Erweiterung von 17 auf 51 Karten-Vorverkaufsstellen, die Einrichtung eines Fan-Shops und imagefördernde Einsätze von Werder-Vertretern bei vielfältigen Veranstaltungen in der Hansestadt«269. Furore machte sein Vorstoß im Jahr 1988, als er plante, einzelne Partien von Werder Bremen an Sponsoren zu verkaufen. Ein möglicher Sponsor könne Karten beispielsweise im Supermarkt verkaufen, so Lemke. Wenn es klappt, dann würden mehr Zuschauer in die Stadien kommen […]. Der Sponsor könnte einen riesigen Werbefeldzug starten. Sein Risiko wäre klein, weil er ja einen Teil des Geldes durch den Kartenverkauf hereinbekommt. Ist das Stadion voll, erhält er nicht nur den Einsatz zurück, sondern hat die Werbung obendrein.270
Beim DFB konnte sich Lemkes Idee zwar nicht durchsetzen, da man befürchtete, »daß der Fußball seinen Handlungsspielraum ganz an die Wirtschaft abtritt«271, jedoch führten Vorstöße dieser Art langfristig doch zu einer Öffnung innerhalb des DFB gegenüber den kommerziellen Anliegen der Vereine. Eine Zäsur in dieser Hinsicht bedeutete die Berufung von Gerhard Mayer-Vorfelder zum Vorsitzenden des Ligaausschusses im Jahr 1986. Zugleich Kultus- und Sportminister von Baden-Württemberg, Präsident des VfB Stuttgart und Vorsitzender des DFB -Ligaausschusses wurde er nicht ohne Grund als »Hansdampf in allen Gassen« bezeichnet272. Mayer-Vorfelder kämpfte rigoros für Reformen im Profifußball und legte sich dabei offen mit anderen Fußballfunktionären des DFB – allen voran DFB -Präsident Hermann Neuberger – an. »Das Spiel muss wieder in Ordnung gebracht werden«, wurde Mayer-Vorfelder 1989 vom Spiegel zitiert273. Um den Fußball zu retten, müssten die Vereine an die Führungsetagen kapitalkräftiger Unternehmen angebunden werden. »Käme zum Beispiel der Werner Niefer von Mercedes und wollte beim VfB einsteigen, ich würde ihm den Vorsitz überlassen«, so Mayer-Vorfelder274. Deshalb von einer Gefahr der Kommerzialisierung zu reden, hielt er »für dummes Geschwätz«275. Der Sport könne im Spitzenbereich nur existieren, wenn er über eine gesunde wirtschaftliche Basis verfüge. Darüber hinaus sei es erforderlich, den bezahlten 269 Bernd Jankowski, Der Anschaffer, in: Kicker-Sportmagazin 10 vom 31.1.1983, S. 21 f., hier S. 22. 270 Willi Lemke im Interview, zit. n. Hubert Meyer, Bundesliga im Sonderangebot. Der kühne Plan von Werder-Manager Willi Lemke, in: Kicker-Sportmagazin 87 vom 27.10.1988, S. 16. 271 DFB -Ligasekretär Wilfried Straub zit. n. Wir müssen die Kontrolle haben. Stimmen der Betroffenen – DFB -Ligasekretär Wilfried Straub warnt, in: Kicker-Sportmagazin 87 vom 27.10.1988, S. 17. 272 Hansdampf in allen Gassen, in: Kicker-Sportmagazin 28 vom 30.3.1987, S. 11 f., hier S. 11. 273 »I mach‹ doch net den Hampelmann«, in: Der Spiegel 22 vom 29.5.1989, S. 182–186, hier S. 184. 274 Ebd. 275 Runter mit den Preisen, in: Kicker-Sportmagazin 3 vom 7.1.1988, S. 15.
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Fußball aus dem Netz des Amateurklassen-Gewirrs herauszulösen und die Vereine in Aktiengesellschaften umzuwandeln276. Entsprechende Reformpläne, die mehr Selbstständigkeit der Profivereine innerhalb des DFB forderten, wurden 1989 im DFB -Beirat abgelehnt277. Dies lag vor allem daran, dass die Vertreter des bezahlten Fußballs gegenüber den Amateuren nach wie vor eine Minderheit bei der Verteilung der Sitze im Beirat darstellten. Jedoch brachten Mayer-Vorfelders Vorstöße in Richtung einer unternehmerischen Ausrichtung der Bundesliga langfristig eine neue Dynamik in den DFB und seine Institutionen. Auf Dauer konnte nicht gegen die Bedürfnisse der Bundesligisten gemauert werden, da der Verband einen Großteil seiner Einnahmen aus dem Profigeschäft bestritt. Indem es Mayer-Vorfelder als Vorsitzendem des Liga-Ausschusses gelang, die Preise, die die Fernsehanstalten für die Übertragung von Fußballspielen bezahlen mussten, durch Verhandlungen in die Höhe zu treiben, wurde die Position der Bundesliga gegenüber dem DFB weiter gestärkt. In England wurde der Startschuss für eine neue Generation von Vereinsfunktionären 1982 gegeben. In diesem Jahr erlaubte die FA zum einen die Bezahlung von Klubvorsitzenden, was sie zuvor viele Jahre lang abgelehnt hatte, zuletzt bei einer Abstimmung im Jahr 1981. Dies hatte für großen Unmut unter den Vereinen gesorgt; Brian Winston, Präsident des Londoner Fußballklubs Leyton Orient und Mitinitiator des Vorstoßes für bezahlte Directors, klagte 1981, we have run this game for years as a hobby, but we need professional young men to run it. If we don’t get professional football right in the next few years then heaven knows what it will leave us. Paid directors are essential.278
Die FA gab schließlich dem Druck der Klubpräsidenten nach. Zum anderen entschied die FA im selben Jahr, die Begrenzung der Dividende für Anteilseigner eines Vereins auf 7.5 Prozent abzuschaffen. Anthony King, der sich ausführlich mit dem Aufkommen der New Directors in England beschäftigte, bezeichnete diese Entwicklung als entscheidenden Punkt der Fußballentwicklung. Die Möglichkeit einer unbegrenzten Dividende transformed the football club from being effectively a privately owned public utility into a profit-making concern in its own right at a stroke. The pursuit of profit through the commodification of football was the distinguishing feature of the new directors and marked them out from their predecessors.279
Für Unternehmer wie Irving Scholar (Tottenham Hotspurs), Martin Edwards (Manchester United) und David Dein (Arsenal), die zu dieser Zeit die Füh276 »I mach’ doch net den Hampelmann«, in: Der Spiegel 22 vom 29.5.1989, S. 182–186, hier S. 186. 277 Der Riß, der nicht zu kitten ist, in: Kicker-Sportmagazin 48 vom 12.6.1989, S. 48 f. 278 No to Paid Directors, in: The Guardian vom 22.5.1981, S. 18. 279 King, The End of the Terraces, S. 124.
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rungsetagen renommierter Klubs eroberten, war Fußball in erster Linie ein Geschäft280. Die radikalsten Schritte in Richtung Kommerzialisierung unternahm Irving Scholar, ein Immobilien-Unternehmer und glühender Fußballfan, der 1982 bei den Tottenham Hotspurs eingestiegen war: Scholar engagierte erstens Alex Fynn von der Werbeagentur Saatchi and Saatchi, um eine Vermarktungsstrategie zu für den Verein entwerfen281. Unter Fynn wurde der erste Werbefilm überhaupt für einen englischen Profiklub gedreht. Dieser sollte den Fußballsport im Allgemeinen und die Tottenham Hotspurs im Besonderen attraktiv machen für eine breite Schicht von Fußballinteressierten – auch für solche, die vormals wenig Interesse am Spiel zeigten. Zweitens brachte Scholar die Tottenham Hotspurs 1983 als ersten englischen Verein an die Börse282. Ziel des Börsengangs war es, den gigantischen Schuldenberg des Vereins abzutragen und die Tottenham Hotspurs zu einem finanziell und sportlich führenden Klub in Europa zu machen. »Spurs will be showing the lead about the way football should be run and financed in the future«, wurde der Klubpräsident Douglas Alexiou in diesem Zusammenhang vom Guardian zitiert283. Der finanzielle Erfolg des Börsengangs übertraf im darauffolgenden Jahr alle Erwartungen284. Drittens bemühte sich Scholar um die Vermarktung seines Klubs durch eine Reihe von Merchandising-Artikeln, von Kleidung bis hin zu Computer-Systemen. Diese Strategie war zwar kurzfristig ein Misserfolg, da es nicht gelang, die vielen unterschiedlichen Produkte mit der Identität des Vereins zu vernüpfen285, jedoch wurde der Verkauf von Werbe-Artikeln mit Vereinslogos langfristig zu einer lukrativen Einnahmequelle für alle größeren Klubs. Laut King lag die Signifikanz von Scholars Projekt in the fact that, while his specific project of reform failed, the methods which he sought to implement were exactly those which would be successful in the 1990s; […]. Scholar’s failure demonstrates that the success of new directors was substantially determined by wider historical circumstances. In the 1980s, the financial position of football was so weak, due to its poor cultural position, that the ambitious strategies which Scholar sought to implement were unlikely to succeed; football itself was not yet an attractive commodity, ready for market expansion.286
Nichtsdestoweniger bahnte sich mit Persönlichkeiten wie Hoeneß oder Scholar ein commercial turn im Fußball an, wie es Matthew Taylor ausdrückte287. Dieser Wandel bedeutete laut Martin Polley »a gradual erosion of the older habits, based 280 Vgl. Taylor, The Association Game, S. 342. 281 Vgl. King, The End of the Terraces 128 f. 282 Taking Stock at Spurs, in: The Guardian vom 17.6.1983, S. 22. 283 Ebd. 284 Tottenham Soundly Beats All Profit Expectations, in: The Guardian vom 24.8.1984, S. 16. 285 Vgl. King, The End of the Terraces, S. 129. 286 Ebd., S. 129. 287 Vgl. Taylor, The Association Game, S. 342.
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upon poor planning, unprofessional accounting, and ad hoc arrangements with commercial interests, and let to a more co-ordinated approach«288. Der Aufstieg eines neuen Manager-Typus war nicht nur für die Entwicklung der Fußball-Welt relevant, sondern passte sich, mit Andreas Wirsching gesprochen, in den Durchbruch eines neuen kulturellen Deutungsmusters ein289. Dieses Deutungsmuster war geprägt durch einen ungebremsten Fortschrittsoptimismus sowie den Glauben an Wettbewerb und Wachtum und stand damit im direkten Gegensatz zum Zeitgeist der Zukunftsangst und Krise, der in England und Deutschland vor allem in den 1970er Jahren vorherrschend war. Hauptakteure der Entwicklung waren die Gewinner des Strukturwandels: Medienkonzerne wie Bertelsmann und Kirch, Finanz- und Softwaredienstleister wie MLP und SAP […]. In ihrem Kielwasser bewegte sich die Armada der Ambitionierten, die den neuen Zeitgeist, die Konjunktur und den Erfolg der achtziger Jahre gestalteten und zugleich verkörperten.290
Dass die neuen Fußball-Manager zu ebenjener »Armada der Ambitionierten« gehörten, zeigt zum einen ihre Sprache, die stark von ökonomischen Begrifflichkeiten und Erfolgsdenken geprägt war. Zum anderen suchten vor allem gegen Ende der 1980er Jahre mehr und mehr Funktionäre den Schulterschluss mit Akteuren der Medien- und Beraterbranche. Raymond Boyle und Richard Haynes argumentieren für den englischen Fußball, dass die Denkweise und Kommerzialisierungsbemühungen dieser Manager in den 1980er Jahren jedoch noch nicht an den Strukturen des Spiels gerüttelt hätten, sondern eher eine Randerscheinung geblieben seien291. Erst in Kombination mit anderen Entwicklungen, wie den Folgen des »Taylor-Reports«, dem Erfolg bei der Weltmeisterschaft von 1990 und dem Finanz- und Marketingboom in Folge des Durchbruchs des kommerziellen Fernsehens, habe sich die »Fußball-Industrie« gegenüber Marktkräften und entsprechendem Denken geöffnet. Aber auch wenn Manager wie Hoeneß, Scholar und Co. die Strukturen des Fußballs nicht von Grund auf veränderten, waren sie es, die neue Strategien der Führung und Vermarktung erprobten – teilweise mit großem Erfolg. Dadurch schufen sie in Zeiten der Krise eine wachsende Akzeptanz gegenüber einer kommerzielleren Ausrichtung des Profifußballs.
288 Polley, Moving the Goalposts, S. 76. 289 Vgl. Wirsching, Abschied vom Provisorium, S. 443. 290 Ebd., S. 443. 291 Vgl. Boyle / Haynes, Football in the New Media, S. 8 f.
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6. »Wirb oder stirb« – die Ausweitung des Sponsorings Die wirtschaftliche Krise des Profifußballs, gepaart mit dem Aufstieg eines neuen, kommerziell orientierten Manager-Typus’ in den Vereinen, führte zu einer verstärkten Akzeptanz und Nutzung des Sponsorings. Als Hemmnisse für die volle Ausschöpfung aller Sponsoring-Möglichkeiten, wie dies im Tennis zum Beispiel schon praktiziert wurde, fungierten zum einen die Funktionäre der Fußball-Dachverbände, die sich im Laufe des Jahrzehnts jedoch immer mehr in Richtung Kommerzialisierung öffneten. Hartnäckiger als die Fußball-Funktionäre stellten sich jedoch die Fernsehverantwortlichen gegen den Einzug von Werbemaßnahmen in die Stadien. Dieser Widerstand konnte erst überwunden werden, als private Fernsehanbieter Ende der 1980er Jahre in den Bieterwettstreit um Übertragungsrechte einstiegen292. Darüber hinaus schreckte auch das angeschlagene Image des Fußballs zahlreiche potenzielle Sponsoren ab, da sie nicht mit einer negativen Reputation in Verbindung gebracht werden wollten. Wie in Kapitel 6.2 des zweiten Teils ausgeführt, überlebte der englische Fußball bis in die 1980er Jahre hinein ohne größere Werbe- und Sponsoringmaßnahmen. In Folge der finanziellen Schwierigkeiten, die zu dieser Zeit immer gravierender wurden, kam es jedoch zu Beginn der 1980er Jahre zu einer schrittweisen Öffnung gegenüber Werbung und Sponsoring als zusätzlichen Einnahmequellen. 1983 wurden die Spiele der Football League erstmals von einem Großsponsor gefördert. Geld- und Namensgeber war der japanische Elektronikhersteller »Canon«, weshalb die vormals unter dem Namen Football League ausgetragenen Wettbewerbe nun in »Canon League« umgetauft wurden. Drei Jahre später zog sich Canon jedoch aus dem Fußballsponsoring zurück: Die Ereignisse in Bradford und Hillsborough ließen den englischen Fußball wenig werbewirksam erscheinen und der Sponsor fürchtete einen Imageschaden, wenn sein Markenname mit Tod und Gewalt in Verbindung gebracht würde293. Nach einem kurzen Zwischenspiel mit der Zeitung »Today« einigte sich die FL mit der »Barclays Bank« auf einen Sponsoringvertrag, der einige Jahre Bestand haben sollte. »And what could be more appropriate«, fragte der Guardian, »when 80 of the 92 Football League clubs are starting the new season in debt than to put the financial clout and expertise of a major bank behind them?«294 Rund zehn Jahre später als in Deutschland wurde 1983 auch in England die Trikotwerbung für Fußballklubs zugelassen. Diesem Schritt ging ein zähes Ringen der FL mit den Fernsehanstalten BBC und ITV voraus, welche von der 292 Vgl. Kapitel 7. 293 Canon Ready to Pull out of League Deal, in: The Guardian vom 7.1.1985, S. 24. 294 Banking on Goals, in: The Guardian vom 14.8.1987, S. 12.
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untergeschobenen Werbung am Spieler wenig begeistert waren295. Als die FL hart blieb und damit drohte, keine Spiele mehr übertragen zu lassen, stimmten die Fernsehverantwortlichen der Werbung am Mann schließlich zu. Strenge Auflagen bezüglich der Maximalgröße von Aufdrucken sollten verhindern, dass es zu Werbeexzessen im Stadion kam. Wie dies zuvor auch in Deutschland der Fall gewesen war, stieß die Entscheidung für Trikotsponsoring nicht nur auf Zustimmung, sondern schürte auch die Sorge vor einem Ausverkauf des Spiels. Patrick Barclay, der für den Guardian schrieb, meinte beispielsweise, Textilwerbung im Fußball sei »false economy. Such a sum cannot be worth the damage done to the image of football […] in the minds of supporters, who appreciate tradition and are turned off by crass change.«296 Barclay und andere Kritiker hatte noch keine Vorstellung davon, dass die Werbemaßnahmen der 1980er Jahre nur ein Vorgeschmack dessen waren, was den englischen Fußball in den 1990er Jahren ereilen sollte. Unter dem einprägsamen Titel »Wirb oder stirb« berichtete der Kicker 1982 über die Entwicklung des seit 1973 zugelassenen Trikotsponsorings im deutschen Fußball: Die Einnahmen aus der Trikotwerbung sind für die Bundesligavereine zu einer festen Größe in ihrem Budget geworden. Werbung am Mann lohnt sich jedoch nicht nur für die Klubs, sondern auch für die Firmen, die dadurch ihren Bekanntheitsgrad enorm steigern können. Ein Werbegeschäft, das alle Beteiligten befriedigt. […] Was vor ein paar Jahren noch den Charakter eines sicherlich nicht ganz unwillkommenen Taschengeldes für die Profiklubs hatte, ist mittlerweile zu einem wichtigen und unverzichtbaren Faktor in den Kalkulationen der Fußballvereine geworden. Acht Millionen Mark in bar fließen in dieser Saison allein durch die Trikotwerbung an die 18 Vereine der Bundesliga.297
Während sich beim Trikotsponsoring in den 1980er Jahren ein Gewöhnungseffekt eingestellt hatte, sorgten neue Werbeideen für Furore. Wieder einmal war es Günter Mast, Chef des Kräuterlikörherstellers »Jägermeister«, der mit seinen Einfällen die Fußballwelt in Aufruhr versetzte. Mast, der einst die Trikotwerbung für den Bundesligafußball erstritten hatte, plante 1986, den hoch verschuldeten Verein Eintracht Braunschweig mit seinem Firmennamen zu schmücken und in »Jägermeister Braunschweig« umzubenennen298. Der DFB war erwartungsgemäß wenig begeistert. »Dann hätten wir ja bald Ford Köln und Backpulver Bielefeld auf dem Spielfeld«, kritisierte DFB -Präsident Hermann 295 Vgl. Polley, Moving the Goalposts, S. 69. Move on Shirt-Ads, in: The Guardian vom 22.4.1983, S. 22. 296 Patrick Barclay, Losing Shirts to Sponsors, in: The Guardian vom 17.3.1984, S. 14. 297 Wirb oder stirb, in: Kicker-Sportmagazin 92 vom 15.11.1982, S. 42. 298 Die Mast-Kur, in: Der Spiegel 42 vom 17.10.1983, S. 250. Darüber hinaus strebte er die Umwandlung des Klubs in eine Aktiengesellschaft an.
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Neuberger Masts Vorstoß299. In Österreich, wo Firmenwerbung im Vereinsnamen schon damals erlaubt war, trugen von den zwölf Erstligaklubs 1986 nur noch vier keinen Namen aus der Wirtschaft300. Dennoch lehnten die meisten Vereinsfunktionäre in Deutschland diesen Schritt ab. Wolfgang Klein, damaliger Präsident des Hamburger Sportvereins, sprach von einer »Versklavung durch den Sponsor«, Jürgen Friedrich vom 1. FC Kaiserslautern sah in der Umbenennung eine »Geschäftemacherei, die der Zuschauer nicht mitmacht«301. Aufgrund eines Formfehlers verlor der DFB den Rechtsstreit um die Umbenennung des Vereins. Dennoch blieb die Namensänderung am Ende aus: Bevor es dazu kommen konnte, hatte Mast sich aufgrund von Differenzen in der Vereinsführung und seiner gescheiterten Wiederwahl als Präsident im Jahr 1985 vom Verein abgewandt. Eine Satzungsänderung des DFB verhinderte daraufhin, dass Nachahmer sich Masts Werbekonzept zu eigen machen konnten. »Änderungen, Ergänzungen oder Neugebungen von Vereinsnamen und Vereinszeichen zum Zwecke der Werbung sind unzulässig«, verlautet noch heute Paragraph 15 Absatz 2 der Satzung des DFB302. In den 1980er Jahren festigten sich im deutschen Profifußball eher die eta blierten Werbemaßnahmen, wie etwa das Trikotsponsoring und der gelegentliche Einsatz berühmter Spieler als Werbebotschafter, als dass es zu gravierenden Neuerungen gekommen wäre. Einige Unternehmen waren nach wie vor unsicher, ob der Fußball überhaupt das richtige Produkt sei, mit dem es sich zu werben lohne. Weder Uli Hoeneß noch Willi Lemke oder Gerhard Mayer-Vorfelder konnten beispielsweise den Automobilkonzern »Mercedes-Benz« davon überzeugen, in den Fußball zu investieren. Lemke beschrieb, er sei beim Unternehmen »dreimal abgeblitzt« beim Versuch einen Sponsoring-Vertrag für Werder Bremen auszuhandeln: »Daimler-Benz, und das tut den Stuttgartern noch mehr weh als uns, würde nie einen Verein sponsern. Denen ist die Angst viel zu groß, der ›Stern‹ könnte eines Tages zweitklassig werden und absteigen«, erklärte Lemke303. Mercedes habe ein bestimmtes Bewusstsein, formulierte der damalige Leiter der Öffentlichkeitsarbeit von Mercedes Benz den Sachverhalt etwas diplomatischer304. Wenige Jahre zuvor hatte sein Vorgänger Dr. Peter Philipp bereits betont, an einer engen Bindung an einen Verein und Werbung am Mann habe man kein Interesse, »weil sie nicht in unser Konzept passen!«305 1989, als
299 Die Schnapsidee, in: Der Spiegel 49 vom 5.12.1983, S. 196. 300 Pampers Offenbach, in: Der Spiegel 48 vom 14.11.1986. 301 Ebd. 302 Deutscher Fußball-Bund, Satzung (URL: www.dfb.de/fileadmin/_dfbdam/2014124_02_ Satzung.pdf, zuletzt eingesehen am 18.8.2017). 303 Ansichten eines Managers, in: Kicker-Sportmagazin 67 vom 17.8.1989, S. 16 f., hier S. 16. 304 Vgl. Die Bundesliga braucht einen Tiriac, in: Kicker-Sportmagazin 62 vom 31.7.1989, S. 10–13, hier S. 11. 305 Zit. n. Wenn BMW München gegen Jacobs Bremen spielt…, in: Kicker-Sportmagazin 93 vom 13.11.1986, S. 4.
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der Konzern wegen seiner Beteiligung an Rüstungsproduktionen öffentlich angefeindet wurde, entdeckte man dort jedoch nach und nach die Vorzüge des Fußballsports für das eigene Unternehmensbild. »Jetzt müssen wir die ideologische Attacke abwehren«, so Kleinert, »Beispiel Rüstungskonzern. Jetzt musst du den Leuten [im Vorstand] sagen: Sport besteht nicht nur aus Tennis, Golf, Rudern und Reiten, sondern auch aus Fußball.«306 Nach wir vor sahen viele Akteure die Einflussnahme von Sponsoren und Unternehmen in Fußball kritisch. DFB -Präsident Neuberger warnte vor »riesigen Gefahren« des Sponsorentums, da es »weitgehende oder gar gänzliche Abhängigkeit im Gefolge« habe307. Der Sprecher des Hamburger Fußballverbandes, Dr. Horst Barrelet, betonte auf einer Podiumsdiskussion in Hamburg, von der die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« ausführlich berichtete, ebenfalls, dass die Anpassung eines Vereins an einen Sponsor ein »fataler Irrweg« sei, denn [e]s identifiziert sich keiner mehr mit dem Verein, es kommen noch weniger in die Stadien […]«308. Wie falsch diese Einschätzung sein sollte, zeigte sich in den folgenden Jahren. Mit dem im nächsten Kapitel beschriebenen Siegeszug des kommerziellen Fernsehens stiegen auch die Einnahmen durch Sponsoring in englischen und deutschen Klubs exponentiell an. Dies führte jedoch keinesfalls zu einem Fernbleiben der Zuschauer aus den Stadien, im Gegenteil: Trotz der immer expan siveren Sponsoringmaßnahmen stiegen die Zuschauerzahlen in den 1990er Jahren kontinuierlich an.
7. Die Deregulierung des Fernsehens Der Durchbruch des privat-kommerziellen Rundfunks wird in der Rückschau häufig mit Superlativen wie »medienpolitischer ›Urknall‹« (Wirsching), »Medienrevolution« (Schildt) und Beginn einer »New Era« (Dyson / Crisell) beschrieben309. Die in den westeuropäischen Ländern nahezu zeitgleich stattfindende Öffnung des Rundfunks für private Anbieter steche »als spektakuläres Einzelereignis aus der Komplexität des Wandels« der 1980er Jahre »deutlich hervor« 306 Die Bundesliga braucht einen Tiriac, in: Kicker-Sportmagazin 62 vom 31.7.1989, S. 10–13, hier S. 11. 307 Neuberger warnt vor »riesigen Gefahren«. Sponsorentum kann zu Abhängigkeit führen, in: Sport-Kurier vom 2.1.1984. 308 Klaus Wiborg, »Der Fußball krankt nicht an zu geringen Einnahmen«. Diskussion: Zwangsehe mit der Wirtschaft und Angst vor Abhängigkeiten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19.1.1984. 309 Wirsching, Abschied vom Provisorium, S. 448; Schildt / Siegfried, Deutsche Kulturgeschichte, S. 413; Kenneth Dyson, Regulatory Culture and Regulatory Change in German Broadcasting, in: ders. (Hrsg.), The Politics of German Regulation, Aldershot 1992, S. 79–104, hier S. 79; Crisell, An Introductory History of British Broadcasting, S. 229.
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(Doering-Manteuffel / Raphael)310. Was machte dieses Ereignis so spektakulär? Der Eindruck eines neuen, vergleichsweise plötzlich eintretenden Medienzeitalters lässt sich bis zu einem gewissen Grad mit technologischen Entwicklungen und politischen Entscheidungen erklären. Darüber hinaus war es jedoch die schiere Vielfalt des Angebots, die sich mit einer bunten bis schrillen Ästhetik unmittelbar in die Wahrnehmung der Zuschauer drängte und so den Eindruck einer gänzlich neuen Medienwelt entstehen ließ. Des Weiteren fungierte das kommerzielle Fernsehen mit seinen omnipräsenten Werbebotschaften und ästhetisierenden Darstellungsformen als Katalysator einer sich beschleunigenden Konsumdynamik, die in den späten 1980er Jahren immer mehr Fahrt aufnahm. Der Fußballsport spielte in diesem Prozess eine maßgebliche Rolle, denn Fußballübertragungen gehörten zu den wichtigsten Vehikeln für private Sender, mit denen diese ihre Zuschauerbasis vergrößern konnten. Durch die neu gewonnene Verhandlungsmacht im Wettbewerb um das beste Angebot gestalteten Fußballakteure den Durchbruch des kommerziellen Fernsehens entscheidend mit. Umgekehrt katapultierte der Schulterschluss mit privaten Sendern den Fußball sowohl in finanzieller als auch in ästhetischer Hinsicht in ein neues Zeitalter.
7.1 Kommerzielles Fernsehen in England und Deutschland In England gab es streng genommen mit dem Sender ITV bereits seit den 1950er Jahren kommerzielles Fernsehen. Da ITV über Jahrzehnte der einzige werbefinanzierte Sender im Land blieb, handelte es sich jedoch de facto um ein staatlich geschütztes Duopol von ITV und BBC . Mit BBC 1, BBC 2, ITV und seit 1982 Channel 4 hatte sich die Senderauswahl in England zwar bereits vergrößert, aber erst die späten 1980er Jahre brachten eine echte Deregulierung des Fernsehmarktes mit sich311. Auslöser war zum einen die technologische Entwicklung: Auf Seiten der Produktion spielte hier die »Deprofessionialisierung« eine Rolle312. Dadurch, dass Produktionstechniken wie (Video-) Kameras oder Tonaufnahmegeräte immer leichter zu bedienen waren, sodass auch Laien diese Aufgaben zum Teil übernehmen konnten, wurde die Monopolstellung der großen Sender und Rundfunkgewerkschaften aufgebrochen. Allerdings gab es für günstig produzierte Formate dieser Art kaum Distributionswege313. Im Bereich der Distribution schuf vor allem die Entwicklung der Satellitentechnik neue Rahmenbedingungen. Diese wurde bereits seit den späten 1960er Jahren benutzt, um das Programm von BBC und ITV zu unterstützen – beispielsweise 310 Doering-Manteuffel / Raphael, Nach dem Boom, S. 125. 311 Zur Einführung von Channel 4 unter Thatcher vgl. Christian Potschka, Towards a Market in Broadcasting. Communications Policy in the UK and Germany, Houndmills / Basingstoke, New York 2012, S. 86–91. 312 Vgl. Crisell, An Introductory History of British Broadcasting, S. 210. 313 Am leichtesten war dies noch bei Radiosendungen.
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bei der Übertragung von Sportveranstaltungen aus anderen Kontinenten314. Die Regierung Thatcher war gegenüber der Weiterentwicklung der Satellitentechnologie durch den privaten Sektor positiv eingestellt, sodass die Lizenzrechte für »direct broadcasting by satellite« (DBS) 1986 an das Konsortium »British Satellite Broadcasting« (BSB) und nicht an die BBC vergeben wurden315. 1989 kam der Medienunternehmer Rupert Murdoch BSB jedoch zuvor, indem er über einen luxemburgischen Astra-Satelliten in England mit seinem »Sky Channel« auf Sendung ging. Sky umging die in ihrer Zahl eingeschränkten Kanäle der etablierten Sender, indem es den Kunden eigene Empfangsgeräte verkaufte, mit deren Hilfe eine direkte Form der Satellitenübertragung vom Sender zum Empfänger installiert wurde. Um die enormen Einstiegskosten wieder auszugleichen, sicherte sich das Unternehmen die Rechte für sämtliche verfügbaren Hollywood-Filme und stieg kurz darauf in die Verhandlungen um Fußball-Übertragungsrechte ein. Durch die hohen Startkosten und den anfangs sehr kleinen Markt gerieten sowohl BSB als auch Sky in finanzielle Schwierigkeiten, sodass sich die beiden Unternehmen 1990 zum von Rupert Murdoch geführten Konsortium BSkyB zusammenschlossen, welches eine absolute Monopolstellung beim Satellitenfernsehen innehatte316. Neben dem Satelliten-Fernsehen erweiterte auch das Kabel-Fernsehen die Möglichkeiten der Distribution im britischen Fernsehmarkt. 1983 wurden elf regionale Kabel-Lizenzen vergeben, wobei sich die Infrastruktur nur langsam ausbreitete317. Während Kabel-Nutzer in einigen Regionen bis zu 20 Kanäle empfangen konnten, mussten zahlreiche Regionen zunächst ohne Verkabelung auskommen. Über die technologische Entwicklung hinaus beeinflussten auch politische Weichenstellungen die Entwicklung des Fernsehmarktes. Premierministerin Margaret Thatcher war das bestehende Rundfunksystem ein Dorn im Auge, da es ihrem Standpunkt widersprach, dass nur das freie Wirken der Marktkräfte zur wirtschaftlichen Genesung Großbritanniens führen könne. »Wherever possible the Government’s approach to broadcasting should be consistent with its overall deregulation policy. It should help enterprises and meet the needs of the consumer«, führte sie ihre Ansichten zur Rundfunkpolitik Ende der 1980er Jahre in einer Regierungserklärung aus318. 1985 wurde der wirtschaftsliberale Volkswirt Alan T. Peacock von der Thatcher-Regierung mit einem Komitee zur
314 Vgl. ebd., S. 221. 315 Die BBC und die »Independent Broadcasting Authority« (IBA) waren nicht in der Lage, einen funktionierenden Zusammenschluss für das kostenintensive Projekt zu bilden, sodass dieses letztendlich platzte. Vgl. Tom O’Malley, Satellite, Cable and New Channels in the UK , in: Michele Hilmes (Hrsg.), The Television History Book, London 2003, S. 59–62, hier S. 59. 316 Vgl. ebd., S. 59. 317 Vgl. Crisell, An Introductory History of British Broadcasting, S. 220–221. 318 Zit. n. King, The End of the Terraces, S. 114.
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Weiterentwicklung des britischen Rundfunks betraut319. Thatcher intendierte, die BBC zu privatisieren und vollständig aus Werbeeinnahmen zu finanzieren. Zu ihrer Verärgerung unterstützte das »Peacock Committee« diese Idee nicht. Allerdings verurteilte es ebenso wie Thatcher das Duopol von BBC und ITV und argumentierte, »that consumers were the best judges of their own welfare and that they, and not the producers, should determine the character of broad casting«320. Der Rundfunk war eines von vielen Feldern, in denen die konservative Regierung unter Margaret Thatcher staatliche Regulierung zurückfahren und private Initiative fördern wollte. Einer Politik, die den Bürger als souveränen Konsumenten bzw. Unternehmer seiner selbst konstruierte, musste die Beschränkung der Wahlfreiheit beim Fernsehen als unzulässige Bevormundung und Behinderung des freien Spiels der Marktkräfte erscheinen. Peacock rechtfertigte die Liberalisierung des Rundfunks ideologisch damit, dass der Konsument selbst am besten wisse, was gut für ihn sei: There was always the feeling that there should be a Chinese wall between something called commercialism and commercial objectives and welfare and particularly broadcasting. There was a great ethos in broadcasting (…) that the BBC acted like claiming to know what was good for the people. […] Yet, there is actually no reason, no evidence, to show that people are more immoral and less public spirited if they are in business or outside it.321
Mit dem »Broadcasting Act« von 1990, der auf den Empfehlungen des Peacock Committee basierte, wurde der Rundfunk schließlich entscheidend liberalisiert und das Duopol von BBC und ITV aufgelöst322. Das Gesetz erlaubte die Ein führung eines fünften analogen Senders sowie die Ausweitung des Satellitenfernsehens, von der vor allem Murdochs BSkyB profitierte. Ideologisch war Murdoch nicht weit von Thatchers Vorstellungen entfernt. Er verkündete »the dawn of an age of freedom for viewing and freedom for advertising«323, zum ersten Mal in der Geschichte würde der britischen Öffentlichkeit eine echte Wahlfreiheit beim Fernsehprogramm geboten. Der euphorischen Freiheits- und Fortschrittsrhetorik zum Trotz waren die Meinungen zur Öffnung des Rundfunks in der englischen Gesellschaft gespalten. Nicht zu Unrecht fürchteten viele, es werde einfach ein Monopol durch das nächste ersetzt, denn tatsächlich blieb BSkyB auf dem Satelliten-TV-Markt ohne nennenswerte Konkurrenz. 319 Vgl. Crisell, An Introductory History of British, S. 213 f.; Potschka, Towards a Market in Broadcasting, S. 96–102. 320 Crisell, An Introductory History of British Broadcasting, S. 213. 321 Alan T. Peacock zit. n. Potschka, Towards a Market in Broadcasting, S. 98–99. Thatcher selbst war allerdings nicht der Meinung, dass der Bürger auch inhaltlich am besten wisse, was gut für ihn sei. Sie befürchtete einen Qualitätsverlust des Programms und die Überhandnahme pornographischer Inhalte. Vgl. ebd., S. 102. 322 Parliament of the United Kingdom, Broadcasting Act 1990 (URL: http://www.legislation. gov.uk/ukpga/1990/42/contents, zuletzt eingesehen am 19.8.2017). 323 Zit. n. King, The End of the Terraces, S. 114.
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Der Historiker Frank Bösch bezeichnet die Einführung des kommerziellen Rundfunks in Deutschland als »Vorreiter der Privatisierung«, da es sich um einen Prozess der Deregulierung handelte, der in anderen Bereichen erst in den späten 1980er Jahren an Fahrt gewonnen habe324. In der Bundesrepublik sei dieser Wandel öffentlich besonders hart umkämpft gewesen, weil der Rundfunk kein gewöhnliches Wirtschaftsgut ist, sondern zugleich als Träger der verfassungsrechtlich abgesicherten Informationsfreiheit gilt (GG Art. 5) und besonders dem Fernsehen eine große Wirkung beigemessen wird.325
Anders als in England also, wo sich die Deregulierung des Rundfunks in bereits laufende Prozesse der Entstaatlichung unter Margaret Thatcher einreihte, handelte es sich in der Bundesrepublik um einen der ersten großen Schauplätze, auf denen das Verhältnis von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft im Sinne einer Liberalisierung neu verhandelt wurde. Auch in Deutschland setzten zunächst technische Argumente den Rahmen für die Debatte. Mit Blick auf die Gründung von ITV in Großbritannien war bereits in den späten 1950er Jahren die Zulassung kommerziellen Fernsehens diskutiert worden. 1960 entschied jedoch das Bundesverfassungsgericht, dass die rein öffentlich-rechtliche Form aufgrund der Knappheit von Frequenzen vorerst beibehalten werden müsse326. Begründet wurde dies damit, dass die wenigen Sendeplätze keinen Pluralismus wie in der Presse zuließen, sodass nur ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk die Beteiligung aller gesellschaftlichen Kräfte sicherstellte327. Mit der Entwicklung der Kabel- und Satellitentechnologie verlor das Argument der Frequenzknappheit in den 1980er Jahren seine Grundlage. Es zeigte sich allerdings, dass der kommerzielle Rundfunk nicht allein durch technologische Defizite verhindert worden war. Die politischen Konflikte, die sich aus der Wiederaufnahme des Projekts ergaben, offenbarten, dass es sich in hohem Maße um ein politisch-moralisches Streitthema handelte. Die Konfliktlinien verliefen in diesem Zusammenhang mehr oder weniger zwischen der bis 1982 regierenden SPD und den Unionsparteien. Während der damals amtierende Bundeskanzler Helmut Schmidt das private Fernsehen für »gefährlicher als Kernenergie« hielt, weil es die Demokratie gefährde, profilierte sich Helmut Kohl als Verfechter eines Ideals des freien Marktes im Rundfunk. Die Christdemokraten verfochten seit Mitte der 1970er Jahre die These, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk den vom Bundesverfassungsgericht geforderten Pluralismus verhindere und sie bezichtigten im Rahmen ihrer sogenannten »Rotfunk«-Kampagne die ARD -Anstalten, linksgerichteten Meinungsjournalismus zu betreiben, weshalb private 324 Vgl. Bösch, Vorreiter der Privatisierung, S. 88. 325 Ebd., S. 89. 326 Vgl. Rüdiger Steinmetz, Initiativen und Durchsetzung privat-kommerziellen Rundfunks, in: Jürgen Wilke (Hrsg.), Mediengeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Köln 1999, S. 167–191, hier S. 173 f.; Dyson, Regulatory Culture and Regulatory Change, S. 80 f. 327 Vgl. Bösch, Vorreiter der Privatisierung, S. 90.
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Sender unbedingt nötig seien328. Die Sozialdemokraten verteidigten den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit moralischen Argumenten, da sie befürchteten, es käme bei Einführung kommerzieller Sender zu einer Schädigung von Kindern und Jugendlichen durch Überangebot, zur Verflachung der Programminhalte sowie zum Kontrollverlust der nationalen Medienwirtschaft und -politik durch die Hegemonie internationaler Medienkonzerne329. Die Weichen für den endgültigen Durchbruch des privaten Rundfunks in Westdeutschland wurden durch zwei Ereignisse gestellt: Erstens schuf das Bundesverfassungsgericht mit dem sogenannten dritten Rundfunkurteil am 16. Juni 1981 die rechtlichen Voraussetzungen zur Zulassung privat-kommerziellen Rundfunks330. Bedingung für diese Zulassung war die Sicherung der Vielfalt bestehender Meinungen in möglichst großer Breite und Vollständigkeit sowie umfassende Information. Zweitens bildeten mit dem Regierungswechsel von 1982/83 die Befürworter des privaten Rundfunks nun auch eine politische Mehrheit. Helmut Kohl verkündete vor der Bundestagsfraktion, dass »die letzte Chance, um eine wirkliche Konkurrenz-Situation im öffentlich-rechtlichen System der Bundesrepublik herbeizuführen, jetzt gekommen« sei331. Es folgte ein »Dammbruch« in der deutschen Fernsehlandschaft, der diese nachhaltig verändern sollte. Hatte sich in den Jahrzehnten zuvor medienpolitisch kaum etwas bewegt, beschleunigte sich nun die Entwicklung in einem beinahe atemberaubenden Tempo. Im Gleichschritt mit der westeuropäischen Entwicklung im Allgemeinen vervielfältigte und erweiterte sich die bundesrepublikanische Fernsehkultur binnen kurzem.332
1984 nahm der luxemburgische Sender RTL plus sein Programm auf, ein Jahr später folgte Sat. 1, und Ende der 1980er Jahre kamen weitere Sender wie Pro Sieben, Vox oder Tele 5 hinzu. Hatten die Bürger zuvor die Auswahl zwischen ARD, ZDF und einem (mit Glück auch mehreren) dritten Programm, konnten sie Ende 1989 durchschnittlich zwischen 15 Programmen entscheiden333. Zwischen 1987 und 1995 sank der Anteil der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten am Fernsehkonsum der deutschen Zuschauer von 95 auf knapp 40 Prozent.334 Die hier umrissene Deregulierung des Rundfunks in England und der Bundesrepublik muss im Zusammenhang mit dem politischen Mentalitätswandel der 1970er und 1980er Jahre gedacht werden. Unschwer lässt sich in den politischen Manövern und Äußerungen von Kohl und vor allem Thatcher eine Abwer328 329 330 331 332 333 334
Vgl. ebd., S. 92 f. Vgl. ebd., S. 94 f.; Wirsching, Abschied vom Provisorium, S. 445. Vgl. Steinmetz, Initiativen und Durchsetzung privat-kommerziellen Rundfunks, S. 176. Zit. n. Wirsching, Abschied vom Provisorium, S. 447. Ebd., S. 448 f. Vgl. Dyson, Regulatory Culture and Regulatory Change, S. 82. Vgl. Schildt / Siegfried, Deutsche Kulturgeschichte, S. 417.
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tung des öffentlichen Sektors – hier in Form der öffentlich-rechtlichen Sende anstalten – als ineffizient und bevormundend erkennen. Demgegenüber stand die Glorifizierung des Wettbewerbs- und Marktgedankens, die meist Hand in Hand mit einer überhöhten Freiheitssemantik ging, und als Königsweg zu Wohlstand und Wachstum gepriesen wurde.
7.2 Das Ende des Duopols von BBC und ITV im englischen Fußball Zu Beginn der 1980er Jahre folgten die Scharmützel zwischen englischen Fußball- und Fernsehfunktionären noch dem altbekannten Muster. Während die Vertreter von FL und FA möglichst viel Geld für möglichst wenige übertragene Spiele aushandeln wollten, versuchten die Akteure von BBC und ITV den Preis niedrig zu halten und die Anzahl der Spiele zu maximieren. Die Gelder, die pro Saison von den Fernsehanstalten gezahlt wurden, stiegen dementsprechend nur langsam an. Für die Jahre von 1979 bis 1983 wurden durchschnittlich 2,3 Millionen Pfund pro Saison festgelegt, was die Fernsehoberen vorsichtshalber mit der Warnung kommentierten »that no more money would be available to pay for domestic coverage on television«335. Bereits 1980 geriet dieser Vertrag in Gefahr, als sich die Fernsehanstalten weigerten, Spiele zu übertragen, bei denen gesponserte Trikots zu sehen seien. Alan Hard, Leiter von BBC Sport forderte von der FL an assurance (…) that there will be no attempt to breach the agreement without warning. We will await an approach from the League about the long-term future, although we have already made it clear that we are not prepared to screen matches in which teams carry shirt advertising.336
Wenngleich einige Vereine darauf hinwiesen, dass andere Sportarten mit Trikotsponsoring längst im TV zu sehen seien und hohe Einnahmen erzielten, fügten sie sich letztendlich zähneknirschend den Auflagen von ITV und BBC . Die Verhandlungen um einen Folgevertrag im Jahr 1983 wurden daraufhin verbissener geführt denn je. Den Abwehrreflex von BBC und ITV, die wieder betonten, »there is no more money in British television«337, nachdem sie der FL einen Vertrag über 5.3 Millionen Pfund für zwei Jahre geboten hatten, wollten die Vereine nicht mehr gelten lassen. Mitten in den Verhandlungsstreit zwischen FL und BBC / I TV platzte die bis dahin weitgehend unbekannte Video-Firma »Telejector« mit einem Angebot über 8 Millionen Pfund für die Exklusivrechte auf Fußballübertragungen338. Das Unternehmen plante, Videoaufzeichnungen 335 TV Chiefs Warning to Football, in: The Times vom 8.12.1982, S. 18. 336 Zit. n. Robert Armstrong, Clash of the Day, in: The Guardian vom 29.3.1980, S. 22. 337 Zit. n. Stuart Jones, League Chairmen Reject TV Offer, in: The Times vom 25.2.1983, S. 20. 338 Vgl. Robert Armstrong, £8m Video Offer Tempts League, in: The Guardian vom 25.3.1983, S. 24.
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von Fußballspielen auf Großbildleinwänden in Kneipen zu zeigen, um die im Werbejargon »unreachables« genannten Pub-Besucher empfänglich für Werbung zu machen339. Nachdem der Vorstoß von Telejector zu heftigen Kontroversen bis hin ins britische Unterhaus geführt hatte, zog die Firma ihr Angebot wieder zurück. Ein Unternehmenssprecher begründete dies damit, dass man von den eigenen Anwälten darauf hingewiesen worden sei, »that the Football League was not capable of binding clubs to any agreement. It was being suggested that a number of glamour clubs would break the agreement and the League would be unable to stop them.«340 In dieser kurzen Episode deuteten sich zwei Entwicklungen an, die für die Zukunft von Bedeutung sein sollten: Zum einen trat mit Telejector erstmals ein privatwirtschaftlicher Konkurrent im Ringen um die Fußball-Übertragungsrechte auf den Plan. Die Initiative der Firma bot einen Vorgeschmack auf den kommenden Bieterwettbewerb, der die Preisspirale immer weiter in die Höhe treiben sollte. Zum anderen deutete sich an, dass eine Handvoll größerer Klubs an Macht gewann und versuchte, ihre Ziele an der FL vorbei durchzusetzen. Nachdem es nach dem Rückzug von Telejector zu keiner schnellen Einigung zwischen Fußball- und Fernsehverantwortlichen zu kommen schien, wurde der Sponsor der Liga, Canon, nervös und drohte, seine Sponsoring-Zusage über 3 Millionen Pfund zurückzuziehen, falls es in der folgenden Saison keine Fußball-Übertragungen im Fernsehen geben sollte341. Dies schwächte die Verhandlungsmacht der FL maßgeblich. Nach insgesamt acht Monaten zäher Verhandlungen wurde im Juli 1983 ein neuer Vertrag zwischen BBC / I TV und der FL geschlossen, der eine nur unwesentliche Preissteigerung beinhaltete (2,6 statt 2,3 Millionen Pfund pro Jahr), dafür aber erstmalig die Live-Übertragung von einzelnen First Division-Spielen erlaubte, wogegen sich die FL lange Zeit vehement gewehrt hatte. Im Gegenzug durften die Vereine ihre Spieler nun auch vor laufenden Kameras mit Trikotwerbung auflaufen lassen342. Zwei Jahre später spitzte sich der Konflikt zwischen Fußball- und Fernseh verantwortlichen weiter zu: BBC und ITV wollten die Übertragung von Live-Spielen von 10 auf 26 Spiele jährlich ausweiten, wogegen die Vereine sich wehrten, da sie befürchteten, dass in diesem Fall immer weniger Zuschauer in die Stadien kämen. »But football’s resistance to television was more effective when it had something to sell and many more customers to sell it to«, kommentierte David Lacey vom Guardian die schwache Ausgangsposition der FL in diesen Verhand339 Vgl. Charles Burgess, Pub Soccer Venture Must Pass Rigorous Screen Test, in: The Guardian vom 8.4.1983, S. 18. 340 Zit. n. David Simpson, Telejector Leaves Way Free for TV, in: The Guardian vom 28.4.1983, S. 24. 341 Vgl. Robert Armstrong, TV Rebuff Threatens £3m Sponsorship Deal, in: The Guardian vom 6.5.1983, S. 28. 342 Vgl. Charles Burgess, More Live Football in New Television Deal, in: The Guardian vom 16.7.1983, S. 1.
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lungen343. Lacey spielte damit auf die Krise des englischen Fußballs an, die zu diesem Zeitpunkt mit den Stadiontragödien von Bradford und Heysel ihren Höhepunkt erreicht hatte. Beide Seiten blieben jedoch eisern, sodass die ersten vier Monate der Saison 1985/86 erstmals seit Beginn der Fußballübertragungen in den 1950er Jahren überhaupt keine Ligaspiele im Fernsehen zu sehen waren. Erst Ende Dezember 1985 kam es zu einer Einigung über 1,3 Millionen Pfund bis zum Ende der Saison344. Im folgenden Jahr einigte man sich vergleichsweise rasch auf einen Betrag von etwas über 3 Millionen Pfund pro Jahr bis 1988 – das letzte Jahr bevor Bewegung in die festgefahrene Fußball-Fernseh-Konstellation kommen sollte. Als Ende der 1980er Jahre erneut TV-Verhandlungen fällig waren, geriet das Duopol von BBC und ITV erstmals ernsthaft in Bedrängnis345. Grund dafür war das Angebot von »British Satellite Broadcasting« (BSB) an die Football LeagueKlubs, denen der Sender für einen Vertrag über zehn Jahre bis zu 200 Millionen Pfund in Aussicht stellte346. Angestachelt von der neuen Wettbewerbssituation landete die Rundfunkanstalt ITV kurz darauf den nächsten Überraschungscoup: Der Sender wollte sich von der Kooperation mit BBC lösen und die Vormachtstellung auf dem Markt für Fußball-Übertragungsrechte durch einen Exklusivvertrag mit zehn First Division-Klubs347 erlangen348. Dieser Abspaltungsversuch von ITV und den zehn Vereinen bedeutete das Ende der gemeinsamen Verhandlungen von BBC und ITV. BBC tat sich stattdessen mit BSB zusammen und unterbreitete FL und FA ein Angebot über 39 Millionen Pfund für vier Jahre. In der Football League verursachten die Separationsbestrebungen der selbsternannten Elite-Klubs laut Guardian »the biggest crisis in 100 years«349. Während die zehn Klubs mithilfe der TV-Millionen eine eigene Super League gründen wollten, waren die restlichen 82 Klubs der FL entsetzt über diesen Vorstoß und Gordon Taylor, Vorsitzender der PFA , warnte, [w]ithout the FA’s approval of a new organisation, a super league would not be recognised by the game’s world authority, FIFA , or the European governing body, UEFA . Players from the targeted breakaway clubs – 75 per cent of Bobby Robson’s [damaliger Nationaltrainer] current squad would be affected – could not play for
343 David Lacey, Clubs Fight a Losing Battle, in: The Guardian vom 15.2.1985, S. 28. 344 Vgl. Football Set for TV Return, in: The Guardian vom 21.12.1985, S. 1. 345 Vgl. Williams, Entertaining the Nation, S. 219; Giulianotti, Football, S. 91. 346 Vgl. Satellite’s Mouthwatering Dish Set to Tempt the Palate of a Hungry League, in: The Guardian vom 12.5.1988, S. 18; League Chiefs Rub their Hands over a Satellite Future, in: The Guardian vom 13.5.1988, S. 21. 347 Dazu gehörten neben den Big Five (Arsenal, Tottenham Hotspurs, Manchester United, Everton und Liverpool) die Vereine Aston Villa, Nottingham Forest, Sheffield Wednesday, West Ham und Newcastle. 348 Vgl. Russell Thomas, ITV Go Solo to Screen Elite, in: The Guardian vom 28.6.1988, S. 15. 349 Russell Thomas, Taylor Warns of Chaos if Elite Sign ITV Deal, in: The Guardian vom 11.7.1988, S. 13.
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Abb. 10: Von Fernsehanstalten zwischen 1979 und 2004 pro Jahr für die Rechte an Fußballübertragungen in England gezahlte Gelder in Millionen Pfund. Quelle: The Guardian und http://www.bbc.com/sport/0/football/31357409, zuletzt eingesehen am 19.8.2017.
their countries, while the clubs themselves would not be allowed to play in the three European cups […].350
Das Vorhaben der Rebel Clubs konnte jedoch durch eine einstweilige Verfügung des Obersten Gerichtshofs wenige Stunden vor der Unterzeichnung des ITV-Vertrags gestoppt werden351. In der Folge unterbreitete ITV der gesamten FL ein neues Angebot über 44 Millionen Pfund für vier Jahre und BSB zog ihr Angebot mit der Begründung, »that the product was not worth pursing – at this stage – at the price«352 zurück353. Die Erwartungen der First Division-Klubs, die den Hauptanteil der Fernsehgelder für sich beanspruchten, konnten dadurch erfüllt werden, dass ihnen 75 Prozent der TV-Einnahmen zugesichert wurden354. Mit 11 Millionen Pfund jährlich hatte sich der Preis für regelmäßige Fußballübertragungen insgesamt mehr als verdreifacht. Im Vergleich zu dem, was in den 1990er Jahren kommen sollte, handelte es sich dabei jedoch immer noch um eine moderate Preissteigerung (vgl. Abb. 10). Die Unterzeichnung des Vertrages zwischen FL und ITV bedeutete zum einen den Beginn eines beschleunigten Bieterwettbewerbs um Fußball-Übertragungsrechte, in dem sich ein Imagewandel des 350 Zit. n. ebd., S. 13. 351 Das Gericht verlängerte die Frist um eine Woche mit der Begründung, dass das FL Management Committee der Entscheidung zustimmen müsse. Vgl. Russell Thomas, Court Stops Soccer TV Deal, in: The Guardian vom 13.7.1988, S. 20. 352 Russell Thomas, Satellite TV Bid Collapses, in: The Guardian vom 3.8.1988, S. 16. 353 Vgl. Russell Thomas, New ITV Package ›Benefits Everyone‹, in: The Guardian vom 14.7.1988, S. 15. 354 Vgl. Ian Ridley, Top Clubs Settle for 75 Per Cent, in: The Guardian vom 9.8.1988, S. 14.
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Fußballsports zur begehrten Vermarktungsplattform abzeichnete. Zum anderen brach dieser Schritt endgültig die Vorherrschaft des Verhandlungskartells von BBC und ITV im Fußball auf, welches seit den 1950er Jahren den Verhandlungsspielraum für die Fußballverantwortlichen extrem eingeschränkt hatte.
7.3 »Zwei Kanäle – trockengelegt«: ARD, ZDF und der deutsche Fernsehfußball Ebenso wie in England herrschte auch in der Bundesrepublik in der ersten Hälfte der 1980er Jahre die gängige, eher statische Fußball-Fernsehkonstellation vor, die nur moderate Preissteigerungen zuließ. Ein erstes Zeichen dafür, dass sich die Gewichte verschoben, war die Entscheidung des DFB im Jahr 1985, die Übertragungsrechte für Pokal- und Länderspiele an Hans R. Beierlein, den ehemaligen Manager des Schlagerstars Udo Jürgens, zu verkaufen. Beierlein sollte im Auftrag des DFB mit den beiden Fernsehanstalten Verträge aushandeln, und er machte schnell deutlich, dass seiner Ansicht nach die Ware Fußball im Fernsehen viel zu billig angeboten werde: Jeder in den Anstalten weiß, daß das Produkt Fußball bisher unter Wert verkauft wurde. Der Preis ist das Produkt von Angebot und Nachfrage. Die Nachfrage ist, wie Zuschauerzahlen belegen, außerordentlich groß. So sind angemessene Preise für ein attraktives Angebot nichts Obszönes!355
Mit Beierlein betrat die Figur des »Medienhändlers« die Bühne. Mehr als es die DFB -Funktionäre selbst gekonnt hätten, hatte er die Gewinnmaximierung seines Geschäfts im Blick. Beierlein selbst begründete seine Motivation auch damit, dass im Sport »die Fronten so erstarrt« gewesen seien, »wie in keinem anderen Bereich. Und da ein bißchen zur Auflockerung beizutragen, war reizvoll.«356 ARD und ZDF war Beierlein natürlich ein Dorn im Auge, und die Sendeanstalten weigerten sich zunächst, mit ihm zu verhandeln. Letztendlich blieb ihnen jedoch nichts anderes übrig, als Beierlein als »offiziellen Fernsehbeauftragten des Deutschen Fußball-Bundes«357 zu akzeptieren. Zum ersten direkten Bieter-Wettstreit um Fußball-Übertragungsrechte zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern kam es 1986. Der Sender Sat. 1 sicherte sich zunächst die Rechte auf Live-Übertragungen von drei DFB Pokalspielen. Die Zahlungsbereitschaft von Sat. 1 stärkte die Verhandlungsposition der Bundesliga im Fernsehstreit erheblich. Hinsichtlich der von ARD und ZDF im Jahr 1985 gezahlten 10 Millionen Mark für Bundesliga-Übertragungs355 Zit. n. Beierlein, Fußball im Fernsehen bisher zu billig!, in: Westfälische Rundschau vom 20.8.1985. 356 Zit. n. Was können wir vom Sport im Fernsehen erwarten?, in: Sport-Illustrierte 12 (1986). 357 ARD und ZDF akzeptieren Beierlein. Kamera frei für Pokal-, Länderspiele, in: Frankfurter Neue Presse vom 5.10.1985.
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rechte ließ sich Gerhard Mayer-Vorfelder daraufhin sogar dazu hinreißen, zu behaupten, die Summe sei »nicht einmal das Schmerzensgeld für die Kommentare, die wir von den Fernseh-Berichterstattern haben hinnehmen müssen«358 – ein Hinweis darauf, dass viele Bundesligisten nicht nur mit der niedrigen Bezahlung durch die öffentlich rechtlichen Sender unzufrieden waren, sondern auch mit der Art der Berichterstattung. Beierlein beschrieb die Darbietung des Sports im deutschen Fernsehen als »vorsintflutlich«, es seien Übertragungen im Stil der Eiszeit. Die Privaten haben dagegen gezeigt, daß man den Sport lockerer präsentieren, auch die menschliche Seite einbeziehen kann. Man versucht, aus dem Sport Unterhaltung zu machen, die er ja in höchstem Maße ist. Dagegen diese Kühle, diese Geschäftigkeit im Stil, die bei den Öffentlich-Rechtlichen vorkommen, wo man den Eindruck hat, daß hier ein Bundessportwart Ergebnisse bekannt gibt und Emotionen verboten sind…359
Obwohl der Kabelsender Sat. 1 1986 12,5 Millionen Mark für die BundesligaRechte bot und darlegte, dass man den Fußball so präsentieren wolle, »daß der Zuschauer dazu verleitet wird, selber ins Stadion zu gehen«360, entschieden sich die Bundesligisten für das Angebot von ARD und ZDF. »Der Angriff der Privaten« im Kampf um Bundesliga-Übertragungen »wurde durch einen tiefen Griff in die Tasche [durch ARD und ZDF] abgewehrt«361. Neben der Tatsache, dass die öffentlich-rechtlichen Sender zu höheren Zahlungen bereit waren, spielte vor allem die technische Entwicklung eine Rolle für den DFB und die BundesligaVereine. Während viele Zuschauer Angst hatten, sie würden aufgrund der noch nicht weit fortgeschrittenen Verkabelung der Bundesrepublik bald »in die Röhre schauen«362, hegten die Bundesligisten die gegenteilige Befürchtung, Sat. 1 werde über zusätzlich vom Bundespostminister zugesagte Frequenzen in dieser Saison noch solche Reichweiten erhalten, daß der Stadionbesuch beeinträchtigt würde. Außerdem, so die Argumentation, müsse aufgepasst werden, daß der Fußballinteressierte mit Fußball nicht überflutet werde.363
»Die Bundesliga hat auf viel Geld verzichtet, weil sie die Entwicklung in der Medienlandschaft noch abwarten will«, kommentierte der Kicker die Absage an Sat. 1364. 358 Zit. n. Sind 50 Millionen noch zu wenig? Bundesliga-Fernsehstreit spitzt sich zu, in: Hamburger Abendblatt vom 2.2.1986. 359 Zit. n. Was können wir vom Sport im Fernsehen erwarten?, in: Sport-Illustrierte 12 (1986). 360 Zit. n. Viel zu viele Köche… Sat-1-Chef Helmuth Bendt, in: Kicker-Sportmagazin 61 vom 24.7.1986, S. 2. 361 Ein Triumph der etablierten TV-Sender, in: Kicker-Sportmagazin 61 vom 24.7.1986, S. 2. 362 Heinz Wiskow, Fans schauen in die Röhre, in: Kicker-Sportmagazin 10 vom 27.1.1985, S. 55. 363 Rainer Kalb, »Öffentliche Millionen« stoppen Spiel der Woche, in: Kicker-Sportmagazin 61 vom 24.7.1986, S. 3. 364 Ein Triumph der etablierten TV-Sender, in: Kicker-Sportmagazin 61 vom 24.7.1986, S. 2.
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Zwei Jahre später hatte man lange genug abgewartet, und auch die konservativsten Denker der Bundesliga rieben sich angesichts der Summe von 135 Millionen Mark, die das Medienrechte-Unternehmen Ufa, eine Tochterfirma des Bertelsmann-Konzerns, für drei Jahre Bundesliga bezahlen wollte, erstaunt die Augen365. Die Drohungen von ARD und ZDF, dass sie bei einer solch hohen Summe nicht mitmachen würden und es dann womöglich keinen Fußball mehr im öffentlich-rechtlichen TV gebe, verloren angesichts der privaten Konkurrenz an Wirkungsmacht. »Zwei Kanäle – trockengelegt«, titelte die »Süddeutsche Zeitung« im Mai 1988366. Bei ARD und ZDF schien sich nur langsam die Einsicht durchzusetzen, dass sich die Verhältnisse grundlegend gewandelt hatten und die gewohnten Drohmanöver nicht mehr funktionierten. Gerhard Mayer-Vorfelder, der als Präsident des Ligaausschusses die Verhandlungen mit den Fernsehanstalten führte, war der Meinung, die Öffentlich-Rechtlichen müssten endlich zur Kenntnis nehmen, daß sie in der neuen Medienzeit nicht mehr das ius primae noctis haben, also nicht mehr automatisch als erste berichten dürfen. Ich habe in den Verhandlungen mit ARD und ZDF Situationen erlebt, bei denen ich dachte: Das gibt’s doch nicht! Zum Schluß haben sie angeboten, auf einen Teil der Erstrechte zu verzichten. Wohlgemerkt, zu verzichten – auf etwas, was sie gar nicht mehr haben, von dem sie aber der unerschütterlichen Überzeugung sind, daß es ihnen naturgegeben zusteht.367
Der Sender RTL plus war dagegen bereit die hohe Summe zu bezahlen, in der Hoffnung, dadurch die eigenen Anteile am umkämpften Zuschauermarkt im bundesdeutschen Fernsehen ausweiten zu können. So kam es, dass ab Juli 1988 RTL plus mit seiner Sendung »Anpfiff« samstagabends in einem dreistündigen Marathon von der Bundesliga berichtete368. Die Reaktionen auf den Millionendeal zwischen dem DFB und Ufa / RTL plus waren sehr unterschiedlich. Der Deutsche Gewerkschaftsbund warnte den DFB, »die berechtigten Interessen von Millionen Fußballfans nicht mit Füßen zu treten«369. Es handle sich bei dem Verkauf der Übertragungsrechte an die Ufa um 365 Vgl. Die ufa bietet der Bundesliga für einen Dreijahresvertrag 135 Millionen Mark, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18.4.1988. 366 Klaus Brill, Zwei Kanäle – trockengelegt. Bei ARD und ZDF macht man sich mit dem Gedanken bereit, daß die bisherige Bundesliga-Berichterstattung künftig nicht mehr möglich ist, in: Süddeutsche Zeitung vom 18.5.1988. 367 »Die müssen aus dem Schmollwinkel«. SPIEGEL -Interview mit Gerhard Mayer-Vorfelder über die neue Verteilung von Fußball im Fernsehen, in: Der Spiegel 21 vom 23.5.1988, S. 226 f., hier S. 226. 368 Vgl. Rainer Kalb, »Wir brauchen uns nicht zu schämen«. Die Fernsehpremiere bei RTL plus, in: Kicker-Sportmagazin 69 vom 25.7.1988, S. 36. 369 Zit. n. ARD und ZDF drohen abermals mit Verzicht auf Fußball. Nach der Entscheidung der Profivereine für die Verwertungsgesellschaft Ufa, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18.5.1988.
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einen »medienpolitisch sehr bedenklichen Vorgang«, da die Ufa versuche, die öffentlich-rechtlichen Sender finanziell auszubluten370. Auch der Präsident des Deutschen Städtetages und Oberbürgermeister von Hannover, Herbert Schmalstieg, teilte diese Bedenken und verkündete, [z]ur Zeit schießen die Städte jeweils zwischen einer und drei Millionen Mark für die Stadien zu. Wenn große Teile der Bevölkerung von den Fußballübertragungen ausgeschlossen werden, müssen wir über höhere Mieten von den Klubs oder eine Beteiligung an den Mehreinkünften nachdenken […].371
Auf den Entzug von öffentlichen Subventionen für den Fußball hofften wohl auch ARD und ZDF, die in einer Stellungnahme klagten, Fußballübertragungen seien »nunmehr vorrangig zu einer Frage des Geldes geworden. Es wird eine Sache der Städte und Gemeinden sein, daraus ihre Schlußfolgerungen zu ziehen«372. Der DFB konterte in einer eigenen Erklärung, [d]ie massiven Versuche von Anstalten der ARD, durch Einsatz aller ihnen verfügbaren publizistischen Mittel Druck auf den DFB und seine Vereine auszuüben, war bei der Suche nach einer kompromißhaften Lösung nicht hilfreich. Ganz im Gegenteil. Das gleiche gilt auch für die verschiedentlich festzustellenden Versuche, auf politischer oder kommunaler Ebene solchen Druck zu entfalten.373
Um die noch unverkabelten Fernsehzuschauer nicht vom Bundesligageschehen auszuschließen und damit Wasser auf die Mühlen der Kritiker zu gießen, räumte der DFB den öffentlich-rechtlichen Sendern eine Übergangsfrist von einem Jahr ein, in dem diese die Übertragungsrechte wie gewohnt mit dem DFB und nicht mit der Ufa aushandeln konnten374. Mit Blick auf die Auswirkungen auf den Fußball gab Oskar Schmidt von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu bedenken, mit dem Verkauf der Übertragungsrechte an die Ufa sei
370 Zit. n. ebd. 371 Zit. n. Städte drohen mit Entzug von Subventionen. Der Fernsehpoker wird sogar zum Steuerthema, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20.5.1988. Allerdings gab es auch im Städtetag keinen klaren Konsens, wie die Aussagen des Frankfurter Oberbürgermeisters Wolfram Brück zeigen, der es ablehnte, eine Drohkulisse aufzubauen und »Hinweise, wir könnten die Stadionmieten erhöhen oder andere nötigende Eingriffe als völlig unangemessen« ablehnte. Vgl. Bürgermeister Brück verteidigt Fußball-Bund. Diskussion um den neuen Fernsehvertrag, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21.5.1988. 372 Die Stellungnahme von ARD und ZDF, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26.5.1988. 373 »Massiver Druck war nicht hilfreich«. Die DFB -Erklärung im Wortlaut, in: Mannheimer Morgen vom 26.2.1988. 374 Vgl. Brücke gebaut, in: Mannheimer Morgen vom 26.2.1988; Bundesliga-Fußball auch weiterhin bei ARD und ZDF. Die »Sportschau« beginnt demnächst um 18.20 Uhr, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8.6.1988.
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ein langjähriges Schattenboxen voller Drohungen zu Ende, ist der professionelle Fußballsport an einer Wende angelangt – oder gar schon mitten in einem neuen Zeitalter der Kommerzialisierung, das bisher noch als Utopie galt. Jetzt ist früher als erwartet der Doppelpaß zwischen (Privat-)Fernsehen und Wirtschaft in die Wege geleitet, der vielen Fußballmanagern als die künftige Finanzierungsmöglichkeit dieses vielerorts notleidenden Geschäfts gilt. Und das Zuschauen nur noch mit Hilfe von Sponsoren bezahlbar macht – wie bei Placido Domingo oder Michael Jackson?375
Noch härter ging Bianka Schreiber-Rietig von der »Frankfurter Rundschau« mit dem DFB ins Gericht: Verloren hat der DFB nun endgültig seine Glaubwürdigkeit, es ginge ihm um den Sport und um den Fan. Geld und damit Macht sind die einzigen Kriterien, die in der professionellen Kickerlandschaft die Beteiligten auf den Funktionärsstühlen und dem Spielfeld interessieren – mit wenigen Ausnahmen.376
Detlev Ahlers von der Tageszeitung Die Welt feierte dagegen den Fußball als Wegbereiter der Fernsehfreiheit, da das Monopol der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten endlich geknackt sei. Die Sportveranstalter könnten nun auf einem freien Markt den Preis erzielen (…), den ihre Leistung wert ist. Gleichzeitig wird der spektakuläre Schritt die Post und die Kommunen dazu bringen – zwingen –, die Republik zügig zu verkabeln […]. Das heißt, daß ein entscheidender Durchbruch gegen die bisherige De-facto-Blockade der privaten Veranstalter erzielt wird. Und das ist die wichtigste Begleiterscheinung des Fußballstreits.377
Kurz vor dem Start der Bundesliga-Saison 1988/89 stellte die Frankfurter Allgemeine Zeitung verwundert fest, dass der Zuschauer letztendlich der Gewinner des Mediengerangels sei, da dieses »überraschend für Verbesserungen in der Zusammenarbeit zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Veranstaltern gesorgt« habe378. Die Tageszeitung zitierte den Chef der ZDF-»Sportreportage«, Oskar Wark, man habe sich gut zusammengerauft. […] Der Austausch und die gegenseitige Unterstützung im Bereich Technik – gemeinsame Nutzung von Übertragungsleitungen und Austausch von Aufzeichnungen – sollen am Montag noch genauer festgelegt werden. Kooperation ist besser als Konfrontation […]. Wir tragen dem Zuschauer-Interesse Rechnung.379 375 Oskar Schmidt, Jeder ist sich selbst der nächste. »Sportschau« ohne Fußball?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19.4.1988. 376 Bianka Schreiber-Rietig, Das Millionen-Spektakel, in: Frankfurter Rundschau vom 24.5.1988. 377 Detlev Ahlers, Die Rosinen sollen verkabelt werden. Fußball als Wegbereiter für die Fernsehfreiheit, in: Die Welt vom 18.5.1988. 378 Zuschauer als Gewinner des Mediengerangels. ARD, ZDF und RTL -plus schon einig über die Fußball-Übertragungen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18.7.1988. 379 Zit. n. ebd.
Zusammenfassung
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In England wie in Deutschland war spätestens um 1990 der Punkt erreicht, an dem klar war, dass kommerzielle Sender dauerhaft ihren Teil am Zuschauermarkt beanspruchen und umkämpfen würden. Die etablierten Rundfunkanstalten mussten sich, wenn sie nicht immer weiter ins Abseits gedrängt werden wollten, an die neuen Verhältnisse anpassen. Beim Wettbewerb um die Gunst der Fußballzuschauer hieß dies beispielsweise, dass auch die öffentlich-rechtlichen Sender ihre Gebote für Fußballübertragungsrechte drastisch erhöhten, auch wenn in den Jahrzehnten zuvor immer geleugnet worden war, dass man mehr Geld an die Fußballvereine bezahlen könne. Erst jetzt wurde klar, wie groß der Stellenwert des Fußballs für diese Sender tatsächlich war. Inwieweit sich die Ästhetik der Darstellung des Fußballs im Fernsehen durch die kommerziellen Anbieter änderte, wird Thema des vierten Teils sein. An dieser Stelle sei lediglich angemerkt, dass auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten begannen, die »Eventisierungs-«Strategien der neuen, privaten Sender zu kopieren und in ihr eigenes Angebot einzubauen. Für den Fußball waren die stetig steigenden Einnahmen aus dem Verkauf der Fernseh-Übertragungsrechte ein entscheidender Faktor für die Modernisierungen des Spiels in den 1990er Jahren. Ohne die Fernsehgelder und die intensive Nutzung des Fernsehens als Vermarktungsplattform hätte der Fußball keinen derartigen Ökonomisierungsschub erlebt, wie dies seit den 1990er Jahren der Fall gewesen ist. Weder wären ausreichend Gelder zum Um- und Neubau der Stadien (vor allem nach dem »Taylor-Report«) vorhanden gewesen, noch hätten die Vereine die sogenannten »Legionäre« aus dem Ausland zurückkaufen können. Auch hätte das Geld für die Expertise der Berater in Management- und Vermarktungsfragen gefehlt. Nicht zuletzt konnten nur durch ein »werbefreundliches« Fernsehen weitere Sponsoren gewonnen werden, die zusätzliche Gelder in den Fußball investierten.
Zusammenfassung Im Rückblick auf die 1980er Jahre waren viele englische Fußballzuschauer froh, als diese vorüber waren. David Lacey vom Guardian bezeichnete die Dekade als einen Härtetest für den englischen Fußball, der gezeigt habe, football can hold a sizeable audience against a background of shabby stadiums, inadequate facilities, sporadic hooliganism and the disasters of Heysel, Bradford and Hillsborough. The Nineties promise a wider but much more diversified spectator interest as satellite television brings the worlds best players to the armchair viewer.380
Viele Zuschauer verbanden wie Lacey mit dem Anbrechen der 1990er Jahre die Hoffnung, dass es mit dem englischen Fußball nun nur noch besser werden 380 David Lacey, Fans Take Priority – From the Ground up. Soccer into the Nineties, in: The Guardian vom 10.8.1989, S. 16.
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könne. Die Weichen schienen gestellt zu sein: der Hooliganismus sollte durch reine Sitzplatzarenen und weitere Maßnahmen aus den Stadien verbannt werden, die Vereine wurden 1990 wieder zu den internationalen Wettbewerben zugelassen und gegen die wirtschaftlichen Probleme der Klubs winkten die immer höheren Einnahmen aus den Fernsehverhandlungen. Nicht alle Fußballfans waren jedoch glücklich mit diesen Veränderungen. Schon seit Mitte der 1980er Jahre formierte sich eine neue Bewegung kritischer Fans, die auf verschiedenen Kanälen gegen den Verlust der »traditionellen« Fußballkultur protestierte. Da diese Bewegung in den 1990er Jahren ihre Kräfte voll entfaltete, wird sie Thema des letzten Teils sein. Für den englischen wie für den deutschen Fußball waren die 1980er Jahre eine Zeit, in der sich einerseits Krisenentwicklungen verschärften, die zum Teil in den vorherigen Jahrzehnten angelegt waren, wie beispielsweise die Verschuldung der Vereine, die Gewalt- und Sicherheitsproblematik und der Zuschauerschwund, die zum Teil aber auch durch neue Prozesse, wie das Ende des Nachkriegsbooms, verstärkt wurden. Andererseits – und teilweise bedingt durch die Krise – bahnten sich zu selben Zeit gravierende Veränderungen im Fußball an, die vor allem durch das Aufkommen neuer Managertypen und den Eintritt des kommerziellen Fernsehens in den Wettbewerb um Fußballübertragungsrechte verkörpert wurden. Es handelte sich demnach bei den 1980er Jahren nicht um eine reine Krisendekade, sondern um eine Übergangs- bzw. Inkubationszeit, bei der sich ein neues, transnational gültiges Muster der Professionalisierung und Kommerzia lisierung des Fußballs herausbildete. Wurden der englische und deutsche Fußball zuvor mehr oder weniger von den Ereignissen »geworfen«, entwickelte er sich in den 1990er Jahren zum Schrittmacher einer beschleunigten Ökonomisierung im Zeitalter der Globalisierung.
Vierter Teil: Fußballboom und radikale Kommerzialisierung seit den 1990er Jahren
Jahrelang hatten die Fußballer versucht, ihren Sport von unappetitlichem Dreck und Schweiß, proletarischem Stallgeruch und dumpfer Bierseeligkeit [sic] zu befreien. Jetzt blättern sie fasziniert von den Sportseiten weiter zur Kultur und finden immer mehr Beweise für eine ›neue Gesellschaftsfähigkeit des Fußballs‹.1
Das von Uli Hoeneß im Spiegel postulierte Schlagwort von der »neuen Gesellschaftsfähigkeit« des Fußballs in den 1990er Jahren war nicht übertrieben. Viele der bereits in den 1980er Jahren angelegten Entwicklungslinien, wie zum Beispiel der Siegeszug des Privatfernsehens und der Durchbruch marktorientierter Management- und Marketingstrategien im Fußball, gelangten in den 1990er Jahren zur vollen Entfaltung. Nicht nur die Bundesliga erlebte einen Zuschauerboom, auch der englische Fußball erholte sich endlich von den Schwierigkeiten der 1970er und 1980er Jahre und verzeichnete einen kontinuierlichen Anstieg der Zuschauerzahlen2. Während sich die Stadien wieder füllten, verschwanden die Hooligans weitgehend aus den Stadien und der Wahrnehmung der Öffentlichkeit3. Zeitgleich mit den Zuschauern strömte auch immer mehr Geld in den professionellen Vereinsfußball. Die Wirtschaft (»big business«) erobere ein Spiel, das sie zuvor, nach den Ereignissen von Heysel und Hillsborough, »nicht mit der Kneifzange angefasst« hätte, beobachtete David Lacey vom Guardian4. Es kam zu einer Symbiose zwischen Fußball, Medien und Wirtschaft, die die Kommerzialisierung des Spiels erheblich beschleunigte. Dies äußerte sich zum Beispiel in der ästhetisierten medialen Aufmachung des Fußballs, in der gestiegenen Bedeutung von Werbung und Marketing sowie im zunehmenden Einfluss externer Berater aus der Wirtschaft. Neue Entwicklungen trieben den Wandel im Fußball zusätzlich voran. Dazu gehörte zum Beispiel die Gründung der Premier League in England 1992, die als »football’s ›big bang‹ moment«5 bezeichnet wurde, da sie die leistungsstärksten Mannschaften aus der FL herauslöste und unter dem 1 Gigantische Täuschung, in: Der Spiegel 28 vom 11.7.1994, S. 178–185, hier S. 179. 2 Zu den Zuschauerzahlen vgl. Abbildung 5 und Abbildung 9. 3 Die Gewalt verschwand zwar weitgehend aus den Stadien, aber sie löste sich nicht auf. Gewaltbereite Hooligans verabredeten sich nun eher außerhalb der teuren und gut überwachten Stadien. 4 Vgl. David Lacey, A Gold Rush Now, the Frenzy Comes Later, in: The Guardian vom 9.8.1996, S. B5. 5 Jason Rodrigues, Premier League Football at 20: 1992, the Start of a Whole New Ball Game, in: The Guardian vom 2.2.2012.
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Dach der FA zu einer neuen professionell vermarkteten Spitzenliga versammelte. Zudem wurde der gesamte europäische Spielbetrieb durch das sogenannte »Bosman-Urteil« von 1995 revolutioniert, das die Begrenzung ausländischer Spieler auf drei pro Mannschaft aufhob, sodass sich die Teams binnen kurzer Zeit internationalisierten. Sowohl die Umsätze der Vereine als auch die Gehälter der Spitzenspieler vervielfachten sich. Damit weckte insbesondere der englische Fußball, der keinen Regularien unterlag, die eine solche Einflussnahme verhindert hätten, das Interesse von Investoren aus dem Ausland. Die Krise der vorangegangenen Jahrzehnte hatte zwar institutionelle Wider stände gegen die Modernisierung und Kommerzialisierung des Fußballs abgeschliffen, trotzdem lösten diese Entwicklungen nicht überall Freude aus. Graham Taylor, Vorsitzender der PFA sprach schon Ende der 1980er Jahre von einem revolutionären Wandel der Strukturen im Fußball, warnte jedoch, »[w]hen they let the genie out of the bottle (…) they didn’t know what they were letting themselves in for. Now you’ll never have that genie back in the bottle.«6 Der Flaschengeist, der, einmal entwichen, zu einer tödlichen Gefahr für den Fußball werden würde, war in den Augen vieler die ungebremste Kommerzialisierung des Spiels, die jeden Rahmen zu sprengen schien. Es formierte sich eine Bewegung »kritischer« Fußballanhänger, die sich den Protest gegen die Entfremdung und Kommerzialisierung des Spiels auf die Fahnen schrieb und den »authentischen« und »wahren« Fußball verteidigen wollte. Die Ursache für die seit 1988/89 fast jährlich verkündeten Zuschauerrekorde und die »neue Gesellschaftsfähigkeit« des Fußballs lagen nicht nur im verbesserten Unterhaltungsangebot mit modernen Stadien und umjubelten Starspielern oder in der professionalisierten Vermarktung des Spiels, sondern auch darin, dass sich die Identifikationspotenziale für Fußballanhänger und deren Konsummöglichkeiten insgesamt pluralisierten. Der erfolgreiche Unternehmer, der seine Geschäftspartner in der VIP-Lounge empfing, konnte seine Interessen im Fußball nun ebenso verwirklichen wie der kommerzialisierungskritische Fan, der mit Gleichgesinnten gegen den »Ausverkauf des Spiels« demonstrierte. Eingebettet waren die Veränderungen im Fußball in einen weltweiten Prozess der beschleunigten Globalisierung seit den 1990er Jahren. Diese wirkte sich nicht nur auf den Fußball aus, sondern teilweise wurde der Fußball selbst zum Schrittmacher und Sinnbild des jüngsten Globalisierungsschubs.
6 Zit. n. Russell Thomas, Taylor’s Fear of »the Genie« Unleashed by the Premier, in: The Guardian vom 23.9.1992, S. 14.
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1. Globalisierung und das Denkmodell des Neoliberalismus Kein anderer Arbeitsmarkt ist heute so globalisiert wie der Markt für Profi fußballer. Ein nigerianischer oder brasilianischer Fußballspieler kann in Europa leichter einen Job bekommen als ein Chirurg oder Ingenieur7. Es ist kaum vorstellbar, dass Ärzte mit der gleichen Leichtigkeit wie der Inter Mailänder Stürmer Samuel Eto’o von Kamerun nach Spanien oder Italien gehen könnten; oder Ingenieure genauso wie der Topspieler Didier Drogba vom Londoner FC Chelsea von der Elfenbeinküste nach Frankreich und dann England.8
Talentscouts schwärmen mittlerweile in alle Welt aus, um die besten Nachwuchsspieler zu entdecken und mit Verträgen zu ködern. Auch Trainerkarrieren verlaufen – zumindest bei den erfolgreichsten ihrer Zunft – nicht mehr nur im nationalen Rahmen. Das Engagement des Spaniers Josep Guardiola beim FC Bayern München und bei Manchester City, des Deutschen Jürgen Klopp beim FC Liverpool oder des Portugiesen José Mourinho bei Manchester United (nach Tätigkeiten in Portugal, Italien, Spanien und England) zeigt, dass der Wettbewerb um die besten Trainer längst auf internationaler Bühne stattfindet. Ebenso ist bei den Zuschauern eine Internationalisierung zu beobachten. Vereine wie der FC Barcelona, Real Madrid, Manchester United oder Bayern München haben Fans auf der ganzen Welt. Seit die Spiele aus Liga- und internationalen Wettbewerben durch Satellitentechnologie und via Internet an fast jeden Ort der Erde übertragen werden können, ist es für die Vereine ein Leichtes, sich auch im Ausland zu vermarkten und die Fanbasis an weit entfernten Orten auszuweiten. Ein weiteres sichtbares Zeichen der Globalisierung im Fußball ist die Einflussnahme ausländischer Unternehmen und Investoren. Dazu gehören zum Beispiel Werbung und Sponsoring, aber auch die Übernahme einzelner Klubs durch ausländische Unternehmer, wie sie in England seit der Jahrtausendwende zu beobachten ist. Der Begriff der »Globalisierung«, der in den vorangegangenen Beispielen zunächst unhinterfragt verwendet wurde, ist umstritten. Dies liegt zum einen an seiner Deutungsoffenheit und zum anderen daran, dass er teilweise als ideologisch aufgeladener Kampfbegriff gebraucht wird. Dennoch hat sich Globa lisierung mittlerweile als Schlüsselbegriff der Gegenwartsanalyse und Epochenbegriff des ausgehenden 20. Jahrhunderts in den Geistes- und Sozialwissen7 Vgl. Branko Milanovich, Globalisierung im Fußball, in: Epoch Times vom 7.7.2010 (URL : http://www.epochtimes.de/wirtschaft/globalisierung-im-fussball-a595642.html, zuletzt eingesehen am 22.8.2017). 8 Ebd.
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schaften etabliert9. Frühere Globalisierungsschübe berücksichtigend besteht in den Geschichtswissenschaften mittlerweile ein gewisser Konsens, die Phase, die im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts begann, als »zweite« oder »dritte Globa lisierung« zu bezeichnen. Jürgen Osterhammel und Niels Petersson sprechen sich dafür aus, Globa lisierung als den Aufbau, die Verdichtung und die zunehmende Bedeutung weltweiter Vernetzung aufzufassen10. Trotz aller Kontroversen gebe es unter den Autoren zur Globalisierung in drei Bereichen ein gemeinsames Grundverständnis11: Erstens herrsche Einigkeit darüber, dass es sich um einen Prozess handle, in dem die Bedeutung des Nationalstaates in Frage gestellt werde und sich das Machverhältnis zwischen Staaten und Märkten zugunsten letzterer verschöbe. Zweitens gebe es ein allgemeines Einverständnis über kulturelle Auswirkungen von Globalisierung, die sich in einer Gleichzeitigkeit von Homogenisierung und Heterogenisierung (»Glokalisierung«) äußerten. Drittens werde die Globalisierung häufig als grundlegende Veränderung der Kategorien von Raum und Zeit beschrieben, die ihre Ursache vor allem in der erhöhten Geschwindigkeit von Kommunikation habe. Dieser Prozess der globalen Verflechtung erreichte einen ersten Höhepunkt in der Zeit nach 1850 im Gefolge der Industriellen Revolution. Damals lösten technologische Innovationen in Produktion (Maschinisierung, Fabriksystem), Transportwesen (Eisenbahn, Dampfschiff) und Kommunikation (Telegraph, Telefon) sowie länderübergreifende Ordnungssysteme und der starke Einfluss des Wirtschaftsliberalismus als gemeinsamer Leitidee einen globalen Inte grationsschub aus. Mit dem Ersten Weltkrieg gelangte diese später als »erste
9 Vgl. Peter E. Fäßler, Globalisierung. Ein historisches Kompendium, Köln 2007, S. 29. Die definitorischen und theoretischen Unzulänglichkeiten des Begriffs seien zum einen auf die bislang nur teilweise verstandene Komplexität des Problems und zum anderen auf das frühe Forschungsstadium zurückzuführen, so Fäßler. Vgl. ebd., S. 29. Eine umfassende Analyse und Diskussion des Forschungsstands zur Globalisierung soll an dieser Stelle nicht erfolgen, hier sei auf die einschlägige Literatur verwiesen: Vgl. zum Beispiel Jagdish N. Bhagwati, In Defense of Globalization, Oxford, New York 2007; Ulrich Beck, Was ist Globalisierung? Irrtümer des Globalismus, Antworten auf Globalisierung, 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1997; Fäßler, Globalisierung; Barry K. Gills / William R. Thomp son (Hrsg.), Globalization and Global History, Bd. 2, London, New York 2006; David Held / A nthony McGrew (Hrsg.), Globalization Theory. Approaches and Controveries, Cambridge 2007; Anthony G. Hopkins (Hrsg.), Globalization in World History, London 2002; Andrew Jones (Hrsg.), Globalization. Key Thinkers, Cambridge, UK , Malden, MA 2010; Karl Moore / David Lewis (Hrsg.), The Origins of Globalization, Bd. 16, New York 2009; Jürgen Osterhammel / Niels P. Petersson, Geschichte der Globalisierung. Dimensionen, Prozesse, Epochen, 5. Aufl., München 2012; Joseph E. Stiglitz, Globalization and its Discontents, New York 2003. 10 Vgl. Osterhammel / Petersson, Geschichte der Globalisierung, S. 24. 11 Vgl. hierzu und zum Folgenden ebd., S. 11 f.
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Globalisierung« bezeichnete Epoche an ihr Ende und es begann vor allem im ökonomischen Bereich eine Desintegrationsphase12. Als »weltwirtschaftliche Scharnierzeit zur zweiten Globalisierung«13 (Andreas Rödder) können die 1970er Jahre betrachtet werden. Wie bereits in Kapitel 2 des dritten Teils beschrieben, gelten die Ölkrisen und der Zusammenbruch des Währungssystems von Bretton Woods im Jahr 1973 als Symptome für einen strukturellen Wandel, der das Ende des Nachkriegsbooms anzeigte. Die darauf folgenden Entwicklungen, wie die Freigabe der Wechselkurse und die Libera lisierung des Welthandels, gaben den Startschuss für einen weiteren Globali sierungsschub, der dem Prozess der Globalisierung im Vergleich zu vorangegangenen Phasen eine neue Qualität verlieh14. Dafür, dass diese Zeit eine Zäsur für die Geschichte der zweiten Globalisierung gewesen sei, die nicht allein die Fortsetzung der ersten Globalisierung darstelle, spricht sich auch Wirsching aus15: Es habe sich zwar zunächst um die immense quantitative Steigerung bereits bekannter Phänomene gehandelt, wie etwa die Intensivierung internationaler Arbeitsteilung, die Expansion des Welthandels und der Auslandsproduktion, die Ausdehnung der Kapitalinvestitionen und der Finanzmärkte sowie Grenzöffnungen und Migrationsbewegungen. Jedoch konvergierten diese Entwicklungen im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts in einer zuvor ungekannten Dynamik. Die beschleunigenden Faktoren der zweiten Globalisierung können unter den Schlagworten Deregulierung und Digitalisierung zusammengefasst werden16. Die Digitalisierung umfasst das Entstehen neuer Kommunikationstechnologien wie Satellitentechnik und Internet, welche die Kanäle für eine sekundenschnelle globale Zirkulation von Daten bereitstellten. Unter Deregulierung kann man das Einreißen mentaler und institutioneller Barrieren gegen eine Liberalisierung der Weltwirtschaft verstehen. Infolge der schwächelnden Weltwirtschaft in den 1970er Jahren wendeten sich die meisten westlichen Industrienationen, angeführt von den USA und Großbritannien, vom Keynesianismus ab zugunsten einer stärkeren Wettbewerbsorientierung in der Wirtschaft17. Unter dem Begriff »Neoliberalismus« werden seither die Bestrebungen, Eingriffe von Staaten ins Wirtschaftsgeschehen abzubauen und dadurch den freien Wettbewerb in der globalen Marktwirtschaft zu fördern, diskutiert. Zwar setzte diese wirtschaftspolitische Weichenstellung ökonomische Wachstumskräfte frei, die halfen, die Krise der 1970er Jahre zu überwinden, jedoch wurde die Verselbstständigung der Dynamik unterschätzt. Der verschärfte Wettbewerb produzierte – analog 12 13 14 15
Vgl. Fäßler, Globalisierung, S. 51. Andreas Rödder, 21.0. Eine kurze Geschichte der Gegenwart, München 2015, S. 47. Vgl. Fäßler, Globalisierung, S. 155. Vgl. hier und im Folgenden Andreas Wirsching, Der Preis der Freiheit. Geschichte Europas in unserer Zeit, München 2012, S. 227–229. 16 Vgl. im Folgenden Fäßler, Globalisierung, S. 155–160; Rödder, 21.0, S. 47–58; Wirsching, Der Preis der Freiheit, S. 227–229. 17 Anhand von Großbritannien unter Thatcher wurde diese »neoliberale Wende« in Kapitel 2.2 des dritten Teils skizziert.
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zur »Sozialen Frage« der ersten Globalisierung – weltweit neue Verlierer, weshalb der Begriff Neoliberalismus für die Gegner dieses Denkmodells zum Inbegriff für einen rücksichtslosen »Raubtierkapitalismus« wurde. Trotz der negativen Konnotation hat sich der Begriff mittlerweile in der Geschichtswissenschaft etabliert. Andreas Rödder begründete beispielsweise ausführlich, dass am Begriff Neoliberalismus kein Weg vorbeiführe, da es keinen alternativen anschaulichen Begriff gebe, der sich weltweit für eine wachstumsorientierte Ökonomie freier Märkte und geringer Staatsquoten in Zeiten der Globalisierung etabliert habe18. Es sei daher geboten, den Begriff »vom politischen Vorurteil zu lösen und im analytisch-werturteilsfreien Sinne als Bezeichnung einer marktorientierten politischen Ökonomie zu verwenden«19. Wenn die 1970er Jahre als »Scharnierzeit« der Globalisierung betrachtet werden, stellen die 1990er Jahre die take off-Phase dar, in der der zweite Globa lisierungsschub seine volle Geschwindigkeit und Wirksamkeit entfaltete. Zusätz lich zu den bereits genannten Faktoren der Deregulierung und Digitalisierung beschleunigte der Zusammenbruch der sozialistischen Staaten die Ausbreitung der Globalisierungskräfte20. Es öffneten sich nicht nur neue Märkte, sondern mit dem Ende des Kommunismus als konkurrierender ökonomischer Leitvorstellung schien einer Gestaltung der Welt nach liberalen wirtschaftlichen Vorstellungen nichts mehr im Wege zu stehen. Binnen 20 Jahren versechsfachte sich seit 1989 das Welthandelsvolumen und die internationalen Direktinvestitionen stiegen in den 1990er Jahren um durchschnittlich 25 Prozent pro Jahr21. Diese Investitionen, die überwiegend aus den westlichen Ländern in auswärtige Märkte flossen, »wurden zusammen mit der sich ausdehnenden internationalen Finanzwirtschaft zum eigentlichen Motor der Globalisierung«22. Das politisch-ökonomische Modell des Neoliberalismus ging einher mit einem an ökonomischen Prinzipien orientierten Denken, das sich nicht mehr auf die Ökonomie beschränkte, sondern immer weitere Lebensbereiche, wie zum Beispiel Sport und Bildung, erfasste23. Es handelte sich dabei um eine Denkweise, die das freie Walten der Marktkräfte mit Fortschritt gleichsetzte und diese Logik auf sämtliche gesellschaftliche Zusammenhänge ausdehnte. Die »Kultur des
18 Vgl. Rödder, 21.0, S. 54. 19 Ebd., S. 54 f. In diesem Sinne verwendet etwa Philipp Ther den Begriff in seiner umfassenden Studie über die Verbreitung neoliberaler Denkmodelle in Europa nach dem Ende der Sowjetunion. Als ideologische Fixpunkte des Neoliberalismus identifiziert er den Primat der Ökonomie, die grundsätzliche Kritik an staatlicher Intervention und das Menschenbild des Homo oeconomicus. Vgl. Philipp Ther, Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent. Eine Geschichte des neoliberalen Europa, Berlin 2016, S. 25. 20 Vgl. hierzu ebd. 21 Vgl. Rödder, 21.0, S. 55. 22 Wirsching, Der Preis der Freiheit, S. 229. 23 Rödder verwendet hier den Begriff des »marktradikalen Modernisierungsparadigmas«. Vgl. Rödder, 21.0, S. 108 f.
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Unternehmensberaters« (Wirsching) wurde zum Inbegriff dieses marktradikalen Modernisierungsparadigmas24. Die Geschichte des professionellen Vereinsfußballs in England und Deutschland seit den 1990er Jahren kann als Geschichte der zweiten Globalisierung in nuce begriffen werden. Sie ist dies zum einen in dem Sinne, dass sich Entwicklungen der Globalisierung unmittelbar auf den Fußball auswirkten. Dies war zum Beispiel bei der Deregulierung des Rundfunks und der Entstehung neuer Kommunikationstechnologien der Fall. Zum anderen entwickelte der professionelle Fußball jedoch auch eine eigene Dynamik und wurde damit zugleich zu einer Triebkraft der zweiten Globalisierung. Am sichtbarsten ist dies beim liberalisierten Arbeitsmarkt für Profispieler, der im Gegensatz zu den meisten anderen Bereichen und Branchen kaum noch Migrationsbarrieren kennt. Aber auch die Kommerzialisierung bzw. der Durchbruch des marktradikalen Modernisierungsparadigmas hat ein Stadium erreicht, das den Fußballsport – je nach Perspektive – zum nachzuahmenden oder abschreckenden Beispiel für das Überleben im »Turbokapitalismus« macht. Wie mächtig der Fußball mittlerweile als weltweite Vermarktungsplattform ist, zeigen zum Beispiel die Bemühungen bekannter global players wie Coca-Cola, McDonald’s oder Adidas, als Sponsoren von wichtigen Fußballveranstaltungen in Erscheinung zu treten. Die folgenden Kapitel untersuchen den Weg des Fußballs in die zweite Globalisierung. Was waren die Auslöser und Katalysatoren? Welche Akteure spielten eine zentrale Rolle? Worin äußerten sich diese Entwicklungen konkret, und welche Formen des Widerstands tauchten auf?
2. Entwürfe einer neuen Fußball-Zukunft 2.1 Das »Blueprint for the Future of Football« und seine Folgen Im Juni 1991 veröffentlichte die FA ein Strategiepapier, das die radikale Neuausrichtung des englischen Profifußballs ankündigte. Mitgewirkt hatten am »Blueprint for the Future of Football«25 nicht nur Mitglieder der FA , verschiedener Vereine und Wissenschaftler der Universität Loughborough, sondern auch Berater der Unternehmensberatung »KPMG Management Consulting«, des (Wirtschafts-)Prognoseunternehmens »Henley Centre« und der Werbeagentur Saatchi & Saatchi. Der Einfluss der Wirtschaftsberater, die als Sprecher eines neoliberalen Modernisierungsparadigmas fungierten, war in Semantik und Programmatik des Papiers nicht zu übersehen. 24 Vgl. ebd., S. 108; Wirsching, Abschied vom Provisorium, S. 434–444. 25 The Football Association, The Blueprint for the Future of Football, London 1991.
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Ursprünglich habe sich der Fußballsport in England ohne gezielte Planung als Antwort auf die Bedürfnisse lokaler Gemeinwesen entwickelt, so die Einleitung des Textes. Die Zeiten hätten sich jedoch geändert, »television has attracted large numbers of spectators away from club matches to watch football from the relative comfort of their own homes.«26 Die gegenwärtigen Stadien könnten die Ansprüche dieser wählerisch gewordenen Fußballinteressierten nicht mehr befriedigen, »[o]ur football clubs have, therefore, entered an era where change in the quality and probably the nature of their provision for spectators is an imperative«27. Diese Zusammenhänge waren seit den 1970er Jahren immer wieder von den verschiedensten Seiten dargelegt worden und stellten daher keine Neuigkeit dar. Neu war vor allem die systematische Herangehensweise, mit der die FA die Probleme in den Griff bekommen wollte: Es sei nötig, alle Systeme und Prozesse, die die Qualität des englischen Profifußballs beeinflussten, auf ihre Effizienz hin zu untersuchen und, wenn erforderlich, zu verbessern28. Waren bisher die meisten Ratschläge externer Berater verpufft, wie bei den beiden »ChesterReports«, kündigte die FA nun einen radikalen Umbruch an. Der erste Fokus lag in diesem Zusammenhang auf der Analyse des sozialen Kontextes und dessen Auswirkungen auf den englischen Fußball. Die wichtigste gesellschaftliche Entwicklung hinsichtlich der Konsum- und Freizeitgestaltung der 1980er Jahre, führte das Papier aus, sei das kontinuierliche Ansteigen des Durchschnittseinkommens der britischen Bürger gewesen29. Dadurch hätten sich für den einzelnen die Freizeitoptionen vervielfacht, was die Konkurrenzsituation für den Fußball verschärfte. Wichtiger sei jedoch, dass mit dem anwachsenden Wohlstand auch die Qualitätsansprüche der Konsumenten gestiegen seien. Man gehe davon aus, dass sich die »middle-classification« der Gesellschaft fortsetze, während die traditionelle körperliche Arbeit immer weiter erodiere30. Ähnlich wie Glücksspiel und Kneipenbesuche trage der Fußball – obwohl er nicht mehr als ein reiner Arbeitersport gelte – »a social and psychological baggage from a very different era of social stratification and leisure pursuits«31. Der Begriff des »Gepäcks« legt bereits nahe, dass es sich für die Verfasser bei der realen oder symbolischen Nähe des Fußballsports zum Arbeitermilieu vor allem um eine Last handelte, die es abzuwerfen galt. So folgerten sie für die Wahl der zukünftigen Zielgruppe, that hard choices have to be made as to the consumer segment to which the offer is to be targeted, and hence the ingredients of that offer. As implied above, the response of most sectors has been to move upmarket so as to follow the affluent ›middle class‹
26 Ebd., S. 5. 27 Ebd. 28 Vgl. ebd. 29 Vgl. ebd., S. 7. 30 Vgl. ebd., S. 8. 31 Ebd.
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consumer in his or her pursuits and aspirations. We strongly suggest that there is a message in this for football (…).32
Die Nüchternheit und Leichtigkeit, mit der das FA-»Blueprint« empfiehlt, den Ballast der Vergangenheit abzuwerfen und den Mittelklasse-Konsumenten in ein höheres Marktsegment zu folgen, ist überraschend, wenn man bedenkt, wie schwer sich der Verband lange Zeit mit Kommerzialisierungsentwicklungen getan hatte und wie langwierig der Mentalitätswandel der Fußballfunktionäre gewesen war. Es fällt auf, dass die Beziehung zwischen Fußballsport und Zuschauern nun primär als Marktbeziehung gedacht wird, die an den Prinzipien von Angebot und Nachfrage ausgerichtet werden müsse, um funktional (im Sinne von kommerziell erfolgreich) zu sein. Einen weiteren gesellschaftlichen Trend neben der »middle-classification«, der von Bedeutung für die Zielgruppenüberlegungen des Fußballs sei, identifi zierte der Bericht im demographischen Wandel. Da es immer mehr ältere Konsumenten gebe, könne der Fußball nicht mehr nur die Teenager bzw. jungen Erwachsenen ansprechen. From the point of view of spectating, the ageing society reinforces the points made earlier about expectations of quality in service and services. For middle-aged, a significant extra injection of wealth will come through the mechanisms of inheritance, so that they above all others are likely to have the spending power which demands high quality.33
Ein Weg, diesem gestiegenen Qualitätsanspruch gerecht zu werden, sei to formulate out-of-home attractions not as single activities (e.g. ›going to watch a football match‹) but as integrated leisure experiences, combining the central attraction with a far broader package of associated activities such as eating.34
Dieses Modell des »totalen Spektakels« habe sich in den USA bewährt, da es den Stadionbesuch zu einem einzigartigen Erlebnis mache, das sich zu Hause vor dem Fernseher nicht reproduzieren lasse. Es sei darüber hinaus eine wichtige Zukunftsaufgabe des Fußballs, in den 1990er Jahren die Kinder der Baby-Boomer-Generation an sich zu binden, weshalb es mehr Angebote für Kinder und Familien in den Stadien geben müsse35. Außerdem sollten die Klubs die Lage ihrer Stadien in dichtbesiedelten, oftmals heruntergekommenen innerstädtischen Gebieten überdenken. Viele Menschen (der angestrebten Zielgruppe) wohnten ohnehin mittlerweile in den Vorstädten und nähmen in ihrer Freizeit auch weitere Anfahrtswege in Kauf. Da sich lokale Bindungen zunehmend auflösten, sei es eine der größten Herausforderungen, 32 33 34 35
Ebd., S. 8 f. Ebd., S. 10. Ebd., S. 11. Vgl. ebd., S. 12.
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Identifizierungsangebote zu schaffen, die nicht auf der physischen Nähe eines Vereins beruhten36. Die kommerziellen Möglichkeiten des Fußballs seien noch lange nicht ausgeschöpft, auch hier gelte es, eine Strategie zu entwickeln »which seeks to protect and exploit the inherent values of the major properties […]«37. Um den Spagat zwischen »protect« und »exploit« zu meistern, sah das »Blueprint« die Einführung eines Commercial Directors in der FA vor, der sich um die Bereiche Fernsehen, Sponsoring und Licensing / Merchandising kümmern sollte. Vor allem das Fernsehen spiele eine entscheidende Rolle to the realisation of full commercial revenue. The objective of the commercial strategy will be to reconcile the essential television commitments, and growth of commercial involvement, whilst maintaining the integrity of the live event38,
weshalb die Verträge von Experten und nicht wie bisher vom gewöhnlichen FA-Personal ausgehandelt werden sollten. Für großes Aufsehen sorgten darüber hinaus die Pläne der FA , die Vereine der First Division aus der dem Konkurrenzverband FL herauszulösen und eine eigene Premier League zu gründen, die mit der Saison 1992/93 starten sollte. Mit diesem Schritt wollte die FA den seit Jahrzehnten schwelenden Machtkampf zwischen FA und FL beenden, denn »[t]he effect of that lack of unity has been to undermine the Government of the game to the disadvantage of football as a whole, including the Football League«39. Das Ende dieses Machtkampfs durch Gründung einer Premier League unter dem Dach der FA would bring with it the dawn of a new era of progress and development throughout the game. […] The image of the game would improve. Lack of unity tarnishes the image and makes the product less attractive. We have a marvellous product and it deserves to have a marvellous image.40
Darüber hinaus erwarte man sich von diesem Schritt erhebliche »commercial benefits«. Man könne davon ausgehen, dass sich die Einnahmen aus kommerziellen Quellen (Fernsehen, Sponsoring, Merchandising) vervierfachten41. Als Rechtfertigung gegen den bereits antizipierten Einwand, es sei nicht die Aufgabe der FA , eine Premier League zu schaffen, beriefen sich die Verfasser des »Blueprint« auf Deutschland, wo es unter der Leitung des vergleichbaren nationalen Verbands, des DFB, eine Premier League (gemeint ist die Bundesliga) gebe. Es bestehe kein Zweifel, »that such an arrangement has greatly assisted Germany in achieving unprecedented success in European Nations and World 36 Vgl. ebd., S. 13. 37 Ebd., S. 55. 38 Ebd. 39 Ebd., S. 29. 40 Ebd., S. 30. 41 Vgl. ebd.
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Cup Championships«42. Insgesamt bemühte sich die FA , den Eindruck zu erwecken, sie habe den Schritt, die wichtigsten Vereine aus der FL herauszulösen ganz uneigennützig zum allgemeinen Wohle des Fußballs unternommen. Mit Blick auf die langjährige Geschichte des Kompetenzgerangels zwischen FA und FL kann man jedoch davon ausgehen, dass es dem Dachverband vor allem darum ging, die eigene Position zu behaupten. Das »Blueprint« markierte in mehreren Hinsichten eine wichtige Zäsur. Erstens veränderte sich mit dem Beschluss zur Einführung der Premier League das Machtgefüge innerhalb der Fußballinstitutionen. Ohne die Zugpferde der First Division, wie Manchester United oder die Tottenham Hotspurs, verlor die FL nicht nur innerhalb der FA , sondern auch in der öffentlichen Wahrnehmung an Bedeutung43. Die Vereine wiederum, die sich aus der FL herauslösten, gewannen an Macht, da sie nicht mehr von den kleineren Vereinen überstimmt und dadurch »ausgebremst« werden konnten. Vor allem die kommerzielle Autonomie, welche die neue Spitzenliga garantieren sollte, war für die großen Vereine ein wichtiges Argument, sich von der FL abzulösen. Zweitens stellte das Hinzuziehen von externen Beratern aus Ökonomie und Wissenschaft für die FA einen gewaltigen Schritt in Richtung Professionalisierung dar. Zwar hatte man auch zuvor schon zu einzelnen Themen punktuell Berater konsultiert, jedoch war deren Einfluss bei weitem nicht so groß, wie dies nun zu Beginn der 1990er Jahre der Fall war. Auffällig ist dies vor allem in der Marktsemantik des Papiers, das den Zuschauer als Konsumenten und das Fußballspiel als zu verkaufendes Produkt benennt. Wirtschaften ist in dieser Terminologie kein notwendiges Übel mehr, sondern die Gewinnorientierung wird ganz unverblümt als zu verfolgendes Ziel angegeben. Auch in Zeiten verschärften Wettbewerbs sei man nun bereit »the battle for the hearts and minds of the leisure consumers«44 mit den verschiedensten Kampfstrategien aufzunehmen. Vor dem Hintergrund der jahrzehntelangen Veränderungsresistenz der FA , die sich zum Beispiel darin äußerte, dass Professionalisierungsvorschläge regelmäßig zurückgewiesen wurden (so bei den »Chester-Reports« von 1968 und 1983), fällt der Zäsurcharakter des »Blueprint« umso mehr ins Auge. Die radikale Umformung des englischen Fußballs entlang kommerzieller Interessen sollte zeigen, dass es sich bei den Formulierungen des »Blueprint« nicht um bloße Lippenbekenntnisse handelte, die unbedeutende Experten von außen in das Strategiepapier geschrieben hatten, sondern dass das marktradikale Modernisierungsparadigma tatsächlich zum handlungsleitenden Imperativ der FA aufgestiegen war. Drittens bedeutete die bewusste Entschei42 Ebd. 43 Die FA hatte im Frühjahr 1991 ein eigenes Strategiepapier entworfen, in dem sie eine Gleichberechtigung zwischen FL und FA forderte. Vor dem Hintergrund dieser Ambitionen war die Entmachtung durch die FA besonders bitter für den Verband. Vgl. David Lacey, League Hoping FA Will Leave Door Ajar, in: The Guardian vom 5.4.1991, S. 15. 44 Football Association, Blueprint, S. 9.
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dung »to move upmarket« in das Milieu der zahlungskräftigen »middle-class consumers« einen Einschnitt, der zweierlei Konsequenzen mit sich brachte: Zum einen sollten mit einer neuen Vermarktungsstrategie gezielt qualitätsbewusste Kunden angesprochen werden. Auch sollte der Fußball als Gesamterlebnis für die noch weitgehend unerschlossenen Konsumentengruppen der Familien und Frauen attraktiv gemacht werden. Zum anderen nahm man jedoch bewusst in Kauf (»hard choices have to be made«), dass durch diesen Schritt andere, angestammte Zuschauergruppen verprellt bzw. ausgeschlossen werden könnten. Wenn allein effiziente Marktbeziehungen als Handlungsmaßstab zugrunde gelegt werden, ist dies plausibel, jedoch fühlten sich Teile der Fußballwelt, die diesen rapiden mentalen Wandel der FA nicht mitvollzogen hatten, von der neuen Effizienz- und Exklusionsterminologie abgestoßen. In der Öffentlichkeit und bei den betroffenen Akteuren sorgte das »Blueprint« – insbesondere die Pläne zur Gründung einer Premier League – für großen Wirbel. Erste Inhalte sickerten schon im April 1991 – zwei Monate vor der Veröffentlichung – durch, wodurch die bislang nichtsahnenden Akteure der FL in Aufregung versetzt wurden. Bill Fox, der Präsident des Verbands, klagte I am astounded about these proposals (…). We’ve had no time to consider them. The first we knew of them was from the Press. We will fight this all the way. The scheme does not have the best interests of the game at heart. The FA and the clubs involved must know they would be breaking up the Football League to pursue their own ends.45
In einem weiteren Statement bezichtigte Fox die FA der »Entführung« der TopKlubs46, während er einige Tage später wieder gelassen auftrat und versicherte, [w]e already have a Super League in existence, anyway. It is called the First Division and it will be in place in the years to come. There were attempts at forming a breakaway league in 1986 and 1988 and they came to nothing. There is no guarantee this will be any different.47
Von einer Präsentation der Premier League-Pläne vor den potenziellen Klubs durch die FA wurde die FL ausgeschlossen. Die Presse berichtete, dass die Klubs begeistert gewesen seien von den Möglichkeiten der Vermarktung und Beteiligung an Fernseheinnahmen. »Another carrot dangled was that Premier League revenue would stay in that league rather than being filtered down to the clubs’ lower brethren.«48 David Dein, Vize-Präsident von Arsenal, schwärmte, die Premier League könne »the flagship of English football« werden und »maximise 45 Zit. n. Super Storm Brewing, in: The Guardian vom 8.4.1991, S. 13. 46 Russell Thomas, FA Accused of Hijacking Top Clubs for Superleague, in: The Guardian vom 9.4.1991, S. 1. 47 Zit. n. Sandford to Probe Premier Plans, in: The Guardian vom 12.4.1991, S. 16. 48 Russell Thomas, League Appeal for Premier Summit, in: The Guardian vom 9.5.1991, S. 16.
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commercial revenue which can be ploughed back into the game to upgrade the facilities for the supporters«49. Colin Hutchinson, Manager bei Chelsea, befürchtete hingegen trotz seines großen Interesses an dem Plan, es könne sich auch innerhalb der neuen Superliga eine Elite in der Elite bilden, die den Großteil der TV-Gelder an sich reiße und die Liga finanziell und sportlich dominiere50. Die Verantwortlichen der FL gerieten angesichts des immer wahrscheinlicheren Austritts der First Division-Klubs außer sich vor Wut. Der Vorsitzende der FL , Arthur Sandford, bezeichnete das Verhalten der FA als »unfair, unethical, un-British and unworthy«51 sowie als »an elitist and undemocratic approach to the issues facing the future of football«52. Der Plan der FA riskiere es, einhundert Jahre Bemühungen »not for a dream but an illusion« zu zerstören53. Die FL drohte daraufhin den austrittswilligen Klubs mit millionenschweren Strafen, da die Regularien der FL eine dreijährige Kündigungsfrist vorsähen54. Unterstützt sah die FL ihre Position durch eine Studie der Beratungsfirma »Touche Ross«, die darlegte, dass die Gründung einer unabhängigen Premier League für mehr als die Hälfte der verbliebenen Klubs der Second, Third und Fourth Division den Ruin bedeuten würde55. Zur Debatte stand das Prinzip der Solidarität innerhalb des Ligasystems, in dem die kleineren Vereine aus den Einnahmen der größeren Vereine subventioniert wurden. Ob aus Solidaritätsgefühl oder aus Angst vor den Konsequenzen eines möglichen eigenen Abstiegs aus der neuen Spitzenliga, einigten sich die Top-Klubs darauf, der Premier League grundsätzlich zuzustimmen, jedoch unter der Bedingung, dass den verbliebenen Klubs der unteren Ligen weiterhin finanzielle Unterstützung zugesichert würde56. Die Höhe dieser Entschädigung war daraufhin Auslöser für weitere Konflikte zwischen FL und FA . Während die Vereine der FL einen Vertrag anstrebten, der jährlich eine Million Pfund von den Premier League-Klubs und fünf Millionen Pfund von der FA für die Dauer von zehn Jahren vorsah, wollte die FA maximal zwei Millionen Pfund jährlich für einen Fünfjahres-Vertrag zahlen. Als die Verhandlungen allzu sehr ins Stocken gerieten, drohte Bert Millichip, Vorsitzender der FA , in einem achtseitigen Pamphlet, das an alle Vereine gesendet wurde, die gesamte laufende Fußballsaison abzubrechen, Klubs vom FA-Cup und von europäischen Wettbewerben auszuschließen und Spieler an der Teilnahme an Spielen
49 Zit. n. David Lacey, Title Race Is Over But Cash Dash Has Just Begun, in: The Guardian vom 11.5.1991, S. 20. 50 Vgl. ebd. 51 Zit. n. Russell Thomas, League Condemn ›Unworthy‹ FA , in: The Guardian vom 11.5.1991, S. 20. 52 Zit. n. David Lacey, FA Seeks a High Court Judgement, in: The Guardian vom 13.6.1991, S. 16. 53 Zit. n. Russell, League Condemn, S. 20. 54 Vgl. Neil Robinson, League Threatens Clubs, in: The Guardian vom 10.5.1991, S. 16. 55 Vgl. Lacey, FA Seeks, S. 16. 56 Vgl. David Lacey, Top Clubs Back Premier League, in: The Guardian vom 14.6.1991, S. 14.
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der englischen Nationalmannschaft zu hindern57. Die Klubs der FL stimmten dem Angebot der FA letztendlich zu, weil sie keine Chance sahen, ein besseres Ergebnis zu erreichen und sich nicht in der Lage wähnten, einen teuren Rechtsstreit mit der FA führen zu können58. Man hielt sich vor allem an dem Erfolg fest, dass die Regelung durchgesetzt werden konnte, der zufolge es am Ende jeder Saison drei Absteiger und drei Aufsteiger geben müsse, wodurch eine gewisse Durchlässigkeit der Premier League in die unteren Ligen erreicht wurde. Am 23. September 1991 wurde in einer außerordentlichen Hauptversammlung der FL -Klubs schließlich durch eine Abstimmung der Weg für die Abspaltung der Top-Klubs zur Premier League freigemacht59. Dein von Arsenal sah »a historic day for football« gekommen und ergänzte, dass »the evolution and management of the game have been in neutral for the last 100 years but today’s decision has sent it into overdrive which should reward all clubs, large or small«60. In der Tat sollte die Entwicklung des Spiels in England eine präzedenzlose Beschleunigung erfahren; ob davon alle Vereine profitierten, sei jedoch dahingestellt. David Lacey vom Guardian beurteilte die Auswirkungen des »Blueprint« kritisch. »Yet it is hard to avoid the feeling«, so Lacey, that something precious within the English game is about to be swept away by a commercial undertow which may enrich a handful of clubs but could impoverish the outlook of football as a whole61 .
Lacey war nicht der einige Bedenkenträger in dieser Angelegenheit. »When Saturday Comes« (WSC), das beliebteste Fanzine der damaligen Zeit, veröffentlichte mehrere Artikel, die sich kritisch mit den Plänen der FA auseinandersetzten. Ein Autor, der unter dem Pseudonym »Adam Smith« publizierte, zeigte sich vor allem entsetzt über die sozialen Implikationen des »Blueprint«. Die vom Autor sarkastisch zusammengefasste, unausgesprochene Konklusion des Papiers sei [as] the less well-off are either declining in numbers or getting even poorer, if money’s what turns you on, aim high. Forget about the role of football as a community; lets have super clubs by motorway junctions designed for people with money to burn.62
Die vielbeschworenen Mittelklasse-Konsumenten seien kaum die Fans kleinerer Provinzvereine wie Hartlepool oder Wrexham. »If football doesn’t need the 57 Vgl. David Lacey, FA Threat to Close Clubs, in: The Guardian vom 19.9.1991, S. 17. 58 Vgl. Premier League Saga Decision Due on War or Peace, in: The Guardian vom 23.9.1991, S. 14. 59 Vgl. David Lacey, Clubs Vote to Dismantle Last Premier League Obstacle, in: The Guardian vom 24.9.1991, S. 14. 60 Zit. n. ebd. 61 David Lacey, Few Looking Forward to Commercial Break, in: The Guardian vom 13.8.1991, S. 14. 62 »Adam Smith«, The FA Are Trying to Separate Their ABCs from Their Ds and Es. A LongDead Economist Explains Why…, in: When Saturday Comes 54 vom August 1991, S. 7.
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supporters of lesser clubs«, folgert »Smith«, »then it’s not going to need the clubs at all – at least that seems to be the Blueprint’s thinking«63. Daher sei es nur folgerichtig, dass die FA die kleineren Vereine dem Bankrott in der Reste-Liga überlasse. Insgesamt signalisiere das »Blueprint« a deliberate move towards not only attracting the middle-classes, but towards abandoning the lower classes. Am I wrong to think that the Blueprint’s authors see such tactics as the way to bring in that extra cash in the long term? Well, I admit it’s perfectly possible.64
John Williams und Rogan Taylor vom Sir Norman Chester Centre For Football Research kritisierten in derselben Zeitung die widersprüchlichen Aussagen des »Blueprint«. Das SNCCFR sei für Kapitel 3 über die Fußballzuschauer verantwortlich gewesen, während das Kapitel 2 zum sozialen Kontext vom Henley Centre for Forecasting verfasst worden sei. »We warn against pricing poor, committed fans out of football’s new future«, beschwerten sich die beiden Autoren, »while chapter 2 recommends targeting the middle aged with ›spending power‹«65. Es sei ein Fehler der FA gewesen, keine Repräsentanten von FanOrganisationen hinzuzuziehen und die Mitarbeiter des SNCCFR »don’t support much of the FA’s vision of the ›new future‹«66. Der Historiker Matthew Taylor beurteilte die Gründung der Premier League in Folge des »Blueprint« als »administrative revolution«67. Diese sei an important step in this free-market approach to football, but it was not to be its culmination. In the course of the 1990s the new league was to become the vehicle for a more profound and far-reaching transformation in the consumption of football and its broader cultural profile.68
Mit dem »free-market approach« bezog sich Taylor auf die Analysen von Anthony King, der drei Denkfiguren eines marktliberalen Denkens im Fußball herausgearbeitet hatte, das sich nach dem »Taylor-Report« durchzusetzen begann69: Erstens seien die Klubs den Marktkräften ausgesetzt worden, »and those which were incapable of sustaining themselves on their own merits should be allowed to go out of business«70. Zweitens seien die Managementpraktiken innerhalb der Vereine professionalisiert worden, indem sie sich an »gewöhnlichen« Wirtschaftsunternehmen orientierten. Drittens sei das Verhältnis zwischen Klubs 63 Ebd. 64 Ebd. 65 John Williams / Rogan Taylor, Chester Minute, in: When Saturday Comes 55 vom September 1991, S. 7. 66 Ebd. 67 Taylor, The Association Game, S. 344. 68 Ebd., S. 345. 69 Vgl. King, The End of the Terraces, S. 88–96. 70 Ebd., S. 89.
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und Zuschauern neu definiert worden, indem die Zuschauer zu umworbenen Konsumenten auf dem Freizeitmarkt umgedeutet worden seien. Während sich die zweite und dritte Denkfigur eindeutig im »Blueprint« wiederfinden lassen, lässt sich dies für die Bereitschaft, das Verschwinden wirtschaftlich nicht konkurrenzfähiger Klubs in Kauf zu nehmen, zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestätigen. Nichtsdestoweniger war ein Konzentrationsprozess, bei dem die größeren Klubs immer größer und die kleineren Klubs eher kleiner wurden oder ganz verschwanden, die langfristige Folge der im »Blueprint« eingeleiteten Veränderungen.
2.2 Vorbote einer Strategiewende? Die Situatonsanalyse des DFB-Ligaausschusses Auch der deutsche Fußball schlug in den 1990er Jahren den Weg in eine verstärkte Professionalisierung und Kommerzialisierung ein – wenngleich diese Entwicklung nicht wie in England mit einem Paukenschlag eingeleitet wurde. Die Marschrichtung gab die zweite Situationsanalyse des Ligaausschusses aus dem Jahr 1989 vor71. Der Fußball sehe sich durch das veränderte Verbraucherverhalten, die Freizeitangebote und sich darüber hinaus bietende Unterhaltungsformen einem stärkeren Konkurrenzdruck ausgesetzt und sei aufgerufen, Maßnahmen zu ergreifen, »die darauf abzielen einen attraktiven und an den Bedürfnissen des Zuschauers orientierten Wettbewerb zu bieten«72, postulierte das Strategiepapier. Da der Fußball nicht nur für den Stadionbesucher »gemacht« werde, sondern »vielfältig aufbereitet und in partnerschaftlicher Beziehung zur Wirtschaft« gebracht werde, sei es »unbedingt erforderlich, daß die Führungskräfte der Lizenzvereine und die Aktiven sehr bald daran gehen, das Image des Fußballs verbessern zu helfen.73. Wolle der Lizenzfußball ein zuverlässiger Partner der Wirtschaft sein oder bleiben, muß mit der Partnerschaft, die auf Sportwerbung setzt, auch ein Imagetransfer verbunden sein. […] Im Grunde genommen dürften alle Meinungsbilder im Lizenzfußball über den Fußball nur positiv sprechen.74
Ebenso wie das FA-»Blueprint« war die Situationsanalyse unübersehbar von einer Semantik durchzogen, die eine gewinnorientierte Ausrichtung des professionellen Fußballs forderte. Um Erträge zu steigern, sollte eine konzertierte Marketingstrategie in Stellung gebracht werden. »Marketing, vom Markt her gedacht«, so das Papier, »heißt, dort [bei den Vereinen] vorhandene Akzeptanzen 71 72 73 74
Vgl. zur ersten Situationsanalyse Kapitel 5.1 im dritten Teil. DFB -Ligaausschuss, Situationsanalyse Lizenzfußball 1989, S. 12. Ebd., S. 39. Ebd., S. 40.
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wirtschaftlich auf der Basis einheitlichen Handelns umzusetzen und zu nutzen, auch in der Absicht eine Imageverbesserung zu erreichen«75. Die gemeinsame Marketingstrategie sollte die Bereiche Fernsehberichterstattung, Wettbewerbsvermarktung, Bandenwerbung, Trikotwerbung und Merchandising umfassen und auch ein gemeinsames Logo sowie eine Erkennungsmelodie umfassen76. Insgesamt müsse die Bundesliga als eine unternehmerische Einheit angesehen werden77. Dringend notwendig sei daher eine Stärkung des Zusammengehörigkeitsbewußtseins über eine andere Organisationsform des bezahlten Fußballs. Dem Lizenzfußball muß mehr Selbstverantwortung übertragen werden. Er muß seine ihn betreffenden Fragen selbst regeln können.78
Der Ligaausschuss kritisierte, dass der engen Anbindung an den DFB kein eigener Verband der Lizenzvereine gegenüberstand, sodass in den Augen des Profifußballs zu viele Entscheidungen von Amateuren dominiert werden konnten. Die Diskussion um eine eigene Organisation der Bundesligavereine sollte jedoch erst im Jahr 2000 im Rahmen einer großen Strukturreform zugunsten des professionellen Fußballs entschieden werden. Ein weiteres Feld, auf dem der Ligaausschuss 1989 Reformbedarf sah, war die Struktur der Vereine. Diese sei »der Hauptgrund für das unzureichende Image des Lizenzfußballs«, da es »keine personelle Kontinuität und kein professionelles Management« gebe79. Empfohlen wurde, Wahlgremien zwischen Mitgliederversammlung und Geschäftsführung der Vereine einzusetzen, um die Führungsstrukturen »professioneller und ohne direkte Einflußnahme der Mitgliederversammlung gestalten zu können«80. Die Situationsanalyse des Ligaausschusses stellte kein bahnbrechendes handlungsleitendes Programm wie das englische »Blueprint« dar. Es handelte sich vielmehr um Vorschläge und Wünsche, um die in den folgenden Jahren gerun gen werden sollte81. Dennoch definierte das Papier wichtige Reformfelder, die denen in England ähnelten und auf denen sich der nachhaltige Wandel des professionellen Fußballs in Deutschland im Laufe der 1990er Jahre vollzog. Das erste Feld betraf die Kommerzialisierung des Spiels durch eine professionelle Selbstvermarktung. Nicht das Thema war neu, sondern die Unbedingtheit, mit der die Vereine dazu aufgefordert wurden, Vermarktungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Zweitens wurde der Ruf nach einer Strukturreform innerhalb des DFB immer lauter. Diese sollte den Profivereinen ein größeres Gewicht gegenüber 75 Ebd., S. 42. 76 Vgl. ebd., S. 42 f. 77 Vgl. ebd., S. 45. 78 Ebd., S. 48. 79 Ebd., S. 50. 80 Ebd. 81 Zudem wurde die Situationsanalyse nicht öffentlich publiziert, sondern nur innerhalb der Bundesligisten zugänglich gemacht und diskutiert. Eine öffentliche Debatte blieb daher aus.
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den Amateuren im Dachverband verschaffen. Der Wunsch nach mehr Autonomie für die Bundesligavereine resultierte – ebenso wie in England – aus der Tatsache, dass die Klubs in Zeiten explodierender Fernseheinnahmen an Geltung gewannen, sich in ihrem Gestaltungsspielraum jedoch durch verkrustete Verbandsstrukturen eingeschränkt sahen und den Vorwurf erhoben, zu viel der von ihnen erwirtschafteten Einnahmen an andere abgeben zu müssen. Das dritte Feld bezog sich auf Strukturreformen innerhalb der Vereine. Gefordert wurde eine Professionalisierung des Personals bei gleichzeitiger Entmachtung der Mitgliederversammlungen, was die Verschiebung vom Ideal des »Vereins« hin zum »Unternehmen« bedeutete.
3. »Brandbeschleuniger«: Fernsehentwicklung und Bosman-Urteil Gleichzeitig mit den institutionellen Weichenstellungen wirkten vor allem zwei Entwicklungen als »Brandbeschleuniger« der Fußball-Revolution in England und Deutschland: Zum einen führte der aggressive Preiskampf der Fernsehanstalten dazu, dass immense Gelder in den Fußballsport gespült wurden, was die kommerzielle Neuausrichtung vorantrieb und auch die Ästhetik des Spiels auf dem Bildschirm nachhaltig veränderte. Zum anderen öffnete das sogenannte »Bosman-Urteil« 1995 den Markt für internationale Spieler. Durch den plötzlich massiv verschärften Wettbewerb um die besten Fußballer stiegen die Personalkosten der Vereine in schwindelerregende Höhen und die Vermarktungs maschinerie rund um die Fußball-Superstars lief zu Höchstleistungen auf, um ihre Spieler als Markenartikel gewinnbringend zu bewerben.
3.1 Eine neue Ära des Fernseh-Fußballs »Der Kampf um Spiele und Einschaltquoten geht weiter – vielleicht geht er erst jetzt richtig los«82, mutmaßte der Kicker 1990 und sollte damit Recht behalten. Die 1988 geschlossenen Fernsehverträge der Fußballinstitutionen mit Ufa / Sat. 1 in Deutschland und mit ITV in England waren erst der Vorgeschmack auf die Eskalation des Preiskampfes um Fußball-Übertragungsrechte, die in den 1990er Jahren stattfand. In beiden Ländern kletterten die von den Sendeanstalten an die Fußballvereine gezahlten Summen im Laufe der Dekade auf ein Vielfaches dessen, was noch Ende der 1980er Jahre als »astronomisch« gegolten hatte. Das
82 Fußball im TV, Der Kampf geht weiter, in: Kicker-Sportmagazin vom 22.2.1990, S. 2 f., hier S. 3.
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Jahr 1992 markierte in diesem Zusammenhang den endgültigen Durchbruch der kommerziellen Anbieter. In Deutschland hatte der DFB bereits 1991 die Übertragungsrechte, die vormals an die Ufa gegangen waren, abermals an einen kommerziellen Rechteverwerter verkauft. Die »Internationale Sportrechte-Verwertungsgesellschaft mbH« (ISPR) erwarb für ca. 650 Millionen Mark die exklusiven Verwertungsund Vermarktungsrechte an der Bundesliga für fünf Jahre. Inhaber der ISPR waren der Filmgroßhändler Leo Kirch sowie der Springer Verlag, die zugleich als Gesellschafter beim Privatsender Sat. 1 fungierten83. Den Zuschlag für die Bundesliga-Übertragung bekam dementsprechend ab der Saison 1992/93 Sat. 1, das sich die Erstverwertungsrechte nicht wie zuvor RTL plus mit der ARD teilen wollte, sondern Exklusivität beanspruchte. Die Sendung »Anpfiff« von RTL plus hatte stets darunter gelitten, dass sie fast zeitgleich mit der ARD -»Sportschau« ausgestrahlt wurde. Während sich die Zuschauerzahlen von »Anpfiff« bei etwa einer Million einpendelte, mobilisierte die »Sportschau« regelmäßig eine feste Sehergemeinde in zehnfacher Höhe84. Um das Werbegeschäft lukrativ zu machen, brauchte Sat. 1 nun eine Sendung, die samstags als erste und einzige vom Geschehen der Bundesliga berichtete. Mit dem wenig bescheidenen Postulat einer »Revolution in der Bundesliga«85 ging am 14. August 1992 das Format »ran« auf Sendung. Im Gegensatz zu »Anpfiff« war »ran« ein kommerzieller Erfolg – die Sendung hatte mehr als zehn Jahre Bestand und konnte die »Sportschau« zeitweilig vom Thron der Zuschauergunst stoßen. Der Preis für diesen Triumph war jedoch hoch: Durch den verbissenen Bieterwettkampf hatten sich zwischen 1988 und 1998 die Kosten für Fußball-Übertragungsrechte mehr als versechsfacht (vgl. Abb. 11). Eine vergleichbare Entwicklung war im selben Zeitraum in England zu beobachten. 1992 gelang es dem Satellitensender BSkyB, die exklusiven Übertragungsrechte für die neu gegründete Premier League zu ersteigern. Während sich die Fußballoberen in den 1980er Jahren noch mit BBC und ITV um Beträge zwischen zwei und vier Millionen Pfund pro Saison gestritten hatten und die etwa zwölf Millionen Pfund jährlich von ITV seit 1988 als großer Erfolg galten, investierte BSkyB nun die zuvor unvorstellbare Summe von rund 192 Millionen Pfund für fünf Jahre86. Wie in Deutschland war dies jedoch nur der Anfang einer Entwicklung, die die Preise für Fußballübertragungen binnen kurzer Zeit 83 Vgl. Michael Pfeifer, Fernsehen: Bundesliga auf dem Transfermarkt. Heiße Phase des Pokers um Übertragungsrechte – SAT 1 drängt Sportschau aus der ersten Reihe, in: Kicker-Sportmagazin 23 vom 19.3.1992, S. 10. 84 Vgl. Hans-Dieter Barthel, Abpfiff für den Anpfiff, in: Kicker-Sportmagazin, 34 vom 23.4.1990, S. 76 f., hier S. 76. 85 So der Titel einer Sat 1-Werbeanzeige für die Sendung »ran« im Kicker-Sportmagazin vom 10.8.1992, S. 27. 86 BSkyB einigte sich mit der BBC auf ein Gesamtpaket, bei dem die BBC das Recht auf die Übertragung von einzelnen Spielausschnitten für ihre neu aufgelegte Sendung »Match of the Day« bekam. Vgl. Boyle / Haynes, Football in the New Media, S. 21.
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350 300 250 200 150 100 50
65 / 66 66 / 67 67 / 68 68 / 69 69 /7 70 0 / 71 71 / 72 72 / 73 73 / 74 74 / 75 75 / 76 76 / 77 77 / 78 78 / 79 79 / 80 80 / 81 81 / 82 82 / 83 83 /8 84 4 / 85 85 / 86 86 / 87 87 / 88 88 / 89 89 / 90 90 / 91 91 /9 92 2 / 93 93 / 94 94 / 95 95 / 96 96 / 97 97 / 98 98 /9 9
0
Abb. 11: Preisentwicklung der Übertragungsrechte in Deutschland, 1965–1999. Von Fernsehanstalten zwischen 1965 und 1999 pro Jahr für die Rechte an Fußballübertragungen in Deutschland gezahlte Gelder in Millionen Mark. Quelle: Kicker-Sportmagazin vom 18.1.1999 und 17.8.1999.
emporschnellen ließ. In der nächsten Verhandlungsrunde 1996 hatten sich die Preise bereits mehr als verdreifacht, als BSkyB, den Zuschlag für 670 Millionen Pfund für vier Jahre bekam87. Die permanent steigenden Gelder aus Fernsehrechten bedeuteten für den professionellen Fußball zuallererst einen enormen ökonomischen Schub. Schon lange war klar gewesen, dass die Vereine zusätzliche Einnahmequellen neben dem Ticketverkauf erschließen mussten, wenn sie wirtschaftlich überleben bzw. auf dem Freizeitmarkt konkurrenzfähig bleiben wollten. Die Fernsehgelder eröffneten in diesem Zusammenhang völlig neue Möglichkeiten. Vor allem für die hoch verschuldeten englischen Vereine, die im Gegensatz zu ihren deutschen Pendants keine Unterstützung aus öffentlicher Hand bekamen und nach den Bestimmungen des »Taylor-Reports« ihre Stadien in all-seater-stadia umrüsten mussten, kamen die TV-Gelder genau zur richtigen Stunde. Mit den neuen Fernsehverträgen stieg jedoch nicht nur der Wert des Fußballs für das Fernsehen, sondern auch der Wert des Spiels für die werbende Wirtschaft. Die Konfliktlinien zwischen Fußball, Fernsehen und Werbung lösten sich mit dem Durchbruch des kommerziellen Fernsehens auf einen Schlag auf. Werbung wurde von den privaten Sendern nicht nur geduldet, sondern war zur Refinanzierung der eigenen Kosten explizit erwünscht. Die Werbenden mussten also nicht mehr
87 Vgl. John Duncan / A ndrew Culf, Sky Wins Football Rights for £ 670 m, in: The Guardian vom 7.6.1996, S. 1 und Abbildung 10.
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befürchten, von den Sendeanstalten aus dem Bild herausgeschnitten zu werden oder durch einen Sendeboykott gar überhaupt nicht auf dem Bildschirm zu erscheinen, wie ihnen dies teilweise bis in die 1980er Jahre hinein drohte. Durch den größeren Raum, der der Wirtschaft im Fernsehfußball eingeräumt wurde, und aufgrund der nicht nachlassenden Popularität des Spiels in der Gesellschaft, wurde das »Produkt« Fußball immer attraktiver für Sponsoren und Werbetreibende, sodass das kommerzielle Fernsehen zugleich einen Werbe-Boom im englischen und deutschen Fußball initiierte, der zusätzliche Gelder in die Kassen der Klubs spülte88. Ohne die Finanzspritzen des Fernsehens, und daraus resultierend die rasant steigenden Werbegelder, hätte die Umstrukturierung des Fußballs in den 1990er Jahren – aller »Blueprints« und Situationsanalysen zum Trotz – sicherlich nicht in der vorliegenden Geschwindigkeit stattfinden können89. Das kommerzielle Fernsehen beeinflusste jedoch nicht nur die Strukturen des professionellen Fußballs in England und Deutschland, sondern veränderte auch dessen Ästhetik und Vermarktung. Raymond Boyle und Richard Haynes analysierten für Großbritannien, dass BSkyB brought aspects of both American and Australian televisual coverage of sports to the UK . They laid down a template for the way that television would cover the game in the 1990s that would be copied, if not quite emulated, by all its terrestrial rivals.90
»If football is your religion, here is were you can worship«91, kündigte BSkyB 1991 in einer Werbeanzeige seinen programmatischen Anspruch an. Fußballsendungen bei BSkyB wurden mit einem Gottesdienst verglichen, bei dem man der »Religion« des runden Leders und seiner Heiligen huldigen könne. Nicht Informationen und ausgewogene Berichterstattung sollten die Zuschauer vor den Bildschirm locken, sondern Emotionen, Helden, Dramen. Der Sender versprach »A Whole New Ball Game … a bold new commitment to 22 clubs … a bold new look for football«92. Man habe sich an einen Sender gebunden, so der begeisterte Geschäftsführer der Premier League, Rick Parry, »committed to (…) creating a new audience and a new generation of fans«93. Die Voraussetzung dafür, dass man am »whole new ball game« in Form von Live-Übertragungen am Sonntag und Montag, eines eigenen Sport-Kanals sowie einer sonntäglichen über fünf Stunden ausgedehnten Fußballshow teilhaben konnte, war der Erwerb
88 Vgl. Kapitel 5. 89 Umgekehrt war jedoch der programmatische Wandel in den Vereinen und Verbänden auch eine Ursache für die Bereitschaft der Sender, so viel Geld auszugeben. 90 Boyle / Haynes, Football in the New Media, S. 21. 91 Werbeanzeige von Sky im Guardian vom 22.10.1991, S. 6. 92 Zit. n. David Lacey, Sky Go Two-Up With Sponsors, in: The Guardian vom 12.8.1992, S. 13. 93 Zit. n. Georgina Henry, BSkyB Dishes Up a New Ball Game in Fight for Soccer, in: The Guardian vom 12.8.1992, S. 3.
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eines Satellitenempfängers zum Preis von 200 Pfund und die Entrichtung einer monatlichen Gebühr94. Weniger sakral als BSkyB, aber dafür ebenso pathetisch kündigte Sat. 1 seine »Bundesliga-Revolution« an: »Die alte Bundesliga ist tot – es lebe ›ran‹ Sat. 1-Fußball! Mehr Kameras, Super-Slow-Motion und fliegende Kamera für alle. Mehr Fußball pro Auge.«95 Axel Mayer-Wölden, der damalige Sportrechte-Makler von ISPR , hatte schon 1991 angekündigt, »den Fußball besser darzustellen und zu vermarkten«, als dies zuvor der Fall war96. Künftig solle wie in Italien über den Fußball mit einer redaktionell besseren Umsetzung berichtet werden: Dazu gehören wesentlich mehr Sendeplätze als bisher und regelmäßige Interviews mit Trainern, Spielern oder fußballbegeisterten Showstars, Fachsimpeleien über die Taktik, Berichte über die Randereignisse in den Stadien. Das alles live, hautnah, unterhaltsam und sachverständig.97
Neben den USA war Italien das Vorbild für die kommerzielle Verwertung des Fußballs im Fernsehen. Dort war seit Mitte der 1970er Jahre der Fußball zum Vehikel für die Verbreitung privater Rundfunksender geworden, weshalb sich Strategien für die gewinnbringende Vermarktung des Spiels schon früher als in Deutschland oder Großbritannien herausgebildet hatten98. Welche Veränderungen der Fernsehfußball durch die kommerziellen Sender in den 1990er Jahren erfuhr, soll im Folgenden anhand von fünf Kennzeichen erläutert werden: Erstens verfolgten die privaten Rundfunkanstalten eine Strategie der Positivvermarkung. »SAT. 1 muß die Bundesliga schon deshalb positiv vermarkten, weil sich der Privatsender sonst ins eigene Fleisch, sprich Werbekunden, schneiden würde«, brachte der Kicker das Positiv-Konzept des Senders auf den Punkt99. Während sich zuvor die Vereinsfunktionäre häufig über die negative Berichterstattung im Fernsehen beschwert hatten, da diese zur Krise des Fußballs beitrage, gab es nun kaum noch Grund zur Klage. »Der Fußball wird mittlerweile sehr gut präsentiert«, freute sich beispielsweise Bayern-Manager Uli Hoeneß100. Auch Willi Lemke von Werder Bremen betonte, die unkritische Berichterstattung könne ihn 94 Vgl. Harold Lind, No Such Thing as a Free Channel, in: The Guardian vom 27.7.1992, S. 29. 95 Werbeanzeige von Sat. 1 im Kicker-Sportmagazin vom 10.8.1992, S. 27. 96 »Sportschau ohne Fußball«. SPIEGEL -Interview mit dem Sportrechte-Makler Axel Meyer-Wölden über die Bundesliga im Fernsehen, in: Der Spiegel 51 vom 15.12.1991, S. 180–183, hier S. 180. 97 Ebd., S. 181. 98 Ein Gerichtsurteil hatte kommerzielle Sender auf lokaler Ebene Mitte der 1970er Jahre zugelassen; den engültigen Durchbruch auf nationaler Ebene schaffte das italienische Privatfernsehen 1980 mit Silvio Berlusconis Sender Canale 5. Vgl. John Foot, Calcio. A History of Italian Football, London 2006, S. 291. 99 Das Fieber geht um, in: Kicker-Sportmagazin, 1/2 vom 2.1.1996, S. 26 f., hier S. 27. 100 Zit. n. ebd., S. 26.
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überhaupt nicht stören. Sie tut dem Fußball gut; die Plattform für unsere Show ist größer geworden. Ein Kommentator wie Jörg Wontorra hat uns bei Radio Bremen ewig Kopfschmerzen bereitet mit seiner provokanten, kritischen Nachfrage. Der gleiche Jörg Wontorra ist heute bei Sat 1 [sic] der Sonnyboy der deutschen Fußballzuschauer, weil er den Fußball positiv darstellt. Sat 1 hat unheimlich viel Geld bezahlt und wäre ja bescheuert, die eigene Ware schlechtzumachen.101
Die neue Fußballwirklichkeit zeichnete sich über das Positivkonzept hinaus, zweitens, durch die Intensivierung visueller Strategien aus. Superzeitlupen, Wiederholungen, Nahaufnahmen, etc. waren zwar nicht neu, aber die Inszenierung des Spiels mit technischen Mitteln erreichte in den 1990er Jahren eine neue Qualität102. Durch eine erhöhte Anzahl an Kameras viervielfachte sich die zur Verfügung stehende Bildermenge, die immer wieder neu komponiert werden konnte. Mal werden Fouls aneinandergereiht – mehr als jeder Schiedsrichter gesehen hat; mal werden Trainergesten gesendet – was den Mythos vom großen Zampano festigt; mal werden die Versager vorgeführt – den Fans im Stadion blieben die Szenen der Unbeholfenheit meist verborgen103,
beschrieb der Spiegel den Verstärker-Effekt der neuen Inszenierungstechniken. Wie sich hier bereits andeutete, wurde drittens eine Emotionalisierung des Spiels betrieben. Dies geschah, indem einerseits der Spielverlauf selbst als drama tisiertes Narrativ wiedergegeben wurde und andererseits umfassende Berichte vom Privatleben der Spieler das Programm füllten. »Von der Fußballzeit gehört nur noch ein Drittel dem Geschehen auf dem Rasen«, urteilte der Spiegel 1993, »[d]er Rest besteht aus einer Flut belangloser Interviews, Studiomätzchen und Homestorys«104. Der Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des FC Bayern München bestätigte Ende der 1990er Jahre, dass »der Anteil der boulevar desken und unterhaltungsorientierten Themenanfragen (…) in den letzten Jahren enorm gestiegen« sei; »[h]eute machen die originär sportbezogenen Interview-Wünsche noch etwa 60 Prozent aus, die nicht-sportbezogenen Anfragen liegen aber mittlerweile bei etwa 40 Prozent – Tendenz: steigend.«105 Auch für Print-Medien erwies sich diese Strategie als erfolgversprechend: Die mit Boulevard-Geschichten aus dem Leben der Sportler gespickte »Sport-BILD«, die 1988 auf den Markt kam, verkaufte von Beginn an eine Million Exemplare und stieg 101 »Raus aus dem Dschungel«. Werder Bremens Manager Willi Lemke über Vermarktung und Solidarität in der Bundesliga, in: Der Spiegel 10 vom 7.3.1994, S. 174–178, hier S. 174. 102 Vgl. Boyle / Haynes, Football in the New Media, S. 21. 103 »Alle Scharmützel im Kasten«, in: Der Spiegel 8 vom 22.2.1993, S. 185–189, hier S. 185. 104 Liga des Leichtsinns, in: Der Spiegel 31 vom 2.8.1993, S. 170–172, hier S. 171. 105 Markus Hörwick, Im Haifischbecken oder zwischen allen Stühlen. Presse- und Öffent lichkeitsarbeit beim Deutschen Rekordmeister, in: Michael Schaffrath (Hrsg.), Die Zukunft der Bundesliga. Management und Marketing im Profifußball, Göttingen 1999, S. 47–61, hier S. 55.
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mit dem Schwerpunkt Fußball zur meistverkauften Sportzeitschrift in Deutschland auf106. Viertens gehörte Werbung seit den 1990er Jahren fest zum Fernsehfußball dazu, was sich in Unterbrechungen durch Werbeblöcke, kurzen Werbeeinblendungen oder omnipräsenten Sponsorenlogos im Stadion äußerte. Der Reporter im Stadion habe die Aufgabe, erläuterte Sat. 1-Moderator Reinhold Beckmann Ende der 1990er Jahre im Kicker den Einfluss der Werbung, bei gut gefüllten Werbeblocks »mal kurz den Schiri zu kontaktieren, die Jungs etwas länger in den Kabinen zu lassen«107. Ohne mit Sponsorenlogos »vollgepflasterte KragenEcken« bekomme kein Sender mehr ein Interview mit den Bundesliga-Stars, bedauerte der Autor desselben Artikels108. Auch der Zuschauer wurde, fünftens, zum integralen Bestandteil der Inszenierung. Um den Erlebnischarakter des Spiels hervorzuheben und Emotionen auf den Bildschirm zu bringen, zeigte man mehr Nahaufnahmen von den Zuschauerrängen denn je. Trotz seiner kultur- und generationenprägenden Wirkung ist das Fernsehen als Gegenstand der Theorie marginal geblieben, weshalb sich die vorliegende Darstellung aus theoretischen Versatzstücken bedienen muss, die für die Betrachtung des Fußballs relevant scheinen109. Zunächst sind hier die Überlegungen von Umberto Eco, Francesco Casetti und Roger Odin bezüglich einer Periodisierung der Fernsehentwicklung zu nennen110. Eco proklamierte Mitte der 1980er Jahre einen Bruch zwischen altem (»Paläo-«) und neuem (»Neo-«) Fernsehen111, der sich in einem neuen Wirklichkeitsbezug des Bildes äußere. Der Blick gehe nicht mehr wie beim berühmten »Fenster zur Welt« durch das Fernsehbild hindurch, 106 Vgl. Sascha Empacher, Die Entwicklung vom Volkssport zu profitorientierten Einheiten: Dargestellt am Beispiel des Fußballs, in: Arnold Hermanns (Hrsg.), Management-Handbuch Sport-Marketing, München 2001, S. 201–215, hier S. 211. 107 Zit. n. Hans-Dieter Barthel, Die Kamera – der heimliche Spielmacher, in: Kicker-Sportmagazin 90 vom 2.11.1998, S. 78 f., hier S. 79. Auch in England wurden die Halbzeitpausen verlängert. Auf Wunsch von BSkyB wurden außerdem Spiele am Montagabend eingeführt, um noch mehr Übertragungs- und damit Werbemöglichkeiten zu erlangen. Vgl. Taylor, The Association Game, S. 373 f. Montagsspiele gibt es seit 1993 auch in Deutschland, wo sie allerdings auf die zweite Bundesliga beschränkt sind. 108 Hans-Dieter Barthel, Die Kamera – der heimliche Spielmacher, in: Kicker-Sportmagazin 90 vom 2.11.1998, S. 78 f., hier S. 79. 109 Vgl. Ralf Adelmann / Jan O. Hesse / Judith Keilbach / Markus Stauff / Matthias Thiele (Hrsg.), Grundlagentexte zur Fernsehwissenschaft. Theorie – Geschichte – Analyse, Konstanz 2001; Engell, Fernsehtheorie zur Einführung; Michael Grisko (Hrsg.), Texte zur Theorie und Geschichte des Fernsehens, Stuttgart 2009. 110 Vgl. Engell, Fernsehtheorie zur Einführung, S. 44–49; Francesco Casetti / Roger Odin, Vom Paläo- zum Neo-Fernsehen. Ein semio-pragmatischer Ansatz, in: Adelmann / Hesse / Keilbach / Stauff / T hiele (Hrsg.), Grundlagentexte zur Fernsehwissenschaft, S. 311–333. 111 Da in Italien bereits 1977 das staatliche Rundfunkmonopol fiel, ist es nicht verwunderlich, dass die Vorstellung eines Bruchs in der Fernsehentwicklung zum ersten Mal von einem Italiener formuliert wird. Vgl. Engell, Fernsehtheorie zur Einführung, S. 45.
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sondern jenes mache in einer völlig neuen Ästhetik – insbesondere durch die Intensivierung aller visuellen Strategien – auf sich selbst aufmerksam. Casetti und Odin ergänzten diese Überlegungen: Das Paläofernsehen folge einer päda gogischen Anordnung, in der die Kommunikation einseitig vom Sender auf den Empfänger gerichtet sei, während dagegen im Neofernsehen partizipative Formen vorherrschten, die den Zuschauer zum Teil der Inszenierung machten. Für den Fußball sind diese Überlegungen insofern von Bedeutung, als auf die Deregulierung des europäischen Fernsehmarktes in den 1980er Jahren markante Veränderungen in der ästhetischen Darstellung des Spiels folgten, wie oben bereits geschildert wurde. Auch partizipative Methoden gehören in der Gegenwart zu den zentralen Stilmitteln einer Fußballsendung, sei es durch Bilder von emotional mitgerissenen Zuschauern im Stadion, sei es durch den Einbezug des Publikums im Studio. Anna McCarthy beleuchtet die Raumgebung des Fernsehens dagegen nicht als eine »Welt im Wohnzimmer«, sondern als die Expansion des Fernsehens in einen Außenraum112. Diese Beobachtung wird besonders für die neuere Zeit relevant, in der sich seit Einführung des Bezahlfernsehens das Public Viewing stark verbreitet hat. Riesige Leinwände werden auf öffentlichen und privaten Plätzen sowie in Kneipen und Bars aufgebaut, und die so erzeugte »Öffentlichkeit« – beispielsweise bei gefallenen Toren – dann wiederum häufig auf dem Bildschirm gezeigt. Die Reaktionen der Öffentlichkeit auf die veränderte Darstellung des Fußballs im Neofernsehen waren jedoch nicht nur positiv. Ein Kicker-Leser beklagte sich, »[d]ie sogenannte ›spielerische Art‹«, mit der Sat. 1 den Fußball verkaufe, erinnere »an einen Abklatsch amerikanischer Schaukampfvermarktung. Der Ball ist in dieser Fußballsendung seltener zu sehen als der Kopf des Moderators und das ergreifende Grinsen der gestellten Werbehausfrauen.«113 David Lacey vom Guardian fragte, what should be made of the whole new ball game, with its desperate glitz and clatter, dancing girls and fireworks, and painted faces where the crowd used to be? […] BSkyB’s presentation of football is a mixture of Steven Spielberg and Busby Berkeley with a liberal sprinkling of Hal Roach. Almost everything is interviewed, including the pitch. Presumably someone will get around to asking the ball how it feels.114
Auch der Spiegel kritisierte die »Fußball-Shows« von Sat. 1 als Vorreiter eines neuen Fernsehzeitalters, das vor allem einen Niedergang symbolisiere: In den TV-Studios zerlegen Redakteure Fußballspiele wie der Schlachter das Rind. Die feine Ware wird verkauft, der Abfall zu Edelsalami zusammengerührt […] Daß 112 Anna McCarthy, Ambient Television. Visual Culture and Public Space, Durham 2001. 113 Bei SAT 1 war nicht viel neues d’ran«. Leser-Forum, in: Kicker-Sportmagazin 68 vom 24.8.1992, S. 11. 114 David Lacey, Little Uplift in the New Ball Game, in: The Guardian vom 22.8.1992, S. 17.
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sie es verändern, sogar permanent verfälschen, stört weder Zuschauer noch Athleten: Eine neue Wirklichkeit entsteht, und das Abbild ist schöner, schneller, schillernder als das Original.115
Damit sprachen die Autoren all jenen aus der Seele, die die Entfesselung des privaten Fernsehens als Ursache für eine Verflachung des Programniveaus und vermehrte Tendenzen zur Manipulation der Zuschauer sahen – ein Diskurs, der seit den 1980er Jahren überall dort geführt wurde, wo der kommerzielle Rundfunk eine rasante Ausweitung erfuhr. Andreas Wirsching beschreibt, dass sich vor dem Hintergrund des Niveauabfalls im Fernsehen seit Mitte der 1980er Jahre eine dichotomische kulturpolitische Debatte wiederholte: Fuhren die einen fort, die Chance des Marktes und der ›freien Presse‹ zu loben, geriet den anderen die ›Kommerzialisierung‹ der Medien zur Chiffre für kapitalistische Monopolisierung, Geschmack- und Gewissenlosigkeit, ja für geradezu ›tödliches‹ Amüsement.116
Anthony King bezeichnete den Einstieg von BSkyB ins Fußballgeschäft darüber hinaus als »important symbolic moment«, der dazu beitrug, marktliberale Ideen in der britischen Gesellschaft zu verbreiten. Thus the coverage of football on television was not simply an economic settlement of importance but a meaningful symbolic conjuncture in which football came to be irretrievably associated with free-market ideas since, it was broadcast by a satellite company which embodied Thatcherite ideals.117
Wie auch immer man die kulturellen Folgen des kommerziellen Rundfunks für den Fußball im Besonderen und die Gesellschaft im Allgemeinen bewerten mag, bleibt unbestritten, dass der wirtschaftliche Effekt für die Vereine äußerst positiv war. Auch die Befürchtungen, dass die Ausweitung des Fernsehfußballs die Zuschauer vom Stadionbesuch abhalten würde, stellten sich als unbegründet heraus. Obwohl immer mehr Fußball im Fernsehen gezeigt wurde – bis hin zu fast täglichen Live-Spielen –, stiegen die Stadion-Zuschauerzahlen in den 1990er Jahren immer weiter an. Neben anderen Gründen war für diese Entwicklung sicherlich auch die neue Positivvermarktung des Fernsehens verantwortlich, die das Fußballspiel als außergewöhnliches, spannendes und emotional packendes Erlebnis bewarb.
115 »Die erigierte Freude«, in: Der Spiegel 1 vom 2.1.1995, S. 116–126, hier S. 116. 116 Wirsching, Abschied vom Provisorium, S. 451. 117 King, The End of the Terraces, S. 109.
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3.2 Das Bosman-Urteil und die Liberalisierung des Spielermarkts Im Dezember 1995 wurde der europäische Profußball durch das sogenannte »Bosman-Urteil« revolutioniert. Die erfolgreiche Klage eines spielerisch eher mittelmäßigen belgischen Erstligaspielers, der nach eigenem Bekunden keine Fußball-Revolution auslösen, sondern nur Gerechtigkeit für sich selbst erreichen wollte118, läutete eine Ära an, in der sich Teams binnen weniger Jahre internationalisierten und Spielergehälter explosionsartig anstiegen. Jean-Marc Bosman hatte gegen den belgischen Fußballverband geklagt, weil er nach dem Auslaufen seines Vertrags nicht ablösefrei zu einem französischen Verein wechseln durfte119. Sein Verein, der FC Lüttich, hatte zunächst die Ablösesumme unverhältnismäßig hoch angesetzt und später Zweifel an der Zahlungsfähigkeit des interessierten Zweitligisten USL Dünkirchen angemeldet, woraufhin der Transfer platzte und Bosman auf Antrag des FC Lüttich für die Saison 1990/91 gesperrt wurde120. Die Praxis des Vereins entsprach den europäischen Transfer regeln, wonach ein Spieler auch nach Ablauf seines Vertrags nicht ohne die Zustimmung seines Vereins zu einem anderen Klub wechseln durfte. Vor Gericht klagte Bosman gegen dieses unverschuldete Berufsverbot und forderte ein volles Gehalt sowie die Abschaffung der obligatorischen Ablösesumme bei Vereinswechseln nach Vertragsende. Im August 1991 beantragte Bosman über seine Anwälte die Einbeziehung der UEFA in das Verfahren, womit er unmittelbar Klage 118 Jean-Marc Bosman selbst profitierte allerdings nur wenig von der Lawine, die er losgetreten hatte. Erst nach neun Jahren bekam er eine Entschädigung ausgezahlt. Zwischenzeitlich musste er den Fußballerberuf an den Nagel hängen, weil kein Verein ihn beschäftigen wollte. Vgl. Henri Disceau, Maradona und Gullit zaubern für Bosman. Belgien: Ein Benefizspiel für den »Revoluzzer«, in: Kicker-Sportmagazin vom 22.2.1996, S. 30; Bert Lauwers, Bosman Counts Cost of Victory. The Resilient Rebel, in: The Guardian vom 14.12.1997, S. 51. 119 Vgl. hierzu Giulianotti, Football, S. 121–123; King, The European Ritual, S. 69–77; Morrow, The New Business of Football, S. 36–57; Volker Schütz, Ausländische Spieler in der Fußball-Bundesliga. Die Auswirkungen des Bosman-Urteils auf die Identifikation mit den Vereinen, Saarbrücken 2007, S. 18–44; Lars Riedl / K laus Cachay, Bosman-Urteil und Nachwuchsförderung. Auswirkungen der Veränderung von Ausländerklauseln und Transferregelungen auf die Sportspiele, Schorndorf 2002. Die Zusammenhänge, die zum Urteil führten, sind sehr komplex und werden an dieser Stelle in verkürzter Form wiedergegeben. 120 Schon zuvor hatte der Verein Bosmans Gehalt in einem neuen Vertragsangebot um 75 Prozent gekürzt. Der Verein war laut Verbandssatzung dazu verpflichtet, Bosman einen neuen Vertrag anzubieten, wollte jedoch nicht mehr als den vorgesehenen Mindestlohn für Fußballprofis bezahlen, weshalb der Verdacht nahelag, dass es sich hierbei nur um ein Alibiangebot handelte. Bosman war während seiner zwei Jahre beim FC Lüttich meist nur Ersatzspieler gewesen. Vgl. Schütz, Ausländische Spieler in der Fußball-Bundesliga, S. 18.
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gegen den europäischen Fußballverband erhob121. Über die belgischen Gerichte gelangte der Fall bis vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, wo Bosman insistierte, dass die europäischen Transferregeln der in Artikel 48 der Römischen Verträge zugesicherten Freizügigkeit der europäischen Arbeitnehmer widersprächen. Der EuGH urteilte am 15. Dezember 1995 zugunsten Bosmans. Artikel 48 stehe der Anwendung von durch Sportverbänden aufgestellten Regeln entgegen, nach denen ein Berufsfußballspieler, der Staatsangehöriger eines Mitgliedsstaats ist, bei Ablauf des Vertrages, der ihn an einen Verein bindet, nur dann von einem Verein eines anderen Mitgliedsstaates beschäftigt werden kann, wenn dieser dem bisherigen Verein eine Transfer-, Ausbildungs- oder Förderungsentschädigung gezahlt hat.122
Mindestens ebenso entscheidend wie die Abschaffung der Restriktionen für einen Transfer nach Vertragsende war für die Zukunft des europäischen Fußballs die Entscheidung des EuGH zur sogenannten »Ausländerklausel«. Bis dahin galt bei UEFA-Wettbewerben, dass maximal drei ausländische Spieler pro Klub (plus zwei »assimilierte« ausländische Spieler, die seit mehr als fünf Jahren beim selben Verein spielten) teilnehmen durften – eine Regelung, die auch innerhalb der nationalen Ligen wie der Bundesliga und der Premier League bzw. Football League Bestand hatte. Der EuGH verfügte auch hier, Art. 48 steht der Anwendung von durch Sportverbände aufgestellten Regeln entgegen, nach denen die Fußballvereine bei den Spielen der von diesen Verbänden veranstalteten Wettkämpfe nur eine begrenzte Anzahl von Berufsspielern, die Staatsangehörige anderer Mitgliedsstaaten sind, aufstellen können.123
Zwar hatte es bereits zuvor Versuche gegeben, die Regularien der UEFA über das Europarecht aufzubrechen, aber die Fußball-Funktionäre hatten stets gehofft, dass Anstrengungen in diese Richtung keinen Erfolg haben würden. Lothar Mahling, Chefredakteur des EU-Magazins, beschwerte sich im Kicker, [k]omme mir keiner mit dem Argument, das Bosman-Urteil habe wie eine Bombe eingeschlagen. Nicht jedenfalls bei Amts- und Funktionsträgern von FIFA , UEFA und nationalen Fußball-Verbänden.124
121 Vgl. ebd., S. 20. 122 Urteil des EuGH am 15. Dezember 1995; Rechtssache C-415/93; Union royale belge des sociétés de football association ASBL gegen Jean-Marc Bosman, Royal club liégeois SA gegen Jean-Marc Bosman und andere und Union des associations européennes de football (UEFA) gegen Jean-Marc Bosman, (URL : http://eur-lex.europa.eu/legalcontent/DE/T XT/HTML /?isOldUri=true&uri= CELEX :61993CJ0415, zuletzt eingesehen am 19.8.2017). 123 Ebd. 124 Lothar Mahling, Warum das EU-Urteil völlig in Ordnung ist, in: Kicker-Sportmagazin 103 vom 21.12.1995, S. 2.
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Bereits 1974 habe der Gerichtshof der EG geurteilt, dass es sich beim Profi-Vereinsfußball um eine wirtschaftliche Tätigkeit handle, die unter EG -Recht falle, weshalb die Freizügigkeit von Arbeitnehmern gewährleistet werden müsse. Die EG -Kommission habe 1978 die UEFA aufgefordert, ihre Regelungen entsprechend anzupassen, wogegen sich alle nationalen Fußballverbände gewehrt hätten. Die Kommission habe jahrelang »gutmütig« weggesehen, und erst nachdem das Europäische Parlament 1989 Druck auf die Kommission ausübte, habe sich die UEFA verhandlungsbereit erklärt. Das Ergebnis, die sogenannte »3+2-Regel«, nach der in einem Verein maximal drei Ausländer und zwei »assimilierte« Ausländer spielen durften, habe den EG - bzw. EU-Regularien jedoch keinesfalls entsprochen, weshalb der EuGH diese Vereinbarung mit dem »Bosman-Urteil« aufgehoben habe. Diesen Eindruck bestätigte einige Jahre später Werder Bremens Manager Willi Lemke: Das Urteil kam eigentlich nicht so unerwartet, weil alle Beteiligten des nationalen und europäischen Transfergeschäftes wußten, daß die bis dahin geltenden Bestimmungen spätestens dann ihre Geltung verlieren, wenn irgendwann ein Spieler dagegen klagt. Dennoch waren sich die Bundesliga-Manager und auch die Verantwortlichen beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) einig, daß das Transfersystem als Thema tabuisiert werden sollte, weil es die Vereine vor der Allmacht der Spieler sehr effizient geschützt hat.125
In den Fußballverbänden und -vereinen der Europäischen Union löste das Urteil bei vielen Akteuren einen Sturm der Entrüstung aus. Gerhard Mayer-Vorfelder, Präsident des VfB Stuttgart und Ligaausschuss-Vorsitzender des DFB, sprach in einer ersten Reaktion von »katastrophalen Folgen« für den Fußball126. Wenn das Urteil in vollem Umfang bestätigt würde, werden viele Vereine in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Nämlich diese, die auf der Aktivseite ausschließlich die Marktwerte der Spieler vorweisen können, ansonsten aber über keine Immobilien oder sonstige Vermögenswerte verfügen.127
Diese Meinung teilte auch Hilpert Meier, Manager des Zweitligisten VfL Bochum, der befürchtete, [f]ür viele Vereine ist dieses Urteil der Tod. Ich schätze, daß im bezahlten Fußball 60 bis 70 Prozent der Klubs pleite sind, natürlich besonders viele Zweitligisten. Der VfL Bochum hat jahrelang davon gelebt, daß er Spieler verkaufte und die Ablösesumme 125 Willi Lemke, Alle Macht den Spielern, oder: Die Ohnmacht der Vereine. Das BosmanUrteil und die Folgen für die Liga, in: Michael Schaffrath (Hrsg.), Die Zukunft der Bundesliga. Management und Marketing im Profifußball, Göttingen 1999, S. 111–125, hier S. 112. 126 Vgl. Rainer Franzke, Das Urteil … und die Folgen, in: Kicker-Sportmagazin 102 vom 18.12.19995, S. 36. 127 Zit. n. Wie groß ist der Schaden für den deutschen Fußball? Der Fall Bosman, in: K icker-Sportmagazin vom 21.12.1995, S. 2–4, hier S. 3.
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kassierte […]. Ich habe eine wahnsinnige Wut auf diese Theoretiker. Oder hat jemand daran gedacht, wie viele Arbeitsplätze durch solch ein Urteil verloren gehen?128
Der Schaden für die kleineren Vereine wurde auch in England intensiv diskutiert. John Reames, Präsident des Drittligisten Lincoln City FC , prophezeite ebenso wie sein deutscher Kollege Meier, dass das Urteil für viele kleinere Vereine das Ende bedeutete. »I think it will be a desaster«, klagte Reames, »I don’t think there is a mild way of expressing it; […] I have great, great concern about the continuance of the structure of the English game.«129 Das Urteil mache reiche Klubs reicher und arme Klubs ärmer, argumentierte er. Hintergrund dieser Einschätzung war die langjährige Praxis, dass kleinere Klubs lokale Talente ausbildeten, die sie später (über eine Ablösesumme am Vertragsende) an größere Vereine verkauften, um den eigenen Spielbetrieb zu finanzieren. Neben der Sorge um das finanzielle Überleben kleinerer Klubs befürchtete man daher in Deutschland wie England, dass auch immer weniger Nachwuchsarbeit betrieben werden würde, wenn sie sich für kleinere Vereine nicht mehr lohnte und größere Klubs auf Verstärkung aus dem Ausland zurückgreifen könnten. DFB -Chefjustitiar Götz Eilers sorgte sich, bei »einer extremen Zunahme ausländischer Spieler« werde es mehr arbeitslose deutsche Spieler geben, die Identität der Vereine und die Identifikation ihrer Anhänger könnte verloren gehen und die Nachwuchsarbeit enormen Schaden erleiden, wenn die eigenen Talente keine Spielpraxis mehr erhalten.130
Liga-Direktor Wilfried Straub warnte gar vor einer »Überfremdung der Mannschaften« durch die Umsetzung des Urteils131. Der Politikwissenschaftler Arthur Heinrich vermutete hinter der Ablehnung des Urteils durch den DFB weniger Fragen der Identität und Überfremdung als einen institutionellen Machtkampf. Das Urteil habe den DFB »an einem neuralgischen Punkt« getroffen: Nicht gewöhnt an staatliche Auflagen (von steuerrechtlichen Eckwerten abgesehen), mußten die DFB -Vertreter die Intervention der Luxemburger Richter als massive und überaus erfolgreiche Einmischung in innere Angelegenheiten betrachten.132
Zwar war in Deutschland zunächst von einer freiwilligen Selbstbeschränkung der Vereine auf drei ausländische Spieler bis zum Ende der Saison die Rede, wie dies von FIFA und UEFA empfohlen wurde, aber schon knapp drei Wochen 128 Zit. n. ebd., S. 3. 129 Zit. n. Martin Thorpe, Second and Third Division Clubs in Peril, in: The Guardian vom 16.12.1995, S. 19. 130 »Politik war früher gefordert«. DFB -Chefjustitiar Götz Eilers im kicker-Interview, in: Kicker-Sportmagazin 102 vom 18.12.1995, S. 36. 131 »Wir sind nicht so doof, wie Uli Hoeneß denkt«. Kicker-Diskussion, in: Kicker-Sportmagazin 10 vom 29.1.1996, S. 39–41, hier S. 40. 132 Heinrich, Der Deutsche Fußballbund, S. 226.
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nach Bekanntwerden des Urteils kündigten die Verantwortlichen des abstiegsbedrohten 1. FC Köln an, mit so vielen Ausländern zu spielen »wie sich sportlich anbieten«133, was für Unmut bei einigen Bundesliga-Konkurrenten sorgte. Schnell war in der Bundesliga klar, dass auch unter größten Anstrengungen des Verbandes und einiger Vereine und trotz der Solidarität vieler Politiker die Ausländerbeschränkungen nicht aufrechterhalten werden konnten. In der englischen Premier League herrschte dagegen schon nach wenigen Tagen Einstimmigkeit darüber, dass man sich nicht an die Empfehlungen von FIFA und UEFA halten, sondern die Ausländer-Bestimmungen des Bosman-Urteils umgehend umsetzen würde134. Manchester City war daraufhin der erste Klub, der schon am 22. Dezember 1995 mit vier Ausländern auflief. Der Verein hatte bereits seit längerem darum gekämpft, die Beschränkung auf drei ausländische Spieler zu Fall zu bringen. Colin Barlow, Manager des Klubs, zeigte sich hoch erfreut über das Urteil und dessen schnelle Umsetzung durch die FA: I’m shocked but I’m over the moon […]. We have four games over the next 10 days and we are not in the healthiest position in the league. I wanted to give our manager the opportunity to put in an extra man. It also gives us the option to pick up talent from abroad which is less expensive. This would be good for English football in the long term because we’re not getting the right type of coaching here.135
Langfristig hatte das Bosman-Urteil gravierende Folgen für den europäischen Fußball. Erstens kam es durch die neue Mobilität der Spieler zu einer Internationalisierung der Vereine. So hatte sich die Anzahl nicht-deutscher Spieler in der Bundesliga zwischen 1995 und 1999 bereits von 84 auf 185 mehr als verdoppelt136. Auch in England erhöhte sich im selben Zeitraum die Anzahl ausländischer Spieler in der Premier League von 63 auf 116137. Ein Jahr später waren es bereits 215138. Allen Überfremdungsängsten zum Trotz zeigte eine Studie des Sir Norman Chester Centre for Football Research, dass 1995 – zumindest in England – 79 Prozent der 15.170 Befragten der Meinung waren, die ausländischen Spieler seien »good for the English game«139. Bei einer erneuten Befragung zwei Jahre später gab ein Großteil der Menschen an, auch die Qualität 133 Kölns Trainer Stephan Engels in einem Interview. »Ich spiele mit fünf Ausländern – das ziehe ich auf jeden Fall durch«. Interview der Woche mit Stephan Engels, Trainer des 1. FC Köln, in: Kicker-Sportmagazin 3 vom 4.1.1996, S. 13. 134 Vgl. Martin Thorpe, Premiership Sparks Foreigners Free-For-All, in: The Guardian vom 23.12.1995, S. 18. 135 Zit. n. Clubs Pick and Mix, in: The Guardian vom 23.12.1995, S. 16. 136 Vgl. Rainer Franzke, Grenzenloses Glück? Ja! Für die Millionäre, in: Kicker-Sport magazin vom 28.12.1998, S. 15 f., hier S. 16. 137 Vgl. Sir Norman Chester Centre for Football Research, Fact Sheet No. 16. The Bosman Ruling, Football Transfers and Foreign Footballers, Leicester August 2002, S. 4. 138 Vgl. ebd., S. 12. 139 Vgl. ebd., S. 7.
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des Spiels habe sich in England durch die vielen Neuzugänge aus anderen Ländern verbessert140. Auch Russell Thomas vom Guardian stellte Ende der 1990er Jahre erfreut fest, dass im Gegensatz zu Italien, Deutschland und Frankreich »[i]n England, the anti-foreign chorus has been almost non-existent«141. Allerdings schien 2001, nachdem sich die Auswirkungen des Bosman-Urteils voll entfaltet hatten, die Stimmung gekippt zu sein: Nun gaben im »National Fan Survey« 60 Prozent der Befragten an, es gebe mittlerweile zu viele ausländische Spieler in der Premier League142. »Wie deutsch muss der deutsche Profisport sein?«, fragte 1996 auch der Spiegel143. »Sechs, sieben, acht Ausländer in der Mannschaft akzeptieren die Zuschauer nicht«, zitierte der Artikel den Karlsruher Trainer Winfried Schäfer144. Die Entwicklung zeigte jedoch, dass diese Einschätzung nicht ganz richtig war. Schon 2001 stand am 28. Spieltag beim FC Energie Cottbus erstmals kein einziger Spieler mehr mit einem deutschen Pass in der Anfangsformation145. Die Ausländerfeindlichkeit in der Bundesliga sei durch die zunehmende Internationalisierung eher zurückgegangen, beobachtete Marc Thomé 2002: Ausländische Spieler sind heute in der Bundesliga nichts Außergewöhnliches mehr. Die Fans haben sich, wenn man so will, an sie gewöhnt. Dies trifft vor allem auf die farbigen Spieler zu. Bis vor einigen Jahren noch eine Ausnahmeerscheinung in der Bundesliga, haben mittlerweile nahezu alle Bundesligisten mindestens einen farbigen Spieler unter Vertrag.146
Auch wenn der Zustrom an ausländischen Spielern von vielen als Bereicherung für die Spielqualität gesehen wurde, ertönte die Kritik an den negativen Auswirkungen der Internationalisierung auf die Nachwuchsarbeit mit der Zeit immer lauter. Angeheizt wurde die Diskussion um die Ausbildung junger Fußballer in Deutschland durch das schlechte Abschneiden der Fußballnationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft 1998. Dies führte dazu, dass alle Bundesliga-Vereine ab 2001 dazu verpflichtet wurden, eigene Leistungszentren für die Nachwuchsförderung einzurichten. Heute gilt dieses Umdenken in der Talentförderung als entscheidender Faktor für den Erfolg der deutschen Nationalmannschaft seit der Weltmeisterschaft 2006. In England versuchte man diesem Problem erst einige Jahre später Herr zu werden, indem 2010 eine sogenannte »home140 Vgl. ebd., S. 8. 141 Russell Thomas, Bienvenue Mes Amies, in: The Guardian vom 10.8.1998, S. D8. 142 Vgl. Sir Norman Chester Centre for Football Research, The FA Premier League National Fan Survey 2001. Summary Report, Leicester 2002, S. 35; Sir Norman Chester Centre for Football Research, Fact Sheet No. 16, S. 10. 143 »Andere Art des Denkens«, in: Der Spiegel 40 vom 30.9.1996, S. 222 f., hier S. 222. 144 Ebd., S. 222. 145 Vgl. Marc Thomé, Ausländer in der Fußball-Bundesliga, in: Informationen (Volkskunde in Rheinland-Pfalz) 18/2 (2003), S. 154–178, hier S. 159. In England stand der FC Chelsea schon 1999 mit elf nicht-englischen Spielern auf dem Platz. 146 Ebd., S. 168.
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grown-rule« eingeführt wurde, nach welcher von den 25 Spielern einer Premier League-Mannschaft mindestens acht Spieler aus dem eigenen Nachwuchs stammen müssen. Zweitens verschärfte die Öffnung des transnationalen Spielermarktes den Wettbewerb der europäischen Klubs untereinander147. Die Anzahl der hochtalentierten Spieler war natürlicherweise schon immer begrenzt, und nach dem Bosman-Urteil konkurrierten die finanzstarken Vereine Europas viel direkter als zuvor um die begehrten Spitzenspieler. Anthony King führte in diesem Zusammenhang Interviews mit Funktionären europäischer Top-Klubs, die die Auswirkungen des Bosman-Urteils für ihre eigene Position beschrieben. Umberto Gandini, Präsident des FC Mailand, schilderte beispielsweise, I think one of the consequences of the Bosman ruling was the creation of a European market more than a national transfer market. It is natural that when there is a talent that can play in any given country in the European Union, it is quite normal now that it is not only his own country’s team that are trying to buy him but that all the top countries are trying to lure him away because we all need superstars.148
Der Präsident der Premier League, Rick Parry, äußerte sich in einem Interview ebenfalls zur neuen Qualität des internationalen Wettbewerbs: It is not that we have to keep an eye on the Premier League TV deal. We have to keep an eye on the Spanish deal, the Italian deal, the German deal because that is the marketplace which we are competing in.149
Die Liberalisierung des Spielermarktes habe, so King, zu einer neuen, transnationalen Struktur des europäischen Fußballs geführt, deren Folgen zwar einschneidend seien, aber keinesfalls zu der von Pessimisten vorhergesagten Anarchie geführt hätten150. Drittens löste der Abbau von Restriktionen für ausländische Spieler einen explosionsartigen Anstieg der Spielergehälter aus. Die gestiegenen Einnahmen aus Fernsehgeldern bewirkten, dass die Vereine im Wettstreit um die besten Spieler tiefer in die Tasche greifen konnten – wenngleich im selben Moment die Verschuldung vieler Klubs weiter anstieg. Profiteure dieser Entwicklung waren die Spieler, die mehr verdienen konnten als jemals zuvor. Auch wenn genaue Zahlen schwer zu bekommen sind, da viele Klubs ihre tatsächlichen Ausgaben für Spielergehälter lieber verschleierten151, legen Berichte nahe, dass sich der Durchschnittsverdienst von Profifußballern alleine zwischen 1995 und 2000 in
147 148 149 150 151
Vgl. hierzu King, The European Ritual, S. 80–85. Interview vom 15.3.2000, zit. n. ebd., S. 81. Interview vom 9.2.2000, zit. n. ebd., S. 81. Vgl. ebd., S. 84. Zu diesem Sachverhalt vgl. Giulianotti, Football, S. 122; Havemann, Samstags um halb 4, S. 515; Morrow, The New Business of Football, S. 41.
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beiden Ländern mindestens verdreifachte152. Mitte der 1990er Jahre galt Eric Cantona von Manchester United mit 15.000 Pfund wöchentlich als bestverdienender Spieler Englands. 2002 verdienten Roy Keane und David Beckham im selben Verein bereits 100.000 Pfund pro Woche153. Insgesamt öffnete sich in beiden Ländern die Gehaltsschere zwischen Spitzenspielern der ersten Ligen und durchschnittlichen Spielern der unteren Ligen seitdem immer weiter. »So sehr das Geschäft in der Bundesliga boomt – die Gehälter explodieren nur bei den Stars«, berichtete die Süddeutsche Zeitung im Jahr 2011, »[i]n Liga zwei wird tendenziell weniger gezahlt als früher, und die dritte Liga ist und bleibt das Armenhaus des Profifußballs«154. Stephen Morrow erklärte dies für England mit dem Zusammenfallen zweier Entwicklungen155: Auf der einen Seite könnten die Spitzenspieler durch den verschärften Konkurrenzkampf zwischen den Vereinen höhere Löhne aushandeln als vor dem Bosman-Urteil. Auf der anderen Seite reduziere das höhere Angebot an ausländischen Spielern die Beschäftigungsmöglichkeiten für einheimische Kicker in den oberen Ligen. Dies führe zu einem Überangebot an einheimischen Spielern, das die Löhne in den unteren Ligen niedrig halte. Durch das Bosman-Urteil seien die Klubs erpressbarer geworden, beklagte sich zwar Werder-Manager Lemke über die vermeintliche »Ohnmacht« der Vereine gegenüber den »Forderungen der Top-Spieler«, die »in exorbitantem Maß« und »ohne Rücksicht auf Verluste« gestiegen seien156. Und auch Alan Sugar, in den 1990er Jahren Präsident der Tottenham Hotspurs, wetterte gegen die neue Macht der »Söldner«, die seiner Ansicht nach aus reinem Egoismus handelten und die Loyalität mit einem Verein aufkündigen könnten, sobald einer Spielerfrau der örtliche Kaffee nicht schmecke157. Jedoch lässt sich die häufig hervorgebrachte These von einer verbesserten Machtposition der Spieler nicht verallgemeinern, da dies fast ausschließlich auf die Spitzenspieler zutraf, die überdurchschnittlich von den Effekten des Bosman-Urteils profitierten. 152 Vgl. Joe Bernstein, Special Report: Too Many Average Players Are Millionaires… They Drive Ferraris But They Deserve a Reliant Robin, in: Daily Mail vom 9.1.2011 (URL: http://www. dailymail.co.uk/sport/football/article-1345397/Too-average-footballers-millionaires-drive-Ferraris-deserve-Reliant-Robin.html, zuletzt eingesehen am 18.9.2017); Williams, Entertaining the Nation, S. 224; Lemke, Alle Macht den Spielern, S. 113. 153 Vgl. Williams, Entertaining the Nation, S. 224. 154 Uwe Ritzer, Ausgekickt, rausgekickt, in: Süddeutsche Zeitung vom 5.8.2011, (URL: www. sueddeutsche.de/geld/arbeitslose-fussballer-ausgekickt-rausgekickt-1.1128276, zuletzt eingesehen am 8.8.2017). 155 Vgl. Morrow, The New Business of Football, S. 46. 156 Lemke, Alle Macht den Spielern, S. 113. Von Lemke wurde allerdings auch berichtet, dass er über den Rückgriff auf Konkurrenz aus dem Ausland die Gehälter deutscher Spieler nach unten drückte. So habe er einem durchschnittlichen Abwehrspieler, der zu viel Geld verlangte, »abgesagt und einen Russen genommen«. Vgl. »Andere Art des Denkens«, in: Der Spiegel 40 vom 30.9.1996, S. 222 f., hier S. 222. 157 Vgl. Martin Thorpe, Foreign ›Mercenaries‹ ans ›Fa Dummies‹ Cop a Sugaring, in: The Guardian vom 15.11.1996, S. 24.
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Für die Spieler der unteren Ligen war das Gegenteil der Fall. »It’s becoming a lot harder to find a new club«, berichtete der 27jährige Third Division-Spieler Scott Patterson 1999, »[t]here are more players to choose from and shorter contracts are on offer«158.
4. Vereine als Fußball-Unternehmen Der wirtschaftliche Erfolg des Profifußballs in den 1990er Jahren sprengte alle Erwartungen. Die Klubs der englischen Premier League konnten in den ersten sieben Jahren nach dem Bosman-Urteil ihren Umsatz von 534 Millionen auf 1,784 Milliarden Euro im Jahr steigern, wie die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft »Deloitte & Touche« in einer vergleichenden Studie zu den europäischen Spitzenligen darlegte159. Die Bundesliga verzeichnete im selben Zeitraum einen Einkommenszuwachs von 373 Millionen auf 1,043 Milliarden Euro160. Ein großer Teil dieses Zuwachses ging in beiden Ländern auf die gestiegenen Fernseheinnahmen zurück, die 2002 in England 42 Prozent und in Deutschland 40 Prozent der Gesamteinnahmen ausmachten161. Mit 30 Prozent (England) und 43 Prozent (Deutschland) bildeten die Einkünfte aus Sponsoring, Werbung und Merchandising eine weitere wesentliche Einkommenssäule. Interessanterweise konnten die englischen Klubs ihre Ticketeinnahmen, die dritte Einkommensquelle, ebenfalls erhöhen, sodass diese immer noch 28 Prozent der Gesamteinnahmen ausmachten, während sie in der Bundesliga nur noch 17 Prozent betrugen. Die Einnahmen aus Kartenverkäufen waren in England um zehn Prozent gestiegen, obwohl nur drei Prozent mehr Zuschauer in die Stadien kamen, was belegt, dass der Durchschnittspreis für eine einzelne Eintrittskarte deutlich in die Höhe geschraubt worden war. Die neuen all-seater arenas machten es möglich162. Während die Spitzenligen in Spanien, Italien und Frankreich trotz gestiege ner Einnahmen unterm Strich Verluste verzeichneten, weil gleichzeitig die Ausgaben für Spieler enorm gestiegen waren, konnten Premier League und Bundesliga als einzige der fünf großen europäischen Ligen jährlich Gewinne erwirtschaften163. Laut Deloitte hatte dies unterschiedliche Gründe: In England 158 Zit. n. Vivek Chaudhary, A Game of Two Halves, in: The Guardian vom 2.8.1999, S. B8. 159 Vgl. Deloitte & Touche, Annual Review of Football Finance, Manchester 2003, S. 10. 160 Insgesamt stellte die Studie eine verstärkte Polarisation im europäischen Spitzenfußball auf einige wenige Ligen fest. So besaßen die fünf ersten Ligen Englands (25 %), Italiens (16 %), Spaniens (15 %), Deutschlands (15 %) und Frankreichs (9 %) im Jahr 2002 ca. 80 % des Marktanteils in Europa. Vgl. ebd., S. 11. 161 Vgl. ebd., S. 12. 162 Vgl. Kapitel 6 in diesem Hauptteil. 163 In Italien war der Anteil der Personalausgaben am Gesamt-Umsatz zwischen 1995 und 2002 von 57 auf 90 Prozent gestiegen. In England kletterte der Anteil von 50 auf 62 Prozent und in Deutschland hielt er sich konstant bei ca. 50 Prozent. Vgl. ebd., S. 14.
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sorgte die radikale Kommerzialisierung dafür, dass die Klubs ihre Einnahmen aus allen drei Quellen permanent steigerten. In Deutschland habe dagegen die Disziplin in Kostenfragen zu einer soliden Profitabilität geführt164. Die Unterschiede zwischen dem englischen und dem deutschen Modell des Umgangs mit den Herausforderungen einer beschleunigten Ökonomisierung in den 1990er Jahren sollen im Folgenden erläutert werden: In England arbeiteten die Profivereine bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts offiziell als Wirtschaftsunternehmen, wenn auch mit bestimmten Einschränkungen, wie zum Beispiel der Begrenzung der Dividende auf 5 bzw. 7,5 Prozent. Dennoch wurde in den wenigsten Klubs nach streng ökonomischen Maßstäben gewirtschaftet, wie in den vorherigen Kapiteln gezeigt wurde. Die 1990er Jahre brachten in dieser Hinsicht einen enormen Schub in Richtung Professiona lisierung und Ökonomisierung. 1983 waren die Tottenham Hotspurs der erste europäische Klub, der an die Börse ging, gefolgt von Manchester United im Jahr 1991. Nach 1995 kam es zu einer regelrechten Schwemme von börsennotierten Fußballklubs in England: Bis 2000 waren 16 weitere Vereine auf dem Aktienmarkt registriert165. Die lukrativen Fernsehverträge zogen Investoren an, die bereit waren, Vereinsanteile zu kaufen. Die Klubs erhofften sich also, zweifach von den Fernsehgeldern zu profitieren166. Viele Investoren waren laut Morrow enthusiastic about investing in what is perceived as the ›new business of football‹, characterised by significantly improved television deals and exposure, improved sponsorship and improved public image. Consequently it is perceived to be a business with good future prospects and this ultimately determines the attractiveness of any investment.167
Kapital benötigten die Klubs in den 1990er Jahren dringend, unter anderem um ihre Stadien nach den Auflagen des »Taylor Reports« zu modernisieren, um ihre Mannschaften mit Spitzenspielern aufzustocken, um Programme zur Nachwuchsförderung auszubauen, um Vermarktungsoffensiven finanzieren zu können168. Mit dem Börsengang floss nicht nur Kapital in die Klubs, sondern auch die Führungsstrukturen mussten zwangsläufig professionalisiert werden, da schlecht gemanagte Vereine Investoren eher abschreckten. Langfristig war der Schritt an die Börse jedoch nur für wenige Investoren ein finanzieller Erfolg. Während Manchester United den Wert seiner Aktienanteile Jahr für Jahr steigern konnte, erwiesen sich die meisten anderen englischen Vereine als weniger profitabel169. 2002 berichtete das Sir Norman Chester Centre for Football Research, dass sich der Aktienwert fast aller börsennotierter Klubs in den vorher164 165 166 167 168 169
Vgl. ebd., S. 16. Vgl. King, The European Ritual, S. 121. Vgl. ebd., S. 121. Morrow, The New Business of Football, S. 71. Vgl. ebd., S. 63. Dennoch zog auch Manchester United sich 2005, nach der Übernahme der Aktienmehrheit durch die Familie Glazer, von der Börse zurück.
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gehenden Jahren mehr als halbiert hatte170. Die Ursachen dafür lagen einerseits in der Unkalkulierbarkeit des sportlichen Erfolgs vieler Vereine – schlechte Leistungen wirkten sich meist direkt auf den Aktienwert aus – und andererseits in der Tatsache, dass die Gewinne der Premier League-Klubs im Vergleich zu den Umsätzen niedrig ausfielen. Dadurch eigneten sich Fußballvereine kaum als lukrative Anlageobjekte für Börsenspekulanten. Doch auch wenn der Handel mit Vereinsaktien an der Börse kein Erfolgsmodell war, lockten die englischen Vereine immer mehr Investoren an. In Kapitel 5.3 des dritten Teils wurde bereits ausgeführt, dass seit Mitte der 1980er Jahre eine Verschiebung weg von lokalen Klubwohltätern ohne Gewinnabsichten hin zu am wirtschaftlichen Erfolg orientierten Vereinspräsidenten und -eigentümern begonnen hatte. In den 1990er Jahren beschleunigte sich diese Entwicklung. Für Anthony King, der erstmals versuchte, den neuen Präsidententypus wissenschaftlich zu erfassen, waren Sir John Hall von Newcastle und Steven Gibson von Middlesbrough der Inbegriff der New Directors in den 1990ern – allerdings entstand Kings Einschätzung noch vor dem Siegeszug ausländischer Investoren in die Premier League, weshalb Hall und Gibson eher ein Zwischenstadium zwischen philanthropischem Mäzen und profitorientiertem Anleger darstellten171. Hall war ein Immobilienunternehmer aus dem Nordosten Englands, der 1991 aufgrund seines wirtschaftlichen Erfolgs und seiner Verdienste für die vom Strukturwandel geplagte Region auf Initiative Thatchers in den Adelsstand erhoben worden war172. Fasziniert von den gigantischen US -amerikanischen Shoppingmalls hatte er Mitte der 1980er Jahre auf einer Industriebrache in Gateshead bei Newcastle Europas größtes Shoppingcenter mit über 300 Geschäften und einem angeschlossenen Vergnügungspark errichtet173. Nach dem Verkauf des »MetroCentre« übernahm er im Jahr 1992 den damaligen Zweitligisten Newcastle United. Hall war zwar ein leidenschaftlicher Fußballfan, der Newcastle durch Investitionen zu einem der führenden Klubs Europas machen wollte, aber er verfolgte auch Ziele, die über den sportlichen Erfolg hinausgingen. Mit der Übernahme von Newcastle United erweiterte Hall seine Strategie zur Aufwertung des englischen Nordostens, um die Region attraktiv für Investoren zu machen. »They say you can’t regenerate the UK by shopping centres alone«, führte Hall seine Ziele Ende der 1980er Jahre aus,
170 Vgl. Sir Norman Chester Centre for Football Research, Fact Sheet No. 16, S. 10. 171 Vgl. King, The End of the Terraces, S. 131–138; Morrow, The New Business of Football, S. 85 f. 172 Hall, der sein Berufsleben als Arbeiter in einem Bergwerk begonnen hatte und nach eigener Aussage zunächst ein überzeugter Sozialist gewesen war, gab an, dass er seinen Aufstieg den Konservativen und Margaret Thatcher verdankte. Vgl. Peter Hetherington, Big Man up in Front. Sir John Hall, the North-East’s Shopping King, Is out to Make Newcastle the Sports Capital of Europe, in: The Guardian vom 3.10.1994, S. A8. 173 Vgl. Paul Kelso, Hall of Fame, in: The Guardian vom 8.4.1996, S. A3.
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[b]ut you can break into the manufacturing decline of an area by making it an attractive area. Industries won’t come just because Geordies are nice people. You have to present them with ambience, lifestyle.174
Um die Attraktivität seines Vereins zu steigern, engagierte er 1992 den FußballSuperstar Kevin Keegan als Trainer und investierte riesige Summen in den Kauf neuer Spieler. Der größte Coup gelang ihm mit dem Wechsel von Alan Shearer zu Newcastle. Shearer war nicht nur ein begnadeter Fußballer, der bei der Europameisterschaft 1996 für Aufsehen gesorgt hatte, sondern sogar in Newcastle geboren. Dies machte ihn für den Verein zum perfekten Zuschauermagneten – und mit 15 Millionen Pfund zum damals (1996) teuersten Transfer aller Zeiten. Sportlich zahlten sich Halls Investitionen aus. Newcastle stieg 1993 in die PL auf und verpasste 1996 und 1997 nur knapp den Titel. Obwohl Hall die Umsätze des Vereins deutlich steigern konnte, war sein Fußball-Engagement finanziell dagegen ein Verlustgeschäft. Jedoch verfolgte er laut King und Morrow eine langfristige Strategie, in der kurzfristige Verluste durch die dauerhafte Aufwertung der Region für internationale Investoren ausgeglichen werden sollten175. Eine ähnliche Strategie verfolgte Steve Gibson beim Middlesbough FC . Der in Middlesbrough geborene Inhaber eines Transportunternehmens für Chemikalien war als langjähriger Anhänger des Vereins seit 1986 in der Geschäftsführung des Middlesbrough FC aktiv und konnte bis 1994 90 Prozent der Aktienanteile erwerben. Ebenso wie Hall investierte er viele Millionen Pfund in den Klub, ohne dass dies sich finanziell in Form von direkten Gewinnausschüttungen aus den Vereinsgeschäften ausgezahlt hätte. Allerdings war Gibsons Tätigkeit beim Middlesbrough FC eng verknüpft mit seinen wirtschaftlichen Aktivitäten in der Region. So konnte er beispielsweise den in der Umgebung ansässigen Chemiekonzern »Imperial Chemical Industries« (ICI) zunächst als Kapitalanleger und später als Sponsor des Klubs gewinnen176. Auch die Entscheidung für einen Stadionneubau auf einer ausgedienten Hafenanlage kann als symbolischer Akt zur Stadtentwicklung verstanden werden (vgl. Kapitel 6). Eine verschärfte Stufe der Profitorientierung englischer Klubs stellte die Übernahme einzelner Vereine durch ausländische Unternehmer dar. Vom ara bischen Scheich über den russischen Ölmilliardär bis hin zu amerikanischen und thailändischen Unternehmern – der englische Fußball ist heute stark geprägt durch Investitionen von Superreichen aus aller Welt. Die erste Übernahme dieser Art geschah im Jahr 1997, als der ägyptische Geschäftsmann Mohammed Al-Fayed für 6,25 Millionen Pfund den Londoner Verein Fulham FC erwarb. Dieser Schritt wurde als Strategie Al-Fayeds, die eigene Präsenz auf dem englischen Markt auszuweiten, gewertet, nachdem er Mitte der 1980er Jahre bereits durch den Erwerb des Londoner Luxuskauf 174 Zit. n. King, The End of the Terraces, S. 136. 175 Vgl. ebd., S. 136–137; Morrow, The New Business of Football, S. 86. 176 Vgl. King, The End of the Terraces, S. 137.
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hauses »Harrods« in die Schlagzeilen geraten war177. Für weit größeres Aufsehen sorgte der Versuch des aus Australien und den USA stammenden Medienmoguls Rupert Murdoch und dem von ihm geleiteten Medienunternehmen BSkyB, Manchester United für 625 Millionen Pfund zu übernehmen. Während es sich beim Fulham FC um einen vergleichsweise unbedeutenden Drittligisten gehandelt hatte, war Manchester United der sportlich und kommerziell erfolgreichste Verein Englands, »the jewel in the crown of English and possibly world, sport«178. Die geplante Übernahme dieses Superclubs durch BSkyB hätte die Sport-Medien-Symbiose auf die Spitze getrieben. Murdoch erhoffte sich, die Marktposition seines Senders im Bereich des Bezahlfernsehens mithilfe des Zugpferdes aus Manchester auszubauen und zugleich den Einfluss auf die Vergabe von TV-Rechten in der Premier League zu vergrößern179. Diese Strategie, mit der Murdochs »News Corporation« in anderen Ländern erfolgreich gewesen war, wurde vom Soziologen Ellis Cashmore als Murdochization bezeichnet, a process by which corporations primarily involved in mass media of communications appropriate and integrate into their own organizations sports clubs. In doing so, the media groups gain access to and control of the competitive activities of the clubs, which they can distribute through their networks.180
Letztendlich scheiterte dieses von vielen Seiten scharf kritisierte Unterfangen an der britischen Wettbewerbsaufsicht, die die Konkurrenzfähigkeit im englischen Profifußball gefährdet sah181. Kurzfristig nahm daraufhin das Interesse ausländischer Investoren ab, wurde jedoch 2003 mit der Übernahme des Chelsea FC durch den russischen Milliardär Roman Abramowitsch wiederbelebt. Infolgedessen kam es zu einem rapiden Anstieg ausländischer Klubbesitzer in der Premier League. Im Jahr 2015 hatten bereits mehr als die Hälfte der Premier League-Klubs einen oder mehrere ausländische / n Eigentümer182. 177 Vgl. John Nauright / John Ramfjord, Who Owns England’s Game? American Professional Sporting Influences and Foreign Ownership in the Premier League, in: Soccer and Society 4 (2010), S. 428–441, hier S. 431. Mithilfe der Investionen Al-Fayeds gelang dem Verein bis 2001 der Aufstieg von der dritten englischen Liga in die Premier League. 178 Ebd., S. 432. 179 Vgl. Craig Robertson, A Sporting Gesture?: BSkyB, Manchester United, Global Media, and Sport, in: Television & New Media 4 (2004), S. 291–314, hier S. 295. Murdoch hatte diese Strategie in den USA und Australien bereits erfolgreich angewendet und mit seinem Medienunternehmen News Corporation die Baseballmannschaft Los Angeles Dodgers sowie die Rugbymannschaften Brisbane Broncos und Canberra Raiders übernommen. Vgl. Nauright / Ramfjord, Who Owns England’s Game, S. 432. 180 Ellis Cashmore, Sports Culture. An A-Z Guide, London, New York 2000, S. 292 f. 181 Robertson stellte in seiner Analyse der Ereignisse die These auf, dass das Verhindern der Übernahme durch die britische Regierung eine bewusste Strategie von New Labour gewesen sei, sich als »party of the community, not a party for corporations« zu inszenieren, nachdem es zu heftigen Protesten gekommen war. Vgl. Robertson, A Sporting Gesture?, S. 304–306. 182 Vgl. Linda Yueh, Why on Earth Buy a Football Club?, BBC News vom 27.2.2014 (URL : http://www.bbc.com/news/business-26365955, zuletzt eingesehen am 17.8.2017).
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»Who owns English football in the twenty-first century?« fragen Nauright und Ramford in ihrer Untersuchung des Einflusses ausländischer Investoren auf die Premier League183. Ihrer Meinung nach kam es – insbesondere durch Investoren aus den USA – zu einer Angleichung des englischen Profifußballs an das kommerziellere amerikanische Modell der Sportvermarktung: It is clear that a new marketing class of owners and directors have moved into a sport that for more than a century prided itself on local affinities and are changing and further globalizing the Premier League and its clubs. These owners, along with the influx of television money and increasingly diversified revenue streams, have led clubs to pursue a much more professionalized operational model in the marketing and management of clubs. This model is aligned ever more closely to those apparent in North American professional sports leagues where fans are viewed as loyal consumers more than hard core supporters.184
John Horne argumentierte darüber hinaus, dass der Einzug ausländischer Klubbesitzer in den englischen Profifußball ein Effekt und Verstärker der Globalisierung gewesen sei, die sich seit dem Zusammenbruch des Ostblocks beschleunigt habe185. Dadurch seien mehr Unternehmer und Unternehmen auf der Suche nach Möglichkeiten gewesen, ihre Marktposition international auszuweiten und ihre Gewinne zu vergrößern. Der Fußballsport bot sich in diesem Zusammenhang nicht nur als finanziell lukratives, sondern vor allem als symbolisches Investment an, mit dessen Hilfe die eigene Sichtbarkeit auf einem globalen Markt unterstrichen werden konnte. Auch die deutschen Vereine durchliefen in den 1990er Jahren einen Prozess der Anpassung an die beschleunigte ökonomische Dynamik. Dieser verlief jedoch wesentlich gemäßigter als in England. Noch Mitte der 1990er Jahre waren alle Bundesligisten in der Rechtsform des eingetragenen Vereins bzw. »Idealvereins« organisiert. Sie dienten also offiziell der Gemeinnützigkeit, duften nicht offen profitorientiert wirtschaften und wurden von ehrenamtlichen Präsidenten, die auf einer Mitgliederversammlung gewählt worden waren, geführt186. Der Widerspruch, der zwischen der Forderung der Gemeinnützigkeit und der wirtschaftlichen Realität bestand, war seit Jahrzehnten offensichtlich. Im Gegensatz zu ihren englischen Pendants hatten die deutschen Profiklubs auch nicht die Möglichkeit, über den Verkauf von Vereinsanteilen an Kapital zu gelangen. Die Kritik, dass diese Organisation nicht mehr zeitgemäß sei und eine dringend notwendige Professionalisierung der Führungsstrukturen verhindere, wurde in den 1990er Jahren immer lauter.
183 Nauright / R amfjord, Who Owns England’s Game, S. 438. 184 Ebd., S. 438. 185 Vgl. John Horne, Sport in Consumer Culture, Houndmills, Basingstoke, New York 2006, S. 14. 186 Vgl. Kapitel 5 des zweiten Teils.
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Schließlich beschloss der DFB -Bundestag im Oktober 1998, dass die Bundesligisten ihre Lizenzabteilungen in Kapitalgesellschaften umwandeln durften187 – dieser Schritt geschah wohlgemerkt über hundert Jahre später als in England. Ulrich Schäfer, geschäftsführendes Mitglied des VfB Stuttgart, kommentierte, dass die Freigabe der Umwandlung in Kapitalgesellschaften »[i]m Sinne von freiheitlicher Wirtschaft (…) die logische Konsequenz der Entwicklung in einem professionalisierten und kommerzialisierten Sportbereich wie der Fußball-Bundesliga« gewesen sei188. Der Geschäftsumfang der Klubs hat sich so rasant entwickelt, daß die Zeit reif war, Strukturen zu schaffen, wie man sie aus der klassischen Wirtschaft kennt. Denn in den vergangenen Jahren haben sich die Vereine bei Umsätzen zwischen 30 und 150 Millionen Mark zu Wirtschaftsunternehmen entwickelt. Die Ablösung ehrenamtlicher Präsidien durch hauptberufliche und dementsprechend bezahlte Vorstände wird die Folge sein.189
Konsequenz der Entscheidung war in einigen Vereinen in der Tat das Ende der Ehrenamtlichkeit in den Vereinsführungen sowie die Entmachtung der Mit gliederversammlungen durch die Implementierung moderner Führungsstrukturen. Jedoch entschieden sich nicht alle Bundesligisten für die Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft190. Um Verhältnisse wie in England, wo Vereine von Investoren aufgekauft werden konnten, zu verhindern, wurde die Umwandlung von Bundesliga-Klubs in Kapitalgesellschaften mit Einschränkungen versehen. Mit der sogenannten »50+1-Regel« legte der DFB in seiner Satzung fest, dass Vereine nur dann als Kapitalgesellschaften eine Zulassung zur Bundesliga bekommen, wenn sie mehrheitlich an der Gesellschaft beteiligt sind, also »über 50 Prozent zuzüglich (…) eines weiteren Stimmanteils in der Versammlung der Anteilseigner« verfügen191. Dies komme bei den liberalen Börsenprofis nicht gut an, fasste der Spiegel das Meinungsbild von befragten Bankern zur DFB -Sonderklausel zusammen. »Kapital zu beschaffen, ohne entscheidende Stimmrechte einzuräumen, ist wie duschen, ohne naß zu werden«, zitierte das Blatt einen 187 Vgl. Rainer Franzke / Wolfgang Tobien, Das trügerische Bild der Einheit, in: Kicker-Sportmagazin vom 26.10.1998, S. 40 f. 188 Ulrich Schäfer, Professionalität durch Professionalisierung. Möglichkeiten und Gefahren der Umwandlung in Kapitalgesellschaften, in: Michael Schaffrath (Hrsg.), Die Zukunft der Bundesliga. Management und Marketing im Profifußball, Göttingen 1999, S. 97–110, hier S. 98. 189 Ebd., S. 98. 190 2015 waren Schalke 04, der VfB Stuttgart, FSV Mainz 05, der SC Freiburg und der SC Paderborn diejenigen Bundesligisten, die noch als Idealverein eingetragen waren. Vgl. Eingetragene Vereine: Schalke hält Ausgliederung für möglich, in: Spiegel-Online vom 16.4.2015 (URL: http://www.spiegel.de/forum/sport/eingetragene-vereine-schalke-haelt- ausgliederung-fuer-moeglich-thread-273988-1.html, zuletzt eingesehen am 18.9.2017). 191 § 16c Abs. 2, in: Deutscher Fußball-Bund, Satzung (URL: https://www.dfb.de/fileadmin/_ dfbdam/2014124_02_Satzung.pdf, 20.8.2017), S. 15.
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Experten für Aktienemissionen der West LB192. Mit Borussia Dortmund wagte sich nur ein deutscher Verein überhaupt an die Börse. Seit dem Börsengang im Oktober 2000 verloren die Aktien des Klubs einen Großteil ihres Werts, weshalb dieser Schritt als Misserfolg eingeschätzt wurde, der Nachahmer eher abschreckte. Die 50+1-Regel verhinderte zwar Vereinsübernahmen durch Großinvestoren, wie dies in England der Fall war, jedoch blieben die Bundesligisten dadurch nicht außerhalb des Einflusses von Unternehmen auf einzelne Klubs. Ein Beispiel für die Möglichkeiten der Einflussnahme durch einen einzelnen Wirtschaftskonzern war die Zusammenarbeit von Hertha BSC mit der Ufa-Sports GmbH. Das Medienunternehmen, das Ende der 1980er Jahre mit der Vermarktung der Bundesliga-Rechte ins Fußballgeschäft eingestiegen war, schloss 1994 einen Kooperationsvertrag mit dem vom Konkurs bedrohten Berliner Verein. Dieter Hoeneß, der damalige Manager von Hertha BSC , berichtete, dass der Vertrag »dem Verein zunächst 4,5 Millionen Mark, die notwendig waren, um die laufende Saison überhaupt zu Ende spielen zu können«, zusicherte193. Im Gegenzug übertrug der Klub sämtliche Vermarktungs- und Merchandisingrechte an die UFA bis zum Jahr 2003 mit einer Verlängerungsoption bis 2009. Der Kooperationsvertrag sieht vor, daß alle Vermarktungserlöse zwischen Hertha BSC und UFASports GmbH im Verhältnis 60:40 aufgeteilt werden.194
Neben finanzieller Beteiligung forderte die Ufa auch eine personelle Mitbestimmung, indem im Aufsichtsrat des Klubs ein Mitglied der Ufa verantwortlich mitarbeiten sollte, und auch die Wirtschaftlichkeit des Vereins vom Medienkonzern genauestens überprüft wurde195. Hoeneß freute sich, dass sich der Verein »auch und gerade dank der UFA-Sports GmbH enorm weiterentwickelt« habe, »und zwar auf den Feldern der professionellen Vermarktungsstrukturen, der allgemeinen Infrastruktur sowie der gesamten Wirtschaftlichkeit«196. Nicht alle Anhänger von Hertha BSC teilten Hoeneß’ Freude. Trotz der sportlichen Wiederbelebung des Vereins empfanden viele die Einflussnahme der Ufa als unzulässige Fremdsteuerung, weshalb die Ufa-Manager auch als »Berlins neue Besatzer« beschimpft wurden197. Das Beispiel demonstriert, dass auch der deutsche Fußball nicht von einer gewissen Murdochization verschont blieb, sondern ebenfalls in den Fokus von Medienkonzernen geriet, die ihre Marktstellung auf verschiedene Weisen auszubauen versuchten. Die Ufa-Sports GmbH hatte Ende der 1990er Jahre Verträge mit sieben Bundesligisten, die von der Vermarktung von Teilbereichen, wie z. B. Bandenwerbung, bis zur Komplettvermarktung eines 192 Revolution in der Bundesliga, in: Der Spiegel 43 vom 19.10.1998, S. 294–296, hier S. 295 193 Dieter Hoeneß, Unser Geschäft ist Emotion, Kontinuität und Kompetenz. Hertha BSC und die UFA , in: Schaffrath (Hrsg.), Die Zukunft der Bundesliga, S. 85–96, hier S. 85. 194 Ebd., S. 85. 195 Vgl. ebd., S. 87. 196 Ebd., S. 89. 197 Vgl. Aufstand der Marionetten, in: Der Spiegel 38 vom 15.9.1997, S. 258–260, hier S. 259.
»Hyper-« und »De-Kommodifizierung« des Fußballs
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Vereins reichten198. Auch das Konkurrenzunternehmen KirchMedia bemühte sich zusätzlich zur TV-Rechtevermarktung um Kooperationen mit einzelnen Bundesligisten, wie beispielsweise dem Verein Schalke 04, an dessen Stadionneubau sich der Konzern im Gegenzug für weitreichende Marketing- und Fernsehrechte mit 350 Millionen Mark beteiligen wollte199. Der neue ökonomische Stellenwert der Bundesliga stärkte die Position der Profivereine innerhalb des DFB. Dieser war stets darum bemüht gewesen, Emanzipationsbestrebungen der Lizenzvereine zu verhindern, was sich mit der Zeit als immer schwieriger erwies. Im Jahr 2000 gelang es schließlich den Bundesligisten sich durchzusetzen und einen eigenen Ligaverband für die 36 Mitglieder der ersten und zweiten Bundesliga zu gründen. Wichtigste Aufgabe dieses Ligaverbands war die Durchführung des Spielbetriebs sowie die zentrale Vermarktung der Bundesliga. Der Verband blieb jedoch unter dem Dach des DFB und sicherte diesem eine feste finanzielle Unterstützung zu. Sowohl in England als auch in Deutschland gerieten die Vereine in einen Strudel aus explosionsartig gestiegenen Umsätzen und exorbitant anwachsenden Ausgaben, der eine Professionalisierung des Managements und der Vermarktungsstrategien unumgänglich erscheinen ließ. Vielen Klubs gelang so der Sprung in eine Sphäre, in der Fußballvereine als hochprofessionelle Unternehmen der Unterhaltungsindustrie auf einem internationalisierten Markt funktionierten. Berichte aus beiden Ländern machen jedoch deutlich, dass es sich hierbei um einen weiteren Konzentrationsprozess handelte, der die Kluft zwischen Spitzenvereinen und kleineren Klubs größer werden ließ denn je zuvor. »So wide is the gap between the Premiership and the rest that teams no longer merely go down, they fall off the north face of the Eiger«, kommentierte David Lacey im Jahr 1996 die gefährdete Existenz der kleineren Vereine200.
5. »Hyper-« und »De-Kommodifizierung« des Fußballs Die beschriebenen strukturellen Weichenstellungen und Veränderungen hatten gravierende Auswirkungen auf die Verfasstheit des Spiels. Giulianotti prägte in diesem Zusammenhang den Begriff der »Hyper-Kommodifizierung«, also eines extremen zur-Ware-Werdens des Fußballs. Diese sei seit den späten 1980er Jahren ausgelöst worden durch
198 Vgl. Schäfer, Professionalität durch Professionalisierung, S. 89. 199 Vgl. Begehrte Ware, in: Der Spiegel 44 vom 27.10.1997, S. 128. 200 David Lacey, A Gold Rush Now, the Frenzy Comes Later, in: The Guardian vom 9.8.1996, S. B5.
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Vierter Teil: Fußballboom und radikale Kommerzialisierung
extraordinary and different volumes of capital that have entered the game from entirely new sources: satellite and pay-per-view television networks, Internet and telecommunications corporations, transnational sports equipment manufacturers, public relations companies, and the major stock markets through the sale of club equity.201
Zwar hatte schon in den Jahrzehnten zuvor eine zunehmende Vermarktlichung des Spiels begonnen, dieser waren jedoch mehr oder weniger enge Grenzen gesetzt. So verhinderten beispielsweise, wie in vorangegangenen Kapiteln herausgearbeitet wurde, die Strukturen des Rundfunks, das zeitweise negative Image des Spiels sowie die wenig unternehmerische Haltung vieler Fußballfunktionäre lange Zeit das umfassende Ausschöpfen der kommerziellen Möglichkeiten. Nicht nur die von Giulianotti genannten Gelder aus verschiedenen Einnahmequellen beschleunigten in den 1990er Jahren die Kommodifizierung des Fußballs. Auch der enorm gestiegene Umfang der Medienberichterstattung, das neue Selbstverständnis einer großen Anzahl an zentralen Akteuren (Spieler ebenso wie Vereins- und Verbandsfunktionäre), die sich selbst als Marktteilnehmer bzw. Unternehmer begriffen, sowie die Professionalisierung der Strategien zur Vermarktung des Spiels trugen zu dieser Entwicklung bei. Der Deutungsstreit darüber, ob Fußball »in Wahrheit« ein hochkommerzialisiertes Produkt oder eine authentische Praxis ist, soll im Folgenden dadurch vermieden werden, dass das Spiel als Konsumgut gefasst wird, das nicht nur eine ökonomische, sondern zugleich eine soziale und kulturelle Dimension umfasst. Wie die Cultural Studies der 1970er und 1980er Jahre herausgearbeitet haben, verlieren Konsumgüter nicht automatisch ihre soziale Bedeutung, wenn sie auf einem Markt zum Verkauf angeboten werden. Vielmehr finde eine Einbettung von Produkten in einen kulturellen und sozialen Bedeutungszusammenhang statt. Jedoch soll mit der Soziologin Roberta Sassatelli argumentiert werden, dass die Logik der sozialen Beziehungen in der Regel gegenüber der Marktlogik verteidigt wird202. Der Prozess der »Kommodifizierung«, also der Transformation eines Objekts oder einer Dienstleistung in eine Ware, die sich auf einem Markt zu einem festen Preis eintauschen lässt, steht beim Konsumieren immer in Wechselwirkung mit dem Vorgang der »De-Kommodifizierung«, also der Aufladung des Konsumguts mit persönlicher Bedeutung. Die »Hyper-Kommodifizierung« des Fußballs in den 1990er Jahren – so die These – zeitigte vor diesem Hintergrund zwei Entwicklungen: Erstens wurden gerade wegen der verstärkten Kommerzialisierung des Fußballs vermehrt Strategien entwickelt, die auf der Logik der persönlichen Bindung aufbauten. Die Konstruktion des Vereins oder des Spielers als »Marke« dienten beispielsweise dazu, bestimmte Identifikationspotenziale zu schaffen, die dem Konsumenten einen gewissen »Mehrwert« über den reinen Warencharakter hinaus vermittelten. Zweitens 201 Giulianotti, Supporters, S. 29. 202 Vgl. Roberta Sassatelli, Consumer Culture. History, Theory and Politics, Los Angeles 2007, S. 5.
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formierte sich eine Bewegung kritischer Fans, die sich die Verteidigung des Fußballs gegen die Kommerzialisierung auf die Fahnen schrieb. Es kam also zu einem gewissen Grad zu einer Politisierung des Fußballkonsums als Reaktion auf die verstärkte Sichtbarkeit der Marktlogik.
5.1 Vermarktungsstrategien Noch Ende der 1980er Jahre hatte Manchester United lediglich einen kleinen Souvenirshop in der Nähe des eigenen Stadions – zehn Jahre später machten die Einnahmen aus der Fanartikelvermarktung, dem sogenannten Merchandising, bereits einen beträchtlichen Teil der Klubeinnahmen aus203. Der Verein war in den 1990er Jahren nicht nur der sportlich erfolgreichste Verein Englands, sondern hatte auch eine Vorreiterrolle in Sachen Selbstvermarktung inne. We market and sell sports apparel, training and leisure wear and other clothing featuring the Manchester United brand on a global basis. In addition, we also sell other licensed products, from coffee mugs to bed spreads, featuring the Manchester United brand and trademarks204,
verkündete der Verein 2015 seinen Anspruch auf der Klub-Website und bezifferte die Einnahmen aus Merchandising für dasselbe Jahr auf 31,6 Millionen Pfund. Ebenso wie der englische Top-Klub begannen zahlreiche andere europäische Vereine in den 1990er Jahren, die Möglichkeiten der Eigenvermarktung auszureizen. Der umsatzträchtigste Fanartikel war und ist das Vereinstrikot. 2009 verkaufte die englische Premier League ca. fünf Millionen Trikots pro Saison, gefolgt von der spanischen »Primera Divisón« (2,5 Millionen) und der Bundesliga (1,8 Millionen)205. Daneben wurde vom Toaster bis hin zur Luxusuhr eine breite Palette von Konsumgütern mit Vereinsemblemen bedruckt und mit mehr oder weniger Erfolg zum Verkauf angeboten. Allein der wachsende Umfang des Merchandising in Verkaufs- und Umsatzzahlen stellt einen empirischen Beleg für die intensivierte Kommerzialisierung des professionellen Fußballs in den 1990er und 2000er Jahren dar. Jedoch lassen sich anhand eines mit Vereinslogo bedruckten Toasters noch nicht die zugrundeliegenden veränderten Denkmuster und Strategien der Vermarktlichung im Fußball erkennen: Während in den vorherigen Jahrzehnten die Selbstvermarktung der Vereine eher als notwendiges Übel angesehen und wenig professionell angegangen wurde, stiegen Image und Markenbildung, das sogenannte 203 Vgl. King, The European Ritual, S. 125. 204 http://ir.manutd.com/company-information/business-model.aspx, zuletzt eingesehen am 19.8.2017. 205 Vgl. Martin Benninghoff, Fußball bringt das Geschäft ins Rollen, in: Handelsblatt vom 14.4.2009 (URL : http://www.handelsblatt.com/sport/fussball/merchandising-fussballbringt-das-geschaeft-ins-rollen/3155374.html, zuletzt eingesehen am 18.8.2016).
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Vierter Teil: Fußballboom und radikale Kommerzialisierung
branding, nun zu leitenden Kategorien der Vermarktung auf. Das Gesamtbild eines Klubs, das dessen Vermarktungswert bestimmte, galt nun nicht mehr als zufällig und von außen gemacht, sondern als gestaltbar. Eine Marke verkörpert nicht nur den Namen eines Produkts, sondern stellt ein Symbol dar, das eine Reihe von Bedeutungen repräsentiert, die als emotionale Bezugspunkte für den Konsumenten dienen sollen206. Die derart her gestellte »Mythologie« eines Produkts führt – mit dem Philosophen Roland Barthes gesprochen – mitunter dazu, dass einem Objekt eine völlig neue Bedeutung zukommt, wie dies beispielsweise bei der Rose der Fall ist, die mit »Liebe« oder »Leidenschaft« assoziiert wird. Im Fußball geht es bei der Markenbildung um die Konstruktion einer Vereins-Identität, durch die sich die verschiedenen Klubs voneinander abheben. Dieter Hoeneß, damals Manager bei Hertha BSC , zeigte Ende der 1990er Jahre mit einer Theorie zur Markenbildung im Fußball, wie tief die Sprache der Marketingexperten und Unternehmensberater schon in die Köpfe der Fußballverantwortlichen eingesickert war: In einem Markt der Marken gleichen sich die Produkte größtenteils. Ähnlich wie bei Waschmitteln oder Zigaretten muß man nicht nur rational, sondern auch emotional überzeugen. Ich muss den ›Bauch‹ meiner Kundschaft erreichen. Glaubwürdigkeit, Vertrauen, Sympathie, Attraktivität meines Produktes müssen gepflegt werden. Fußball ist ein sehr sensibles und emotionsgeladenes Geschäft. Die Menschen gehen zum Fußball, weil sie hier Elemente erleben, die in ihrem normalen Alltagsleben etwas selten geworden sind. Teamgeist, ehrliche Arbeit, Leidenschaft, Emotionen, Sieger und Verlierer, Kunst in Form von Können, Fair-Play, aber auch Schlitzohrigkeit. Elemente, die eher den Instinkt als den Intellekt der Menschen ansprechen. Und das gilt sowohl für den ›einfachen Arbeiter‹ wie für den Vorstandsvorsitzenden eines weltweit agierenden Konzerns.207
Vereine wie Manchester United oder Bayern München bauten den eigenen Mythos vor allem auf nationalen und internationalen sportlichen Erfolgen auf. Aber auch die Präsenz von Starspielern spielte eine wichtige Rolle für die Demonstration des »Legendenstatus« des Vereins. Spieler seien für den Verein ein »Marketinginstrument«, räumte Uli Hoeneß 1995 in einem Interview ein und betonte, »[i]ch kaufe ja auch einen Spieler, um u. a. Merchandising-Produkte zu verkaufen. Ich kaufe einen Spieler, den man gut vermarkten kann«208. Neben »Erfolg« und »Stars« dienten unter anderem auch »regionale Bedeutung« und »Tradition« als wichtige Bausteine zur Konstruktion von Markenidentitäten in Fußballklubs. Ironischerweise führte dies dazu, dass gerade in dem Moment, als die Kommodifizierung des Spiels sich intensivierte und der 206 Vgl. Sassatelli, Consumer Culture, S. 127. 207 Hoeneß, Unser Geschäft ist Emotion, S. 92. 208 Zit. n. Sonja Brandmaier / Peter Schimany / U li Hoeneß, Die Kommerzialisierung des Sports. Vermarktungsprozesse im Fussball-Profisport. Mit einem Interview mit Uli Hoeneß, Manager des FC Bayern München, Hamburg 1998, S. IX .
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Fußball immer internationaler wurde, der Vermarktungswert von Tradition und Region entdeckt wurde. Als Phänomene der dadurch entstandenen »simulierten Authentizität« beschreibt Giulianotti zum Beispiel ›Classic‹ football shirts, from the days before sponsorship names were emplazoned on the front, (…) available by mail order. Old matches are recycled through ›retro‹ shows on subscription television. Football museums introduce the next generation of supporters to old-style terrace fandom, through simulated, interactive models.209
In eine ähnliche Richtung gehen die Beobachtungen des Spiegels über den Ruhrgebietsverein Borussia Dortmund. Die Borussia der 1990er Jahre wirke »wie ein geschickt restauriertes Haus: die Fassade aus der Gründerzeit, die Innenarchitektur nüchtern und modern«210. Geschickt hätten die Manager des Vereins die Veränderungen in der Klubstruktur dem Wandel der Stadt angepasst: Längst steht auch im Südblock des Westfalenstadions nicht mehr nur der kleine Mann aus dem Pütt; hier erleben ebenso Versicherungsangestellte – davon gibt es 8000 in Dortmund – samstags zufrieden, wie aufregend die Dienstleistungsbranche sein kann.211
Die Verantwortlichen seien jedoch zugleich vor »Entfremdungspotenzial« zurückgeschreckt und hätten verkündet, die »Identität des Traditionsvereins« erhalten zu wollen212. Das auffällige Sowohl-Als-auch des Präsidenten, der Ehrenämter im BundesligaBetrieb für überholt, die antiquierten Ringelsocken der Spieler jedoch für ein bewahrungswürdiges Gut« halte, sorge »für die Identifikation zwischen dem Zuschauer und dem BVB.213
Den Fans reiche es, wenn sie erführen, dass die Klubverantwortlichen auf einen neuen Spielervertrag »nicht mit Champagner, sondern mit Pils« angestoßen haben214. Der britische Soziologe Roland Robertson prägte für die Verschränkung von lokalen und globalen Wirkungszusammenhängen den Begriff der »Glokali sierung«215. Nach Robertson sind das Lokale und das Globale nicht einfach 209 Giulianotti, Football. S. 104. 210 »Gas geben, Geld verdienen«, in: Der Spiegel 9 vom 1.3.1993, S. 192–196, hier S. 194. 211 Ebd., S. 194. 212 Vgl. ebd., S. 196. 213 Ebd. 214 Ebd. 215 Vgl. Roland Robertson, Glokalisierung – Homogenität und Heterogenität in Raum und Zeit, in: Ulrich Beck (Hrsg.), Perspektiven der Weltgesellschaft, Frankfurt a. M. 1998, S. 192–220; Richard Giulianotti / Roland Robertson, Die Globalisierung des Fußballs: ›Glokalisierung‹, transnationale Konzerne und demokratische Regulierung, in: Peter Lösche (Hrsg.), Fußballwelten. Zum Verhältnis von Sport, Politik, Ökonomie und Gesellschaft, Opladen 2002, S. 219–251.
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Gegensätze, sondern in einem dialektischen Prozess miteinander verflochten. So sei vieles, was als lokal bezeichnet werde, tatsächlich von außen konstruiert, sodass man es »mit einem von verallgemeinerten Vorstellungen von Lokalität überformten Lokalen« zu tun habe216. In Bezug auf die Vermarktungsstrategien im Fußball stellen Robertson und Giulianotti fest, dass Strategien der Glokalisierung auch hier etabliert seien, indem die transnationalen Konzerne, zu denen die Autoren auch die großen Fußballvereine zählen, »globale ›Produkte‹ auf lokale (territorial verstanden) kulturelle ›Traditionen‹ zuschneiden«217. Quellenmaterial aus dem Archiv von Eintracht Frankfurt gibt einen Einblick in den Prozess der Glokalisierung, der durch ein Ringen um Markenbildung, Vereinsidentität und Traditionsstiftung gekennzeichnet war: Der Verein beauftragte 1996 nach seinem Abstieg in die zweite Bundesliga die Unternehmensberatung »Roland Berger« mit dem Entwurf einer Rückkehrstrategie. Die 1997 vorgelegte »Taktisch-strategische Offensive zur Rückkehr der Eintracht (TORE)« legte einen 10-Punkte-Plan zur »strategisch / operativen Restrukturierung und Neuausrichtung« vor218. Dieser beinhaltete neben Strategien zur Verbesserung der sportlichen Leistungen und der Professionalisierung des Managements auch Pläne für die bessere Vermarktung des Vereins. Konkretisiert wurden diese Pläne von der mittlerweile gegründeten »Eintracht Frankfurt Sport-Marketing und Service GmbH« ein Jahr später in einem Papier, das den Titel »Eintracht Frankfurt 2010« trug219. Die Sprache dieses Papiers war getränkt von einer Business-Terminologie, die den Einfluss der externen Berater offenkundig machte: Eintracht Frankfurt sei »Anbieter auf dem Markt ›Freizeit, Unterhaltung und Sport‹, der sich in einem nachhaltigen Wachstum« befinde, so das Papier. Der Verein könne sich auf diesem Markt jedoch nur dann durchsetzen, wenn wir aktuelle Trends rechtzeitig aufnehmen, rasch auf die veränderten Herausforderungen des Marktes reagieren und uns wie ein echter Markenartikler verhalten. Hierzu gehört das Schaffen eines hohen nationalen Bekanntheitsgrades auf der Basis einer eindrucksvollen Tradition. Darüber hinaus muss das Image der Marke ›Eintracht Frankfurt‹ verbessert, d. h. es müssen die Sympathiewerte gesteigert werden.220
Der Abstieg am Ende der Saison 95/96 sei kein Zufall gewesen, sondern Ergebnis einer schleichenden Identitätskrise, die Parallelen zum Standortproblem der Stadt Frankfurt aufzeige.
216 Robertson, Glokalisierung, S. 193. 217 Giulianotti / Robertson, Die Globalisierung des Fußballs, S. 234. 218 Eintracht Frankfurt, TORE (=Taktisch-strategische Offensive zur Rückkehr der Eintracht), Strategiepapier zur Vorlage bei einer Pressekonferenz vom 21.7.1997 (Vereinsarchiv Eintracht Frankfurt, Bestand 1, Nr. 44). 219 Eintracht Frankfurt Sport-Marketing und Service GmbH, Eintracht Frankfurt 2010, Strategiepapier zur Vorlage bei einer Pressekonferenz vom 25.11.1998 (VEF, Bestand 1, Nr. 15). 220 Ebd.
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Der hohe Ausländeranteil, die Jagd nach schnellem Geld, das gesunkene Image von Frankfurt, sowie die Verödung der Innenstadt am Abend führten dazu, daß sich die Bewohner von Stadt und Region nicht mehr mit ihrer Stadt identifizierten221,
was sich unter anderem an den Absatzproblemen regionaler Produkte gezeigt habe. Parallel dazu sei der »Verfall traditioneller Werte bei Eintracht Frankfurt« durch das Schlagwort von der »Diva am Main« demonstriert worden, das Unzuverlässigkeit, Überheblichkeit, Arroganz, Launenhaftigkeit und Verruchtheit signalisiere. Bemerkenswert ist der nun folgende Schritt der Umdeutung, den die Strategen unternahmen, um der Marke Eintracht Frankfurt eine neue, erwünschte Mythologie einzuschreiben: Fußball ist eine glänzende Möglichkeit, Identifikation mit der Heimat zu schaffen […]. Um Sympathie zu wecken und Identität zu stiften, besinnen wir uns insbesondere auf die positiven traditionellen Werte der Stadt Frankfurt. Positiv zeichnete sich Frankfurt aus, als freie Reichsstadt (zwar ›treu‹ dem Kaiser, aber nicht ›gehorsam‹), durch ehrbare Kaufleute, Mäzenatentum und Bürgersinn sowie als weltoffener Messeplatz (…) und europäischer Verkehrsknotenpunkt.222
Man wolle auf den hessischen und Frankfurter Besonderheiten, die auch außerhalb Hessens als sympathisch empfunden würden, aufbauen, um das Image von Eintracht Frankfurt zu verbessern. »Vor diesem Hintergrund ist auch zu sehen, daß wir zu Beginn dieser Saison unsere Spieler mit Äppelwoi ›getauft‹ haben, um sie auf diese Weise symbolisch in die Gemeinschaft der Region aufzunehmen«223, erklärten die Verfasser224. Ob die Strategie von Eintracht Frankfurt ein großer Erfolg war, lässt sich nicht überprüfen. Der Verein kämpfte auf sportlicher Ebene in den darauffolgenden Jahren mehrfach (manchmal erfolglos) um den Klassenerhalt. Da der Zuspruch der Zuschauer fast immer auch stark von den sportlichen Leistungen eines Vereins abhängt, reicht ein gutes Image alleine als Zugpferd nicht aus225. Auch ist nicht gesagt, dass eine angewendete Werbestrategie bei den angesprochenen Konsumenten automatisch fruchtet. Allerdings handelt es sich um ein gutes Beispiel dafür, wie in den 1990er Jahren gezielt – und meist mit Hilfe von Werbeagenturen und / oder Unternehmensberatern – professionelle Strategien zur Gestaltung eines besonderen Images entworfen wurden. Im Falle von Eintracht Frankfurt dienten regionale Bezüge als zu verkaufender »Mehrwert«. Bei 221 Ebd. 222 Ebd. 223 Ebd. 224 Ein ähnliches Ritual praktizierte auch der Ruhrgebietsverein Schalke 04. So wurde die Ankunft des Superstars Raùl im Jahr 2010 im Stadion zelebriert, wo ihm zwei Bergarbeiter feierlich einen Kohleklumpen überreichten. 225 Eine Ausnahme stellt hier vielleicht der FC St. Pauli dar, dessen Anhängerschaft ostentativ die sportlichen Erfolge zur Nebensache erklärt. Vgl. Kapitel 7.2.
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anderen Vereinen konnte es sich um andere Bedeutungsaspekte handeln, die als Besonderheit vermarktet wurden. Nicht nur die Vereine, sondern auch die Spieler waren einem Prozess der zunehmenden Markenbildung unterworfen, wie im folgenden Kapitel ausgeführt wird.
5.2 Bierhoff, Ballack und Beckham: Fußballspieler als Marke und Celebrity »Okay, ich bin eine Marke. Ende, aus.« – Mit diesen Worten wurde Ende der 1990er Jahre die Antwort des deutschen Nationalspielers Oliver Bierhoff auf die Frage, »ob er sich nicht fühle wie ein Stück Fleisch, das auf dem Markt gehandelt wird«, zitiert226. Bierhoff, dessen Karriere Mitte der 1980er Jahre in Deutschland begonnen hatte, der jedoch seinen Durchbruch in der italienischen »Serie A« feierte, wo er von 1991 bis 2003 bei verschiedenen Klubs spielte, wurde nach seinem siegbringenden Golden Goal bei der Europameisterschaft 1996 zum Werbehelden aufgebaut. Neu war nicht die Tatsache, dass ein Spitzenfußballer sein Gehalt durch Werbeverträge aufbesserte, dies hatte es schon seit den 1960er Jahren gegeben. Neu war die gesteigerte Intensität und Professionalisierung der Vermarktung, die mit der Eruption der Medienlandschaft und dem neuen Status der Spitzenspieler nach Bosman zusammenfiel. Ende der 1980er Jahre sei Fußball »noch öffentlich-rechtlich« gewesen und habe »nach Schweiß« gerochen, beschrieb der Spiegel den subjektiven Eindruck einer grundlegenden Veränderung, und die Vorzeit-Ikone Uwe Seeler machte einen doofen Werbespot für billiges Rasierwasser. Der Held dieser Zeit war Lothar Matthäus, ein neureicher Raumausstatter, der sich vor Fernsehkameras in seinem begehbaren Kleiderschrank aufplusterte und sagte, man dürfe ›den Sand nicht in den Kopf stecken‹. Heute ist Fußball Bertelsmann und Kirch und Mercedes-Benz, der Fußballspieler ist der Agent des Großkapitals, und Oliver Bierhoff ist die Idealbesetzung.227
Peter Ollson, der damalige Marketingchef der Sportrechteagentur ISPR , die auch die Fernsehrechte für die Bundesliga vermarktete, wurde 1996 Bierhoffs Berater und Werbestratege. Das Unternehmen leistete sich eine 100.000 Mark teure Werbeanalyse, die ein Imageprofil für Bierhoff erstellte, welches an einschlägige Firmen verschickt wurde228 – mit Erfolg: Der Spieler konnte mehr Werbe verträge abschließen denn je ein deutscher Kollege zuvor:
226 Der Held aus dem Cyberspace, in: Der Spiegel 17 vom 20.4.1998, S. 238–241, hier S. 241. 227 Ebd., S. 239. 228 Vgl. Sisiphos, live, in: Der Spiegel 44 vom 27.10.1997, S. 156–165, hier S. 163 f.; Der Held aus dem Cyberspace, in: Der Spiegel 17 vom 20.4.1998, S. 238–241, hier S. 240.
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Er löffelt Sahnepudding für das Haus Danone, spart mit Wertpapieren für die Deutsche Bank, steckt in Lederjacken für den Quelle-Versand, telefoniert für das Mobilnetz der Telekom, shampooniert den Kopf für L’Oreal, trägt fil à fil am Hals und Nike am Fuß.229
Ein Leitfaden von Ollsons Firma »PerformancePlus«, mit der er sich kurze Zeit später selbstständig gemacht hatte, erläuterte die Vorteile der Werbung mit sogenannten Testimonials damit, dass sie vor dem Hintergrund eines in den 1990er Jahren extrem gestiegenen Werbeaufkommens als ›Gesichter von Marken‹ wesentliche Beiträge leisten, die Aufmerksamkeit der Verbraucher auf die Marke zu lenken. Sie können als nahbare und sympathische Markenbotschafter den direkten und schnellen Weg finden, um Marken direkt ins ›Herz‹ der Verbraucher zu transportieren.230
Anhand des Fallbeispiels Oliver Bierhoff und »Dany Sahne« erläuterte die Agentur ihre Strategie: Mit Bierhoff als »Persönlichkeit aus dem Sport, die neben hohen Awareness- und Sympathiewerten vor allen Dingen durch gutes Aussehen und eine ausgesprochene Lockerheit die Attribute des Fitnesstrends verkörperte«, sollte der Schokoladenpudding Dany Sahne »in den Segmenten Wellness, Fitness und Gesundheit deutlich positioniert werden. Eine Testimonialkampagne mit einer Sportpersönlichkeit sollte den Imagetransfer zur Sportlichkeit, Leichtigkeit und Gesundheit erreichen«231. Weiterentwickelt wurde die Vermarktungsstrategie bei Nationalspieler M ichael Ballack, der seinen sportlichen Durchbruch um die Jahrtausendwende feierte. In einem eigens zugeschnittenen »Masterplan« legte PerformancePlus eine auf Ballack zugeschnittene Strategie bis zum Jahr 2006 fest. Dem Spieler würden neben seinem hohen Bekanntheitsgrad die Attribute »ehrlich, offen, führend, seriös, sympathisch, belastbar, aufmerksamkeitsstark, souverän, glaubwürdig, heimatverbunden, verantwortlich, modisch, elegant, politisch, sozial engagiert« zugeschrieben232. Insbesondere die unterstrichenen Attribute gelte es »im Umgang mit den Medien« gezielt zu stärken und als Profil auszubauen, denn das würden »die Medien als klares Profil aufnehmen und dadurch wird das Risiko verringert, dass die Presse ein eigenes Profil entwickelt, das keine Substanz hat«233. Diese Aussage machte relativ deutlich, dass für die Agentur die Kontrolle der positiven Außenwirkung des Fußballstars höchste Priorität hatte. Noch gezielter als dies bei Bierhoff der Fall war, sollte Ballack nicht nur an Sponsoren vermittelt, sondern als eigene »Marke« entworfen und vermarktet werden. Mit Konzernen wie Adidas, McDonald’s, Coca-Cola und Sony bekam Ballack 229 Ebd., S. 238. 230 PerformancePlus, Prominente in der Werbung – Ein Leitfaden, München 2009, S. 12. 231 Ebd., S. 44. Erstaunlicherweise funktionierte diese Taktik, sodass der Puddinghersteller seine Umsätze in den folgenden zwei Jahren um 30 Prozent steigern konnte. 232 Ebd., S. 38. 233 Ebd.
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»globale Partner« an die Seite gestellt, die seinen Status als »Legende« pünktlich zur Weltmeisterschaft 2006 unterstreichen sollten234. Die Beispiele Bierhoff und Ballack veranschaulichen, wie die Strategien zur Vermarktung von Ausnahmespielern immer professioneller und ausgereifter wurden. Zur Meisterschaft in der Markenwerdung seiner selbst brachte es jedoch der englische Spieler David Beckham. Der Sohn eines Londoner Kücheninstallateurs schaffte 1995 den Sprung aus dem Nachwuchslager in die Stammelf von Manchester United, wo ihm ein rasanter sportlicher Aufstieg gelang. Während Beckhams Reputation sich zu Beginn seiner Karriere vor allem aus dem Ruhm seines Vereins speiste, verschoben sich die Gewichte im Laufe der Zeit. Insbesondere bei asiatischen Fußballfans profitierte Manchester United von der Verbindung mit Beckham, der zwischenzeitlich zu einer globalen Ikone aufgestiegen war235. Bei seinem Wechsel zu Real Madrid im Jahr 2003 sagte eine Marktforschungsagentur voraus, dass mehr als ein Drittel der 16,6 Millionen Fans von Manchester United im asiatischen Raum Beckham folgen und seine Sympathien vom englischen zum spanischen Top-Klub verschieben würde236. Die »Financial Times« bezeichnete Beckham 2002 als »a marketing person’s dream«, da er als einer der wenigen Spieler über den Fußball hinaus bekannt sei und Popularität bei Fußballabstinenzlern ebenso wie bei eingefleischten Fans genieße237. Im Jahr 2004 verdiente er 16 Millionen Euro allein aus Werbeverträgen, jedoch »nur« sechs Millionen Euro aus seiner Tätigkeit als Fußballspieler von Real Madrid238, und noch 2013, im letzten Jahr seiner Karriere als aktiver Fußballer, als er längst nicht mehr in einem der Spitzenklubs spielte, war er dank seines Status als Werbe-Ikone der bestverdienende Fußballspieler der Welt239. Was waren die Ursachen für Beckhams Aufstieg zur weltweiten Berühmtheit, »a cultural Phenomenon unlike any other British footballer or indeed sporting figure, past or present«240? Erstens wurde Beckham natürlich für seine spielerischen Fähigkeiten bewundert, die er in Spitzenvereinen sowie der englischen Nationalmannschaft regelmäßig unter Beweis stellte. Dennoch war Beckham trotz seines Talents nie 234 Vgl. ebd., S. 38 f. Nach seinem verletzungsbedingten Fehlen bei der Weltmeisterschaft 2010 schaffte Ballack nie wieder den Sprung in die Nationalmannschaft. Die »Marke Ballack« wurde aufgrund des fehlenden sportlichen Erfolgs daraufhin recht bald für »tot« erklärt. Vgl. Carli Underberg, PR-Experten: »Die Marke Ballack ist tot«, in: SportBild vom 18.2.1011 (URL : http://sportbild.bild.de/bundesliga/vereine/ist-tot-16042726. sport.html, zuletzt eingesehen am 25.8.2017). 235 Vgl. Barry Smart, The Sport Star. Modern Sport and the Cultural Economy of Sporting Celebrity, London, Thousand Oaks 2005, S. 161. 236 Vgl. ebd., S. 162. 237 Zit. n. Boyle / Haynes, Football in the New Media, S. 86. 238 Vgl. Huber / Meyer, Der Fußballstar als Marke, S. 1. 239 Vgl. Medien, Beckham bleibt Topverdiener im Fußball, in: Zeit-Online vom 19.3.2013 (URL: http://www.zeit.de/news/2013-03/19/fussball-medien-beckham-bleibt-top-verdiener- im-fussball-19115805, zuletzt eingesehen am 25.8.2017). 240 Smart, The Sport Star, S. 155.
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der weltbeste Fußballer241. Es gab auch auf dem Höhepunkt seiner aktiven Zeit fußballerisch talentiertere Kollegen, wie etwa Zinedine Zidane, die gleichwohl nicht das gleiche Vermarktungspotenzial entfalteten wie Beckham. Zweitens spielte die mediale Umgebung der 1990er Jahre eine Rolle für Beckhams Aufstieg zum globalen Celebrity. Als sich die Medien in den 1990ern auf den Fußball stürzten, war Beckham laut Raymond Boyle und Richard Haynes in einer idealen Position, um von deren Effekten zu profitieren242. Die erhöhte Geschwindigkeit in der Zirkulation von Informationen und die ständige Wiederholung bestimmter Ereignisse auf allen Kanälen – ein Phänomen, das Garry Whannel Vortextuality243 taufte – hätten beträchtlich zur Steigerung von Beckhams kulturellem Kapital beigetragen. Durch diesen Mechanismus wurden Nachrichten über Beckham blitzschnell aufgeblasen und verbreitet, was ihm eine Omnipräsenz in allen Medien verschaffte. Einen erheblichen Beitrag dazu, dass Beckham überhaupt derart in den Fokus der Medien geriet, war drittens seine Beziehung mit der Popsängerin Victoria Adams. »Selbst seriöse Druck-Erzeugnisse hat die spektakuläre Beziehungskiste zu einer Art Kulturrevolution veranlaßt«244, schrieb der Spiegel 1999; Beckham befinde sich damit »in der Umlaufbahn einer Pop-Ikone«245. Adams hatte als Mitglied der Popgruppe Spice Girls Mitte der 1990er Jahre internationale Berühmtheit erlangt und war zum Zeitpunkt ihres Kennenlernens bekannter als Beckham. Der Soziologe Ellis Cashmore, der in einer Studie nach den Triebkräften hinter dem »Produkt Beckham« fragte, argumentierte, dass die medienerfahrene Adams verantwortlich war »for levering him into a culture, a status, perhaps a world of entirely new possibilities (…)«246. Viertens wurde Beckhams Vermarktung gesteuert »by a formidable assembly of agents, publicists, lawyers, managers and miscellaneous other advisors«247. Da seine Außenwirkung für die beteiligten Berater den Vermarktungswert festlegte, wurde nichts dem Zufall überlassen. Das transportierte Image von Beckham als begnadeter Fußballer, Aufsteiger aus der Arbeiterschicht, Sexsymbol, treusorgender Familienvater und Mode-Idol bot ein breites Spektrum an Identifikationsmöglichkeiten und verschaffte ihm unzählige Werbeverträge. Das »SAGE Dictionary of Sports Studies« schrieb, Beckham habe »a carefully craftet, multifaceted and complex image to which people from multiple mar241 Vgl. ebd. 242 Vgl. Boyle / Haynes, Football in the New Media, S. 87. 243 Obwohl die Menge an Informationen ständig steigt und immer schneller zirkuliert, beschreibt Whannel diesen Prozess als Verdichtung durch Sebstreferenzialität: die Medien bezögen sich vor allem aufeinander und versorgten sich gegenseitig mit Nachrichten, sodass es zur Dominanz einzelner News komme. Vgl. Garry Whannel, Media Sport Stars. Masculinities and Moralities, London, New York 2002, S. 41. 244 Steilpaß in die Diana-Lücke, in: Der Spiegel 16 vom 19.4.1999, S. 154–156, hier S. 155. 245 Ebd., S. 154. 246 Cashmore, Beckham, S. 99. 247 Ebd., S. 165.
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ket segments can relate, and feel at ease«248. Darüber hinaus startete Beckham höchst erfolgreich mit einer eigenen Produktlinie, die unter anderem Parfum und Unterwäsche vertrieb – mit diesem Schritt war Beckham endgültig zur eigenen globalen Marke geworden. Es bleibt festzuhalten, dass die kommerzielle Vermarktung der Spieler extrem professionalisiert und intensiviert wurde, zugleich aber nur wenige Spieler den Markenwert eines Beckham oder Ronaldo erlangten. Insgesamt hat sich jedoch auch das Auftreten weniger bekannter Spieler deutlich verändert: Fußballprofis werden heute nicht nur technisch, sondern auch rhetorisch geschult, wie sich zum Beispiel (meistens) in den Interviews nach einem Spiel zeigt. Auch werden Eskapaden und Skandale von den Vereinen weit weniger geduldet, da die Spieler als Aushängeschilder der Klubs gelten, die deren Image prägen.
6. Fußballstadien nach 1990: Unterhaltungstempel oder modernes Panoptikum? Waren die Stadien in den 1980er Jahren vor allem in England zum Symbol für den Niedergang des Fußballs und der Gesellschaft im Allgemeinen geworden, drehten sich in den 1990er Jahren die Vorzeichen um. Die Stadien wurden zu Orten, an denen sich die gravierenden Umwälzungen im Fußball sichtbar niederschlugen und in denen sich die zentralen Veränderungsströme – wie Medialisierung, Kommerzialisierung, Ästhetisierung und Gentrifizierung – bündelten. Der erste ausschlaggebende Impuls kam in England durch den »Taylor-Report« von 1990, der einen entscheidenden Zusammenhang zwischen einer freundlichen Atmosphäre und der Sicherheit im Stadion postulierte249. Die Studie schlug vor, dass man sich von repressiven Maßnahmen, wie hohen Zäunen ums Spielfeld und einer übertriebenen Polizeipräsenz, verabschieden und stattdessen auf die Modernisierung der Stadien setzen sollte. Wichtigste Maßnahme war in diesem Zusammenhang der Umbau der englischen Stadien in reine Sitzplatzarenen, der bis zur Saison 1994/95 abgeschlossen sein sollte. Die Umwandlung von Stehplätzen, die Ende der 1980er Jahre immerhin noch durchschnittlich zwei Drittel aller verfügbaren Plätze in englischen Stadien ausmachten, in Sitzplätze sollte mehr Komfort und Sicherheit für die Zuschauer bringen, aber vor allem auch die Möglichkeiten zur Kontrolle der Zuschauermassen verbessern250. Den Vereinen standen drei Möglichkeiten zur Verfügung, um den Vorgaben des »Taylor-Reports« nachzukommen: Sie konnten entweder ihr bestehendes 248 Dominic Malcolm (Hrsg.), The SAGE Dictionary of Sports Studies, Los Angeles 2008, S. 22. 249 Vgl. Kapitel 1.1 des dritten Teils. 250 Vgl. Lord Justice Taylor, The Hillsbourough Stadium Desaster, S. 27–30.
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S tadion umbauen, ein komplett neues Stadion errichten, oder sich ein Stadion mit einem anderen Klub teilen251. Auch wenn 1990 etwa die Hälfte der 92 Vereine mit einem Neubau liebäugelte, setzten bis 1998 nur zehn Klubs dieses Vorhaben um252. Die beliebteste, weil kostengünstigste Variante war der Umbau des bereits vorhandenen Stadions253. Die englische Profiliga hatte gerade erst begonnen, sich von der Krise der 1970er und 1980er Jahre zu regenerieren, weshalb die meisten Klubs zu dieser Zeit noch keine großen Sprünge im Stadionbau wagten. Eines der ersten Stadien, die in England nach dem Erscheinen des »TaylorReports« neu gebaut wurden, war das Riverside Stadium des Middlesbrough FC , das 1995 nach nur 32 Wochen Bauzeit eröffnete. Eine Besonderheit des Stadions war die Lage in einer stillgelegten Hafenanlage am Flussufer des Tees (vgl. Abb. 12). Partner des Bauprojekts war die »Teesside Development Corporation«, die gegründet worden war, nachdem Margaret Thatcher 1987 die sich über viele Quadratkilometer erstreckenden Industriebrachen der Region Teesside im Nordosten Englands erkundet hatte254. Das Foto ihres »walk in the wilderness«, auf dem sie in einer wüstenartigen Industrie- und Ruinenlandschaft abgebildet ist, wurde zu einem häufig reproduzierten Zeugnis der englischen Zeitgeschichte, das den Niedergang des englischen Nordostens symbolisierte. Das Riverside Stadium war Teil einer Strategie zur urbanen Regeneration, mit deren Hilfe die Brachen des industriellen Zeitalters wiederbelebt und in Zentren der Dienstleistungsgesellschaft umgewandelt werden sollten. Eine ähnliche Strategie verfolgten auch die Erbauer des Stadium of Light des ebenfalls im Nordosten Englands beheimateten Sunderland AFC . Das Stadion, welches 1997 eröffnete, wurde auf dem ehemaligen Gelände der Monkwearmouth Colliery errichtet. Diese war einst das größte Steinkohlebergwerk Sunderlands und wurde als letzte noch betriebene Kohlemine in der Region 1993 geschlossen. Der Verein spart in seiner Stadionbeschreibung nicht mit Bezügen zu dieser industriellen Vergangenheit des Ortes, die als Mittel zur Konstruktion der eigenen Markenidentität dienen. Der Name des Stadions sei beispielsweise ein tribute to the miners who worked at the site when it was a colliery and relied on their miners’ lamps – this also reflects the desire of the club and its supporters to be in the limelight and illuminate the way forward!255
251 Vgl. ebd., S. 47–51. 252 Vgl. Taylor, The Association Game, S. 355. 253 Die Vereine wurden zwar vom Football Trust unterstützt, der 1975 von der britischen Regierung gegründet wurde, um den Klubs bei der Umsetzung der Vorgaben des »Safety of Sports Ground Act« finanzielle Hilfe zu garantieren, jedoch deckten diese Gelder nur 30 Prozent der Kosten ab. Vgl. Sir Norman Chester Centre for Football Research, Fact Sheet No. 2. Football Stadia After Taylor, Leicester 2002, S. 10. 254 Vgl. Inglis, Football Grounds of Britain, S. 249. 255 Sunderland AFC: Stadium of Light (URL : http://www.safc.com/the-club/stadium/intothe-light, zuletzt eingesehen am 23.8.2015).
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Vierter Teil: Fußballboom und radikale Kommerzialisierung
Abb. 12: Riverside Stadium, Stadion des FC Middlesbrough, erbaut 1995. Die Lage in einem stillgelegten Hafenareal von Middlesbrough symbolisiert eine Strategie der urbanen Regeneration in Zeiten des sogenannten Strukturwandels. Quelle: Paul White North East England / Alamy Stock Foto
Sunderland habe nie eine Kathedrale besessen, but the stadium has created a spiritual home for local people and on a matchday thousands of supporters flock to games to experience the passion and enjoy the action. The Stadium’s design drew inspiration from Sunderland’s proud industrial heritage in glass-making, shipbuilding and coal-mining. With its bowl-shaped lower deck and a second tier over the West and North stands, it provides the ultimate in spectator comfort.256
Bei aller industriekulturellen Folklore handelte es sich beim Stadium of Light um die erste Multifunktionsarena im englischen Profifußball. Das Stadion diente seit seiner Eröffnung nicht nur dem Sunderland AFC als Austragungsort für seine Spiele, sondern beherbergte auch Rock- und Popkonzerte, Konferenzen und andere Veranstaltungen. Eine neue Stadiongeneration verkörperte die Gelsenkirchener Arena AufSchalke (heute Veltins Arena), die 2001 nach dreijähriger Bauzeit eröffnet 256 Ebd.
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wurde257. Bei diesem Stadion handelt es sich ebenfalls um eine Multifunktionsarena, in der vom Popkonzert über Indoor-Biathlon bis hin zum Boxkampf die verschiedensten Events veranstaltet werden. Eine Besonderheit stellt der verschiebbare Rasen dar, der in einer riesigen Schublade aus dem Stadion herausgefahren werden kann. Darüber hinaus verfügt die Arena über ein Dach, das sich über dem Spielfeld nach Belieben öffnen und schließen lässt, sowie über einen riesigen Videowürfel, der an der Stadiondecke hängt und von allen Seiten einsehbar ist. Das Stadion veranschaulicht damit erstens eine Dynamik der Verdichtung: Die Überdachung und die Nähe der Zuschauer zum Spielfeld sorgen für eine intensive Atmosphäre, vergleichbar mit einem Dampfkochtopf. »Die Lautstärke im Stadion übertrifft auch bei offenem Dach konstant die eines startenden Flugzeugs oder eines Presslufthammers in nächster Nähe«, beschreibt Rudi Raschke die Atmosphäre im Gelsenkirchener Stadion – »[b]ei geschlossenem Dach bietet sie die hierzulande ungekannte Anmutung eines amerikanischen Superdomes«258. Zweitens verkörpert die Veltins Arena die von Sheard beschriebene vierte Stadiongeneration, die die Stadionmorphologie nach den Erfordernissen des Fernsehens umformte259. Für Fernsehübertragungen, die seit den 1990er Jahren immer ästhetisierter und eventhafter wurden, ist die Atmosphäre im Stadion ein zentraler Bestandteil der Inszenierung. Das Gelsenkirchener Stadion sorgt schon durch seine Architektur dafür, dass die von den Zuschauern erzeugte Stimmung maximal zur Geltung kommt, was wiederum die Telegenität von Veranstaltungen erhöht. Der Videowürfel mit vier 36 Quadratmeter großen Bildschirmen bewirkt zudem, dass das Fernseherlebnis direkt ins Stadion hinein geholt wird, sodass die Zuschauer sich selbst bereits als Teil einer Fernsehinszenierung wahrnehmen. Darüber hinaus kann auch die unter der Stadiondecke angebrachte Beleuchtung optimal den Bedürfnissen von Fernsehübertragungen angepasst werden – besser als dies in Stadien mit vier Flutlichtmasten der Fall war. Simon Inglis stellte auch bei den englischen Stadien fest, dass »our leading venues are becoming increasingly like entertainment centres in which spectators sit, like audiences in a TV studio, surrounded by cameras, lights, loudspeakers and monitors«260. Drittens verzichtet man auch in einem derart eventisierten Stadion wie der Gelsenkirchener Veltins Arena nicht auf emotionale Bezugspunkte, die über das reine Fußball- und Vergnügungserlebnis hinausgehen sollen. Zum Beispiel beherbergt das Stadion eine Kapelle, in der Taufen und Hochzeiten gefeiert 257 In Deutschland waren viele Stadien während der 1970er Jahre zur Weltmeisterschaft 1974 modernisiert worden. Eine zweite Modernisierungswelle folgte zur Weltmeisterschaft 2006. Die Arena AufSchalke war das erste Bundesligastadion, das im Zuge dieser zweiten Modernisierungswelle neu errichtet wurde. 258 Raschke, Stadion, S. 244. 259 Vgl. Sheard, The Stadium, S. 116. 260 Inglis, Football Grounds of Britain, S. 14.
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werden können. Außerdem spielt der Verein immer wieder auf den Mythos des Bergarbeiterklubs an, wie etwa mit der sogenannten »Knappenkarte«, die ein bargeldloses Bezahlen im Stadion ermöglicht, oder dem Empfang eines neuen Spielers im Stadion, indem dieser von Bergarbeitern einen Klumpen Kohle überreicht bekommt. Die ersten Vertreter einer weiteren Stadiongeneration wurden Mitte der 2000er Jahre eröffnet. Dabei handelte es sich um Stadien, die als iconic architec ture durch außergewöhnliche optische Effekte das Stadtbild prägen sollten und von international gefeierten Architekten entworfen wurden. Ein Beispiel hierfür ist die Münchner Allianz Arena, die im Jahr 2005 ihre Eröffnung feierte (vgl. Abb. 13). Das Stadion wurde vom Schweizer Architekturbüro »Herzog & de Meuron« entworfen, das unter anderem auch für das Design des National stadions in Peking sowie der Hamburger Elbphilharmonie verantwortlich ist. Drei Leitvorstellungen prägten laut Architekten das Konzept des Stadions: the presence of the stadium as an illuminated body that can change its appearance and is situated in an open landscape, the procession-like arrival of fans in a landscaped area and the crater-like interior of the stadium itself.261
Die leuchtende Außenmembran stellt eine »radikale Absage an das nüchternfunktionale Bauen und die Betonhaufen der früheren Stadien« dar262. Wegen der runden, weichen Form der Membran wurde das Stadion in der Vergangenheit häufig als »Schlauchboot« oder »Luftkissen« bezeichnet. Im Innenraum sorgt die Architektur für eine maximale Verdichtung der Atmosphäre, es handelt sich um das einzige deutsche Stadion mit drei Rängen übereinander. Ein weiterer Vertreter dieser städtebaulichen Ikonen ist das Londoner Wembley Stadium. Dieses wurde als Ersatz für das gleichnamige Nationalstadion, welches 2003 abgerissen worden war, errichtet und im Jahr 2007 eingeweiht. Geplant wurde das Stadion vom Architekturbüro »Forster and Partners«, welches schon die Kuppel des Berliner Reichstags und den Londoner Millennium Tower entworfen hatte. Kennzeichen des Stadions ist ein 133 Meter hoher Bogen, der sich wie ein Henkel über die Arena spannt und laut Aussage der Architekten als »iconic replacement« für die Zwillingstürme des alten Stadions dienen und »a strong symbol for Wembley and an instantly recognisable London landmark« darstellen soll263. Im Innenraum soll es den Konsumenten an nichts fehlen: das Stadion verfügt selbstverständlich über ein Schiebedach, die Sitzplätze haben eine vergrößerte Beinfreiheit und können via Rolltreppen erreicht werden. Unzählige Restaurants und Imbissstände sorgen dafür, dass die Gäste auch 261 Herzog & de Meuron, Projektbeschreibung Allianz Arena (URL : https://www.herzog demeuron.com/index/projects/complete-works/201-225/205-allianz-arena.html, zuletzt eingesehen am 21.8.2017. 262 Raschke, Stadion, S. 194. 263 Foster + Partners, Wembley Stadium (URL: http://www.fosterandpartners.com/projects/ wembley-stadium/, zuletzt eingesehen am 21.8.2017).
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Abb. 13: Allianz Arena in München, erbaut 2005. Quelle: Allianz Arena / B. Ducke
kulinarisch auf ihre Kosten kommen. Scheinbar fand auch die FA das Ambiente so einladend, dass sie ihren Hauptsitz vom innerstädtischen Soho Square in das Wembley Stadium verlegte. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte & Touche schwärmte 2003 von den gestiegenen Stadioneinnahmen der englischen Premier League-Vereine. Wenn die anderen fünf großen Ligen nur eine Sache über den Einkommenszuwachs englischer Klubs lernen sollten, sei es folgende: »Maximise the value of the stadium asset. And not just on matchdays. Make it work for you seven days a week, 52 weeks a year.«264 Durch die Vorgabe, ihre Stadien in reine Sitzplatzarenen umzubauen, mussten die englischen Vereine die Gesamtzahl ihrer Plätze reduzieren, wogegen viele Klubs sich zunächst sträubten, da sie Einnahmeausfälle befürchteten. Jedoch führte diese Reduzierung nicht zu weniger Einnahmen aus Ticketverkäufen – im Gegenteil: Wie Deloitte betonte, waren die Einnahmen sogar deutlich gestiegen. Das Unternehmen sprach von einer Erfolgsgeschichte, in deren Verlauf sich die englischen Stadien in »profit centres« verwandelt hätten265. Die Ursachen für diesen Zuwachs an Ticketeinnahmen lagen zum einen in der hohen Auslastung der Premier League-Stadien in den 1990er Jahren durch das insgesamt gestiegene Zuschauerinteresse, zum anderen aber vor allem an den enormen Preissteigerungen, die die Vereine zeitgleich mit den Modernisierungen vorgenommen hatten. Eine Studie der britischen Regierung stellte fest, dass die Ticketpreise zwischen 1989 und 1999 durchschnittlich 264 Deloitte & Touche, Annual Review of Football Finance, S. 12. 265 Vgl. ebd., S. 49.
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um 312 Prozent angehoben wurden266. »Clubs have come to view seats as scarce resources, increasing the value of season tickets, and reducing the opportunity to pay at the gate«267, erklärte Giulianotti den zugrundeliegenden Mechanismus. Hatten die Klubs in den 1980er Jahren noch um jeden Zuschauer gekämpft, konnten sie sich nun darüber freuen, dass das Zuschaueraufkommen beständig hoch war und viele Menschen bereit waren, für das Fußballerlebnis in den Stadien wesentlich tiefer in die Taschen zu greifen als zuvor. Kritik an den massiven Veränderungen, die mit dem Um- und Neubau der Stadien einherging, blieb trotz – oder gerade wegen – des kommerziellen Erfolgs nicht aus. Schon als die Vorgaben des »Taylor-Reports« bekannt wurden, ertönten in England Klagen, dass der Umbau der Stadien zu einem Verlust an Atmosphäre und Identität in den Vereinen führen würde. Fußballsoziologen wie Giulianotti und Bale bemühten in diesem Zusammenhang den Begriff der topophilia, einer intensiven Liebe von Fußballanhängern zu »ihrem« Ort, die durch einen Stadionneubau gefährdet werde268. Beispielsweise hätten die heftigen Proteste von Millwall-Anhängern gegen den Neubau ihres Stadions gezeigt, dass »[a]fter a long residence in one place, moving can be a traumatic experience«269. Proteste gegen den Um- und Neubau von Stadien wurden zu einem wichtigen Katalysator der Bewegung sogenannter »kritischer Fans« in den 1990er Jahren (vgl. Kapitel 7). Jedoch zeigten verschiedene Studien, dass ein Großteil der Fußballanhänger grundsätzlich zufrieden mit den neuen Stadien war270. Vor allem, wenn das neue Stadion als Symbol für die sportlichen Ambitionen eines Vereins in der Premier League begriffen wurde, stieg die Unterstützungsbereitschaft der Fans, stellte das SNCCFR fest271. Ein weiterer Kritikpunkt betraf die Preisgestaltung der Vereine. Die massiv erhöhten Ticketpreise führten zu einer Exklusion weniger wohlhabender Anhänger aus dem Stadion und damit zu einer Gentrifizierung der Zuschauerschaft, so vielerorts der Tenor. »The perverse multiplication of the match Ticket’s exchange value […] promotes the attendance of wealthy, less passionate spectators at the expense of dedicated fans«, kritisiert beispielsweise Giulianotti272. Und auch King betont, dass die Exklusion der traditionellen Fußballanhänger, der lads, zugunsten eines als »more affluent and familial« charakterisierten Publikums »a profound social change« darstelle273. Taylor führt gegen dieses weit verbreitete Narrativ an, es gebe wenig substanzielle Beweise, die einen 266 Vgl. Taylor, The Association Game, S. 367. 267 Giulianotti, Football, S. 78 f. 268 John Bale, The Changing Face of Football: Stadiums and Communities, in: Soccer and Society 1 (2000), S. 91–101, hier S. 92; Giulianotti, Football, S. 69–72. 269 Ebd., S. 71. 270 Vgl. Sir Norman Chester Centre for Football Research, Fact Sheet No. 2, S. 11 und S. 17. 271 Vgl. ebd., S. 17. 272 Giulianotti, Football, S. 80. 273 Anthony King, The Lads: Masculinity and the New Consumption of Football, in: Sociology 2 (1997), S. 329–346, hier S. 329.
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Exklusionsmechanismus bzw. eine Gentrifizierung belegten274. Eine Studie von Dominic Malcolm, Ian Jones und Ivan Waddington untersuchte Zuschauerumfragen aus den Jahren 1984 bis 1997, um der Frage nach einer veränderten sozialen Zusammensetzung des Fußballpublikums empirisch auf den Grund zu gehen275. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass es weder beim Anteil der weib lichen Zuschauer noch beim Prozentsatz der Arbeitslosen oder Mittelklasse-Konsumenten im Stadion zu signifikanten Veränderungen gekommen sei276. Auch die ästhetischen Veränderungen, insbesondere die Verschmelzung von Stadion- und Fernseherlebnis, lösten nicht nur Begeisterung aus. Camiel van Winkel kritisierte etwa, das Fernsehen habe die völlige Pazifierung der Masse möglich gemacht (…). Die Masse wurde zerstreut, zerlegt und domestiziert – nach Hause geschickt. Das im Stadion verbliebene Publikum symbolisiert das unsichtbare Kollektiv der Fernsehzuschauer. Wie die Sponsoren richtet es sich mit geistreichen Transparenten für daheim direkt an die Fernseh kameras.277
John Bale schlug vor, den Begriff des Fußballstadions durch den Ausdruck tradium zu ersetzen, »a public-private space that linked leisure with spending«278. Die bei van Winkel und Bale anklingende Kommerzialisierungskritik erhielt durch die radikalen Veränderungen, die der Fußball in den 1990er Jahren erfuhr, kräftigen Aufwind und wird Thema des folgenden Kapitels sein.
7. Fußballkonsum in den 1990ern: Diversifizierung und Politisierung Wie eingangs geschildert, strömten in den 1990er Jahren die Zuschauer zurück in die Stadien – eine Entwicklung, die sowohl in England als auch in Deutschland bis heute ungebrochen ist. Hatte der Profifußball in den 1960er bis 1980er Jahren zunehmend den Anschluss an die Lebenswirklichkeit einer immer pluralistischer werdenden Wohlstandsgesellschaft verpasst, verkehrten sich im Laufe der 1990er Jahre die Vorzeichen ins Gegenteil. Der professionelle Fußball passte sich nicht nur an gesellschaftliche Trends und Bedürfnisse an, sondern schuf mithilfe einer expandierenden Medienlandschaft und professioneller Vermarktungsstrategien ganz neue Erlebnis- und Konsumwelten. Der einstige Ver274 Vgl. Taylor, The Association Game, S. 367–386. 275 Dominic Malcolm / Ian Jones / Ivan Waddington, The People’s Game? Spectatorship and Demographic Change, in: Soccer and Society 1 (2000), S. 129–143. 276 Vgl. ebd., S. 131–137. Die Autoren geben jedoch selbst zu bedenken, dass es für wirklich belastbare Ergebnisse einer Verfeinerung der Umfragemethoden bedürfe. 277 Van Winkel, Tanz, Disziplin, S. 255. 278 Bale, The Changing Face of Football, S. 93.
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lierer der Wohlstandsgesellschaft avancierte in seiner hyper-kommodifizierten Gestalt zum Maßstab und Vorreiter für progressive Strategien auf dem Freizeitmarkt. Während bisher vor allem die Geschichte der Professionalisierung und Kommerzialisierung des Fußballs in den 1990er Jahren im Fokus stand, soll nun danach gefragt werden, was die radikale Veränderung des Spiels mit dem Publikum machte bzw. was das Publikum aus dem gewandelten Fußballspiel machte. Der Fußballkonsum ist seit den 1990er Jahren vor allem durch zwei Entwicklungen geprägt: Zum einen differenzierten sich die Formen, Fußball zu konsumieren, immer weiter aus, und zum anderen kam es zu einer Politisierung bestimmter Anhängergruppen. Im Fußball spiegeln sich damit seit den späten 1980er Jahren zwei Entwicklungen wider, die Doering-Manteuffel und Raphael als »Übergang von der Konsum- zur Konsumentengesellschaft« und als »Ausbreitung einer alternativen Konsumentenkultur« bezeichneten279. Während es bis Mitte der 1970er Jahre einen weitgehend konformistischen Massenkonsum von Standardwaren gegeben habe (Konsumgesellschaft), so die erste These der Autoren, differenzierten sich seither die Lebensstile zunehmend aus und ließen eine individualisierte Konsumentengesellschaft entstehen: »Moden und kulturelle Trends reagierten auf die zunehmende Individualität, und sowohl das Warenangebot als auch der Konsumstil spiegelten dies wider.«280 Der Profi-Vereinsfußball war zwar einerseits schon immer ein Massenprodukt, jedoch zeigt sich auch hier ein Trend zur Ausdifferenzierung der Konsumangebote und -stile. Im modernen Stadion manifestiert sich diese Heterogenität von Konsumstilen auf engstem Raum: Vom Stehplatzzuschauer über die Teenager im Familienblock bis hin zu den Geschäftsleuten und Politikern in den VIP-Logen soll jedem eine Nische geschaffen werden. Während die einen durch familienfreundliche Stadien, internationale Starspieler und eine vibrierende Atmosphäre angelockt werden, kommen andere, um dem lokalen Verein in guten wie in schlechten Zeiten beizustehen, Gleichgesinnte zu treffen oder gegen die zunehmende Kommerzialisierung des Spiels zu protestieren. Es ist an dieser Stelle unmöglich, eine vollständige Übersicht über die verschiedenen Formen des Fußballkonsums seit den 1990er Jahren zu geben. Versuche, Zuschauergruppen zu kategorisieren, sei es aus soziologisch-kritischer281, 279 Vgl. Doering-Manteuffel / Raphael, Nach dem Boom, S. 124–127. 280 Ebd., S. 127. 281 So unterscheidet Giulianottti je nach Intensität der Anhängerschaft und Bereitschaft zum Konsum kommerzieller Angebote zwischen Supporter, Fan, Follower und Flaneur. Vgl. Giulianotti 2002 – Supporters. King unterteilt die Hauptgruppen der Fußballanhänger in lads, die als junge Männer aus den working-classes mit maskulinem Habitus charakteriesiert werden, new football writing fans, eine Gruppe gebildeter Mitglieder der Mittelklasse, die sich an der Entstehung einer neuen intellektualisierten Fußballkultur beteiligten, sowie die new consumer fans, die diejenige Zuschauergruppe umfassen, die die Kommerzialisierung des Fußballs begrüßen. Vgl. King, The End of the Terraces, S. 148–203.
Fußballkonsum in den 1990ern
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sei es aus kommerzieller282 Perspektive, sind nur bedingt aussagekräftig, da sie stets bloß einen Ausschnitt der Lebens- und Konsumgewohnheiten erfassen und diese zum Teil sehr simplifizieren. Insgesamt ist festzuhalten, dass die 1990er Jahre eine Pluralisierung der Anknüpfungspunkte für verschiedene »Codierungen« des Fußballkonsums mit sich brachten. Die Konstruktion von Images und Markenidentitäten durch kommerzielle Strategien wurde bereits in den vorangegangenen Kapiteln analysiert. Die Individualisierung und Differenzierung ging jedoch auch mit einer neuen Form des Konformismus und der »Vermassung« einher: Zeitgleich mit der Ausdifferenzierung des Angebots weitete der Profifußball seine Zuschauerbasis aus und monopolisierte damit seine Position. Drohte in den 1980er Jahren zumindest in Deutschland noch die Gefahr, dass der Fußball vom Tennis dauerhaft als beliebteste TV-Sportart überholt werden könnte, baute das Spiel – nicht zuletzt dank der kräftigen Unterstützung durch das Privatfernsehen – in den 1990er Jahren seine Position als unangefochtener König unter den Zuschauersportarten immer weiter aus. Darüber hinaus sorgte ein über Jahrzehnte andauernder Konzentrationsprozess, der sowohl in England als auch in Deutschland stattfand, dafür, dass sich die unteren Ligen verkleinerten und die Aufmerksamkeit des Publikums fast ausschließlich auf die Spitzenligen fokussiert wurde. Das Label der »individualisierten Konsumentengesellschaft« betont vor allem den Prozess der Heterogenisierung des Konsums. Das Beispiel Fußball legt jedoch nahe, dass es in der Zeit »nach dem Boom« zugleich zu Konzentrations- und Standardisierungsprozessen kam, sodass man eher von einem individualisierten Massenkonsum sprechen kann. Sassatelli sieht im Zusammenfallen von Heterogenisierung und Standar disierung sowie von Globalisierung und Lokalisierung ein zentrales Merkmal der gegenwärtigen globalen Konsumkultur283. Während sich auf strukturellinstitutioneller Ebene Homogenisierungstendenzen zeigten, fände auf Ebene der Symbolik und Bedeutungszuschreibung eher eine Heterogenisierung statt284. Die Entwicklung des Konsumkontextes im Fußball lässt sich damit recht tref282 Studien wie die »National Fan Surveys« des Marktforschungsunternehmens »SMRC SportsWise« oder die »UFA-Fußballstudien« konzipierten seit Mitte der 1990er Jahre immer ausgefeiltere Methoden, um die Präferenzen der Zuschauer auszuleuchten und Fan-Profile zu erstellen. Vgl. SMRC SportsWise Ltd., The F. A. Premier League National; UFA SPORTS GmbH, UFA Fußballstudie 98; UFA SPORTS GmbH, UFA Fußball Studie 2000; UFA SPORTS GmbH, European Football. France, Germany, Great Britain, Italy, Poland, Spain, Hamburg 2000. Eine 2009 erschienene Studie, die vom »Institut für Demoskopie Allenbsbach« erstellt und vom Sportrechtevermarkter »Sportsfive« herausgegeben wurde, fragte nicht nur Mediennutzung und Berufsgruppen ab, sondern ließ von der Benutzung von Badezusatz über die Einstellung zu Naturheilmitteln bis hin zu Haustieren und Versicherungen kaum ein Detail der Konsumgewohnheiten von Fußballinteressierten im Dunkeln. Vgl. Sportfive GmbH & Co. KG , Sportprofile. AWA 2009, Hamburg 2009. 283 Vgl. Sassatelli, Consumer Culture, S. 179–182. 284 Vgl. ebd., S. 180.
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fend beschreiben: Auf institutioneller Ebene glichen sich die Vereine mit ihren unternehmerischen Führungsstrukturen, internationalen Spielerkadern und professionellen Vermarktungsstrategien und -kanälen immer weiter an. Gleichzeitig multiplizierten sich die symbolischen Bedeutungszusammenhänge, mit deren Hilfe Identifikationspotenziale für das Publikum geschaffen wurden – sei es durch gezielte Vermarktungsstrategien, sei es durch Selbstzuschreibungen der Zuschauer. Das zweite Charakteristikum einer veränderten Konsumkultur in der Zeit »nach dem Boom« ist nach Doering-Manteuffel und Raphael die Moralisierung von Konsum und Kommerzialisierung285. Aus den Einflüssen der Protestbewegung der 1960er Jahre, älteren Spielarten der Lebensreformbewegungen der ersten Jahrhunderthälfte und der neu entstandenen Umweltbewegung habe sich eine alternative Konsumentenkultur herausgebildet. Diese kritisierte die negativen Auswirkungen des standardisierten Massenkonsums und zeichnete sich unter anderem durch eine Ausrichtung an Nachhaltigkeit, Ökologie, Tradition und Lokalität, sowie Authentizität und Entschleunigung aus286. Diese konsumkritische Bewegung habe sich allerdings nicht außerhalb der Konsumsphäre befunden, sondern »es dauerte nicht lange, bis die Ware selbst – zur Chiffre geronnen im ubiquitären Jutebeutel mit all seinem ethisch korrekten Inhalt – als Zeichen einer trendkonformen Moral diente«287 und der »Gestus radikaler Konsum kritik in den Zyklus der Moden konsumwilliger Lebensstile«288 integriert wurde. Der Fußball ist ein hervorragendes Fallbeispiel, um die Entstehung einer konsumkritischen Bewegung mitsamt den ihr innewohnenden Ambivalenzen nachzuzeichnen und zu veranschaulichen. Im Folgenden werden die Motive und Entwicklungspfade der sogenannten »kritischen Fans« in England und Deutschland dargestellt. Anhand des Fallbeispiels FC St. Pauli wird darüber hinaus der Zusammenhang von Protest und Protestvermarktung näher beleuchtet.
7.1 Kritischer Konsum, Politisierung und Protestbewegungen »Der Spaß- und Unterhaltungscharakter eines Fußball-Matches ist bereits jetzt einer Mehrheit der Stadion-BesucherInnen wichtiger als bspw. das Interesse am Verein«, berichtete »Der Übersteiger«, ein Fanzine des Hamburger FC St. Pauli, im Oktober 1996289. In einer Umfrage des »B. A. T.-Freizeitforschungsinstituts« hätten sich 38 Prozent der Befragten »für den bedingungslosen Kommerz« 285 Vgl. Doering-Manteuffel / Raphael, Nach dem Boom, S. 124. 286 Vgl. ebd., S. 124–126; Sassatelli, Consumer Culture, S. 183. 287 Doering-Manteuffel / Raphael, Nach dem Boom, S. 124. 288 Ebd., S. 125. 289 Wer holt sich welches Spiel zurück? Und für wen eigentlich? Vom 1. bundesweiten Fußball-Fanzine-Treffen, in: Der Übersteiger 23 vom 19.10.1996.
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ausgesprochen, »lediglich bei 31 % der Interviewten liegt deren Support in der Sympathie für den eigenen Verein begründet«290. Es ist zu bezweifeln, dass das genannte Freizeitforschungsinstitut tatsächlich wortwörtlich die Kategorien »bedingungsloser Kommerz« und »Sympathie für den Verein« als alternative Auswahlmöglichkeiten angeboten hatte. Die Wortwahl spiegelt vielmehr ein Narrativ wieder, das eine Dichotomie zwischen »authentischen« und »nicht-authentischen« Formen der Fußballverbundenheit postulierte. Loyale, lokal verwurzelte und anti-kommerziell eingestellte »traditionelle Fans« wurden wechselhaften, nicht lokal gebundenen und konsumistischen »Neu-Zuschauern« mit schwacher Bindung an den Verein gegenübergestellt. Dieses Narrativ entwickelte sich in England und Deutschland mit der zunehmenden Ökonomisierung des Fußballs in den 1990er Jahren zu einem wirkungsmächtigen Deutungsmuster. Taylor, der einen großen Teil der englischen Schriften zu diesem Thema ausgewertet hat, kommt zu dem Fazit, dass »for many, the main story of British football in the 1990s involved the attempts of ›authentic‹ supporters to resist the forces of business and commodification and thus to protect the ›soul‹ of the ›peoples game‹«291. Obwohl die Debatten darüber, wem das Spiel »gehört« und welche Demokratisierungsmaßnahmen nötig sind, wichtig gewesen seien, bildeten sie seiner Ansicht nach in keiner Weise die Gesamtheit der Fan-Erfahrungen ab. Auch Crawford beklagt eine verzerrte Wahrnehmung des Fußballkonsums in den 1990er Jahren durch die Flut an Literatur von selbsternannten »authentischen« bzw. »kritischen« Fans292. Die künstliche Dichotomie verkenne die Fluidität und Temporalität von Fan-Gemeinschaften und erstarre in einer moralischen Bewertung erwünschten und unerwünschten Zuschauerverhaltens. Daran anschließend soll im Folgenden die Herausbildung »kritischer« Fangruppierungen nicht im Gegensatz zu Fußballkonsum als »Entfremdung«, sondern als eine bestimmte, politische Form des Fußballkonsums betrachtet werden. Ihren Ursprung hatte diese kritische Fanbewegung in den mittleren 1980er Jahren in England, von wo aus sie wenig später auch nach Deutschland schwappte. Zunächst richtete sich die Stoßrichtung des Fanprotests vor allem gegen die Einführung von ID -Cards unter Premierministerin Margaret Thatcher, gegen das pauschale Abstempeln aller englischen Fans als »Hooligans« und allgemein gegen das schlechte Image des Spiels293. 1985 gründete eine Gruppe von Liverpool-Anhängern nach dem Unglück im Brüsseler Heysel-Stadion die nationale 290 Ebd. 291 Taylor, The Association Game, S. 360. Vgl auch Leon Davis, Football Fandom and Authenticity: a Critical Discussion of Historical and Contemporary Perspectives, in: Soccer and Society 2/3 (2015), S. 422–436. 292 Vgl. Garry Crawford, Consuming Sport. Fans, Sport and Culture, London, New York 2004, S. 32. 293 Vgl. Adam Brown / A ndy Walsh, Football Supporters’ Relation with Their Clubs: A European Perspective, in: Soccer and Society 3 (2000), S. 88–101, hier S. 88; Taylor, The Association Game, S. 368 f.
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Vierter Teil: Fußballboom und radikale Kommerzialisierung
»Football Supporters Association« (FSA). Die Gründung der FSA , welche Ende der 1980er Jahre um die 5000 Mitglieder zählte, wird in den meisten Darstellungen als Startpunkt der neuen Fanbewegung angesehen294. Rogan Taylor, eines der Gründungsmitglieder der Organisation, beschrieb eine Dekade später, [t]he organisation was sucked into a football vacuum where real supporter representation was virtually unknown. It was gratefully discovered by a media that had never had a fans’ outfit it could rely on to deliver something that sounded like an authentic voice of the supporters.295
Das Selbstverständnis der Organisation war demnach das eines Sprachrohrs für »echte« Fußballfans, das sich für deren Interessen und ein neues Verständnis des Fußballs in der Öffentlichkeit einsetzte. Die Kampagnen der FSA erhielten in den Medien eine breite Aufmerksamkeit. Zu den Erfolgen gehörten eine Peti tion gegen ID -Cards, die von 250.000 Menschen unterzeichnet wurde, sowie großangelegte Aktionen gegen Rassismus im Fußballstadion296. Auf Ebene der Vereine wurden darüber hinaus zahlreiche »Independent Supporters’ Associations« (ISAs) ins Leben gerufen. Diese unterschieden sich von »traditionellen« supporters’ clubs dadurch, dass sie nicht nur einen bestimmten Verein unterstützten, sondern vor allem politische Ziele verfolgten und ein Mitspracherecht für Fans in der Vereinspolitik forderten. Mit den Entwicklungen im Fußball veränderten sich auch die Anliegen der englischen Fan-Organisationen. Nachdem die Einführung von ID -Cards nach 1990 nicht mehr akut drohte und auch die Gewalt aus den Stadien verdrängt wurde, gerieten die Umrüstung der Stadien in all-seater stadia, der Protest gegen unliebsame Klubbesitzer und -manager und ganz allgemein die Kommerzialisierung des Fußballs in den Fokus der Kritik. Große Aufmerksamkeit erregte zum Beispiel der Protest von Manchester United-Anhängern gegen die drohende Übernahme des Klubs durch Rupert Murdoch und sein Unternehmen BSkyB in den Jahren 1998/99. Die »Independent Manchester United Supporters’ Association« führte gemeinsam mit dem neu gegründeten Bündnis »Shareholders United Against Murdoch« einen publizistischen und juristischen Feldzug gegen den Übernahmeversuch297. Letztendlich wurde die Übernahme von Manchester United durch Murdoch / BSkyB von der »Monopolies and Mergers Commission« gestoppt. Eine dritte Form der Institutionalisierung kritischer Fans neben nationalen und vereinsgebundenen Fanorganisationen bildeten die zahlreichen Fanzines, 294 Vgl. Brown / Walsh, Football Supporters’ Relation with Their Clubs, S. 88; Sir Norman Chester Centre for Football Research, Fact Sheet No. 7. Fan ›Power‹ and Democracy in Football, Leicester 2002, S. 3; Taylor, The Association Game, S. 369. 295 Rogan Taylor in in der Jubiläumsausgabe des FSA-Magazins im Mai 1995, zit. n. Sir Norman Chester Centre for Football Research, Fact Sheet No. 7, S. 3. 296 Vgl. ebd., S. 6 f. 297 Vgl. Michael Crick, Shareholders United Against Murdoch, in: Soccer and Society 3 (2000), S. 64–69, hier S. 64–66.
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die sich ab 1986/87 explosionsartig vermehrten. Dabei handelte es sich um in Do-it-yourself-Manier hergestellte Zeitschriften, die ursprünglich aus der PunkSzene bekannt geworden waren298. Binnen kürzester Zeit hatten sich in fast allen Klubs Anhänger zusammengetan, um ein eigenes Fanzine zu produzieren und an Spieltagen direkt vor Ort zu verkaufen. Die Fanzines verstanden sich als Stimme kritischer Fans, die politische Kampagnen vorantrieben und den Fußballbetrieb satirisch aufs Korn nahmen. Richard Haynes bezeichnete die englischen Fanzines in seiner Monographie »The Football Imagination« als Teil einer »culture of defense«, die als Gegenbewegung zu den Modernisierungsprozessen des Fußballsports entstanden sei299. Das bekannteste Fanzine wurde When Saturday Comes, dessen erste Ausgabe im März 1986 zwölf Seiten bei einer Auflage von 200 Stück umfasste300. 1995 erreichte das Magazin monatlich bereits 40.000 Leser. Der durchschnittliche Leser von WSC sei »probably someone in their 20’s maybe ex-student, or quite likely to be a student, and the Guardian / Independent reader«, fasste WSC-Redakteur Andy Lyon eine Leserumfrage aus dem Jahr 1990 zusammen, »[s]omeone that grew up watching football late sixties / early seventies. Predominantly male«301. Dieses Selbstverständnis der »kritischen Fans« als gebildet und im politischen Spektrum eher links verortet zieht sich wie ein roter Faden durch die zahlreichen Publikationen zum Thema und stellte ein Novum dar. Bislang war der Fußballsport weder als Anziehungspunkt für Intellektuelle noch als Stätte politischen Engagements besonders hervorgetreten. Die Bewegung der kritischen Fans schuf damit neue Identifikationsangebote für diejenigen Fußballanhänger, die sich einem eher intellektuellen und politisch aktiven Milieu zurechneten. Angeregt durch die englische Bewegung bildete sich ab Mitte der 1980er Jahre auch in Deutschland eine Fan-Protestkultur heraus. Die Themen der deutschen Fan-Projekte und – Organisationen unterschieden sich im Kern kaum von denen ihrer englischen Kollegen. Sie wandten sich zunächst hauptsächlich gegen »die Reduzierung der Fans zum Sicherheitsrisiko, ihre (…) Pauschalisierung zu potenziellen Gewalttätern und einen separierenden Gesamtcharakter von eigentlichen Fußballfesten«302. Mit der beschleunigten Ökonomisierung und Internationalisierung des Spiels verschob sich jedoch auch hier die Stoßrichtung des Protests im Laufe der 1990er Jahre mehr und mehr in Richtung Kommerzialisierungskritik. 1993 wurde mit dem »Bündnis aktiver Fußballfans« (BAFF) die bis dahin größte kritische Fan-Organisation Deutschlands gegründet, die 298 Vgl. Haynes, The Football Imagination, S. 39–42. 299 Vgl. ebd., S. 146; Kritiker wie H. F. Moorhouse beklagen jedoch, dass die Bedeutung von Fanzines häufig überschätzt werde und sie alles andere als progressiv gewesen seien. Vgl. Taylor, The Association Game, S. 371. 300 Vgl. Haynes, The Football Imagination, S. 70. 301 Zit. n. ebd., S. 73. 302 Gerd Dembowski, Spieler kommen, Trainer gehen – Fans bleiben. Kleine Standort bestimmung der Fußballfans, in: Bündnis Aktiver Fußballfans – BAFF (Hrsg.), Ballbesitz ist Diebstahl. Fans zwischen Kultur und Kommerz, Göttingen 2004, S. 8–34, hier S. 29.
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mit zahlreichen Aktionen und Publikationen zu Themen wie Kommerzialisierung, Rassismus, Sexismus, Medienkritik und Fan-Rechte auf sich aufmerksam machte. »Der Fußball hat in den letzten beiden Jahrzehnten eine rasante wirtschaftliche Entwicklung durchgemacht und entfremdet sich so immer weiter von seinem Publikum«, fasst ein Beitrag der BAFF-Publikation »Ballbesitz ist Diebstahl« eines der zentralen so empfundenen Probleme zusammen, an denen sich die Organisation abarbeitete, »[w]eg von den schmuddeligen ›Working-Class‹-Stehrängen, hin zu Mittelstands-Yuppies in den Schalensitzen der ›All-Seater-Tribünen‹«303. Diese Entwicklung, die der englische Fußball längst hinter sich habe, sei auch in Deutschland in vollem Gange. Auch die deutschen Fanbewegungen kreisten demnach um die Fiktion einer Entfremdung des ehemals authentischen Spiels, das sich vor allem durch sein Arbeiterklasse-Publikum und Spieler auszeichnete, die noch aus Leidenschaft und Verbundenheit zum lokalen Verein spielten und sich nicht durch Millionengagen korrumpieren ließen. Die Protagonisten dieser Bewegung entstammten zwar selbst in den seltensten Fällen einem Arbeitermilieu, dies schien den Mythos vom authentischen Arbeitersport, den es vor der Kommerzialisierung zu bewahren gelte, jedoch nicht sonderlich zu gefährden. Die Bedeutung der neuen Fanbewegung ist umstritten. Eine Flut an Publikationen von Seiten der kritischen Fans täuscht leicht darüber hinweg, dass die wenigsten dieser Fans ihren Vereinen wirklich schaden wollten: »they were (and are) too addicted to the game to threaten the structure that provide it«304. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die kritischen Fans trotz (oder gerade wegen) ihrer kommerzialisierungskritischen Haltung ideale Konsumenten sind. Sie weisen ein Höchstmaß an »Markenloyalität« auf305. Mit ihren Bemühungen, den »wahren« Fußball gegen die Markt- und Verwertungslogik zu verteidigen, stabilisieren sie den Erfolg des hyper-kommodifizierten Produkts Fußball, eben weil sie den Blick weg von der Kommodifizierung hin zu einem »authentischen« Kern des Spiels lenken. BAFF-Mitglied Gerd Dembowski betonte beispielsweise, Fans lassen sich bei all den Veränderungen des Fußballs, hin zu einem aufgeblasenen Event, nicht komplett zum Kunden reduzieren. Denn sie wählen ›das Produkt‹ weder nach der Fülle ihrer Brieftasche, dem ansprechendsten Werbeclip oder der Qualität, noch wechseln sie beliebig.306
Es handelt sich dabei – mit Roberta Sassatelli gesprochen – um einen Akt der De-Kommodifizierung, in dem das Produkt Fußball in einen nicht-kommer303 Christian Ehlers: Profisport Fußball – verraten und verkauft. Fans und Fußball im Zeitalter der totalen Kommerzialisierung, in: BAFF (Hrsg.), Ballbesitz ist Diebstahl, S. 50–59, hier S. 50. 304 Taylor, The Association Game, S. 372. 305 Vgl. Crawford, Consuming Sport, S. 36. 306 Dembowski, Spieler kommen, Trainer gehen, S. 20.
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ziellen Sinnzusammenhang gestellt wird, um persönlich bedeutsam zu sein307. Das Phänomen der Markenbildung baut auf genau dieser Logik der persönlichen Bindung auf. Indem dem Spiel von den kritischen Fans ein Mehrwert (»Marken kern«) eingeschrieben wird, der das Identifikationspotenzial des Fußballs erhöht, erhöhen sich auch die Vermarktungschancen des Produkts Fußball. Dass dieser Zusammenhang zumindest teilweise auch den Protest-Fans bewusst war, zeigt die Aussage von BAFF-Beiträger David Jünger, der auf das Paradox des kritischen Fußballkonsums hinweist: »Denn nutzt man einmal die einem gebotene Möglichkeit als Kunde / Kundin, hat man die eigene Position als solche / r bereits akzeptiert: Man ist drin im Kreislauf von Produkt, Angebot und Nachfrage.«308 Meist existieren in einem Klub mehrere »Markenidentitäten« nebeneinander: Das Spannungsfeld zwischen offizieller Version (die bei Top-Klubs wie Manchester United oder Bayern München beispielsweise auf »internationalem Erfolg«, »Unterhaltung« und »Starspielern« fußt) und kritischer Variante (etwa »Authentizität«, »Pures Spiel statt Fußball-Show«, »Kampf gegen hohe Eintrittspreise«) ermöglicht mannigfaltige Anknüpfungspunkte für die unterschiedlichsten Zuschauertypen – mehr als sich eine Marketingabteilung allein je ausdenken könnte. Anhand des deutschen Fußballvereins FC St. Pauli soll im Folgenden veranschaulicht werden, wie sich Fanprotest und Kommerzialisierung gegenseitig bedingen und verstärken können.
7.2 FC St. Pauli – der »etwas andere Verein« Es geht so einfach nicht mehr weiter. Wir sagen Stopp. Seit langer Zeit wieder einmal. Es gibt einen Punkt in der Fähigkeit eines jeden Menschen Verhältnisse hinzunehmen, an dem er nicht mehr in der Lage ist, weiterhin hinzunehmen. Weiterhin zu schweigen. Weiterhin zu hoffen und weiterhin zu warten, dass sich die Verhältnisse ohne sein Zutun verbessern. Dieser Punkt ist bei jedem Menschen an einer anderen Stelle zu finden. Unser Punkt ist erreicht. Es reicht!309
Was hatte die »Sozialromantiker St. Pauli«, eine Fan-Organisation des Hamburger Klubs FC St. Pauli, so in Rage gebracht? Der Verein, so ein Protestbrief aus dem Jahre 2011, ruhe auf zwei Sockeln: Der eine Sockel symbolisiere »die Einnahmen, die nötig sind, um eine erfolgreiche Mannschaft zu bezahlen, das Stadion weiter auszubauen und nicht horrende Summen von jedem Fan zu
307 Vgl. Sassatelli, Consumer Culture, S. 5. 308 David Jünger: Der neue Ort des Fußballs. Kommerzialisierung, Rassismus und Zivilgesellschaft, in: BAFF (Hrsg.), Ballbesitz ist Diebstahl, S. 36–49, hier S. 48. 309 Sozialromantiker St. Pauli, Bring Back Sankt Pauli, 2011 (URL : www.sozialromantikerstpauli.de, zuletzt eingesehen am 23.5.2011).
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verlangen, um sich ein Spiel seines Vereins anschauen zu können«310, also die kommerzielle Seite. Der andere Sockel verkörpere unsere Werte, unser Verständnis von Fussball [sic] und wie wir ihn erleben wollen. Unsere Insel Sankt Pauli in einer Welt, die nur noch auf die monetäre Verwertbarkeit von allem und jedem schaut. Unsere Andersartigkeit auf dem Marktplatz Profifussball.311
Nun werde jedoch der erste Sockel vom Präsidium und seinen Vereinsangestellten entgegen bisheriger Verabredungen von Spiel zu Spiel verschoben: Es wird eine Haupttribüne gebaut, die zur Hälfte aus Businessseats besteht. Dann werden doppelt so viele Logen gebaut wie geplant. Dann wird eine der Logen an eine Stripteasebar verhökert, die dort Frauen leicht bis gar nicht bekleidet an Stangen tanzen lassen dürfen. Dann wird die Mannschaftsaufstellung plötzlich von einem Sponsor präsentiert. Ein Cola-Rotwein-Ballermanngemisch darf trotz vehementer Proteste offizielles Vereinsgetränk bleiben. Dann werden neue Hintertornetze aufgebaut, die so dick sind, dass man kaum durchgucken kann, aber den Sponsorennamen gut abbilden. […] Und nun werden LED Laufbänder an drei Seiten des Stadions montiert, auf die Zuschauer ihre SMS kostenpflichtig laufen lassen können. Ihr habt es tatsächlich geschafft. Ihr habt euren Sockel so weit verschoben das [sic] dieser Spagat in jedem Knochen, jeder Sehne, jeder Nervenzelle nur noch weh tut.312
In der Kritik der Sozialromantiker offenbaren sich Spannungen zwischen den Bedürfnissen kritischer Fußballanhänger, die ihre »Insel Sankt Pauli« vor Verwertungsstrategien bewahren wollen, und kommerziellen Interessen der Vereinsführung. Derartige Auseinandersetzungen zwischen kommerzialisierungskritischen Fans und am ökonomischen und sportlichen Erfolg orientiertem Führungspersonal gab es vermutlich in allen Profivereinen der deutschen und englischen Spitzenligen. Der FC St. Pauli stellt jedoch einen Sonderfall dar, da er die Codes der Protestszene in sein Image integrierte und sich bis heute der kommerzielle Erfolg des Vereins aus einem Mythos der »Andersartigkeit« speist313. Noch zu Beginn der 1980er Jahre war vom späteren Kultstatus des Vereins wenig zu spüren. Nach einem Lizenzentzug und Zwangsabstieg in die Dritte Bundesliga im Jahr 1979 wurde das öffentliche Bild des Klubs vor allem durch seine chronische Finanznot geprägt. Da keine Druckerei dem hochverschuldeten Verein mehr Zahlungsaufschub gewähren wollte, musste der FC St. Pauli seine Spielplakate selbst drucken oder malen314. An Spieltagen warteten zwei bis drei Gerichtsvollzieher im Clubheim, um die Tageseinnahmen zu beschlagnahmen. Die Spieler holten sich daher ihre Siegprämien heimlich in der Halbzeit ab, 310 Ebd. 311 Ebd. 312 Ebd. 313 Vgl. Brigitta Schmidt-Lauber, Der FC St. Pauli als kulturelles Ereignis. Zur Ethnographie eines Vereins, in: Brigitta Schmidt-Lauber (Hrsg.), FC St. Pauli. Zur Ethnographie eines Vereins, Hamburg, Münster 2008, S. 9–33, hier S. 18–22. 314 Vgl. Nagel / Pahl / K reuzer, FC St. Pauli, S. 228.
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solange das Geld noch nicht konfisziert worden war315. Der Zuschauerschnitt lag 1982 bei 1360 Zuschauern pro Spiel, Christoph Nagel et al. sprechen vom FC St. Pauli für diese Zeit von einem »fankulturell leeren Raum«316 und Tom Mathar von einer »apolitischen Zeit«317. Die Geburtsstunde des Mythos FC St. Pauli als »der etwas andere Verein« mit einer politisch aktiven, alternativen Fangemeinde war etwa 1987/88, als die sogenannte Hafenstraßenbewegung das Millerntorstadion für sich entdeckte. Die Hafenstraße im Stadtteil St. Pauli war in den 1980er Jahren zum Sammelpunkt der linken Hausbesetzerszene und ihrer Sympathisanten geworden, die sich mit der Stadt Hamburg in eine mehrjährige Auseinandersetzung um den Abriss der Wohngebäude am nördlichen Hafenrand verstrickte318. Als es anlässlich einer Anti-Atomkraft-Demonstration am 8. Juni 1986 auf dem Heiligengeistfeld direkt neben dem Millerntorstadion zur größten Massenfestnahme der Bundesrepublik kam319, fanden Fußball und politischer Protest trotz der räumlichen Nähe noch völlig getrennt voneinander statt320. Wenig später wurde die Protestbewegung ins Stadion hineingetragen. »Ich kann mich erinnern, dass (…) ab ungefähr 1988 (…) aus der normalen Gegengerade endgültig eine andere Gegengerade wurde«, kommentierte der damalige Trainer Helmut Schulte die Eroberung des Stadions durch die linke Protestszene321. Zum Symbol dieser Eroberung wurde die Totenkopffahne. Eine Gruppe von Hausbesetzern hatte sie auf dem Hamburger Dom – ein Volksfest neben dem Stadion des FC St. Pauli – »ausgeliehen«, und der Hausbesetzer und Punksänger »Doc Mabuse« kam auf die Idee, die Fahne an einen Besenstiel zu nageln und »als Zeichen für Freibeutertum und Widerstand gegen das Establishment« ins Millerntorstadion mitzunehmen322. Bald flatterten immer mehr dieser schwarzen Totenkopfflaggen im Stadion, und ab 1990 wurde der Totenkopf vom vereinsunabhängigen »Fanladen« auch auf T-Shirts gedruckt323. Ideale Projektionsfläche für das Rebellen-Image der neuen Anhängerschaft war der Torwart des FC St. Pauli, Volker Ippig. »Ippig ist gewiß der ungewöhnlichste Torhüter im deutschen Profi-Fußball«, berichtete der Spiegel 1988, und nicht nur, weil er bisweilen mit dem Fahrrad zum Millerntor kommt. Er hat früher des öfteren eine längere Trainingspause eingelegt, weil er in der Schinderei keinen Sinn sah, ein halbes Jahr lang an einem Entwicklungshilfeprojekt in Nicaragua 315 Vgl. ebd., S. 230. 316 Ebd., S. 238. 317 Tom Mathar, Mythos »politischer Fan«, in: Brigitta Schmidt-Lauber (Hrsg.), FC St. Pauli. Zur Ethnographie eines Vereins, Hamburg / Münster 2008, S. 68–80, hier S. 69. 318 Vgl. Nagel / Pahl / K reuzer, FC St. Pauli, S. 248–253. 319 Die Polizei hielt mehrere hundert Demonstranten bis zu 15 Stunden in einem Kessel fest. 320 Vgl. René Martens, Wunder gibt es immer wieder. Die Geschichte des FC St. Pauli, Göttingen 2007, S. 131–132. 321 Zit. n. ebd., S. 136. 322 Nagel / Pahl / K reuzer, FC St. Pauli, S. 258. 323 Vgl. ebd., S. 258 f.
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mitgearbeitet. Er schreibt mitunter Kolumnen für die ›taz‹, und gewohnt hat er eine Zeitlang bei den Bürgerschrecks in der Hafenstraße.324
Die Gegengerade begrüßte Ippig mit erhobener Arbeiterfaust325. Damit wurde er nicht nur zu einem »linken« Aushängeschild des Vereins, sondern stand auch für die besondere Nähe zwischen Spielern und Fans. Beim Wiederaufstieg in die Bundesliga 1988 kamen neun von elf Stammspielern des FC St. Pauli aus Hamburg und dem Hamburger Umland. Auch dies sollte als Besonderheit des Vereins stilisiert werden in einer Zeit, in der sich die Spielerkader der Erstligisten immer weiter internationalisierten. Das Publikum des FC St. Pauli erkannte laut Spiegel in der Mehrzahl im Spiel seiner Mannschaft die Bedingungen der eigenen Arbeitswelt wieder: Ärmel hoch, in die Hände spucken, zupacken. Die Entfremdung zwischen den Zuschauern und den Protagonisten eines emotionslos dargebotenen Angestelltenfußballs, weit verbreitet im Profibetrieb Bundesliga, gibt es am Millerntor nicht.326
Die Anhängerschaft des Kiez-Klubs trete bei Spielen als Solidargemeinschaft auf, »die im cool gemanagten Geschäftszweig Berufsfußball archaisch anmutet«327. Sie setzten auf Werte, die andere Vereine gar nicht bieten könnten: »Zusammenhalt, Nähe, Vereinstreue. Und Solidarität mit dem Team. St.-Pauli-Fans, jedenfalls der Kern, sind keine Konsumenten der circensischen Fußball-Show, sondern Mitwirkende.«328 Welch einen Boom die Eroberung des FC St. Pauli durch die neue Fanszene auslöste, zeigen die steigenden Zuschauerzahlen: In der Saison 1988/89 kamen durchschnittlich 21.000 Zuschauer ins Stadion – wesentlich mehr als beim Konkurrenten HSV, der im Schnitt lediglich 15.000 Zuschauer pro Bundesligapartie verzeichnete, und rund fünfzehn Mal so viele Zuschauer wie noch 1982329. Die bundesweite Verbreitung des Hypes um den FC St. Pauli hatte ihre Ursache hauptsächlich im radikalen Wandel der Medienstruktur330. Zur selben Zeit, wie die Hafenstraßenbewohner sich den Verein aneigneten, krempelten die Privatsender mit ihrem unterhaltungsorientierten Konzept die deutsche Fernsehlandschaft um331. RTL plus und Sat. 1 interessierten sich nicht nur für die Leistungen auf dem Platz, sondern berichteten auch über allerlei unterhaltsame Dinge, die sich außerhalb des Spielfeldes abspielten. »Während wir bei anderen Vereinen nach Kuriosem und Skurrilem mühsam suchen mussten, trat das am Hamburger Kiez geballt auf«, berichtete der damalige Sportmoderator der Sendung 324 Kurt Röttgen, »Liverpool roar« an der Reeperbahn, in: Der Spiegel 41 vom 10.10.1988, S. 228–232, hier S. 232. 325 Vgl. Nagel / Pahl / K reuzer, FC St. Pauli, S. 270 f. 326 Röttgen, »Liverpool roar«, S. 228. 327 Ebd. 328 Ebd., S. 229. 329 Vgl. Nagel / Pahl / K reuzer., FC St. Pauli, S. 272. 330 Vgl. ebd., S. 274 f. 331 Vgl. Kapitel 3.1.
Fußballkonsum in den 1990ern
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»Anpfiff« von RTL plus332. So wurde »ausgerechnet das kommerzielle Denken des Privatfernsehens zur treibenden Kraft bei der Verbreitung des ›Mythos St. Pauli‹ mit dessen kommerzkritischen Fans«333. Auch die nationalen und internationalen Printmedien trugen dazu bei, diesen Mythos zu konstruieren und weiter zu popularisieren, wie der oben zitierte Spiegel-Beitrag zeigt. Dem Verein waren sein neues Image und die zugrundeliegenden Fanstrukturen zunächst eher suspekt334. In den 1990er Jahren entdeckten Marketingstrategen im Verein jedoch den kommerziellen Nutzen des Mythos. »Bei anderen Vereinen geht das Image in der Regel auf und nieder mit dem sportlichen Erfolg«, schilderte Götz Weisener, der ehemalige Vermarktungschef des Vereins, seine damaligen Überlegungen. »Bei St. Pauli aber war das nicht der Fall: Das Stadion war voll, obwohl die Leistung schlecht war. Also musste da ja noch ein bisschen mehr sein. Und dieses Mehr zu analysieren, war unsere Aufgabe.«335 So kaufte der FC St. Pauli beispielsweise einer Hinterhofdruckerei die Lizenzrechte für das Totenkopfemblem ab und übernahm Ende der 1990er Jahre die Produktion von Fanartikeln336. »Als Vereinssymbol ist der Totenkopf mit Abstand das stärkste, was es in Deutschland gibt – und im Absatz auch«, kommentierte Hendrik Lüttmer, der für das Merchandising des Vereins zuständig war, diesen Schritt337. Der St. Pauli-Totenkopf funktioniere »so ähnlich wie Che Guevara auf dem T-Shirt: er steht für das Dagegensein, das Anderssein, das Alternativsein.« Im Fanshop kann man dieses Symbol heute nicht nur auf T-Shirts, Pullovern, Mützen, Tassen und Aschenbechern finden, sondern auch auf Muffin-Backformen, Bienenfutter-Mischungen und Babystramplern prangt das Totenkopf-Emblem338. Als der Verein 1992 seine erste Marketing GmbH gründete, schrieb man in einem Thesenpapier als Strategie fest, »[s]portlicher Erfolg um jeden Preis ist nicht das Maß aller Dinge. […] Es gilt, das Besondere zu bewahren und im gleichen Zuge zu vermarkten.«339 Eine Fan-nahe Einstellung sei ebenso wichtig wie eine »Reduzierung auf das Wesentliche: authentischen, wirklichen Fußball«, so der damalige Geschäftsführer des Vereins. Auch wenn der Spiegel bereits 1991 attestierte, die Fan-Szene habe sich »vom real existierenden FC St. Pauli entfernt, die Entfremdung von Kiez und einer kapitalistischen Unterhaltungsindustrie«340 sei vollzogen, und trotz regel mäßiger Protestaktionen von FC St. Pauli-Fans gegen die Kommerzialisierung des Vereins (vgl. Sozialromantiker), hält sich der Mythos des FC St. Pauli als 332 Zit. n. ebd., S. 275. 333 Ebd., S. 275. 334 Vgl. ebd., S. 276 f. 335 Zit. n. ebd., S. 277. 336 Vgl. ebd., S. 259. 337 Dieses und das folgende Zitat zit. n. ebd., S. 259. 338 Vgl. FC St. Pauli, Fanshop (URL : https://www.fcsp-shop.com/, zuletzt eingesehen am 20.8.2017). 339 Dieses und das folgende Zitat zit. n. ebd., S. 380. 340 In die Tasche gelogen, in: Der Spiegel 15 vom 6.4.1991, S. 219–221, hier S. 221.
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kleiner, sympathischer, feiernder, rebellierender und linker Verein341 bis heute hartnäckig. Dies ist zum einen auf die Vermarktungsstrategie des Klubs zurückzuführen, welche die »Andersartigkeit« als wichtigen Bestandteil des Vereinsimages pflegt und betont. Zum anderen sind es jedoch die Fans selbst, die – bei aller Kritik an der Vereinspolitik – darum bemüht sind, den »ursprünglichen« Kern der Andersartigkeit zu bewahren und immer wieder neu zu erkämpfen, wodurch sie den Mythos des Vereins regelmäßig erneuern. So trägt paradoxerweise die Kritik an der Kommerzialisierung des Vereins dazu bei, dass dieser sein Image als »anderer« (nämlich etwas weniger kommerzieller) Verein besser vermarkten kann.
Zusammenfassung In den 1990er Jahren durchlief der Fußball in England wie auch in Deutschland einen derartig gravierenden Wandel, dass nicht selten das Wort »Revolution« gebraucht wird, um die Dimension der Veränderungen begreiflich zu machen. Merkmale der neuen Verfasstheit des Fußballs sind die Entstehung einer symbiotischen Beziehung zwischen Fußball-, Wirtschafts- und Medieninstitutionen, die Internationalisierung der Spielermärkte, der Einzug einer wett bewerbsbejahenden Mentalität (»marktradikales Modernisierungsparadigma«) in die Fußballinstitutionen, die daraus resultierende »Hyper-Kommodifizierung« des Fußballs als Ware, die Entstehung einer kommerzialisierungskritischen Bewegung und nicht zuletzt die Tatsache, dass das Spiel seither von immer schwindelerregenderen Geldsummen überschwemmt wird. Das Problem des Zuschauerschwunds, das jahrzehntelang die Fußballverantwortlichen beschäftigt hatte, wurde in den 1990er Jahren marginalisiert. Dies lag zum einen daran, dass die Stadien dank neuer Architektur und Vermarktungsstrategien zu einem attraktiveren Ort gemacht worden waren, sodass die Zuschauer wieder in Strömen kamen. Zum anderen sprudelten die Gelder der Vereine nun aus vielerlei Quellen, wie etwa Werbeeinnahmen, Spielervermarktung, Fernseheinnahmen, sodass der Verkauf von Stadiontickets insgesamt an Bedeutung verloren hatte. Trotz des »revolutionären« Anscheins waren nicht alle Entwicklungen der 1990er Jahre neu. Bereits seit den 1960er und 1970er Jahren hatte es immer wieder Stimmen gegeben, die forderten, das Spiel zu professionalisieren und kommerzieller auszurichten. Auf Vereinsebene verzeichneten ambitionierte Geschäftsleute wie Hoeneß oder Scholar schon vor den 1990er Jahren beachtliche kommerzielle Erfolge. Ebenso waren die Synergieeffekte von Fußball, Medien und Wirtschaft im Grunde bekannt – auch wenn vor allem von Seiten der Fußballverbände und öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten Hemmungen bestanden, die kommerziellen Möglichkeiten voll auszuschöpfen. Letztendlich kamen 341 Vgl. Mathar, Mythos politischer Fan, S. 78.
Zusammenfassung
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in den 1990er Jahren verschiedene Faktoren zusammen, die einen grundlegenden Wandel des Spiels bewirkten. Erstens hatte sich der Veränderungsdruck der Krise der 1980er Jahre so akkumuliert, dass Reformunwillige in die Defensive geraten waren. Zweitens erreichten diejenigen Akteure, die eine kommerziellere Ausrichtung des Fußballs forderten, eine kritische Masse. Unterstützt wurden sie zunehmend von Experten von außerhalb des Fußballsports. Drittens wirkten tiefgreifende sozio-ökonomische Veränderungen beschleunigend auf die Entwicklungen im Fußball: Der Prozess der Globalisierung erfasste den deutschen und englischen Fußball gerade in dem Moment, als die Möglichkeiten der Veränderung des Spiels am größten waren. Dazu gehörten vor allem die Deregulierung der Fernseh- und Spielermärkte sowie die Ausbreitung eines an Marktprinzipien orientierten Denkens.
Schluss
Noch immer gehen Millionen Menschen ins Stadion oder setzen sich vor den Bildschirm, um 22 Männern dabei zuzuschauen, wie sie einen Ball über den Rasen kicken. Ansonsten hat der gegenwärtige Profifußball mit dem Spiel der Nachkriegsjahrzehnte nicht mehr besonders viel gemein. Nicht nur die Denkweisen und Lebenswelten der Akteure – Fußballer, Vereins- und Verbandsfunktionäre und nicht zuletzt Zuschauer – haben sich gewandelt, auch die ökonomischen und medialen Rahmenbedingungen sind nicht mehr mit den Verhältnissen der 1960er bis 1980er Jahre vergleichbar. Die auffälligste Entwicklung in der Geschichte des deutschen und englischen Fußballs seit den 1960er Jahren ist die extreme Kommerzialisierung des Spiels seit etwa 1990. Obwohl der professionelle Vereinsfußball in England wie Deutschland bereits seit Längerem unter verschiedenartigen Krisenerscheinungen litt und Reformkonzepte durchaus existierten, kam es erst in den 1990er Jahren zu größeren strukturellen Veränderungen. Die Ausgangsfrage lautete daher, wie es möglich war, dass es in Deutschland und England nach einer jahrzehntelangen Phase der Reformunwilligkeit und des Niedergangs nahezu zeitgleich um 1990 zu einer radikalen Neuausrichtung des Fußballs unter den Vorzeichen von Vermarktlichung und Globalisierung kam. Die Untersuchung zeigte, dass viele Entwicklungen, die den Fußball seit den 1990er Jahren auszeichnen, bereits wesentlich früher angelegt waren. So wurden mit der Freigabe der Spielergehälter – in England 1961, in Deutschland 1972 –, mit der Verbreitung des Fußballs als Fernsehsport und mit der Einführung des Sponsorings in den 1960er und 1970er Jahren wichtige Weichen in Richtung einer stärkeren Kommerzialisierung des Spiels gestellt. Jedoch formierten sich auf verschiedenen Seiten starke Widerstände gegen die genannten Prozesse: In Vereinen und Verbänden herrschte häufig eine Mentalität, die verhinderte, den Fußball in ökonomischen Kategorien zu denken und entsprechend zu managen. Auf Seiten des Fernsehens weigerte man sich mit allen Mitteln, dem Fußball eine Bühne als kommerzielles Produkt zu geben, wie der Streit um die Einführung des Trikotsponsorings zeigte. Und auch ein Teil der Zuschauer fühlte sich von den »verwöhnten« Profis und dem »Ausverkauf« des Spiels abgestoßen. In den 1980er Jahren geriet diese Konstellation durch mehrere Faktoren ins Wanken: Erstens stieg der Druck auf die Akteure des Profifußballs, weil dieser sich in einem Teufelskreis aus Zuschauerschwund, sinkenden Einnahmen und steigenden Kosten befand. Hinzu kam – vor allem für England bedeutsam – der Imageverlust des Spiels durch gewalttätige Fußballanhänger und Sicherheitsmängel in den Stadien. Durch die sich immer weiter verschärfende Krise wurde ein großer Teil der Widerstände gegen eine kommerziellere Ausrichtung des Spiels abgeschliffen.
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Schluss
Zweitens übernahmen neue Akteure, die ein an ökonomischen Kriterien orientiertes Denken in die Institutionen trugen, wichtige Posten in Vereinen und Verbänden. Diese »neuen Manager«, wie Uli Hoeneß, Gerhard Mayer-Vorfel der oder Irving Scholar, waren teilweise mit ihren Strategien sehr erfolgreich, wodurch sie dazu beitrugen, Bedenken gegen eine stärkere Kommerzialisierung des Fußballs zu zerstreuen. Diese beiden erstgenannten Entwicklungen – Krisendruck und neues Denken bei den Akteuren – hätten jedoch alleine wahrscheinlich nicht ausgereicht, um einen derart gravierenden qualitativen und quantitativen Sprung in der Kommerzialisierung des Fußballs zu bewirken, wie man ihn in der Zeit nach 1990 beobachten konnte. Es fehlten zunächst die Einnahmequellen, um dringend nötige Modernisierungen durchzuführen und Starspieler aus dem Ausland zurückzuholen, damit die Zuschauer wieder in die Stadien strömten. Viele Unternehmen scheuten sich nämlich noch, in den Fußball mit seinem angeschlagenen Image zu investieren, die Zuschauer konnten kaum stärker zur Kasse gebeten werden und das Fernsehen war recht erfolgreich darin, die Entschädigungszahlungen für Fußballübertragungen auf ein niedriges Niveau zu drücken. Es musste also noch ein weiterer Faktor hinzukommen, um die beschleunigte Ökonomisierung des Fußballs in Gang zu setzen. Diese entscheidende Rolle spielte das kommerzielle Fernsehen, welches gegen Ende der 1980er Jahre im Zuge der Deregulierung des europäischen Fernsehmarktes als neue Hauptfigur die Bühne betrat. Im englischen und deutschen Fußball wirbelte das Auftreten der neuen Fernseh-Akteure das gesamte bestehende Gefüge durcheinander. Die privaten Sender erkannten schnell das Potenzial des Fernsehfußballs, um Märkte zu erschließen und Zuschauer an sich zu binden. Dementsprechend hoch waren die Summen, die die Privaten wie BSkyB, RTLplus oder Sat 1 den Fußballklubs boten. Die Folgen waren gravierend für den Fußball: Erstens flossen wesentlich mehr Gelder in die Vereine, was ihren Handlungsspielraum, sei es bei der Modernisierung der Stadien, sei es beim Kauf von Starspielern oder dem Engagement von Beratern und Vermarktungsexperten, wesentlich erweiterte. Zweitens änderte sich die Art der Darstellung des Fußballs im Fernsehen – nicht nur in einer Ästhetisierung, sondern ganz generell in einer Positiv-Vermarktung, in der das Spiel als einzigartiges Erlebnis dargeboten wurde. Dadurch und durch die werbeaffine Haltung des kommerziellen Fernsehens wurde der Fußball, drittens, auch für Sponsoren viel attraktiver, was den Vereinen weitere Einnahmen bescherte. Der Einfluss des kommerziellen Fernsehens auf die Entwicklung des Fußballs kann also kaum unterschätzt werden. Ohne die neuen Gelder, Vermarktungsstrategien und die Offenheit des Privatfernsehens gegenüber jeglichen Werbeformen hätte der Fußball sicherlich einen anderen Weg genommen. Unterschiedliche Folgen dieser Entwicklungen lassen sich seit den 1990er Jahren beobachten: Es kam erstens zu einer enormen Professionalisierung in den Vereinen. Sowohl die Führungsstrukturen als auch die Trainingsmodelle und Vermarktungsstrategien wurden mithilfe von Experten und Beratern auf den Prüfstand gestellt und optimiert. Auch wenn diese Strategien nicht in allen
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Vereinen gleich erfolgreich waren, zeigen sie, dass sich flächendeckend ein Denken durchsetzte, das sich an ökonomischen Kriterien orientiert und diese nicht nur als notwendiges Übel betrachtet. Niemand bestreitet heute, dass professionelle Fußballvereine Wirtschaftsunternehmen sind. Vereine und Spieler, die als globale Marken beworben werden und Stadien, deren Architektur, auch wenn kein Spiel stattfindet, Touristen anziehen, sind zum Sinnbild dieser Entwicklung geworden. Zweitens kam es jedoch im Zuge dieser Professionalisierung zu einem Konzentrationsprozess, der die Kluft zwischen größeren und kleineren Vereinen immer größer werden ließ. Nach dem Motto »wer hat, dem wird gegeben« profitieren die großen Vereine von ihrer hohen Präsenz in den Medien und der größeren Attraktivität für Sponsoren, wodurch sie die horrenden Summen, die mittlerweile für die besten Spieler gezahlt werden müssen, überhaupt erst aufbringen können. Die kleineren Klubs haben hier das Nachsehen und müssen sich damit begnügen, Nachwuchstalente auszubilden und diese, wenn sie sich als talentiert erweisen, an die finanzstärkeren Vereine zu verkaufen. Internationale Aufmerksamkeit sowie die Fähigkeit, sportlich an der Spitze mitzumischen, bleibt ihnen dadurch zum größten Teil verwehrt. Drittens verzeichneten der englische und der deutsche Profifußball seit den 1990er Jahren einen anhaltenden Zuschauerboom. Das bessere Aufgebot an Starspielern, die Positiv-Vermarktung des Spiels in den Medien, die komforta bleren und sichereren Stadien – all diese Veränderungen schienen zu fruchten und den Zuschauerrückgang vorheriger Jahrzehnte dauerhaft umzukehren. Trotz der exzessiven Aufbereitung des Fußballs im Fernsehen mussten die meisten Vereine sich nicht mehr sorgen, dass ihre Stadien leer blieben. Selbst die exorbitant angestiegenen Ticketpreise in der englischen Premier League taten dieser Entwicklung keinen Abbruch. Jedoch werden vor allem im englischen Fußball immer wieder Stimmen laut, die eine Exklusion bestimmter, finanziell weniger begüterter Zuschauergruppen beklagen. Anhand von Quellenmaterial wurde deutlich, dass dies durchaus von einigen Fußballverantwortlichen gewollt war, wie etwa das »Blueprint for the Future of Football«1 der FA zeigte. Die beschriebenen Entwicklungen gingen, viertens, mit der Politisierung einiger Fan- und Zuschauergruppen einher, die die Kommerzialisierung des Fußballs kritisierten. In dem Moment, als der Fußball immer mehr zu einem professionell vermarkteten Produkt wurde, entstanden Protestbewegungen, die von einem »wahren«, nicht kommerziellen Kern des Spiels ausgingen, den es gegen die Ökonomisierung zu verteidigen gelte. Damit zogen sie ungewollt mit den Marketingexperten an einem Strang, denen sehr daran gelegen war, dem Fußball(-klub) einen einzigartigen Mehrwert einzuschreiben, der über den rein monetären Wert hinausgeht, um dadurch das Produkt Fußball besser vermarkten zu können. Der Protest gegen die Kommerzialisierung, der sich nicht nur in den organisierten Fanbewegungen findet, sondern in den Köpfen großer Teile 1 Football Association, Blueprint.
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der Zuschauerschaft verbreitet ist, trug also durch die Konstruktion von Einzigartigkeit und Authentizität paradoxerweise entscheidend zum kommerziellen Erfolg des Fußballs seit den 1990er Jahren bei, indem er das Narrativ eines »alternativen« Fußballkonsums etablierte. Ein zentraler Fokus der Untersuchung war der Zusammenhang zwischen Veränderungen im Fußball und gesellschaftlichen Entwicklungen. Die Ergebnisse sollen, wie in der Einleitung skizziert, anhand der Felder Konsum, Wirtschaft und Medien kurz zusammengefasst werden. Auf Ebene des Konsums konnte herausgearbeitet werden, dass der englische und deutsche Fußball zunächst unter den gewandelten Konsumgewohnheiten der Wohlstandsgesellschaften litt. Mit dem ansteigenden Wohlstand der 1950er bis 1970er Jahre erweiterten sich für die meisten Menschen nicht nur die Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, auch die Ansprüche an die Qualität der Freizeitangebote stiegen. Im Fußball äußerte sich dies in sinkenden Zuschauerzahlen und von Zuschauerseite häufig geäußerter Kritik am mangelnden Komfort in den Stadien. Während sich die Konsumangebote und -formen auch in den krisengeprägten 1970er und 1980er Jahren immer weiter ausdifferenzierten, gab es im Fußball zunächst keine (positive) Resonanz auf die Pluralisierung der Konsummuster. In den 1990er Jahren änderte sich dies schlagartig. Es wurden Angebote für die verschiedensten Konsumentengruppen geschaffen, wie sich zum Beispiel an den segmentierten Stadien zeigt, die Bereiche für Familien, »traditionelle« Fans und VIP-Gäste einrichteten. Die Politisierung des Fußballs durch bestimmte Anhängergruppen schuf darüber hinaus eine weitere Form des Fußballkonsums. Wenn sich vom linken Kommerzialisierungsgegner bis zum champagnertrinkenden CEO verschiedenste Gruppierungen am Fußballplatz tummeln, kann man von einem wahrhaft diversifizierten Konsumgut sprechen. Der Fußball ist aber auch ein gutes Beispiel dafür, dass sich die Konsummuster nicht einfach nur individualisierten, sondern dass auch die Individualisierung sich wiederum weitgehend im Rahmen des Massenkonsums bewegt. Diese Tendenz zur Individualisierung bei gleichzeitiger »Vermassung« lässt sich nicht nur beim Fußball erkennen, der – zumindest in Europa – seine Monopolstellung unter den Sportarten weiter ausbaute. Ähnliches kann man zum Beispiel auch bei der Verbreitung internationaler Marken und Ketten, sei es aus der Computer-, Social Media- und Mobilfunkbranche, sei es aus dem Lebensmittel- oder Bekleidungsbereich, beobachten. In der Zeit »nach dem Boom« kam es also weniger zu einer völligen Individualisierung des Konsums als vielmehr zu einem individualisierten Massenkonsum. Im Bereich der Wirtschaft ließen sich anhand der Geschichte des englischen und deutschen Profifußballs vor allem drei allgemeine Tendenzen beleuchten: Erstens ist die Geschichte des Fußballs im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts ein Lehrstück über die beschleunigte Ökonomisierung von Sektoren, in denen wirtschaftliche Überlegungen zuvor eine untergeordnete Rolle spielten. Zwar war der Fußball schon lange ein kommerzielles Produkt, da die Zuschauer Eintritt bezahlten, um eine bestimmte Leistung zu erhalten, aber – wie anhand des
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Quellenmaterials gezeigt werden konnte – war der Stellenwert ökonomischer Prinzipien in den Köpfen der meisten Verantwortlichen zunächst eher gering. Verschiedene Faktoren, wie das Auftreten einer neuen Funktionärsgeneration, politischer Druck, eine Verschärfung von Krisen, das Erschließen neuer Geldquellen und der Einfluss von externen Beratern, führten hier ab Mitte der 1980er Jahre eine Wende im Fußball herbei, die zu einer beschleunigten Kommerzialisierung des Spiels in den 1990er Jahren führte. Parallelen können hierbei zu anderen Bereichen gezogen werden: So sind im Gesundheits- und Hochschulwesen ebenso Vermarktlichungsprozesse zu beobachten wie bei den Arbeitsbeziehungen, in sozialstaatlichen Einrichtungen und im kulturellen Bereich. Da diese Entwicklungen überwiegend erst in den 1980er und 1990er Jahren einsetzten, steckt die Forschung hier noch in den Anfängen2. Anhand des Fußballs konnte an einem konkreten Beispiel herausgearbeitet werden, wie und von wem dieser Prozess eingeleitet und umgesetzt wurde, welche Widerstände und Konflikte er hervorrief und welche Folgen er zeitigte. Zweitens gibt das Fallbeispiel Fußball Aufschlüsse über die Effekte von Deregulierungsmaßnahmen seit den 1980er Jahren. Hier ist zum einen die Deregulierung des europäischen Rundfunks zu nennen, die sich – wie oben bereits geschildert – im Fußball in einer rapide beschleunigten Ökonomisierung geradezu revolutionär auswirkte. Zum anderen hatte auch die Liberalisierung des Spielermarktes mit dem Bosman-Urteil von 1995 gravierende Folgen, indem sie einen international fast uneingeschränkt durchlässigen Markt für Fußballprofis schuf. In beiden Fällen produzierte die Deregulierung auf der einen Seite Gewinner, die von den neuen Chancen profitierten, auf der anderen Seite aber auch Verlierer, wie die kleineren Vereine oder die etwas weniger leistungsstarken Spieler, die es nun ungleich schwerer hatten, bei den verschärften Konkurrenzverhältnissen mitzuhalten. Die beiden genannten Entwicklungen sind eng verknüpft mit einem dritten, übergreifenden Prozess: dem der Globalisierung. Die zunehmende weltweite Vernetzung wirkte sich nicht nur in verschiedenen Bereichen auf den Fußball aus, sondern der Profifußball ist selbst ein global player geworden. Die Internationalisierung des Arbeitsmarktes für Spieler und Trainer, die Verflechtung mit weltweit agierenden Unternehmen und die Durchsetzung eines transnationalen Musters von Management- und Vermarktungspraktiken gingen einher mit einer massiv gesteigerten globalen Sichtbarkeit des Fußballs durch die Verbreitung neuer Kommunikationstechnologien. Nur wenigen Vereinen der europäischen Spitzenligen gelang es allerdings eine eigene »globale Marke« zu werden, wie dies bei Manchester United, dem FC Barcelona oder dem FC Bayern München der Fall ist. Das Beispiel des englischen und deutschen Vereinsfußballs erzählt 2 Einen Überblick über den Forschungsstand zur Vermarktlichung geben Ralf Ahrens / Marcus Böick / vom Lehn / Marcel, Vermarktlichung. Zeithistorische Perspektiven auf ein umkämpftes Feld, in: Zeithistorische Forschungen / Studies in Contemporary History 3 (2015), S. 393–402.
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also auch etwas über die Bemühungen der Vereine, mit den Herausforderungen eines zunehmend globalisierten Markts umzugehen. Hier hat sich insbesondere bei den Vereinen, die keine besondere globale Wirkmächtigkeit entwickeln konnten, eine Tendenz zur Wiederaufwertung des Lokalen gezeigt. Die Identitätsstrategien dieser Vereine geben – ebenso wie das Aufkommen der kommerzialisierungskritischen Fanbewegung – Aufschluss über Entwicklungen, die sich gegenläufig zur Globalisierung bewegen. Der Fußball hat sich als besonders fruchtbares Forschungsfeld erwiesen, um den Prozess der »Glokalisierung«, also die Gleichzeitigkeit von globalen Prozessen und lokaler Aneignung, die auch in anderen Bereichen auftreten, zu untersuchen. Auf Ebene der medialen Entwicklung hat die Untersuchung dargelegt, dass die Geschichte des Fußballs aufs Engste mit der Geschichte des Fernsehens verbunden ist. Auch wenn es in England mit ITV seit Mitte der 1950er Jahre einen kommerziellen Sender gab, zeigte sich anhand des Fußballs, dass die öffentlich-rechtlich finanzierten Rundfunkanstalten bis in die 1980er Jahre den Ton angaben. Diese legten eine Haltung an den Tag, in der sie jegliche Kommer zialisierung des Sports ablehnten und den Informationsauftrag gegenüber dem Unterhaltungsformat priorisierten. Der Durchbruch des Privatfernsehens, an dessen Erfolg der Fußball keinen geringen Anteil hatte, stellte in jeglicher Hinsicht einen Bruch dar. Das »Neofernsehen« (Umberto Eco) verabschiedete sich endgültig vom Prinzip des Realismus in der Darstellung, indem es die Unterhaltung und den Erlebnischarakter in den Vordergrund stellte und dazu die ästhetischen Strategien intensivierte. Es ist (nicht nur anhand des Fußballs) zu beobachten, dass diese Veränderungen wiederum auf die öffentlich-rechtlichen Formate zurückwirkten, die sich die aufgepeppte Ästhetik zu eigen machten, um von den Zuschauern nicht in die Mottenkiste des Fernsehens verbannt zu werden. In der Arbeit noch nicht berücksichtigt wurden die Effekte der neuen Kommunikationstechnologien. Es ist anzunehmen, dass sich – ähnlich wie in anderen Bereichen – der Fußballkonsum weiter in die neuen Medien verlagert. LiveTicker und Live-Streaming-Dienste liefern mittlerweile Fußballübertragungen in Echtzeit auf Computer und Smartphones. Dadurch, dass jeder im Prinzip zu jeder Zeit an jedem Ort Spiele seiner Wahl verfolgen kann, wird auf der einen Seite die Partikularisierung des Fußballkonsums auf die Spitze getrieben. Als Gegenbewegung zur Vereinzelung und völligen Loslösung des Fußballkonsums von der Räumlichkeit erfreuen sich jedoch auf der anderen Seite Public ViewingVeranstaltungen großer Beliebtheit. Vom gemütlichen Fußball-Abend im Pub bis zur Fanmeile mit mehreren zehntausend Besuchern haben sich die unterschiedlichsten Formate herausgebildet, das Fußballschauen als gemeinschaftliches Erlebnis zu zelebrieren. Aus dem Vergleich zwischen englischem und deutschem Fußball konnten unterschiedliche Erkenntnisse gewonnen werden: Zum einen ist es bemerkenswert, wie ähnlich und parallel die Entwicklungen in beiden Ländern auf den ersten
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Blick verliefen. Ursache dafür waren sowohl vergleichbare Grundstrukturen, nach denen der Fußballsport organsiert war, als auch kongruente Basisprozesse, die in den westeuropäischen Industrienationen wirksam waren. Dazu gehörte beispielsweise die Herausbildung von Wohlstandsgesellschaften in den Nachkriegsjahrzehnten oder die Tendenz zu Globalisierung und zur Ausbreitung eines neoliberalen Denkmodells in der Zeit »nach dem Boom«. So war die Deregulierung des Rundfunks kein nationales, sondern ein gesamteuropäisches Ereignis, welches dementsprechend seine Wirkung in allen betroffenen Ländern entfaltete. Zum anderen wurden bei genauerem Hinsehen Unterschiede deutlich. Auffällig war vor allem das ungleich größere Ausmaß der Krise des englischen Fußballs in den 1960er bis 1980er Jahren. Sowohl hinsichtlich der Geschwindigkeit des Zuschauerschwunds als auch in Bezug auf die finanzielle Lage der Vereine, den miserablen Zustand der Stadien und den massiven Imageverlust durch das Phänomen Hooliganismus zeigten sich im englischen Fußball wesentlich krassere Missstände als bei seinem deutschen Pendant. Dies mag zum einen daran gelegen haben, dass der Abschwung des englischen Fußballs früher begann, nämlich in Zeiten, als in Deutschland gerade erst voller Optimismus die Bundesliga gegründet wurde. Zum anderen verhinderten Subventionen und Begünstigungen aus öffentlicher Hand im deutschen Fußball zumeist das Schlimmste. Während auf die Krise des englischen Fußballs ein extremer Umschwung in Richtung totaler Kommerzialisierung folgte, waren die Veränderungen des deutschen Fußballs in den 1990er Jahren zwar ebenfalls sehr weitreichend, aber dennoch weniger radikal als in England3. In ihrer Tendenz spiegeln sich diese Verschiedenheiten auch auf allgemeinerer Ebene wider. So war die englische Wirtschaft schon seit den 1960er Jahren durch eine hohe Inflation, steigende Arbeitslosigkeit, hohe Steuern und Löhne sowie streikfreudige Gewerkschaften geschwächt. Der Strukturwandel und die Ölkrisen der 1970er Jahre taten ihr Übriges, um die Situation zu verschärfen und das Gefühl des decline, des Niedergangs der britischen Wirtschaft, Gesellschaft und Stellung in der Welt, zu verstärken. Auch hier mündete die stärkere Krise in einen extremeren Umbruch. Im Zuge der neoliberalen Wende unter Margaret Thatcher und der späteren Wirtschaftspolitik von New Labour unter Tony Blair wurde Großbritannien binnen ein bis zwei Jahrzehnten zu einer der am stärksten liberalisierten Volkswirtschaften der Welt. In der Bundesrepublik fielen die Erschütterungen und Einschnitte in Folge des sich erschöpfenden Nachkriegsbooms vergleichsweise moderat aus. Zwar vollzog sich auch hier seit den 1970er Jahren eine verstärkte Tertiarisierung der Wirtschaft, größere wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Einschnitte, die als »Wende« im Sinne einer Liberalisierung empfunden wurden, 3 Ein Beispiel dafür ist die sogenannte 50+1-Regel, welche besagt, dass die Mehrheit des Kapitals in Deutschland in den Händen des Vereins bleiben muss und nicht von privaten Investoren übernommen werden darf. In England ist es hingegen nicht selten, dass private Anleger ganze Vereine aufkaufen.
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fanden jedoch erst um die Jahrtausendwende unter der sozialdemokratischen Regierung von Gerhard Schröder statt. Insgesamt untermauert das Fallbeispiel des professionellen Vereinsfußballs in England und Deutschland die Vermutung, dass die 1990er Jahre das Ende einer Übergangszeit »nach dem Boom« bedeuten könnten. Eine stärkere internationale Verflechtung, die Ausbreitung eines wirtschaftsliberalen Denkens, die größere Sichtbarkeit und Ausschöpfung von Marktlogiken sowie die sich vergrößernde Ungleichheit bei der Vermögensverteilung sind Strukturmerkmale eines neuen Musters, die sich im Fußball, aber auch in anderen Bereichen abzeichnen – stets begleitet von Gegenbewegungen wie der offenen Kommerzialisierungs- bzw. Kapitalismuskritik oder der Rückwendung in eine vermeintlich bessere Vergangenheit. Oft wurde dem Fußball prophezeit, die kommerziellen Exzesse würden letzten Endes dazu führen, dass die Zuschauer wegblieben und das Spiel sich selbst zu Grunde richte. Bisher ist davon nichts zu spüren, und so bleiben die Regulierungsversuche eher kosmetischer Natur. Die nur mäßig erfolgreichen Versuche der UEFA, ein Financial Fairplay durchzusetzen, bei dem die Vereine nicht mehr als das ausgeben dürfen, was sie einnehmen, erinnern an die halbherzigen Maßnahmen der Politik, eine entfesselte Bankenbranche nach der Finanzkrise von 2008 härteren Regularien zu unterwerfen.
Dank
Dieses Buch ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Oktober 2017 an der Eberhard Karls Universität Tübingen eingereicht wurde. An erster Stelle gilt mein Dank meinem Betreuer Anselm Doering-Manteuffel für seine wohlwollende Anleitung und die geduldige Unterstützung meines Werdegangs über viele Jahre. Auch meinem Zweitgutachter Lutz Raphael möchte ich besonderen Dank aussprechen für seine hilfreichen und wertschätzenden Kommentare. Gedankt sei außerdem der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die großzügige finanzielle Unterstützung meines Forschungsprojektes sowie dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht – insbesondere Daniel Sander – für die Veröffentlichung des Buches in der Reihe »Nach dem Boom«. Ohne die Hilfe engagierter Archivare hätte dieses Buch nicht geschrieben werden können. Mein Dank gilt hier vor allem David Barber von der Football Association, der mir nicht nur archivalische Schätze erschloss, sondern auch nicht müde wurde, mir als »wandelnde Quelle« die Welt des Fußballs näher zu bringen. Geformt wurde das Buch in besonderem Maße durch den Austausch mit KollegInnen, Mitstreitern und Freunden am Tübinger Seminar für Zeitgeschichte. Martin Kindtner, Fernando Esposito, Tobias Gerstung und Silke Mende gilt mein herzlicher Dank. Gar nicht genug danken kann ich Maria Dörnemann für ihren intellektuellen und persönlichen Beistand in dieser Zeit. Christian Reck und Ann-Kathrin Knupfer waren mir während der Quellenrecherche eine große Hilfe. Großer Dank für die konstruktive Lektüre und hilfreiche Ratschläge gebührt Marco Schrof, Maria Dörnemann, Lisa Aipperspach und Clemens Aipperspach. Meinem Mann Clemens Aipperspach danke ich außerdem für seinen grenzenlosen Optimismus, wenn mir auf den letzten Metern immer mal wieder die Puste auszugehen drohte.
Abkürzungen
APSC ARD BAFF BBC BSB DAG DBS DFB DFL DSB EuGH FA FIFA FL FSA
GfK ICI ISPR ITV NOK
NUM PEP PFA SNCCFR TUC UEFA
Ufa
WSC ZDF
Association for the Protection of Copyright in Sport Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland Bündnis Aktiver Fußballfans British Broadcasting Television British Satellite Broadcasting Deutsche Angestelltengewerkschaft Direct Broadcasting by Satellite Deutscher Fußball-Bund Deutsche Fußball-Liga Deutscher Sportbund Europäischer Gerichtshof Football Association Fédération Internationale de Football Association Football League Football Supporter’s Association Gesellschaft für Konsumforschung Imperial Chemical Industries Internationale Sportrechte Verwertungsgesellschaft mbH Independent Television Nationales Olympisches Komitee National Union of Mineworkers Political and Economic Planning Professional Footballer’s Association Sir Norman Chester Centre for Football Research Trades Union Congress Union des Associations Européennes de Football Universum Film AG When Saturday Comes Zweites Deutsches Fernsehen
Abbildungsverzeichnis und Bildnachweis
Abb. 1: Goodison Park in Liverpool, © imago / United Archives International . . . . . . . . . . . . . . 46 Abb. 2: Niedersachsenstadion in Hannover, © imago / Ferdi Hartung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Abb. 3: Astrodome in Houston, Texas, © imago / Leemage . . . . . . . . 49 Abb. 4: Düsseldorfer Rheinstadion, © imago / W EREK . . . . . . . . . . 51 Abb. 5: Zuschauerzahlen pro Saison in der FL und PL (gesamt), 1948 bis 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Abb. 6: Spiegel-Titel zum Bundesligaskandal, © Der Spiegel . . . . . . . 91 Abb. 7: Trikotsponsoring durch Jägermeister, © imago / Rust . . . . . . 114 Abb. 8: Tragödie im Hillsborough-Stadion in Sheffield am 15.4.1989, © imago / Action Plus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 Abb. 9: Durchschnittliche Zuschauerzahl pro Bundesliga-Spiel, 1963 bis 2012 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Abb. 10: Preisentwicklung für Übertragungsrechte in England 1979–2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Abb. 11: Preisentwicklung der Übertragungsrechte in Deutschland, 1965–1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 Abb. 12: Riverside Stadium und Hafenareal in Middlesbrough, Paul White North East England / A lamy Stock Foto . . . . . . . 258 Abb. 13: Allianz Arena in München, © Allianz Arena / B. Ducke . . . . . 261
Quellen- und Literaturverzeichnis
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– Pressespiegel Werbung I (1967–1973) und Werbung II (1974–1982) – Pressespiegel Fernsehen III (1960–1972), Fernsehen IV (1973–1981) und Fernsehen V (1985–1989) EFCB Erlebniswelt FC Bayern Exponatarchiv – Zuschauerbefragung im Olympiastadion München 1981 vom September 1981, zur Verfügung gestellt von Hans-Georg Gablonsky FAL Football Association Library – Minute Books 1975–1992 VEF Vereinsarchiv Eintracht Frankfurt – Bestand 1
Systematisch gesichtete Periodika – – – – – –
Der Spiegel (1962–2000) Die Zeit (1961–2000) Kicker-Sportmagazin (1968–2000) The Guardian (1975–1996) The Times (1960–1985) When Saturday Comes (1986–1995)
Weitere Presse- und Zeitschriftenartikel (chronologisch geordnet) The Player’s Role. Freedom and a Voice, in: The Observer vom 20.11.1960, S. 18. So the M. P.s Said, in: The Observer vom 27.11.1960, S. 18. Fußball im Fernsehen – ein Problem. »Gewissenskonfikt« beim DFB und den Programmdirektoren – Empfindliche Störung der Wirtschaft, in: Sport-Kurier vom 28.3.1961. Fernseh-Fußball, wohin rollst Du?, in: Bild und Funk 8 (1962). Wirth, Fritz, Sport – der billigste Star. Veranstalter in der Zwickmühle: Mehr Einnahmen, mehr Abhängigkeit, in: Die Welt vom 26.5.1966. DFB: Mehr Geld für attraktiven Sport. Pressechef Gerhard erläutert Forderungen ans Fernsehen, in: Die Welt vom 24.7.1968.
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Quellen
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Unveröffentlichte Quellen und Graue Literatur Department of Education and Science, Report on the Committee on Football, London 1968. Deutscher Fußball-Bund, Situationsanalyse Lizenzfußball. Mit Verbesserungsvorschlä gen einschl. spieltechnischer Maßnahmen, Frankfurt a. M. 1985. DFB -Ligaausschuss, Situationsanalyse Lizenzfußball. Stand 21.9.89, Frankfurt a. M. 1989. Infratest, Die Situation der Deutschen Bundesliga. 1970/71, München 1971. Lord Justice Taylor, The Hillsbourough Stadium Desaster. 15 April 1989, London 1990. Mr Justice Popplewell, Committee of Inquiry into Crowd Safety and Control at Sports Grounds. Interim Report, London 1985. Ders., Committee of Inquiry into Crowd Safety and Control at Sports Grounds. Final Report, London 1986. Political and Economic Planning, English Professional Football, Planning, London 1966. Sports Council / Social Science Research Council, Public Disorder and Sporting Events. A Report by a Joint Panel of the Sports Council and the Social Science Research Council, London 1978. Ders., Public Disorder and Sporting Events. A Report by a Joint Panel of the Sports Council and the Social Science Research Council, London 1978. The Football Association, The Blueprint for the Future of Football, London 1991. The Football League, Report of the Committee of Enquiry into Structure and Finance. Chairman Sir Norman Chester, Blackpool 1982.
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Register
Personenregister Abramowitsch, Roman 241 Adams, Victoria 255 Al-Fayed, Mohammed 240 f. Ballack, Michael 253 f. Banks, Tommy 77 f. Barlow, Colin 233 Barthes, Roland 248 Beckenbauer, Franz 41, 60, 70 f., 89, 96, 162 Becker, Boris 121, 162 Beckham, David 236, 254–256 Beckmann, Reinhold 226 Beierlein, Hans R. 196 f. Best, George 42, 70, 95 Bierhoff, Oliver 252–254 Blair, Tony 285 Bosman, Jean-Marc 229 f. Bourdieu, Pierre 158–160, 163 Breitner, Paul 94, 96 Canellas, Horst 88 f. Charlton, Bobby 73, 77 Dein, David 180, 214, 216 Eco, Umberto 226, 284 Edwards, Martin 180 Eilers, Götz 232 Elias, Norbert 128 Finney, Tom 72, 163 Fox, Bill 214 Fynn, Alex 181 Gibson, Steven 239 f. Graf, Steffi 162 Guardiola, Josep 205
Hall, John 239 f. Haller, Helmut 84 Hardaker, Alan 79 f., 101, 112 f. Haynes, Johnny 73, 77 Hill, Jimmy 64, 72–80 Hoeneß, Dieter 244, 248 Hoeneß, Uli 175, 177 f., 181 f., 185, 203, 224, 248, 276, 280 Huberty, Ernst 64 Hutchinson, Colin 215 Inglehart, Ronald 157–159, 163 Inglis, Simon 46, 48, 259 Ippig, Volker 273 f. Isenbart, Hans-Heinrich 115 f. Keane, Roy 236 Keegan, Kevin 94, 96, 240 Kirch, Leo 221 Klein, Wolfgang 162, 185 Klopp, Jürgen 205 Kohl, Helmut 149, 190 f. Leitch, Archibald 47 Lemke, Willi 169, 178 f., 185, 224, 231, 236 Linssen, Hannes 67, 91 f. Lloyd, Cliff 80 f. Magath, Felix 162 Maleika, Adrian 142 Manglitz, Manfred 89 Mast, Günter 114 f., 184 f. Matthäus, Lothar 252 Matthews, Stanley 77, 95, 163 Mayer-Vorfelder, Gerhard 174, 179 f., 185, 197 f., 231, 280 Meier, Hilpert 231 f.
310 Millichip, Bert 215 Moore, Bobby 41 Mourinho, José 205 Moynihan, Collin 137 Murdoch, Rupert 18, 188 f., 241, 268 Netzer, Günther 41, 60, 89, 96 Neuberger, Herrmann 114, 117, 174, 179, 185 f. Neudecker, Wilhelm 111 Ollson, Peter 252 f. Overath, Wolfgang 89 Parry, Rick 223, 235 Paßlack, Hans 88, 116 f. Patzke, Bernd 89 Peacock, Alan T. 188 f. Rahn, Helmut 84 Robertson, Roland 249 f. Sandford, Arthur 215 Sassatelli, Roberta 246, 265, 270 Schäfer, Ulrich 243
Register
Schmidt, Helmut 148, 190 Scholar, Irving 180–182, 276, 280 Schulze, Gerhard 158–160, 163 Seeler, Uwe 41, 70, 95, 252 Seybold, Franz 67 Seymour, Stan 67 Sheard, Rod 44 f., 259 Shearer, Alan 240 Straub, Wilfried 232 Stürmer, Klaus 84 Sugar, Alan 236 Szymaniak, Horst 84 Taylor, Peter Murray (Lord Justice Taylor) 125, 138–140, 143 Thatcher, Margaret 19, 122, 124, 135, 137 f., 140, 145, 153–155, 188–191, 228, 239, 257, 267, 285 Walker, Graham 177 Werner, Jürgen 82, 95 Wild, Tasso 89 Wontorra, Jörg 225 Wunder, Klaus 67, 91 f.
Sachregister Accrington Stanley 100 Adidas 161 f., 209, 253 AFC Sunderland 54, 72, 74, 257 f. Allianz Arena 260 f. Amateurfußball 16 f., 33, 37 f., 59, 82–85, 87, 92 f., 101–104, 117, 174, 180, 219, 220 Anfield 47 Anpfiff (Sendung) 198, 221, 275 Arbeiter / working classes 28, 30–32, 34 f., 37, 55 f., 59, 62 f., 69 f., 71–74, 77, 84, 94 f., 128 f., 147, 210, 260, 264, 270 Arbeitslosigkeit 12, 39, 55, 122, 141, 145–150, 153 f., 171, 285, ARD 18, 61, 63, 109–111, 115, 190 f., 196–200, 221 Arena Auf Schalke 258
Arminia Bielefeld 88 f. Aston Villa FC 30, 176, 194 Astrodome 48 f. »Ausländerklausel« 230 f., 233 f. Azteken-Stadion 49 Barclays Bank 183 BBC 9, 18, 23, 61, 63, 106–109, 133 f., 165, 176, 183, 187–189, 192–196, 221 Berufsspieler 15, 32, 36, 37, 39, 59, 71, 82 f., 85, 93, 103, 209, 230 Blackpool FC 107 Blueprint for the Future of Football 209–218, 281 Börsengang 181, 238 f., 243 f. Borussia Dortmund 244, 249
311
Sachregister
Bosman-Urteil 26, 204, 220, 229–237, 252, 283 Bradford 47, 123–125, 135, 137, 142, 144, 163, 183, 194, 201 Broadcasting Act 1990 189 Bundesligaskandal 53, 83, 88–93 BSB 176, 188, 194 f. BSkyB 18, 188 f., 221–224, 226–228, 241, 268, 280 Bündnis Aktiver Fußballfans (BAFF) 269–271 Canon 183, 193 CDU 190 Chester-Report 1968 20, 82, 100 f., 175, 210, 213 Chester-Report 1982 20, 146, 160, 167, 171, 175, 210, 213 Coca-Cola 209, 253 Conservatives 19, 79, 138, 152 f., 177, 189, 239 Crystal Palace 171 Das aktuelle Sportstudio 63 Decline 25, 121, 124, 144 f., 152–156, 285 Deloitte & Touche 237, 261 De-Kommodifizierung 245 f., 270 Deregulierung 14, 25 f., 149, 155, 186–192, 207 f., 209, 227, 277, 280, 283–285 Deutsche Fußball-Liga (DFL) 17 Deutscher Fußball-Bund (DFB) 17, 20, 35–37, 58, 82–93, 103 f., 110–118, 142–144, 160–165, 169–174, 179 f., 184–186, 196–200, 212, 218–221, 231 f., 243–245 Digitalisierung 207 f. Drittes Rundfunkurteil 1981 191 Educational Act von 1870 30 Eintracht Frankfurt 20, 101, 173, 250–252 Eintrittspreise 43, 59, 90, 100, 140, 165–167, 169, 171 f., 261 f., 271, 281 Entfremdung 60, 119, 141, 145, 166, 204, 249, 267, 270, 274 f. Erlebnisgesellschaft 158 f.
Europäischer Gerichtshof 230 f. Europäisches Parlament 231 Fanzines 23, 216, 266, 268 f., FC Arsenal 30, 47, 176, 180, 194, 214, 216 FC Barcelona 73, 205, 283 FC Burnley 110 FC Chelsea 47, 132, 171, 176, 205, 215, 234, 241, FC Energie Cottbus 234 FC Everton 46 f., 103, 176, 194 FC Fulham 73, 171, 240 f. FC Liverpool 9, 47, 94, 103, 123–125, 176, 194, 205, 267 FC Lüttich 229 FC Mailand 205, 235 FC Middlesbrough 54, 171, 239 f., 257 f. FC Nürnberg 47, 100 FC St. Pauli 20, 26, 251, 266, 271–276 Fernsehästhetik 14, 18, 64–66, 187, 226–228, 263, 280, 284 Fernsehgelder 108–112, 114, 188, 192–224, 201, 222 FIFA 124, 194, 230, 232 f. First Division 16, 52, 66, 97, 99 f., 103, 163, 172, 175 f., 193–195, 212–215 Football Association (FA) 17, 20, 29–33, 66, 75, 81, 98, 101, 103–105, 107 f., 113, 134, 136–139, 180, 192, 194, 204, 209–218, 233, 261, 281 Football League (FL) 17, 20, 30 f., 38, 53, 68, 71–81, 79, 99 f., 101, 103–109, 112, 137, 139, 146, 163, 166, 168, 171, 175–177, 183–184, 192–195, 203, 212–216, 230 Football Supporters Association (FSA) 137, 268 Foster and Partners 260 Frankenstadion 47 Frauen im Stadion 31, 214 Freizeitverhalten 11, 13–15, 30–35, 39, 41, 45, 54–63, 69, 118, 146, 150 f., 156 f., 160–167, 210 f., 218, 222, 250, 264, 266 f., 282 Gemeinnützigkeit 37, 83 f., 86 f., 99 f., 242 Gentrifizierung 256, 262 f.
312 Gewalt 9 f., 19, 21, 25, 28, 44, 60, 121–136, 141–145, 154, 167 f., 183, 202 f., 268 f., 279 GfK-Studie 90, 164 Globalisierung 11, 14, 26, 202, 204–209, 242, 265, 277, 279, 283–285 Glokalisierung 206, 249 f., 284 Glückaufkampfbahn 47 Goodison Park 46 f. Hafenanlage 240, 257 f. Hafenstraße 273 f. Hamburger Sportverein 54, 82, 88, 94, 104, 110, 185, 274 Hannover 96 100 Henley Centre 209, 217 Hertha BSC 87–89, 100, 172, 244, 248 Herzog & de Meuron 260 Heysel-Stadion 9, 123–125, 135, 137, 163, 194, 201, 203, 267 Highbury 47 Hillsborough 121, 125 f., 135, 138, 145, 183, 201, 203 Hooliganismus 9, 21, 25, 28, 60, 121, 123–145, 153, 156, 176, 201–203, 267, 285 Hull City 171 Hyper-Kommodifizierung 245 f., 276 Ibrox-Stadion 135, 139 Idealverein 83, 97, 99, 242 f. ID -Membership-Kampagne 137, 140, 267 f. Image 56, 81, 90, 134, 139, 151, 161 f., 173, 175, 177, 179, 183 f., 195, 212, 218 f., 238, 246 f., 250–253, 255 f., 265, 267, 272 f., 275 f., 279 f., 285 Independent Supporters Association (ISA) 268 Individualisierung 12 f., 58, 96, 157–161, 265, 282 Infratest-Studie 20, 58, 67 f., 112 ISPR 221, 224, 252 ITV 18, 61, 63, 106–109, 176, 183, 187, 189 f., 192–196, 220 f., 284 Jägermeister 113–115, 184
Register
Kapitalgesellschaft 33, 83, 97, 104, 243 Kickers Offenbach 88 f. Kommerzialisierungskritik 16, 22, 24, 26, 118, 186, 202, 204, 216, 247, 262 f., 266–272, 275 f., 284 Konsumentengesellschaft 13, 157 f., 264 f. Konsumverhalten 12 f., 15, 19, 22, 25 f., 39, 55–65, 69, 90, 118, 122, 156–163, 167 f., 187, 204, 210–214, 246 f., 251, 260, 263–266, 270 f., 282, 284 KPMG Management Consulting 209 Law and Order-Politik 19, 132, 145, 153 Leicester School 127–129 Lizenzspieler 82, 86–88, 100 Manager 100, 155, 169, 174 f., 177–182, 202, 268, 280 Manchester City 176, 205, 233 Manchester United 30, 47, 103, 176, 180, 194, 205, 213, 236, 238, 241, 247 f., 254, 268, 271, 283 Markenbildung 18, 24, 68, 73, 89, 94, 96, 161, 173, 175, 177, 183, 203, 213 f., 219, 220, 246–256, 265, 270 f., 275, 281, 283 Marktforschung 18 f., 58, 175, 254, 265 Match of the Day 63 f., 96, 221 Maximum wage / Obergrenzen für Spielergehälter 15, 70–82, 93 Mäzen 98, 112, 115, 117, 171, 239, 251 McDonald’s 209, 253 Merchandising 41, 178, 181, 212, 219, 237, 244, 247 f., 275, Mercedes-Benz 178, 185, 252 Millwall FC 133 f., 137, 262 Miner’s Strike 124, 147, 155 MSV Duisburg 91 1860 München 100 Müngersdorfer Stadion 47 Mythos 26 f., 38, 248, 260, 270, 272 f., 275 f. »nach dem Boom« 12 f., 15, 122, 150, 156, 265 f., 282, 285 f.
Sachregister
Neoliberalismus 12, 154, 188, 206–209, 285 f. Newcastle United 67, 107, 109, 176, 194, 239 f. New Labour 241, 285 Niedersachsenstadion 48 Nottingham Forest 125, 194 Ökonomisierung 14, 24, 26, 201 f., 238, 267, 269, 280–283 Old Trafford 47 Ölkrisen 13, 122, 146 f., 152, 207, 285 Olympiastadion München 50, 175 Parkstadion 50 Peacock Committee 188 f. PEP-Studie 57, 68, 82, 99, 101, 104, 106, 112 PerformancePlus 253 Popplewell-Report 136 f. Premier League (PL) 10, 16, 53, 203, 212–217, 221, 223, 230, 233–242, 247, 261 f., 281 Privatfernsehen 18, 26, 45, 122, 187–192, 201, 203, 224, 265, 275, 280, 284 Privatisierung 25, 149, 154, 190 Professional Footballer’s Association (PFA) 71 f., 74–80, 92, 194, 204 Protestbewegung 266, 273, 281 Public Viewing 227, 284 Ran 221, 224 Rassismus 268, 270 Real Madrid 73, 96, 205, 254 Retain and transfer system 71, 74, 80 Rheinstadion 50 f., 164 Riverside Stadium 257 f. RTLplus 18, 280 Safety of Sports Ground Act 135, 257 Saatchi & Saatchi 209, 177, 181 Sat 1 18, 191, 196 f., 220 f., 224–227, 274, 280 Schalke 04 54, 89, 99 f., 151, 173, 243, 245, 251 Second Division 176 Sexismus 270
313 Sir Norman Chester Centre for Football Research (SNCCFR) 127, 217, 233, 238, 262 Situationsanalyse des DFB -Ligaausschusses 1985 20, 164 f., 170 f., 173 Situationsanalyse des DFB -Ligaausschusses 1989 20, 218–220, 223 Sitzplatzstadien 140, 145, 202, 222, 237, 256, 261, 268, 270 Sony 253 Sozialromantiker St. Pauli 271 f., 275 SPD 178, 190 Spielergehälter 15, 69–71, 80–83, 92 f., 97, 100, 105, 172, 229, 235 f., 279 Spielergewerkschaften 33, 72, 74, 77 Sponsoring 18, 41, 97, 99, 105, 112–118, 169, 176–179, 183–186, 192 f., 200 f., 205, 209, 212, 223, 226, 237 f., 240, 249, 253, 263, 272, 279–281 Sportschau 63 f., 96, 111, 221 Sportsview 63, 108 Springer-Verlag 221 Stadionarchitektur 10, 43–51, 256–263 Stadionkatastrophen 121, 123–126, 135, 142, 144 f., 163 Stadion Rote Erde 47 Stadium of Light 257 f. Stamford Bridge 47 Stiftung Warentest 50, 143 Strukturbruch 12 Subventionen 37 f., 83, 102, 111, 117, 148 f., 172, 176, 199, 215, 285 Taylor-Report 140, 182, 201, 217, 222, 256 f., 262 Teesside Development Corporation 257 Tennis 9, 118, 121 f., 151, 162, 183, 186, 265 Testimonial 10, 253 Tottenham Hotspurs 47, 50, 169, 176, 180 f., 213, 236, 238 Trikotwerbung 113–117, 183–185, 192 f., 219, 279 Übertragungsrechte 18, 107–112, 114, 183, 188, 193–202, 220–222 UEFA 124, 194, 229–233, 286
314 Ufa 198 f., 220 f., 244 Veltins Arena 258 f. Vereine als Identitätsfaktoren 11, 16, 21, 23 f., 27, 32, 35, 58, 167, 181, 186, 204, 212, 232, 246, 248–251, 257, 266, 269, 271, 284 Vereine als Unternehmen 11, 14, 16, 24, 80, 92, 98–101, 178, 217, 220, 237–245, 281 Verhäuslichung 56, 59, 61, 69 Vermarktlichung 11, 19, 246 f., 279, 283 Vermarktungsstrategien 14, 18, 20, 26, 69, 93, 96, 162, 169, 175, 178, 181 f., 201, 204, 209, 214, 219 f., 223–228, 238, 242–256, 263, 266, 271, 275 f., 280 f., 283 Verschuldung der Vereine 10, 25, 97–102, 121 f., 145, 148, 168–173, 178, 202, 235 Vertragsspielerstatut 37, 84–86 VfB Stuttgart 67, 100, 174, 179, 231, 243 VfL Bochum 231 Weltmeisterschaft 1954 27, 38
Register
Weltmeisterschaft 1966 41, 42, 49, 52, 66, 81 Weltmeisterschaft 1970 49, 53, 259 Weltmeisterschaft 1974 41 Weltwährungssystem von Bretton Woods 13, 146–148, 207 Wembley Stadium 260 f. Werder Bremen 100, 142, 169, 178 f., 185, 224, 231 Westfalenstadion 50, 249 When Saturday Comes 216, 269 White Hart Lane 47 »Wirtschaftswunder« 85, 150 Wohlstandsgesellschaft 13, 15, 25, 39, 41 f., 51, 54–60, 67–69, 72, 92, 112, 118 f., 130 f., 151, 157, 159, 167 f., 210, 263 f., 282, 285 Wolverhampton Wanderers 77, 171 Wormatia Worms 113 ZDF 18, 61, 63, 111, 191, 196–201
Zuschauerboom 10, 42, 53, 203, 281 Zuschauerschwund 9, 25, 35 f., 52–60, 67–69, 92, 97, 102, 108, 119, 142, 144 f., 162–168, 170, 202, 276, 279, 285